From the Collection
of the late
JOHN LUGZKIW
Centralblatt
für
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Herausgegeben
Dr. med. et phil. G. Buschan,
IL Jahrgang 1897.
-*-♦♦♦-•
Breslau 1897.
J. U. K.erii's Verlag,
(Max Müller.)
I
Inhalt,
Seite
Orig-inalarbeiteii:
O. Ammon: Über die Wechselbeziehung des Kopfindex nach
deutscher und französischer Messung 1—6
E. Schmidt: Das System der anthropologischen Disziplinen 97—102
J. Heierli: Die bronzezeitlichen Gräberfunde der Schweiz 193-198
C. Mehlis: Archäologisches aus der Pfalz 289 — ^92
Referate:
1. Anthropol ogie 7—25
102-123
198—220
293—302
2. Ethnologie und Rass enkund 6 25 — 50
124-142
220—241
302—318
3. Urgeschichte 50— 65
142—175
242—260
318—338
Versammlungfs- und Vereins-Berichte 65— 73
175--182
260—274
338—348
Ta^esgeschichte 182-184
274—275
348-349
Bibliographische Übersicht . 73—96
184-192
275—288
349—380
Regfister 381-384
Centralblatt
für
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Herausgegeben von Dr. phil. et med. Gt. Busch an.
J. U. Kern's Verlag (Max Müller) in Breslau.
2. Jahrgang. Heft 4. 1897.
A. Originalarbeit.
Archäologisches aus der Pfalz.
Von Dr. C. Mehlis.
1. Prähistorische Spinnwerkzeuge aus der Pfalz. Die
Werkzeuge obiger Art gehören, abgesehen von den Wirt ein, d. h.
den Kreiseln für die metallenen oder hölzernen Spindeln in prä-
historischen Fundstellen, zu den Seltenheiten. Dennoch geht aus
einzelnen Funden, besonders den sogenannten ,,Zettelstrecker",
die Thatsache hervor, dass der Weberstuhl einfacher Art in der
Hallstatt-, Bronze- und Steinzeit bei uns nicht unbekannt
gewesen sein muss. Letztere Ansicht erhält eine thatsächliche
Stütze durch zwei Funde, die im Dezember in der Vorderpfalz —
Dürkheim und Maxburg — gemacht wurden.
An ersterem Platze fand sich zwischen Dürkheim und Grethen
am Fusse der Abtei Limburg und der „Heidenmauer" eine durch-
bohrte Sandsteinkugel von 7 cm Quer- und 5,5 cm Höhendurch-
messer. Die cyhndrische Lochung hält 2 cm Durchmesser. An der
Aussenseite sind zahlreiche 1 — 2 cm lange künstliche Einschnitte
sichtbar, die nur vom ständigen Darüberlaufen einer Schnur oder
eines Fadens herrühren können. Ohne Zweifel haben wir es hier
mit einem regelmässigen „Zettelstrecker", angebracht an einem
prähistorischen Webstuhle, zu thun, der etwa, wie die meisten Funde
auf der nahen „Heidenmauer" in die La Tene-Zeit fallen wird. —
Noch wertvoller ist das zweite, im Hambacher Walde, nahe der
Maxburg gemachte Fundstück. Es besteht in einem plattgeschliffenen
Steinwerkzeuge von der Form eines flachen, kleinen Kahnes und
misst in der Länge 9 cm, in der Breite 1,5 — 3,2 cm, in der Dicke
1,3—1,5 cm. Die Ecken sind sorgfältig entkantet, so dass das Werk-
zeug vorn und hinten zugespitzt erscheint. Das Material hat gelb-
braune Farbe und scheint nach Härte und Gewicht ein etwas heller
Kieselschiefer zu sein. Nach seinem Aussehen kann das Artefakt
Centralblatt für Anthropologie. 1897. 19
290 ^- Originalarbeit.
nur ein sogenanntes „Weberschiffchen" gewesen sein, das dazu
diente, den Einschlagfaden in das Gewebe zu bringen. — Unter den
ca. 500 Steinwerkzeugen, welche die Sammlung zu Dürkheim
a. d. Hardt enthält, befindet sich kein einziges, ähnhch gestaltetes
Werkzeug aus prähistorischer Schicht.
2. Neolithische Fundstellen in der Pfalz. Ohlenschlager
wusste am letzten Anthropologen-Kongresse zu Speyer (Aug. 1896)
nur 2 neolithische Fundstellen aus der Pfalz namhaft zu machen,
Kirchheim a. d. Eck und Landau, wozu noch Grossniedesheim,
westlich von Frankenthal, kommt. Es glückte am 17. Dezember
1896 zu diesen 3 Stationen eine vierte hinzuzufügen. — Dieselbe
liegt bei Neustadt a. d. H. und zwar östlich der Stadt und südlich
von Bräunichweilerhof, nördlich der Distriktsstrasse nach Lachen im
„grossen Sandfelde". Hier befindet sich eine weitgedehnte Schicht
reinen, weissen Sandes, an der sich in 2 m Tiefe Kies anschliesst.
In diesem Flusssand 1—1 V2 ni tief stiess man beim Sandgraben
auf eine dunkle, humusreiche Schicht von mehreren Quadratmetern
Ausdehnung. In dieser lagen nach einer vom Verf. vorgenommenen
Ausgrabung folgende Fundobjekte: 1. das nahezu vollständige Knochen-
gerüste eines grossen Wiederkäuers, nach der Untersuchung von
Prof. Eberhard Fraas zu Stuttgart das eines mittelgrossen Exemplars
von Equus caballus. 2. Die zum Teil aufgeschlagenen Knochen
eines zweiten kleinen Wiederkäuers. In derselben Schicht und in
Vergesellschaftung der obigen Knochen lagen folgende zwei Arte-
fakte: 3. Ein schwarzes, roh gebranntes Gefässstück, verziert mit
einem eingestochenen Bande, dessen Einzelglieder aus je zwei
blattartigen Eindrücken bestehen (Darstellung eines Pflanzenzweiges?);
4. eine aus weissem Quarz künstlich geschlagene (deutliche Schlag-
marken!) Pfeilspitze von 2V2 cm Länge und 1,5 cm Breite an der
Basis; mit zwei stumpfen Spitzen an dieser zum Zwecke des Ein-
steckens in den Schaft. — Nach der Technik und nach der Orna-
mentik des Gefässstückes, welches entscheidend für die chrono-
logische Fixierung des archäologischen Befundes ist — Band-
ornamentik — gehört der Gesamtfund in dieselbe Zeit wie die
Grabfunde von Ober- und Niederiiigelheim, Monsheim, Worms, Kirch-
heim a. d. Eck. Das Mittelglied zwischen Kirchheim und Landau
ist jetzt gefunden! — Die Funde gelangten als Geschenk des Feld-
besitzers Siegel an das Museum der Pollichia zu Dürkheim.
Herr Dr. Karl Kohl, der verdienstvolle Konservator des
Paulusmuseums zu Worms, bemerkt in einem an den der-
zeitigen Vorstand der „Anthrop. Sektion" der Pollichia vom 19. De-
zember gerichteten Schreiben über den Bräunichweiler Fund Fol-
gendes: „Nach dem anliegenden Material Hesse sich schliessen, dass
A. Originalarbeit. 291
man eine Trichterwohnung oder Kochgrube der Vorzeit angetroffen
hat, wie sie sich bei Worms zahlreich vorfinden". — In der
Pfalz allerdings sind solche prähistorische Wohnungsstellen
nur an wenigen Plätzen bisher konstatiert worden. Hierzu ge-
hören folgende Stationen: 1. Halsberg bei Dürkheim, Wohn-
platz der La Tene-Zeit, untersucht von den Herren Dr. Bischoff und
Philipp Zumstein. 2. Weissenheim a. Sand, Wohnplätze der
jüngeren Stein- und der älteren (?) Bronzezeit, untersucht von
Gutsbesitzer Nikolaus Henrich. 3. Obrigheim a. d. Eis, Wohn-
plätze der La Tene-Zeit. 4. Albsheim a. d. Eis, Wohnplätze der
neolithischen Zeit (Bandornamentik und Wolfszahnornament).
3. Ein Kupferbeil vom Niederrhein, (Mit Zeichnung.)
Den Kupferzeitfunden wendet sich seit dem epochemachenden Werke
„DieKupferzeit in Europa" von M. Murch (2. Aufl. 1893)mitRecht
die Aufmerksamkeit der Prähistoriker zu. — Vom Nieder rhein ist
unseres Wissens nur ein Artefakt der Kupferzeit bisher bekannt.
M. Murch erwähnt S. 85 u. 177 einen „Ring" von Balve (Reg.-Bezirk
Arnsberg), doch ohne nähere Umstände. Um so wertvoller ist ein
zweifelloses Kupferbeil, welches sich zu Wesel am Rhein ge-
funden hat und in die Sammlung R. Forrer's zu Strassburg im
Elsass gelangt ist (Wesel; province du Rhin; Nr. 3921). — Das
Artefakt hat eine Länge von 7,4 cm, misst am Ende 1,7 cm,
an der Schneide 2,5 cm in der Breite. Die grösste Dicke — un-
gefähr in der Mitte der Wandung! — beträgt nur 0,4 cm. Von der
Rückseite aus findet in schwachem Bogen eine gleichmässige Ver-
breiterung des Querdurchschnittes bis zur regelmässig, halbmond-
förmig gewölbten Schneide statt. Das Beil, geformt wie das ge-
wöhnliche Steinbeil, ist mit einer ziemlich gleichmässigen Oxyd-
schicht bedeckt. Die etwas geschweifte Form der oberen Kante
giebt dem Beil einen eleganten Zug, der sonst bei Kupfersachen
selten vorkommt. Offenbar steckte es bei seiner Benutzung bis
zur dicksten Stelle in einer Holz- oder Hornzwinge, wie die noch
in der Originalfassung vorgefundenen Steinbeile an den Schweizer
Pfahlbauten. An den Schluss der Benutzungszeit letzterer gehört
ohne Zweifel das Weseler Kupferbeil.
Prof. Dr. Nachreiner, Physiker am Gymnasium Neustadt a. d. Hardt,
bestimmte die Gewichtsverhältnisse folgendermaassen :
in Luft gewogen . . . 66,83 g,
in Wasser gewogen . . 59,11 g,
spezifisches Gewiccht . . 8,64 g.
Das spezifische Gewicht des reinen Kupfers beträgt 8,88.
Die Differenz von 0,24 ist auf Rechnung der Oxydationsschicht zu
setzen. — Prof. Nachreiner erklärt, das Material des Weseler Beiles
19*
992 ^- Originalarbeit.
sei reines Kupfer. — Historiker der europäischen Kupfer-
zeit liaben in Zukunft zu rechnen mit Gestalt und Gehalt des
Kupferbeiles von Wesel a. Rh.
4. Ronierfunde bei Neustadt a. d. Hardt. Römische
Funde wurden jüngst oberhalb, nördUch von Neustadt a. d. H.
gemacht in der weinberühmten Gewunne: „Vogelgesang-'. Zwischen
der erhöhten, mit einem Pavillon versehenen Anlage — Deides-
heimer — und dem Waldrande fanden sich hier beim Roden eines
Herrn Director G e i s s e 1 gehörigen Weinberges mehrere (5) römische
Pfeilspitzen von 6—8 cm Länge und in derselben Tiefe (V2 m)
römische Gefässreste. Etwas nach Nordwesten fand sich eine
hübsche, mit dem Bildnis des Kaisers Magnentius (350—353 n. Chr.)
geschmückte Bronzemünze. — Es wird vermutet, dass die jetzige
Anlage von Deidesheim nach den noch vorhandenen Resten von
Trockenmauern, besonders im Norden, ursprüngHch ein kleineres
römisches Kastell von ca. 40 m Länge und 20m Breite war. —
Dafür spricht die Gestalt dieser Anlage (abgerundetes Viereck), die
an ihrer Westseite und in ihrer Innenfläche seiner Zeit (ca. 1870)
gemachten Römerfunde, eine zweite Befestigung, ca. 250 m von
der ersten entfernt, die mit einander den Sattel absperrten, und
endlich die Thatsache, dass von Neustadt in diesen Sattel ein alter
„Römerweg" jetzt noch einmündet* Dieser Römerweg kommt
direkt von Hambach her und misst am „Ziegelberg" 2V2 — 3 ni
Breite. Auch an letzterem fanden sich früher Gegenstände, welche
auf alten Verkehr hindeuten, besonders Maulesel-Hufeisen. — In
einem Hofraume der Wolfsburg wurden im April 1897, ca. 2 km
westlich von obiger Fundstelle, zwei seltene römische Bronze-
münzen gefunden. Dieselben zeigen das Gepräge des Kaisers
Licinianus Licinius (307 — 324), der als Mitregent und Schwager
Konstantin des Grossen bekannt ist. Auf dem Revers steht der an
das Sceptrum gelehnte Jupiter mit der Victoria in der Hand, den
Adler neben sich und der Umschrift: Jovi Conservatori. Die Münzen
sind in der Prägung gleich, die Prägeorte sind jedoch verschieden.
— Dochnahl senior, der in seiner „Chronik von Neustadt a. d. H."
dem Kastelle auf dem Wolfsberg römischen Ursprung zuschreibt,
scheint nach diesem Funde nicht ganz Unrecht zu haben. Auch
eignete sich der Platz für eine römische Specula vorzüglich.
B. Referate. 1. Anthropologie. 293
ß. Referate.
I. Anthropologie.
a. Somatische Anthropologie.
24:8, H. Poll: Ein neuer Apparat zur Bestimmung der
Schädel-Kapazität. Verhdl. der Berliner anthrop. Ges. 1896.
Bd. XXVIII, S, 615.
Das von Poll ersonnene Verfahren zur Bestimmung der Schädel-
Kapazität beruht auf dem Prinzip, die Wassermenge zu messen, die er-
forderlich ist, um eine dünnwandige Gummiblase im Schädelinnenraume
soweit auszudehnen, dass sie sich den Wandungen leicht anschmiegt. Zu
diesem Zwecke bringt Poll vermittels einer einfachen Vorrichtung den aus-
zumessenden Schädel in eine solche Lage, dass das Hinterhauptloch gerade
nach oben sieht, führt in dieses eine Gummi blase ein. in deren Hals eine
an ihrem oberen Ende mit zwei Hähnen (der eine zum Eintritt von
Wasser, der andere zum Austritt von Luft) armierte Glasröhre wasserdicht
befestigt ist, und lässt aus der Wasserleitung in diese Glasröhre und die
mit ihr zusammenhängende Gummiblase kräftig Wasser einströmen.
Einzelne kleine Kunstgriffe, die zur exakten Bestimmung nötig sind, beliebe
man im Original nachzulesen. Wie exakt diese Methode arbeitet, erläutert
ihr Erfinder an Zahlentabellen. Der Apparat ist zum Preise von 15 bis
18 Mark bei Paul Altmann, Berlin NW. (Luisenstrasse 52) zu beziehen.
Dr. Buschan-Stettin.
249. E. Lugaro : Sulla genesi delle circonvoluzioni cerebrali
e cerebellari. Riv. di patologia nerv, e ment., 1897. Bd. II,
S. 97.
Lugaro erörtert znnächst die Frage, warum die graue Substanz des
Gehirns in Flächen- oder Rindenform um das Gehirn herum angelegt ist.
Die alte Ansicht (Reichert, Seitz), dass die Flächenausdehnung der grauen
Substanz die gleichmässige Verteilung der Blutgefässe (mittels der Pia)
auf ihr bezw. die gleichmässige Blutversorgung derselben erleichtere, lässt
Lugaro zu Recht bestehen. In erster Linie aber sei diese Flächenaus-
dehnung der grauen Substanz durch die Anordnung ihrer Zellen und
Fasern bedingt, diese wiederum durch die Funktion derselben, besonders
durch die Aufgabe, die durch das Projektionssystem der weissen Substanz
eintretenden Bahnen in ein Koordinationssystem zu verwandeln. Die Anlage
der Hirnrinde in Windungen sei das Resultat der Ausdehnung der Rinde
einerseits und der Assoziationsbahnen andererseits. Die Richtung der
Windungen hängt von der Ausdehnung und der Struktur der Rinde ab,
welch letztere wiederum auf die Besonderheiten des betreffenden Organismus,
294 ß- Referate. 1. Anthropologie.
auf die Art seiner Assoziations- und Projektionsbahnen, nur zum geringeren
Teile auf die Entwickelung des Schädels zurückzuführen sind.
J. Bresler-Freiburg i. Schi.
b. Biologie.
1. Physiologisches Verhalten.
250. Wilhelm Haacke: Orundriss der Entwickelungsmechanik.
Mit 143 Textfiguren. Leipzig A. Georgi, 1897.
Das prophetische Wort des Bahnbrechers Darwin „Licht wird fallen
auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte" hat sich erfüllt:
die naturwissenschaftliche Forschungsweise hat unerwartete Aufschlüsse über
die Vorgeschichte des Menschengeschlechtes gebracht. Trotzdem wird
niemand leugnen können^ dass die Lehre des grossen englischen Forschers
vielfacher Verbesserung bedarf. Besonders seine Auffassung und Erklärung
der Vererbung, die er selbst ja als ,, vorläufige" bezeichnet hat, ist ent-
schieden unhaltbar. Auf der Vererbung beruht aber die ganze stammes-
geschichtliche Entwickelung, und diese kann unmöglich verstanden werden
ohne eine richtige Vorstellung von jener. In dieser Hinsicht hat unstreitig
der unermüdliche, leider zu wenig gewürdigte Forscher Wilhelm Haacke
vieles zur Förderung unserer Erkenntnis beigetragen. Jedes seiner Werke,
die freilich nicht ohne ,, Hirnanstrengung" gelesen werden können, regt
bei den Naturforschern, zu denen ja auch der Anthropologe gehört, eine
Fülle von neuen Gedanken an. So sei denn auch an dieser Stelle auf
das vorliegende Buch nachdrücklich aufmerksam gemacht. Der Verfasser
meint es ernst mit der Wahrheit, ,,die doch das grösste Heiligtum des
Forschers sein muss", und scheut sich daher nicht, ,,das als falsch Er-
kannte über Bord" zu werfen, auch dann, „wenn er es selbst vorgebracht
oder eifrig vertreten hat"; sein Hauptzweck ist es, den Leser zum ,, Mit-
ringen anzuregen". Der Hauptstreit in der Entwickelungswissenschaft
drehte sich im letzten Jahrzehnt um die Vererbung ,, erworbener" Eigen-
schaften. Haacke verteidigt diese auch in seinem neuesten Werk, hat sie
sich aber etwas ,, anders zurechtgelegt" als früher und seine Auffassung
von allen ihr ,, bisher anhaftenden Schlacken" gereinigt. Für das Ver-
ständnis der Rassenbildung ist diese Frage selbstverständlich von der
grössten Bedeutung; beispielsweise lässt sich der Farbstoffverlust der nord-
europäischen Rasse nur auf diese Weise erklären, denn die natürliche
Auslese könnte, auch wenn sie artenbildend wäre, nur vorteilhafte Eigen-
schaften züchten. Nach Haack es Ausführungen können wir „nicht daran
zweifeln, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden, und dass ihre Er-
werbung und Vererbung das einzige Mittel ist, mit dem die stammes-
geschichtliche Umbildung der Organismen arbeitet." Nicht blos „stamm-
erhaltende", auch „stammbedrohende" Erwerbungen vererben sich, das
B. Referate. 1. Anthropologie. 295
kann jeder, der die Augen offen hält, besonders bei den mancherlei Ent-
artungserscheinungen des Menschen und der Haustiere beobachten,
Dr. Ludivig Wilser- Karlsruhe.
251. Silvio Veuturi: Origiiie dei caratteri differenziali fra
l'uomo e la doiina. Manicomio moderne, 1897. Anno XII,
Nr. 1.
Venturi widerlegt hier in erster Linie die Ansicht (Lombroso, Have-
lock Ellis), dass Mann und Frau auf verschiedener Entwicklungsstufe be-
findliche Individuen einer Spezies vorstellen. Schon Morselli und Mante-
gazza haben darauf hingewiesen, dass die Frau nicht quantitativ, sondern
qualitativ vom Manne verschieden sei. Die Frau steht nicht unter oder
über dem Manne, sondern neben ihm. Venturi führt Lombrosos Ansicht
ad absurdum, indem er darauf hindeutet, dass in der Entwicklung zurück-
gebliebene Männer (Idioten, Imbecille) durchaus nicht den weiblichen Typus
zeigen, ebensowenig hochentwickelte Frauen den männlichen. Er stellt
dagegen eine neue Theorie auf: Mann und Frau, wie überhaupt Männchen
und Weibchen einer jeden Spezies, gehören ursprünglicli zwei verschiedenen
Spezies an, Spezies, die unter sich die engste Affinität gehabt haben, aber
dennoch hinreichend verschieden gewesen sind. Die verschiedenen Charaktere
beider Geschlechter einer Spezies weisen also nicht auf einen verschiedenen
Grad der Entwicklung, sondern auf einen verschiedenen Ursprung hin.
Von und gegenüber einer Periode der Differenzierung, phylogenetischen
sowohl wie ontogenetischen, muss man nämlich eine solche der Verein-
fachung unterscheiden. Das phylogenetische und ontogenetische Leben ist
keine kontinuierliche Linie oder Reihe von unaufhörlich aufeinanderfolgen-
den Verzweigungen, sondern verläuft cyklisch in einer Divergenz- oder
evolutiven und einer Konvergenz- oder involutiven Periode. Das Indi-
viduum, anfangs ein Klümpchen amorpher Substanz, wird — in der ersten
Periode — unter fortwährenden Differenzierungen zu einem Komplex von
Teilen, von denen schliesslich kein einziger dem anderen gleich ist; in der
zweiten, der Konvergenzperiode, nähert sich das alternde Individuum den
Formen verwandter Spezies, und unter fortwährenden Reduktionsprozessen
gelangt es durch Zustände immer geringerer Individualisierung und ein-
facherer Funktion schliesslich nach dem Tode zu den einfachen Substanzen
zurück, aus denen sich jenes Klümpchen amorpher Materie gebildet hatte.
Ähnlich die Spezies und Gattungen der Tiere und Pflanzen. Auf der
Höhe der phylogenetisch möglichen Entwicklung und Diffe-
renzierung angelangt, steigen sie durch Paarung und Ver-
mischung wieder zu den einfacheren Formen zurück und
schliesslich zu den einfachsten Formen, aus denen das organische Leben
der Erde überhaupt erwachsen sein mag.
296 ß- Referate. 1. Anthropologie.
Bei der menschlichen Spezies nehmen die Charakterverschiedenheiten
zwischen Mann und Frau bekanntlich im Alter ab, bis zum gänzlichen
Schwinden; letztere werden schliesslich wie Kindei', die sich noch nicht
individualisiert haben.
Wie beim Embryo anfangs eine hermaphroditische Anlage vorhanden
ist und erst später der Wolffsche Körper, während der Müllersche Gang,
die weibliche Geschlcchtsanlage, in der Entwicklung zurückbleibt, zum
männlichen Geschlechtsorgane heranwächst — oder umgekehrt — , so mag
es auch phylogenetisch ein Stadium gegeben haben, in welchem, was heute
Mann und Frau ist, wahre Hermaphroditen waren, die einander zur Fort-
pflanzung nicht bedurften. Die Pathologie, die Teratologie, die Lehre von
den menschlichen Hermaphroditen giebt hierfür viele Anhaltspunkte. Jene
ursprünglichen Hermaphroditen bildeten nicht etwa zusammen eine Spezies
im heutigen Sinne des Wortes, sondern waren, wenn auch ähnlich, so
doch noch genügend voneinander verschiedene Wesen. Venturi nennt
diese beiden hermaphroditischen Spezies species andrica und species
gynaecina; aus der Vereinigung beider nicht geschlechtlichen Spezies wurde
die geschlechtliche Spezies Mensch.
Unter der Art und Weise, wie diese Vereinigung hermaphroditischer
Arten zu einer geschlechtlichen Spezies zu stände gekommen, stellt sich
Venturi einen ähnlichen Vorgang vor, wie er noch heute bei manchen
Pflanzen als Übergang vom Hermaphroditismus zur geschlechtlichen Fort-
pflanzung beobachtet wird. Nach Herbert können einige Pflanzen aus der
Spezies Lobelia, Verbascum und Passiflora von dem Samen anderer, wenn
auch nicht gerade entfernter Spezies leichter als von dem eigenen be-
fruchtet werden. Ja, Hypeastrum, welches gewöhnlich vom Samen einer
Pflanze, die einer ganz getrennten Spezies angehört, befruchtet wird, bleibt
steril, wenn man die Befruchtung mit ihrem eigenen Samen versucht. Die
männlichen Organe von Hypeastrum verkümmern nach einigen Generationen,
und die Pflanze wird das Weibchen einer neuen Spezies, deren Männchen
seinerseits vielleicht die eigenen weiblichen Geschlechtsorgane verloren hat.
Nach Haeckel geschieht bei den Schnecken und einigen anderen Tieren
der Familie der Würmer, wo noch der Hermaphroditismus in Tätigkeit
ist, die Befruchtung auch mittels gegenseitiger Kopulation zweier Indi-
viduen. Venturi glaubt, dass die phylogenetische Laufbahn
der höheren Tiere oder noch besser derjenigen Tiere, bei
welchen die Reproduktion eine doppelgeschlechtliche ist, da
aufhört eine evolutive zu sein, wo das hermaphroditische
System aufhört; mit dem geschlechtlichen System beginnt die
involutive Periode des phylogenetischen Cyklus. Dem ent-
spricht auch, dass, wie bekannt, die Prozesse der aus-
giebigsten Differenzierung bei den niedrigeren Organismen
statthaben, deren Vervielfältigung und Mannigfaltigkeit eine
B. Referate. 1. Anthropologie. 297
unermessliche ist, während dagegen die höheren Tiere und
Spezies ihre Formen ausserordentlich hartnäckig bewahren,
so dass von einer Variabilität kaum noch die Rede ist. Spezies,
welche die höchsten Grade der Entwicklung erreicht haben, verschwinden,
und an ihre Stelle treten andere niedere, welchen die Existenzbedingungen
noch genügen, oder welche bessere Existenzbedingungen finden. Tiere
und Pflanzen, welche durch die Vereinfachung des Systems der geschlecht-
lichen Fortpflanzung zeigen, dass sie auf dem Wege zur regressiven Periode
des Lebens sich befinden, können gleichwohl, da die Involution nicht gleich-
massig alle Organe betrifft, in Bezug auf einzelne der letzteren, und zwar
die nicht zur Fortpflanzung erforderlichen, noch eine weitere Entwicklung
erfahren. Man sieht ja auch bei Menschen die geschlechtlichen Fähig-
keiten bereits zur Neige gehen, während die psychischen noch nicht ihren
Gipfelpunkt erreicht haben.
Bei der Gegenüberstellung von Mann und Frau handelt es sich also
nicht um einen ,, Infantilismus" der letzteren, sondern beide sind Glieder
einer Spezies, welche aus der Konvergenz zweier einander nahestehender
Spezies sich entwickelt hat. Die Länge der gemeinsam von den beiden,
ehedem zwei verschiedenen Spezies angehörigen Individuen auf der phylo-
genetischen Bahn zurückgelegten Strecke hat die somatischen und
physiologischen Unterschiede vermischt, mit Ausnahme der-
jenigen des Geschlechts und der mit diesem in notwendiger Beziehung
stehenden sekundären geschlechtlichen Merkmale somatischer, physiologischer,
psychischer und soziologischer Natur.
Oberarzt J. Bresler-Freihurg i. Schi.
252. W. Pfitzner: Ein Beitrag zur Kenntnis der sekundären
Geschlechtsunterschiede beim Menschen. Schwalbes Mor-
phologische Arbeiten. 1897. Bd. VII, S. 473.
Die Untersuchungen des Verf., trotzdem sie den von ihm während
seiner 12jährigen Thätigkeit am anatomischen Institut zu Strassburg an
Anatomieleichen gemachten Aufzeichnungen entstammen, besitzen dennoch
den Vorzug, dass sie sich auf ein recht homogenes, brauchbares Material
beziehen. Denn diese Anatomieleichen bestehen nur zu einem ganz ge-
ringen Teile (5 pCt.) aus solchen von Sträflingen, Heimatlosen etc., viel-
mehr zumeist (90 pCt.) aus Angehörigen des wohlhabenden Mittelstandes.
Sie geben also ein recht zuverlässiges Durchschnittsbild der im Unterelsass
ansässigen Bevölkerung.
Das Hauptergebnis seiner Untersuchungen fasst Verf. unter folgende
Gesichtspunkte zusammen :
1. Das Weib ist durchweg weniger blond als der Mann und 2. durch-
weg dunkeläugiger als der Mann. Dieser Unterschied beruht auf spezi-
fischen Geschlechtseigentümlichkeiten, nicht auf ethnologischen Momenten,
^98 ß- Referate, 1. Anthropologie.
3. Bezüglich der Beziehungen zwischen Haar- und Augenfarbe hat sich
herausgestellt, dass die hier obwaltenden Unterschiede die naturgemässen
Konsequenzen der in den beiden einzelnen Komponenten bestehenden Ab-
weichungen sind, mit der einen Ausnahme, die zugleich die einzige An-
deutung einer mögliclier Weise bestehenden ethnologischen Verschiedenheit
ist, nämlich des Auftretens einer besonderen Gruppe mit schwarzem Haar
und hellen Augen, die beim erwachsenen Manne etwa viermal so stark
(15,9 pCt.) als beim erwachsenen Weibe (3,4 pCt.) vertreten ist. 4. Die
Längenmaasse des Weibes sind nach einem bestimmten Verhältnis verkleinerte
Wiederholungen der Maasse des Mannes. 5. Für die Kopf- und Gesichts-
maasse gilt dasselbe wie für die Körperhöhe, nur ist die Verkleinerung bei
den Gesichtsmaassen, namentlich bei der Gesichtshöhe, eine stärkere, was
sich aber als einfache Konservierung mehr infantiler Zustände erklärt.
6. Die stärkere Neigung des weibhchen Geschlechtes zur Dolichocephalie
und zur Chamäcephalie ist so ausserordentlich gering, dass sie nicht in
Betracht kommen kann ; die ausgesprochene Chamäprosopie dagegen be-
deutet ein einfaches Beharren bei mehr infantiler Form. In der Häufig-
keit der einzelnen Typen und Formen zeigen sich ferner keine typischen
Verschiedenheiten, selbst beim Gesichtsindex wiederholen sich alle Indices
des Mannes in gleicher Häufigkeit, nur in gleichmässig vermindertem Werte
beim Weibe.
Die vorstehend kurz wiedergegebenen Folgerungen beziehen sich wohl-
gemerkt nur auf die Unterelsässer und Unterelsässerinnen ; Verf. ist weit
davon entfernt, sie als den generellen Unterschied zwischen Mann und
Weib aufstellen zu wollen. Dr. Buschan- Stettin.
2. Pathologisches Verhalten.
Degenerations- und Kriminal- Anthropol ogie.
253. Martin Barr: 8ome studies in heredity. Journal of nervous
and mental disease. 1897. Vol. XXIV, S. 155.
Verf. bringt in vorliegender Arbeit einen weiteren Beitrag zur Erb-
lichkeitsfrage bei geistes- und nervenkranken Familien. Einleitend erwähnt
er die Thesen von Richog, Krankengeschichten von Piorry, Michaeies,
Esquirol, Paul Droussac, Burrow, Maudsley, Lombroso, Morris u. A. Mit
den von Moreau, Buckwill und Tuke, Brigkam u. a. aufgestellten Procent-
berechnungen vergleicht er die eigenen Untersuchungen, die er als lang-
jähriger Chef einer Anstalt für geistesschwache Kinder anstellen konnte.
Bei 1044 Idiotenkindern fand er 38 pCt. mit erblicher Geisteserkrankung,
Imbecillität mitgerechnet, und 57 pCt. bei Berücksichtigung aller Neu-
rosen.
Barr teilt sodann zwei Stammbäume von besonders instruktiver erb-
licher Belastung mit, deren ersterem kurz folgendes entnommen sei:
B. Referate. 1. Anthropologie. 299
Ein gesunder und intelligenter Vater heiratet eine flüchtige, nervöse
und leidenschaftliche Mutter. Von 7 Kindern, 4 Söhnen und 3 Töchtern,
waren 4 gesund, 3 resp. 1, 3 imbecill 1 resp. 2.
Von den imbecillen Kindern waren der Sohn und eine Tochter un-
verheiratet, während die zweite geisteskranke Tochter ein uneheliches
imbecilles Kind männlichen Geschlechts zur Welt brachte.
Auffallenderweise hatte von den anderen 4 gesunden Kindern, die
sämtlich normale und gesunde Individuen heirateten, nur ein Sohn
5 gesunde Kinder, von denen 2 früh an unbekannter Krankheit starben.
Ein andrer Sohn und die Tochter hatten jeder eine imbecille Tochter und
der dritte Sohn hatte 2 gesunde und 3 kranke Kinder. Eines dieser
letzteren war eine idiotische Tochter, eine andere starb in Konvulsionen
und das dritte Kind starb an einem Hirnleiden.
Augenscheinlich überwog der geistige Defekt in den weiblichen Kindern
der Familie. In der zweiten Generation waren 2 Töchter und 1 Sohn, in
der dritten 3 Töchter und 1 Sohn imbecill.
Die zweite Familie erstreckt sich auf 7 Generationen und ist noch
lehrreicher.
Wir müssen es uns leider versagen, genau auf den sehr interessanten
Stammbaum einzugehen, an dem ausser auf dem geistigen Zustande der
angeheirateten Familienmitglieder auch auf ausgesprochene und angedeutete
Geisteskrankheit, Imbecillität, Epilepsie und Neurosen Rücksicht genommen
ist. Zusammengefasst können die fünf Generationen mit 22 Ehen in drei
Gruppen unterschieden werden. Die eine umfasst die gesunden Nach-
kommen, die ebenfalls gesunde Gatten heiratheten. Diese hatten bei
11 Ehen 22 normale Kinder, 7, 4, 3, 2; eine Ehe war steril und 6 hatten
nur je 1 Kind»
Die zweite Gruppe, bei welcher beide Gatten nervenkrank waren, um-
fasst 7 Ehen mit 20 Kindern. Von diesen waren 9 gesund; 5 starben in
der Kindheit, 3 waren totgeboren und je 1 waren imbecill, nervenkrank
und epileptisch
Die dritte Gruppe fasst die Ehen von gesunden und kranken Gatten
zusammen, 10 Ehen mit 10 normalen und 1 imbecillen Kinde. Eine Ehe
war steril und 2 Kinder aus anderer Ehe, deren Vater Dipsoraane war,
waren totgeboren.
Bezüglich der Fruchtbarkeit sehen wir unter den 28 Ehen kaum einen
Unterschied. Das reine Blut überwiegt in der ersten und dritten Gruppe,
während in der zweiten, den beiderseitig nervenkranken Ehen, früher Tod
der Hälfte der Kinder beobachtet wird.
Die Arbeit sei allen, die sich mit der Frage des Einflusses der Erb-
lichkeit beschäftigen, aufs wärmste empfohlen; sie kann als ein weiterer
300 B- Referate. 1. Anthropologie.
Beitrag dafür gelten, dass von Eben nervöser oder gar geisteskranker Indi-
viduen im Interesse der Nachkommen entschieden abzuraten ist.
Dr. Ä. Fafsow-Strasshurg i. E.
254. Louis Jullien: Petite uote sur le pied prehensile. Arch.
di psicb., scienze penali cd antropol. crimin. 1897. Bd. XVIII,
S. 10.
Nach den Untersuchungen von Ottolenghi und Carrara ist ein zwischen
1. u. 2. Zehe befindlicher Zv^^ischenraum keinesv^egs auf eine bestimmte
Beschäftigung, noch auf Deformation (Barfussgehen bei Negern) oder Ver-
erbung bei Rassen hohen Alters (Hindus) zurückzuführen, sondern als eine
atavistische Erscheinung zu deuten; denn man hat ihn recht häufig bei
Degenerirten, besonders Idioten, Verbrechern, Epileptikern und Prostituierten
beobachtet. Jullien vermag solche Annahme durch seine Messungen, die
er an 50 Pariser Prostituierten (91 Füsse) vornahm, zu bestätigen. Im
Durchschnitt belief sich der Abstand zwischen den beiden Zehen auf 4 mm;
in 42 pCt. der Fälle waren die Verhältnisse der beiden Füsse nicht über-
einstimmend. In 52 pCt. betrug der Zwischenraum (an der Spitze) 3 mm
(Ottolenghi-Carrara: 42 pCt.), in 27 pCt. 8 mm (Ottolenghi-Carrara: 17 pCt.)
und in 27 pCt. sogar 10 mm (Ottolenghi-Carrara: ebensoviel). Aus diesem
Verhalten zieht Verf. den Schluss, dass es sich bei einem Zehenzwischen-
raum von 4 mm bereits um ein ausgesprochenes Degenerationszeichen
handelt. Dr. Buschayi- Stettin.
255. V. Oiuffrida-Ruggeri: Sulla diguitä morfologica dei
segnl detti degenerativi. Atti della Soc. Rom. di antropol.
1897. Bd. V, H. 2/3, S. 127.
Verf. bespricht in eingehender Weise die Bedeutung der Degenerations-
theorie Lombrosos samt allen seinen Vorgängern und Schülern und unter-
wirft alle ihre Entwickelungsphasen unter gleichzeitiger Berücksichtigung
der hierdurch hervorgerufenen Opposition einer objektiven Kritik. Der
Widerspruch, welcher sich bald gegen Lombroso geltend machte, traf
zunächst seine Auffassung des Atavismus und der Degenerationszeichen
des geborenen Verbrechers, obzwar das häufige gleichzeitige Vorkommen
von somatischen und psychischen Anomalien im allgemeinen zugegeben
wurde. Nachdem sich die Annahme und die Schlussfolgerungen der
turinischen Schule über die Heredität der Degenerationszeichen im Sinne
von anatomischen Varietäten nicht lange zu behaupten vermochten, begann
man sich besonders mit dem Studium der Prostitution und ihrer Be-
ziehungen zur Hysterie, zur psychischen Minderwertigkeit undzu verschiedenen
Neurosen zu beschäftigen. Zugleich wurde der Versuch gemacht, eine
Korrelation der atavistischen Merkmale mit den Neurosen einerseits und
mit dem Genie andererseits anzubahnen und aufzuhellen; mitunter ging
B. Referate. 1. Anthropologie. 3Q1
man allerdings so weit, das Genie direkt für eine Neurose zu erklären.
Indessen Hess auch gegen diese Art der Auffassung eine energische
Reaktion nicht lange auf sich warten. Die Untersuchungen Brouardels
und Lorains über den Infantilismus schössen bald eine Bresche in die
neuen Folgerungen der Lombrosianischen Schule. Sergi versuchte hingegen
auf synthetischem Wege zu einer Entscheidung der Frage zu gelangen,
indem er den Atavismus im Gegensatz zu Lombroso nicht als eine Rück-
kehr zum Zustande der Wildheit, sondern vielmehr zu einem vormensch-
lichen und tierischen Grade aufzufassen begann, welcher nicht nur bei
Verbrechern, sondern auch bei Geisteskranken, Epileptikern, Kretins und
Idioten vorkommt. Weil die Anomalien einen bestialen Charakter haben,
so müssen ihn auch die entsprechenden Funktionen besitzen ; denn in der
morphologischen Degeneration sei funktionelle Degradation zu suchen.
Unter dem Einflüsse der neuesten soziologischen Studien machte sich in-
dessen immer mehr und mehr die Auffassung geltend, dass die Ätiologie der
Degeneration in einem Kampfe des Organismus mit der Umgebung zu suchen
sei. ,,Der Kretin sowie der Genius, der Bettler sowie der Millionär, der
Zwerg sowie der Riese sind Ungeheuer der Natur oder der Gesellschaft,
welche die Natur unerbittlich mit Degeneration oder Sterilität niederkeult."
(Ferri.) Dallemagne spricht dem Organismus eine allgemeine Widerstands-
kraft zu, welche die Komponente ist von partiellen Widerstandskräften.
Die Ungleichheit der allgemeinen Widerstandskräfte kennzeichnet den Grad
des individuellen Rückschrittes, jene der partiellen Widerstandskräfte zeigt
den organischen Rückschritt an. Im Grunde genommen ist diese „Ver-
minderung der Widerstandskräfte" Dallemagnes nichts anderes als die „Auf-
lösung der erblichen Kräfte" Feres, oder die „Krankheitsheredität" Morels.
Giuffrida definiert schliesslich die Degeneration in folgender Weise: Die
Degeneration ist jener krankhafte Zustand, welcher entstanden infolge eines
durch eine Entwickelungsstörung bedingten Gleichgewichtsverlustes, sich
bei der Deszendenz in einer Verminderung der Entwickelungsenergie
kundgiebt.
Im zweiten und dritten Abschnitte seiner Arbeit nimmt Giuffrida die
einzelnen Degenerationszeichen systematisch durch, welche sich infolge der
bedeutenden Detaillierung einer Besprechung entziehen. Bei seinen Unter-
suchungen im Provinzialirrenhause zu Rom legte er sich folgende Fragen vor :
a. Welche Degenerationszeichen herrschen unabhängig von den Psychosen
beim männlichen, welche beim weiblichen Geschlechte vor?
b. Welche Degenerationszeichen herrschen bei den einzelnen Psychosen
bei dem männlichen, welche beim weiblichen Geschlechte vor?
c. Welche Degenerationszeichen herrschen unabhängig vom Geschlechte
bei den schwersten, welche bei den leichtesten Psychosen vor?
Hierbei gelangte er zur Überzeugung, dass, gleichwie die Degenerations-
zeichen im psychischen Zustande des Trägers ihre Auslegung finden, ebenso
302 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
umgekehrt aus der Qualität und Quantität derselben auf den geistigen Zu-
stand ein Schluss gezogen werden kann.
Dr. Hovorka, Edl. v. Zderas-Janjina.
256. B. Spina: La seiisibilitä generale nei delinciuenti e nelle
prostituite. Rivista quind. di psicologia, psichiatria, neuro-
patologia. Roma 1897. Vol. 1, Heft 5, S. 65—70.
Spina untersuchte 95 Verbrecher (7Ö Männer, 25 Weiber) und 25
Prostituierte auf ihr Verhalten der verschiedenen Arten der Sensibilität,
und zwar mit dem Siewkingschen Ästhesiometer, mit dem Beiionischen
Algometer, mit dem Schlittenapparat von Du Bois-Reymond und mit dem
Thermoästhesiometer Eulenburgs. Dabei fand er eine häufige Hypalgesie
und in gewissen Fällen eine Analgesie der Verbrecher und Prostituierten,
womit er mit den Beobachtungen der Turinischen Schule übereinstimmt.
Bei den Prostituierten war die ästhesiometrische Sensibilität viel feiner als
bei den Verbrecherinnen, und bei diesen wieder viel stumpfer als bei den
Verbrechern. Dr. Hovorka, Edl. v. Zderas-Janjina.
2. Ethnologie und Rassenkunde.
a. Allgemeines.
257. G. Buschan: Einflnss der Basse auf die Häufigkeit und
die Formen der Geistes- und Neryenlfranlilieiten. All-
gemeine medizinische Central-Zeitung, 1897, Nr. 9 u. ff.
Die vergleichenden Untersuchungen des Körpers der Menschenrassen
erstrecken sich heutzutage noch hauptsächlich auf die äussere Form, auf
Haut und Haare, auf einige Teile des Knochengerüstes und das Gehirn.
Erst kurze Zeit beschäftigt man sich mit den Unterschieden in der Mus-
kulatur der Menschenrassen. Noch weniger aber wissen wir von deren
Verhalten in Bezug auf die Organe der Ernährung und Atmung, des Kreis-
laufs, der Harnabsonderung und Vermehrung, des Rückenmarks, der Nerven
und Sinnesorgane. Nicht nur der Bau, sondern auch die Lebensäusse-
rungen aller dieser Organe bei den einzelnen Menschenrassen bieten noch
eine grosse Fülle von Arbeitsstoff. Je mehr dieser bewältigt werden wird,
um so richtiger wird man auch erkennen, ob und weshalb eine Menschen-
rasse als solche gar nicht oder häufiger als eine andere von gewissen
Krankheiten ergriffen wird. Dass dies aber in Bezug auf Geistes- und
Nervenkrankheiten der Fall ist, erörtert Buschan in der hier nur kurz zu
besprechenden, verdienstvollen Arbeit, die wieder von der grossen Belesen-
heit des Verfassers zeugt. Was zunächst die weisse Rasse betrifft, so er-
kranken die Vertreter des blonden, hellhäutigen Menschenschlags mehr an
Geistesstörungen mit gedrückter Stimmung, die von Buschan Protokelten
genannten Europäer, die dunkles Haar, Auge und Haut haben, mehr an
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 303
solchen mit Aufregungszuständen. Hiermit bringt Buschan die Thatsache
in Zusammenhang, dass letztere weniger Selbstmorde aufweisen, als erstere,
die Germanen. Die Slaven, besonders die westlichen, neigen mehr zu den
mit Aufregungen verbundenen Geisteskrankheiten. Vom semito-hamitischen
Zweige der weissen Rasse werden die Juden angeführt. Bei ihnen kommen
Gehirnleiden und Zuckerkrankheit bis sechs mal so häufig vor, wie bei den
europäischen Ariern. Dies hängt nicht hauptsächlich mit einer erhöhten
Gehirnthätigkeit zusammen, da die Zahl der geisteskranken Jüdinnen noch
grösser ist als die ihrer von solchen Krankheiten heimgesuchten männ-
lichen Stammesgenossen. Ferner spielt die Inzucht hierbei nur dann eine
Rolle, wenn mindestens einer von den Erzeugern eine Anlage zu diesen
Krankheiten auf seine Nachkommen überträgt. Auch das Wohlleben kommt
hier nicht besonders in Betracht, weil die Juden im Alkoholgenusse meist
massig sind. Vielmehr liegt die den Ausbruch von Geisteskrankheiten be-
günstigende Schwäche des Nervensystems in der Rasse, die ,, sowohl physisch
als auch psychisch sich von dem europäischen Arier streng unterscheidet."
Die Angehörigen der gelben Rasse neigen zu Erregungszuständen, unter
welchen die Amok-Krankheit den Malayen eigentümlich ist. Von den Rot-
häuten erwähnt Buschan, dass sie trotz grossen Alkoholmissbrauchs selten
dem Säuferwahnsinn verfallen. Unter den von der Kultur nicht berührten
afrikanischen Negern findet man wenig Geisteskranke, und zwar meist
Idioten. Auch die ,, Veitstanz" genannte Nervenkrankheit ist bei ihnen
selten, häufig dagegen der Starrkrampf. Mit der Kultur steigt bei den
Negern auch die Zahl ihrer Geisteskranken. Die gleiche Beobachtung hat
man bei den ausserafrikanischen Schwarzen gemacht.
Dr. Mies -Köln,
b. Spezielle Ethnographie (Rassenkunde).
258. H. Bnlle: Die ältesten Darstellungen von Germanen.
Archiv f. Anthrop. 1897. Bd. XXIV. Heft 4, S. 613—620,
Der Verfasser berichtet über die Untersuchungen, durch welche
A. Furtwängler uns die frühesten bildlichen Zeugnisse vom Aussehen der
Germanen hat kennen gelehrt. Auf dem römischen Siegesdenkmal von
Adamklissi, welches die Niederwerfung der in dem Landstrich nördlich der
Donaumündung sitzenden germanischen Bastarner durch M. Lic. Crassus
in den Jahren 29 und 28 v. Chr. verherrlicht, sind nach Furtwängler drei
Typen von Besiegten zu erkennen: Neben Geten und Thrakern nehmen
Bastarner den breitesten Raum der Darstellung ein. Die hohen, schlanken,
breitschulterigen Männer in anliegenden Hosen, meist mit nacktem Ober-
körper, nur den Hals mit kleinem mantelartigen Kragen bekleidet, haben
länglichen Gesichtstypus, lange Kinn- und Schnurrbarte und tragen das
Haupthaar nach germanischer Sitte zur rechten Schläfe hinuntergestrichen
und dort in einem dicken Knoten zusammengebunden. Ihre Hauptwaffe
304 B- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
ist das Siclielschwert; bisweilen tragen sie einen ovalen Schild und den
Bogen.
Auf Grund der am Monument von Adamklissi gewonnenen Erkenntnis
über die Germanen, als deren Hauptkennzeichen Tracht und Gesichtstypus
zu bezeichnen sind, weist Furtwängler auch auf der Trajanssäule Bastarner
nach und gelangt für die Deutung der auf der Mariussäule dargestellten
Volksstämme zu anderen Ergebnissen als Petersen und Domaszewski. Von
der sarmatischen Völkergruppe, in der selten einzelne Persönlichkeiten
hervortreten und in der meist nur die Masse als solche dargestellt ist,
heben sich hier die germanischen Stämme mit einzelnen hervorragenden
Führern deutlich ab. Bemerkensw^ert ist, dass auf der Mariussäule neben
der älteren, auf dem Monument von Adamklissi dargestellten Tracht der
Germanen sich der Einfluss römischer Kultur in der zum Teil volleren
Bekleidung geltend macht. Die Körper der Germanen sind auch hier von
ungewöhnlicher Grösse und Stärke, mit ausgesprochenen Langschädeln,
schmalen, hohen Gesichtern von offenem Ausdruck und reichem Haar- und
Bartwuchs.
Auch auf anderen zerstreuten Denkmälern, auf römischen Grabsteinen
am Rhein, auf Münzen, Bronzereliefs, auf der grossen Pariser Cameo und
der Gemma Augustea in Wien hat Furtwängler Germanen - Darstellungen
nachgewiesen. Dr. Deichmüller - Dresden.
259. G. Herve; Les Germains. Revue mens, de l'Ecole d'anthrop.
de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 65.
Es finden sich schon in den Schriften Cäsars Belege dafür, dass er
sich über einen gemeinsamen Ursprung für die alten Germanen und einen
Teil der alten Gallier klar war. Auch die archäologischen, sozialen, reli-
giösen u. a. Unterschiede dieser zwei grossen kimrischen Völkerfamilien, über
welche uns die heutige Geschichtsforschung Auskunft giebt, sind nur als
scheinbare zu verstehen. Nur die Zeitpunkte des ersten Erscheinens,
sowie der Besitzergreifung der betreffenden Länder sind durch lange
Epochen getrennt. Während die germanischen Völkerschaften bereits vor
der Zeit des Augustus in römisches Gebiet regelmässig einzufallen be-
gannen und die Römer schliesslich beim Niedergange ihres Staatswesens
in eine beobachtende Defensive zwangen, wurden die Franken, welche dem
Bündnisse mit Rom treu blieben, erst zu Beginn des fünften Jahrhunderts
unter Clovis die Herren des Landes. Herve lehnt sich an Fustel de
Coularges an, indem er die Bedeutung des Begriffes ,, Völkerwanderung" in
der Weise modifiziert zu sehen wünscht, dass die „wandernden" Völker
nicht als organisierte Einheiten anzusehen seien, sondern vielmehr als ein
Ted eines auf Raub ausziehenden Stammes, dessen Rest als Ackerbauer
zu Hause bleibt und nach Rückkehr des ersten die Rollen tauscht. Zum
Schlüsse unterwirft Herve die anthropologisch - somatischen Eigenschaften
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 3Q5
der alten Germanen einer eingehenden Analyse und stützt sich hierbei vor-
zugsweise auf die neueren Arbeiten von Virchow, v. Holder, Ranke, Koll-
mann u. A.
Die somatische Formel der alten Germanen lautet für ihn folgender-
maassen: Blonde, dolichocephale, ieptorrhine Rasse mit langem Gesicht,
übermittelgrossem Körperwuchs, dicken und langen Gliederknochen und
stark ausgeprägten Muskelfurchen.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zäeras-Jmijina.
260. Gustaf Kossinna: Die ethnologische Stellung der Ost-
germanen. Indogerm. Forschungen VII, 3 und 4. Strass-
burg 1896.
Im Gegensatz zu MüUenhoffs Zweiteilung der Urgermanen neigen sich
neuerdings die Sprachforscher wieder mehr der älteren Dreiteilung zu;
doch ist auf sprachlichem Wege allein kein sicheres Resultat zu gewinnen.
Sprachgeschichte ist zunächt Besiedlungsgeschichte oder vielmehr Verkehrs-
geschichte. MüUenhoffs Ansicht, dass sich die Germanen in Brandenburg
konsolidierten, wird durch die vorgeschichtlichen Funde widerlegt, und
erst recht kann die Oder keine Zweiteilung herbeigeführt haben: Süd-
skandinavien, Dänemark, sowie Schleswig-Holstein, Mecklenburg, West-
pommern bis zur Oder bilden die germanische Urheimat von der Steinzeit
an; die weitere Ausdehnung nach Osten hin während der Bronzezeit kann
nur von Skandinavien ausgegangen sein, da seit Beginn der Metallzeit
direkte Handelsverbindungen zwischen Südschweden und der Odermündung
nachgewiesen sind; ja in späteren Perioden lassen sich deutlich zwei Wege
über Bornholm und Jütland unterscheiden. Auf Handel und Verkehr
folgen leicht Auswanderung und Umsiedlung, und wenn nach den Funden
etwa seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Ostdeutschland mit Hilfe der Skan-
dinavier besiedelt ist, so lässt sich noch in den ersten Jahrhunderten nach
Christus dieser Zusammenhang in den Volksnamen erkennen, die sich in
Deutschland und Skandinavien entsprechen, z. B. bei Warinen, Rügen,
Lemoniern, Goten, Burgunden (die älteste Form von Bornholm ist Burgund).
Dass auch Seeland an der Kolonisation Ostdeutschlands beteiligt war, ergiebt
die Zurückführung des Namens Danzig auf Codaniska und den sinus Cudanus.
Bis hierher ist eine schärfere Trennung innerhalb der germanischen
Sprache kaum anzunehmen ; nun aber wird der grosse Belt die Völker in
den beiden grossen Landstrecken Südschweden und Norddeutschland sprach-
lich imer mehr getrennt haben, und in der La Tene-Zeit von 300 v. Chr.
an muss durch Besetzung Westdeutschlands die Kluft zwischen Nord- und
Südgermanen immer tiefer geworden sein. Sie verschob sich nun vom
Belt auf die jütische Halbinsel, von wo dann die nordgermanischen Cimbern,
Eudusier, Haruden und Heruler hervorbrachen, wie auch die Juten Nord-
germanen sind. Auch die gemeingermanische Lautverschiebung, die nach
Cenlralblatt für Anthropologie 1897. 20
3Q() B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
MüllenhofT um 1000 v. Chr. in Deutschland eintrat, braucht erst ins
4. Jahrli. v. Chr. gesetzt zu werden, als die erwähnten beiden Handelswege noch
einen starken und anhaltenden Verkehr vermittelten; westliche keltische
Einflüsse sind für ihre Entstehung nicht nachweisbar. Endlich ist die Eth-
nogonie der Germanen, wie sie überliefert ist, viel zu jung, um über die
ältesten Völkerverhältnisse zuverlässig zu orientieren. Da die Besiedlung
Westdeutsclilands erst in das 3. Jahrhundert v. Chr. fällt, so ist die
nähere Bestimmung der Istäonen auch nicht älter, wie auch die nach
Vollzug der Lautverschiebung alliterierend dazu gebildeten Namen der
Ingwäonen und Erminonen beweisen. Die Zuteilung der Stämme im
einzelnen ist wohl Zuthat der römischen Gelehrten, jedenfalls zeigt die
Stellung aller Ostgermanen ausserhalb der drei mythischen Stämme eine
Erinnerung an ihre gemeinsame nordische Heimat, und wenn die Sage
alle Germanen umfassen wollte, so räumte sie doch den Ostgermanen als
einer damals noch ziemlich jungen Ausscheidung aus den Nordgermanen
keine selbständige Stellung ein. Frof. Dr. Walter-Stettin.
261. Franz Weber: Zur Frage der keltischen Wohnsitze im
jetzigen Deutschland. Correspdbl. d. deutsch, anthropol. Ges.
1897. Bd. XXVIII, Nr. 2.
Die geographische Verteilung der sogenannten Regenbogenschüsselchen
im rechtsrheinischen Bayern lässt deutlich erkennen, dass der Limes
rhaeticus und östlich von ihm der Lauf der Donau die nördliche Grenze
ihres Verbreitungsgebietes bilden : denn nur 8 der Fundstellen liegen
darüber hinaus, dagegen 70 südlich oder in nächster Nähe des Limes und
der Donau. Verf. schliesst aus diesem Verhalten, dass 1. im südlichen
Bayern vor der römischen Okkupation keltische Stämme ansässig waren,
2. der Limes und die Donau die Grenze zwischen ihnen und den Ger-
manen zur La-Tene-Zeit gebildet haben und 3. die Römer bei Feststellung
ihrer Reichsgrenze die schon vorhandenen Völkergrenzen beibehielten.
Verf. vermutet, dass eine Übersichtskarte der Hochäcker in demselben
Gebiete ein im allgemeinen ähnliches Resultat ergeben dürfte. Denn gegen-
über Meitzen spricht er die Entstehung dieser Anlagen gleichfalls den Kelten
zur La-Tene-Zeit zu. Dr. Buschan-Stettin,
262. N. Mohiliansky: Etüde sur les ossements hnmains de la
grotte s^pulcrale de Livry-sur-Vesle (Marne). Revue mens,
de l'ecole d'anthropol. 1897. Bd. VII, S. 116.
Das vom Verf. untersuchte Knochenmaterial stammt aus der neolithischen
Grabstätte von Livry-sur-Vesle. Wenngleich es recht spärlich ist, so ge-
winnen die daraus gewonnenen Resultate durch Vergleich mit dem von
Manouvrier studierten Funde von Chälons-sur-Marne, der zeitlich und ört-
lich mit jenem zusammenfällt, an Interesse. — Aus den 6 $ Röhren-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 307
knochen berechnet Verf. eine mutmaassliche Grösse von 1,643 (Chälons
für 84 Fälle: 1,634) m für das männliche Geschlecht, aus 1 $ eine
solche von 1,491 (Chälons für 60 Fälle: 1,535) m für das v^eibliche Ge-
schlecht. Der mittlere Cephalindex für 6 (': Schädel beträgt 75,5 (Chälons
für 17 Schädel: 77,7), für 1 $ 74,1 (Chälons für 5 Schädel: 74,5); die
Capacität für 4 ^ 1598 (Chälons für 6 Schädel 1551) ccm. Der Index
für die Platymerie stellt sich, beide Geschlecliter zusammengenommen
(5 Fälle), im Mittel auf 69,6 (Chälons für 23 ^ Femora auf 76,1, für 10 9.
auf 72,6), der Index pilastricus (4 Fälle) auf 114,7 (Chälons für 23 j
Femora auf 107,7, für 10 $ auf 110,4), der Index platycnemicus (13
Fälle) auf 60,0 (Chälons für 23 J Tibien auf 62,2, für 18 $ auf 62,7).
Dr. BuscJian-Stettin.
263. K. Penka: Zur Paläoethiiologie Mittel- und Südeuropas.
Mitteilg. der Wiener anthr. Ges. 1897. Bd. XXVII, S. 18.
Für die Paläoethnologie von Mittel- und Südeuropa haben die vo;r-
geschichtlichen Verhältnisse auf der pyrenäischen, apenninischen und Balkan-
halbinsel eine fundamentale Bedeutung. Durch kombinierte Analyse der
/on der prähistorischen, geschichtlichen und linguistischen Forschung bisher
gewonnenen Resultate kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass mit dem ersten
Einbrüche der Germanen in Deutschland eine Völkerverschiebung in der
Reihenfolge stattfand, dass die Beiger vom rechten auf das linke Rheinufer
vertrieben wurden, wodurch wieder die hier ansässigen Gallier in Bewegung
kamen und ihre keltischen Nachbarn teils in ligurische, teils in Gebiete
der pyrenäischen Halbinsel verdrängten. Da eine Vertreibung die andere
zur Folge hatte, so verlegt Penka auf Grund der historischen Quellen über
die Keltenwanderung den Zeitpunkt der germanischen Einbrüche in das
sechste Jahrhundert v. Chr. Bezüglich Italiens wendet sich Verf. haupt-
sächlich gegen die Annahme, dass die Italiker, oder etwa die Ligurer die
ersten Bewohner der apenninischen Halbinsel gewesen seien. Die auf-
fallende Verwandtschaft der Terramarekultur der Emilia verglichen mit
jener der Pfahlbauten Veneziens und Laibachs, ja sogar der neueren Funde
Bosniens, ferner die historisch nachgewiesene Wanderung der Sikuler von
Oberitalien nach Sizilien, sowie deren illyrischer Ursprung weisen vielmehr
darauf hin, dass es Illyrer waren. Diese Hypothese stützt Verf. auch durch
vergleichend-linguistische Erwägungen.
Als Stammsitze der Hellenen nimmt Verf. das Odergebiet zwischen
der Elbe und Weichsel an. Da die dorische Wanderung chronologisch
fixiert ist (1149 v. Chr.) und sicher als der letzte hellenische Einbruch
nach Griechenland angesehen wird, so kann man den Beginn der helle-
nischen Wanderungen in das XIII. Jahrhundert v. Chr. verlegen. Als vor-
hellenisch-arische Bevölkerung Griechenlands muss man die Thraker an-
nehmen, was hauptsächhch aus der Betrachtung der mykenischen Kultur-
20*
308 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
reste sowie aus dem linguistisch- archäologischen Nachweise hervorgeht,
dass nicht nur der östliche Teil der Balkanhalbinsel, sondern auch Griechen-
land, Kleinasicn und der östliche und nördliche Teil Ungarns eine
tlu-akiscbe Urbevölkerung hatte. Zur Zeit als die Hellenen aus Mittel-
europa nach Griechenland kamen, war die Periode der Ausbreitung
der Völker bereits abgeschlossen, und es begann mit der hellenischen Be-
we^j-uno- die Periode der Auswanderung, um in den Wanderungen der
Italiker, Gallier, Germanen u. s, w. ihre Fortsetzung zu finden.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
264. Zhoriiik za narodni ziyot i obicaje juznih Slavena.
(Jahrbuch für das Volksleben und Gebräuche der Südslaven.)
Herausgegeben von der südslavischen Akademie der Kunst und
Wissenschaft. Redigiert von Prof. Milcetic. Agram. 1896.
Von . der Agramer Akademie wurde eine empfindliche Lücke in der
Volkslitteratur der Kroaten und Serben ausgefüllt, indem sie vorliegendes
Jahrbuch für die Folklore ins Leben rief. Das Buch (368 S.) zerfällt in
zwei Teile: im ersten sind Originalartikel enthalten, im zweiten Referate
und Bibliographie. Bezüglich der letzteren wird nur die Litteratur der
verwandten Slavenvölker (Polen, Bulgaren, Russen, Czechen) vorgeführt;
jene der Kroaten, Serben und Slovenen soll in extenso, als eine ausführ-
liche Übersicht aller einschlägigen Arbeiten vom Anfang bis zum heutigen
Tage im nächsten Bande erscheinen. Der Inhalt des ersten Teiles ist
folgender: Dr. Hirc: Was das Volk von manchen Tieren erzählt (1 — 26).
V. Vuletic-Vukasovic: Das Volkshaus mit dem Hausgeräte (27 — 43). V. Oblak:
Einiges über den Zwischenmurdialekt (44 — 62). L. u. M, Jovovic: Mon-
tenegrinische Beiträge (63 — 106). J. Zovko: Volksspeisen und Getränke
in Bosnien und Hercegovina (107 — 118). S. Korenic: Das Leben, die
Sprache und die Gebräuche von Stupnik bei Agram (119 — 151).
Ferner : Hochzeitsgebräuche. Schwangere Frauen und die Geburt. Der
Tod. Weihnachten. Neujahrsgebräuche. Gespensterglauben. Aberglauben.
Lokalsagen. Anekdoten und Fragestellungen. Die Art des Volksverkehrs.
Spiele und Tänze. Haustierterminologie. (Kleinere Beiträge von ver-
schiedenen Autoren.) (152 — 314.)
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
265. K. Killinen: Über Hausmarken und sonstige Abzeichen
(Finnisch). Suomen Museo. 1896. Nr. 3—4. S. 17—21.
Der Gebrauch von Haus- und Hofmarken war früher in Finnland
allgemein verbreitet. Jetzt ist er dank der zunehmenden Volkschulbildung
zu einer Seltenheit geworden. Die Marken waren Eigentum des Hofes,
aber nicht des Besitzers desselben, welcher bei einem Wohnungswechsel
auch eine neue Hausmarke annahm. Mit dem Abzeichen des Hauses
B. Referate. 2. Ethnologie und liassenkunde. 309
würden auch die Geräte und das Mobiliar desselben versehen. In vielen
Gegenden wurden die Marken aller Hofbesitzer auf einem ellcnstock-
ähnlichen Stab, dem Oldermannsstabe (Oltermannin sauva; hierzu eine
Abbildung) eingekerbt. Nach diesem originellen Verzeichnis wurden die
Hofbesitzer zu Wegebauten, Errichtung von Zäunen und sonstigen kom-
munalen Arbeiten aufgeboten. Eine namentliche Deutung besassen die
Marken nicht. Zwei gleichnamige Höfe innerhalb derselben Gemeinde
hatten stets verschiedene Marken. Dagegen wurden durch kleine Ab-
änderungen der Marke des Haupthofes für die im Besitz von Söhnen oder
Schwägern befindlichen Teilhöfe neue Abzeichen gebildet. — In den Zeiten,
als die Gemeindewälder noch Allgemeingut waren und demnach für alle
Gemeindemitglieder den Holzbedarf lieferten, pflegte jeder Bauer seinen im
Walde fertiggehackten Holzhaufen durch eine Marke, welche er mit der Axt in
einige Scheite hieb, kenntlich zu machen. — An vielen Orten wurden
die Schafherden aller Höfe im Frühling auf eine gemeinsame Waldw^eidc
getrieben und erst nach der Heuernte zur Schur nach Hause genommen.
Um die Tiere der verschiedenen Höfe voneinander zu unterscheiden,
wurden in die Ohren derselben Kerben eingeschnitten. Jetzt ist diese Sitte
vielleicht gänzlich verschwunden.
Mag. pJiü. Ä. Hachnan-Helsingfors.
266. Gr. Sergi: Africa. Anthropologia della stirpe camitica. Torino,
Fratelli Bocca, 1897.
Das vorliegende Werk ist ein bedeutender Versuch des ausgezeichneten
Forschers, seine anthropologische Methode auf das Studium der Völker-
stämme anzuwenden. Verf. geht von dem Satze aus, dass die somatischen
Eigenschaften eine verschiedene Bedeutung für die natürliche Einteilung
der menschlichen Rassen haben, und zeigt, dass dies in erster Linie für
die osteologischen Merkmale gilt, speziell für die Schädelformen, welche,
wie besonders aus den Untersuchungen über die Reste der Urbewohner
Europas, Egyptens und Nordamerikas hervorgeht, persistent und unab-
hängig von den äusseren geographischen Verhältnissen und von der
Kreuzung sind, sowie dass eine gegebene Schädelform mit verschiedenen
Gesichtsformen sich verbindet, dass dagegen die äusseren Charaktere (Farbe
der Haut und der Augen, Farbe und Form der Haare u. s. w.) einer aus-
gedehnten Variation unterworfen sind, woraus anzunehmen sei, dass ein
grosser Stamm, welcher sich auf ein weites Areal mit verschiedenen
äusseren physischen Bedingungen verteilt, sich in mehrere Menschen-
gruppen trennen könne, welche dieselben Grundeigenschaften, aber ver-
schiedene Variationen in dem äusseren physischen Habitus darbieten. Zu
den variirenden Charakteren zählt auch die Sprache, welche deshalb nur
in dem Falle, dass sie ursprünglich und nicht erworben ist, einen Wert
für die Klassifikation besitzen kann.
310 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Nach diesen Grundsätzen untersucht der Verf. die verschiedenen
Völker, welche jene Zone des afrikanischen Kontinents bewohnen, die sich
vom Mittelmeere bis zur Sahara einerseits und vom Nilthale bis zum Galla-
Land andrerseits ausdehnt. Diese Völker gehören zum Teil dem nach der
Genesis genannten hamitischen Stamme an. Von dem östlichen Zweige
des Stammes ausgehend, giebt Verf. eine kritische Darlegung der ver-
schiedenen Ansichten der Ethnographen und Anthropologen über den Ur-
sprung der dazu gehörigen Völker und untersucht die physischen Charaktere
der einzelnen Völker wo möglich stets auf Grund der Denkmäler, alter und
moderner Skelette und lebender Individuen. Aus der Masse der so ge-
sammelten Daten folgert er, dass die östlichen Hamiten nicht eine einheit-
liche Nation bilden, sondern verschiedene Nationen oder Völker, die un-
ähnliche Regionen Afrikas, bald zusammengedrängt auf besondere Land-
strecken, bald zerstreut auf die Gebiete anderer Stämme, bewohnen. Die
östlichen Hamiten stimmen hinsichtlich ihrer inneren viel mehr, als hin-
sichtlich ihrer äusseren physischen Charaktere untereinander überein, jedoch
stellen sie keinen einheitlichen Typus dar. Die Schädelform zeigt mehrere
Varietäten, die indessen konvergieren und offenbar als natürliche uralte
Varietäten eines und desselben Stammes aufzufassen sind. Das Gesicht hat
ebenfalls verschiedene Formen ; doch sind dieselben gleichfalls konvergierend
und charakteristisch. Die Nase ist gerade oder gebogen, adlerförmig oder
ziemlich adlerförmig, verschieden von dem Neger- oder Negroid-Typus ; die
Lippen sind ziemlich dick, aber nicht aufgeworfen wie bei den Negern;
die Haare sind gewöhnlich kraus, aber nicht wellig; der Bart ist spärlich
und fast nur auf das Kinn beschränkt; die Hautfarbe ist sehr variabel,
braun, rot-braun, braun-schwarz, russig-schwarz, chokoladen-, kaffeebraun,
gelblich oder rötlich. Diese Variationen müssen den Einflüssen der Kreuzung
und den äusseren physischen Verhältnissen zugeschrieben werden. Die
Sprachen der verschiedenen Völker gehören heutigen Tags nicht einem
und demselben Stamme an, doch kann man in einigen Fällen den Über-
gang von der hamitischen Ursprache zur heutigen Sprache, z. B. zu der
semitischen bei den Egyptern, zu der bantu-hamitischen bei den Nubiern
(Lepsius) und zu den hamito-semitischen einiger Völker Abessiniens er-
kennen. Dieser Zweig des hamitischen Stammes dürfte folgende Völker-
gruppen umfassen: 1. Alte und moderne Egypter (die arabischen Elemente
ausgenommen); 2. Nuba, Bedscha, Jundschi; 3. Abessinier (gemeinschaft-
licher Name für alle die Einwohner der Gebiete von der Barka bis zum
Schoa); 4. Galla (Danakil, Galla, Somali); 5. Masai; 6. Wahuma.
Zu ähnlichen Schlüssen kommt der Verf. durch die Analyse der
Völker, welche den nördlichen Zweig des Hamiten-Stammes bilden, indem
er auch an diesem mehrere ethnische Gruppen unterscheidet, nämlich:
1. die mittelländischen Berber (Algerien, Tunis, Tripolis); 2. die atlan-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 311
tischen Berber (Marokko, Megreb); 3. die Sahara-Berber (Jezzan, Tuareg);
4. Tebu; 5. Fulbe; 6. Canarier (Bewohner der canarischen Inseln).
Alle die genannten ethnischen Individualitäten der nördlichen und öst-
lichen Teile Afrikas stimmen wesentlich in den inneren physischen Merk-
malen, besonders in den osteologischen Schädel- und Gesichts-Merkmalen
überein, während sie in den äusseren Eigenschaften zum Teil konver-
gieren und zum Teil nach den verschiedenen geographischen Verhältnissen
variiren. Die genannten Individualitäten bilden darum eine anthropologische
Einheit mit folgenden Charakteren: Schädelformen verschieden (penta-
gonoides, ooides, ellipsoides, sphenoides u. s. w.), aber konstant
in allen Gruppen vorhanden; Gesichtsformen ebenfalls verschieden (ellip-
soides, ooides, pentagonoides, tetragonalis u. s. w.), aber gleich-
falls identisch in allen Gruppen; Profil nicht prognath; Augen horizontal,
nicht vorragend, dunkel; Nase gerade oder gebogen, immer hervorragend
an den Ossa nasalia propria; Mundöffnung veränderlich; Lippen dünn
oder ein wenig geschwollen, aber niemals vorspringend oder aufgeworfen,
Haare schlicht, lockig, lang, schwarz oder kastanienbraun; Bart spärlich
oder reichlich; Haut in verschiedenen braunen Tönen gefärbt; Körperhöhe
mittel oder gross.
Da die Hamiten des Nilthaies und des nördlichen Afrika, von Tripolis
bis Marokko und den Canarischen Inseln, die alten Lybier, mit den alten
Völkern der drei grossen Halbinseln Europas, West-Asiens, des Gebietes
um das Schwarze Meer herum und mit denjenigen, welche vom Mittel-
meere durch West-Europa bis nach Grossbritannien und durch Mittel-
Europa bis an eine noch nicht bestimmte Grenze sich zerstreuten, in den
inneren osteologischen und in den äusseren Charakteren übereinstimmen,
so kann man annehmen, dass die Hamiten Afrikas in Europa sich aus-
gedehnt und hauptsächlich die Bevölkerung Europas, besonders des süd-
lichen, zusammengesetzt haben.
Diese grosse anthropologische Einheit, welche ohne Unterbrechung
über ein enormes Areal Afrikas, Asiens und Europas zerstreut ist und sich
in mehrere Völkergruppen, die in ihren sekundären, durch die Ein-
flüsse der gemeinsamen geographischen Verhältnisse und einer einförmigen
Lebensweise erworbenen Charakteren verschieden sind, zeigt in der osteo-
logischen Architektur des Schädels und des Gesichts gut bestimmte
Formen, welche nicht als individuelle Variationen, sondern als erbliche
und aus alten Zeiten persistierende Varietäten erscheinen und daher sich
wie die Varietäten einer gut bestimmten zoologischen Spezies verhalten.
Es ist daher nicht möglich, dass solche Varietäten sich in den ver-
schiedenen, schon abgesonderten Völkergruppen selbständig gebildet haben,
sondern man muss annehmen, dass sie bereits vor Ablösung und Diffusion
der einzelnen Völker bestanden haben. Diese Erscheinung erfordert also
die Annahme eines Ursprungscentrums des Stammes, an dem er sich
312 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
vermehrt und verändert und von dem aus er sich später durch Migration
und AnsiedUmg verbreitet und in mehrere Gruppen gesondert hat, deren
jede die in dem primitiven Centrum entstandenen Variationen mitbrachte.
Daraus folgt nun, dass der hamitische Stamm, welcher aus sprach-
lichen Gründen dem semitischen oft einverleibt wird (in der Meinung, dass
es sicli um Zweige einer einzigen hamito- semitischen Rasse handelt), für
sich allein oder mit dem semitischen eine Spezies bildet, welche ihren
Ursi)rung in Afrika gehabt haben muss, wo dieselbe bestimmte Variationen
sich erwarb und dann sich in Asien und Europa (unter Beibehaltung ihrer
wesentlichen Eigenschaften und gleichzeitiger Entwicklung neuer sekun-
därer Variationen, besonders in Betreff der äusseren Eigenschaften) im
Einklänge mit den geographischen Verhältnissen der einzelnen Länder ver-
breitete. Dieser Spezies, die in Afrika entstanden und von da nordwärts
in Europa und ostwärts in West-Asien, Klein-Asien, Syrien, Mesopotamien
und Arabien sich verbreitet hat, giebt der Verf. den Namen der Species
Eurafricana. Prof. Dr. L. Moschen-Rom.
267. Georg Schweinfurth : Über den Ursprung der Ägypter.
Verhandl. d. Berlin, anthropol. Gesellsch. 1897. Bd. XXIX,
S. 263.
Die neuerdings von Flinders Petrie zu Tuch (am Wüstenrande der
Lybischen Seite unterhalb Thebens), sowie von Amelineau zu Om-el-Gaab
bei Abydos und von de Morgan zu Nagada (6 Königsgräber) angestellten
interessanten Ausgrabungen haben Funde zu Tage gefördert, die geeignet
sind, unser Wissen über die ägyptische Vorzeit um ein ganzes Stück zu
erweitern. Denn dieselben reichen bis in die erste Dynastie und noch
darüber hinaus hinauf. Die wertvollsten Aufschlüsse haben uns die
3000 Gräber von Tuch gebracht, sowie viele andere, die sich zu beiden
Seiten des Nilthaies vom Gebe! Silsele bis Girgeh erstrecken. Schwein-
furth unterscheidet unter diesen Gräbern zwei Kategorieen: die ,,troglo-
dytischen Gräber" und die ,, Gräber mit sekundärer Bestattung". Beide
Gruppen liegen nicht etwa räumlich voneinander getrennt, sondern
schliessen sich aneinander an, liegen wohl auch durcheinander. Der
Unterschied dürfte durch soziale Verhältnisse bedingt worden sein, denn
in der ersteren Gruppe liegen die Ärmeren bestattet. Beide Gruppen ge-
hören zeitlich zusammen. Die „troglodytischen Gräber" enthalten je einen
Körper ohne Sarg frei im Boden ruhend, seltener in mit Rohziegeln aus-
gekleideten Schächten, aber stets nur umhüllt von Häuten und Matten.
Die Beisetzung hatte in linker Seitenlage mit angezogenen Beinen statt-
gefunden. Die Beigaben bestanden in handgeformten roten Thonkrügen
und Näpfen von verschiedener Gestalt, unter denen cylindrische und
solche mit schwarzangelaufenen Rändern einen für die Epoche charak-
teristischen Typus darbieten, ferner in Thongefässen mit einer zier-
B, Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 313
liehen, in ganz eigenartiger Figurensprache zur Darstellung gebrachten
Ornamentik, auch tellerartigen Schalen (mit abgeschnittenen Haaren
als Inhalt), Schieferplatten, die in Gestalt von allerhand Tieren, so-
wie in Rhomben, Parallelogrammen etc. geschnitten sind, und schliess-
lich in überaus zahlreichen Kieselartefakten. Bronze war nur andeutungs-
weise vorhanden. Einen vornehmeren Charakter trugen die Gräber, die
Schweinfurth als solche mit sekundärer Bestattung bezeichnet^ denn der
mit rohen Ziegeln umgebene Hohlraum barg einen roh geformten Be-
hälter, der die Knochenüberreste als zerstreute, oder willkürlich durch-
einander geworfene, meist sehr unvollständige Skelettteile enthielt, was
auf sekundäre Bestattung (zunächst Beisetzung in der eigenen Hütte,
später Bestattung der wieder ausgegrabenen Skelettteile auf dem Fried-
hofe) hinweist. Die Beigaben dieser Gräber bestehen ausser in den bei
der ersten Gruppe aufgezählten Gegenständen in zahlreichen Toiletten- und
Luxusgegenständen, Elfenbeinschnitzereien etc., namentlich in formvoll-
endeten Gefässen aus den verschiedensten, darunter sehr harten krystal-
linischen Gesteinsarten oder aus mehr oder minder harten metamorphi-
sehen Schiefern und Tuffen. Bronze spielt hier schon eine gewisse Rolle.
Schweinfurth tritt nun der Frage näher, welcher Rasse diese älteste
Kultur zuzuschreiben ist? Er wendet sein Augenmerk zunächst nach Süd-
arabien und sucht wahrscheinlich zu machen, dass von hier aus über die
südlich und südöstlich von Oberägypten gelegenen Gebiete die erste Ein-
wanderang nach dem Nilthale erfolgte. Und zwar waren es Hamiten, die
als Hirtenvölker wohl durch die prächtigen Weideplätze des südlichen
Nubien dorthin geführt worden sind. Allerdings werden sie längere Zeit
in den Gebirgen des Ostens sesshaft gewesen sein und hier die Fertigkeit
sich erworben haben, aus hartem Gestein Waffen und Gefässe herzustellen.
Im Nilthale, wo sie später auf eine in der Herstellung paläolithischer
Kieselartefakte schon erfahrene Urbevölkerung stiessen, konnten sie diese
ihre Fertigkeit an dem Kieselmaterial daher zur höchsten Vervollkomm-
nung bringen.
Die Nachkommen dieser hamitischen Einwanderer finden sich heute
noch in den Bega-Völkern wieder; die Ababde und Bischarin stellen die
am meisten verkümmerten Vertreter derselben dar. Interessant ist es, von
Schweinfurth zu erfahren, dass bei den Ababde noch heutigen Tags die-
selben, wenn auch lange nicht so vollkommenen Steingefässe in Gebrauch
sind, wie bei ihren Vorfahren vor tausenden von Jahren. Verfasser be-
schreibt eingehend diese unter der Bezeichnung ,,burma" daselbst üblichen
Schalen, Näpfe und Kochtöpfe, sowie die gleichfalls aus Talkschiefer an-
gefertigten Tabakspfeifen. Dieses Festhalten an alten Gebräuchen erscheint
um so auffälliger, als in derselben Gegend kein Mangel an Material für
die Herstellung von Thonwaaren ist und durch den heutigen Verkehr mit
314 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
den Nilbewohnern, die sich grade durch keramische Kunstfertigkeit hervor-
thun, Gelegenheit, sich solche zu verschaffen, überdies geboten wird.
Eine zweite Einwanderung nach Ägypten fand später von Norden her
statt, die ilu-en Ausgangspunkt von den Euphratländern aus nahm. Dieses
Mal waren es Sumero-Akkader, die die Nilbewohner mit dem Getreidebau
auf Feldern mittelst der Pflugschar, mit metallurgischen Kenntnissen und
wohl auch mit einem eigenen Religionssystem, vielleicht auch mit der
Kunst der Schrift beschenkten. Dr. Bus chan- Stettin.
268. Letourneau und Papillault: Cränes des dolmes de Ma-
draceii, pres de Batna. Bull, de la Soc. d anthrop. de Paris.
1896. Bd. VII, S. 347.
Drei im Museum von Konstantine befindliche, aus einem megalithischen
Grabe zu Madracen in Tunis stammende Schädel weisen die bemerkens-
werte Erscheinung auf, dass das Os suboccipitale nach hinten gleich einem
Chignon vorspringt. Diese Eigenschaft, die bereits Broca an der Cro-
Magnon-Rasse beobachtet hat und die sich auch häufig an den Schädeln
der Rasse von Baume Chaude vorfindet, sowie die allgemeine Form der
Schädel (Dolichocephalie, ziemlicher Prognathismus, vorspringende Stirn etc.)
dürften vielleicht zu der Annahme verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen
der dolichocephalen neolithischen Rasse Frankreichs und der von Madracen
berechtigen. Dr. Buschan- Stettin.
269. Carton: Les s^pultures ä enceintes de Tunisie. L' Anthro-
pologie. 1897. Bd. VIII, S. 27.
Verf. beschreibt Begräbnissplätze in Tunis, die von einer kreisförmigen
Mauer umgeben sind. Letztere ist aus losen, unregelmässigen Steinen zu-
sammengesetzt und nur '/j Meter hoch. Sie hat eine breite Öffnung, und
dieser gegenüber befindet sich eine Nische, die aus grossen Steinen be-
steht, welche eine horizontale Platte tragen. Der Innenraum solcher Nische
beträgt '/a Meter nach allen Richtungen. In der Mitte des Kreises ist das
Steinplattengrab, das von einem kleinen Hügel bedeckt wird. Für das ge-
wöhnliche Volk bildet einfach dieser mittlere Teil das Grab; nur für die-
jenigen, die man besonders ehren will, ist die Umwallung üblich. Verf.
hält das Steinkistengrab samt dem Tumulus für ein Überbleibsel der mega-
lithischen Tradition der Berber, den Umkreis sammt der Nische dagegen
für die Nachahmung einer ganz rudimentären Moschee. Übrigens bezeichnen
die Berberen durch denselben Namen (djemaä) in gleicher Weise die Grab-
stätten mit Umwallung wie die Moscheen. Dr. L. Laloy-Paris.
270. Döring: Anthropologisches yon der deutschen Togo-
Expedition. Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für
Anthropologie 1896. Bd. XXVIII, S. 505—524.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 315
Döring bringt die kurzen Beschreibungen der Körperteile u. s. w. von
1 ($) Ewhe, 7 Jendi oder Dagomba (4 ^, 3 .'^), 6 Mangu (2 J, 4 f^) und
3 {'^,) Gurma in drei Tabellen und die an diesen Leuten mit einem höl-
zernen Schiebeinstrument bestimmten Maasse in einer dritten Tabelle. In
der letzteren ist unter Schädel der Kopf zu verstehen, und wird es dem
Leser überlassen, durch Abziehen der 30. von der 24. Maasszahl die Bein-
länge zu berechnen. Die Längenbreiten- und Nasen-Indices, sowie die nach
der französischen, nicht nach der deutschen (Gesichtshöhe X 100 : Joch-
breite) Formel bestimmten Gesichtsindices stellt Döring im Text zusammen.
Dort macht er ferner allgemeine Bemerkungen über Haut, Iris und Haar,
über die Kleidung, die Stellung der Zähne, von welchen die oberen mittleren
Schneidezähne bei mehreren Personen durch einen 3 — 4 mm grossen
Zwischenraum getrennt sind, ausserdem über die bei den § 162 — 172,5,
bei den $ 155 — 161 cm betragende Körpergrösse und giebt eine durch
26 schematische Zeichnungen (Fig. 13b und 14 werden nicht erklärt) er-
läuterte Beschreibung der Tättowierungen. Zum Schlüsse werden an der
Hand von Abbildungen noch zwei Töpfe, ein Gehöft aus dem Ketere-
Ketere-Lande, die mit sechs Fingern versehenen Hände eines Dagomba-
Mannes, eine 20jährige Zwergin und ein hochgradiger Spitzfuss beschrieben.
Dr. Mies-Köln.
271. Zaborowski: Origine et caract^res des Hovas Revue
mens, de l'Ecole d'anthropologie de Paris. 1897. Band VII,
S. 33.
Der Verfasser sucht den Nachweis zu führen, dass die Hovas von Mada-
gaskar vom ethnologischen Standpunkte bisher mit Unrecht als reine Malaien
betrachtet wurden, dass sie vielmehr ein Mischvolk vorstellen, in welchem
ausser malaiischen zugleich indische u. a. Elemente, besonders jene von
den Sundainseln vertreten sind; er erklärt sie als eine Nuance der indo-
malaiischen Völkergruppe. Schon die somatischen Eigenschaften der Hovas
(glattes Haar, gerade Augen, gerade Nase etc.) sprechen gegen eine rein
malaiische Abkunft. Nach den Ergebnissen der vergleichenden Sprach-
forschung, vermittels welcher der Verfasser die nahe Verwandtschaft der
betreffenden Völkergruppen grell beleuchtet, wäre die Urheimat der Hovas
nicht weit von Sumatra und Java zu verlegen, einer Gegend, wo anfangs
die Gründung von indischen und brahmanischen Kultusstaaten, später die
Einführung des Islams grosse Umwälzungen hervorrief. Zu demselben
Resultate führt die Betrachtung vieler Kultusgegenstände und Gebräuche,
welche ihre Vorfahren aus ihrer Urheimat brachten, so z. B. manche
charakteristische Nationalspeisen und Getränke, der Gebrauch des Eisens,
des Hanfs, Seidenzüchterei, Töpferei, manche Todtengebräuche; dabei ist
es leicht verständlich, dass einige ihrer Gewohnheiten infolge der modifizierten
3if) B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Lc-l)ensverliältnisse manche Veränderung und Anpassung an die veränderten
Umstände zur natürlichen Folge hatten.
Dr. 0. Hovorka, Edl. v. Zderas-Janjina.
272. Maass: Drei Australier; dazu ßud. Yirchow: Verhandlungen
der Berliner Gesellschaft für Anthropologie 1896, Bd. XXVIII,
S. 528/9.
Es sind drei eclite Australier, zwei Männer und eine Frau, aus dem
Buscli in Queensland. Maass hält sie für dieselben Leute, die vor 10 Jahren
in Berlin gezeigt wurden, was aber Virohow nicht behaupten möchte wegen
der grossen Verschiedenheit der früher (Juli 1884) und jetzt von ihm fest-
gestellten Maassverhältnisse. Letzteren zufolge ist von den am 17. Oktober
1896 vorgestellten Personen ein Mann dolichocephal, der andere steht an
der unteren Grenze der Brachycephalie, während die Frau in hohem Grade
mesocephal ist. Obwohl diese Australier eine dunkelbraune, fast schwarze
Hautfarbe haben, unterscheiden sie sich von den afrikanischen Negern doch
namentlich durch ihr weiches, langes, im grossen Ganzen schlichtes Haar.
Dr. Mies-Köln.
273. Feiice Yaggioli, Storia della Nuoya Zelanda e dei swoi
abitatori. 2 vol. Parma, Tipografia Vesc Fiaccadori 1891 und
1896. Band I mit 68 Holzschnitten auf 35 Tafeln und einer
geogr. Karte. 711 S. 8,50 L. Band II mit 14 Holzschnitten.
548 S. 5,00 L.
Im Jahre 1883 erging von der Propaganda zu Rom an alle katholischen
Missionare der Welt ein Befehl, der wegen des ihm zu Grunde liegenden
grossartigen Gedankens unsere vollste Bewunderung verdient, ein Befehl,
unter den fremden Völkern sogenannte ethnologische Gegenstände zu
sammeln, das Thun und Haben der „Heiden" und deren historische Ent-
wicklung zu studieren und zu beschreiben. Dieser Weisung verdankt auch
das vorliegende Werk seine Entstehung. Der Verf., jetzt Benediktiner-Abt,
ist ehedem 8 Jahre auf Neuseeland als Missionar thätig gewesen und hat
dort reiches Material zur Ethnographie und Geschichte der Maori gesammelt.
Dieses hat er im vorliegenden Buche verarbeitet, hat aber dabei auch
eine ziemliche Anzahl fremder Quellen benutzt und dieselben auch redlicher
Weise genau zitiert, was uns um so angenehmer berühren muss, als es
sonst nicht die Art populär geschriebener ethnographischer Werke ist.
Und, was wir vor allem lobenswert finden müssen, Vaggioli hat nicht seine
Person als o|A(paXog tou xöafAOu in den Vordergrund seiner Darstellung
gerückt, wie es die Mehrzahl der Ethnographen thut, deren sich so gross
dünkende Persönlichkeiten uns doch ganz irrelevant sind, ausser etwa für
die Prüfung der Glaubwürdigkeit; er giebt also keine Aufzählung seiner
einzelnen Beobachtungen und Erfahrungen, sondern nur deren Gesamt-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 317
resultat unter Schlagwörter! systenaatiscli geordnet und hat dadurch seinem
Werke einen fast wissenschaitliclien Charakter zu geben gewusst. So hat
sich denn das Buch zu einem Compendium des gesamten Wissens über
Neuseeland gestaltet, welches freilich für das Publikum bestimmt, doch
auch dem Fachmanne gute Dienste leisten kann. Mag derselbe auch häufig
nicht mit Auffassung und Anschauung des Verf. übereinstimmen, so findet
er doch bei ihm ein grösseres naturwissenschaftliches, ethnographisches
und historisches Thatsachenmaterial, das auch manches neue in sich
schliesst. In aller Kürze sei deshalb hier noch auf den reichen Inhalt
hingewiesen; denn zur Wertschätzung eines Buches ist jedenfalls die An-
gabe des Inhalts fruchtbarer als jede noch so geistreiche Rezension, die
im Grunde doch mehr das Licht des Kritikers leuchten lässt, als sie das
Buch beleuchtet. Der 1. Band beschäftigt sich mit dem physischen Habitus
der neuseeländischen Inselgruppe und der Ethnographie der Bewohner.
Die Entdeckung der Inseln, ihre physikalische Geographie, die geologischen
Verhältnisse, Flora und Fauna werden mit Exaktheit behandelt. Dann
geht Verf. auf die Abstammung, die somatischen und psychischen Eigen-
schaften der Maori über, die er als seine ehemaligen Missionskinder mit
grosser Liebe schildert. Er führt uns in einer allerdings etwas sehr
bunten Reihenfolge alle häuslichen, sozialen und politischen Sitten und
Bräuche der Eingeborenen vor. Hier ist ein vollständiges Kapitel der be-
rühmten und durch den Verkauf der bemalten Köpfe so berüchtigten
maorischen Tättowierungskunst gewidmet. Tagesarbeit, Nährweise, Woh-
nungsanlage sind gebührend berücksichtigt. Wir erhalten einen Über-
blick über die Sprache, über Gesellschaftsordnung und Staatseinrichtung,
über Ehe und Kindererziehung, über Religion und Priestertum, besonders
eingehend sind besprochen die alten politisch-religiösen Einrichtungen des
muru und tabu, die Gründe und die Entstehung dieser eigentümlichen
Bräuche und ihre Anwendung im einzelnen Falle. Der Anthropophagie
wird ebenfalls in einem grösseren Kapitel gedacht. Alle Künste und
Wissenschaften der Maori sind des längeren und breiteren gewürdigt. Den
Schluss bildet die Darstellung der Bestattungsfeierlichkeiten. Der ganze
zweite, weniger voluminöse Band verfolgt die maorische Geschichte seit
der Entdeckung Neuseelands, die der Verf. dem französischen Kapitän de
Gonneville zuschreibt, bis in die neueste Zeit mit besonderer Berücksich-
tigung der Entwickelungsgeschichte der Kolonisation und der katholischen
Mission auf den Inseln; die grossen Rassen- und Religionskämpfe sind
nicht nur, wie heute alles, ,, psychologisch interessant", sondern ihre Dar-
stellung vollendet uns erst das ethnologische Bild der Neuseeländer.
H. Laufer-Berlin.
274. Steinbach: Einige Schädel von der Insel Nauru (Plea-
sant Island). Verhandl. der Berl. Gesellschaft f. Anthropologie,
;]1S B. Referate. 3. Urgeschichte.
1896. Bd. XXVIII, S. 545—551. Dazu y. Luschan. Eben-
dort, S. 551.
Von den benachbarten Gilbert-, Marshall- und Karolineninseln noch
sehr weit enifernt liegt die deutscJie Korallenbank Nauru einsam im stillen
Ozean. Die Zahl ilu-er in Körperbau und Sprache den Gilbert-Insulanern
ähnHchen. noch vollständig im Naturzustande lebenden Bewohner hat sich
in drei Jahren von 1317 auf 1377 vermehrt. Da St. ausserdem bei der
Bevülkernng dei- Marshallinseln keine Abnahme verzeichnen konnte und
auch glaubt, dass die Bew-ohner der Gilbert- und Karolineninseln ihre
Kopfzahl mindestens beliaupten werden, so hält er die allgemeine Annahme
vom sclmellen Aussterben der Südsee - Eingeborenen nicht für alle Teile
dieses grossen Gebietes giltig. Die gemeinen Leute auf Nauru sind meist
hager, aber gut gewachsen und muskelkräftig, die Frauen von den Häupt-
lingen der zwölf Stämme aber haben in der Regel eine grosse Körperfülle,
was für sehr schön gehalten wird. Die Hautfärbung schwankt zwischen
29 und 33 des Brocaschen Farbenschemas. Das schwarze Haar ist schlicht
und straff, zuweilen aber auch leicht gewellt oder sogar kraus. Die Regen-
bogenhaut hat eine tiefdunkelbraune Farbe. Die Kinder erhalten den Rang
ihrer Mutter. In einige von den Höhlen, die als tiefe Spalten in das
Korallenriff eindringen, stürzen die Eingeborenen ihre Toten und schleudern
grosse Steine und Feuerbrände auf sie. Von den auf diese Weise zer-
trümmerten Leichen hat der dortige deutsche Bezirksvorsteher drei männ-
liche Schädel gesammelt, die St. gemessen hat und vorlegt. Ihre Hirn-
kapseln fassen 1410 — 1480 ccm. Zwei Schädel sind dolichocephal, der
dritte ist mesocephal. Ein Schädel mit schmalem Gesicht hat auch eine
schmale Nase, während Nr. 2 platyrrhin, Nr. 3 mesorrhin ist. Die stark
vortretenden Schläfenlinien rücken bei einem Schädel ganz dicht an die
Pfeilnaht heran. Die kleinste Stirnbreite von Nr. 2 beträgt nur 90 mm.
Nach V. Luschan zeigt ein einziger von diesen Schädeln den aus-
gesprochen polynesisch-malayischen Charakter; die beiden anderen gehören
dem über ganz Polynesien verbreiteten ostmelanesischen Typus an, was
wiederum beweist, dass „sich so ganz verschiedene Typen trotz Jahr-
hunderte lang andauernder fortgesetzter Vermischung doch selbst in ihren
extremen Formen rein erhalten können". Dr. Mies -Köln,
3. Urgeschichte.
a. Allgemeines.
275. 0. de Mortillet: Evolution quaternaire de la pierre.
Revue mensuelle de l'Ecole d'anthropologie. 1897. Bd. VII,
S. 18.
Die Steinindustrie hat sich mit dem Klima verändert. Am Anfang
der quaternären Zeit war letzteres feucht und warm; dieser präglazialen
B. Referate. 3- Urgeschichte. 319
Epoche entspricht das rohe Material aus Chelles. Entsprechend der ab-
nehmenden Temperatur vervollkommneten sich auch die Werkzeuge, v^eil
die Lebensbedingungen schwieriger wurden. So finden wir zuerst die
feineren Formen von St. Acheul, dann die Spitzen und die Schaber von
Moustiers, die zur Verarbeitung der Felle dienten. Diese Kultur ent-
spricht der Eiszeit, d. h. einem kalten und sehr feuchten Klima. Die
blattförmigen Werkzeuge vonSolutre entprechen dem Ende dieser Epoche.
Die Kultur des Made leine- Typus endlich ist rein postglazial. Die Stein-
werkzeuge sind im Rückgang begriffen ; sie werden durch Werkzeuge aus
Knochen und aus dem Geweih des Renntiers ersetzt. Das Klima ist sehr
kalt und sehr trocken.
Alle diese Formen der Steinindustrie lassen sich sehr gut voneinander
ableiten. Sie sind also autochton. — Die folgenden jedoch sind importiert.
Die Industrie, die Mortillet als tardenoisienne bezeichnet, besteht aus
sehr kleinen Feuersteinen, meist von geometrischer Form; man hat sie in
Europa, in Indien, in Syrien und im Norden Afrikas gefunden. Diese
Industrie bildet den Übergang zur neolithischen Zeit oder dem roben-
hausien, durch geglättete Instrumente charakterisiert. Aber die paläo-
lithischen Formen sind nur nach und nach verschwunden: als tourassien
bezeichnet Mortillet ihre Degenerationsformen und als campignien, die
Anfangsformen des robenhausien. Übrigens waren die Steinwerkzeuge noch
länger in Gebrauch, sogar in der Metallzeit, besonders zu religiösen Zwecken.
So hat man in Ägypten sehr schöne steinerne Messer gefunden, die mit
goldenen Platten verziert waren. Dr. L. Laloy-Paris.
276. Hj. Appelgren: Kreftings metod för rengorning och
Konservering of metallsaker. (Kreftings Methode für Rei-
nigung und Konservierung von Metallgegenständen.) Fortsetzung.
Finskt Museum 1896. S. 66—72.
Anweisungen zur Benutzung der von dem norwegischen Ingenieur
Krefting erfundenen elektrischen Methode für Reinigung von Metallgegen-
ständen. Mag. phü. Ä. Hackman-Helsingfors.
277. Eduard Krause: Yorgeschichtliche Fischereigeräte und
neuere Yergleichsstücke. Globus. 1897. Bd. XXXI, Nr. 17
und 18.
An der Hand zahlreicher (89) Abbildungen, die sich auf teils prä-
historische, teils moderne, von den sogenannten Naturvölkern herstammende
Fischereigeräte (von Krause seiner Zeit für die deutsche Fischerei-Aus-
stellung auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 zusammengestellt) be-
ziehen, erläutert Verf. die verschiedenen Methoden der Fischerei und ihre
Entwickelung in der Vorzeit, Dr. Buschan- Stettin.
320 ß- Heferate. 3. Urgeschichte.
b. Funde,
a. Die britischen Inseln.
278. Joseph Audersoii: Notice of a caye recently discovered
at Obau, coutainiug human remaius, and a refuse-heap of
Shells and bones of animals, and stone and hone im-
plenients. Proceedings of the Society of Antiquaries of Scotland.
Edinburgh. 1896. Bd. XXX, S. 211.
Die vom Verf. untersuchte Höhle ist die vierte, die in den Felsen
von Oban gefunden wurde. Sie ist 8 m tief und 6 m breit; ihr Eingang
war von Steinblöcken verstellt. Man stiess zuerst auf eine Schicht
schwarzer Erde, in welcher Knochen kleiner Nager und zwei Menschen-
schädel eingebettet lagen. Weiter unten fand sich eine Anhäufung von
Seemuscheln und zerspaltenen Knochen, die als Küchenreste zu deuten
sind; unter dieser Schicht war sodann ein Lager von gerollten Kiesel-
steinen vorhanden, das eine ungefähre Tiefe von 3 m zeigte und sich über
den ganzen Boden der Höhle erstreckte. Im oberen Theil dieser Schicht
fand sich noch eine kleine^ Muschelanhäufung.
Die in der Höhle aufgefundenen Gegenstände bestehen in zwei
Hämmern, der eine aus Sandstein, der andere aus Quarzit, zwanzig Feuer-
steinsplittern; dazu kommen mehrere Stichel, Bohrer, Schaber und Har-
punen aus Knochen oder Hirschgeweih. Letztere sind flach und tragen
auf jeder Seite 4 Zacken. Sie zeigen den von der Dordogne her wohl-
bekannten Typus.
Die Fauna unterscheidet sich nicht von der jetzigen; sie besteht aus
den Arten Cervus, Bos longifrons, Sus scrofa, Canis familiaris, Felis
catus etc.; Fischknochen und Krabbenstücke sind zahlreich. Wir haben
es also mit einer gewöhnlichen neolithischen Ansiedlung zu thun: auf die
zwei Menschenschädel ist kein besonderer Wert zu legen, da die schwarze
Erde, in welcher sie eingebettet lagen, offenbar von einem im Dach der
Höhle befindlichen Loch herabgefallen war und die betreffenden Stücke
wahrscheinlich von der Oberfläche mit sich herabgerissen hatte.
Dr, L. Laloy-Faris.
279. Joseph Anderson: Notes on a deposit of flints worked
to a leaf-shape, found at Bulwark, Old Deer, Aher-
deenshire. Proceedings of the Society of Antiquaries of Scot-
land. Edinburgh. 1896. Bd. XXX, S. 346.
Die betreffenden Feuersteinwerkzeuge, 34 an der Zahl, sind alle von
annähernd blattförmiger Gestalt. Ihre Länge variirt von 4 bis 8 cm. Man
muss dabei in Betracht ziehen, dass es in Schottland keine Kreidebildung
giebt, in der man Feuersteinknollen finden könnte; in Folge dessen sind
die grossen Werkzeuge sehr spärlich, hingegen die kleineren Sorten, wie
B. Referate. 3. Urgeschichte. 321
die Pfeilspitzen, viel zahleicher vertreten. Aus diesem Grunde muss man
diesen Fund mit Freude begrüssen, da er in Schottland ziemlich vereinzelt
dasteht. Die Werkzeuge wurden in geringer Tiefe in einem Felde auf-
gefunden; sie lagen beisammen zv^ischen zwei grösseren Steinen, jedoch
ohne Decke, neben ihnen eine Anzahl von Feuersteinsplittern. Es handelt
sich also um eine Werkstätte. Die Feuersteine wurden aus unmittelbarer
Nähe bezogen, wo sie sich in den Alluvialschichten vorfinden. In der
Werkstätte wurden sie zu grober Blattform verarbeitet, um nachher wahr-
scheinlich durch den Tausch in andere Gegenden zu gelangen, wo es
keine Feuersteine gab, und wo sie in sekundären Werkstätten ihre de-
finitive Form erhielten. Dr. L. Laloy-Faris.
280. Joseph Anderson: Note on a bronze sword found at
Inverbroom Ross-Shire. Proceedings of the Society of Anti-
quaries of Scotland. Edinburgh. 1896. Bd. XXX, S. 352.
Dieses 0,70 m lange Bronzeschwert erscheint insofern interessant, als
der Griff und der Degenknopf, sowie die blattförmige Klinge aus Bronze
gegossen sind. .Von dieser Varietät sind bisher nur 3 Schwerter in Schott-
land und 2 in England gefunden worden. Sie scheinen dem Ende der
Bronzezeit anzugehören. Dr, L. Laloy-Faris.
ß. Deutschland.
281. A.Voss: Oesichtsurnen von Schwartow, Kreis Lauenburg
(Pommern). Nachr. über deutsche Altertumsfunde. 1895.
VI. Jahrg. Heft 6, S. 81 mit 4 Figuren.
Von dem an Gesichtsurnen ergiebigen Gebiet an der pommerisch-
westlichen Grenze sind wieder 4 in das Berliner Museum gekommen, die
nicht sowohl durch ihre Formen, als durch die Darstellungen Beachtung
verdienen. Die grösste zeigt in der Zone zwischen den Hals- und Bauch-
gürtel vorstellenden Ornamentstreifen eine rechteckige, senkrecht geteilte
Zeichnung, unter dem rechten Ohr eine der bekannten primitiven Pferde-
zeichnungen, unter dem linken Ohr einen senkrechten Vorsprung, von
welchem divergierende Linien ausgehen. Sehr ähnlich ist die schon früher
besprochene Urne von Hoch-Redlau, die hier von neuem und genauer ab-
gebildet wird ; sie enthält zwar nur einen Bauchgürtel^ aber darunter in der
Mitte die rechteckige Zeichnung, links davon u. a. ein Pferd, rechts die-
selbe Erhöhung mit ,,ordenssternartigem" Ornament. Auch an einer
kleineren Urne von Schwartow findet sich letztere Verzierung, freilich auf
dem Rücken: sie wird bei allen drei Urnen nun als Andeutung der
Schulter erklärt, von welcher ein langhaariges Gewand herabhängt. Die
rechteckige Zeichnung an den beiden ersten Urnen dürfte auch zur Klei-
dung gehören und einen Schurz oder eine Tasche darstellen, weniger
wahrscheinlich die Thür zum Hause der Seele.
Frof. Dr. Walter-Stettin.
Centralblatt für Anthropologie. 1897. 21
322 B- Referate. 3. Urgeschichte.
282. J. Mestorf : Bronzemesser mit figürlichen Darstellungen.
Mitteilungen des Anthropologischen Vereins in Schleswig-Holstein.
1896. Heft IX, S. 9 mit 4 Abbildungen.
Aus der Grabkammer eines 1884 bei Borgdorf (Holstein) geöffneten Hügels
sind die Reste von Wollenzeug und Haaren, wie das Thongefäss mit Knochen
verloren gegangen, nur das Stück einer Bronzepincette an einem Holzstäbchen
und Fragmente eines Bronzemessers erhalten geblieben. Letzteres lässt
noch das spiralig umgebogene Ende und eine Zeichnung erkennen, auf
welcher das Schiff als beliebtes Messerornament mit vorn und hinten
schlangenförmig aufgebogenem Kiel dargestellt ist; den Schiffsraum füllen
kleine Wellenlinien, ein schlangenartig sich aufbäumendes Thier und ein
auf's Knie gesunkener Mann, der die Rechte abwehrend vorstreckt und
mit der Linken den Vordersteven fasst. Die Bildung dieser menschlichen
Figur weicht von der sonst auf Bronzemessern und gleichzeitigen Felsen-
bildern üblichen dadurch ab, dass die Hände zwar naturalistisch 5 Finger
zeigen, die Beine aber stilisiert geschwungene Linien bilden und der Kopf
schnabelförmig an den Hals anschliesst. Die Neigung zur runden Linie
zeigt sich noch überall und lehrt, wie alle Figuren aus den Ornamenten
der Spirale und Wellenlinie hervorgegangen sind.
Frof. Dr. Walter-Stettin.
283. A. Götze: Die Yorgeschichte der Neumark. Schriften
des Vereins für die Geschichte der Neumark. Heft V. Lands-
berg a. W. 1897. S. 19—79. Mit 126 Abbildungen.
Soweit es möglich wird, stellt Verf. aus den Resten der Vorzeit, die
er mit den gleichartigen Funden der Nachbarlandschaften beständig in
aufklärende Verbindung setzt, ein Bild der technischen Fertigkeiten, der
Handelsbeziehungen und der Gesamtkultur der Neumark zusammen, zu
dessen Verständnis allgemein orientierende Bemerkungen dienen. Die
ersten sicheren Spuren vom Auftreten des Menschen gehören der neo-
lithischen Periode an, einzelne Gefässe mit Schnurornament, als Ausläufer
der an der unteren Oder heimischen Gefässgruppe, und einige wenige an-
scheinend jüngere mit Grubenverzierungen. Die Steingeräte deuten wir
auf einzelne Verbindungen mit Thüringen, zum Teil auf direkte Ausstrah-
lung der nordischen Länder. Auch Spuren fabrikmässiger Herstellung
kleiner Geräte finden sich ganz vereinzelt. — Das erste Auftreten der
Metalle wird, da Kupferfunde bisher fehlen, durch bronzene Flachcelte und
charakteristische (z. B. Öhsen-) Ringe bezeichnet, die zu den Urnen-
funden noch nicht in Beziehung gebracht werden können. Diesen
letzteren wird für die Provinz Brandenburg das Einteilungsprinzip für die
Gliederung der gesamten vorrömischen Metallzeit in Perioden entnommen.
Die neumärkischen Gefässe bilden eine Untergruppe des sogenannten
Lausitzer Typus. In dieser Gruppe stellen sich die älteren Gefässe (Buckel-
B. Referate. 3. Urgeschichte. 3^3
urnen mit den sie begleitenden Formen doppelkonischer, weit offener
Urnen, hoher Töpfe mit kurzem, ausladenden Halse u. a.) fast als nörd-
liche Ausläufer der Niederlausitzer Keramik dar, wogegen die jüngeren
Töpferarbeiten einen Mischstil zeigen: während nämlich im südlichen Teile,
für den der „Auriether Typus" charakteristisch ist, gleichfalls Nieder-
lausitzer Einflüsse neben schwächeren von Schlesien und Posen her er-
kennbar werden, treten auf dem nördlichen Gebiete, dem der „Görlitzer
Typus" angehört, mit stärkerer Halsausbildung und Einritzung von Ver-
zierungen in die Kehlstreifen, neben schwächeren pommerschen, nament-
lich posener Einwirkungen hervor. — Unter den zeitlich diesen grossen
Urnenfeldern parallel gehenden Depotfunden werden als Bestandteile die
Waffen, die wichtigsten Typen der Schmucksachen und als Kultusgerät
einer der bekannten dreirädrigen Wagen, dann der Gesamtbestand einzelner
hervorragender Funde besprochen. — Spärlich sind bis jetzt die Reste
aus der La Tene-Zeit, die ohne Unterbrechung in die römische Kaiserzeit
übergeht; diese letztere setzt sich indessen durch eine Zahl neuer, wichtiger
Formen von jener ab. Die einzelnen Funde, sowie die Fundplätze werden
aufgezählt: die Handelseinflüsse gehen auf die Donauprovinzen zurück. —
Den Beschluss der Schrift bildet die slavische Periode: der Beleuchtung
ihrer zum Teil schon auf der Töpferscheibe geformten Gefässe, der Knochen-,
Stein- und Eisengeräte und des Silberschmuckes folgt die Besprechung
der unbeweglichen Denkmäler, nämlich der Pfahlbauten (4), Skelettgräber
(sicher an zwei Stellen) und der Burgwälle (15 ausgemacht slavische,
während für die Ermittellung der Stellung anderer erst noch die Lokal-
forschung die Unterlage zu schaffen hat). Zahlreiche recht klare Ab-
bildungen veranschaulichen den Formenreichtum, namentlich der Keramik
der Landschaft und erhöhen den Wert der vortrefflich unterrichtenden
Arbeit. • Prof. Dr. Jentsch-Quben.
284. W. Grrempler: Der Bronzefund yon Lorzendorf, Kreis
Namslau. Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift. Zeitschrift
des Vereins für das Museum schlesischer Altertümer. Breslau
1897. Bd. VII, Heft 2, S. 195—205.
Der Fund enthielt drei gerippte Bronzeeimer mit je zwei beweglichen
Henkeln (in der Litteratur als Cisten bezeichnet), ein paar Pferdegebisse
mit zweigliedrigen Mittelstücken und hufeisenförmigen Knebeln, zwei in
sich geschlossene Ketten, wahrscheinlich ebenfalls zum Pferdeschmuck ge-
hörig, deren Glieder bei der einen aus drei, bei der andern aus vier be-
weglichen Parallelstäben und quadratischen Rahmen kunstvoll zusammen-
gesetzt sind, 44 sternförmigen und 2 länglichen Riemenbeschlägen, 4 Zier-
behängen und 3 ornamentierten Hohlringen von ca. 30 cm Durchmesser.
Die Fundstücke deuten auf südlichen Import. Insbesondere sind die ge-
rippten Cisten mit beweglichen Henkeln (im Gegensatz zu denen mit festen
21*
324 ß- Referate. 3. Urgeschichte.
seitlichen Handhaben) nach Marchesetti's Feststellungen von einem ober-
italisclien Fabrikationscentrum im Lande der Veneter ausgegangen. Auch
die Pferdegebisse und Ketten haben ihre Analogien im Süden (Ronzano
und Ramonte bei Bologna, Pfahlbau Möhrigen am Bielersee). Diese Ver-
gleichsfunde und die ausserordentlich vollkommene Gusstechnik bestimmen
den Verfasser, ihre Entstehungszeit in die jüngere Bronzezeit, und zwar
etwa in das 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. zu setzen. Dagegen gehören
die Eimer und auch die Hohlringe bereits der Hallstattkultur an. Solche
chronologische Differenzen haben gerade bei Depotfunden, zu denen der
Lorzendorfer Fund zu rechnen ist, nichts befremdliches. Der Verf. weist
darauf hin, dass die Fundstelle noch im Gebiet der gleichzeitigen schlesisch-
posenschen Gräberfelder mit bemalten Thongefässen liege, in denen Im-
portwaren südlicher Provenienz nicht zu den Seltenheiten zählen, und
schliesst daraus auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den leb-
haften Handelsbeziehungen, die sich hieraus ergeben, und der hoch-
entwickelten Keramik jener. — Die Arbeit ist mit einem vollständigen
Verzeichnis der einschlägigen Litteratur und guten Abbildungen sämtlicher
Fundstücke ausgestattet. Dr. phü. Seger-Breslau.
285. H. Seger: Schlesische Fundchronik. Schlesiens Vorzeit.
1897. Bd. VII, Heft 2, S. 209—247.
Bericht über alle vorgeschichtlichen Funde der Provinz, über die der
Verwaltung des Breslauer Museums während der Jahre 1895 — 1897 Nach-
richten zugegangen sind. Eingehender behandelt werden folgende Funde:
Breslau: 10 m langer Einbaum aus Eichenholz, 4,17 m unter Tage im
alten Oderbett gefunden; Zeit unbestimmbar. Jackschönau, Kreis
Breslau: Begräbnisplatz des 2. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. Thongefässe,
eisernes Schwert, Lanzenspitzen, Schildbuckel, Kasten- oder Eimerbeschläge
u. s. w. ; auch eine Bronzefibel. Kaulwitz, Kreis Namslau: Syste-
matische Untersuchung eines schon längere Zeit bekannten Gräberfeldes
der La Tene-Zeit durch den Berichterstatter. Unter den 21 untersuchten
Gräbern enthielt eines eine Gesichtsurne mit gewölbtem Falzdeckel, ein
anderes eine eiserne Früh-La Tenefibel, ein drittes und viertes grosse
Massen von thönernen V^ebegewichten. Lahse, Kreis Wohlau : Terrinen-
förmige schwarze Urne mit eingeritzter Darstellung einer Hirschjagd;
Jäger zu Pferde, auch ein Bogenschütz zu Fuss verfolgen die fliehenden
Tiere. Die Darstellungen gleichen den bekannten Zeichnungen auf pom-
merelHschen Gesichtsurnen. Die Urne stammt aus einem Gräberfelde
der Hallstattzeit. Ottwitz, Kr. Strehlen: Skelettgräber (liegende Hocker)
der Bronzezeit. Die Thongefässe zeigen einen in Schlesien noch nicht
beobachteten Typus, der aber in Böhmen für Hockergräber der Über-
gangszeit vom Stein- zum Bronzealter charakteristisch ist. In der Nähe
ist eine vielleicht derselben Zeit angehörige Siedelungsstätte und ein aus-
B. Referate. 3. Urgeschichte. 325
dehntes Brandgräberfeld der ersten Eisenzeit vom Verfasser untersucht
worden. — Die angeführten, sowie mehrere andere Berichte sind mit Ab-
bildungen versehen. Selbsther icht.
286. Hensel: Urnenfund von Solben. Zeitschr. d. Histor. Ge-
sellschaft für die Provinz Posen. 1897. Bd. XII, Heft. 1,
S. 92—94.
Urnenfriedhof auf einem Sandhügel. Die Gräber sind in Längsreihen
von Osten nach Westen geordnet, die Querreihen von Norden nach Süden
anscheinend auf die Lücken gestellt. Jedes Grab enthält entweder eine
grössere oder zwei bis drei kleinere Aschenurnen. In letzterem Falle
lassen die Schädelstücke es ausser Zweifel, dass in jeder Urne ein Kind,
also mehrere zusammen in einem Grabe, beigesetzt waren. Von Bei-
gaben fanden sich ausser wenigen Resten von dünnen Bronze-Armringen
zahlreiche Thongefässe, die mit Fingereindrücken, Punkt- und Linien-
ornamenten, darunter das Bild eines Nadelholzbaumes, verziert waren.
Die Untersuchungen sollen fortgesetzt werden. Dr. Seger-Breslau.
287. M. Bach: Fundchronik vom Jahre 1896. Fundberichte
aus Schwaben. 1896. Jahrg. IV, S. 1.
In Ergänzung früherer Berichte führt das vorliegende Verzeichnis aus
vorrömischer Zeit zwei Steingerät- und 17 meist Hügelgräbern entnommene
Metall-Funde, 6 römische Niederlassungen und 7 Reihengräberfunde der
merowingischen Zeit auf. Dr. J. Deichmüller-Dresden.
288. E. Wagner: Funde in Baden. Fundberichte aus Schwaben.
1896. Jahrg. IV, S. 7.
Kurze Übersicht über die im Jahre 1896 in Baden ausgeführten Unter-
suchungen von Niederlassungen der Steinzeit, Grabhügeln der Hallstatt-
zeit, römischen Bauten und Gräberfeldern der fränkisch-alemannischen Zeit.
Dr. J. Deichmüller-Dresden.
289. V. Tröltsch: Die topographische Aufnahme der Pfahl-
bauten des Bodensees. Fundberichte aus Schwaben. 1896.
Jahrg. IV, S. 25.
Der Verf. weist auf verschiedene Gesichtspunkte hin, die bei einer
kartographischen Aufnahme der Pfahlbauten zu berücksichtigen sein würden.
Seiner Anregung folgend ist eine derartige Aufnahme der Bodenseepfahl-
bauten durch den Bodenseeverein beschlossen worden.
Dr. J. Deichmüller-Dresden.
290. L. Leiner: Rückblicke auf die Pfahlbautenfunde am
Bodensee 1896. Fundberichte aus Schwaben. 1896. Jahr-
gang IV, S. 26.
326 B. Referate. 3. Urgeschichte.
Enthält eine kurze Übersicht über die aus Thon, Bein, Knochen und
Holz hergestellten Gerätschaften aus den Bodenseepfahlbauten und die an
denselben angewandten Verzierungsweisen.
Dr. J. Deichmüller-Dresden.
291. V. Tröltsch: Ein Depotfund von Bronzesicheln bei
Dächingen, 0. - A. Eschingen a. D. Fundberichte aus
Schwaben. 1896. Jahrg. IV, S. 31. 2 Abbildungen.
Die von der gewöhnlichen Form der schwäbischen Sicheln abweichen-
den Dächinger Sicheln erinnern an solche aus den Terramaren des Po-
Thals und aus Ungarn und sind vermuthlich aus ersterer Gegend nach
Schwaben eingewandert. Dr. J. Deichmüller- Dresden.
292. Scheuthle: Ausgrabungen und Funde bei Essingen, O.-A.
Aaalen. Fundberichte aus Schwaben. 1896. Jahrgang. IV,
S 32.
Gedrängte Beschreibung mehrerer in der Nachbarschaft von Hoch-
äckern gefundener Hügelgräber und eines Ringwalls aus vorrömischer Zeit,
römischer Bauten, eines römischen Grabes und eines alemannischen Reihen-
gräberfeldes bei Essingen. Dr. J. Deichmüller-Dresden.
293. E. Kapff: Neue Funde aus Cannstatt. Fundberichte aus
Schwaben. 1896. Jahrg. IV, S. 36.
Bemerkenswert ist der Fund einer Feuersteinlanze neben mensch-
lichen Knochen im Diluviallehm, von Gebäuden und einer Brandstätte mit
Skeletten aus römischer Zeit und mehrerer merowingischer Gräber.
Dr. J. Deichmüller-Dresden.
294. V. Holder: Skelettfunde aus römischen Gräbern. Fund-
berichte aus Schwaben. 1896. Jahrg. IV, S. 39. Mit 1 Abbild.
Die Seltenheit römischer Skelettgräber erklärt sich leicht aus der
bis gegen das Ende des 2. Jahrh. n. Chr. bei den Römern allgemein üb-
lichen Sitte, ihre Toten zu verbrennen. Erst zu Beginn des 3. Jahr-
hunderts finden sich neben den Verbrennungen einzelne Bestattungen,
welche erst gegen den Ausgang dieses Jahrhunderts, zur Zeit der Be-
setzung des Landes durch die Alemannen, häufiger werden. Von den
alemannischen Gräbern unterscheiden sich die römischen leicht durch die
Art der Bestattung und durch die bei den Leichen gefundenen Beigaben;
die Skelette sind mittelgross, die Schädel vorwiegend brachycephal. Der-
artige römische Gräber werden vom Verfasser von Gebersheim, Flein,
Cannstatt, Kickach, Köngen und aus der Umgebung von Rottenburg be-
schrieben. Dr. J. Deichmüller-Dresden.
B. Referate. 3. Urgeschichte. 327
295. Eidam: Masseiifund von Bronzegegenständen bei Winds-
bach. Prähistorische Blätter. 1897. Jahrg. IX, Nr. 1 mit
Tafel I.
In einem Hopfenacker bei Windsbach (Mittelfranken) ist 1896 ein
Massenfund von 23 Bronzegegenständen gemacht worden, von denen nur
3 unversehrt sind, während die anderen defekt oder fehlerhaft gegossen
sind; mitgerechnet sind 3 Bronzegussstücke. Hervorzuheben ist eine (ab-
geschliffene?) Dolchklinge, eine Sichel mit rautenförmigen Verzierungen
an beiden Griffseiten, ein Absatzkelt mit angegossenem Öhr, ein Lappen-
kelt mit scheinbar abgeschliffener Schneide, eine schöne Lanzenspitze mit
langer Röhre und Nagellöchern. 2 von den 9 Kelten weisen noch auf
die ältere Bronzezeit hin, alle übrigen Stücke auf die jüngere; ein massives
offenes Armband mit niederen, gerippten Endstollen ist der in Südwest-
deutschland und den angrenzenden Gebieten häufigen Form ähnlich. Dass
es sich um keinen blossen Depotfund handelt, beweist auch die rund
herum geschwärzte Erde und das Vorkommen von Kohlen und Schlacken in
nächster Nähe; somit würde hier die Wohnung eines Bronzegiessers ge-
standen haben. Auch auf dem gelben Berg bei Gunzenhausen fand sich
eine ähnliche Wohn- bezw. Gussstätte, und beide heimischen Bronze-
arbeiter dürften das Rohmaterial aus den von Schmidt- Wunsiedel nach-
gewiesenen alten Zinn- und Kupfergruben des Fichtelgebirges bezogen
haben. Frof. Dr. Walter -Stettin.
296. P. Reinecke: Eine neolithische Ansiedelung mit Band-
keramik in Württemberg. Prähistorische Blätter. 1897.
Jahrg. IX, Nr. 2 mit Textabbildungen.
Bei dem Hof Mauer (bei Münchingen, Oberamt Leonberg) befinden
sich runde Wohngruben, bis 4 m breit und bis 2 m tief, mit Topfscherben
und sonstigen Kulturresten. Die Scherben in den Museen zu Stuttgart
und Berlin sind von grau-gelblichem Thon, weisen auf bombenförmige
Gefässe hin und zeigen winkelförmige oder bogige Linienmuster, mit
Strichreihen gefüllt oder von spitzen Eindrücken begleitet: es handelt sich
unverkennbar um neolithische Brandkeramik. Die sonstigen Fundstücke,
besonders Fragmente von Steingeräten, sind nicht so typisch für die
Periode; dagegen spricht die Anlage der Wohngruben für jene Annahme.
Man erkennt in Württemberg und Nordbaden immer deutlicher eine lokale
Gruppe innerhalb des Kulturkreises der Bandkeramik.
Prof. Dr. Walter-Stettin.
Y- Öesterreich-Ungarn.
297. F. Fiala: Die Ergebnisse der Untersuchung präliisto-
risclier Grabhügel auf dem Olasinac im Jahre 1894.
Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Herzego-
vina. Wien 1896. IV. Band. Separat- Abdruck mit 69 Abbild.
328 B- Referate. 3. Urgeschichte.
Von den auf 20 000 Tumuli geschätzten Nekropolen im Bezirk Ro-
gatica in Bosnien ist der nördliche Teil, die eigentliche Hochebene Glasinac
schon ganz durchforscht. 1894 ist das südliche Hügelgelände in Angriff
genommen, das sich wegen der Zerstreutheit der Tumuli und der Selten-
heit geschlossener Gruppen schwer überschauen lässt. Der eingehende
Fundbericht ist nach Ortschaften bezw. Wallburgen, wie bei Vrlazije und
Strane, eingeteilt; dabei sind die für den Glasinacer Formenkreis neuen
Stücke abgebildet. Die Fülle der Einzelheiten würde bei der Nähe diverser
Gräber und den häufigen Nachbestattungen nur verwirrend wirken, wenn
nicht zum Schluss ein dankenswerter Überblick hinzugefügt wäre, der die
vorläufigen Angaben im Centralblatt I, S. 75 und S. 352, und bei Hoernes,
Urgeschichte, S. 537 ff. ergänzt und berichtigt. Von 154 geöffneten Hügeln
erwiesen sich etliche ganz leer, die Skelettgräber überwogen bedeutend die
Brandgräber (100 : 9), doch kamen auch gemischte Beisetzungen vor (17);
ebenso war die ältere Eisenzeit gegenüber der La Tene-Periode mit 119 : 3
vertreten, die Römerzeit mit 5, die Völkerwanderungszeit mit 1 Tumulus.
Von den ungefähr 1000 Fundstücken waren über die Hälfte aus Bronze,
146 von Bernstein, 126 von Eisen u. s. f. angefertigt. Aus der bedeutenden Zahl
von 125 Fibeln hoben sich in grösseren Gruppen die Bogen- und Brillen-
spiralfibeln ab; eine mit abgebildete silberne Charnierfibel weist auf
griechische Vorbilder hin, während die für Bosnien neuen Mittel - La-
Tene-Fibeln mit Kettchen ihre Analogien weit im Westen haben; endlich
begegnet eine römische Armbrustfibel und eine Münze des Diocletian.
Schliesslich wird der Meinung Reinachs entgegengetreten, der die zur Be-
rechnung für diese Nekropole heranzuziehende Hallstattzeit auf 300 Jahre
beschränkt und die grosse Gräberzahl dadurch erklärt wissen will, dass
die umwohnenden Stammesgenossen den Glasinac als campus sacer mit--
benutzt hätten. (Vgl. Centralblatt I, S. 150.) Hiergegen wird für die
Hallstattzeit in Bosnien ein Umfang von 700 Jahren angenommen, wobei noch
200 Jahre für La Tene-Einflüsse und Romanisierung freiblieben; auch ein-
fache Sklavengräber sind gefunden worden und widerlegen die Annahme eines
Begräbnisplatzes nur für Vornehme, wie auch die 42 Wallburgen des Be-
zirks nicht blos Opferstätten gewesen sein können. Der für Viehzucht
äusserst günstige Glasinac, der heute 24 000 Seelen ernährt , brauchte
unter dieser Voraussetzung in prähistorischer Zeit nur 10 000 Bewohner
zu haben, um die Grösse dieses Gräberfeldes hinreichend erklärlich finden
zu lassen. Frof. Dr. Walter-Stettin.
298. Fr. Fiala: Die prähistorische Ansiedlung auf dem Debelo
Brdo bei Sarajevo. Ebenda 1896. Bd. IV, S. 38—72 mit
255 Abbildungen.
Die Sarajevo beherrschende Bergkuppe Debelo Brdo ist auf drei
Seiten von Mauerwerk umzogen, welches, wie die unmittelbar dabei ge-
B. Referate. 3. Urgeschichte. 329
machten Funde, unzweifelhaft römisch ist. Aber das Plateau zeigt, zumal
an den Abhängen, mächtige Kulturschichten aus allen Perioden von der
neolithischen bis zur Völkerwanderungszeit; die Fundstücke werden zuerst
nach dem Material geordnet besprochen und durch zahlreiche Abbildungen
erläutert, worauf in einem Schlusswort das Resultat gezogen wird. Unter
den 90 Thongefässen und zahllosen Scherben ist die Mehrzahl mit der
Hand geformt, teils aus grobkörnigem Material mit plumpen Henkeln,
Warzen, Knöpfen oder Öhsen, durch aufgelegtes Ketten- oder Schnur-
ornament verziert und spitz zulaufend, teils feingeschlemmt mit den ver-
schiedensten Henkeln, Ansen (1 Pferdekopf), durch Punkte, Bänder, Wolfs-
zahn, Tannenzweige und eingepresste Muster ornamentiert und von sehr
verschiedenen Formen. Thonwirtel sammelte man nicht weniger als
382 Stück. Neben allerlei Stein- und Knochenartefakten, darunter vielem
Hirschgeweih und einigen Knochenschnitzereien, ist die Bronzezeit häufiger
als die Hallstattzeit vertreten; ein Depotfund enthielt Hohlkelte und Axt
von ungarischem Typus, auch ältere Stücke, Gussformen und Gussklumpen
fanden sich, endlich 6 Hallstätter und 18 La Tene-Fibeln u. a. Die
römischen Gefässe und Fundstücke sondern sich bei den Mauern und Ge-
bäuderesten zu einer deutlich erkennbaren Gruppe ab*, die letzte Münze
ist von Justinian. Demnach ist diese Kuppe enorm lange durch alle Perioden
hindurch besiedelt gewesen von Steinschlägern, Bronzegiessern und pro-
duktiven Töpfern, die stets in weitreichenden Handelsverbindungen standen,
bis auch die Römer hier einen Militärposten bei der unfern nachgewiesenen
römischen Ziegelei anlegten. Frof Dr. Walter-Stettin.
299. Fr. Fiala: Über einige Wallbauten im nordwestliclien
Bosnien» Ebendas. 1896. Bd. IV, S. 94 ff. mit 15 Ab-
bildungen.
Im Bezirk Cazin unterscheiden sich 3 Wallbauten dadurch von anderen
bosnischen, dass dem eigentlichen Ansiedelungsplatz (Kastellier) noch ein
Sperrwall vorgelagert ist. Im Wall Cungar wurde in einem Skelettgrabe u. a.
ein Bronzehelm gefunden, hutförmig und mit einer Art Krempe, wie er
aus Watsch, Olympia und sonsther bekannt ist. Die Funde in den beiden
anderen Wällen sind geringer, doch weisen die Scherben und Bronzen
auch auf den Hallstattkreis hin. Vermutungsweise werden die 3 Anlagen
einem von dem südbosnischen verschiedenen Stamme zugeschrieben; doch
äussern Radinsky und die Redaktion Bedenken gegen des Verfassers
Terrainschilderungen. Frof, Dr. Walter-Stettin.
300. Trulielka: Prähistorische Bronzen aus dem Bezirke
Prozor. Ebendas. 1895. Bd. III, S. 510 mit 14 Figuren. —
Steinkistengräber in der Herzegowina. Ebendas. S. 512
mit 13 Figuren.
330 ^' Heferate. 3. Urgeschichte.
Von älteren Einzelfunden des Landesmuseums sind erwähnenswert
2 über 30 cm lange Brillenspiralen, spätere La Tene-Fibeln, Bronzelöffel,
prismatisches durchbohrtes Senkgewicht aus Thon.
Die Grabhügel der Herzegovina sind grösser und anders geartet als
die bosnischen ; sie sind bis zu 40 m im Durchmesser gross und enthalten
in den Klaubsteinen mächtige Steinkisten für die Skelette, bei denen man
jedoch noch keine Beigaben gefunden hat. Auch eine erneute Grabung
in verschiedenen Nekropolen förderte nur Reste von hockenden oder
liegenden Skeletten aus verschiedenen Steinkisten zu Tage, daneben einmal
rohe Gefässscherben. Eine offenbare Nachbestattung dagegen ergab zwei
Armbänder von Bronzeblech und 3 Bogenfibeln, die durch ihr Charnier
eine neue Form bilden. Das Alter der Steinkisten in der Herzegovina
bleibt danach noch immer dunkel. Prof. Dr. Walter-Stettin.
301. Hoernes: Yorrömischer Grabstein von Jezerine, Ebendas.
Bd. III, S. 516 mit 1 Tafel.
Das leider nur kleine Eckbruchstück einer Kalkstein - Grabplatte lässt
einen in rohster Relieftechnik nur durch eingegrabene Linien ausgedrückten
behelmten Mann mit Lanze erkennen, der vielleicht sass und ein Trink-
gefäss hielt. Die Verwandtschaft mit Darstellungen auf Bronzeblechen
und Situlen der venetischen Kulturzone ist deutlich; neu ist jedoch die
Thatsache, dass diese Kunst auch in Stein ausgeübt wurde, und doch
wohl an Ort und Stelle. Prof. Dr. Walter-Stettin.
302. Fiala : Archäologische Notizen und kleine Mitteilungen.
Ebendas. Bd. III, S. 518 ff. und Bd. IV, S. 170 ff. mit Abbild.
Zu den bisher nur vorhandenen 2 Kupfergeräten aus dem Occu-
pationsgebiet ist eine seltene geschwungene Schmalaxt von Kosovaca hin-
zugekommen. — Ungemein zahlreich sind allerlei römische Fundstücke;
als Seltenheiten bezw. Neuheiten in dem Bezirke sind zu nennen: Rein
bronzezeitlicher Depotfund, wobei neu ein Hohlkelt mit flügelartig ver-
längerter Schneide und eine dornartige Lanzenspitze (Schuh?) von Perni-
grad. Aus einem Grabfunde vou Drvar Bronzefibel von seltener italischer
Form nebst Brillenspiralen und Spiralfibel. Unter andern Stücken enthielt
der Wall Gradina Radmanici auch eine Gussform aus Sandstein für
Bronzeschmuck. Prof. Dr. Walter- Stettin.
303. K. Moser-Triest: Einst bewohnte Felshöhlen des Karstes
im österreichischen Litorale. Globus. 1896. Bd. LXIX,
Nr. 19, mit Abbildungen.
Höhlen sind in den Dohnen des Karstes sehr häufig und von alters
her bewohnt gewesen, die bequemen Zugänge an den Steilwänden meistens
nach innen durch einfache Mauern gesichert, bei einer Länge bis zu 200 m
nach hinten im Niveau steigend oder fallend. In 13 Höhlen, namentlich
B. Referate. 3. Urgeschichte. 331
bei Nabresina, fanden sich meistens vier Aschenschichten übereinander,
von denen die mit neolithischen Kulturresten am bedeutendsten sind. Sie
enthalten neben Küchenabfällen von Konchylien, Fischen, Haustieren und
wilden Tieren zahlreiche Knochenartefakte für Jagd- und Hausgebrauch,
aber auch Schmuckstücke mit eingravierten Figuren (Mensch, Eber, Schild-
kröte); nicht minder oft sind Steine verarbeitet, darunter solche Varie-
täten, die nur durch Handel oder mühsames Suchen erlangt werden
konnten und dann Pfeilspitzen, Messer, Schaber, Sägen und allerlei Beile
ergaben. Die Keramik war den Scherben nach mannigfaltiger Formen
und Ornamente fähig. Von Metall ist nur einmal Kupfer in Stift und
Nadel, und Bronze in einer Bogenfibel vertreten, die römische Zeit hin-
gegen reichlicher. Diese und zahlreiche andere Höhlen verdienen noch
weitere Untersuchung, besonders hinsichtlich der Frage, ob sie auch wie
anderswo als Begräbnisstätten gedient haben» Prof. Dr. Walter-Stettin.
S. Italien.
304. 0. A. Colini: Martelli o mazzuoli litici con foro rin-
venuti in Italia. Bullet, di Paletnol. Ital. 1896, Bd. XXII,
Nr. 1—3, S. 1—18; Nr. 4-6, S. 73—93; Nr. 10 bis 12,
S. 257—276. Mit 2 Tafeln Abbildungen.
Verf. bespricht die in Italien aufgefundenen Steinhämmer und Schlägel
mit Durchbohrung. Unter Bezugnahme auf seine erste Arbeit, in welcher
der Hammertypus mit Verkehlung oberhalb des Loches festgestellt wird,
bringt Verf. die Stücke von Montesecca und von Sgurgola zur Anschauung.
— Die Zahl der in den italienischen Museen aufbewahrten Exemplare giebt
Verf. auf 151 an. Ihr Material besteht z. T. aus Serpentin Cufodite (?),
Sandstein, versteinerungsführendem und sandigem Kalk, hellgrünen Ge-
steinen, Granit, Porphyrit und Basalt. Die hier erwähnten Hämmer weisen
beinahe sämtlich einen einfachen Typus auf; nur ein Exemplar, sowie
einige Fragmente von Castione dei Marchesi zeigen einen cylindrischen
Kopf oder einen konischen Stamm, eine Form, die in Italien selten be-
obachtet worden ist, ausserhalb Italiens hingegen eine grosse geographische
Verbreitung besitzt. Die Fundorte sind auf die Provinzen Cremona, Ancona,
Tivoli, Chieti, Iscra, Piacenza, Bologna, Modena und Sassari verteilt. In
der Fortsetzung (Nr. 4 — 6) erwähnt Verf., dass in Italien bisher noch keine
Schlägel mit senkrecht zur Axe stehender Schneide gefunden wurden wie
in anderen Ländern: noch weniger kennt man Beile mit doppelter Schneide.
Zwei Beile mit halbmondförmiger Schneide von Nizza marittima und Tivoli
sind seiner Ansicht nach nicht italienischen Ursprungs. An der Hand einer
reichen Litteratur bespricht Verf. die Art ihrer Fabrikation und deren
Lochung, die mittels Bohrer aus Hörn, Holz, Rohr oder Bein geschah.
Weiter (Nr, 10 — 12) hebt Verf. mit Rücksichtnahme auf die in der
Provinz Ancona vorfmdlichen Hämmer aus sandigem Kalkstein und Sand-
332 B. Referate. 3. Urgeschichte.
stein, deren Material heimischer Provenienz ist, hervor, dass die gelochten
Hämmer in Italien selbst verfertigt sein müssen. Im allgemeinen aber
wurden Porphyr und Diorit wegen ihrer Farbe, Härte und der leichten
Bearbeitung mittelst Kieselsand vorgezogen; wenn sie nicht vorhanden waren,
dürften sie von aussen eingeführt worden sein.
An Hammer-Fragmenten aus Porphyr, die in der Höhe der Lochung
abgebrochen waren, dann noch einmal gelocht wurden und in Gebrauch
kamen, weist Verf. die Kostbarkeit des Materials und seinen Import nach.
Unter Anführung einiger Beispiele, werden ähnliche Funde der Schweiz,
Deutschlands, Böhmens, Skandinaviens und Russlands in Parallele gestellt,
wo man Hammerbruchstücke als Beile, Stössel und Glätter gebrauchte, wie
in Lengyel in Ungarn. Verf. tritt auch der Ansicht Muchs entgegen, dass
diese Bruchstücke etwa nicht aus Verehrung oder ihres heiligen Charakters
wegen, noch auch der Seltenheit des Gegenstandes wegen gebraucht
wurden, und meint, dass man nur das vorhandene Material ausnutzte, für
welche Ansicht er einige Beispiele anführt, indem er auf die starken Kon-
tusionen und Abschabungen am Kopfe und auf der Schneide aufmerksam
macht. Nach ihm sind die gelochten Hämmer Italiens, sowie die auswärtigen
vorzugsweise Waffen, bisweilen auch Verteidigungswaffen, obschon fast alle
Gelehrten jene Formen für Arbeitswerkzeuge halten, bei denen die Schneide
senkrecht zur Achse des Loches gerichtet ist. Verf. stützt die Ansicht
Woldrichs, wonach die dreieckigen Hämmer Böhmens von grossen Dimen-
sionen nicht als Arbeitswerkzeuge gebraucht worden sein sollen, durch
den Gebrauch ähnlicher grosser Hämmer bei den Eingeborenen Neu-
britanniens als Streitkeule. Trotzdem erscheint dem Verf. die Vermutung
annehmbarer, dass die Hämmer von grossen Dimensionen für den häus-
lichen Gebrauch, zum Holzspalten, bestimmt waren. Die von ihm studierten
Hämmer stammen zunächst aus der Provinz Emilia (51) und den Marken
(29), Umbrien (20) und der Lombardei (10 Exemplare); bevorzugt ist also
der östliche Teil des Landes. Bemerkenswert ist ferner das Fehlen von
Manufaktur dieser Art in Ligurien. Seiner illustrierten Serie (12) gehören
die Funde von Montata del Orto, der Terramare von Castione, den Pfahl-
bauten von Padua, der Grotte del Farneto von Bologna und hauptsächlich
der Provinz von Teramo (7) an. Mit Bezug auf die grosse geographische
Verbreitung in Europa, und mit Bezug auf Form und Verzierung, Technik
der Bearbeitung meint Verf., dass sie direkt oder indirekt von Urtypen
herrühren, und aus Pfahlbauten und benachbarten Stationen herstammen
mögen, von wo aus die bedeutungsvolle Kulturströmung ausgegangen sei.
Der Gebrauch des Steinhammers in Italien wurde am Schlüsse der neo-
lithischen Zeit eingeführt, sehr wahrscheinlich von den lombardischen Pfahl-
baubewohnern, die vermutlich zur Gruppe jener schweizerischen und öster-
reichischen Pfahlbauten gehören, in denen der Hammer sehr verbreitet ist
und wo beinahe alle italienischen Arten vertreten sind.
B. Referate. 3. Urgeschichte. 333
Der Gebrauch des Steinhammers setzte sich dann während der Bronze-
zeit bei den Familien der östlichen Pfahlbauten und der Terramaren fort.
Verf. verweist besonders auf die eneolithischen oder cuprolithischen Gräber,
auf die mit Monte de Cartellazzo und Imola ähnlichen oder gleich-
alterigen Stationen und auch auf die Gebiete der Hütten und Höhlen, die
in der Phase des neolithischen Zeitalters, der Bronzezeit und auch später
bewohnt wurden. Verf. erklärt das Fehlen des Steinhammers in Ligurien
durch den Mangel jedes Zusammenhanges der ligurischen Höhlenkultur
mit den Seeansiedelungen und Terramaren.
Er sieht seine diesbezüglichen Studien, die jenseits der Alpen gemacht
wurden, bekräftigt durch die Beobachtungen in Belgien, in der Schweiz,
Ungarn und Österreich. — Nach Betrachtungen über die Einteilung der
Steinzeit kommt Verf. zum Schlüsse zu der Ansicht, dass der Gebrauch
des gelochten Steinhammers in Italien wahrscheinlich zum ersten Male mit
der Kultur der subalpinen See- und Sumpfwohnungen aufkam.
Prof. Dr. L. Karl Moser-Triest.
305. G. A. Colini: Seghe e coltelli-seghe italiani di pietra.
Bullett. di Paletnologia Italiana 1896. Bd. XXII, Nr. 7—9, S. 206
bis 232, mit Taf. V und VI, sowie 7 Fig. im Texte.
Im vorliegenden Aufsatze bespricht Verf. die italienischen Sägen und
Messer-Sägen aus Stein. Nach ihm wurden die Steinsägen in Westeuropa
vielfach gebraucht und zeigen nach Ort und Zeit auch verschiedene Formen.
Auch seien, meint Verf., die Paletnologen über den Charakter dieser Stein-
werkzeuge nicht einig, die man in die Klasse der Steinsägen zusammen-
fasst. Verf. hebt hervor, dass man diese Instrumente in Italien zusammen
mit polierten Beilen vorfindet. — Das italienische Material gliedert er in
2 Gruppen, die dem Chelleen und Mousterien der Franzosen entsprechen,
und auch zwei ethnisch verschiedenen Völkern angehören. Das sog. Schabe-
werkzeug stelle eine Säge und eine Messer-Säge der Gruppe Mousterien
vor. Es ist aus einem Kieselsplitter mit glatter und fazettierter Fläche
hergestellt und zum Schneiden und Sägen geeignet. Die der Schneide
entgegengesetzte Seite war so, dass man sie mit der Hand leicht fassen
konnte. Ihre vielseitige Verwertung können uns die Tasmanier zeigen,
die solche Instrumente jetzt noch besitzen. Die Messer-Sägen, dünne und
relativ lange Werkzeuge aus den verschiedensten Teilen Italiens, reichen
nach Chierici bis zur ersten Steinzeitperiode hinan. Er verweist ferner
auf die Messer-Sägen aus dem Valle della Vibrata, die von Rosa Schab-
messer genannt wurden, und die z. T. dem Mousterien angehören. De
Mortillet erwähnt Sägen dieser Art aus Palästina und Frankreich, wovon
einige zwei Einschnitte zum Befestigen einer Handhabe besitzen; die ovale
Form der italienischen Werkzeuge lässt deren Benützung zum Schneiden
erkennen, und nicht, wie de Mortillet meint, zum Sägen. — Verf. führt
334 R- Referate. 3. Urgeschichte.
viele Paletnologen an, die wahre Steinsägen aufgefunden haben; aber er
bezweifelt, ob die Zähne derselben absichtlich gemacht wurden oder durch
den Gebrauch entstanden sind. An diese Gruppe schliesst Verf. eine andere
aus den subalpinen See- und Sumpfbauten: mit robuster Klinge. Gastaldi
war der erste, der den rechtswinkelig gezähnten Werkzeugen den Namen
Säge gab. Chierici, diese Nomenklatur verbreitend, unterschied diese
Gegenstände in zwei Typen, in die rechtswinkligen und sichelförmigen oder
gebogenen. Verf. rechnet diese Manufacte zu einer Klasse. Die Flint-
artefakte aus den Pfahlbauten des Garda-Sees teilt er in 3 Haupttypen: in
solche von runder Form mit konvexer Schneide, dann in rechtwinkelige
mit abgerundeten Ecken und schliesslich in halbmondförmige und spitz
zulaufende. Nach Chierici und Orsi erscheinen diese Sägen in Italien in
den offenen Stationen in der II. Periode der Steinzeit (in subalpinen Pfahl-
bauten, Terramaren, Gräbern und Höhlen derselben Gegend). An vier
Stücken aus der Torbiera di Polada und von den Pfahlbauten der Insel
Virginia (Varese) kann man ersehen, dass sie an Holzgriffen befestigt
waren. Nur ein einziger von diesen Holzgriffen ist beschrieben. Die anderen
vier zeigen 2 Systeme von Fassung, die in der Schweiz sehr gewöhnlich
sind. Nach Evans seien sie als Messer gebraucht worden (mit Hinweis
auf die Messer der Eskimos, mit denen sie eine grosse Ähnlichkeit zeigen).
Verf. meint, dass die Mehrzahl derselben nicht als Messer, sondern als
Sägen gedient haben. — Hierauf bespricht der Verf. noch den Fund ähn-
licher Werkzeuge von Flinders Petrie in Ägypten und erläutert die Ansicht
Munros, nach welcher sich zwei bestimmte archäologische Ringe während
des neolithischen und Bronze-Zeitalters, von Ägypten ausgehend, über das
westliche Europa und um das Mittelmeer herum gebildet hätten; er
meint, dass die Schlussfolgerungen Munros auch auf Italien angewendet
werden müssen. Prof. Dr. L. K. Moser-Triest.
306. Quintino Quagliati: Appunti suUe scoperte paletnologiche
di Domenico Ridola nel Materano. Bulett. di Paletnol. Italian.
1896. Band XXII, S. 282.
In diesen seinen Bemerkungen zu den paletnologischen Entdeckungen
des Domenico Ridola schickt Verf. zunächst die von Pigorini in der Basili-
cata längst geahnte neolithische Kultur der Hüttenperiode und der Höhlen
mit ihren eigentümlichen Geräten, den Funden Domenico Ridolas voran (die
letzterer im Territorium von Materano sammelte), die in einer sehr grossen
Menge von Steingegenständen und Gefässbruchstücken bestehen, entschiedenen
Beweisen der dortigen neolithischen Kultur. Bezeichnend sind die Gefäss-
bruchstücke, dekoriert mit Schnureindrücken und Ausfüllung einer weissen
Substanz aus der Fledermausgrotte (Grotta dei pipistrelli). Der Verf. er-
blickt in diesen Funden einen Kontakt zwischen den Ibero - Ligurern von
Stentinello und den Höhlenbewohnern der italienischen Halbinsel und ver-
gleicht die bemalten Gefässbruchstücke mit den Dolmen-Funden, denen si
B, Referate. 3. Urgeschichte. 335
sich nähern. Bemerkenswert ist auch das gleichzeitige Vorkommen von
Beinspitzen und Spateln, sowie die geringe Zahl von roh geformten und
wenig polierten, heimischem Gesteinsmaterial angehörigen Äxten, sowie von
zwei kleinen Pfeilen. Verf. erwähnt der zahlreichen Grotten der Murgie von
Materano, als Zufluchtsstätten der in der Kultur vorgeschrittenen Menschen,
sowie der bedeutenden Stationen der Hüttenperiode, wo die Bewohner die
Hütte oberhalb eines in der Erde ausgegrabenen Loches bauten, reich an
Geräten und gelöcherten Hammer-Äxten. Verf. erwähnt ferner der Gräber-
funde Ridolas von Murgia Timone von Skeletten mit Bronzegegenständen.
Nach der Dachform der Gräber zu urteilen, dürften sie Gräber von sicilia-
nischem Typus sein; der Überlieferung nach haben Siculi in der Basilicata
gelebt. Drei Gegenstände aus den Funden Ridolas sind besonders be-
merkenswert: ein grosser Dolch mit dreieckiger Klinge, ein kleiner Dolch
und eine Axt, gefunden in einem rechtwinkeligem Grabe; sie bestätigen
die Meinung Pigorinis über das hohe Alter der Bronze.
Prof. Dr. L. Karl Moser-Triest.
307. Pigorini: Ossuari del periodo di Villanova rappresentanti
la figura uinana 0 la casa. Bullet, di Paletnol. Ital. Band
XXII, Nr. 7-9, pag. 233—236.
Verf. bespricht Ossuarien der Periode von Villanova, welche die mensch-
liche Figur oder das Haus vorstellen, dem Museum des Dogenpalastes von
Venedig gehörig, von unbekannter Herkunft, mit denen sich bereits Undset
und Mariani beschäftigten. Letzterer wiederholt die Beobachtung, dass das
Ossuarium zwei Begriffe in sich vereinige, nämlich den Verstorbenen und
sein Haus vorzustellen. Für ihn sind dieselben geradezu entgegengesetzt und
müssen verschiedenen Ursprung haben; doch ohne Begründung seiner
Ansicht. Verf. hält es nicht für annehmbar, dass sie einen verschiedenen
Sinn hätten, weil es sich um einen einzigen Leichenritus, nämlich um den
der Verbrennung, und um eine einzige Kultur, die von Villanova handle.
Zu seiner Bekräftigung führt er die albanischen Grabhügel an, in denen
nicht nur hüttenähnliche Ossuarien, sondern auch in verkleinertem Maass-
stabe die Figur des Verstorbenen aus Thon und seine Waffen aus Bronze
hineingestellt wurden, sowie die Grabstätten gleich einer Stadt gebaut waren.
Mariani wolle auch jetzt den Satz aufstellen, dass es an archäologischem
Material nicht fehle, was die Ankunft der Pelasger an den Gestaden Italiens
anzeige. Dies zugegeben, meint Verf., müsse Mariani die Paletnologen von
dem Vorhandensein der Begräbnisgebräuche, den industriellen Produkten
und den Monumenten überzeugen, welche man ohne Zweifel einer fremden
Einwanderung zuschreiben müsste. Die hüttenähnlichen Urnen wären nach
Mariani ein Anzeichen dafür, da man solche auch im Orient gefunden habe.
Hingegen Verf. meint, dass man Ossuarien mit dem Bilde des Verstorbenen
in Italien, besonders im Lande der Südetrusker antrifft, und dass ihre
336 B- Referate. 3. Urgeschichte.
Gräber jener Kultur nicht angehören, die wir als Etruskische benennen,
sondern einer späteren, als der von Villanova, in welche Hausurnen
hinaufreichen. Prof. Dr. K. Moser-Triest.
2. Asien.
308. A. Götze. Die trojanischen Silberbarren der Schlie-
niann-Sanimlung; ein Beitrag zur Urgeschichte des Geldes.
Globus. 1897. Bd. LXXI, Nr. 14. Mit 4 Figuren.
Schlicmann glaubte in seiner zweituntersten Schicht von Hissarlik
auch Beispiele des homerischen Talents gefunden zu haben, indem er
6 längliche Silberplatten hierher so deutete; da nun aber später die sechst-
unterste Stadt erst als zur mykenischen Kultur gehörig erkannt wurde,
so muss die zweite viel älter sein, und die in ihr gefundenen Silberbarren
können nicht mit Homer in Verbindung gebracht werden. Richtig hat er
sie aber schon als Geld gedeutet, während noch Schuchardt sie als Gürtel-
gehänge ansehen möchte. Man kannte nach den Urzeiten des Tausch-
handels wohl metallische Zahlungsmittel wie eingekerbte Barren oder
Kupferdrähte, aber diese zungenförmigen Platten sind als Geld noch nicht
durch ähnliche Formen nachgewiesen. Nimmt man jedoch in denjenigen
unserer Depotfunde, die Händlern gehört haben werden, gewisse Ringe als
Tauschmittel an, so kann man auch den Flachkelt als Zahlungsmittel an-
sehen, zumal er mitunter zu Hunderten oder in sonst nicht verwendbarem
Gold vorkommt. Ebenso tritt uns hier zum Gebrauch untaugliches Silber
entgegen, das seine Form den Kupfer- oder Bronzekelten entlehnte, die
schon lange als Tauschmittel dienten; wo die Umwandlung vor sich ge-
gangen, etwa im westlichen Asien, bleibt noch aufzuhellen. Die genauere
Betrachtung dieser 6 Silberbarren, die paarweise zusammenpassen und
zwischen 21 und 17 cm lang sind und zwischen 189 und 172 g wiegen,
wies auch einem ganz ähnHchen Eisenstück von 21 cm Länge den rich-
tigen Platz an; es stammt ebenfalls aus der zweiten Stadt und beweist,
dass es dort zwar schon Eisen gab, aber noch nicht zum V\^affengebrauch,
sondern als Luxusgegenstand und Wertstück. So entstand aus einem
als Tauschmittel verwendeten Gebrauchsgegenstande unter Änderung des
Metalls ein reines Zahlungsmittel. Frof. Dr. Walter-Stettin.
309. W. Belck und C. F. Lehmann: Chaldische Forschungen.
Verh. d. Berl. anthrop. Gesellsch. 1896. XXVIII, S. 309—327
(Fortsetzung).
4. Eine Kanal-Inschrift Argistis I. Von W. Belck. Eine am rechten
Ufer des Araxes gefundene Steininschrift in Keilschrift bezieht sich auf
die Erbauung eines Kanals durch Argistis I. (um 770 v. Chr.). Dieser
18 — 20 km lange Kanal versorgte die Stadt Armavir mit Wasser.
5. Eine chaldische Backstein-Inschrift. Von W. Belck. Ein bei Ar-
mavir gefundener fragmentierter Backstein trägt eine Inschrift mit z. T.
B. Referate. 3. Urgeschichte. 337
nicht lesbaren Zeichen. Nur so viel ist daraus ersichtlich, dass die In-
schrift auf Veranlassung eines Königs Argistis bezw. des Sohnes eines
Königs Argistis hergestellt wurde. Hierbei kommt Argistis I. oder IL,
möglicherweise aber auch ein König frühestens aus dem Ende des 7. Jahr-
hunderts in Betracht. Gelegentlich der Erwägung dieser letzteren Möglich-
keit schliesst Belck eine Untersuchung über den Gang der Eroberung des
Reiches Chaldia durch die früher in Cappadocien ansässigen Armenier an.
6. Tiglatpileser III. gegen Sardur von Urartu. Von C. F. Lehmann. In
einer Polemik gegen Rost (Keilschrifttexte Tiglatpilesers III.) beleuchtet
Lehmann die Kämpfe zwischen Tiglatpileser III. und Sardur III. in der Zeit von
745 — 735 und kommt dabei zu dem Resultat, dass es sich hierbei um einen
zwischen Asur und Chaldis geführten Kampf um die Weltherrschaft handelte,
welcher mit dem Siege des ersteren endigte. Dr. A. Götze-Berlin.
310. C. F. Lehmann: Metrologische Nova. Verhandl. d. Berl.
anthrop. Ges. 1896. Bd. XXVIII, S. 438-458.
I. Im Anschluss und in Übereinstimmung mit Reisner (Altbabylonische
Maasse und Gewichte) wird als Thatsache bezeichnet, dass das Sexagesimal-
System im Aufbau aller Maass-Kategorien bereits um die Mitte des 3. vor-
christlichen Jahrtausends durchgeführt war. Bezüglich der Hohlmaasse
spricht Lehmann mit Bestimmtheit aus, dass bereits in dieser Zeit eine
königliche Norm neben der gemeinen bestanden habe, im Gegensatz zu
Reisner, der die Frage bis auf weitere Beweise unentschieden lassen will,
IL Die folgende Erörterung betrifft die Frage nach der Art des Aus-
gleichs für die Differenz zwischen dem tropischen Jahr von 365 y^ Tag
und dem Jahre von 360 Tagen, welches dem ganzen Sexagesimal-System
zu Grunde liegt. Dieser Ausgleich wurde im Altertume in verschiedener
Weise bewerkstelligt. Für Babylonien kommt Lehmann durch verschiedene
Indizien zu dem Schlüsse, dass man jährlich 5 Tage einschob; das Rund-
jahr von 360 Tagen ist ebenfalls bereits für die Mitte des 3. Jahrtausends
a. C. bezeugt.
III. Die Gleichung: 40 periodische Mondmonate zu 27 Tagen =
3 sexagesimalen Rundjahren zu 360 Tagen ist die erste Stufe, wo auf
beiden Seiten keine Brüche vorkommen; sie war maassgebend für die ge-
nauere Fixierung des Wertverhältnisses von Gold zu Silber = 40 : 3. Im
Anschlus hieran wird eine rhodische Inschrift astronomischen Inhalts be-
sprochen, aus welcher die Teilung des Grades in 27 Teile folge, eine Deutung,
welche orientalische Einflüsse auf die hellenistische Kultur voraussetze.
IV. Der auf der Statue des Gudea (ca. Anfang des 3. Jahrtausends
a. C.) angebrachte Maassstab muss als Grundlage für alle auf das altbaby-
lonische Längenmaass bezüglichen Untersuchungen gelten. Er weist 16
Einheiten von insgesamt 265,6 mm Länge auf und steht in Beziehung zum
Sexagesimal-System. Es wird ein System der Längenmaasse entwickelt, bei
Centralblatt für Anthropologie. 1897. 22
338 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
welchem Einheiten erster und zweiter Klasse sich ähnlich verhalten wie
bei den Gewichten das System der schweren und leichten Mine.
Dr. A. Götze-Berlin.
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
Die XXVIII. aUgemeine Versammlung der Deutschen Anthro-
pologischen Gesellschaft in Lübeck yom 3*— 6. August 1897.
Von Georg Buschan.
Der XXVIII. Deutsche Anthropologen-Kongress wurde am Dienstag,
den 3. August in dem Saale der gemeinnützigen Gesellschaft zu Lübeck
von dem stellvertretenden Vorsitzenden Professor Dr. Virchow mit einer
Rede über die Beziehungen Lübecks zur prähistorischen Zeit
und im besonderen über die Ausbreitung der Slawen in Nord-
deutschland eröffnet. Nachdem Redner die Ziele der deutschen anthro-
pologischen Gesellschaft und den Begriff Prähistorie auseinandergesetzt
hatte, kam er auf die Frage zu sprechen, bis wie weit und wie lange die
Slawen in deutschen Landen ansässig gewesen sein mögen. Aus Skelett-
resten der Vorzeit die Ausbreitung des Slawentums klarzulegen, ist bisher
nicht gelungen: man ist nicht imstande, von einem Schädel zu sagen, dass
er ein germanischer oder ein slawischer wäre. Es giebt nämlich keinen
spezifisch slawischen Schädeltypus. Einen weit besseren Anhalt für die uns
interessierende Frage bieten die Topfscherbenfunde. Slawische Topf-
scherben hat man allenthalben zwischen Elbe und Weichsel aufgefunden.
Es steht somit fest, dass in diesen Gebieten einst slavische Stämme an-
sässig gewesen sind. Eine andere Frage ist die, ob die damalige Be-
völkerung rein slawisch oder ob sie mit germanischen Elementen durch-
setzt gewesen ist. Redner vertritt gegenüber der Ansicht verschiedener
Historiker den Standpunkt, dass die zweite Annahme die wahrscheinlichere
sei, aus dem Grunde, weil die germanischen Stämme, die vordem in diesen
Landen sassen, plötzlich aus der Geschichte spurlos verschwinden. Redner
verbreitete sich sodann über die Handelsbeziehungen zu den Ostsee-
ländern aus jener Zeit, im besondern vom 9. bis ungefähr 12. Jahrhundert.
Er betont, dass sicherlich schon damals, als der Häring noch die Ostsee
aufsuchte, Häringshandel betrieben worden ist: Rügen und Bornholm waren
die Hauptstätten des Häringsfanges, und Lübeck scheint der Vorort dieses
Handels gewesen zu sein, dem es seine spätere Bedeutung als Seehafen
und Oberhaupt der Hansa verdankt.
Nachdem die üblichen Begrüssungsreden im Namen des Senats und
der Stadt (Bürgermeister Dr. Brehmer), des Vereins für Lübeckische Ge-
schichte und Altertumskunde (Dr. Hoffmann), des ärztlichen Vereins
(Dr. Eschenburg), des Naturwissenschaftlichen Vereins (Dr. Lenz) und des
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 339
Ortsausschusses (Senator Dr. Eschenburg) gehalten worden waren und der
Generalsekretär, sowie der Schatzmeister ihre Jahresberichte verlesen
hatten, sprach
Dr. Freund - Lübeck: Über die Vorgeschichte Lübecks.
Unter Bezugnahme auf die im Lübecker Museum befmdhchen und vom
Redner in der Festschrift besprochenen Fundstücke hob derselbe hervor,
dass Beweisstücke für ein paläolithisches Zeitalter fast gänzlich in der
Sammlung fehlen ; nur wenige Stücke vom Stuper Huk schliessen sich den
bekannten holsteinischen Funden an. Dagegen dürfte die grosse Anzahl
der Stücke aus der jüngeren Steinzeit beweisen, dass diese sich im Lübecki-
schen Gebiet über einen langen Zeitraum erstreckt haben mag. Die Ober-
fläche des Landes muss damals weit mehr vom Wasser bedeckt gewesen
sein, als heutigen Tages; denn die Hügelgräber und auch noch die Kegel-
gräber der späteren Bronzezeit finden sich nur auf Anhöhen. Erst die
Urnenfriedhöfe finden sich an niederen Stellen in der Nähe des Wassers.
— Nachdem Redner sodann die geologischen Verhältnisse der Trave-
niederung aus vorgeschichtlicher Zeit beleuchtet hatte, giebt er eine de-
taillierte Schilderung der interessantesten Fundstücke des Museums und
eine Darstellung der sich aus diesen ergebenden Konsequenzen.
Der ältesten Periode der nordischen Bronzezeit gehören nur wenige
Funde an; namentlich fehlen die älteren Formen des Keltes. Was die
Sammlung davon hat, stammt aus der holsteinischen Nachbarschaft und
aus Fehmarn. Auch die Ornamentik der übrigen nordischen Bronzen
scheint mehr auf den Ausgang der nordischen Bronzezeit hinzuweisen, so
dass man zu der Annahme kommen kann, dass im Lübecker Gebiet die
Bronzekultur erst in dem jüngeren Abschnitt des nordischen Bronzealters
die allgemein herrschende wurde.
Für die Bronzefunde dieses Gebietes sind deutlich drei Reviere zu
unterscheiden, das von Albsfelde und Behlendorf, das Ritzerauer und das
Waldhusener. Das erste ist wohl das älteste; es hat fast ausschliesslich
Bronzen aus der nordischen Bronzezeit ergeben; daher stammt auch der
einzige Schaftkelt des Lübeckischen Gebietes. Das Ritzerauer reicht, wie
einige Eisenfunde zeigen, mindestens bis in den Anfang der La Tene-Zeit.
Das Waldhusener endlich umfasst eine lange Zeitspanne, vom Ende der
älteren Periode des nordischen Bronzealters durch die Hallstattperiode
wahrscheinlich noch bis in den Anfang der römischen Provinzialzeit, also
fast ein Jahrtausend.
Im besonderen sei noch angeführt, dass der nordischen Bronzezeit
der Bechelsdorfer Fund mit seiner merkwürdigen Tasche und die grossen
Bronzefibeln aus dem Lauenburgischen angehören, der Hallstattperiode die
bekannte Ciste von Pansdorf und ein schönes Schwert von Siems mit
doppelt sichelförmigem Ortband, an dessen Wehrgehenk - Beschlägen sich
übrigens jetzt eine Eisenspur herausgestellt hat, ferner der wegen der
22*
340 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
Hängegefässe bemerkenswertlie Moorfund von Mönckhof. Die Fundliste
zeigt für die ersten Jahrhunderte unserer christlichen Zeitrechnung eine
auffallende Lücke. Abgesehen von dem grossen Sammelfunde vom Poe-
trauer Urnenfriedhofe, der ja dem engeren Gebiete gar nicht zuzurechnen
ist, sind nur wenige Urnenfriedhöfe der La Tene-Zeit aufgedeckt und be-
kannt, nämlich nur der ältere von Neu-Ruppersdorf, der von Moisling und
der kleine Fund von Schattin. Selbst unter Berücksichtigung des Um-
standes, dass diese Urnenfriedhöfe, weil sie Flachgräber enthielten, der
Zerstörung durch den Pflug des Landmannes leichter verfielen, als die
Hünen- und Kegelgräber, die gewiss auch durch den Aberglauben geschützt
wurden, kommt man zu der Annahme, dass die Bevölkerung in der La
Tene-Periode an Zahl und Wohlstand abgenommen hatte, wie es ja für
die Zeit der Völkerwanderung begreiflich ist.
Um die Mitte des ersten Jahrtausend nahmen dann die Slawen von
den Lübeckischen Gebieten Besitz; ihre Herrschaft währte bis zum Jahre 1139.
Das räumlich nächste Zeugnis der slawischen Kultur ist der Burgwall von
Alt-Lübeck. Auf die slawische Kultur ist sodann eine mehr als 750jährige
Periode germanischer Kraftentfaltung gefolgt; nur die Namen der Gewässer
und Waldreviere, der Dörfer und der Stadt selbst zeugen noch von der
einstigen Anwesenheit der Slawen.
Dr. Splieth-Kiel sprach sodann über das Dann ewerk, eine alte Ver-
teidigungslinie der Dänen gegen das Sachsenvolk. Redner setzte die Ent-
stehung dieses bedeutenden Werkes, sowie seine Bedeutung in wirtschaft-
licher und militärischer Beziehung auseinander.
Die zweite Hauptversammlung am folgenden Morgen brachte zunächst
einen Vortrag von Dr. Kohl- Worms über die Ausgrabungen römi-
scher Grabfelder bei Worms. An der Hand eines Planes von Worms
erläuterte Redner die Lage der Gräber und der von ihm aufgefundenen und
ausgemessenen Römerstrassen. Keine Stadt dürfte deren wohl mehr als
gerade Worms (mehr als 30) aufweisen. Die Anzahl der seit Juli vorigen
Jahres aufgedeckten Gräber beträgt 518; davon fallen 175 auf ein vom
Redner neu aufgefundenes Grabfeld. Es lassen sich Brand- und Skelett-
gräber unterscheiden. Die ersteren sind die älteren und haben Beziehung
zur La Tene-Zeit (1. bis 2. Jahrh. v. Chr.); die Skelettgräber gehören
der spätrömischen Zeit (3. bis 4. Jahrh. n. Chr.) an. Zu dieser Zeit
wurde keine Verbrennung mehr geübt, sondern die Leichen wurden in
einen Holz-, Blei- oder am häufigsten in einen Steinsarkophag aus Pfälzer
Sandstein gelegt und in diesem der Erde beigesetzt. Ausserdem pflegte
man die Toten ganz, den Schädel ausgenommen, in Gips einzuhüllen,
wahrscheinlich behufs besserer Konservierung. Die Beigaben der Gräber
sind mitunter wertvoll, was Veranlassung gegeben hat, dass sie bereits
früher zumeist geplündert worden sind. Vor allem sind hiervon zu nennen
feine Gläser und Glasfiguren, auch Sigillata-Gefässe, Gesichtskrüge aus
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 341
Thon (einheimische Industrie), Münzen, Fibeln etc. Bemerkenswert erscheinen
ferner noch zwei hölzerne Stöcke mit Griff und Zwinge aus Bronze,
wahrscheinlich Spazierstöcke, sowie zwei bemalte Eier aus einem Kindergrabe.
Reichsantiquar Dr. Hildebrand-Stockholm referierte sodann
über seine Ausgrabungen auf der Insel Öland. Nach einer ein-
gehenden Schilderung der Bodenverhältnisse der Insel beschrieb der Redner
die zahlreichen Grabfunde der Steinzeit, die seltener vorkommenden aus
der Bronzezeit und die aus der Wikinger-Zeit.
Weiter folgte ein Vortrag von Dr. Kröhnke-Kiel über chemische
Veränderungen an vorgeschichtlichen Bronzen.. Unter den vor-
geschichtlichen Bronzen findet sich eine grosse Anzahl, die durch das
Fehlen des metallischen Aussehens und durch die Anwesenheit einer
weissen, grauen oder gelblichgrauen Oberfläche sich von den meisten
anderen Bronzen unterscheiden. Diese aus sogenanntem Weissmetall be-
stehenden Bronzen zeigen einerseits eine grössere Beimengung anderer
Metalle, die in den gewöhnlichen Bronzen entweder gar nicht oder in nur
geringer Menge vorhanden sind, andererseits zeichnen sie sich durch einen
aussergewöhnlichen Zinngehalt aus. Redner zeigt an Beispielen, dass
dieser hohe Zinngehalt durch einen stattgehabten Kupferverlust hervor-
gerufen worden ist, wobei das Zinn in Zinnsäure verwandelt wurde. Er
geht dann näher auf die Ursachen dieses Kupferverlustes ein und kommt
zu dem Schluss, dass das bei der Verwesung entstehende Ammoniak das
Kupfer aufgelöst und das Zinn zu Zinnsäure umgewandelt habe, wobei die
Bronze ihre äussere Form nicht einzubüssen braucht.
Als nächster Redner folgte sodann Prof. Dr. Montelius-Stock-
holm mit einem Vortrage über die Hausurnen und die Gesichts-
urnen. Redner geht von der Thatsache aus, dass die Hausurnen mehr
westlich der Elbe, die Gesichtsurnen dagegen mehr östlich derselben ge-
funden werden, und, da die ersteren den älteren Typus vorstellen und
die italienischen Hausurnen die Vorbilder der nordischen gewesen sind, so
macht er hieraus einen Rückschluss auf die Ausbreitung des nordischen
Bernsteinhandels in der Vorzeit. Zunächst, so nimmt er an, haben sich
die Handelsbeziehungen zwischen Norden und Süden nur über das west-
liche Deutschland bis zur Elbe hin und dann weiter über Jütland hin er-
streckt, daher kamen die aus Italien gegen Bernstein umgetauschten Haus-
urnen nur etwa bis zur Elbe zur Verbreitung; in der späteren Zeit nahm
der Handel aber eine mehr östliche Richtung an und daher kommt es,
dass die Gesichtsurnen, das jüngere Erzeugnis, mehr östlich der Elbe ge-
funden werden. — Im Anschluss an diesen Vortrag entspann sich eine
kurze Diskussion über den ältesten Bernsteinhandel, in der Geheimrat
Dr. Virchow hervorhob, dass auch bereits im Osten sehr alte Handels-
beziehungen bestanden haben müssen, die jedenfalls schon bis in die Stein-
zeit, wie die Gräberfunde beweisen, zurückreichen.
342 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
Geheimrat Grempler legte sodann einen neuen Bronzefund
aus Namslau unter kurzer Schilderung der interessantesten Stücke des-
selben vor (bereits oben unter Referat Nr. 284 berichtet) und Geheimrat
Prof. Waldeyer führte einen von Herrn Poll erfundenen Apparat
zur Bestimmung der Schädelkapazität (bereits oben unter Nr. 248
beschrieben) vor; gleichzeitig richtete derselbe an die Gesellschaft die Bitte,
ihn bei seiner Untersuchung über die mikroskopischen Unterschiede des
männlichen und weiblichen foetalen Hirns durch Zusendung von Material
unterstützen zu v^ollen.
Dr. Karl Ranke jun. berichtete sodann über seine Unter-
suchungen, die er gelegentlich seiner jüngst mit Dr Meyer nach Brasilien
unternommenen Reise über die Sehschärfe der Indianer (Bakairi,
sogenannten zahmen und Trumai, sogenannten v^ilden Indianer) angestellt
hat. Entgegen der weit verbreiteten Ansicht, dass die Naturvölker mit
einer ausserordentlich feinen Sehschärfe ausgestattet seien, stellte er fest,
dass man allerdings anfänglich den gleichen Eindruck gewinnt, dass jedoch
die Untersuchung eine keineswegs ungewöhnliche Sehschärfe ergiebt. Wie
sind nun jene auffälligen Sehleistungen der Indianer zu erklären, fragt
der Redner weiter? Einfach aus der Übung und Gewöhnung. Gradeso
wie unser Blick sich für manche Dinge durch Übung schärft, grade so
schärft sich auch der des Naturmenschen für andere lediglich durch die
tägliche Übung und Gewöhnung, ganz abgesehen davon, dass manche
Leistungen einfach auf Kunstgriffen beruhen, die einmal erfasst, jedem
anderen dieselben Sehleistungen ermöglichen. Äusserst wichtig ist die
Fähigkeit, das Auge auf eine bestimmte Entfernung einzustellen, die uns
Kulturmenschen für grössere Entfernungen abzugehen pflegt. Das Auge
passt sich eben dem täglichen Bedürfnisse an. Der Indianer, der beständig
Gefahren ausgesetzt und behufs seiner Ernährung auf Jagd angewiesen ist,
sieht sich gezwungen, der ihn umgebenden Natur beständig die höchste Auf-
merksamkeit zuzuwenden, und hat so gelernt, die Einzelheiten seiner Um-
gebung zu beobachten. Daher meint Redner auch, dass dem Naturmenschen
die Empfindung für landschaftlichen Reiz, die Fähigkeit des Naturgenusses in
unserem Sinne überhaupt abgeht. Anders der Kulturmensch. Er erquickt
sich an dem landschaftlichen Reiz der durchzogenen Gegenden, beobachtet
dafür viel zu wenig die Einzelheiten seiner Umgebung.
Dr. Prochownik-Hamburg sprach über die Beckenformen der
Anthropoiden. Der Vortragende charakterisiert einleitend den jetzigen
Stand der Rassenbeckenkunde dahin, dass auf Grund des gesamten
in Europa vorhandenen Materials sich eine solche sicher begründet
noch nicht durchführen lasse.
Die Beeinflussung des Beckengürtels durch Wachstum und Thätigkeit
führt schon bei den Quadrupeden zu vielen individuellen Variationen;
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 343
diese steigern sich aufsteigend zu den Primaten. Studium juveniler und
embryonaler Formen oder Schädelbeckenvergleiche liefern keine zuver-
lässigen Ergebnisse für Rassenmerkmale. Ohne die bisherigen Leistungen
bei Seite zu setzen sind vorläufig Rassenbecken fragen auszuschalten,
und erst die Grundpfeiler der Erkenntnis auszubauen.
I. Studium der Stammesgeschichte des Beckens. (Ein von
zoologischer Seite zu lieferndes Sammelwerk hierüber fehlt.) Aus der
Phylogenie ergeben sich die sicheren Artcharaktere.
II. Studium lokalgeographisch beschränkten Materiales
oder morphologischer Sondergruppen. Dieses ergiebt die indi-
viduellen Variationen, besonders Verhalten zum Gesamtskelett und
Sexualcharaktere, und ist vorwiegend Sache der Anthropologen. Alle
noch bleibenden, in der That vorhandenen Abweichungen der
Beckengruppen untereinander sind dann als Rassenmerkmale
zu differenzieren.
Vortragender skizziert in einigen Sätzen die Hauptergebnisse phylo-
genetischer Studien, sowie die Unterschiede des Affen- und Menschen-
beckens.
Die Anthropoiden nehmen zwischen beiden eine deutliche
Mittelstellung ein. Diese besteht aber nicht in einheithcher Umbildung
oder Bildungsfortschritt. Jede Spezies der Anthropomorphen hat
am Becken einige Menschenähnlichkeiten, jede aber an an-
deren Stellen; jede sinkt an anderen Beckenstücken wieder
beträchtlich auf niedere Affenarten zurück.
Beim Gorilla tritt die Umbiegung des Darmbeins nach vorn und
Bildung einer Darmbeingrube am schärfsten heraus, ohne aber ganz
menschenähnlich zu werden; das übrige Gorillabecken weicht zu den
grossen Herbivoren zurück.
Beim Schimpanse ist Beckeneingangsformation, Kleinbeckenhöhle
und Dorsalteil des Hüftbeins menschenähnlich. Wie für Schädel und Hirn
kann auch fürs Becken als höchstwahrscheinlich gelten, dass vom Schim-
panse aus der Aufstieg zum Homo primigenius am ehesten zu suchen ist.
Auch geburtshilflich könnte man am ehesten an einen Geburtsmechanismus
in Schädellage denken. Darmbeinflügel, Maasse, Kreuzbein, Beckenausgang
führen zu niederen Affenarten zurück. Der Orang nähert sich durch
Kammschweifung des Hüftbeins, Curvatura sigmoidea, Vorhandensein der
Spinna ilei post. inf. und dadurch Bestehen einer Incisura iliae post. dem
Menschen; alles übrige, besonders Darmbeinflügel, Sitzbein und Kreuzbein
sind rein affenartig. Die Hylobatesarten (Gibbons) sind nur betreffend
des Kreuzbeins, und auch nur bei Sonderbetrachtung desselben, dem
Menschen genähert, in allem übrigen sind sie bis weit auf geschwänzte
Affenarten degradiert. Bei der Betrachtung des Gesamtbeckens tritt
die Menschenähnlichkeit immer weiter zurück.
344 C. Versammlungs- und Vereins-ßerichte.
Alle Anthropoiden haben Längsbecken im Gegensatze zum Breiten-
becken des Menschen. Die Hüftbeine überragen weit das Kreuzbein,
legen sich hoch an die Lendenwirbelsäule an, sind stets länger als breit,
meist flach, und stehen, ausser beim Gorilla, mit der Wirbelsäule fast in
einer Ebene. Die Tubera ischii sind stets nach hinten aussen mit
langen, elliptischen Sitzflächen umgerollt, die Tiere sitzen nicht mit dem
Rumpfe auf dem Becken, sondern lehnen bei flektiertem Rumpfe die Tubera
gegen die Unterfläche an. Spinae ischii und Incisura ischiadica
minor fehlen vorwiegend, Incisura major nicht scharf ausgeprägt, wenig ge-
schweift. Hinter ePfannenwand stets stärker, beim Menschen die obere,
durch den verschiedenen Gang. Schambögen meist wenig ausgebildet,
Schamfugen relativ lang und dick, Foramina ovalia klein. Die Becken-
eingangsformen sind meist ovoid, oft — auch bei $ — mit Eispitze
nach hinten. Alle Längsdurchmesser überwiegen quere und schräge.
Beckenkanal lang, Axenrichtung nach hinten. Alle Becken im ge-
burtshilflichen Sinne oben eng, unten weit (Trichterbecken). Stütz-
wirbelbildung nirgends deutlich ausgeprägt, Promontorium fehlt, nur
bei Schimpanse angedeutet. Lendenwirbelsäule kyphotisch. Kreuz-
bein schmal, ohne Curvatur, zwischen die hohen Ilea eingesunken.
Alle Sexualdifferenzen viel geringer ausgeprägt als beim Menschen
und an Zahl geringer. Ein Vergleich der ältesten bekannten Becken-
formen und Stücken, sowie der Becken niederer Rassen, besonders der
Australier, ergiebt für dieselben durchaus nichts Pithekoides. Auch Ata-
vismen kommen am Menschenbecken nicht vor, sicher nicht in Gruppen;
wo es so scheint, liegen stets Hemmungsbildungen individueller Art vor,
die sich nicht vererben, soweit bisher bekannt. Der natürliche Schluss,
dass die Anthropoidenbecken sehr weit vom menschlichen
abstehen, hat keine Spitze gegen die Descendenzlehr e; das
phylogenetische Studium weist auch auf diesem Gebiete zwingend auf
sie hin. Da die bisher bekannten Fossilien und die sonstigen neuesten
Funde für das Becken nichts erbracht haben, ist auf weiteres Studien-
material zu warten. (Der Vortrag wurde durch Vorzeigung der Lübecker
Anthropoiden-Skelette und Becken, Tafeln und Zeichnungen nach Photo-
graphieen unterstützt.) Selbstbericht.
Der dritte Sitzungstag brachte zunächst einen Vortrag des Vorsitzenden
Baron von Andrian-Werburg über kosmologische Vorstel-
lungen semitischer Völker. Der Vortrag eignet sich wegen der vielen
Details nicht für eine kurze Besprechung.
Professor Dr. Johannes Ranke-München sprach sodann in
interessanter Weise über individuelle Variation der Schädelbildung des
Menschen. Zwei Faktoren wirken bei der Entwicklung des Schädels zu-
sammen: das Gehirn einerseits und die vegetativen Organe des Kopfes
andererseits. Beim Europäerschädel beherrscht wesentUch das Gehirn die
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 345
Schädelform, während beim Australier und Papua eine Tierähnlichkeit im
Schädelbau insofern vorliegt, als eine stärkere Formbeeinflussung durch
die vegetativen Kopforgane sich vorfindet. Nach der landläufigen Auslegung
der Entwicklungslehre müsste die Reihe der menschlichen Schädelformen
beim Australierschädel beginnen, da hier analog dem Verhältnisse bei den
Tieren der Einfluss der vegetativen Organe am stärksten ist. Die indi-
viduelle Entwicklung zeigt aber, dass der Mensch und die höheren Wirbel-
tiere von einer Schädelform ausgehen, bei der das Gehirn extrem im Über-
gewicht ist. Die höchste Form der Schädelbildung, die menschliche, ist
der gemeinschaftliche Ausgangspunkt für die Schädelentwicklung der ge-
samten Wirbeltierreihe. Mit der Hirnentwicklung hängt Orthognathie und
Prognathie zusammen, wie Redner in früheren Publikationen nachgewiesen
hat. In jüngster Zeit konnte er an einer Professor C. Selenka gehörigen
grossen Serie von Orang-Utangschädeln beiderlei Geschlechts, und aller Alters-
klassen den Einfluss der vegetativen Organe auf die Schädelbildung studieren
und die dabei gewonnenen Erfahrungen auf den menschlichen Schädel an-
wenden. Dadurch, dass das Gesichtsskelett wächst, wird die Schädelbasis
länger und breiter, was wieder auf die Form der Hirnschädel von Einfluss
ist. Der Hirnschädel erhält die typisch-menschliche ,, dachförmige" Schädel-
wölbung und die fliehende Stirn. Sekundär wirken der Hauptkaumuskel,
der Schläfenmuskel, sowie die Ausbildung der Stirnhöhlen mit. Die
Dolichocephalie hängt mit der Entwicklung der Kaumuskulatur nicht zu-
sammen. Die stärkere Ausbildung des Schläfenmuskels bedingt eine Ver-
engerung des Hirnschädels in der Schläfengegend, eine immer tiefer
werdende Einziehung der Schläfengrube und ein Hinaufrücken der Schläfen-
grube über den oberen Augenhöhlenrand. Der Gang, welcher von den
Schädeln unserer Rasse von der frühesten Kindheit bis zum erwachsenen
Alter eingehalten wird, repräsentiert nicht nur alle individuellen Variationen
innerhalb unserer Rasse, sondern auch alle als wichtigste Rassenmerkmale
angegebenen Schädelmodifikationen der gesamten Menschheit. Auch die
Unterschiede des männlichen und weiblichen Geschlechtes im Schädelbau
gehören in dieselbe Reihe hinein. Es ist die Annahme berechtigt, dass
die verschiedenen typischen Formen des Menschengeschlechts, speziell ihre
ethnisch verschiedenen Schädelformen, einst aus der individuellen Variation
einer gemeinschaftlichen Stammform hervorgegangen sind.
Es folgte sodann ein Vortrag von Geheimrat Virchow über die
deutsche Steinzeit, der trotz seiner fast einstündigen Dauer im Grunde
genommen keine neuen Gesichtspunkte eröffnete. Redner Hess sich des
längeren über die Vorsicht aus, die man bei der Beurteilung von Stein-
geräten anwenden müsse, und gab sodann eine Zusammenstellung der
bisher bekanntgewordenen Fundstellen.
Dr. Lenz-Lübeck demonstrierte einen in der Lübecker Samm-
lung befindlichen Orang - Utang - Schädel, der durch seine
346 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
hohe Kapazität (535 ccm) auffällt. Wie aus dem noch vorhandenen
Milchgebiss hervorgeht, handelt es sich um ein noch junges Tier. Während
Geheimrat Virchow denselben kurzweg für einen Hydrocephalus erklärte,
ging die Ansicht anderer Sachverständiger dahin, dass es sich keinesv^egs
um einen solchen handeln könne. Die Beschaffenheit der Nähte ist an dem
betreffenden Schädel ganz normal; nur die Scheitelbeine sind stark nach
hinten und seitwärts aufgetrieben, eine Erscheinung, die man bekanntlich
an jugendhchen menschlichen Schädeln sehr häufig zu beobachten Gelegen-
heit hat. Auch die Dicke des Schädelknochens an der Stelle der stärksten
Hervorwölbung bot absolut nichts auffälliges.
Professor Montelius nahm darauf das Wort zu einem Vortrage
über die Chronologie der älteren Bronzezeit im Norden.
Die Bronzezeit Skandinaviens und Norddeutschlands ist schon im
Jahre 1885 vom Vortragenden in 6 Perioden eingeteilt worden. Die
3 ersten Perioden, welche der älteren Bronzezeit entsprechen, werden in
Dänemark und Mecklenburg verschiedentlich angefochten. In Dänemark
fand man, dass die 2. und 3. Perioden richtig waren; die 1. Periode
wollte man aber nicht anerkennen. In Mecklenburg dagegen sagte man,
dass die 1. Periode separat aufgestellt werden müsste; die 2. und 3. Perioden
vermochte man dort nicht zu unterscheiden. Da Dänemark und Mecklenburg
zwei nahe aneinander liegende Bezirke eines und desselben prähistorischen
Gebietes sind, beweist dies die Richtigkeit des Systems; nur sind die Funde
aus der 1. Periode in Dänemark wie aus der 2. und 3. Perioden in
Mecklenburg nicht so zahlreich, dass die Sache beim ersten Blick klar liegt.
Vortragender zeigt, wie er jetzt im Stande ist, innerhalb aller dieser
3 Perioden einen älteren und einen jüngeren Abschnitt zu unterscheiden.
In der 1. Periode kann man sogar weiter gehen: da haben wir die Zeit
1. des reinen Kupfers, 2. der zinnarmen Bronze und 3. der echten Bronze
(mit ca. lOproz. Zinn). Dass diese letzte Abteilung der 1. Periode eine
lange Zeit umfassen muss, ist offenbar, weil in jener Zeit die für die
nordische Region charakteristischen Typen, welche wir im Anfange der
2. Periode vorfinden, hier entwickelt wurden. Für die absolute Chronologie
ist es maassgebend, dass die ältesten Fibeln in der 2. Periode auftreten,
dass sie nach den italienisch-griechischen Peschiera-Fibeln gebildet sind,
und dass sie nicht viel später als diese sein können. Da die Peschiera-
Fibeln aber in Funden aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. vorkommen und
vielleicht noch älter sind, müsse q die ältesten nordischen Fibeln dem
14. Jahrhundert angehören, falls sie nicht schon früher entstanden.
In der 2. Abteilung der ersten nordischen Periode kommen einige
aus Italien importierte „trianguläre" Bronzedolche mit Bronzegriff vor,
welche der 2. Abteilung der 1. italienischen Bronzeperiode und folglich
dem 19. oder 18. Jahrhundert v. Chr. angehören. Als Resultat seiner
Untersuchung findet Vortragender, dass die Bronze schon im Anfange des
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 347
2. Jahrtausend v. Chr. hier im Norden bekannt war. Das erste Kupfer
kam wahrscheinlich schon vor dem Ende des 3. Jahrtausend dorthin.
Selhstbericht.
Direktor Dr. Brinkmann legte zwei Stücke merkwürdiger
Bronzearbeiten vor, die unter den Trümmern des jüngst von den Eng-
ländern zerstörten Palastes zu Benin in Afrika gefunden wurden. Das
eine Stück, ein Hochrelief, eine * Kriegerszene darstellend, verrät einen
ausserordentlich hohen Grad künstlerischer Vollendung. Die Formen-
gebung deutet auf ägyptischen Einfluss hin. Auch das zweite Stück, ein
Kopf mit den typischen Zügen eines Negers, ist ein Prachtexemplar. Die
Technik der Bronzen ist der sogenannte Guss in verlorener Form. Redner
vermutet, dass sicherlich noch viele derartige Stücke zu Benin vorhanden
sein mögen, und nimmt an, dass im Binnenlande des schwarzen Erdteils
früher eine grosse Negerkultur bestanden haben müsse, von der wir bisher
sonst nichts erfahren haben.
Dr. Birkner-München liess sich sodann über die sogenannten
Azteken aus. Es sind dies bekanntlich zwei amerikanische Mikrocephalen,
die seit Anfang der fünfziger Jahre Europa bereisen. Aus den Messungen
zu verschiedenen Zeiten ergiebt sich, dass von der späteren Kindheit bis
zum erwachsenen Alter die Kopflänge im Durchschnitt um 14 mm, die
Kopfbreite um 6 mm und der Horizontalumfang um 56 mm zugenommen
hat, eine Zunahme, die nicht geringer ist als die mittlere Zunahme bei
normalen Kindern. Nach der Zusammenstellung der Kinderschädelmaasse
aus Schaaffhausens ,, Anthropologische Sammlungen Deutschlands" nimmt
die Schädellänge in den ersten zwei Jahren nach der Geburt in demselben
Grade zu (22,22 pCt.), wie vom 2. bis 5. Jahre (20,37 pCt.) und vom
5. Jahre bis zum erwachsenen Alter (23,14 pGt.). Die Zunahme der
Schädelbreite und des Horizontalumfangs ist in den ersten zwei Jahren
nach der Geburt gerade so gross (32,58; 31,54 pCt.), als vom 2. Jahre
bis zum erwachsenen Alter (29,88 ; 33,43 pCt.). Die jährliche Zunahme
der drei Maasse nimmt nach dem 2. Jahre nach der Geburt sehr schnell ab.
Weiter sprach Dr. Hagen-Hamburg unter Vorführung zahlreicher
Waffen und sonstiger Geräte über die Ethnographie der Matty-
Inseln, sowie in einem zweiten Vortrage über den Fuhlsbütteler
Urnenfriedhof bei Hamburg.
Den Schluss der Versammlung bildete ein Vortrag von Dr. Hahn-
Lübeck über den Bestand unserer Kulturpflanzen. Redner gab
eine Übersicht der zahlreichen auf den verschiedenen Erdteilen angebauten
Kulturpflanzen, berührte ihre Heimat und liess sich über die Art und Weise
aus, wie dieselben in Kultur genommen worden sind.
Als Versammlungsort für das nächste Jahr wurde Braunschweig
festgesetzt und Geheimrat Professor Dr. Blasius daselbst zum Lokal - Ge-
schäftsführer gewählt.
348 D- Tagesgeschichte.
Im Anschliiss an die Versammlung fanden ausser kleineren Ausflügen
in die nächste Umgebung ein Nachmittags-Ausflug nach Schwerin i. M. und
ein eintägiger Ausflug nach Kiel zur Besichtigung der dortigen Sammlungen
und anderer Sehenswürdigkeiten statt. Der ganze Verlauf des Kongresses
war in geselliger Hinsicht recht zufriedenstellend, vor allem dank der
grossen Gastfreundlichkeit der Lübecker Bevölkerung.
Als Willkommensgruss war der Versammlung von der Museumsver-
waltung eine reich illustrierte Festschrift gewidmet worden, die von den
verschiedenen Abteilungsvorständen bearbeitet worden war: Dr. Hach,
Geschichtlicher Überblick über Forschungen zur vorgeschichtlichen Alter-
tumskunde in Lübeck; Dr. Freund, Die prähistorische Abteilung des
Museums zu Lübeck; Dr. Karutz, Das Museum für Völkerkunde zu
Lübeck; Dr. Lenz, Die Anthropoiden des Museums zu Lübeck, mit Be-
merkungen von Dr. Prochownik über die Lübecker Anthropoidenbecken
— Auch das Museum zu Schwerin hatte seinen Besuchern eine Be-
grüssungsschrift: Steinzeitliche Funde in Mecklenburg von Dr. Robert
Beltz überreicht.
Was schliesslich noch das wissenschaftliche Resultat des Kongresses
betrifft, so kann man wohl zugeben, dass im Vergleich zu den Versamm-
lungen der letzten Jahre, in denen das Ergebnis ziemlich gleich Null war,
dieses Mal immerhin etwas geleistet worden ist. Wer, wie Referent, seit
beinahe 15 Jahren diese Versammlungen ziemlich regelmässig besucht hat,
wird sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass der wissenschaft-
liche Wert und der Besuch derselben progressiv abgenommen hat. Zum
nicht geringen Teile mag die Schuld daran liegen, dass der Verbreitung
neuer Gedanken, die zumeist jüngere Fachgenossen in den Kongress hinein-
zutragen sich bemühen, vom Vorstande, wie es scheint, geflissentlich
Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Ein grosser Teil maass-
gebender Fachgenossen, die früher zu ständigen Besuchern der allgemeinen
Versammlung der deutschen anthropologischen Gesellschaft zählten, haben
sich deshalb bedauerlicher Weise zurückgezogen : leider zum Schaden unserer
jungen Wissenschaft.
D. Tagesgeschichte.
Berlin. Dem Direktorial-Assistent am Museum für Völkerkunde inBerlin,
Dr. Felix von Luschan, ist das Prädikat ,, Professor" beigelegt worden.
Budapest. Am 9. September d. J. verstarb im Alter von 83 Jahren
Franz Pulsky von Lubösz und Cselfalva, Generalinspector der
Museen und Bibliotheken Ungarns, bekannt durch sein Werk über die
Kupferzeit in Ungarn.
Halle. Am 17. September d. J. verstarb im Alter von 75 Jahren
der emer. Professor für Anatomie, Geh. Med. -Rat Dr. Hermann Welcker,
E. Bibliographische Übersicht. 349
dem die Anthropologie zahlreiche wertvolle Studien (z. B. Untersuehungen
über Wachstum und Bau des menschlichen Schädels, Schillers Schädel und
Totenmaske etc.) verdankt. 1822 in Giessen geboren, habilitierte er sich
1853 daselbst und wirkte seit 1859 als Professor in Halle.
Kopenhagen. Am 21. Juni 1897 verstarb der dänische Zoologe
und Prähistoriker Johannes Japetus Steenstrup im Alter von 84
Jahren. Ursprünglich Mineraloge, wandte er sich später der Zoologie zu
— im Jahre 1846 wurde er zum Professor der Zoologie und Direktor des
zoologischen Museums in Kopenhagen berufen — und beschäftigte sich
gegen sein Lebensende mit Vorliebe mit der Prähistorie. Bekannt sind
seine Untersuchungen über die Kjökkenmöddinger.
London. Die Medico-psychological Association of Great Britain and
Ireland erwählte Dr. Busch an -Stettin in ihrer zu Newcastle abgehaltenen
Jahresversammlung zum korrespondierenden Mitgliede.
Paris. Die Akademie der Wissenschaften erwählte am 5. Juli d. J.
Professor Dr. Rudolf Virchow in Berlin zum wirklichen auswärtigen
Mitgliede. — Am 18. Juni verstarb im Alter von 55 Jahren Dr. Theo-
phil Chudzinski, erster Präparator am Laboratorium für Anthropologie,
geschätzt wegen seiner eifrigen und eingehenden Untersuchungen über die
Anomalien des menschlichen Körpers und ihre Beziehungen zu den niederen
Rassen und Anthropoiden.
E. Bibliographische Übersicht.
Von Georg Buschan.
Laufende Litteratur der Jahre 1896 und 1897.^)
II. Ethnologie. (Fortsetzung.)
Slaven.
Ciszewski, St., Künstliche Verwandtschaft bei den Südslaven. Krakau,
G. Gebethner u. Co.
Eichholz, Eug., Materialien zur Anthropologie der Weissrussen. (Russ.)
Diss. d. milit.-med. Akad. z. St. Petersburg. 1895/96. Nr. 47.
Hormuzaki, v., Zur Frage ,,Über den Ursprung der Slaven". Globus.
Bd. 72, Nr. 4.
Jaworsky, Die Mandragora im südrussischen Volksglauben. Zeitschr. f.
österr. Volkskunde. 1896. H. 12.
Kaindl, R. Fr., Haus und Hof bei den Rusnaken. Globus. Bd. 71, Nr. 9.
Kaindl, Raim. , Der Festkalender der Rusnaken und Huzulen. Czernowitz.
H. Pardni (Komm.).
Kaindl und Friedrich, Haus und Hof bei den Huzulen. Wien, Holder.
Lefevre, A., Les origines slaves. Bull, de la Soc. d'anthrop. de Paris.
1896. Bd. 7, S. 351.
*) Wo nicht besonders vermerkt, ist das Jahr des Erscheinens 1897.
350 E. Bibliographische Übersicht.
Matiegka, J. Studie über die czechischen Knochen und Schädel, die
aus Provinzialhäusern stammen. (Czecli.) Rozpravy ceske Akad. Cisafe
Frantiska Josefa pro vedy etc. v Praze. Tfida II. Rocnik V. Cislo 42.
Matiegka, J., Über den Eintritt der Pubertät bei den Mädchen in
Böhmen (Czech. mit deutsch. Resume). Vestnik kräl. ceske spolecn.
nauk. Tfida math.-pfirod.
Niederle, L., Püv odu Slovanu. Praze. Bursik i Kohout. 1896.
Niederle, L., Über den Ursprung der Slaven. Globus. Bd. 71, Nr. 24.
Pfe ifer-Hochwalden , R. v.. Die Entwickelung der Landwirtschaft in
Slavonien. Diss. Leipzig.
Rhamm, K., Über den Ursprung der Slaven. Globus. Bd. 71, Nr. 20.
Schumann, Slovenische Bräuche. Zeitschr. f. österr. Volkskunde. 1896,
Heft 12.
Volkov, Th., Le traineau dans les rites funeraires de l'Ukraine. Revue
des trad. popul. Paris.
Weisker, Gustav, Slavische Sprachreste, insbesondere Ortsnamen, aus
dem Havellande und den angrenzenden Gebieten. Rathenow, M. Baben-
zien. 1896.
Littauen, Letten.
Baron, Kr. u. Wissend orf, H., Chansons nationales letaviennes. —
Latwju dainas (littauisch). Mitau. Leipzig, 0. Harrassowitz.
Tetzner, E., Das littauische Sprachgebiet. Globus. Bd. 71, Nr. 24.
Weinberg, R., Das Gehirn der Letten. Cassel, Th. Fischer u. Co.
Winter, Mythologischer Versuch über ein lettisches Volkslied. Zeitschr.
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Lappen, Finnen und Verwandte.
Hultman , 0. F., Das Wort „Finne'' (Finnisch). Finskt Museum. 1896. S. 81.
I dingin, Ein Gesang eines turgaischen Kirgisen. (Russ.) Nachr. d. Ges.
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Jurkin, Gesänge der Tschuwaschen. (Russ.) Nachr. d. Ges. d. Ar-
chäol. etc. zu Kasan. 1896. Bd. 13, Heft 5.
Jurkin, Die Tschuwassischen Nationaltänze. (Russ.) Nachr. d. Ges. d.
Archaeol. etc. zu Kasan. Bd. 14, H. 1.
Krause, Ed., Lappische Geräte. Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellsch.
Bd. 29, S. 115.
Malow, Über das Ende der Welt, Übersetzung aus dem tartarischen.
(Russ.) Nachr. d. Ges. d. Archäol. etc. zu Kasan. 1896. Bd. 14, Heft 1.
Matuiejew, Hochzeit, Sitten und Gebräuche der getauften Tartaren des
Gouv. Ufa. (Russ.) Nachr. d. Ges. d. Archäol. etc. z. Kasan. 1896.
Bd. 13, Heft 5.
Nassyrow, A. K., Muster der Volkslitteratur der kasanischen Tartaren.
(Russ.) Nachr. d. Ges. d. Archäol. etc. zu Kasan. 1896. Bd. 13, Heft 5.
Pantussow, Tarantschinskische Gesänge. Melodien der Tarantschins-
kischen Gesänge. (Russ.) Nachr. d. Gesellsch. d. Archaeol. etc. zu
Kasan. 1896. Bd. 13, Heft 6.
Ssemenow, Tscheremisskische Märchen. (Russ.) Nachr. d. Ges. d.
Archäol. etc. zu Kasan. Bd. 14, H. 1.
Stenin, V. Die Permier. Globus. Bd. 71, Nr. 22.
Vambery, Die Stellung der Türken in Europa. Geogr» Zeitschr. Bd. 3.
Heft 5.
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Vambery, Über den Ursprung der Magyaren. Mitteil. d. geogr. Gesellsch.
in Wien. Nr. 3 u. 4.
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Fient, Begräbnisfeierlichkeiten im Prättigau. Schweiz. Archiv f. Volks-
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Frueh, J. , Moderne Höhlenbewohnungen in der Schweiz. Globus.
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Hunziker, Vom Schweizerhof in der Ausstellung in Genf. Schweiz.
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Belucci, G., Usi nuziali nell' Umbria. Perugia.
Blasio, A. de, La superstizione nei camorristi. Archiv, di psich. Bd. 18,
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1895/96. Nachr. über deutsch. Altertumsfunde. 1896. Bd. 7, Heft 4.
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Berichtigung.
S. 221 d. J. im Referat Nr. 202 ist als letztes Wort anstatt „unmöghch" zu
lesen: „möglich".
Um Einsendung von Separatabdrücken, Abhandlungen etc. an den Heraus-
geber wird gebeten. •
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an den Herausgeber
Dr. Buschan, Stettin, Friedrich- Carlstrasse 7^.
Register,
1. Autoren- Yerzeichnis.
(Die Zahlen bezeichnen die Seiten, auf welchen der betreffende Artikel beginnt.)
Achelis 25.
Aminon 1. 8. 112
Anderson 244. 320. 221.
Anfosso 199.
Antonowitsch 177. 179.
Anutschin 180.
Appelgren 166. 252. 264.
Aranzadi, de 228.
Ardü-Onnis 131.
Ax 166.
Bach 325.
Baier 150.
Barnes 260.
Barr 298.
Bartels 199.
Barth 124.
Bassanovic 36.
Behla 13.
Belck 336.
Benedikt 104.
Bertholon 231.
ßezzenberger 144.
Bielenstein 262.
Birkner 347.
Blaschky 21.
Blinkenberg 162.
Bloch 134. 204.
Boas 136. 137.
Boltz 124.
Bontscheff 162.
Boy 266.
Brandenburg 177.
Brinkmann 347.
Brinton 255.
Bulle 303.
Buschan 109. 206. 302.
Carrara 43.
Carteilhac 55.
Cermak 156. 157.
Cervinka 157. 158.
Chipault 253.
Chudzinski 104. 106.
Clanning 218.
Closson 209.
Colini 331. 333.
Collignon 44. 133.
Colomb 59.
Corrado 198.
Crocq 13.
Dallemagne 23. 216.
Darnay 160. 161.
Deniker 44. 133.
Dumont 213.
Dumontier 174,
Eidam 327.
Enjoy 235.
Fere 11.
Fiala 327—330
Förtsch 154.
Freund 339.
Friedel 151.
Giuffrida-Ruggeri 219. 300.
Glück 132.
Gönner 9.
Götze 322. 336.
Grempler 263. 323. 342.
Gros 238.
Haacke 294.
Hackman 267.
Hagen 347.
Hahn 347.
Halliburton 237.
Hampel 162.
Hamy 253.
Hauser 58.
Hausmann 167. 265.
Hazelius 51.
Heierli 56. 57. 58, 193. 251.
Heikel 252.
Hensel 325.
Hepburn 114. 115.
Hermann 269.
Herve 31. 33. 304.
Heyduk 145.
Hildebrand 341.
Holder, V., 326.
Hörnes 330.
Hovelacque 33.
Hultman 225.
Hurt 263.
Jakubow 261.
Jankö 227.
Jelinek 247.
Jentsch 148. 153. 154.
Jera 157.
Jovanovic-Batut 37.
Iwanowski 45.
Jürgenson 224.
Jullien 300.
Kada 160.
Kapf 326.
Käräsz 161.
Karpäti 160.
Kasser 250.
ten Kate 103. 139.
Katschenko 176.
Kaufmann, v. 41.
Keller 72.
Kempe 147.
Kern 29.
Knies 158.
Kohl 155. 340.
Köhler 148. 149.
Körte 172.
Koganei 46.
Kohlbrugge 211.
Kotschubenski 182.
Kfisz 143. 158.
Kröhnke 339.
Kükenthal 49.
Laloy 121.
Lange 108.
Lapouge, de 118. 211.
La Torre 10.
Laurent 220.
Läzär 133.
Leder 172.
Ledouble 219.
Legowski 148.
Lehmann, C. F. 336. 337.
Lehmann-Nitsche 148.
38^
Register.
Leiner 3:28.
Lenz 345.
Letourneau 215.
Lissauer 246.
Livi 34.
Lortet iU.
Lugaro 293.
Luschan, v. 22. 30. 22 L
Maggi 20L 2o2.
Mahoudeau 116.
Maltese 24.
Manouvrier 14. 32. 113.
214.
Mantegazza 18.
Martin 71. 139.
Matiegka 28. 226. 248.
Mestorf 322.
Meyer 42.
Mies 33. 270. 272.
Mirto 24.
Mischtschenko 261.
Molliere 127.
Mondio 123.
Montelius 50. 64. 341. 346.
Moore 259.
Morau 13.
Mortillet 13. 143.
Moschen 34.
Moser 330.
Müller 243.
Mugdan 59.
Näf 251.
Naue 63.
Niederle 225.
Oechsli 57.
Olöriz 129.
Oppel 135.
Papillault 21.
Paroisse 138.
Patroni 63.
Pfitzner 297.
Piette 52.
Pigorini 62. 335.
Pinza 62.
Pokrowskj 178.
Poll 293.
Poly 55.
Popovic 38.
Püsta 159.
Prochownik 342.
Pyl 245.
Quagliati 60. 334.
Ranke 17. 342. 344.
Reber 56. 250.
Reichlen 250.
Reinach 164. 165.
Reinecke 161. 327.
Ripley 120. 221.
Rodrigues 30.
Rössler 171. 172.
Schein 205.
Schmidt 47. 98. 155.
Schröter 72.
Scheutle 326.
Secretan 58.
Seger 324.
Selenka 17.
Sergi 122.
Shinomura 17
Shrubsall 230.
Sisow 268.
Smirow 180.
Smirnow 180.
Smolik 157.
Snellman 39.
Sommer 217. 236.
Sperino 19. 105.
Spina 302.
Splieth 340.
Staurenghi 19.
Steinen, v. den 143.
Steinmetz 26. 27.
Stern 122.
Stubenrauch 151.
Studer 72.
Sullivan 237.
Swan 254.
Tappeiner 222.
Taramelli 102.
Tautain 28. 241.
Tenschini 102.
Török, V. 200.
Treichel 144. 151.
Tröltsch, V. 325. 326.
Truhelka 36. 329.
Tscherepin 268.
Ujfalvy 232.
Unna 203.
Uspenkj 268.
Venturi 295.
Verneau 174.
Vigener 206.
Virchow 31. 41. 48. 203.
232. 237. 265. 338. 345.
Vram 35.
Voges 246.
Voss 52. 321.
Wagner 325.
Weeren 247.
Weineck 152.
Wilder 218.
Wilser 7.
Woldfich 142. 249.
Wosinsky 159.
Wray 175.
Yagi 173.
Zaborowski 170. 220.
Zeppelin, v. 65.
Zograf, V. 38.
Zschiesche 154.
2, Sachregister.
(Die Zahlen bezeichnen die Seiten, auf welchen der betreffende Artikel beginnt.)
Abänderungsspielraum 8.
AccHmatisation 160. 211.
Ägypten 41.
Africa, ethnogr. 30. 42. 43. 44, prähist.
253. 254.
Ainos 46.
Alfuren 49.
Algier, prähistor. 253.
Amerika, ethnogr. 103. 136. 137. 138.
139, prähist. 255. 256. 259. 260.
Analyse, ehem., d. Bronzen 166. 247.
Anthropoiden 343.
Anthropologie, System derselben 97.
Arier 124.
Asien, ethnogr. 47. 48. 49, prähisl. Hl
bis 175.
Auslese, soziale 7. 108. 209.
Autorenverzeichnis 381.
Azteken, sogen. 347.
Babylonien, Maasse und Gewichte 337.
Bartentwickelung, Ursachen ders. 205.
Basken 228.
Bayern 31. 122.
Becken der Anthropoiden 343. 345.
Benin, Bronzen 347.
Bergbau, prähistor. 155.
Bibliographie 73 - 96 , 184—192, 275—288,
349—380.
Register.
383
Bipedismus 116.
Böhmen, prähist. 28. 143. 156-158.
247—250.
Borneo, prähist. 175.
Bosnien U.Herzegowina 36. 132.327-330.
Bronzearbeiten aus Benin 347.
Bronzen, chemische Veränderungen 341
Bronzesicheln 326.
Bronzezeit in Deutschland 145. 147. 151.
154, Dänemark 242. England 321.
Finnland 267, Russland 170. 171. 180.
252, Schweiz 57. 194, Ungarn 160.
Bulgarien, ethnogr. 36, prähist. 162.
Burgwälle 151. 158. 179. 247. 249.
Calchaqui 139.
Castration, Einfluss derselben auf Glied-
maassenlänge 111.
Chaldäa 336.
Chronologie des nordischen Eisenalters
50, der älteren nordischen Bronzezeit
346, der italienischen Eisenzeit 64.
Craniogramm 199.
Criminal-Anthropologie 23. 24. 123. 216.
218.
Crista mastoidea des Schläfenbeins 21.
Dänemark, prähist. 52.
D annewerk 340.
Darstellungen auf Bronzemesser 322.
Degenerationszeichen 300.
Degenerationsanthropologie s. Criminai-
anthropologie.
Deutschland, Funde aus Baden 325,
Bayern 327, Brandenburg 151—154,
246. 3^"2, Braunschweig 246, Holstein
322, Pfalz 155. 289. 340, Pommern
150. 151, 245-246, 321, Posen 148.
149. 247. 325, Schlesien 323. 324,
Schwaben 325, Württemberg 324.
Diluvialfunde 158.
Dinka 43.
Dissociation by displacement 209.
Dolmen 162.
Dorpat, Schädel aus 224.
Einteilung d. Vorzeit Mitteleuropas 142.
Eisenalter (La Tene) in Böhmen 157.
248. 249, Deutschland 144. 147. 148.
152. 153. 246, Finnland 166, Itahen
60. 62. 335, Schweiz 250. 251, Ungarn
159—161.
Endokannibalismus 27.
Entwicklungsmechanik 294.
Ersjiehung, anthrop. Betrachtung der-
selben 215.
Esthland, anthrop. 263, prähist. 167,
Europa, ethnogr. 222. 264.
Feminismus 112. 220.
Femur, Indices ders. 114, d. Pithecan-
thropus und der Menschenrassen 115.
Fetischimus 112. 220.
Fibelformen 63. 64. 252.
Finnland, ethnogr. 38. 39. 225, prähist.
165. 166. 251 252.
Frankreich, ethnogr. 31. 32. 33. 127.
211. 213, prähist. 52. 53.
Fundchronik Schlesiens .324.
Galher, Galater 127.
Gaumen , Difformation des knöchernen
Gaumens 2J8.
Gehirn, menschl., 104. 123. 218. 270.
293, der Affen 104.
Geld- und Gewichtssystem 268. 336.
Germanen 224. 303. 304.
Geschlechter, Unterschiede ders. 295.
297.
Gesichtsurnen 147. 177. 321. 335. 341.
Gewicht des Körpers 206, des Gehirn-
und Rückenmarks 270, prähist. in
Babylonien 337.
Glasinaefunde 327.
Goldfunde 150. 161.
Griechenland, prämyken. Kultur 163.
Grönländerschädel 236.
Guinea, ethnogr. 138.
Gynäkomastie 220
Haarsystem 203. 204.
Hacksilberfunde 151. 245.
Hallstattzeit 31. 150. 154.
Hausurnen 335. 341.
Hautfärbung 204.
Hautmuskeln 106. 241.
Hauthorn 121.
Heidelberg, anatom. Sammlung 33.
Helme, prähist. 164.
Hermaphroditismus 220.
Herzegowina, prähist. 327—336.
Hovas 134. 232.
Japan, prähist. 173. 174.
Illyrien, prähist. 164. 165.
Indianer, ethnogr. 103. 136. 138. 139. 342.
Indien, ethnogr. 47.
Infantilismus 112.
Instruction 1. ethnogr. Beobachtungen 30.
Italien, ethnogr. 34. 131, prähist. 60 bis
64. 165. 331—335.
Kampf ums Dasein 7.
Kanarische Inseln 42. 231.
Kapazitätsbestimmnng des Schädels 199.
293. 342.
Kelten 33. 127.
Klima 211.
Kupferfunde 56. 148. 162. 181. 247.
Körpergewicht des Menschen 206.
Körpergrösse des Menschen 108. 109. 111.
Kurgane 170, 171. 179.
Letten. Littauer 182. 262.
Livland 264.
liübeck, Vorgeschichte 339.
Madagascar, ethnogr. 133. 135. 232.
Malacca 48.
Markesas-Inseln 28. 241.
Mashona-Land, prähist. 254.
Messung des Kopfindex 1, der Körper-
grösse 108.
Methoden 264.
Microcephalen 272.
Mol 235.
Mongolen 45.
Mounds 256. 259.
384
Register.
Muskeln 106.
Mycenische Kultur 164.
Näpfchensteine 56. 249.
Nagel, Morphologie 206.
Neolithische Zeit in Deutschland 145.
146. 148. 150. 155, Finnland 166. 252,
Grossbritannien 242, Japan 173. 174,
Itahen 61. 331—325, Österreich 158.
161. 249. 330. Russland 171. 177.
Neumark, Vorgeschichte 322.
Norwegische Schädel 124.
öland, prähist. 341.
Österreich, ethnogr. 36, prähist. 156 — 162.
247-250. 327.
Ohrmuschel, anthrop. 105.
Orang-Utan, Rassen und Zahnwechsel 17.
Os fontanellae 20^, interparietale 201,
tympanicum (Deformat.) 22.
Patagonier 139.
Pfahlhauten, ethnogr. 65, prähist. 59. 325.
Pfalz, prähist. 289.
Pferdegebiss 323.
Phallus 157.
Phrygien, prähist. 172.
Pithecanthropus 13. 14. 113. 115. 272.
Polyedrismus d. Schädels 18.
Polynesien, ethnogr. 238.
Primaten 17.
Profatnie 219.
Prostitution 302.
Rasseneinfluss auf Krankheiten 302.
Riga, archäol. Kongress 175. 260.
Rind, Abstammung desselben 72.
Römische Funde 58. 326. 340.
Russland, prähist. 168. 170. 177-181.
251. 252. 261—268.
Sachregister 382.
Sägen, prähist. 333.
Sarnoa, ethnogr. 240.
Sardinien, ethnogr. 131.
Scapula, crista subspinahs 219.
Schädel, menschlicher, Carionekrosis 203,
Craniogramm 199, Crista mastoidea
21, Deformation 22, 217, Gaumen-
Dififormität 218, fötaler Zustand 10,
individ. Variation 344, Kapacitätsbe-
stimmung 199. 293, ortogonale Pro-
jektion 198, os fontan. 202, os inter-
parietale 201 , Persistenz der embryo-
nalen Augennasenfurche 200, Polye-
drismus 18, Projection 198, Sphenoid-
Apophyse 219, Unterkieferprofatnie219,
tierischer 19.
Schläfenringe 149. 250
Schwanz der Mol 235.
Schweden, prähist. 242. 244.
Schweiz, ethnogr. 71, prähist. 56, 59
194. 250. 251.
Sehschärfe der Indianer 342.
Senegal, ethnogr. 44.
Sensibilität 122. 302.
Serbien, ethnogr. 37. 38.
Sibirien, prähist. 172.
Silberbarren aus Troja 336.
Silberkessel von Gundestrup 52.
Skythische Altertümer 168.
Slaven, ethnogr. 35. 38. 225. 226, prähist.
149. 250. 338.
Sokaczen 227.
Spanien, ethnogr. 129.
Steinhämmer, Italiens 331.
Steinwerkzeuge Amerikas 255.
Stigmata 23.
Strafe,, ethnol. 26.
Sumerier 269.
Svastica 143. 221.
Tätowierung 36.
Tagesgeschichte 182. 274. 348.
Tastsinn der Münchener Bevölkerung 122.
Temperament 214.
Tiroler 222.
Torus palatinus 224.
Transkaukasien, prähist. 171, 172.
Triskeles 143.
Tunis, ethnogr. 231, prähist. 253.
Übergangszeit v. paläolith. z. neolith.
Periode 53. 55.
Ugro-altaische Sprache 269.
Umbrerschädel 34.
Ungarn, ethnogr. 133. 227, prähist. 159
bis 162.
Unterkiefer-Anomalien 24, Profatnie 219.
Veranlagung, nervöse 217.
Verbrecher 23. 24. 123. 218. 302.
Vererbung 9. 10. 13. 298.
Versammlungs-Berichte, Köln 270, Lübeck
338, Riga 175. 260, Zürich 65.
Völkerkunde, moderne 25,
Vorzeit, nordische 243.
Wetzikon-Stäbe 72.
Worms, prähist, 155, 340,
Zahnanomalien 24, '^
Zigeuner 132.
Zwergstämme Amerikas 237.
Zwischenraum zwischen 1. u. 2. Zehe 300,
Druck von Grass, Barth & Comp. (W.' Friedrich) in Breslau.
Centralblatt
für
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Herausgegeben von Dr. phil. et med. Gt. Busch an.
J. ü. Kem's Verlag (Max Müller) in Breslau.
3. Jahrgang. Heft 1. 1898.
A. Originalarbeit.
Über den sogenannten Reihengräbertypus.
Von Prof. Dr. Giuseppe Sergi-Rom
Die Frage über den Ursprung des physischen Typus der Ger-
manen ist noch nicht genügend beantwortet worden, und jeder
deutsche Fachmann weiss, wie eng diese Frage mit der über den
Ursprung der Arier verknüpft ist; desgleichen kennt jedermann die
Einwendungen Virchow's und die Meinungen Penka's darüber.
Penka, wie fast alle deutschen Anthropologen, glaubt, dass der
Reihengräbertypus der echte und ursprüngliche Schädeltypus der
Arier sei, und hat die Wiege desselben nach Skandinavien verlegt,
wo dieser Schädeltypus überwiegend und kombiniert mit den
anderen mutmasslichen physischen Merkmalen der Germanen, näm-
lich heller Hautfarbe, blondem Haar, blauen Augen, vorkommt. Ich
hatte aber schon früher bemerkt, dass dieser Schädeltypus im all-
gemeinen nicht nur viel seltener als der brachycephale Typus, selbst
fragmentarisch vorkommt, und wie der Rest eines im Untergange be-
griffenen Stammes erscheint. So trifft man ihn sporadisch in Süd-
deutschland, in geringerer Anzahl in Norddeutschland, zahlreicher
auf der skandinavischen Halbinsel an, während der brachycephale
Typus sehr verbreitet und fast allein vorherrschend in Süddeutsch-
land sich findet und in grosser Anzahl in Norddeutschland vor-
kommt. Daraus lässt sich folgern, dass die deutsche Revölkerung,
die arisch spricht, grösstenteils brachycephal ist.*)
Es ist ferner festgestellt, dass der Reihengräbertypus viel häufiger
und zahlreicher in der vorgeschichtlichen Zeit, d. h. in neolithischer
und Rronzezeit auftrat, wie v. Holder für Württemberg und die
*) Vergl. Sergis Ursprung und Verbreitung des mittelländischen
Stammes. Leipzig 1897. Deutsche Ausgabe.
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 1
^ A. Originalarbeit.
Hohenzollern - Lande nachgewiesen hat, und wie die zahlreichen
Funde in anderen Teilen Deutschlands erkennen lassen.*)
Aus der relativen Stellung der beiden Schädeltypen geht hervor,
dass der Reihengräbertypus der ältere und ursprüngliche gewesen
sein niuss, gegenwärtig aber an Zahl abgenommen hat und als ein
Überrest anzusehen ist, der andere, der brachycephale, dagegen in
jüngerer Zeit nach Europa gekommen ist und bis jetzt das Über-
gewicht gewonnen hat. Man darf auch nicht vergessen, dass Penka
und andere Forscher nach den Arbeiten von Benfey, Geiger und
Latham den arisch-germanischen Typus, der in dem Reihengräber-
typus sich repräsentiert, nicht für asiatischen Ursprungs, sondern
als Umwandlung des palaeolithischen Neanderthaltypus halten.
Es erscheint schon bewiesen und selbst angenommen, dass
dieser germanische Typus, nach den Reihengräbern genannt, älter
als der brachycephale Typus sei, obwohl man ihm eine Herkunft geben
will, die nicht einmal die deutschen Anthropologen annehmen können.
Legt man den Schädelcharakteren einen höheren Wert als den
anderen physischen Merkmalen bei, wie ich immer behauptet habe,
dann ist nur die vergleichende Kraniologie dazu berufen, diese Frage
zu lösen, namentlich, wenn sie mit den archaeologischen Thatsachen,
die sich uns nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo,
wie z. B. in Italien, darbieten, im Einklänge steht. Ich habe ge-
zeigt, dass in Italien der arische Typus, im Gegensatz zum itali-
schen oder mittelländischen, dem älteren und ursprünglicheren,
brachycephal ist, und dieselben Formen zeigt, wie der der Brachy-
cephalen Europas, die slavisch und deutsch sprechen und keltisch
gesprochen haben, und als drei Hauptzweige eines einzigen grossen,
von Asien hergekommenen Stammes aufzufassen sind.**)
Die geographische Verbreitung des mittelländischen Stammes
in alter Zeit verfolgend, fand ich, dass die Schädel- und Gesichts-
formen, die diesem Stamme eigentümlich sind, und grösstenteils
pentagonal, ellipsoidal und ovoidal erscheinen, in Süd- und West-
Frankreich, in den Long-Barrows Grossbritanniens, in den schweize-
rischen Grabstätten, den Pfahlbauten der Stein- und Bronzezeit, so-
wie in den ältesten Kurganen Süd-Russlands vorkommen. Da ich
aber den Reihengräbertypus nicht näher kannte, stand ich lange
Zeit zweifelnd und schwankend vor ihm, und dies nicht nur wegen
der in Deutschland geltenden Ansichten, sondern auch der Haut-
*) von Holder, Untersuchungen über die Skelettfunde in den vor-
römischen Hügelgräbern Württembergs und Hohenzollerns. Stutt-
gart 1895.
**) Vrgl. Anhang: Die Arier in Italien in Ursprung und Verbreitung etc.
A. Originalarbeit, 3
färbe wegen, die so verschieden von der des mittelländischen
Stammes ist, und wegen der Thatsache, dass die südlichen Völker-
schaften Europas von den nördlichen durch die brachycephalen
Völker, die einen weit ausgedehnten Landstrich von Osten nach
Westen besetzen, gleich wie durch eine Barriere voneinander ge-
trennt sind.
Im Jahre 1895 habe ich das erste Mal in Paris Gelegenheit ge-
habt, einige Schädel aus der Merowingerzeit zu studieren, und war
sehr erstaunt, unter diesen Schädeln die gleichen Formen wieder-
zufinden, die ich beim mittelländischen Stamme schon gesehen
hatte. Ein Jahr später zeigte mir gelegentlich einer Zusammenkunft
in München Dr. v. Holder, der Verfasser der „in Württemberg vor-
kommenden Schädelformen", einer der Begründer der deutschen
Anthropologie und der beste Kenner der Schädelformen, die typi-
schen Schädelformen der Reihengräber, die im Museum der Mün-
chener anatomischen Anstalt aufbewahrt werden, und da in dem-
selben Museum sich auch eine reiche Sammlung ägyptischer
Schädel befindet, so nahm ich einen von diesen, der die gleiche
Form wie ein Reihengräberschädel aufwies und fragte Dr. v. Holder,
ob er nicht irgend eine Ähnlichkeit zwischen diesen zwei Schädeln
zu sehen glaubte. „Sie sind gleich , das Gesicht ist verschieden"
antwortete er. Andere Reihengräberschädel sah ich im Museum
für Völkerkunde in Berlin und ich erkannte in ihnen die mittel-
ländischen Formen wieder. Später erhielt ich von Dr. v. Holder
Photographien und Gypsabgüsse der von ihm studierten württem-
bergischen Schädel geschenkt, die ich mit den mittelländischen ver-
gleichen konnte.
Ich halte es auch für sehr wichtig, dass Dr. v. Holder, als er
mir die Photographien der Reihengräberschädel schickte, mir gleich-
zeitig mitteilte, dass er dieselben Schädelformen auch unter den-
jenigen Schädeln, die von Prof. Calori in seinem Aufsatze über die
Certosa von Bologna beschrieben worden sind, erkannt habe, und
darin stimme ich ihm vollständig bei. Später erkannte auch er
die Identität der Schädelformen der ältesten italischen Gräber aus
den Photographien, die ich ihm mit den Reihengräberschädeln zu-
schickte.
Diese Übereinstimmung der Schädelformen in den Reihen-
gräbern und in den ältesten italischen Grabstätten beschränkt sich
nicht nur auf die Schädel der Certosa von Bologna, die wenigstens dem
5. Jahrhundert v. Chr. angehören, sondern erstreckt sich auf die
Schädel von ganz Italien, auf solche von Gegenden, wo gar kein Ver-
dacht auf nordische, gallische oder germanische Einwanderungen be-
stehen kann; z. B. aus den Gräbern von Novilara (Pesaro), dem
A. Originalarbeit.
8. Jahrhundert v. Chr. angehörig, und aus den Gräbern von Alfedena
(Samnium), vom 8. — 6. Jahrhundert v. Chr. Diese Übereinstimmung
kann nicht zufälhg sein, wie ja auch nicht zufäüig die geographische
Verbreitung der Tiere und Pflanzen ist; sie kann auf natürUche
Weise durch die best bekannten Thatsachen erklärt werden.
Die Übereinstimmungen zwischen den ältesten italischen
Schädeln und denen der Reihengräber, welche auch alt sind und
aus der Zeit vor dem Auftreten der brachycephalen Bevölkerung
herrühren, sind im folgenden zusammengestellt:
Merowingische Schädel im anthropologischen Museum
von Paris:
I. Ellipsoides (N. 5): 1. Ell. planus (1) $ L. B. 76.4,
2. Ell. depressus (2) § L. B. 74.2, H- 79, 3. Ell. rotundus (1) t.
L. B. 73, prognath., 4. Ell. africus (1) $ L. B. 68.1, prognath.
IL Ooides: 1. Oo. cuneatus (1) ? L. B. 73.6.
III. Pentagonoides (N. 3): 1. Pent obtusus (1) $ L. B. 75,
2. Pent. subtilis (Ij $ L.B. 71 prognath., 3. Pent. acutus (1) J
L. B. 73.6 prognath.
IV. Cylindroides merovingius (N. 1) L. B. 69.4. Diese
Schädel stammen aus den Gräbern von Percy sur Oise, Parc de Chellet
(Oise), Londinieres (Seine Inf.), Champlin (Oise) her.
^ -^M
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J^^^^^^^^^^l
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Hi^^l^^B^
V^^^^^^^H^^^Bafe
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Fig.
Schädel von R«ihengräbern (G. 2, v. Holder). Ell. africus, L. B. 70. *
A. Originalarbeit. 5
Schädel vron Reihengräbern aus den Photographien
von Dr. v. Holder:
I. Ellipsoides (N 2): 1. Ell. cuneatus (G. 3) L. B. 75.5,
2. Ell. africus (G. 2) L. B. 70.4. (Fig. 1.)
II. Pentagonoides acutus (1) (G. 1) L. B. 72; vgl. v. Holder:
vgl. Zusammenstellung der in Württemberg vorkommenden Schädel-
formen. Stuttgart 1876.
Italische Schädel aus dem Katalog von 30 Schädel
von Alfedena (Samnium):
I. Ellipsoides: 1. Ell. planus L. B. $ 76.4, $ 75.3, 2. Ell.
cuneatus L. B. J 75, $ 74.9, 3. Ell. rotundus L. B. t 72, $ 71,
4. Ell. africus L. B. $ 69.7. (Fig. 2.)
II. Pentagonoides: 1. Pent. acutus L B. J 76.9, V 73.3,
2. Pent. obtusus L. ß. $ 75.8, $ 75.
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Fig. 2. Schädel von Alfedena (Samnium) Ell. africus . L. B. 69. 7.
Diese Formen sind nicht nur auf diese Gegend beschränkt, sondern
finden sich auch über Nord- und Ost-Afrika verbreitet, unter dem
sogenannten hamitischen Stamme, den ich als Species Eurafricana
bestimmt habe.*) Es ist hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen ; ich
*) Vergl. meine Africa. Antropologia della stirpe camitica. Specie
eurafricana. Torino 1897. Cap. XX.
ß A. Originalarbeit.
will mir anführen, dass es nicht schwer zu folgern ist, dass, wenn der
mittelländische Stamm, der auch die Völkerschaften von Nord- und
Nordwest- Afrika umfasst und einen Teil der Spezies Eurafricana
ausmacht; in den osteologischen Charakteren mit den germanischen
Elementen des Reihengräbertypus übereinstimmt, auch die Be-
zieiiungen zwischen diesen und der ganzen eurafrikanischen Spezies
sehr innig sein müssen.
Hier, kurz zusammengefasst, lasse ich meine Schlüsse folgen.
Die Ureinwohner Europas, ausgenommen diejenigen, die die
Charaktere des Neanderthaltypus haben, sind von Afrika her-
gekommen , besetzten zuerst das Mittelmeergebiet und breiteten sich
dann über das ganze europäische Festland durch das Centrum,
nach Westen und nach Osten aus. Die verschiedenen klimatischen
oder geographischen Verhältnisse waren auf die Färbung der Haut
und der Haare u. s. w. von Einfluss, so dass sich eine ununterbrochene
Hautfarbenskala bilden konnte, vom schwarzen zum rötlich-braunen,
zum hellbraunen Farbenton der mittelländischen Völkerschaften und
weiter bis zum blonden der Nordbevölkerung. Sehr lange Zeit ist ver-
flossen seit den frühesten afrikanischen Einw^anderungen bis zur
Bildung der einzelnen Varietäten, welche durch Farbe verschieden,
aber in Sitten und Avahrscheinlich auch in Sprachen gemischt
waren, wie dies gewöhnlich bei den grossen Völkerwanderungen
und bei der Bildung von verschiedenen Nationalitäten vorkommt.
Aber unter diesen physischen äusseren Variationen mit ethno-
graphischen Charakteren sind die osteologischen Merkmale unver-
ändert und beharrend geblieben, am meisten vor allem die Schädel
und Gesichtsmerkmale.
Wie ich schon an anderer Stelle*) hervorgehoben habe, fanden
in der neolithischen Zeit grosse Völkerwanderungen nach Central-
Europa statt; wilde Völkermassen kamen von Osten her, eroberten
Ost-Europa, dann Central-Europa und breiteten sich endlich im
Westen und Süden aus; sie fielen in Frankreich, Grossbritannien,
namentlich aber in Central- und Süd-Deutschland, in Griechenland
und Italien und auch in Spanien ein; wo sie die älteren Ansiedler
nicht zu unterdrücken vermochten, da drängten sie dieselben gegen
die Ränder des Festlandes und gegen die europäischen Inseln und
Halbinseln zurück. Die skandinavische Flalbinsel wurde damals von
dem ältesten Stamme Europas, afrikanischen Ursprungs, bevölkert,
und diente als Zufluchtsort vor den Neuangekommenen; darum er-
hielt sich hier am reinsten der ursprüngliche Skeletttypus mit den
*) Vergl. Soeben erschienen: Arii e Italici. Torino 1898; und Arier
in Italien, in Ursprung und Verbreitung etc,
A, Originalarbeit. 7
äusseren Merkmalen^ die er in Nord-Europa erhalten hat. Hieraus
erklärt sich die in Skandinavien grössere Häufigkeit des sog. Reihen-
gräbertypus.*) Die neue, von Asien hergekommene Bevölkerung ge-
hörte einem, von dem ursprünglichen ganz abw^eichenden Stamme
an; namentlich durch ihre osteologischen Charaktere, vor allem
durch die Schädel- und Gesichtseigenschaften war sie ganz ver-
schieden. Sie hatte auch abweichende Sitten, und, obwohl sie die
Bronze kannte, war sie doch viel wilder und stand auf einer nie-
drigeren Bildungsstufe als die ursprüngliche Bevölkerung. Heute hat
sie ihre Vertreter in den Kelten, Slaven und südlichen Germanen
zurückgelassen, das heisst in den Völkern mit brachycephalen
Schädeln, Formen, die v. Holder sarmatisch und turanisch nannte,
und den sphenoidalen, platycephalen und sphäroidalen entsprechen.
Dies waren die Arier.
Deswegen findet man in den alten Gräbern Deutschlands zwei
Schädeltypen, verschieden gemischt, und dies in verschiedenem Grade
zu einander je nach den Zeitepochen, ob prähistorisch oder proto-
storisch; und dies erklärt auch die Thatsache, die Virchow so
sonderbar erscheint, d. i. das Verschwinden des Reihengräbertypus
im germanischen Stamme und das sporadische Vorkommen dieses
Typus in alter und neuer Zeit.
Die deutsche Bevölkerung setzt sich gegenwärtig aus zwei
Stämmen zusammen, aus dem ursprünglichen afrikanischen Reihen-
gräbertypus und aus dem asiatischen arischen Typus ; dieser letztere
hat fast ausschliesslich von Süd-Deutschland Besitz genommen und
findet sich mit dem ersteren, dem ursprünglichen, in Nord-Deutsch-
land wenig, in Skandinavien und Jütland noch weniger gemischt.
Als in den geschichtlichen Zeiten jene Völker mit blonden
Haaren und langen Schädeln erschienen, die den Namen der Cim-
bern und Teutonen und dann den der Alemannen und Franken an-
nahmen, glaubte man, dass dies die echten deutschen Arier wären;
sie waren es aber nicht, sondern die arianisierten Reste der ur-
sprünglichen europäischen Bevölkerung.
Aus diesen kurzen Bemerkungen ersieht man, dass der Reihen-
gräbertypus nicht den germanischen, arischen, wie die deutschen
Anthropologen glauben, vorstellt; er ist ein viel älterer als der
arische Typus, afrikanischen Ursprungs, ein Rest der ursprünglichen
europäischen Bevölkerung und gehört darum demselben mittel-
ländischen Stamme an, der Italien, Griechenland und die iberische
Halbinsel bevölkerte, d. h. dem hamitischen Stamme oder der
*) Vergl. Barth, Crania antiqua in parte orientali Norver^iae meri
dionalis inventa. Christiania 1896.
8 B. Referate. 1. Anthropologie. /
eiiiafrikanischeii Spezies, dein ältesten Stamme, der nach dem
Neanderthalstamme das afrikanische Festland vom Äquator bis zum
Miltehneere und das europäische Festland vom Mittelmeere bis zur
Ostsee und weiter bis zur skandinavischen Halbinsel und den eng-
lischen Inseln bevölkert hat. Dieser alte eurafrikanische Stamm
unterlag sowohl am Mittelmeer wie in Central- und Nord-Europa
der Herrschaft und dem Einflüsse der Arier.
ß. Referate.
i. Anthropologie.
a. Somatische Anthropologie.
1. Karl Ernst von Baer: Lebensgeschichte Cuviers. Heraus
gegeben von L. Stieda, Königsberg i, Pr. Arch. f. Anthrop.
Bd. XXIV., S. 227—275.
Im littej arischen Nachlasse Karl Ernst von Baers fand sich eine nicht
druckfertige Handschrift: Lebensgeschichte Cuviers. Stieda hat sich der
grossen Mühe unterzogen, sie durchzuarbeiten und druckfertig zu stellen;
in kräftigen Zügen giebt sie ein Bild vom Leben und der glänzenden Wirk-
samkeit des grossen Naturforschers, als Hintergrund immer die Geschichte
der ganzen damaligen Zeit. Dr. Lehmann- Nits che- La- Plata.
2, Alois F. Hrdlicka: Pathological Institute of the New-
York State hospitals. Department of anthropology. Outhne
of its scope and exposition of the preliminary work. State Hospi-
tals Bulletin. State of New-York. Utica N. Y. 1897. Vol. II,
Nr. 1.
Die Amerikaner gehen bei Allem, was sie unternehmen, gern ins
Grosse. So hat der Staat New-York nicht nur für alle seine Irrenanstalten
ein besonderes pathologisches Institut, sondern bei dem letzteren noch eine
besondere Abteilung für Anthropologie errichtet, an dessen Spitze Dr.
Hrdlicka berufen ist. Derselbe legt in dem vorliegenden Aufsatz die Auf-
gaben und Ziele der ihm unterstellten neugegründeten Anstalt dar. Er
fasst (wie die Amerikaner überhaupt), den Umfang der Anthropologie weit;
sie ist ihm ,,die Wissenschaft von allem Normalen und Abnormen des
Menschen und seines Geschlechtes, sowie die Vergleich ung und Erklärung
dieser Dinge". Als Aufgabe der anthropologischen Anstalt des pathologischen
Instituts sieht er die Feststellung des normalen amerikanischen Menschen,
oder wenigstens des normalen, im Staat New-York geborenen Menschen,
zugleich aber auch ,, die Untersuchung aller derer Bevölkerungsklassen (sie!),
die durch ihre Lebensäusserung deutlich zeigen, dass sie abnorm sind, wie
B. Referate. 1. Anthropologie. 9
die Wahnsinnigen, die Verbrecher, die Epileptiker, die Idioten etc." Die
Unterschiede zwischen den ,, Normalen" und den ,, Abnormen" sind festzu-
stellen, zu vergleichen, ihr Grund zu prüfen, und zwar ebensowohl am
lebenden, wie am toten Material. Verf. glaubt sein Ziel zu erreichen,
wenn ihm etwa 40 000 genaue und vollständige Individualaufnahmen vor-
liegen; da nur eine solcher Aufnahmen, wenn sie gewissenhaft und gründlich
gemacht wird, einen Beobachter einen vollen halben Tag in Anspruch nimmt,
die ganze Zahl also von einem Arbeiter erst in 60 Jahren bewältigt werden
kann, ergiebt sich die Notwendigkeit geschulter Assistenz. Es sind daher
Hilfsarbeiter in Kursen von je 4 Wochen gründlich praktisch auszubilden;
dann eben verspricht sich Verf. Grosses von den Resultaten der Arbeit.
Diese würde auch zweckmässig nicht die vollständige Summe aller Merk-
male des Einzelindividuums umfassen, sondern einzelne Merkmalgruppen,
z. B. anthropometrische und cephalometrische zunächst studieren, um später
andere Merkmalsgruppen an anderen Individuen zu studieren. — Für die
Beobachtungen am toten Material sind Sammlungen erforderlich, die nach
festem Plan und nach besten Methoden anzulegen sind. (Verf. giebt einige
Bemerkungen für das Sammeln von GehirnenJ. Für das Sammeln von
Skeletten bestehen zur Zeit in der amerikanischen Gesetzgebung grosse
Hindernisse. Hrdlicka schlägt vor, dahin zu wirken, dass bei den Hospi-
tälern eigene Friedhöfe angelegt werden sollen, aus denen die Skelette
nach einiger Zeit herausgenommen werden und den Sammlungen einver-
leibt werden könnten. — Der ganze Plan der Beobachtung ist weit an-
gelegt; die zu erwartenden Resultate werden zum grösseren Teil dem Ge-
biet der Medizin zufallen, doch würden, wenn der Plan zur Durchführung
gelangt, gewiss auch für rein anthropologische Fragen wichtige That-
sachen sich ergeben.
Prof. Dr. Emil Schmidt- Leipzig.
3. H. Ebbinghaus: Über eine neue Methode zur Prüfung
geistiger Fähigkeiten und ihre Anwendung bei Schul-
kindern. Zeitschr. f. Psychologie und Physiologie der Sinnes-
organe. 1897. Bd. XIII, S. 401.
Auf Anregung des Breslauer Stadtmagistrats wurden unter Mitwirkung
der Prof. Flügge, Cohn und Jacobi behufs Untersuchung in der Frage der
geistigen Überbürdung infolge des 5stündigen Vormittagsunterrichtes die
Schulkinder einiger höheren Schulen Breslaus (Gymnasium und Mädchen-
schule) einer daraufhin gerichteten Prüfung unterworfen. Es kamen hier-
bei vorzugsweise drei Prüfungsarten zur Anwendung, und zwar die Burger-
steinsche Rechenmethode, die Gedächtnismethode (Niederschreiben von kurzen
Reihen vorgesagter einsilbiger Zahlworte) und die Kombinationsmethode
(sinngemässes Ausfüllen von Lücken eines absichtlich verstümmelten Textes).
Mit Rücksicht auf die allgemeine geistige Leistungsfähigkeit der Schüler
-JO B- Referate. 1. Anthropologie.
ergab sich, dass die Menge der geleisteten Arbeit von dem obersten zu
dem untersten Drittel jeder Klasse durchweg ab-, die Prozentzahl der dabei
gemachten Fehler dagegen durchweg zunimmt. Ferner stellte es sich
heraus, dass die Mädchen der untersten Klassen ausnahmslos bei allen drei
Methoden hinter den gleichalterigen Knaben zurückbleiben. Die Ermüdung
steht im umgekehrten Verhältnisse mit dem zunehmenden Alter; denn
während die Arbeitsresultate der höheren Klassen am Ende des Unterrichts
noch ziemlich zufriedenstellend sind, so erleiden die Kinder der unteren
Klassen eine allmäWich und gleichmässig zunehmende Abschwächung ihrer
geistigen Leistungsfähigkeit. Wenn sich auch im allgemeinen bei der
elementarsten Gedächtnisleistung eine Beeinträchtigung der Leistungsfähig-
keit durch den 5stündigen Unterricht nicht nachweisen lässt, so erscheint
es trotzdem fraglich, ob der Unterricht der letzten Vormittagsstunde in den
untersten Klassen überhaupt noch einen nennenswerten Nutzen habe. Diese
thatsächhchen Resultate werden durch eine Anzahl beigeschlossener Tabellen
übersichtlich veranschaulicht.
Dr. 0. Hovorka Edl. v. Zderas-Janjina.
4. Raff. Gurrieri: II peso del cranio umano studiato ri-
guardo al sesso ed all' eta. Arch. per l'antrop. e Tetnol.
1897. Bd. XXVII, S. 169.
Verf. hat seine Untersuchungen über das Gewicht des Schädels bei
beiden Geschlechtern (cf. Centralbl. Bd. I, S. HO) nunmehr auf 950 Schädel
ausgedehnt und feststellen können, dass der weibliche Schädel stets, auch
in den verschiedenen Lebensaltern, an Gewicht hinter dem männlichen
zurücksteht. 63 % der männlichen Schädel (64 % derer im Alter von 20 — 45,
61% im Alter von 46 — 75 Jahren) hatten ein Gewicht von 651 — 1000 gr,
71 % der weiblichen Schädel (31 % derer im Alter von 20— 45, 24 7^ imAlter
von 46 — 75 Jahren) ein solches von nur 300 — 650 gr. Die höchsten Ge-
wichtszahlen fanden sich unter den männlichen, die niedrigsten unter den
weiblichen Schädeln. — Wohlgemerkt beziehen sich diese Untersuchungen
bisher nur auf Irrenhaus-Material. Dr. Buschan -Stettin.
5. Paul Bartels: Über Oeschlechtsunterschiede am Schädel.
Inaugural-Dissertation. Berlin 1897. S. 108.
Eine gründliche Bearbeitung und Untersuchung der bis heule noch
stets offenen Frage nach etwaigen geschlechtlichen Schädelmerkmalen nebst
umfassendem, wenn auch nicht vollständigem Litteraturverzeichnis. Verf.
untersuchte 1090 (685 männliche und 405 weibhche) Schädel; er ver-
mochte kein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal aufzufinden; auch die
in neuerer Zeit öfters besprochene Thiem'sche Fossa tympanico - stylo-
mastoidea findet er bei Geschlechtsbestimmungen von Schädeln nicht als
ausschlaggebend. Dr. 0. Hovorka Edl. v, Zderas-Janjina,
B. Referate. 1. Anthropologie. \{
0. Otto Spöttel: Über Eormvcrschiedenheiteii der Flügel-
fortsätze des Keilbeins bei Menschen und Aileu. Inaugural-
Dissertation aus dem anthrop. Institut von Prof. Johannes Ranke
in München. München 1896. Druck von E. Mühlthalers kgl.
Hofbuchdruckerei. 64 S. mit 4 Abb.
Waldeyer hatte bei seinen Untersuchungen über Form- und Rassen-
verschiedenheiten der Flügelfortsätze des Keilbeins 3 Typen unterschieden,
den gewöhnlichen (Typ. A), stärkere Ausbildung der äusseren Lamelle
(Typ, B), geringe Ausbildung sämtlicher Teile, namentlich der inneren
Lamelle (Typ. C). Daran anknüpfend konnte Spöttel noch eine 4. Grund-
form auffinden, ähnlich" Typ. B, nur die äusseren Lamellen scharf dreieck-
artig ausgezogen (Typ. D). Spöttel nahm folgende Maasse: Länge vom
Choanendach bis zur Abgangsstelle des Hamulus, Abstand beider Laminae
in der Mitte der Grube, grösste Tiefe der Fossa, mittlere und grösste Breite
der äusseren Lamellen, Entfernung zwischen den äussersten Punkten der-
selben, Lamellenwinkel, und kam zu folgenden Resultaten:
Embryonen (23 Ex.) zeigen eine absolute Grössenzunahme der
Flügelfortsätze. In der ersten Lebensperiode nach der Geburt
(21 Ex. gem.) ist deren Form charakterisiert durch minimale innere La-
mellen und eine seichte, gewöhnlich noch keine Trennungsleiste auf-
weisende Fossa. Gut entwickelt sind die Lam. lat., in den meisten Fällen
noch ungezähnelt, und die Hamuli. Der Lamellenwinkel ist sehr ver-
schieden (Schwankungsbreite 32 ^ und 63 °), also schon so wie bei Er-
wachsenen.
Im kindlichen AI t er (4 Ex.) sind in der ersten Hälfte keine wesent-
lichen Form- und Grössenänderungen. Die Hauptentwickelung fällt in die
zweite Hälfte (8 — 14 Jahre) und erreicht mitunter schon die für erwachsene
$ Ex. enthaltenen Maasszahlen.
Für erwachsene männliche und weibliche Exemplare (je
100 der oberbayerischen [Münchener] Bevölkerung) ist die charakteristische
Form Typus B, die grösste der vorkommenden Formenbildungen. Männer
sind bevorzugt (10^/^ : 56 7o)j Weiber restieren also häufiger auf der jugend-
lichen, noch unentwickelten Bildung und zeigen auch absolut kleinere Flügel-
fortsätze als das J^ Geschlecht.
Die Grösse der Schädelkapazität hat bei den beiden Geschlechtern auf
die Entwickelung der Flügelfortsätze keinen Einfluss.
378 Schädel anderer deutscher Stämme und europäischer
Völker zeigten ungefähr dieselben Verhältnisse, wie die eben geschilderten
der Münchener Stadtbevölkerung; afrikanische, melanesische und
australische Schädel dagegen, wie schon Waldeyer nachgewiesen, die
typisch jugendliche resp. weibliche Form C (geringe Entwickelung sämtlicher
Teile) in viel grösserer Häufigkeit, genau in demselben Prozentverhältnis
1;2 ß- Referate. 1. Autliropologie.
als die Frauen der Münchener Stadtbevölkerung, stehen also auf einer
weniger entwickelten, kindlichen Stufe.
Ein Foramen Civinini fand sich bei den 100 J^ Münchener
Schädeln 9mal, bei den 100 $ 8mal; Verf. hätte auf die ev. Beziehungen
desselben zu Grösse und Form der Flügelfortsätze eingehen können.
Schädel anthropoider Affen (100 Ex.) zeigen eine ganz andere
Form der Flügelfortsätze als der Mensch, ausserdem keine Form-, sondern
nur Grössenunterschiede; eine Fossa scaphoidea fehlt.
Dr. Lehmann-Nüsche-La Plata.
7. Springer: Über die Stirnnaht und den Stirnfontanell-
knochen beim Menschen. Inaug.-Diss. Königsberg, 1897.
8. Buschan: Metopismus. Real-Encyklopädie der gesamten Heil-
kunde. 3. Auflage. Wien, 1897.
Hunault (1740) bespricht als Erster die Stirnnaht und lässt sie durch
starkes Gehirn und mangelhaftes Knochenwachstum entstehen, Blumenbach
fasst sie als Stehenbleiben auf früherer Entwdckelungsstufe auf. Hyrtl
fasst sie als Tierähnlichkeit auf. Der erste aber, der eingehend die sut.
front, untersucht, ist Welcker (1862), der auch zuerst auf den vielfach
andern Bau der Kreuzköpfe hinwies, eine typische ünterform bildend, die
brachycephalia frontalis. Nach ihm ist die Stirnnaht erblich; sie stammt
von der grösseren Entwickelung des Hirns, besonders des Geruchsorgans
ab. Dass dieselbe nicht immer, sage selten, die Fortsetzung der sut.
sagittalis bilde, erwähnt zuerst Simon (1873) und glaubt, dass ausser dem
Alter noch andere Momente die Stirnnaht bedingen; bei Geisteskranken
soll sie abnorm häufig vorkommen. Anutschin (1880) zeigte, dass die
Stirnnaht häufiger bei Europäern, als sonst, sei, sagt aber ausdrückhch,
dass ausser der Intelligenz der Rasse und der Schädelbreite noch andere
Momente dieselbe bedingen. Verf. untersuchte nun 804 Schädel von Er-
wachsenen des Königsberger anatomischen Instituts auf die Stirnnaht und
fand sie in 7,96 pCt. (oder 7,88 pGt. bei M., 8,33 pCt. bei W.). Das
Mittel der Prozentzahlen vieler Autoren ergiebt ihm 8,6 pCt., oder einzeln
10,0 pCt. M., 10,4 pCt, W., der untersuchten Schädelzahl nach aber: 8,6 pCt.
und einzeln: 9,5 pCt M., 15 pCt. W. Er fand ferner nur in 14 pCt.
die Sut. front, und sagitt. regelmässig gekreuzt. Häufig war auch die
Verbindung der beiden Seitenhälften des Stirnbeins mit beiden Schädel-
beinen unregelmässig. Unter 64 Schädeln stiessen alle 4 Knochen nur
4 mal in einem Punkte zusammen. Das ist bedingt durch accessorische
Knochenkerne im Bereiche der Stirnfontanelle. Letztere fand Verf. nur
in 1,4 pCt , fast nur bei M. Grösse, Form derselben, seine Lage ist sehr
verschieden. Der Knochen entsteht jedenfalls mindestens durch einen be-
sonderen Knochenkern, bisweilen ist er doppelt.
B. Referate. 1. Anthropologie. 13
Buschan (8) bespricht den Metopismus auf Grund der neuen Lit-
teratur in Hchtvoller Weise. In der kaukasischen Rasse dürfte die Stirn-
naht im Mittel in 11 pCt. vorkommen, bei den Tschechen in nur 5,5 pCt.,
ganz selten bei Negern, bei den alten Pompejanern in 10,5 pCt. Sie
verläuft nicht immer in der Mittellinie. Der Kreuzkopf ist durchschnitt-
lich breiter, besonders vorn, ebenso das Gesicht, der Schädel ist scheinbar
weniger hoch, neigt zur Brachycephalie, zeigt durchschnittlich einen höheren
Kubikinhalt, als der normale und ist schwer (durch Hyperostose); die
Nähte sind meist komplizierter, öfter treten anomale Suturen auf und
recht oft Schaltknochen. Die Crista frontalis soll oft fehlen oder nur
schwach vertreten sein. Die Auffassung der Stirnnaht als Atavismus ist
mehr als strittig. An Verbrechern scheint sie nicht häufiger als sonst
vorzukommen, ebenso nicht an Geisteskranken. Verf. sieht in ihr ein
Zeichen der Superiorität, durch starke Gehirnentwickelung bedingt, be-
sonders des Stirnhirns.
Ref. möchte aber doch bezweifeln, ob die Stirnnaht wirklich ein
Zeichen der höheren Entwickelung ist, da 1. bei einigen höheren Stämmen,
z. B. einigen Mongolen, dieselbe selten auftritt, 2. bei Verbrechern, die
durchschnittlich etwas kleineres Gehirn als normal haben und weniger in-
telligent sind , die Stirnnaht nicht seltener, nach Einigen sogar häufiger
ist und 3. bei gewissen Geisteskranken — den Idioten — häufiger sein
soll. Jedenfalls spielt scheinbar das ethnische Element die Hauptrolle.
Interessant wäre es, die Schädel hochintelligenter Männer auf die Stirn-
naht hin zu untersuchen. Ref. bemerkt weiter, dass auch er bei Geistes-
kranken (exkl. Idioten) nur sehr selten Kieuzköpfe sah, gewiss nicht
häufiger als sonst, unter Schädeln von 13 Verbrecherinnen (inkl. einer
Selbstmörderin) 1 Stirnnaht fand, dass er sehr daran zweifelt, ob man,
wie Welcker sagt, die Stirnnaht an lebenden Menschen sofort erkennen
kann und dass ihm endlich die Frage, ob nicht doch vielleicht die Stirn-
naht ein Degenerationszeichen darstelle, noch lange nicht hinreichend
untersucht zu sein scheint. Oberarzt Dr. P. Näcke-Hubertusburg.
9. Karutz: Studien über die Form des Ohres. Zeitschr. f.
Ohrenheilkunde. 1897. Bd. XXX. S. 242 und 344; XXXI.
S. U.
Eine interessante Studie, von der man nur bedauern kann, dass sie
nicht in einer anthropologischen Zeitschrift Aufnahme gefunden hat und
daher in den Fachkreisen nicht die Beachtung und Verbreitung erlangen
wird, wie sie es verdient.
Im 1. Abschnitt diskutiert Verf. den Zweck und die Gestaltung der
menschlichen Ohrmuschel. Er giebt eine Zusammenstellung der zahlreichen
Hypothesen, die über diesen Punkt aufgestellt worden sind, weist das Irrige
derselben nach und versucht auf entwickelungsgeschichtlicher Basis eine
14 B. Referate. 1. Anthropologie.
neue, sehr plausible Erklärung. Nach dieser handelt es sich bei der
menschlichen Ohrmuschel um ein rudimentäres Organ. Verf. geht hierbei
von der phylogenetisch nachweisbaren Auffassung aus, dass die ursprüng-
liche physiologische Bestimmung der Ohrmuschel die einer die Gehör-
gangsöffnung deckenden Schutzvorrichtung (Klappe) ist, und findet an der
Hand vergleichender Messungen an dem Gehörgange der Säugethiere, die
in diesem Sinne fortzusetzen sich empfehlen würde, dass in dem Augen-
blick, wo diese ihre Funktion überflüssig wird, insofern die wertvollen
inneren Teile des Gehörorganes durch einen längeren äusseren Gehörgang
genügend vor äusseren Schädlichkeiten bewahrt werden, die Reduktion der
Muschel beginnt. Mit der Verkleinerung der Ohrmuschel, so argumentiert
Verf. weiter, bildet sich, da ihre Beweglichkeit eingeschränkter wird, auch
die Muskulatur derselben mehr und mehr zurück und geht bei den Anthro-
poiden und dem Menschen schliesslich gänzlich verloren. Eine Folge des
aufhörenden Muskelzuges ist die, dass der obere Teil des Ohres herab-
sinkt, sich faltet und in einen Helix bezw. Anthelix sich verwandelt und
aus dem gleichen Grunde das untere Ende unter dem Gewicht der eigenen
Schwere zum Ohrläppchen sich gestaltet. — Im 2. Abschnitte ventiliert
Verf. die Frage, inwieweit die Ohrenform als Rassenmerkmal zu verwerten
ist. Mongolen und Amerikaner besitzen eine im Verhältnis zur Körper-
grösse wesentlich grössere Ohrlänge als die Arier, die indessen bezüglich
der absoluten Ohrlänge mit ihnen zusammen die Gruppe der „Grossohren"
bilden. Ihnen schliessen sich in der relativen Länge die Malayen und die
Finnen — diese letzteren zeichnen sich durch ein absolut recht kurzes
Ohr aus — an. Papuas und Australier gleichen hinsichtlich des Ver-
haltens der Ohrlänge zur Körperlänge ziemlich den Ariern. Dagegen
weisen die Singhalesen, Buschmänner und Neger ein relativ sehr kurzes
Ohr auf. — Abstehende Ohren sind nicht als Merkmal mongolischer
Rassen, ebensowenig als primitive Bildung oder Eigenschaft niederer Rassen
aufzufassen. Sie sind auch kein Affentypus, denn bei den Gattungen
Cynocephalus, Macacus und Cercopithecus — von diesen und nicht von
den Anthropoiden ist die menschliche Ohrform abzuleiten — stehen die
Ohrmuscheln keineswegs vom Kopfe ab. Neger zeichnen sich durch feine,
zierliche, wohlgebildete Ohren und Neigung zu schwacher Lappenbildung
aus. Das Fehlen des Läppchens ist kein Rassenmerkmal.
Von der Geburt an nimmt das Ohr in seinem Längsdurchmesser relativ
mehr zu, als in seinem Breitendurchmesser. Kinder besitzen daher kleinere
und rundere Ohren. — Das weibliche Ohr weist nicht die Eigenschaften
des kindlichen Ohres auf.
Der 3. Abschnitt ist der Ohrform in der Physiognomik gewidmet.
Im 4. Abschnitte beschäftigt sich Verf. mit der Ohrform als Degene-
rationszeichen. Er lässt die zahlreichen Variationen des menschlichen
Ohres, als da sind z. B. Darwinsches Knötchen, angewachsenes Ohr-
B. Referate. 1. Anthropologie. 15
läppchen, verlängertes Ohrläppchen, abstehende Ohren, Spitzohr, schiefe
Insertion, übermässig muschliger Bau, früh aufhörender und rudimentärer
Helix etc., Revue passieren und gelangt zu dem Schlüsse, dass keiner ein-
zigen dieser Formen die Bedeutung des Degenerationszeichens zukommt.
Variabilität und Erblichkeit sind für ihn die beiden Faktoren, aus denen
sich unter Mitwirkung der Rassenmischung die Fülle der Ohrformen er-
klärt. Unserer Ansicht nach erscheint dieser Schluss keineswegs ein-
wandsfrei. Verf. führt selbst eine ganze Reihe von statistischen Zusammen-
stellungen an, aus denen zur Genüge hervorgeht, dass, was auch für die
übrigen sogen. Degenerationszeichen nachgewiesen ist, die Häufigkeit der
abweichenden Ohrformen von den Geistiggesunden zu den Geistesschwachen
resp. Kranken und zu den Verbrechern hin zunimmt, er betont selbst
(S. 41), dass ,, geistige Abnormität eine Zeitlang oder das ganze Leben
lang dem Blick sich entziehen, aus Mangel an einem äusseren Anstoss
latent bleiben kann", und trotzdem legt er den wenigen Angaben, die
eine gleiche Häufigkeit bei Gesunden beobachtet haben wollen, mehr Be-
deutung bei. Auch seine Ausfälle gegen die Lombrosianische Lehre scheinen
uns übertrieben zu sein. Dr. Buschan-Stettin.
b. Biologie.
10. Rudolf Yirchow: Eassenlbildung und Erblichkeit. Fest-
schrift zu Adolf Bastians 70. Geburtstage. Berlin 1896, Dietrich
Reimer, S. 1 — 44.
Verf. betrachtet die Frage von der Bildung der heutigen Menschen-
rassen und beleuchtet die einzelnen Gesichtspunkte, sowie die Schwierig-
keiten, welche ein tieferes Verständnis, geschweige denn eine Lösung dieser
Frage vor der Hand unmöglich machen. Der Hauptgang seiner Betrach-
tungen ist im wesentlichen folgender:
Jede Rasse, auch eine nationale, ist durch Mischung entstanden.
Mischung giebt zwar keine konstanten Resultate, die Erblichkeit ist in der
Regel partiell, aber doch muss bei immer fortgesetzter Mischung der-
selben an sich verschiedenartigen Typen mit der Zeit ein herrschen-
der Mischtypus entstehen, sich allmählich ein neuer Nationaltypus
gestalten, der nur die dauerhaften Eigenschaften der einzelnen Komponenten
zeigt. So kommt man auf diese selbst und schliesslich auf die originären
Typen zurück, deren Entstehung aber nach dem jetzigen Stande unserer
Kenntnisse nicht ins Bereich naturwissenschaftlicher Forschung gehört.
Nur die Entwickelung der einzelnen Rassen aus den nun einmal vorhan-
denen Typen kann in Betracht gezogen werden. Diese ist aber nur so zu
denken, dass zuerst eine individuelle Variation eintritt und diese sich dann
erblich fortsetzt. Die Frage nach dem Grund einer solchen Variation ist
damit freilich nicht erledigt, ebenso wenig, warum sie sich das eine Mal
vererbt, das andere Mal nicht. (So ist beispielsweise beim Hollenhuhn
iß B. Referate. 1. Anthropologie.
eine Anomalie des Hirns und der Federn, eine Encephalocele nebst Feder-
schöpf, erblich, beim Menschen eine analoge Missbildung des Rückenmarks,
Spina bifida occulta nebst Haarschopf, nicht.) Auch lassen sich solche ab-
weichende Bildungen nicht so ohne weiteres als Atavismus erklären; viel-
fach sind es persistierende Fötaleinrichtungen (z. B. die Caudalanhänge).
Jedenfalls aber muss einmal, damit eben die Bildung einer Rasse beginnen
konnte, eine Abweichung von dem Normalen, also etwas Pathologisches,
stattgefunden, und die Ursache dieser Abweichung ausserhalb der typi-
schen Organisation gelegen haben, also eine äussere gewesen sein. Solche
äusseren Ursachen sind beispielsweise die örtlichen Verhältnisse, die den
Typus beeinflussen; aber trotzdem ist dessen Persistenz infolge der Ver-
erbung eine ausserordentHch grosse, und die Zeit, die nötig ist, seine
völlige Umwandlung herbeizuführen, garnicht abzusehen. — Dass die ein-
getretenen Abweichungen aber nur graduell verschieden sind, zeigt be-
sonders deutlich die Pigmentierung der weissen Rasse, wodurch sich die
grosse Schwierigkeit, sie scharf zu trennen, leicht erklärt. Gerade bei der
weissen Rasse treten dazu noch weitere Schwierigkeiten hinsichtlich der
Sprache und der Schädelform. Der Schädel, vor allem der Gesichtsschädel,
habe aber nicht die ihm bisher beigemessene Bedeutung; für die Rassen-
einteilung wird er immer nur eine sekundäre Stelle einnehmen, dazu seien
vor allem die Merkmale des Lebenden heranzuziehen.
Weiter die Erblichkeit. Wie schwer diese Frage ist, zeigen nament-
lich Pathologie und Medizin ; mit dem Stande der Kenntnisse wechseln die
Anschauungen. Besondere Schwierigkeit bildet die Frage der Vererbung
von Verletzungen, die keineswegs spruchreif ist. Das einzige Mittel, um
nicht in das Chaos der Hypothesen zu geraten, mit denen die neueren
Werke über Erblichkeit überfüllt sind, sei einzig und allein die Empirie,
die gut beglaubigten empirischen Thatsachen zu vermehren.
Verf. schliesst: Das Problem der Rassenbildung beim Menschen bleibt
also, wie wir es auch naturwissenschaftlich, d. h. empirisch angreifen
mögen, doch immer noch ungelöst. Dr. Lehmann-Nitsche-LaPlata.
11. H. Ploss: Das Weib in der Natur- «ud Völkerkunde.
Anthropoi. Studien. 5. umgearb. und stark vermehrte Auflage.
Nach dem Tode des Verf. bearbeitet und herausgegeben von
Dr. Max Bartels. Mit 11 lithogr. Tafeln und 420 Abbildungen.
im Text. 2 Bände. Leipzig, Th. Grieben's Verlag. 1897.
Kaum 2 Jahre sind seit dem Erscheinen der 4. Auflage des rühm-
lichst bekannten Werkes verflossen, und schon wieder liegt eine neue Um-
arbeitung desselben vor. Diese Thatsache spricht für sich selber. — Ein
Vergleich dieser 5. Auflage mit der vor 10 Jahren erfolgten ersten Aus-
gabe der „Anthropologischen Studien" von Ploss lässt äusserlich kaum
vermuten, dass es sich um dasselbe Buch handelt. Welch* reiche Ver-
B. Referate. 1. Anthropologie. 17
mehrung nicht nur, sondern auch welch gründliche Umarbeitung hat sich
hier unter den Händen von M. Bartels vollzogen: von 1078 ist die Anzahl
der Seiten auf 1421 gestiegen; allerdings tragen hierzu die 420 gut ge-
M^ählten Abbildungen bei, die zusammen mit 11 M^ohlgelungenen litho-
graphischen Tafeln den Genuss bei der Lektüre erhöhen. Trotz mancherlei
Umgestaltung und Vermehrung des Stoffes ist der ursprüngliche von Ploss
angelegte Plan im grossen und ganzen beibehalten worden. War Ploss'
Darstellung im Grunde genommen noch immer Stückarbeit, so zeigt un?
Bartels' Bearbeitung ein schon ziemlich abgeschlossenes, in sich zu-
sammenhängendes Bild: das Weib in anthropologischer, ethnologischer,
folkloristischer und kulturgeschichtlicher Darstellung, von der Geburt an
bis über das Grab hinaus.
Es bedarf für Fachgenossen keines erneuten Hinweises auf die Vor-
trefflichkeit des Werkes, noch einer Wiedergabe seines Inhaltes. Das
Ganze spiegelt wahre wissenschaftliche Forschung, echte deutsche Gründ-
lichkeit und ideale Hingabe des Verfassers an sein Thema wieder.
Dr. Buschan-Stettin.
12. Flechsig: Über die Associationscentren des mensch-
lichen Grehirns. 3. Intern. Kongr. f. Psychologie in München
vom 4. bis 7. August 1896. München, J. F. Lehmann 1897,
S. 49.
Mittelst seiner entwickelungsgeschichtlichen Erforschungsweise hat
Flechsig gefunden, dass die Bewegungen und Empfindungen vermitteln-
den Sinnessphären, die beim Menschen nur etwa ein Drittel der Gross-
hirnrinde einnehmen und vier verschieden grosse Bezirke: Körperfühl-
(zuerst auftretend und am grössten). Riech- (am kleinsten), Seh- und
(die zuletzt sich entwickelnde) Hörsphäre bilden, dass diese Sinnessphären
räumlich durch Rindenfelder getrennt sind, in die weder von Empfindungen,
noch von Bewegungen benutzte Leitungen eintreten. Diese, Zweidrittel
der Grosshirnrinde umfassenden Zwischenstücke verknüpfen die Sinnes-
sphären untereinander und werden daher von Flechsig Associations-
centren genannt. Flechsig hält es für sehr wahrscheinlich, dass bei Sinnes-
eindrücken die Erregungen von den Sinnescentren her bis zu den
Ganglienzellen der Associationscentren vordringen, wo sie auch Gedächtnis-
spuren hinterlassen, mit oder ohne die dann verschiedene Wahrnehmungen
in diesen Zellengruppen verknüpft werden. Bei den niederen Säugetieren
sind die Associationscentren noch nicht vorhanden, bei den niederen Affen
nur wenig entwickelt und erst bei den höheren (katarrhinen) Affen an-
nähernd ebenso gross wie die Sinnessphären, während sie beim Menschen
die Sinnessphären um das Doppelte übertreffen. (Wie sind diese Grössen-
verhältnisse bei den Elephanten und den Waltieren? Mies.) Das mensch-
liche Gehirn zeichnet sich vor dem der menschenähnlichen Affen haupt-
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 2
18 B. Referate, 1. Anthropologie.
sächlich durch die psychisch sehr hoch stehenden Centralgebiete aus, die
mit den sie umgebenden, den Sinnessphären benachbarten Randzonen zu-
sammen die Associationscentren bilden. Es giebt drei Associationscentren,
ein grosses hinteres, ein kleineres vorderes auf der Spitze der Stirnlappen
und in der Mitte das kleinste, der Insel entsprechende Associationscentrum.
Doppelseitige Erkrankung von einem der beiden ersten erzeugt Schwach-
bis Blödsinn, in dem die Indolenz vorherrscht, wenn die Stirnlappen, und
die Incohärenz in den Vordergrund tritt, wenn die hinteren Centren
ergriffen sind. Gleichzeitige Erkrankung der den Mittelpunkt der gesammten
Grosshirnrinde darstellenden Körperfühlsphäre und des vorderen Associations-
centrums führt zur vollständigen Vernichtung der Persönlichkeit, des „Ich."
Zum Schlüsse deutet Flechsig noch die Frage an, ob durch die Sinnes-
centren ein andersartiges Bewusstsein vermittelt werde, als durch die
Associationscentren. Dr. Mies-Köln.
13. Sergi: Dov' h la sede delle Emozioni? 3. Intern. Kongr.
f. Psychologie in München vom 4. bis 7. Aug. 1896. München,
J. F. Lehmann 1897, S. 74.
Das (im Central - Nervensystem liegende) Centrum der Gemütsbe-
wegungen ist nicht das Gehirn im eigentlichen Sinne, sondern das
verlängerte Mark, wo alle Centren des vegetativen Lebens liegen. In-
dem das Gehirn durch Vorstellungen und Erinnerungen Gemütsbe-
wegungen hervorruft, ist es wie die Sinnesorgane im Verhältnis zum
verlängerten Mark ein peripherisches Organ. An den Gemütsbewegungen
nimmt es nur insofern teil, als es uns Lust oder Unlust zum Bewusstsein
kommen lässt. Ihren Sitz haben die Gemütsbewegungen in der Peripherie,
weil sie erzeugt werden durch Veränderungen der peripherischen Organe
des Ernährungssystems (vita di nutrizione) : des Blutkreislaufs, der Atmung,
der Ausscheidungen u. s. w., Veränderungen, die begleitet sind von eigen-
artigen Teil- und Allgemein-Bewegungen. Dr. Mies-Köln.
14. Preyer: Die Psychologie des Kindes. 3. Intern. Kongr.
f. Psychologie in München vom 4. bis 7. Aug. 1896. München,
1897, S, 80.
Die Seelenentwickelung kann man beim Kinde auf physikalischem oder
experimentellem Wege nicht erforschen, sondern zunächst nur durch wieder-
holte genaue und vorurteilsfreie Beobachtungen mühsam kennen lernen.
Aul alle Muskelbewegungen muss man achten, denn sie sind die einzigen
Merkmale für den Beginn seelischer Vorgänge in dem Säugling, der sich
ganz natürlich giebt, nicht heuchelt und sich beherrscht wie der Erwachsene.
Dabei soll man nicht über Ursachen und Wirkungen der in den ersten
Lebensmonaten meist rätselhaften Bewegungen grübeln, vielmehr ,,Natur-
thatsachen zu sammeln und die in ihnen zusammengefassten Erscheinungen
B. Referate. 1. Anthropologie. 19
als von einander abhängig zu erkennen" suchen. Es würde sich sehr
lohnen, mittelst der Momentphotographie die mimischen Funktionen auf-
zusuchen, in welchen alle Kinder aller Völker übereinstimmen, sowie fest-
zustellen, wie der Ausdruck eines geistigen Zustandes sich bei demselben
Individuum mit dem Alter ändert. Durch Beobachtung kann ferner ent-
schieden werden, ob die geistige Entwickelung des Kindes eine stetige oder
unterbrochene ist. Manche Vorgänge, z. B. der erste Schrei, der erste
Gebrauch eines Wortes, treten plötzlich auf. Das Kind, bei dem gleich
nach der Geburt das Grosshirn wahrscheinlich gar keine Rolle spielt, passt
sich allmählich der Welt an, indem es lernt, im Raum und in der Zeit
schmecken, fühlen, riechen, tasten, sehen, hören, sich zurecht finden. In
seelischer Hinsicht lässt das neugeborene Kind nichts erkennen, was es
vom Tiere trennt. Es steht, besonders im Hinblick auf die Beweglichkeit
und Sinnesschärfe, sogar weit zurück hinter vielen Tierkindern. Durch An-
passung an die Welt lernt das menschliche Kind in einem Jahre so viel,
dass es später seine Stellung an der Spitze der Schöpfung behaupten kann.
Sobald es angefangen hat zu spielen, erwirbt es die in der Anlage ererbte
Erkenntnis, dass „das in Raum und Zeit Gegliederte" „von irgend Etwas
abhängig" ist. „Tausende von Beispielen unpraktischer oder verfehlter
Orientierung" zeigen uns ,, einen Rest der verfehlten Versuche längst ver-
gangener Geschlechter, sich anzupassen." Die Psychologie des Kindes
beweist ferner, dass der Verstand sich unabhängig von der Aneignung einer
artikuherten Sprache entwickelt. Denn klare, besondere und allgemeine
Vorstellungen namentlich von dem, was Unlust beseitigt, sind vorhanden,
bevor dieselben mit einem Worte bezeichnet werden. Für das Vorhanden-
sein angeborener Ideen findet man bei keinem Kinde einen Anhaltspunkt.
Sobald die Kinder unter verschiedene äussere Bedingungen kommen und
weniger schlafen, erwerben sie allmählich ihre Individualität. Doch hat
das Kind in den ersten Jahren noch kein Ichbewusstsein. Es muss während
der Entwickelung seiner Seele viele unzweckmässige Bewegungen, unlogische
Überlegungen, der Erfahrung widersprechende Ideenverbindungen ablegen,
damit es später vernünftig handeln kann. Am Schlüsse seines schönen
Vortrags, der noch manches Beachtenswerte enthält, was hier zu erwähnen
leider der Raummangel mir verbietet, sagte Preyer: ,,Die geistige Ent-
wickelung des ganzen Menschengeschlechts findet sich abgekürzt wieder
im Kinde." Dr. Mies-Köln.
c. Pathologisches Verhalten.
Degenerations- und Kriminal- Anthropologie.
15. Petersen: The Stigmata of degeneration. State Hospitals
Bulletin 1896. Bd. I, S. 311.
Verf. studierte die Entartungszeichen besonders an Idioten und definiert
die Entartung als eine „deutliche Abweichung vom normalen Typus (eine
2*
20 B- Referate. 1. Anthropologie.
sehr vage Definition, da weder der normale Typus, noch das Adjektivum „deut-
lich" festgelegt ist. Ref.). Degeneriert sind viele Verbrecher, Idioten, Geistes-
kranke, Sonderlinge und Genies; doch fügt Verf. mit Recht sofort hinzu,
dass die Abweichungen des Genies nicht krankhaft zu sein brauchen,
sondern einem höheren, besseren Typus zustreben können. Eins der Haupt-
zeichen der Entartung ist die Nicht-Adaptierung an die Gesellschaft und krank-
hafter Egoismus, nicht am wenigsten aber ihre Übertragbarkeit. Die Entartung
wird angezeigt durch anatomische, physiologische und psychische Stigmata,
die an sich, obgleich Abweichungen vom Normalen, wenig schaden, aber
doch gehäuft, ,,eine deutliche oder latente neuropathische Disposition" an-
zeigen. Es handelt sich um angeborene intrauterine Hypertrophien oder
Hemmungen der Entwickelung. Unter die anatomischen Stigmata rechnet
Verf. die Abweichungen der äusseren Körperteile, zu den physiologischen
gewisse angeborene Tics, Zittern, Epilepsie, Nystagmus, gewisse Fälle von
Taubstummheit, Migräne, Blindheit, Unfruchtbarkeit, Impotenz etc., zu den
psychischen Geisteskrankheit, Idiotie, Schwachsinn, Exzentrizität, mora-
lisches Verbrechertum, sexuelle Perversion. (Gegen einzelnes lässt sich
so manches einwenden. Ref.) An der Hand vieler Abbildungen wird so-
dann kurz auf die anatomischen Stigmata eingegangen, näher nur auf
die des Ohres und des harten Gaumens, die Verf. für besonders wichtig
hält. Der Gaumen ist ein sehr variables Gebilde; als pathologisch werden
7 Formen dargestellt (der mit gotischem, Hufeisenbogen, der domartig ab-
geflachte, vorn und hinten mit First versehene (hip - roofed), der asy-
metrische Gaumen und der mit Torus palatinus), die aber nur Typen, und
zwar meist in Kombinationen, vorstellen. Der Torus palatinus, wenn gut
ausgeprägt, ist sicher ein Degenerationszeichen, aber geringer an Wert als
einige andere Gaumen-Abweichungen. Hutchinsons Zähne sind oft Zeichen
der Entartung. Dunkel ist die Herkunft der Stigmata. Meist sind es in-
trauterine Entwickelungsstörungen, und zwar weniger in den Organen
selbst als im Centralnervensystem, das ja ganz besonders an der Körper-
entwickelung beteiligt ist. Diese Störung im Nervensystem kann auf ver-
schiedene Art bedingt sein: durch Erblichkeit, Alkohol, Gift. „Was dem
degenerierten Kinde mit auf den Weg gegeben wird, ist eine fragile und
unstäte Nervenkonstitution." Oberarzt Dr. P. Näcke-Hubertushurg.
16. Giuffrida-Ruggeri: ün osso zigomatico tripartito e altre
rare auomalie. Rivista sperimentale di Freniatria 1897.
Bd. XXIII, S. 460.
An dem Schädel eines 53jährigen Blödsinnigen, der reich an aller-
hand Abnormitäten war, fand sich an dem rechten Jochbeine folgender
überaus seltene Befund. Durch zwei anomale Suturen war es Sgeteilt.
Die eine kuze Naht geht vom untern Augenrande aus, um schief auf die
Sut. maxillo-malaris zu treffen und so ein kleines dreieckiges Knöchelchen,
B. Referate. 1. Anthropologie. 21
mit der Basis am Augenrande, zu bilden; die zweite längere Naht verläuft
ganz unten, parallel dem unteren Augenrande und teilt so den ganzen
Knochen der Quere nach. Das linke Jochbein zeigt nur die untere Naht.
Verf. macht darauf aufmerksam, dass hier mehr als kasuistisches Inter-
esse vorliegt, da die phylogenetische Entwickelung des fronto-zygomatischen
Organs noch vielfach dunkel ist, während es jetzt feststeht, dass das Joch-
bein 3 und nicht 2 Verknöcherungskerne besitzt. Das dreigeteilte Joch-
bein ist wahrscheinlich ein Rückschlag, auf alle Fälle aber eine Ent-
wickelungshemmung.
An dem Schädel einer 36jährigen Pellagrösen fand sich beiderseits,
besonders aber rechts, das Jochbein schlecht entwickelt, so dass es einen
dreieckigen Knochen mit der Spitze nach aussen bildete und ausserdem
der Kiefer direkt mit dem Proc. zygom. ossis temp. sich berührte, also eine
Sutura maxillo-temp. gebildet ward. Nur 2mal noch unter Hunderten von
Schädeln konnte Verf. ein Gleiches entdecken. Die Ursache davon könnte
der Mangel des unteren Ossifikations-Kerns sein.
Eine andere Art von Hypoplasie des Jochbeins fand Verf. endlich an
einem Verbrecherschädel. Hier war die äussere Kante abnorm entwickelt,
so dass der entspringende Proc. zygomat. sehr dünn und der ganze Arcus
zygomat. überall gleich stark war. Ausserdem fand sich an der Spitze des
Dreiecks, das die beiden Wurzeln des Proc. zygomat. oss. temp. bilden,
ein bisher noch nicht beschriebener Kanal, den Verf. „Foramen infra-zygo-
maticum" zu nennen vorschlägt.
Oberarzt Dr. P. Näcke-Huhertushurg.
17. Talbot: The degenerate jaws and teeth. International
dental Journal. 1897, Februar bis April.
Nach den Ohren sind die Kiefern und Zähne der Degeneration am
meisten ausgesetzt. Zuerst giebt Verf. eine summarische Übersicht über
die Entwickelung der Zähne im Tierreiche und verfolgt die Ausbildung
des primitiven (konischen) Zahns zum bicuspidalen und molaren Typus;
dies geschieht wahrscheinlich mehr durch Differentiation, wie Osborne es
angab, als durch Vereinigung mehrerer konischer Zähne (Magitot). Tritt
Degeneration auf, so zeigen sich wieder leicht konische Zähne, auch der
Molaren. Dies, sowie ein Fehlen oder Überzähligsein von Zähnen hat als
Atavismus zu gelten (? Ref.). Verf. bespricht dann, immer an der Hand
von Abbildungen, die der hübschen Arbeit reichlich beigegeben sind, die
zeitliche Entwickelung der Zahnsubstanzen, besonders des Emails, und
lehrt so, wie man auf den ersten Blick den Zähnen ansehen kann, ob
eine Ernährungsstörung intra- oder extrauterin erfolgte und wann dies
geschah. Geht man entwickelungsgeschichtlich vor, so fällt einem ferner
die Tendenz zur Verkürzung des Kiefers beim Menschen und zur Abnahme
der Zahl der Zähne auf; am häufigsten fehlt bekanntlich der Weisheits-
22 B. Referate. 1. Anthropologie.
zahn (in 46 "/J und dies wiederum mit besonderer Vorliebe oben. Danach
sind es die Scluieidezähne, die am meisten fehlen (14 %), doch können es auch
andere thun. Mit diesen Vorkommnissen sind Anomalien des Mundorgans häufig
verbunden. Bei der Degeneration der Zähne hat man die Lues eine grosse
Rolle spielen lassen; die Hutchinsons Zähne speziell sollten erbliche
Syphilis anzeigen, was aber falsch ist. Eine weitere Eigentümli(jhkeit
degenerierter Zähne ist auch ihr totales oder teilweises Zusammenwachsen
mit anderen. Trotz immer mehr durch das Milieu bedingter Verkürzung
der Kiefer ist die Länge der Zähne seit Jahrtausenden dieselbe gebheben.
Das Atlimen durch die Luft hat nicht den kontrahierenden Einfluss auf
die Kiefern, der ihm angedichtet ist. Bei Entwickelungshetnmungen der
Kiefer giebt es 2 Haupttypen der Zahnbögen: den V. und den sattelförmig
gestalteten Zahnbogen, ein- oder doppelseitig (oder Übergänge), wobei sich
eine ganze Anzahl von Anomalien der Zahnstellungen ergeben müssen.
Diese Abnormitäten der Zahnbögen sind Rückschläge (? Ref.). Als Dege-
nerationszeichen haben endlich auch die Hypertrophie des Alveolarbogens,
die abnorme Kleinheit des Ober- und Unterkiefers zu gelten, die sich be-
sonders bei Verbrechern so häufig vorfinden.
Oberarzt Dr. P. Näcke-IIubertusburg.
18. Rathcke: Über anomale Furchen an der menschlichen
Leiber. Inaugural-Dissertation. Berlin 1896. 31 Seiten.
Über diesen Gegenstand ist bisher noch wenig geschrieben worden.
Nur soviel war bekannt, dass die Tier- und Menschenleber viel Varianten
in der Furchung darbot. Verf. untersuchte nun verschiedene Menschen-
und Tierleber, um gewisse gemeinsame Züge festzustellen. Leider sind
der Arbeit keine Abbildungen beigegeben, wodurch manches unklar bleibt.
Zuerst bespricht der Verf. eine Furche am rechten Lappen. Am häufigsten
ist sie 2 — 3 cm lang, 1 — 2 ein tief, läuft bald dem vorderen Leberrande
parallel, bald mehr schief zu ihm, erreicht aber nie die Leberpforte.
Selten ist zugleich der Leberrand mit eingekerbt, und zwar zwischen
Gallenblase und dem rechten lateralen Rande. Während diese Furchen
aber senkrecht in die Lebersubstanz dringen, giebt es andere, ziemHch
häufige, bei Menschen und Säugetieren, die schief in die Substanz eintreten
und so ein oder mehrere zungenförmige Läppchen abheben. Sie sind oft
mit den andern kombiniert. Die Läppchen liegen ganz irregulär, auf
beiden Lappen, rechts und links von der Gallenblase, auch oft bei den
Tieren. Sie haben keine wesentliche Bedeutung zu beanspruchen. Verf.
und Andere fanden beim Gorilla im Gegensatze zu den anderen Anthro-
poiden konstant eine Furche an dem rechten Lappen, meist von der Porta
ausgehend. Die Leber des Chimpansen gleicht so ziemlich der mensch-
lichen. Bei Troglodytes und Simia satyros ist das lig. teres von Leber-
substanz überdeckt (auch bisweilen beim Menschen); der menschlichen am
B. Referate. 1. Anthropologie. 23
nächsten kommt die Leber des Gibbon. Bei den übrigen Primaten ist
durchweg eine Teilung des rechten, meist auch des linken Lappens vor-
handen, ähnlich bei den Meerkatzen und Pavianen ; doch hängen die Lappen
wenigstens dorsalwärts zusammen, während bei Hapale Rosalia (Krallaffe)
die lateralen Lappen völlig vom centralen isoliert sind. Bei den Chiropteren
ist Form und Lappung der Leber sehr verschieden; dies gilt weniger bei
den Insectivoren, die aber meist die Vierteilung der Leber erkennen lassen,
wie auch bei den Carnivoren. Bei der Hausratte sind die Segmentirungen
rechts und links fast gleich; ähnlich beim Hausschwein» Die Wiederkäuer
zeigen !-eine Lappung; bei Jaguar und Rhinoceros ist der rechte und linke
Lappen symmetrisch und lateral geteilt. — Sobald an einer Säugerleber
Lappung angedeutet ist, so geschieht es zuerst am rechten Lappen. Rex
wies zuerst die Abhängigkeit der Lappung von Art und Weise der Ver-
ästelung der Pfortader nach. Dem schliesst sich Verf. an und glaubt,
„jene Furchen nicht als pathologische Bildungen, sondern als Analogie der
bei Tieren vorkommenden auffassen zu müssen".
Oberarzt Dr. P. Näcke-Hubertusburg.
19. D'Abundo: Grlandole sebacee preauricolari in un de-
generato. Archivio di psichiatria etc. 1897. Bd. XVIII, S. 404.
Bei einem hereditär schwer belasteten Schwachsinnigen, der wenig
anatomische, aber viele physiologische und psychische Abnormitäten darbot,
also ein echter Degenerierter war, zeigte sich als interessanter und bisher
noch nicht beschriebener Befund beiderseits vor dem Beginn des auf-
steigenden Helix - Schenkels am Ohre eine Öffnung, die schief in einen
14 mm langen Kanal führte und Talg absonderte. Verf. möchte dies als
Atavismus erklären, da bei vielen Säugern ausser den Talgdrüsen der be-
haarten Haut auch noch solche an anderen Körperteilen sich finden. So
hat z. B. der Elefant ein Paar Temporaldrüsen mit einer Öffnung zwischen
Ohr und Auge beiderseits. Das Dromedar hat nahe den Ohren 4 sub-
kutane Drüsen; eine nahe dem Ohre hat der Lemming. Ref. muss hier,
wie schon öfters aber betonen, dass Ähnlichkeit mit einem Rück-
schlage noch lange kein solcher zu sein braucht. Nur genaueste
Untersuchung und grosse vergleichend - anatomische Kenntnisse können ent-
scheiden. Gerade bezüglich der Talgdrüsen muss an die grosse Variabilität
des Standortes erinnert werden.
Oberarzt Dr. P. Näcke-Hubertusburg.
20. F^r^ : Le d^doublement du tourbillon des cheveux et de
l'infundibulum sacro-COCCygien. Nouvelle Sonographie de la
Salpetriere 1897, Heft 3.
Öfters beobachtet man, besonders an Degenerierten, eine seitlichere
Lage des Haarwirbels als sonst, oder eine abnorme Lage z. B. vorn, oder
24 B. Referate. 1. Anthropologie.
einen doppelten Wirbel. Am unteren Rumpfteile wiederum sieht man
nicht selten einen Haarwirbel oder ein oder gar zwei kleine trichterförmige
Öffnungen an der untersten Kreuzbeingegend. Verf. ist nun geneigt, diese
Abnormitäten auf oben und unten spät erst erfolgenden Schluss der Wirbel-
säulen-Rinne zu schieben, wodurch Öffnungen übrig bleiben, die sich erst
zuletzt schliessen, durch Störung leicht verschoben werden oder sich teilen
können. Für diese Erklärung spricht dann auch die Thatsache, dass dem
abnormen Haarwirbel am Kopfe öfter Unregelmässigkeiten der darunter
liegenden Knochenteile entsprechen.
Oberarzt Dr. F. Näcke-Huhertushurg.
21. V» Liszt : Die strafrechtliche Z urechnnngsf ähigkeit. 3. Intern.
Kongr. f. Psychologie in München vom 4. bis 7. August 1896.
München, J. F. Lehmann 1897, S. 40.
Strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit ist der Form nach die Fähig,
keit, für begangene Handlungen gestraft zu werden, und bedeutet in-
haltlich denjenigen Seelenzustand des Thäters, der nach unserer Rechts-
überzeugung im Augenblicke der That gegeben sein muss, dass Be-
strafung eintreten kann. Aus diesem Seelenzustand greifen einige Straf-
gesetzbücher, z. B. das deutsche, die freie Willensbestimmung, andere die
zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Urteilskraft heraus, um die
Zurechnungsfähigkeit zu erkennen; wieder andere geben nur die Umstände
an, unter welchen die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausgeschlossen
wird. Die erste Fassung für den Begriff der Zurechnungsfähigkeit (freie
Willensbestimmung) ist indeterministisch; sie soll aber sowohl für die
Richter und Sachverständigen passen, die die Willensfreiheit für uns
beschränkt, als auch für diejenigen, die sie für beschränkt halten. Da
aber auch der Verstand allein nicht als Grundlage für die Zurechnungs-
fähigkeit angesehen werden kann, sondern das ganze Seelenleben des Ver-
brechers als eine Einheit zu betrachten ist, so erkennt v. Liszt die
Zurechnungsfähigkeit an der normalen Bestimmbarkeit durch Motive (Religion,
Sittlichkeit, Recht, Klugheit). Diese Auffassung reicht aus, soweit es sich
um Abschreckungs- oder Besserungsstrafe handelt, passt aber nicht für den
unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher, der in obigem Sinne nicht zu-
rechnungsfähig ist, daher auch nicht gestraft, sondern nur unschädlich gemacht
werden darf wie ein gemeingefährlicher Geisteskranker. Solange dies noch
nicht thunlich ist, empfiehlt v. Liszt, unter Verzicht auf eine Begriffs-
bestimmung der Zurechnungsfähigkeit im Gesetze einfach zu sagen: ,,Eine
strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der
Begehung der Handlung in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschliessenden
Zustande von Bewusstlosigkeit oder von krankhafter Hemmung oder Störung
der Geistesthätigkeit sich befand," ^ ,,. ^^ ,
^ Dr. Mies-Köln,
B. Referate. 1. Anthropologie. 25
22. Ferriani: Minderjährige Verbrecher. Deutsch von J. Ruhe-
mann. Berlin, Cronbach, 1896, 500 Seiten.
Verf., schon seit langem wegen seiner socio- und volks-psychologischen
Studien in seinem Vaterlande mit Recht bekannt, hat als Staatsanwalt
Gelegenheit, die Verbrecherwelt ä fond kennen zu lernen. In obigem
eleganten, geistreichen, von Menschenliebe durchdrungenen und gut über-
setzten Buche behandelt Verf. speziell die ,, minderjährigen Verbrecher"
(eine immer mehr zunehmende Crux der zivilisierten Staaten), fussend auf
2000 Fälle. Er geht mehr socio- und psychologisch, als anthropologisch
vor, was für einen Juristen wohl erklärlich ist. Ein Kapitel über die
Kindesnatur eröffnet das Ganze, mit feinen Bemerkungen aller Art, auch
nach pädagogischer Hinsicht. Mit Lombroso — dem er leider in Vielem
folgt — sieht er bereits im Kinde die Keime des Verbrechens liegen. Ein
weiterer Abschnitt behandelt die Strafgesetzgebung, Minorennen gegenüber,
durch alle Zeiten hindurch. Der zweite Teil behandelt die Faktoren des
Verbrechens, das Milieu und das Individuelle, wobei die Fehler des Kindes,
wie Grausamkeit, Lüge, Neid, Faulheit, Naschhaftigkeit etc. in das rechte
Licht gesetzt werden und gezeigt wird, wie diese üblen Eigenschaften zu
Verbrechen führen können. Die traurige Umgebung, namentlich die un-
eheliche Geburt, Ueberarbeitung (die armen Schwefelarbeiter Siciliens)
können deletär wirken. Fast stets rekrutieren sich die Verbrecher aus den
Bedürftigen. Überall demonstrieren zahlreiche Tabellen die aufgestellten
Sätze. Von seinen 2000 Fällen fand Verf. nicht weniger als 1112 Mino-
renne, die vollständige Müssiggänger waren. Zu den ,, halben" Müssig-
gängern rechnet er das Heer der kleinen Zeitungs-, Zündholzverkäufer etc.
Fast alle minorennen Verbrecher sind auch Onanisten; die Prostitution
spielt eine grosse Rolle. Aber auch die bessern Klassen tragen indirekt
mit Schuld, indem sie durch Luxus etc. schlechtes Beispiel geben. Trostlos
ist die Wirkung der Vererbung und der Trunksucht auf die Nachkommen.
Im dritten Teile werden die Hauptformen des jugendlichen Verbrecher-
tums abgehandelt: Diebstahl und (in geringerem Maasse) blutiges Vergehen.
Letzteres beginnt erst mit ca. 14 Jahren. Unter 2000 Fällen sah Verf.
1182 Diebe und 300 Hehler. Diese hohe Zahl wird psychologisch begründet.
Zum Diebe machen den Minorennen besonders behende Bewegungen, weniger
schwere Körperbeschaffenheit, sehr lebendiger Blick und Lügenhaftigkeit
geeignet. 19 % der Diebe waren rückfällig. Die blutigen Vergehen gründen
sich hauptsächlich auf Rachsucht. Aber auch unter den gutsituirten Klassen
kommen bei Minorennen genug Verbrechen vor, dank der so oft verkehrten
Erziehungsweise, aber sie werden häufig vertuscht. Psychologisch interessant
ist das Verhalten der Minorennen vor, während und nach der Verurteilung.
Dies, sowie die Folgen der Verurteilung und der Strafverbüssungsorte
sind eingehend im vierten Teile geschildert und wuchtige Hiebe der
Strafgesetzgebung und dem Verwaltungsapparate erteilt. Der fünfte Teil
26 B- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
endlich bespricht die Prophylaxe und Behandlung des Verbrechens Mino-
renner, und ein langes, prächtiges Kapitel ist gleich anfangs der Erziehung
und dem Unterrichte gewidmet; schonungslos werden hier die vielen
Schattenseiten dargelegt. Die Individualisierung sollte hier immer die Haupt-
sache sein. Kinder schlechter Provenienz sollten nie mit solchen aus
ehrenwerten Familien erzogen werden, sondern apart. Das reine Gift aber
stellen die Gefängnisse dar, jene Hochschulen des Verbrechens. Verf.
schlägt daher die Ackerbaukolonie vor und nur im Notfalle die Strafkolonie-
Ein sehr kräftiger Kinderschutz gegenüber dem Spekulantentume ist sehr
angezeigt. Am radikalsten wäre es freilich, allen degenerierten Verbrechern,
Säufern etc., das Heiraten zu verbieten und so die weitere Verpflanzung
der Entartung zu verhindern, was aber wohl, wie Verf. fürchtet, stets ein
pium desiderium bleiben wird. Oberarzt Dr. Näcke-Huhertushurg.
2. Ethnologie und Rassenkunde.
a. Allgemeines.
23. A. Baranski: Die vorgeschichtliche Zeit im Lichte der
Haustierkultur. V^ien, Verlag von Moritz Perles. 1897.
296 S,
24. Eduard Hahn: Die Haustiere und ihre Beziehungen zur
Wirtschaft des Menschen. Eine geographische Studie. Mit
einer chrom.-lith. Karte : Die Wirtschaftsformen der Erde. Leipzig.
Verlag von Duncker & Humblot. 1896. X. 581.
Der Verf. will, so weit man ihn versteht, an der Hand der Sprache
die Verbreitung der Haustierrassen über Asien und Europa aus gewissen
Kulturcentren, das Rind aus Ägypten und Epirus, das Schwein aus China
u. s. w. ableiten. Hieraus soll sich dann allerlei für die Ermittelung der
Völkerbewegungen der vorgeschichtlichen Zeit ergeben. Wie es hierbei
zugeht, zeigen folgende Beispiele. Es giebt nach dem Verf. eine Laut-
gruppe p-ar, por, per, die „Pferd" bedeutet. Hierher gehört unter
vielem anderen griech. pro-bat-on ,,Groszvieh" (in Wirklichkeit ,, Vieh-
herde", bes. Schafe), aus por ,, Pferd", bat ,,Rind" (in W. TCpcßaTOv:
T^poßatvot)), griech. par-ippos, ,, Pferd" zu per, „Pferd" -ip, Pferd,
par-ip-pos (in W. ndpinnoq^ „daneben reitend" von der Präp. Tcapa und
iTiTTog ,, Pferd"), altgerm. per-id, pfer-id ,, Pferd" (in W. aus spätlat.
paraveredus, ,,eine Art von Postpferd"); vgl. S 30. Noch schöner ist
die Gruppe (S. 102) AI „Tier, Rind". Hierher stellt der gelehrte Verf.
scrt. ala „Rind" in vats-ala ,,Kalb", ferner griech. ay-sXY], ,, Herde" und
altgerm. chalp „Kalb" aus che-al-p (in W. sind scrt. -ala in vats-
ala, ,,am Kalbe hängend", und griech. zk^q in ayiXy] blosse Ableitungs-
suffixe, unser Kalb = scrt. garbha „Junges").
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 27
Mit derartigem Unsinn ist das Buch von Anfang bis zu Ende angefüllt,
hier und da von völlig verv^orrenen oder vorsündflutlichen Ansichten über
Völker- und Sprachverwandtschaft unterbrochen. Das Ganze würde in das
Gebiet des Humors gehören, wenn sich nicht neuerdings wieder die Fälle
mehrten, dass Männer in verantwortlichen Stellungen (der Verf. ist k. k.
Professor an der Tierarzneischule in Lemberg) sich an die Behandlung
sprachlicher Probleme machen, für die sie nicht die leiseste Vorbildung
oder die geringste Begabung mitbringen.
Eine sehr erfreuliche Arbeit ist hiergegen das Buch von E. Hahn.
Nach einleitenden zoologischen und anderen Bemerkungen werden die ein-
zelnen Haustiere (darunter auch Fische, wie der Karpfen und Goldfisch),
im Ganzen 36 Tiere, in zum Teil sehr ausführhchen monographischen
Darstellungen besprochen. Hierauf folgt der wirtschaftsgeographische Teil
des Buches (S. 384 — 537). Es werden 6 Wirtschaftsformen (Jagd und
Fischfang, Hackbau, Plantagenbau, Gartenbau, Viehwirtschaft, Ackerbau)
unterschieden, woran sich dann die Besprechung der Wirtschaftsverhältnisse
der einzelnen Länder anschliesst.
Der Hauptwert des Buches liegt in der hier zum ersten Mal gegebenen
beinahe erschöpfenden Darstellung des gegenwärtigen Vcihciltnisscs des
Menschen und seiner Wirtschaft den Haustieren gegenüber auf dem ge-
samten Erdball. Für diese auf einer bewunderungswürdigen Belesenheit
beruhende Leistung kann die Wissenschaft dem Verf. nicht dankbar genug
sein. Demgegenüber sind die Fragen, welche die Geschichte der Haus-
tiere und der Wirtschaftsformen bei den Kulturvölkern insonderheit bei
idg. Völkern betreffen, weniger eingehend behandelt, wie dies übrigens
auch die Absicht des Verf. war, der V. Hehns bekanntes Buch über die
Haustiere und Kulturpflanzen nicht ersetzen wollte. Auch auf die prä-
historische Archäologie ist wenig Rücksicht genommen.
Gleichwohl wird das Buch gerade auch für die indogermanische Alter-
tumskunde nach verschiedenen Seiten hin anregend sein. Dies gilt sowohl
von den vielfach neuen und eigenartigen Ansichten des Verf. hinsichtlich
der Frage, wann, wo und unter welchen Umständen die einzelnen Tiere
in die Pflege des Menschen eintraten, wie auch ganz besonders von seinen
wirtschaftsgeschichtlichen Anschauungen. Nicht als erster, aber wohl in
entscheidender Weise hat der Verf. dargethan (worauf übrigens auch das
gleichzeitige treffliche Buch von E. Grosse, Die Formen der Familie und
die Formen der Wirtschaft mit Entschiedenheit hinweist), dass die alte An-
nahme, nach welcher unsere Kulturvölker in stereotyper Weise die 3 Stufen
des Jägers und Fischers, des Nomaden und Ackerbauers durchlaufen hätten,
eine irrige war. Als eine uralte Wirtschaftsform und als Vorbedingung
für Viehzucht, wie Ackerbau hat der Verf. den Hackbau erwiesen, der
nicht mit dem Pfluge, sondern mit der Hacke arbeitete und als einzige
Getreideart in Europa den Hirse kannte. Nun hat man auf idg. Boden
28 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
schon längst beobachtet, dass die zahlreichsten und wichtigsten Ackerbau-
gleichungen sich auf Europa beschränken, während nur wenige derselben
allen idg. Sprachen, europäischen wie asiatischen, gemeinsam sind (vergl.
das Material in meinem Buche, Sprachvergleichung und Urgeschichte, 2. S.
410 ff.). Man schloss hieraus, dass die ungetrennten Indogermanen No-
maden mit einem geringen Grade von Ackerbau gewesen seien, und be-
deutende Fortschritte auf dem letzteren Gebiet erst von den vereinigten
Europäern gemacht worden seien, ohne dass man sich recht klar werden
konnte, worin diese Fortschritte bestanden haben mochten. Die Lesung
des Hahnschen Buches macht es mir nun wahrscheinlich, dass in jenen
wenigen gemeinidg. Ackerbaugleichungen jener uralte Hackbau seine Spuren
hinterlassen hat, auf dessen Boden die Indogermanen noch in der Zeit
ihrer Urgemeinschaft zur Viehzucht übergingen, dass aber der eigentliche
Ackerbau mit Pflug, Gerste und Weizen erst bei den Europäern nach Auf-
lösung der idg. Gemeinschaft seinen Einzug gehalten hat, vielleicht auf
demselben Wege, auf dem nach J. Schmidt das babylonische Sexagesimal-
system zu den Europäern gelangt ist.
Wenn das vorliegende Buch so zu allerhand Betrachtungen über die
ältesten Zeiten und Völker anregt, so ist dasselbe doch nicht minder be-
deutungsvoll für zahlreiche aktuelle Probleme der modernen Landwirtschaft
in Deutschland und in seinen Kolonien. Auf diese Dinge einzugehen, ver-
hindert mich jedoch der beschränkte Raum und das Maass meiner Kennt-
nisse. Frof, Dr. 0. S ehr ader- Jena.
b. Spezielle Ethnographie (Rassenkunde).
25. P. Topinard: On the Anthropology of Brittany. Journal
of the anthropological Institute of Great Britain and Ireland.
1897. Bd. XXVII, S. 96.
Die vorliegende Mitteilung beweist, dass das geübte Auge eines er-
fahrenen Anthropologen ebensoviel für die Wissenschaft leisten kann, als
ganze Reihen von Maasstabellen und statistischen Tafeln. Topinard hat
nämlich das Volk der Provinz Bretagne in seinen Versammlungsorten,
Kirchen, Märkten, Kirmessen u. u. w. beobachtet, ohne indessen Messungen
an ihm vorzunehmen. Er ist auf diese Weise zu der Überzeugung ge-
langt, dass sich die Bevölkerung der Bretagne, wenn man von den Zwischen-
formen absieht, aus folgenden Haupttypen zusammensetzt.
Typus A. Mittelmässige Körperhöhe, dicker Kopf, kurzer Hals, breite
Schultern, dicke und plumpe Extremitäten, hohes und viereckiges, an der
Stirn-, am Kiefer- und an der Wangengegend fast breites Gesicht (zwischen
Haargrenze und Kinn), plumpe, vorstehende und hohe Wangenbeine, wenig
entwickelte Nase, kastanienfarbige Haare, helle oder neutrale, öfters blaue
Augen.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 29
Typus B. Kleiner Wuchs, kleiner Kopf mit feinen Zügen, kleine und
zierliche Extremitäten, kurzes und rundes, aber unten dreieckiges Gesicht,
weniger als bei A voneinander abstehende Augen, Nase mit schmaler Wurzel,
kleine, fliehende, wenig vorstehende Wangenbeine, dunkle Haut-, Augen-
und Haarfarbe.
Diese zwei Typen sind sehr häufig, ersterer besonders am Meeresufer,
letzterer mehr im Inneren der Halbinsel. Aber sie greifen überall ineinander
über und geben zu einer grossen Zahl von Mischformen Anlass. Zu ihnen
gesellen sich noch zwei weniger wichtige Typen.
Typus C. Hoher Wuchs, absolut grosser, aber relativ kleiner Kopf,
langer Hals, kurzer Rumpf, lange Glieder, schmale Schultern; langes und
schmales Gesicht mit fliehenden Wangenbeinen, grosse vorstehende Nase,
hellfarbige Haare, Augen und Haut. Es sind dies die klassischen Blonden,
besonders am Nord-Ufer zahlreich.
Typus D. Hierhin gehören die vielbesprochenen Bigoudens von Pont-
l'Abbe. Ihre Körperhöhe ist niedrig, doch weniger als bei B. Kurzer,
fleischiger Hals, hohe breite Schultern; kurze obere Gliedmaassen, dicke
Unter-Extremitäten, langer Rumpf, dicker Kopf, rundes glattes Gesicht,
vorstehende Wangenbeine, breite Kiefer, grosse Stirn, kleine breite Nase,
abstehende Augen.
Wir haben gesehen, dass Typus C den der blonden Rassen dar-
stellt. Nach Verf. Ansicht sind dieselben viel früher in Frankreich er-
schienen, als man gewöhnlich annimmt. Ausserdem sind noch in histo-
rischer Zeit Blonde aus England herübergesiedelt; sie können auch zu
der Bildung dieses Typus beigetragen haben. Typus D ist derjenige der
Auvergnaten und Savoyarden ; er repräsentiert die alte brachycephale Rasse,
welche gegen Ende der neolithischen Zeit aus Asien nach Frankreich ge-
kommen ist. Man kann es sich nicht erklären, warum sie sich in ihrer
ursprünglichen Reinheit gerade in der Umgegend von Pont-l'Abbe erhalten
hat. Ich erinnere, dass diese Rasse, welche wahre mongolische Züge auf-
weist, sich auch von ihren Nachbarn durch verschiedene ethnographische
Merkmale unterscheidet: so tragen die verheirateten Frauen einen Phallus-
ähnlichen Zierat auf ihrer Haube.
Der Haupttypus A ist viel jüngeren Ursprungs; er hat sich in den
jetzigen Zeiten gebildet und fixiert und ist eine Zusammensetzung von C
und D. Von den Brachycephalen hat er die Kopf- und Gesichtsform, die
plumpen Gliedmaassen u. s. w. beibehalten, während er den hohen Körper-
wuchs und die helle Farbe des C-Typus angenommen hat. Im Ganzen hat
er mehr Züge von den Brachycephalen, die immer zahlreicher als die
Blonden waren, ererbt.
Typus B ist schwieriger in eine Klassifikation zu bringen. Er hat
nichts mit den Blonden gemein und erinnert andererseits auch nicht an
die Auvergnaten. Dagegen besitzt er mehrere Züge von der grossen, braunen
30 B- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Rasse, welche beide Ufer des Mittelmeers in Besitz genommen hat, und
in Frankreich von den neolithischen Höhlen des Vezere-Thales und der
Lozere her bekannt ist. Es ist nicht unmöglich, dass sich diese Rasse bis
in die Bretagne ausbreitete, wo sie sich im Inneren des Landes bis heute
erhalten hat.
Von den vier Hauptrassen der Bretagne wäre also die eine ein Über-
bleibsel der Rasse der neolithischen Zeit; zwei andere sind Vertreter der
der blonden Langköpfe und der braunen Kurzköpfe, und die vierte ist
ein Mischungsprodukt beider letzterer. Vr, L. Laloy-Paris.
26. Charles S. Myers: An account of some sknlls discovered
at Brandon, Suffolk. Journal of the anthropological Institute
of Great Britain and Ireland. 1896. Bd. XXVI, S. 113. (1 Tafel
und 1 Maasstabelle).
Betreffende Skelette wurden unter einem kleinen Hügel in der Nähe
von Brandon, Suffolk, gefunden. Sie lagen durcheinander bis zu einer
Tiefe von 1,25 m. Es kamen mit ihnen weder Schmucksachen noch
Töpferwerke zum Vorschein; jedoch fand man grosse Eisenstücke, die aber
durch Oxydation ihre ursprüngliche Form eingebüsst haben. Die Schädel
zeigen grosse Verschiedenheiten und gehören gewiss einer Mischrasse an,
die, allem Anschein nach, vor der Einwanderung der Sachsen lebte. Denn
nur einer von ihnen zeigt die physischen Merkmale der sächsischen Rasse.
Wenn dem so ist, so kann man annehmen, dass die Invasion der Sachsen
langsamer und allmählicher, als man bisher annahm, vor sich gegangen
ist, oder dass Sachsen von den Römern, unter die Hilfstruppen eingereiht,
eingeführt wurden. Beide Möglichkeiten sind wahrscheinlich.
Nach Ausschluss einiger nicht zu verwertender Schädel bleiben
51 Schädel Erwachsener, von denen 5 der Brachycephalie, 23 der Meso-
cephalie, und 23 der Dolichocephalie zuzurechnen sind. Von den Kurz-
köpfen sind 4 männlich und 1 weiblich. Ihre Stirngegend ist breit, und
die Stirnhöcker sind gut entwickelt. Die Parietalhöcker stehen sehr hoch
und geben der Norma verticalis ein eiförmiges Aussehen. Die Sagittal-
kurve ist sehr regelmässig, die Occipitalgegend springt nicht vor. Das
Gesicht ist kurz und breit.
Die Langköpfe (12 ,^y 11 9) haben eine enge Stirn und vorstehende
Arcus zygomatici (Phaenozygie). In der Norma verticalis kann man einen
ellipsoiden und einen rhomboiden Typus unterscheiden. Die Länge und
Breite des Gesichts sind sehr variabel. Die mesocephale Gruppe hat ge-
mischte Merkmale, die bald mehr an die Kurzköpfe, bald an die Langköpfe
erinnert. In diese Gruppe fällt der angeblich sächsische Schädel (Index 78).
Man kann im allgemeinen sagen, dass die betreffenden Schädel mit ihren
unbestimmten Merkmalen einer Mischung von Britten, Germanen und
Romanen angehören. Die Kurzköpfe würden einem romano-brittischen
B. Referate, 2. Ethnologie und Rassenkunde, 31
Typus entsprechen, die Langköpfe einen mehr ausgesprochenen germa-
nischen Einfluss aufweisen, während die platyrrhine, mesognathe, mesoseme
und subdolichocephale Gruppe vielleicht auf eine durch die Romanen ein-
geführte slawische Einwanderung hindeuten würde. Verf. hätte vielleicht
bestimmtere Resultate erlangen können, wenn er, statt nur die Einzel-
zahlen, auch die Mittelwerte und besonders die Serienbildung der Indices
berücksichtigt hätte. Dr. L. Laloy-Faris.
27. 1. ßruinier: Die Heimat der Germanen. Die Umschau,
1897, Nr. 1. 2. Wilser: Nochmals die Heimat der Grer-
maneu, ibidem, Nr. 8. 3. Bruinier: Einige Bemerkungen
zum Eingesandt des Herrn Dr. Wilser etc., ibidem, Nr. 9.
Verf., Germanist, sucht auf Grund der Worte: Fahren, Hahn und
Silber und ihrer Geschichte nachzuweisen, dass die Heimat der Germanen
und ihr alter Name in Skandinavien d. h. wohl dem südlichen Schweden
zu suchen sei. Mit diesem etymologischen Nachweise ist nun Wilser (2)
nicht zufrieden, er, der schon seit langem für Skandinavien nicht nur als
Urheimat der Germanen, sondern der Arier überhaupt eingetreten ist und
hält 3 Hauptbeweise für diese arische Heimat fest: 1. Der Verbreitungs-
bezirk einer Rasse sei immer dort, wo er am reinsten erhalten ist, zu
suchen ; 2. Die Überlieferung von Skandia als Ausgangspunkt habe sich bei
allen germanischen Stämmen erhalten und 3. die skandisch-germanischen
Runen stellten das Uralphabet der altariopäischen Schrift dar. Bruinier (3)
nimmt nun Wilser auf das grausamste vor. Wilser begehe den grossen
Fehler, germanisch und indogermanisch für identisch zu halten. Die Ur-
heimat der Indogermanen sicher festzustellen, sei ausserordentlich schwer,
und nur die Phonetik im Bunde mit der psychologischen Sprachenvergleichung
könne hier Entscheidung bringen. Der zweite Beweis Wilsers für die
Indogermanen sei hinfällig und nur für Germanen giltig; was über die
germanische Zeit hinaus hege, habe die Tradition vergessen. Der dritte Beweis
Wilsers sei ganz falsch, weil die Runen nur dem lateinischen Alphabete
nachgebildet seien. Zu behaupten, die Indogermanen müssten blond gewesen
sein, sei ebenfalls unrichtig. „Die Indogermanen sprechen indogermanische
Sprachen. Die Sprachen machen sie zu Indogermanen." Man darf das
indogermanische Volk nicht mit einer blonden Rasse verwechseln. Die
Leute der jungen Steinzeit konnten schon keine reine Rasse
mehr sein. ,.Die Frage nach der Heimat der Indogermanen ist keine
anthropologische, ebensowenig wie die nach der etwaigen Heimat einer
blonden Rasse eine sprachwissenschaftliche ist. Blonde Menschen und
Indogermanen sind inkommensurable Grössen.'*
Ref. glaubt, dass Bruinier im Rechte ist. Alle die sogenannten Beweise
von Wilser, Ammon etc. für die indogermanische Urheimat in Schweden
sind so wenig überzeugend, dass die meisten Anthropologen, Palaeonto-
32 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. i
logen etc. heute noch davon nichts wissen wollen. Jedenfalls hat noch
die alte Hypothese der asiatischen Heimat mehr (? Redaktion) für sich, als
die neue, nordische, und erst ganz kürzlich erklärte wieder der berühmte
Sir John Evans, dass die Wiege des Urmenschen in Asien stand. Zu erwähnen
ist ferner noch, dass die Sache mit den ,, nordischen Trojaburgen" als ein
missglückter Versuch sich herausgestellt hat, dass Tacitus als Tendenzschrift-
steller, der ausserdem nur aus dritter Hand schöpfte, durchaus nicht absolut
zuverlässig ist noch weniger ist es aber die Tradition und unter den
(relativ noch so jungen) Reihengräberschädeln fanden sich genug Kurzköpfe
vor. Virchow erklärte erst kürzlich wieder, dass wir den Germanenschädel
noch nicht kennen. Und so weiter! Man sieht, die Sache ist noch
lange nicht spruchreif trotz Wilser, Ammon und Anderer.
Oberarzt Dr. Näcke-Huhertushurg.
28. Rudolf Much: Die Anfänge des bayrisch-österreichischen
Volksstammes. Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte
Bayerns. 1897. Bd. XII, S. 1.
Die Bayern und die in der Hauptsache ihnen stammverwandten Deutsch-
Österreicher sind die Nachkommen der Markomannen. Diese nahmen im
Jahre 8 v. Chr. das circa 50 Jahre vorher durch den Auszug der Bojer
freigewordene Gebiet des heutigen Böhmen in Besitz und waren vordem
in den Landstrecken zwischen Main, Rhein und Donau ansässig gewesen,
wo vor ihnen wieder die Teutonen, die Verf. für eine Unterabteilung der
Helvetier hält, gewohnt hatten.
Von den letzten Jahren des 2. Jahrhunderts v. Chr. an, als diese Helvetier
nach Süden ausgewandert waren, stand der Weg vom Norden über den
Main her den Germanen offen. Um diese Zeit mögen die Markomannen,
die Verf., ebenso wie die Quaden für suevische Stämme hält, aus den
Stammessitzen der Sueven in die Gebiete zwischen Main, Rhein und Donau
aufgebrochen sein. — Verf. gründet seine Ausführungen auf historische
Angaben, die er sich allerdings in dem ihm passenden Sinne manchmal
zurecht legt, sowie auf die doch mit Vorsicht anzuwendende Etymologie der
Eigennamen. Dr. Bus chan- Stettin,
29. Paul Reinecke: Beschreibung der Skelettreste aus dem
Flachgräberfelde von Manching. Beitr. z. Anthrop. u.
Urgesch. Bayerns. 1897. Bd. XII, S, 28.
Ausgehend von der Annahme, dass jeglicher anthropologische Beitrag
zur Rassenkunde der Vorzeit, wenn er auf noch so spärlichem Material
auch basieren mag, unter Umständen als Vergleichsmaterial von Wert sein
kann, hat Verf. sich der Mühe unterzogen, die aus sieben zu Manching
(Bezirksamt Ingolstadt) aufgedeckten Flachgräbern der mittleren La Tene-Zeit
B. Referate. 2, Ethnologie und Rassenkunde. 33
(circa 200 v. Chr.) stammenden Skelettreste im Einzelnen zu beschreiben.
Leider ist das wissenschaftliche Resultat nur sehr gering. Die Knochen
waren in Bruchstücken erhalten, die ganz vereinzelt (lange Röhrenknochen)
nur ein Messen oder eine vollständige Beschreibung ermöglichten. Soweit
aus den Überresten ersichtlich, muss es ein kräftig entwickelter Volksstamm
gewesen sein. Seine mutmassliche Körpergrösse (aus den langen Röhren-
knochen berechnet) stellt sich für 3 weibHche Skelette auf 159 — 160, 159
und 153 — 154 cm, für 2 männliche auf 175 und 169 — 170 cm.
Verf. schreibt die Überreste den Kelten zu, die nach seiner Ansicht
erst um die Mitte des letzten Jahrtausend y. Chr. auf ihrer Wanderung
vom Rhein zu der Donau hin hier ansässig geworden waren. — Im An-
schluss hieran diskutiert er auch die von Bertrand und Reinach aufgestellte
Hypothese, der zufolge eine einheitliche Kultur in Oberbayern bereits seit
der Hallstattperiode bis zur Unterwerfung des Landes durch die Römer be-
standen habe, und demnach die Kelten bereits zur Hallstattzeit daselbst
ansässig gewesen seien. Er erinnert daran, dass eine Reihe charakte-
ristischer Funde aus der mittleren und jüngeren La Tene-Zeit in Oberbayern
und dem Donauthale bekannt geworden sind, welche durchaus keinen
Zusammenhang mit der Hallstattkultur oder deren letzten Ausläufern auf-
weisen, vielmehr einen ganz neuen Typus darstellen, der unbedingt mit
einem mehr oder minder scharf ausgeprägten Wechsel der Bevölkerung
Hand in Hand ging. Dr. BuscJian- Stettin.
30. F. Weber: Germanische ßeihengräber in Oberbayern.
Correspondenzbl. d. deutsch, anthrop. Ges. 1897. Bd. XXVIII, Nr. 7,
Von den 130 in Oberbayern bisher bekannt gewordenen Orten mit
Reihengräbern der heidnisch - germanischen Zeit fallen allein 56 mit
solchen Orten zusammen, deren Namen Patronymica auf -ing sind. Die
Zahl dieser Ortsnamen, die dem bayrischen Geschichtsschreiber S. Riezler
zufolge noch die dorfweise Besiedelung des Landes nach Geschlechts-
verbänden erkennen lassen, machen höchstens Yß der gesamten Zahl
der Ortsnamen aus. Verf. schreibt diese Reihengräber, deren Entstehung
er in die Zeit von 520 — 750 setzt, den Bajuwaren zu und erklärt dem-
entsprechend die bisher übliche Bezeichnung ,,fraenkisch-alamanniseh" für
unberechtigt. Auch die an den übrigen, nicht zu den Patronymica auf -ing
gehörigen Orten Oberbayerns aufgedeckten Reihengräber gehören ihrem
Inventar nach der gleichen Zeit und dem gleichen Volksstamme an. Sie
finden sich zumeist in Landstrecken, die an Getreidebau reich sind, ebenso
wie die Ortsnamen auf -ing, woraus schon Riezler den Schluss zog,
dass das bayrische Volk zur Zeit seiner Einwanderung bereits Getreidebau
kannte und die dafür geeigneten Gegenden zur Ansiedelung bevorzugte.
Dr. Buschan- Stettin,
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 3
34 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
81. Johannes Ranke: Frühmittelalterliche Schädel und
Gebeine aus Lindau. Ein Beitrag zur Geschichte der Schädel-
typoii in Bayern, Sitzungsberichte der math. phys. Klasse der
kgl. bayer. Akad. der Wissensch. 1897. Bd. XXVII, Heft I.
München 1897.
Durch die grundlegenden Arbeiten Rankes über die physische Anthro-
pologie der Bayern ergab sich das interessante Factum, dass die Mehrzahl
der bayerischen Schädel aus der Volkerwanderungsperiode dolichocephal
ist, während die Schädel der modernen Bayern (bes. Südbayern, Altbayern
und Schwaben) exquisite Brachycephalie zeigen, dass somit im Laufe der
fünfzehn Jahrhunderte die Schädelform eine vollkommene Umwandlung
erfahren habe. Bisher fehlten die Zwischenglieder, welche diese Verhältnisse
hätten aufklären sollen; nun wurde diese Lücke durch einen im Jahre 1896
in Lindau gemachten Skelettfund ausgefüllt, von dem sich historisch
nachweisen Hess, dass die Gebeine dem 10. bis 12. Jahrhundert entstammen.
Darunter befanden sich 25 relativ gut erhaltene ganze Schädel, einige Schädel-
bruchstücke, ferner 100 rechte und 100 linke gut messbare Femora.
Die Bedeutung und Stellung der Lindauer Schädel als Mittelghed im oben
erwähnten Sinne illustrirt am besten die folgende Tabelle:
Schädel aus der CphäHpl aua rlpm Schädel der modernen
''^mnZiTTf' Mhen Mittelalt" südbayerischen
(200 Reihengraber- .y i„^on^ Bevölkerung.
Schädel). il^indauj. ^^^^ Schädel).
Dolichocephale: 42 7„ 32 7^ 1%
Mesocephale: U% 36% U%
Brachycephale: 1^% 32 7^ 83 7o
Summe 100 100 100
Daran knüpft Ranke Betrachtungen und Vergleiche mit Schädeln aus
der Zeit vor der Völkerwanderung und findet, dass in Südbayern die
kraniologischen Verhältnisse annähernd die gleichen seien, wie vor der
Völkerwanderung, d. h. dass die Brachycephalie jetzt ebenso wie damals
vorherrsche ; im Nordwesten Bayerns haben die Dolicho- und Mesocephalen
in gleicher Weise ihre alten Sitze bewahrt, was mit anderen Worten soviel
bedeuten soll, dass der ansässige Grundstock der Bevölkerung Bayerns in
Bezug auf den Schädelbau im Stande war, die eingedrungenen Sieger
vollends zu assimilieren.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
32. Rudolf Martin: Ziele und Methoden einer Rassenkunde
der Schweiz. Schweiz. Archiv für Volkskunde. 1896. Bd. I,
Heft 1.
Die heutige anthropologische Forschung begeht den grossen Fehler,
dass sie mit bereits vorgefassten, keineswegs einwandfreien Typen an die
Analyse einer Bevölkerung geht und bestrebt ist in diese starren Formen
B. Heferate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 35
alles hineinzuzwängen, anstatt das entgegengesetzte Verfahren einzuschlagen,
nämlich aus einer gegebenen Bevölkerung oder Schädelserie, unbekümmert
um die durch historische Daten oder prähistorische Anhaltspunkte gegebene
Zusammensetzung, die Typen herauszuschälen, die sich aus der Unter-
suchung nach morphologischen Gesichtspunkten ergeben. Unter einem
morphologischen Typus versteht Verf. mit vollem Recht nicht nur einen
Komplex von gewissen Merkmalen des Schädels, sondern den Gesamtkomplex
aller Merkmale des Skelettsystems und der ganzen äusseren Somatologie
des Lebenden. Bezüglich der Schlüsse, die sich aus solcher Untersuchung
ergeben, warnt er vor der so beliebten Unsitte, sogleich, wenn man an einer
Bevölkerungsgruppe eine relative Homogenität herausgefunden hat, hier
einen ,,Urtypus" oder ,, Reste reiner Rasse*' zu wittern; denn eine solche
Homogenität der Formen kann sekundär erworben sein, insofern eine Be-
völkerung durch räumliche Verhältnisse von äusserem Einfluss lange Zeit
hindurch fast unbeeinflusst geblieben ist und so durch Inzucht starre
Charaktere gezüchtet hat.
Die schweizerische Bevölkerung setzt sich sichtlich aus einer ganzen
Reihe von Typen ganz verschiedenen Alters und verschiedener Provenienz
zusammen; diese Typen nach Völkerschaften, z. B. als römischen, hel-
vetischen, alemannischen etc. Typus zu bezeichnen, ist verfrüht und auch
gar nicht angängig, denn die Völker waren bei ihrem Eintritt in die Ge-
schichte der Schweiz bereits keine Varietäten im morphologischen Sinne
mehr. Verf. empfiehlt, die Namen für die aufzufindenden Typen vorläufig
von den Lokalnamen, Fundstätten etc. herzunehmen; diese präjudizieren
nichts.
Um eine Feststellung aller in der Schweiz vorkommenden, wohl
charakterisierten, anthropologischen Typen zu ermöglichen, bringt Verf. in
Anregung, exakte anthropologische Untersuchungen über das ganze Land
hin vornehmen zu lassen; zu ausführenden Organen schlägt er in erster
Linie die Ärzte und Lehrer vor. Behufs einheitlichen Funktionierens dieser
Erhebungen hält er es für wünschenswert, dass alle Beobachter eine
gleichmässige technische Vorbildung (kurze praktische Instruktionskurse)
erhalten, und dass überall eine einheitliche Methode, dieselben Instrumente
und gleichen Beobachtungsformulare in Anwendung kommen. Ein In-
strumentarium hat Martin für diesen Zweck zusammengestellt: einen 2 m
hohen Anthropometer und einen Tasterzirkel (beides kompendiös zu-
sammenlegbar, allerdings auch teuer, nämlich 85 Fr., vom Mechaniker
F. Meyer in Zürich zu beziehen). Das Formular druckt er gleichzeitig ab.
Dasselbe nimmt eingehend Bezug auf die Abstammungs-Verhältnisse des zu
Untersuchenden, berücksichtigt ebenfalls eingehend die Formbeschreibung
und giebt eine Zusammenstellung der vorzunehmenden Maasse. Ob alle
diese Messungen wirklich einen praktischen Wert haben werden und ob
nicht einige andere an Stelle einzelner zu setzen sind, darüber lässt sich
3*
36 B. Referate. 2. Etlmologie und Rassenkunde.
streiten. Verl\ scheint bereits auch schon solche Ahnung gehabt zu haben,
denn er hisst auf seiner Messkarte noch genügend Raum für weitere
Maasse. ^^'- Suschan-Stettin.
Xi. Gabriel de Mortillet: Formation de la nation frau^aise.
Textes, linguistique, palethnologie, anthropologie. Paris, F. Alcan.
1897. 329 Seiten 8«.
An der Hand der historischen Daten, der Linguistik, der prähistorischen
und anthropologischen Forschung versucht Verf. den Ursprung der franzö-
sischen Nation zu ergründen.
1. Die historischen Dokumente, die Verf. zunächst prüft, fangen erst
gegen Beginn unserer Zeitrechnung an, genauere Formen anzunehmen.
Die ältesten Nachrichten fliessen uns aus Ägypten zu. Im 17. Jahrhundert
V. Ch. machten die Lybier und ihre Verbündeten, Völkerschaften der Inseln
und Gestade des Mittelmeeres, den Versuch, in Ägypten einzudringen,
wurden aber durch Thotmes III. zurückgeschlagen. Die zivilisierten Völker
begannen sich an unserer Küste anzusiedeln. Es waren dieses die Phönizier,
dann die Griechen, die im südlichen Frankreich zahlreiche Spuren hinter-
lassen haben. Von den Ligurern besitzt man nur ungenügende Nachrichten;
sie w^aren sicherlich Seeleute und Bergbewohner und breiteten sich längs
der Mittelmeerküste zwischen Rhone, und vor allem Var und Macra in
Toscana aus. Im Westen der Rhone haben sie sich mit den Iberern ver-
mischt und sollen eine Kolonie in das frühere Colchis entsandt haben.
Die Iberer nahmen von ganz Spanien Besitz ; in Frankreich breiteten sie
sich im Osten bis zur Rhone aus, indem sie hier die Ibero-Ligurer bildeten,
im Westen unter dem Namen Aquitanier auf das Gebiet zwischen
Pyrenäen und Garonne. Im Süden weiter nahmen sie von den Balearen,
Korsika, Sardinien und Sizilien Besitz (westliche mediterranische Rasse)
und entsandten, ebenso wie die Ligurer, eine Kolonie in die Nähe des
Kaukasus. Im Norden drangen sie bis England und Irland vor. — Unter der
Bezeichnung Kelten, Galater, GalHer und Germanen berichten uns die
griechischen und römischen Schriftsteller ,,von einer und derselben Rasse,
militärischer und räuberischer Aristokratie, die von dem nördlichen Italien,
ganz Gallien und ganz Germanien Besitz genommen hat, in Spanien und
selbst in Afrika eingefallen ist."
2. Die Linguistik giebt uns nur wenig Anhaltspunkte. Die wahre
gallische Sprache muss wenig Beziehungen zu den sogenannten keltischen
Idiomen gehabt haben, denn diese haben uns wenig zur Entzifferung der
gallischen Inschriften genutzt. Neben diesen letzteren trifft man an den
megalithischen Steinbauten diverse Eingravierungen an, über deren Be-
deutung man noch streitet. Verf. teilt sie ein in einfache Ornaments-
motive, in figurative Skulpturen, die bekannte Gegenstände darstellen,
B, Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 37
endlich in symbolische Eingravierungen, die schwieriger zu deuten sind,
aber unabhängig von jeglichem Alphabet zu sein scheinen.
3 u. 4. Die palethnologischen und anthropologischen Daten bringen
glücklicherweise mehr Licht in alle diese, bisher noch ziemlich vagen
Angaben. Zur Quaternärzeit lebte in Frankreich bereits der Mensch;
aber schon aus der Tertiärzeit hat man Flinte kennen gelernt, die mit
Absicht hergestellt sind und die Anwesenheit eines Vorläufers des Menschen
beweisen. Mortillet hat demselben die Bezeichnung Homosimius beigelegt
und unterscheidet bereits zwei verschiedene Typen : Homosimius Bourgeoisii
und Homosimius Riberoi. Der erstere lebte in der ,,aquitanien" genannten
Erdperiode, Hess Silexstücke durch Einwirkung der Hitze zerspringen und
retouchierte bereits andere; ihm schreibt M. die von Bourgeois aufge-
fundenen Flinte von Thenay zu. Der zweite lebte in ,,tortonien'', schlug
durch Hämmern bereits Splitter mit schneidenden Rändern los; ihm schreibt
er die von Ribeiro in Portugal und von Rames zu Puy-Courny (Cantal)
aufgefundenen Silexstücke zu. — Der wirkliche Mensch tritt erst mit dem
unteren Quaternär, vor circa 230 — 240 000 Jahren in die Erscheinung;
die damalige Fauna karakterisiert sich durch Elephas antiquus und meridionalis.
Es ist dieses die Neanderthal-Rasse, deren Reste man jetzt in Deutschland,
Belgien, Frankreich und England nachgewiesen hat. Das Werkzeug des
Neanderthalers war der Faustkeil (coup de poing) vom Chelles-Typus, un-
förmig und schwer, der sich während der Periode von St. Acheul ver-
vollkommnete. Der damalige Mensch war nackt, mit Haaren bedeckt,
kräftig entwickelt und noch vollständig wild; er bewohnte die Thäler und
niederen Anhöhen. Sehr langsam vollzog sich eine Änderung im Klima;
die Eisperiode hielt ihren Einzug. Der Mensch war daher gezwungen, sich
Kleidung zu verschaffen und begann sich Werkzeuge herzustellen, um
solche anfertigen zu können; Messer, Schaber, Stichel erscheinen während
der Periode von St. Acheul. Die Menschen gruppierten sich und errichteten
sich Schlupfwinkel. Die Perioden von Moustier und Solutre repräsentieren
nur einen lokalen Ausbau der St. Acheul-Kultur.
Das bis dahin einförmige und feuchte Klima wird trocken, mit extremen
Temperaturen. Die Neanderthalrasse bildet sich an Ort und Stelle neu,
— schon in dem Schädel Nr. 2 von Spy, in dem von Eguisheim, dem
Unterkiefer von Arcy-sur-Cure findet man einen verwandten Typus — und
wird schliesslich zur Rasse von Laugerie, die zwar auch klein, dolichocephal,
wie die vorhergehende, und kräftig gebaut war, aber schon einen ge-
räumigeren Schädel besass und mit ziemlicher Intelligenz ausgestattet war,
vermöge deren sie die schöne Industrie der Madelaine-Epoche schuf. Die
Vertreter dieser Rasse bewohnten die Grotten und Schlupfe unter den
Felsen, kleideten sich in Felle, betrieben Jagd und Fischfang, kannten aber
noch nicht den Ackerbau und die Züchtung von Hausthieren. Es waren
38
B. Referate. 2, Ethnologie und Rassenkunde.
riihigo lind friedfertige Leute, indessen noch ohne religiöses Gefühl; sie
bildeten die Natur in einer naiven und realistischen Weise nach.
Da trat eine neue Änderung im Klima ein. Die milde Witterung Hess
das Rennlier auswandern und einen Teil der Bevölkerung ihm nach Norden
folgen, wo sich aus ihr die Eskimos, die erste französische Kolonie, bildeten.
Der zurückbleibende Teil gestaltet sich zum Grundstock der französischen
Revölkerung. Zu dieser Zeit erfolgte die Einwanderung der Brachycephalen,
die aus den Gebieten zwischen Kleinasien und Thibet herkamen und die
Industrie und Sitten der neolithischen Zeit mitbrachten. Durch sie wurde
die bisherige Kultur volllsländig verändert. Die autochthonen Dolichoce-
phalen zogen sich vor den Eindringlingen aufs Land oder auf Pfahlbauten
zurück; später fand eine Vermischung zwischen beiden statt, wie die
zahlreich vorkommenden Mesocephalen bekunden. Mit den Brachycephalen
hielten Totenverehrung, Religiosität, die Industrie der Töpferei und des
geglättenen Beils mit Handgriff, der Bogen, die Haustiere und die Land-
wirtschaft ihren Einzug.
Die Protohistorie beginnt mit der Verwendung der Metalle. Es giebt
in Europa keine Kupferzeit, die der Bronzezeit vorangeht, da die Industrie
sich nicht am Platze entwickelt hat, sondern aus Asien, wo das Zinn des
Alluviums so verbreitet ist, importiert worden ist. Die wenig zahlreichen
Einwanderer bedienten sich nicht der Gewalt; sie waren Kaufleute, auch
wohl Missionare, die anstelle der Bestattung die Verbrennung setzten, mit
Ihrer orientalischen Religion das Tintinnabulum und das Zeichen des Kreuzes,
im besonderen des Hakenkreuzes mitbrachten. Sie müssen mit sehr kurzen
Extremitäten ausgestattet gewesen sein, worauf die Dolche und Armbänder
der ersten Periode von Morges hindeuten; sie haben das brachycephale
Element verstärkt.
Das Eisen wurde aus Ägypten durch kommerziellen Austausch ein-
geführt, und zwar zwischen dem 17. und 14. Jahrhundert, wie aus den
ägyptischen Inschriften hervorgeht. Die Afrikaner sind direkt vom Stein
zum Eisen übergegangen. Die alte Rasse von Laugerie blieb während der
protohistorischen Epoque Hallstattienne, Marnienne, Beuvraysienne bestehen,
oder machte nur eine geringe Umwandlung durch in die neolithische
Rasse von Baumes-Chaudes. Auf der anderen Seite ging sie aber auch
eine ausgiebige Kreuzung mit den Brachycephalen ein, die noch jetzt mit
Vorliebe die gebirgigen Gegenden bewohnen.
Schliesslich vollzog sich innerhalb der Rasse von Laugerie noch eine
aristokratische Auslese, deren erste Typen uns in dem Alten von Gro-
Magnon und in den Skeletten von Baousse-Rousse entgegentreten. „Muss
man nicht in ihnen die Vorfahren der Galater und der Gallier der
griechischen und römischen Schriftsteller erblicken, jener Krieger von
hohem Wüchse, die immer in Bewegung, immer gleichsam auf Abenteuer
aus waren?*'
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 39
Aus allen diesen Vermischungen ist die soziale Einheit hervorgegangen,
die man „französische Nation" nennt. Dr. G. FajnUault- Paris.
34r, Spalikowski: Les dents des Normands dans la pr^histoire
et ä l'^poque contemporaine. L'Anthropologie. 1897. Bd. VIII,
S. 205.
Die Zahncaries ist in der Normandie sehr häufig und wird es alle Tage
mehr. Verf. hat sie auch an Schädeln der römischen Zeit beobachtet,
und glaubt sie auf einen Rasseneinfluss zurückführen zu können. Doch
scheinen hereditäre Lues, Nervenschwäche und Alkoholismus, w^elch letzterer
gerade in dieser Provinz sehr verbreitet ist, nicht unerheblich zu diesem
Zustand beigetragen zu haben. Dr. L. Laloy-Paris.
35. G. de Lapouge : Ossuaire de Ou^rande. Bull, de la Societe
scientifique et medicale de l'Ouest. 1896, S. 300 — 306.
Aus der Untersuchung von 41 Schädeln (27 m , 14 w.) des Bein-
hauses von Guerande (Dep. Loire-Inferieure) ergab sich eine vollständige
ÜJDereinstimmung mit den kraniologischen Messungsresultaten in der Bretagne.
Der mittlere Schädelindex betrug bei den Männern 8,14, bei den Weibern
7,83. Lapouge zieht den Schluss, dass die stets dolichocephalen Insel-
bretonen, als sie Armorica unterjochten, seitens der brachycephalen Autoch-
tonen einer völligen Resorption anheimfielen.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
36. Ferdinand Hüppe: Zur Rassen- und Sozialhygiene der
Griechen im Altertum und in der Gegenwart. Wies-
baden, a W. Kreidel's Verlag. 1897. 113 Seiten.
Wenngleich die Beobachtungen, die Verf. gelegentlich einer mehrmonat-
lichen Reise in Griechenland und Kleinasien während des Jahres 1896 anstellte,
sich in erster Linie auf hygienische Zustände bei den alten Griechen be-
ziehen — so weist er nach, dass diese bereits zur mykenischen Periode^ und
später in noch grösserem Umfange allenthalben (Olympia, Delphi, Oropus,
Kopais-See, Athen etc.) in ganz genialer Weise Hochreservoirs, Wasser-
leitungen, Badeeinrichtungen, Cisternen, selbst Kanalisation anlegten — ,
so finden auch der Anthropologe und Prähistoriker manches sie interes-
sierende. Verf. ist zwar Professor für Hygiene, aber er ist gleichzeitig
auch auf den Gebieten der Anthropologie und Urgeschichte gut geschult.
Manche seiner darauf bezüglichen Hypothesen erscheinen zwar etwas proble-
matisch, allein man darf ihnen Scharfsinn nicht absprechen.
Interessant sind die Bemerkungen des Verfassers, die sich mit
den vorgeschichtlichen Völkerbewegungen auf der Balkanhalbinsel beschäf-
tigen. Gestützt auf vergleichende vorgeschichtliche Funde nimmt er an,
dass die ersten Einwanderer in Griechenland, die Pelasger, aus Thracien
40 B. Referate. '1. Ethnologie und Rassenkunde.
kamen und nordisch-arischer, also europäischer — die Bildungsstätte der
Arier vorlegt er nach Westdeutschland — Abstammung waren. Sie
brachten die Bernsteinperlen und die Stierornamente (Stier, der zwischen
seinen Hörnern ein Sonnenrad oder eine Doppelaxt, Attribute des nordi-
sclien Donnergottes, trägt), wie solche mehrfach in Argolis gefunden
worden sind, aus dem Norden mit. Auch die Trojaner gehörten der
arischen Völkerfamilie an. Die schwarzen, ohne Drehbank angefertigten
Gefässc (Gegenstücke in den Gräbern Nord-Italiens, Süd-Deutschlands und
in den Pfahlbauten der Schweiz), ferner Gefässe mit Rändern, welche eine
besondere innere Ornamentik aufweisen (Gegenstück der Fund zu Albs-
heim bei Worms), die Svastika, der Goldfund des Priamus, die Schrift-
zeichen und das Vorherrschen langer Schädel — alle diese Funde aus
Hissarlik gehören der Zeit vor der 3. Periode, also der Zeit vor Be-
rührung mit Phöniziern, Hethitern etc. an und weisen auf europäischen
Ursprung hin. Zur Zeit der 3. Periode, der von Mykenae, lässt sich
bereits Import von Mykenae her nachweisen; allein die Kultur, die
hier herrschte, war ursprünglich die gleiche, wie die trojanische, beide Völker
waren gemeinsamen Stammes.
Die erste Besiedlung des Peloponnes und der troischen Ebene er-
folgte von Thracien aus. Es waren, wie schon gesagt, langköpfige, blonde
Arier. Ein Teil dieser Arier, der phrygische Stamm, der sich freilich
bereits auf seiner Wanderung mit den aus Asien zur gleichen Zeit vor-
dringenden Kurzköpfen etwas vermischte, setzte über den Hellespont und
wurde zu den Teukrern, ein anderer ging direkt südlich und wanderte
in Griechenland ein; es waren dies die Pelasger, die später den Namen
Achäer annahmen. Die Einwanderung von Thracien her vollzog sich in
mehreren Schüben. Den Pelasgern folgten die dorisch - äolischen, den
Teukrern die ionischen Stämme, beide gleichfalls nordeuropäische Arier
vom baltisch-lettischen Zweige.
Gleichzeitig mit der Ausbreitung der thracischen Arier über Klein-
asien rückten von Osten in die Gegend südlich vom Ararat rundköpfige
Völker vor, die Verfasser mit Herodot als alarodische bezeichnet. Eine
Hauptrolle unter diesen spielten die Hethiter, deren Sprache nachweislich
weder arisch, noch semitisch ist. Diese Rasse verbreitete sich bereits vor
der mykenischen Periode der Teukrer über Kleinasien, einen Teil der
Inseln und über Kreta bis zur Westküste Griechenlands hinaus und be-
gann sich mit den Teukro-Ariern schon frühzeitig zu vermischen. —
Als drittes ethnisches Element wanderten aus dem Mittelstromlande noch
die langköpfigen Semiten ein, die aber schon bei ihrem Erscheinen eine
Rassenmischung darstellten. Aus der Kreuzung der Alarodier mit diesen
Semiten gingen die Phönizier und Juden, wahrscheinlich auch die Karier,
Lykier und Kilikier, aus der mit den Ariern die Armenier hervor.
B, Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 4^
Die alten Hellenen waren, wie ihre Urväter, die Pelasgo-Achäer, baltisch-
thracischen Stammes und in der Mehrzahl ausgesprochen langköpfig
(die Schädel des anthropologischen Institutes zu Athen zeigen mit wenig
Ausnahmen einen Index unter 80 und einen ausgesprochen germanischen
Typus), blond und blauäugig (Tanagrafiguren etc.) und von hoher
Statur (die in Mykenae und Thoricos gefundenen Skelette weisen eine
mutmaassliche Körpergrösse von 1,68 — ],80m auf), wie es trotz vielfacher
späterer Vermischungen noch heute ein Teil der Bevölkerung ist. Diese
Mischungen vollzogen sich mit der gleichfalls langköpfigen, aber dunklen
und kleinen ligurischen Rasse, mit den stark mongoloid durchsetzten
Slaven und den rein mongoloiden Hunnen', Avaren und Türken. Die
reinen Albanesen — nach Stephanos lassen sich, wenn man die Ab-
stammung nach Familien und Namen zu Grunde legt, unter den heutigen
Albanesen zwei verschiedene Gruppen unterscheiden: solche türkischer
Herkunft mit einem Schädelindex weit über 80, also rundköpfig, und stets
dunkel, und solche reiner Abstammung mit einem Index unter 80, also
langköpfig, und hell, sowie hochgewachsen — stellen den Überrest der
alten Thraker dar; nach den Beobachtungen von Stephanos sind sie in
der Hauptsache dolichocephal und gleichzeitig blond und helläugig, jedoch
stark mit anderen Elementen durchsetzt. Im eigentlichen Griechenland
haben die alten Griechen ihre Spuren am deuthchsten noch in den
Maniaten im Taygetos hinterlassen.
Des weiteren beschäftigt sich Verf. mit den socialen Zuständen des
heutigen Griechenlands, wie er sie durch Augenscheinnahme kennen ge-
lernt und richtig zu beurteilen verstanden hat.
Dr. Buschan-Stettin.
37. L. Glück. Prilog fizickoj antropologyi Albanezä. (Beitrag
zur phys. Anthropologie der Albanesen). Glasnik zem. muzeja
u Bosni i Hercegovini. Sarajevo 1896. VIII. 3. 4. S. 467—496.
Mit 9 Tafeln und 2 Übersichtstabellen.
Glück untersuchte 30 lebende (männl.) Albanesen und 9 albanesische
Schädel. Die Mehrzahl der ersteren zeigte einen dunklen Typus, obwohl
er nicht frei war von Beimischungen; die mittlere Körpergrösse ergab
1684 mm (Weisbach fand 1664), der mittlere Kopfindex 82,58 und zwar
so, dass die Brachycephalie mit 70 7o ^i^ übrigen Fälle von Mesocephalie
und Dolichocephalie bedeutend überwog. Dafür waren 53 % ^^^ Fälle
dolichoprosop und je 23 7o nieso- und chamäprosop. Die Stirne war
mittelhoch, die Augen gross, die Nase eher breit als schmal, die Nasen-
wurzel relativ tief; der Mund mittelbreit, die Lippen ziemlich dick.
Von den 9 Schädeln waren 5 männlich, 3 weiblich, einer nicht näher
bestimmbar. Im Allgemeinen waren sie mehr oder minder kurz, breit und
42 B. Referate. ± Ethnologie und Rassenkunde.
hoch, das Gesicht schmal und lang. Der mittlere Schädelinhalt wies
1386 ccm auf, der mittlere Schädelindex 87,06, womit also alle Schädel
unter Brachycephalie, ja sogar Hyperbrachycephalie einzureihen sind. Der
Gesichtsindex ergab in den drei messbaren Fällen 53,38, 52,71 und 50,00.
Die Albanesen, welche sich selbst Skipetari nennen und bei den Slawen
Arbanasi, bei den Türken Arnauten heissen, werden von Virchow als Rest
der auf der Balkanhalbinsel als autochton angesehenen Illyrer betrachtet.
Sie zerfallen nach dem Dialekte in Katholiken, welche Nord- und Mittel-
Albanien bewohnen [Gege], und in Orthodoxe, welche in Südalbanien,
sesshaft sind [Toske] ; viele bekennen sich indes auch zum Islam.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
38. E. T. Hamy: Les races n^gres. L* Anthropologie. 1897
Bd. VIII, S. 257.
Hamy fasst in dieser Abhandlung kurz zusammen, was er vergangenes
Jahr in seinem Unterricht im Museum d'histoire naturelle über die Anthro-
pologie der Negerrassen gesagt hat. Letztere bilden ungefähr Yio ^^^
Gesamtbevölkerung der Erde. Sie sind mehr durch die Beschaffenheit ihrer
Haare, als durch ihre Hautfarbe gekennzeichnet. Unter ihnen unterscheidet
Hamy zunächst zwei Pygmäenrassen : eine östliche (Negritos der Philippinen,
der Andamanen und Indiens) und eine westliche (Negrillos Central- Afrikas).
Erstere Rasse ist insofern interessant, als ihre Verbreitung auf ein sehr
weites Gebiet der Abtrennung des asiatischen Archipelagos vom Festland
vorhergegangen sein muss. Es ist nicht sicher, dass die afrikanischen
Pygmäen mit den östlichen verwandt sind.
Andere Rassen, wie die Tasmanier und Buschmänner, bieten einer
systematischen Klassifikation ebenfalls fast unüberwindliche Schwierigkeiten,
besonders da es ganze Reihen von Zwischenformen giebt, zwischen jenen
und ihren Nachbarstämmen. Die Papua, ebenfalls eine sehr primitive
Rasse, haben sich mehrfach mit den Polynesiern vermischt. In Afrika giebt
es Zwischenstufen zwischen Negern und Mohren oder Äthiopiern, zwischen
Negern und Negrillos oder Buschmännernj vielleicht auch zwischen den
zwei letztgenannten Stämmen. Dazu kommen noch die Völkerwanderungen,
welche die Verwirrung noch vergrössern. Aber trotz "der Mängel ihrer
Klassifikation bilden die Negerrassen einen der anziehendsten Gegenstände
des Studiums. Denn einige ihrer Zweige sind gewiss die ältesten Menschen-
gruppen, die sich bis heute erhalten haben, und ihre Trennung als abge-
sonderte Stämme reicht nach Hamy bis in die Tertiärzeit hinauf, als
Sumatra, Java und die Philippinen noch mit Indochina zusammen hingen;
anders könnte man sich sonst die Wanderungen jener Stämme, die die
Schifffahrt nicht kennen, gar nicht vorstellen.
Dr. L. Laloy-Paris.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 43
39. Zaborowski: Anthropologie de Madagascar. Auszug aus der
„Grande Encyclopedie'^ 1896. Bd. XXII. Paris, H. Lamirault & Co.
In diesem kurzen Artikel stellt Zaborowski das Wissenswürdigste zu-
sammen, was über die Anthropologie der Insel Madagascar bekannt ist.
Er weist, wie alle Autoren, den Hovas einen orientalischen Ursprung zu.
Er nimmt an, dass die bis jetzt als hypothetisch betrachteten Kimo oder
Vazimba wirkhch existiert haben, und dass heute noch Reste dieses klein-
wüchsigen, aus Indien oder Äthiopien (?) stammenden Volkes unter den
Sakalaven zerstreut leben. In jedem Fall gewährt Zaborowski's gedrängte
Arbeit einen ziemlich genauen Einblick in die zahlreichen Blutmischungen,
die in Madagascar stattgefunden haben. Dr. L. Laloy-Faris.
40. M. Zaborowski: Malpaches. Nias. Dravidiens. Bullet.de la
Sog. d'anthr. de Paris. 1897. Bd. VII. S. 84.
Zaborowski studiert in vorliegender Arbeit die anthropologischen,
ethnographischen, lingustischen und religiösen Berührungspunkte zwischen
den Hovas Madagaskars und einer Reihe von Völkerstämmen der Sunda-
inseln, insbesondere der Bewohner der Insel Nias. Dabei erfahren wir
eine Unzahl von sehr interessanten Einzelheiten, welche sich jedoch wegen
ihrer eingehenden Detaillierung einer näheren Besprechung leider entziehen.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
4:1. Gustav Oppert: Die Ureinwoliner Indiens in ethnolo-
gischer, religiöser und sprachlicher Hinsicht. Globus.
1897. Bd. LXXII, Nr. 4 und 5.
Bereits zur Zeit der arischen Einwanderung in Indien wurde das Land
von einer nichtarischen Bevölkerung, die vorzugsweise die gebirgigen Teile
inne hatte, bewohnt. Da die jetzige einheimische indische Bevölkerung
nicht nur in ihrem äusseren Habitus, sondern auch in ihren religiösen
Anschauungen und in der Sprache mit der uralisch-altaischen oder finnisch-
ugrischen Rasse viel Verwandtschaft aufweist, so hält Oppert Angehörige
dieser Rasse vorläufig für die Autochthonen von Indien. — Die Haupt-
vertreter der Ureinwohner sind die Bharata. Sie zerfielen schon frühzeitig
in zwei Zweige, die zwar verschiedene Namen annahmen, später aber
besonders als Gaudier und Dravidier erscheinen. Alle drei Namen lassen
sich auf zwei urindische Worte (par, parai, mar, malai und ko, ku), die
„Berg" bedeuten, zurückführen. (Als ältere Formen für Dravida nimmt
Verf. Drimila, Dramila, entstanden aus Tirumala, an.)
Die verschiedenen Dialekte der Urbewohner Indiens sind, wenngleich
sie auf den ersten Blick stark voneinander abzuweichen scheinen, mit
einander verwandt und lassen sich auf eine Grundsprache zurückführen.
Das Gaudische und Dravidische waren daher ursprünglich verwandte Idiome ;
der jetzt vorhandene Unterschied beruht auf späterer Entwickelung. Die
44 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Einwanderung der Arier hat vielfach, besonders im Norden und in vielen
Teilen Miltelindiens, die ursprüngliche Sprache arisirt; daher findet sich
dieselbe in den südindischen Dialekten noch am reinsten erhalten. Die
dravidischen Mundarten lassen eine Vorliebe für konkrete Ausdrucksweise
erkennen und zeigen eine agglutinirende Wortbildung, wie Verf. an Beispielen
erläutert; wie schon erwähnt, fällt an ihnen eine auffällige Übereinstimmung
mit der finnisch-ugrischen Sprachgruppe auf. Dr. Buschan-Stettin,
42. Oppert: Über die Toda und Köta in den Nilagiri oder
den blauen Bergen (mit 4 Autotypien). Zeitschrift für Ethno-
logie 1896. Bd. XXVIII, S. 213—221.
Diese im Südwesten Vorderindiens wohnenden Völker gehören zum
gaudischen Zweige der indischen Urbevölkerung. Die in Macht und Ansehen
stehenden Toda, die sich durch einen schönen, hohen Wuchs auszeichnen,
sind Hirten. Jetzt führen sie keine Waffen, früher aber übten sie wahr-
scheinlich eine kriegerische Thätigkeit aus, worauf der Umstand deutet, dass sie
mit der Leiche einen Bogen und Pfeil, sowie ein Messer verbrennen. Sie
behaupten, die Sänftenträger des gewaltigen Rävana gewesen zu sein, der
als Repräsentant der gaudo-dravidischen Rasse gilt. Oppert glaubt, dass
der Name Toda aus Koda hervorgegangen ist und Bergbewohner bedeutet. Der
Erdgöttin opfern die Toda Milch und Blut, ursprünglich von Menschen, jetzt von
Büffeln. Diese Tiere werden von den Toda und auch sonst in Indien von
alters her verehrt und haben manchen Völkern, Städten und Ländern den
Namen gegeben. Die Toda wie die Gaudo-Dravidier überhaupt huldigen
der Polyandrie. Sie zerfallen in fünf Klassen, unter welchen die der
Paiki die vornehmste ist. Ihr gehören die Päläl oder Hüter der heilige^
Heerde und der Milch an. Es sind dies die angesehensten von den eben-
falls in fünf verschiedene Arten gesonderten Priestern. Die Tempel der
Toda haben verschiedene Formen. Sie gleichen entweder Wohnhäusern:
Pälci (Milchhäuser) oder einem Zuckerhut (Boa). Das Volk, welches
Sonne, Mond und Feuer für heilig hält, überlässt alle religiösen Verrichtungen
den Priestern. Früher Hess man in den Familien nur ein Mädchen leben
und tötete die folgenden Mädchen gleich nach der Geburt, was mit der
Polyandrie zusammenhängt. Im Jahre 1891 zählten die Engländer 736 Toda.
Nächst ihnen sind die gutgewachsenen Köta, deren es nach dem
letzten Census 1201 gab, die ältesten Einwohner der Nilagiri. Ohne
Kasten-Unterschiede leben sie als fleissige Ackerbauer und Handwerker.
Da sie das Fleisch gefallener Thiere verzehren, so gelten sie für die Parias
der Hügellande. In jedem Dorfe haben sie zwei Tempel, einen für ihren
Gott, den anderen für dessen Gemahlin. Den Toda entrichteten sie früher
Tribut, jetzt nur noch ehrerbietigen Gruss. Oppert leitet den Namen
dieses Volkes von der gaudo-dravidischen Wurzel ko, Berg, ab und über-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 45
setzt ihn ebenso wie das Wort „Toda" mit Bergbewohner, was auch mit
dem Wohnort beider Stämme (auf den Bergen) übereinstimmt.
Dr. Mies-Köln.
43. Edgar Thurston: Anthropology of the Todas and Kotas
of the Nilgiri hüls, and of the Brahmans, Kammälaus,
PalliS and Pariahs of Madras city. Madras Government
Museum, Bullet. Vol. I, Nr. 4. Madras 1896. 96 S. mit 21 Tafeln.
44. Edgar Thurston. Anthropology. Badagas and Irulas of
the NiJgiris; Paniyans of Malabar; a Chinese Tamil cross;
a Cheruman skull; Kuruba or Kurumba; suramary of
results. Madras Government Museum. Bulletin Vol. II, Nr. 1.
Madras 1897, 68 S. mit 16 Tafeln.
Der um das Museum von Madras hochverdiente Direktor des Museums,
Herr Edgar Thurston hat seit 1894 sein besonderes Interesse dem Studium
der verschiedenen Stämme und Kasten Südindiens zugewendet, indem er
während seiner Ferienzeit wichtige Stammesgruppen auf den Nilgiris und
im Wynad, während seiner Dienstzeit einzelne Kasten in Madras selbst
anthropologisch (im ganzen etwa 900 Individualaufnahmen) und ethnologisch
studierte. Seine Eigenschaft als höherer britischer Beamter kam ihm dabei
sehr zu statten, indem er dadurch mit Leichtigkeit nicht nur sonst schwer zu-
gängliches Material erhielt, sondern auch in ethnologischen Dingen tiefer
in die Verhältnisse einzudringen im Stande war, als dies anderen, nicht
mit dem Nimbus des Beamten geschmückten Reisenden möglich ist. Er
hat sich sowohl auf anthropologischem, als auch auf ethnologischem Gebiete
als guter Forscher bewährt. Bisher hat er die 5 Stämme, die die Nilgiri-
Berge bewohnen, und die durch die Arbeiten von Metz, Breeks, Shortt etc.
verhältnismässig besser bekannt sind, sodann eine Anzahl von Kasten aus
der Stadt Madras (Brahmanen, Kammälas, Pallis und Parias), die Paniyas
in Wynad, ferner eine kleine Gruppe von Mischlingen chinesisch-tamilischen
Blutes, endlich den Schädel eines Tscheruma untersucht und in den beiden
vorliegenden Heften beschrieben.
Die genauere anthropologische Untersuchung bestätigt die, von der
Geschichte berichtete, im Norden Indiens durch die ausgedehnten Beob-
achtungen Risleys festgesetzten und auch im Süden durch den blossen
Augenschein erkennbare Thatsache, dass es sich um die Mischung zwei
verschiedener Elemente handelt, einer dunkelhäutigen, kleingewachsenen,
breitnasigen, wellig-haarigen, dolichocephalen und einer heller pigmentirten,
höher gewachsenen, schmalnasigen , aber gleichfalls welHg - haarigen
und dolichocephalen Rasse (Drawidas und Arier). Eine fort-
laufende Stufenreihe führt von den heller gefärbten und grösser
gewachsenen Kasten, die weniger drawidisches Blut enthalten, hinüber zu
den ganz kleinen, sehr dunkelhäutigen Dschungelstämmen und Sklaven-
4G B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. J
kaslen, die so gut wie gar kein arisches Blut aufgenommen haben und als
reine Drawidas angesehen werden können. Freilich repräsentieren die Brah-
manen Südindiens nicht in dem Maasse den arischen Völkerbestandtheil, wie
in Nordindien; sie sind dort in entschiedenem, oft recht hohem Grade mit
dravidischem Blut durchsetzt. — Unter den von Thurston studierten
südindischen Stämmen zeigen die Todas der Nilgiri-Berge den höchsten
Wuchs (169,5 cm, nach den Messungen des Referenten 168,7 cm); sie
erheben sich damit beträchtlich über die Körpergrösse sämmtlicher anderer
von Thurston gemessenen Gruppen, deren mittlerer Wuchs sich zwischen
164,5 und 157,4 bewegt. Die kleinsten Gruppen (unter 160 cm) sind
entweder Dschungelstämme oder Sklavenkasten; sie sind zugleich am
stärksten pigmentiert und in hohem Grade breitnasig. Da beide Mischungs-
komponenten dolichocephal sind, ist auch die Kopfbreite nicht durch
Mischung beeinflusst; Brachycephalie, deren untere Grenze Thurston auf
83,3 setzt, fehlt fast gänzlich (unter 900 Individuen waren nur 4 braehy-
cephal); die dolichocephale Schädelform herrscht bei weitem vor.
Auch auf ethnologischem Gebiet bringt Thurstons Arbeit Neues und
Werthvolles. Am eingehendsten werden darin die Stämme des Nilgiri-
Plateau's behandelt, die seit langer Zeit teils wegen ihrer Eigenart, teils
weil sie die inselartige hochgelegene Sommerfrische Südindiens bewohnen
und daher in vielfachen Kontakt mit europäischen Beobachtern kamen,
Gegenstand der Untersuchung und der Beschreibung gewesen sind. Aber
trotz der eingehenden Sittenschilderungen eines Metz, Breeks, Marschall etc.
hat Thurston doch noch manches Neue gesehen und aufgezeichnet. Wit
erfahren von ihm, wie in den religiösen Glauben der Todas und Kotas
doch manche Elemente der Siwaanbetung eingedrungen sind, wir erhalten
Aufklärung über die lokale Bedeutung der verschiedenen Priesterarten (der
Vorghal, der Kokwalikarpal, der Kurpulikarpal und der Talkarpal), über die
langsame Änderung der Sitten durch Eindringen von Modernem und
Europäischem; der Verfasser führt uns in lebendiger Schilderung die selbst-
beobachteten Vorgänge bei einem ,, grünen" und einem „trockenen" Be-
gräbnis des Hirtenvolkes der Todas vor. Auch von dem industriellen
Stamm der Kotas sowie von den ackerbautreibenden Badagas erfahren wir
Neues. Noch wertvoller aber sind die Beiträge, die Thurston zu der
Kenntnis der bisher am wenigsten studierten Nilgiri-Stämme, nämlich der
Kurumbas und Irulas liefert. Beide sind sowohl in ihrem körperlichen
Habitus, wie in ihrem ethnischen Verhalten typische Dschungelstämme, in
die freilich schon europäische Einflüsse einzudringen beginnen (Arbeiten
auf Plantagen). Körperlich sehr nahe verwandt mit ihnen sind die von
Thurston gut geschilderten Panyans von Wynad, eine charakteristisch«
Sklavenkaste, die in ihren Sitten, ihren sozialen Zuständen, ihrem Dämonen-
glauben etc. ein typisches Bild der niedersten Kasten darstellen, — Die
von Thurston beobachteten Mischlinge von chinesischen Vätern unc|
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 47
drawidischen (tamilischen) Müttern sind dadurch interessant, dass bei ihnen
die mongolischen Körpermerkmale der Väter in weit stärkerem Grade
hervortreten, als die drawidischen der Mütter. — Der Schädel eines
Tscheruma ist ein charakteristischer Drawidaschädel.
Die beiden Hefte sind durch Lichtdruckbilder nach photographischen
Aufnahmen des Verfassers illustriert; besonders die Abbildungen des zweiten
Heftes geben eine ziemHch gute Anschauung der betreffenden Stämme.
Thurston hat einen längeren Urlaub angetreten und hofft 1898 die unter-
brochene Arbeit wieder aufnehmen zu können. Wir dürfen dann weitere
wichtige Aufschlüsse über die Anthropologie und Ethnologie Südindiens
erwarten. Frof. Dr. Emil Schmidt- Leipzig.
45. Wilhelm Geiger: Ceylon. Tageblätter und ßeiseerinne-
rungen. Mit 23 Abbildungen nach Original-Aufnahmen. Wies-
baden, C. W. Kreidel's Verlag. 1897. 213 Seiten.
46. Emil Schmidt: Ceylon. Mit 39 Bildern und 1 Karte. Berlin,
Schall und Grund. 1897. 323 Seiten.
Zwei populär gehaltene Reiseschilderungen, die eine aus der Feder
eines Sprachforschers, die andere aus der eines Anthropologen. Den
ersteren führte das Interesse für die singhalesische Sprache und ihre ver-
schiedenen Mundarten, den letzteren das Interesse für die Weddas nach
Ceylon. In der Hauptsache schildern beide Autoren ihre Erlebnisse, jeder
von seinem Standpunkte aus, so dass sich beide Schriften, wenngleich
einzelne Kapitel sich mit dem gleichen Thema beschäftigen, gegenseitig
ergänzen.
Hier soll nur auf die wissenschaftlichen Resultate eingegangen werden,
zu denen die Verfasser bezüglich der Zusammensetzung und Herkunft der
Bevölkerung Ceylons kommen. Nach der heimischen Chronologie landete
der Abenteurer Widschaya mit einer Handvoll Leute im Jahre 543 v. Chr.,
vom nordwestlichen Indien herkommend, an der Küste von Ceylon. Es
war dieses der Beginn der arischen Einwanderung. Die Ankömmlinge
fanden die Insel von ,,Yakkhas*' (Dämonen) und „Najas" (Schlangen), also
von Völkern, die Dämonen und Schlangen verehrten, bewohnt. Im 3. Jahr-
hundert V. Chr. wurde der Buddhismus durch Mahinda auf Ceylon ein-
geführt. Bald darauf begannen die ersten Einfälle der ,, Damila" d. h.
drawidischer Stämme vom südlichen Indien her ; ihr Führer Eläla war der
erste, der ein Tamil-Reich auf der Insel gründete. — In Übereinstimmung
mit dieser Überlieferung lassen sich noch heute 3 ethnische Elemente
innerhalb der Bevölkerung unterscheiden. Die Singhalesen, die das arische
Element darstellen, indessen bereits von Anfang an ein Mischvolk — die
Kaste der Goiwansa hat sich am reinsten von fremdländischem Blut er-
halten — waren (Schmidt), unterscheiden sich von den dunkel pigmen-
tierten Mitbewohnern der Inseln, mit denen sie die längliche Kopfform
48 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
gemeinsam haben, durch höheren Wuchs, geringere Pigmentierung der
Haut und der Regenbogenhaut, eine grössere und schmälere Nase, sowie
durch reichlicheres Körper- und Barthaar. Schmidt giebt uns eine ein-
gehende Schilderung ihrer Sitten und Gebräuche, die in vieler Hinsicht
an die auf dem indischen Festlande noch erinnern, ihres Ackerbaus, ihrer
Kastenverhältnisse u. a. m. — Die Rodias, die niedrigste Kaste der Sing-
halesen, zeichnen sich nach Schmidt durch einen verhältnismässig hohen
Wuchs, ebenmässigen Körperbau, feinen Schnitt des Gesichts und helle
Haut aus; sie unterscheiden sich deutlich von den Bergstämmen Ceylons
und Südindiens und stechen selbst die Singhalesen durch das Ebenmaass
ihres Körperbaues und die schöne Bildung des Gesichtes aus, wie auch
Geiger anerkennt. Der letztere, dem sich in der Umgegend von Ratnapura
Gelegenheit bot, an den Rodias linguistische Studien anzustellen, fasst das
Ergebnis derselben dahin zusammen: Ihre Sprache kann überhaupt nicht
eigentlich eine Mundart des Singhalesischen genannt werden; sie ist viel-
mehr eine Art ,, Slang", der am besten vielleicht mit unserer Gauner-
sprache zu vergleichen ist. Grammatisch unterscheidet sie sich vom
Singhalesischen so gut wie gar nicht; die Differenz liegt ausschliesslich
im Wortschatze. Geiger vermutet, dass die Rodias möglicher Weise von
Verbrechern abstammen, die aus der menschhchen Gesellschaft ausgestossen
wurden, und dass sie sich im Laufe der Zeit durch ähnHchen Zuzug be-
ständig vermehrt haben.
Die Tamils stammen von den Drawidas Südindiens ab; sie stellen
ebenfalls keine einheitHche Rasse mehr dar, sondern haben sich bereits
mit den hellfarbigen arischen Stämmen gemischt. Andererseits bieten sie
auch viel Berührungspunkte mit den Weddas. Es bestehen auch Über-
gänge zwischen beiden; die Dorfweddas stellen eine solche Zwischenetappe
dar. Tamils und Weddas bieten in ihren körperlichen Eigenschaften viel
Gemeinsames: beide sind dolichocephal, zeigen an den von Kleidung be-
deckten Körperstellen eine dunklere Hautfarbe, als an den unbedeckten,
haben dunkles, welliges, reichliches und dichtes Haupthaar, dagegen im
übrigen spärliches Körperhaar, etwas breites und niedriges Gesicht, massig
breite Nase, eben solche Lippen und besitzen nur geringe Neigung zur
Fettleibigkeit; sie unterscheiden sich dagegen in erster Linie durch ihre
Körpergrösse von einander (Schmidt).
Von den Weddas glückte es Schmidt, gegen 40 Individuen, darunter
3 Weiber und mehrere erwachsene Kinder von Nilgala und Wewatte zu
untersuchen. Geiger konnte nur 3 Männer aus dem Nilgala-Bezirk und
aus Bitenne ausfindig machen; daher ist sein Urteil nur mit Vorsicht
aufzunehmen. Er kann zwischen Singhalesen und Weddas keine „prin-
zipielle Differenz, sondern nur eine gradweise" herausfinden. Beide Völker
sind Mischrassen, aus den Ureinwohnern Ceylons und den eingewanderten
Ariern hervorgegangen; bei den Weddas nur ist diese Mischung mit den
6. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 49
Aboriginern etwas stärker ausgefallen. Er hält die Weddas für degenerierte
Singhalesen. Gegen die Annahme einer direkten Abstammung von der
Urbevölkerung sprechen zwei Gründe. Einmal linguistische Verhältnisse:
die Sprache der Weddas steht dem Singhalesischen sehr nahe. Entlehnt
kann dieselbe deshalb nicht sein, weil die Weddas von jeher von den
Singhalesen zurückgezogen gelebt haben. Sodann fällt für diese Auf-
fassung der Umstand ins Gewicht, dass die Weddas nicht nur ihrer eigenen
Ansicht nach, sondern auch in den Augen der Singhalesen einen hohen
Rang einnehmen. Allerdings würde für Geiger die Beobachtung von
Schmidt auch sprechen, dass der Gesichtsbau der Weddas keineswegs
Merkmale niederer Rassen aufweist. — Beide Autoren stimmen darin
überein, dass eigentliche „wilde" Weddas, die in den schwer zugänglichen
Felsen oder Dschungeleinöden hausen, von Europäern wohl kaum bisher
gesehen worden seien. Sowohl Geiger, als auch Schmidt machen uns
mit den Sitten und Gebräuchen der von ihnen gesehenen Weddas (u. a.
Fertigkeit im Schiessen mit Pfeilen, in der Anfertigung von primitivem
Topfgerät, Teufelstanz etc.) bekannt; sie loben ihren guten Charakter
(Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Gastfreundschaft, Ehrlichkeit und persön-
liches Gefühl), sowie ihre Moralität (Strenge und Reinheit im Eheleben).
Im übrigen bieten beide Bücher noch eine Fülle interessanter Be-
obachtungen geographischen, kulturgeschichtlichen, ökonomischen, histori-
schen etc. Inhaltes. Sie sind beide flott geschrieben, Geiger's Buch mit
einem Anflug von gesundem Humor. Die Austattung ist bei beiden eine gute.
Dr. Buschan- Stettin.
47. P. d'Enjoy: Les „l^vres de miDium^^ et les „l^vres de
plomb", contribution ä Pethnologie des Mongols. L' Anthro-
pologie. 1897. Bd. VIII, S. 439.
Verf. hat unter den Annamiten zwei verschiedene Typen unterschieden.
Obwohl beide die hauptsächlichsten Merkmale der mongolischen Rasse auf-
weisen, so zeichnet sich doch der eine durch dicke, fleischige, schwärzliche
Lippen, gelbe, chlorotische Hautfarbe, kurze Nase mit breiten Flügeln aus,
während bei dem anderen die Hautfarbe heller, die Nase kleiner und mit besser
geformten Flügeln ausgestattet ist, und die Lippen dünner und von rother
Färbung sind. Beide Typen scheinen in fast gleicher Zahl vertreten zu
sein.. Verf. hat sich überzeugt, dass die rote Färbung der Lippen keine
künstliche (etwa durch das Betelkauen hervorgerufen) ist.
Als er bei den Eingeborenen darüber Nachfrage hielt, erfuhr er, dass
nach ihrer Ansicht die mongolische Rasse in eine hellere und eine dunklere
Varietät zerfällt. Die erstere nennen sie Muoi-Son (Mennig-Lippen), die
andere Muoi-Chi (Blei-Lippen). Sie fügten hinzu, dass die helleren
immer den wohlhabenderen Ständen angehören, während die dunkleren
meistens Handwerker, Kulis, auch Soldaten sind. Wenn sich diese Beobach-
tungen bestätigen sollten, drängt sich uns die Frage auf, ob die Mongolen wirk-
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 4
«
50 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. |
lieh in zwei ursprüngliche Varietäten zerfallen (das wäre des Verf. Ansicht),
oder oh die dunklere Varietät von einer Blutmischung mit einer anderen Rasse,
z. B. mit Malaien herrührt (doch ist die Hautfarbe im Tonkin dunkler als
im Süden, wo doch die Malaien vor dem Eindringen der Annamiten am
zalilreichsten waren). Man könnte endlich noch annehmen, dass es sich
hier einfach um einen Einfluss je nach den Ständen verschiedener Lebens-
weise und Bedingungen handeln möge. Dr. L. Laloy-Paris.
48. Ludwig ßiess: Geschichte der Insel Formosa, Mitteil. d.
deutsch. Ges. f.Natur- u. Völkerkd. Ostasiens. 1897. Heft LIX,S.405.
Aus der mehr den Historiker und Politiker interessierenden Studie, die
von grosser Detailkenntniss und Belesenheit des Verf. in der ostasiatischen
Geschichte zeugt, sei nur das Kapital über den Ursprung der Bevölkerung
Formosas hier kurz berührt.
Die Insel Formosa ist in den ältesten Zeiten trotz der grossen Nähe
des Festlandes nicht von diesem, sondern sowohl von den im Norden,
als auch im Süden gelegenen Inseln aus bevölkert worden. Die früher oft
aufgestellte Vermutung, dass sich unter den wilden Stämmen Formosas
noch Reste einer Urbevölkerung finden möchten, die mit den Miaotsze des
Festlandes gemeinsamer Abstammung wäre, hat sich nicht bestätigt. — Die
erste Einwanderung erfolgte, wie aus chinesischen Aufzeichnungen aus dem
Anfange des 6. Jahrhunderts n. Ch. hervorgeht, von Nordosten her, und
zwar muss dies schon mehrere Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung der
Fall gewesen sein. Die von den Holländern im 17. Jahrhundert daselbst
noch vorgefundenen Lonkiu dürften der letzte Rest dieser ersten Einwanderer
gewesen sein; die in den chinesischen Quellen vorkommende Bezeichnung
Liukiu hält Verf. sprachlich für identisch mit Lonkiu. In der zweiten
Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Ch. fand von Süden aus eine zweite Ein-
wanderung statt; dieses Mal waren es Malaien, v. d. Gabelentz, Klaproth,
Imbault-Huart, Taylor u. a. haben nachgewiesen, dass die einheimische
Sprache Verwandtschaft mit den malaiischen Dialekten aufweist; auch aus
den Schädelmessungen und Sittenschilderungen sollen mancherlei Analogien
zwischen der Bevölkerung Formosas und der des Sunda-Archipels hervor-
gehen. Der Zuzug der Malaien scheint sich urplötzlich vollzogen zu haben
und, nachdem er einige Zeit ununterbrochen in grossem Maassstabe fort-
gedauert hatte, schon sehr früh aufgehört zu haben. Eine dritte Ein-
wanderung begann im Jahre 1368. Es waren dieses die Hakka, die aus
dem Norden Chinas in dieses Land aufgebrochen waren, hier aber keinen
festen Fuss fassen konnten. Dieser Zuzug erfolgte allmählich und hielt
über 2 Jahrhunderte lang an. Nachdem im Anfange des 17. Jahrhunderts
die Japaner noch einen missglückten Kolonisationsversuch gemacht hatten,
nahmen um 1624 die Holländer und Spanier von der Insel Besitz. Die
weiteren Schicksale der Insel beliebe man im Original zu verfolgen.
Dr, Buschan-Stettin.
B. Referate. 3. Urgeschichte, 51
49. Friedrich Müller: Die Papuaspradien. Globus 1897.
Bd. LXXII, Nr. 9.
Verf. hat schon zu wiederholten Malen die Behauptung aufgestellt,
dass die Existenz einer besonderen Papua-Rasse und Sprache vollauf be-
rechtigt sei, sowie dass die Melanesier malaiisierte Papuas vorstellen, d. h.
sich physisch von den echten Papuas nicht unterscheiden, aber eine Sprache
sprechen, die hinsichtlich ihrer grammatikalischen Struktur dem grossen
malaio-polynesischen Sprachstamme angehört. Die neuerdings von Sidney
H. Ray auf British New-Guinea angestellten umfangreichen Sprachstudien
(A comparative vocabulary of the dialects of British New-Guinea, London 1895)
bestätigen diese Vermutung. Durch sie wird der Nachweis geliefert, dass
zwischen papuanischen und melanesischen Sprachen tiefgreifende Unter-
schiede bestehen. Auf den ersten Blick zeigt sich dieses an den Zahlen-
ausdrücken und an dem Pronomen. Im Melanesischen herrscht das
dekadische Zahlensystem und grosse Übereinstimmung der Zahlenausdrücke
unter einander vor; im Papuanischen giebt es nur die Zahlen 1 und 2,
die Zahlen von 3 an werden in der Regel zusammengesetzt. Die mela-
nesischen Idiome unterscheiden ferner einen inklusiven und einen exklusiven
Plural des Pronomen, je nachdem die angesprochene Person eingeschlossen
oder ausgeschlossen ist, und haben ganz andere Worte, ausserdem besitzen
sie die sogenannten Suffixpronomina; bei den papuanischen Sprachen sind
diese Eigentümlichkeiten nicht vorhanden. Dr. Buschan-Stettin.
3. Urgeschichte.
a, Allgemeines.
50. Otto Kröhnke: Chemische Untersuchungen an vorge-
schichtlichen Bronzen Schleswig - Holsteins. Kieler In-
augural-Dissert. 1897. 72 Seiten, mit 43 Abbildungen.
Aus der Kieler und Flensburger Sammlung sind 44 Bronzeobjekte in
allerdings meist nur geringen Substanzmengen chemisch analysiert, und
zwar 37 Schaftkelte u. ä. Geräte, 2 Schwerter, 2 Dolche, 2 Armringe,
1 Spirale. Der I., archäologisch - chemische, Teil führt die untersuchten
Gegenstände in typologischer Reihe geordnet mit ausreichenden Abbildungen
und kurzem Resultat der Analyse auf; dann wird die Annahme einer all-
gemeinen Kupferzeit zurückgewiesen und der Behauptung einer stufen-
weisen Steigerung des Zinngehaltes in den Bronzen durch Beispiele ent-
gegengetreten. Der Zinngehalt in den untersuchten Stücken schwankt
zwischen 2 — 8 pCt. Wichtigere Schlüsse auf Herkunft und Verarbeitung
des Materials sind aus den Nebenbestandteilen zu ziehen, und aus einer
Vergleichung der Kupfererze verschiedener Länder nach ihren Bestandteilen
muss eine Einführung der Metalle nach Schleswig-Holstein z. B. aus Eng-
land für unwahrscheinlich erklärt werden. Auf dem Kontinent sind da
4*
52 B. Referate. 3. Urgeschichte.
gegen Schlesien, Ungarn und Siebenbürgen als Bezugsquellen möglich,
von wo die Metalle etwa auf dem Eibwege im Tauschhandel (Bernstein)
bezogen werden konnten. Im Gegensatz zu Helm und Hampel wird das
Vorkommen von Antimon (bis zu 2 pCt.) in den untersuchten Bronzen
nicht darauf zurückzuführen sein, dass die Giesser der grösseren Härte
wegen eine Kupfer-Antimon-Mischung herstellten, sondern lediglich auf die
zulallige Verwendung antimonhaltiger Kupfererze. Die Veränderung einiger
Teile des Schwertes von Norby wird dadurch erklärt, dass das bei der
Leichenverwesung entstehende Ammoniak das Kupfer der Bronzemischung
fast ganz entfernen, das Zinn in Zinnsäure verwandeln kann, ohne dass
das Gerät seine Form einzubüssen braucht. Im IL, chemischen, Teil folgt
die genaue Analyse der einzelnen Objekte unter Angabe der Elemente^
auf die sie sich erstreckte, und des Ganges bei den quantitativen Be-
stimmungen. Eine Tabelle stellt schliesslich alle bisher analysierten Bronzen
Schleswig-Holsteins, im ganzen 47, zusammen. Von den Thesen interessiert
hier die 2. : Ein Einfluss Englands auf unsere Bronzealterkultur hat nicht
bestanden. Frof. Dr, Walter-Stettin.
51. 0. Helm: Chemische Untersuchung vorgeschichtlicher
Bronzen. Verhandl. d. Berl. anthrop. Gesellschaft. 1897.
Bd. XXIX, S. 123—129.)
Helm hat mehrere Bronzen des Elbinger Museums analysiert, und
zwar ausser einer spätrömischen Sprossenfibel, welche etwas Zink enthielt,
einen Hohlcelt, einen Flachcelt, eine Lanzenspitze, eine Spirale und
Schleifenringe. Der verhältnismässig hohe Antimongehalt, welcher bei
dem Hohlcelt sogar 4,48 ^q beträgt, lässt ihn an einen Zusammenhang
der westpreussischen Bronzen mit Siebenbürgen (Ungarn) denken, wo
Antimon häufig vorkommt und zwar besonders in Fahlerzen, also in
natürlicher Verbindung mit Kupfer. Das Antimon findet sich in ungarischen
Bronzen so häufig vor, dass Hampel nicht abgeneigt ist, der Kupfer-Zinn-
Mischung eine solche aus Kupfer und Antimon vorausgehen zu lassen
(vergl. Bd. I, S. 352 und Bd. II, S. 162). Dr. A. Götze-Berlin.
52. R. Tirchow : Die weisse Substanz in den Ornamentritzen
vorgeschichtlicher Thongefässe Westpreussens. Verhandl.
d. Berl. anthrop. Gesellschaft. 1897. Bd. XXIX, S. 35—36.
Virchow knüpft an eine gleichlautende Arbeit Helms einige Bemerkungen
an, welche die wichtige Thatsache zum Gegenstand haben, dass die weisse
Inkrustation an Gefässen des Gesichtsurnen-Typus ganz oder wenigstens
zum grössten Teil aus phosphorsaurem Kalk besteht, während an neoli-
thischen und trojanischen Funden kohlensaurer Kalk gefunden wurde.
Helm vermutet, dass die erstgenannte Masse aus gebrannten und ge*
mahlenen Knochen hergestellt ist. Dr. A. Götze-Berlin.
B. Referate. 3. Urgeschichte. 53
53. 0. Olshausen: Ein weiteres Ausfüllungsmaterial der ver-
tieften Ornamente an Thongerät. Verhandl. der Berl. anthrop.
Gesellsch. 1897. Bd. XXIX, S. 180—183.
Zu den bisher bekannten Materialien kommen jetzt Muschelschalen,
welche in Reihen mittels Urnenharzes befestigt sind. Bisher sind zwei
solcher Scherben aus Pommern (von Staffeide und Schwennenz, Kreis
Randow) bekannt; sie gehören einer späten Periode der Bronzezeit (bezw.
der Früh-La Tene-Zeit) an.
Diese Verwendung von Muschelschalen hat 0. veranlasst, die von
Helm gefundene, an Kalkphosphat reiche Einlegemasse daraufhin zu prüfen,
ob sie nicht auch aus Muschelschalen hergestellt ist; es hat sich aber heraus-
gestellt, dass letztere bedeutend weniger Phosporsäure als die Einlegemasse
enthalten. Dasselbe gilt von der Schale des Hühnereis, welche wegen
ihrer weissen Farbe vielleicht in Betracht zu ziehen wäre. 0. nimmt also
mit Helm an, dass die überwiegend Kalkphosphat enthaltenden Füllmassen
aus Knochenasche bestehen. Er stellt die Frage zur Diskussion, ob es
sich um Asche von Tier- oder von Menschenknochen handelt, und meint,
dass die Anwendung der letzteren eventuell mit dem Gebrauche des
Leichenbrandes zusammenhänge. Dr. A. Götze-Berlin.
54. Lissauer : Gewellte Bronzeurnen. Verhandl. d. Berl. anthrop.
Gesellsch. 1897. Bd. XXIX, S. 176-180.
L. benennt so eine Klasse römischer Bronzekessel mit getriebenen
Wellenlinien, welche, in vertikaler Richtung laufend, den grössten Teil der
Ausbauchung bedecken. Sie sind ursprünglich sämtlich mit Bügeln versehen
gewesen. Bis jetzt sind 25 Stück, sämtlich aus Skandinavien und Nord
deutschland, bekannt (Dänemark 15, Schweden 2, Norwegen 3, Nord-
deutschland 5). Soweit ihre Fundverhältnisse klar liegen, dienten sie als
Behälter von Leichenbrand, in zwei Fällen wurden sie als Beigefässe in
Skelettgräbern gefunden. Sie gehören etwa der Zeit von 200 — 400 p. Chr.
an; Lissauer sucht sie noch genauer in das 3. Jahrhundert zu datieren.
Dr. A. Götze-Berlin.
b. Funde.
55. J. Y. Deichmüller: Das Gräberfeld auf dem Knochen-
berge bei Niederrödern, Sachsen. Mitteil. a. d. k. mineralog.
u. prähistor. Museum in Dresden. Heft 12. 1897. Mit 7 Tafeln
Abbildungen.
Zu der an Urnenfeldern vom Niederlausitzer Typus reichen Umgegend
von Radeburg, die schon Preusker ausbeutete, gehört auch der Knochenberg
bei Niederrödern, eine kleine Bodenwelle mitten im Walle, die 1886
methodisch aufgegraben ist. Erkennbar waren noch 25 Gräber und
5 Brandstellen ohne regelmässige Anordnung. Trotz der Nähe brauch-
baren Steinmaterials waren nur 7 Gräber durch Steinpackung geschützt
54 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
(vgl. die Abbild, zu Grab 8), die anderen bildeten nur Gruben bis zu 80 cm
Soiilentiefe; es fand sich immer nur eine Urne, während die Zahl der
Beigefässe schwankte. Unter den Gefässformen herrscht die doppelkonische
und die bauchige mit cylindrischem Halsansatz vor; Näpfe der ersteren
Art dienen meist zur Aufnahme der Leichenbrandreste und sind mit
Schalen zugedeckt. Daneben treten u. a. Buckelgefässe in Napf- oder
Kannenform und einfachere Arten auf; vereinzelt ist ein trichterartiges
Geföss mit hohlem Standfuss, ein kugeliges Näpfchen, wegen seiner Grösse
ein Gerass von 57 cm Höhe. Im ganzen wiegt eine scharfe Profilierung
vor, auch die Verzierungen sind meist einfache Strichsysteme, hier und
da plastische Buckel, schiefe Rippen, gekerbte Thonleisten. In die Unter-
seite eines Napfes ist ein Loch gebohrt (Fig. 65), auf die Bodenfläche eines
anderen sind zwei sich kreuzende Striche gezogen (Fig. 90). In den Urnen
sind die oft nur geringen Reste des Leichenbrandes möglichst regelmässig
gebettet, Schädelstücke und Zähne obenauf; an Beigaben begegnen nur in
wenig Gräbern geringe Reste von Kleinschmuck in Bronze, von älteren
Formen Spiralfibel und Anhänger, sonst Nadeln, Knöpfe, Ringe, Pfeil-
spitzen. Eisen fehlt; aus Thon ist eine Kinderklapper vorhanden. Aus
einer Vergleichung der Funde, namentlich der Gefässe, mit denen benach-
barter Gebiete ergiebt sich, dass das Gräberfeld der älteren Gruppe des
Niederlausitzer Typus zuzurechnen und etwa in die Mitte des ersten vor-
christlichen Jahrtausends zu setzen ist.
Prof. Dr, Walter-Stettin,
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
Aus den Verhandlungen der anatomisch-anthropologischen Ab-
teilung des XII. internationalen medizinischen Kongresses in
Moskau (19.-26. August 1897).
Von Joseph Mies-Köln.
Obwohl eine stattliche Anzahl namhafter Anthropologen aus den
meisten Kulturländern sich in Moskau versammelt hatte, wurde in Er-
wägung, dass die angemeldeten Vorträge für die lange Dauer des Kon-
gresses nicht ausreichen könnten, die anthropologische mit der anatomi-
schen und histologischen Abteilung vereinigt. Dies Hess sich um so
leichter durchführen, als fast ausschliesslich über körperliche Eigenschaften
der Menschen verhandelt wurde, im Gegensatze zu den deutschen Anthro-
pologen-Versammlungen, von denen dieser wichtige Teil unserer Wissen-
schaft in den letzten Jahren leider etwas vernachlässigt wird. Die für die
Leser dieses Centralblatts passenden Vorträge der anatomisch-anthropo-
logischen Abteilung sollen nun in der Reihenfolge, in der sie gehalteu
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte, 55
wurden, nebst den daran angeschlossenen Erörterungen im Folgenden
besprochen werden.
Geheimrat Prof. Dr. Stieda (Königsberg i. Pr.) teilt die Ergebnisse
von Untersuchungen mit, die er seinen Schüler M. Springer über die
Stirnnaht und den Stirnfontanellknochen beim Menschen hat
anstellen lassen. Nach dieser jüngsten von den zahlreichen anthropolo-
gischen Doktor-Dissertationen, die unsere Wissenschaft der zielbewussten
Anregung und meisterhaften Leitung Stieda's verdankt, kommt die Stirn-
naht in durchschnittlich 8,6 v. H. der zu Königsberg und an vielen anderen
Orten aufbewahrten Schädel vor. Unter den 64 Stirnnaht - Schädeln der
Königsberger Anatomie befinden sich nur vier, bei welchen die beiden
Seitenhälften des Stirnbeins mit den Scheitelbeinen in einem Punkte zu-
sammentreffen. In allen übrigen Fällen bildet die Pfeilnaht nicht die Ver-
längerung der Stirnnaht, sondern es tritt entweder das rechte Scheitel-
bein ausser mit der rechten auch mit der linken Stirnhälfte in Verbindung
(bei 47 Schädeln), oder seltener (bei 13 Schädeln) stösst das linke Scheitel-
bein an das linke und an einen Teil des rechten Stirnbeins. Diese Ver-
schiedenheit der Einmündung von Stirn- und Pfeilnaht in die Kranznaht
hängt davon ab, ob die im Gebiet der Stirnfontanelle auftretenden Knochen-
kerne sich mit dem einen oder anderen Stirn- bezw. Scheitelbein ver-
einigen und durch Vergrösserung des betreffenden Knochens die angrenzende
Naht nach der anderen Seite schieben.
Oberstabs- und Brigadearzt Arbo (Christiania) sprach ,,sur l'indice
cephalique en Norwege, sa repartition topographique et son
rapport ä la taille" auf Grund seiner verdienstvollen Untersuchungen,
die er mit grossem Fleisse und bewundernswerter Ausdauer seit 20 Jahren
an 12 000 Personen (MiHtärpftichtigen) mit dem Kopfmesser von Busk u. s. w.
angestellt hat. Auf übersichtlichen Landkarten und durch Photographieen
der in Norwegen vorkommenden Schädeltypen veranschaulichte er seine
wichtigen Forschungsergebnisse, von welchen ich folgende anführe. Die
Langköpfe wohnen im Osten und erreichen an einigen Stellen die West-
küste. Die Rundköpfe finden wir hauptsächlich im Westen die Küste ent-
lang und im Norden. Zwischen den Trägern dieser beiden Kopfformen
besteht ein nicht unbedeutender Unterschied in seelischer Beziehung.
Wie Ammon weist auch Arbo den Langschädeln die erste Stelle an. —
Die grössten Menschen wohnen teils in einigen Thälern des Centrums,
welche auch die Langköpfe inne haben, hauptsächlich aber im langköpfigen
und mesocephalen Teile des nördlichen Norwegens und in einem kleinen
langköpfigen Centrum des Westens. Die kleinen Leute wohnen teils in
den höchstliegenden Thälern der centralen Gebirgskette, teils in ver-
einzelten Landstrichen des Westens an der Küste, ebenso wie in einigen
Bezirken des Ostens an der schwedischen Grenze, wo Mischung mit Lappen
und Finnen als sicher angenommen werden kann. Die Körperhöhe der
5ß C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
Bevölkerung scheint danach nicht im Verhältnis zu der Fruchtbarkeit des
Bodens zu stehen, wohl aber dürfte der Kampf ums Dasein und auch
die rauhe Witterung in den hochliegenden Gegenden etwas Niederdrückendes
an sich haben, was ebenfalls Dr. Collignon hervorhebt (Anthropologie de
la Frauce-Dordogne).
In der Erörterung äusserte Sergi (Rom) die Ansicht, dass die
Kurzschädel in Norwegen aus dem Osten eingedrungen seien. Nach
Stieda (Königsberg) können die Langköpfe entweder später eingewandert
sein, oder sie sind dagewesen, und die Kurzköpfe sind eingewandert.
Arbo aber hält die Kurzschädel für Urbewohner, die Langschädel für Ein-
wanderer; denn in den Gräbern der letzteren finde man die jüngsten
Beigaben.
Prof. Dr. von Luschan (Berlin): Über die Trepanation be
den alten Bewohnern von Tenerife. Die prähistorischen Völker
scheinen bei ihren Trepanationen nur ungefähr 4 v. H. Sterblichkeit ge-
habt zu haben. Die vielen glattgeheilten Trepanationen, die in Peru, auf
Tahiti und anderen Südseeinseln, überhaupt von Naturvölkern ausgeführt
wurden, lassen ein ähnliches Verhältnis auch für manche moderne Völker
annehmen. Unter 210 Guanchenschädeln, die Vortragender untersuchte,
sind zehn trepaniert. Was die Veranlassung zur Trepanation betrifft, so
wurde aus der Hirnkapsel von Lebenden ein Stück herausgearbeitet bei
Verrücktheit, Gesichtsschmerz, einseitigem Kopfschmerz, Fallsucht u. s. w.
Die Kabylen am Djebel Aures haben auch nach Verletzungen des Schädels
trepaniert. Auch ohne ausreichenden Grund wurde häufig trepaniert, zu-
mal da diese Operation bei vielen primitiven Völkern verhältnismässig un-
gefährlich ist, hauptsächlich, weil diese für Wundinfektion viel weniger
empfänglich sind als die Kulturvölker. 25 unter den oben erwähnten
210 Schädeln aus Tenerife tragen in der Bregmagegend tiefe, zum Teil
perforierende Narben, v. Luschan glaubt, dass man hier geschabt habe.
Im 14. Jahrhundert wurde im südlichen Frankreich geschabt, um Fall-
sucht zu heilen. Virchow halte zwar diese Narben für Reste einer Be-
handlung mit einem der Autenrieth'schen Salbe ähnlichen Medikament,
doch sei es wenigstens für einen Teil der erwähnten Schädel ganz un-
möglich, an andere als direkt mechanische Eingriffe zu denken. — Geheim-
rat Stieda giebt zu, dass die an alten Schädeln vorhandenen anormalen
Öffnungen meist durch Trepanation entstanden sind, weist aber darauf hin,
dass sie in einigen Fällen auch pathologische Ossifikationsdefekte darstellen,
so z. B. in der Gegend der Foramina parietalia. v. Luschan erwidert,
dass eine Verwechslung solcher natürlicher Defekte mit seinen künstlichen
völlig ausgeschlossen sei. Er wisse sehr wohl, dass gerade die bekannten
vergrösserten Foram. parietalia genau wie Trepan-Narben aussehen können»
aber ihre Symmetrie sei stets ein untrügliches Merkmal. Einen Schädel
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 57
dieser Art habe Broca gerade auch von den kanarischen Inseln beschrieben,
aber Niemand würde da an Trepanation denken können.
Prof. Dr. Debierre (Lille) kommt in seinen Erörterungen über die
Frage ,,la polydactylie est-elle une difformite ou un pheno-
mene d'atavisme?" zu dem Schlüsse, dass man nach den von ihm aus
der vergleichenden Anatomie und der Entv^^icklungsgeschichte beigebrachten
Belegen die Polydaktylie nicht zum Atavismus, sondern zur Teratologie
rechnen müsse. — Sanitätsrat Dr. Bartels (Berlin) pflichtet mit Rücksicht
auf die von Tornier (Berlin) nachgewiesene, beim Schwein in Gestalt eines
zweiten Hufes auftretende Polydaktylie den Ausführungen Debierres bei.
— Geheimrat Prof. Dr. Hasse (Breslau) giebt zu, dass die meisten Fälle
von Polydaktylie teratologisch sind, nimmt aber dann, wenn an beiden
Händen oder Füssen die gleichen Bildungen sich vorfinden, Atavismus an.
Prof. S er gi (Rom) führte in seinem Vortrage : Ist in Gross-Russland
die Schädelform von Urzeiten her immer dieselbe gewesen, oder
hat sie sich geändert? Falls das letztere zutrifft, welcher Ur-
sache muss diese Erscheinung zugeschrieben werden? u. a.
folgendes aus: Er glaubt, dass gar keine Formveränderung eingetreten sei, wie
man gewöhnlich annimmt, sondern dass im Gegenteil die Schädelform, trotz
aller Mischungen, persistent sei. Er bestreitet z. B., dass der mesocephale
Schädel von einem dolicho- und einem brachycephalen Schädel abstamme.
Denn wenn dieses der Fall wäre, wie könnte man es sich erklären, dass
in Ostafrica alle Schädel entweder zu den dolichocephalen oder zu den
j mesocephalen gehören, während die brachycephalen nur ausnahmsweise
j vorkommen. Im Anschluss hieran teilt er die Ergebnisse seiner Studien
i über die Kurgan-Schädel (ungefähr 1200), allen Zeitaltern angehörig, und
I über die Schädel des XVI. Jahrhunderts der Friedhöfe von Moskau mit.
1 Unter den ersten findet er vorwiegend die dolicho- und mesocephalen
Schädeltypen, und unter den zweiten die brachycephalen Typen vorwiegend
vertreten. Er glaubt, dass die letzteren von Einwanderungen neuer eth-
nischer Elemente herrühren und nicht durch Formveränderung des
Schädels bedingt seien. Er schliesst mit dem Wunsche, dass die Be-
völkerung Gross-Russlands nach seiner Methode und in diesem Sinne
studiert werden möchte.
In der Erörterung kommt Prof. Dr. Anutschin (Moskau) auf die
Schädel zu sprechen, die aus den Kurganen (Hügelgräbern) des 9. bis
U. Jahrhunderts im Moskauer Gouvernement stammen. Diese kurganischen
Schädel sind grösstenteils dolichocephal und ähnlich den deutschen Schädeln
aus derselben oder einer früheren Zeit. Die Schädel der heutigen Be-
völkerung dieses Gouvernements sind meist brachy- oder mesocephal. Aber
es ist schwer, aus der Masse der heutigen Schädel diejenigen der echten
Moskoviten auszuwählen, weil Moskau ein grosser Sammelplatz für Leute
aus allen Teilen des Reiches ist. — Wie die Umwandlung aus den
58 C. Versarnriilungs- und Vereins-Berichte.
Doliclio- in Brachycephale vor sich gegangen sei, wisse er nicht. — Die
Slaven sind von Westen (Südwesten) gekommen und haben das Centrum
und den Norden Russlands, später auch den Osten u. s. w. kolonisiert,
wobei einige finnische Völkerschaften assimiliert und russifiziert wurden.
Prof. Debierre stimmt mit Sergi insofern überein, als auch er die
Rassen in Bezug auf ihre Schädel bis zu einem gewissen, in der Ver-
gangenheit liegenden Punkte hinauf für unveränderlich hält. Redner glaubt
dagegen, dass die Farbe der Augen eines der primitivsten Zeichen sei, und
erklärt vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkte aus die auf die Augen
sich beziehende Lehre Sergis für sehr diskutabel. Arbo (Christiania)
hält die Langschädel für die über die Kurzschädel herrschende Rasse.
Geheimrat Prof. Dr. Stieda (Königsberg) giebt eine nouvelle
comparaison des membres thoraciques et pelviens chez
l'homme et les quadrupedes an, die darin besteht, dass er nicht,
wie es früher irrtümlicherweise geschehen sei, diejenigen Muskeln mit ein-
ander vergleicht, die durch ihre Verkürzung den oberen und unteren
Gliedmaassen dieselbe Stellung geben, z. B. die Beuger mit den Beugern,
die Strecker mit den Streckern, sondern dass er die Muskeln nebeneinander
stellt, die an den Brust- und Beckengliedern bezw. beim Menschen an
Armen und Beinen die gleiche Lage auf der sogenannten Bauch- (ven-
tralen) und Rücken- (dorsalen) Seiten einnehmen, wie den zweiköpfigen
Beuger des Vorderarms (Biceps) und den vierköpfigen Strecker des Unter-
schenkels (Quadriceps). Man soll hierbei ganz ausser Acht lassen, ob das
Gelenk nach der einen oder anderen Richtung hin bewegt wird. Redner
bespricht die verschiedenen Hypothesen, die von den Forschern bei der
Vergleichung der oberen und unteren Gliedmaassen aufgestellt worden
sind, und erklärt, dass nur Flourens den von ihm (Stieda) mit gutem Er-
folge durchgeführten Gedanken geäussert habe, der aber damals in Ver-
gessenheit geraten sei.
Dr. A. D. Elkind (Warschau): Über die Schädeltypen von Prof.
G. Sergi in ihrer Beziehung zum Schädelindex. Redner hat die
Schädel in den Sammlungen des anthropologischen Museums zu Moskau
nach der Methode Sergi's untersucht. Er studierte erstens 265 Kurganen-
schädel aus dem Gouvernement St. Petersburg, zweitens 105 Kurganen-
schädel aus dem Gouvernement Moskau und drittens 127 Mongolenschädel.
In allen drei Gruppen kommt am meisten und in fast gleicher, auf Hundert
der Fälle bezogenen Zahl die sphenoide Form vor, während die ooide und
die sphäroide Form von dem Schädelindex abhängig zu sein scheint. Die
neue Einteilung nach Prof. Sergi steht mit der alten Einteilung nach
dem Index nur in geringer Beziehung, da bei denselben Schädelformen
die verschiedenen Indices vorkommen. In Anbetracht dessen ist kaum zu
erwarten, dass durch Sergi's Methode, die für die beschreibende Kraniologie
von bleibendem Werte sein wird, die sehr schwierigen Fragen bei der
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 59
Messung und Einteilung der Schädel gelöst werden. Sie ist als wertvolle
Vervollständigung der Kraniometrie zu betrachten, indem sie die zwei Haupt-
formen, die Dolichocephalie und die Brachycephalie, genauer zu charak-
terisieren im stände ist.
Dr. Mies (Köln) führte Einiges über Länge, Masse, Raum-
inhalt und Dichte des menschlichen Körpers an und sprach zu-
nächst über die Haltung der Person, deren Körperlänge bestimmt
werden soll, über Einzelheiten des Messverfahrens und der Ausführung
desselben durch den Untersucher. In absoluten und auf 100 der mittleren
Länge jeder Person bezogenen Zahlen drückt er die kleinsten, mittleren
und grössten Unterschiede der Messungen aus, die er an denselben Per-
sonen in denselben Stunden verschiedener Tage oder am Morgen und Abend
desselben Tages angestellt hat. — Die noch immer zu selten ausgeführte
Bestimmung des Körpergewichts soll erfolgen, wenn Magen, Darm
und Blase leer oder nur sehr wenig gefüllt sind. Am besten ist es, die
Personen nackt zu wiegen. Kann man dies nicht thun, so muss man
das Gewicht der Kleider abziehen, indem man entweder dieselben bei jeder
Person wiegt oder, wenn es sich um eine grosse Zahl gleich oder ähnlich
gekleideter Leute handelt, das mittlere Kleidergewicht von Personen beider
Geschlechter, verschiedener Grösse und verschiedener Schwere berück-
sichtigt. Vortragender hat eine Anzahl Gewichtsbestimmungen zusammen-
gestellt, die zeigen, dass die auf 100 des mittleren Gewichts einer gesunden
Person berechneten Unterschiede in einigen Tagen oder Wochen uner-
wartet gross sein können. — Um die Verteilung der Masse auf die Länge
des Körpers beurteilen zu können, hat Mies in einer vorläufigen Mitteilung
(Virchow's Archiv, Bd. 123, 1891, S. 188—193) die „Höhenzahl des
Körpergewichts*' empfohlen. Diese Zahl giebt an, wieviel mal die
Körperlänge kleiner oder grösser ist als eine eben so viel wie der Körper
wiegende Wassermasse in einem Gefässe, dessen innerer Querschnitt überall
ein Quadrat mit 10 cm langen Seiten darstellt. Man erhält diese Zahl,
indem man die in Millimetern angegebene ganze Körperlänge durch das
mittelst Dekagramm bezeichnete Körpergewicht teilt. Die ,, Höhenzahl des
menschlichen Körpergewichts" ist um so kleiner, je grösser das Gewicht
oder die Länge des Körpers ist, und je älter der heranwachsende Mensch
wird; sie ist verschieden bei einigen Völkern und wird durch Krankheiten
beeinftusst.
Bei der Bestimmung vom Rauminhalt des Körpers muss man
nicht nur darauf achten, dass Magen, Darm und Blase möglichst wenig feste
und iSüssige Nahrungsmittel bezw. Auswurfsstoffe enthalten, sondern auch
dafür sorgen, dass die Füllung der Lungen und des Magen-Darmkanals mit
Gasen einen mittleren Grad nicht überschreitet. Um unter Wasser gleich-
massig und oberflächlich atmen zu können, tragen die zu untersuchenden
Personen eine Kautschuk-Maske, deren schlauchförmiger Ansatz durch ein
ßO C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. W
gläsernes Verbindungsrohr mit einem steifen, über Wasser geleiteten
Gummischlauche verbunden ist. Mies hat diese Maske bis jetzt bei 129
Volumbestimmungen angewandt, die er nach zwei verschiedenen Verfahren
ausführte. Zuncächst hat er 1891 den Rauminhalt von 28 Gefangenen im
ganzen 68 mal dadurch festgestellt, dass er das von jedem Manne ver-
drängte Wasser wog. Zu diesem Zwecke hat Vortragender einen selbst-
ersonnenen einfachen Heberapparat herstellen lassen, der alles vom Körper
verdrängte Wasser in ein auf einer Dezimalwage stehendes Gefäss leitet.
Bei einem anderen Verfahren, das Mies im Juni dieses Jahres angewandt
hat, bedient er sich einer hydrostatischen Wage zum genauen Abwiegen
von menschlichen und tierischen Körpern in der Luft und unter Wasser»
die nach seinen eigenen Angaben 1897 auf Kosten der Rudolf Virchow-
Stiftung von Gebrüder Dopp in Berlin angefertigt wurde. Redner be-
schreibt genau beide Verfahren der Rauminhalts-Bestimmung und giebt
die Messungsergebnisse und die Unterschiede zwischen den Werten an,
die er bei unmittelbar aufeinander folgenden oder an verschiedenen Tagen
angestellten Volumbestimmungen derselben Person gefunden hat. — Zur
Vergleichung des Rauminhalts mit der Länge des Körpers dient die von
Mies eingeführte ,, Höhenzahl des Volumens", die erkennen lässt, wie
viel mal die ganze Körperlänge kleiner oder grösser ist als die Höhe
einer den gleichen Raum wie der Körper einnehmenden Wassermenge in
einem Gefässe, dessen innerer Querschnitt überall ein Quadrat mit 10 cm
langen Seiten ist. — Mittelst Teilung des Gewichts durch den Raum-
inhalt des Körpers erfährt man dessen Dichte (spezifisches Gewicht).
Vortragender hat dieselbe bis jetzt bei 79 Männern im ganzen 129 mal
bestimmt und dabei die Zahlen 1018 — 1082 gefunden. Bei Untersuchungen,
die unmittelbar hinter einander oder in grösseren Zwischenräumen bei
derselben Person angestellt wurden, erhält man zuweilen ziemlich ver-
schiedene Werte für die Dichte des ganzen Körpers.
Dr. Richard Weinberg-(Jurjeff-Dorpat): Die Gehirnform der
Esten, Letten und Polen, verglichen mit der Gehirnform
einiger anderer Völkerschaften.
Nach den berühmten Untersuchungen von Burdach, Reil, Rolande,
Foville, Gratiolet u. a. hat die ethnologische oder vergleichend anthropo-
logische Richtung (K. E. v. Bär) der Gehirnforschung stetig an Interesse
zugenommen. Die Anthropologen und Morphologen sind heut zu Tage
einstimmig der Ansicht, dass die Erforschung der Rasseneigentümlichkeiten
des Gehirnes eine der dringendsten und wichtigsten Aufgaben der physi-
schen Anthropologie darstelle. Anfänglich sind mit einer gewissen Bevor-
zugung die Hirne aussereuropäischer, exotischer Völker den Untersuchungen
zu Grunde gelegt worden; lag es doch am nächsten, etwaige Differenzen
des Gehirnbaues, Zeichen niederer Hirnorganisation gerade bei kulturell
zurückgebliebenen Rassen zu vermuten und zu suchen. Die aus diesen!
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. ßj
Bestreben heraus entstandenen Schriften sind neuerhch von Waldeyer zu-
sammengestellt worden; es braucht daher nur auf dieses Referat hin-
gewiesen zu werden. Die erste eingehende Bearbeitung des Gehirnbaues
eines europäischen Volksstammes stammt aus der Feder von D. Sernoff
(Moskau 1877) in Moskau und betrifft das Gehirn der Russen (Slawen). In
gleicher sorgfältiger Weise wurde hierauf das Gehirn der Italiener durch
C. Giacomimi (Torin 1884) untersucht. Eberstellers (Wien. med. Blätter
1884) Darstellung der Hirnwindungen verdient wegen ihrer ungewöhn-
lichen Genauigkeit besonders hervorgehoben zu w^erden. In neuerer Zeit
hat das Gehirn der Iren in Cunningham (Journ. of anatom. in ver-
schiedenen Jahrgängen) einen musterhaften Bearbeiter gefunden. Unüber-
troffen steht aber Retzius' (Stockholm 1896) fundamentales Werk über
das Schwedengehirn da ; besonders reich ist es in illustrativer Hinsicht aus-
gestattet, in der richtigen Erwägung, dass das Menschenhirn doch min-
destens ebensogut abgebildet zu werden verdiene, wie die borneonischen
SchmetterHnge. Schon vor dem Erscheinen der zuletzt genannten Werke
hat Ref. über das Estengehirn (Jurjeff 1894) eine Abhandlung veröffent-
licht, und kürzlich ist seine Arbeit über das Lettenhirn im Drucke er-
schienen. Im Anschlüsse hieran sind sodann vom Ref. die Polen unter-
sucht worden; das bezügliche Werk erscheint demnächst. Über einige
Resultate wird berichtet, wobei einerseits die früheren Ergebnisse (Letten,
Esten) berücksichtigt, andererseits die Befunde der vorhin genannten Autoren
zur Vergleichung gezogen werden.
Die Vergleichung der Rassenhirne ergiebt zunächst das Vorhandensein
unzweifelhaft übereinstimmender Charaktere; doch werden Unterschiede im
Hirnbaue nicht ganz vermisst.
In ersterer Beziehung kann zunächst auf die allgemeine Form des
Grosshirns und auf die Anordnung der sog. typischen Hirnwindungen hin-
gewiesen werden; bei allen bekannten Rassen ist der nämliche Bauplan
I leicht nachweisbar, wenn auch leichtere Abweichungen vorkommen. Wich-
I tiger und beweiskräftiger erscheinen die Untersuchungen über die Variations-
I tendenz ; weder bei den Esten noch bei den Letten und Polen ist eine der
i an anderen Rassenhirnen beobachteten Windungs Varianten vermisst worden.
Scheinbare Ausnahmen (gewisse Formen des Sulcus frontalis inferior, des
Sulcus interparietalis etc. betreffend) finden eine andere Erklärung; ebenso
ist es mit dem Fehlen eines oberflächlichen Gyrus cunei in den genannten
3 Rassen, denn diese Erscheinung ist zu selten, um hier in Frage zu
kommen, sie gehört ausserdem zu den sog. Hirnanomalien, mit welchen
j die Anthropologie noch nicht zu rechnen weiss. Die Variationsbreite
bei den Esten, Letten und Polen ist somit eine ebenso erheb-
liche, wie innerhalb anderer Volksstämme.
Viele Varietäten wichtiger Gehirnfurchen zeigen bezüglich ihrer relativen
Häufigkeit bei den Rassen eine geradezu verblüffende Übereinstimmung.
62 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
Zahlreiche Beispiele werden namhaft gemacht, wo die Differenzen zwischen
0 und Ya pCt. schwanken. Sonach würden Stämme, die ihrem sonstigen
anthropologischen Habitus nach einander gänzlich fremd sind, unmittelbar
als verwandt, ja als Brüder erscheinen (Esten und Polen; Slawen und
Romanen).
Weisen die angeführten Befunde auf einen hohen Grad von Über-
einstimmung im Baue der Rassengehirne hin, so dürfen sie nicht in dem
Sinne gedeutet werden, als gebe es nicht auch andere Merkmale des Ge-
hirns, welche mehr oder weniger als ethnologische betrachtet werden
können. Die wissenschaftliche Kritik darf ihnen nicht aus dem Wege
gehen; um so besser, wenn sich die Gegensätze durch genaue Unter-
suchung von selbst ausgleichen. Gewisse Differenzen bestehen zunächst
bezüglich der relativen Häufigkeit mancher Varietäten typischer Hirn-
furchen und -Windungen bei den verschiedenen Rassen, so insbesondere
der Fissura-calloso-marginalis , des Sulcus occipito-temporalis resp. der
Fissura rhinica, der Vorderäste der Fiss. Sylvii, des Sulcus praecentralis,
der Fissura parieto-occipitalis und des Gyrus cunei. Auf die speziellen
Statistiken kann hier nicht genauer eingegangen werden. Andererseits
giebt es aber auch Merkmale am Gehirn, die nur einer Rasse eigen-
tümlich zu sein scheinen. Bei den Letten finden sich solche an der
Fissura calcarina, in den Centralwindungen, am Cuneus u. s. w. Auch
das Estenhirn zeigt einige Formeigentümlichkeiten, die ethnologisch sein
könnten (Sulcus retrocentralis, Gyrus centralis posterior), weniger dieses nach
den bisherigen Beobachtungen das Gehirns der Polen, doch ist die hierüber
demnächst erscheinende Schrift des Referenten abzuwarten.
Die objektive wissenschaftliche Untersuchung bleibt auch hier das
wesentliche; ist erst die Arbeit in diesem Sinne bis zu einer gewissen
Vollständigkeit gediehen, so werden sich die Schlüsse von selbst ergeben.
Die obigen Hinweise wollen nur eine vorläufige Geltung beanspruchen.
Selbstbericht.
Prof. Dr. V. Luschan (Berlin): Über neue anthropologische
Instrumente. Redner zeigt zunächst ein billiges, einfaches Planimeter,
das nur Fehler bis zu y^ v. H. macht. Diese Genauigkeit genügt für
kraniometrische Zwecke. Die Firma Eckert und Hamann in Friedenau
bei Berlin hat dieses Instrument hergestellt und bringt es um 15 Mark in
den Handel. Dieselbe Firma empfiehlt auch Instrumente, mit denen
krumme Flächen aller Art direkt gemessen werden können, also ohne sie
erst auf ebene Flächen übertragen zu müssen. Beide Apparate seien für
craniometrische Zwecke sehr brauchbar; besonders der erste dürfe in
keinem Laboratorium fehlen. Der Vortragende demonstriert sodann zwei,
auf seine Veranlassung gleichfalls von Eckert und Hamann hergestellte
Gleit Zirkel, welche wirklich den Namen glissiere verdienen, während
alle früheren Instrumente dieser Art als höchst unvollkommen bezeichnet
C. Versammiungs- und Vereins-Berichte. ß3
werden müssten. Besonders die von Böhm und Wiedemann in München
und die von Thamm in Berlin hergestellten Schiebezirkel stellen über-
mässige Anforderungen an die Geduld des Messenden. Besser ist die
grosse glissiere von Matthieu oder von Collin, aber sie nutze sich rasch
ab und leide unter dem Einflüsse von grosser Trockenheit oder Feuchtig-
keit. Die neuen ,, Parallelogramm-Zirkel" vermeiden die Fehler der früheren
Instrumente, weil sie sich bei absolut sicherer Führung doch ohne jede
Reibung verschieben lassen. Die beiden geraden Schenkel sind verstellbar
und können auch leicht durch gebogene ersetzt werden, so dass ein
solcher Zirkel auch als Taster zu benutzen sei. Er kostet 20 Mark; ein
ähnliches Instrument mit einem dritten Schenkel, zur Messung der Basis-
länge am Lebenden ist um 30 Mark zu haben. An dritter Stelle zeigt
Redner den von Poll in Berlin konstruierten Apparat zur Bestimmung des
Schädelinhalts und berichtet über eine grosse Reihe von Kontroll- Versuchen
mit durchaus höchst befriedigenden Resultaten, Die Fehler bleiben bei
richtiger Handhabung stets unter 1 pCt. und können fast ganz eliminiert
werden, wenn das PolFsche Verfahren dahin abgeändert wird, dass man
das Füllwasser nicht durch Messung, sondern durch Wägung bestimmt.
Geheimrat Waldeyer schliesst sich diesen Ausführungen durchaus
an und hebt hervor, dass Poll sein Verfahren völlig unabhängig von seinen
Vorgängern entwickelt habe. Geheimrat R. Virchow erklärt, von den
Vorzügen der neuen Methode nicht überzeugt zu sein und verlangt weitere
Prüfung derselben. Er selbst und Ranke seien mit ihren eigenen Ver-
fahren völlig zufrieden und hätten kein Bedürfnis nach einer neuen Me-
thode. V. Luschan erwidert, dass Ranke's Bronze-Schädel nur für an-
nähernd gleichgrosse Schädel eine Kontrolle ermögliche, dass aber bei
grösseren und kleineren Schädeln eine bedauerliche Unsicherheit herrsche,
der bisher nur durch die überaus lästige Verwendung zahlreicher grosser
und kleiner Kontrollschädel abgeholfen werden könne. Solche seien zwar
durch einfache Dichtung aufgesägter Cranien verhältnismässig leicht herzu-
stellen, aber ihre Anwendung sei sehr zeitraubend und gebe doch nie-
mals ein wirklich gesichertes Resultat; nur die Poll'sche Blase ermögliche
eine wirklich genaue Messung; sie hätte sich bei allen Kontrollversuchen
glänzend bewährt. Waldeyer teilt mit, dass auch auf seine Veranlassung
Kontrollmessungen mit dem Poll'schen Apparat durchgeführt worden seien
und sehr gute Resultate ergeben hätten. Dr. Mies empfiehlt, Kontroll-
messungen nicht nur an Schädeln verschiedener Grösse, sondern auch
verschiedener Form anzustellen ; er hält es ferner für möglich, dass die Blase
sich durch die Löcher und Spalten drängen und so das Ergebnis vergrössern
könne. Prof. v. Luschan hält es auch für erwünscht, dass solche Kontroll-
messungen von allen Beteiligten angestellt würden; es würde sich dann
zeigen, dass die Poll'sche Blase jeden Schädel genau ausfüllt, ohne jeden
Unterschied, ob er kurz oder lang sei. Das Vordrängen durch Löcher
54 C. VeFsammlungs- und Vereins-Berichte. ^
und Spalten sei nicht zu befürchten; bei vorsichtiger Behandlung sei es
ausgeschlossen, bei unvorsichtiger würde sich ein Plus von ein oder zwei
Kubik-Cenlimetern ergeben — wenn die Blase nicht platzt oder der Schädel
in den Nähten auseinander geht; ein wesentlicher Fehler sei aber absolut
ausgeschlossen. Man möge nur den Apparat erst kennen lernen, dann
werde man ihn auch zu würdigen wessen.
Geheimrat Prof. Dr. R. Virchow (Berlin) zeigt einen sehr schön
wieder hergestellten Schädel aus der frühesten Steinzeit Russ-
lands, der mit seinem Unterkiefer beim Dorfe Wolossowo gefunden und
schon von der Gräfin Uwarow beschrieben wurde. Nach dem maassgebenden
Urteile des Redners ist dieser Schädel eines der denkwürdigsten Monu-
mente unserer vorgeschichtlichen Anthropologie, da er eine von den ge^
wohnlichen Funden ganz abweichende Form hat. Denn während die ans
der Steinzeit stammenden Schädel angeblich meist dolichoeephal sind, ge-
hört dieser Schädel wegen seines ungefähr 83 betragenden Längenbreiten-
Index zu den ausgemachten Brachycephalen. Im Verhältnis zu seiner
Länge kann er hoch genannt werden. Er rührt von einem Manne hef
und zwar von einem älteren Manne, weil die Zähne stark abgenutzt sind.
Seine Stirn ist sehr breit, an der schmälsten Stelle noch 9^ mm. Auch
das Gesicht ist breit und dabei niedrig. Die Augenhöhlen sind gross.'
Keine Spur von Prognathie. Auf dem Hinterhaupt erhebt sich ein starker,
wagerechter Wulst. — Geheimrat Waldeyer spricht von dem Torus tempo-
ralis, den man an diesem Schädel bemerkt. Dieser Wulst ist sehr selten
und hängt vielleicht mit einer stärkeren Entwicklung des Schlaf enmuskefe
zusammen.
Geheimrat Prof. Dr. R. Virchow (Berlin) erörtert hierauf die Fragef
der Breitenbestimmung des Gesichtes. Bei der Messung dieser
Ausdehnung wählt der eine Forscher anatomische, der andere physiogno-'
mische Punkte. Virchow hält die Grenze zwischen dem Wangen- und'
Oberkieferbein, wo beim Lebenden in der Regel die Tuberositas malaris,
der Wangenbeinhöcker, liegt, für geeignet, die Breitenmessung des Ge-
sichtes vorzunehmen. Das untere Ende der die genannten Knochen ver-
bindenden Naht kann aber, wenn diese Naht nach der Nase oder nach
aussen abweicht, seine Lage in Bezug auf den Wangenbeinhöcker ändern.
Auch weiss man beim Lebenden nicht, ob die Tuberosität, die bei einigen
Rassen stark, bei anderen nur wenig hervortritt, dem Wangen- oder Ober-
kieferbein angehört. Um zu entscheiden, ob der malare oder zygomatische
Durchmesser besser sei, müsse man die Rassen hierauf untersuchen. Virchow
hat nun Schädel mit verschiedener Ausdehnung der Gesichtsbreiten zu-
sammengestellt. Am schmälsten ist das Gesicht eines Indianers, sehr breil
das eines Negritos von den Philippinen. Ferner hat Redner eine Anzah!
von Schädeln, sowohl nach ihrer malaren, als auch nach ihrer zygo-
matischen Breite in Gruppen geteilt und zwar I. in eine nördliche und
J
C. Versammlungs- und Vereins-ßericlite. ()5
amerikanische Gruppe mit Jochbreiten von 151 — 140 mm, II. Japaner,
Kameruner und Deutsche aus Thüringen, bei welchen dieses Maass 139 bis
133, III. Chinesen, Negrito, altgriechischer Schädel, bei welchen dasselbe
129 — 121 gross ist, IV. Andamanesen, die einen Jugaldurchmesser unter
120 mm haben. (Referent fand unter 2900 Schädeln von erwachsenen Per-
sonen aus den verschiedensten Ländern die Jochbreite 155 — 147 mm
gross, breiteste Gesichter, bei 1,0 v. H., 146 — 134, breite Gesichter, bei
30,6 V. H., 133—127, mittelbreite Gesichter, bei 34,7 v. H., 126—113,
schmale Gesichter, bei 32,5 v. H. und 112 — 100 mm gross, schmälste
Gesichter, bei 1,2 v. H. der 2900 Fälle.) Die Zusammenstellung der
malaren Breiten ergab folgende Reihe: a. 110 — 100 mm dehnt sich die
malare Breite aus bei Grönländer, Kalmük, Japaner, Kameruner, Negrito:
b. 98 — 92 beim Manne von Triandria u. s. w. ; c. 89 — 80 Davos, An-
damanesen; d. 68 San Remo. Aus diesen Zusammenstellungen ergiebt
sich, dass der malare den zygomatischen Durchmesser nicht ersetzen kann.
Dr. S. Weissenberg (Elisabethgrad in Russland), dessen Abhandlung
über die verschiedenen Gesichtsmaasse u. s. w. (Zeitschrift für Ethnologie,
1897, S. 41 — 58) Virchow in seinem Vortrage kritisierte, führt zu seiner
Verteidigung an, dass seine Arbeit sich nicht auf Schädel, sondern auf
lebende Personen beziehe, bei w^elchen er gefunden habe, dass unter den
Breitenausdehnungen des Gesichts die malare Breite am meisten, die Joch-
breite viel weniger schwanke.
Dr. Mies weist darauf hin, dass der unterste Punkt der Naht zwischen
dem Wangen- und Oberkieferbein oft schwer zu bestimmen ist, wenn
nämlich die vordere Fläche dieser Knochen nicht plötzlich mit einer
Kante, sondern allmählich auf einer geneigten Ebene in die untere Fläche
übergeht, und wenn die Naht auf dieser geneigten Ebene schräg, nicht
genau sagittal verläuft, so dass die Verbindungslinien der entsprechenden
Punkte beider Gesichtshälften, also die malaren Breiten, sich in ihrer
Länge unterscheiden.
Prof. Dr. V. Luschan (Berlin) bespricht die Urbevölkerung von
Vorderasien, Leute mit extrem kurzen und sehr hohen Schädeln, als
deren reinste moderne Repräsentanten die heutigen Armenier anzusehen
sind. Sergi hätte zwar in Widerspruch zu v. Luschan's Resultaten eine
noch ältere dolichocephale Bevölkerung angenommen, aber diese Annahme
sei völhg willkürlich und stünde zudem noch in unversöhnHchem Gegen-
I satz zu der historischen Thatsache von der Einwanderung der Semiten.
I v. Luschan müsse also der Annahme Sergi's ganz energisch widersprechen,
I so sehr er Sergi sonst, besonders als Genossen im Kampfe gegen den
-.Unfug der arithmetischen Mittelzahl" hochschätze.
Prof. Sergi erklärt, einstweilen noch an seiner Meinung festhalten
zu wollen. R. Virchow wendet sich gegen die Erklärung v. Luschan's,
j dass manche armenische Schädel auf der Gegend des Lambda „stehen''
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 5
Cf) C. Versaininlimgs- und Vereins-Berichte.
können, oline deshalb künstlich deformiert zu sein; er habe im Kaukasus
den Vorgang der künstlichen Deformation als solchen direkt beobachten
können, v. Luschan bemerkt, dass er nicht vom Kaukasus, sondern von
Kleinasien und Syrien gesprochen habe, und dass er mit positiver Sicher-
heit wisse, dass die fragHche Form dort ohne jedv^ede künstliche Beein-
niipsung vorkomme. Selhstbericht.
Dr. A. Elkind (Warschau): Zur Anthropologie der russisch-
polnischen Juden. Redner untersuchte zu Warschau in anthropolo-
gischer Hinsicht 325 Menschen (200 M. und 125 Fr.), Angestellte dortiger
Fabriken. Dreifünftel der männlichen Bevölkerung gehören dem dunklen
Typus an, welcher somit der herrschende ist. Von den Frauen gilt im
allgemeinen dasselbe, nur findet man unter ihnen den hellen Typus
häufiger und zwar in 8 von 100 Fällen. Auch findet man bei letzteren
rotes Haar zweimal so häufig, wie bei den Männern (2,64 pCt). Nach
dem Kopfindex der polnischen Juden tritt Subbrachycephalie bei den Frauen
(82,92) stärker auf, als bei den Männern (81,89); demgemäss findet man
auch die Dolichocephalie bei den letzteren häufiger (7 pCt.), als bei den
ersteren (2,4 pCt.). Der Wuchs (M. 1610 mm. Fr. 1506 mm) der pol-
nischen Juden ist der kleinste von allen anderen in Europa wohnenden
Juden, wobei die Männer und Frauen mit braunen und schwarzen Augen
höher von Wuchs sind als solche mit grauen und blauen Augen. Der
Brustumfang ist nur für Männer angegeben. Derselbe ist ungleich grösser,
als bei den Juden in Galizien (abs. 794 mm, rel. 49,2), sowohl absolut
(839 mm), als auch relativ (51,57). Nach Angabe des Wuchses und Brust-
umfanges kommt Vortragender noch auf die Klafterweite der polnischen
Juden (M. abs. 1667 mm und rel. 103,7; Fr. abs. 1520 mm und rel.
100,92) zu sprechen. Wenn wir hiermit die Angaben Weissenberg's ver-
gleichen (abs. 1701 mm und rel. 103), so müssen wir den Schluss-
folgerungen dieses Autors beipflichten, dass die Juden die kleinste Klafter-
weite unter allen europäischen Völkern besitzen. Wie aus unseren
Messungen hervorgeht, haben die Jüdinnen eine noch kleinere Klafterweite;
mehr als in einem Drittel von Fällen (36,8 pCt.) zeigt sich bei ihnen die
Klafterweite kleiner, als ihre Körperlänge, welche Erscheinung bei den
Männern bedeutend seltener (5,3 pCt.) zu finden ist. Alle diese ange-
gebenen Beobachtungen zeigen, dass die polnischen Juden eine im ganzen
gleichförmige anthropologische Gruppe bilden, und erklärt sich diese Er-
scheinung durch die historischen und sozial - ökonomischen Bedingungen,
durch welche die Juden Jahrhunderte hindurch sämtlichen äusseren Ein-
flüssen vollständig entzogen wurden, die eine Veränderung ihres physischen
Typus hätten bedingen können. Selbsthericht
I
D. Tagesgeschichte. ß-y
D. TagesgescMchte.
Bologna. Die Accademia dei scienze natur. erwählte Sir John Evans
in London zum korrespondierenden Mitgliede.
Halle. Am 14. Oktober 1897 starb Prof. Dr. Julius Schmidt,
Direktor des Provinzial-Museums in Halle a. S. Am 9. August 1823 zu
Sangerhausen geboren, widmete er sich zunächst dem Baufach, dann dem
Hütten- und Bergfach. Während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Süd-
amerika fand er Gelegenheit, sich mit archäologischen Studien zu be-
schäftigen, denen er in den letzten Jahren seines Lebens ausschliesslich
obgelegen hat.
Leiden. Dr. L. Serrurier hat sein Amt als Direktor des ,,Rijks
Ethnographisch Museum" aufgegeben. An seine Stelle wurde Dr. J. D. C.
Schmeltz durch Königl. Erlass vom 16. September ernannt.
Stettin. In Stettin konstituierte sich am 22. Oktober d. J. eine ,, Ge-
sellschaft für Völker- und Erdkunde", die die Zwecke verfolgt,
neben der Lösung wissenschaftlicher Fragen das Interesse für diese beiden
Fächer im weitesten Umfange (incl. Anthropologie und Urgeschichte)
unter der Bevölkerung anzuregen und zu fördern. Sie hofft dieses zu
erreichen einmal durch Veranstaltung von Vorträgen und Demonstrationen
sowohl wissenschaftlichen, als auch populären Inhaltes, sodann durch
Schaffung einer Centralisationsstelle für anthropologische und ethnographische
Gegenstände, die später einmal zu einem Museum für Völkerkunde (viel-
leicht in Verbindung mit dem von der Stadt geplanten Museum für Kunst
und Wissenschaft) erweitert werden soll. — Die Gesellschaft zählte nach
4 wöchentlichem Bestehen bereits über 125 Mitglieder. — Zum Vorsitzenden
wurde Dr. Buschan, zum Stellvertreter Hauptmann a. D. Henry, zu
Schriftführern Dr. Iffland und Prof. Dr. Walter, zum Schatzmeister
Kaufmann Schaper gewählt. Es sei an dieser Stelle an alle Fach-
genossen die Bitte um gütige Unterstützung des Unternehmens durch
Zuwendung von Sammlungsdoubletten, Schriften etc. gerichtet.
Stuttgart. Am 22. Nov. d. J. verstarb Studienrat Dr. Oscar Fr aas,
der langjährige Direktor des Naturalienkabinets. Geboren am 17. Januar
! 1824 zu Lorch war er ursprünglich zum Geistlichen bestimmt worden und
[ als solcher auch mehrere Jahre im Dienste der Kirche thätig. Später
j wandte er sich der Geologie zu und erwarb sich im besonderen durch
I seine Höhlenforschungen einen weitgehenden Ruf.
j Teneriffa. Ein Malaria - Anfall raffte auf Teneriffa im Dezember den
; Afrikaforscher Dr. Eugen Zintgraff, dem auch die ethnographische
Forschung mancherlei zu verdanken hat, im Alter von 40 Jahren dahin.
Tomsk. Am 16. April verschied der Geologe Dr. G. Ossowski,
I bekannt durch seine Untersuchungen der Höhlen Polens.
5*
Cg E. Bibliograpliische Übersicht.
Zürich. Dozent Dr. Rudolf Martin ist im September von einer
ert'olgreiclien Forsclmngsreise, die er nach Hinterindien gegen Ende des
Jahres 1896 unternommen hatte, nach Zürich zurückgekehrt. Es gelang ihm,
tief ins Innere vorzudringen, zahlreiche Angehörige wenig bekannter Völker
zu messen und viele ethnographische Gegenstände zu sammeln.
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Von Georg Bus eh an. I
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Um Einsendung von Separatabdrücken, Abhandlungen etc. an den Heraus-
geber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an den Herausgeber
Dr. Buschan, Stettin, Friedrich-Carlstrasse 7^,
Centralblatt
für
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Heransg-egeben von Dr. phil. et med. Q, Bnschan.
J. U. Kem's Verlag (Max Müller) in Breslau.
3. Jahrgang. Heft 2. 1898.
A. Originalarbeit.
Charakter und Herkunft der pommerschen La Teneformen.
Von Hugo Scliumann-Löcknitz.
Die Waffen und Schmucksachen, die der sogenannten „La Tene-
zeit" Pommerns angehören, und es gilt dies zum Teil auch für die
angrenzenden Gebiete Norddeutschlands, bieten durchaus keinen
einheitUchen Typus dar, sondern man kann unschwer erkennen,
dass dieselben ganz verschiedenen Einflüssen ihre Form verdanken.
Es lassen sich in Pommern in der Hinterlassenschaft der letzten
vorchristlichen Jahrhunderte drei ganz verschiedene Gruppen
unterscheiden.
Die erste Gruppe stellt Eisengeräte dar, die ersichtlich nur
Weiterentwickelungen aus der Bronzezeit und aus der älteren Eisen-
zeit, der Zeit des Hallstatteinflusses, sind. Hierher gehören zu-
nächst jene kurzen und plumpen Eisenlanzenspitzen mit stark
L^erundetem Mittelgrat, der gewissermaassen die Fortsetzung der
Tülle bildet; diese Form schliesst sich noch ganz an die Lanzen-
spitzen der Bronzezeit an und unterscheidet sich durchaus von den
schlanken und dünnen La Tenelanzenspitzen. Ferner gehören hier-
her die halbmondförmigen Eisenmesserchen, die zwar
häufig mit echten La Teneformen zusammen vorkommen, aber auf
ältere Vorbilder zurückgeführt werden müssen, und die sich durch
ganz Ostdeutschland bis auf die alten Gräber von Este, Benacci und
Villanova nachweisen lassen. Weiter die Schwanenhalsnadeln
mit knopfförmigem, schälchenförmigem, plattem oder kreuzförmigem
Kopf, die schon in der jüngeren Bronzezeit beginnen und bis in
die späte La Tenezeit hinein reichen. Ferner die bandförmigen
Gürtelhaken von Eisen, die an einer Seite verbreitert, an der
anderen schmäler werdend, in einen Haken auslaufen, deren Vor-
bilder gleichfalls schon in den altitalischen GrälDern i^on Golasecca,
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 7
g^ A. Originalarbeit.
Valtravaglia, Castel Ticino und Este sich finden. Andere, an einem
Ende in einen Haken, am anderen in einen mit Nieten (von Bronze)
besetzten Querarm auslaufende Formen schliessen sich an solche
an, die in Hallstatt vorkommen. Auch jene Gürtelhaken von Eisen,
die an der Basis in Spiralen aufgerollt sind, gehen auf Vorbilder
aus dei- Hallstattzeit ziu'ück, die aus Bronzedraht hergestellt
wurden, den man an der Basis in Spiralen aufgerollt hat.
Eine zv^eite Gruppe umfasst Gegenstände mit beschränktem^
Verbreitungsgebiet, die ersichtlich im Lande selbst erfunden sind
und für die man nach aussen keine Anknüpfungspunkte findet.?
Hierher gehören die mehrgliedrigen Gürtelhaken von Eisend
oder Bronze. Zunächst die zweigliedrigen von Eisen, aus zwei,
einem kürzeren und einem längeren, durch Charnier verbundenen^
Haken bestehend, sowie die dreigliedrigen, die gleichfalls aust
zwei, einem längeren und einem kürzeren, Haken bestehend,^
durch einen Ring oder einen viereckigen Rahmen beweglich ver-'
bunden sind. Während erstere sich von Bornholm durch West-i
preussen, Pommern bis in die Lausitz finden, ist das Gebiet der^
letzteren auf den Unterlauf der Oder beschränkt, von Pommeri
durch die Neumark bis in die Lausitz. Hierher gehören auch di<
im Norden häufigen Charnierringe und Bronzekronen, rin|
oder kronenförmig ausgebildete Halsringe, die aus zwei durch'
Charniere verbundenen Teilen bestehen und sich so öffnen und
schliessen lassen. Sie haben ihre Heimat in Norddeutschland,
kommen aber in einzelnen versprengten Exemplaren bis an den
Dniester vor.
Die dritte Gruppe umfasst die Gegenstände, die sich als echte
La Teneformen erweisen, oder Weiterbildungen solcher sind. An
echten La Teneformen haben wir die w^eitverbreitete Fibel mit ver-
bundenem Schlussstück (Tischlers Mittel-La Tenefibel), die in La
Tene selbst die häufigere ist. Hieraus hat sich später eine eigen-
tümhche Form entwickelt, bei der der Bügel zwei Knöpfe
(auch 3) trägt, die durch ein vertieftes und mit Blutemail aus-
gefülltes Kreuz ornamentiert sind. Der untere Knopf ist orna-
mental, der obere stellt die alte Verbindung des Fusses mit dem
Bügel vor. Diese eigentümliche Fibel findet sich von Bornholm
durch Vorpommern, Mecklenlmrg, die Elbe entlang bis zum Harz und
hat seine nächsten Verwandten in den Fibeln vom kleinen Gleich-
berg in Thüringen, was die Herstellung der Fibel durch Guss be-
trifft. Solche mit Knöpfen ohne Kreuz aus Eisen und Bronze
kommen häufig im Norden vor. Eine ferner hierher gehörige Form
ist die sogenannte pommersche Fibel (Undset.). Dieselbe ist
dadurch ausgezeichnet, dass sie einen breiten, bandförmigen, oben
A. Originalarbeit. 99
gewölbten Bügel besitzt und anstelle der eigentlichen Spirale einen
massiven Querarm. Sowohl die Mitte des Bügels, als auch die
Enden des Querarms sind mit vertieften Schälchen besetzt. DiesQ
Fibeln sind von Rügen durch Vorpommern, Mecklenburg bis in die
Provinz Sachsen (Jerichow) verbreitet und haben ihre nächsten
Verwandten in den Fibeln des kleinen Gleichbergs (Thüringen).
Häufig sind die Vorbilder dieser Fibeln mit Schälchen in der Pfalz
und in Bayern und gehen auf eine Früh-La Tenefibel zurück mit
frei stehendem Schlussstück, das ein Schälchen trägt (Dürckheim).
Die eigentliche Spät-La Tenefibel mit breitem, bandförmigen
Bügel und rahmenförmigem Nadelhalter (Nauheimer Alesiafibel)
kommt in Pommern bislang nicht vor, dieselbe wird hier durch
eine aus ihr entstandene geknickte Fibel ersetzt, welche einen
meist runden Bügel aufweist, der oben eine knieförmige Knickung
zeigt. Diese Fibel ist in Pommern und den anliegenden Gebieten
weit verbreitet und aus ersterer entstanden.
Häufig beobachtet sind in Pommern La Ten eschwerter, so-
wohl das Mittel- als das Spät-La Teneschwert (Tischler), von denen
das erstere dadurch bemerkenswert ist, dass das obere Scheiden-
ende nach oben glockenförmig aufgewölbt, die Scheide selbst mit
I wenig Querstegen versehen ist, während bei den letzteren das
obere Scheidenende gerade abgeschnitten, die Scheide aber mit
zahlreichen Querstegen versehen ist. Bei uns kommt noch eine
dritte Schwertform hinzu, das einschneidige La Teneschwert.
Dieses einschneidige Schwert, welches, meist etwas breiter, als die
zweischneidigen, mit dem Rücken in die starke, mit Nietstiften ver-
sehene, Griffangel übergeht, ist aus dem in der Hallstatt- und La
Tenezeit Süddeutschlands so häufigen, geraden Hiebmesser ent-
standen und findet sich von Skandinavien, Bornholm durch West-
I preussen, Pommern, die Provinz Sachsen (Quedlinburg) bis Thü-
I ringen (Buttstedt). Auch eine Anzahl echter La Tenelanzen-
j spitzen sind aus Pommern bekannt, die sich durch flache Klinge
I (zuweilen mit seitlichem Ausschnitt) und scharfen Mittelgrat von
den früher erwähnten Formen unterscheiden.
Die im Norden in dieser Zeit vorkommenden Schildbuckel
sind alle konisch und rund, auch sie gehen auf südliche Vorbilder
I zurück, sind aber vielleicht als die ersten Spuren römischen Ein-
i flusses aufzufassen, die der Ankunft der Provinzialfibeln noch
vorausgehen.
Nachdem wir gesehen, dass die während der letzten vorchrist-
Uchen Jahrhunderte gebrauchten Waffen und Schmucksachen sich
aus verschiedenen Einflüssen gebildet haben, fragt es sich, auf
j welchem Wege sind diese echten La Teneformen zu uns ge-
7*
^0Q A. Originalarbeit.
kommen? Die echten La Teneschwerter und La Tenefibeln sind
zu weit verbreitet, als dass man bei Untersuciiung der Herkunft
viel Gewicht auf dieselben legen dürfte, doch geben hier die be-
sonderen eigenartigen Weiterbildungen den nötigen Anhalt.
Zuerst die po mm ersehe Fibel (ündset) mit ihren Schälchen
auf dem Bügel. Das Verbreitungsgebiet derselben erstreckt sich
von Rügen durch Vorpommern, Mecklenburg in die Provinz Sachsen.
Bei ihr ist die Spirale schon zu einem massiven Stab geworden.
Die nächsten Verwandten finden sich unter den Fibeln des kleinen
Gleichbergs, die noch die echte Spirale haben und gehen endlich
auf die ältere La Tenefibel zurück mit freistehendem Fuss und
Schälchen, wie solche in Bayern und der Pfalz häufig sind. Auch
die Fibel mit zwei Kugeln auf dem Bügel und emailliertem Kreuz
kommen von Bornholm durch Vorpommern, Mecklenburg, Neu-
Ruppin bis Maisdorf am Harz vor und haben gleichfalls in den
Fibeln vom kleinen Gleichberg ihre nächsten Verwandten, also
auch sie zeigen auf einen westlichen Weg hin. Ganz ähnlich ist
es mit den einschneidigen Schwertern, die von Skandinavien durch
Westpreussen, Pommern bis Quedlinburg und Buttstedt in Thüringen
hin vorkommen und dieselbe Strasse andeuten.
Eine bemerkenswerte Zwischenstation bilden die Nauheimer
Funde, die eine interessante Mischung echter La Teneformen mit
nordisch germanischen enthalten. Ächte La Tenetypen sind die
Reste von Glasarmringen, bandförmige (keltische) Schildbuckel,
durchbrochene, ringförmige Gürtelhaken, Messer mit breiter, hippen-
förmiger Klinge, die echte Spät-La Tenefibel mit breitem, band-
förmigem Bügel, das echte La Teneschwert. — Nordisch-germanisch
sind die runden, konischen Schildbuckel, die geknickte Fibel,
Lanzenzwingen, wie wir sie aus dem Norden kennen und ein Teil
der Gefässe. Bemerkenswert ist, dass sich dort ein Spät-La Tene-
schwert findet, welches ganz einem solchen von Münsterwalde in
Westpreussen entspricht.
Alle diese Umstände machen es wahrscheinlich, dass in jener
Zeit eine Verkehrsströmung aus der Pfalz durch Thüringen, die Saale
und Elbe entlang nach dem Norden ging, welche die La Tene-
geräte mitbrachte und von der von der Saale aus ein Seitenstrom
in die Lausitz sich abzweigte, der durch die eigentümlichenSchieber-
spangen, auf die schon Jentsch aufmerksam gemacht hat, markiert
ist. Merkwürdig ist, dass in dieser Zeit so wenig Spuren auf einen
östlichen Weg deuten, höchstens die westpreussischen und pommer-
schen ornamentierten Lanzenspitzen von Eisen könnten auf einer
östlichen Strasse ins Land gekommen sein, da dieselben durch die
Lausitz, Schlesien bis Ungarn zu verfolgen sind, war doch vorher
13. Referate. 1. Anlliropolo^ie. \(j\
und nachher die Oderstrasse bedeutend. Dieser westliche Eibweg
war wohl schon in der Bronzezeit bekannt, auf ihm kamen viel-
leicht nordische Bronzen nach Homburg, Baden (Schauenburg) bis
in die Schweiz (Corcelette), und auf ihm kamen in der älteren
Eisenzeit die gerippten Broncecisten nach Hannover (Nienburg,
Luttum), Pansdorf bei Lübeck, die Bogenfibel von Bramsche, die
älteren La Tenefibeln von Bülstringen a. d. Elbe und zwei
Paukenfibeln nach Mecklenburg neben vielen anderen. (Hausurnen,
Goldgefässe.)
Bis Pommern gelangte dieser Einfluss aber wohl erst in einer
späteren Periode dieser La Teneentwickelung, denn die älteren
Typen dieses Formenkreises fallen in Pommern bislang ganz und
gar aus.
ß. Referate.
I. Anthropologie.
a. Somatische Anthropologie.
56. J. H. F. Kohlbrugge: Der AtaYismus. Utrecht G. J. C.
Scrinerius. 1897.
Dr. Kohlbrugge, Kurarzt zu Tosari (Java), dem wir schon so manche
wertvolle Arbeit auf verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten ver-
danken, hat sich die nicht gerade leichte Aufgabe gestellt, die Lehre vom
Atavismus kritisch auf ihren wissenschaftlichen Wert zu prüfen. Dazu
hat er aber erst ,,die Brille der Deszendenzlehre" abgesetzt; dann ist er,
glaubensfrei, rücksichtslos an die Arbeit gegangen.
Die Schrift Kohlbrugges zerfällt in zwei Abschnitte: der Atavismus
und die Deszendenzlehre, und der Atavismus und die Morphologie des
Menschen. Beide stehen in logischem Zusammenhange; die Beweisführung
in beiden Punkten hat zu dem gleichen Resultat geführt und zwar, dass
die Lehre vom Atavismus nicht auf Thatsachen beruht. Diese
kühne Behauptung wird im Lager der Ultra-Evolutionisten gewiss auf
heftigen Wiederstand stossen, obgleich J. Ranke als Anthropologe sich
schon vor Kohlbrugge in ähnlicher Weise geäussert hat. Da es hier
zu weit führen würde, Dr. Kohlbrugge in seiner Kritik Schritt für Schritt
zu folgen, wollen wir versuchen, in aller Kürze die Behauptungen dieses
Forschers wiederzugeben. Uns kommt es nur darauf an, die Aufmer-
samkeit der Anthropologen und sonstigen Biologen auf diese inhaltreiche
Schrift zu lenken.
Zunächst hat Verfasser sich zum Ziel gesetzt, den Begriff ,, Atavismus"
genau abzugrenzen; sein zweites Ziel war, genau zu bestimmen „was
102 ß- Referate. 1. Anthropologie.
oder wie viel wirklich bekannt und bewiesen ist, um dies dann von dem
nicht Bew^iesenen, Hypothetischen zu trennen''.
Mit Atavismus hat man die nachfolgenden Variationen bezeichnet:
I. Das Auftreten von Eigenschaften der direkten geschichtlichen Vor-
fahren; Repetition. Kohlbrugge meint, ,,man solle den Begriff soweit
ausdehnen, als man von den Vorfahren mit Sicherheit etwas aussagen
kann, soweit diese also durch die Familiengeschichte bekannt sind".
Auch sollte man alles, was sich nicht von den Eltern herleiten lässt, als
,, diskontinuierliche Repetition" beschreiben. Hierzu sind auch die Variationen
der gekreuzten Rassen, welche sich auf die Stammeltern zurückführen
lassen, zu rechnen. Sie sind den Tierzüchtern wohlbekannt. — II. Das
Auftreten von Abweichungen, die vom speziellen elterlichen Typus zum
allgemeinen^ gegenwärtigen Rassentypus zurückführen (Spezies, Varietät,
Genus). Das sind die Rückbildungen. Kohlbrugge glaubt nicht, und
mit Recht, dass man die Rückbildung von der Repetition trennen kann,
,,denn sehr viel von den vermeinten Ras^sentypuseigenschaften kann von den
direkten, geschichtlichen, aber vergessenen Vorfahren herrühren, die dem-
nach, wenn man nur eine genaue Familiengeschichte besässe, in der
ersten Gruppe untergebracht werden müssten". — III. Das Auftreten von
Eigenschaften des vergangenen (entfernten) Rassentypus oder Rückschlag.
Mit dieser Gruppe werden die Grenzen des Genus überschritten und der
Boden der Deszendenzlehre betreten. Nur für einen Teil der hierher
gehörenden Variationen möchte Kohlbrugge den Ausdruck Atavismus
reservieren.
Da das Vorkommen der beiden erstgenannten Arten atavischer
Variationen bewiesen ist, lässt Verfasser sie weiterhin ganz ausser Betracht.
Er behandelt bei seiner Kritik nur den Atavismus im Sinne der De-
szendenzlehre, der scharf vom Atavismus der Tierzüchter unterschieden
werden muss. Beim hypothetischen Atavismus unterscheidet man:
A. Vorübergehende, embryonale Formen und rudimentäre Organe;
B. Entwickelungshemmungen: C. Eigentliche atavische Bildungen.
Nach Verfasser lässt sich zwischen den vorübergehenden embryonalen
Formen und den rudimentären Organen keine Grenze ziehen; da sie stark
variieren und, weil ihr Auftreten konstant ist, kann man sie nicht als
atavische Bildungen bezeichnen. Sonst müsste man den Begriff Atavismus
von dem der Variationen trennen, was ja nicht thunlich ist.
Was die Entwickelungshemmungen anbetrifft: statt einer retrogressiven
Kraft nimmt Kohlbrugge als Ursache eine Störung normaler Prozesse an.
Es ist beispielsweise eine auf Atavismus beruhende Schwanzbildung noch
nicht beobachtet worden. Wir wissen nur, dass der Mensch als Embryo
stets einen Schwanz besitzt mit Wirbel- und Muskelanlagen, den man
nicht als atavisch betrachten darf, denn sonst könnte man ebensogut die
i-
B. Referate. 1. Anthiopolojjie. j^Q3
Halsfisteln, den offenbleibenden Ductus Botalli, kurz, jede Entwickelungs-
hemmung zum Atavismus rechnen.
Die eigentlichen atavischen Bildungen, d. h. solche Bildungen, welche
zufällig, unvermittelt, auftreten, werden, in Übereinstimmung mit Emery,
als scheinbar atavisch bezeichnet; denn es handelt sich dabei meist nur
um ahnenähnliche, nicht um ahnenerbliche Erscheinungen, anders-
gesprochen um Rückschritt, nicht um Rückschlag in der Phylo-
genese."
Im II. Abschnitt seiner Studie lässt Kohlbrugge die zahlreichen Formen,
welche man beim Menschen durch Atavismus hat erklären wollen (Hyper-
trichosis, Polymastie, Schwanzbildung, Variationen der Wirbelsäule und
Muskeln, die pithekoiden Merkmale am Schädel u. s. w.) Revue passiren.
Er legt dabei die bekannte Schrift Wiedersheims „Der Bau des Menschen"
zu Grunde. Kohlbrugge betont, wie vorgefasste Meinungen das kritische
Urtheil trüben können und kommt u. a. zum Schluss, dass nur für den
die Beweise Wiedersheims den Werth einer ,, Gewissheit" haben, der bereits
glaubt, dass der Mensch von anderen Wesen, den Affen ähnlich, abstammt.
Für den, der ganz neutral ist, bringt aber Wiedersheim keinen einzigen
Beweis, dass der Mensch seinen Bau geändert hat oder noch ändert. Zu
bedauern ist auch, wie Kohlbrugge hervorhebt, dass die Autoren die Begriffe
Atavismus, Variation und Hemmungsbildung manchmal nicht scharf trennen
Die sogenannten progressiven Anomalien lässt Verfasser ganz ausser Acht,
denn so lange man ihren Einfluss auf die Funktion nicht kennt, gehört der
Begriff in das Reich der Phantasie.
Für Kohlbrugge, und darin liegt das endgültige Resultat seiner
kritischen Forschung, sind: „Alle sogenannten atavischen Anomalien
neutrale Variationen, neutral in Bezug auf den gegenwärtigen
oder zukünftigen Rassentypus, hervorgerufen entweder durch
Variation oder durch Entwickelungshemmung. Die Hemmungen
werden durch meist unbedeutende, zufällige Störungen veran-
lasst, die sich meistens durch ungleichmässige Verteilung
der Wachstumsenergie äussern. Die Variationen beruhen
auf der Variations fähigkeit um ein Mittel; darum werden die
Variationen stets den Charakter einer progressiven oder retro-
gressiven Entwickelung vortäuschen."
Solange die Ultra-Evolutionisten keine schlagenden Beweise für ihren
Atavismus beibringen, ,, solange darf ich", sagt Kohlbrugge, ,,in Bezug auf
den Atavismus behaupten: dass nach den in der Wissenschaft geltenden
Prinzipien erst die Bestätigung der Sage durch die methodische Unter-
suchung im Stande sein kann, den Atavismus zum Range einer Thatsasche
zu erheben."
Dr. H. ten Kate-Batavia.
[Ql B. Hefe rate. 1. Anthropologie.
57. J. H. F. Kohlbrugge: Schwanzbildung und Steissdrüse
des Menschen und das Gesetz der Rückschlagsyererbung.
Natuurkundig Tijdschrift voor Ned.-lndie, 1897. Bd. LVII, Seite
57 und 171.
Kohlbrugge tritt der Frage näher, ob die bisher beim Menschen be-
obachteten Schwänze solche im atavischen Sinne oder nur durch abnorme
Entwickelung hervorgerufene Bildungen sind. Letzteres sind offenbar
Missbildungen; erstere aber als atavisch zu bezeichnen, ginge nicht an;
• denn der Atavismus sei überhaupt nur eine Hypothese, die noch lange
nicht ihre Erledigung gefunden. Wenn nämlich homologe Organe beim
Menschen und Affen variieren und zwar nach verschiedenen Richtungen
innerhalb der Variationsbreite, dann kann leicht und zufällig beim Menschen
eine Varietät angetroffen werden, die einer ebensolchen beim Affen gleich
oder ähnlich ist. Es liegt kein Grund vor, für diese auf Variationsfähigkeit
beruhende Erscheinung eine besondere Eigenschaft oder Kraft, den Atavis-
mus, zu supponieren. — Zum Atavismus im engeren Sinne ist nötig,
dass bei einem Individuum Formen auftreten, die denen des Atavus gleichen,
aber dem normalen Embyro fehlen. Speziell auf den Menschenschwanz
angewendet, lautet diese Forderung (Virchow), dass er nur dann unzwei-
deutig zum Atavismus gehöre, wenn er Wirbel enthalte, welche durch
Vermehrung der normalen Zahl der Wirbel entständen sind, und wenn er
in der Verlängerung einer normalen Wirbelsäule liegt. Ein solcher
Schwanz sei aber bisher in unanfechtbarer Weise noch nicht beobachtet
worden; es handle sich bei den beschriebenen Fällen wohl immer um
Entwickelungshemmungen (Störung der Resorption der embryonalen
Schwanzanlage); meist ist eine Kombination mit anderen Missbildungen
vorhanden.
Auch für den hier mitgeteilten und anatomisch bis ins Detail zer-
gliederten Fall weist Kohlbrugge nach, dass, obgleich ein Schwanz mit
Wirbeln, Muskeln, Nerven und Gefässen vorlag, — (derselbe war sogar
beweglich gewesen) — dieses Gebilde doch kein echter Schwanz war.
Statt der eigentlichen Steissdrüse fand sich am Ende des Schwanzes mir
ein die Enden der Schwanzarterien und der Schwanznerven umfassendes
Gebilde. Da eben die ganze Schwanzanlage auf mangelhafter Reduktion
embryonaler Elemente beruht, so konnte hier auch keine Steissdrüse vor-
handen sein, die nach Kohlbrugge (und Gegenbaur) ebenfalls diesem Mo-
ment ihre Entstehung verdankt. - Der Ganalis sacralis war in seiner
ganzen Länge offen. Der nicht in der Verlängerung des Os sacrum liegende
Schwanz wurde von 4 modifizierten Wirbeln repräsentiert; drei bildeten
den Schwanz, einer verband ihn mit dem Schaltstück des Sakralkanals.
Das Wirbelschema lautete: 7+ll+5-|-6 + 4. Das genannte
Schaltstück schien aus Dornfortsätzen hervorgegangen. Der letzte Teil
des Schwanzes mit seinen Röhrenknochen und seinen Ge-
B. Heferale. 1. Aritliropologie. 105
lenken glich genau dem von Hennig und Rauber beschriebenen Menscheii-
schwanz. Eigentümlich war das Verhalten der Nerven: Der
Duralsack reichte bis zum oberen Rande des 2. Sakralwirbels; aus ihm traten
dann noch die letzten Sakralnerven, welche schräg distal zu ihren Sakral-
löchern zogen; vom 2. Sakralwirbel ab ging die Dura in einen dünnen,
bis zum 6. Sakralwirbel reichenden Strang über. Unter dem Austritt des
ersten Sakralnerven und über dem des zweiten spaltete sich von dem
Duralsack eine starke Portion ab, die nach links und abwärts zum 2. hinteren
Sakralloch zog und, durch den medianen Spalt tretend, sich auf die linke
Seite des Schaltstücks legte; aus diesem Teil des Duralsacks gingen die
Nerven hervor, welche sich an beiden Seiten des Schwanzes verzweigten.
Nach diesem Verhalten der Nerven zu schliessen, müsste also der Schwanz
aus Sacrumwirbeln gebildet gewesen sein, und die Steissbeinwirbel hätten
die Rolle des Sacrum übernommen. Der ganze offen gebhebene Sacral-
kanal war durch Muskeln und Bänder, sowie durch das Schaltstück ge-
schlossen. Die während des Lebens beobachteten Bewegungen des
Schwanzes nach rechts und links wurden durch die Beziehungen des
Gesässmuskels zu demselben erklärt.
Oberarzt Bresler-Freiburg i. Schi.
b. Biologie.
1. Physiologisches Vexhalten.
58. Albert Reibmayr: Inzucht und Yermischung beim
Menschen. Wien. Franz Deuticke. 1897. 268 Seiten.
Verfasser hat sich für vorliegende, von eifrigstem Quellenstudium
und weitgehender Belesenheit zeugende Arbeit die Aufgabe gestellt, das
Gesetz der Inzucht — pares cum paribus compregantur — und seine
Folgen einerseits, und die Wirkungen der Vermischung andererseits auf
die Kulturgeschichte des Menschen näher zu erforschen.
Nach einem einleitenden geschichtlichen Überblick, in welchem der
Autor auf Montesquieu und Buckle zurückgeht, bespricht er kurz die
bekannten Theorien der Vererbung von Lamarck und Ribot und führt deren
hauptsächlichste Thesen auf.
Zur Inzucht übergehend beginnt er mit Zugrundelegung der aus-
führhch auseinandergesetzten Theorie Darwins und führt den Nachweis für
seine erste These, dass die ältesten Kulturträger der Menschheit
in vorwiegender Inzucht gelebt haben müssen. Er stützt
diesen Ausspruch durch ausführhche Auseinandersetzung der Ursachen
und der Wirkungen der Inzucht beim Menschen.
„Sesshaftigkeit, natürlicher Schutz vor Vermischung und
die Bildung einer engeren Inzuchtkaste müssen als Grund-
bedingungen einer jeden Kulturperiode angesehen werden."
10(3 B. Referate. 1. Anthropologie.
Dem nächsten Kapitel über die Vermischung, ihre Ursache und
Wirkung beim Menschen stellt er ebenfalls die im Pflanzen- und Tier-
reiche bis jetzt beobachteten und erkannten Gesetze über die Kreuzung
voran. Die Vermischung der Völker hält er für einen ebenso wichtigen
Faktor lür das Fortschreiten der menschlichen Kultur, als die Inzucht. Wie
es ohne rege Inzucht, ohne Bildung einer führenden Inzuchtkaste keinen
nennenswerten Kulturfortschritt in einem einzelnen Volke giebt, so
würde die Menschheit im allgemeinen ohne Vermischung in der Kultur
nur langsam oder gar nicht fortschreiten können. Durch diese aber
erreichen die späteren Nachkommen eine neue Kulturstufe rascher, mittels
der Vererbung der bereits gezüchteten Ganglien nach überwundenem
Rückschlag.
,,So wie die Inzucht der Bildung der Kulturganglien dient,
so dient die Vermischung der Verbreitung derselben" lautet
die zweite These. Verfasser schildert dann die Entstehung und den weiteren
Ausbau der Kastenbildung, deren erste Bedingung mit persönlichem Besitze
verbundene Sesshaftigkeit war. Da nun das Land zu eng wurde, die Vieh-
weiden nicht mehr ausreichten, kam es in der weiteren Folge zu Streitig-
keiten mit Nachbaren und zu Eroberungen. Das Recht des Stärkeren
und die Unterjochung eines Landes, sowie seiner Bewohner ergab weiter
von selbst die Scheidung von Freien und Unfreien. Erstere wurden
im Laufe der Zeit die führende Kaste — jedoch nicht im Sinne
der Erblichkeit — und zwangen die wilden Stämme in das sanfte
Joch der Zivilisation. Von diesen führenden Klassen zweigte sich
dann eine kleinere Inzuchtskaste ab, mit dem Bestreben, das Blut der
Eroberer möglichst rein zu erhalten — diese stellten dann eine höher
stehende Varietät der ganzen Rasse dar.
Sodann bespricht Verfasser den Nutzen und den Schaden der Inzucht
in einer Kaste und die Degeneration, wie auch die Regeneration. Jeder
Kulturfortschritt hat im Verlauf der Generationen eine Einschränkung
der natürlichen Auslese in der Inzuchtkaste zur Folge, womit
die Degeneration der Kaste beginnt, die eben infolge der Inzucht ver-
stärkt wird. Ist dann infolge der Degeneration der führenden Kaste ein
Volk historisch zurückgegangen, so kann es sich regenerieren
durch Vermischung mit einem körperHch gesunden, aber kulturell meist
niedriger stehenden Volke. Die Regeneration führt stets einen ge-
ringen Rückschritt in der Kultur mit sich, der in mehr weniger
kurzer Zeit wieder ausgeglichen wird.
Das Wesen des Kulturfortschrittes der Menschheit beruht
daher in seiner Hauptursache auf dem regelmässigen Wechsel
von Inzucht und Vermischung der einzelnen Völker und
Rassen.
B. Referate. 1. Anthropologie. {Q"]
Zur Bekräftigung, Erläuterung und Stütze der vorstehenden Be-
hauptungen folgen nunmehr Abhandlungen über geniale Völker, über
Inzucht und Vermischung bei den Ägyptern und den alten Juden und eine
grössere Anzahl von Zusätzen.
Die hochinteressante Arbeit sei jedem empfohlen, sie regt zu Nach-
denken an, aber — wohl auch zu teilweise berechtigten Zweifeln, durch
deren weitere Entgegnungen wir mit der Zeit zu einer Einigung in dieser
sowohl Ärzte wie naturwissenschaftlich Gebildete heute lebhaft inter-
essierenden Frage zu kommen vermögen werden.
Dr. Ä. Pafsotv-Strassburg L E.
2. Pathologisches Verhalten.
Degenerations-Anthropologie. Kriminal-Anthropologie.
59. L. Pfleger und A. Pilcz: Beiträge zur Lehre von der
Mikrocephalie. Sptabd. aus den Arbeiten aus dem Institut
für Anatomie und Physiologie des Centralnervensystems an der
Wiener Universität. Heft 5. Wien, F. Deuticke, 1897.
Bei unserer augenblicklichen, trotz zahlreicher Beiträge — die Ver-
fasser bringen eine Zusammenstellung von 365 einschlägigen Arbeiten —
noch immer recht dürftigen Kenntnis von dem Wesen der Mikrocephalie
ist jeder Beitrag mit Freuden zu begrüssen. Wenngleich die Verfasser
in demselben über 12 neue Fälle eingehend berichten, so wird durch diese
eben im Grunde genommen dieses unser Wissen leider nur in negativem
Sinne gefördert. Aufs neue wird durch diese Befunde bestätigt, dass es
bisher immer noch an dem Beweise dafür fehlt, dass es sich bei der
Mikrocephalie um eine Behinderung des Gehirnwachstums von Seiten des
Schädels handelt.
Zunächst werden die Schädel und Gehirne (im Laboratorium von
Prof. Obersteiner befindlich) der 12 Mikrocephalen in ihren Einzelheiten
beschrieben und durch Abbildungen erläutert. Sodann werden die be-
merkenswerten Befunde am Gehirne unter Berücksichtigung der in anderen
Fällen erhobenen zusammengestellt. Die Verfasser heben folgende als
wichtig hervor:
J. Auf embryonale und theromorphe Bildungen zurückzuführende Be-
funde, a. Freibleiben der Insel; b. abnorme Persistenz des beim
menschlichen Embryo und bei den Vierfüsslern gut entwickelten
Gyrus supra-callosus ; c. abnorm kräftige Ausbildung der Balken-
windung, ebenfalls eine beim Embryo und den Quadrupeden vor-
kommende Erscheinung; d. typische Affenspalte; e. direkte Ein-
mündung der Fissura calcarina in die Fissura hippocampi, bedingt
durch Fehlen des Istmus gyri fornicati.
2. Vollkommen atypische Furchen, abnormes Verhalten sonst normal
angelegter Windungen (u. a. beiderseits vollständige Überbrückung
IQS B. Uererate. J. Anthropologie.
der Rolandoschen Spalte), Abnormitäten des Commissurensystems
und Mikrogyrie.
3. Konfluierenden Windungstypus.
Die Pathogenese dieser Befunde, deren Bedeutung sich nur zum Teile
ontogenetisch und phylogenetisch erklären lässt, bleibt vorläufig noch
völlig dunkel.
Weiter beschäftigen sich die Verfasser mit den Schädelmaassen und
Hirngewichten im allgemeinen. Wir erfahren, dass unter allen zur Be-
obachtung gekommenen Fällen von Mikrocephalie ein 14tägiges Mädchen
den geringsten horizontalen Schädelumfang, 22 cm, ein 7 Wochen alter
Knabe das geringste Hirngewicht, 15,9 gr aufwies; da das letztere aber
hydrocephalisch verändert war, so dürfte als geringstes Hirngewicht eines
wirklichen Mikrocephalen 69,3 gr an einem 9 Monate alten Knaben be-
obachtet worden sein. — Die Schlussbetrachtungen sind der Ätiologie und
dem Wesen der Mikrocephalie gewidmet. Mit Giacomi unterscheiden die
Verfasser Pseudomikrocephalie, d, s. Fälle, in denen das abnorm niedrige
Hirngewicht durch direkt pathologische Prozesse, wie Porencephalie,
Hydrocephalus etc., bedingt wird, und echte Mikrocephalie. Bezüglich der
Pathologie dieser Erscheinung stellen sie auf Grund ihrer und der in der
Litteratur niedergelegten Beobachtungen entschieden in Abrede, dass es
sich hierbei um eine primäre Störung des Schädels handele; sie vertreten
vielmehr den Standpunkt, dass eine in ihrer Art noch unbekannte Störung
das Gehirn zunächst selbst treffe und erst durch dessen Wachstumshemmung
auch ein Zurückbleiben der knöchernen Kapsel veranlasse. Maassgebend
waren für diese Annahme die pathologisch- anatomischen Befunde, wie
Offenbleiben der Nähte, hochgradige Mikroencephalie bei nur geringer
Mikrocephalie, sow^ie ganz unverhältnismässig schwaches Gehirngewicht bei
wenig herabgesetzter Schädelkapizität etc.
An Wert gewinnt die Arbeit durch die umfangreiche Litteratur-
übersicht. Dr, Buschan-Stettin.
60. P. Näcke: Über Kriminalpsychologie. Zeitschrift für die
gesamte Strafrechtswissenschaft. 1897. Bd. XVII, Heft I.
Näcke weist nach, dass es entschieden verfehlt sei, von der Kriminal-
psychologie als etwas spezifischem zu sprechen. Nachdem in der Einleitung
die Begriffe Verbrecher und Verbrechen kurz aber sachlich gestreift werden,
geht Verfasser zu den Gewohnheitsverbrechern über, wenn auch selbstein-
gestandenermaassen diese Gruppe bis zu einem gewissen Grade nur eine
künstlich gemachte ist, der manche mit Unrecht zugerechnet werden.
Doch ist sie immerhin eine leidlich umgrenzte, da die Recidivisten meist
den untersten Volksklassen angehören und ihr Bildungsgrad und Beruf
einheithcher sind, als wenn beispielsweise sämtliche Verbrecher berücksichtigt
würden. Mit Recht will Näcke die Geisteskranken, welche gerade in dieser
B. Referate. 1. Anthropologie. 109
Gruppe so häufig vorkommen, wie auch die Epileptiker, Hysteriker und
insbesondere die Schwachsinnigen abgezogen wissen, so dass die Zahl der
sodann zu Untersuchenden sich beträchtlich mindert.
Ziehen wir nun zum Vergleiche die normalen Zustände heran, so
sehen wir, dass Verfasser ganz selbstverständlich und unwillkürlich die
Psychologie des niederen Volkes in seine Betrachtungen hineinziehen muss,
weil eben die meisten Gewohnheitsverbrecher diesem entstammen. Unter
niederem Volke, resp. niederen Schichten will Näcke die dienende
Klasse, die Hand- und Fabrikarbeiter, auch den ungebildeten
Bauernstand verstanden wissen.
Er untersucht nunmehr die Sinnesempfmdungen, das Denken und
das Wollen und kommt nach genauer Abschätzung des pro und contra
zu dem Schlüsse: Das Studium der Psychologie ergiebt nur
Quantitätsunterschiede, welche nicht so gross sind, als sie beim
ersten, flüchtigen Blicke scheinen.
Es geht aber mit der kriminellen Psychologie ebenso, wie mit der
Kriminalanthropologie. Wer nüchtern und objektiv kritisierend daran geht,
wie Verfasser und Baer, auch Dallemagne und andere mehr, der kann zu
keinem anderen Schlüsse kommen. Wie wir heute nicht berechtigt sind,
von einem anatomischen Kriminaltypus zu sprechen, so stehts mit der
Psychologie des Verbrechers nicht anders.
Wenn auch Näcke in der Diskussion, die sich an den Vortrag an-
schloss, vorgeworfen wurde, er sei in seinen Schlüssen zu weit gegangen
und habe speziell den Bauernstand zu ungünstig beurteilt, so ist dem mit
Recht entgegen zu halten, dass nur solche, die sich wie Näcke und Baer
viele Jahrzehnte mit dieser Frage beschäftigt haben und das Volk stets
genau beobachteten, die Geheimnisse der Volksseele belauschten, geeignet
erscheinen, in diesen Dingen mitzureden.
Dr. A. Pafsow-Strasshurg i. E.
61. Enrico Ferri: Les criminels daiis Part et la litt^rature.
Traduit par Eng. Laurent. Paris, F. Alcan. 1897. 180 S.
Der schon durch mehrere Schriften auf dem Gebiete der Kriminal-
Anthropologie, Sociologie und Psychologie rühmlichst bekannte Verfasser
bietet uns in vorliegendem Werke neues und interessantes. Aus mehreren
Vorträgen und sich daran schliessenden Besprechungen ist die vorliegende
Schrift entstanden.
In ihr behandelt Ferri die Verbrecher, wie sie in der Kunst und
Litteratur uns vorgeführt werden. Nach einigen einleitenden Bemerkungen
über den criminellen Typus und die charakteristischen Merkmale der ver-
schiedenen Verbrechergruppen werden die Darstellungen von Verbrechern
aus der bildenden Kunst besprochen, unter anderem die Büsten von Nero
]\() B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
und Caligula und Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, welche in französischen,
helgischen und italienischen Gallerien und Museen sich befinden.
Zur Tragödie und zum Drama übergehend werden die Mörder und Blut-
schänder der alten griechischen Bühne und im Anschluss daran die Shake-
speareschen Gestalten des Hamlet, Othello und der Macbeth, die Räuber von
Schiller, dieMafiamitglieder vonRizzotto und dieCavalleria rusticana betrachtet.
Der zweite Teil der Schrift ist den Romanen und gerichtlichen Dramen
gewidmet. Zeitlich getrennt werden die Werke von Gaboriau und Sardou,
wie auch von Victor Hugo berücksichtigt.
Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich mit Werken von Zola, Bourget,
Coppee und Annunzio und zuletzt mit Ibsen, (Geschwister), Tolstoii
(Kreuzersonate) und Dostoiewsky.
Leider ist es uns nur gestattet, auf die Fülle von Beobachtungen und
objektiven Besprechungen aller dieser Werke hinzuweisen. Ferri bietet uns
aber nicht allein seine eigenen Ansichten und Meinungen, sondern er be-
rücksichtigt auch die schon vorhandene Litteratur dieses Gebietes und
führt auch der Schriftsteller, Künstler u. s. w. Äusserungen an, wie manche i
von ihnen ihre Werke aufgefasst wissen wollten.
Das lesenswerte Buch sei jedenfalls bestens empfohlen, weil es zu i
kritischem Nachdenken anregt. Dr. Adolf Pafsow-Strasshnrg i. E.
2. Ethnologie und Rassenkunde.
a. Allgemeines.
62. N. Charusin: Entwickelungsgeschichte der Behausung
bei den nomadisierenden und halbnomadisiereuden |
türkischen und mongolischen Völkerschaften Russlands. i
(Russ.) Ethnographische Revue. 1896. Nr. 1 und 2. S. 124.
Moskau. 1896.
Auf Grund älterer und jüngerer Reisebeschreibungen giebt der Autor
ein Bild der Behausungsverhältnisse, indem er in höchst interessanter
Weise verschiedene Typen von Unterkunftsräumen hinsichtlich der Ent-
wickelung ihrer äusseren Form und inneren Einrichtung schildert und bei
den einzelnen Teilen den Einfluss der benachbarten Völkerschaften und
der Eigenart der besetzten Landstriche hervorhebt. Die Abbildungen geben
leider nur das Äussere wieder und sind zum Teil undeutlich.
Das Resultat der Untersuchungen lässt sich in folgende Sätze zusammen-
fassen: 1. Die ursprüngliche, kegelförmige Laubhütte (Schalascha), bedeckt
mit Zweigen, Birkenrinde und Fellen jagdbarer Tiere, bildet einen der Aus-
gangspunkte für die Entwickelung der vollständigeren Wohnungstypen. Aus
ihr arbeitet sich nachgerade das Filzzelt (Jurte) heraus, anfangs einfach,
dann durch einige Übergangsformen hindurch, als Gitterjurte (aus Flecht-
werk), die sich anscheinend in den Steppen entwickelt hat. Hier erfuhr
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. \\{
sie die allergrösste Verbreitung bei der „einenden'' Bedeutung der Steppe
im Gegensatz zu waldigen und bergigen Gegenden. ,,Die Steppe kennt
keine Grenzen, sie kennt keine strenge Absonderung des Landes nach An-
teilen, sie ist selbst an und für sich ein einendes Element, das alle ihre
Bewohner zwingt, sieh mehr oder weniger als Glieder einer Familie zu be-
trachten." Dem ist es zuzuschreiben, dass auf dem ganzen ungeheuren
Gebiet nur zwei Typen der Gitterjurte vorkommen.
Diese, die den höchstentwickelten Typus für transportable Hütten vor-
stellt, dient auch beim Übergang der Völkerschaft zur festen Siedelung als
Muster für den Aufbau bleibender Wohnstätten, indem sie ihre Form
wiederholen. Diese selbst werden aus Erde, Flechtwerk, endlich Balken
oder Steinen aufgebaut und führen zu dem Typus vieleckiger Stein- oder
Balkenbauten (bei den Kirgisen, Kalmücken (Astrachan), Buriäten und den
Türken des Altai). — Die kegelförmige Hütte führt auch auf anderem
Wege zum Holzhause: der Ersatz der Stangen, welche das Gerippe bilden,
durch Bretter führt zu dem Typus der viereckigen Hütte, aus der sich all-
mählich trapezförmige Hütten und ebensolche Bauten aus Flechtwerk ent-
wickeln, die bei dem Ersatz durch festeres Material in die Balkenhäuser
übergehen (bei den Jakuten, Türken des Altai und Kalmücken von
Astrachan).
2. Zu den Balkenhäusern (Srub) führen auch die Erdhütten: die
ursprüngliche unterirdische Erdhütte erhebt sich entweder allmählich über die
Oberfläche des Bodens, indem sie in ihren oberen Teilen ein Lehm- oder
Balkenhaus bildet; oder die oberirdische wird anfangs zur grösseren Festig-
keit der Wände mit Holz bedeckt und verwandelt sich in der Folge in
ein Balkenhaus. 3. Das uranfängliche Balkenhaus giebt den weiteren
Anstoss zur Entwickelung der ,,isba" (Russisches Bauernhaus) in gleicher
Weise wie die oberirdische Erdhütte: in den einfachsten Typen giebt es
keine Fenster, sie werden durch das Rauchloch ersetzt; in der Folge erscheint
ein Fenster in der Wand und wird anfänglich mit Eis, dem Bauchfell von
Tieren oder ähnlichem bedeckt; der Herd befindet sich wie bei der Laub-
hütte in der Mitte. Nachgerade wird der Herd zum Kamin (Tschuwal),
der dann in eine Ecke des Raumes übersiedelt. Gleichzeitig damit ent-
wickelt sich auch der Ofen, wobei dieser entweder nach der Form eines
kleinen Kamins oder mit einem eingemauerten Kessel aufgebaut wird.
Andere Formen des Ofens sind entlehnt; die Gewohnheit, die Nahrung in
einem über dem Herd aufgehängten Kessel zu bereiten, führt entweder zu
der Vereinigung des entlehnten Ofentypus mit dem mit eingemauerten
Kessel (Kirgisen, Baschkiren) oder mit dem Herd. In der inneren Aus-
stattung wiederholen diese Wohnungstypen im allgemeinen die der Laub-
hütte. Die Entwickelung der Balkenhäuser und der oberirdischen Erd-
hütten führt in ihrer Erweiterung durch Anbau zu dem Grundtypus — der
Vorhäuser, Flure, anfangs aus Flechtwerk oder Balken (Kirgisen, Basch-
l\^ U. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
kiren.) Der erdige Fussboden wird allmählich durch einen hölzernen ersetzt,
und das flache Dach durch ein abschüssiges. 4. Entsprechend der Ver-
vollkommnung des Wohngebäudes erscheinen auch Wirtschaftsgebäude: es
entwickelt sich der Begriff des Hofes, der sich aus einem einfachen Gehege
für das Vieh und der Errichtung von abgesonderten Jurten für die er-
wachsenen Familienmitglieder, in eine mehr oder weniger weitläufige An-
lage verwandelt, wobei in Gegenden, w^o die Viehzucht die Hauptrolle
spielt, die Viehhöfe bedeckt gebaut und mit dem Wohnraum unter einem
Dach vereinigt werden (Kirgisen, Jakuten), und umgekehrt da, wo die
Viehzucht nicht die ausschliessliche Quelle des Wohlstandes ist, oder wo
die Örtlichkeit es erlaubt, die Wirtschaftsgebäude auf dem Hofe zerstreut
werden (Baschkiren und Kirgisen in den Walddistrikten). 5. Feste
Wohnungen erscheinen bei dem Übergang einer Völkerschaft vom nomadi-
sierenden zum halbnomadisierenden Leben ; eben dann entwickelt sich auch
der Aufbau eines Hofes. Der Übergang zur Halbansiedelung begann früher
in den Walddistrikten, wobei an einzelnen Orten (Altai) die Ansiedelung
dem Erscheinen der höchsten Wohnungstypen sogar voraufging. In den
Steppen begann die Halbansiedelung anscheinend bei Völkerschaften, die
im Westen wohnten, und wird nach Osten weniger intensiv, indem sie nur
die Peripherie beherrscht. 6. Bei dem Übergang zur Halbansiedelung
und dem Ersatz der primitiven Behausung durch entwickeltere Typen ver-
schwinden die alten Formen nicht: sie dienen Wirtschaftsbedürfnissen und
werden in einer Reihe mit den komplizierteren Wohnhäusern erbaut. Da
sie sich auf einem und demselben Hofe befinden, ergiebt sich die Mög-
lichkeit, die Entwickelungsgeschichte der Behausung in ihren Haupt-
momenten zu verfolgen.
So steht neben der cultivierten Erdhütte des reichen Kirgisen die als
Arbeiterwohnung oder Stall verwandte ursprüngliche Erdhütte, halb in den
Boden versenkt, ohne Fenster und mit dem ursprünglichen Herd; in einer
Reihe mit ihr der „Kosch" (Kegelzelt aus Stangen mit Filz bedeckt) für
Gäste und Arbeiter, und ebendort die Tschudschela (Jurte aus Erde und
Rasen). Bei dem Baschkiren begegnet man neben dem hölzernen Bauern-
haus auch der ursprünglichen runden Laubhütte, jetzt Küche, sowie der
Erdhütte, jetzt Backofen, dem niedrigen Balkenhaus mit kleinem Kamin,
jetzt Bad, und dem Balkenhaus mit Schindeldach, w^o die Familie zuweilen
im Sommer wohnt. Auf demselben Hofe endlich schlägt der Baschkire,
wenn er nicht irgendwo nomadisiert, seine filzgedeckte Flechtwerk-Jurte
auf, um während der warmen Jahreszeit darin zu wohnen.
Der Raum erlaubt es nicht, die höchst interessanten Detailschilderungen
des Aufbaues und der inneren Einrichtung zn wiederholen. Charakteristisch
ist auch hier die Hartnäckigkeit, mit welcher der Mensch auch in un-
wesentlichen Dingen an der Überlieferung und Gewohnheit festhält. Noch
heute smd übrigens in Mecklenburg die Schlafkarren für die Schäfer genau
B. Referate. 2. Etlinolo<]^ie und Ptassenkunde. 113
I so, wie bei den Tartaren im 18. Jahiliundert, der Backofen ist lieute noch
in Norddeutschland auf dem Lande oft nichts als eine aus Lehm und Fade
erbaute Semlianka der Tartaren. Während bei den Nomaden, deren Be-
liausung sich aus der kegelförmigen Hütte entwickelt hat, das Rauchloch
imd dann der Schornstein sich bis in späte Zeiten der Entwickelung in
der Mitte des Daches erhalten hat, steht er auf unseren niedersächsischen,
jetzt zum Teil schön gezierten Bauernhäusern noch auf dem äussersten
Ende des Giebels, dem Eingang gegenüber. Man möchte daraus schliessen,
dass bei unseren Vorfahren die ursprüngliche Hütte schon dachförmig an-
gelegt wurde.
Die Arbeit des Verfassers ist jedenfalls äusserst dankenswert, und wäre
zu wünschen, dass er seine Untersuchungen auch auf Nahrung und Kleidung
ausdehnte. Divisionsarzt Dr. Timann- Stettin.
63. J. Kohler: Zur Urgeschichte der Ehe. Totemismus,
Gruppenehe, Mutterrecht. Stuttgart, F. Enke. 1897. 167 S.
Im Gegensatze zu den Ansichten Westermarcks, Muckes, Sarasins u. A.,
welche den monogamischen Ursprung für die Familien Organisation des
Menschen verfechten, vertritt Verf. die Hypothese, dass das Genus Homo
mit der Promiscuitäts- oder Gruppenehe, d. h. mit dem sexuellen Com-
munismus in der Urzeit begonnen habe. Wenn statt des Individuums
Gruppen untereinander heiraten, und so der Mann mit dem Weib, dessen
Schwester, Nichte und Tante eine Familie bildet, so muss es sich von
selbst ergeben, dass der Cousin bald Bruder, bald Neffe, bald Onkel, bald
Sohn ist. Die Wahrscheinlichkeit der Annahme gruppenehelicher Verhält-
nisse in der Urzeit versucht Verf. an der Hand der Thatsache zu stützen,
dass es bei einer Reihe wilder Völker noch heutzutage Gruppenehen gebe
insbesondere durch eingehendes Studium der einschlägigen Morganschen-
Tafeln der Rothäute. Die Totems, in welche die einzelnen Indianer-
stämme zerfallen, glauben an die Abstammung von eir-cm für sie als
heilig geltenden Tiere; den einzelnen Eigenschaften, und Thätigkeiten
desselben entlehnen sie ihre Personalnamen, und der Tote verwandelt
sich wieder in das Stammtier. In dem Totemglauben, welchem noch
bis heute der grösste Teil der Indianer Nordamerikas huldigt, er-
blickt Verf. einen der lebensvollsten religiösen Triebe, in welchem zu-
gleich der Keim für die zukünftige Familien- und Staatenbildung zu suchen
sei; aus dem Totemismus, der auf Blutsverband beruht, entwickelt sich
die Familie und der Geschlechterstaat, Da kein Tier in sich selbst hinein-
heiraten kann, so ist der Totem notwendig exogam. Auch bei den Austral-
negern fmden sich ähnliche Einrichtungen, doch ist hier die totemistische
Exogamie in die Stammesexogamie übergegangen. Obgleich zwar aus diesen
Thatsachen ungemein komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse resultieren, so
besitzen die Wilden, ungeachtet ihrer sonstigen Spracharmut, einen grossen
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 8
j 1^^ B. Referate. ± Ethnologie und Rassenkunde.
Reichtum von speziellen Benennungen, mit welchen sie die einzelnen Ver-
wandtschaftsstufen ebenso streng als logisch bezeichnen. Trotz dieser Kom-
pliziertheit wird jedoch die Ehe in dem Verhältnisse wie parens und
Kind in der Regel stets peinlichst gemieden. Darum kann die Geschichte
der Gruppenehe als eine Geschichte der Einschränkung der Heirat von
Totem zu Totem bezeichnet werden.
Da der Totem ursprünglich entweder mutterrechtlich oder vater-
rechtlich sein musste, so erfolgte die Benennung entweder nach dem
Vater oder nach der Mutter; aus der viel natürlicheren und näher liegen-
den Mutterbenennung ergeben sich von selbst die Gründe des Mutterrechts.
Stämme, welche ungenügende Existenzmittel auseinandersprengten, wenden
sich vom ursprünglichen Mutterrecht zum Vaterrecht.
Die Gruppenehe-Verwandtschaft tritt in dreierlei Form auf: die erste
Form (bei den Australnegern und Dravidas) besteht in der Vermischung
gleicher Generationen, also der Brüder einerseits mit den Schwestern
andererseits. Die Rothäute haben hingegen zwei Modifikationen, und zwar
bei einigen verbindet sich der Mann zugleich mit der Tante und Nichte
seiner Frau (Omahaform), bei anderen die Frau zugleich mit dem Onkel
und Neffen ihres Mannes (Choktaform). Diese beiden Systeme unter-
scheiden sich eben dadurch, dass bei den Choktas das Mutterrecht, bei
den Omahas das Vaterrecht als Grundlage dient. Der Totemismus führt
direkt zur Gruppenehe ; beim Untergang der Totemverfassung und ihrem
Aufgehen in die Stammverfassung teilt sich der Stamm in Generations-
stufen, wovon die ältere in die ältere, die jüngere in die jüngere hinein-
heiratet. Nachdem Verf. schliesslich nachzuweisen sucht, dass der Frauen-
Kommunismus dem einstmaligen Sachenkommunismus entspricht, dass sich
ferner bei verschiedenen, in keinerlei näheren Beziehung zu einander
stehenden Völkern in übereinstimmender Weise — nur mit individuellen,
Abweichungen — dieselben Familienverhältnisse entwickelt haben, gelangt!
er zu der Schlussfolgerung, dass die Gruppenehe als ursprünglich für die
Völker der Erde angenommen werden müsse.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
64. P. Penta: Sulla origine e sulla evoluzione della dauza
e della musica. Napoli 1897. 32 Seiten.
Die ersten Anfänge des Tanzes und der Musik, welche in der mimi-
schen und Vokalsprache ihre Grundlage haben, reichen bis in die Tierwelt
zurück und sind als eine der ersten Entwickelungsstufen der menschlichen
artikulierten Sprache nicht nur allen Wirbeltieren, sondern auch vielen
Wirbellosen gemeinschaftlich. Sowie das Spiel im Allgemeinen den Aus-
druck eines primitiven, in erblicher Veranlagung wurzelnden Instinktes
darstellt, so ist der Tanz in gleicher Weise, wie bei vielen Tieren, z. P.
Tetrao, Clamidera etc. nur ein survival von einer Reihe von Mitteln ge-
B. Referate. 2. Etlinologie und Hassenkunde. 115
schlechtlicher Anziehung. Erst in der höheren Stufe entwickelt es sich
zum Kriegs- oder Jagdtanze der wilden Völker, wobei der Versuch einer
pantomimischen Rückerinnerung die Hauptrolle spielt. Nach Penta finden
sich auch die musikalischen Anlagen bereits in der Tierwelt vor, aller-
dings nur bei den Männchen, w^elche sie als Lockmittel für die Weibchen
anwenden. Denselben Zweck der Musik glaubt Penta auch für den
Menschen in einer Zeitperiode annehmen zu müssen, in welcher der
letztere noch nicht im Besitze einer artikulierten Sprache war. Erst später
entwickelte sich die ursprüngliche Vokalmusik des Menschen zur Instru-
mentalmusik, welche letztere übrigens auch in der Tierwelt ihre Äqui-
valente besitzt. Als das erste Instrument nimmt Penta die Trommel an;
hir folgte die Metallplatte; nach dieser entwickelte sich die Blas- und
Streichinstrumente. Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
h. Spezielle Ethnographie.
65. William Z. Ripley: The racial geograpliy of Europe,
a SOCiological study. Populär Science Monthly. 1897.
Februar bis September, Bd. L, S. 454, 577, 757; LI, S. 17, 192,
289, 433, 613, 721; LH, S. 49, 145, 303 u. 591.
Unter diesem Titel erscheint in den genannten Monatsheften seit
Februar d. J. eine Arbeit des Sozial- Anthropologen Ripley am technischen
Institut in Boston, Mass., die ein steigendes Interesse hervorruft. Der
Verfasser hat alle Angaben über Körpergrösse, Kopf-Index, Augen-, Haar-
und Hautfarben aus der zerstreuten Litteratur mit grossem Fleisse zu-
sammengetragen und den ersten Versuch gemacht, eine Übersichts-
karte der Rassenverteilung in Europa auszuarbeiten. Da er überall die
Quellen angiebt, aus denen er geschöpft hat, sind seine Angaben zu kon-
trollieren; nebenbei bemerkt, wir können es nicht ganz ohne ein
Gefühl des Neides erwähnen, in welcher Vollständigkeit einem ameri-
kanischen Gelehrten die anthropologische Litteratur beider Halbkugeln
der Erde zur Verfügung steht, während dieser Zweig in unseren Biblio-
theken immer noch ein Stiefkind ist und wahrscheinlich eine solche
Sammlung, wie sie in Boston besteht, in Europa vergeblich gesucht werden
würde. Die Aufgabe, die sich Ripley gestellt hat, hätte eigentlich durch einen
europäischen Gelehrten vollbracht werden sollen, aber der erwähnte
Umstand lässt uns nicht bedauern, dass gerade er die Lösung unter-
nommen hat. Seine Ergebnisse sind durch die Landkarten übersichtlich
dargestellt. Auf der Karte von Europa unterscheiden sich deutlich die
langköpfigen, aber kleinen und dunkelhaarigen Leute der mittelländischen
Rasse von den langköpfigen, aber grossen und blauäugigen, blonden Nord-
europäern, die in Skandinavien und England ihren Verbreitungsherd haben.
Mitten zwischen die beiden Rassen schiebt sich von Osten, über
die Alpen in ihrer Längsrichtung sich ausdehnend und an den Pyrenäen
^ j /- ß. Keferate. ''1. Etlinologie und Rassenkunde. ,
endio-end, ein Keil der Rundköpfe herein. Deutschland ist geteilt: ,
der Süden mehr rundköpfig, der Norden, von dem übrigens nur wenige ,
Beobachtungen vorliegen, zur Langköpfigkeit neigend. Die Gestaltung des
Verbreitungsgebietes der Rundköpfe hat Ripley noch v^^eiter aufgehellt durch
eine in kleinerem Maassstab ausgeführte Weltkarte in planimetrischer
Projektion. Auf dieser erkennt man, wie die europäischen Rundköpfe mit
den asiatischen zusammenhängen. Schon im europäischen Russland
nimmt die Breite des Keiles zu und erstreckt sich bis an die Nordküste.
Gegen Osten zu wird der Index in Asien immer höher, um in Central-
asien sein Maximum zu erreichen; dann nimmt er gegen die Küste des
Grossen Ozeans wieder etwas ab. Arabien und Vorderindien sind die
einzigen langköpfigen Gebiete in Asien, das erstere wegen der Araber, das
letztere wegen der Hindus. Die eingehende Darstellung Ripley's ist unter-
stützt durch eine grosse Anzahl von Photographieen, Brustbilder der
wichtigsten Typen aller Länder von Europa, im gleichen Maasstaab von
vorn und von der Seite aufgenommen; schon die Zusammenbringung
dieser Aufnahmen nach der Natur muss keine kleine Arbeit und Geduld
erfordert haben. Die ,,Racial Geography'' Ripley's wird allen Anthro-
pologen angelegentlichst zur Beachtung empfohlen. Es wäre sehr zu
wünschen, dass sie in einem zusammenhängenden Bande erschiene; eine
deutsche Übersetzung würde dann wohl nicht lange auf sich warten lassen.
Oüo Ämmon- Karlsruhe.
66. A. Weisbach: Altbosnische Schädel. Mitteil. d. anthrop.
Gesellsch. in Wien. 1897. Bd. XXVII, S. 80—85.
Die 14 von Weisbach untersuchten Schädel aus alten bosnisch-
herzegowinischen Gräbern (Visegrad, Hatinici, Stolac, Gacko, Dobrunje)
zeigen einen zwischen 78,2 — 88,5 schwankenden Schädelindex und sind
— mit Ausnahme von drei mesocephalen — durchweg brachycephal ; sie
besitzen ein mehr niedriges und breites Gesicht (Gesichts-Index 80,8 bis
92,1). Sie entstammen teils mohammedanischen, teils katholischen, teils
Bogumilengräbern und entsprechen in ihrer äusseren Bauart vollkommen
dem Schädeltypus der heutigen südslavischen Bevölkerung. Im Gegen-
satze zu ihnen stehen jene aus den prähistorischen Gräbern von Glasinac,
welche nach Weisbach (Prehistoricke lubranje sa Glasinca. Glasnik VII, 1895)
mehr der Dolichocephalie angehören.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
67. 0. Radic: Osuoya za sabiranje. (Anleitung zur Sammlung
und Bearbeitung des Materials über das Volksleben.) Agram.
1897.
Radic teilt das Material für die kroatische Folklore in drei Haupt-
abschnitte und zwar: I. Die natürliche Umgebung des Menschen, seine
ß. Refeiale. -1. Ethnologie und Rassenkunde. il7
iiatürliclie Leibesbeschaffenlieit und Sprache. II. Lebensbedürfnisse und
zwar: 1. leibliche Bedürfnisse (Dorf, Haus, Nahrung, Kleidung, Arzneien elc),
:2. Arbeit: Werkzeuge und Beschäftigung (Jagd, Viehzucht, Agrikultur).
III. Der dritte Abschnitt umfasst die geistige Kultur des Volkes und be-
handelt in drei Abteilungen das Volksherz, die Volksseele und den Volks-
verstand. Unter „Volksherz" werden die Lebensweise (in der Familie, Za-
druga, Gemeinde etc.), das Recht (privates und öffentliches), die Gebräuche
(tägliche, jährliche etc.), sowie die Unterhaltung subsummiert.
Der Abschnitt „Volksseele" befasst sich mit der Volkspoesie und dem
Aberglauben, der ,, Volksverstand" schliesslich mit den Betrachtungen des
Volkes über die Aussenwelt. Leider vermissen wir ein bei Büchern dieser
Art unbedingt nötiges Wort- und Sachregister.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjma.
68. J. Majciger: Kamica-Cjams. (Slowenisch.) Letopis slovenske
matice. (Jahrbuch der Slovenska Matica.) Laibach, 1896, S. 47 — 57.
Verf. sucht den Nachweis zu führen, dass die deutsche Benennung
,,Gams" des Ortes Kamica bei Marburg aus dem slowenischen Worte Ka-
menice (Steinbruch) entstanden sei. Als Belege führt er alte Handschriften,
lokale Verhältnisse, ferner die Angabe einiger deutschen Philologen an,
dass das Wort ,, Garns'* (Gemse, Steingaiss, camozza) weder in den ger-
manischen, noch in den romanischen Sprachen eine Wurzel besitze. Aus
dem Umstände, dass es in Mittel- und Obersteiermark viel Orte, Berge etc.
mit ähnlichen Namen gebe, hält er den Schluss für gestattet, dass es hier
einmal eine slowenische Urbevölkerung gegeben haben müsse.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Jmijina.
69. A. Lef^vre: Mythologie des Slaves et des Pinnois.
Revue mens, de l'Ecole d'anthrop. de Paris. 1897. Bd. VII,
S. 225.
Von einer etwa allen Slaven gemeinschaftlichen Mythologie kann
wohl kaum die Rede sein, da sich die einzelnen slavischen Völkerschaften
frühzeitig voneinander trennten und selbständig entwickelten; auch
existierten bisher keine Dokumente aus jener Zeit der Urslaven. Darum
I lässt sich ein einheitliches Bild nur annähernd durch vergleichende Arbeit
I der einschlägigen Wissenschaftszweige kombinieren. Nur soviel steht nach
I Lefevre bis heute fest, dass die mythologischen Vorstellungen der alten
j Slaven im Allgemeinen auf der Verehrung der Naturphänomene beruht
I haben mögen. Lefevre unterwirft sowohl die monotheistische Auffassung
(nach welcher es ein höchstes, allen Slaven gemeinsames Wesen, Bog,
gegeben haben sollte), als auch den Dualismus der bisherigen Slavisten
I (zwei Weltprincipe : Cernobog und Beibog) einer eingehenden Kritik und
j stellt sich in Gegensatz zu Leger, indem er davor warnt, die Idee des
llg ß. Heferate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. I
höchstens Wesens und des moralischen Dualismus als spätere Bildungett
des slavischen Pantheons mit der Religion der einzelnen Slavenstämme
untereinander zu werfen. Der slavische Animismus giebt sich unzwei-
deutig fast in allen bisher bekannten slavischen Volksliedern kund, aus
denen die Umrisse einer slavischen Mythologie erst mühsam konstruiert
werden müssen, da es ein direktes altes Sprachdenkmal, wie etwa die
Edda der Germanen, nicht giebt, und die spärlichen alten Urkunden den
Gegenstand nur vorübergehend berühren.
Den obersten Gott Perun der Russen vergleicht Lefevre mit dem
litauischen Perkunas, mit der skandinavischen Fiörgyn, ferner mit Er-
cunnienne (Kelt.) und Pardjanya (Vedas); mit dem Eintritt des Christen-
tums wurde er durch den heihgen Elias ersetzt. Den Feld- und Schäfer-
gott Veles bringt er mit dem Mithra der Perser und dem heiligen Blasius
in Connex, in ähnlicher Weise den Erntegott Kupalo mit dem heiligen
Johannes. Von der uns besser bekannten baltischen Mythologie ist die
Existenz einer ehemals weitverzweigten priesterlichen Hierarchie, sowie
einiger grossartiger Tempel nachgewiesen. Auf der Insel Rügen bestand
ein Hauptanbetungsort des auch in Böhmen und Mähren verehrten Gottes
Svantovit; ausserdem w^urden die Götter Triglav, Radigast, Porevit, Ru-
gevit angebetet. Diesen Hauptgottheiten stand eine Unzahl sowohl guter
als böser Götter und Geister zur Seite, deren Genesis der Verschieden-
artigkeit die äusseren Naturerscheinungen entspricht. Auf diese Weise
entstanden die Vilen, Rusalken, Poladnice, Rojenice, Dzyadi, Biesy, Tras,
Strygas etc. Aus dem slavischen Upir scheinen die ,,Vampyre'' ent-
standen zu sein. m
Bei der Besprechung des Einflusses, welchen die Christianisierung
auf die Slaven ausübte, konstatiert Lefevre den hierdurch erlangten, aller-
dings unleugbaren Kulturfortschritt im allgemeinen, hebt jedoch zugleich
hervor, dass sie ihn mitunter sehr teuer, manche Stämme (z. B. die balti-
schen) sogar mit dem Untergange ihrer nationalen Existenz bezahlen
mussten.
Für die Mythologie der Finnen ist als Hauptquelle ihr altes von
Dr. Lönnrot gesammeltes Volksepos Kalevala zu betrachten, dessen Inhalt
vollständig wiedergegeben und analysiert wird ; bezüglich des Wertes dieses
Poems stellt es Lefevre an die Seite der mittelalterlichen französischen
und germanischen Dichtungen.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
70. R. Weinberg: Das Gehirn der Letten, vergleichend ana-
tomisch bearbeitet. Mit einem Vorwort von Prof. A. Rauber.
Text 206 Seiten. Dazu ein Atlas von 20 Tafeln in Lichtdruck und
Lithographie. Cassel. Verlag von Th. H. Fischer u. Co. 1896.
B. Referate. 2, Elhnologie und Uassenkuiide. j^|9
Von dem Wunsche ausgehend, es möge die bisher in etwas ein-
seitiger Weise auf die Skelettteile beschränkte anthropologische Forschung
durch die Ausdehnung der Untersuchung auf die Weichteile vertieft
werden, wird man jeden Beitrag in dieser Richtung auf das Freudigste
begrüssen müssen, zumal wenn es sich, wie in der vorliegenden Arbeit
der Fall ist, um den Versuch handelt, die noch ganz in Anfängen be-
findliche Rassen- Anatomie des Gehirns zu fördern.
In der uns vorliegenden, aus dem anatomischen Institut der Uni-
versität D 0 rp a t hervorgegangenen Arbeit hat sich der Verf. der sehr
dankenswerten Mühe unterzogen, das Gehirn des Lettenvolkes an 25
wohl konservierten Exemplaren nach demselben Plane zu untersuchen, wie
er früher in seiner Doktor - Dissertation dasjenige der Esthen auf die
Furchen und Windungen geprüft hatte.
Die Ausstattung des Werkes ist eine vorzügliche. Die Lichtdruck-
bilder der Gehirne auf den 5 ersten Tafeln gehören zu den schönsten,
die wir in der Litteratur besitzen, und die zahlreichen Typen-Zeichnungen
der 15 weiteren Tafeln liefern ein vortreffliches und der Nachahmung
würdiges Mittel zum Verständnis des Textes.
Ob die grosse vom Verf. aufgewandte Mühe wirklich eine entsprechende
Belohnung in den Resultaten findet, muss schon von vornherein jedem sehr
zweifelhaft erscheinen, der mit den Schwierigkeiten solcher Untersuchungen
vertraut ist. Wie gering ist doch die Bürgschaft dafür, dass bei einer
so geringen Zahl von Objekten wirklich reine Rassengehirne vorliegen.
Die sehr lebendige Schilderung der Schicksale des z. Z. sehr vom Un-
glück verfolgten Lettenvolkes illustriert am Besten die zahlreichen Mög-
lichkeiten einer Vermischung der alten Bestandteile derselben mit Eroberern
und fremden Kulturträgern.
Der Stoff ist geghedert in den Hauptteil und einen Anhang, welcher
die genaue descriptive Beschreibung jedes einzelnen Gehirnes giebt.
Wir verfolgen hier nur die Abschnitte des Hauptteils.
Im I. giebt Verf. die Resultate über Grösse und Gewicht des Letten-
gehirnes wieder unter Beifügung ausführlicher Tabellen. Die Gewichte
schwanken von etwas über 1000 g bis über 1500 g, also in denselben
Grenzen, wie dies für andere Völkerschaften festgestellt ist. Von den
weiblichen nähern sich nur zwei der Zahl 1250, während das Mittel
aus den 10 männlichen Lettenhirnen 1403 g beträgt, also ein relativ sehr
beträchtliches Maass.
Dem II. Teil schickt der Verf. eine 15 Seiten lange, für den nicht
anatomisch gebildeten Leser bestimmte Anleitung zur Orientierung über
die Furchen und Windungen des Grosshirns im allgemeinen voraus. Seine
eigenen Befunde teilt er unter A bis E nach den einzelnen Hirnregionen
mit. Ich gebe hiermit einen Auszug des Wichtigsten:
120 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
A. In der Länge der beiderseitigen Syl vi' sehen Furchen treten
bedeutend grössere Differenzen auf, als am Esthenhirn, In der Teilung
des Ramu? anterior der Fossa Sylvii, wie sie u. a. von Eberstaller
am Stciermärker-, und von Giacomini am Italiergehirn beschrieben worden
ist, erblickt der Verf. eine höhere Stufe der Differenzierung, welche von
den Letten häufiger erreicht wird, als von den andern Völkerschaften.
Der Bau der Insula Reilii entspricht ziemlich genau der Beschreibung,
wie sie u. a. G uldberg und Eberstaller gegeben haben; jedenfalls ist sie
bezüglich ihres Oberflächenreliefs nicht einfacher gestaltet, als bei anderen
Nationen.
B. Bezüglich des Verhaltens der Rolandi'schen Furche ist nichts
Besonderes hervorzuheben; hingegen dürfte in der Formenentwickelung des
oberen Teiles der vorderen Centralwindung etwas recht charak-
teristisches zu erblicken sein. ,,Es handelt sich um eine Formeigentüm-
lichkeit dieser Gegend, welche dadurch herbeigerufen wird, dass die obere
Praecentralfurche abwärts sehr stark nach hinten verdrängt erscheint und
dabei in die Rolandi'sche Furche, manchmal ziemlich tief, meist aber nur
die vordere Uferwand derselben einkerbend, ausläuft." — Unter 50 Hemi-
sphären fand sich 37 Mal ein Typus ausgeprägt, der der betreffenden
Hirnregion ein sehr auffallendes Verhalten verleiht: Ein direkter Zusammen-
hang zwischen Centralis, Praecentralis inferior, superior, ja
sogar Frontalis secunda, wobei noch dazu die Praecentralis in f.
in die Sylvi'sche Furche auslaufen kann. Einen exquisiten Fall dieser Art
hat Verf. auf Taf. XII, Fig. 108 wiedergegeben. — Die Vereinigung der
Praecentralis in f. mit der Fossa Sylvii ist von vergleichend anatomi-
schem Interesse. An deutschen Hirnen findet sie sich nur ausnahmsweise
(Ecker), bei Slaven (Sernoff) manchmal und bei Italienern soll sie nach
Giacomini die Regel darstellen. Einen ,, durchlaufenden" Sulcus prae-
centralis, wie ihn Waldeyer vom Hirn der Ostafrikaner beschrieben
hat, fand Verf. nur einmal. Dieser Zustand konnte vielleicht ein Merkmal
niederer Hirnbildung sein. — Im Bereich des Frontalhirns bieten sich
ziemhch komplizierte Verhältnisse dar, doch ist nur wenig als für den
Lettentypus charakteristisch anzuführen. Höchstens könnte in dieser Hin-
sicht eine in ganzer Länge sich findende Zweiteilung der mittleren Stirn-
windung erwähnt werden.
C. Die Retrocentralfurche bietet einige ziemlich konstante Eigen-
tümlichkeiten dar. Ihr oberer Teil ist stets ausgeprägt, manchmal
vom unteren getrennt. Ein Fehlen desselben, wie es Giacomini und
Sernoff an Italienern und Slaven beobachtet haben, wurde nie be-
obachtet. In dreiviertel aller Fälle war die Retrocentralfurche oben
gegabelt, das Ende des Sulcus callosomarginalis umfassend. —
Von grösserer Bedeutung dürfte ein am Occipital läppen auf-
tretendes Relief sein, eine Nebenfurche (sulcus occipitalis margi-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkun(Je. 121
nalis obliquiis nennt sie der Verf.), welche auf der Mantelkante oder
in geringer Entfernung davon dicht hinter dem Einschnitt der Parieto-
occipitalis beginnt und schräg nach hinten und aussen verläuft. Verf.
fand sie mit absoluter Konstanz bei seinen Objekten, vermisste sie hin-
gegen bei den Esthen. Ob es sich hierbei ,,um ein rassenhaftes Gebilde
handelt", wird zu prüfen sein. In der Litteratur hat die Furche wenig
Beachtung gefunden; auf einer Figur Giacominis ist sie dargestellt. —
In der Oberflächen - Beschaffenheit des Schläfenlappens sind keinerlei
auffallendere Abweichungen vom Hirnplan anderer europäischer Rassen
nachzuweisen. Eigentümlicherweise unterscheidet sich die linke obere
Schläfenfurche durch überaus häufiges Vorkommen von Unterbrechungen
und Komplikationen von der rechtsseitigen, eine vermutlich mit dem
Sprachcentrum zusammenhängende Besonderheit.
D. Von den basalen Teilen der Hirnoberfläche ist besonders inter-
essant der überaus häufige (Hälfte der Fälle) Zusammenhang der dritten
Temporalfurche mit der Occipitotemporalis, ein bei Sernoff's
Objekten sehr seltener Fall. An der Hinterhaupt-Lappenspitze sind die
typischen Zustände des Lobulus lingualis und fusiformis sehr
selten. In der Mehrzahl der Fälle findet sich hinter dem häufig T-förmigen
Ende der Occipitotemporalis noch ein oder zwei quere Furchen-
elemente. — Die Orbitalfurchen bieten die Broca'sche Konfiguration
niemals in reiner Ausbildung; meist sind 3 bis 4 longitudinale Furchen-
elemente vorhanden.
E. Das verschiedene Verhalten der Callosomarginalis auf beiden
Seiten dürfte zu weiteren Forschungen anregen. Rechts ist dieselbe meist
einheitlich, links aufgelöst. Der Ramus ascendens bietet bei den vor-
liegenden Objekten grössere Variabilität dar, als im allgemeinen für diesen
Teil angenommen wird. Eine interessante Varietät der Parieto-Occi-
pitalis besteht darin, dass sie vollständig in die Fissura calcarina aus-
läuft (12 mal, 3 mal beiderseits, 4 mal rechts, 2 mal links). Unter
50 Fällen bog 13 mal die Calcarina unmittelbar vor dem Occipitalpol
hakenförmig abwärts zur Basalfläche ohne Gabelung. Auch sonst zeigt
die Gegend des Gyrus cunei mannigfache Abweichungen, sowie der
Tiefenbau der Fissura calcarina manches Interessante bietet.
F. Über die Furchen tiefe am Lettengehirne giebt Verf. eine
Zahlentabelle. Er findet ähnUche Resultate wie Pansch und konstatiert
keine wesentlichen Unterschiede von den Esthenhirnen, wie überhaupt die
Furchentiefe bisher wenig Anhaltspunkte zur Vergleichung gewinnen lässt.
Im III. Teil fasst der Verf. in 9 Rubriken seine „Ergebnisse" zu-
sammen. Im allgemeinen konstatiert er die Übereinstimmung mit den bis-
her bekannt gewordenen Befunden an Europäergehirnen und betont, dass
das Lettenhirn in keiner Hinsicht (auch bezüglich des Hirngewichts, der
jc)^ 13. llel'eiate. "2. Ethnologie und Rassenkunde.
Furchentiefe) zurücksteht, in manchen Punkten sogar hervorragend Varia-
bilität zeigt.
Als thatsächlich rassenhaft möchte er betrachten: die Verhältnisse
der Piaecentralfurche, der unteren Schläfenscheitelregion, der Central-
windung, der Fissura calcarina und des Occipitallappens.
Er hält es selbst für möglich, dass auch diese Charaktere sich später
als nicht ,,rassenhaftig" herausstellen werden.
Dieses Resultat, dessen Missverhältnis zur aufgewandten Mühe uns
etwas deprimierend erscheint, giebt im Gegenteil dem Verf. Anlass zu einer
».gewissen inneren Genugthuung." Ist es doch, wie er meint, geeignet,
der Hypothese von der organisatorischen Einheitlichkeit der Menschen-
rassen eine wichtige und oft genug ersehnte Stütze zu verleihen. Er
schliesst seine Arbeit mit den Worten des ,,grössten Naturforschers" Ru-
dolf Virchow, in welchem derselbe nicht gerade sehr sachHch von
, .traditionellen" und ,, sentimentalen Gedanken" geleitet, sich für den Ge-
danken der Einheit des Menschengeschlechts begeistert.
Mir scheint die Sache einer ganz anderen Auffassung zugängHch.
Wie ich am Anfang ausgeführt, war die relative Resultatlosigkeit einer solchen
Untersuchung a priori zu erwarten. Die Vermischung der europäischen
Völker untereinander lässt schwerlich noch Reste ursprünglicher Rassen
in dem Hirnrelief erkennen. Daraus aber zu schliessen, dass solche nicht
existiert haben, ist eine ganz andere Sache. Den Worten Sernoff's, die
Weinberg zitiert, stimme ich darin bei. Weitere Untersuchungen werden
zu lehren haben, ob nicht die Gehirne von Nationen, bei denen Inzucht
eine grössere Rolle gespielt hat, viel schärfer ausgesprochene Rassen-
charaktere aufweisen w^erden. In dieser Hinsicht halte ich schon die in
Aussicht gestellte Bearbeitung des Juden -Gehirnes *für ein Feld, auf
welchem der erprobte Fleiss und die bewährte Methode des Verf. ihm
grössere Ausbeute bringen werden, als auf dem Gebiete des Lettenhirns.
Vor allem aber wäre als Grundlage aller weiteren Forschung eine
systematische Bearbeitung des Australier-Hirns notwendig, so
wie eine auf dem Wege der Sammelsendung zu bewerkstelligende
gründliche Aufklärung über die Variationsbreiten der ein-
zelnen Furchen und Windungen.
Prof. Dr. H. Klaatsch-Heidelherg.
71. N. A. Jantschuk. Einige neue Nachrichten über die
Littauischen Tataren. Arbeiten der anthropologischen Ab-
teilung der K. Moskauer Gesellschaft der Freunde der Anthro-
pologie. 1897. Bd. XVIII, Lief. 3. S. 514—521.
Ein der Littauischen eingeborenen Bevölkerung fremder Stamm
ist der der Tataren. Umfassende Darstellungen über die littau-
ischen Tataren in historischer Beziehung lieferte 1835 ein polnischer
B. Referate. ± Ethnologie und Hassenkunde. j^S
Autor Tadeus Czacki in einem polnischen historischen Sammelwerk
(M. Wieszniewski, Tome II. Krakau 1835, p. 87 — 108), später ein russi-
scher Schriftsteller Muchlinski 1857, und ein littauischer Tatar Tu-
han-Baranowski (Warschau 1896). Von besonderer Wichtigkeit er-
scheinen die Mitteilungen des letzteren Autors, eines gelehrten Tataren.
Nach seinen Forschungen, die zum Teil von Anton Krumann heraus-
gegeben sind, hat Witowt (Witold) 1397 keine Tataren, sondern No-
gaier in sehr geringer Anzahl [angesiedelt. Erst 1410, während der
Kämpfe Littauens mit den Ordensrittern, erbat sich Witold (Witowt) Hilfe
vom Chan Tochtamysch. Dieser sandte ihm 40 000 Mann unter An-
führung seines Sohnes Dschel-el-eddin. Nach glücklich beendigtem
Kampfe schenkte der Grossfürst seinen Tataren Landbesitz am Niemen
und bei Wilna — sie sollten hier gleichzeitig Kriegsdienste thun. Später
1432 wurden abermals tatarische Hilfstruppen von der Wolga her ge-
holt, und von diesen blieben etwa 3000 im Dienst des littauischen Gross-
fürsten. Sie erhielten verschiedene Privilegien und Landbesitz. Alle diese
eingewanderten Tataren waren Mohammedaner. Man unterschied damals
drei Klassen: 1. die tatarischen Fürsten, Beg's, die den russischen und
polnischen Edelleuten und Schljächten zugerechnet wurden; 2. die Wolga-
Tataren, die frei von allen Abgaben waren; 3. die Nogaier, die sich durch
Sprache, Typus und Kleidertracht von den übrigen unterschieden.
Im Jahre 1631 zählte man in den Grenzen des damaligen Reiches
ca. 100 000 mohammedaner Tataren. Heute rechnet man in Littauen,
Polen, Wolhynien, Podolien gegen 6450 Individuen beiderlei Geschlechts.
Die Gebildeten gebrauchen untereinander das Tatarische, die anderen reden
Weissrussisch oder littauisch; in ihrer Tracht unterscheiden sie sich nicht
von der übrigen christlichen Bevölkerung des Landes.
Die Zahl der littauischen Tataren hat sich allmählich vermindert;
sie sind zu einem kleinen Teil wohl ausgewandert, der grösste Teil hat
sich allmählich mit der örtlichen Bevölkerung vermischt. Von mancher
anderen Seite ist schon darauf aufmerksam gemacht worden, dass inner-
halb der polnischen Nationalität, namentlich in Angehörigen der polnischen
Schljächta, fremdartige Elemente vorkommen. — Es kann wohl keinem
Zweifel unterliegen, dass dies tatarische Elemente sind.
Prof. Dr. L, Stieda-Königsherg.
72. W. J. Manotzkow: Skizzen des Lebens im hohen Norden.
. (Mnrman - Küste.) Archangelsk 1897. 191 Seiten. 8^ Mit
einer Karte (der Murman-Küste) und einigen Tabellen.
Der Verf. hofft, dass bei dem jetzt erwachten Interesse für den
russischen Norden das Publikum Mitteilungen über das nordische Leben
gern entgegennehmen wird. Er schildert das Klima und die Natur der
Murman - Küste (S. 9—25) und teilt einiges aus der Geschichte der-
j24 L>- Keieiate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
selben mit (S. 26 — 35), schildert die natürlichen Reichtümer des Weissen
Meeres, den Stockfisch- und Walfischfang (S. 36—52), die technische Or-
ganisation d(!r verschiedenen Fischereigewerbe, die Fahrzeuge, die Zu-
bereitung der Produkte (S. 53—90), die Organisation und die ökonomische
Seite des Fiscliereigewerbcs (S. 90 — 143), die Kolonisation der Murman-
Küste, die Lebensbedingungen der Fischer und Kolonisten (S. 144—189).
Zum Schlüsse ist ein Litteraturverzeichnis angehängt.
Frof. Dr. L. Stieda-Königsherg.
73. A. D. £lki]i(l: Die Weichsel-Polen (eine anthropologische
und craniologische Skizze). 200 Seiten. 4*^. Mit vielen Ta-
bellen. Arbeiten der anthropologischen Abteilung der K. Gesell-
schaft der Freunde der Naturgeschichte, Anthropologie und Ethno-
graphie. Moskau. 1896. Bd. XVIII, Lief. 3, S. 255—458,
Der Autor untersuchte im Sommer 1893 in einigen Warschauer
Fabriken 375 Individuen, darunter 226 Männer und 149 Weiber in
anthropologischer Beziehung. Die Leute gehörten alle der Arbeiterbevöl-
kerung Warschaus und des Warschauer Gouvernements an; nur einige
wenige stammten aus anderen Gouvernements. Das Alter der männlichen
Individuen schwankte von 15 — 59 Jahren, das der weiblichen Indi-
viduen von 16 — 37 Jahren.
Die Arbeit ist auf Anregung und mit Unterstützung des Professors
Dr. Anutschin gemacht. Es sind nacheinander abgehandelt: die Körper-
grösse, dann weiter der Kopf, das Gesicht, der Rumpf, die oberen Extre-
mitäten, die unteren Extremitäten. Dann folgen eine craniologische Skizze
(S. 367 — 389), und schliesslich einige Schlussbemerkungen.
Der Verf. entwirft auf Grund seiner anthropologischen und anthro-
pometrischen Untersuchungen ein Bild der Bewohner des Weichsel- Ge-
biets der Polen.
Sowohl unter den Männern wie unter den Weibern ist der gemischte
Typus sehr stark ausgeprägt. Der Verf. unterscheidet nämlich in Bezug
auf Haut-, Haar- und Augenfarbe 3 Typen, einen hellen (blonden), einen
dunkeln und einen gemischten. Er giebt folgende Zahlen (S. 263):
Männer Weiber
heller Typus 20,47 pCt., 20,81 pCt.
dunkler Typus... 17,37 = 25,50 *
gemischter Typus. 62,16 . 53,69 ^
Bemerkenswert ist, dass bei den Männern der helle Typus den
dunkeln etwas überwiegt, bei Weibern dagegen umgekehrt der dunkle
häufiger als der helle Typus ist.
Die Männer haben eine Körpergrösse etwas unter dem gewöhnlichen
Mittel, nämlich 1639,9 mm mit einer sehr geringen Neigung zu einem
grossen Wuchs.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 125
Von grossem Wuchs sind 16,23 pGt.
über dem Mittel 20,99 =
unter dem Mittel 38,22 :=
von kleinem Wuchs 23,66 s
Die Weiber sind vorherrschend von kleinem Wuchs, im Mittel 1533 mm.
Der Kopf. Der horizontale Umfang ist nicht sehr bedeutend, im
Mittel 560 mm ; der vertikale Umfang beträgt 343 mm, der quere 352 mm.
Die männlichen Polen sind brachycephal. Der Cephalindex
beträgt im Mittel 80,85 (Max. 89,55 — Min. 74,31); doch kommen auch
dolichocephale Individuen vor, und zwar häufiger als unter den gali-
zischen Polen. Bei den Polinnen ist der horizontale Umfang des Kopfes
massig, im Mittel 544, der vertikale Umfang ist 310, der quere 340 mm; sie
sind brachycephal; im Mittel ist der Cephalindex 81,35 (Max. 90,18 — Min.
75,27). — Das Gesicht der Polen ist von massiger Länge, die grösste Breite
ist aber nur gering. Der Abstand von der Nasenwurzel bis zum Al-
veolarpunkt ist nicht gross im Vergleich zu dem Abstand von der Nasen-
wurzel zum Kinnpunkt. Das Spatium interorbitale ist klein, doch im
Verhältnis zum Abstand des Jochbeins erscheint das Spatium gross. Das
Gesicht der Polinnen ist durch seine massige Breite und seine geringe
Länge ausgezeichnet; obwohl der Abstand der Nasenwurzel von dem
Kinnpunkt gross ist, so ist der Abstand bis zum Alveolarpunkt klein.
Die Rumpflänge beträgt '/g der Körperlänge; der Perimeter der
Brust ist gross und beträgt gewöhnlich mehr als die Hälfte der Körper-
grösse. Hervorzuheben ist, dass sowohl auf Grund der anthropologischen
Messungen an Lebenden als auch auf Grund der kraniologischen Messungen
sich eine grössere Brachycephalie der Weiber als der Männer ergiebt.
Es w^urden 42 polnische Schädel durch den Autor gemessen, sie
stammen aus alten Begräbnisplätzen der Gouvernements Warschau, Lublin
und Sedlez und befinden sich jetzt im anthropologischen Museum der Uni-
versität zu Moskau; ausserdem konnte der Autor Messungen benutzen, die
Dr. Olechnowitsch an 27 Gräberschädeln des XVL und XVIL Jahrhunderts
gemacht hatte.
Der Polenschädel ist in seinem Umfange massig entwickelt; alle
andern Maasse sind von mittlerer Grösse.
Cephalindex der Moskauer Polenschädel.
Dr. Elkind Dr. Olechnowitsch Summa
Männer Weiber Männer Weiber Männer Weiber
Minimum 72,82 75,13 71,4 77,2 71,4 75,13
Maximum 86,33 86,06 88,0 88,9 88,0 88,9
Mittel 80,33 80,88 81,6 82,3 85,0 81,35.
|Qß H. Referate. li. Ethnologie und Rassenkimde.
Wie liieraus ersichtlich, sind die von Dr. Olechnowitsch gemessenen
Schädel noch mehr brachycephal als die in Moskau von Dr. Elkind ge-
messenen Schädel. Prof. Dr. L. Stieäa- König sh erg.
74. N. P. Konstantiiiow-Schtschipunow: Zur Kraniologie der
alten Bevölkerung des Gouvernements Kostroma. Arbeiten
der anthropologischen Abteilung der K. Moskauer Gesellschaft der
Freunde der Anthropologie. 1897. Bd. XVIII. Lieferung 3.
S. 528—534. Mit Tabellen.
Der Autor untersuchte 92 Schädel, die aus Kurganen (Hügelgräbern)
des Gouvernements Kostroma stammen und die im anthropologischen
Museum der Universität zu Moskau aufbewahrt w^erden. Aus einem Bericht
der K. archäologischen Kommission in St. Petersburg (1893) geht hervor,
dass die Schädel auf Grund der gleichzeitig gefundenen Kulturgegenstände
als sog. Merjänen- Schädel anzusehen sind. Unter den 92 Schädeln
sind 66 männliche, 19 v^eibliche und 7 jugendliche. Die genommenen
Maasse aller Schädel sind in einer besonderen Tabelle zusammengefasst ;
ausserdem giebt der Verf. eine andere Tabelle, in der er die Merjänen-
Schädel mit den Schädeln der benachbarten Gouvernements vergleicht.
Aus den verschiedenen Zahlenreihen teile ich hier nur die Reihe der
Cephalindeces mit.
Männer Weiber zusammen
Maximum 86,31 85,89 86,31
Minimum 68,82 76,32 68,32
Differenz 18,29 9,87 18,29
Mittel 77,28 78,88 77,56.
Die Kurgan-Bevölkerung des Gouvernements Kostroma scheint daher
gemischt. Es sind Dolichocephale 66 pCt., Brachycephale ca. 20 pCt.
Noch mehr dolichocephale Individuen finden sich im Gouvernement Twer.
Weiter nach Osten verringert sich die Dolichocephalie der Bewohner. Hier-
mit stehen auch die anderen Maasse in Übereinstimmung, Am meisten
kommt die Kostroma'sche Kurgan - Bevölkerung der Jaroslaw'schen nahe.
Nach den Forschungen Bogdanow's kann man unter der Moskauer Kurgan-
Bevölkerung 2 Typen unterscheiden: einen mehr brachycephalen im Süd-
westen von Moskau und einen weniger dolichocephalen im Osten von
Moskau.
Woher stammt das brachycephale Element, das unzweifelhaft in der
Kurgan-Bevölkerung von Kostroma enthalten ist? In Berücksichtigung der
eingehenden Forschungen Smirnow's (Kasan), der über die Wanderungen
der Wotjäken und Tscheremissen nach Norden und Nordwesten berichtet,
meint der Autor, dass — abgesehen von dem Einfluss der slavischen
Kolonisation — Wotjäken und Tscheremissen sich mit der eingeborenen
Bevölkerung Kostroma's vermischt haben.
Frof. Dr. L. Stieda-Königsherg.
B. lieierate. i2. Ethnologie und Rdssenkunde. 127
75. N. A. Jantschuk: Über die Karaim im nordwestlichen
Russland. Arbeiten der anthropologischen Abteilung- der Ge-
sellschaft der Freunde der Anthropologie zu Moskau. 1897.
Bd. XVIII, Lief. 3, S. 464/65.
Unter der eingeborenen Bevölkerung des nordwestlichen Russlands
leben zwei fremde Volksstämme: die Karäer (Karaim) und die Ta-
taren. Nach den polnischen Chroniken sind beide Stämme durch den
Grossfürsten Witowt von Litauen angesiedelt, Witowt führte nach seinen
Feldzügen gegen die Mongolen 1397 viel Krim'sche Tataren und 400 Familien
der Karaim als Gefangene heim und wies ihnen in der Stadt Novija-Trok
(Neu-Troki) Wohnsitze an; sie haben sich bis auf den heutigen Tag in
ihrer Eigentümlichkeit daselbst erhalten.
Frof. Dr. L. Stieda- Königsberg
76. Wladimir Ernestowitsch Paissel: Materialien zur An-
thropologie der Tarantschen. Doktor-Dissertation der Militär-
Medizinischen Akademie zu St. Petersburg. Jahrgang 1896/97.
Nr. 41. St. Petersburg 1897. 112 + XLV Seiten. 8^ Mit
einer Karte.
Die Anregung zu dieser Arbeit ist, wie die zu den früheren anthro-
pologischen Untersuchungen, von Herrn Prof. Tarenezki in St. Peters-
burg ausgegangen. Der Verf. hat seine Messungen währenddes Sommers
1895 in Dscharkent (Fünfstrom - Gebiet — Semiretschinskaja Ob-
last) gemacht und hat im Ganzen 307 Männer im Alter von 17 bis
77 Jahren gemessen.
Die Tarantschen sind ein Türkenvolk (Turkvolk); sie haben ur-
sprünglich im Gebiet von Kuldscha gesessen und sind allmählich in das
Gebiet Semiretschinsk eingewandert. Den Resultaten der Messungen sind
vorausgeschickt: eine geographische Skizze des von den Tarantschen
bewohnten Gebiets, eine historische und eine ethnographische
Skizze. Als Ergebnis der in genauen Tabellen zusammengestellten Mes-
sungen muss Folgendes gelten:
1. Die Körpergrösse der Tarantschen ist eine mittlere, 164,6 cm;
die grösste Zahl, 16,9 pCt., der Gemessenen war grösser als das Mittel;
16,2 pCt. der Individuen waren kleiner als das Mittel, und schliesslich
15,6 pCt. näherten sich bereits dem niedrigen Wuchs. Diese Thatsache
ist wohl aus der Mischung des Volksstammes zu erklären; man muss
schliessen, dass hier ein Volksstamm von niedrigem Wuchs sich mit
einem Volksstamm von grossem Wuchs gemischt hat. Wahrscheinlich war
die alte arische Bevölkerung von grossem Wuchs, die eingewanderten Türken-
völker waren hingegen von kleinem Wuchs. 2. Der B rust umfang 83,9 cm
übertrifft nur um ein Geringes die Hälfte der Körpergrösse. Das Prozent-
Verhältnis zur Körpergrösse ist geringer als bei den Burjäten, noch ge-
ic)'^ ]], Referate, 'i. Etlmolouic und Rassenkunde.
ringer als bei den Kabardinern, bedeutend geringer als bei den Kalmücken.
3. Der Brustumfang der Tarantsclien übertrifft nicht in allen Lebens-
altern die Hälfte der Körpergrösse, sondern bis zum 30. Lebensjahre ist
die Hälfte der Körpergrösse bedeutender als der Perimeter der Brust, und
erst noch dem 30. Lebensjahre ist der Perimeter der Brust grösser als die
Hälfte der Körperlänge. 4.. Bei den hochgewachsenen Tarantschen ist
der Perimeter der Brust im Mittel geringer als die Hälfte der Körper-
länge. 5. Die Schult er breite beträgt 37,8 cm; sie ist nicht besonders
gross, fast eben so gross wie bei den Tarbagaten, Mongolen und Kirgisen.
6. Die Becken breite der Tarantschen ist gross (28,1 cm); sie über-
trifft beträchtlich die Beckenbreite der Kabardiner und Ossetiner und
nähert sich der Breite der Kirgisen, ist aber geringer als die der Kal-
mücken. 7. Der Bauch um fang ist gross: im Mittel 73,9 cm (Max.
88,5 — Min. 01,0 cm). 8. Die Klafterweite ist bedeutend grösser
(173,1 cm) als die Körpergrösse (164,6 cm); die oberen Extremitäten sind
ziemlich lang (70,6 cm; Max. 80,7 — Min. 6J,0); sie gleichen hierin am
ehesten den Burjäten. 9. Die Länge der Hand ist nicht gross (18,9 cm;
Max. 21,3 — Min. 16,6); sie nähert sich am ehesten der Handlänge der
Kalmücken von Kuldscha. 10. Die Länge der Füsse ist nicht bedeutend
(23,8 cm; Max. 27,8 — Min. 20,3). Die Tarantschen stehen in dieser
Beziehung den Kirgisen des Fünfstrom-Gebiets nach. 11. Die Tarantschen
sind brachycephal (87,0 cm; Max. 98,8 — Min. 73,0), aber doch dies weniger
als die Kirgisen und Burjäten. Das absolute Maass der Kopfbreite der Ta-
rantschen ist (15,6 cm; Max. 17,5 — Min. 13,3) meistenteils kleiner als bei
den genannten Volksstämmen, vielleicht deshalb, weil die Tarantschen ihre
Kinder lange in der Wiege halten. 12. Die Länge des Kopfes der Ta-
rantschen ist (17,9 cm; Max. 21,0 — Min. 16,2) dieselbe wie die Kopf-
länge der Kalmücken und Türken; die Kopfbreite der Tarantschen (im
Mittel 15,6 cm) ist dieselbe wie bei den Kabardinern und Ossetinen.
13. Die Kopfhöhe ist bei den Tarantschen eine mittlere (13,0 cm;
Max. 15,8 — Min. 10,8); sie nähert sich der Kopfhöhe der Targöuten,
Abrunsumunen und der Turfan - Kalmücken. U. Dem Höhen- und
Längendurchmesser des Kopfes nach sind die Tarantschen als ortho-
cephal zu bezeichnen (72,0). 15. Der kürzeste Stirndurchmesser
und der Stirnindex sind fast dieselben wie bei den Burjäten. 16. Die
Gesichtslänge (wie die Körpergrösse) der Tarantschen gruppiert sich
um einige „Mittel''; bei der grössten Zahl der Tarantschen ist die Ge-
sichtslänge dieselbe oder etwas grösser als bei den Kabardinern und Os-
seten; die Gesichts breite ist bei den Tarantschen dieselbe wie bei den
anderen beiden Volksstämmen. 17. Die Mehrzahl der Tarantschen ist
chaemoprosop, das Gesicht ist weniger breit als bei den Burjäten,
aber beträchtlich schmäler als bei den Tarbagaten, Mongolen und Don-
Kalmücken. 18. Die Nase ist ziemlich lang, hoch und von mittlerer
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 129
! Breite, etwa wie bei den Kabardinern und Osseten. 19. Der Abstand
I zwischen den inneren (medialen) Augenwinkeln ist nicht gross, viel ge-
' ringer als bei Mongolen und Kalmüclien, fast der gleiche wie bei den
! Kabardinern und Karatschawajern. 20. Der Typus der heutigen Ta-
' rantschen ist nicht rein; er ist als eine Mischung der Eigentümlichkeiten
des arischen und mongolischen Typus anzusehen.
Frof. Dr. L. Stieda-Königsherg.
77. Fh. Fr. v. Siebold: Nippon, Archiv zur Beschreibung von
Japan und dessen Neben- und Schutzländern Jezo mit
den südlichen Kurilen, Sachalin, Korea und den Liukiu-
Inseln. Herausgegeben von seinen Söhnen. 2. Aufl. Bd. I. 421,
Bd. IL 342 Seiten. Würzburg, Leo Woerl. 1897.
: V. Siebolds berühmtes Werk über Japan blieb bisher wegen der enorm
' hohen Herstellungskosten leider unvollendet. Gelegentlich der Wiederkehr
I des 100. Geburtstages seines Verfassers unternahmen es dessen Söhne, dieses
I kulturgeschichtliche Denkmal von neuem herauszugeben, umzuarbeiten und
mit Hilfe der druckfertig hinterlassenen Aufzeichnungen v. Siebolds zu
seinem ursprünglichen Entwürfe zu vervollständigen. Es gebührt ihnen
dafür gewiss unser Dank in hohem Maasse. In noch höherem Grade hat
sich aber um die Wiederausgabe verdient gemacht der kaiserliche Hof in
Tokio, der kaiserliche Prinz Taruhito und eine Reihe hochangesehener
japanischer Adliger, die in hochherziger Weise das Unternehmen derartig
I pekuniär unterstützten, dass das Werk in 2 Prachtbänden zu einem
niedrigen Preise (20 Mark) der Öffentlickheit übergeben werden konnte.
' Der Verf. entwirft uns ein Bild von dem japanischen Volke, seinen
I Einrichtungen, seiner Geschichte und seiner Religion zu Beginn unseres
I Jahrhunderts, also zu einer Zeit, als Land und Volk noch unberührt von
j europäischem Einflüsse ihre grösste Orginalität aufwiesen. Er kam im
I Jahre 1823 zum ersten Male in seiner Eigenschaft als Arzt einer holländischen
j Gesandtschaft nach Japan und begann sogleich mit einem Rieseneifer das
j für europäische Verhältnisse noch jungfräuliche Land kennen zu lernen.
I Mit welchem Eifer er sich an die Arbeit machte, und welche segensreiche
Thätigkeit er in medizinischer, ethnographischer, geographischer und natur-
wissenschaftlicher Hinsicht zuerst in der Faktorei Dezima, sodann auf einer
Gesandtschaftsreise nach Jedo entfaltete, erfahren wir in der Einleitung aus
' der Biographie seines Sohnes. Leider waren v. Siebolds Bestrebungen auch
von Misserfolgen begleitet. Er wurde von den Japanern des Hochverrates
bezichtigt, Monate lang gefangen gehalten und, nachdem ihm ein grosser
Teil seiner Sammlungen und Aufzeichnungen konfisziert worden war, des
Landes verwiesen, das er am 2. Januar 1830 verliess. Als 63 jähriger
Greis suchte er im Jahre 1859 zum zweiten Male Japan auf, allerdings nur
Centralblatt für Anthropologie, 1898. 9
130 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
l'ür wenige Monate; denn polilisclie Verwickelungen erforderten auch dieses
Mal wieder seine Rückkehr nach Europa.
Der 1. Band ist den geographischen Verhältnissen, sowie dem
Volk und Staate im allgemeinen gewidmet. Verf. schildert uns in der
ersten Abteilung in anziehender Weise seine Reisen auf Nipon, von denen
im besonderen die nach dem Hofe des Sjogun nach Jedo im Jahre 1826
Beachtung verdient (S. 48 — 231); während derselben war es v. Siebold
vergönnt, zahlreiche wissenschaftliche Beobachtungen auf den verschiedensten
Gebieten der Naturwissenschaft anzustellen. Im weiteren beschäftigt er sich :
mit der Geographie und Entdeckung des Landes (S. 232 — 280).
Der 2. Abschnitt wird eingeleitet mit einer Erörterung der Frage nach
der Abstammung der Japaner. Verf. analysiert die hierüber geäusserten i
MögKchkeiten, bestreitet, dass dieses Volk von den Chinesen herstamme
und neigt sich zu der Annahme, dass die Japaner eine Mischbevölkerung i
vorstellen, zu der am meisten ethnische Elemente aus Korea und Sachalin i
beigetragen haben mögen; jedoch hält er auch die Einwanderung von den
Liukiu-Inseln und denen des stillen Oceans her, sowie eine Verwandtschaft
mit gewissen südamerikanischen Stämmen für möglich. Nach einer kurzen
Erörterung des Schiefstehens der Augen bei den Japanern — ,,eine im
Bau der Schädel und Gesichtsknochen begründete eigentümliche Bildung
der äusseren Teile des Auges" — schildert uns v. Siebold sodann die
Waffen, Waffenübungen und Kriegskunst der Japaner (S. 303 — 360), giebt
einen Überblick über die Geschichte der Entwickelung der Volkskultur und
der Begründung des Sjogunats (S. 361 — 414) und schliesst den ersten
Band mit einem Abriss der japanischen Rechtspflege. (S. 415 — 421.)
Der 2. Band ist der Mythologie, Archäologie, der Kunst und Wissen-
schaft, der Religion, sowie dem Handel und Gewerbe gewidmet. In der
dritten Abteilung (S. 1 — 70) beschäftigt sich v. Siebold mit den Schöpfungs-
mythen, der Zeitrechnung, der Einteilung des Tages, den Uhren, dem
Kalender, im besonderen dem Blinden- und Blumenkalender und mit den
Magatama. Die letzteren sind eigentümlich geformte (zumeist gekrümmte),
aus der Vorzeit stammende, entweder einzeln oder mit anderen Ueber-
resten, u. a. mit den Kinkwan (Ringen) in Gefässen gefundene Steine, zu-
meist Halbedelsteine, von verschiedener Grösse, Form und Farbe. — In
der vierten Abteilung (S. 71—86) behandelt der Verf. unter der Rubrik
Kunst und Wissenschaft die Längen-, Flächen- etc. Maasse, sowie die ärzt-
liche Kunst (Acupunktur und Moxen). — Im fünften Kapitel (S. 87—133)
lässt er sich eingehend über die Religion (Sintodienst) aus. — In dem
sechsten Abschnitte (S. 134—206) werden uns der Handel und die Land-
wirtschaft vorgeführt. — Den Schluss bildet ein Kapitel (S. 207—342)
über die Neben- und Schutzländer von Japan: Jezo mit den südlichen
Kurilen, Sachalin, Korea und die Liukiu-Inseln. Auch von den hier an-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. \21
sässigen Völkerschaften erhalten wir einen Einblick in ihre Sitten, Gebräuche,
\ Religion, Verfassung, Geschichte u. a. m.
I
Wir mussten uns im vorstehenden auf eine Wiedergabe des Inhalts-
Verzeichnisses beschränken. Der Inhalt des v. Sieboldschen Werkes ist ja ein
so überaus reichhaltiger und vielseitiger, dass auch ein umfangreicheres
Referat kaum demselben gerecht werden dürfte. Zweck dieser Zeilen
sollte es auch nur sein, die Aufmerksamkeit auf dieses Prachtwerk zu
lenken, das einen bleibenden Wert in der Kulturgeschichte Ostasiens
besitzen wird. Die beiden Bände sind sehr vornehm ausgestattet und mit
zahlreichen Abbildungen und einer geographischen Karte versehen. Auch
der Verlagsbuchhandlung gebührt daher unser Dank.
Dr. Busclian-Stettin.
78. C. H. Stratz: Die Frauen auf Java» Eine gynäkologische
Studie. Stuttgart, Ferd. Enke. 1897. 312 Seiten.
Eine für den Gynäkologen, aber auch, besonders in ihrer ersten Hälfte,
für den Anthropologen und Ethnologen sehr interessante Arbeit.
Bezüglich der Einteilung der Bevölkerung Javas gesteht der Verf. ein,
dass man auch heute noch nicht im stände ist, dieselbe rein wissenschaft-
lich festzustellen, wegen der starken üntereinandermischung der Elemente.
So sind neben den ,, eigentlichen Eingebornen" die drei grossen reinen
Menschenrassen nach Verneaus Einteilung: Weisse (Europäer), Gelbe
I (Chinesen), Schwarze (Reste der früheren holländischen Negerbataillone)
und deren aller Mischlinge vertreten.
1 Die Eingebornen zerfallen in drei grosse Gruppen; die Sundanesen
(westHch), die Javanen (besonders im mittleren Teile der Insel) und die
Maduresen (östlich). Die eingebornen Frauen zeigen hinsichtlich ihrer
, Körperformen zwei Typen, den malaiischen (Sundanesinnen und
I Maduresinnen) und den Hindutypus (Javaninnen), letzteren als einzigen
! historisch beglaubigten Typus. Während die Vertreterinnen des ersten
j Typus durch breitere Hüften und grösseren Fettansatz mehr die Körper-
I formen des Weibes präsentieren, erweisen sich die des letzteren durch
! schmälere Hüften und schlanke Gliedmassen als jungfräuliche Gestalten.
Im übrigen zeigt die eingeborne Frau ohne Rücksicht auf den Typus eine
Hautfarbe, welche zwischen einem tiefen Blaubraun und einem hellen
Weissgelb (Hautnarben immer weiss !) variiert, reiches, schlichtes, schwarzes
Haar, dunkle Augen, blendend weisse Zähne, spärliche Behaarung (in der
Achselhöhle und an den Genitalien werden die an sich spärlichen Haare
meist sorgsam expiliert), feine Modellierung des Rumpfes, schlanke Taille,
kleine Hände und Füsse, feine, sehr bewegliche Gelenke und zierliche
Gliedmassen, von denen die oberen lang, die unteren kurz und, wie bei
allen orientalischen Völkern, besonders an den Waden, mager sind. Der
9*
;132 B. Referate, 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Schädel ist rund, und das Becken weist im Vergleich mit dem
europäischen erlicbliche Unterschiede auf. Die zahlreichen, an Lebenden
vorgenommenen Beckenmessungen des Verf. decken sich mit den Leichen-
messungen von Zaayas und mit den von Hennig aus der Litteratur ge-
sammelten Beckenmassen. Das javanische Frauenbecken zeigt erstens
kleinere Mittelmasse, als das europäische und zweitens nähert es sich, da
es im Verhältnis zu seinem Sagittaldurchmesser im transversalen verkürzt
ist, mehr der runden Form, im Gegensatz zu der ovalen Form des
europäischen Frauenbeckens. Bei Mischlingen, die übrigens durch die Ver-
mischung körperlich sich vervollkommnen, wenn auch oft erst im 3. oder
4. Glied, erhält sich von allen Rasseeigentümlichkeiten die runde Form
des Beckens am längsten. J
Trotz zweckmässigerer Lebensweise, die sich in der Kleidung (kein
Korsett!), regelmässigem Baden, Reinhalten der Vagina (Verletzen bezw.
Vernichten des Hymens schon in den Mädchenjahren mit dem Spülrohr)
ausspricht, sind die gynäkologischen Erkrankungen unter den javanischen
Frauen ähnlich verteilt wie in Europa. Auffallend ist, dass die Retro-
flexion der Gebärmutter mehr als 50 '^/^^ aller gynäkologischen Krankheiten
ausmacht. Die Mehrzahl der Retroflexionen rührt von dem ,, Ärzten" der
javanischen Hebammen und ,, weisen Frauen", der Dukuns, her. Diese
kippen, besonders gern in den ersten Tagen des Wochenbettes mit ge-
schickten, äusseren, massierenden Handgriffen (Ankat prut) die Gebärmutter
ihrer Klientin nach hinten, um letztere temporär unfruchtbar zu machen.
Aber auch Nullipares (Prostituirte) vermögen die Dukuns durch ihre
Massierkünste, in welchen sie auch in anderer Beziehung hervorragendes
leisten, zu sterilisieren. Die Geburtshilfe dieser Dukuns, welche im allge-
meinen eine höhere Bildungsstufe als unsere Hebammen einnehmen, ist,
abgesehen von mysteriösem Beiwerk, durchaus rationell : Stellung der Diagnose
und Leitung der Geburt durch äussere Handgriffe, Anlegen von Tüchern
(Slendang) und Binden (Benkun) während der Geburt und im Wochenbett
(indische Gwita).
Verf. bespricht in Parallelle mit dem vorigen die Verteilung gynäko-
logischer Erkrankungen und die Geburtshilfe bei den auf Java lebenden
Europäerinnen bezw. Mischlingen, stellt im Anschluss an eine einschlägige
Arbeit van der Scheers sowohl eine spezifische Tropenanämie als auch,
auf Grund eigener Beobachtungen einen spezifischen tropischen Fluor albus
in Abrede, und giebt in der grösseren, zweiten, ebenfalls durch Ab-
bildungen belebten Hälfte seines Buches lediglich für den Gynäkologen lehr-
reiche und hochinteressante Mitteilungen aus seinem wissenschaftlichen und
praktischen Wirken als dankbarer Schüler Carl Schröders und „erster
Gynäkologe auf dem tropischen Boden von Java".
Dr. Timmling -Stettin.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkiinde. 133
79. F. von Liischan: Beiträge zur Yölk erkunde der deutschen
Schutzgebiete. Mit 48 Tafeln und 46 Text-Abbildungen. Berlin.
Dietrich Reimer. 1897. 87 S. Gross 4".
Nur durch das ausserordentliche Entgegenkommen, und die seltene
Opferwilligkeit der bekannnten Reimer'schen Verlagshandlung (E. Vohsen)
ist es möglich geworden, die Luschan'schen Beiträge zur Völkerkunde den
Fachleuten in extenso zugänglich zu machen. Gegenüber der ursprüng-
lichen, im ,, Amtlichen Bericht über die erste deutsche Kolonial-Ausstellung
in Treptow 1896" abgedruckten Publikation ist diese Sonderausgabe um
mehrere wichtige Abhandlungen, ferner um 8 Lichtdrucktafeln und mehrere
Textillustrationen vermehrt, — eine Erweiterung, die auf das Freudigste
begrüsst werden darf.
Der reiche Inhalt des Werkes kann hier nur angedeutet werden. Ein
erster Teil behandelt die Physische Anthropologie der ausgestellten Ein-
gebornen-Truppe, die hauptsächlich aus Togo-Leuten, Kamerunern, Süd-
westafrikanern (Hottentotten und Herero), Wasswahlli, Massai und einigen
Neu-Britanniern bestand. Das von Prof. v. Luschan ausgearbeitete Beob-
achtungsblatt, nach welchem auch diese Erhebungen angestellt wurden,
besitzt gegenüber den meisten sonst gebräuchlichen eine Reihe von Vor-
zügen. Vor allem ist neben der Messung auch der Beschreibung ein grösserer
Spielraum gegönnt, und die genau abgedruckten Individual-Analysen ent-
halten daher für den Fachmann eine Menge wichtiger Details. Man ent-
behrt zwar ungern zusammenfassende Charakteristiken, aber die Zurück-
haltung des Verf. ist in Anbetracht des nicht sehr grossen Beobachtungs-
materials berechtigt. Von den beigehefteten Lichtdrucktafeln illustrieren
20 diesen 1. Abschnitt: sie enthalten Typenbilder, die in ihrer vorzüg-
lichen Ausführung das Verständnis der Beschreibungen wesentlich unter-
stützen und erleichtern.
! Auch der zweite, ethnographische Teil beschränkt sich auf Einzel-Dar-
stellungen; diese sind aber so ausführlich und gewissenhaft, dass sie des
Neuen und Anregenden genug bringen. Eingehend wird die Ornamentik
i der sog. Haussa- Toben analysiert und dadurch deren Erklärung angebahnt.
j Aus dem Oebiet der Bali, Wuta und anderer (Kameruner) sind mehrere
interessante Objekte beschrieben, darunter eigenartige, hölzerne Bogen-
spanner, Fetische u. dgl. Am umfangreichsten waren die ostafrikanischen
Sammlungen auf der Ausstellung vertreten; besonders erwähnt seien die
schönen Matten aus Moa (von Dr. Stuhlmann) mit ihren geometrischen
und im Umsetzungsprozess begriffenen figürlichen Mustern, die mit so
vollendeter Technik hergestellt sind, dass sie vom Verf. den Schrift-
bändern der Sswahili Matten aus Lamu an die Seite gestellt werden.
Von den Südsee - Sammlungen werden ausführlicher die Speer - Wurf-
hölzer und die monoxylen und zusammengesetzten resp. aufgebundenen
Kopfbänke von Neu-Guinea behandelt. Verf. ist der Ansicht, dass diese
134 B. Heferate. 3. Urgeschichte.
Bänke aus von Telemonen getragenen Kapitalen hervorgegangen sind. Auf
den sehr interessanten Beweisgang, der an die verschiedene stiKstische
Behandlung von Köpfen und Masken in der melanesischen Kunst anknüpft,
und auf die prinzipielle Wichtigkeit, die in der Zurückführung der Kopf-
bankfornien auf vorder-asiatische Elemente gelegen ist, kann hier nicht ein-
getreten werden.
Auch mehrere der folgenden Abschnitte behandeln das Ornament und
seine Entwickelung; ein reiches Material für diese Studien lieferten die
Nasenflöten aus Neu-Britannien, die Speerschäfte der Neu-Irländer und
Neu-Hannoveraner, sowie die Speere der Admirality- und Salomon-Gruppe.
An den letzteren Objekten werden in äusserst instruktiver Weise die
Wandlungen veranschaulicht^ welche die menschliche Figur im Ornament
erfährt. Sehr verdienstlich ist die genaue Beschreibung des Hohlbohrers
zur Herstellung von Tridacna-Armbändern, weil er beweist, dass auch die
Steinbeile der prähistorischen Völker Europas mit Holzbohrern unter An-
wendung von Reibsand durchlocht werden konnten. Eine eingehende Be-
sprechung finden dann ferner noch einige künstlerisch hochstehende Schnitz-
werke aus Neu-Irland und 3 Masken von den Kaan-Inseln, die einen ganz
neuen Typus repräsentieren.
Diese kurze Analyse mag genügen, um die Aufmerksamkeit des Fach-
mannes auf das vorliegende Werk zu lenken; aber auch der Kolonialfreund
wird daraus reiche Belehrung und Anregung schöpfen und sich an dessen
gediegenem Bilderschatz erfreuen. Dr. Bud, Martin-Zürich.
3. Urgeschichte.
b. Funde.
1. Europa,
a. Die nordischen Reiche.
80. J. Mestorf: Das vorhistorische Eisenalter im skandi-
navischen Norden. Arch. f. Anthrop. 1897, Bd. XXIV, S. 339
bis 346.
Sophus Müller in Kopenhagen (Ordning af Danmarks Oldsager.
II. Jernalderen. Kjöbenhavn, Reitzel; Leipzig, Brockhaus; Paris, Leroux;
London, Williams & Norgate. Kl. Folio, 104 S. mit 672 Figuren auf
42 Tafeln) und Oscar Montelius in Stockholm (Les temps prehistoriques
en Suede et dans les autres pays Scandinaves, franz. Übers, von Reinach)
haben in den eben citierten Werken auch die letzte vorgeschichtliche
Kulturperiode, das Eisenalter, eingehend studiert und chronologisch ge-
ordnet. Fräulein Mestorf giebt eine treffliche Übersicht und stellt die An-
sichten beider Forscher, wo sie, immer nur in geringen Punkten, aus-
einandergehen, gegenüber, zieht auch selbst die Schleswig-Holsteinschen
Funde mit heran. Die Einteilung der Perioden ist folgende:
B, Referate, o. ürgeschicliLe. ;[;>;
a. Einteilung nach Müller.
1. VoiTÖmische Periode von 400 bis Chr. Geb. )
2. Römische Periode von Chr. Geb. bis 3. Jahrhundert ' älteres Eisenalter
3. Völkerv^anderungszeit vom 3. bis 5. Jahrhundert
4. Nachrömische Periode vom 5. bis 8. Jahrhundert
" in • rj ', o i • -in T 1 1 j X i jüngeres Eisenalter.
0. Vikmger Zeit vom 8, bis 10. Jahrhundert \
b. Einteilung nach Montelius,
(Vergl. Centralbl. f. Anthropol. Bd. 1, S. 144j.
Die (nach Müller) innerhalb der ganzen nordischen Eisenzeit (Dauer
a. 1400 Jahre) ,, wahrnehmbaren Kulturabschnitte stehen in gewissem
I Zusammenhange mit der historischen Entwicklung in Europa. Die direkten
und indirekten Berührungen mit den Nachbarvölkern brachten neue
Elemente nach dem Norden, die dort nicht nur angenommen, sondern je
nach Bedürfnis, Geschick und Geschmack umgeformt wurden, sodass wir
in der Hinterlassenschaft der aufeinander folgenden Generationen zwar all-
i gemein europäische und mitteleuropäische Grundformen erkennen, daneben
I aber dem Norden eine selbstständige Verarbeitung der fremden Elemente
I zusprechen müssen. Die fortschreitende Entwicklung wird weder durch
fremde Eroberer noch durch grössere Einwanderungen unterbrochen.
Um 400 V. Chr. nahmen unter den barbarischen Völkern keltische
j Stämme eine hervorragende Stellung ein, deren teils friedHche, teils
j kriegerische Berührungen mit Itahen und Griechenland nicht ohne Einfluss
1 auf ihre Kulturentwickelung bHeben. Alsdann war es die Weltherrschaft
I der Römer, die ihren Einfluss auf die nahe und fern wohnenden Barbaren
I übte. Im 3. bis 5. Jahrhundert (Müllers dritte Periode) waren es dann
I die Germanen, die mehr oder minder romanisiert, als Mitbewerber um
die Herrschaft auftraten und die Führerschaft der barbarischen Völker
übernahmen".
i Fräulein Mestorf schildert dann die einzelnen Perioden, hauptsächlich
i Müllers Ausführungen folgend. Näher hierauf einzugehen, verbietet uns
leider der Raum. Dr. Lehniann-Nitsche-La Flata.
81. Sophtts Müller: Nordische Altertumskunde. Nach Funden
und Denkmälern aus Dänemark und Schleswig gemeinfasslich
dargestellt. Deutsche Ausgabe von Jiriczek. Erster Band: Stein-
zeit—Bronzezeit. Strassburg, K. J. Trübner, 1897. 10 M.
Das in dänischer Sprache verfasste Originalwerk („Vor Oldtid'') ist
bereits vollständig erschienen; von der deutschen Bearbeitung liegt die
erste Hälfte mit der Darstellung der Stein- und Bronzezeit vor. Das
dänische Werk ist bereits von Prof. Montelius im Centralblatt (1897, S. 242)
ausführlich besprochen, es bleibt hier also nur wenig zu sagen übrig. Es
könnte gewagt erscheinen, ein Buch, welches im Wesentlichen dänische
136 ß- Hefeiate. 3. Urgeschichte. S^
Verhältnisse berücksichtigt, ins Deutsche zu übersetzen, zumal der
Prähistoriker von Fach in der Regel so viel dänisch verstehen wird, um
eine wissenschaftliche Arbeit in dieser Sprache lesen zu können. Nun
ist aber die ,, Nordische Altertumskunde" nicht nur für Fachleute, sondern
für ein weit grösseres Publikum bestimmt, nämlich für Alle, die ein
Interesse an der Vorzeit haben.
Es ist ja richtig, dass in erster Linie dänische Verhältnisse behandelt
werden, aber diese sind denjenigen des benachbarten Norddeutschland
sehr ähnlich, und ihre Spuren und Einwirkungen lassen sich bis weit
hinein nach Deutschland verfolgen. Es ist also für die Kenntnis unserer
heimischen Vorgeschichte von grösstem V^ert, dass hier eine mustergültige
Bearbeitung eines verwandten Gebietes erfolgt ist, wie sie für Deutschland
noch nicht vorliegt und zur Zeit auch noch nicht möglich ist. Dazu
kommt, dass Verf. sich nicht streng auf Dänemark beschränkt, sondern
die dänische Vorgeschichte in den Rahmen der europäischen Vorzeit ein-
passt und somit Gelegenheit nimmt, auch diese in allgemeinen Umrissen
zu behandeln. Hierin liegt der Hauptwert des Buches für den grösseren
Kreis der deutschen Leser, hierdurch wird es zu einem Handbuch der
Vorgeschichte Europas, welches in einer jedem Gebildeten verständlichen
Form streng wissenschaftlich ist. Diejenigen Leser, welche mit der
Littei^atur nicht vertraut sind, sich aber über einzelne Punkte ausführlicher
unterrichten wollen, finden die Litteratur angegeben, und zwar nur das
Wichtigste, so dass die weniger Kundigen nicht einem Berge mehr oder
minder wertvoller Citate gegenüberstehen. Das Buch ist für den Fach-
mann wie für den Laien, welcher sich aus diesen oder jenen Gründen
mit der Vorgeschichte Deutschlands und Europas beschäftigen will oder
muss, ein unentbehrliches Hilfsmittel. Dr, Ä. Götze-Berlin,
82. Neergaard, C: Nogle Depotfund fra Bronzealderen.
Nordiske Fortidminder. Heft 3, S. 69—111, m. Taf. XV— XXII
u. 31 Figuren im Texte. Avec resume en franqais S. 112 — 124.
Kjöbenhavn 1897, gr. 4^
Die Depotfunde des Bronzealters bilden eine besondere Fund-
gruppe. Auf beschränktem Räume im Boden oder im Wasser wurden
diese Altertümer verborgen, damit sie vor feindlichen Nachstellungen ge-
sichert blieben. Im Vergleich zu den Grabbeigaben zeigen die Depotfunde
häufig einen grösseren Reichtum an Prachtstücken, die sich zugleich in
Folge der günstigeren äusseren Verhältnisse besser erhalten haben. Die
Entwickelung der Formen und Stilarten im Laufe der Zeit lässt sich deshalb
an diesen Stücken besonders schön verfolgen, daher für die vorliegende
Arbeit eine Reihe solcher Funde aus dem dänischen Nationalmuseum ge-
wählt wurde, die dazu geeignet waren, die höchste Ausbildung von Stil,
Ornamentik und Technik innerhalb der vier von S. Müller festgestellten
B. Referate. 3. Urgeschichte. I37
Perioden des Bronzealters zu illustrieren. Auf den dem Werke bei-
gegebenen phototypierten oder radierten Tafeln in besonders glänzender
Ausstattung werden die eingehend besprochenen Funde vorgeführt.
Im Allgemeinen findet sich eine Regel darin ausgesprochen, dass,
je zahlreicher die Grabfunde einer Periode vorliegen, um so sparsamer
kommen die Depotfunde derselben Periode vor. Verschiedenheiten geben
sich in der Weise kund, dass die Funde der beiden ersteren Perioden vor-
wiegend entweder solche Sachen, die wie Waffen, dem Manne angehört
haben dürften, oder aber nur Frauenschmuck darstellen, enthalten, während
in den letzteren Abschnitten des Bronzealters eine Mischung beider Kate-
gorien üblich war.
Ausser Waffen, wie bronzenen Äxten und Speerspitzen, dann Schmuck-
sachen, wie die prächtigen, spiralverzierten Gürtelscheiben und Armringe,
enthalten schon die ältesten Funde Werkzeuge verschiedener Art.
So liegt ein Fund aus dem Moore Gallemose in Jütland vor, darin
8 flache bronzene Beile von einer Form, die dem ältesten europäischen
Bronzealter angehört und mit jener verwandt erscheint, in der die kupfernen
oder zinnarmen bronzenen Äxte aus dem Anfang der Metallzeit auftreten.
Ferner drei eigentümliche, etwas gekrümmte und mit einem Haken endigende
Bronzestäbe, die als Pferdegeschirr gedeutet werden. Schliesslich enthält
der Fund noch 9 schwere massive bronzene Ringe, die sonst in Skandinavien
äusserst selten gefunden werden, aus dem östlichen Deutschland aber in
grosser Zahl vorliegen. Wahrscheinlich wurden diese Ringe um die Hand-
gelenke und um die Knöchel getragen.
Wenngleich nun auch anzunehmen ist, dass diese und ähnliche von
einer primitiveren Technik zeugenden Altertümer dem Beginn der Metallzeit
zugeschrieben werden müssen, so liegen doch aus dem Norden noch zu wenige
derartige Funde vor, als dass man berechtigt wäre, eine besondere, jener der
spiralverzierten Bronzen voraufgehende Periode der Bronzezeit darauf zu
begründen, zumal noch Grabfunde mit derartigen Sachen bis jetzt völlig
fehlen. >
Wahre Prachtstücke sind die spiralverzierten Gürtelscheiben; die grösste
hat nicht weniger als 28,2 cm Durchmesser; im Langstrup -Moor im
nördhchen Seeland wurde dieser, von einer Frau am Leibe getragene,
äusserst fein gearbeitete Schmuck mit zwei Spiralringen und einem nach
Art eines Schwertes gebildeten Bronzemesser zusammen gefunden.
Wie in den Grabfunden wird auch in den Depotfunden die Gürtel-
scheibe häufig von einer bronzenen Dose begleitet, darin goldene Ringe
eingeschlossen sein können. Scheibe und Dose sind immer von ent-
sprechender Grösse und waren wahrscheinlich beide nebeneinander am
Gürtel befestigt, wobei anzunehmen, dass die Dose ihren schön verzierten
Boden nach aussen, den Deckel nach innen kehrte. Die Dose habe in
dieser Weise die sonst der Kleidung fehlenden Taschen ersetzt. Von einer
138 B. Referate. 3. Urgeschichte.
solchen Anbringungsweise zeugen auch deutliche Spuren der Abnutzung
an den Ösen und am Rande des Deckels.
Die bis zu bedeutenden Grössen heranwachsenden bronzenen Hänge-
gefässe des jüngeren Bronzealters bilden die weitere Entwickelung jener
Dosen. Auch sie dürften ähnlichen Zwecken gedient haben und in gleicher
Weise angebracht gewesen sein. Allerdings lassen sich keine entsprechende
Abnutzungszeichen nachw^eisen, die wie dort die Frage entscheiden könnten.
Die nicht abgenutzten Unebenheiten an der inneren Fläche der Gefässe
deuten darauf, dass sie zu dauernder Aufbewahrung harter Gegenstände
nicht bestimmt waren. Was die in denselben häufig auftretenden Guss-
nähte oder Relieflinien betrifft, darf wohl zugegeben werden, dass sie ur-
sprünglich eine technische Bedeutung gehabt haben, später scheinen sie
jedoch als blosse Dekorationslinien aus Gewohnheitsrücksichten angebracht
worden zu sein. Die Ornamentik dieser Gefässe bietet schöne Anhalts-
punkte für die Erörterung der Stilarten-Entwickelung.
Zu den häufiger beigegebenen Stücken zählen ferner Hals- und Arm-
ringe, sowie Fibeln und bronzene Nadeln. In der letzten Periode liegen
innerhalb desselben Fundes die einzelnen Formen oft in vielen Exemplaren
vor, w^as vordem seltener der Fall war. Sarauw-Kopenhagen.
ß. Deutschland.
83. J. Mestorf: Die holsteinischen Gürtel. Mitteil, des
Anthropol. Vereins in Schleswig-Holstein 1897. Heft 10, S. 6,
mit 7 Abbildungen.
Als ,, holsteinisch" werden gewisse kettenartige Gürtel oder Wehr-
gehänge bezeichnet, von denen bisher nur 5 Exemplare in holsteinischen
Urnengräbern gefunden sind. Jedesmal sind 5 Platten durch Ringe ver-
bunden und endigen einerseits mit einem Haken, waren also andrerseits
wohl an einem Riemen befestigt, in dessen Schlussring der Haken griff;
die Platten sind doppelt, unten von Eisen, oben aus gestanztem Bronze-
blech, durch geschlitzte Bronzerollen zusammengeklemmt. Sämtliche Funde
sind nicht sachkundig gehoben und zum Teil unvollständig, doch gehörten
überall zu der Kette noch Beigaben wie Gürtelblech, grössere ähnUch
ornamentierte Platte, Gehänge mit Zwingen oder geschlitzten Röhren, endlich
spätere La Tenefibeln; auch sind die Objekte in Urnen niedergelegt und
vorher absichtlich zerstört. Die Datierung ist nicht leicht, da neben den
Fibeln auch manche Hallstattelemente vorhanden sind, wie das Stanzen
des Bronzeblechs, die Ornamente (Trique.trum, S förmige Figuren mit
3 Tupfen) u. a. Sonach dürften die Urnengräber um die Zeit vor und
nach Chr. Geb. angesetzt werden können. Das Fundgebiet reicht von Ham-
burg durch das östliche Holstein; die Ketten sind wohl aus einer ein-
heimischen Werkstatt hervorgegangen.
Frof. Dr. Walter- Stettin.
B. Referate. 3. Urgescliiclite. 139
84. Katalog des Prussia ■ Museums in Königsberg i. Pr. :
Teil II. Die Funde aus der Zeit der heidnischen
Gräberfelder (von Christi Geburt bis zur Einführung
des Christentums). Mit einem Anhang enthaltend den Katalog
der ethnographischen Sammlung. Mit 126 Abbildungen. Königs-
berg 1897.
Der von A. Bezzenberger herausgegebene Katalog bildet durch seine
Übersichtlichkeit, seine zahlreichen Illustrationen und namentlich durch
die jedem Funde beigefügten Litteraturnachweise ein willkommenes Nach-
schlagebuch nicht bloss für die Besucher, sondern auch für auswärtige
Forscher, die sich über die Bestände des Prussia-Museums unterrichten
wollen. Dr. H. Seger-Breslaic.
85. H. Conwentz: Die Moorbrücken im Thal der Sorge auf
der Grenze zwischen Westpreussen und Ostpreassen. Ein Beitrag
zur Kenntnis der Naturgeschichte und Vorgeschichte des Landes.
Mit 10 Tafeln und 26 Textfiguren. Abhandlungen zur Landes-
kunde der Provinz Westpreussen, herausgegeben von der Pro-
vinzial-Konmiission zur Verwaltung der westpreussischen Provinzial-
Museen. Heft X. Danzig 1897. XV + 142 S. in 4^.
H. Müller-Brand: Die Bohlenbrücken im Teufelsmoor
(Provinz Hannover). Globus. 1898. Bd. LXXIII, Nr. 2, S. 23—25.
Ernst H. L. Krause: Die alten Moorbrücken der östlichen
Ostseeländer. Globus. 1898. Bd. LXXIII, Nr. 2, S. 25—27.
Dem Spürsinn des unermüdlichen Direktors des westpreussischen
Provinzial-Museums ist abermals eine hochinteressante Entdeckung gelungen,
die an wissenschaftlichem Werte die des Baumgarthner Segelbootes noch
übertrifft.
Diesmal handelt es sich um zwei im Thal der Sorge auf der Grenze
zwischen Ost- und Westpreussen gefundene parallele Moorbrücken aus
Eichenholz von 1230 und 640 m Länge, die mit Faschinen und Lang-
hölzern unterbaut und durch seitlich eingeschlagene Pfählchen vor Ver-
schiebungen geschützt sind. Beigaben, die in hölzernen Schlägeln bestehen,
sind nur an der zweiten Brücke gefunden worden. Eisen fehlt vollständig;
Thonscherben wurden an beiden Stellen gesammelt. Sie erinnern an
Stücke der Tene- und der jüngeren Hallstattzeit, wie sie in Urnengräbern
und Steinkisten desselben Gebietes nicht selten auftreten. Hieraus ergiebt
sich die einzige Möglichkeit einer ungefähren Altersbestimmung der Brücken.
Die Lage der Brücken deckt sich mit der mutmaasslichen Richtung einer
grossen, wo nicht der grössten Verkehrsstrasse, die vom Süden her am
rechten Weichselufer entlang ins Samland führte. Auf diesem Wege hatte
man verschiedene Thaleinschnitte, besonders das breite Thal der Sorge
I^jO B. Referate. 3. Urgeschichte.
zu kreuzen: das Hindernis, das seine sumpfige Bodenbeschaffenheit bot,
wurde von den Eingebornen durch Anlage der Moorbrücken bewältigt.
Dieselben bedeuten somit einen wichtigen Übergang, welcher lange Zeit,
jedenfalls durch Jahrhunderte, einen grossen Teil des ganzen Verkehrs
vom Süden zum Norden vermittelt hat.
Die Aufdeckung der Brücken und ihre Untersuchung ist von Conwentz
mit einer der Bedeutung des Fundes entsprechenden Gründlichkeit in die
Hand genommen worden, wobei er sich der thatkräftigen Unterstützung der
Behörden und der beteiligten Grundbesitzer und Anwohner zu erfreuen
hatte. Das Ergebnis hat er nunmehr der wissenschaftlichen Welt in einem
eignen, mit Abbildungen reich ausgestatteten Buche mitgeteilt. Dasselbe
geht indes über den Rahmen eines einfachen Fundberichtes weit hinaus;
es giebt vielmehr einen ausführlichen Beitrag zur Kulturgeschichte des
Weichselgebietes. Da derartige Funde im ganzen Osten neu sind, werden
erst die Holzwege der Gegenwart und Vergangenheit in verschiedenen
Landesteilen und Ländern allgemein behandelt. Sodann kommt eine
Übersicht der Boden- und Vegetationsverhältnisse des Geländes zu beiden
Seiten der Sorge; darauf der spezielle Bericht über die gesamten Aus-
grabungen; weiter folgen die Untersuchungen über Verlauf, Bau und Be-
schaffenheit der Brücken, sowie Betrachtungen über Alter, Ursprung und
Bedeutung derselben. Ein Schlusswort, hauptsächlich die vorausgehenden
Abschnitte der Arbeit zusammenfassend, beendigt die Schilderung.
Hans Müller-Brand bespricht die römischen Bohlwege, die in den
Torfmooren der ehemaligen Herzogtümer Bremen-Verden, des heutigen
Regierungsbezirks Stade, seit dem Jahre 1855 entdeckt und beschrieben
worden sind, und beschreibt weiter drei von ihm selbst im Juli 1897 bei
Gnarrenburg, im Teufelsmoore, aufgefundene derartige Anlagen. Die hierbei
zu Tage geförderten Fundstücke geben keinen sicheren Anhalt für die
Zeitbestimmung. Der Verfasser ist jedoch der Ansicht, dass es sich um
römische Anlagen handelt, wenn er auch die Möglichkeit zugiebt, dass an
derselben Stelle auch schon in älterer und ebenso auch noch in späterer
Zeit ein Durchgangsweg durch die Moore zwischen Elbe und Weser be-
standen habe.
Der Aufsatz von Ernst Krause giebt einen kurzen Überblick über die
uns überlieferten historischen Nachrichten von Moorbrücken im nördlichen
Deutschland und beschäftigt sich dann mit den oben besprochenen Moor-
brücken im Sorgethal. Dr. H. Seger-Breslau.
86. Er. Weber: Bericht über neue vorgeschichtliche Funde
in Bayern. Für die Jahre 1894 — 1896 zusammengestellt.
Beiträge zur Anthr. u. Urg. Bayerns. 1897. Bd. XU. S. 53
bis 84.
B. Referate. 3. Urgeschichte. \J^\
I Eine Aufzählung der Ausgrabungen, Untersuchungen und Einzelfunde
j in den Jahren 1894, 1895 und 1896. Die Fundstellen werden kurz be-
I schrieben und die Fundstücke einzeln angeführt. Besonders erwähnens-
j wert sind zwei Gegenstände aus Reihengräbern: ein eherner (?) Schild-
1 buckel von Schretzheim (S. 58) und ein Steigbügel von Niederneuching
I (S. 81.) Slavische Gräber wurden bei Wattendorf, Oberfranken (S. 75)
und bei Luhe, Oberpfalz (S. 80) gefunden. Dr. Ä. Götze-Berlin.
87. Fr. Weber: Die Hügelgräber auf dem bayerischen Lech-
feld. Beiträge zur Anthropol. und Urg. Bayerns. 1897. Bd. XII,
S. 37—46.
Weber berichtet über die von ihm vorgenommene Untersuchung von
Hügelgräbern, welche teils der Hallstatt-, teils der La Tene-Zeit angehören;
in einem Falle handelt es sich um ein Grab aus römischer Zeit, vielleicht
eine Nachbestattung. Die Hügel sind aus Erde aufgeschüttet, die Begräb-
nisse befinden sich im Bodenniveau oder etwas erhöht, letzteres wohl
wegen des moorigen Untergrundes. Die vorherrschende Bestattungsart ist
Beisetzung der Leichen in gestreckter Lage. Weber macht darauf auf-
merksam, dass in einigen La Tene-Gräbern zwei Skelette, anscheinend ein
männliches und ein weibliches, nebeneinander bestattet wurden, und dass
das Letztere dann eine etwas unregelmässige Lage hat. Er schliesst wohl
mit Recht daraus, dass die Mitgabe eines Weibes stattgefunden hat.
! Dr. Ä. Götze-Berlin,
88. H. Edelmann: Zwei Grabhügel der Hallstattzeit bei
Bachheim, Amt Messkirch (Baden). Prähistorische Blätter,
I 1897. Band IX, Nr. 6 mit 1 Tafel.
Beim Wolfegghofe der Gemeinde Buchheim sind schon früher Grab-
j hügel untersucht, jetzt wieder zwei unscheinbare mit einem Umfang von
25 — 30 Schritten, die erwähnenswert sind. Unter geringer Steinschicht
' hegen 50 cm tief die Skelette, nach Osten oder Norden gerichtet, zu den
j Füssen Scherben von je 3 Gefässen, zur Rechten je ein geschwungenes
i Eisenmesser mit kurzer Griffzunge. Ausserdem lagen unter dem ersten
I Schädel Bernsteinperlen und eine blaugrüne, als ägyptisch bezeichnete
' Glasperle; beide Unterarme schmückten Reste von Bronzearmbändern, auf
: dem breiten Mittelstück mit Rautenverzierung, dann sich verjüngend und
in massive, kugelige Köpfe auslaufend. Die sehr dünn gegossenen Stücke
, ruhten auf einer genau passenden Unterlage von Eichenholz, die wohl das
\ Einschneiden der dünnen Ränder verhindern sollte. Solche Einlagen aus
' Holz dürften sehr selten beobachtet sein und auf einheimische Herstellung
hinweisen. Zeitlich gehören die Hügel der Jüngern Hallstattperiode an.
Prof. Dr. Walter-Stettin,
14:>
B. Referate. 3. Urgeschichte.
89. J. Naue: Noiiyelles trouvailles pr^historiques de la
Haute - Baviere. (Vom Original - Manuskript übersetzt von
Dr. L. Laloy.) L'Anthropologie 1897. Band VIII, S. 641
(CO Abbildungen).
Verfasser giebt eine Übersicht der in der Gegend von Traubing und
jSIachtlfing, unweit vom Starnberger See, gemachten Funde. Es handelt
sicli um zwei Nekropolen, deren kleinere dem jüngeren Bronzealter angehört,
während die grössere vom Ende dieser Periode ab bis zur jüngsten Hall-
stattzcit in Gebrauch gewesen ist. In der älteren Hallstattzeit findet man
7 Leichengräber und 14 Brandgräber? dagegen in der jüngeren Hallstattzeit
13 Leichengräber und nur 4 Brandgräber; die männlichen Bestattungen
sind zahlreicher als die weiblichen.
Von den Beigaben wollen wir nur hervorheben ein schönes langes
Schwert mit achtkantigem Griff, das einem Typus angehört, der als süd-
bayerisch bezeichnet werden kann, grosse wohlerhaltene Lanzenspitzen, ?
Gürtelplatten, Kahn- und Schlangenfibeln u. s. w. Unter den Schmuck-
sachen verdient ein sehr seltener Gegenstand ganz besondere Aufmerksam-
keit. Es ist eine Haar- oder Bartzange, mit langem, schön geziertem,
bronzenem Stiel, während die eigentliche Pinzette aus Eisen besteht.
Dieses seltsame Objekt wurde in einem männlichen Grabe gefunden. Die
andern Beigaben waren eine Lanzenspitze, zw^ei eiserne Messer, eine
Bronze-Situla und ein grosses bronzenes Gefäss. Es ist bemerkenswert,
dass sich die bronzenen Gefässe, Schalen und Situlen nur in männlichen
Gräbern vorfanden.
Aus der Zahl und Schönheit der Beigaben, besonders der bronzenen
Gefässe, sowie aus den in der Nachbarschaft der Nekropolen festgestellten
Kulturspuren (Hochäcker) geht hervor, dass hier eine friedliche, ackerbau-
treibende und reiche Bevölkerung sesshaft gewesen ist. Sie stand in Ver-
kehr einerseits mit Italien und Griechenland, wie es die Kahn- und
Schlangenfibeln beweisen, andererseits mit den nördhchen Gegenden, woher
sie die Bernsteinperlen bezog. Dr, L. Laloy-Paris.
y. Österreich-Ungarn.
90. F. Hantschel: Prähistorische Fundchronik für das Gebiet
des Nordbölimischen Excursions - Clubs und die an-
grenzenden Landstriche. Mit 1 Karten-Beilage und 6 Kärtchen
im Text. Leipa, 1897. Verlag der Nordböhm. Excurs.-Clubs
(Sep.-Abdr. a. d. Mitt. der Nordb. Exc.-CL Bd. XX.)
Eine fleissige und verdienstvolle Arbeit, welche denjenigen, der sich
über die prähistorischen Funde Nordböhmens orientieren wall, schnell und
ausgiebig belehrt. Im ersten Teil werden die Fundstellen in alphabetischer
Reihenfolge aufgezäblt und die Funde beschrieben. Dazu ist die Litteratur,
B. Referate. 3. Urgeschichte. j^43
wie es scheint, vollständig angeführt. Der zweite Teil giebt eine An-
ordnung nach der Art der Funde und zwar sind als Stichworte die Fund-
orte angegeben, unter denen man das Nähere im ersten Teil findet. Es
sind so zwei Verzeichnisse zusammengestellt: A. nach der Art der Funde
(Wallburgen, Opferstätten, Gräber u. s. w.), B. nach dem Material
(Knochen, Stein, Bronze u. s. w.). Der dritte Teil enthält in ähnlicher
Weise eine Zusammenstellung nach Zeitperioden. Einige Kärtchen veran-
schaulichen die Lage der Fundorte und die Verbreitung der Wallburgen,
der Gräber, der Steingeräte, der Bronzegeräte und der paläolithischen
! Fundstellen. Dr. A. Götze-Berlin.
91. .R. V. Weinzierl: Prähistorische plastische Thonfiguren
aus Böhmen. Verhandl. d. Berl. anthrop. Gesellsch. 1897.
Bd. XXIX, S. 246—260.
Es werden 9 Thonfiguren unter Beifügung guter Abbildungen be-
sprochen, und zwar teilt v. W. sie der jüngeren Steinzeit zu: eine
menschliche Figur von Sabnitz bei Brüx, einen Stierkopf als Öhse eines
Thongefässes von Podbaba bei Prag, einen Stierkopf als Aufsatz eines
Thongefässes von Cerny vül bei Prag und zwei Stierfiguren vom Schlaner
Berg; der Völkerwanderungszeit: einen Stierkopf von Wiessen und
zwei Vogelfiguren von Havrau bei Brüx (letztere vielleicht einer noch
späteren Zeit); der slavischen Kultur: ein mit Kopf und Schw^anz
eines Widders verziertes Thongefäss vom Hrädek bei Caslau.
Ob die zuerst genannte Menschenfigur wirklich neolithisch ist, geht
aus den angeführten Daten nicht mit voller Gewissheit hervor, doch ist
es wahrscheinlich. Die beiden Stierköpfe von Podbaba und Cerny vül sind
sicher neolithisch und zwar gehören sie, wie aus den an den Stücken
befindlichen Ornamenten sicher hervorgeht, der Bandkeramik an; es sei
hier an ein analoges Stück der Sammlung Zschiesche in Erfurt erinnert,
welches anscheinend ein gehörntes menschliches Gesicht darstellen soll und,
wie Ref. bezeugen kann, ebenfalls der Bandkeramik angehört.*) Die Datierung
der beiden Stier figuren vom Schlaner Berg scheint nicht so sicher zu sein,
da man aus v. W.'s Angaben nicht ersehen kann, ob sie in der neolithischen
oder einer ebenfalls dort vorkommenden bronzezeitlichen Schicht gefunden
wurden. Auch die Zeitstellung des Stierkopfes von Wiessen möchte ich
für eine provisorische halten, bis die damit zusammen gefundenen höchst
eigenartigen Gefässe noch sicherer datiert sind. Das Widdergefäss ist durch
Form und Ornament hinreichend sicher bestimmt.
Dr. A. Götze-Berlin.
*) Vergl. Zschiesche. Mitt. d. Vereins f. d. Geschichte u Altertumsk. von
Erfurt. XIII. Taf. IV, Fig. J6.
144
B. Referate. 3. Urgeschichte. I
I
92. J. L. Pic. Archaeologicky vyzkum ve strednich Cechäch
1895 — 1896. (Archäologische Forschungen in Mittelböhmen.) i
Pamätky archäol. 1896 und 1897, Band XVII, Seite 175, 367,
479 u. 671.
Ein tüchtiges Stück gewissenhafter Arbeit, an der sich ausser dem
Autor auch A. Formaneek, J. Hellich und J. Wank beteiligten. Das ■
Ergebnis ist kurz folgendes: Aschengruben bei Vepfek (Tafel XX),
flache, Cylinder- oder birnförmige Gruben mit Tierknochen, Knochen-
artefakten und Scherben, seltener mit Stichornament (Neolith., Monsheim)
häufiger graphitiert und vom Hallstatttypus; dazu gehören 4 Gussformen
(eine für eine Lunula). Verfasser nimmt mit Recht eine Doppelbesiedlung
an. Bemerkenswert sind liegende Hockerskelette und 2 Kindergräber in
Töpfen. (Einmal hockendes Skelett in einem Topfe mit einer Schüssel ''
bedeckt, ein andermal zwei übereinandergestürzte Töpfe, von denen der
eine den überragenden Oberkörper und Schädel umfasst.) — Aschen-
gruben zwischen Pecky und Radim, mehrere lokal und zeitlich
getrennte Ansiedlungen vorstellend: so eine Gruppe (Tafel XXI) mit
Scherben der neol. Bandkeranik, Feuersteinwerkzeugen, Marmorarmband
(Fragment) mit dem zugehörigen Bohrkern; eine Bronzepfeilspitze ohne
näher konstatierte Fundtiefe. — In einer zweiten Gruppe, deren Gruben
in einer mächtigen Aschenschicht gelagert waren, fanden sich auch liegende
oder sitzende Hocker in Gruben (Schädel dolichocephal). Die Scherben
(Tafel XXII — XXIV) gehören einer vorgeschrittenen Kultur an (jüngeren
Hallstattkultur). — Aschengruben bei Voderady (Tafel XXV), jenen von
Radim gleichend und nebst Scherben eine Nadel mit spiralig eingedrehtem
Kopf, einen zweizähnigen Bronzekratzer und eine Kahnfibel (Bologner Form)
enthaltend. — Ebendaselbst eine Grube aus der La Tene-Zeit
mit charakteristischer Keramik und Glasarmband (Tafel XXVI). — Kultur-
gruben in der Plananer Zuckerfabrik (Tafel XXVII, 1—8) mit
schönen, bauchigen, auf der Töpferscheibe gefertigten, graphitierten Gefässen
mit getüpfeltem Mäander oder solchen von Becherform mit geometrischen
Ornamenten. Das Alter dieser Gefässe ist durch den Darzauer Grabfund
bestimmt (II. Jahrh. p. Chr.); die becherförmigen Gefässe erinnern an die
von Kostomlat (mit Münze Nervas). Ähnliche Mäander-Ornamente finden
sich auf Scherben aus den Gräbern bei Brouckov (Tafel XXVII, 9—13),
vor allen aber auf den Gefässen des Grabfelds auf der Pichora bei Dobfichov.
— Ansiedln ng bei Tuklaty (Tafel XXXVI— XXXIX). Nach den in
Gruben gemachten Funden (Gefässe und Scherben mit Mäander, Terra
Sigill.-Scherben, prov. römischen Fibeln, Bronzepinzette, Bronzegefässhenkel,
Eisenlanzenspitzen, Nadeln etc., abgesehen von dem oberflächlich gefundenen
römischen Eisenschlüssel, Bronzesiegelring) gehört die Ansiedlung dem
Ende des I. oder dem II. Jahrhundert nach Christi an. Bemerkenswert
B. Referate. 3. Urgeschichte. 145
sind zwei Eisenschmelzöfen, die zum Teil in die Erde eingelassen, zum
Teil mit (jetzt gebranntem) Lehm ausgeschmiert sind. Der Rauclifang
oder Ofenröhre ist gut erhalten. Am Boden fanden sich Schlacken und
Gusseisen (vergl. Abbildung p. 373, 376, 380). Ein anderer Herd, auf
dem eine runde Eisengussplatte lag, scheint der weiteren Verarbeitung
gedient zu haben. — Grabfeld mit liegenden Hockern bei Bylany
(Tafel XL— XLVIII) und das Grab bei Zärybnik (Tafel XLIX): Die
örthch gemischten Gräber gehören zwei verschiedenen Kulturen und Zeiten
an. Die älteren enthalten Amphoren und Becher mit Schnurornament,
Feuersteinmesserchen , perforierte Tierzähne, daneben spärlich Bronze
(Spiralen); die jüngeren sind charakterisiert durch offene Bronzearmringe
i vom La Tenetypus (an einer Leiche 9 Paar), Halsringe, Schwanenhals-
I nadeln, Bronzezaum, Toilettengarnitur (Pinzette, Kratzer und Ohrlöffel),
I Lignitringe, Bernsteinperlen, eiserne Nadeln, Messer, Lanzenspitzen, Eisen-
i Schwerter (Zärybnik). Dazu gehört eine wohl charakterisierte Keramik:
I gemalte (meist rot) und graphitierte Gefässe mit gestreiften, geritzten oder
i eingedrückten geometrischen Ornamenten; (ein Gefäss mit ansa lunata aus
einer Grube gehört einer anderen Kultur an). Das ganze Bild entspricht
der Hallstattkultur, jedoch schon mit Anklängen an La Tene, wie sie sich
in den oberpfälzischen und fränkischen Funden offenbart; ja es scheint,
! dass diese Kultur Strömung von dort nach Böhmen gelangte (4. Jahrhundert
j vor Christi. — Naue). Eine spätere Volksinvasion glaubt Verfasser aus-
' schliessen zu können, teils wegen der Übereinstimmung der Schädelformen
i mit jenen aus den älteren Hockergräbern, teils weil diese Kulturrichtung
j auch in den Hügelgräbern Südböhmens ihren Einfluss verrät. Der Chrono-
logie nach könnte man sonst an die Bojer denken. — Brandgräber
lauf der Pichora bei Dobrichov (Tafel LH — LXX.) Im Ganzen 131
[Gräber aus der Römerzeit; die Leichenbrandreste sind in einer Urne bei-
' gesetzt, darüber, seltener neben oder unier der Urne die Beigaben, die
I zum Teil durch Feuer gelitten haben. Die Männergräber enthalten Waffen
j (mehrfach zusammengebogene Eisenschwerter, Lanzen etc.), die der Weiber
I Haus- und Kleidungsgeräte (Nadeln, Messer, Scheeren, Bronzekasserolen etc.).
j Von den 6 vollständig erhaltenen Bronzeurnen zeigen 2 die bekannten
! römischen (etruskischen) Formen und Verzierungen, die eine unter den
Henkelohren je einen Frauenkopf en face und beiderseits davon einen
Hundekopf en profil, während der Henkelreif jederseits in rückgebogene
I Schwanenköpfe ausläuft; 2 Gefässe haben Kessel-, 2 Topfform und sind
' insgesamt am Hals mit Eisenösen versehen. Von den übrigen Bronzege-
fässfragmenten trägt ein Kasseroigriff den Stempel HILOKA. Die Keramik,
noch teilweise vom La Tenetypus und teils mittels Töpferscheibe, teils
wohl nur am Töpfertisch geformt, weist mehrere Charakteristika auf: die
einfache Wellenlinie, halbkreisförmige mehrfache Ritzlinien, Mäander-
ornament. Dies letztere, ursprünglich linienförmig, stammt, wie Verfasser
Centralblatt für Anthropologie, 1898. 10
146 B. Referate. 3. Urgeschichte.
ausführt, aus Griechenland, von wo es nach Klein-Asien, andererseits nach
Italien gelangte; von da aus drang es über die Schweiz (Pfahlbauten) und
Baden bis nach Norden (Schweden), ausserdem aber über die Alpen
(Hallstatt) nach Böhmen und Norddeutschland. Das punktierte, mittels
Rollrädchen erzeugte Mäanderornament auf den Gefässen der Pichora ist
auch in Mähren und Norddeutschland zu finden, kommt aber nirgends so
zahlreich an Gebrauchsgefässen vor wie in Böhmen, so dass es wohl hier
seinen Ursprung nahm und zwar wohl bei den Slaven, die in jener Zeit
sich hier durch einige Ortsnamen verraten (Krkonos, Rakati, Rakousy,
Vindobona), da die Markomannen bereits verdrängt waren. — Unter den
180 Fibeln finden sich solche mit La Teneköpfchen, Hakenfibeln, Gallische
und Sternfibeln u. s. w. Ausserdem fanden sich Nadeln, Gürtelhaken
(auch mit durchbrochener Platte), Filigrananhängsel, Messer, Scheeren,
Kämme, Spiegel, Becher- und Kästchenbeschläge, an Waffen Schwerter
vom provinz. -römischen Typus, Lanzenspitzen, Schildbuckel und -Halter,
Sporen etc. — Unweit vom Grabfelde liegt die zugehörige Ansiedlung
(Gruben mit Scherben vom selben Typus, Mäander etc.). — Ein Brand-
grab bei Liber in der Nähe von Eule (Tafel LXXII) mit einem Bronzetopf,
zwei absichtlich verbogene Bronzekasserolen, Schildbuckel, Schildhalter,
Eisenlanzenspitzen, Messer, Gürtelhaken und Bronzegehänge gehört derselben
Kultur an.
Im Anschluss an früher gebotene Ausführungen sucht Verfasser die
böhmischen Funde mit den geschichtlichen Überlieferungen in Einklang
zu bringen: Tacitus' Bojer findet er in den La Teneskelettgräbern, die
Kotini in denen Mährens, das markomannische Marobudum in dem seiner
Zeit mit Mauern befestigten Stradonice (bei Beraun) mit seiner an Alesia
erinnernden Keramik, seinem Reichtum an gallischen Münzen und seinem
typischen Inventar. Die Funde von Dobfichov und Tuklaty gehören weder
den Germanen noch den Sueven an, besitzen ein ganz anderes Gepräge
und zeigen Beziehungen einerseits durch den Fund bei Michle mit
der Kultur der spätslavischen Reihengräber und Burgwälle, andererseits
mit den Urnenfeldern Norddeutschlands, d. h. sie gehören schon den
Slaven an. Die Urnenfelder vom Lausitzer und Schlesischen Typus zwischen
der Weichsel, der Elbe und den Sudeten, deren Beginn von deutschen
Autoren um 800 (bis 600) vor Christi verlegt wird, verraten uns die hier
stattgehabte, auch linguistisch nachweisbare Spaltung der hier stark ange-
wachsenen slavischen Bevölkerung. Die erste slavische Etappe vor dieser Zeit
(800 — 600 v. Chr.) sucht Autor (wie Safafik) der Nomenklatur nach an der
mittleren Donau. — Die ausführliche Begründung dieser Ansichten kann
hier nicht wiedergegeben werden. — Neue Funde aus der Umgebung
von Libic bei Podebrad (Tafel LXXX u. Abbild, p. 677): Ansiedlung
(Gruben) mit Objekten (besonders Scherben vom Burgwalltypus), sowie
Grabfeld aus derselben Zeit mit slavischen Schläfenringen und Denaren
B. Referate. 3. Urgeschichte. 147
Boleslavs (967 — 999). Die Schädel sind im Mittel mesocephal (75,3, min.
69,6, maxim. 82,2). — Burg wall bei Libic (Durchschnitt p. 689) und
Ansiedlung bei Tfeboule (Tafel LXXXI) aus derselben Zeit.
Dr. H. Matiegka-Prag.
93. M. Kriz: Über einen wichtigen Löshügel in Predmost bei
Prerau. Mitt. d. Sektion für Naturkunde des Ö. T.-C. 1897.
Nr. 5—7.
Kfi'z teilt die Resultate seiner Beobachtungen auf der bekannten
diluvialen Fundstelle mit. Vor allem bemüht er sich nachzuweisen, dass
der Mensch gleichzeitig mit dem Mammuth dort gelebt hat, und dies ist
ihm geglückt — unter der Voraussetzung, dass die von ihm angeführten
thatsächlichen Daten richtig sind. In der Annahme, dass die auf S. 19
unter Nr. 2 und 3 erwähnten Mammuthknochen sich in primärer Lagerung
befinden, muss man die daselbst angeführte Beobachtung als einen voll-
gültigen Beweis dafür ansehen, dass der Mensch mindestens gleichzeitig
mit dem Mammuth auf der Lösskuppe gelebt hat. Bedenken allgemeiner
Natur, wie man sie vielleicht vor mehreren Decennien vorgebracht hätte,
können hiergegen nicht mehr geltend gemacht werden, seitdem man aus
der grossartigen Ansiedelungsstelle bei Taubach weiss, dass der Mensch
bereits in einer der letzten Interglacialzeiten in Mitteldeutschland gelebt hat.
Dr. Ä. Götze-Berlin.
94. R. V. Weinzierl: Eine prähistorische Ansiedelung bei
Gastorf. Mit 2 Textfiguren und 4 Tafeln. Leipa 1897. Selbst-
verlag des Nordböhm. Excurs. -Clubs. (Sep.-Abdr. a. d. Mitt.
d. Nordböhm. Excursions-Clubs. Bd. XX. S. 113—125.).
Als Einführung wird eine Anzahl von Funden aus der näheren und.
weiteren Umgebung Gastorfs besprochen.^ Warum der Grabfund von
Techobusitz der La Tene-Periode zugewiesen wird, ist nicht recht ersicht-
lich, da Verf. ja selbst aus diesem Fund Fibeln der römischen Kaiserzeit
erwähnt. Wichtig ist eine Notiz über ein slavisches Skelettgräberfeld mit
Schläfenringen und einer bei den Skeletten gefundenen Münze des
Wratislaus II. (1061 — 1092.)
Die Ansiedelungsstelle bei Gastorf wird dann ausführlicher beschrieben.
Es sind mehrere Schichten vorhanden, die nach v. W. teils der neolithischen,
teils der Bronzezeit angehören, teils auch Keramik vom Lausitzer Typus
enthalten. Zwischen den Ansiedelungsresten wurden auch Gräber ge-
funden, und zwar in der unteren Sclncht ein liegender Hocker, weiter
oben Brandgräber.
Dr, Ä. Götze-Berlin.
10*
148 B- Referate. B. Urgeschichte.
95. R. y. Weiuzierl: Neue Funde auf der Lösskuppe, süd-
östlich von Lolbositz a. d. Elbe. Verhandl. d. Berl. anthrop.
Gesellsch. 1897. Bd. XXIX, S. 42—51.
Bericht über die Fortsetzung der Ausgrabungen des Verf. bei Lobositz.
Von besonderem Interesse sind Angaben über neolithische Brandgräber,
die aber nach der Beschreibung von den späteren Brandgräbern abzu-
weichen scheinen, sowie über Anzeichen von Anthropophagie.
Dr. A. Götze-Berlin.
96. H. Matiegka: 0 bronzoYych jehläch süskem. (Über Bronze-
nadeln mit Öhr) Öasopis spol. prätel star. Ö. v. Praze 1897. i
S. 81. Mit 1 Tafel.
Die Tafel bringt Abbildungen der verschiedenen Formen und Über-
gänge der in Böhmen gefundenen Nadeln mit Öhr von den langen Grab-
hügelnadeln mit einfachem Loch (wie sie Naue in Bayern fand) bis zu den
knieförmig gebogenen schlesischen und den Virchowschen Scheiben- oder
Spiegelnadeln, deren oberer Rand zu einem Röhrchen eingebogen ist.
Speziell werden die Säbelnadeln behandelt, die in Böhmen wie wohl nirgends
häufig zu finden sind und zwar in Skelettgräbern mit liegenden Hockern.
Sie erscheinen nebeneinander in 4 Formen: 1. das obere Ende ist wie an
einer Fibel mehrmals eingedreht und dann um den Schaft gewunden.
2. Das runde Köpfchen ist am Grund durchbohrt. 3. Ein verkehrt kegel-
förmiges Köpfchen trägt ein Öhr. 4. Das obere Ende ist flach ausge-
hämmert und von beiden Seiten eingebogen. Jedenfalls geschah das Ein-
biegen um einen in der Achse der Nadel gelegenen Riemenstreifen und
beweist, dass diese Nadeln an das Kleidungsstück mittels eines Fadens be-
festigt waren (vergl. Olshausen). Die letzten zwei Formen sind die
häufigsten. Fast alle Nadeln sind am unteren Ende schwach gebogen.
Die verschiedene Lage der Nadeln am Skelett (vertikal oder horizontal gegen-
einander) erklärt sich aus der angeführten Gebrauchsweise.
Selhstbericht
97. H. Matiegka: Naleziste u Brozänek pod M^lniken. (Fund-
ort bei Brozanek unterhalb Melnik [Böhmen]). Pamätky
archaeol. 1897. Bd. XVII. S. 565. Mit Tafeln und Abbildungen
im Text.
Der Fundort weist Abfallsgruben und Kesselgräber auf. Die letzteren
enthielten zusammengekrümmte Skelette (liegende Hocker) oder erhaltene
Schädel neben Asche (zweimal). In den Gruben fanden sich Tierknochen,
vereinzelt Menschenknochenfragmente, eine Gussform für Pfeile und Ringe,
Bein- und Steinobjekte, Scherben vom Hallstätter Typus, Bronzegegen-
stände (Nadeln, Halsringfragment etc.). Von hier stammt auch eine grosse
Schildfibel, ein Bronzemesser u. s. w.
B. lleferate. 3. Uiyescliiclite. ||,y
Von den Gefässen sind bemerkenswert: schwarzgraphitieite Etagcn-
gefässe, zierlich ornamentierte, feine Schalen, grobe Urnen mit geschweiftem
Hals, einer aufgesetzten Schüssel gleichend (an Etagengefässe erinnernd),
eine grosse ovale Wanne, deren Rand an beiden Enden etwas ausgezogen
erscheint. Endlich sind Bruchstücke mehrerer mondförmiger Idole oder
Kopfkissen hervorzuheben. Sie zeigen die rohesten Formen mit flachem
Boden, seitlich mehr weniger ausgezogenen Hörnern und sind aus ge-
branntem Thon verfertigt. Sie scheinen praktischen Zwecken gedient zu
haben und ähneln am meisten einigen Schweizer Formen (Kellers Pfahl-
bautenberichte IL Bericht. 1858. Tafel I. 27. S. 147, VII. Bericht 1876.
Tafel XX. 3. 5. 15. 17.), sowie jenen von Ghambery (Andree: Verh. d.
Berl. anthrop. Ges. 1890. 480). Selbsthericht.
98. J. L. Pic: Hromadny nälez bronzu u Jensovic. (Bronze-
massenfund bei Jenschowit zin Böhmen). Pamätky archaeol. 1897.
Bd. XVII, S. 693, Tafel LXXXIL
Bedeutender Massenfund in blossem Ackerboden gelegen, bestehend
aus 14 Bronzeschalen mit Henkeln und mit kleinem, eingebogenen Boden
versehen, und mit Reihen von kleineren und grösseren, linsenförmigen
Buckeln verziert, welche durch Aushämmern von Innen hergestellt erscheinen.
An einer Schale ist ein Schaden mittels Bronzeblech und 3 Nieten ausgeflickt.
Über Schalen dieser Art hat Dr. Voss (Verh. der Berl. anthrop. Ges. 1881.
111) ausführlich gehandelt und ihren Ursprung ebenso wie Lindenschmidt,
Undset und S. Müller nach Süden resp. Südosten verlegt. Im Prager
Museum finden sich noch 3 ähnliche (Ghrostän, Libkovic, Velkä Dobrä);
ein Fragment aus Khenov beschrieb Woldrich (Wien. Mitteil. XIII. 27).
Überdies fanden sich Bronzebuckeln, 35 kleine Bronzeknöpfe, über 30 flache
Bronzeringe, 36 Bronzespiralen, 2 Bronzesicheln, ein geschweiftes Bronze-
\ messer, eine Bernsteinperle von Fässchenform, 7 torquierte Halsringe, deren
I ausgehämmerte Enden zu einer Öse umgebogen sind, 32 spiralig ge-
! wundene Armbänder, wie sie in Böhmen schon häufiger gefunden wurden,
I 2 Armbänder, deren ovales Schild aus Bronzeblech fein ausgehämmert ist,
j während die beiden Enden in flache Spiralen eingedreht sind (ä la Blödes-
heim und Ludwigshöhe; vergl. Lindenschmidt), sowie 4 Fingerringe von
gleicher Form. Interessant sind weiter zwei Bronzespiralfibeln (24 X 10,5
und 9,1 X 11,5 cm) mit mittlerem, ovalem Schild, von welcher Form
Undset (Etudes sur Tage de bronze, 1880. 54) ausführlich gehandelt hat.
Dergleichen fanden sich in Böhmen noch bei Brozanek (unweit diesem
Fundorte), bei Cep (Pardubitz) und 2 bei Vrcovic (in der Nähe von Strakonitz).
EndHch fand sich ein grader Bronzestab und ein zweiter zangenförmig zu-
sammengebogener, dessen Mitte ovalförmig etwas ausgehämmert war,
jedenfalls eine unvollendete Fibel von eben erwähnter Form. — Der Fund
150 ß- Hefeiate. 3, Urgescliiclite.
bietet also nebeneinander Stücke der Hallstatter, der ungarischen, der
nordischen und der schweizer Bronzekultur und beweist deren gleich-
zeitiges Bestehen. — Die vergleichende Litteratur ist ausführlich angegeben.
Dr. H. Matiegka-Prag.
90. J. L. Cerviuka: Archaeologicke zprävy zokoli Uh. Uradiste.
(Archäol. Berichte aus der Umgebung von Ung. Hradischt, Mähren).
Öasopis vi. muz. sp. Olom. Olmütz 1896. S. 113.
Beschreibung einer Reihe von Einzel- und Massenfunden, sowie Fund-
stätten, darunter die Ansiedelung auf der Flur „Plostiny" bei Bilowitz
(Tafel VIII.): Gruben mit Scherben, Bronzedolch, Ring mit Endspiralen,
Bronzebeil und Massenfund von 8 Bronzesicheln, Bronzeschwertfragment
(Griff), Einzelfund von Hluk. Dr. H, Matiegka-Prag.
100. J. Felcmann und V. Schmidt: Archäologicky Yyzkum
„Üdoli svatojirsk^ho'^ a okoli. (Archäol. Erforschung des
St. Georgsthaies und seiner Umgebung [Mittelböhmen]). Pamätky
archaeol. 1897. Bd. XVI. S. 191, 285, 411 u. 539. Mit Tafeln
und Abbildungen im Text.
Brandgrab vonLisovic: schöner Bronzeeimer, auf 3 Füssen ruhend,
dessen Henkel mit den schwanenkopfförmig gebildeten Enden in 2 Öhre
am Gefässrand eingreift, unter welchen sich je ein Menschengesicht mit
seitlichen flügelartigen Verzierungen befindet. Der Inhalt bestand aus
Asche, Knochen, Bronzemesser, Draht, Bronzeblech (Deckel?) und einem
kegelförmigen, auf einer mit 4 Nieten versehenen Basis aufgesetzten Bronze-
sporn. — Weitere Hockergräber bei Neprobilic mit Säbelnadeln
mit Öhr und charakteristischer Keramik. Desgleichen ein Grabfeld bei
Lotous. — La Tenegrab bei Kl. Cicovice, enthaltend einen Buckel-
armring, dessen beide Hälften mittels Schloss verbunden sind. — Der
Schlaner Berg (Slänskä hora): Erdwälle mit Steinkern umgeben einen
ausgedehnten Fundort mit Kultur- oder Abfallsgruben; dieselben ent-
halten Knochen, Asche, Bein- und Steinartefakte, sowie Scherben, die auf
die Neolith-, Bronze-, Hallstatt- und La Tenezeit hinweisen und mehrfache
Ansiedelung annehmen lassen. Spärliche Bronzeobjekte. Unter den
Knochen auch vereinzelte zerschlagene Menschenknochen (Anthropophagie?).
— Ansiedelung bei Kamenomost: Abfallgruben wie am Schlaner
Berge, jedoch von einheithchem Typus und älterem Datum mit Bein- und Stein-
artefakten, sowie Scherben der charakteristischen, neolithischen Band-
keramik. — Grab feld bei Lisovic: In der Nähe des ersterwähnten
Brandgrabes fanden sich: ein Hockergrab aus älterer Zeit, 2 Skelettgräber
aus dem X. — XI. Jahrhundert und mehrere Brandgräber aus der Römer-
zeit mit Bronzeobjekten und verbogenen Eisenwaffen, wie sie im grossen
B. Referate. 3. Urgescliiclite. 151
Grabfeld von Dobvichor massenhaft gefunden wurden. Bei einem Skelett-
grab handelte es sich um teilweise Verbrennung. Anstatt des Kopfes stand
unweit (20 cm) eine Aschenurne mit den Schädelfragmenten. — An-
siedelung und Brandgräber aus der Römerzeit bei Slatina:
Gefässe, Gold- und Silberanhängsel (Filigranarbeit), Tierfibel aus Bronze
(Hase?), Eisenmesser, Beinkammfragment, Glasperlen.
Dr. H. Matiegka-Prag.
101. R. Virchow: Das vermeintliche Torkommen von prä-
historischem Zinkguss in Siebenbürgen. Verhandl. d.
Berl. anthrop. Gesellsch. 1896. Bd. XXVIII, S. 338-339.
Ein bei Tordos gefundenes, angeblich altdakisches Idol besteht nach
Helms Analyse aus Zink mit Beimischung von Blei und Eisen (vergl.
Centralbl. 1896. Bd. I, S. 352). Helm hatte daraus gefolgert, dass das Zink
bereits in prähistorischer Zeit bekannt gewesen sei. Virchow hat nun
eine nochmalige Untersuchung der Probe durch Landolt veranlasst, welche
zeigte, dass es sich nicht um eine Legierung, sondern um die Verlötung
einer Bleiplatte mit einer Zinkplatte handelt. Nach Virchow zwingen die
Fundumstände nicht zu der Annahme, dass dieses Idol altdakisch, d. h.
prähistorisch sei.
Ein ebenfalls „auf der altdakischen Wohnstätte" gefundener Reif
enthält nach Helm 6,92 pCt. Zinn. Da Zinnerze in Siebenbürgen nicht
vorkommen, hatte Helm Import des Rohmaterials angenommen, während
Virchow auf fremdländischen Ursprung des Reifes selbst schliesst.
Dr. Ä. Götze-Berlin.
5. Frankreich.
102. J. Mähen: Note sur nn silex taille trouve dans la conche
plioc^ne de Oourbesville (Manche). Bull, de la Soc. d'an-
throp. de Paris. 1896. Bd. VII, S. 491.
Zu Port-Brehay, einem Dorfe zwischen Chef- du -Pont und Valogne
(Marne) fand Verf. in Schichten, die seiner Ansicht nach — er ist Geologe
— dem oberen tertiären Pliocen angehören, einen Feuersteinsplitter, der
nach dem übereinstimmenden Urteile der Archäologen G. de Mortillet und
Vire absichtlich von Menschenhand geschlagen sein muss.
In der Diskussion hebt jedoch de Mortillet hervor, dass für das tertiäre
Alter der betreffenden Fundschicht die nöthige Garantie leider noch aus-
stände. Dr. Buscliayi-Stettin.
103. P. Raymond: Gravures de la grotte magdalenienne de
Jean-Lonis ä Aigu^ze (Gard.). Bull, de la Soc. d'anthrop.
de Paris. 1896. Bd. VII, S. 643.
152 B. Referate. 3. Urgeschichte.
In der Gemeinde Aigueze existiert eine Grotte, deren Wände Gra-
vierungen tragen. Dieselben bestehen in vertikalen Strichen, auch in solchen,
die quer verlaufen und sich im Winkel schneiden, v^odurch eine wirk-
liche Schraffierung entstanden ist, sowie in einem aus diametral sich gegen-
überstehenden und miteinander verschränkten Winkeln gebildeten Sterne.
Teilweise sind dieselben von einer Stalaktiten-Schicht bedeckt.
Die Grotte wurde zur Madeleine-Periode bewohnt; zur neolithischen
Zeit scheint dies nicht mehr der Fall gewesen zu sein. Erst aus der gallo-
römischen Epoche hat man wieder Funde zu verzeichnen. Welchem Zeit-
alter die Skulpturen angehören, lässt der Verfasser unentschieden.
Dr. Buschan-Stettin.
104. E. Piette et J. de la Porterie: Fouilles ä Brassempouy
en 1896. L'Anthropologie 1897. Bd. VIII, S. 165. (1 Tafel
und 6 Abbildungen.)
Die Ausgrabungen in Brassempouy ergaben im Jahre 1896 nur wenig
neues: die unterste Schicht der Grotte du Pape lieferte eine elfenbeinerne
Frauenstatuette, die durch ihre Fettleibigkeit an die berühmte race adipeuse
von Brassempouy erinnert. Diese Schicht entspricht der Skulpturenschicht
vom Mas-d'Azil. In der mittleren Schicht kamen Feuersteinschaber, Pfeil-
spitzen aus Renntiergeweih und Weberwerkzeuge zum Vorschein. In
der obersten Schicht endlich fand man eingravierte Darstellungen vom
Pferd. Die zwei unteren Schichten sind rein glaciär (Mammut, Rhinozeros,
Auerochs, Renntier); in der oberen gleicht die Fauna, mit Ausnahme des
Renntiers, der der Gegenwart. Dieselbe scheint also der Übergangsperiode
anzugehören. Dr. L. Laloy-Paris.
105. A. Laville, H. Mansuy et B. Verneau: Stations pr^histori-
ques des Hautes-Bruy^res, commune de Yillejuif (Seine).
L'Anthropologie. 1897. Bd. VIII. S. 385.
Die zwei betreffenden Niederlassungen befinden sich auf einem eocenen
Sandhügel in der unmittelbaren Nähe von Paris. In und neben den Feuer-
stellen traf man mehrere Feuersteinwerkzeuge: Bohrer, Schaber und
Klingen (ein Schaber und ein 57 Millimeter langer Meissel sind nach-
träglich noch vom Referenten aufgefunden worden) an; alle sind einfach
behauen. Aber die polierten Beile, sowie die Topfscherben und ein steinerner
Armring zeigen, dass es sich hier um neolithische Niederlassungen handelt.
In einer derselben fand sich sogar eine 66 Millimeter lange bronzene
Klinge; indessen meint Referent, dass man nicht zuviel Gewicht auf diesen
Fund legen darf, denn viel jüngere Gegenstände mögen durch Pflügen des
Ackers in grössere Tiefen eingedrungen sein.
In einer der Niederlassungen fanden sich auch zwei Skelette, die
leider von den Handwerkern fast vollständig vernichtet wurden. Wenn
B. Referate. 3. Urgeschiclite. I53
man die Manouvriersche Formel auf die übriggebliebenen Radii anwendet,
so bekommt man eine Körperhöhe von 1,70 m bezw. 1,68 m. Die Femora,
von denen nur Bruchstücke übrig blieben, zeigen von vorn nach hinten
jene Abplattung, die in neolithischer Zeit häufig vorkommt. Die Schädel
(Index 73,19 und 69,27) scheinen ziemlich gross gewesen zu sein. Der
eine war sehr hoch, und seine Höhe war gewiss viel grösser als seine
Maximalbreite; der andere dagegen ist niedrig und zugleich kürzer, was
auf eine Kreuzung des neolithischen Dilichocephalen mit der Rasse von
Furfooz zurückgeführt werden kann. Dr. L. Laloy-Paris.
106. P. Baymoud: Deux grottes sepulcrales dans le Oard,
contribution ä l'etude de Tage du ciiivre dans les C6-
yennes. Bull, de la Soc. d'anthrop. de Paris. 1897. Bd. VIII,
S. 65.
In der Höhle von St. Genies, departement du Gard, wurden neolithsche
Werkzeuge aus Feuerstein, Töpfergerät und leider nicht zu verwertende
Skelettreste aufgefunden. Dazu kamen später noch ein 0,165 m langer
Dolch und ein periförmiges Schmuckstück, beide aus reinem Kupfer. —
Die Höhle von Aiguerze, unweit jener, ist niemals bewohnt worden. Man
fand darin nur das Grab einer jungen Frau, die sich durch ihre Brachy-
cephalie (83,3), Platyrrhinie (56,5) und Mesosemie (88,8) auszeichnet. Die
mutmaassliche Körperhöhe dürfte nur ungefähr 1,50 m betragen haben.
Es sind dieses die Merkmale der neolithischen brachycephalen Rasse von
Grenelle-Furfooz, durch welche die ursprünglichen Dolichocephalen ver-
drängt wurden. Was aber bemerkenswert erscheint, ist der Umstand, dass
ein Vertreter dieser Rasse in einer natürlichen Höhle bestattet Avorden ist;
denn bis jetzt hatte man im Gard Brachycephalen nur in den Dolmen
gefunden.
Hervorzuheben ist noch, dass in diesem Grabe, neben rohem neo-
lithischen Topfgerät, auch Stücke einer feineren schwarzen Keramik, die
das Bronzealter kennzeichnen, aufgefunden wurden, und dass unter einem
nahestehenden Dolmen ein Kupferring zum Vorschein kam. Alle diese
i Funde scheinen also einer Übergangsperiode zwischen jüngerer Stein- und
Bronze- oder vielmehr der Kupferzeit anzugehören. Brachycephale mischen
sich mit Langköpfen; die Toten werden in Höhlen, unter Dolmen, oder
unter Steinplatten bestattet; eine neue Kultur ist in der Entwickelung be-
griflfen; im nächstkommenden Stadium wird das Kupfer durch die Bronze,
die Leichenbestattung durch den Leichenbrand ersetzt.
Dr. L. Laloy-Faris.
107. Charles Blin: Dicouverte de petites haches en bronze
Cachette de Champ-Cauvet. Revue mens, de l'Ecole d'anthrop.
de Paris. 1896. Bd. VI, S. 450.
j^54 B- r^eferate. 3. Urgeschichte.
Zu Champ-Cauvet in der Gemeinde Saint-Germain-de-Tournebut bei
Montebourg (Arrond. Valognes, Dep. Manche) wurden gegen 100 Bionze-
teilchen (Hohlkette mit Öse) gefunden, die wegen ihrer Kleinheit (Länge 0,065
bis 0,080 m, Gewicht 0,065— 0,095 kg) Beachtung verdienen. Dieser Um-
stand spricht dafür, dass wir es hier mit Votivstücken oder Bronzeketten
zu thun haben.
Das Departement Le Manche hat bisher die grösste Anzahl von sogen.
Versteckfunden geHefert, deren Mortillet 1 1 mit Namen im Anhange anführt.
Dr. Buschan-Stettin.
108. E. Cartailhac: Les torques d'or du musee de Bordeaux.
L'Anthropologie 1897. Bd. VIII. S. 584 (1 Abbild.).
Dieses prächtige Stück wiegt 762 gr und besteht aus 4 dicken, ge-
wundenen Drähten aus massivem Gold. An jedem Ende ist eine Hohl-
kugel von 4 Centimeter Durchmesser. Es wurde 1893 in einem Felde
aufgefunden und war in 3 Stücke zerbrochen. Dabei fanden sich 73 Gold-
stangen von einem mittleren Gewicht von 7,60 gr, ein Golddraht, der 53 gr
wog, und zwei weitere Goldfragmente von 55 und 17 gr; endlich 325
Goldmünzen der Arveonen und der Bellovaben. Diese Münzen sind
teilweise nur auf einer Seite geprägt. Der ganze Fund lag in zwei Ge-
fässen, die leider verloren gingen. Es handelt sich also um einen Depot-
fund eines galhschen Münzengiessers. Das goldene Halsband war zer-
schlagen, um leichter geschmolzen werden zu können. Man kann bezüghch
desselben sich fragen, ob es aus derselben Zeit herstammt, wie die galhschen
Münzen oder ob es aus einer ausgebeuteten älteren Grabstätte herrührt.
Dr. L. Laloy-Paris.
109. S. Reinach: Sur les cornes de boyid^s termin^es par des
boules. L'Anthropologie. 1896. Bd. VII, S. 553.
Verf. hebt hervor, dass in den keltischen Kunstwerken Hörner, die
mit Kugeln enden, häufig beobachtet werden, z. B. auf Helmen, auf Dolch-
griffen u. s. w. 1825 wurde bei Chavanges ein prächtiger bronzener
Ochsenkopf entdeckt, dessen Hörner in Kugeln endigten. Dieser Kopf
stammt gew^iss aus vorrömischer Zeit, und die mit Kugeln verzierten Hörner
müssen als ein charakteristisches Merkmal keltischer Kunst angesehen
werden. Dr, L. Laloy-Paris.
£. Schweiz.
110. J. Heierli: Die ältesten Gräber in der Schweiz. Globus.
1897. Band LXXII, Nr. 16.
Gräber aus paläolithischer Zeit sind bis jetzt in der Schweiz nicht
bekannt geworden. Die ältesten Grabfunde stammen aus der neolithischen
Epoche. Es sind Höhlengräber, wie diejenigen von Herblingen bei
B, Referate. 8. Urgeschichte. 155
Schaffhausen, oder Hockergräber in freier Erde. Am Genfersec fand man
Grabkisten aus Steinplatten von ca. Yj m Länge und Breite. In diesen
Kisten lagen 1 — 4 Leichen, wobei die Köpfe in die Ecken zu liegen
kamen, die übrigen Knochen in der Mitte des Grabes aufgehäuft wurden
(sekundäre Begräbnisse?). Wie an einigen Stellen der Westschweiz, so
fanden sich auch im Schweizersbild bei Schaffhausen Hockergräber. Der
letztgenannte Fundort lieferte zum Teil Skelette von ,, pygmäenartigen"
Menschen. Gegen Ende der Steinzeit erscheint die Sitte des Leichenbrandes,
wie z. B. in den Grabhügeln von Schöffiisdorf im Kanton Zürich, deren
Keramik das Schnur- und Tupfen-Ornament aufweist, die beide auch an
Gefässen aus kupferzeitlichen Pfahlbauten nachgewiesen werden können.
Frof. Dr. J. W eher -Winter thur.
111. A. Naef: Fouilles romaines ä Martigny (Valais) 1896,
jusqu' ä 1897. Anzeiger für schweizerische Altertumskunde-
1897. Seite 92—105 mit Tafeln und Text-Illustrationen.
Das römische Octodurus, am Nordfusse des Grossen St. Bernhard
war schon in vorrömischer Zeit bewohnt. Die römischen Funde sind
jedoch bedeutender, als diejenigen älterer Epochen. Seit einigen Jahren
werden systematische Grabungen ausgeführt unter der Aufsicht der eidge-
nössischen Kommission für Erhaltung vaterländischer Altertümer. Diese
haben eine Art Bazar finden lassen, und die Arbeit Naef s bildet nun eben
den Bericht des Leiters der Ausgrabungen an den Präsidenten der eid-
genössischen Kommission. Die Funde sind zahlreich und bestehen in Bau-
fragmenten, Inschriften, Objekten aus Bronze, Eisen, Hörn, Thon u. s. w.
Einige Graffiti und Statuetten erregen unser Interesse, ebenso die sehr
zahlreichen Münzen. Unter den vorrömischen Funden sei besonders ein
im Museum Bern befindliches Bronzeschwert erwähnt, das in Form und
Verzierung an ungarische Typen erinnert. Vor längerer Zeit sind auch
vorrömische Münzen in Martigny zum Vorschein gekommen.
J. Heierli' Zürich.
112. J. Heierli: Ein Gräberfeld der La T^ne-Zeit bei Oempe-
nach [-Champagny] im Kanton Freiburg. Anzeiger für
schweizerische Altertumskunde 1897. S, 126— 130 mit 2 Tafeln.
Die Gräber von Gempenach (französisch Champagny) an der Frei-
burg - Bernischen Grenze gehören der La Tene-Zeit an. Sie enthalten
Skelette in flacher Erde. Als Beigaben erscheinen Früh- und Mittel-La
Töne-Fibeln, Bronzeketten, Spangen und Ringe etc. Unter den Ringen
giebt es solche aus Glas, die bei uns bekanntlich den letzten zwei vor-
christlichen Jahrhunderten angehören. Dazu kommt ein auf der Töpfer-
scheibe gedrehter Topf, ein neuer Beweis' für die früher bewiesene Ansicht,
dass die Drehscheibe erst in der La Tene-Zeit in der Schweiz bekannt
wurde. Selhstbericht
156 ^' Keferaie. 3. Urgeschichte.
^.Italien.
113. J. Naue: Grabfund von Sirolo bei Ancona. Prähistorische
Blätter 1897, Bd. IX, Nr. 5 mit 1 Tafel.
Der schöne Fund ist durch einen Händler in den Besitz des Historien-
malers Sieck in München gekommen. Auf der Abdachung eines Hügels
in Sirolo bei Ancona fand sich in einem Grabe ausser zerstreuten Thon-
sachen ein Skelett mit reichen Bronzebeigaben. Den Schädel bedeckte ein
getriebener Glockenhelm mit schmalem Rande, auf dem Scheitel durch
zwei Bronzeknöpfe verstärkt, während ein andrer vorn als Handhabe beim
Abnehmen gedient haben kann; aus einem anders patinierten Streifen,
2 Löchern und 2 vierkantigen Stäben folgt, dass ein kammartiger Helm-
busch dazu gehört hat, wie sich auch wegen des kreisrunden Durchmessers
von 27 cm eine starke Kappe unter dem Helme annehmen lässt. Die
Helmform gehört zu den ältesten und ist nicht zu häufig gefunden, am
meisten in Mittelitalien, besonders in der Nekropole von Novilara. Auf
der Brust lagen um eine grosse Mittelscheibe acht kleinere, die mit Riemen
befestigt, sowohl zum Schmuck als zum Schutz dienten. Die Mittelscheibe,
eine der grössten unter den bekannten, gehört wegen ihrer einfachen
Ornamentierung zu der altern Art dieser Fundstücke, die ebenfalls in
Mittelitalien zu Hause sind. Schön gearbeitet ist die Lanzenspitze, deren
Schneide mittels eines Zwischengliedes an die Schaftröhre ansetzt. Zwei
Fibeln mit langem Nadelschuh, einseitiger Feder und Endknopf weisen auf
die etruskische Periode Italiens hin, sie scheinen Vorläufer der Certosa-
fibeln zu sein und lassen den Fund (auch dem Helm nach) in die erste
Hälfte des 6. Jahrhunderts setzen. Im Bügel der einen Fibel hängt ein
Ring mit einer Bronzebulla, der der andern trägt vortrefflich in Bronze
nachgebildete Muscheln als Schmuckstücke oder Amulette.
Prof. Dr. Walter-Stettin.
114. Taramelli: Tracce dell' uomo neolitico in Yalle di Susa.
Bullet, di Paletnologia Ital. 1897. Bd. XXIII, S. 101.
Verf. berichtet über eine im Gemeinde-Museum von Susa aufgestellte
Sammlung von Steinwerkzeugen der neolithischen Periode aus dem Susa-
Thale. Unter diesen Steinartefakten befindet sich ein grosses (260 mm)
Beil, poliert und von hellgrüner Felsart. Verf. hält es wegen seiner Härte
und Pellucidität an den Rändern für Nephrit. Die Krümmungen des
Beiles gegen die Schneide hin sind verschieden geführt, so dass die
eine mehr hervortritt als die andere. Am gerundeten Kopfe ist noch die
alte Oberfläche des Gerölles sichtbar. Verf. meint, dass dieses Beil, wegen
der Seltenheit des Materials, nur als Paradestück diente, und sicherem
Vernehmen zufolge aus dem nächst Susa gelegenen Thale der Dora stamme,
woher noch ein zweites poliertes und durchbohrtes, stark abgenutztes
B. Referate. 3. Urgeschichte. I57
Dioritbeil herstamme. Drei andere Beile sind aus der im Susa-Thale an-
stehenden Felsart, einem sehr dichten Chloritschiefer, gefertigt. Verf.
bringt die Funde dieses Thaies in Verbindung mit denen des Rhone-
Thaies, da es durch zwei Strassen, die des Mont-Cenis-Frejus mit dem
Po-Rhone-Thale in Verbindung steht und hofft für weitere zu gewärtigende
Ausgrabungen auf reiche Funde und erhöhtes Interesse.
Frof. Dr. K. Moser-Triest.
115. Gherardo Ghirardini: II sepolcretto primitivo di Baldaria
presso Cologna Veneta. Bullet, d. Paletnologia Italiana, 1897.
Bd. XXIII, S. 122.
Im Eingange seiner Betrachtungen über das alte Grab von Baldaria
bei Cologna Veneta wirft Verf. angesichts der bisher geltenden Annahmen,
dass am Fusse der Euganeischen Hügel eins der Hauptcentren der
venetianischen Cultur zu suchen sei, die Frage auf, ob es gerechtfertigt sei,
die anderen Funde dieser Gegend zu vernachlässigen. Er verweist auf
das klassische Werk von Montelius (La civilisation primitive en Italie), das
bestimmt war, ein vollständiges Bild der Cultur der ältesten italischen Be-
wohner zu geben, und auf die niedrige Stellung, welche darin den venetischen
Altertümern eingeräumt wird, vor anderen zugehöriger Provenienz. Verf.
bemerkt, dass im V^erke von Montelius 12 Tafeln den Funden von Este
gewidmet sind, während die aus dem veronesischen Rivoli und die von
Oppeano nur auf je einer Tafel abgebildet erscheinen. Irren würde jeder,
sagt Verf., der glaubte, dass die venetianische Gegend, mit Ausnahme des
Territoriums von Este, in der Prähistorie so ärmlich vertreten sei. Verf.
verweist auf die im Jahre 1883 im Auftrage des Unterrichts-Ministeriums
gemachten Forschungen und Publikationen über archäologische Funde in
Padua, Treviro und Belluno, ferner auf die in den Notizii degli scavi ver-
öffentlichten Berichte über die Gräber von Caverzano b. Belluno, Lozzo
und Pozzale bei Pieve di Cadore, von Montebelluna, von Asolo und von
S. Eulalia im Treviranischen, und bedauert, dass seine Publikationen,
mangels an Abbildungen, nicht jene Beachtung gefunden haben, wie sie
es wohl verdient hätten; selbst MonteHus habe ihnen keine Beachtung
geschenkt. — Zufallsfunde von Industrieerzeugnissen aus dem ersten Eisen-
zeitalter in der Umgebung von Cologna Veneta gaben dem Verf. Gelegen-
heit im vorliegenden Aufsatze das Interesse auf dieselben zu lenken. Nach
einer geschichtlichen Schilderung der Veränderung des Laufes der Etsch
im Jahre 589 und der damit erschwerten Beziehungen zwischen Este und
Cologna, erwähnt er die im Jahre 1884 durch Prof. Cipolla in Baldaria,
einem Dorfe in der Gemeinde von Cologna, gemachten Entdeckungen über
römische und archaische Funde sowie die bei der Neuanlage des Bettes
für den Fluss Guä im Jahre 1892 und 93 gemachten Funde. Schon im
158 B- Referate. 3. Urgeschichte.
Jahre 1894 hatte er alle diese Funde (Museum von Cologna) untersucht
und davon eine ausführliche Beschreibung gegeben. Es waren fast alle
Funde Brandgräbern entnommen, die zerstreut und ohne Anordnung
zwischen 1,20 bis 1,80 m Tiefe verteilt lagen, daneben auch einige
Skelettgrübern, mit Halsketten aus Röhrchen von vielfarbigem Email, ausser-
dem Urnen, in Form von bauchigen Töpfen bis zu 45 cm Höhe und
42 cm Diameter, trichterförmige Füsse von Schaalen, wie sie für die
Necropole von Villanova und Este charakteristisch sind, ferner Schälchen,
Gefässe mit hörnertragenden Henkeln, Thonspindeln etc. aus rohem Thon,
aus freier Hand gefertigt, unregelmässig in Form und ohne jegliche Ver-
zierung. Von Bronzegegenständen sind hervorzuheben Haarnadeln mit
Kügelchen, ein Armbandblatt aus Blech, Ringelchen und eine unleserliche
Münze, ferner Armbänder aus cylindrischem Bronzedraht spiralig gebogen,
Medaillons von Kugelform, eine Kahnfibel, Haarnadeln mit Knotenver-
zierung, römische Thonspindeln. Da auch römische Gegenstände, z. B.
Silbermünzen aus der Zeit der Republik, Fibeln mit Scharnier und von
Zangenform, Schlüssel, Nägel, Ahlen, Löffel und Spateln vorkommen, so'
ist Verf. der Ansicht, dass hier eine Vermischung von Gegenständen aus
Gräbern archäischen und römischen Ursprungs stattgefunden habe. — Den
Fibeln schenkt er eine grössere Aufmerksamkeit. Bei zweien nähert sich
der Bogen der Quadratform, bei der dritten der Geigenbogenform, die den
Palafiten der Terramaren eigen ist. Der Bogen einer dieser Fibeln ist mit
Email, blutegel artig angeschwollen, verziert, ähnlich denen von Villanova.
Zahlreich sind Fibeln mit grossem geripptem Bogen vertreten; das wichtigste
Stück ist mit Kettchen geschmückt, die an jene von Santa Lucia und Hallstatt
erinnern. Eine dritte Art sind die Kahnfibeln, hohl und mit länglichem
Bügel verziert, mit parallelen schlangenartigen, netzartigen Linien und
Kreisen. Einige dieser Kahnfibeln haben im Centrum zweieckige Vor-
sprünge oder Spitzen mit Kügelchen. Eine dieser Kahnfibeln ist mit drei kleinen
Figürchen sitzender Affen geschmückt — eine Verzierung, die bisher nur
an drei tarquiniensischen Fibeln beobachtet worden ist; sie beweist, wie Verf.
meint, mehr als einmal die Zugehörigkeit dieser Figur zur dekorativen Erb-
schaft der Villanova-Kultur. Verf. weist ihr einen phönizischen Ursprung an,
mit Heibig, welcher Affenfiguren aus Bernstein aus den karthagischen
Gräbern Sardiniens anführt. Verf. stützt insbesondere diese seine Ansicht
durch die goldenen, zum mykänischen Schatze von Ägina gehörigen
Ringe, wo auch 2 Affen, jeder symmetrisch mit dem Rücken gegen den anderen
gekehrt, vorkommen. Er verweist auf Evans, der auch die äginetischen
Ringe unter phönizischen Einfluss stellt, und auf andere in ganz Italien
vorkommende Funde. Erwähnenswert sind ferner aus dem archäischen
Grabe von Baldaria Schlangenfibeln mit 2 Kugelgehängen, nach Mar-
chesetti Drachenfibeln genannt, auch eine Fibel mit doppelter Spirale
vom Typus La Tene, Halsketten mit verschieden geformten Anhängseln-
B. Referate. 3. Urgeschiclite. ^r^C)
t> Ein beweglicher Doppelhenkel, nach Verf. Meinung als Fragment nicht
einer Situla, sondern einer Cista zugehörig, ist abgebildet. Besonders
wertvoll ist nach Verf. Ansicht ein Gürtel aus Bronze von 52 cm Länge
und 105 mm Breite an seiner ganzen Oberfläche mit Spiralen verziert. Er
hält ihn für den leiblichen Bruder des von Este und stellt ihn jenem
von Euböa an die Seite. Die in einander gewundenen Spiralen erscheinen
ilim als ein Motiv mykänischen Ursprungs. Nach den sehr eingehenden
Untersuchungen des Verf. sind alle diese Geräte für synchron mit der
zweiten Kulturstufe von Este oder mit jener, welche Verf. als für die erste
Phase der ausschliesslich venetischen Periode hält, anzusehen; und es
müsste nach ihm die Gegend, welcher das Grab von Baldaria angehört,
in unmittelbarer und beständiger Beziehung mit der alten Stadt Este, quer
I über den Lauf der Etsch, gestanden haben. Der Verf. will ferner beweisen,
I dass es sich hier nicht um die Überreste eines kleinen und armsehgen
Dorfes handelt, sondern eines Schlosses , das von Völkern in glücklicher
Lage und im Besitze der Vv'ohlthat auserwählter Cultur bewohnt war.
Verf. drückt schliesslich im Verein mit der Generaldirektion der Alter-
tümer den Wunsch aus, man möge eine methodische Erforschung vornehmen
: lassen an dieser Stelle, wo der Zufall diese spärlichen und ungeordneten
! Überreste des archäischen Grabes zu Tage gefördert hat.
Prof. Dr. Karl Moser-Triest.
116. A. Patroni: Bronzi arcaici di Terra di Lavoro. Bullet,
di Paletnol. Ital., 1897. Bd. XXIII, S. 140—147 mit einem
Anhange von Pigorini, S. 147-152, (4 Abbildungen).
Verf. beschreibt einen Bronzegegenstand von der Form eines ge-
I flügelten Beiles von 25 cm Länge aus dem Territorio di Mondragona
(Sinuessa) bei Gaeta stammend, für das Museum von Neapel erworben. Der
: kurze Stiel ist durch eine mit Linienbündelornament gezierte Schaufel ab-
: getrennt und aus einem Stücke gehämmert. Verf. schreibt dieses Stück,
da die archäologische Schichtenangabe fehlt, nach der Metallkomposition,
; Form und Technik der zweiten Bronzeperiode oder dem ersten Eisen-
I Zeitalter zu und meint, es habe entweder als Parade-Axt oder als Symbol
gedient. Pigorini, der eine ähnliche geflügelte Axt von demselben Fund-
orte, im prähistorischen Museum von Rom befindlich, abbildet, stimmt der
Ansicht Patroni's bei; nur meint er, es handle sich hier um eine Parade-
Axt, wegen der Krümmung der Enden, und verweist auf ähnlich geformte
Exemplare aus ItaHen; hinsichthch ihrer Verzierung sind diese beiden
Äxte die einzigen bisher bekannten von diesem Fundorte. Er glaubt, dass
vier andere zu derselben Gruppe gehörige und in den Museen von
St. Germain, München und Berlin befmdHche Stücke ohne Zweifel italischen
Ursprungs sind. Prof. Dr. Karl Moser-Triest.
160 B- Referate, 3. Urgeschichte
117. O.Patroni: La civilisationprimitiye danslaSicile Orientale.
L'Anthropologie 1897. Bd. VIII, S. 129 und 294 (40 Ab-
bildungen).
Dieser Aufsatz giebt eine gute Übersicht der Urgeschichte Siziliens,
wie sie die moderne Wissenschaft, im besonderen die Ausgrabungen Orsi's
geschaffen haben. f
Wenn wir von der paläolithischen Zeit absehen, die bereits von
V. Andrian studiert worden ist, so sehen wir, dass unser Wissen von der
neolithischen Periode durch Orsi bedeutend gefördert worden ist. Er hat
in Stentinello die Reste eines neoHthischen Dorfes gefunden, dessen Ausbeute
in kleinen Messern aus Feuerstein und aus Obsidian bestanden hat. Diese
Bevölkerung scheint keine eigentlichen Waffen gehabt zu haben. Die ohne
Drehbank hergestellten Töpferwaaren sind gut gebrannt; auf ihrer Ober-
fläche finden sich geometrische Ornamente (Zickzacklinien, Rauten
u. s. w.) eingedrückt, die mit einer weissen Masse (CO^Ca) ausgefüllt er-^
scheinen. Die Fauna enthält nur Haustiere; man kann daraus schliessen,
dass die neolithische Bevölkerung dieser Gegend Viehzucht (Hircus aegagrus,
Ovis aries, Bos brachyeros, Bos taurus, Sus palustris, dazu Canis und Mustela)
und vielleicht auch Ackerbau (Bruchstücke eines Mahlsteins aus Lava) ge-
trieben hat.
Die eneolithische Periode ist durch Einführung kleiner Gegenstände
aus Bronze gekennzeichnet. Was Sicilien anbetrifft, so steht es ausser allem
Zweifel, dass dieselben importiert worden sind, nämlich aus dem Orient.
Gleichzeitig machte sich eine vollständige Umwandlung in den Gebräuchen
geltend. Zum ersten Mal kommen Totenfelder zum Vorschein. Jedes
Grab besteht aus einer kleinen Kammer, die entweder in einer Felsenwand
oder auch in dem Boden einer felsigen Hochebene angelegt w^urde. Der
Eingang ist sehr schmal, und das ganze Grab gleicht einem Backofen.
Hieraus und aus dem Umstand, dass man mehrere Skelette in einer
Kammer bestattet findet, kann man schliessen, dass man nur entfleischte
Skelette beerdigte. Neben dem Toten wurden Zierrate, Werkzeuge,
Gefässe niedergelegt. Der Eingang des Grabes wurde mit einer verzierten
Steinplatte geschlossen. Von Beigaben sind zu nennen eingravierte
Knochen mit vorstehenden kleinen Kugeln, ganz gleich denjenigen von
Hissarlik. Die Keramik weist auch fremden Einfluss: zweihenkelige Gefässe,
Schaalen, Becher erinnern an die Formen von Troas. Was aber Siciliens
Töpferei auszeichnet, ist die mehrfarbige Ornamentierung: auf einem gelben
Grund befinden sich braune Linien, die offenbar ein Flechtwerk nachahmen
sollen. Obwohl die Form solcher Gefässe sehr regelmässig aussieht, so
sind sie doch noch ohne Drehbank angefertigt.
Die Steinwerkzeuge sind dieselben wie in der neolithischen Periode.
Die eneolithische Bevölkerung scheint ebensowenig kriegerisch gewesen zu
B. Referate. 3. Urgescliichle. |(',5
121. Sam. Wide: Nachleben Mykenischer Oriuiineiile. MiUeil.
des deutsch, arch. Instit. zu Athen 1897. Bd. XXll, S. 23:3—258,
mit 28 Figuren und 1 Tafel.
Schon mehrfach sind Einflüsse mykenischer Ornamentik nachgewiesen,
z. B. bei rhodischen und frühattischen Vasen, fast gar nicht beim
geometrischen Stil. Aber auch dieser scheint auf den Inseln sich weniger
spröde dagegen verhalten zu haben, namentlich in kretischen Gefässen.
Auf ihnen findet sich häufig die Form eines mykenischen Schmuckstückes,
Rhombus mit Kreisen an den Ecken, einfach wiederholt Figur 2 — 4, oder
geometrisch übertragen Figuren 4a, 5, 6, oder zu Palmetten verwandelt
wie auf dem schönen Berliner Gefäss Tafel VI. Daneben begegnet das
Radornament, die Spirale, und manche Gefässdeckel sind wie mykenische
Goldknöpfe verziert. So hat die mykenische Kunst auf den Inseln kräftiger
geblüht, als auf dem Festlande, und ihr Fabrikationscentrum muss auf den
Inseln oder an der Küste Kleinasiens gesucht werden. Ihr Einfluss ist
aber ferner auch im Hallstätter Kulturkreise deutlich zu verfolgen. Gürtel-
bleche tragen dasselbe rhombische Ornament, ferner um Buckel gezogene
Bänder oder Halbkreise, um Augen gelegte Bandwindungen, Gefäss-
deckel u. a. das Radornament, Bronzebeschläge gleichen mykenischen
Goldknöpfen. Man müsste zur Erklärung dieses Einflusses die Dauer der
mykenischen Kultur auch über das 2. Jährt, v. Christ, verlängern und die
Hallstätter schon vor 800 ansetzen. Die Berührung wäre bei dem Mangel
von mykenischen Motiven in den Bronzen von Olympia und Ungarn etwa
durch Vermittelung der Jonier zu denken (Löschke), die schon früh einen
lebhaften Handel nach dem Schwarzen Meere unterhielten, von wo die
mykenischen Formen nach der Blütezeit des ungarischen Bronzealters
donauaufwärts vorgedrungen sein könnten.
Frof. Dr. Walter -Stettin.
122. J. L. Myres: Copper and bronze in Cyprus and South-
East Europe. Journal of the Anthropological Institute 1897.
Band XXVII Nr. 2, S. 171 (1 Tafel).
Diese kurze Abhandlung ist besonders interessant, weil Verfasser
einige der wichtigsten in Cypern und im südöstlichen Europa gemachten
Kupfer- und Bronzefunde zusammenstellt und miteinander vergleicht. Er
kommt zum Schluss, dass Cypern, welches wahrscheinUch von der Zeit
der XII. ägyptischen Dynastie bis zum Ende des römischen Reichs die alte
Welt mit Kupfer versorgte, auch das erste Land war, in dem Kupfer be-
arbeitet wurde. Von hier aus verbreitete sich nach Asien und Europa und
vielleicht auch nach dem Norden Afrikas die erste Kunde der Metall-
bearbeitung. Die Hauptgründe für diese Behauptung sind die Abwesenheit
eines entwickelten Steinalters in Cypern, die Töpfer- und Kupferwerke
cyprischer Form, die man in allen angrenzenden Ländern vorfindet, und
165 B. Referate. 3. Urgeschichte.
endlich die Einfachheit der Form der Kupferwerkzeuge in Cypern; sie
hängt mit der Häufigkeit des Kupfers und der Seltenheit des Zinns zu-
sammen. Dr. L. Laloy-Paris.
{)'. Europäisches Russland.
123. A. Hackman: Über die Bronzezeit Finnlands. (Deutsch)
Finska Fornminnesföreningens Tidskrift. 1897. Bd. XVII.,
S. 349—408. Mit einer Karte.
Das bronzezeitliche Material Finnlands lässt sich in zwei Gruppen
einteilen, nämlich in eine skandinavische, beziehungsweise westeuropäische
und eine permisch - uralische Gruppe. Die Fundorte der zur ersten
Gruppe gehörenden Bronzen liegen in der Nähe des Ufers des Bottnischen
und des Finnischen Meerbusens und am Wuoktenstrome; nur ein Fund von
skandinavischem Typus, ein kurzes Schwert, ist im Innern des Landes
in der Landschaft Sawolaks, und eine Pfeilspitze hoch im Norden an der
norwegischen Grenze angetroffen worden. Der Gesammtbestand der zur
ersten Gruppe gehörenden Bronzen setzt sich zusammen aus: 4 Schwertern,
7 Dolchen, einer Lanzenspitze, einer Pfeilspitze, 3 Messern (das eine mit
Schiffsdarslellungen), 6 Schaftcelten, 8 Hohlcelten und 2 Brillenfibeln. Dazu
kommt noch ein Fund (3 Halsringe) aus der Übergangszeit vom Bronze-
alter zum Eisenalter.
Auffallend ist, dass eine verhältnismässig grosse Anzahl (13 Gegen-
stände) aus der älteren Bronzezeit, nämlich aus Montelius' 2. Periode
stammt. Die übrigen Gegenstände müssen hauptsächlich Montelius' 4. und
5. Periode zugezählt werden. Von allen Funden stammen 12 Gegen-
stände aus 10 Steinhügelgräbern. Die übrigen Gegenstände sind auf
freiem Felde oder in Seen und Mooren gefunden worden.
Die nackten, d, h. von kleiner Erdschicht bedeckten Steinhügelgräber
liegen zu vielen Hunderten auf einem breiten Küstensaum längs des
o
Bottnischen und Finnischen Meerbusens, sowie auf den Alandsinseln zer-
streut. In geringerer Anzahl kommen sie an den Binnenseen des Inneren
vor. Der Durchmesser dieser Grabhügel schwankt zwischen 2 und 25 m,
ihre Höhe zwischen 0,3 und 5 m. Einige Grabhügel enthielten eine oder
mehrere Steinkisten, andere sind um einen grossen Steinblock — den s. g.
Centralstein — aufgeführt. In vielen Steinhügelgräbern sind verbrannte
Menschenknochen gefunden worden; sichere Spuren von Bestattung un-
verbrannter Leichen sind noch nicht in sachkundig untersuchten Grabhügeln
angetroffen worden. Dagegen berichten die Bauern von Skeletten, welche sie
in Steinkisten gefunden haben wollen. Diese Grabhügel gehören bei weitem
nicht alle der Bronzezeit zu. Eine ganze Reihe sicherer Funde beweist
vielmehr, dass Steinhügelgräber noch bis in das achte nachchristliche Jahr-
hundert hinein errichtet worden sind.
B. Referate. 3. Ufgeschicbte. 167
Zu der permisch-uralischen Gruppe gehört nur ein einziger Fund in
Tawastland (ein Hohlcelt), zwei Funde (Gussformen für Hohlcelte) am
Uleaflusse und ein Fund (Gussform für Hohlcelte) am Flusse Tornea.
Hierzu kommt ein weiterer Fund (Hohlcelt), der wahrscheinlich in der
Nähe von Borga im südlichen Finnland gemacht worden ist. Auch aus
dem nördlichen Schweden (Lycksele in Norrland) stammt ein Hohlcelt vom
uralischen Typus. Selbsthericht.
124. A. E. Snellman: Die Altertümer des Härads (Gerichts-
Bezirks) Laukaa. 2. Teil. (Finnisch.) Finska Fornminnes-
föreningens Tidskrift, (Zeitschrift der Finnischen Altertums-
gesellschaft.) 1897. Bd. XVII, S. 1 — 82. Mit einer Übersicht
in deutscher Sprache und einer Karte.
Der im südösthchen Teile des Gouvernements Wasa gelegene Gerichtsbezirk
Laukaa war anfänglich von Lappen bewohnt und wurde erst um die Mitte des
16. Jahrhunderts auf eine Aufforderung des Königs Gustaf I. hin von Kareiern
aus der Landschaft Sawolaks besiedelt, wobei es nicht ohne blutige Kämpfe
zwischen Finnen und Lappen abging. — Die steinzeithchen Funde — 52 an
2ahl — bestehen meist aus Gerad- und Hohlmeisseln ; bronzezeitliche
Funde sind in dem hier beschriebenen Teile des Härads noch nicht ge-
macht worden. In einem Acker bei Pylkönmäki wurde ein Flachgrab mit
verbrannten Knochen und Beigaben, bestehend aus einem einschneidigen
Kurzschwert, einer Lanzenspitze (:= Lindenschmit, Handbuch der deutschen
Älterthumsk. Fig. 55), einer Axt, Pfeilspitze, Bronzepinzette u. a. m. aus
der Zeit um das Jahr 600 n. Chr. angetroffen. Zahlreich sind kleine
Steinhügel, deren Höhe 0,5 m bei einem Durchmesser von 1 — 4 m be-
trägt. Wenigstens einige derselben dürften Grabhügel vorstellen. Trichter-
förmige Graben — früher als Wohnungen benutzt — sieht man an
manchen Stellen. Mag. pUl. Hackman-Helsingfors.
125. E. E. Takala: Die Altertümer des finnischen Teiles des
Härads (Gerichtsbezirks) Pietarsaari (Pedersöre).
(Finnisch.) Finska Fornminnesföreningens Tidskrift. 1897.
Bd. XVII, S. 105 — 330. Mit einer deutschen Uebersicht und
einer Karte.
Der Gerichtsbezirk Pietarsaari (schwedisch Pedersöre), dessen nördliche
Hälfte hier beschrieben wird, liegt im nordwestlichen Teile des Gouvernements
Wasa.
Die Zahl der dem Verf. bekannt gewordenen steinzeitlichen Funde
aus diesem Gebiete beträgt etwa 130.
Am zahlreichsten sind die Gerad- und Hohlmeisel vertreten. Unter
den durchlochten Steinbeilen fallen 5 Hammeräxte von skandinavischer
Form aut Dem Verf. wurde von einem mit einem eingemeisselten Tier-
[(38 f^- Heferale. 3. Ur^'eschiclite. >
kopt'e verzierten Steinbeile berichtet, welcher Fund (von ostfinnischem Typus) :
leider verloren gegangen ist. Die übrigen steinzeitlichen Funde bestehen \
aus Pfeil- und Lanzenspitzen, Steinhämmern mit Rillen, runden durch-
lochten Steinen (Keulen), einer Hacke und Messern. Keiner von diesen
Gegenständen ist weniger als 10 Kilometer von der Meeresküste entfernt
gefunden worden. — Bronzezeitliche Funde sind in diesem Gebiete noch
nicht zu Tage getreten. Aus der älteren Eisenzeit stammt nur ein weber-
schiffchenfürmiger Stein. — Auch aus der späteren Eisenzeit sind die im
Härad gemachten Funde noch recht spärlich. Hervorgehoben zu werden
verdient eine grosse Armbrustiibel aus Bronze von einem im Ostbalticum
zahlreich vertretenen Typus (vergl. Katalog zur Ausstellung zum X. archäol.
Kongress in Riga, Taf. 6, Fig. 5).
Die terrestrischen Altertümer bestehen aus Steinhügelgräbern, Wohn-
gruben, Burgwällen und Labyrinthsetzungen. Interessant sind ovale Stein-
wälle mit gewöhnhch 4 Oeffnungen (Eingängen). Ihre Länge variiert
zwischen 45 — 50 m, ihre Breite zwischen 25 — 30 m. Appelgren hält sie
für ähnliche Überreste alter Wohnungen wie die s. g. Kämpagrafvar auf
Gotland. Mag. phil. A. Hackman-Helsingfors.
126. Hj. Appelgren: Svestkarnes inflyttning i Fiuland. (Die
Einwanderung der Schweden nach Finnland.) Finskt Museum 1897.
Verf. wendet sich gegen die von 0. Montelius in einem Vortrage aus-
gesprochene Ansicht, nach welcher die Einwanderung der Schweden nach
Finnland schon während der Steinzeit erfolgt wäre und seit dieser Zeit
im südlicen und westlichen Finnland neben den Lappen und Finnen un-
unterbrochen eine schwedische Bevölkerung gewohnt hätte, als deren Nach-
kommen die jetzigen Schweden Finnlands betrachtet werden müssten. Im
Gegensatz dazu stellt A. die Möglichkeit einer ethnographischen Bestimmung
der steinzeitlichen Bevölkerung Finnlands in Abrede, so lange die Be-
stattungsweise dieser Periode hier noch unbekannt wäre. In Finnland
fehlten die für Schweden charakteristischen Gräber — die Dolmen, die grossen
Steinkammern mit Gang und die Steinkisten. Während der Bronzezeit und
der nachchristlichen älteren Eisenzeit (etwa vom 1. Jahrhundert ab) könne
ein schwedischer Volksstamm an den Küsten Finnlands gesessen haben,
da sowohl die beweglichen wie die Bodenaltertümer den schwedischen
Formen entsprächen. Aus der zwischen beiden zuletzt genannten Perioden
liegenden Zeit (jüngere Hallstatt- und la Teneperiode) fehlten jegliche
Funde, weswegen die Annahme, dass Finnland auch während dieser Zeit
eine schwedische Bevölkerung gehabt habe, unbewiesen wäre. Die Alter-
tümer der jüngeren Eisenzeit (etwa vom Jahre 700 an) hätten zum grössten
Teile einen durchaus finnischen Charakter, wenn auch ein schwedischer
Einfluss, eine Nachbildung nach schwedischen Originalen vielfach erkennbar
wäre. Die Finne müssten zu dieser Zeit, ungefähr im 8. Jahrhundert,
B. Referate. ?>. Urgeschichte. \Q\
sein, wie ihre Vorgänger von Stentinello. Orsi meint, dass die eneoiilhische
Kultur demselben Volk angehörte als die bronzezeitliche, während die
neolithische Bevölkerung eine verschiedene gewesen ist. Dagegen sucht
Patroni zu beweisen, dass sowohl steinzeitliche, wie eneolithische Bevölkerung
eine einheitliche war und den durch die Geschichte überlieferten Sicanern
angehört. Wir wollen diese Frage nicht näher erörtern und nur er-
wähnen, dass nach Patroni die bronzezeitliche Kultur den aus Italien in
protohistorischer Zeit gekommenen Siculern entspricht.
Während der Bronzezeit werden noch die Toten in Felsenkammern
bestattet. Aber dieselben sind schon grösser, und vor der runden gewölbten
Kammer findet sich oft noch eine trapezoide Vorkammer, immer mit sehr
j kleiner Öffnung. In mehreren Grabkammern ist eine Art Bank in der
Felsenwand ausgehauen. Die Skelette waren in sitzender Stellung be-
stattet worden. In anderen Fällen hat man in der Wand horizontale
I Nischen anlgeegt, wo je ein Toter — wahrscheinlich die ganze Leiche, nicht
das Skelett allein — liegend beerdigt wurde. Die Beigaben bestehen aus Waffen
(Degen, Dolche, Messer), Fibeln vom mykenischen ,, fidelbogenförmigen''
Typus, Thongefässen derselben Herkunft und anderen, die lokale Fabri-
, kate vorstellen. Letztere sind nicht mehr bemalt, sondern sehr fein ein-
I graviert und von schöner regelmässiger Form. Einige scheinen metallene
! Gegenstände nachzuahmen. Es verdient endlich noch Beachtung, dass die
■ Bronzezeit breits einige architektonische Versuche aufweist: manche Grab-
kammern haben Pfeiler mit Kapitalem und steinernen Mauern.
Im Eisenalter sind die Grabkammern nicht mehr rund, sondern vier-
, eckig, mit flachem Dach: es besteht keine Vorkammer mehr, der Eingang
ist ziemlich gross. Die Toten werden hier immer liegend bestattet ge-
funden; ihr Kopf ruht auf einem Vorsprung, den man an einer Seite
der Felsenwand gelassen hat. Nicht die Bevölkerung, sondern nur die
äusseren Verhältnisse haben sich in dieser Periode verändert. Sie ent-
spricht dem Einbruch der rein hellenischen Kultur und der Gründung der
griechischen Kolonien längs der Küste. Statt der mykenischen Gefässe
findet man solche, die mit braunfarbigen, geometrischen Ornamenten ver-
ziert sind. Sie sind mittels der Drehbank angefertigt und erinnern an die
griechischen Formen. Die Waffen sind bereits aus Eisen, die Schmucksachen
noch aus Bronze hergestellt. Die Bogenfibel wird seltener, sie wird von
der Schlangen-, der Kahn- und endlich der Stäbchenfibel ersetzt. Es
wäre zu wünschen, dass Orsi seine Ausgrabungen im Westen Siziliens
fortführte, d. h. im Land, das den Sicanern von den eingebrochenen
Sikulern überlassen wurde, und auch im Süden Italiens, woher historischen
Angaben zufolge letztere gekommen sind. Dann wäre diese interessante
Frage der Urbevölkerung Siziliens ihrer Lösung nahe.
Dr. L. Laloy-Paris.
. Centralblatt für Anthropologie 1898. 11
IQ^ B. Referate. 3. Urgeschichte.
Y]. Griechenland.
118. S. Reiiiach: Une peinture mycenienne. L'Anthropologie.
1897. Bd. VllI, S. 19.
Betreffendes Gemälde wurde in einem Grab unter der Terrasse von
Mykenä gefunden. Es ist ursprünglich eine Kalkplatte, die in früherer
Zeit mit Skulpturen bedeckt war, die aus kreisförmigen Ornamenten be-
stehen; sodann wurden die Skulpturen teilweise mit einer Mörtelschicht
bedeckt und auf letzterer wurde gemalt. Das Gemälde bildet zwei Etagen,
von denen die höhere fünf mit Schild und Speer bewaffnete Krieger, die
untere vier Hirsche und ein Wildschwein darstellt. Die angewandten
Farben sind schwarz, blau, rot und gelb. Sie sind, wie bei jedem anderen
primitiven Kunstversuch, ganz willkürlich verteilt: ein Hirsch ist blau mit
rotem Hinterbein, der andere rot u. s. w. Sonderbarerweise hat Schliemann
in den Ruinen eines Hauses in Mykenä ein Bruchstück eines Gefässes ge-
funden, auf welchem die nämlichen Gegenstände in einer ganz gleichen
Anordnung gemalt erscheinen. Es scheint viel jünger zu sein als die
Kalkplatte: wahrscheinlich sind Stele und Gefäss nur Kopien eines viel
älteren Gemäldes, das am Anfang der mykänische Periode existierte.
Dr. L. Laloy-Paris.
119« H. Kluge: Die Schrift der Mykenier. Eine Untersuchung
über System und Lautwert der von A. J. Evans entdeckten vor-
phönizischen Schriftzeichen. Mit 4 Schrifttafeln und 80 Ab-
bildungen. Cöthen, Otto Schulze. 1897, 110 S.
Gegenüber der bis 1894 allgemein verbreiteten Annahme, dass die
s. g. mykenische Kulturperiode keine Schrift besessen habe, hat zuerst
Evans auf geschnittenen, meist prismatischen Siegelsteinen lineare und
figürliche Zeichen einer Schrift erkennen wollen, die er ägäisch nannte und
in das 3. bis 1. Jahrtausend v. Chr. setzte, ohne jedoch zu ermitteln,
welcher Sprache sie angehörte. Kluge macht nun den Versuch, griechische
Worte herauszulesen, indem er das Prinzip der Bilderschriften, den Anlaut
der Bezeichnung des dargestellten Gegenstandes als Lautwert des Zeichens
zu nehmen, auf die Inschriften anwendet. Tabelle I giebt die Lautzeichen,
d. h. neben den griechischen Alphabetbuchstaben die zugehörige vor-
phönizische Bezeichnung in verschiedenen Entwickelungsformen, z. B. wird
A durch 3 verschiedene Formen einer a^tvv] dargestellt oder durch ein
apOTpov, bezeichnet, AI a— c und 2.
Em Teil dieser Zeichen kann auch ganze Silben bedeuten, andre sind
nur Silbenzeichen; diese sind auf Tabelle II zusammengestellt, z. B. Hirsch-
geweih bedeutet kX oderi'eXacpo. Dazu kommen Ligaturen der verschiedensten
Art, von denen Tabelle III nur diejenigen bringt, für welche es ent-
sprechende kyprische Zeichen giebt; daraus wird ein Zusammenhang der
B. Referate. 3. Urgeschichte. 1(3 -j
I letzteren mit dem mykenischen System gefolgert, das andrerseits deutlich
die Urformen der späteren griechischen Schrift enthält, wie schon Evans
behauptete, dass die spätere griechische Alphabetschrift eigentlich den
I Griechen von den Phöniziern nur zurückgebracht sei. Tabelle IV stellt die
rein linearen Formen der mykenischen Zeichen mit denen altgriechischer
Buchstaben zusammen, deren Fortschritt darin besteht, dass die Formen
; gegenüber der Unzahl von erlaubten mykenischen Formen beschränkt sind,
wenn auch die Griechen immer noch einzelne Varianten der Buchstaben-
formen beibehalten haben. Nach diesen einführenden Bemerkungen über
die mykenischen Schriftzeichen und ihren Lautwert werden im ersten
Hauptteil die Inschriften mit deutlich erkennbarem Schriftcharakter und
i schriftartig aneinander gereihten Zeichen erklärt. Zunächst werden drei-
' oder vierseitige Prismen nach Evans Abbildungen untersucht^ der Anfang
der Lesung immer da gemacht, wo ein Zeichen den Rand berührt, dann
die verschiedenen Seiten ßoDaTpocpY]56v gelesen, wobei eine Anzahl Zeichen
durch Tabelle 1 ihre Erklärung finden, daneben aber auch blosse Füll-,
1 Sonder- und Lesezeichen angenommen werden neben ornamentalen, die
wahrscheinlich Verhüllungen von Buchstaben seien. So werden griechische
Formen, allerdings mit allerlei Abkürzungen gewonnen, dem Sinn nach
meist Weihinschriften von Personen, die Freude erbitten, oder einen Sohn-
oder Errettung aus Unheil, gute Jagdbeute u. a., wobei mehrfach Zeus an,
gerufen wird. Aber auch Eigentumsbezeichnungen tragen wirkliche runde
Siegelsteine z. B. Figur 11: {lol z6 a[Y][Ji£rov] olov^ Vasenhenkel, Bronze-
äxte, auch scheinbare Steinmetzzeichen an Bauwerken mykenischer Bauart
werden als Hausmarken erklärt. Eine andere Gruppe Figur 23 — 31 stammt
aus Hissarlik und wird der ältesten Zeit griechischer Besiedelung des Burg-
hügels zugeschrieben, sie enthält meist Inschriften auf Graburnen und Be-
ziehungen auf den Totenkult. Wie bei runden Steinen kreuzartige Figuren
so erklärt werden, dass sie teils sondern, teils auf Kreisschrift deuten
sollen, so werden andere Zeichen als Abkürzungen aufgefasst, und zwar
Stäbchen mit Scheiben oder Kugeln, Punkte, Sterne, Striche rechts oder
links, vor oder hinter, oder überhaupt neben dem Zeichen, während häufig
! genug die Abkürzung gar nicht angedeutet sei. Aus Mykenä selbst
stammen Figuren 34 — 37; auf einem Diadem und einem Siegelring soll
Oiosios als Verfertiger genannt sein, auf einem Schwertbande der Held
Hippasos als Besitzer. Die letzte Gruppe von Inschriften nach Ohnefalsch-
Richter bezieht sich auf den Kult der Astarot, des Adonis u. a. Aus dem
nach Möglichkeit erschlossenen Sinne aller dieser bisher rätselhaften In-
schriften wird nun gefolgert, dass der Schlüssel für die mykenischen In-
schriften nunmehr gefunden sei. Sodann werden im zweiten Teil die In-
schriften in halbfigürlicher Form besprochen, Schriftzeichen dieser Art
sind von der ältesten Figürlichkeit der Zeichen wohl zu unterscheiden;
denn hier sind die schon linear gewordenen Zeichen sekundär verbildlicht
11*
1()4 ß- Heferate. 3. Urgeschichte.
zu Mustern, Nachbildungen von menschlichen und tierischen Körpern;
oft kommen lineare Schriftzüge in Mischung mit figürlich ein-
gekleideten vor, die ursprüngliche Bedeutung wird vergessen, wie z. B.
die Hakenkreuze ursprünglich M bedeuten, später aber rein ornamental
werden, Figur 59. Noch kürzer werden im dritten Teile die Inselsteine
und ähnliche figürliche Darstellungen behandelt, die anscheinend eine Gruppe
bilden, in welcher der Schritt von der halbfigürhchen und halblinearen
Darstellung der Schriftzeichen zu einem vollständigen Überwuchern des
figürlichen Elementes gethan ist, wohl für Kult- oder individuelle Zwecke.
Nachdem sodann für A und T vorläufige Andeutungen über die Modi-
fikationen der Zeichentypen gegeben sind, deren zeitliche und örthehe Ver-
schiedenheit noch genauer zu untersuchen bleibt, wird schliesslich die Ent-
wickelung der primären Zeichen bis zum griechischen Alphabet nochmals
dargethan und hervorgehoben, dass überall der angenommene Lautwert der
mykenischen Zeichen einen guten Sinn ergiebt, besonders bei Namen und
bilinguen Inschriften, wie z. B. bei einer assyrisch-hittitischen, deren hittitischer
Teil mykenisch gelesen einen guten Sinn ergiebt.
Frof. Dr. Walter -Stettin.
1 20. Petersen e Pigorini, Comparazioni fra le antichitä italiche
e le egeo-micenee. BuUetino di Paletn. Ital. 1897. Anno XXIII.
Nr. 4—6, S. 81, c. 18 figur.
Wie die Publikationen von Evans den Versuch Kluge's angeregt haben,
die mykenische Schrift zu entziffern, so veranlassten sie Petersen, zu den
namentlich auf den Inselsteinen dargestellten Figuren nach Erklärungen
unter italischen Funden zu suchen. Er erinnert bei dem ah^ Ledermesser
erklärten Zeichen (b. Kluge Tabelle 1, T = Topisug) auch an Hängebleche
ein andres deutet er als Rasiermesser; wo Evans Blumen sieht, weist er
auf italische Bronzegehänge hin, ferner auf Dolche, Kämme u. a., denn die
Deutung der primitiven mykenischen Schrift werde um so wahrscheinhcher,
je mehr in ihren Zeichen Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs erkannt
würden. — Dazu bemerkt Pigorini, dass er mit Orsi schon früher Be-
ziehungen zwischen der ägäischen und italischen Kultur anerkannt habe,
nur in der Zeitbestimmung noch schwanke; er findet es bedenklich, zur
Erklärung der einheitlich geschlossenen ägäischen Gruppe Gegenstände aus
der Bronze- und Eisenzeit Italiens und aus verschiedenen Landesteilen heran-
zuziehen. So seien abgesehen von den Dolchen mit dreieckiger Klinge
die Rasiermesser mit Doppelschneide auf ein so bestimmtes Gebiet in Itahen
wie in ganz Europa beschränkt, dass sie schwerlich ein ägäisches Schrift-
zeichen bilden könnten; ähnlich steht es mit den Hängeblechen aus Bolog-
neser Gebiet. Man wird also Zeit und Ort der zur Erklärung heranzu-
ziehenden Gegenstände noch mehr beachten müssen.
Prof. Dr. Walter-Stettin.
C. Tagesgeschichte. ^73
logischen Abteilung des Field Columbian Museum in Chicago W. H. Holmes
gemacht hat, und von denen jetzt die zweite Veröffentlichung erschienen ist.
Die Studienreise führte Holmes aus Yucatan nach Palenque, zu den
Pyramidengruppen von Monte-Alban, den prächtigen Architekturresten von
Mitla, zu der Pyramiden- und Terrassenstadt von Teotihuacan im Thal von
Mexico. Es giebt kaum einen besser vorbereiteten Beobachter für jene
Altertümer, kaum Einen, der die Technik und Kunst der Ureinwohner
Amerikas so systematisch und durchaus durchgearbeitet hat als Holmes.
Und dazu kommt noch, dass er selbst ein vortrefflicher zeichnender Künstler
ist, und uns als solcher nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem
Stift das Gesehene in so vollendeter Weise vorführt, dass wir die klarsten
Anschauungen erhalten. Ich möchte ganz besonders auf die panoramischen
Gesamtansichten von Palenque (Tafel 25), von Monte Alban (Tafel 26
und 27), von Mitla (Tafel 38), von Teotihuacan hinweisen, die mit Meister-
schaft gezeichnet, uns ein deutlicheres Gesamtbild geben, als es die um-
ständlichtse Beschreibung vermöchte.
Holmes stellt in einem dritten Band die Betrachtung des Ursprungs
und der Entwicklung der alten mexikanischen Kultur in Aussicht, und
man darf gespannt sein auf dies Werk eines so berufenen Forschers.
Vrof. Dr. E. Schmidt-Leipzig.
C. Tagesgescliichte.
Australien. Auf einer der Santa-Cruz-Inseln verstarb im Alter von
46 Jahren Prof. Dr. Wilhelm Joest, ein durch seine zahlreichen Reisen
um die Ethnographie verdienstvoller Forscher.
Paris. Die Ecole d'anthropologie de Paris erwählte am 6. Januar
Dr. J. Naue in München zum korrespondierenden Mitgliede. — Die
Societe d'anthropol. de Paris sprach den letzten ,,Prix Godard" Herrn
Dr. Lehmann-Nitsche in La Plata in Anbetracht seiner Arbeit ,,Über
die langen. Knochen etc. der Reihengräberbevölkerung" (cfr. Centralblatt
Bd. 1 S. 16) zu.
Prag. An der hiesigen Universität mit böhmischer Vortragssprache
hält seit Herbst 1897 Dozent Dr. Heinrich Matiegka Vorlesungen über
,, physische Anthropologie und Demographie" ab, welche Wissenszweige
bisher Dozent Dr. L. Nieder le seit 1891 neben seinem Hauptfach (prä-
historische Archäologie) gleichzeitig vertrat.
Sarajewo. Am 28. Januar d. J. raffte der Tod nach kurzem
schwerem Leiden im Alter von 37 Jahren den Kustos am bosnisch-herce-
govinischen Landesmuseum Franz Fiala hinweg. Seine wertvollen prä-
historischen Untersuchungen haben im Centralblatt ihre Würdigung ge-
funden.
174 D- Bibliographische Übersicht. 4
D. Bibliographische Übersicht.
Laufende Litteratur für das Jahr 1897.
Von Georg Buschan.
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Y« Deutschland.
Allgemeines.
Flor schütz. Inwieweit lassen die Funde aus den sogenannten Reiheti-
gräbern einen Schluss auf deren allemannischen oder fränkischen Cha-
B. Referate. 3. Urgescliiclite. j69
von Finnland Besitz ergriffen haben. Was die Sitte der Leichenverbrennung
anbeträfe, deren Vorkommen in Finnland Montelius als einen sicheren
Beweis für germanische Besiedelung auffasste, so könne dieselbe leicht von
einem Volke auf das andere übergehen, wie das Beispiel der Liven in Liv-
land, bei welchen Leichenverbrennung im 13. Jahrhundert geschichtlich
nachgewiesen ist, beweise. Auch die alten schwedischen Ortsnamen in
Nyland könnten kaum als Beweise für die Existenz einer schw^edischen
Bevölkerung zur Heidenzeit herangezogen werden. Sie wären nämlich
höchstwahrscheinhch von den schwedischen Kolonisten des 12. bis
14. Jahrhunderts, den Vorfahren der jetzigen schwedischen Küstenbevölkerung,
eingeführt w^orden. Mag. pliil. A. Hackman-Helsingfors.
127. Hj. Appelgrenr Eine Fibel aus der Völkerwanderungs-
periode, gefunden auf der Insel Tytärsaari. (Finnisch.)
Suomen Museo 1897. S. 75 — 76. (Derselbe Fund kürzer be-
schrieben im Finskt Museum. 1897. S. 78.)
Die Fibel gehört einem skandinavischen Typus des 6. Jahrhunderts
an (vgl. Montelius, Antiquites suedoises Fig. 440), Bemerkenswert ist der
Fundort — eine Insel mitten im Finnischen Meerbusen, in der Nähe der
grossen Insel Hogland. Mag. pUl. A. JTackman-Helsingfors.
128. Hj. Appelgren: Ein Brandgrab auf dem Friedhofe von
Yliskylä (Öfverby) im Kirchspiel Bjerno (Gouv. Abo.)
(Finnisch.) Finskt Museum 1897. S. 60—65.
Das Brandgrab, ein zerstörter Grabhügel, enthielt eine Menge Waffen
aus der Zeit um 600 n. Chr., sowie 850 Nietnägel. Die letzteren müssen
zu einem Fahrzeug gehört haben, in welchem die Leiche verbrannt wurde.
Mag. phil. A. Hackman-Helsingfors.
129. A. Hackman: Über Leichenverbrennung in Böten während
der jüngeren Eisenzeit in Finnland. (Finnisch.) Finskt
Museum 1897. S. 66-93.
Verfasser macht auf das zahlreiche Auftreten von Nietnägeln in
Gräberfeldern der jüngeren Eisenzeit im westlichen Finnland aufmerksam
und nimmt an, dass diese Nägel von Böten herstammen, mit denen die
Toten verbrannt wurden. Zu derselben Zeit war der Brauch, die Leichen
in Schiffen zu verbrennen oder mit dem Schiffe oder Boote zu begraben,
in dem skandinavischen Norden sehr verbreitet. (Die Funde von Vendel,
Sandefjord etc.) In Finnland findet man die Spuren dieser Sitte zumeist
in Grabfeldern mit Resten von verbrannten Leichen und Beigaben, welche
in geringer Tiefe unter dem Rasen ohne Ordnung zerstreut oder mehr
gesammelt in flachen Brandgruben herumliegen.
170 B' llet'erale. o. ÜJgeschichte.
Die vor etwa 30 Jahren in abgelegenen karelischen Walddörfern noch
vorkommende Sitte, die Toten in Einbäumen zu begraben, kann sicher auf
den alten heidnischen Brauch der Bootbestattungen zurückgeführt werden.
Selhsthericht.
2. Asien.
130, E. Rö ssler: Neue Ausgrabungen bei Oülaplu, Trans-
kaukasien. Verh. d. Berl. anthrop. Ges. 1896. Bd. XXVIII,
S. 398—402.
Der eifrige Ausgräber Transkaukasiens lässt wieder von sich hören,
Bei dem 30 Werst nordöstlich von Schuscha gelegenen Dorfe Gülaplu hat
er 36 Kistengräber, 5 Steinkranzgräber und 3 Kurgane untersucht. Die
Kistengräber enthalten vorwiegend hockende, in zwei Fällen gestreckte
Skelette mit Beigaben von Thongefässen, Schmucksachen u. dgl. aus Bronze,
Stein und Glas, und eisernen Dolchen. Die Steinkranzgräber bestehen aus
gestreckten Skeletten, von denen je mehrere (bis zu 11) mit einer ein-
fachen oder doppelreihigen Steinsetzung in quadratischer oder oblonger
Form umschlossen sind; Beigaben fand man nicht. Von den Kurgan en
enthielt der eine in einer grossen Steinaufschüttung eine über 3 m lange,
wahrscheinlich ausgeraubte Steinkiste. Im zweiten Kurgan wurde anstatt
einer Kiste eine Kiesschüttung mit Thonscherben und in den oberen
Schichten Urnen mit Leichenbrand gefunden. Der dritte Kurgan ergab
ausser „Aschenurnen" einen Knochenwirtel. Dr. A. Götze-Berlin.
131. S. K. Kusnezow: Fund eines Mammntskelettes und
menschlicher Spuren in der Nähe der Stadt Tomsk
(Westsibirien). Aus der Zeitschrift „Sibirischer Bote." 1896.
Nr. 90 u. 92 ; Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in
Wien. 1896. Bd. XVI, S. 186.
Dass Mammutknochen in Gemeinschaft von Spuren des Menschen
gefunden worden sind, derart, dass an einer Gleichzeitigkeit dieses Tieres
mit dem Menschen nicht gezweifelt werden kann, ist nichts Neues. Was
aber den von Kusnezow beschriebenen Fund bei Tomsk wichtig erscheinen
lässt, ist der Umstand, dass dies der erste Fall ist, durch den in Sibirien
diese Gleichzeitigkei des Menschen mit dem Mammut unzweifelhaft dar-
gethan wird. Kein Land ist so reich an Überresten des Mammut als
Sibirien; trotzdem wurde bis jetzt noch niemals eine Spur des Menschen
— weder von seinem Körper, noch von seinen Waffen — in Gemein-
schaft von Mammutknochen daselbst gefunden.
Kusnezow knüpft an den Tomsker Fund Betrachtungen über die mut-
maassliche Heimat des paläolithischen Menschen an. Er sagt, dass ein
Teil der gelehrten Forscher die Ansicht vertritt, das Mammut habe in süd-
lichen Gegenden gelebt, und die Überreste desselben, die man jetzt in
Sibirien findet, seien durch Fluten dorthin geschafft worden. Andere
ß. Referate. 3. Urgeschichte. 171
Forscher dagegen betrachten das nördliche Asien, speziell Sibirien, als
Heimat des Mammut, das dann später, als die Temperatur im Norden
sank, nach dem Süden und Westen (Europa) ausgewandert sei. Der paläo-
lithische Mensch, der in Sibirien gleichzeitig mit dem Mammut lebte, wie
der Tomsker Fund beweist, sei diesem Tiere auf seiner Wanderung nach
Süden und Westen gefolgt, so dass die Urheimat des europäischen paläo-
lithischen Menschen in Sibirien zu suchen sei. W. Oshorne-Dresden.
132. F. R. Martin: Die Sammlung F. ß. Martin, ein Beitrag
zur Kenntnis der Vorgeschiclite und Kultur sibirischer
TÖlker. Stockholm, Gustav Chelius in Komm. 1895.
Dem von uns auf Seite 133 des 1. Jahrg. d, Bl. angezeigten Atlas
ist der reich illustrierte Textband nunmehr gefolgt. In Form einer Reise-
beschreibung berichtet uns der Verf. über seine ethnographischen Beobach-
tungen, die er gelegentlich seiner Reise längs des Surgut an den Ostjaken
gemacht hat, und über seine archäologischen Studien im Gouvernement
Tomsk und im Kreise Minusinsk. Im Gouvernement Tomsk öffnete Verf.
einige Kurgane, die seiner Ansicht nach jüngeren Datums und von
Kirgisen aufgeschüttet sein dürften. Seine archäologischen Studien im
Kreise Minusinsk beziehen sich einmal auf das Freilegen einiger Kurgane,
sodann auf die Verarbeitung des in dem dortigen Museum aufgespeicherten
vorgeschichtlichen Materials. Erst 1874 gegründet, haben die Sammlungen
des Museums zu Minusinsk bereits den stattlichen Umfang von 40000
Nummern erreicht, allein dank der Fürsorge ihres Vorstandes, Nicolaus
Michailowitsch Martianoff, ohne Unterstützung von Seiten des Staates. Die
archäologische Sammlung umfasst allein 9000 Nummern und ist überaus
reich an sibirischen Bronzen. Verf. gedenkt später diese seine archäo-
logischen Forschungen unter Vorführung der charakteristischen Typen —
er hat gegen 900 Stücke photographisch aufgenommen — zu veröffentlichen.
Auf Tafel 24 — 35 giebt er vorläufig eine interessante Serie von Gegen-
1 ständen aus der Bronze- und Eisenzeit. Es sind Kelt, Axt, Messer, Dolch,
runde Scheiben und andere Schmuckgegenstände aus Bronze, von manchmal
ganz unbekannten Formen, eine Axt aus Kupfer, ferner Messer, deren Heft
in eine Öse endet, eiserne Scheere, Dolch, Trense, Steigbügel, sowie eine
Menge eiserner Lanzenspitzen mit breitem, spatenförmigen oder stumpf-
winklig gebogenen, auch gespaltenen Rande oder durchbrochenen flügei-
förmigen Fortsätzen etc. Die übrigen 24 Tafeln veranschaulichen Gegen-
stände, die sich auf das häusliche und gewerbliche Leben (Kleidung, Löffel,
Spaten, Kessel, Wiege, Schlitten, Ruder, Körbe, Matten, Kerbholz, Trommeln,
Musikinstrumente etc.), sowie auf den Kultus (Götzen, Schamanentrommel)
beziehen. Im ganzen finden sich 400 Gegenstände auf 35 Tafeln in meister-
haften Lichtdrucken wiedergegeben, Dr. Bus clian- Stettin.
^72 t5- Heierate. 3. Urgeschichte.
133. M. A. Castren: Tva grafundersökniugar utftörda af M. A.
Castren. (Untersuchung zweier Kurgane durch M. A. Castren.)
Finskt Museum. 1896. S. 74-76.
Aspelin teilt aus der Sammlung von Manuskripten M. A. Castrens den
Bericht über die von dem letzteren vorgenommene Untersuchung zweier
Kurgane unweit der Stadt Nertschinsk in Sibirien mit. Beide Gräber ent-
hielten die Reste einer Steinkiste. In dem einen Kurgane fand Castren
ein Skelett ohne Kopf. Keine Beigaben.
Mag. phil. A. Hackman-Helsingfors.
3. Amerika.
134. J. Walter Fewkes: Two Ruins recently discovered in the
Red Rock Country Arizona. The American Anthropologist
Washington 1896, S. 263.
In dieser Abhandlung werden zwei Gliff- Wohnungen beschrieben, die
sich in einem jetzt ganz öden Teil Arizonas befinden. Sie stehen an einer
Felsenwand, die Red Rock genannt wird, und zeigen die gew^öhnliche Bauart
der Pueblo-Indianer. In einer dieser Wohnungen ist jedoch eine Eigen-
tümlichkeit bemerkenswert, nämlich dass die Vordermauer, anstatt gradlinig
zu sein, eine Reihe Bögen bildete, die wohl dazu bestimmt waren, mehr
Platz für die Zimmer zu geben, und vielleicht auch das Gebäude fester zu
machen.
Von den Fundgegenständen verdient ein Steinwerkzeug Beachtung, das
mit Pech in einem hölzernen Handgriff befestigt war; ferner Flecht- und
Töpferwerk, letzteres mit geometrischer Ornamentik.
Dr. L. Laloy -Paris.
135. William H. Holmes: Arehaeological studies among the
ancient eitles Of Mexico. Field Columbian Museum. Publi-
cation 16. Anthropological Series Vol. I. Nr. 1. Part. IL
Monuments of Chiapas, Oaxaca and the valley of Mexico. Chicago
N. S. A. 1897. February
Als mit der Gründung des Bureau of ethnology in Washington für die
amerikanische Archäologie eine neue Zeit anbrach, war es natürlich, dass
sich die Forschung zunächst auf die beiden grossen Probleme der Mound-
builders und Pueblos konzentrierte. Dank der energischen Arbeit jenes
Bureaus sind jetzt jene Probleme in allen ihren wesentlichen Zügen gelöst.
Es lag nahe, dass die Archäologie Amerikas sich dennoch vor allem den
geheimnisvollen Rätseln jener im Urwald vergrabenen Ruinenstädte der
mexikanischen und der Maya-Kultur zuwandte, und vortreffliche Einzelunter-
suchungen hat gerade die letzte Zeit geliefert (Seier, Maler, Sapper,
Plongeon, Mercer, Mandoley, das Peabody Museum etc.). Ihnen reihen sich
vollwertig an die archäologischen Studien, die der Curator der anthropo-
I
D. Bibliographische Übersicht. 177
rakter zu? Gorrespondenzbl. d. Ges.-Ver. d. deutsch. Gesch. u. Alter-
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Freund, Zur Einführung in die Lübeckische Prähistorie. Gorrespondenzbl.
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in der Sage. Globus 1898. Bd. 73, Nr. 8 u. 9.
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Schmidt, Fundbericht über die Aufdeckung von zwei Hügelgräbern bei
Schlagenthin, Kreis Tuchel. — Fundbericht über die Aufdeckung einer
Steinkiste bei Klein-Kensau, Kreis Tuchel. — Über einige urgeschicht-
liche, wahrscheinlich neolithische Fundstellen in der Umgegend von
Graudenz. Nachr. über deutsche Altertumsfunde. Bd. 8, Heft 3.
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Buchholz, Leinsamen - Vorrat in den Überresten einer prähistorischen
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Buchholz, Hacksilberfunde von Gralow. Brandenburgia. 1896. Nr. 8, ,
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Busse, H., 1. Altgermanische Gräber am Wehrmühlenberg bei Biesen-
thal. 2. Reiherberg bei Biesenthal. 3. Bronze- und Steinfuude vom
grossen Werder im Liegnitz-See. Verhandl. d. Berlin, anthropol. Ges.
Bd. 29, S. 267.
Busse, H., 1. Feuerstein - Hohlmeissel vom grossen Liegnitz - Werder.
2. Steinbeil aus dem Freigrunde bei Wilmersdorf. 3. Feuersteinmesser
aus einem Urnengrabe bei Vehlefanz. 4. Rundwall und alte Burgstelle
in Vehlefanz. 5. Vorgeschichtliche und mittelalterliche Funde vom
Schlossberg. Nachr. über deutsche Altertumskunde. Bd. 8, Heft 3.
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Jahrg. 6, Bd. 6. 1896. Oct.-Dec. S. 329—347.
Um Einsendung von Separatabdrücken, Abhandlungen etc. an den Heraus-
geber v^ird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an den Herausgeber
Dr. Buschan, Stettin, Friedrich-Carlstrasse 7^.
Centralblatt
Anthropologie j Ethnologie und Urgeschichte.
Herausgegeben von Dr. phil. et med. G. Bnschan.
J. ü. Kern's Verlag (Max Müller) in Breslau.
3. Jahrgang. Heft 3. 1898.
A. Originalarbeit.
Die Beziehungen zwischen Kriminal -Anthropologie, gericht-
licher Medizin und Psychiatrie.
Von Prof. Dr. A. Zuccarelli in Neapel.
Obgleich die Kriminal-Anthropologie mit der gerichtlichen Me-
dizin und der Psychiatrie viele Berührungspunkte bietet, darf sie
doch weder mit der einen, noch mit der anderen verquickt werden,
sie ist vielmehr eine selbständige Wissenschaft und muss dieses
auch im Unterricht sein. — Die gerichtliche Medizin, um auf diese
zunächst zu sprechen zu kommen, steht zur Kriminal-Anthropologie
in demselben Verhältnis, wie zu den anderen Disziplinen. Als
Wissenschaft mit besonders praktischen Zwecken stellt sie in den
Dienst des Gerichts in gleicher Weise die Erfahrungen der Kriminal-
Anthropologie , wie sie selbst die Resultate der Chemie, Physik,
chirurgischen und klinischen Pathologie, der Geburtshilfe, patho-
logischen Anatomie, Bakteriologie u. a. m. sich zu Nutze macht, und
wie bei diesen Wissenschaften, so darf man auch nicht bei jener mit der
Anwendung der Resultate zu einem gegebenen Zweck die Summe
von Grundsätzen, Untersuchungen, Kenntnissen und konkreten Lehren
zusammenwerfen, eine Summe von Einzelheiten, die eben das Wesen
einer jeden von ihnen zusammensetzt. Diese Thatsache liegt so
klar auf der Hand, dass es wohl keiner weiteren Erläuterung
bedarf.
Was weiter die Psychiatrie betrifft, so hat die Kriminal- Anthro-
pologie mit dieser im besonderen die Methoden der klinischen Be-
obachtung und der Beurteilung der psychischen Störungen gemein,
wie sie es ebenso mit der speziellen klinischen Pathologie und
der speziellen Neuropathologie bezüglich der Methoden klinischer
Beobachtung und Feststellung gewöhnlicher funktioneller Störungen
thut. — Aber besteht Kriminal- Anthropologie ausschliesshch hierin?
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 13
I
194 A. Originalarbeit. ^
Sicherlich nicht. Das, was sie vielmehr vor allem spezifisches und
grundlegendes hat, ist das direkte, ausgebreitete und detaillierte
Studium der anthropologischen Morphologie, sowohl der indivi-
duellen, als auch der ethnischen, der externen und internen, sodass
sie die Bezeichnung „Naturwissenschaft vom Verbrecher" verdient.
In solchem Falle entlehnt sie ihre Beobachtungs-Methoden und Mittel
von der allgemeinen oder eigentlichen Anthropologie; sie schöpft
ferner reichlich aus der vergleichenden Anatomie und Physiologie
behufs onto- und phylogenetischer Feststellung der verschiedenen
anatomischen Formen und Entwickelungs-Zustände; sie bedient sich
ferner der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie be-
hufs Feststellung und Beurteilung der Zustände auf der Basis ge-
wöhnlicher allgemeiner Krankheits - Zustände und solcher infolge
von abnormer Entwickelung und Rückschlag auf Vorfahren-Zustände.
Weiter diese Dinge auszuführen ist für Fachleute überflüssig. Es
wird genügen, wenn ich daran erinnere, welches Interesse und welche
Ausdehnung in der jüngsten Zeit einzelnen dieser morphologischen
Untersuchungen zukommt, z. B. über die überzähligen Schädel-
knochen, das Os bregmaticum, die Ossa parietalia und praeparie-
talia, die Anomalien des Gaumens und der Zähne, die Entwickelung
des dritten Molarzahnes u. a. m.; es wird genügen, wenn ich an
die verschiedenen Theorien und Erklärungs - Versuche, die weit-
gehenden Erörterungen und Nachprüfungen, sowie die leidenschaft-
lichen Diskussionen erinnere, um den Leser zu überzeugen, dass
die Kriminal - Anthropologie ein weites selbständiges Arbeitsgebiet
eröffnet, das sich immer mehr vergrössert und sich von dem der
Psychiatrie und anderer Disziplinen trennt, die sie nur unter-
stützen und vervollständigen. Indessen ist es damit noch nicht genug.
Es giebt noch eine ganz besondere Symptomatologie, die ausser-
halb des Bereiches der Irren- und Krankenhäuser liegt und die
man in den Gefängnissen, Schlupfwinkeln des Elends, Prostitutions-
häusern und in den niedrigsten sozialen Schichten der mensch-
lichen Gesellschaft studieren muss (Palimsesti, Rotwelsche Sitten
und Gebräuche der Camorra, Maffia etc.). Hieran schliesst sich ein
ausgedehntes Studium der Ätiologie und im besonderen der zahl-
reichen, gewichtigen und komplexen ätiologischen sozialen Momente,
nicht nur als Basis für die Diagnose, Prognose und Behandlung
des Individuums und der Familie, sondern auch vor allem in pro-
phylaktisch - sozialer Absicht, um die Ursachen und die Vorgänge
der kriminellen Entartung klarzulegen, auf die wirksamen Präventiv-
maassregeln zu achten, die Ursachen zu bekämpfen und so zu
richtigen ethisch -erzieherischen, ökonomischen, politischen, juristi-
schen und detentiven Maassnahmen zu gelangen. Von dieser Seite
B. Referate. 1. Anthropologie. 195
her bietet die Kriminal-Anthropologie mehr als jede andere Wissen-
schaft eine enge Verquickung mit den Wissenschaften der Ethik,
Jurisprudenz und Soziologie. Es ist dieses ein anderes spezielles
und eigenartiges Gebiet von sehr hoher Wichtigkeit, das keineswegs
besonderer und hauptsächlicher Gegenstand der Psychiatrie, noch
einer anderen verwandten Wissenschaft sein kann, vielmehr der
Kriminal - Anthropologie ein spezifisches Gepräge sui generis auf-
drückt.
Aus allen diesen Gründen darf die Kriminal- Anthropologie nicht
mit der Psychiatrie zusammengeworfen, noch verwechselt werden;
noch weniger kann sie als Unterabteilung derselben aufgefasst
werden. Und da dies in ihrem Wesen ist, so muss sie es auch be-
züglich des Unterrichts sein. Daher trage ich kein Bedenken,
folgende Grundsätze aufzustellen:
1. Trotzdem die Kriminal - Anthropologie auf dem Gebiete der
Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit, wodurch heutzu-
tage alle Wissenschaften miteinander verbunden werden,
Methoden und Ergebnisse anderen Zweigen der verschie-
densten Disziplinen entleiht, bietet sie nicht minder diesen
ebenfalls solche dar, indem sie eine Wissenschaft für sich mit
eigenen Grundsätzen, eigenem Felde für Untersuchungen und
einem ganz besonderen Zweck bildet, die sie keineswegs für
eine denselben untergeordneten Zweig zu halten gestatten.
2. Da die Kriminal-Anthropologie eine wissenschaftliche Einheit
darstellt, so muss sie eine solche auch im Unterricht sein,
und darf dementsprechend auch einen eigenen Lehrstuhl be-
anspruchen.
3. Bezüglich ihrer Stellung wird die Kriminal-Anthropologie am
besten zwischen die Biologie und Soziologie zu stellen sein.
ß. Referate.
I. Anthropologie.
a. Allgemeines.
136. B/. Munro: Prehistoric problems being a selection of
essays on the evolution of man and other controverted
Problems in anthropology and archaeology. Edinburgh
and London, W. Blackwood & Sons. 1897. 371 S., 8 Tafeln,
150 Abbildungen.
Verf. hat in diesem Werk eine Anzahl Arbeiten gesammelt, die er
seit einigen Jahren in verschiedenen Gesellschaften vorgetragen hat. Die
13*
l^^ B. Referate. 1. Anthropologie.
meisten sind umgearbeitet und vervollständigt worden. Nach einem ein-
leitenden Kapitel über die Fortschritte der Anthropologie kommt eine Er-
örterung des Einflusses der stehenden Haltung auf die körperliche und
geistige Enwickelung des Menschen, dann eine Zusammenstellung der
wichtigsten Funde vom fossilen Menschen, endlich ein Kapitel über die
Zwischenstufen zwischen Menschen und Tier. In seinen Schlussbetrach-
tungen hebt Verf. nochmals hervor, dass die aufrechte Haltung frühzeitiger
gewesen sein muss, als die Entwicklung des Gehirns.
Der urgeschichtliche Teil enthält Kapitel über die Trepanation und
die Amulette aus Schädelfragmenten, über die prähistorischen Biber-
und Otterfallen, die knöchernen Schlittschuhe, die nach Verf. Ansicht nicht
prähistorisch sind, sondern von den alten germanischen Stämmen, welche
die Ufer der Nordsee bewohnten, erfunden und später nach Gross-Britannien
eingeführt worden sind; endlich über die Feuerstein- und metallenen
Sägen und Sicheln ; zahlreiche Abbildungen veranschaulichen hier den Über-
gang vom Stein- zum Bronze- und dann zum Eisenwerkzeuge. Die Fach-
leute werden in diesem höchst interessanten W^erke eine Fülle wertvoller
Angaben über alle die erörterten Fragen finden. Dr. L. Laloy-Paris.
b. Somatische Anthropologie.
137. Zanke: 1. Über Messung des Schädel - Innenraumes.
2. Hirngewicht und Schädel-Innenraum. Neurologisches
Centralblatt. 1897. Bd. XVI, S. 488—491 u. 881-887.
In dem ersten Aufsatze beschreibt Zanke seine Verfahren, den Inhalt
der Hirnkapsel an der Leiche, am aufgesägten und am nicht eröffneten
trockenen Schädel zu bestimmen. Bei der Leiche nimmt er das Schädel-
dach in der üblichen Weise ab und lässt in diesem und dem Schädel-
grunde die harte Hirnhaut zurück, von der er das Kleinhirnzelt abschneidet,
ohne den queren Blutleiter zu verletzen. Wird letzterer aber eröffnet, so
muss das Loch mit Watte verstopft werden. Nachdem der Rückenmarks-
kanal mit Wasser angefüllt worden, giesst man aus einem mit Teilung
versehenen Glase in den unteren und oberen Teil des Schädels Wasser
bis zur wagerecht gehaltenen Schnittfläche und erfährt durch Zusammen-
zählen der beiden Inhalte die Grösse des Schädel-Innenraumes. Diese
Ausmessung wird zur Kontrolle 2 — 3 mal vorgenommen, wobei Zanke nie
Unterschiede über 10 ccm gefunden hat. — Ist der trockene Schädel
durch den gewöhnlich etwas über dem Horizontalumfang geführten Säge-
schnitt eröffnet, so legt Zanke eine in Wasser geschmeidig gemachte,
dünne Schweinsblase mit grosser Öffnung, deren Rand nach der Aussen.
Seite des Schädels umgeschlagen wird, in die beiden Schädelteile und
lässt dieselbe unter dem Drucke von hineinfliessendem Wasser sich an-
legen, wobei er die Falten der Blase auf dem Schädelgrunde mit den
Fingern ausgleicht. — Zur Messung des Innenraumes vom uneröfifneten
B. Referate. 1. Anthropologie. I97
trockenen Schädel verstopft Zanke die Augenhöhlen mit nasser Watte, die
kleinen Löcher und Spalten mit Wachs (er bedient sich also hierbei doch
eines Verfahrens, das er im Anfange seines Aufsatzes als unappetitlich,
langwierig und nicht verwertbar bezeichnet), füllt den Schädel, den er
so hält, dass die Augenhöhlen (oberer oder unterer Rand, Mitte? Ref.)
und der hintere Rand des grossen Hinterhauptsloches wagerecht stehen,
und misst das aus dem Schädel gegossene Wasser. Da nach Zanke ,, viele
Calotten schon so gut wie wasserdicht sind", so denkt derselbe nicht
daran, das in die Knochen eingedrungene Wasser durch den Gewichts-
unterschied des Schädels vor und nach der Inhaltsbestimmung zu er-
mitteln und abzuziehen.
Denn der Schädel saugt auch Wasser auf, ebenso wie das Gehirn,
das beim Menschen, wie Zanke in seinem zweiten Aufsatze ausführt, sein
Gewicht um durchschnittlich 19 v. H. vermehrt hat, nachdem es 24 Stunden
im Leitungswasser gelegen ist. Diese Fähigkeit des Gehirns, Wasser auf-
zunehmen und in gebundenem Zustande festzuhalten, ist ungefähr gleich
gross, wenn Wasser von Zimmer- oder von Blutwärme verwandt wird;
sie sinkt auf die Hälfte durch Zusatz von 0,6 v. H. Kochsalz zum Wasser
und ist verschieden für die Gehirne verschiedener Tiergruppen. Nach
Zanke vermag in gleicher Weise das lebende Gehirn Wasser nicht nur
aufzusaugen, sondern das, wie er annimmt, chemisch gebundene Wasser
auch wieder abzugeben, so dass die Hirnmasse im Leben wahrscheinlich
sehr schwanken kann, und das nach dem Tode bestimmte Hirngewicht
nur als Leichenbefund in Betracht kommt. Diese ,, Schwammnatur der
Hirnmaterie" ist mehr oder weniger daran schuld, dass gemäss Unter-
suchungen, die Zanke an Leichen von geisteskranken Personen angestellt
hat, das Gehirn einerseits bis 580 gr leichter, andererseits vermöge seiner
grösseren Dichte aber auch bis 30 gr schwerer sein kann, als das die zu-
gehörige Hirnkapsel ausfüllende Wasser. Es wäre wünschenswert, dass
andere Forscher den vom Verf. betretenen Weg weiter verfolgen würden,
da Zanke angiebt, dies vorläufig nicht thun zu können.
Dr. Mies-Köln.
138. Mies: Das Verhältnis des Hirn- zum Mckenmarks-
gewicht, ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch
und Tier. Deutsche mediz. Wochenschr. 1897. Bd. XXIII, Nr. 33.
Als Durchschnittsgewicht des Gehirns der Frau giebt Verf. 1230,0, als
das des Mannes (und zwar am Ende des zweiten Jahrzehnts) 1400 gr an.
Ein absolut grösseres haben bekanntUch aber Elephanten und einige Wale,
während ein relativ grösseres der Sperling, einige Singvögel und Mäuse
besitzen. Verf. konnte 54 Tiere zusammenstellen, die ausgewachsen, auf
1 ,0 gr Gehirn 1 2 (zwei Blaumeisen) bis 34,4 (ein Sperling) gr Körpergewicht
besitzen, der Mensch im günstigsten Falle aber durchschnittlich nur 35,0.
198 B- Referate. 1. Anthropologie.
Aber auch bezüglich der Körperlänge hat der Mensch nicht das grösste
Gehirn, da bei der Frau auf 1,0 Gehirn ca. 1,3—1,25, beim Mann auf
1,25 — 1,2 mm Körpergrösse kommen, beim Elephanten aber schon auf
1,18, wenn man die Länge des Hinterbeins noch zur Körperlänge rechnet.
Dagegen hat bezüglich des Rückenmarks der Mensch stets das grösste
Gehirn. Elf neugeborene Knaben zeigten durchschnittlich 177,44,
11 Mädchen 113,11 mal so viel Gehirn als Rückenmark und in der Jugend
bei 11 Männern durchschnitthch 51,13, bei 4 Frauen 49,80. Ungünstiger
endlich lauten die Zahlen bei Geisteskranken, doch auch hier haben
Männer ein relativ grösseres Gehirn als Frauen.
Oberarzt Dr. P. Näcke-Hubertushurg.
139. Pflster: Das Gehirngewicht im Kindesalter. Archiv für
Kinderheilkunde. 1897. Bd. XXIII. Nr. 1—3, S. 164.
Dieser vortrefflichen Arbeit liegen zu Grunde die von Pfister im
Friedrich - Kinderkrankenhause zu Berlin angestellten Wägungen von 156
kindlichen Gehirnen. Nach den die Aufzeichnungen über jedes Gehirn
enthaltenden Zusammenstellungen gehörten 88 derselben Knaben an, die
nach einer Woche bis 13% Jahren starben, und stammen 68 von einer
Woche bis ll^g Jahre alten Mädchen. Es finden sich darunter keine
Gehirne, die in ausserordentlich hohem Grade reich oder arm an Blut
oder von entzündeten Häuten umgeben waren. Ausserdem hat Pfister die
auf das Hirngewicht bezüglichen Schriften anderer Forscher verwertet und
in einem 59 Nummern umfassenden Litteratur - Verzeichnis zusammen-
gestellt. — Zunächst werden die Haupt - Ergebnisse bisheriger Unter-
suchungen über die absolute und relative Zunahme der wachsenden Ge-
hirnmasse angeführt. Bei der Wiedergabe der vom Referenten ermittelten
Werte setzt Pfister statt 1,35 mm Körperlänge, die bei Knaben (gegen-
über 1,41 mm bei Mädchen) im ersten Monat nach der Geburt auf 1 gr
Gehirn kommen, 0,78 mm, d. h. die von den Mädchen im zweiten Lebens-
jahre erreichte günstigste Verhältniszahl zwischen Hirngewicht und Körper-
grösse, von welchen jenes bis zum zweiten, oder bei Knaben dritten
Lebensjahre, von da ab jedoch diese schneller und mehr zunimmt. Aus
seinen hierauf geschilderten Untersuchungen, die sich auf die Gewichts-
zunahme von blutarmen und blutreichen Gehirnen nach 48 stündigem
Liegen in Formollösung oder Müller'scher Flüssigkeit beziehen, schHesst
Pfister, dass mit Blut überfüllte Gehirne 7,5 v. H. schwerer, sehr blut-
arme Gehirne aber eben so viel leichter sind, als wenn die Gefässfüllung
bei beiden die gewöhnliche wäre (vgl. hiermit den 2. Teil des Referats
Nr. 137 über Zanke). Wie andere Forscher, so findet auch Pfister die
(in den zweimal, auf S. 10/11 und 20/21 abgedruckten Tabellen D und E
aufgeführten) mittleren Hirngewichte in allen Altersstufen bei den Knaben
höher als bei den Mädchen. Verf. erkennt den Einfluss der Körpergrösse
B. Referate. 1. Anthropologie. I99
auf das Hirngewicht bei Erwachsenen an, spricht aber bei Kindern der
Vererbung und den durch gute Ernährung oder Krankheit (Schädelrachitis)
ausgeübten, ein schnelleres Hirnwachstum bedingenden Reizen eine grössere
Bedeutung für das Hirngewicht zu als der Körperlänge. Dieses immerhin
wichtige Maass hat Pfister überhaupt nicht angegeben; statt dessen macht
er den beachtenswerten Vorschlag, die an gesunden lebenden Kindern
gleichen Alters ausgeführten Längen-Bestimmungen heranzuziehen, um das
Verhältnis zwischen Hirngewicht und Körpergrösse zu ermitteln. Die
Kinder, deren Gehirne gewogen, und die anderen, deren Grösse gemessen
wurde, müssten dann aber auch, wie Referent hinzufügt, aus derselben
Volksschicht und Gegend stammen. — Im zweiten Teile seiner Abhandlung
stellt Pfister die nicht übereinstimmenden Ergebnisse von vergleichenden
Wägungen der beiden Hirnhälften bei gesunden und bei geisteskranken
Erwachsenen zusammen und fügt hinzu, dass die zuerst von ihm an einer
grösseren Anzahl kindlicher Gehirne bestimmten Unterschiede zwischen den
Grosshirn-Hälften ein meist weniger als 5 gr betragendes Übergewicht der
linken Hemisphäre bei 83 unter seinen 156 Fällen ergiebt. Einen deut-
lichen Einfluss des Geschlechts oder Alters konnte er hierbei nicht fest-
stellen. — Der dritte Abschnitt bringt die ebenfalls von einander ab-
weichenden Angaben früherer Forscher über die sowohl an und für sich
betrachtete, als auch mit dem Gesamthirngewicht verglichene Schwere des
Hinterhaupts- und des Kleinhirns, ferner die in zwei Zusanomenstellungen
vorgeführten eigenen Untersuchungen und die daraus gezogenen Schlüsse
des Verf., denen Referent entnimmt, „dass das absolute Kleinhirngewicht
der Knaben durchschnittlich grösser ist, als das der Mädchen," und dass
vom zweiten Jahre ab das weibliche Kleinhirn einen grösseren Teil der
gesamten Hirnmasse zu bilden scheint, als dies beim männlichen Klein-
hirn der Fall ist. Auf dieses u. a. von Meynert angegebene relative Über-
gewicht des weiblichen Kleinhirns deutet auch eine Thatsache, die Referent
fand und in die Worte kleidete: ,,Die Hinterhauptslänge ist dasjenige lineare
Maass, durch welches die weiblichen Anatomieschädel in Heidelberg den
männlichen am nächsten kommen, und der Hinterhauptsindex ist diejenige
Verhältniszahl, durch welche dieselben die dortigen Schädel von Männern
am meisten übertreffen." Dr. Mies-Köln.
140. Carlo Fenizia. Le teorie suUa genesi degli albini.
Archivio per l'antrop. 1897. Bd. XXVII, S. 89.
Bei Plinius dem Älteren finden sich nur dunkle Andeutungen über
den Albinismus; seit den Entdeckungsreisen Cortez' sind aber mehrere
Fälle bekannt geworden, von denen einige sogar aus Oceanien stammen.
In allen Völkermassen sind seitdem Albini beobachtet und genauer von
Voltaire, Maupertius und anderen beschrieben worden. Um die Mitte des
16. Jahrhunderts soll ein Negerknabe nach Frankreich gekommen sein.
200 B- Referate. 1. Anthropologie.
Die Farbe der Haut, der Augen, der Nystagmus, das eigentümlich von
weiss ins gelbliclie spielende Haar finden sich getreulich erwähnt. Ein
anderer Fall betrifft einen Neger, der von schwarzen Eltern stammte und
echt - schwarze Brüder hatte. Seine Haut war im allgemeinen rosenfarbig
bis hellrot mit Flecken, die ca. 2—3 qcm gross waren und bernstein-
artige Farbe hatten. Unter den Krankheitssymptomen war besonders stark
die Photophobie ausgeprägt. Also ein Fall eines gefleckten Negers, der als
Albino gelten muss. — Es existieren eine Menge Zwischenformen mit
verschiedenen Färbungen, bei denen die Haare meist rötUch bis schwärzHch
sind. Die Iris nimmt mit zunehmender Lichtscheu und herabfallender
Sehschärfe eine ins Bläuliche übergehende Färbung an.
Es folgt dann eine Aufzählung mehrerer Albini nebst genauer Be-
schreibung der Haut, Haare, Augen und der direkt als pathologisch anzu-
sprechenden Erscheinungen.
Weiterhin unterscheidet Verf. mehrere Formen. Vollständig ist der
Albinismus, wenn das Melanin gänzlich fehlt; geschwächt, wenn sich
Spuren desselben finden ; teilweise oder unvollständig, wenn das Melanin, ohne
Veränderung grade hervorgerufen zu haben, verschiedentlich lokalisiert ist.
Letzterer, auch scheckiger Albinismus genannt, findet sich zumal bei Negern.
— Während sich vorstehende Auseinandersetzungen auf angeborenen
Albinismus beziehen, muss auch daran gedacht werden, dass ein solcher durch
eine Hemmung oder Störung des intrauterinen Lebens zustande kommen
kann. Über letzteren Punkt gehen die Ansichten zur Zeit noch weit
auseinander; auffällt und anerkannt wird, dass Albini oft kränklich sind,
dass also intrauterine Störung nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Der zweite Teil der kleinen Arbeit beschäftigt sich mit den Theorien.
Zur atavistischen behauptet Verf. annehmen zu müssen, dass die weissen,
d. h. hellen Rassen mehr oder weniger durch die umgebende Luft pig-
mentiert seien, damit sodann für die Albini die Möglichkeit eines Minus
an Farbstoff vorhanden sei. — Die pathologische Theorie stützt sich auf
allgemeine Ursachen, wie Elend, schlechtes Klima, kränkliche Körper-
beschaffenheit der Eltern, Blutsverwandtschaft und Zwillings- oder mehrfache
Schwangerschaften. All dieses ist aber heute als absolut widerlegt anzusehen.
— Eine dritte Theorie ist die der Anomalie. Doch auch diese ist nicht
aufrecht zu erhalten, so dass Verf. zu dem Schlüsse kommt, es handle
sich bei dem Albinismus (anthropologisch gesprochen) ein-
fach um einen Mangel des Pigments, wie Hovelacque bereits es
ausgesprochen hat.
Durch einen Exkurs auf entwickelungsgeschichtliches Gebiet stützt
Verf. diese Ansicht; leider ist es mir nicht gestattet, näher darauf ein-
zugehen. Der Arbeit ist ein Litteraturverzeichnis der wichtigsten Ver-
öffentlichungen in allen Sprachen beigegeben.
Dr. A. Pafsow-Strasshurg i. JE.
B. Referate. 1. Anthropologie. 201
141. W. Tonkoff: Über normale Anordnung der Hautnerven
auf dem Handrücken des Menschen, YcrgHchen mit dem
normalen Verhalten bei den Affen. (Russ.) Wratsch, 1897.
Aug. 7.
Die Innervation der Haut des Handrückens und der Rückseite der
Finger wird nach den gangbarsten Darstellungen zu gleichen Teilen von
dem Ellenbogen- (N. ulnaris) und dem Speichennerv (N. radialis) besorgt,
so jedoch, dass entsprechend der Längsachse des Mittelfmgers, wo die zwei
Nervengebiete aneinander stossen, eine konstante Anastomose zwischen
ihnen hinüberführt. Ausgeschlossen von dieser Versorgung sind beide
I Endglieder der drei mittleren Finger, die in interessanter Weise von der
hohlen Handfläche her ihre Nervenästchen beziehen. Indessen fehlt es
hier nicht an mancherlei Abweichungen, indem bald der eine, bald der
andere von den genannten beiden Nerven an der Hand zu dominierender
Stellung gelangt. Dieser Wettstreit kann dazu führen, dass schliesslich
nur der Nervus radialis übrig bleibt und mittels 10 Nervenzweige, in
die sein oberflächlicher Ast hier auseinander weicht, sämtliche Finger-
I rücken (mit der erwähnten Einschränkung) allein versorgt. Das Gegenteil
j davon, Schwächung des Ramus superficialis nervi radialis und Einrücken
I von Ulnarisästen in sein Gebiet gehört zu den seltensten Nervenvarietäten,
1 die wir kennen. Was geht da nun vor sich?
i Den Schlüssel zu der Frage bietet uns die vergleichende Anatomie.
Bei einer ganzen Reihe von Geschöpfen verbreitet sich der Nervus radialis
normalerweise viel weiter nach innen (ulnarwärts), als bei dem Menschen
' und hört hier mit einer scharfen Grenze auf, die durch die Mitte des
Ringfingers hindurchgeht, und es bleibt dem N. ulnaris nur noch die be-
I scheidene Aufgabe, die einander zugewendeten Seiten des Ring- und kleinen
Fingers, sowie den medialen (ulnaren) Rand des letzteren mit im ganzen
drei Fäden zu versehen. Es steht daher der Annahme, dass jenes
anomale Ueberwiegen des Nervus radialis bei dem Menschen, wovon Verf.
einen weiteren Fall mitteilt, einem Zurückgreifen auf theromorphe Ver-
hältnisse gleichbedeutend sei, nichts besonderes im Wege. Vorherrschen
des N. ulnaris könnte in diesem Sinne folgerecht als anthropologisches
Merkzeichen aufgefasst werden, wenn es nicht, wie schon bemerkt, so
ungeheuer selten vorkäme.
Um der Angelegenheit noch weiter auf den Grund zu gehen, ist Verf.
der richtigen Idee gefolgt, die fraglichen Verhältnisse bei den nach dieser
Richtung hin noch wenig untersuchten Primaten genauer zu prüfen. Und
wie nicht anders zu erwarten war, konnten hier alle fehlenden
Übergänge zu den tiefer stehenden Geschöpfen vollzählig
nachgewiesen werden. Dies wird an mehreren Abbildungen von
Macacus rhesus und nemestrinus, die schon einigermaassen menschliche
Formen erkennen lassen, zu veranschaulichen versucht. Sehr erfreulich
202 ß- Referate. 1. Anthropologie.
für den Menschen gestaltet sich nach des Verf. Ausführungen der Umstand,
dass wegen des innigen Zusammenhanges der Nervenausstrahlungen an
der menschlichen Hand und dank der so hergestellten doppelten, ja drei-
fachen Verbindungen mit dem Centralorgan Schädigung eines der Äste
nicht sofort zu Gefühllosigkeit von Hautgebieten Anlass giebt, sondern
durch Eintreten des Nachbarnerven wieder compensiert wird, ein Vorzug,
dessen die niederen Klassen der Geschöpfe mit scharfer Demarkations-
linie zwischen den Verbreitungsgebieten des N. radialis und ulnaris nicht
teilhaftig sind. Dr. E. Weinherg-Dorpat
14:2. M. Tichomiroff. Ein Fall von sogenannter Verdoppelung
der unteren Hohlvene bei dem Menschen. Sep.-Abdr.
aus den Mitteilungen der St. Wladimir-Universität pro 1897.
Verdoppelung der unteren Hohlvene — zu der normalen rechten tritt
eine zweite an der linken Seite der Wirbelsäule hinzu — entsteht durch
Andauern eines Zustandes, der in sehr früher Fötalperiode (in der 6. Woche
nach der Befruchtung des Eies) bei m.enschlichen Embryonen nachgewiesen
ist. Die seltene Anomalie ist daher auf Entwicklungshemmung zurückzu-
führen. Zugleich muss eine atavistische Grundlage für dieselbe ange-
nommen werden, da sich doppelte Hohlnerven als Endform bei gewissen
niederen Geschöpfen (Phoca, Phocaena communis, Dasypodidae, Manidae,
Pteropus edulis, Echidna setosa) vorfinden. Es sind bisher im ganzen
32 Fälle dieser Varietät bekannt geworden. Während 23 Jahre seiner
speziellen Thätigkeit als Anatom hat Tichomiroff nur zweimal dieselbe be-
obachtet. Dr. B. Weinberg-Dorpat.
c. Biologie.
14:3.(j. J. Romanes: Darwin und nach Darwin. Eine Darstellung
der Darwinschen Theorie und Erörterung Darwinscher Streitfragen,
III. Bd. Übersetzt von Dr. B. Nöldecke. Leipzig, Engelmann
1897, S. 212.
Der dritte (Schluss-) Band dieses Werkes, von welchem wegen vorzeitigen
Todes des Verf. drei Kapitel von C. L. Morgan redigiert wurden, befasst sich
ebenso wie der zweite (s. Centralbl. f. Anthrop. I, 104) mit Darwinschen
Streitfragen und zwar vorzugsweise mit dem Prinzipe der Isolation. Dieses
Prinzip bildet mit den Principien der Vererbung und der Variation die
Grundpfeiler der organischen Entwickelung. Unter Isolation, über welche
Romanes mit J. Gulick einer und derselben Meinung ist, versteht er die
Verhinderung der Kreuzung zwischen einer abgetrennten Abteilung einer
Art oder Gattung mit dem übrigen Teil. Es bestehen zwei Arten der
Isolation, und zwar abgetrennte Zucht (nach Gulik), Isolation ohne Aus-
sonderung oder Apogamie (nach Romanes) und ausgesonderte Zucht oder
Homogamie. Als zwei wichtige Formen der Isolation hebt Romanes die
B. Referate. 1. Anthropologie 203
physiologische und die natürliche Auslese hervor. Während die erstere
von den distinktiven Eigenschaften abhängt, die den Organismen selbst
eigen sind, bezeichnet man mit der letzteren die ausschliessliche Zucht
zwischen den den äusseren Verhältnissen am besten angepassten Indi-
viduen; mit ihr spielt sich jener Prozess ab, durch den das geeignetste
Einzelwesen von der Kreuzung mit dem weniger geeigneten abgehalten
wird. Es ist eine Theorie der akkumulativen Entwicklung der An-
passungen. Mit Rücksicht auf die Isolation ohne Aussonderung oder
Apogamie hat Romanes die Ursache der spezifischen Absonderung mit dem
Namen freie Variabilität oder Variabilität bei Abwesenheit unterdrückender
Kreuzung belegt. Der freien Variabilität entspricht gewissermaassen die
Weissmann'sche Amixie, obzwar sie von der letzteren in verschiedenen
Einzelnheiten abweicht. Die Amixie entsteht, sobald die nicht plötzliche,
sondern in Abstufungen auftretende und auf der freien Kreuzung (Pan-
mixie) aller Individuen begründete Konstanz eines gegebenen spezifischen
Typus aufhört oder sobald ein Teil einer Spezies von dem elterlichen
Grundstock isoliert wird. Die freie Variabilität ist nun eine Wiederholung
des Delboeufschen Gesetzes, welches die Thatsache hervorhebt, dass eine
konstante Ursache einer Variation, mag sie noch so unbedeutend sein, die
Gleichförmigkeit des Typus Schritt für Schritt und ad infinitum äussert,
d. h. dass bei einer genügend langen Isolation eine Abänderung des spe-
zifischen Typus mit Notwendigkeit erfolgen muss, mag die Differenz
zwischen den durchschnittlichen Eigenschaften einer isolierten Abteilung
einer Spezies und denen des Restes derselben noch so ausserordentlich
gering sein. Zur Erkenntnis dieses Prinzips gelangte Gulick durch eifrige
und langjährige Studien über die Landmollusken der Sandwichinseln.
In den folgenden Kapiteln seines Buches befasst sich Romanes mit den
zwei hauptsächlichsten Einwänden, welche man gegen die Anschauung er-
heben könnte, dass in der natürlichen Zuchtw^ahl eine genügende Er-
klärung für die Entstehung der Arten enthalten sei; es ist dies der Gegen-
satz zwischen natürlichen Arten und domestizierten Varietäten hinsichtlich
der Kreuzungssterilität und die Thatsache, dass die natürliche Zuchtwahl
! nicht imstande ist, zu einer polytypischen (im Gegensatze zu einer mono-
I typischen) Entwickelung zu führen. Beide Schw^ierigkeiten vermag die
i Theorie der physiologischen Auslese zu beseitigen. Mit ihrer Hilfe erklärt
i es sich leicht, dass die Absonderung des Geeigneten alle Schwierigkeiten
gänzlich aufhebt, welche sich bis jetzt für das Überleben des Geeignetsten
, bei der Erklärung ergaben, warum die Sterilität so konstant zwischen
i Arten und so selten zwischen Varietäten auftritt.
Am Schlüsse findet sich eine kurze historische Darstellung der An-
sichten über die Isolation als Faktor organischer Entwickelung.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
I
I
204 ß- {Referate. 1. Anthropologie. ^
144. 0. Bickeles: Zur Genese der menschlichen Affekte.
(2 philosopische Essays.) Lemberg, im Verlage des Verf. 1897.
Verf. benutzt zum Studium der Affekte des Menschen den Weg des
Vergleichs derselben mit denjenigen der Naturvölker und Tiere und findet, dass
eine ganze Reihe egoistischer und altruistischer Affekte bei beiden letzteren
schon vorhanden sind. Ein bei den Tieren sehr verbreiteter Affekt ist die
Liebe zu den Jungen, ferner die Eifersucht, das Mitleid, die Anhänglich-
keit, Treue, Dankbarkeit, Herrschsucht, der Sammeltrieb, die Eitelkeit,
Missgunst, Rachsucht. In der Seele der Naturvölker und der Tiere im
Keime bereits vorhanden, aber in der menschlichen Gesellschafte rst gross-
gezogen, werden das Ehrgefühl, die Achtung und Ehrfurcht, die Scham;
Hoffnung, Reue und Gerechtigkeit dagegen wurden erst im Laufe der
kulturellen Entwickelung des Menschen erworben. „Nicht an sich ist das
Gemüt des Menschen verschieden von dem des Tieres, sondern durch die
grössere Fortbildungsfähigkeit des Menschen bekam sein Gemüt einen
reicheren Inhalt." ^^^^^^^^ Bresler -Freiburg.
145. F. Schrader: Des conditions d'arret ou d'avortement
de groupes humains. Rev. mens, de l'Ecole d'anthrop. de
Paris. 1897. Bd. VII, S. 129.
Unter den mannigfachen Faktoren, welche auf den jeweiligen Grad
der intellektuellen Entwickelung bei niederen Völkerschatten ihren Einfluss
ausüben, ist nach Schrader vorzugsweise die geographische Umgebung
hervorzuheben, in welcher sie sich befinden. So blieb z. B. der australische
Eingeborene auf einer niederen Stufe stehen und vermochte sich nicht
weiter zu entwickeln, da sich ihm einesteils wegen seiner völligen Abge-
schlossenheit, andererseits infolge der unwirtlichen Beschaffenheit des
Bodens, sowie der unberechenbaren Unregelmässigkeit des Klimas zur Ent-
faltung eines Jäger-, Hirten- oder Agrikulturlebens keine Gelegenheit bot.
Unter den Bewohnern des Congo und des Amazonenstromes fand der
Mensch hingegen wegen des Überflusses an Naturgaben keine Veranlassung
zur Verbesserung seiner Lebensbedingungen. Einen gewissen Grad von
Rauhigkeit des Klimas muss man demnach als erziehend für den Ur-
menschen gelten lassen, wie dies die alten Bewohner von Mexiko, Peru
und Europa bezeugen. Doch findet Schrader zum Schlüsse, dass ein Volk,
wenn es auch bereits durch das Zeichen des Absterbens stigmatisiert ist,
wie z. B. die Australier, Indianer, Negritos, Ainos u. A., trotzdem de facto
nicht völlig untergeht, da sich infolge der Zuchtwahl in der Descendenz
des besiegenden Volkes stets wenigstens somatische und psychische Spuren
der Besiegten als Rückschlag erkennen lassen.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
B. Referate. 1. Anthropologie. 205
146. H. Muffang: Etudes d'anthropo-sociologie. Rev. internal,
de sociologie. Paris, Giard & Briere. 1897. 6 Tabellen. S. 15.
Die kraniologisch stark gemischte Bevölkerung des Dep. Cötes du
Nord gab Muffang Veranlassung, die anthropologischen, von Lapouge und
Ammon aufgestellten Gesetze an dem Kopfindex von über 500 Schul-
kindern in St. Brieuc nachzuprüfen. Er reiht die hohen, blonden Dolicho-
cephalen unter die Abkömmlinge des Homo europaeus, die niedrigen braunen
Brachycephalen unter jene des Homo alpinus. Entsprechend dem ,, Ge-
setze der städtischen Indices" findet er die aus der Stadt stammenden
Schulkinder dolichocephal, jene vom Lande brachycephal. Die allmähliche
prozentuale Abnahme der brachycephalen Kopfindices von den niedrigen
Schulen in die höheren, sowie den Unterschied im Kopfindex von
10 Notarssöhnen (82,70), sov^^ie 10 Arztsöhnen (81,48) vermeint er als
eine Bestätigung des ,,Stratiricationsgesetzes^' ansehen zu dürfen. Bei dem
Versuche, auch das ,, Gesetz der Intellectuellen" zu bestätigen, nach welchem
|bei den besseren Schülern die absoluten und besonders die Längs-
dimensionen des Schädels überwiegen sollen, machen ihm jedoch die
Brachycephalen der höheren Gymnasialklassen einen Strich durch die Rech-
nung, indem die besseren Schüler fast durchweg der Brachycephalie
mehr zuneigen, als die schlechteren. Mit Recht giebt er am Schlüsse
dem Wunsche Ausdruck, man möge zahlreichere Daten sanameln, um die
Gesetze der Anthropologie vollends bestätigen zu können.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
14:7, Franz Daffner: Das Wachstum des Menschen. Anthro-
pologische Studie. Leipzig, W. Engelmann. 1897.
Auf 129 Seiten behandelt diese Schrift nicht nur den durch den
Titel bezeichneten grossen und wichtigen Abschnitt der Anthropologie,
sondern sie enthält auch über die Eigenschaften und Verrichtungen der
gesunden sowie der durch Krankheiten veränderten Organe viele Be-
merkungen, die der lesende Arzt in diesem Buche nicht erwartet und der
nicht ärztlich ausgebildete Leser zuweilen, z. B. wenn Ausdrücke, wie
Paralytiker, Pneumoniker, Arthritiker, Lungenödem gebraucht werden,
nicht versteht. Die Entwickelung des menschlichen Körpers, sowie die
in der Kindheit und Jugend vor sich gehenden Grössen- und Gewichts-
zunahmen desselben werden auf Grund von eigenen Untersuchungen und
von gediegenen Arbeiten einiger anderer Forscher uns vorgeführt. Da-
gegen sind viele einschlägige Schriften, die Buschan in den Litteratur-
Verzeichnissen seiner auf S. 109 und 206 dieses Centralblatts, 1897, be-
sprochenen Abhandlungen angiebt, nicht benutzt worden. Infolgedessen
ist kein Grundriss der allgemeinen Wachstumslehre des Menschen ent-
standen, sondern eine hier und da etwas lose aneinander gereihte Zu-
sammenstellung von Beiträgen zu diesem grossen und mühsamen Werke.
206 ß- Referate. 1. Anthropologie.
Die Untersuchungen, deren Zahl zur Berechnung mancher Durchschnitts-
werte nicht ausreicht, sind wohl meist in Bayern angestellt worden.
Wenn Daffner nicht nur die absoluten, sondern auch die relativen Wachs-
tumszunahmen berechnet hätte, so würde er den Satz, dass der horizoH-
tale Kopfumfang unter allen Kopfmaassen am meisten wächst (S. 29),
nicht aufgestellt haben. Denn aus den S. 68 angeführten Mittelzahlen.
ergiebt sich, dass von der Geburt bis zum 25. Lebensjahre der Umfang
des Kopfes um 63, sein Breitendurchmesser um 68 und sein (haupt-
sächlich für Geburtshelfer bestimmter) Diagonaldurchmesser um 78 v. H.
der entsprechenden Durchschnittsmaasse beim Neugeborenen zunimmt.
Wertvolle Bausteine für die Lehre vom Wachstum des Menschen im all-
gemeinen sind u. a. enthalten in den Abschnitten über die Zähne, über
die zwischen den vorderen Seitenfontanellen gemessene Stirnbreite, übet
die Zunahme der Körpergrösse und des Kopfumfangs (mit schönen Ta-
bellen, die auch die wichtige Zahl der Fälle angeben), über Brust-, Hand-
und Fussmaasse. Mit der zur Zeit sich ausbreitenden Anschauung, dass«
die langköpfigen Menschen körperlich, geistig und sittlich leistungsfähiger
seien als die kurzköpfigen, steht im Widerspruch, w^as Daffner auf S. 75
sagt: ,,Und wie bei den Anthropoiden, so dürfen wir auch — und eS'
spricht dafür die grössere Entwicklung des Längen breiten-Index mit dem|
zunehmenden Alter im Verhältnis zum Neugeborenen — beim Menschen!
annehmen, dass die Brachycephalie resp. Brachyencephalie eine höhere!
Stufe, eine geistig entwickeltere Menschenrasse darstellt als die Dolicho-i
cephalie bezw. Dolichoencephalie.'' Ohne eine der beiden Ansichten vör-i
treten zu wollen, welche die Fähigkeiten des Menschen in einem sicher-
lich schwer zu erklärenden Zusammenhang zu bringen suchen mit den
Verhältniszahl zwischen Länge und Breite der Hirnkapsel, möchte ReferentI
nur kurz darauf hinweisen, dass unter 247 Schädeln mit grossem und!
sehr grossem Innenraum (1600 — 1960 ccm), die derselbe aus den Ver-
zeichnissen der anthropologischen Sammlungen Deutschlands zusammen- 1
stellte, 54,7 v. H. brachycephal, 29,9 v. H. mesocephal und nur 15^
V. H. dolichocephal sind. Schliesslich sei noch bemerkt, dass Daffner
recht beachtenswerte Auszüge aus Briefen mitteilt, die der berühmte
Anatom Th. v. Bisch off an ihn gerichtet hat. Dr. Mies-Köln.
148. Jean Bonnifay: Du d^veloppement de la fete au poiHt(
de vue de la c^phalom^trie depnis la naissance jusqu'ä
l'äge adulte. These de Lyon. 1897. Lyon. Storck, editeur.
Um die Gesetze für das Wachstum des Schädels festzustellen, hat
Verf. Schädel- und Körperlänge-Messungen an 1093 Individuen jeden Alters
bis zu 24 Jahre (Soldaten, Schüler, Kinder in Kleinkinderbewahr-Anstalten
und Gebär-Anstalten) aus der Bevölkerung von Marseille angestellt (unter
peinlichster Ausscheidung der chronisch Kranken, Rhachitischen, Individuen
B. Referate. 1. Anthropologie.
207
I
mit abnormer Schädel- oder Knochenbildung etc.). — Er schickt seiner
Arbeit einige Betrachtungen über die Morphologie des Schädels, die Phy-
siologie seiner Entwickelung und die verschiedenen Messverfahren voraus,
sodann teilt er die von ihm erhaltenen mittleren Maasszahlen mit, die er
zu denen anderer Autoren in Vergleich setzt und leitet aus diesen seine
Deduktionen für die Entwickelung des Schädels, die Beziehungen derselben
zu der Entwickelung der Körperlänge, die sexuellen Unterschiede und die
Veränderung der Kopfform mit dem Alter ab.
Von den 19 Tabellen lasse ich nur die wichtigste hier folgen. Die
Mittelmaasse des Schädels betrugen:
im Alter
bei einer
Körper-
grösse
Horizon-
tal-Um-
fang
1/2 Trans-
versal-Um-
fang von
einer Ohr-
öffnung
zur andern
V2Längs-
Umfang
Quer-
durch-
messer
Grösster
Längs-
durch-
messer
Cephal-
index
mm
mm
mm
mm
mm
mm
mm
von der Geburt bis
zu 14 Tagen . .
495
343,9
213,1
212,5
934
116,3
80,44
von 14 Tagen bis
2 Monaten •
551
368,7
223,2
228,6
99,1
126,3
78,20
von 3—4 Monaten
587
388,8
245,5
246,1
106,0
132,7
79,93
'- 6 Monaten bis
1 Jahre
660,9
429,8
265,8
267,2
118,2
145,4
81,83
von 1—2 Jahren
748
459,7
285,5
284,6
129,3
154,3
83,95
= 2- 3 -
830
473,5
294,3
296,6
133,3
161,9
83,00
= 3- 4 =
919
487,4
304,0
308,1
136,3
166,2
83,32
'- 4— 5 =
957
495,7
308,7
308,4
138,0
169,9
81,49
= 5- 6 =
1012
497,8
311,1
310,4
140,4
171,0
81,95
- 6 7 ^
1068
504,4
315,2
313,2
141,1
172,8
81,73
" 7- 8 =
1153
511,6
319,2
317,8
143,7
175,2
82,13
' 8- 9 .
1190
514,1
321,9
319,7
144,3
176,1
81,91
'- 9—10 =
1244
514,7
319,6
320,5
144,2
176,4
81,72
" 10-11 '.
1298
519,8
326,1
323,5
146,6
177,1
82,90
" 11—12 =
1350
521,1
324,5
322,7
145,7
177,5
82,00
= 12-13 =
1391
529,7
328,7
325,9
1,47,8
180,1
82,35
" 13-14 =
1433
533,1
331,0
324,9
148,5
178,0
82,47
-' 14—17 *
1435
540,8
339,6
332,8
152,2
182,4
83,27
-. 22-24 =
1643
549,1
338,1
335,7
153,2
185,6
82,42
Bis zum 9. Jahre wachsen alle Durchmesser des Kopfes in regel-
mässiger Weise, von da an wird für einzelne derselben diese Zunahme
j unregelmässig ; nur der Horizontalumfang nimmt stetig bis zum erwachsenen
i Alter zu, allerdings auch nicht für jedes Jahr um den gleichen Wert. Im
(208 B- Referate. 1. Anthropologie. '^
allgemeinen lässt sich sagen, dass die Zunahme des Kopfes in 3 Perioden
sich vollzieht, von denen die erste, die lebhafteste, von der Geburt bis
zum 4. Jahre, die zweite vom 6. bis 8. Jahre reicht und die dritte das
12. und 13. Jahr umfasst; die Zwischenzeiten bedeuten Wachstumsstillstand.
Die vom Verf. über die Wachstums-Verhältnisse des Kopfes und die Körper-
grösse aufgezeichnete Kurve lehrt, dass der Kopf zunächst ein sehr schnelles
Wachstum besitzt, das viel früher aber nachlässt, als das der Körperlänge.
Zu jeder Periode des Lebens von der Geburt an, selbst während der ersten:
Monate, geht die Entwicklung des Kopfes langsamer vor sich, als die
der Körperlänge. Während der ersten 4 Monate nimmt die Körperlänge
um 1/6, der Kopfumfang um 1/7 zu: am Ende des 1. Jahres war jene
um mehr als die Hälfte, dieser um kaum Yg gestiegen. Mit Ausgang des
4. Jahres flacht sich die graphische Kurve für den Schädelumfang merklich ab
und zeigt trotz der beiden Erhebungen im 7. Jahre und zur Zeit der Pubertät
Neigung sich mehr und mehr horizontal zu gestalten, während die Kurve
für die Körperlängen-Zunahme rapid in die Höhe steigt. — Die vorstehen-
den Beobachtungen haben für das männliche Geschlecht Giltigkeit, bis zum
6. Jahre auch für das weibliche. Weil bei diesem die Messungen wegen
des Haarreichtums Ungenauigkeiten ergeben, hat Verf. über das 6. Jahr
hinaus die Mädchen unberücksichtigt gelassen. Allgemein gesagt, be-
sitzen die Mädchen bei demselben Alter und unter denselben Bedingungen
einen kleineren Kopf als die Knaben. — Bei Individuen desselben Alters
konunen indessen ziemlich bedeutende Schwankungen in den Dimensionen
des Kopfes vor; die geringste Variationsbreite scheint von allen Maassen
noch der Horizontalumfang zu besitzen. Die Schwankungen in dem Vo-
lumen des Kopfes stehen bei Individuen desselben Alters in gewisser Be-
ziehung zu den Schwankungen der Körpergrösse. Bei Individuen gleicher
Körperlänge, aber verschiedenen Alters, sind die Kopfdimensionen sehr
variabel, die grössten Köpfe gehören im allgemeinen aber nicht immer
älteren Personen an.
Im Verlanfe seiner Entwickelung unterzieht sich der Kopf besonderen
Veränderungen, die aber keinen Einfluss auf die allgemeine Form zu
haben scheinen. Man kann nicht behaupten, dass es eine konstante Um-
wandlung von Brachycephalie zu Dolichocephalie und vice versa giebt.
Dr. Busehan-Stettin.
149. R. Livi: Dello sviluppo del COrpo. Roma, Enrico Voghera.
1897. S. 40. Mit 10 Tabellen und 5 Tafeln.
Behufs Feststellung der Beziehungen zwischen der Körpergrösse und
dem Brustumfange, sowie des Einflusses der einzelnen Berufsarten auf die
ersteren unterzog Livi die Konskriptionslisten der in den Jahren 1859 bis
1863 geborenen Rekruten einer eingehenden Revision. Es standen ihm
die Daten von über 250 000 Individuen aus allen 16 Provinzen Italiens
ß. Referate.
Anthropologie.
209
mit einem Durchschnittsalter von ca. 20 Jahren zur Verfügung; die Rekruten
teilte er in 13 Berufsgruppen: Studenten, Kleinhändler, Bauern, Schmiede,
Tischler, Maurer, Schneider und Schuster, Barbiere, Fleischer, Fuhrleute,
i Bäcker, Taglöhner und Diverse. Als Ziffer für die mittlere Körpergrösse
erhielt er 164,7, für den Brustumfang 87,1. Der Brustindex, d» h. das
Verhältnis zwischen der Körpergrösse und dem Brustumfang betrug 52,9.
I Das neue italienische Assentierungsgesetz vom Jahre 1896 verlangt ein
Minimum von 0,80 des Brustumfanges für alle Körpergrössen, welche das
Maass von 1,65 nicht erreichen und einen Zuschlag von 1 cm des
Brustumfanges für jede 5 cm der Körpergrösse. Der Brustumfang von
0,84 gilt für alle Körpergrössen über 1,80.
^ Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Javjina.
d. Pathologisches Verhalten (Anomalie, Degenerations-
Kriminal- Anthropologie).
150. G. Mac-Curdy: Le poids et la capacite du cräne, le
poids de la mandibule, les indices cranio-mandibulaire,
Cranio-C^r^bral etc. Bull, de la Soc. d'anthropol. de Paris.
1897. Bd. VIII, S. 408.
Verf. hat die Indices cranio-mandibularis (Verhältnis des Gewichts des
Unterkiefers zu demjenigen des Schädels = 100) und cranio - cerebralis
[(Verhältnis des Schädelgewichts zum Schädelinhalt = 100) an 61 Ver-
I brecherschädeln studiert. Diese Indices geben, wie schon Manouvrier ge-
I zeigt hatte, keinen Aufschluss über die Schädelentwickelung. Darum hat
:Verf. zwei neue Indices aufgestellt: Index cephalo-cerebralis (Verhältnis
des Schädel- und Kiefergewichts zusammen zur Schädelkapazität = 100)
und Index-mandibulo-cerebralis (Verhältnis des Kiefer-Gewichts zur Schädel-
kapazität). Wenn man die 51 französischen Verbrecherschädel nach dem
Index cephalo-cerebralis einreiht und sie in drei Gruppen von je 17 Schädeln
einteilt, so erhält man folgende Tabelle:
Gruppe
Index
cephalo-
cerebralis
mandibulo-
cerebralis
Gewicht
des
Schädels
des
Kiefers
des Kopfes
(Schädel
u. Kiefer)
Kapazität.
37,9
44,6
52,8
5,1
5,3
6,2
520,6
617,2
715,2
80,7
83,4
94,6
601,0
700,6
809,8
1586
1572
1538
Verf. hat auch 10 Verbrecherschädel aus Algier studiert; sie verändern
jaber nicht die gewonnenen Ergebnisse und können hier unberücksichtigt
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 14
210 B- Referate. 1. Anthropologie.
bleiben. Er schliesst aus seinen Betrachtungen, dass der Mandibulo-
cerebral-Index am besten die Hirnentwickelung im Vergleich zu der ganzen
Masse des Körpers repräsentiert und dass er letztere in Ermangelung des
Skeletts ersetzen kann. Dr. L. Laloy-Paris.
151. Peli: Sul tipo progeneo nei sani di mente, negll alie-
nati e nei criminali. Archivio di psich., scienze pen. e antrop.
crimin. 1898. Bd. XIX, S. 61.
Progenie fand sich unter 200 Geistiggesunden bei 2 pCt. der Männer
und 1 pCt. der Weiber, unter 400 Geisteskranken der Jrrenanstalt zu Bo-
logna bei 28 pCt. der Männer und 15 pCt. der Weiber, unter 100 krimi-
nellen Irren bei 31 pCt. und unter 200 Verbrechern, bei denen Geistes-
krankheit nicht vorhanden waren, in 38 pCt. der Männer und 21 pCt.
der Weiber. Es nimmt demnach die Häufigkeit für die genannte Anomalie
von den Geistesgesunden zu den Geisteskranken, weiter zu den geisteskranken
Verbrechern und zu den nicht direkt geisteskranken Verbrechern zu. Das
stärkste Kontingent stellten die Mörder. — Ferner konstatierte Peli, dass
die progenäen Schädel mehr Neigung zu Brachycephalie besitzen, als die
nicht-progenäen Schädel, wie bereits auch Meyer, Lombroso und Ferri
(an Mördern) beobachtet haben. Dr. Buschan-Stettin,
152. Giuffrida - Ruggeri : Asimmetrie nella norma facciale
(cavitä orbitarie). Rivista sperimentale di freniatria. 1897.
Bd. XXIII, S. 607.
Gesichtsasymmetrien lassen sich sicher nur messen, nicht mit dem
Auge beurteilen, auch nicht am Lebenden. Verf. untersuchte nun 431
männliche und 477 weibliche Irrenschädel und fand ganz gegen alle Ver-
mutung, dass die linke Augenhöhle um 1 — 4 mm links höher ist als die rechte
und dies bei 36 pCt. der Männer und 32 pCt. der Weiber (fast nie im Quer-
durchmesser verschieden!) und dies ferner bei Geistesschwachen in 18 pCt.
(M.), resp. 30 pCt. (W.); bei Epileptikern in 24 pCt. (M.), resp. 33 pCt. (W.);
bei Pellagrösen in 36 pCt. (M.), resp. 37 pCt. (W.), bei Verbrechern endlich in
60 pCt. Nach Verf. ist diese Asymmetrie kein Entartungszeichen (? Ref.),
do ch hält er sie eher für eine Entwickelungs - Hemmung, als für einen
ästhetischen Fehler. Zur Entscheidung gebracht kann dies aber nur durch
noch fehlende Untersuchungen an Normalen werden. Wichtig ist endlich
die Bemerkung, dass ein ziemlich deutlicher Parallelismus zwischen nor-
malen und Verbrecher-Schädeln bezw. der Menge der asymmetrischen Schädel-
segmente besteht, so dass allein schon hieraus folgt, dass der Verbrecher-
schädel, ganz gegen Lombroso's Ansicht, fast immer dem Typus seines
Heimatsschädels folgt. Oberarzt Dr. F. Näcke-Hubertusburg.
153. F^rö: Note sur Tasym^trie cranio-faciale dans Fh^mi-
pl6gie spasmodique infantile. Nouvelle Sonographie de la
Salpetriere. 1897. Bd. X, S. 282.
B. Referate. 1. Anthropologie. 211
Wichtig ist diese Arbeit durch die Methodik und .die biologischen An-
merkungen. Schädelgesichts- Asymmetrie fand Verf. oft bei der Kinder-
lähmung. Mit Zirkel und Maassstsab kann man solche noch nachweisen,
wo das Auge nichts davon sieht (? Ref.). Als Maass dienten ihm 1. der
sagittale Diameter des Kopfes, gemessen von der Protuber. occip. post. bis
zu den Stirnhöckern; 2. die Dimensionen der Orbita, der horizontale und
noch besser der verticale, 3. die Länge der ünterkieferhälften vom Kinn-
rande zum Unterkieferwinkel. — Bei Verkürzung einer Unterkieferhälfte
kann Kreuzung der Zahnbögen oben und unten stattfinden. V^ichtig ist,
dass durch Entwickelungs-Hemmung der einen Unterkieferhälfte ein Pro-
cessus lemurinus entstehen kann; hier ist also von Atavismus keine
Rede. So muss das gleiche häufige Vorkommnis bei Degenerierten
erklärt werden. Es fand auch Verf. auf der gelähmten Seite das Ohr öfter
abstehend, durch aufgerollten Rand des Helix länger erscheinend und bis-
weilen am Knorpelrande mehrere statt eines Darwin'schen Knötchens, was
gleichfalls alle besagten Befunde für pathologisch und nicht als Rückschläge
erscheinen lässt; so ist dies wohl auch bei den Degenerierten zu erklären.
Endlich fand Verf. den normalen Zahnbogenstand oben und unten bei 152
Epileptikern nur 107 mal, 18 mal trafen beide Bögen aufeinander und
17 mal bestand Progenie.
Oberarzt Dr. P. Näcke-Hubertushurg.
154. Albert Leopold: Missbildungen und Stellnngs- Anomalien
des Zäpfchens. Dissert. Rostock (Druck der Eberhardt'schen
Buchdruckerei in Wismar) 1897.
Dana hatte auf Grund seiner Untersuchungen (cfr. d. Centralbl. 1896,
Bd. I S. 310) den Satz aufgestellt, dass Stellungs - Anomalien der Uvula
ein Degenerationszeichen bedeuteten. Verf. hält die Untersuchungsreihe
dieses Autors für zu klein, um hieraus endgiltige Schlüsse zu ziehen. Er
hat an einem grösseren Material, 1686 Soldaten, 150 poliklinischen Kranken
und 221 Geisteskranken (davon 164 mit angeborenem, 57 mit erworbenem Irr-
sinn) die gleichen Untersuchungen angestellt und ist, im Gegensatz zu
Dana, zu dem Schlüsse gekommen, ,,dass die Stellungsanomalie der Uvula
nicht für ein pathognomisches Zeichen des Irrsinns gehalten werden darf:
sie ist kein Stigma degenerationis." Denn es zeigten ein abnormes Ver-
halten der Stellung des Zäpfchens von den Soldaten 29 pCt. (darunter
in 1,7 pCt. Uvula bifida), den pohklinischen Kranken 48 pCt. (Uvula bi-
fida 4,7 pCt.) und den Geisteskranken nur 35 pCt. (Uvula bifida 1,8 pCt.).
Verf. scheint indessen kein Gewicht auf die ebenfalls von Dana beobachtete
Thatsache zu legen, dass der Prozentsatz bei den angeborenen Formen
der von ihm beobachteten Psychosen mehr als das Doppelte von dem bei
den erworbenen Formen (24: 11 pCt.) ausmacht.
Dr. Buschan-Stettin.
14*
<^\<^ B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
155. ü. Rossi: Le anomalie antropologiche in rapporto alla
condizione sociale e alla degenerazione. Atti d. Soc. Rom.
di antropol. 1897. Bd. V, S. 77.
Behufs Untersuchung des Einflusses der sozialen Bedingungen und
der Degeneration auf die anthropologischen Anomalien untersuchte Rossi
600 Individuen aus Siena und zwar je 100 Kinder und 100 Erwachsene
aus dem Arbeiter-, Bauern- und wohlhabenden Stande. Er fand ein
Minimum der Anomalien in den wohlhabenden Kreisen; bei den Arbeitern
überwogen die kranischen Anomalien und die Gesichtsasymmetrie, bei den
Bauern hingegen war die Häufigkeit der hervorstehenden Backenknochen
und der Ohr-Anomalien auffallend. Auf die Häufigkeit der anthropologi-
schen Anomalien übt die Degeneration, selbst im leichten Grade, einen be-
deutenden Einfluss aus, und zwar in höherem Maasse als die sozialen Be-
dingungen. Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
2. Ethnologie und Rassenkunde. m
a. Allgemeines. *
156. Oscar Peschel: Yölkerkunde. 7. Aufl. Unveränderter Ab-
druck des Urtextes. Leipzig, Duncker & Humblot. 1897.
Seiten 570.
157. Friedrich von Hellwald: Die Erde und ihre Völker.
Ein geographisches Hausbuch. 4. Aufl. Durchgesehen von Prof.
Dr. W. Ule. Mit 397 Text - Illustrationen, 29 Extrabildern und
20 Kartenseiten. Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschaft.
1897. Seiten 915.
Nachdem bereits Kirchhoff an Peschel's letztem Werk aus dem Jahre
1874 ,, Völkerkunde" gelegentlich der mehrfachen Auflagen, die dasselbe
erfreulicher Weise erlebte, die verbessernde Hand gelegt, ist in der vor-
liegenden, von F. von Richthofen mit einigen einleitenden Bemerkungen
versehenen Auflage die ursprüngliche Fassung wieder beibehalten worden.
Ob damit der Wissenschaft und der Verbreitung des Werkes gedient
worden ist, möchte ich bezweifeln, v. Richthofen fürchtete nämlich, dass,
wenn er dasselbe umarbeiten würde, er ihm das individuelle, eigenartige
Gepräge nehmen und allzuviel neue Gesichtspunkte hineintragen möchte,
auf der anderen Seite aber wieder, dass, wenn er diesem Umstände vor-
beugen wollte, er in seiner eigenen Arbeit sich behindert fühlen könnte.
Es hat diese Befürchtung ihren guten Grund, indessen wäre es doch wohl
nicht bloss angebracht, sondern sogar nötig gewesen, dass mit An-
schauungen, die durch den gewaltigen Fortschritt der ethnologischen
Forschung in den beiden letzten Dezennien umgestossen worden sind,
nun auch in den Lehrbüchern endgültig aufgeräumt würde, und dafür den
neuen Ideen und Hypothesen, wenn auch nur kurz und in der An-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. ^13
merkung (als Zusatz des Revisors) Beachtung geschenkt worden wäre.
So aber werden veraltete Ansichten leider von neuem ins Volk getragen.
Wenn man von diesem Übelstande absieht, dann behält das vorliegende
Werk gewiss einen historischen Wert und wird dem Fachmanne, wenn
er auf ältere, grundlegende Arbeiten zurückgreifen will, sich stets nützlich
erweisen.
Anders steht es mit dem Werke von Hellwald's. Hier ist dem Fort-
schritte der Wissenschaft mehr Rechnung getragen worden. In seinem
1 Wesen ist es nicht verändert worden, es ist ihm die Eigenart des Verf.
' gewahrt geblieben, trotzdem ,,im einzelnen die angeführten Thatsachen
und ausgesprochenen Theorien dem heutigen Stande der Forschung ge-
mäss abgeändert worden sind." Wie ursprünglich beabsichtigt, ist das
Werk ein ,, Hausbuch" geblieben, das nicht für Gelehrte, sondern für das grosse,
für geographische und ethnographische Fragen sich interessierende Publikum
geschrieben worden ist. In diesem Sinne sei auch die vorliegende vierte
Auflage empfohlen. Neben Angaben rein geographischen Inhaltes bringt
das Werk auch eine Fülle ethnologischer Thatsachen, die an passend ge-
wählten, vereinzelt allerdings auch trivialen Text-Illustrationen und Voll-
bildern erläutert werden. Die Karten sind massig ausgefallen.
Dr. Buschan-Stettiu.
158. Daniel 0. Brinton: The socalled „Bow-PuUer" identi-
fied as the greek Myrmex. Museum of science and art.
Bd. I, Nr. 1. Philadelphia 1897. 2 Abbildungen.
Das Objekt, das in den Museen gewöhnlich als ,,Bow-Puller", d. h.
Bogenspanner, bezeichnet wird, wird vom Verf. mit dem griechischen
Myrmex identifiziert. Es ist fast immer aus Bronze angefertigt und besteht aus
zwei Ringen, die von einem soliden Mittelkörper entspringen. Auf diesem
erheben sich senkrecht zu der Ebene der Ringe drei bis fünf feste Spitzen.
Der Gegenstand wurde, nach Verf. Ansicht^ durch einen Riemen (Caestus)
an die Hand befestigt und diente dazu, heftige Stösse mit der Faust beim
Gladiatorenkampf beizubringen, vielleicht auch die Opfer, Tiere oder Sklaven,
bei den religiösen Zeremonien niederzuschlagen. Verf. bringt mehrere
Citate aus den Klassikern, welche die eine oder die andere dieser Hypo-
thesen bestätigen können. Dr. L. Laloy-Paris.
h. Spezielle Ethnographie.
159, J. Novicow: L'avenir de la race blanche. Bibl. de Philo-
sophie contemporaine. Paris, F. Alcan 1897. 183 Seiten.
Novicow's Buch ist hauptsächlich gegen die pessimistische Auffassung
einiger moderner Schriftsteller (Le Bon, Ribot, Faguet, Lapouge, Pearson,
Estournelles u. A.) gerichtet, welche in dem heutigen Entwickelungsgange
der europäischen Kultur eine Reihe von Decadenzerscheinungen erblicken
214 B- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
und sogar einen nahen Untergang der weissen, sowie den endlichen Sieg
der numerisch stärkeren gelben und schwarzen Rasse voraussagen. Ver-
fasser versucht an der Hand statistischer, anthropologischer, ethnographischer
und anderer Daten, sowie mittels sozialpolitischer und philosophischer
Erwägungen den Nachweis der Grundlosigkeit von Befürchtungen zu führen,
welche von diesen Schriftstellern gehegt werden in Bezug auf den Arbeiter-
lohnkampf mit Unterbietung, auf die grössere physische Resistenzfähigkeit
der nichtweissen Rassen, sowie Überflutung des europäischen Marktes mit
aussereuropäischer Waare etc. Er wendet sich auch speziell gegen die
moderne Auffassung des anthropologischen Begriffes ,, Rasse" und zwar
insbesondere gegen die Deutung desselben als Hauptfaktor der Civilisation ;
seiner Meinung nach habe z. B. eine lateinische oder arische Rasse nie
existirt (S. 85). Ebenso scharf kritisiert er die Begriffe von den ,, vor-
nehmen Dolichoblonden" und den ,, gemeinen Brachybraunen" ; die Rasse
sei eine Summe von physiologischen Beziehungen, während die Vornehmheit
eine soziale Tatsache vorstelle (S. 98). Novicow erblickt in der befürchteten
Möglichkeit, dass Europa einst seine jetzige Hegemonie in der Welt ver
Heren soltte, keineswegs ein Unglück, sondern im Gegenteil sogar ein
Maximum des Wohlstandes, welcher eintreten muss, sobald Europa einmal
auf sozialem, ökonomischen und intellektuellem Gebiete prima inter pares
geworden sein wird. Ebenso wie er die Möglichkeit einer militärischen
Invasion Europas seitens eines chinesischen Massenheeres als unwahr-
scheinlich zurückweist, erblickt er in einer eventuellen langsamen Infiltration
Europas durch andere Rassen nur eine günstigere Bedingung zur vorteil-
hafteren Ausnützung der Erwerbsquellen des gesamten Erdballes seitens
der Menschheit, sowie zur Stabilisierung eines internationalen Weltfriedens.
Als Ideal der Zukunft erscheint ihm die völlige Ausgleichung der Rassen-
und sozialen Unterschiede.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
160. M. Zaborowski: Les Aryens. Revue mens, de TEcole d'an-
throp. de Paris. 1898. Bd. VIII, S. 37.
Die Sprachen- und Rassenfrage der Arier ist noch immer nicht end-
giltig entschieden ; Zaborowski sucht in vorliegender Abhandlung ein treues
Bild ihres heutigen Standes zu entwerfen. Der Namen Aryas erscheint
zuerst in den Hymnen des Rig - Veda, woraus wir erfahren, dass dieses
(sanskrit redende) Volk, nachdem es die Südabhänge des Hindu-Kusch
herabgestiegen, die oberen Zuflüsse des Indus besetzte. Mit Hilfe der ver-
gleichenden Sprachforschung und der linguistischen Paläontologie wurde
nun eine ganze Reihe von Theorien aufgestellt, welche fast alle dahin
zielten, die dunkle Abkunft der Mehrzahl der jetzigen Bevölkerung Europas
in Indien zu suchen. Doch blieben auch vielerlei Einwände und ernste
Bedenken nicht aus, und im Verlaufe der Diskussion sah man sich bald
:i
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 215
zur Annahme von rein arischen und arianisierten Völkern gezwungen,
bald wieder dazu gedrängt, die Ursitze der Arier ausserhalb Indiens und
zwar vorzugsweise nach Nordeuropa zu verlegen. Als man die Frage vom
Standpunkte der Archäologie, Ethnologie und Geschichte zu betrachten
begann, wurde sie um so komplizierter, und mit dem Eintreten der Soma-
tologie in die Erörterung nahm die Konfusion noch mehr zu. Broca war
der erste, welcher darauf hinwies, dass man die Sprachen nicht mit den
Rassen vermengen dürfe. Allmählich gelangte man zur Annahme von
folgenden drei Gruppen unter den Ariern: 1. eines kleinen, braunen, lang-
köpfigen Menschenschlages, zu welchem die alten Pelasger, Iberer und
Hindus gehören, 2. eines lichtbraunen, rundköpfigen Menschenschlages
mit lichter Hautfarbe und Augen: Gelten, Slaven, die heutigen Tadjik
in Persien, 3. eines grossen, blonden, langköpfigen Menschenschlages
mit rosiger Hautfarbe und blauen Augen: die Kymrier (Gallier) und
Germanen.
Gestützt auf linguistisch-paläontologische Forschungsresultate, musste
man zwei Gruppen der alten Arier unterscheiden: europäische und asiatische;
als älteste Niederlassungen der ersteren nahm man Nordeuropa, als jene
der letzteren die Gegend am Jaxartes an. Der Frage, ob die ersteren aus
Asien gekommen sind, oder ob die letzteren aus Europa stanomen, kann
man nur folgende Thatsachen entgegenstellen: die europäischen Sprachen
weisen im Vergleiche mit dem Sanskrit und Zend eine primitivere Ent-
wickelungsstufe auf; zwischen den europäischen und asiatischen Ariern
giebt es keine bestimmte Begrenzungslinie; die Wanderungszüge der arischen
Rassen waren gegen Süden und im gewissen Grade auch nach Osten ge-
richtet. Den archäologischen Untersuchungen ist zu entnehmen, dass die
Arier weder Fischfang, noch Metalle (mit Ausnahme des reinen Kupfers)
kannten, und dass sie zur Zeit der jüngeren Steinperiode in Europa er-
schienen. Zaborowski ist überzeugt, dass die Arier weder die Bronze,
noch die arischen Sprachen nach Europa brachten; er spricht die Er-
findung der ersteren vielmehr den Babyloniern zu; jedenfalls steht bisher
so viel fest, dass die Bronze von einem brachycephalen Volke nach Central-
europa importiert wurde. Gegen Ende des neolithischen Zeitalters nimmt
Zaborowski eine rückläufige Völkerbewegung an, welche von den aus dem
Norden gegen Centraleuropa drängenden Kymriern ausging, nachdem die
turanischen Völker den Westen und Südwesten Europas allmählich in-
filtriert hatten. Der Typus der Kymrier ist uns unter der Bezeichnung
der neolithischen DoHchocephalen bekannt. Die grosse Expansionsbewegung
dieser blonden Völkerschaften am Vorabende der Bronzeperiode und ihre
gleichzeitige Vermischung mit den Turaniern fällt mit der Entstehung jener
Mundarten zusammen, aus welchen später die arischen Sprachen hervor-
gehen sollten.
Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
21(3 B. Referate. i2. Ethnologie und Rassenkunde.
161. Lucretia Panaitescu: Zur Ethnologie der Rumänen.
Inaug.-Dissert. Zürich. 1897.
Vorliegende Arbeit ist ein nicht unwichtiger Beitrag zur rumänischen
Volkskunde. Auf eine gedrängte Schilderung der prähistorischen und
historischen Thatsachen folgen einige anthropologische Daten, die von
einem Bruder des Verf. gesammelt wurden. Diese Erhebungen sind an
militärpflichtigen Leuten vorgenommen worden und beschränken sich auf
Körpergrösse und Komplexion. Die folgenden Abschnitte behandeln Sprache,
Tracht, Hausbau, Nahrung, Beschäftigung u. s. w., doch scheint dem Verf,
der Schwerpunkt der Arbeit in den Kapiteln, welche die Hochzeits- und
und Totengebräuche beschreiben, zu liegen. Gerade bei diesen Gebräuchen
treten noch häufig ältere, dem Christentum fremde Vorstellungskreise zu
Tage, die, speziell in Totenkultus, überraschende Analogien mit den Ge-
bräuchen Ural - altaischer Völker aufzeigen. Besonders hervorgehoben sei
hier nur die eigentümliche Beschränkung der Ehefreiheit, welche die Ver-
wandtschaft durch Gevatterschaft (Cumatria) bedingt. Das Volk vermeidet
die Heirat mit Blutsverwandten bis in die dritte Generation, die Heirat
mit Verwandten durch Gevatterschaft oder Verschwägerung dagegen bis in
die siebente Generation. Es wurde für eine geringere Sünde gehalten, die
leibliche Schwester zu heiraten, als die Gevatterin, und ein Mann darf nie-
mals mit einer Milchschwester eine Ehe eingehen.
Eine ebenso interessante aber im Aussterben begriffene Sitte ist die-
jenige, die Leiche nach 7 Jahren (bei Kindern schon nach 3 Jahren) aus-
zugraben. Die Knochen werden sorgfältig weiss gewaschen, neu verpackt,
und es findet dann ein vollständiges zweites Begräbnis statt. Andere
Gebräuche, die auf einen ausgedehnten Geisterglauben hinweisen, wolle
man in der kurzen, aber sehr interessanten Arbeit selbst nachlesen.
Dr. Bud. Martin-Zürich.
162. L. Moschen: Note di craniologia trentina. Atti d. See.
rom. di antrop. 1897. Bd. V, S. 5.
Nach den craniologischen und cephalometrischen Messungs-Resultaten
über den Schädelindex von Wälschtirol, welche sich aus den Arbeiten von
Moschen, Tappeiner, Canestrini und Holl ergaben (1498 Individuen), über-
wiegt dort die Zahl der Brachycephalen (49,0) und Hyperbrachycephalen
(29,4), während die Mesocephalen (20,8) und Dolichocephalen (0,7) in
Minorität bleiben. Durch die Untersuchungen von Toldt und Tappeiner
wurde festgestellt, dass in Deutschtirol die Zahl der Hyperbrachycephalen
eine noch grössere ist. Mit Rücksicht auf die zoologische Untersuchungs-
Methode von Sergi fand Moschen folgende Schädel-Varietäten: Ellipsoides,
Ovoides, Pentagonoides, Sphenoides und Platycephalus.
Dr. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
B, Referate. 2. Ethnoloüie und Kassenkunde.
217
163. E. Tedeschi: Studi di antropologia veneta. Aiti d. Soc.
rom. di antropol. 1897. Bd. V. S. 21.
Tedeschi untersuchte 107 venetianische Schädel des anatomischen
und zoologischen Museums in Padua (95 männlich, 12 weihlich, 58 Ver-
brecherschädel). Der Schädelinhalt schwankte zwischen 1120 und 1720 ccm,
und zwar waren mikrocephal ( — 1150) 2 Schädel, elattocephal (1150 bis
1300)6, oligocephal (1300-1400) 11, metriocephal (1400—1500) 33,
megalocephal (1500—1700) 43, über 1700 ccm 4 Schädel. Der Schädel-
umfang variierte zwischen 450 und 560 cm bei den Männern und zwischen
447 und 540 bei den Weibern. Davon waren 5 dolichocephal, 25 meso-
cephal, 76 brachycephal , 19 chamaeprosop, 80 leptoprosop. Im all-
gemeinen waren die Schädel dieser Provinz brachycephal, niedrig ortho-
cephal, leptoprosop, leptorrhin, hypsiconch mit Überwiegen der platy-
cephalen Formen. Von den Sergischen Varietäten fanden sich die Formen
Platycephalus (46,60 pCt.) (mit 6 Untervarietäten), Ovoides (12,62), Sphe-
noides (12,42); ausserdem: Sphaeroides, Scolopeides, Pentagonoides, Co-
motocephalus. Dr. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
164. A. A. Arutinow: Zur Anthropologie des kaukasischen
Volksstammes der Uden (oder Udiner). Arbeiten der
anthropologischen Abteilung der K. Moskauer Gesellschaft der
Freunde der Anthropologie. 1897. Bd. XVIII, Lief. 3, S. 521
bis 528.
Die Uden sind ein kleiner kaukasischer Volksstamm. Eckert zählt
gegen 10 000 Individuen, der kaukasische Kalender von 1896 nur 7856 In-
dividuen; sie bewohnen 2 Ortschaften: Wartaschen und Nidscha.
Der Verf. konnte 25 Individuen im Sommer 1896 messen; überdies be-
schaffte er sich 6 Schädel aus einer Begräbnisstätte nahe bei Wartaschen.
Ihre Kleidung ist die gewöhnliche kaukasische, aber ihre Sprache ist
eine eigentümliche (Schiefner hat eine Grammatik geschrieben).
Die Uden sind von mittlerer Grösse, besitzen Knochenbau und Mus-
kulatur gut entwickelt.
Die Stirn ist niedrig und schmal, die Scheitelgegend breit, das
Hinterhaupt abgeflacht, der Cephalindex ist sehr hoch, 86,62. Die Uden
sind brachycephal (Max. 93,89 — Min. 80,63); die Nase lang, massig breit,
der Mund nicht gross ; Haare glatt, Haarfarbe dunkel, Hautfarbe bräunlich,
Augen hellbraun und braun.
Der Verf. hat 6 Schädel untersucht, die in der Nähe der Ortschaft
Wartaschen gefunden worden sind, und erklärt dieselben, sowie die von
Dr. Batschinski ebendaselbst gefundenen und gemessenen 12 Schädel für
Uden-Schädel.
Allein auf Grund seiner Messungen erhielt er als Mittel des Cephal-
index 74,22 — die Schädel sind also dolichocephal. Vergleicht man diese
218 B- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Zahl mit dem Cephalindex der lebenden Uden 86,62, so ergiebt sich —
auch nach Abzug von 2 Einheiten als Korrektur — immerhin 84,62,
bleibt also ein Unterschied von 10 Einheiten.
Danach ist der Schluss berechtigt, dass die Gräber-Schädel nicht den
Uden angehört haben. Prof. Dr. L. Stieda-Königsherg.
165. J. K. Twarjanowitsch: Beiträge zur Anthropologie der
Armenier. Doktor -Dissertation der Milit.-Mediz. Akademie zu
St. Petersburg. Jahrgang 1896/97. Nr. 57. St. Petersburg
1897. 158 Seiten. 8^. Mit einigen Tabellen.
Auch diese anthropologische Dissertation ist unter Leitung des Herrn
Prof. Tarenezky angefertigt.
Der Verf. giebt zuerst eine geographische Skizze Armeniens, dann einen
kurzen Abriss der armenischen Geschichte, und schliesslich eine ethno-
graphische Skizze (S. 1 — 42). Die anthropologischen Beobachtungen
und Messungen konnte der Verf. in seiner Eigenschaft als Militär-Arzt
(jüngerer Arzt im 14. Grusinischen Grenadier-Regiment von 1889 ab) be-
quem ausführen, insofern ihm durch vielfache Dienstreisen Gelegenheit ge-
boten v^urde, den Kaukasus und dessen Bev^ohner zu studieren.
Es vi^urden 108 muskelkräftige und gesunde Männer (Soldaten und ^
Bauern), die aus der Umgegend der Stadt" Tiflis und aus den Kreisen
Bortschalisk und Tiflis stammten, untersucht. Die Maasse sind in genau
geführten Tabellen zusammengestellt.
Als Ergebnisse sind hervorzuheben:
1. Unter den Armeniern überwiegt der Zahl nach das männliche
Geschlecht. 2. Pocken - Epidemieen sind unter den Armeniern, weil der
Nutzen der Impfung nicht anerkannt wird, sehr häufig. 3. Die Haut-
farbe des Gesichts ist dunkler, an den übrigen Körperstellen heller.
4. Die Armenier sind dunkelhaarig und dunkeläugig. 5. Die Behaarung
der Körperoberfläche ist sehr gross. 6. Der Schnurrbart und Backenbart
wächst sehr früh. 7. Die Gesichtsschärfe ist grösser als die normale.
8. Die Muskelkraft dsr linken Hand ist grösser, als die der rechten Hand.
9. Das Körpergewicht der Armenier ist im allgemeinen gross. Es beträgt
im Mittel 167,95 Pfund (d. i. 67,2 Kilogramm). Bei einer kleinen Reihe
von 56 Mann betrug das Mittel 170 Pfund (Max. 210, Min. 127). 10. Das
Körpergewicht der armenischen Soldaten nimmt gegen das Ende der Dienst-
zeit zu. Unter den 56 Mann nahm das Körpergewicht bei 43 Mann
(76,79 pCt.) zu, verminderte sich nicht bei 10 (17,86 pCt.), verringerte sich
bei 3 (5,36 pCt.). 11. Die Armenier sind brachycephal. Cephalindex im
Mittel 86,89 cm; Max. 94,13 (bei einem Individuum), Min. 78,13 (bei
einem Individuum). Brachycephal sind 82,9 pCt., subbrachycephal 15,2;
mesocephal 1,9 pCt. 12. Der Längsdurchmesser des Kopfes ist verhältnis-
mässig kurz, im Mittel 181,78 cm; Max. 198 — Min. 164. Der Quer-
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 219
durchmesser des Kopfes ist verhältnismässig gross, im Mittel 157,82 cm-,
Max. 173, Mio. 147. 13. Die Stirn ist grade, von mittlerer Höhe, breit, mit
nur schwach entv^ickelten Stirnhöckern. 14. Deformationen des Schädels
(des Kopfes) sind verhältnismässig häufig. 15. Die Armenier haben ein
Gesicht von mittlerer Form, neigen jedoch etv^as zur Leptoprosopie
(Schmalgesicht). Die Backenknochen springen nicht vor. Das Kinn ist
spitz. 16. Die Nase ist lang, der Nasenrücken gekrümmt und breit.
17. Das Spatium interorbitale ist nicht breit. 18. Der Mund ist von
mittlerer Grösse,'" die Lippen sind dick, etv^as umgestülpt. 19. Die Zähne
sind grade, von mittlerer Grösse, ohne beträchtliche Zv^ischenräume, der
sogenannte „Biss'' ist ein oberer. 20. Die Zähne der Armenier v^^erden
sehr häufig durch Caries angegriffen. 21. Die Weisheitszähne brechen
sehr spät hervor. 22. Die Ohren sind nicht gross, aber abstehend; die
Grösse beider Ohren ist gleich. 23. Der Hals ist geschmeidig und von
mittlerer Länge. 24. Die Körpergrösse der Armenier überschreitet das
Mittelmaass; sie beträgt im Mittel 1671,02 mm; Max. 1860, bei einem In-
dividuum, Min. 1530, auch bei einem Individuum. Differenz 330 ist sehr
gross. 25. Der Rumpf ist sowohl absolut wie relativ nicht gross;
Länge im Mittel 904,33 mm. Max. 996,0 — Min. 805,0. 26. Der
Perimeter der Brust übertrifft die Hälfte der Körpergrösse. Er beträgt im
Mittel 884,2 mm. (Die Körpergrösse im Mittel 1671,02). 27. Schulter-
und Beckenbreite sind beträchtlich. Schulterbreite im Mittel 383,34 mm;
i Max. 451 — Min. 328; Beckenbreite im Mittel 273,94 mm; Max. 311 —
Min. 244. 28. Die Klafterbreite überschreitet die Körpergrösse bedeutend;
I sie beträgt im Mittel 1738,42, Max. 1924, Min. 1570 mm. 29. Die
I oberen Extremitäten haben eine beträchtliche Länge = 753,31 mm
im Mittel (Max. 839, Min. 679). Die rechte und die linke Hand sind von
gleicher Länge. 30. Die Beine sind lang, im Mittel 878,37 mm (Max.
990, Min. 780) in Folge der beträchtlichen Länge des Schienbeins; die
Fusslänge ist nicht gross ; der rechte und der linke Fuss sind von gleicher
Länge. Prof. Dr. L. Stieda-Königshery.
166. Dimitrij Posdnejew: Beschreibung der Mandschurei.
Zwei Bände. St. Petersburg 1897. I. Bd. V + 620 + VI.
II. Bd. Beilagen. Mit einer Karte.
Das vorliegende Werk ist vom K. russischen Finanz-Ministerum durch
den Direktor den III. Abteitung D. M. Posdnejew herausgegeben worden.
Mit dem Namen derMandschurei (Russisch: Mantschschurija) werden
die drei östlichen Provinzen des chinesischen Reiches bezeichnet. Es
haben diese drei Provinzen heute ein ganz besonderes Interesse zu er-
warten, weil die russisch - chinesische Bahnlinie die genannten Provinzen
durchqueren wird. Das vorliegende Werk giebt eine Beschreibung in ge-
schichtlicher, geographischer und handelspolitischer Hinsicht; die in der
220 ß- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
westeuropäischen Litteratur enthaltenen Angaben über die Mandschurei sind
sehr dürftig. Einige Nachrichten verdanken wir den russischen Gesand-
schaften, die im XVII. und XVIII. Jahrhundert auf dem Wege nach Peking
durch die Mandschurei hindurch reisten. Dann ist lange Zeit nichts zu
hören, bis erst in der Neuzeit durch die Erwerbung des Amurgebiets und
durch die allmähliche Erschliessung China's die Europäer auch mit der
Mandschurei in Bekanntschaft getreten sind.
Deshalb erschien eine zusammenfassende Darstellung sehr notwendig
und wünschenswert. Man darf, so schreibt der Verf., keineswegs nur
neue Angaben erwarten, keineswegs eine streng wissenschaftliche Behand-
lung des Gegenstandes, vielmehr ist derselbe bestrebt gewesen, so viel
als möglich verschiedene Notizen zusammen zu tragen.
Die beigefügte Karte der Mandschurei im Maassstabe von Vaeooooo
(80 Werst auf einen Zoll) ist auf Grundlage der 40 werstigen Karte der
russisch-asiatischen Grenzländer angefertigt worden.
Wir geben hier eine gedrängte Übersicht des reichen Inhalts:
Es muss vorausgeschickt werden, dass bei der Zusammenstellung, so-
wohl des Textes wie auch der Beilagen, nicht nur Posdnejew beteiligt
war, sondern darin unterstützt wurde von seinem Gehilfen K. M. Jo-
hannson. Ausserdem nahmen Anteil an der Abfassung des Werkes:
W. S. Kotwitsch, L. J. Borodowsky, M. A. Konossewitsch, Act.
Schklarewitsch. Die geologische Skizze der Mandschurei hat den
Adjunkt-Professor des Instituts für Landwirthschaft und Forstwirtschaft
K. D. Glinka zum Verfasser; die Hieroglyphen der Beilage V sind vom
Lektor der Universität zu St. Petersburg, Jossibumi Korono, nieder-
geschrieben.
Der erste Band enthält eine historische und eine geographische
Skizze der Mandschurei (S. 1 — 144), eine Darstellung des geologischen
Baues (S. 145 — 160), eine kurze Schilderung des Klimas, des Pflanzen-
und Tierreichs (S. 161 — 213), eine Schilderung der Bewohner der
Mandschurei (S. 214 — 256), Dauren, Orotschonen, Koreaner, Manegren,
Biraren, Golden, Solonen, Burjäten, Tschiptschiner und Olöten, Chinesen:
sie gehören den drei Völkern der Tungusen, Mongolen und Chinesen an.
Die Gesamtzahl ist nicht sicher zu bestimmen, der Verfasser schätzt
sie etwa auf 12 Millionen. Ausser den Anhängern der chinesischen
Staatsreligion giebt es eine geringe Anzahl Mohammedaner und etwa
20 000 Christen. Bemerkenswert ist, dass in der Mandschurei noch
Sklaverei herrscht. — Weiter folgt eine Beschreibung der Administration
der einzelnen Provinzen (S. 257 — 268), eine Schilderung einzelner Städte
und Wohnplätze (S. 269—305), der Strassen und Wege (S. 306—422),
der Landwirtschaft, der Viehzucht und des Handels (S. 422—584. Diese
letzten Abschnitte sind sehr ausführlich und ganz besonders sorgfältig
behandelt.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 221
Der II. Band enthält sehr verschiedenartige Beilagen. Beilage 1 zum
Kapitel Klima: Meteorologische Tabellen, Temperatur, Windrichtung u. s. w.
Beilage 2 giebt ein Verzeichnis der in der Mandschurei gefundenen
Pflanzen (13 Seiten). Beilage 3 giebt ein Verzeichnis der Säugetiere
und der Vögel der Mandschurei. Die Beilage 4 bringt Tabellen über die
Militärmacht, über die administrative Einteilung und den Etat der Ver-
waltung der einzelnen Provinzen. Die Beilage 5 giebt Mitteilungen über
die Entfernungen auf den einzelnen Wegstrassen, do.bei ein Verzeichnis
der Stationen der Wege in der Provinz Schen-Tsin in chinesischen Schrift-
zügen (Hieroglyphen). Beilage 6 eine Tabelle der verschiedenen Seiden-
waaren. Beilage 7 Tabelle: astronomische Punkte, hypsometrische Be-
stimmungen und Höhen-Angaben. Beilage 8: Tabelle über die Ausfuhr
aus der Mandschurei während der Jahre 1891 — 1895 mit besonderer Be-
rücksichtigung des ausgeführten Viehes. Beilage 9: Chinesische Maasse.
Chinesische Chronologie. Beilage 10: Bibliographie der Mandschurei,
26 Seiten, Geschichte, Geographie und Ethnographie. Flora, Fauna.
Sprache und Litteratur. Geldgewinnung. Vermischtes. Karten.
Frof. Dr. L. Stieda-Königsherg.
167. A. Posdnejew. Die Mongolei und die Mongolen. Er-
gebnisse einer während der Jahre 1892 — 1893 durch die Mongolei
ausgeführten Reise. Bd. I. Tagebuch der Reise 189 2.
St. Petersburg 1896. 8«. XXX + 696 Seiten. Mit Ab-
bildungen im Text und den Portraits des Reisenden, seiner Frau
und seines Gefährten. (Herausgegeben von der K. russischen
geogr. Gesellschaft zu St. Petersburg.) In russischer Sprache.
A. M. Posdnejew, Prof. an der K. Universität zu St. Petersburg
der bedeutendste aller russischen Mongolisten, hat sich bereits im Jahre 1876
an der Potanin'schen Expedition beteiligt und verweilte im Anschluss
daran 3 Jahre in der Mongolei, um insbesondere die mongolische Sprache
zu studieren. Darnach wurde er als Professor der mongolischen Sprache
in St. Petersburg angestellt. Im Jahre 1892 begab sich Posdnejew infolge
einer Aufforderung von Seiten des russischen Ministers der auswärtigen
Angelegenheiten abermals nach Asien, um nicht nur die Bevölkerung der
Mongolei in ethnographischer Beziehung, sondern auch die ökonomischen
Beziehungen der Gegend zu studieren, um Land und Leute gründlich zu
erforschen.
Die Reise Podnejews nahm etwa 2 Jahre in Anspruch; an derselben
beteiligte sich seine Frau Olga und ein Gehilfe Fedorow.
Die Länge des von den Reisenden durchmessenen Weges betrug
etwa 22 Tausend Werst, die Unkosten gegen 9000 Rubel. Die Reisenden
verliessen St. Petersburg am 7./19. April 1892, waren am 11. /23. Juni
bereits in Werchneudinsk und am 23. Juni in Kiachta. Hier wählte
Posdnejew sich zum Reisebegleiter einen jungen 26jährigen Mann, der ur-
222 B- Heferate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
sprünglich das Schuhmacherhandwerk erlernt hatte, später aber Photo-
graph geworden war. Dieser aus Irkutsk stammende Bürgersohn Iwan
Fedorow hatte als Photograph 2 Jahre in Urga gelebt und hatte infolge
dessen unter den dortigen Mongolen viele Bekannte; leider konnte er nur
wenig mongolisch sprechen. Fedorow erwies sich als ein sehr brauch-
barer Gehilfe. Am 27. Juni verliess Posdnejew Kjachta; am 21. Dezember
langten die Reisenden glücklich in Peking an. Der vorHegende Band, der,
wie bemerkt, das Tagebuch der im Jahre 1892 ausgeführten Reise enthält,
beschäftigt sich dementsprechend mit der Nord-Mongolei (Chalcha).
Posdnejew reiste nicht direkt von Kjachta nach Peking, sondern auf Um-
wegen, da er sich mit der nördlichen Mongolei insbesondere bekannt
machen wollte. Er zog von Kjachta nach Urga, der Hauptstadt der
Mongolei, dem Sitz des Oberlama — dann weiter von Urga nach Ul-
jässutai, und noch weiter westlich nach Kobdo; dann von Kobdo wieder
zurück nach Urga, dann nach Kaijan und nach Peking. — Da die
Reisenden im Jahre 1893 gleichfalls diese Strecke Kaigan - Peking zu
passieren beabsichtigten, so ist die Schilderung dieser Wegesstrecke hier
fortgeblieben, um der Reisebeschreibung des Jahres 1893 eingefügt zu
werden. Wir müssen uns hier mit dieser allgemeinen Skizze begnügen
und können auf die Einzelbeschreibungen nicht eingehen; es möge nur
hervorgehoben werden, dass sehr viel Neues und Interessantes darin ent-
halten ist; vor allem bemerkenswert sind die Beschreibungen der mongo-
lischen Klöster, der lamaistischen Geistlichkeit, der Tempel und der Alter-
tümer. Nicht minder anziehend sind die Schilderungen des mongolischen
Volkslebens, die Erörterungen über die Handelsbeziehungen und über die
Volkswirtschaft. Diesem ersten Bande sollen noch 6 weitere folgen. Da-
von wird enthalten: der zweite Band die Reise-Ergebnisse des Jahres 1893
der dritte Band eine Skizze der administrativen Einrichtungen der Mon-
golei, die militärische und national-ökonomische Lage der Mongolen; der
vierte Band wird die Religion der Mongolen, den Lamaismus, schildern;
der fünfte Band soll die Ethnographie der Mongolen, der sechste Band
eine Schilderung des russisch - chinesischen Handels, und allendlich der
siebente Band eine Geschichte der mongolischen Dynastie bringen.
Wünschen wir dem fleissigen Gelehrten Zeit und Kräfte, um alles ge-
sammelte Material gehörig verarbeiten zu können.
Prof. Dr. L. Stieda-Königsherg.
168. Karl von üjfalvy: Die Arier im Norden und Süden des
Hindu-Kusch. Arch. f. Anthropol. 1897. Bd. XXIV, S. 609.
Referat von unbekannter Hand über Ujfalvy's Werk : Les Aryens etc.
(cfr. dieses Centralblatt Bd. II, S. 233.)
Nach Schilderung der Gegenden und Bewohner im westlichen Hima-
laya und den südlichen Abhängen des Himalaya-Gebirges geht Verf. näher
B. Referate, 2. Ethnologie und Rassenkunde, 223
auf die Wichtigkeit der geologischen Verhältnisse ein und berührt auch
die völkergeschichtliche Bedeutung der chinesischen Mauer; an der Hand
einer ethnologischen Karte der Länder nördlich und südlich des Hindukusch
zeigt er die anthropologische Kluft, die zwischen Iraniern und Indern be-
steht, und macht den Vorschlag einer rationellen Klassifizierung jener
Völker. Hervorgehoben wird weiterhin der Einfluss der biologischen Ge-
setze auf die Umgestaltung der innerasiatischen Rassen; Brocas Unter-
suchungen über die Schwankungen des Breitenindex werden wieder auf-
genommen. Von besonderem Wert ist bei der nun folgenden Schilderung
der in Betracht kommenden Völker die genaue kritische bibliographische
Übersicht; Arier nördlich und südlich des Hindukusch erweisen sich ethno-
und anthropologisch als scharf geschieden. — Die Spuren der Lehren
Zarathustras und Buddhas bei den jetzt muselmanischen Völkern kann
Ujfalvy nachweisen.
Interessant und ganz neu ist seine numismatische Anthropologie;
an einer Reihenfolge von Münzen prüft er den Typus der darauf dar-
gestellten ehemaligen Könige von Baktrien, Afghanistan und Pentschab
und findet je nach Ländern verschiedene, wohlcharakterisierte anthropo-
logische Typen der Königsbildnisse, die übrigens auch auf Felsenzeich-
nungen wiederkehren. Die betreffenden Typen erinnern an noch ältere,
uns wohl bekannte Bildnisse (Philipps von Makedonien, Alexanders des
Grossen), oder an jetzige moderne indische Prinzen. Seine Unter-
suchungen wären also neue Beweisgründe zu Gunsten der Theorie eng-
lischer Forscher, welche absolut die Münzen der Sakka's von jenen der
griechisch - baktrischen Fürsten trennen und umgekehrt ; der Unterschied
dieser Münzen besteht in den darauf dargestellten Pferden, auf ersteren
finden sich prächtige zierliche hochbeinige Renner, auf letzteren untersetzte
kurzbeinige rohe Steppenrosse, Unterschiede, wie sie von französischer
Seite bestätigt wurden.
Zum Schluss rechtfertigt Verf. sein Verfahren, sich einer besonderen
anthropologischen Nomenklatur bedient zu haben.
Dr, Lehmann-Nitsche-La Plata.
169. Kohlbrugge: Die Krankheiten eines Bergvolkes der
Insel Java. Janus, Amsterdam. 1897, Bd. II. Nov.-Dez.
Die Tenggeresen, mit denen sich Verf. beschäftigt, sind ein Volks-
stamm in den Bergen Javas (1700 — 2000 m ü. d. M.), der den Überrest
der indonesischen Urbevölkerung darstellt. Da derselbe seit Jahrhunderten
isoliert in den Bergen lebt, bis zu Anfang unseres Jahrhunderts fast
gänzlich abgeschlossen von jeglichem Verkehr mit Europäern war und erst
seit 5 Jahren, seitdem an Stelle der Fusspfade ein breiter Weg zu den
betreffenden Dörfern führt, sich dem Verkehr erschlossen hat, so sind die
Untersuchungen des Verfassers von ganz besonderem Wert. — Die mittlere
224 ß- Heferate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Grösse von 130 gemessenen Männern betrug 1604 mm, der Cephalindex
79,71: die Beckenbreite belief sich an 60 Männern im Durchschnitt auf
148, der Brustumfang auf 855, der Umfang der Wade auf 346 mm. Die
mittlere Athemfrequenz setzte K. bei den Männern auf 21,4 Züge, die
mittlere Pulsfrequenz auf 73 Schläge fest. — Die durchschnittliche Zahl
der Kinder von einer Frau waren 8; jedoch gehörten 11—12 Kinder
keineswegs zu den Seltenheiten; einmal erreichte die Fruchtbarkeit die
Zahl 15 — 16. Die Tenggereser Frauen gebären leicht und schnell; Aus-
treibung der Frucht und Verhalten dieser, sowie der Mutter verlaufen
normal. Das Kind wird erst abgenabelt (mit einem scharfen Stück Bambu),
wenn die Placenta vollständig ausgetrieben ist, was zumeist spontan wenige
Minuten nach der Geburt der Fall zu sein pflegt. Die Wöchnerin ruht nur
4 — 5 Stunden aus und geht dann ihrer gewohnten Arbeit nach. Während
des Jahres 1895, in dem Verf. sich über alle Vorgänge unter den Teng-
geresen wöchentlich mündlich Bericht erstatten liess, betrug die Natalität
5,38 pCt. der Bevölkerung, die Mortalität 2,5 pCt., es war also ein Über-
schuss von 2,88 pCt. zu verzeichnen. Es wurden mehr Knaben (52 pCt.),
als Mädchen (48 pCt.) geboren, indessen die ausserordentlich hohe Sterb-
lichkeit während des ersten Lebensjahres lässt die Zahl der Gesamt'
bevölkerung sowohl, als auch die Zahl der Knaben bedeutend herabgehen.
Die Todesfälle während des ersten Jahres machen nämlich 59 pCt. aller
Todesfälle aus (davon 34 pCt. J, 25 pCt. 9)- Verf. vergleicht die Mor-
talität unter den Tenggeresen mit der anderer Völker, im besonderen
mit der ziemlich unter gleichen klimatischen Bedingungen lebenden Be-
völkerung des Oberengadin. Während des ersten Lebensjahres ist die
Sterblichkeit unter ihnen noch viel ungünstiger, als in den in dieser Hinsicht
am ungünstigsten gestellten Gegenden Europas (z. B. Island 38,8 pCt., Bayern
36,6 pCt.); sobald aber die Klippe des ersten Jahres überwunden ist,
stellt sie sich sowohl im allgemeinen, als auch für die männlichen In-
dividuen immer günstiger. So fallen auf die Zeit nach der Pubertät (Be-
schneidung) im Tenggergebirge nur 38 pCt. der Todesfälle (davon 47 pCt.
Männer, 53 pCt. Weiber), in Oberengadin aber 76,8 pCt. — Von 56 Todes-
fällen unter Erwachsenen im Jahre 1895 waren 49 durch Krankheit, die
übrigen durch Unfall oder Selbstmord bedingt. Verf. wurde in 1359 Krank-
heitsfällen von der einheimischen Bevölkerung in Anspruch genommen;
er giebt uns eine detaillierte Übersicht derselben. Am häufigsten war unter
den verschiedenen Krankheitsformen die Malaria (355 Fälle), demnächst
Wunden, Geschwüre und Verletzungen (160), Katarrhe der Respirations-
organe (159) und Darmkrankheiten (134) vertreten. Von Infektions-
Krankheiten kamen am häufigsten (84 Fälle) die Masern zur Behandlung,
indessen in gutartiger Form. Diphtheritis, Scharlach, Röteln, Cholera,
Blattern und Typhus, ferner Konstitutions- Anomalien (Chlorose, Diabetes,
Gicht, Rhachitis) fehlten. Sehr selten kamen dem Verf. schliesslich noch
ß. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 225
Herz-, Nieren-, Magenkrankheiten, Syphilis, sowie Psychosen und Neurosen zu
Gesicht; unter den Augenkrankheiten herrschte die Konjunktivitis, unter
den Hautkrankheiten die Krätze vor. Dr. Bus chan- Stettin.
I 170. Zaborowski: Origine des Cambodgieus: Tsiams, Mo'is,
'■ Dravidiens, Cambodgiens. Bulletins de la Societe d'Anthro-
pologie de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 38 (3 Abbild.).
Verfassers reichhaltige Abhandlung bringt in das Gewirr der Völker-
schaften, die Cambodga bewohnen, ein wenig Ordnung. Nach ihm wären
die Tsiam die ursprünglichen Herren Cochinchinas gewesen. Sie bestehen
bis auf ein Drittel aus reinen Moi, die sich durch ihr breites Gesicht und
ihre nicht-mongolischen Augen kennzeichnen ; ihre Hautfarbe ist nicht gelb,
1 sondern rötlich und gräulich (Nr. 36 und 37 der Broca'schen Skala), wie
' diejenige der Malaien. Durch alle diese Merkmale, sowie durch diejenigen
ihres Schädels sind die Moi echte Dravidas, und die Tsiam, die sich zu-
! meist aus ihnen zusammensetzen, müssen aus Südindien gekommen sein.
Was die Khmeren anbetrifft, so scheinen dieselben aus Nordindien
herzustammen. Am Anfang unserer Aera ist ihre Bedeutung im Tsiam-
Reich entstanden und hat sich auf dessen Kosten entwickelt. Die ver-
schiedenen Völker Cochinchinas hätten demnach den gleichen indischen
Ursprung; sie unterscheiden sich von einander nur durch die Menge des
beigemischten mongolischen Blutes: bei den Khmeren ist diese Beimischung
sehr beträchtlich, bei den Tsiam sehr unbedeutend und bei den Wilden
Cochinchinas noch geringer. Dr. L. Laloy-Faris.
171. W. Krause: Australische Schädel. Verhandl. d. Berlin.
anthropol. Gesellsch. 1897. Bd. XXIX, S. 508—558.
Auf seiner anthropologischen Reise nach Australien im Sommer 1897
hat Krause zu Melbourne, Sydney und Adelaide die bisher grösste Anzahl,
nämlich über 200, Schädel von australischen Ureingeborenen untersucht
und 187 derselben nach der Frankfurter Verständigung gemessen. Von
letzteren sind 15 nachgewiesenermaassen weiblich, 21 sicher männlich-
Auch die 134 Stück, die nach Ausschaltung der jugendlichen, der krank-
haft veränderten, der Mischhngs - Schädel u. s. w. übrig bleiben und von
Krause als ,, gemischte" aufgeführt werden, stammen wohl grösstenteils
A'on Männern. Die daher zusammengefassten männlichen und gemischten
Schädel sind im Verhältnis zu ihrer Länge durchschnittlich schmal und
nahezu hoch; sie sind prognath infolge der schrägen Stellung des Zahn-
höhlenfortsatzes ihres Oberkiefers und haben im Vergleich mit ihrer kleinen
Jochbreite ein hohes Gesicht. Die weiblichen Schädel haben ihren mitt-
leren Verhältniszahlen gemäss eine weniger schmale, aber höhere Hirn-
kapsel, einen geringeren Grad von Prognathie und ein weniger hohes Ge-
sicht als die australischen Männer. Doch hält Referent diese weiblichen
Schädel eigentlich für etwas mehr leptoprosop (90,9), als jene männlichen
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 15
226 B- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
und gemischten Scljädel (91,8), weil der weibliche Menschenschädel im
allgemeinen einen kleineren Jochbreiten -Gesichtsindex hat als der männ-
liche. Die australischen Schädel haben sehr stark vorstehende Augen-
brauenbogen, eine eingedrückte Nasenw^urzel und im Zusammenhange
hiermit eine kurze Schädelbasis trotz der an und für sich beträchtlichen
Grösse der geraden Schädellänge, die nach Krause (S. 512) ihren höchsten
Wert von 204 mm am Schädel Nr. 81 erreicht, in der Tabelle bei Nr. 137
aber sogar mit 207 mm angegeben ist. Auf der schmalen, stark geneigten
Stirne, die von einer geringen Entwickelung der Stirnlappen des Gehirns
abhängt, erhebt sich häufig ein senkrechter, auf dem Hinterhauptsbein ein
wagerechter Wulst. Wie alle Durchgangsöffnungen, so sind auch die
äusseren und inneren Gehörgänge sehr weit, woraus Krause auf ein
grosses Trommelfell und einen dicken Hörnerven bei den sehr scharf
hörenden Eingeborenen schliesst. Die durchschnittlich 1 cm betragende
Verlängerung des Zahnbogens vom Oberkiefer über den Weisheitszahn
hinaus enthält zuweilen kleine, auf einen vierten Mahlzahn deutende Höhlen
und dürfte nach Ansicht des Referenten die Prognathie verursachen bezw.
erhöhen. Die Unterscheidungsmerkmale zwischen männlichen und weib-
lichen Schädeln genügen nicht zur sicheren Geschlechtsbestimmung der
australischen Schädel. Die Hirnkapsel von 5 weiblichen Schädeln fasst
990 — 1370, im Mittel 1136 ccm und ist bei 50 männlichen oder ge-
mischten Schädeln 1000 — 1590 und durchschnittlich 1238 ccm gross.
Die meist auf dem Lande gesammelten Schädel haben sehr dicke und
ausserordentlich harte Knochen ohne schwammige Zwischenschicht. Eine
offene Stirnnaht wurde nur an einem, ein Stirnfortsatz der Schläfenschuppe
an 14 und ein Schläfen-Fontanellenknochen an 42 von 186 Schädeln be-
obachtet. In der Regel ist der mittlere Teil jeder Kranznaht-Hälfte viel
mehr gewunden als der obere und untere Teil und hat weit längere
Zacken als am Europäerschädel. Im Gegensatze zu Topinard findet Krause
keine Anhaltspunkte für eine Sonderstellung der Bewohner des westlichen
Australiens ; denn die mittleren Verhältniszahlen von Schädeln aus dem
Norden, NO, 0, SO, S, W und dem Innern zeigen keine wesentlichen
Unterschiede.
Da Krause nur durch die Zahlen, die in der ersten wagerechten Reihe
der Tabellen stehen, auf die mit denselben Nummern in der Frankfurter
Verständigung bezeichneten Maasse hinweist, so erfährt der Leser dieser
überaus wichtigen Abhandlung nicht, auf welche Maasse die unter den in
der Frankfurter Verständigung fehlenden Nummern 4a^ 13a, 13b und 18a
stehenden Zahlen sich beziehen. Vielleicht ersetzt eine derselben die bei
Krause nicht vorhandene Nummer 10 a, unter der in der Frankfurter Ver-
ständigung die Breite der Schädelbasis aufgeführt ist. Auffallend gross
sind die vom Referenten berechneten Unterschiede zwischen gerader und
grösster Länge. Im Mittel betragen dieselben bei den 1 70 in den Tabellen
B, Referate. ''2. Ethnologie und Rassenkunde.
227
enthaltenen Schädeln 4,7 mm und zwar 4,3 mm bei den 21 sicher
männlichen und 5,7 mm bei den 15 bestimmt weiblichen Schädeln. An
9 Schädeln dehnt sich die grösste Länge 10 — 19 mm mehr aus als die
gerade Länge; den grössten Unterschied von 19 mm zeigt der weibliche
Schädel Nr. 18. Dass die grösste Länge in 5 Fällen aber 2 — 4 mm
kürzer ist als die von demselben vorderene Messpunkte ausgehende
gerade Länge, kann Referent sich nicht erklären.
Eine genaue Beschreibung der einzelnen Schädel findet sich im zweiten
Teile (30 Seiten) dieser bedeutsamen Arbeit, die noch manche, wegen
Mangel an Raum hier nicht erwähnte Einzelnheiten enthalt.
Dr. Mies-Köln.
172. W. L. H. Duckworth und Macalister: Notes on crania of
Australian aborigines. Journal of the anthropological In-
stitute. 1897. Bd. XXVII, Nr. 2, S. 204.
Es handelt sich hier um 3 männliche ausgewachsene Australier-
schädel, deren sich einer im Cambridge Museum und die zwei anderen in
Privatsammlungen befinden; ihre nähere Herkunft ist unbekannt. Sie be-
sitzen in einem hohen Grade die Merkmale der australischen Schädel, wie
Prognathismus und Skaphocephalie. In nachstehender Tabelle haben wir
ihre Hauptmaasse zusammengestellt.
Schädelinhalt
Grösste Länge .
Grösste Breite , .
Horizontal-Umfang
Schädelhöhe (vom Basion zumBregma)
Cephalindex . . .
Längenhöhen-Index . .
Augenhöhlen-Index
Nasen-Index
^ . , . ^ , ( nach Broca
besicnts-Index { , rz ^^
nach Kollmann. . .
1225
1180
180
175
127
133
496
487
132
132
70,6
72,6
73,4
75,4
72,3
73,2
61,5
63,4
69,3
60,3
54
47
1300
193
130
515
136
67,4
70,5
81
70,5
72,3
52
Im allgemeinen stimmt diese Maasstabelle mit den von anderer Seite
j an Australiern gemachten Beobachtungen überein.
' Dr. L. Laloy- Paris.
173. H. Mathews: Australian class Systems. The American
Anthropologist. 1896. Bd. IX, S. 411, und 1897, Bd. X,
S. 345.
15*
228
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
Manches ist über die Verwandtschaftssysteme der Australischen Ein-
geborenen geschrieben worden, aber Vieles bleibt noch immer dunkel.
Mathews giebt hier einen belangreichen neuen Beitrag zu unserer Kenntnis
derselben, indem er die Verwandtschafts-Organisation einiger Stämme der
Wiradthuri-Gruppe bespricht, die am Murrumbridge oberhalb Jugiong bis
hinab nach Hay, südlich bis zum Murray und nördlich bis an den Lachlan
river wohnen. Sie sind geteilt in vier Gruppen, in deren jeder die
Männer eine andere Bezeichnung haben, als die Weiber, nämlich in:
1. Murri ^ — Matha ?; 2. Kubbi ^f — Kubbitha $; 3. Ippai, cf —
Ippatha $; 4. Oombi J^ — Butha $. Es gilt nun die Regel, dass ein
Mann aus einem dieser Clans sein Weib nur aus einem ganz bestimmten
anderen Clan nehmen darf (Murri — Ippatha, Kubbi — Butha, Ippai —
Matha, Oombi — Kubitha) ; doch konmien viele Abweichungen davon als
Neuerungen vor, freilich mit ganz bestimmten totemischen Einschränkungen,
die in dem Aufsatz näher geschildert werden. Höchst eigentümlich und
ganz alleinstehend ist die Thatsache, dass das Totem einer Mutter nie das
der Tochter ist, sondern immer erst das der Tochter dieser letzteren, so
dass also in weiblicher Descendenz in ganz regelmässiger Folge ein immer-
währender Totemwechsel stattfindet.
Prof, Dr. Emil Schmidt-Leipzig,
174. J. Chalmers: Anthropometrical obseryations on some
natiyes of the Papuan Gulf. Journal of the anthropol.
Institute of Great Britain. 1897. Bd. XXVII, Nr. 2, S. 335.
Diese Beobachtungen sind von einem Missionar in British Neu-Guinea
angestellt worden. Die gemessenen Eingeborenen stanamen aus Kiwai,
einer Insel an der Mündung des Fly - Flusses, aus Maipua, Orokolo und
Toaripi, drei Dörfern an der Küste des papuanischen Meerbusens. Wir
fassen die gemachten Beobachtungen in folgender Tabelle zusammen.
(Der Kopfindex ist nicht korrigiert.)
Zahl
der
Fälle
Körperhöhe
Klafter-
weite
Kopf
Nase
Herkunft
ig
1
1
'S
X
a
■ :a3
1
1
Kiwai
19
1656
821
1761
176
145
83
51
25
49
Maipua ....
6
1636
807
—
193
135
70
55
27,5
50
Orokolo ....
17
.1677
836
1741
184
141
76,5
51
25
49
Toaripi ....
16
1702
843
1782
186
147
77,7
60
24
44
Wir wollen nur die in Kiwai vorherrschende Brachycephalie hervor-
heben: von den 19 gemessenen haben 14 einen Index, der grösser ist als
B. Referate. "1. Ethnologie und Rassenkunde.
229
82 und bis 92 hinansteigt. Dagegen sind die Einwohner von Maipua sehr
langköpfig und zugleich niederen Wuchses. Die zwei anderen Dörfer
nehmen in Hinsicht des Kopfindex eine mittlere Stellung ein.
Dr. L. Laloy-Paris.
175. G. A. Dorsey: Observations on a collection of Papuan
crania.
W. H. Holmes: Notes on preservation and decorative
features. Field Columbian Museum, Anthropological series.
Chicago. 1897. Bd. II, Nr. 1. XI Tafeln.
Betreffende Sammlung stammt aus einem unbestimmten Ort von Neu-
Guinea, wahrscheinlich vom nördlichen Ufer des Papuanischen Golfs. Sie
wurde angeblich von einem eingeborenen Häuptling dem Schiffskapitän ge-
schenkt, der sie nach Amerika gebracht hat. Sie besteht aus 16 Schädeln,
nämlich 8 männlichen, 7 weiblichen und 1 kindlichen. Die Ausgewach-
senen scheinen ungefähr 35 — 40 Jahre alt zu sein; an keinem Schädel sind
senile Erscheinungen vorhanden.
Die Kapazität wurde nach Broca's Methode bestimmt; die grösste
Länge ist von der Glabella aus gemessen, die Gesichtslänge vom Nasion
aus. Der Gaumen und der Unterkiefer konnten nicht recht studiert
werden, weil letzterer durch Bänder befestigt ist, wie wir weiter unten
sehen werden. Nachstehende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der
wichtigsten Merkmale dieser Schädel.
Maasse
8 cf
7 $
Beide
Geschlechter
zusammen
5— 9jähr.
Kind
Kapazität ,
Grösste Länge
Grösste Breite
Basio - bregmatische Höhe
Foramen magnum-Länge .
Foramen magnum-Breite .
Bizygomatische Breite ...
Längen - Breiten - Index . .
Längen - Höhen - Index . .
Nasen - Index
Augenhöhlen - Index
1425
182
131
131
35
29
128
71
71
51
84
1262
171
127
127
32
27
118
73
73
53
91
1343
177
129
129
33
28
123
72
72
52
87
161
127
30
24
78
47
100
Mit Ausschluss des Kinderschädels ist also die Schädelreihe sehr
homogen. Die Kapazität variirt von 1275 bis 1560 bei den männlichen,
von 1060 bis 1365 bei den weiblichen Schädeln. Sie ist also gering, ob-
wohl etwas grösser als die von Hovelacque und Herve für Papuas an-
230 B- Heferate. "2. Ethnologie und Rassenkunde.
gegebene. Die anderen Merkmale weisen noch grössere Übereinstimmung
auf; so variirt der Schädelindex bei den männlichen Schädeln nur von
65 bis 74, und von 65 bis 77 bei den v^eiblichen. Die Schädel sind in
der Regel lang und schmal, mit komprimierter Stirngegend, gut ent-
wickelten, nach hinten sitzenden Parietalhöckern ; in der Norma posterior
ist die Form gut pentagonal. Die Stirn ist wenig entwickelt, der höchste
Punkt der Sagittalkurve liegt weit hinter dem Bregma. Die Suturen sind
sehr einfach, die Muskelansätze sind gut entwickelt, die Schläfenlinien
liegen sehr hoch. Dazu kommt noch die starke Prognathie, die den
Schädeln einen sehr rohen Ausdruck verleiht.
Die Schädel sind von den Eingeborenen mit grosser Sorgfalt bereitet
und verziert worden; es waren wahrscheinlich Schädel von Verwandten
oder Freunden. Die Zähne sind befestigt durch einen Strick aus Palmfasern,
das sich um jeden herumwindet; die ausgefallenen Zähne sind durch
künstliche aus Holz ersetzt. Unter der Incisura mandibulae am Ramus
ascendens befindet sich ein Loch, wo ein anderes Band angebracht ist,
das den Unterkiefer mit dem Processus zygomaticus verbindet. Ausserdem
geht noch ein sorgfältig geflochtener Strick durch die Nasenlöcher vor dem
Ober- und Unterkiefer, um dann durch die Mundhöhle und den Gaumen
an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Begreiflicherweise sind der
Gaumen und die Nasenmuscheln durch diesen Prozess stark beschädigt.
Auf dem Stirnbein tragen sämtliche Schädel eine eingravierte Zeich-
nung, die sehr plump gemacht ist und wahrscheinlich in gewisser Be-
ziehung zu den mythologischen Ideen der Papuaner steht. Meist sind es
stark stylisierte tierische oder menschliche Darstellungen, die manchmal in
rein geometrische Figuren ausgeartet, oder wenigstens von solchen (Kreuz,
Dreieck, Stern) umgeben sind. Dr. L. Laloy-Paris.
176. Bertholon: Exploration anthropologiqne de l'lle de Gerba
(Tunisie). L'Anthropologie. 1897. Bd. VIII, S. 318, 399 u. 559
Die Insel Gerba ist im Meerbusen der kleinen Syrte gelegen ; sie ist haupt-
sächlich von Berbern bevölkert. Die Körpergrösse der Berber (333 Fälle)
ist ziemlich niedrig: 1,637 m. Die mittlere Grösse der Tunisier beträgt nach
Collignon 1,66 und die der Krumiren 1,67 m. Die Farbe der Augen und der
Haare wird im folgenden veranschaulicht: Augen blau 4 pCt., hell 14 pCt.,
mittelfarbig 9 pCt., dunkel 73 pCt.; Haare hell 0,6 pCt. , mittelfarbig
2,4 pCt., dunkel 97 pCt. Der Kopfindex (330 Fälle) beträgt 79,94; er
ist also nach Broca's Einteilung subbrachycephal und weicht daher von der
in Tunis herrschenden Dolichocephalie (bei 358 Krumiren hat Verf.
einen Index von 74 gefunden, und bei 226 Einwohnern der Oasen in der
Gegend von Gabes Indices, die zwischen 72,6 und 74,8 variierten) ab.
Der Nasenindex (332 Fälle) ist mesorhin = 69,8. Wenn man
darauf achtet, in welcher Weise sich die körperlichen Merkmale der
B. Referate. 5}. Ethnologie und Rassenkunde. 231
Gerbier untereinander kombinieren, so bemerkt man, dass die Hellfarbigen
(25 Fälle) auch die grössten (1,662 m) und mehr langköpfig (78,4) sind,
als die übrigen Gerbier ; ihr Nasenindex beträgt nur 68,6. Übrigens sind
diese Hellfarbigen stark mit dem dunklen Typus vermischt. Dieser Typus
zerfällt in einen weit überwiegenden kurzköpfigen und einen spärlicher
vertretenen langköpfi^en. Ersterer wäre, nach Verf. Ansicht, mit den
europäischen Brachycephalen eng verwandt.
Bertholon's Aufsatz enthält ausserdem zahlreiche interessante Angaben
über die Ethnographie, das soziale Leben, die Sitten, die religiösen An-
schauungen und die Sprache dieses wenig bekannten Stammes. Was die
Religion betrifft, wollen wir nur hervorheben, dass die Gerbier einer be-
j stimmten Sekte des Islam angehören und dass sie sich so wenig als
möglich mit den anderen Muhamedanern mischen. Dieser Umstand mag
dazu beigetragen haben, ihre Rassenreinheit, sowie die Eigentümlichkeiten
ihrer Sitten (Genuss des Hundes als Nahrungsmittel u. s. w.) zu erhalten.
Dr. L. Laloy-Paris.
177. F. Carlsen: Benin in Guinea und seine rätselhaften
Bronzen. Globus 1897. Bd. LXXII, Nr. 20.
Über die bereits auf S. 347 des 2. Bandes d. Bl. kurz erwähnten
Bronzefunde aus Afrika liegen nun weitere Mitteilungen vor. — Die
älteste Kunde über Benin stammt von den Portugiesen aus dem 15. Jahr-
hundert; seine Einwohner (verwandt mit den landeinwärts wohnenden
Tappas) werden stets als blutdürstige und grausame Leute geschildert.
Trotzdem scheinen sie wahre Meister auf dem Gebiete der Elfenbein-
schnitzerei und des Bronzegusses gewesen zu sein.
Bisher hat man gegen 300 Bronzeplatten unter dem Schutt von Benin
aufgefunden und sie dem British Museum einverleibt. Es sind Platten von
30 — 70 cm Länge, mit stark erhabenen Figuren mancherlei Art bedeckt.
Die Technik ist die des ,, verlorenen Gusses"; das Ganze ist aus einem
Stück gegossen, Spuren von späterem Löten oder Nieten sind daran nicht
vorhanden. Die Ausführung verdient die Bezeichnung ,, künstlerisch". Verf.
unterscheidet 3 Arten von Darstellungen: 1. menschliche Figuren, ein-
heimische Häuptlinge, ausländische Krieger etc.; 2. einheimische Tiere,
wie Krokodile, Leoparden, Schlangen etc. und 3. allerlei Gegenstände, wie
Armringe, Messer, Geräte, Palmenbäume etc. Das meiste Interesse daran
beanspruchen die Darstellungen der Menschen. Die Neger sind charak-
terisiert durch ihr typisches Gesicht mit breiter Nase, dicken Lippen und
grossen Augen; ihre auffällige Tracht erinnert einmal an die behelmten
Wattenpanzer - Reiter des Sultans von Bernu (von Glapperton und Nach-
tigall beschrieben), zum andern auch an einen sehr alten Buanga-Fetisch
(von Wissmann und Wolf mitgebracht). Die Europäer sind gekennzeichnet
durch ihr langes, schlichtes Haar, langen Bart, lange schmale Nase und
232 ß- Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde.
europäische Kleidung (eiserne Helme, Luntenflinten und Spangenschwerte),
die an die der Landsknechte des 16. Jahrhunderts erinnert. — Als Zeit
der Entstehung dieser Platten nimmt Verf. die Mitte des 16. Jahrhunderts
an; er vermutet, dass um diese Zeit ein europäischer Giesser an den Hof
des Königs von Benin gelangt sei und hier die bereits schon einheimische
Kunst des Bronzegusses weiter vervollkommnet habe (?).
Dr. Bus chan- Stettin.
178. Kud. Tirchow: 6 Schädel von Jaunde aus Eamernu.
Verhandl. d. Berlin, anthropol. Gesellsch. 1897. Bd. XXIX,
S. 604-609.
Diese Schädel erwachsener Personen sind die ersten, die aus dem
südlichen Gebiete Kameruns untersucht wurden. Da die Geschlechts-
bestimmung von Schädeln ,, wilder" Stämme noch sehr unsicher ist, so er-
klärt Virchow nur unter Vorbehalt einen Schädel für weiblich, die übrigen
für männliche. Der weibliche ist gewaltsam abgeschlagen worden; ferner
zeigt einer von den männlichen Schädeln zahlreiche Spuren von Ver-
letzungen. Auf dem Dache des letzteren und eines anderen (^) Schädels
finden sich krankhafte Veränderungen. Die weibliche Hirnkapsel fasst
1262? ccm, die männlichen bewegen sich hierbei in weiten Grenzen,
zwischen 1275? und 1590 ccm. Für die Form der Jaundeschädel ist,
wie bei den von Virchow früher untersuchten Dualla aus Kamerun, die
im Verhältnis zur Länge grosse Höhe bezeichnend; nur einer ist chamae-
cephal, nach Virchow's Annahme infolge von individueller Variation. Ausser-
dem sind 4 von den Schädeln im Vergleiche mit ihrer Länge mittelbreit,
die übrigen 2 aber schmal. Die Form der in keinem Fall verhältnis-
mässig schmalen Nase zeigt geringere Unterschiede als die der Augen-
höhlen. Die sehr grosse Ursprungsfläche des Schläfenmuskels erstreckt
sich ungemein weit nach hinten, womit eine Verschmälerung und Er-
höhung der Hinterhauptsschuppe zusammenzuhängen scheint. In der bei-
gegebenen Tabelle sind ausser den absoluten Messzahlen und den be-
rechneten Indices auch die sagittalen Umfangsmaasse und deren prozen-
tuale Verteilung zusammengestellt, die uns zeigen, dass wegen der starken
Entwickelung der Stirnhöhlen, wie Virchow im Text erklärt, das Stirn-
bein bei allen 5 männlichen Schädeln (an dem weiblichen Schädel konnten
diese Maasse nicht bestimmt werden) den grössten Teil des Sagittal-
umfangs einnimmt, während das Hinterhaupt bei 4 Schädeln den kleinsten,
nur bei einem Schädel (vergl. die verallgemeinernde Bemerkung unten auf
S. 605) den mittleren Anteil an diesem Bogen hat. Dr. Mies-Köln.
179. Uösemann: Anthropologische Aufnahmen von Einge-
borenen aus Ujiji. Verhandl. d. Berlin, anthropol. Gesellsch.
1897. Bd. XXIX, S. 410— 425. Dazu Rud. TirchOW: Eben-
daselbst S. 426.
B. Referate, "2. Ethnologie und Rassenkunde. cj33
Nach einem, 73 Angaben, Messungen und Merkmale verlangenden
Schema hat Hösemann unter Weglassuug mehrerer Nummern Aufzeich-
nungen über 17 männliche und 10 weibliche, 16 — 50 Jahre alte Ein-
geborene aus Udschidschi gemacht. Tättowierung und Zahnfeilung werden
auf wertvollen Abbildungen veranschaulicht. Ausserdem hat Hösemann
die Körperlänge (147 — 150 cm) von 7 Watwa, angeblichen Zwergen, in
Urundi gemessen. — Virchow erkennt den grossen Eifer des Verf., der
Assistenzarzt 1. Kl. unserer Schutztruppe ist, an, bemängelt jedoch die von
demselben mit einem hierzu ungeeigneten Instrumente ausgeführten
Messungen und äussert den dringenden Wunsch, dass die von den
Militär- , Marine- und Kolonial - Verwaltungen ausgesandten Ärzte und
Reisenden mit guten anthropologischen Instrumenten versehen werden und
deren Handhabung vor ihrer Abreise einüben, Dr. Mies-Köln.
180. Rud. Tirchow: Über einen echten Mtussi-Schädel. Verhdl.
der Berlin, anthropol. Gesellsch. 1897. Bd. XXIX, S. 426
bis 429.
Dieser erste, von Virchow untersuchte Mtussi - Schädel, den Höse-
mann aus Udschidschi am Tanganyika-See durch Stuhlmann eingesandt
hat, stammt von einem älteren Manne und zeichnet sich durch eine
grosse (1536 ccm) Hirnkapsel aus. Im Verhältnis zu seiner Länge ist
er schmal (L:B = 74,2) und hoch (L:H = 77,4) und gehört mit einem
Gesichtsindex von 81,8 nach Virchow zu den Mesoprosopen , nach dem
Einteilungsversuch des Referenten aber unter die rundlichen Gesichter.
Obwohl an der unteren Grenze der Platyrrhinie stehend, hat er eine
oben schmale, weit vortretende Adlernase. Durch diese Form-Verhältnisse
unterscheidet sich der Schädel von dem Bantu-Typus der dortigen Gegenden
und ähnelt den südlichen Hamiten. Was die Nachbarstämme betrifft, so
weicht der Mtussi-Schädel von dem einzigen bis jetzt vorliegenden Mhehe-
Schädel durch seine Vorderansicht, von 2 Wassandaui-Schädeln in wich-
tigen Verhältniszahlen beträchtlich ab. Dr. Mies-Köln.
181. ßamsay: Anthropologische Aufnahmen in Udjidji. Ver-
handl. der Berlin, anthrop. Ges. 1897. Bd. XXIX, S. 561— 571.
Dazu Rud. Tirchow: Ebendaselbst S. 570 u. 571.
Die vom Hauptmann Ramsay in Udjidji ausgefüllten Aufnahmeblätter
enthalten eine kurze Beschreibung der hauptsächlichsten körperlichen
Eigenschaften von 9 Mbwari-Männern (Fischern, Trägern und Bootsleuten),
von 7 Angehörigen (6 a, 1 .^) des Mdjidji- Stammes, von 6 Mwinsa-Männern
(Salzkochern), von einem Marungu und einer Mrundi. Die Zahnfeilung, durch
welche die innere Seite eines oder meist beider oberen mittleren Schneide-
zähne abgeschrägt wird, die Tättowierung, die Form des unteren Nasen-
querschnitts und der Brüste werden durch Zeichnungen im Text ver-
234
B. Referate. 2, Ethnologie und Rassenkunde.
anschaulicht. Kopf- und Körpermaasse der 24 Personen sind in Tabellen
zusammengestellt. Ob die Entfernung des rechten oder linken Ohrloches
von der Nasenwurzel gemessen wurde, ist nicht angegeben, doch "wäre es
zweckmässig, die Seite in dem Schema vorzuschreiben oder hinter den
Maasszahlen zu bemerken, weil die genannten Abstände auf beiden Seiten
zuweilen verschieden sind.
Aus den zusammenfassenden Betrachtungen, die Virchow an die von
Ramsay ausgeführten Beschreibungen und Messungen knüpft, hebt Referent
hervor, dass im Verhältnis zur Kopflänge 9 Männer und 1 Weib einen
breiten, 7 Männer einen mittelbreiten und 6 Männer und 1 Weib einen
schmalen Kopf hatten. Von letzteren gehörten 5 dem Stamme der Mdjidji
an; ausserdem war noch die eine Mrundi und einer von den 6 Mwinsa
dolichocephal. Dagegen erwiesen sich die Mbwari grösstenteils (6 von 9)
als breitköpfig. Alle Mwinsa und die Männer vom Mdjidji-Stamme waren
nicht beschnitten und, wie Referent hinzufügt, die Mbwari mit einer Aus-
nahme nicht tättowiert. Dr. Mies-Köln.
182. W. L. H. Duckworth: An account of Skulls from Mada-
gascar in the anatomical museum of Cambridge üni-
versity. Journ. of the anthropoL Institute of Great Britain and
Ireland. 1897. Bd. XXVI, S. 285. 1 Tafel.
Die 3 betreffenden Schädel sind angeblieh die eines Betsimisaraka,
eines Betsileo und eines Hova. Da aber ihre Herkunft doch nicht ganz
sichergestellt ist, so verlieren Verf. Erörterungen etwas an Bedeutung.
Die Hauptmerkmale dieser Schädel sind in folgender Tabelle zusammen-
gestellt :
Maasse
Betsimi-
saraka
Betsileo
Hova
Kapazität
Grösste Länge
Grösste Breite
Bizygomatische Breite
Ophryo - alveolar - Länge . . .
Basio - bregmatische Höhe . .
Längen - Breiten - Index . . . ,
Längen - Höhen - Index
Augenhöhlen - Index
Nasen - Index ............
Gesichts-Index (nach Broca)
1450
186
132
115
92
130
71
70
85,7
57,14
80
1480
185
134
130
92
134
72,4
72,4
80,25
60
70,8
1315
168
138
130
87
132
82,1
78,6
89,2
60
67
Jedenfalls scheinen die beiden ersteren Negerstämmen zu entsprechen,
während sich der letztere von solchen durch seine Kurzköpfigkeit unter-
I
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 235
scheidet. Nach einer kurzen Zusammenstellung der Hypothesen, die über
die Bevölkerung Madagascar's gemacht worden sind, schliesst Verf., dass
der Hovaschädel demjenigen eines Dayak von Borneo sehr ähnlich ist, hin-
■ gegen die zwei anderen ganz anders gebildet sind und viel eher an ge-
wisse afrikanische Schädel, als an melanesische erinnern.
Dr. L. Laloy-Paris.
183. F. Shrubsall: Crania of african Bush races. Journal of
the anthropological Institute. 1897. Bd. XXVII, Nr. 2, S. 263
(1 Tafel und 3 Maasstabellen).
Verf. hat 26 Schädel von Buschmännern und 22 von Hottentotten
gemessen. Er vergleicht die gefundenen Werte mit denen anderer Forscher
und stellt ein eingehendes Studium jedes einzelnen anatomischen Merkmals
an. Nicht minder interessant sind seine Vergleichungen mit den an-
grenzenden Völkerschaften. So finden wir für den Kopfindex folgende
Serie: Akkas 77,5, Buschleute ,/ 75,2, $ 76,8, Hottentotten J 72,7,
i^ 76; Kaffern 72,3; Anyanja 73; Neger der V^estküste 73,2. Die Zahl
der gemessenen Fälle ist leider nicht immer angegeben.
Wir können hier nicht in das einzelne eingehen. Es genüge die
Mitteilung, dass Verf. eine Blutsverwandtschaft zwischen den Buschmännern
und den Pygmäen Centralafrikas annimmt. Letztere haben entweder ihre
Zuflucht in den Urwald genommen, während die Buschmänner von den
eindringenden Kaffern nach Süden zurückgedrängt wurden, oder die Ne-
grillos lebten schon vorher im Urwald und sind so von diesem Einbruch
unberührt geblieben. Der einzige Einwand gegen diese Theorie ist die
Abwesenheit der Steatopygie bei den Negrillos; sie kann aber erst in ihrer
neuen Heimat von den Buschmännern erworben worden sein.
Dr. L. Laloy-Faris.
184. Frank Hamilton CusMng: The need of studying the
Indian in order to teach him. XXVIIl. Annual Report of
the Board of Indian Commissioners. Washington 1897. (Auch
als Sonderabdruck.)
Der rühmlichst bekannte amerikanische Ethnologe und Zuni-Forscher
Frank Cushing hielt jüngst in Washington eine Rede, die ebenso lehr-
reich, wie interessant war. Redner wies auf die absolute Nothwendigkeit
hin, Völker, resp. die Indianer, welche man zivilisieren will, erst in Bezug
auf ihren psychischen Charakter genau zu studieren. Bis jetzt ist dies
sehr selten geschehen. Man hat, von Vorurteilen eingenommen, unwissend
und taktlos, die Indianer zu zivilisieren versucht. Nicht nur in Nord-
amerika ist dies der Fall gewesen, sondern überall, wo der Europäer mit
fremden Völkern in Berührung gekommen ist, sind in dieser Beziehung
grobe Fehler begangen. Man hat Unrecht, zu glauben, dass der Indianer
236 B- Referate. i2. Ethnologie und Rassenkunde.
nicht lernen kann oder will. Der nordamerikanische Eingeborene ist nach
Cushing's Meinung der intelligenteste aller sogenannten Wilden. Referent
kann aus eigener reichen Erfahrung Cushing darin nur beistimmen.
Dass der Indianer oft nicht hat lernen wollen, liegt weniger an ihm,
als an seinen Erziehern. Die meisten Lehrer und Missionare haben von
der Bedeutung indianischer Sitten und Bräuche gar kein Verständnis, um von
mangelhaften Sprachkenntnissen nicht zu reden. Dass Manches einen
tiefen psychischen Grund hat, z. B. ihre Tänze, ist keinem in den Sinn
gekommen. Statt aus den Anschauungen der Indianer über Welt und Natur
dasjenige herauszugreifen, worauf man leicht hätte fortbauen können, hat
man von Anfang an mit vornehmer Miene alles verurteilt, den Indianer
oft in seiner tiefsten Seele verletzt und ihm etwas aufzudrängen versucht,
von dem er die Notwendigkeit nicht einsehen konnte.
Um erfolgreich ,, Wilde" zu zivilisieren und zu christianisieren, sollte
der Erzieher oder Missionar sich zuerst in deren religiöse Anschauungen
einzudenken versuchen, sich taktvoll anschmiegen an die Eigenart der
Individuen, im speziellen und allgemeinen. Dann erst kann man ihr Ver-
trauen gewinnen und sie überzeugen, ihre Existenzweise zu ändern.
Cushing illustrierte seine Behauptungen durch zahlreiche aus seinem
eigenen und dem Indianerleben gegriffene Beispiele ; sie beweisen den grossen
Nutzen des ethnologischen Studiums für die Erziehung wilder Völker.
Möge dieser Mahnruf des humanen geistreichen Forschers die ihm ge-
bührende Würdigung finden. Dr, H. ten Kate-Batavia.
185. F. H. Cushing: Scarred sknlls from Florida. The Ameri-
can Anthropologist. 1897. Bd. X, S. 17.
Cushing untersuchte vor einem Jahr im Auftrag des Bureau of Ethnology
eine Anzahl von Begräbnis-Mounds bei Tarpon in West-Florida. Unter den
Resten von mehr als 600 Individuen waren etwa 50 Schädel besser er-
halten, und von ihnen zeigten 9 eigentümliche leistenähnliche Knochen-
erhöhungen aus knötchenförmigen Erhabenheiten, die regelmässig von der
Bregmagegend nach aussen und hinten hin gerichtet waren, augenscheinlich
das Resultat einer periostelen Reizung, die wohl durch Verbrennung oder
sonstige Cauterisation der Kopfhaut an den angegebenen Stellen hervorge-
rufen worden war. Offenbar wollte man das Haar längs dieser Linien
scharf abgrenzen. — Nun wissen wir aus bestimmten Angaben älterer
Autoren, dass manche Stämme der Maskoki- Conföderation, insbesondere
die Criks, das Haar vorn schmal und hahnenkammähnlich erhoben trugen.
Gatschet hat gezeigt, dass dies die besondere Haartracht der Krieger war;
in der Crik-Sprache heisst täs-sa nicht nur Königsfischer (ein Vogel),
sondern auch Haarleiste und Tas-si ka-ya heisst Krieger (wörtlich Haarleiste
aufstehend). Wir wissen aus anderen Quellen, dass der Königsfischer für
einen besonders mutigen Vogel gehalten wurde, desshalb wurde sein
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 237
natürlicher Kopffederschmuck von den Kriegern in ihrer Haartracht nach-
geahmt; die obenerwähnten Funde sprechen dafür, dass jener Form des
Haarschmuckes durch eingreifendere Mittel grössere Dauer zu geben ver-
sucht v^urde. Auch andere Kopfdeformationen sind vielleicht auf ähnliche
Gedankengänge zurückzuführen, so manche künstliche Schädelformen, die
sich den charakteristischen Formen des Kopfs vom Berglöwen oder Puma
nähern; manche körperliche Prüfungen und Torturen bei Kriegerun-
ruhen etc. wurden vielleicht weniger, um den Mut der zu Prüfenden
festzustellen, angenommen, als in der Absicht, dem Betreffenden eine
Ähnlichkeit mit einem mächtigen Tiere zu geben, die ihn selbst mächtiger
machte. Frof. Dr. Emil Schmidt-Leipzig.
186. George A. Dorsey: Wormian bones in artiflcially de-
formed Kwakiutl crania. The American Anthropologist. 1897.
Bd. X, Nr. 6. S. 169.
In der Sut. coronalis sind bisher Schaltknochen nicht oder nur sehr
wenig berücksichtigt worden. Auffallend viele solche Schaltknochen finden
sich in einer Anzahl indianischer Schädel des Kwakiutl-Stammes, und da
sie alle in der Kindheit künstlich verunstaltet worden waren, liegt hier die
Vermutung sehr nahe, dass solche mechanische Einwirkungen in ursäch-
lichem Zusammenhang mit dem Auftreten jener Schaltknochen stehen.
Es handelt sich um eine Sammlung von etwa 60 Schädeln, von denen 35
für die Untersuchung brauchbar waren; sie waren durch Binden, die von
der Bregmagegend nach hinten und abwärts (über das Asterion) um den
Schädel geführt worden waren^ eingeschnürt und zwar teils so, dass eine
tiefe breite Rinne über oder dicht hinter der Sut. coronalis verlief, teils
so, dass man eine solche Rinne nicht erkennen konnte ; unter den ersteren
fanden sich Schaltknochen in der Coronalis neun mal, unter den letzteren
einmal, es kamen also im Ganzen auf je S^^o Schädel einer mit Schalt-
knochen. Verhältnismässig etwas häufiger waren sie beim weiblichen
Geschlecht und auf der linken Seite, jedoch muss man bei Verwertung
von Zahlen aus so kleinen Reihen vorsichtig sein.
Prof. Dr. Emil Schmidt-Leipzig.
187. H. Pittin: Primera contribucion para el estudio de las
razas indigenas de Costa Rica. Anales del Instituto Fisico-
geogräfico de Cosca Rica Bd. VII. San Jose 1897.
Dieser erste Beitrag zu einer Anthropologie der Costa Rica-Indianer
behandelt die Guatusos, welche das Thal des Rio Frio gegen den See von
Nicaragua zu bewohnen und nach der Ansicht des Verf. die Reste ver-
schiedener alter Eingeborenenstämme des nördlichen Costa Rica und der
benachbarten Teile von Nicaragua darstellen.
Sie leben heute noch vollständig isoliert von den übrigen ethnischen
Gruppen des Landes, sind jedenfalls weniger vermischt als diese. Leider
;j^38 ß- Referate. 2, Ethnologie und Rassenkunde.
gehen sie rasch zu Grunde; die Todesfälle überschreiten die Zahl der Ge-
burten in ausserordentlichem Grade, und es ist vorauszusehen, dass ia
einem Zeiträume von einigen Jahren die ganze interessante Gruppe aus«
gestorben sein wird.
Gemessen wurden 8 Individuen, 5 Männer und 3 Frauen im Alter
von 20 — 35 Jahren, die eine mittlere Körpergrösse von nur 156 cm resp.^
143 cm besassen. Die individuellen Variationen sind gering. Auch die-
Hautfarbe ist ziemlich einheitlich und entspricht einem rötlich-braunen
Ton, Nr. 29 der Broca'schen Farbentafel. Mit einer leichten Dolichocephalie
resp. Mesocephalie (Index der ^f = 75,2 der $ == 70,2) verbindet sich
Chamaeprosopie und Platyrrhinie, Der äussere Augenwinkel ist in allen
Fällen höher als der innere. — Auch die übrigen Merkmale und Körper-
proportionen sind einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden,
doch muss hinsichtlich dieser Details anf die sehr sorgfältige Originalarbeit
verwiesen werden. Den Schluss derselben bildet ein Glossar des Guntuso-
Idioms, ebenfalls nach eigenen Aufnahmen des Verfassers.
Dr. B. Martin-Zürich.
188. Rud. Virchow: Gräberschädel von Guatemala. Verhandl.
der Berlin. Gesellschaft für Anthropologie. 1897. Bd. XXIX,
S. 324—328.
Aus alten Grabhügeln bei Cobän (Guatemala) im Gebiet der Quecchi-
Indianer hat P. Dieseldorf sehr leichte, gelblich-graue, im Innern weisse
Bruchstücke von Knochen mitgebracht, aus welchen vier in Chajcar und
zwei in Papa gefundene Schädel noch so gut zusammengefügt wurden,
dass einer ein durch zwei geometrische Zeichnungen veranschaulichtes
Bild seines ursprünglichen Zustandes giebt und die übrigen ihre Haupt-
durchmesser bestimmen lassen. Ein Schädel ist in geringem, die anderen
sind im höchsten Grade nach Art der Natchez verunstaltet: d. h. sie
dehnen sich mehr in der Breite als in der Länge aus, während eine
natürlich geformte Hirnkapsel stets länger als breit ist; dabei sind sie
hoch und haben eine schräge zurückgedrängte Stirn und ein senkrechtes
Hinterhaupt. Diese in Guatemala gefundenen Schädel zeigen uns, dass auf
centralamerikanischen Kunstwerken keine Karrikaturen, sondern wirkliche
Deformationen dargestellt wurden, und füllen die Lücke in der von der
Mississippi-Mündung bis Bolivien sich hinziehenden Verbreitung dieser Unsitte
aus. Die Schädel sind endlich noch bemerkenswert wegen ihrer massiven
Kiefer und Zähne, sowie wegen des an den Winkeln aller vorhandenen
Unterkiefer sich ansetzenden Processus lemurianus. Dr. Mies-Köln.
189. P. Ehrenreich: Anthropologische Studien über die ür-
bewohner Brasiliens. Nach eigenen Aufnahmen und Beob-
achtungen in den Jahren 1887 — 1889. Mit zahlreichen Abbild,
und Tafeln. Braunschweig, Friedrich Vieweg & Sohn. 1897.
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. 239
Die reichen anthropologischen Beobachtungen und Erfahrungen, welche
Ehrenreich gelegentlich der zweiten deutschen Xinguexpedition im Innern
Brasiliens gesammelt, legte er in einem gross angelegten Werke nieder, welches
in mehr als einer Richtung durch originelle und selbständige Auffassung aus-
gezeichnet ist. In dem allgemeinen Teile seines Buches wendet er sich vor-
zugsweise gegen die heutzutage in der Somatologie herrschende Verwirrung
und unterwirft manche extreme Bestrebungen und Richtungen in den heutigen
psychisch - anthropologischen Untersuchungsmethoden einer vernichtenden
Kritik. Seinen Ansichten über die Mittelwerte, über die endlosen Zahlen-
anhäufungen, über die scheinbare Präzision und Gründlichkeit der Schädel-
indices und über die Nichtigkeit der darauf begründeten Theorieen und An-
schauungen wird zweifellos so mancher Anthropologe zustimmen. Mit Nach-
druck weist er auch auf die Konfusion hin, welche mit den Begriffen Rasse,
Typus, Volk bisher angerichtet wurde. Während er die Rasse als eine rein
anthropologisch bestimmte und von jeder ethnographischen Gliederung,
sowie äusseren Einflüssen unabhängige Dauerform anspielt, ist für ihn der
Typus einer Rasse der Komplex aller derjenigen Merkmale, die von äusseren
Einflüssen nicht modifiziert werden und allen Individuen zukommen.
Der spezielle Teil ist der sorgfältigen anthropologischen Aufnahme
von 184 lebenden Individuen gewidmet, welche den Indianerstämmen im
Quellgebiete des Xingu, des Plateaus von Matto Grosso, sowie solchen an
den Flüssen Araguaya, Tocantins und Purus angehören. Entsprechend
I seinen eingangs entwickelten Ansichten legt er im beschreibenden Teile
I den Mittelwerten und Indices nur eine sekundäre Bedeutung bei, obzwar
I er es nicht unterlässt, am Ende der einzelnen Abschnitte ganz genaue
' Messungsresultate und Maasstabellen von Fall zu Fall anzuführen.
Die Haut der von ihm beobachteten Indianer zeigte im allgemeinen
eine hellgelbgraue Grundfärbung, doch sah er sie rein nur bei den Yama-
madi und Ipurina. Bei den Paumari war die entstellende Fleckenkrankheit
der Haut sehr häufig. Das Haar fand er durchaus nicht gleichförmig,
i sondern er konnte sowohl straffes, welliges, als auch Kraushaar beobachten;
j bei den Bororos konstatierte er den Brauch der Haarepilirung. Die Körper-
höhe schwankte zwischen 159,1 und 173,7 cm; der kleinste Menschenschlag
I war durch die Trumai, der grösste durch die Bororo vertreten. Der
' Grössenunterschied zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte
war bei den grossen Leuten stärker als bei den kleinen. In Bezug
auf die Kopfform und Indices fand er fast alle Formen zwischen Brachy-
und Dolichocephalie. Das Gleiche stellte sich bei der Betrachtung der
Gesichtsform heraus, wobei er bei den Karaya die höchsten, bei den Mehi-
naku die niedrigsten Gesichter feststellte. Das anthropologische Material
sammelte er auf einer Weiterreise nach Westbrasilien, nachdem er sich von
der eigentlichen Xinguexpedition getrennt hatte. Er vermochte nur
j 11 Schädel nach Berlin zu bringen, wovon 3 mit ganzem Skelett, doch
1.^
240 B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde. |
waren dies durchaus neue, in Europa bisher nicht gesehene Typen. Bei'
der Besprechung des Gesichtes liebt er hervor, dass die wesentlichsten
Rassenmerkmale am Gesichtsschädel und zwar am Oberkiefer haften, ob-
zwar der letztere, w^enn er auch einen wahren Rassenknochen darstellt,
ebensow^enig durch Indices charakterisiert werden kann.
Dem Werke sind zum Schlüsse ausser zahlreichen Abbildungen und
Tabellen im Texte 30 Tafeln mit wohlgelungenen Porträts der Ein«
geborenen beigegeben. Dr. 0. Hovorka Edler v. Zderas-Janjina.
190. Graf de La Hitte und Dr. ten Kate: Notes ethnogra-
phiques sur les Indiens Gruaya(][uis et description de
leurs caract^res physiques. Anales de Museo de La Plata,
Section anthropologique, Tome II. 38 Seiten mit 8 heliogr. Tafeln
und einer Karte im Text. La Plata, Argentina, Talleres de Publi»
caciones del museo, 1897.
In den unzugänglichen Urwäldern des bergigen Innern von Paraguay,
zwischen Rio Paranä östlich und dem Paraguay der Länge nach durch-
ziehenden Gebirge westlich, haust der Wildstamm der Guayaquis, kaum
dem Namen nach bekannt. Graf de La Hitte hatte bei früherem Aufent-
halte in Paraguay Gelegenheit, Näheres über sie zu erfahren und auch
ein Individuum zu photographieren ; später vermochte er auf einer mit
ten Kate unternommenen Reise seine Kenntnisse darüber zn vervollständigen
und ethnologische Gegenstände, sowie Schädel und ein Skelett mitzubringen.
Die vorliegende Prachtpublikation in der üblichen glänzenden Ausstattung
der Publikationen des La Plata - Museums giebt nach einer kurzen Ein-
leitung im ersten Teil, von der Hand des Grafen, eine anziehende Schilderung
der ethnographischen Verhältnisse.
Der bibliographischen Übersicht nach sind die Guayaqui fast un-
bekannt; ohne festen Wohnsitz ziehen sie in den Urwäldern umher, haupt-
sächlich auf Jagd angewiesen; sie jagen Tapir, Jaguar, Wildschwein, Affen
und stellen dem Pferdebestande der Kolonisten mit grosser Hartnäckigkeit
nach, trotz der grossen Lebensgefahr, da die Kolonisten sie sowieso bei
jeder Gelegenheit rücksichtslos über den Haufen schiessen. Ebenso er-
picht wie auf Pferdefleisch sind sie auf Honigwaben, die sie samt der
Brut, unbekümmert um die Wespenstiche, gierig aussaugen. Ihre weitere
Nahrung besteht aus den Früchten, den Knospen, dem süssen Mark und
den fetten Holzlarven vieler Palmenarten, die sie mühsam mit der Stein-
axt fällen. Derartige Stümpfe haben die Reisenden häufig angetroffen. —
Halten sie sich irgendwo gelegentlich^ längere Zeit auf, so kampieren sie
unter Hütten, die aus Astwerk errichtet werden, sehr niedrig und sehr
lang (ca. 20—30 m) sind. Kulturell stehen die Guayaqui äusserst niedrig;
von Kunst ist nichts vorhanden*, kein Körperbemalen, kein Tättowieren;
Musikinstrumente nicht nachweisbar. Sehr schüchtern und furchtsam lassen
B. Referate. 2. Ethnologie und Rassenkunde, 241
sie alles im Stich, wenn Gefahr droht. Angeblich gelegentlicher Endo-
kannibalismus. Die Zahl des ganzen Stammes mag wohl etwa 500 bis
600 betragen.
Ein von Graf de La Hitte 1894 beobachtetes J Individuum, zwischen
25 und 30 Jahren, war gefangen genommen und unter die Soldaten ge-
steckt worden, bei welcher Gelegenheit photographische Aufnahmen, die
reproduziert werden, gemacht werden konnten. Der Körper zeigte sich
sehr muskulös und mit vielen Narben bedeckt; die Kniee wiesen starke
Schwielen auf, der Fuss war klein, kurz und sehr fleischig ; Körpergrösse
ca. 1,50 m, Hautfarbe weniger tief als die der Caingua-lndianer und selbst
vieler Paraguayer. Gesicht bartlos, nur oben an den Mundwinkeln leichter
Anflug; Haar lang getragen.
Nach den wenigen aufgenommenen Worten zu schliessen, glaubt
Graf de La Hitte die Sprache in die linguistische Gruppe der Tupy und
speziell des Guarani, des verbreitetsten Idioms, stellen zu können.
Im II. Teil giebt Dr. ten Kate die Resultate seiner anthropologischen
Untersuchungen; ein Schädel unbestimmten Geschlechts, aus den alten Be-
ständen des Museums, ist klein, von regelmässigen Formen, besitzt eine hohe
Stirn und ein etwas vorspringendes Hinterhaupt, Nähte im allgemeinen einfach,
Muskelinsertionen schwach. Maxillarprognathismus ausgesprochen; Nase
catarrhin. Fossa canina ziemlich ausgeprägt, ebenso die Tuberositas malaris.
Flügelfortsätze breit, Zahnbogen elliptisch. Die 3 noch vorhandenen Molaren
sind abgenutzt, aber gesund. Unterkiefer fehlt. Das Gewicht des Schädels
beträgt 649 gr. Die Maasse (nach Broca gemessen) sind: Kapazität 1464 ccm,
Länge 175, Breite 142, Höhe 138, Stirnbreite 93, Horizontalumfang 498,
Sagittalumfang 364, Querumfang 318, Jochbreite 132, Obergesichtshöhe
(ophyro-alveoläre H.) 90; messen wir (Ref.) noch die Obergesichtshöhe
nach der F. V. (= 74), die Oberhöhe (= 118) und den Profilwinkel
nach Ranke (80°), so wäre der Schädel brachycephal (Längenbreitenindex
81,1, oder wenn wir mit Ammon 0,5 zufügen = 81,6), hypsicephal
(Längenhöhenindex 78,9; die ,,Höhe*' von der ,,Hülfshöhe*', Brocas Hauteur
basilo-bragmatique, kaum verschieden), mesorrhin (48,9), hypsiconch (102,6),
leptostaphylin (60,0), prognath; Index des Foramen occipitale 76,5, Joch-
breiten-Obergesichtshöhenindex nach Broca (indice facial sup^rieur) 67,9,
nach F. V. 56,1, Obergesicht also leptoprosop (über 55,0, Weissenberg,
Z. f. E. 1897), oder vielmehr an der Grenze von Chamae- und Lepto-
prosopie. —
Weiterhin folgt die Beschreibung des Skelettes einer alten Frau, die
von den ,, christlichen'' Kolonisten niedergemetzelt worden. Der Schädel
ist klein, regelmässig, dem vorigen sehr ähnlich. Nähte im allgemeinen
einfach. Rechts Stenocrotaphie. Muskelinsertionen schwach. Stirn etwas
zurückHegend, Parietalgegend verhältnismässig stark entwickelt. Phänozygie,
maxillärer Prognathismus. Zahnbogen atrophisch, elliptisch. Kinn vor-
Centralblatt für Anthropologie. 1898, 16
24^ B. Referate. 3, Urgeschichte. -f
springend, die vier noch vorhandenen Zähne abgeschliffen. Maasse (nach
Broca): Gewicht 496 ohne Unterkiefer, Kapazität 1478, Länge 178,
Breite 145, Höhe 138, Stirnbreite 91, Horizontalumfang 508, Sagittal-
umfang, 373, Querumfang 328, Jochbreite 126, Obergesichtshöhe (h. ophyro-
alv^olaire) — (defect), Gesichtshöhe (h. ophyro-mentonni^re) c. 120 mm.
Dazu nach der F. V. gemessen (Ref.) Ohrhöhe 123, Gesichtshöhe c. 92.
Der Schädel ist also brachycephal (Index 81,5 oder nach Ammon 82,0),
hypsicephal (77,5; Höhe = der Hilfshöhe, hauteur basilo - bregmatique
Brocas), platyrrhin (55,3), hypsiconch (94,4), leptostaphylin (61,2); Index
des For. occ. 81,9. Jochbreiten-Gesichtshöhen-Index (indice facial total)
nach Broca 95,2 (dolichofacial) , nach der F.V. c. 73,0 (chamaeprosop;
nach Weissenberg, Zeitschr. f. Ethn. 1897, S. 41 — 58, ultra chamäprosop).
Die Zungenbeinhörner mit dem Körper nicht verschmolzen; Index
mericus rechts 66,7 (Ref.), links 65,5 (Ref.); pilastricus beiderseits 87,5;
cnemicus rechts 73, links 67,8. Aus den Proportions-Verhältnissen des
Skeletts folgt, dass der Kopf verhältnismässig gross, Becken eng, obere
Extremität relativ länger als die untere ist; die Körpergrösse w^äre nach
Manouvrier 142,4 cm.
Zum Schluss folgt die Beschreibung und die Maasse dreier Guayaqui-
kinder und fünf erwachsener Caingua-Indianer.
Schon unter der so einheitlichen dolichocephalen Lagoa-Santa-Rasse
fand sich ein brachycephaler Schädel ; lässt man die modernen Botocuden
und Feuerländer von der dolichocephalen Lagoa-Santa-Rasse abstammen,
was sehr wahrscheinlich ist, so darf man in den von K. v. d. Steinen in
Brasilien entdeckten Indianerstämmen, ferner in den Guayanaindianern,
den Caingua und den Guayaqui Paraguays Abkömmlinge jener ,, atypischen"
brachycephalen nur durch ein Individuum repräsentierten Form er-
blicken; die Guayaquis wären ihr südlichster, schwächster und primitivster
Zweig. Dr. Lehmann- Nits che- La Plata.
3. Urgeschichte. ;
a. Allgemeines. ^'
191. E. Majewski: Drobue prace i notatki. (Kleinere Arbeiten
und Notizen). Warschau 1897, 128 S. v
Verfasser führt eine Sammlung von einschlägigen Arbeiten aus dem
Gebiete der Archäologie, Prähistorie und Ethnographie vor uud schliesst
dem Buche eine Reihe von Museumsberichten, Referaten und biblio-
graphischen Nachrichten an. Unter den Abhandlungen sind besonders
folgende hervorzuheben: Flintwerkzeuge, der Ursprung der Weichsel
(prunus cerasus), Bärenkultus, Entzifferung der Runeninschriften vom
Jennissey. Dr. 0. Hovorka Edl. v. Zderas-Janjina,
B. Referate, 3. Urgeschichte. 243
192. Ph. Salmon: L'atlantide et le renne. Revue mens, de
l'Ecole d'anthrop. de Paris 1897. Bd. VII, S. 279.
Obwohl man früher die Berichte der Alten über die Atlantis, einen
zwischen Europa und Amerika befindlichen und versunkenen Kontinent,
als Legende ansah, machen uns die neueren geologischen, ethnologischen
und hydrographischen Untersuchungen die Wahrscheinlichkeit seiner
einstigen Existenz sehr plausibel. Die Verbindung zwischen der alten und
neuen Welt muss nicht nur im Norden bestanden haben (welch letztere
Mutmaassung bereits von Darwin herrührt), sondern sie hat sich wahr-
scheinlich noch viel weiter gegen Süden erstreckt. Da man hierdurch zu
der Annahme einer Ablenkung des von Mexiko kommenden Golfstromes
"gezwungen wird, so muss damals das Klima Mittel- und Westeuropas ein
viel kälteres gewesen sein; durch diesen Umstand würde sich wieder leicht
erklären lassen, warum die südliche Grenze des Renntiers einst bis zu
den Pyrenäen reichte. Salmon versucht auch die Stirnerhebung des
magdalenischen Menschen durch Einfluss einer hypothetischen atlantischen
Rasse zu deuten. Der Untergang der Atlantis, welcher wahrscheinlich am
i Ende der magdalenischen Epoche stattfand, hatte zugleich eine Terrain-
I erhebung des heutigen europäischen Ostrusslands zu Folge.
[ Dr. 0. Hovorka Edl. v. Zderas-Janjina.
j 193. Eberhard Graf Zeppelin-Ebersburg: Was ist der allge-
- meine Grund und Zweclt der Pfahlbauten? Globus.
1897. Bd. LXXII, Nr. 13.
P. u. F. Sarasin: Über den Zweck der Pfahlbauten.
Ebendaselbst Nr. 18.
Graf Zeppelin, der sich seit längerem schon mit der Frage nach
der Besiedlung der Bodenseegegend (cfr. d. Centralblatt Bd. II, S. 65) be-
j schäftigt, ist zu der Überzeugung gekommen, dass die Pfahlbauten einzig
1 und allein aus Gründen der Hygiene und des praktischen Nutzens ange-
legt worden sind. Die längs der Strom- und Flussthäler vordringenden
j Völkerschaften sahen sich gezwungen, da ihnen bessere Lagerplätze im Innern
i der von ihnen durchstreiften Länder unbekannt waren, in diesen Thälern
I ihre Wohnungen aufzuschlagen. Der die Flüsse begrenzende Urwald war
wegen des übermässig feuchten Bodens zum Wohnen ungeeignet; ausserdem
war das Lichten desselben behufs Beschaffung von genügend grossen Wohn-
plätzen zu beschwerlieh und zu umständlich. Hingegen boten die offenen
I Anschwemmungen in dem Flussgebiet einen geeigneteren Platz zur An-
siedlung. Hier konnte man in freier Luft, unberührt von den schädlichen
Ausdünstungen des Überschwemmungsgebietes und daher verhältnismässig
gesünder als im Duster der Wälder leben. Ausserdem bot sich gute Ge-
legenheit zum Betriebe der Jagd, Fischerei, Töpferei, der Holz- und Bild-
schnitzerei, sowie vor allem zur Herstellung von Steingeräten (Flussgeröll).
ii 16*
244 B Referate. 3. Urgeschichte.
Das abwechselnde Steigen und Fallen des Wassers wurde sodann die
spezielle Ursache dafür, dass die Wohnungen gerade auf Pfählen angelegt
wurden. — P. und F. Sarasin, anknüpfend an die vorstehend wieder-
gegebenen Ausführungen Zeppelins, berichten, dass sie im Innern von
Celebes einmal einen Pfahlbauern nach dem Grunde, warum die Leute ihre
Wohnungen ins Wasser gebaut hätten, gefragt und die Antwort erhalten
hätten : ,,Das ist wegen des Schmutzes". Ihrer Ansicht nach sprechen
ebenfalls hygienische Gründe bei der Anlage der Pfahlbauten mit. Ur-
sprünglich wären diese längs den Meeresküsten mit Vorliebe innerhalb der
Flutmarke errichtet worden, damit die herankommende Flut allen Unrat,
der sich auf dem während der Ebbe trocken liegenden Boden unter den
Häusern angehäuft hatte, wegspülen konnte Als dann später die Küsten-
bewohner das Innere des Landes aufsuchten, bauten sie, sobald sie auf
einen See stiessen, innerhalb der Hochwassermarke, oder soweit in den
See hinein, als dessen Seichtheit es zuliess, ebenfalls ihre Wohnungen auf
Pfählen. Dr. Buschan-Stettin.
194. Th. Studer: Beiträge zur Geschichte unserer Hunde-
rassen. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1897. Bd. XII,
Nr. 28.
C. Keller: Die afrikanischen Elemente in der europäischen
Haustierwelt. Globus. 1897. Bd. LXXII, Nr. 18.
Nach Studer können weder die Gattung Cyon, noch Vulpes Anspruch
darauf erheben, als Stammvater der Hunderassen zu gelten. Hingegen
weisen die Wolf- und Schakalarten mehr Verwandtschaft mit den altwelt-
lichen Haushunden auf; wieweit diese Verwandtschaft zurückgeht, muss die
Paläontologie noch feststellen. Der Ursprung der Hunderassen ist
polyphyletisch. — Der Mensch der Diluvialzeit besass noch keine Haus-
hunde; erst in der neolithischen Zeit treten uns dieselben entgegen. In
den Pfahlbauten aus dieser Zeit lassen sich bis jetzt 3 durch Grösse und
Form verschiedene Hunderassen nachweisen. Am häufigsten kommt Canis
familiaris palustris Ruetim., vergleichbar in Grösse und Gestalt einem mittel-
grossen Spitz, vor. In den ältesten Pfahlbauten hat sich der ursprüngliche
Typus dieser Form noch rein erhalten; in denen der späteren Zeit ist
dieselbe zwar im grossen und ganzen auch noch unverändert geblieben,
jedoch finden sich bereits Anzeichen dafür, dass die Züchtung auf dem
Wege ist, neue differenzierte Formen zu schaffen. Studer unterscheidet
bereits 3 verschiedene Unterrassen der ursprünglichen Urform zur Pfahl-
bautenzeit. Aus dem Torfspitz gingen später hervor der Pinscher, der
Battakhund, der grosse Wolfsspitz und der Spitzer. Die zweite der
steinzeitlichen Stammformen, Canis familiaris Inostranzewi Anutsch. (La-
doga-, Bieler- und Neuenburger-See), weist Verwandtschaft im Schädel
niit dem Wolfe auf und stimmt nahezu mit dem Laika- oder Eskimohund^
4-
B. Referate. 3. Urgeschichte. 245
überein. Sie kann als Urform der grossen Hunde (Doggen, Neufundländer,
Bernhardiner) betrachtet werden. Die dritte Urform endlich ,,Canis familiaris
Leineri Stud." ist bisher erst durch einen einzigen Schädel von der Station
Bodman im Überlinger See her bekannt. Dieser Typus findet sich in dem
heutigen Hirschhund und irischen Wolfshund wieder. Hirschhunde finden
sich vielfach auf Vasen, Mosaiken und Bronzen der helvetisch-römischen
Zeit dargestellt, — In den Schweizerischen Pfahlbauten der Bronzezeit
erscheinen zwei neue Formen, der Schäferhund und der Jagdhund. Der
erstere, Canis familiaris matris optimae Jeit., (Pfahlbauten zu Olmütz,
Starnbergersee, Westschweiz, Murtensee), dürfte nach Studer von dem Canis
Leineri der Steinzeit abzuleiten sein; in historischer Zeit ging aus ihm der
Pudel hervor. Der zweite, Canis familiaris intermedius Wold. (Weikers-
dorf), ist möglicher Weise aus einer Kreuzung zwischen den grossen Rassen
der Steinzeit und einer grösseren Varietät des Pfahlbautenspitzes entstanden.
Die römischen und griechischen Denkmäler lassen neben Wind- und
Schäferhunden auch typische Jagdhunde mit Hängeohren erkennen. In
der althelvetischen Niederlassung zu La Tene fand Studer den Schädel
eines Laufhundes. Dieselbe Form findet sich mehrfach auf Darstellungen
der helvetisch-römischen Zeit. Er hält daher den Laufhund für die
primitive Form des Jagdhundes. Keller hingegen schreibt dem Jagdhunde
einen afrikanischen Ursprung zu. Auf alt-ägyptischen Darstellungen treffen
wir bereits Jagdhunde mit Hängeohren an. Vorstehhund, Wachtelhund
und Dachshund gingen nach Studer aus dem Laufhunde ebenfalls durch
Differenzierung hervor. — Von einer südländischen oder äquatorialen
Stammform, die ihren ursprünglichen Vertreter in dem Dingo übrig gelassen
hat, sind der Windhund und die Pariahunde herzuleiten. Der erstere
findet sich recht häufig auf alt-ägyptischen Grabmalereien dargestellt und
ist, wie daselbst gleichzeitig angegeben wird, aus Äthiopien bezogen
worden. (Keller.)
Die Ausführungen Kellers decken sich, abgesehen von dem Ursprünge
des Jagdhundes, vollkommen mit denen Studers. Den Ursprung und das
Alter einiger anderer Haustiere giebt derselbe, wie folgt, an.
Hauspferd. Von dem diluvialen Wildpferde sind gewisse heutige
Hauspferde herzuleiten. Andere stammen ohne Zweifel aus Innerasien, wo
die Heimat der kurzköpfigen Pferde ist. Schon zur Bronzezeit der west-
schweizerischen Pfahlbauten müssen solche von dort aus eingeführt worden
sein. Nach Afrika gelangte das Pferd verhältnismässig spät. — Esel.
Zur Diluvialzeit reichte die Verbreitung des asiatischen Steppenesels (Equus
hemionus) bis nach Mitteleuropa hinein; indessen hat diese Spezies an der
Bildung unseres zahmen Esels keinen Anteil genommen. Dieser stammt
sicherlich aus Afrika. In Ägypten erscheint der Esel weit früher als das
Pferd. Keller glaubt, dass hamitische Völker in Nubien und in den Galla-
ländern den afrikanischen Wildesel, der noch heute bis zum Cap Guardafui
246 B- Referate. 3. Urgeschichte.
wild vorkommt, zuerst als Haustier gezüchtet haben. — Hauskatze. Zur
europäischen Steinzeit fehlt diese zahme Form noch; auch die alten Griechen
besassen sie noch nicht, erst die Römer führten sie ein. Von der Wild-
katze kann die domestizierte Form nicht abgeleitet werden. Ägypten war
bekanntlich eine Hauptstätte für Katzenkultur. Unter den daselbst aufge-
fundenen Katzenmumien lassen sich zwei Arten unterscheiden : eine grössere,
Felis chaus zuzurechnen, und eine kleinere, die mit Felis maculata über-
einstimmt. — Schaf, Ziege und Schwein finden sich bereits zur
ältesten Pfahlbautenzeit in Europa; sie scheinen frühzeitig aus Asien ein-
gewandert zu sein. — Rind. Unter den zahlreichen Kreuzungsprodukten
des europäischen Rindes lassen sich zwei Hauptgruppen unterscheiden:
die grossen Niederungs- und Steppenrinder (Verbreitung im nördlichen und
besonders in Ost-Europa) stammen vom Bos primigenius ab, die kleinen
kurzhörnigen Rinder von auffallend zartem Bau (in den Alpen, Polen
und Albanien Braunviehschläge) dürften vom Torfrind herzuleiten sein.
Dieses ist das älteste Rind, welches zu Beginn der Pfahlbauzeit uns entgegen
tritt; die reine Primigeniusrasse zeigt sich erst später neben ihm, und in
noch späteren Pfahlbauten kommen bereits vielfache Kreuzungen zwischen
beiden vor. Das Ursprungsland des Pfahlbautenrindes vom brachyceren
Typus ist Nordafrika. Wie Keller an osteologischen Merkmalen nachweisen
konnte, stimmt diese Form mit den afrikanischen Zeburindern vielfach
überein. Er vermochte sogar in Afrika vom Süden nach Norden eine
stetige Annäherung an unser kleinhörniges Rind nachweisen. In Alt-
Ägypten tritt eine kleine Rasse in den Wandmalereien auf, die sich äusserlich
in nichts vom Braunvieh der Alpen unterscheidet. Das Verbreitungsgebiet
des afrikanischen Zeburindes ist Äthiopien. Dr. Bus chan- Stettin.
b. Funde.
a. Grossbritannien und Irland.
195. John Evans: The ancient stone implements, weapons
and Ornaments, of (jreat Britain. 2th. ed., revised.
London, Longmans, Green & Co. 1897. 747 Seiten.
Eine zweite Auflage anzuzeigen genügen in der Regel wenig Worte,
zumal wenn die erste so allgemein bekannt und geschätzt war, wie es bei
dem vorliegenden Werke der Fall ist. Da indessen seit dem Erscheinen
der ersten Auflage im Jahre 1872 gerade in dem behandelten Gebiete
überall grosse Fortschritte gemacht sind, so liegt wohl eine etwas ge-
nauere Vergleichung näher als gewöhnlich. Da hat sich zunächst der
Umfang des stattlichen Bandes von etwa 750 Seiten gegen früher um
100 vermehrt, aber der Zuwachs ist im Grunde weit höher anzuschlagen,
da beträchtliche Partieen in kleineren Typen gedruckt sind; die 476 treff-
lichen Illustrationen der früheren Ausgabe sind um 67 Nummern er-
weitert, wobei die praktische Einrichtung allgemeiner Billigung sicher
B. Referate. 3. Urgeschichte. 247
sein darf, dass die frühere Zählung durchgehend beibehalten ist, so dass
die neu eingeschobenen Abbildungen durch zugesetzte Buchstaben als
solche kenntlich gemacht sind. Was den Text selbst betrifft, so hat der
Verf. auch hier die bewährte Einteilung des Stoffes nach der ersten Aus-
gabe beibehalten und nach einer Einleitung über die prähistorische
Periodeneinteilung und die Art der Bearbeitung von Steinwerkzeugen im
ersten Hauptteil, der 19 Kapitel umfasst , die neolithische Periode be-
sprochen. Es werden die einzelnen Typen der Steinwerkzeuge und Waffen
einschliesslich der Schmucksachen eingehend behandelt, und zwar ist das
Material aus England anscheinend vollzählig aufgeführt, aber zur Erläute-
rung und zum Beweise der Verbreitung einzelner Typen wird stets Rücksicht
auf entsprechende Funde des festländischen Europa, ja selbst der andern Erd-
teile genommen, so dass das Werk nach wie vor seine Bedeutung über
Englands Grenzen hinaus behält. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich in
4 Kapiteln mit der paläolithischen Periode und ist nach der eigenen An-
gabe des Verf. verhältnismässig am meisten erweitert, entsprechend den
zahlreichen inzwischen gemachten Funden. Auch die Indices, ein General-
index und ein geographisch-topographisches Inhaltsverzeichnis, angefertigt von
Mrs. Hubbard, sind weit vollständiger gegen früher geworden und erhöhen in
der That die bequeme Benutzung des Werkes ungemein. Schliesshch ist die
grosse Sorgfalt zu erwähnen, mit welcher auch in den Anmerkungen die
Litteratur des letzten Vierteljahrhunderts überall nachgetragen ist; die
Citate erwiesen sich bei vielfachen Nachprüfungen zuverlässig, ausser dass
z. B. S. 11 ein Steinhammer nach Klemm's Angabe for pounding „dried
fish" gebraucht sein soll, wie schon in der ersten Auflage, während in
meiner Origininalausgabe von Klemm's Allg. Kulturwiss. I, 86 steht: zum
Klopfen des Fleisches. Frof, Dr. Walter-Stettin.
196. A. L. Lewis: Ancient measures in prehistoric monuments.
Journal of the anthropological Institute 1897. Bd. XXVII, Nr. 2,
S. 194.
Aus diesen interessanten Zusammenstellungen geht hervor, dass die
Maasse der prähistorischen Denkmäler keine zufälligen sein können, sondern
dass sie absichtlich gewählt worden sind zu einem bestimmten Zweck
oder in einer bestimmten Absicht, die hoffentlich einmal entdeckt werden
wird. So scheint im grossen Zimbabwe (Mashonaland) der Durchmesser
des grossen Turms die Einheit gebildet zu haben, die im Bau der anderen
Teile angewendet worden ist. Der Umfang des kleinen Turms ist diesem
Durchmesser genau gleich. Wenn wir diesen Durchmesser mit D be-
zeichnen, so finden wir, dass die Radii und Durchmesser der verschiedenen
Kurven, die von den Mauern des Gebäudes gebildet sind, folgende Werte
haben :
'1?'
248 C. Tagesgeschichte.
D 3 Mal
2D 3 „
D X 3,14 (Verhältnis des Kreises zum Durchmesser) 7 ,,
D X 3,14 o
2 ^ "
2D X 3,14 3 „
D X 3,14^ 2 „
D X 3,14^ .
2 ^ " ,.
Wenn wir vom Mashonaland nach Gross-Brittannien zurückkehren, so
finden wir ebenso interessante Verhältnisse in den megalithischen Denk-
mälern von Stanton Drew, unweit Bristol. Sie bestehen aus einer Gruppe
von 3 Steinen, einem grossen und einem kleinen Kreise. Die gerade
Linie, welche diese drei Gebilde verbindet, ist gleich 14 Mal dem Durch-
messer des kleinen Kreises. Es befindet sich noch ein anderer Kreis und
ein isolierter Stein, die wieder in gerader Linie zu dem grossen Kreise
gelegen sind. Die Linie, welche den Mittelpunkt des grossen Kreises mit
dem isolierten Stein verbindet, ist gleich 19 Durchmessern des ersten kleinen
Kreises und 5 Durchmessern des grossen Kreises. Vom zweiten kleinen
Kreis über den grossen bis zum isolierten Monolith ist der Abstand gleich
7 Durchmessern des grossen Kreises. In einer anderen Richtung finden
sich wieder zwei Steine, deren Entfernung vom Mittelpunkt des grossen
Kreises gleich 9 Durchmessern dieses Kreises ist. Wenn wir diese Er-
gebnisse kurz zusammenfassen, so finden wir, dass die Durchmesser der
drei Kreise untereinander sich wie 5: l^j^'- 19 verhalten, und dass andere
Maasse den grössten und den kleinsten dieser Durchmesser 5, 7, 9,
14 und 19 Mal enthalten.
Das Denkmal von Merivale Bridge, Dartmoor besteht aus 2 doppelten
Reihen von Steinen, deren südliche sich an beiden Enden weiter erstreckt
als die nördliche. An ihrem östlichen Ende sind sie näher aneinander
gerückt; da ist ihre Entfernung gleich der Weite zwischen den äusseren
Seiten der Reihen am westlichen Ende. Verfasser findet noch mehrere
interessante Zahlverhältnisse in der Länge der einzelnen Teile dieses
Monuments. Aber ohne Abbildung können sie nicht leicht auseinander-
gesetzt werden. Dr. L. Laloy-Faris.
C. Tagesgeschichte.
Brannschweig. Vom 4. — 6. August wird zu Braunschweig die 29. all-
gemeine Versammlung der deutschen anthropologischen Gesellschaft statt-
finden. Die Lokalgeschäftsführung hat Prof. Dr. W. Blasius über-
D. Bibliographische Übersicht. 249
nommen. (Ein Verzeichnis der Vorträge ist zur Zeit an die Redaktion
nicht eingelaufen.)
Düsseldorf. Die vom 19.— 24. September in Düsseldorf tagende
70. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte wird auch wieder
eine Sektion für Anthropologie und Ethnologie ins Leben rufen, deren
Einführung Sanitätsrat Dr. Hermkes und deren Schriftleitung Ober-
lehrer Dr. Lasalle übernommen haben.
Prag. Dr. Niederle ist zum a. o. Professor für Archäologie er-
nannt worden.
Stockholm. Prof. Dr. Montelius ist vom deutschen Kaiser durch
den Orden pour le merite ausgezeichnet worden.
Turin. Am 19. Februar verstarb Prof. Luigi Schiaparelli, Di-
rector des ägyptischen Museums.
Zaandani. In Holland konstituierte sich am 30. April die „Neder-
landsche anthropologische Vereenigung", eine Gesellschaft, die sich zum
Ziel „das Studium und die Förderung der Anthropologie im weitesten
Sinne'* gesteckt hat. Zum ersten Vorsitzenden wurde Dr. C. Winkler,
Prof. f. Psychiatrie zu Amsterdam, zum zweiten Dr. Eugen Dubois in
Haag, zum Schriftführer Dr. J. Sasse Az in Zaandam, zum Schatzmeister
Dr. Kerbert, Direktor des Tiergartens in Amsterdam und zum Biblio-
thekar John E. Greven, Dozent f. Zahnheilkunde daselbst gewählt.
D. Bibliographische Übersicht.
Von Georg Buschan.
Laufende Litteratur für das Jahr 1898.
I. Anthropologie.
A.. Allgemeines.
1. Biographieen, Berichte u. ä.
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Um Einsendung von Separatabdrücken, Abhandlungen etc. an den Heraus-
geber v^^ird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an den Herausgeber
Dr. Buschan, Stettin, Friedrich- Carlstrasse 7^.
Druck von Gras», Barth & Comp. (W. Friedrich) in BrMlai».
Centralblatt
für
Anthropologie, Ethnologie und ürgescilclite.
Herausgegeben
von
Dr. med. et phil. G. Buschaii.
IIL Jahrgang 1898.
-♦♦♦-♦
Breslau 1898.
J. U. Kern's Verlag.
(Max Müller.)
I
I n h al t.
^ . . , , .- Seite
Orig-inalaroeiten:
G. Sergi: Über den sogenannten Reihengräbertypus 1 — 8
H. Schumann: Charakter und Herkunft der pommerschen La
Teneformen . . , 97 — 101
A. Zuccarelli: Die Beziehungen zwischen Kriminal-Anthropologie,
gerichtlicher Medizin und Psychiatrie 193 — 195
O.Hovorka Edler v. Zderas: Sollen wir weiter messen oder nicht? 289—294
Referate:
I.Anthropologie 8 — 26
101 — 110
195—212
349— ;;55
2. Ethnologie und Rassenkunde 26— 51
110-134
212—242
295—303
3. Urgeschichte 51— 54
134-173
212—248
304—348
Versammlungs- und Vereias-Berichte 54— 66
356-363
Tagesgeschichte 67—68
173
248—249
363-364
Bibliographische Übersicht 68—96
174—192
249—288
365—380
Register 381-384
Centralblatt
für
Anthropologie j Ethnologie und Urgeschichte.
Herausgeg-eben von Dr. phil. et med. Gt. Busch an.
J. ü. Kern's Verlag (Max Müller) in Breslau.
3. Jahrgang. Heft 4. 1898.
A. Originalarbeit.
Sollen wir weiter messen oder nicht?
Von Dr. Oskar Hovorka Edler v. Z de ras.
Sowie es in allen Zweigen der menschlichen Kulturarbeit von
jeher Perioden der höchsten Entwickelung und des Rückschlages,
der Begeisterung und der Erschlaffung gegeben hat, so hat auch
die Anthropologie ähnliche Schwankungen durchzumachen, in
welchen der jeweilige Stand ihrer Entwickelungsstufe ihren Aus-
druck findet. Sie werden am besten durch Tagesfragen charak-
terisiert, von welchen auch die Anthropologie nicht verschont
bleiben konnte, obzwar sie, wie jede andere Wissenschaft, un-
bekümmert um alle Nebenrücksichten, einem einzigen Ziele nach-
zustreben hat: der Erforschung der Wahrheit. Dessenungeachtet
darf in einer periodischen Zeitschrift, wie die unsere, welche sich
die objektive Berichterstattung aller wissenschaftlichen Erscheinungen
auf dem Gebiete der Anthropologie zur Aufgabe stellte, eine Bewegung
nicht mit Stillschweigen übergangen werden, von welcher fast jedes
grössere Werk der neuesten anthropologischen Litteratur ergriffen
zu sein scheint.
Gestehen wir es offen ein: wir gehen einer Krise entgegen,
welche durch die Unzulänglichkeit unserer bisherigen Messmethoden
gegeben ist. Unter dem Zeichen dieser Krise stehen die neuesten
anthropologischen Forschungen; sie bildet thatsächlich einen Hemm-
schuh in der weiteren Entwickelung der Anthropologie, insbesondere
der somatischen. Eine Vernachlässigung der Somatologie wurde an-
lässlich der letzten Kongresse von sachverständiger Seite ausdrück-
lich konstatiert. Einem aufmerksamen Leser und Beobachter wird
gewiss diese Erkenntnis nicht entgangen sein, welche die meisten
heutigen Anthropologen auch offen eingestehen, dass wir trotz der
eingehendsten Studien seitens einer Reihe berufener Forscher,
trotz des kolossalen im Laufe der Jahre bereits angehäuften wissen-
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 19
290 ^ Originalarbeit.
schaftliclien Materials und trotz der täglich fast in erschreckendem
Maasse zunehmenden Litteratur in dem Weiterausbau unserer jungen
Wissenschaft ziemlich weit zurückgebheben sind. Jahraus jahrein
wird ein ungeheurer Beobachtungsstoff den Archiven, sowie der
einschlägigen Presse zugeführt, die Anhäufung der sorgfältigst kon-
statierten Zahlen, Maasse und Indices nimmt bereits Riesen-
dimensionen an, ja es werden noch immer neue Untersuchungs-
methoden in mehr oder minder geistreicher Weise vorgeschlagen,
geprüft und wieder verworfen — und trotz alledem kann es
niemand leugnen, dass die ungeheure Arbeitsleistung in keinem
VorhäUiiisse steht mit den gewonnenen und erwarteten Resultaten.
(Gerade in der Labihtät der gegenwärtigen Untersuchungsmethoden
liegt ein pathologisches Moment, ein Anzeichen dafür, dass die So-
matologie noch lange nicht alle Kinderkrankheiten überstanden hat.
Nur vorübergehend sei auf den Spott hingewiesen, dem wir
infolge dieser Zustände seitens der etwas ernster zu nehmenden
Gegner der Anthropologie ausgesetzt sind. So geht z. B. Novicow*)
in seinem neuesten bemerkenswerten Buche so weit, dass er unter
dem Hinweise auf die unter den Anthropologen herrschende Konfusion
die Existenz einer arischen, lateinischen u. a. Rasse, sowie die
Existenz eines fixen Typus überhaupt leugnet: Jamals personne n'a
pu dire quels traits etabhssent la caracteristique de la race. On
a affirme longtemps que c'etait la couleur de la peau. Mais con-
siderer un noble dolycho-blond et un vil brachy-brun, blancs tous
les deux, comme representants de la meme race, parait la plus
impardonnable des heresies aux anthropologistes modernes.
Wenn Novicow als Sozialpolitiker mit einigem Erfolge den Be-
weis zu hefern sucht, dass nicht nur die höherstehenden Rassen
als Kulturträger und Verbreiter der Civilisation zu betrachten sind,
sondern dass auch den niederen Rassen die Fähigkeit hierzu im
Laufe der Zeiten keineswegs abgeleugnet werden kann, so läuft ihm
vom anthropologischen Standpunkte der fatale Fehler unter, dass
er die Annahme der grösseren Produktivität und Eugenismus der
superioren Rassen mit der thatsächlichen Existenz derselben ver-
wechselt. Dagegen muss ihm ohne weiteres zugegeben werden,
dass heutzutage in der Anthropologie eine beispiellose Verwirrung
der Begriffe Rasse und Typus herrscht.
Wir brauchen jedoch nicht auf die nicht immer aus berufener
Feder stammende Kritik von Nichtanthropologen zurückzugreifen,
sondern wir finden auch in unseren eigenen Reihen Männer, welche
*) J. Novicow, L'avenir de la race blanche. Paris 1897.
A. Originalarbeit. 291
direkt auf den Misskredit hinweisen, in welchen durch diese Zu-
stände die Anthropologie geraten ist.
Beim Durchlesen einer ganzen Reihe der neuesten anthro-
pologischen Werke empfängt man den Eindruck der Ungewissheit,
gleichsam die Empfindung wie am Vorabende einer zu erwartenden
Umwälzung oder Übergangsbewegung. Wiederholt wird die relative
Aussichtslosigkeit der verschiedenen Körper- und Skeletmessungen,
die Wertlosigkeit der blossen Schädel-Indices und arithmetischen
Mittelzahlen offen eingestanden.
In einer sehr überzeugenden Weise hat Ehrenreich*) an-
lässlich seiner brasilianischen Studien diesen gegenwärtigen halt-
losen Stand der Somatologie zu schildern unternommen. Es ist
fürwahr nicht leicht, heutzutage ein anthropologisches Werk zu
schreiben, da man nicht weiss, ob morgen jemand unserer in
Zahlen ausgedrückten Arbeit noch eine Beachtung schenken wird,
da man ferner eine Ablösung der alten Untersuchungsmethoden
durch neue, bessere, einfachere ziemlich sicher voraussehen kann.
Er weist auf das Vorgehen K. Riege r's hin, welcher als einer der
Ersten auf das Irrationelle unserer bisher ausgeübten Schädelmessung
in rücksichtsloser Kritik hinwies und 1885 eine neue exakte Me-
thode der Kraniographie vorschlug. In gleicher Weise ging Ihering
in seiner Arbeit „Zur Reform der Kraniometrie" (Zeitschr. f. Ethn. V,
166) vor, Welcker zeigte das Unrecht der Einmischung der Kra-
niologie in die Ethnologie, Ecker behauptete, dass die kranio-
logischen Unterschiede zwischen grossen Rassen auf Selbst-
täuschung beruhen, Kollmann endlich betonte die Unmöglich-
keit, an Schädeln die Nationalität zu erkennen.
Es ist auch die Schnelligkeit bezeichnend, mit welcher die An-
sichten über den Wert der kraniologischen Messungen abwechseln
und einander ablösen. Mit Recht bezeichnet es Ehrenreich als ,, eines
der merkwürdigsten Beispiele der wissenschaftlichen Suggestion,"
wenn man nach Retzius' Vorgang mit wenigen Messungen und In-
dices allein einen Schädel genügend charakterisieren zu können
glaubte und so zur Aufstellung der verworrensten Rassen gelangte.
So ereignete es sich oft, dass autochtone und monolithe Stämme,
wenn sie irgendwelche Indexunterschiede zeigten, ganz willkürlich
in zwei oder mehrere „Rassen" zerrissen wurden. Was nicht in
den engen Rahmen der Schädelindices passte, wurde auf Rechnung
von „Mischungen" gesetzt. Bei zunehmender Erkenntnis dieses offen-
kundigen Fehlers ging man daran, die Zahl der Messpunkte, Mess-
*) P. Ehrenreich. Anthropologische Studien über die Urbewohner Brasiliens.
Braunschweig 1897, s. Centralbl. f. Anthropol. III. Nr. 238.
19*
292 ^- Originalarbeit. |
linien und Indices allmählich zu vermehren; ungerechnet die be-
deutende Erschwerung und K^omplikation der deskriptiven Forschung,
brachte uns dieses Beginnen mehr Zahlentabellen als Nutzen. Den
Nachteil, welchen uns der Widerspruch in den Anschauungen der
„Frankfurter Verständigung" und jenen der französischen Horizon-
tale brachte, wird die Anthropologie wohl noch lange nachempfinden.
Selbst die übertriebene Genauigkeit, durch welche Benedikt mit
seinem Präzisionskraniometer und Török mit seinen 5000 Zahlen
den einzelnen Schädel zu charakterisieren glaubten, hat keine prak-
tischen Erfolge geliefert.
Inzwischen nahm das Chaos infolge der Überschätzung des
Zahlenprinzips als differential- diagnostisches Merkmal rein natur-
wissenschaftlicher Thatsachen immer mehr zu, und man unterliess
es nicht, dasselbe durch Aufstellung neuer „Rassen", durch die An-
nahme der merkwürdigsten „Mischungen" und Wanderungen über
Ozeane und Kontinente am grünen Tische zu vermehren. Zu-
fällige Ähnlichkeiten, wenige Indices oder Dimensionen genügten
dazu, um zur Deutung als Verwandtschaftszeichen herbeigezogen zu
werden. Es ist unbestreitbar, dass durch diese überhandnehmende
spekulative Art der Forschung den faktischen Untersuchungsresul-
taten der reale wissenschaftliche Boden entzogen wird. Das ver-
anlassende Moment hierzu ist gewiss in der überflüssigen und des-
halb irreführenden Genauigkeit der kraniologischen Messergebnisse
zu suchen. Treffend bemerkt hierzu Ehrenreich, dass wir dadurch
auf dem Papier Differenzen erhalten, die in der Wirklichkeit völlig
bedeutungslos sind und schon Rassenunterschiede und Mischungen
wittern, wo es sich um Unterschiede von 5 pCt. im Breitenindex
handelt. Drückt man die Kopf breite in Prozenten der Kopflänge
aus, so übersieht man gewöhnhch, dass 1 pCt. der letzteren nicht
mehr als 1,5 bis 2 mm ausmacht, 5 pCt., also nur 7,5 bis 10 mm,
man also wahrlich keine Veranlassung hat, Schädel, die um einen
so geringen Betrag in der Breite von einander abweichen, für
wesentUch verschieden zu halten. Nun gar noch eine oder zwei De-
zimalstellen zu berücksichtigen, d. h. also die Breite in Tausendsteln
und Zehntausendsteln der Kopflänge auszudrücken, ist, so „exact" es
auch scheinen mag, einfach sinnlos. Wesentliche Unterschiede
dürften bei Lebenden erst bei einer Differenz von 10 pCt. im
Breitenindex vorliegen. Hätte man sich von vornherein daran ge-
wöhnt, die Länge bei der Indexberechnung nicht = 100, sondern
= 10 oder = 1 zu setzen, so wäre manches phantastische Spiel mit
Indexziffern und Kurvenkonstruktionen über die Verteilung von In-
dices innerhalb einer Bevölkerung unterblieben, und man stände
nicht solchem Chaos von „Mischungen" gegenüber wie jetzt. Die
A. Originalurbeit. 293
Indexwerte 0,7 und 0,8 oder '/lo und %q erscheinen eben niciit
so verschieden wie etwa 72,5 von 83,5. Da die Indices nach den
absoluten Kopfmaassen ohne Berücksichtigung der Körperhöhe ])e-
rechnet zu werden pflogen, so ergeben sie auch keinen Aufschluss
darüber, ob z. B. Dolichocephalie durch grössere Länge oder durch
geringere Breite bedingt ist, worauf doch zum Zwecke der Ver-
gleichung aUes ankommt. Schon deswegen können gleiche Indices
durchaus ungleichwertig sein. Ein Oblong Avürde, wie Sergi seiir
richtig hervorhebt, denselben Index zeigen wie ein Rhombus. Be-
trachten wir also die Indices als das^ was sie sind, nämlich rein
beschreibende Termini, als Ausdrücke für gewisse Formmerkmale
von sehr verschiedenem Wert. Sie zum Klassifikationsprinzip oder
geradezu zum ,, Rassenmerkmal" zu machen, ist ebenso bequem
wie unwissenschaftlich. Die kritiklose Berechnung, Gruppierung
und Vergleichung von Indices ist — sit venia verbo — „nichts
als ein wissenschaftlicher Zopf, dessen sich die moderne Anthro-
pologie endlich einmal entäussern sollte."
Aus ähnlichen Betrachtungen ergiebt sich nun von selbst die
Frage, welchem Schicksale eigentlich unsere ungeheueren Zahlen-
magazine entgegen sehen, wenn einmal bei allen Anthropologen die
Überzeugung Platz greifen wird, dass eine einzige gute Abbildung
einen grösseren Wert hat, als ein ganzer Band von Indices und
arithmetischen Mittelwerten? Werden unsere Nachkommen den
grossen, in Zahlen ausgedrückten und mühsam gesammelten Er-
fahrungsschatz weiter ausgestalten oder einfach den Archiven über-
antworten?
Dies ist wohl kaum vorauszusehen. Das grosse Werk der Ver-
messung aller grossen anthropologischen Schädelsammlungen
Deutschlands wird gewiss stets seinen bleibenden Wert behalten,
wenn uns auch seitens der Anthropologen der kommenden Jahr-
hunderte ein Lächeln über die ganz überflüssige Mühe und über
den „apparatus magnus rerum" nicht erspart bleiben wird, mit
welchem wir daran gingen, einen Neger von einem Weissen zu
unterscheiden! Die gesammelten Zahlenwerte werden wahrscheinlich
stets ihre Bedeutung in demselben Maasse beibehalten, wie in den
übrigen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Freilich werden sie
voraussichtlich nicht, wie Ehrenreich glaubt, zu Merkmalen sekun-
därer, sondern zu solchen tertiärer Natur zurücksinken.
Es werden zwar auch in der Zoologie, Botanik, Mineralogie,
wird man uns einwenden, zahlreiche Messungen unternommen; ja,
aber man unterzieht nicht etwa je 150 Individuen genauen Schädel-
messungen, um den dalmatinischen vom ägyptischen Schakal zu
untercheiden, man drückt sich nicht in Präzisionsdimensionen der
294 '^- Orig'inalarbeit.
Blütenblätter aus, um den prunus cerasus vom prunus avium aus-
einander zu halten! Dessenungeachtet fällt es niemandem ein, die
differential-diagnostische Wichtigkeit des Tierschädels oder der
Blüten in Abrede zu stellen. ,,Den grössten klassifikatorischen Wert,
meint Rieger, besitzen diejenigen Eigenschaften der Organismen,
welche von den Funktionen der Organe unabhängig sind, daher
Haare, Farbe, schiefe Mongolenaugen , Judenphysiognomien immer
ihren klassifikatorischen Wert behalten werden, auch wenn die
künstlichen Schädelsysteme längst geschwunden sind."
Es scheint die Zeit nicht ferne zu liegen, wo auch in der An-
thropologie eine Anpassung der Untersuchungsmethoden an das
thatsächliche Bedürfnis Platz greifen wird. In diese neue Richtung
der Schädeluntersuchung trachtet in neuester Zeit Sergi*) einzu-
lenken; er versucht es, seine Untersuchungsmethode, welche er die
morphologisch-zoologische nennt, auf rein naturwissenschaftlichen
Grundsätzen zu fundieren und geht von dem Prinzipe aus, dass der
Schädel seiner äusseren Form nach betrachtet werden solle. In-
dem er eine Reihe von bestimmten, schon äusserlich leicht erkenn-
baren Schädelformen (Ellipsoides, Ooides, Pentagonoides etc.) auf-
stellt, verfährt er „wie ein Zoologe; wenn dieser einen neuen Erdstrich
besucht und die dort lebende Fauna studiert, so bestimmt er die
Spezies, Arten, Varietäten, und wo er bekannte Spezies oder Arten
antrifft, wendet er die Nomenclatur oder die Namen an, welche
diese erhalten hatten; so hat er ein Mittel, auch die geographische
Verbreitung der Tiere kennen zu lernen." Diese neue Methode hat
Sergi zuerst in seiner unten angeführten Studie über die Ur-
bevölkerung Europas dargestellt und in praktische Anwendung ge-
bracht; ihre ausführliche Schilderung behielt er sich für seine
späteren Werke „L'Africa" und „Arii e Italici" vor.
Als Sergi zum ersten Male mit seiner Methode in die Öffent-
lichkeit trat, stiess er auf eine Reihe von Angriffen; darin liegt das
Zeichen ihrer Diskutabilität. Heute wird sie bereits als eine wert-
volle Vervollständigung der Kraniometrie anerkannt. Auch sie be-
sitzt natürlich ihre Mängel; so bleibt z. B. die von Sergi ange-
nommene Persistenz der Schädelform erst zu beweisen. Wenn
auch die Sergi'sche Methode noch immer nicht einen Ersatz der
bisherigen kraniologischen Methoden zu liefern vermochte, so be-
deutet sie gewiss einen Schritt zum Besseren.
*) G. Sergi. Ursprung und Verbreitung des mittelländischen Stammes.
Leipzig 1897.
B. Kelerale. 1. Etlmoloyie und Ha.s.senkuiide. 2U5
ß. Referate.
I. Ethnographie und Rassenkunde.
a. Allgemeines.
197. Daniel G. Brintoii: Religioiis of primitive peoples. Now-
York und London. G. P. Putnam's Sons. 1897. 254 S.
Das vorliegende Buch bildet die zweite Serie der American Lectures
on tlie History of Religions, die seit einiger Zeit von dem American Com-
mittee for Lectures on the History of Pieligions veröffentlicht werden.
Die erste Vorlesung erörtert die Methoden zur Erforschug der Re-
ligionen, nämlich die geschichtliche, die vergleichend-ethnologische und die
psychologische; letztere vervollständigt das Studium, denn nur die Gesetze
des menschlichen Denkens können dessen Produkte erklären. Das Vor-
handensein solcher von Zeit und Ort unabhängiger Gesetze erklärt es,
dass sich in den Religionen der Naturvölker aller Zeiten und Orten so
viel Übereinstimmungen finden, während Unterschiede nur Zufälligkeiten
ihre Entstehung verdanken. Der Begriff Naturvolk — primitive people —
wird in der bekannten Weise erläutert, der Unterschied zwischen Religion
und Glaube betont; der Glaube (z. B. an Gott, an die Unsterblichkeit der
Seele) macht die Religion nicht aus, oder .- ist nicht identisch mit Religion.
Es giebt nicht' ein einziges Glaubensbekenntnis, das von allen Religionen
angenommen wäre; gleichwohl haben sie alle eine gemeinsame Quelle, ein
gemeinsames Ziel und die innigsten Analogieen in der Erreichung desselben ;
die niedrigste Religion hat die Gewalt der höchsten und die höchste ist
nichts weiter als die Vollendung der niedrigsten. Der Ausspruch des
heiligen Augustinus: ,,Res ipsa, quae nunc religio Christiana nuncu-
patur, erat apud antiquos, nee defuit ab initio generis humani", deckt
sich gänzlich mit den Anschauungen der heutigen Ethnologie. Kein Volks-
stamm, sei er noch so roh, entbehrt der "Religion. Die entgegengesetzte
Ansicht entstand dadurch, dass die Missionäre die heidnisch-religiösen
Äusserungen der Naturvölker nicht als solche anerkennen, und dass
andererseits bei vielen der letzteren der Verrat der religiösen Geheimnisse
mit schwerer Strafe bedroht ist. Der Urmensch der paläolithischen Periode
dürfte allerdings keine Religion od^r ihr Ähnliches gehabt haben; auch
gegenüber der Ansicht, dass Tiere religiöser Gefühle fähig seien, verhält
sich der Autor ablehnend. — Der Naturmensch steht ganz ausserordent-
lich unter dem Zwange seiner Religion, mehr als der Culturmensch. All-
tägliche Verrichtungen werden von strengen Ceremonieen begleitet, staat-
liche Einrichtungen sind durch religiöse Vorschriften festgelegt (Tote-
mismus, Tabu).
Die zweite Vorlesung beschäftigt sich mit Wesen, Ursprung und In-
halt der Religion. Die Unzulänglichkeit der älteren Theorien, theosophi-
296 ß- Heferate. 1. Ethnologie und Rassenkunde.
sehen, philosophischen und ethnologischen, wird nachgewiesen; eine be-
friedigende Theorie muss auf alle Religionen sich anwenden lassen; eine
solche formuliert Er. folgendermaassen : ,,Das allgemeine Postulat, der
psychische Ursprung allen religiösen Denkens, ist die Erkenntnis oder die
Annahme, dass ein bewusster "Wille die letzte Quelle aller Kraft ist. Es
ist der Glaube, dass hinter der sinnlichen Welt der Erscheinungen, von
ihr getrennt, und ihr Form, Existenz und Thätigkeit verleihend, die letzte,
unsichtbare und unmessbare Macht einer Seele, eines bewussten Willen,
einer Vernunft liegt, ähnlich der in uns selbst gefühlten; und dass der
Mensch mit dieser Seele in Verbindung steht" (S. 47). Letztere Er-
kenntnis wird dem Menschen nicht durch die Anschauung, sondern durch
innere Empfindungen seiner Seele (besonders in ekstasischen Zuständen)
zu teil; daher ihre Unwiderlegbarkeit gegenüber Verstandesbeweisen. Diese
Inspirationen sollen auf dem Wege der unbewussten Gehirnthätigkeit und
Sinnesfunktionen, mittelst des Unterbewusstseins möglich werden; die
Macht ihrer Wirkung beruht auf einem anderen psychologischen Prozess,
auf der Suggestion, deren Wesen für den vorliegenden Zweck kurz be-
sprochen wird. Beides, die unbewusste Seelenthätigkeit und die Sug-
gestion wirken zusammen, um dem Inhalt der Inspiration zu einem
ausserordentlichen Einfluss zu verhelfen. — In der Ketschua - Sprache in
Peru ist ,,huaca" der allgemein übliche Ausdruck für göttlich, jedoch
wird unter huaca runa ein ,, wahnsinniger Mann" verstanden; eine ähn-
liche Doppelbedeutung hatte das Wort mania im Griechischen, nämlich:
Wahnsinn und prophetische Inspiration. Es sind also für gewöhnlich be-
sondere Seelenzustände, in denen dem Menschen die Beziehung seiner
Seele zu einer ebensolchen anderen, d. h. der göttlichen zu Bewusstsein
kommt, Zustände, in denen es sich weder um besondere Beobachtungen,
noch um logische Prozesse handelt. Die Idee des Übermenschlichen
stammt aus dem unbewussten Vermögen der menschlichen Seele (S. 60).
Interessant ist der Nachweis, den Br. mittelst der bei den Dakotas, den
alten Peruanern und den Südseeinsulanern für das Unendliche und Ausser-
ordentliche gebräuchlichen Worte führt, dass diese Worte, obgleich auf
den Begriff Gott hinweisend, nichts Persönliches enthalten. — Das Traum-
leben und die Wachhallucinationen spielen bei den Naturvölkern, und
speziell in ihrer Religion, eine grosse Rolle. Die Fähigkeit zu Wach-
hallucinationen wird durch Fasten, Genuss narkotischer Pflanzen u. A.
geflissentlich gross gezogen. Das ganze Leben, Wachen wie Schlafen, ge-
winnt dadurch einen träumerischen, einen Scheincharakter. — Gott be-
deutet bei manchen Naturvölkern das Lebensprinzip; sie haben kein Wort
für Sterben, statt dessen nur das Wort ,, getötet werden"; das Leben an
sich ist ihnen etwas Ewiges. Kein Wunder, dass der Grabritus bei
manchen Völkern alle übrigen Ceremonieen so überwucherte, dass man in
diesem erst den eigenthchen Anfang der Religion erkennen zu müssen glaubte.
B. Referate. 1. Ethnologie und Rassenkunde. 297
Die dritte, vierte und fünfte Vorlesimg schildern die primitiven
religiösen Äusserungen, wie sie sich in Sprache, bildlicher Darstellung
und Ritus zu erkennen gegeben haben.
Die sechste Vorlesung schildert die Etappen, durch welche die Re-
ligion die Menschheit zur Kultur und Vollkommenheit geführt hat und führt.
Ihre ersten Produkte smd die primitiven sozialen Verbindungen; Beispiele:
das Totem, die heiligen Vereinigungen, die Priesterschaft, das ceremonielle
Gesetz. Dann folgt die Familie und die soziale Höherstellung des Weibes,
weiter die Gesetzgebung und die Ethik ; bei letzteren beiden wird nicht un-
erwähnt gelassen, wie oft die ,,götthchen" Gesetze mit den irdischen,
durch soziale Verhältnisse geschaffenen Gesetzen und der menschlichen
Moral in Widerspruch stehen. Die Förderung der Wissenschaft durch die
Religion findet nur auf den niedrigsten Stufen der letzteren statt; später
leben beide in beständigem Streit, was auch natürlich sei, denn erstere
schöpft aus der Welt der bewussten Erscheinungen, letztere aus dem
Reich des Uiibewussten. Sie sind beide in ihrem gegenseitigen Verhältnis
incommensurabel. Dagegen war sie von jeher eine Gönnerin der Künste,
die ja ebenfalls in der Tiefe des Gemüts, nicht in der oberflächlichen
Sphäre der Erscheinungen ihre Wurzel haben. — Am Ende dieser Vorlesung
tritt Er. der Frage näher, inwieweit die individuelle Freiheit durch
primitive Religionen gewährleistet wird. Der Wilde ist in jeder
Beziehung Sklave seiner Religion; bei vielen Naturvölkern ist jedoch der
Möghchkeit einer Selbstbestimmung dadurch Rechnung getragen, dass be-
sondere göttliche Eingebungen (Inspirationen, Träume) dem Einzelnen zu
teil werden können, die ihn durch irgend welchen Ratschlag in Wider-
spruch mit den vorhandenen Gesetzen bringen; solchen göttlichen Rat-
schlag darf er natürlich unbestraft befolgen. Liegt daher in den strengen
Religionsgesetzen der Naturvölker hauptsächlich das hohe Streben ver-
borgen, den Menschen zum Gehorsam, zur Selbstkontrolle und Selbst-
beherrschung zu erziehen und ihn daran zu gewöhnen, sich in den Dienst
allgemeiner kommunaler und sozialer Interessen zu stellen — , so hat doch
hier und da auch die freie Persönlichkeit bereits in irgend welcher Ge-
stalt ihre Wurzel geschlagen. Schwieriger erscheint die Frage, wieweit
die Naturreligionen die Glückseligkeit des Einzelnen fördern; hierfür ist
die Bemerkung nicht gleichgiltig, dass die Wilden im allgemeinen sich
im Sterben sehr kaltblütig und indifferent verhalten. — Blutige und grau-
same Opfer hat das Heidentum nicht mehr gefordert als das Christen-
tum; auch die Religionen haben ihre Entwickelung, ihre Blütezeit und
ihren Verfall.
Das Buch ist anregend und in glattem Stile geschrieben.
Oberarzt Bresler-Freiburg in Schi.
9f)g B. Referate. 1. Etbnoloyie und Rassenkunde.
b. Spezielles.
11)8. Edmund Blind: Die Scliädelformen der Elsässischen
Bevölkerung in alter und neuer Zeit. Eine anthropologisch-
historische Studie über siebenhundert Schädel aus den elsässi-
schen Ossuarien. Mit einem Vorwort von G. Schwalbe. Beitrag
zur Anthropologie Elsass - Lothringens, herausgegeben von Dr.
G. Schwalbe, Prof. der Anatomie an der Universität Strassburg.
lieft 1. Strassburg, Karl J. Trübner 1898. 107 Seiten, 10 Tafeln
und 1 Karte.
Unter dem Titel ,, Beiträge zur Anthropologie Elsass-Lothringens" be-
absichtigt Prof. Schwalbe eine Reihe von anthropologischen Abhandlungen
folgen zu lassen, die das Material zur lokalen Erforschung der körper-
lichen Verhältnisse der Elsass-Lothringer, ähnlich wie bereits von Ecker
und Amnion für Baden und von Ranke für Bayern solches vorliegt, der Öffent-
lichkeit überliefern sollen, um daraus eine zuverlässige Grundlage für all-
gemeinere anthropologische Fragen über die Bevölkerung Europas zu
gewinnen.
Die Serie dieser Abhandlungen beginnt mit einer Arbeit, die sich mit
der Zusammenstellung und Beschreibung der vorhandenen Schädelreste der
Bewohner des Landes um die Zeit des 14. — 16. Jahrhunderts beschäftigt.
Es sind dieses im ganzen 700 Schädel aus den Beinhäusern zu Dambach,
Scharrachbergheim, Kaysersberg, Ammerschweyer, Zabern; Lupstein, Epfmg
und Horburg, die Blind nach dem Schema der F. V. gemessen hat. Da-
durch, dass diese Schädel aus Ortschaften stammen, die, abseits von den
grossen Verkehrsstrassen gelegen, auf einen nur schwachen Einfluss von
Seiten fremdländischer Elemente und daher auf eine gewisse Rassenreinheit
der Bevölkerung schliessen lassen, besitzen die Untersuchungen des Ver-
fassers einen anthropologischen Wert. Auf 20 Tabellen finden sich die
Messresultate der einzelnen Schädel (je 23 Messungen, 9 Indices und die
Kapazität) wiedergegeben, soweit das Material und vor allem auch die
äusseren Umstände eine Messung erlaubten. Die Schädelformen bewegen
sich von übermässiger Kurzköpfigkeit in fortlaufender Reihe bis zu massiger
Langköpfigkeit, und zwar so, dass die letztere nur 3 pCt. der Schädel
ausmacht, die Kurzköpfigkeit dagegen nach ersterer hin in progressiver
Weise und an Zahl fortwährend zunimmt. Blind unterscheidet innerhalb
der ganzen Serie 6 Formen: 1. Ultrabrachycephale mit dem Index 92,7;
hochgradig abgeplattetes Occipitale, 2. Hyperbrachycephale mit dem Index
89,4; ebenfalls hochgradig abgeplattetes Occipitale, 3. Hyperbrachycephale
mit dem Index 86,1 uhrglasartig gewölbtes Occipitale, 4. Brachycephale
mit dem Index 80,0; blasenförmig vorspringendes Occipitale, 5. Meso-
cephale mit dem Index 77,6, in den unteren Partieen pyramidenartig
facettiertes, in den oberen blasenartig gewölbtes Occipitale, das im ganzen
B. Referate. 1. Eilirjoloyie und Hassenkiiiule. ^(ji^
stark nach hinten vorspringt, und 6. Dolichocephale mit deni Index 74,0;
vollständig pyramidenartiges, stark vorspringendes Occipitale.
Dieser seiner Hauptaufgabe, der Messung und Analyse der Scliädel
aus den angeführten Ortschaften, schickt der Verfasser eine Untersuchung
über die Veränderung der Schädelformen der elsässisclien Bevölkerung im
Laufe der Vorgeschichte und Geschichte voraus. Die diluvialen Funde aus
Elsass-Lothringen, da sie zum Teil unsicherer Herkunft, zum Teil sehr mangel-
haft erhalten sind (Egisheim und andere Schädelreste der lothringischen
Vogesenabhänge), genügen nicht zur Aufstellung eines besonderen Urtypus.
Zur Steinzeit, deren Funde für das Elsass eine Trennung in eine ältere
und eine jüngere Epoche nicht durchführen lassen, überwiegen die Doli-
choiden vom Cro-Magnon-Typus, jedoch kommen auch, allerdings in der
Minderheit, schon kurzköpfige Formen, die vielleicht mit der Furfooz-
Rasse identisch sind, unzweifelhaft vor. Zur Metallzeit vollzieht sich eine
Umwandlung, insofern jetzt das brachycephale Element das Übergewicht
gewinnt; Verfasser ist geneigt, diesen Umstand der Einwanderung eines
brachycephalen Typus zuzuschreiben und vermutet in den Ankömmlingen
einen Vorschub der Kelten. Keltische Stämme waren mit Beginn der
ersten, sicher verbürgten geschichtlichen Überlieferung in den elsässisch-
lothringischen Gebieten bereits anäässig. Darauf nahmen die Römer von
denselben Besitz. Die Einwanderung der Alemannen und Franco-Mero-
winger brachte ein neues Rassenelement von grosser Reinheit (s. o. Typus 6)
ins Land. Aus einer mehr oder minder starken Mischung dieser entgegen-
gesetzten ethnischen Elemente ging die heutige Bevölkerung hervor. In
den abgelegenen Dörfern des Vogesenabhangs und der Vogesenthäler blieb
indessen das brachycephale Element einigermaassen rein erlialten; aus
diesen stammt das vom Verf. untersuchte Schädelmaterial. Der exquisite
Kurzkopf mit der hochgradigen Abplattung des Hinterhauptes ist der
typische Keltenschädel. Dr. Buschan-Steitin.
199. Eugene Pitard: Etüde de 59 cränes Valaisaiis de la
yallee du llhone. Revue mens, de l'Ecole d'anthropol. de
Paris. 1898. Bd. VII, S. 223.
59 gut erhaltene Schädel Erwachsener aus dem Beinhause der Kirche
zu Saxon-les-Bains auf dem linken Ufer der Rhone (Valais Infericure), die
wahrscheinlich frühestens aus dem 15. Jahrhundert stammen, gaben das
Material für die vorliegenden Untersuchungen ab,
Die Schädel weisen die Eigenschaften des sog. alpinen Keltenschädels
auf. In der Norma verticalis erscheinen sie sehr deutlich kugelig, gegen
die Scheitelhöcker zu ist die sphärische Form besonders ausgesprochen;
zumeist treten die Jochbogen sehr wenig hervor oder sind überhaupt nicht
sichtbar. Von vorn erscheint der Schädel hoch und nach oben zu sich
deutlich verbreiternd. Die ziemlich weit von einander abstehenden Stirn-
300 ß- Referate. 1. Ethnologie und Rassenkunde.
höcker sind deutlich ausgeprägt; die Stirnregion tritt oft deutlich hervor.
Die Arcus supraciliares sind im allgemeinen nur in massigem Grade vor-
handen, sie treten mehr an ihrem nasalen Ursprünge hervor. Die Schläfen-
beine erscheinen besonders in ihrer hinteren Partie, die sehr deutlich
vorspringt, hervorgewölbt. Augenhöhle und Nasenöffnung bieten nichts
besonderes. Die Interorbitalbreite ist für gewöhnlich ziemlich gross. Im Profil
erscheint die Stirn grade, die Sagittalkurve verläuft bis zum Lambda in
einer harmonischen Ellipse und fällt vom Obelion bis zum Inion steil ab;
manchmal bildet das Hinterhaupt auch einen leichten Vorsprung in seiner
oberen Partie. Die Nasenbeine springen im allgemeinen wenig vor. In
der Hinteransicht bilden die Grenzen des Schädels ein Pentagon, was
manchmal recht deutlich zu Tage tritt (auch am Disentis-Schädel von His
und Ruetimeyer hervorgehoben). Von unten gesehen zeigen sich die
Warzenfortsätze massig entwickelt, die Hinterhauptkondylen ziemlich von
einander entfernt, das Basilarstück des Occipitale ziemlich deutlich ge-
krümmt. — Von den 59 Schädeln w^aren 69,49 pCt. brachycephal,
18,64 pCt. subbrachycephal, 8,47 pCt. mesocephal, 1,69 pCt. subdolicho-
cephal und ebensoviel dolichocephal. Des weiteren stellt Verf. bezüglich
der üblichen Indices einen Vergleich mit den sonstigen Serien der Schädel
vom sog. Keltentypus an (Schädel von Naters in Haut-Valais [Pitard],
Saas im Grund, Daves, Poschiavo [Scholl], Auvergnaten [BrocaJ, Savo-
yarden [Hovelacque] etc.). Er findet, dass die Schädel von Saxon grosse
Verwandtschaft mit den Savoyardenschädeln besitzen, wie sie Broca, Hove-
lacque und Herve beschrieben haben , sowde dass unter ihnen eine so
grosse Einförmigkeit, wie unter denen von Naters nicht herrscht.
Dr. Bus chan- Stettin.
200. 0. Montelius: The Tyrrhenians in Oreece and Italy.
Journ. of the anthropol. Instit. of Great Britain and Ireland.
1897. Bd. XXVI, S. 254.
Die mykenische Kultur ist vom Euphrat - Thal her durch das Reich
der Hittiten bis an die westlichen Küsten Asiens und die südöstlichen
Teile Europas importiert worden. Verf. zeigt an mehreren archäologischen
Thatsachen, dass diese Hypothese die richtige ist, und dass die Mykenier
wirklich aus Kleinasien kamen und nicht aus Phönizien oder Ägypten, ob-
wohl Spuren eines Einflusses von selten der Kultur dieser Länder auf
die mykenische vorhanden sind. Die Mykenier sind auch keine Hittiten,
obwohl sie von diesen beeinflusst wurden. Von den griechischen Schrift-
stellern werden sie Pelasger oder Tyrrhener und manchmal Carier oder
Leleger genannt. Alle diese Bezeichnungen entsprechen den Trägern der
niykenischen Kultur.
Die Pelasger oder Tyrrhener bildeten nicht die grosse Maasse der
Bevölkerung Griechenlands vor den Hellenen, sondern sie lebten in ge-
B. Referate. 1. Ethnologie und Rassenkunde. 3Qj^
wissen Teilen des Landes mitten unter der eingeborenen Bevölkerung, die
nicht vernichtet worden war. Sie wurden aus Griechenland durch die
dorische Einwanderung vertrieben. Einige von ihnen siedelten nach
Lemnos über, wo sie noch 500 v. Chr. ansässig waren, andere kelirlen
nach den Küsten Kleinasiens zurück, noch andere wanderten nach Sizilien
und Italien aus, wo sie zahlreiche Kolonieen im Gebiet zwischen Tiber
und Arno gründeten. Dort waren sie, wie in Griechenland, höher in der
Kultur, aber geringer an Zahl als die früheren Bewohner, die sich mit
ihnen vermischten. Sie werden immer noch von den Griechen als Tyr-
rhener, von den Römern aber als Etrusker bezeichnet. Diese Identität der
Etrusker mit den Tyrrhenern wird durch die Überlieferung und durch
die archäologischen Thatsachen bestätigt.
Während des Bronzealters findet man nämlich keinen Unterschied
zwischen Nord- und Centralitalien. Aber mit dem ersten Erscheinen des
Eisens machen sich grosse Unterschiede zwischen den Gebieten nördlich
und südlich des Apennin bemerkbar. Im Norden setzt die Kultur die
angefangene Entwickelung regelmässig fort: man findet immer nur Brand-
gräber. Dagegen in Centralitalien sind die Leichenbestattungen sehr zahl-
reich; sie weisen grosse Ähnlichkeiten mit den Grabdenkmälern des
mykenischen Kulturkreises in Griechenland auf. — Wenn wir alle diese Er-
gebnisse kurz zusammenfassen, dann können wir sagen, dass die my-
kenische Kultur eine ältere Stufe der nach Europa gebrachten orientali-
schen Kultur darstellt, während die etruskische eine jüngere Phase der-
selben Kultur ist. Dr. L. Laloy- Paris.
201. M. de la P. Graells: E studio historico-etnografico sobre
los sucesivos polbladores de la peniusula iberica. (Der
geschichtlich - ethnographische Abschnitt umfasst die Seiten 589
bis 633). Fauna mastodologica iberica. 1897. In 41 806 S.
22 (Kindische, Referent) Zeichnungen.
Eine Arbeit, die ausschliesslich auf einer, noch dazu unvollständigen
Kenntnis der lateinischen und arabischen Litteratur basiert und nur folgende
vom Verf. selbständig aufgestellte Behauptungen enthält: Die Araber be-
sitzen einen im höheren Grade sphärischen Schädel, als die übrigen
Menschenrassen. Die Zigeuner haben ihren ursprünglichen Typus rein
bewahrt. Die Basken besitzen kurzes Kopfhaar (weil sie seit 2 Mensclien-
alter wie die Jungen geschoren werden ; unsere Grossväter trugen die Haare
noch lang bis auf die Schultern, Referent) und vorspringende — dieses
zwar nicht, aber nach vorn tiefliegende und nach der Seite vorstehene
(d. h. grosse Jochbogenbreite), Referent — Wangenbeine; sie stammen von
den Georgiern ab. Die Portugiesen besitzen eine seitlich mehr oder weniger
gewölbte Stirn und sprechen einen Dialekt, der ebenso wie das Galizische,
nur eine Korrumption des alten Kastilianisch vorstellt. Die von Fischer
302 ß- Referate. 1. Ethnologie und Rassenkimde.
(Synopsis mammalium. Stuttgart 1829) Homo pelasgius benannte Rasse
bewohnt die Küsten Kataloniens, die von ihm Homo celticus benannte
Rasse umfasst alle anderen Spanier (Hispaner, Vasconen etc.). Dessen-
ungeachtet bringt der Verfasser am Schlüsse die ethnographische Karte
Prichards und eine von ihm selbst in der Weise abgeänderte, dass er auf
ihr den Unterschied zwischen der unvermischten iberischen Rasse und der
der Georgio -Iberer (die letzteren zwischen Bilbao, Cameros, Soria, Albar-
racen und Castellon einerseits und San Sebastian, Pamplona, Huesca,
Lerida und Taragona andererseits) zur Darstellung bringt, ferner die Var-
dula im Roncal, die Pelasger in Rosas, die Phönizier in Barcelona und von
Castellan bis Cadiz. Brof. Dr. Telesforo de Aranzadi-Granada.
'20'^. Yictor Bartenew: Im äusserstcii Nordwesten von Sibirien.
Skizzen aus dem Gebiet von Obdorsk. St. Petersburg. 1896.
154 S. 80.
Obdorsk, ein kleiner Ort, gelegen an der Mündung des Ob-Flusses,
ist neuerdings häufiger genannt worden als bisher, infolge der wiederholten
Versuche, vom Ob und vom Obischen Meerbusen aus in das Eismeer zu
gelangen. Um nun das grosse Publikum mit diesem Ort und dessen Um-
gebung näher bekannt zu machen, hat der Verf., der 4 Jahre in Obdorsk
gelebt hat, die vorliegenden Skizzen entworfen. Das Büchlein ist lebhaft
und anziehend geschrieben ; der Inhalt beschäftigt sich, wie zu erwarten
war, insbesondere mit den verschiedenen in dem Gebiet von Obdorsk
lebenden sibirischen Eingeborenen: Syrjänen, Samojeden, Ostjäken und
deren Sitten und Gebräuchen, vor allem mit dem Schamanismus. Die
Beziehungen der Russen zu den Eingeborenen, die Einflüsse, die die Ein-
geborenen auf die Sitten und die Sprache der Russen ausüben, werden
geschildert. Dieser Theil der Skizze gewinnt dadurch besondere An-
ziehung, weil der Verf. der Thätigkeit des Kasan'schen Professors Jacobi
gedenkt, der sich mit der Erforschung jener Völkerschaften seit langer
Zeit beschäftigt. Abgesehen von den ethnographischen Schilderungen giebt
der Verf. Auskunft über das Land, über das Klima, über die Lebensweise
der Russen, sowie über die Beschäftigungen mit Fisch- und Jagdgewerbe.
Frof. Dr. L. Stieda- König sherg.
203. A. G. Roshdestwenski: Materialien zu einer Lehre von
dem physischen Typus der Tschuktschen und Lamuten.
Nach Messungen von A. W. Olsufjeff. Schriften der Amur-
Sektion der Kaiserl. Russischen Geographischen Gesellschaft.
St. Petersburg 1896. Bd. II, Heft 1.
Nachrichten über Tschuktschen und ähnliche Nomadenstämme des
arktischen Asiens besitzen wir bereits seit mehr als ^% Jahrhunderten,
allein noch immer besteht keine Gewissheit, wohin alle diese Völker-
B. Referate. 1. Ethnologie und Rassenkunde. 303
Schäften zu rechnen sind, ob sie thatsächlich der grossen Gruppe der
Mongoloiden angehören, wie man besonders nach den bekannten linguisti-
schen Feststellungen von Castren zu vermuten veranlasst war, oder ob
eine besondere Hyperboräerrasse im Norden des alten Kontinents ange-
nommen werden muss (Middendorf). Diesen alten Streit will auch Verf. nicht
entscheiden, glaubt aber wegen der Spärlichkeit des bisher vorhandenen
thatsächlichen anthropologischen Materiales mit seinem kleinen Beitrage
auf Anerkennung der Fachkreise rechnen zu dürfen. Diese letztere wird ihm,
wiewohl es sich in der Arbeit nur um 14 Tschuktschen und 9 genauer
beobachtete Lamuten handelt, nicht abgesprochen werden dürfen, wenn
man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten es die Forscher in jenem hohen
Norden zu thun haben und wie ausserordentlich gross die Abneigung
halbwilder Nomaden gegen jede wissenschaftliche Beobachtung an ihrem
Körper ist.
Unter den Tschuktschen scheint geringe Körpergrösse im ganzen
selten vorzukommen, über 64 pCt. der Gemessenen erweisen sich vielmehr
als ein hoher Menschenschlag (zwischen 1650 und 1700 mm); als mittlere
Körpergrösse fand sich 166,04 cm, als Maximum 1761, als Minimum
1520 mm. Die kleinen Leute sind wahrscheinlich weiblichen Geschlechts
gewesen, doch ist dies aus der Arbeit nicht bestimmt ersichtlich. Als
absolute Grösse des Kopfes nimmt Verf. die Differenz zwischen Vertikal-
projektion des unteren Kinnrandes und ganzer Körperlänge an. Bei den
Weibern ist dieselbe, wie nicht anders zu erwarten, bedeutend geringer
als bei Männern, da sie ja der Körpergrösse proportional geht. Ihr Mittel
beträgt 203,6 mm, ihr Maximum 230, ihr Minimum 175 mm. Auch die
relative Kopfgrösse, deren Mittel 12,22 pCt. betrug, steht in Abhängigkeit
von der Körpergrösse, doch ist das Verhältnis hier ein umgekehrtes. Nach
der Länge und Breite des Kopfes bezw. nach dem L.-B. -Index entfällt die
überwiegende Mehrzahl der gemessenen Individuen (11 von 14) auf das
Gebiet der Brachycephalie (über 80), eins ist mesocephal, zwei subdolicho-
cephal. Dass eine Mischung stattgefunden, wie Verf. annimmt, ist sehr
wahrscheinlich. Zwei der dolichocephalen Köpfe gehörten Tschuktschinnen
an. — Die kleinste Stirnbreite maass im Mittel 116 mm, es überwiegen aber
die grossen Werte (110 — 120). Das gleiche Mittel der Tschuktschinnen
berechnete sich auf 112,7 mm. — Die Gesichtslänge der Weiber ist er-
heblich geringer, als die der Männer, das $ Maximum erreicht nicht ein-
mal das Mittel von J.
Den Tschuktschen gegenüber sind nun die Lamuten vorwiegend
kleine Leute; ihre mittlere Körperhöhe erreicht nur 158,77 cm und nur
4 von 9 Lamuten waren länger als 1600 mm. Es überwiegt bei ihnen
Mesocephalie mit nur 1 Brachycephalus, aber 3 Langköpfen unter 9. Sie
neigen also stark zur Dolichocephalie. Auch ihre zygomatischen Durch'
messer sind bedeutend geringer als bei den Tschuktschen.
3Q4 B. Referate. 2. Urgeschichte.
Soll aus alledem überhaupt schon jetzt etwas abgeleitet werden, ehe
noch grössere Untersuchungsreihen vorliegen, so würde sich die mongolische
Rassenzugehörigkeit der Tschuktschen vollauf bestätigen. Denn das scheint
heute zweifellos zu sein, dass Brachycephalie neben niederer Stirn eines der
sichersten und konstantesten Merkmale der mongolischen Völker bedeutet.
Die Lamutcn aber, die von vielen als tungusischer Volksstamm hingestellt
werden, bleiben ilirer anthropologischen Zugehörigkeit nach noch rätselhaft,
eine Eigentümlichkeit, die sie mit noch vielen anderen Stämmen des weiten
Asiens gemein haben. Dr. B. Weinherg-Jurjeff (Dorpat).
2. Urgeschichte.
a. Allgemeines.
204:. J. Fraiponi: La race ^,i"*aginaire" de Cannstadt ou de
Neanderthal. Bull, de la Soc. d'anthrop, de Bruxelles. 1896.
Bd. XIV, S. 32.
In scharfer Polemik wendet sich Verf. gegen die auf der Anthro-
pologen-Versammlung zu Ulm (1892) besonders von Virchow aufgestellte
These, dass eine ,, Cannstadt- oder Neanderthalrasse" ein Hirngespinnst
sei und dass man daher endgiltig diese Bezeichnung fallen lassen müsse.
Er führt aus, dass, wenn auch die Fundstücke, die aus diesen beiden
Orten herstammen, nicht einwandfrei wären, man in Anbetracht der zahl-
reichen, übrigens bezüglich ihres Alters zumeist ganz einwandfreien ähn-
lichen Funde das Vorhandensein einer Rasse mit gut ausgeprägten so-
matischen Eigenschaften nicht in Abrede stellen dürfe. Wenn heutigen
Tages es noch Leute gäbe, die den gleichen Typus wie diese darböten,
dann wäre diese Erscheinung einfach als Rückschlag zu deuten. Von den
bekannteren Funden, deren diluviales Alter durch die fast stets dabei
gefundenen Knochenreste des Mammut, Rhinozeros, Höhlenbären, Höhlen-
löwen etc. bezeugt w^ird, zählt Verf. die von Lahr, Staegenaes, La Denise,
Moulin - Quignon, Grenelle, Arcy-sur - Eure, Naulette, Goyet, Eguisheim,
Clichy, Brüx, Schipka, Tilburg, Gourdon, Malarnaud, Brunn und Spy auf, wo-
bei er auch kurz eine Schilderung der geologischen resp. archäologischen
Verhältnisse jedes einzelnen Fundes giebt; etwas eingehender bespricht er
die Stratigraphie von Spy. Er giebt seiner Verwunderung Ausdruck, dass
alle diese Funde den deutschen Anthropologen entgangen wären und hält
auf Grund der zahlreichen Knochenreste an der Behauptung fest, dass zur
Quarternärzeit in Belgien, Frankreich, England, Italien, Österreich etc.
eine wohl charakterisierte Rasse gelebt habe, die einen einheitlichen Typus,
nämlich den von Hamy als „Cannstadt- oder Neanderthalrasse" benannten,
besessen hat. J)r. BuscJian-Stettin.
B. Heferate. 2. üryeschiclite. 3Q5
205. S. Schwalbe: Über die Schädelformen der ältesten
Menschenrassen mit besonderer Berücksichtii^ung des
Schädels von Egisheim. Mitteilungen der philomathischen Ge-
sellschaft in Elsass - Lothringen. 1897. Jahrgang V, Heft 3,
S. 72—85.
In der vorliegenden kurzen, aber inhaltsreichen Mitteilung, die einen
Teil der Vorstudien zu einer Abhandlung über den Pithecanthropus dar-
stellt, prüft der Autor die Stellung des bekannten Egisheimer Schädel-
fragnientes.
Mit Recht tritt Schwalbe wieder für die Existenz einer diluvialen
Rasse ein, und seine streng wissenschaftlich durchgeführten Beweise geben ein
abgerundetes Bild der wesentlichsten kraniologischen Merkmale. Von
dieser Spy-Rasse ( — es ist dies wohl der geeignetste Name, da die Spy-
Schädel am w^enigsten Anfechtung gefunden haben — Ref.) unterscheidet
sich nun das Egisheimer Fragment in so wesentlichen Charakteren, dass
es definitiv nicht mehr zu derselben gezählt werden darf.
Charakteristisch für die Schädel der Spy-Rasse sind eine bedeutende
absolute Länge, verbunden mit ansehnlicher Breite und sehr geringer
Höhe, ferner ein Überwiegen der Glabella-Inion-Länge über die Glabella-
Lambda-Länge^ die fliehende Stirn, der quere Stirnwulst, ausgesprochene
Dolichocephalie, starke Absetzung des supraorbitalen Teiles des Stirnbeins
und bedeutende postorbitale Einziehung.
Der Egisheimer Schädel dagegen besitzt eine weit grössere Calotten-
höhe, eine stärkere Stirn wölbung u. s. w., nähert sich überhaupt in allen
oben angeführten Punkten den Schädeln jetzt lebender Rassen. Von den
modernen Elsässer Schädeln weicht er nur durch seine Dolichocephalie
ab und tritt dadurch in die Reihe der ältesten und dem Elsass bekannten
prähistorischen Schädel, die ebenfalls dolichocephal sind.
Was die so oft angeführten recenten neanderthaloiden Formen an-
langt, so konstatiert der Verf., dass bei denselben niemals alle für die
Spy-Rasse hervorgehobenen Merkmale zusammentreffen und dass über-
haupt von einem häufigen Auftreten solcher Formen in historischer Zeit
keine Rede sein kann.
Die in Aussicht stehende Arbeit des Verf. über den Pithecanthropus,
die wohl diese Frage endgültig entscheiden soll, wird auch noch ein-
gehendere Belege über die anatomische Beurteilung der Spy-Rasse liefern.
Dr. B. Martin-Zürich.
206. K. Gntmann und P. Reinecke: Über prähistorische Arm-
schutzplatten. Correspondenz-Blatt der deutschen Gesellschaft
für Anthropologie. 1897. Bd. XXVIII, Nr. 3.
Der erste Verfasser berichtet über Auffindung einer Armschiene von
Grauwackschiefer mit polierter Aussenfläche und vierfacher konischer
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 20
306 ß- Referate. 2. Urgeschichte.
Durchbohrung in einem (steinzeitlichen?) Skelettgrabe bei Urschenheim,
Kreis Colmar, Elsass. Im Anschluss daran stellt Reinecke die zum Teil
noch unpublizierten Exemplare aus einem Gebiete zusammen, das von den
britischen Inseln und Spanien bis Bosnien, von Griechenland bis Dänemark
reicht. Sie kommen sicher bezeugt schon in neolithischen Gräbern vor,
z. B. bei Hodejitz in Mähren, doch auch in der ältesten Stufe des Bronze-
alters, sodass der weiten Verbreitung im prähistorischen Europa die lang-
andauernde Verwendung entspricht. Ob es damals noch andre Schutzvor-
richtungen gegen den Rückprall der Bogensehne gab, wie sie primitive
Völker noch heute haben, lässt sich noch nicht feststellen.
Frof. Dr. Walter-Stettin.
h. Funde.
OL. Die britischen Inseln.
207. Fourth report of the Dartmoor exploration Committee.
Trans, of the Devonshire Association for the advanc. of
science etc. 1897. Bd. XXIX, S. 145. (10 Tafeln.)
Dieser Bericht enthält die Beschreibung einer Steinreihe im Stall
Moor, einer Niederlassung bei Walkham, die' 43 Hütten enthielt, eines
Steinkreises bei White Moor, der aus 19 grossen Steinen bestand und
einen ungefähren Durchmesser von 20 m hatte (bei wissenschaftlichen
Forschungen wenigstens sollten doch die Engländer ihre ungenauen Be-
stimmungen in Fuss und Zoll weglassen!) Es wurden auch Reste von
Hütten erforscht in Blackslade Down; daselbst wurden Gefässscherben aufge-
funden, die mit tiefen unregelmässigen Linien verziert waren, sowie auch neo-
lithische Feuersteininstrumente. Eine Hütte in Torr Hill ist bemerkenswert,
weil sich der gepflasterte Feuerplatz dicht am Eingang ausserhalb der Hütte
befindet. — Der Bericht enthält schliesslich einige Bemerkungen über die
Keramik von Dartmoor. Sie ist immer von sehr primitiver Beschaffenheit,
ohne Drehscheibe angefertigt, schlecht gebrannt und besteht aus einer
groben Mischung von Thon und Quarzsand. Der Boden der Gefässe ist
selten flach, gewöhnlich konvex. Diese Keramik entspricht genau dem
„Barrow pottery age," d. h. der jüngeren neolithischen Periode und dem
Anfange der Bronzezeit. Die Verzierungen bestehen in Bändern, Punkten,
Fingereindrücken und ZickzackHnien. Die Verfasser haben Analysen vor-
genommen, um festzustellen, ob die Töpfer den Thon aus Dartmoor be-
nutzten, sowie sie ihn fanden, oder ob die Sandbeimengungen künstlich
sind. Ersteres scheint der Fall zu sein, denn der natürliche Thon von
Dartmor enthält denselben Prozentsatz von Sand wie die Thonscherben.
Dr. L. Laloy-Paris.
ß. Referate. ^. Urgeschichte. 307
208. Dayid Christison: Early fortifications in Scotland,
motes, camps and forts. Edinburg und London, W. Black-
wood & Sons, 1898 in 8". 407 Seiten, 137 Abbildungen und
3 Landkarten in Farbendruck.
Die alten Befestigungen in Schottland zerfallen in Umwallungen, grad-
linige Werke oder Lager und bogenförmige Werke oder eigentliche Festungen ;
aber es ist nicht immer möglich, zu bestimmen, zu welcher Klasse jeder
einzelne Fall gehört.
Die Umwallungen befinden sich nicht nur in Grossbritannien, sondern
auch in Frankreich und anderen Teilen Europas. Wenn sie gut ent-
wickelt sind, bestehen sie aus einer künsthchen Erdanhäufung mit steilem
Rand, die früher durch ein Pfahlwerk befestigt war. In anderen Fällen,
besonders in Schottland, wurden dazu natürliche Anhöhen benutzt. Diese
Umwallungen, die in Schottland den normannischen Ausdruck ,,Mote"
führen, sind wahrscheinlich von den Normannen eingeführt worden. —
Die gradlinigen Werke sind älter: sieben, mit Einschluss des Valium An-
tonium, haben sich durch Inschriften und andere Funde als römisch er-
wiesen; fünfzehn andere grosse rechtwinkelige Befestigungen können
auch als römisch angesehen werden, in Anbetracht ihrer Form, niederen
Lage und Ähnlichkeit mit anderen echt römischen Lagern. Noch andere recht-
winkelige EinSchliessungen ohne befestigten Eingang sind von unbekannter
Herkunft; es steht nun nicht ganz fest, dass sie Festungen waren. — Die
eigentlichen Festungen scheinen der Zeit anzugehören, wo die Schotten,
Picten, Britten und Normannen um die Herrschaft kämpften, also dem
Zeitraum zwischen dem VI. und VII. Jahrhundert. Jedenfalls hat man
keinen Bronze- resp. steinzeitlichen Fund daraus zu verzeichnen : alle
Funde gehören der Eisenzeit an. Es herrscht eine grosse Verschiedenheit
in der Bauart dieser Festungen, ohne dass sich jedoch eine progressive
Entwickelung von den niederen zu den vollkommneren Typen bemerkbar
macht. Man kann folgende Klassen unterscheiden : Erdwerke, Wälle aus
Erde mit Steinen vermengt, Wälle aus unbehauenen Steinen, Festungen
aus trockenem Mauerwerk, Terassen-Festungen und verglaste Festungen. Man
hat gesagt, dass die Verglasung eine zufällige sei; das kann aber nicht
der Fall sein, da sie zuweilen im ganzen oder beinahe im ganzen Umkreis
des Walles vorhanden ist. Der Zweck dieser eigentümlichen Bildung
scheint der gewesen zu sein, eine grössere Festigkeit dem Mauerwerk zu
geben; dass aber jenes auf losen Steinen ruhte, war ein Übelstand, der
das Rutschen auf dem Abhang begünstigte.
Die Wälle der Festungen sind gewöhnUch kreis- oder eiförmig; doch
sind die gradlinigen auch nicht selten. Der Hauptsache nach hängt die Form
von derjenigen der natürUchen Anhöhen ab, auf welchen die Festungen
aufgebaut sind ; die Wälle sind oft doppelt und sogar dreifach vorhanden. Von
den Einzelnheiten im Innern der Festungen wollen wir nur hervorheben, dass
3Qg B. Referate. 2. Urgeschichte.
viele derselben kreis- oder hufeisenförmige Plätze enthalten, die im ab-
schüssigen Boden ausgehoben sind und als Spuren von Hütten aus Holz
oder Flechtwerk aufgefasst werden können. Solcher Bildungen giebt es
manchmal bis zu mehreren Hunderten, was auf eine zahlreiche, obwohl
vielleicht nur zeitweilig ansässige Bevölkerung der Festungen hindeutet.
Dr. L. Laloy-Paris.
209. B. Salin: Nagra tidiga former af germanska tornsaker
i England. Vitterhets Historie och Antiqvitets Akademiens
Mänadsblad 1894. Stockholm 1897—1898, S. 23—38. Mit
13 Fig.
Die ältesten germanischen Altsachen, die in England nördlich der
Themse (Cambridgeshire, Bedford, Dorchester) vorkommen, sind durchweg
von Formen, die sonst an der Eibmündung heimisch sind*) und dem Ende
des vierten bezw. dem ersten Anfang des fünften Jahrhunderts angehören.
Darunter ist eine bisher wenig beachtete Fibelform besonders zu vermerken,
die sehr gross, gleicharmig und reich verziert ist. Die in dem genannten
Teil Englands angesiedelten Germanen kamen also offenbar, ganz wie auch
die geschichtliche Überlieferung bezeugt, aus der Eibgegend (zweifelsohne
über See), aber wahrscheinlich schon in etwas früherer Zeit, als die schrift-
lichen Quellen anzugeben wissen. — Südlich der Themse, in Kent, sind ganz
andere Formen vorhanden, die nach dem Süden hinweisen; und diese Ver-
schiedenheit zwischen Kent und den vorher genannten Gegenden besteht
noch bis in das siebente Jahrhundert, wogegen die Entwicklung der
Formen nördlich der Themse viele Parallelismen mit der gleichz'eitigen
skandinavischen bietet. Hieraus scheint hervorzugehen, dass die in Kent
eingewanderten Germanen ganz anderen Stämmen angehörten, als die
nördlich der Themse angesiedelten.
Dr. 0. Älmgren- Stockholm.
ß. Die skandinavischen Länder.
210. 0. Montelius: Sveriges förbindelse med andra länder i
förhistorisk tid. Historiska studier, festskrift tillägnad C. G. ^
Malmström. Stockholm 1897, S. 1—27. ^'
Der Verf. giebt hier einen kurzgefassten Überblick über die Ver-
bindungen Schwedens mit anderen Ländern in vorgeschichtlicher Zeit.
Von der Vikingerzeit rückwärts bis tief in die Steinzeit gehend bespricht
er alle wichtigeren Belege solcher Verbindungen: Importstücke, Kultur-
*) Gewisse von den betreffenden Formen fanden sich auch in Belgien, sowie
in dem nordöstlichen Frankreich (Dep. Aisne und Meuse), wo sie unrichtig „gallo-
romains" genannt werden. Sie sind zweifelsohne auch hier germanisch und aus
der Eibgegend gekommen.
*|
B. Referate. 2. Uryescliichte. 309
einflüsse in Stil, in Bestattungsweise u. s. w., sowie auch die natürlich
■weit spärlicheren Fälle, wo nordischer Import oder Einfluss im Süden er-
kennbar ist. Dieser seit wenigstens 3000 Jahren v. Chr. (Zeit der Dolmen)
nachweisbare Verkehr zwischen dem Norden und dem Süden ging in
älterer Zeit die Westküste Europas entlang, später (vom Ende der Stein-
zeit an) hauptsächlich längs der grossen noiddeutschen Flüsse. Wenigstens
seit dem Anfang der Bronzezeit müssen diese Verbindungen den Charakter
eines völlig regelmässigen, lebhaften Handelsverkehrs gehabt haben; dies
zeigt vor allem der Umstand, dass alle im Norden in vorgeschichtlicher
Zeit benutzte Bronze (NB. als Material betrachtet) vom Süden importiert
sein muss (was auch von Gold und Silber gilt). Diesem Import entspricht
der bedeutende, nachweislich schon während der Steinzeit begonnene Bern-
steinexport vom Norden nach dem Süden. Bei einem so regelmässigen
Handel kann es aber nicht richtig sein, die für den Transport der einzelnen
Importstücke, z. B. aus Italien, nach Südskandinavien nötige Zeit auf
1 — 2 Menschenalter oder sogar auf 1 — 2 Jahrhunderte anzusetzen. Dieser
Transport kann sicher in einigen Monaten, höchstens in 1 — 2 Jahren
erfolgt sein. Verf. vergleicht die jetzigen Verhältnisse in Centralafrika,
wo (wie es Bastian berichtet hat) der Händler aus der Nigermündung
aiif einer nur fünfmonatlichen Reise nach dem Innern des Landes
mit Elfenbeinjägern aus dem fernen Osten zusammentrifft. Aber der Weg
quer durch Afrika ist dreimal so weit wie die Strecke von Triest bis
Hamburg. ,, Also sind wnr berechtigt zu sagen: die vom Süden importierten
Gegenstände können im allgemeinen als gleichzeitig mit den nordischen
Arbeiten, mit denen sie sich zusammen finden, betrachtet werden; und dies
ist für die Möglichkeit einer genauen Zeitbestimmung der vorgeschichtlichen
Perioden des Nordens von der grössten Bedeutung.'' — Im Hinblick auf
den Umstand, dass gewisse archäologische Thatsachen für eine directe
Verbindung zwischen England und Westschweden schon in der Steinzeit
zu sprechen scheinen, bemerkt der Verf. zuletzt, dass der Bau grösserer
Schiffe schon vor der Einführung der Metalle nicht undenkbar erscheint. Noch
im 12. Jahrhundert n. Chr. bauten Skandinavier in Grönland bei Mangel
an Eisen ein Schiff, dessen Planken durch Holznägel aneinander, durch
Sehnen an den Spanten befestigt waren, und segelten damit nach Island.
Dr. 0. Älmgren-Stockholm.
211.0. Adlerz: Fynd af ett stenredskap i Östersjölera. Geo-
logiska Föreningens i Stockholm Förhandlinger. 1897. Bd. XX. S. 87.
Bei Garde im Kirchspiel Skön, unweit der Stadt Sundsvall, Nord-
schweden, fand sich eine Lanzenspitze aus Schiefer vom sog. arktischen
Typus (Antiquites suedoises 52) im untersten Teil einer, wie es scheint,
unverrückten Schicht von Ostseelehra, die 43 m über der jetzigen Ober-
fläche der Ostsee liegt. Dr. 0. Älmgren-Stockholm.
310 B. Referate. 2. Urgeschichte.
212. C. VVibliug: Bidrag tili kännedomen om äkerbrukets
alder i värt Land. Ymer (Zeitschr. d. schwed. Gesellsch. f.
Anthropologie und Geographie) 1897, S. 17 — 20.
Wahrscheinlich ein Zeugnis für neolithischen Ackerbau in Schweden
legt ein Fund ab, den der Verf. bei Svenstorp, Ksp. Hoby, Prov. Bleking,
gemacht hat. In einer Kohlenschicht, die etwa 15 cm unter der Erd-
oberfläche lag, fand er zwei Feuersteinsplitter, den einen mit Spur von
Schleifung, sowie einige gebrannte Thonstücke; an einem von diesen hat
Museums-Assistent Sarauw in Kopenhagen den Abdruck eines Gerstenkornes
erkannt. Dr. 0. Almgren-Stockliohn.
213. C. Wibling: Ulföfynden. Ymer (Zeitschr. d. schwed. Ges.
f. Anthropol, u. Geogr.) 1897, S. 189 — 198. Mit 6 Fig.
In der Gegend von Ulfö, Prov. Smäland, wurden vor längerer Zeit
beim Eisenbahnbau einige Gräberfelder zerstört, die allem Anschein nach
Flachgräber aus der Steinzeit enthielten , eine in Schweden sehr seltene
Erscheinung. Die Funde, die in verschiedene Sammlungen gerieten, sind
teils neolithisch, teils von Formen der ,,Kjökkenmödding"-Zeit. Bei den
Nachgrabungen, die der Verf., zum Teil im Verein mit Prof. Montelius,
vor ein paar Jahren vornahm, wurden nur noch einige wenige Gräber an-
getroffen, die auch sehr wenig ergiebig waren. Sie waren von Mannes-
länge und enthielten Kohlen, Asche und Feuersteinsplitter; nur in einem
einzigen wurden einige äusserst kleine Knochenstücke gefunden. Erst
weitere Funde dürften über diese eigentümlichen Gräber völlige Aufklärung
bringen. Dr. 0. Älmgren- Stockholm.
214. K. Kjellmark: Une trouvaille arch^ologique, falte dans
une tourbi^re au nord de la NMcie. Bull, of the Geol.
Instit. of Upsala. 1896. Vol. III, Nr. 5, S. 14—26. Mit 3 Fig.
Bei der geologischen Untersuchung eines Torfmoores bei Gottersäter,
Ksp. Axberg, Prov. Nerike, hatte der Verf. das seltene Glück, einen prä-
historischen Fund zu machen. Es waren mehrere kleine Bruchstücke
eines verzierten Thongefässes, welche der Finder dem Stockholmer Museum
schenkte, wo sie von Prof. Montelius untersucht worden sind. Zwei ab-
gebildete Stücke ähneln in ihrer Verzierung von parallelen, teils geraden, ^1
teils zickzackförmigen Strichen ganz auffallend einem ebenfalls abgebildeten ™
Gefässstücke , das aus einem Ganggrab in der angrenzenden Provinz
Vestergötland stammt. Der Fund gehört somit in Montelius' Periode III
der jüngeren Steinzeit (Zeit der Ganggräber). Auch die mit Körnern von
Quarz und Feldspat gemengte Thonmasse ist für die Steinzeit charakte-
ristisch. — Der Fund lag 2 m unter der Oberfläche des Moores, 20 cm
hoch in einer mächtigen Schlammschicht, die in einem Binnensee sich gebildet
hat und auf Ablagerungen des Litorinameeres ruht. In derselben Schicht
B. Referate. 2. Urgeschichte. 21 \
fanden sich zahlreiche Früchte von Trapa natans, früher wurden elienda Ein-
bäume angetroffen ; der Verf. vermutet nun, dass das jetzt gefundene Gefäss von
Steinzeitmenschen, die zum Sammeln von Trapanüssen auf dem See herum-
ruderten, mitgeführt, zufällig zerschlagen und dann über Bord geworfen
worden ist. — Schliesslich versucht er eine durch geologische Gründe
gestützte Datierung des Fundes, dessen Alter er auf mindestens 5500 Jahre
anschlägt. Diese Zeitbestimmung übertrifft um etwa ein Jahrtausend
die von Montelius gegebene archäologische. — Die geologischen und bota-
nischen Ergebnisse der Untersuchung können natürlich hier nicht berück-
sichtigt werden. Dr, 0. Älmgren-StockJiolm.
215. H. Hansson: En stenäldersboplats pä Gotland. Svenska
fornminnesföreningens Tidskrift. Stockholm 1897. Bd. X, Heft 1.
S. 1 — 16. Mit 13 Fig.
Ein kurzer Bericht über die vom Verf. im Auftrage der Vitterhets-
Historie- och Antiqvitets - Akademien mit grösster Sorgfalt ausgeführte
Untersuchung eines neolithischen Wohnplatzes auf Gotland. Der Fundplatz
liegt im Kirchspiel Näs, im südlichsten Teil der Insel, 3,5 km vom inneren
Ende der tief einschneidenden Bucht Burgsviken auf einem niedrigen Höhen-
zug, etwa 11,5 m über der jetzigen Meeresfläche. Von der Kulturschicht
wurden etwa 1000 qm untersucht. Es fanden sich hier: 6 Feuerstellen, sehr
zahlreiche Tierknochen, grösstenteils von Fischen, Seehund und Wild-
schwein, mehr vereinzelt von Hund, Fuchs, Hasen, Igel, Hausschwein (?)
und Vögeln herrührend ; über 22 000 Thongefässscherben, darunter sehr viele
mit Gruppen von parallelen Strichen, Reihen von eingedrückten Grübchen
u. s. w. verziert; einige Tausend Feuersteinsplitter, aber nur wenige vollendete
Geräte aus Feuerstein (Pfeilspitzen); etwa 50 geschliffene Äxte und Meissel
aus Diorit oder ähnlichem, davon viele auffallend klein (20 — 30 mm lang
und 12 — 20 mm breit); zahlreiche Harpunspitzen, Angelhaken, Pfriemen
u. s. w. aus Knochen oder Eichhorn. Das merkwürdigste Fundstück ist ein
kanneähnliches Instrument aus Knochen, dessen zwei obere Ecken in die ge-
schnitzten Köpfe eines Menschen und eines Pferdes (?) auslaufen (der
erstere erinnert sehr an die bekannten preussischen Bernsteinfiguren).
Sehr interessant ist der Nachweis mehrerer Bestattungen auf dem Wohn-
platz selbst: einfache Skelettgräber in ganz geringer Tiefe unter der ur-
sprünglichen Erdoberfläche. Bei einer Leiche wurde ein Halsschmuck von
durchbohrten Seehundszähnen gefunden. — Die Funde werden im Staats-
museum zu Stockholm aufbewahrt.
Dr. 0. Älmgren-Stockholm.
216. 0. Montelius: Ett märkligt fynd fran Södermanland.
Svenska förnminnes foreningens Tidskrift. 1897. Bd. X, Heft 29.
S. 189, mit 13 Fig.
312 B- Referate. 2. Urgeschichte.
Bei Juna im Kirchspiel Ytter-Enhörna, Prov. Södermanland, nicht
weit von Stockhohn, hat man drei Sandsteinplatten angetroffen, die auf
der einen Seite eingehauene Figuren ganz im Stil der bronzezeitlichen
Felsenritzungen (Schiffe, Fusssohlen, schalenförmige Vertiefungen) tragen.
Zweifelsohne gehörten die Platten ursprünglich zu einem Steinkistengrab
aus der cältesten Bronzezeit (spätestens um die Mitte des zweiten Jahr-
hunderts V. Chr.). Ein solches Grab mit sehr reichem Bilderschmuck ist
bei Kivik in Schonen noch erhalten; einzelne Platten derselben Art —
Überreste zerstörter Gräber — sind an mehreren anderen Stellen in
Schonen vorhanden. Auch in Norwegen ist ein ähnliches Grab entdeckt
worden. Verf. vergleicht hiermit einige Gräber mit ziemlich analogen Ein-
ritzungen in Deutschland (Göhlitzsch bei Merseburg), in der Bretagne und auf
den britischen Inseln; diese Gräber gehören der spätesten Steinzeit oder
dem Übergange zur Bronzezeit an. ,, West-Europa stand damals, wie der
Norden, unter einem freilich sehr mittelbaren Einflüsse von den Kultur-
ländern des Orients, und es scheint mir recht wahrscheinlich, dass jene
mit Figuren verzierten Steingräber West- und Nordeuropas als barbarische
Nachahmungen solcher mit prächtigen Wandbildern geschmückten Gräber
wie die ägyptischen betrachtet werden können."
Dr. 0. Almgren-Stockholm.
217. F. Baehrendtz: Brousäldersfynd frän St. Dalby i Kast-
lösa socken, Öslaud. Meddelanden fran Kalmar läns forn-
minnesförening I. Kalmar 1898. S 22 — 30, mit 7 Fig.
Der hier beschriebene schöne Depotfund aus der Bronzezeit wurde
1894 bei Stora Dalby im Kirchspiel Kastlösa auf der Insel Öland 0,6 m
tief gefunden und für das Museum zu Kalmar erworben. Er stammt aus
dem Anfang der V. Periode Montelius' und besteht aus einem ,,Hänge-
gefäss", dessen reiche Bodenverzierung eine eigentümliche Abart der
gewöhnlichen Ornamentik zeigt; in dem Gefässe lagen die übrigen Gegen-
stände: zwei ,,brillenförmige" Spangen, ein glockenförmiger ,,Tutulus'S
zwei (Ohr?)Ringe und sieben Sägen. Dr. 0. Almgren-Stockholm.
218. R. Arpi: Meddelanden frän Uppsala universitets museum
för nordiska fornsaker 3. Upplands fornminnesförenings
Tidskrift. Upsala 1896. Bd. III, Heft 18, S. 344—350. Mit
6 Figuren.
Dem kurzen Verzeichnis über die Neuerwerbungen des Universi-
tätsmuseums für nordische Altertümer zu Upsala im Arbeitsjahre 1895
bis 1896 fügt der Verf. einige ausführlichere Mitteilungen über neue
bronzezeitliche Funde aus der Provinz Uppland (vergl. Heft 17 derselben
Zeitschrift S. 223 ff.) zu. Wichtig ist vor allem ein Fund aus Torslunda,
Ksp. Tierp (jetzt im Staatsmuseum zu Stockholm). Hier fanden sich in
i
ß. Referate. 2. Urgeschichte. 313
einer Kiesgrube zusammenliegend ein ,,Flachce]t'' mit liohen Seitenrändern,
eine massive unverzierte Axt mit Schaftloch und eine sehr hübsch ver-
zierte Lanzenspitze, alle mit der schönsten Patina. Der Fund gehört dem
Ende der ersten Periode Montelius' an und ist wahrscheinlich als ein Grab-
fund anzusehen, obwohl von einer Leiche keine Spuren sich feststellen Hessen.
— Von grossem Interesse ist auch ein vom Museum in Upsala erwor-
benes Bronzeschwert von mitteleuropäischem Typus (wie Antiqu. sucd. 156),
o
das bei Ansta, Ksp. Skepptuna, gefunden wurde.
Dr. 0. Almgren-Stockholm.
219. 0. Montelius: Den nordiska jernälderns kronologi. III.
Jernalderns sjette period. Svenska fornminnesföreningens
Tidskrift 1897. Bd. X, Heft 1, S. 55—130. Mit 108 Fig.
Als Fortsetzung seiner früheren Abhandlungen über die Chronologie
der nordischen Eisenzeit (vergl. dieses Centralblatt I, S. 264, II, S. 50)
behandelt der Verf. jetzt die VI. Periode derselben, ,,den frühen Ab-
schnitt der Völkerwanderungszeit'S den er von etwa 400 bis 600 nach
Christi Geburt ansetzt. Er bespricht zuerst die wichtigsten Gruppen der in
diese Periode gehörigen Altsachen: die Fibeln, unter denen zwei Haupt-
formen, die kreuzähnliche und die breite, reich verzierte besonders zu
merken sind; die bekannten Goldbrakteaten, deren älteste Formen Nach-
bildungen von römischen Goldmedaillons aus dem 4., seltener aus dem
5. Jahrhundert sind; andere nordische Goldarbeiten, worüber ausführliche
Fundverzeichnisse mitgeteilt werden; weiter die Schwerter, die aus West-
europa importierten Bronze- und Glasgefässe, die Thongefässe, gewisse
Ornamentsmotive, endlich die römischen und byzantinischen Solidi, welche
für die absolute Zeitbestimmung der Periode von der allergrössten Be-
deutung sind. Diese stammen hauptsächlich aus der Zeit 395- 518 (noch
spätere sind äusserst selten) ; sie sind im allgemeinen nur wenig abgenutzt,
so dass sie nicht lange Zeit in Umlauf gewesen sein können. Ihre lokale
Verbreitung ist auch von grösstem Interesse; sie kommen fast nur in den
östlichen Teilen Skandinaviens vor, besonders auf den drei Ostseeinseln
Bornholm, Öland und Gotland, die älteren vor allem auf Öland, wo da-
gegen die anderswo, besonders auf Gotland, recht häufigen Anastasius-Münzen
auffallenderweise gänzlich fehlen. — Hiernach folgt ein umfangreiches
Verzeichnis grösserer geschlossener Funde, in welchen mehrere Arten der
vorher besprochenen Altsachen zusammen vorkommen (mit oder ohne
Münzen), und durch welche somit ihre relative und absolute Chronologie
erwiesen wird. — Schliesslich zeigt Verf., dass gewisse Fibelformen
dieser Zeit in Süddeutschland und England nur aus dem nordischen
Kulturgebiete stammen können.
Dr, 0. Almgren-Stockholm.
314 B- Referate. 2. Urgeschichte.
220. B. Salin: Ornamentsstudier tili belysning af nägra
föremäl ur Yendelfynden. Upplands fornminnesförenings
Tidskrift. Upsala 1896. Bd. III, Heft 18, S. 235—256. Mit
3G Fig.
Der Verf. weist nach, dass die Tierornamentik der bekannten Funde
von Vendel in Uppland (600—800 n. Chr.) zweierlei Art ist. Die
eine Art zeigt die späteren Entwickelungsstufen der allgemeinen nord-
germanischen Tierornamentik; die andere, die bei Vendel sowohl in ihrem
Anfang, als in ihrem Verfall vertreten ist, hat einen ziemlich verschiedenen
Charakter, lässt sich aber doch recht wohl als eine Umbildung der vorigen
erklären. Andere Forscher haben dagegen die letztere Art aus der irlän-
dischen Tierornamentik hergeleitet; Verf. zeigt indessen, dass gewisse
für die betrefTende nordische Stilart besonders charakteristische Einzel-
heiten, wie z. B. die Form der Köpfe, in der irländischen gänzlich fehlen,
und dass die Ähnlichkeiten dieser zwei Stilarten nur darauf beruhen, dass
sie beide der allgemein germanischen Tierornamentik entsprungen sind.
Denn sowohl die irländische Tierornamentik, als auch gewisse andere in
Irland gleichzeitig verwendete Ornamentsmotive sind, wie der Verf. in sehr
einleuchtender Weise darlegt, unzweifelhaft germanischer Herkunft.
Dr. 0. Almgren- Stockholm.
221. B. Salin: Fynd fran Finjasjöns Strand, Skane. Vitterhets
Historie och Antiqvitets Akademiens Mänadsblad (1894). Stock-
holm 1897-98, S. 84 — 106. Mit 33 Fig.
Der hier beschriebene, im Staatsmuseum zu Stockholm aufbewahrte
Fund ist vor 40 Jahren bei Sjöröd, Ksp. Stoby, Prov. Schonen, am Ufer
des Finja-Sees angetroffen worden. Die näheren Fundumstände sind leider
unbekannt; jedenfalls ist es ein Depotfund gewesen, entweder ein Schatz
(alle Gegenstände sind aus Silber), oder analog mit den grossen dänischen
und schleswigschen Moorfunden. Mit den jüngsten dieser Funde, denen
von Kragehul und Porsker, ist nämlich der Syöröder Fund offenbar ganz
gleichzeitig (um 400 n. Chr.). Alle Gegenstände des Fundes, von denen
mehrere sehr beschädigt sind (z. T. absichtlich), gehören Schwertern an.
Es sind Teile von Schwertgriffen, Ortbänder, Mündungs- und Seitenbeschläge
der Scheiden, weiter Schnallen, Riemenzungen und verschiedene andere
Riemenbeschläge. Die letzteren Sachen waren zweifelsohne an den Schwert-
riemen angebracht ; diese müssen lose über die Schulter gehängt, nicht um
den Leib gespannt worden sein; die eigentümliche Konstruction der
Schnallen, die der Verf. in sehr einleuchtender Weise klarlegt, hat nämlich
eine Verlängerung oder Verkürzung der Riemen nicht gestattet. Die meisten
Fundstücke sind sehr reich verziert, teils in Relief (mit Vergoldung), teils
durch Nielloeinlagen. Die Ornamentsmotive sind: 1. rein klassische Blatt-
ranken, Mäander u. s. w. ; 2. verschiedene Zusammenstellungen einer
B. Referate. 2. Urgeschichte. 315
eigentümlichen krummhornähnlichen Figur, die nach der scldagenden Be-
weisführung des Verf. nichts anderes ist als das negative Komplement der
erwähnten klassischen Blattranke; die von diesem Grundelement gebildeten
Motive sind zwar barbarisch, aber doch von einem starken klassischen Stil-
gefühl beeinflusst; 3. germanische Tierornamente, die teils auf denselben
Gegenständen, wie die vorigen Ornamentsmotive, teils für sich allein auf-
treten. Verf. sondert nun den Fund in zwei Gruppen: die eine, deren
Ornamentik sich durch einen sehr starken Einfluss der klassischen Industrie
und eine sehr scharfe Formengebung auszeichnet, ist nach seiner Ansicht
bei Germanen, die in unmittelbarer Berührung mit den Römern lebten,
entstanden; die andere, mit wenigen Spuren klassischen Einflusses und mit
einer mehr schlaffen Formengebung, betrachtet er dagegen als nord-
germanisch. Was diese Mischung von Erzeugnissen zweier Kulturgebiete
in einem Funde bedeutet, ist eine umfassende Frage, auf deren Erörterung
der Verf. diesmal nicht eingeht; sie hängt mit der Erklärung der grossen
Moorfunde zusammen. Dr. 0. Almgren-StockJiohn.
222. S. Bugge och B. Salin: Bronsspänne med ruDinskrift,
funnet vid SkabersjÖ i Skäne. Svenska fornminnesföre-
ningens Tidskrift 1897. Bd. X, Heft 1, S. 17—29. Mit 8 Fig.
Das Universitätsmuseum in Lund besitzt eine vergoldete Bronzespange,
deren Rückseite eine längere Inschrift in Runen trägt. Sie ist bei Skabersjö
auf Schonen gefunden und wird hier in archäologischer Hinsicht von Dr.
Salin, in runologischer von Prof. Bugge behandelt. Ihre Form ist sehr
einfach: eine grosse rektanguläre Platte, die wahrscheinlich ursprünglich
einem anderen Zweck gedient hat und erst später als Spange eingerichtet
worden ist. Die Oberseite der Platte ist reich verziert, teils mit ge-
flochtenen Bändern, teils mit 15 in einander verschlungenen Tierfiguren,
welche der zweiten von den im Referate Nr» 220 erwähnten Stilarten, und
zwar deren ältester Stufe engehören. Der Verf. bespricht hier noch weiter
diese Stilart. Dass sie durch irländischen Einfluss entstanden sei, ist auch
deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die genannte älteste Stufe derselben
bisher nur im südlichen und östlichen Schweden, sovile auf Bornholm
konstatiert werden konnte; erst die späteren Entwickelungsstufen sind
auch in Dänemark und Norwegen vertreten. Die unzweifelhaft irländischen
Importstücke fanden sich dagegen hauptsächlich an der Westküste Nor-
wegens; sie gehören auch erst der Zeit nach 800 an. Die jetzt fragliche
Ornamentik ist dagegen, wie besonders gotländische Funde zeigen, für das
achte Jahrhundert charakteristisch, und ihre früheste Stufe, die auf der
Spange von Skabersjö vertreten ist, muss in die Zeit um 700 angesetzt
werden. — Prof. Bugge deutet die Runenschrift der Spange, die in Vers-
form abgefasst ist, folgendermaassen: ,,Es vermehrte sehr meinen Reichtum
diese (Spange) zu erwerben, denn sie ist sehr kostbar; aber ich Assur
31G B. Heferate. 2. Urgescliichte.
habe auch dafür bezahlt. . ." (das folgende ist undeutlich). Nach Sprach-
und Runenformen setzt Bugge die Inschrift in die erste Hälfte des zehnten
Jahrhunderts. Die Spange ^väre also schon zweihundert Jahre in Gebrauch
gewesen, als ihr die Runen aufgeritzt wurden.
Dr. 0. Älmgren-Stockholm.
223. Stateiis Historiska Museum och k. Myntkabinettet. Sam-
lingarnas tillväxt under är 1893. K. Vitterhets Historie
och Antiqvitets Akademiens Manadsblad (1894), Stockholm 1896
bis 1897, S. 6-16 u. 64—67, mit 5 Fig.; 1897/98, S. 39—83
mit 29 Figuren.
Kurzes Verzeichnis über den Zuwachs des historischen Staatsmuseums
und des königl. Münzenkabinetts zu Stockholm in den Jahren 1893 und
1894 mit vielen Abbildungen von Gegenständen aus verschiedenen Kultur-
perioden. Ausführlicher beschrieben ist im Jahrgang 1894 (S. 79 ff.) ein
Grabfund der Vikingerzeit aus Kräkberg, Ksp. Mora, in der an vorgeschicht-
lichen Altertümern ziemlich armen Provinz Dalarne (Dalekarlien) ; der
Fund besteht aus einer reichverzierten Ringnadel von Bronze und aus
verschiedenen Waffen und Pferdegeschirrstücken von Eisen.
Dr. 0. Älmgren-Stockholm.
224. H. Hildebrand: De öster- och vesterländska mynten i
Sveriges jord. Historiska studier, festskrift tillägnad C. G.
Malmström. Stockholm 1897, S. 1 — 18.
Von einer Untersuchung über die zahlreichen schwedischen Münz-
funde der Wikingerzeit gewinnt der Verf. u. a. die folgenden Ergebnisse.
Die Einfuhr der arabischen Münzen hat schon um 800 begonnen, wird
aber erst nach der Mitte des neunten Jahrhunderts — etwa gleichzeitig
mit der Begründung des russischen Reiches durch die Schweden — be-
deutender; die grössten Mengen dieser Münzen sind in der ersten Hälfte
des zehnten Jahrhunderts eingeführt worden; dann nimmt die Anzahl all-
mählich ab; die späteste Münze ist von 1010. — Erst in einigen Funden,
die, nach der jüngsten Münze zu schliessen, im dritten Viertel des zehnten
Jahrhunderts vergraben worden sind, zeigen sich unter den arabischen
Münzen auch abendländische, deutsche und angel-sächsische. Diese bilden
dann in der Folgezeit, bis zur Mitte des elften Jahrhunderts, den Haupt-
bestand der Münzfunde; sie sind offenbar in ungeheuren Massen importiert
worden, besonders die deutschen. — Ganz wenige englische Münzen, die schon
aus der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts stammen, sind indessen auch in
Schweden gefunden, die meisten auf der Insel Björko, wo bekanntlich die
bedeutende Handelsstadt Birka lag. Daselbst wurden auch arabische u. a.
Münzen aus derselben Zeit gefunden, aber die späteren englischen, sowie
die deutschen fehlen gänzlich. Hieraus schliesst der Verf., dass diese Stadt
B. Referate. 2. Urgeschichte. 3j^7
schon einige Zeit vor dem Ausgang des zeimten Jahrhunderts zerstört
worden ist. — Der Verf. betont stark, dass alle Thatsachen darauf hinweisen,
dass diese bedeutende Münzzufuhr während der Wikingerzeit auf regel-
mässigen Handelsverbindungen, nicht auf den Plünderungszügen der Wikinger
beruhte. — Schliesslich bespricht der Verf. die in den Münzfunden zahl-
reich vorkommenden Schmuckgegenstände aus Silber. Diese sind zweifels-
ohne grösstenteils in Schweden angefertigt, obwohl zum Teil nach arabischen
Vorbildern. Dr, Almgren-Stockholm.
y. Deutschland.
225. K. Brunner: Die steinzeitliche Keramik in der Marli
Brandenburg. Ar eh. f. Anthrop. 1898. Bd. XXV, Heft 3,
S. 243 — 296 ; auch als Sonderabdruck. Braunschweig, Vieweg 1898.
Die Arbeit bildet eine wertvolle Bereicherung der Litteratur, durch
welche die Kenntnis der steinzeitlichen Kultur Deutschlands in dem letzten
Jahrzehnt gefördert worden ist. Eingehende Beschreibung, klare Darstellung
und zahlreiche gute Abbildungen veraDschaulichen den Reichtum an Formen
und Verzierungen der Erzeugnisse neolithischer Keramik in dem be-
handelten Gebiet. Die Betrachtung der Gefässformen ergiebt hinsichtlich
ihrer Verbreitung vier Gruppen, von denen drei dem westlichen und dem
mittleren Teile, die vierte dem Nordosten der Mark Brandenburg, dem
Gebiete der unteren Oder angehören. Zu einem ähnlichen Ergebnis führt
die Untersuchung der Verzierungstechnik, deren Hauptelement für die
westlichen Gruppen das Stichmuster, für die nordöstliche der Schnur-Ab-
druck ist. Da beide Ornamente an keiner Stelle der Mark zusammenkommen,
im Gegenteil ein nicht unbedeutender Gebietsstreifen sie räumlich von-
einander scheidet, ist eine voneinander völlig unabhängige Entwickelung
der Hauptgruppen sehr wahrscheinlich. Die Schwierigkeiten, welche einer
chronologischen Bestimmung der einzelnen Gruppen infolge der unvoll-
kommenen Kenntnis der Bestattungsweise und der Grabformen der ein-
zelnen Funde entgegenstehen, überwindet der Verf. durch eingehenden
Vergleich der brandenburgischen Funde mit den in Form und Verzierung
verwandten Gruppen der benachbarten Gebiete. Als Gesamtergebnis ist
das Hervortreten von vier Hauptgruppen in den keramischen Funden der
Mark Brandenburg zu bezeichnen: 1. Als jüngste stellt sich die jüngere
nordöstliche Gruppe, die Gruppe der unteren Oder, dar, mit Skelett-
bestattung (vereinzelt auch mit Leichenbrand) in Flachgräbern und mit in
Form und Verzierung dürftigen keramischen Grabbeigaben, für welche
Schnurornament und Griffleisten an den meist becherförmigen Gefässen be-
zeichnend sind. Unter den Beigaben an anderem Gerät sind Hammer
hochentwickelter Form aus kristallinischem Gestein hervorzuheben. 2. Die
ältere nordöstliche Gruppe mit Skelettbestattung in Steinkammern mittlerer
grosse mit und ohne Hügel, Kugelgefässen mit Stich- und Schnurver-
318 B. Referate. 2. Urgeschichte.
zierung und Feuersteinbeigaben. Mit dieser Gruppe gleichalterig ist die
3., die westliche keramische Gruppe, reich vertreten im Havellande durch
Skelettbestattung in Flachgräbern. Charakteristische Gefässtypen sind Kugel-
flasclie, einhenkelige Tasse und einhenkeliger Krug, verziert mit Furchen-
stich. Die 4., südliche Gruppe, Vielehe durch nasenförmige Henkelansätze
gekennzeichnet ist, lässt sich zeitlich nicht näher bestimmen; Grabfunde
sind noch nicht nachgewiesen. — Den Abschluss der Arbeit bildet eine den
Fundort, die Art der Grabanlage, die Bestattungsform und die Beigaben
enthaltende tabellarische Übersicht über ca. 50 Funde steinzeitlicher Keramik
der Mark Brandenburg, gruppenweise nach der Grabform geordnet.
Dr. F. Deichmüller-Dresdeyi.
226. F. Weineck: Das (jräberfeld bei Schlepzig, Kr. Lübben.
Niederl. Mitteil. 1897, Bd. V, S. 95 — 111.
Auf einer Landzunge, die sich in den Unterspreewald von seinem
Ostrande hineinstreckt, sind die letzten Gräber eines ausgedehnten Urnen-
feldes aufgedeckt worden, 5 m von einander entfernt, mit spärlichem
Steinsatz ausgestattet, unter ihnen eine Familiengruft mit 4 Begräbnissen.
Als Leichengefässe waren gewöhnlich Terrinen mit Kehlstreifen verwendet,
aber auch einmal eine tiefe Schüssel mit spiraligem Rande. Unter den
Beigaben ist eine Flasche mit cylindrischem Halse und B-förmigem Henkel,
ein Pokal mit hohem, nach oben hin stark verengten Standfusse hervor-
zuheben: zu dem Doppelhenkel waren 7 Seitenstücke angeführt. Hierzu
kommen Schälchen, Teller mit facettiertem Rande, Tassen (eine grosse,
bedeckt mit senkrecht gegen einander gestellten dreieckigen Strichgruppen
die auch an anderen Gefässen als Verzierung angebracht sind), mittelgrosse
Henkelflaschen mit spitzem Fusse, Reste von Buckelurnen mit wenig aus-
geprägten Vorsprüngen und ein Krug mit wagerechtem Furchensystem, das
neben den Ösenhenkeln beiderseits quastenförmig heruntergezogen ist. Die
Metallbeigaben: eine kleine Spirale, eine Nadel mit wenig abgeschnürtem Kopf,
eine zweite mit kleiner Platte über einer Anschwellung, ein Teil eines
längs gefurchten Armbandes, ein strickartiger Arm- oder Halsring mit Ösen-
abschluss, 91 Perlen, alles aus Bronze, diese letzteren zum Teil zu 3 — 5
auf einen Bronzedraht aufgereiht, werden dem Ausgang der Hallstattperiode
zugeschrieben, der Zeit vom Anfang des sechsten bis zum vierten Jahrh.
Prof. Dr. Jentsch-Guhen.
227. C. Gunda: Tom Schlösschen bei Seitwann, Kreis Gruben.
Niederl. Mitteil. 1897, V. 1—4, S. 114—116.
Die slavischen Funde, die bei Verwendung des Bodens zu Auf-
schütttungen nach dem Hochwasser der Neisse gewonnen sind : ausser Tier-
knochen und Scherben ein wohlerhaltener dickwandiger, etwas plumper
Topf, 11 cm hoch, mit Doppelreihen unregelmässig gestellter Tupfen und
mit kreisförmigem Stempel im Boden. Prof. Dr. Jentsch-Guhen.
B. Referate. 2. Urgeschichte, 3;[9
228. H. Jentsch: Yorslayische Wohnreste in der Sprucke,
Kreis Guben. Niederl. Mitteil. 1897, Bd. V, S. 116.
Ein mit Steinen ausgelegte, mit Lehm verstrichene Brandgruhe, kessei-
förmig gefüllt mit grauweisser Asche, über und neben ihr viele gebrannte
Lehmkloben mit 20 — 25 cm breiten Eindrücken von Rollfilz, in der Um-
gebung tennenartiger Estrich, jetzt 1 m unter der Erde. Vorslavische
Scherben, u. a. ein dicker Topfboden, bieten für die Datierung die Handhabe.
Brof. Dr. Jentsch- Guben.
229. F. Weineck: Das Urnenfeld bei Tanneberg, Kr. Luckau.
Niederl. Mitteil. 1897, Bd. V, S. 151.
Ein Urnenfeld in der Haide an der kleinen Elster; der Leichenbrand
lag unter dichter Packung ziemlich grosser Steine, in einem Falle durch
die untere Hälfte eines Gefässes bedeckt; dabei terrinenförmige Urnen mit
mehr kugeligem, als konisch erweitertem Körper, blumentopfförmige
Töpfchen und Tassen, ein eimerförmiges Gefäss mit Punktverzierung,
Thonperlen, u. a. eine melonenförmig gerippte; auch ein Feuerstein-
messerchen von 4 cm Länge. Prof. Dr. Jentsch-Guben.
230. H. Schumann: Bronzekeule (Morgenstern) yon Butzke.
• (Pommern). Verhandl. d. Berl. anthrop. Gesellsch. 1897.
Bd. XXIX, S. 241-^246.
Es ist eines jener röhrenförmigen, mit pyramidalen Zacken besetzten
Geräte, deren Zeitstellung bisher noch sehr unsicher war, so unsicher,
dass man sogar in Zweifel sein konnte, ob es sich um vorgeschichtliche
Geräte handelt. Seh. sucht nun nachzuweisen, dass sie in die Bronzezeit
und beginnende Eisenzeit gehören. Von besonderer Bedeutung ist hierbei
die von Prof. Semmler vorgenommene Analyse der Keule von Butzke,
deren Resultat (Kupfer 79,81 7«, Zinn 19,23 7o, etwas Antimon und
Eisen) für die vorchristliche Datierung von besonderer Bedeutung zu
sein scheint.
Seh. unterscheidet 4 Typen: eine transkaukasische Form, eine Über-
gangsform, eine ungarische Form (alle 3 bronzezeitlich) und eine italienische
(eisenzeitlich); als ihre ursprüngliche Heimat sieht er den Orient an.
Dr. A. Götze-Berlin.
231. W. Schwartz: Fundorte Ton Schläfenringen in der Proyinz
Posen. VerhandL d. Berl. anthrop. Gesellsch. 1896. Bd. XXVIII,
S. 538—540.
Berichtigende Bemerkungen zu der von Köhler unter derselben
Überschrift ebenda S. 246 — 251 gegebenen Zusammenstellung (vergl.
Centralbl. f. Anthrop. B. II, S. 149, Nr. 122).
Dr. A. Götze-Berlin.
320 ß- Referate. % Urgeschichte.
232. Lehmaim-Nitsche : Ein Kupferbeil von Augustenhof, Kreis
Wii'Sitz, Provinz Posen. Verhandl. d. Berl. anthrop. Gesellsch.
1897. Bd. XXIX, S. 239—241.
In Ergänzung einer früher zusammengestellten Liste Posenscher
Kupferfunde publizirt L.-N. obiges Beil, einen Flachkelt von der bekannten
rohen Form der Kupferkelte ohne Seitenränder. Die von Herrn Dr. Fischer
gemachte Analyse, deren Resultat mitgeteilt wird, zeigt einen Kupfergehalt
von 99,16 7o. Dr. Ä. Götze-Berlin.
233. Hans Seger: Figurliche Darstellungen auf schlesischen
Grabgefässen der Hallstattzeit. Globus 1897. Bd. LXXII,
Nr. 19 m. 13 Fig.
Bildliche Darstellungen auf prähistorischen Thongefässen waren bisher
eigentlich nur aus der Gegend von Ödenburg in Ungarn (4 Urnen) und
zahlreicher aus Westpreussen-Ostpommern bekannt; jetzt haben sich auch
aus Schlesien auf 7 Gelassen derartige Verzierungen feststellen lassen.
Am interessantesten ist die 1896 dem Breslauer Museum geschenkte Urne
von Lahse, Kreis Wohlau; um den Bauch läuft ein eingeritztes Zickzack-
band mit 16 Dreieckfeldern, von denen ein oberes und alle 8 unteren
Figuren enthalten, über deren Bedeutung man nicht in Zweifel sein kann :
es ist eine in mehrern Scenen dargestellte Hirschjagd. Die Körper der
Menschen und Tiere, Beine, Ohren, Geweihe sind höchst einfach, aber
vollkommen deutlich durch Striche, die Köpfe und Füsse durch rundliche
Eindrücke wiedergegeben. Es erscheinen Reiter auf Pferden, zweimal auch
auf Hirschen, ein Fussgänger mit schussbereitem Bogen, Hirsche einzeln
und in Rudeln, zweimal auch paarweise verbunden etwa in der Brunstzeit;
ein Reiter führt sein Ross zu einer \ förmigen Figur, vielleicht einer
Krippe. Nach Ausweis der Begleitfunde gehört diese Urne in den Ausgang
der Hallstattzeit. Sehr nahe steht ihr eine Urne von Osten, Kreis Guhrau,
mit allerdings nur einer Tierfigur am Bauch. Da sich nun in Schlesien
viele Thonklappern und Gefässe in mancherlei Tierfiguren finden, auf denen
die scheinbar geometrischen Ornamente doch die Gliederung der Schild-
krötenschale, die Federn des Vogels, die Borsten des Vierfüsslers vorstellen,
so dürften die schlesischen Töpfer doch wohl auch nicht nur modelliert,
sondern auch gezeichnet haben. Bei genauerer Betrachtung der vor-
handenen Gefässe scheinen auch wirklich eine Anzahl bisher unerklärlicher
Ornamente unvollkommene Zeichnungen zu sein. Auf die Unterseite einer
gelblichen Schale von Woischwitz ist vielleicht ein schwimmender Wasser-
vogel gezeichnet; dann könnten auf einer rötlichen Schale von Auras
fliegende Vögel in Schwarz dargestellt sein, wie oft in Verbindung mit dem
Radornament. Sonst finden sich Eidechsen und Pflanzen, letztere in der
primitiven Kunst seltener, endlich auf einer schwarzen Schale von Auras
eine Reihe tanzender oder kämpfender Menschenfiguren. Unter Berück-
lli
B, Referalo. i2. IJrt^esfliiclile. ;^o>j
sichtigung unsrer neuerdings bei den Naturvölkern gemachten Beobachtung,
dass die meisten scheinbar geometrischen Ornamente auf tierisclie und
menschhche Formen zurückgehen, wird man eine entsprechende Erklärung
auch weniger deutlicher Darstellungen nicht phantastisch nennen können.
Frof, Dr. Walter -81611111.
234. P. ßeinecke: Der Goldring von Yogelgesang. Schlesiens
Vorzeit in Bild und Schrift. Zeitschrift des Vereins für das
Museum schlesischer Altertümer. Breslau 1898. Bd. VII, Heft 3,
S. 335 — 340. Mit Abbildung und einer Karte.
Im Jahre 1821 wurde auf einem Felde bei Vogelgesang, Kr. Nimptsch,
ein 227 Dukaten schwerer Armring aus hellem Golde gefunden, dessen
offene Enden durch Löwenköpfe mit aufgerissenen Mäulern und prächtige
Palmetten verziert waren. In der Nähe kamen später noch eine ähnliche
,, Goldbarre" von 44 Yj Dukaten Gewicht und zahlreiche Urnenscherben zum
Vorschein. Der grosse Ring wurde für die Königl. Kunstkammer in
Berlin angekauft, aber im Jahre 1841 entwendet und bis auf zwei Bruch-
stücke eingeschmolzen. Diese, sowie ein glücklicherweise vorher her-
gestellter Abguss befinden sich heute im Museum für Völkerkunde in
Berlin. Reinecke untersucht nun auf Grund von Vergleichsmaterial Her-
kunft und Alter dieses seltenen Fundes. Er weist zunächst die Vermutung'
ab, dass es sich um ein von Massalia her eingeführtes Erzeugnis der Früh-
La Teneperiode handle, und gelangt zu dem Resultat, dass wir hier eine
griechische Arbeit vor uns haben, die gleich dem etwa ein Jahrhundert
älteren Funde von Vettersfelde, für einen Skythen angefertigt und vom
Nordufer des Schwarzen Meeres bis nach Schlesien verschlagen worden
sei. Die Grenzen des Skythengebietes sucht der Verf. viel weiter westlich,
als man bis vor kurzem anzunehmen gewöhnt war, und er findet in den
skythischen Altertümern Ungarns und seiner Nachbarländer wichtige
Stützen für seine Auffassung. Weitergehende ethnologische Folgerungen
erhofft der Verf. von einem genaueren Studium der Hallstattzeit in Schlesien
und Westgalizien, namentlich ihrer jüngeren Stufen und ihrer Übergänge
zur älteren La Tenezeit. Dr. H. Seger-Breslau.
235. 0. Mertins: Kupfer- und Bronzefunde in Schlesien.
Schlesiens Vorzeit. 1898. Bd. VII. Heft 3, S. 341—365. Mit
vielen Abbildungen.
Die Frage, welche Rolle das unlegierte Kupfer in der Stufenfolge der
prähistorischen Kultur gespielt habe, ist durch die Untersuchungen von
Montelius, Much, Hampel u. A. in den Vordergrund des Interesses
getreten. Sehr viele Metallgeräte eines frühen Typus, die bisher schlecht-
hin als Bronze gegolten hatten, haben sich durch die chemische Analyse
als reines Kupfer erwiesen und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 21
322 B- Heferate. 2. Uri^eschichte.
den Ländern ihres Verbreitungsgebiets der Übergang vom Stein zur Bronze '
durch eine Periode der Kupferverarbeitung vermittelt worden sei. Für
Scldesien fehlte es bisher an einer Zusammenstellung der einschlägigen
Untersuchungen. Merlins hat nun die an 39 Objekten des Breslauer
Museums teils schon früher, teils erst jüngst auf seine Veranlassung vor-
genommenen Analysen veröffentlicht und die Ergebnisse einer sehr ein-
gehenden Besprechung unterzogen. Ein Vergleich dieser Ergebnisse mit
den verschiedenen Typen bestätigt im allgemeinen den Satz, dass sich der
Zinnzusatz vermehrt, je weiter sich die Form entwickelt. Am besten
lassen sich die einzelnen Stufen dieser Entwicklung an den Äxten oder
Meissein und Gelten verfolgen; die Äxte, die in ihrer Form noch an stein-
zeitliche Vorbilder erinnern, bestehen ausnahmslos aus reinem Kupfer,
während die am weitesten entwickelten Hohlcelte den in der Blütezeit der
Bronzeindustrie üblichen Zinngehalt aufweisen. Dr. H. Seger-Breslau.
236. 0. Mertins: Das Gräberfeld von Ottwitz. Schlesiens Vor-
zeit. 1898. Bd. VII, Heft 3, S. 366—412. Mit vielen Ab-
bildungen.
Der ungeheure Reichtum der schlesischen Gräberfelder an keramischen
Beigaben, verbunden mit den äusserst beengten Raumverhältnissen des
schlesischen Provinzialmuseums hat den Nachteil gehabt, dass man sich
bei fast allen bisherigen Ausgrabungen auf das Sammeln besonders be-
merkenswerter Stücke beschränken musste, während es doch im wissen-
schaftlichen Interesse durchaus notwendig erscheint, den Inhalt aller über-
haupt untersuchten Gräber in möglichster Vollständigkeit aufzubewahren.
Der Umstand, dass dies bei dem Gräberfelde von Ottwitz zum erstenmale
in grösserem Maassstabe durchgeführt ist — wie es in Zukunft dank der
erweiterten Räumlichkeiten des Museums immer geschehen soll — , verleiht
diesen Funden für die Chronologie der schlesischen Urnenfriedhöfe eine
fundamentale Bedeutung und rechtfertigt die Gründlichkeit, womit Mertins
bei ihrer Publikation zu Werke gegangen ist. An und für sich bietet das
in Ottwitz zu Tage geförderte Material an Thongefässen und Beigaben
nichts neues. Es sind die längst bekannten Formen des sog. oberlausitzischen
Typus, denen man auch ausserhalb der Grenzen Schlesiens im ganzen
ostelbischen Fundgebiete begegnet, und die während eines viele Jahr-
hunderte dauernden Zeitraumes nahezu konstant geblieben sein müssen.
Gerade diese Gleichförmigkeit macht aber ein Eingehen auf die bei
scharfem Zusehen immerhin erkennbaren lokalen und zeitlichen Unter-
schiede um so notwendiger. Indem Mertins jede einzelne Gefäss- und
Beigabenform auf ihr sonstiges Vorkommen hin untersucht, gelangt er da-
zu, die relative Zeitstellung des Ottwitzer Gräberfeldes ziemlich eng zu
begrenzen: es gehört nach seiner Datierung an das Ende der jüngeren
Bronzezeit. Dr. H. Seger-Breslau.
B. Keferate. i2. IJrgescbichle. 323
237. H. Seger: Der Fund von Wichulla. Sclilesiens Vorzeit.
1898. Bd. VII, Heft 3, S. 413—439. Mit einer Liclitdruck-
tafel und Abi)ildungcn im Text.
Der Fund von Wichulla bei Oppeln war in der Litteratur bisher nur
aus gelegenthchen Erwähnungen bekannt. Er besteht in einer selir
schönen mit Seeungetümen und Delphinen in Relief verzierten Sil])er-
schale, und einer Anzahl bronzener Gefässe und Geräte von einer Art,
wie sie in Böhmen, Norddeutschland und Skandinavien öfter gefunden
worden sind. Der Verfasser weist nach, dass alle diese Gegenstände alt-
römischer, die silberne Schale vielleicht alexandrinischer Herkunft sind,
und dem Ende des ersten oder dem Anfang des zweiten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung angehören, die Vergrabungszeit des Fundes also etwa
ins zweite Drittel des zweiten Jahrhunderts zu setzen ist. Er stellt ferner
die analogen deutschen und nordischen Funde zusammen und bespricht
die zu ihrer Erklärung aufgestellten Hypothesen, wobei er zum Teil zu
abweichenden Resultaten gelangt. Nach seiner Ansicht sind der Fund
von Wichulla und die ihm gleichartigen aus den lebhaften Handels-
beziehungen zu erklären, die die Römer von der Zeit Neros bis zum Beginn
des Markomannenkrieges mit dem Norden unterhalten haben, und denen
auch die Einführung der grossen Menge römischer Münzen in der Haupt-
sache zuzuschreiben ist. Die bei diesem und ähnlichen Funden be-
obachtete Form von Skelettgräbern mit mauer artiger Steinsetzung für
„römisch" oder überhaupt fremdartig zu erklären, liegt kein Grund vor,
da dieselbe Bestattungsform auch bei ärmlich ausgestatteten Gräbern dieser
Periode im ganzen Norden verbreitet ist. Ein Vergleich des Fundes von
Wichulla mit dem von Sackrau trifft nur insofern zu, als beide wahr-
scheinlich die Lage von Stationen der alten durch Schlesien führenden
Völkerstrasse bezeichnen. Im übrigen sind sie sowohl zeitlich, als auch
was die Art ihrer Einführung betrifft, durch eine weite Kluft getrennt.
Selhstherichf.
238. R. Virchow und Brecht: Ausgrabung auf der Moor-
schanze bei Quedlinburg. Verhandl. d. Berl. anthrop.
Gesellsch. 1897. Bd. XXIX, S. 140-154,
Der von Brecht durch einen Graben geöffnete Hügel enthielt ein
bronzezeitliches Thongefäss (Uneticer Typus) unter einer Holzbohle, ferner
in einer im Mittelpunkte des Hügels befindlichen Aschenschicht einen
isoHert Hegenden Schädel und ein angebhch aus mehreren Skeletten
zusammengesetztes Gerippe. In der Hügelerde lagen an mehreren Stellen
anscheinend neolithische Scherben. Nach Virchows Urteil nun finden
sich unter den Knochen des Skelettes Teile von mindestens 5 Individuen,
manche Knochen sind aber überzählig vorhanden, so dass hinsichtlich der
Angabe, dass es ein zusammengesetztes Skelett gewesen sei, ein Beob-
21*
324 B- Referate. 2. Urgeschichte.
achtungsfehler bei der Ausgrabung vorzuliegen scheint. Nach der
Beschaffenheit der Knochen möchte V. ihnen kein höheres Alter als ein
Paar Jahrhunderte zuschreiben. Dr. A. Götze-Berlin.
239. A. Nehring: Nannocephaler Menschenschädel von Euckan
bei Magdeburg. Verh. d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1896
Bd. XXVIII, S. 405/6.
Der gut erhaltene, wahrscheinlich weibliche Schädel hat einen Innen-
raum von nur 1095 ccm und sehr dicke, durch offene Nähte voneinander
getrennte Knochen. Er ist 158 mm lang, 142 breit und 121 hoch. Im
Verhältnis zu seiner, an und für sich sehr geringen Länge ist er also
ausserordentlich breit (Index 89,9), während die Schädel des Verf. aus dem
westlich von Magdeburg liegenden Reihengräberfelde von Hohnsleben in
Braunschweig dolichocephal sind. Indem Nehring das spurlose Fehlen der
vier Weisheitszähne am Buckauer Schädel durch die Annahme erklärt, dass
sie sich überhaupt nicht entwickelt haben oder früh ausgefallen sind,
worauf ihre Alveolen sich schlössen, spricht er denselben einer völlig er-
w^achsenen Person im mittleren Lebensalter zu, ohne etwas auszusagen über
die hierbei gewöhnlich erwähnte Beschaffenheit der Sphenobasilarfuge. Wie
lange der Schädel in der Erde gelegen hat, lässt sich nicht bestimmen
da keine Beigaben gefunden wurden und die Stirngegend viel jünger aus-
sieht als Hinterhaupt und Unterkiefer. Zum Vergleich bringt Nehring die
Maasse des 1645 ccm fassenden (in geringerem Grade brachycephalen,
84,1 Referent) und mit kolossalen Muskelansätzen versehenen Schädels von
einem Ritter des 12. Jahrhunderts aus Königslutter in Braunschweig.
Dr. Mies-Köln.
240. E. Wilisch: Zur Vorgeschichte des Oybin. Zittau 1897.
%\ 2 Taf.
Der durch seine Naturschönheiten bekannte Oybin bei Zittau in Sachsen
ist neuerdings auch als Fundstätte vorgeschichtlicher Altertümer bemerkens-
wert geworden. Der Verfasser beschreibt von dort \ier Steinbeile, welche
teils auf dem Oybin, teils in dessen nächster Umgebung gefunden sind,
sowie eine Anzahl von Gefässscherben, welche solchen aus den Gräber-
feldern vom ,, Lausitzer Typus*' entsprechen und den Beweis liefern, dass
jener Felskegel schon während der Bronzezeit dem Menschen als Auf-
enthaltsort gedient hat. Dr. J. Deichmüller-Dresden.
241. J. Deichmüller: Eine vorgeschichtliche Niederlassung
auf dem Pfaffensteine in der sächsischen Schweiz. Mit
1 Tafel. Abhandl. der naturw. Gesellsch. „Isis" in Dresden.
1897. Heft II, S. 73.
Der Verf. leitet seine Abhandlung mit den Worten ein: „kaum ein
anderer Landstrich Sachsens, das Erzgebirge ausgenommen, ist so arm an
B. licIcr.iLc. '2. ürue.scliiclitu.
li^fj
Überresten aus urgeschichtliclier Zeit wie das Elbsandsleingohirge. P^is vor
Kurzem waren aus diesem Gebiete weder Gräberfelder nocli Woluislälleii
als Beweise einer Besiedelung desselben in der Vorzeit bekannt geworden;
nur ganz vereinzelte Funde von Eisen- und Bronzegeräten im Thale der
Elbe deuten darauf hin, dass schon damals der Menscli versuchte, längs
des Eibstromes in das unwirtsame Gebirge einzudringen. Neuere Funde
haben jedoch gezeigt, dass einzelne der zum Teil schwer zugänglicben
Felsen schon frühzeitig dem Menschen als Wohnstätte oder vorübergehender
Zufluchtsort gedient haben, wie der beim Königsstein an der Elbe gelegene
Pfaffenstein."
Der Pfaffenstein ist ein isolierter Quadersandsteinfels, wie sie in der
sächsischen Schweiz mehrfach vorkommen. Er erhebt sich mehr als 60 m
über das umgebende Gelände, und seine schroff abfallenden senkrechten
Wände gestatten nur an einer Stelle durch eine enge Schlucht den Zu-
gang zur Hochfläche.
In den Lehmlagern des Pfaffensteins, d. h. in seinen isolierten Piesten
altdiluvialer Schichten, die in Vertiefungen der erodierten Oberfläche des
Felsens zurückgeblieben sind, finden sich nun die Reste einer urgeschicht-
lichen Kultur vor, und zwar über eine ziemlich ausgedehnte Fläche ver-
streut, während in der den Lehm überlagernden Sandschicht keine solche
Überreste vorkommen, ein Beweis, dass der Sand erst später, als der Platz
von seinen Bewohnern bereits verlassen war, durch Regen und Wind
darüber geschwemmt und geweht worden ist. — Ausser Holzkohlenresten
fand man zahlreiche Gefässscherben, von denen nur sehr wenige zu mehr
oder weniger vollständigen Gefässen zusammengesetzt w^erden konnten,
ferner Mahl- und Reibsteine. Metallgegenstände kamen nicht zum Vorschein.
In Form und Material und in Herstellungsweise stimmen die Gefässe voll-
kommen mit denjenigen überein, die als charakteristisch für die älteren
Gräberfelder des Lausitzer Typus angesehen werden. Sie gehören der-
selben Periode an, wie die im nördlichen Flachlande Sachsens und in der
Elbthalniederung thalabwärts Pirna häufigen älteren Urnenfelder, stammen
aber nicht von einem Grabfelde, sondern von einer Ansiedelung her.
Ein auf der Hochfläche des Pfaffensteines befindlicher, im Volksmunde
als Opfer-, Druiden- oder Teufelstein bezeichneter Sandsteinblock erwies
sich nicht als von Menschenhand bearbeitet, sondern verdankt seine eigen-
tümliche Gestalt atmosphärischen Einflüssen.
Am westlichen Fusse des Pfaffensteines, an der Stelle, wo der einzige
Zugang zum Felsen liegt, befinden sich die Überreste eines Walles aus
Sandsteinstücken, der diesen Zugang bogenförmig abschliesst. Der Wall
hat eine Länge von 50— 60 Schritt und eine Höhe von ca. 1 Yj m.
W. Oslorne-Dresden.
320 ^^- Referate. "2. Urgeschichte.
24^2. Adolf Fritze: Die Stöckelhöhle hei Söhustetten. Fund-
berichte aus Schwaben. 1897. Jahrg. V, S. 18—23.
Die Durchforschung der am Fusse des Stöckelbergs östlich Söhnstätten
befindhchen Höhle hat gezeigt, dass letztere dem prähistorischen Menschen
nicht zum dauernden Aufenthalt, sondern von den ältesten Zeiten ab —
wie der Fund eines Feuersteinmessers und einiger Thonscherben vom
ältesten Typus beweisen — bis in spätere Zeit nur als gelegentlicher Unter-
scldupf gedient hat. In der reichen Fauna sind, mit Ausnahme einiger
Knochen und Zähne des diluvialen Wildpferdes, nur recente Arten vertreten.
Dr. Deichmüller-Dresden.
243. Max Bach: Fundchronik vom Jahre 1897. Fundberichte
aus Schwaben. 1897. Jahrg. V, S. 2—7. 2 Abbild.
Als äusserst seltene Erscheinung in süddeutschen Grabhügeln der
Bronzezeit ist beachtenswert der Fund eines Bronzediadems mit Spiral-
enden aus einem Grabhügel der älteren Bronzezeit bei Sigmaringen. Das
Diadem ist durch Aushämmern eines starken Bronzedrahts hergestellt und
mit eingeschlagenen Punktreihen verziert. Dr. DeicJimüller-Dresden.
244:. J, Steiner: Archäologische Landesaufnahme im Jahre
1896 und im Frühjahr 1897. Fundberichte aus Schwaben.
1897. Jahrg. V, S. 7—18.
Mit den hier verzeichneten Untersuchungen ist die im Herbst 1893
im Auftrag und unter der Oberleitung der Direktion der Kgl. Staatssammlung
durch den Verf. begonnene Aufnahme aller bekannten, vor und hinter dem
Donaulimes gelegenen Altertumsbauten von Lorch und Welzheim bis zur
bayrischen Grenze und deren Einzeichnung in die Flurkarten zu Ende ge-
führt worden. Dr. Deichmüller-Dresden.
24:5. F. Quilling: Fränkisches Gräberfeld in Sindlingen a. M.
Mit einer Tafel und 4 Abbildungen. Ann. d. Ver. f. nassauische
Altertumskunde. 1898. Bd. XXIX, Heft 1.
In Sindlingen, 3 Kilometer abwärts von der Niddamündung, bietet
sich der gesichertste Flussübergang im Gebiet des Mainunterlaufs, da der
Ort auf einer hochwasserfreien Erhebung unmittelbar am Flusse liegt, der ^1
früher noch 2 Inseln an dieser Stelle zeigte, und der am Südufer künst- ™
lieh aufgeschüttete Hügel der Martinskirche wohl zur Deckung des Über-
gangs dient«. Nördlich vom Orte wurden seit 1892 bei Neubauten Skelett-
gräber entdeckt, von den Herren Dr. Kuthe und Ingenieur Wehner
untersucht und vom Herausgeber beschrieben. Die Grabfunde zerfallen in
3 Gruppen, je nachdem die Gräber anfangs planlos durchwühlt, dann von
Dr. Kuthe 1895—1897 sachkundig geöffnet, später wieder ohne Aufsicht
ausgebeutet sind ; die Gegenstände sind noch dazu in die Sammlungen von
I
B. llefeiiite. 2. UrgeschicJite. ^^^J
Frankfurt und Höchst zerstreut, so dass dem Herausgeber trotz aller Sorg-
falt die Ermittelung der Zusammengehörigkeit und der Fundumslände nieliL
mehr überall möglich gewesen ist. Untersucht sind 30 Gräber, aussei-
dem mindestens ebenso viele nachträghch nicht mehr aufmesshare durch
Beigaben konstatiert, so dass auf Grund eines bestimmten Reihenschemas,
nach dem die Gräber in regelmässig wiederkehrenden Zwischenräumen
angelegt sind, etwa 500 angenommen und die Grabreihen ver-
mutungsweise in die Karte eingetragen werden konnten, d. h. diejenigen
Gruppen, welche durch nebeneinander bestattete Körper entstanden sind.
Als Abstand ergab sich durch genaue Nachmessungen von Reihe zu Reihe
3,66 m und von Nachbargrab zu Nachbargrab 3,39 m; die Orientierung
weicht um 15 Grad vom geographischen Osten ab, der Umfang des Gräber-
feldes konnte trotz mehrerer Versuchsgräber noch nicht endgültig festge-
stellt werden. Die Toten lagen auf dem Rücken oder nach der Seite aus-
gestreckt, den Kopf nach Osten, ohne Särge in muldenförmigen Gruben
ohne Alters- und Standesunterschiede. Letzteres scheint aus der Art der
Beigaben hervorzugehen, die zwischen ärmlichen Einzelstücken und reichen
Ausstattungen schwanken. Spinnwirtel, ein Thongewicht, zahlreiche Glas-
und Thonperlen, Kämme, Scheren, weisen auf Frauengräber, wogegen die
Kriegergräber allerdings zahlreicher sind mit ihren Schwertern, Messern,
Äxten der verschiedensten Art, Lanzen- und Pfeilspitzen (ein angeb-
lich mitgefundener Köcher ist abhanden gekommen), Gürtel- und Schild-
beschlägen. . Diese Gegenstände sind sämtlich aus Eisen, wie auch
2 Schlüssel und 1 Sporn, während Bronze nur in kleineren Schmuck-
stücken, davon eins in Kreuzform, vorkommt. Von Fibeln fanden sich
mehrere scheibenförmige, eine ,, säulenförmige", eine eiserne, die auf Villa-
novatypen zurückgeht. Auch unter den zahlreichen Thongefässen haben
sich sogar einzelne aus der Hallstattzeit erhalten, andere sind wie eine
Silbermünze des Macrinus römisch ; trotzdem zeigt die Mehrzahl durchaus
fränkischen Charakter etwa aus dem 6. Jahrhundert, gelegentlich treten
schon spätfränkische oder frühkarolingische Formen auf. Auch die Schädel
entsprechen den von Schaaffhausen für den fränkischen Typus auf-
gestellten Merkmalen, und sollte man geneigt sein, wegen der Endung des
Namens Sindlingen auf Alemannen zu schHessen, so wird im Anschluss
an Schibers Untersuchungen durch eine beigegebene Karte von Becher
dargethan, dass SindHngen zwar in vorfränkischer Zeit gegründet sein
mag, dann aber jedenfalls durch Franken besetzt wurde, die es in eine
ansehnliche merowingische Niederlassung verwandelten und das besprochene
Gräberfeld mit ihren Toten belegten. Prof. Dr. Walter -Stettin.
246. Rud. Yirchow: EröffnuDg prähistorischer und römischer
Gräber in Worms. Verhandl. d. Berlin, anthropol. Gesellsch.
1897. Bd. XXIX, S. 464—470.
328 ^- I^eferate. 2. Urgeschichte.
Schöteusack : Uutersuchimg der Tierreste aus dem
Orjiberfelde der jüngeren Steinzeit Ibei Worms. Ebendas.
S. 470—474.
V. beschreibt zunächst die Skelettteile, die aus zwölf der nördlich von
Worms auf der Rheingewann geöffneten 69 neolithischen Gräbern heraus-
gearbeitet worden sind und zwar in mehr oder weniger beschädigtem Zu-
stande wegen ihrer festen Vereinigung mit dem Erdreich. Die messbaren
Schädel, von welchen vier sicher, zwei wahrscheinlich Männern ange-
hörten, sind im Verhältnis zu ihrer Länge schmal mit Ausnahme eines
Schädels, der wohl durch eine mit seiner 5tirnnaht zusammenhängende
grössere Breitenzunahme mesocephal geworden ist. Ein Schädel hat die
ausserordentliche Länge von 201 mm; auch ein anderer wird in An-
betracht der von ihm erhaltenen Bruchstücke als sehr lang bezeichnet.
Die Breitenmaasse sind dagegen klein ; bei zwei Schädeln beträgt die kleinste
Stirnbreite nur 88 mm (also eben so wenig bezw. noch weniger als beim
Pithecanthropus erectus Dub. : Ref.). Von vier Hirnkapseln, deren Höhe
bestimmt werden konnte, erscheinen drei im Verhältnis zu ihrer Länge
hoch, nur eine niedrig. Das Gesicht ist in der Regel hoch und schmal.
Aus der Zusammenstellung der Maasse ergiebt sich, dass V. bei der nach
ihm benannten Gesichtsbreite nicht mehr die Entfernung zwischen den
unteren Enden der Oberkiefer-Jochbeinnähte, sondern den Abstand des
Vorsprungs eines Wangenbeins von dem der anderen Seite misst. Bei
sechs Skeletten fand V. seitlich abgeflachte Schienbeine.
Drei (2J und 1 $), einem römischen Friedhofe (4. Jahrhundert) im
Südwesten von Worms entstammende Schädel und ein weiblicher, einem
fränkischen Reihengräberfelde zu Worms entnommener Schädel sind im
Verhältnis zu ihrer Länge sämtlich mittelbreit und zur Hälfte (die Männer)
hoch, zur Hälfte (die Frauen) niedrig. Bei der Einzelbeschreibung sind
die weiblichen Schädel infolge von Druckfehlern als ortho- bezw. hypsi-
cephal bezeichnet. Die Männer haben nach V. mesoprosope Gesichter.
Die auf dem römischen Friedhofe bestattete Frau hatte ein ausgeprägt
längliches Gesicht. Bei dem fränkischen Frauenschädel, dessen Dach mit
einer Anzahl von flachen Knochenauswüchsen bedeckt ist, konnte der Ge-
sichtsindex nicht bestimmt werden.
Seh. hat die in den neolithischen Gräbern zu Worms gefundenen Tier-
knochen mit Hilfe des in Bern und Mainz aufbewahrten Vergleichs-
materials als Reste vom Urstier, Torfrind, Schaf bezw. Ziege, Edelhirsch
und Hund erkannt. Von diesen Tieren, die beim Leichenschmaus ver-
speist wurden, pflegte man wohl bestimmte Stücke dem Toten mitzugeben,
nämlich vom Ur die Schulter, von den anderen Tieren Extremitätenteile.
Die Überreste des gezähmten Rindes und des Schafes bezw. der Ziege
zeugen davon, dass schon in der Steinzeit am Mittelrhein Viehzucht ge-
trieben wurde. Dr. Mies-Köln.
B. Refeiiilo. i2. IJrye.sehiclite. 3y<j
247. S. Wetzel: Altertümliche Erdarbeilen im Winkel zwischen
Donau und Hier. Württemberg. VierteJjahrsliei'te 1897. Jahr-
gang VI, S. 385—452.
Das zum grössten Teil das Oberamt Laupheim umfassende Unter-
suchungsgebiet zeigt einen solchen Reichtum und eine solche Mannigfaltigkeit
an altertümlichen Erdarbeiten, wie kaum eine zweite Gegend in Württem-
berg: Hochäcker, ein ausgedehntes uraltes Wegenetz und namentlich
Schanzwerke, welche dort allerorts in grosser Zalil vorhanden sind. Die
Hochbeete erstrecken sich über das geneigte und hügelige Land, getrennt
durch breite, vorherrschend in der Ebene liegende, jetzt ungepflügte, in
früherer Zeit aber sicher ebenfalls bebaute Flächen. Unter den Hochäckern
begraben liegen Reste einer älteren Kulturwelt: Wege, welche das Land
nach allen Richtungen hin durchziehen und sich in den Thalmulden als
Dämme, im Gehänge als Gräben und Hohlwege bemerkbar machen, auf
der Höhe aber unter den Hochbeeten verschwinden. Als die ältesten
Erdarbeiten bezeichnet der Verfasser die häufigen Schanzwerke, welche
entweder als Hochschanzen auf den Bergrücken im Winkel zwischen zwei
in einander mündenden Thälern, meist als mehrteilige Umwallungen an-
gelegt sind oder als Wasserschanzen in Niederungen, von Wasser oder
einem breiten Sumpfgürtel umgeben, erscheinen. Diese Erdwerke werden
nach ihrer geographischen Verteilung in dem untersuchten Gebiet eingehend
beschrieben und zum Teil in Grundrissen dargestellt.
Nach den Untersuchungen Wetzeis muss das Land in vorrömischer
Zeit viel intensiver bewohnt gewesen sein, als später oder heutzutage;
dies beweisen die zahlreichen, von der Bevölkerung in der Nähe ihrer
Wohnplätze zum Schutze gegen feindliche Angriffe errichteten Schanzwerke.
Ob dieselben in der La Tene- oder in der Hallstattzeit erbaut wurden,
lässt der Verfasser unbestimmt. Nach der Unterjochung oder Vertreibung
dieser Bevölkerung durch die Römer, welche weniger Interesse am Ackerbau,
umsomehr aber an der Ausdehnung des Handels hatten, überzog sich das
Land mit einem dichten Wegenetz. Nach der Besitzergreifung durch die
Alemannen änderte sich das Bild, Ackerbau und Viehzucht traten in den
Vordergrund, das Land bedeckte sich mit Hochäckern, durch welche ein
Teil der älteren Anlagen, Wege und Schanzen eingeebnet und verwischt
wurde. Entgegen Rankes Ansicht kommt der Verfasser zu dem Ergebnis,
dass die Hochäcker aus nach römischer Zeit stammen und dass die Alle-
mannen, ebenso wie der bayerische Stamm, das Land zuerst gemeinschaftlich
in Hochbeeten bebauten und erst durch den Einftuss des Christentums
zum Übergang in die Bewirtschaftung in Flachbeeten, zum Privateigentum
und zur Dreifelderwirthschaft geführt wurden.
Dr. J. Deichmüller-Dresden.
330 ^- Referate. 2. Urgeschichte.
2tt8. YOii Haxtliauseu : Trichter der Stein- imd Bronzezeit
zu Eiclielsbach, Bezirksamt Obernburg a. Main. Beiträge
zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. 1897. Bd. XII,
Heft 1—2, S. 11 mit 2 Tafeln.
Im Gegensatz zu den Grabfeldern sind vorhistorische Tiefbauten selten
und fast nie zusammenhängend untersucht; diese, seien es nun Gräber,
Feuerstätten, Senkgruben oder ähnliches, unter der Bezeichnung , »Trichter"
zusammengefasst, können aber wichtige Aufschlüsse über die ältesten
Wohnstätten und das Leben auf dem festen Lande geben, das doch nicht
unwichtiger als die Pfahlbautenkultur sein dürfte. Freilich sind sie
schwierig zu erkennen, da sie ohne Abzeichen unter spätem Erdschichten
verborgen sind, und zwar meist unter jetzigen Dörfern oder in deren
nächster Nähe; denn ganz im Gegensatz zu den Hügelgräbern meiden sie
meistens die wasserlosen, sandig-steinigen Höhen, sodass bei rationeller
Pflege der Trichterforschung nun auch statt der wenigen, immer mehr
verschwindenden Hügel das ganze Ackerland in den Kreis der Unter-
suchung gezogen werden muss. Während die Vorgeschichte durch ihre
sonstigen Beobachtungen nur relativ kleine Zeiträume erschloss, öffnet sich
nun der Blick in weitere Fernen und findet Belehrung über Siedelungen
und Volksleben der Vorzeit; da muss z. B. sogleich das Vorurteil schwinden,
der vorgeschichtliche Mensch habe isoliert in seiner Hütte oder Höhle ge-
haust. Vielmehr zeigt schon die Steinzeit dichtbesiedelte, durch Verhaue
geschützte Verbände, die mit ähnlichen Anlagen aus der Bronzezeit den
Spessart und Taunus durchziehen. Bei Eichelsbach sind 154 Trichter
untersucht, längliche Gruben von durchschnittlich 1,07 m Tiefe und 1,6 m
oberer Länge unter 12 cm Humusdecke, in denen teils selbst gebrannt
ist oder anderweitige Brandreste gesammelt sind, so dass sie w^ohl als
Koch- und Heizstellen benutzt sein dürften; ob sie vorübergehend oder
länger benutzt sind, scheint zweifelhaft, doch deuten zahlreiche Mahlsteine
auf Ackerbau und eine gewisse Sessheftigkeit, Spinnwirtel auf Woll- oder
Leinenproduktion und Weberei. Feuersteine, darunter ein unversehrtes
Messer, aber keine paläolithischen Formen, fanden sich mehrfach, von
Steinkeilen 2 Exemplare mit charakteristischer Form, bei dem Fehlen aller
Metalle ein sicherer Beweis für die Ansetzung der Siedelung in die
neolithische Zeit. Auch roh gearbeitete Thonperlen und ein Reibstein mit
Rötel zur Gewinnung von Farbe kamen zu Tage, sonst Scherben von
Trink- und Kochgefässen, wenig Böden und meist nur ein Henkel- oder
Warzenstück; gekocht wurde auf 4 — 6 handgrossen, roh zu einer Platte
zusammengefügten Steinen, und die Töpfe scheinen nicht an Schnüren
über loderndes Feuer gehängt zu sein. Die Siedelung an der Eichels-
bacher Kirche, deren Trichter 2 — 7 m voneinander entfernt sind, bildet
einen 30 m breiten und 220 m langen Gürtel, dessen scharfe Abgrenzung
eine Schutzhecke vermuten lässt und das Bild einer Festung der Steinzeit
i
B. Referate. ^. IJryescJiichle. 33 j
bietet; die planmässige Anlage spricht für eine Genosseiiscliaft mit einlu-it-
licher Leitung, das ganze macht einen harmonischen Totaleindiuck ohne
chronologische Unterschiede.
Südwestlich von diesen neolithischen Trichtern zieht sich eine
1 72 Kilometer lange Zone anderer, zu Gruppen vereinigter aus der Bronze-
zeit hin; die Form ist mehr rund, einmal sind auch gebrannte kannelierte
Thonbrocken vom Bewurf einer Reisigwand erhalten, die auf Hüttenbau
schliessen lassen. Ein Bronzemesser gleicht Schweizer Pfahlbaufunden ;
die Thongefässe zeigen horizontal gestellte Ränder und breite Henkel.
Zwei runde verzierte Thonplatten müssen wohl zum Stempeln (von Teig?)
gedient haben. Die Verzierung des Tupfenstichs am Gefässrande rückt
das Feld an die Grenze der Steinzeit, das Bronzemesser jedenfalls vor die
Hallstattzeit. So sind aus der Kette des Entwicklungsganges der Vorzeit
zwei Glieder an einer Stelle nachgewiesen, von denen die Bronzezeit für
den Spessart bisher unbekannt war. Übrigens ist ein geschw^eiftes unver-
ziertes Bronzemesser auch bei Kl. Wallstadt im Main gefunden.
Prof. Dr. Walter-Stettin.
249. Fr. Weber: Die Hügelgräber auf dem bayerischen
Lechfeld. Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns.
1897. Band XII. Heft 1—2, S. 37, mit 1 Tafel.
Am linken Lechufer liegt dem bayerischen das grössere schwäbische
Lechfeld gegenüber, das vor seiner neuerdings fortgeschrittenen Kulti-
vierung zahllose Hügelgräber enthielt, die unordentlich ausgebeutet wurden.
Erst 1896 — 97 sind die Reste einzelner Gruppen im Auftrage der kgl.
Akademie der Wissenschaften untersucht worden, und die Funde in das Mün-
chener Museum gekommen. Die Hügel lagen in Moorwiesen oder auf trockener
Haide, ein System war in ihrer Anlage nicht mehr zu erkennen, sie hatten
niemals Steinkern und wechselten zwischen 30 cm bis 2 m Höhe; die
Beigaben waren schlecht erhalten, doch zur chronologischen Beurteilung
noch ausreichend; am wenigsten brauchbar erwies sich das somatische
Material.
Aus der 1. Gruppe bei Sand ergaben 2 Hügel Bestattungen mit Resten
von Beschlägen und Nägeln aus Bronze, Messer und Nägel von Eisen,
Scherben unverzierter Gefässe. Aus den teilweise leeren Gräbern der
2. Gruppe bei Unterach ist ein Eisendolch der Hallstattzeit erwähnens-
wert. Das wichtigste Grab der 3. Gruppe bei Oberach, abgebildet Fig. 1,
war ein grosser Hügel von ursprünglich 70 Schritt Umfang, der ver-
schiedentlich angegraben ist und noch erkennen lässt, dass etwa 5 Skelette
gleichzeitg beigesetzt waren, davon 2 in der Mitte; Scherben und eiserne
Nadel weisen dies Grab der La Tenezeit zu. Von der 4. Gruppe bei Au
hat ein früher abgetragener Hügel römische Funde mit einer Münze
Vespasians ergeben, dagegen gehören die 11 Hügel auf einem andern
334 B- Horeiale. 2. ürgescliiclite.
W^iesengruiulslück wieder in die La Tenezeit. In Grab 2 und 7 (mit
Abbildungen) fanden sich je 2 Skelette in ungleicher Lage, dabei einmal
ein sehr grosses Thongefäss, das andere mal eine kleine Henkeltasse in
einer birnt'örmigen Vase, ausserdem Eisenreste; die anderen Hügel ent-
hielten nur Einzelbestattungen und waren wohl wegen der Eisenbeigaben
Männergräber, nur Nr. 9 (s. d. Abbildung) gehörte anscheinend einer
jugendlichen Frauensperson mit Armreif aus Bronzedrähten und Armbrust-
übel von ausgeprägtem La Tenetypus an. Die 5. Gruppe beim Hofe Lindenau
war schon durchwühlt, doch blieb zu erkennen, dass die Bestatteten
Bronzepfeilspitzen und Bronzebuckel auf einem Ledergürtel bei sich gehabt
hatten ; es dürfte eine frühere Phase der Hallstattzeit sein ; Eisen wurde
nicht beobachtet. Endlich wurde von der 6. Gruppe bei Kissing ein Hügel
geöffnet, der bei 2 m Höhe und 90 Schritt Umfang eine Aschenschicht
mit terrassenförmig über einander gepackten bemalten Gefässen enthielt,
wie schon früher untersuchte Gräber aus dem Ausgang der Hallstattzeit
im benachbarten Heilachwalde.
Die Friedhöfe erstrecken sich demnach durch verschiedene Perioden
und zeigen bis auf das letzte Beispiel Bestattung; ihre Anlage in der den
Überschwemmungen ausgesetzten Ebene muss auffallen. Die dazu gehörigen
Ansiedelungen sind auf dem Lechrain zu suchen, die keine sehr wohl-
habende oder keramisch geschickte Bevölkerung voraussetzen lassen. Unter
der Annahme, dass in drei beobachteten Fällen Mann und Frau gleich-
zeitig bestattet wären, wird auf Caesar bell. Gall. VI, 19 hingewiesen und
für die La Tenezeit gelegentliche Tötung der Frau beim Tode des Mannes
vermutet. Prof. Dr. Walter-Stettin.
5. Österreich-Ungarn.
250. Alexander Makowsky: Das Rhinozeros der Diluvialzelt
Mährens als Jagdtier des paläolithischen Menschen.
Mitteil. d. anthrop. Gesellsch. in Wien. 1897. Bd. XXVII,
S. 73.
Obwohl zahlreiche Funde von Zähnen und Knochen der grossen
diluvialen Säugetiere gemacht worden sind, die unzweifelhafte Spuren der
Bearbeitung durch Menschenhand tragen, besteht bei vielen Männern der
Wissenschaft immer noch Zweifel an der Gleichzeitigkeit des Menschen
mit diesen. Diese Zweifel gründen sich auf die Ansicht, dass die Be-
arbeitung durch den paläolithischen Menschen nicht an frischen, von er-
legten Tieren herstammenden Knochen vorgenommen worden sei, sondern
an Knochen, die diese Menschen in dem während der Eiszeit noch vor
dem Auftreten des Menschen erstarrten und später wieder aufgetauten
Boden vorgefunden hätten. Man könne daher bloss von einem Menschen
der Renntierzeit, aber nicht von einem Menschen der Mammutzeit, die
B. Keferate. i2. Urgeschiclite. 3^J3
von der Renntierzeit durch Hunderte, ja Tausende von Jahren geschieden
sei, reden.
Dieser Ansicht tritt M. auf Grund seiner in Mähren gesammelten Er-
fahrungen entgegen. Zunächst weist er darauf hin, dass eine solche l)e-
arbeitung, wie sie an den in Mähren gefundenen Mammut- und Rhino-
zerosknochen vorkommt, nur an frischen oder an direkt aus dem ge-
frorenen Boden entnommenen Knochen (Sibirien) möglich sei, keineswegs
aber an solchen, die längere Zeit in aufgethautem Boden gelegen haben,
indem letztere für eine Bearbeitung viel zu brüchig geworden seien. Für
Mähren wäre ausserdem — mit Ausnahme des Oderthaies, in das das
grosse Nordlandseis eingedrungen war — die Annahme eines durch Jahr-
hunderte währenden Gefrierens des Bodens völlig unerwiesen, ja un-
haltbar.
Einen weiteren Beweis für die Gleichzeitigkeit des Menschen mit
Mammut und Rhinozeros sucht der Verf. durch den Nachweis von Schlag-
marken von eigentümlicher Beschaffenheit an den Knochen dieser Tiere
zu liefern. Diese Schlagmarken sind nämlich an den in Höhlenlehm ge-
fundenen, und infolge dessen besser erhaltenen Knochen viel glätter als
die übrige Oberfläche. Diese Glätte ist durch das Schlagen mit den Stein-
werkzeugen bewirkt worden, wodurch mit gleichzeitigem Austritte des
Knochenfettes eine Verdichtung des Gewebes herbeigeführt wurde. (Dieses
Austreten des Knochenfettes scheint also der Verf. als Beweis anzusehen,
dass die Knochen frisch waren, als sie bearbeitet wurden. Ref.) Ein
solcher, durch Schlag bewirkter Knochenbruch unterscheidet sich daher
leicht vom gewöhnlichen splitterigen Bruch des Knochens.
Wenn die Knochen in feinem, mit Asche gemengten Lehme einge-
bettet sind, so sind sie zuweilen mit einer festen Hülle überzogen. Diese
Hülle ist offenbar dadurch entstanden, dass der Knochen, nachdem das
Fleisch und Mark demselben entnommen war, in die heisse Asche ge-
worfen und so gänzlich von derselben eingehüllt wurde. Deshalb er-
scheinen derartige Knochen wie gebrannt, kalciniert und durch den Einftuss
der Hitze nicht selten in Teile zersprengt. Sehr häufig bemerkt man in
der Umhüllungskruste grössere oder kleinere Holzkohlenstücke. Dies
schliesst jeden Zweifel darüber aus, dass dem diluvialen Menschen Mährens
die Tiere, von denen diese Knochen stammen, als Nahrung dienten.
Schliesslich weist M. noch darauf hin, dass Mammut und Rhinozeros,
wie alle übrigen Pachydermen, keine Mark- oder Röhrenknochen, wie
z. B. Pferd, Hirsch oder Rind haben, deshalb auch die Knochen der
Extremitäten bei ihnen nicht hohl, sondern im Innern mit einem spongiösen
Knochengewebe angefüllt sind. Wenn man aber im Inneren der Knochen
vom Rhinozeros eine Höhlung findet, so konnte sie nur auf künstlichem
Wege vom Menschen, durch Beseitigung des Knochengewebes, hergestellt
worden sein.
334 B- Referate. 2. Urgeschichte.
Nachdem der Verf. die von Graf G. Wurmbrand, Dr. Wankel, Maska
und Dr. Kfiz in Mähren gemachten Funde bearbeiteter Mammut- und Rhi-
nocerosknochen, die oft in Gemeinschaft von menschlichen Artefakten oder
dihivialcn Menschenknochen vorkommen, kurz erwähnt hat, bespricht er
vier in neuerer Zeit in der Umgebung von Brunn gemachte Funde be-
arbeiteter Rhinozerosknochen und unterzieht die letzteren einer eingehenden
Untersuchung. W. Oshorne-Dresden.
251. M. Kriz: L'epo(iue quaternaire eu Morayie. L'Anthro-
pologie. 1897. Bd. VIII, S. 513. (11 Abbildungen.)
Verf. giebt eine Übersicht seiner in der Höhle Kulna bei Slup ge-
machten Forschungen, die zum Teil schon im Jahrbuch der k. k. geo-
logischen Rcichsanstalt veröffentlicht worden sind. Diese Höhle verdankt
ihre Entstehung deai Wasser, das durch zahlreiche Röhren und Schächte
in den devonischen Kalk eingedrungen ist. Später ist sie durch abgerissene
Kalkblöckc; Kies, Thon und schw^arze Erde bis zu einer Höhe von 18 m
angefüllt worden. In der oberflächlichen, aus schwarzer Erde bestehenden
Schicht befinden sich Reste von Haustieren und neolithisches Material.
Darunter, in einer aus gelbem Thon, Kies und Steinblöcken bestehenden
Schicht, ist eine quaternäre Fauna mit paläolithischer Industrie.
Dr. L. Laloy-Paris.
252. H. von Preen: Grabfunde der Bronzezeit bei Nöflng,
Oberösterreicll. Prähistorische Blätter. 1897. Bd. IX, Nr. 3
mit 2 Tafeln.
Bei Nöfing sind neben einem schon früher geöffneten Bronzezeitgrabe,
das ein Schwert enthielt, zwei weitere Gräber untersucht worden. Das erste
barg unter starker Rollsteinschichtung in Asche und Knochenresten
scheinbar zwei gesonderte Bestattungen ; denn Fragmente von zwei Urnen
scheinen der älteren Bronzezeit anzugehören nach dem Thon und der
Tupfenverzierung am Rande, ein andres Thongefäss dagegen nebst verzierten
Scherben von drei weitern Gefässen und einer Bronzenadel mit doppelt-
kegelförmigem Kopfe weist auf die jüngere Bronzezeit hin. Das unversehrte
Gefäss ist stark ausgebaucht und unten mit senkrechten Linien, am Halse
mit Zickzacklinien verziert; gleich ihm zeigen die Scherben Graphitüberzug,
dazu Warzen und die von Naue für die oberbayrische jüngere Bronzezeit
beobachteten Ornamente. Der andre Grabhügel, leider vorher durchwühlt,
war ähnlich gebaut und enthielt unter den Rollsteinen in der Mitte der
Kohlenschicht ein weitbauchiges Henkelgefäss mit senkrechter Cannellierung
und gebogenem Halse, daneben Reste von 9 weiteren Gefässen, auch diese
stark gebrannt und leicht graphitiert, mehrfach senkrecht geriefelt und mit
tutulusartigen Warzen versehen. Form und Verzierung der Thongefässe,
Graphitierung, Bau der Grabhügel, alles zeigt eine deutliche Verwandtschaft
R. Referate. 2. Urt,^eschiclite. 3;jrj
mit der letzten Periode der jungem Bronzezeit in Obcrl)ayorn und lässl
wohl die Annahme einer Geschmacks- und Stammesverwandtschaft für die
damaligen Bewohner Oberösterreichs zu.
Prof. Dr. WaUer-Stetlm,
E. Belgien.
253. Marcel de Puydt: L'atelier neolithique de Rullen. Bull,
de la Soc. d'anthrop. de Bruxelles. 1896. Bd. XIV, S. 71.
Die vom Verf. ausgebeutete Werkstätte liegt beim Weiler Fouron-
Saint-Pierre auf dem rechten Ufer der Meuse in der Provinz Liege, auf
einem bis dahin vorgeschichtlich noch vollständig unbekannten Terrain.
Das Material zu den daselbst in ungeheueren Massen zu Tage tretenden
Feuersteinsachen wurde höchstwahrscheinlich an Ort und Stelle aus
Feuersteinblöcke führenden Thonschichten gewonnen. Spezifische Merk-
male kommen den Fundstücken nicht zu ; sie gleichen vollständig denen,
die man von anderen neolithischen Niederlassungen in der Umgegend und
an der holländischen Grenze her bereits kennt. — Sehr zahlreich waren
Blöcke mit Schlagmarken, Fauststeine und Ambosse vorhanden, seltener
Messerklingen, Stichel, Meissel, Hacken, Beile und Schaber; von letzteren
bildet Verf. zwei Exemplare ab, die sich dadurch auszeichnen, dass die
eine Fläche vollständig plan , die andere konvex gekrümmt ist. Pfeil-
spitzen, Knochen- und Hornwerkzeuge und Topfgerät w^urden bisher nicht
gefunden, jedoch hofft Verf., dass weitere Nachforschungen auch in dieser
Bichtung Ausbeute ergeben werden. — Eine Tafel giebt 13 in Bullen auf-
gefundene Beile wieder, darunter ein Exemplar aus grünem Diorit-Por-
phyr, einer in Belgien fremden Gesteinsart.
Dr. Buschan-Stettin.
254» Marcel de Puydt: Des fouilles excutees par Mm. Dayiii-
Rigot et de M. de Puydt dans les fonds de cabannes
n^olitliiques en 1894: et 1895. Bull de la Soc. d'anthrop.
de Bruxelles. 1896. Bd. XIV, S. 300.
1 . Neolithische Station beim Dorfe Vieux - Waleffes (Arrond. Huy,
Prov. Liege), genannt ,,Cite Gaillard," von der bisher 16 Hüttenböden
aufgedeckt worden sind. Es handelt sich eigentlich um Herdgruben von
runder oder ovaler Form (Durchmesser circa 2 — 5 : 0,75 — 2 Meter), die
in einer Tiefe von % — 2 Meter von NW. nach SO. orientiert lagen. Die
Ausbeute derselben ergab: zahlreiche Messerklingen (einzelne davon ge-
zähnelt), Pfeilspitzen, Sägen, Schaber, Nuclei und SpHtter aus Feuerstein,
Platten aus Sandstein und Oligist, Stücke oder Werkzeugreste aus noch
anderen Gesteinsarten, darunter einen Glättstein aus Basaltgestein, das in
Belgien nicht vorkommt und vom Siebengebirge her importiert worden
sein dürfte, schliesslich noch hunderte von Topfscherben, teils aus rohem,
teils aus feinerem Material hergestellt, darunter viele Henkel und warzen-
336 B- Referate. 2. Urgeschichte.
artig ausgezogene, manchmal auch durchbohrte Stücke (Buckel); ver-
schiedentlich waren die Scherben mit warzenartigen Buckeln versehen
und mit Nageleindrücken, die auch in parallelen Linien verliefen, und
mit Schnurornament verziert.
2. Neolithische Station in der Gemeinde Latinne, genannt ,,Cite
Davin," nicht weit von der vorigen. Hier wurden bisher 5 Herdstätten
freigelegt. Die Fundstückc sind ziemlich dieselben, wie die aus der
vorigen Station. Ausserdem kamen zum Vorschein 3 Mühlsteine, die in
einer Hütte neben einander angetroffen wurden, sowie Reste vom Pericarp
von Haselnüssen und Holzfragmente, die ebenso wie die Fruchtreste ver-
kohlt waren. Es gelang, aus den Scherben ein tassenförmiges, ein-
henkliges Gefäss von 114 mm Höhe und 127 mm Durchmesser am Rande
zu konstruieren.
Auffällig erscheint, dass in beiden Stationen bearbeitete oder geglättete
Beile aus Feuerstein vollständig fehlen.
Dr. Buschan- Stettin.
'Q. Frankreich.
255. E. Collin, Reynier et Fouju: La Station de La Vignette.
BulL de la Soc. d'anthropol. de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 420.
(10 Abbildungen.)
Diese Niederlassung befindet sich im Süden des Waldes von Fon-
taineblau, am Abhang eines sandigen Hügels, wo grosse Sandsteinblöcke
unregelmässig zerstreut vorkommen.. Einige derselben sind wahr-
scheinlich als Obdach (abri sous röche) benutzt worden. Dieser sehr
harte (aus dem oberen Eocän) Sandstein hat zugleich das Material für die
zahlreichen auf dem Boden und im Sand aufgefundenen Werkzeuge ge-
liefert. Keines ist poliert; doch ist eine gewisse Formverwandtschaft mit
den neolithischen Instrumenten nicht zu leugnen. Während die Verfasser
diese Niederlassung als neolithisch betrachten, sind einige Mitglieder der
Gesellschaft der Ansicht, dass sie der Epoche von Campigny (Anfang der
jüngeren Steinzeit nach Salmon) oder gar der älteren Steinzeit angehört.
Dr. L. Laloy- Paris.
256. E. Rivi^re: La grotte de la Mouthe (Dordogne). Bull,
de la Soc. d'anthrop. de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 302, 484
und 497. (5 Abbildungen.)
Diese Höhle befindet sich im Kreis Sarlat unweit der berühmten
Niederlassung ,,les Eyzies". R. studiert sie schon seit 1895, ohne dass
die Forschung bei weitem als erschöpft betrachtet werden könnte. Die
Höhle war ursprünglich mit Lehm und Sinterablagerungen fast vollständig
ausgefüllt; darin befanden sich an der Oberfläche neolithische Werkzeuge
und Überreste moderner Fauna, in der Tiefe paläolithische Instrumente
B. llet'eiate. 2. Urgeschichte. 337
und solche quaternärer Fauna. Nach Entfernung dieses Fülhnaterials
zeigten sich an der Wandung sehr merkwürdige eingravierte und teilweise
mit Ocker gefärbte Zeichnungen. An ihrer Echtheit kann man nicht
zweifeln, denn sie waren zum Teil mit den alten Ablagerungen bedeckt.
Die bestgelungene Zeichnung stellt einen 0,52 m hohen und 0,91 m
langen Wisent dar. Dazu kommen noch mehrere pferde- oder antilopen-
ähnliche Tiere uud eine aus parallelen roten und weissen Strichen be-
stehende Zeichnung, die vielleicht eine Hütte mit sichtbarem Eingang dar-
stellt. Alle diese Zeichnungen befinden sich sehr weit vom Eingang der
Höhle entfernt (ungefähr 100 m) an einem heute dem Licht ganz unzu-
gänglichen Platz. Aber in prähistorischer Zeit mag es anders gewesen
sein : denn das Tageslicht konnte durch jetzt verschlossene Öffnungen zum
Dach der Höhle hereindringen. Die Zeichnungen tragen ganz denselben
Charakter, wie die auf paläolithischen Knochen- und Hirschgeweihplatten
sie können auch mit den Zeichnungen in den Höhlen Pair - non - Pair
(Gironde, Frankreich) und Altamica (Santander, Spanien) verglichen werden.
Dr. L. Laloy-Faris.
257* S. ßeinach: Statuette de femme uue decouverte daiis
une des grottes de Menton. L'Anthropologie. 1898. Bd. IX,
S. 26. (2 Tafeln.)
Dieses höchst merkwürdige Stück, das in einer der Höhlen von Men-
tone aufgefunden wurde, muss den Zeugnissen prähistorischer Kunst,
welche Piette beschrieben hat, zur Seite gestellt werden. Wie in Brassem-
pouy (s. L'Anthropol. 1895) handelt es sich hier um das Bildnis einer
nackten Frau mit kolossalen Brüsten, sehr entwickelten Hüften und Ober-
schenkeln und grossem Mons veneris. Die Arme sind nicht angedeutet,
der Kopf ist sehr roh geformt. Diese Statuette ist 0,047 m hoch und hat
0,012 m grösste Dicke; sie besteht aus gelbem Steatit. Mit ihr wurden
zwei andere Steine gefunden, die mit eingeritzten Linien ornamentiert
sind, dazu zahlreiche Meissel aus Feuerstein.
R. hebt mit Recht hervor, dass diese paläolithischen Kunstwerke sich
ganz unabhängig von den ähnlichen, aber viel späteren Produkten des
Orients entwickelt haben; ein Beweis, dass die griechischen und trojani-
schen Statuen von nackten Frauen auch unabhängig von dem Orient und
namentlich von Chaldäa entstanden sein können. Ob unsere prähistori-
schen Statuetten die Existenz eines besonderen ,,steatopygen" menschlichen
Typus beweisen (s. Piette loc. cit.), ist eine andere Frage. Referent meint
hingegen, dass sie nur ein Sinnbild der Wollust darstellen, da gerade bei
ihnen alle beim geschlechtlichen Verkclir aktiven Teile kolossal entwickelt
sind, während der übrige Körper nur schematisch behandelt erscheint.
Dr. L. Laloy-Paris.
Centralblatt für Anthropologie, 1898. 22
338 ^ Referate. 2. Urgeschichte.
258. Manouvrier: Note sur les eränes huniains quaternaires
de Marcilly-sur-Eure et de H^champs. Bull, de la Soc.
d'anthropologie de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 564. (1 Abbild.)
Betreffende Schädel sind in der Zeitschrift „l'Homme'' (Bd. I, J884)
und in der ,, Revue de l'Ecole d'Anthropologie" (1893), studiert worden.
Derjenige von Marcilly ist echt neanderthaloid, obwohl seine Arcus super-
ciliares weniger vorstehen, als beim Neanderthaler Schädel. Er hat eine
ziemlich beträchtliche Breite, wodurch seine Höhe zum Teil kompensiert
wird. Der Schädel von Bechamps ist Manouvrier übergeben worden, da-
mit er ihn eingehender studiere. Die von ihm gewonnenen Zahlen unter-
scheiden sich nur ganz unbeträchtlich von denjenigen, die von den früheren
Beobachtern festgestellt worden waren. M. macht darauf aufmerksam,
dass die Prominenz der Glabella nicht ohne Einfluss auf den Schädel -
index ist. Wenn man dagegen einen Sagittaldurchmesser benützt, der
vom metopischen Punkt ausgeht, erhält man einen höheren Index: 79,3
statt 78,2 bei 50 männlichen Pariser Schädeln. Für den Schädel von
Brechamps ist der Unterschied viel grösser: 78,9 statt 75,5. Wenn also
man nur den echt cerebralen Teil des Schädels in Betracht zieht, ist
dieser Schädel fast ebenso brachycephal als die modernen Pariser Schädel.
Der grosse Unterschied zwischen den zwei Sagittaldurchmessern (188 und
180 mm) zeigt auch, wie stark die Stirn nach hinten geneigt ist.
Aus allen seinen Betrachtungen schliesst Verf., dass die Schädel von
Marcilly und von Brechamps der ethnischen Gruppe von Neanderthal,
Spy u. s. w. angehören. Sie dürfen nicht bloss als ein sporadisches Auf-
treten dieses Typus angesehen werden, wie solche auch in modernen
Rassen vorkommen. Denn die geologischen, paläontologischen und urge-
schichtlichen Umstände ihres Fundes beweisen, dass sie aus der quartären
Zeit stammen. Dr. L. Laloy-Paris.
259. E. Riviere: Nouvelles recherches ä Cro-Magnon. Bull,
de la Soc. d'anthrop. de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 503.
R. hat in der wohlbekannten Station Cro-Magnon eine neue Nieder-
lassung aufgegraben, die der magdalenischen Epoche angehört. Die Fauna
gehört dem Renntier (ziemhch zahlreich), Bos, Equus, Sus, Canis, Felis,
Lepus und Mus an; die Arten sind nicht näher bestimmbar. Die Feuer-
stein- und Knochenwerkzeuge, sowie Waffen sind von den bekannten
paläolithischen Formen. Sehr bemerkenswert sind die gravierten Gegen-
stände: Drei Knochenstücke und zwei Platten aus Hirschgeweih tragen
Einkerbungen, beziehungsweise eingeritzte parallele Linien, die vielleicht
als Jagdzeichen (zur Andeutung der Zahl der getöteten Tiere) gedeutet
werden mögen.
Zwei andere Stücke verdienen noch mehr Aufmerksamkeit. Das eine
ist ein 0,101 m langes Rippenfragment, auf welchem der ganze Körper einer
B. Referate. 2 LJryescliiclile. 339
Frau im Profil eingraviert ist; die Beine sind dünn, der Baiicli ein ^^'enig
vorstehend, die Brüste lang und herabhängend; der Kopf hat eine vor-
springende Nase und fliehende Stirn; er gleicht dem eines Mikiocephalen.
Ein anderes 0,070 m langes und 0,018 m breites Knochenslück zeigt die
eingeritzte Darstellung eines ganzen Wisents, der demjenigen aus der Hoble
von La Mouthe durch die enorme Grösse des Höckers sehr älmlich ist.
Dr. L. Laloy-Paris.
260. Paul Raymond: Nouvelles lecherches sur Page du cuivre
dans les C^vennes (epoque durfortienne). Bull, de la
Soc. d'anthrop. de Paris. 1898. Bd. IX, S. 50.
Verf. vervollständigt die Liste der vorgeschichtlichen Kupferfunde aus
den Cevennen um zv^ei Stücke, einen Dolch und ein Stück Schlacke (cfr.
d. Centralbl. 1898. Bd. III, Ref. Nr. 106). — Der Dolch, der zusammen
mit Gegenständen von rein-neolithischem Typus in der Grotte Latrone bei
Saint-Chaptes (Gard) gefunden wurde, zeigt eine unregelmässig - rauten-
förmige Gestalt. Die eigentliche Klinge ist im Vergleich zum Griff in die
Länge gezogen (105 mm lang, 36 mm breit, 40 gr schwer). Das Stück
Schlacke, das 15 gr wiegt, fand sich zusammen mit Flintresten, zwei
Pfeilspitzen von Weidenblattform, einer Silexklinge, einem Quarzithammer,
einer grossen Buccina-Schnecke und einer grossen . Menge verkohlter
Knochen in der Grotte du cräne noir genannten Höhle von Roquemaure.
Die chemische Analyse Prof. Villejean's ergab, dass beide Stücke aus
reinem Kupfer bestehen und in ihnen keine Spur von Zinn vorhanden ist.
Verf. knüpft an diese Funde einige allgemeine Bemerkungen über das
Alter derselben. Sie decken sich mit seinen früheren (s. 0.) Äusserungen,
Er erinnert u. a. daran, dass die Kupferfunde in nichts den klassischen
Formen der Bronzezeit ähneln, sondern vielmehr zumeist grobe Nachbil-
dungen von steinzeitlichen Werkzeugen sind, und schlägt für den Zeitraum,
dem sie angehören, nämlich der Übergangszeit vom Stein zur Bronze die
Bezeichnung ., epoque Durfortienne'' (nach der Grabhöhle von Durfort im
Depart. le Gard so benannt) vor. ' Dr. G. Bus chan- Stettin.
261. Variot: Les sepultures de Collonges en Bourgogue. Bull,
de la Soc. d'anthropologie de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 613,
Manouvrier: Etüde des squelettes antiques de Collonges,
pr^S Kemigny. Ebendas. S. 626. (3 Abbild.)
In Ermangelung einer genauen Datierung dieses Grabfeldes besitzen
vorstehende Erörterungen nur einen relativen Wert. Die sehr seltenen
Beigaben scheinen auf die merowingische Zeit hinzuweisen. Die Gräber
sind sehr zahlreich vorhanden, bis jetzt sind ungefähr 40 ausgebeutet
worden; sie bilden längliche Gruben, die mit Steinplatten umgeben und
bedeckt sind, ohne dass sie jedoch über die Oberfläche des Bodens liervor-
22*
340 ti. Referate. 2. Urgeschichte.
ragen. Jedes Grab enthält gewöhnlich nur eine Leiche. Die chemische
Analyse hat ergeben, dass die Knochen mehr Calciumcarbonat und weniger
Phosphat als im normalen Zustand enthalten, was von der kalkhaltigen
Beschaffenheit des umgebenden Bodens herrührt.
Von den aufgenommenen Maassen wollen wir nur folgende hervor-
heben: 15 männliche Skelette hatten eine Körperhöhe von 1,67 m,
8 weibliche eine solche von 1,53 m. Bei den ersteren betrug die Schädel-
kapazitat 1537, der Schädelindex 81; bei den letzteren 1454 bezw. 77,3.
Der Schädelindex hat eine sehr grosse Variationsbreite : von 71,7 bis 85,7,
was auf eine sehr gemischte Rasse hindeutet. Die mesocephalen Schädel
sind ausserdem sehr selten; dieser Umstand beweist, dass die Mischung
der Langköpfigen mit den Kurzköpfigen eine sehr recente gewesen sein
muss. Da die Skelette einzeln herausgenommen wurden und jede Ver-
wechslung ihrer Bestandteile vermieden wurde , so konnte man mehrere
interessante Thatsachen feststellen, nämlich dass die hohen und niederen
Körpergrössen sich ebensow^ohl bei den Kurzköpfen als bei den Lang-
köpfen vorfinden. Es bestand also damals schon eine hochwüchsige
brachycephale Rasse, wie man sie noch hepte im Osten Frankreichs an-
trifft. Wenn einmal die Ausbeutung des Grabfeldes- von Collonges be-
endet sein wird, dann dürfte M. über grössere Zahlenreihen verfügen, und
dadurch werden auch seine Untersuchungen an Bedeutung gewinnen.
Dr. L. Laloy -Paris,
262. Caziot: D^couvertes d'olbjets prehistoriques et proto-
historiques faites dans Pile de Corse. Bull, de la Soc.
d'anthrop. de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 463.
Die Insel Korsika ist archäologisch noch wenig untersucht worden.
Darum muss man es mit Freude begrüssen, dass Caziot eine Zu-
sammenstellung der bisherig gemachten Funde giebt, die sich teils in Privat-
sammlungen, teils im Musee de St. Germain befinden (es existiert kein
Landesmuseum in Korsika). — Die jüngere Steinzeit ist durch Pfeilspitzen
aus Jaspis, Hämmer aus Serpentin oder Porphyr, Meissel aus Diorit,
Äxte aus Porphyr, Gefässscherben aus Topfstein vertreten. Alle diese Ge-
steine sind einheimisch. Ausserdem hat man noch in der Nähe von Boni-
facio Feuersteinsplitter und einen gleichfalls aus Feuerstein bestehenden
Hammer gefunden; derselbe ist eiförmig, 0,065 m lang und 0,055 m breit.
Diese Werkzeuge sind deswegen bemerkenswert, weil Feuerstein in Korsika
nicht existiert.
Kupfererze finden sich an mehreren Plätzen der Insel, und viele
metallene Gegenstände scheinen aus reinem Kupfer zu bestehen. Die
ältere Bronzezeit (epoque morgienne) ist durch drei flache Beile vertreten,
die jüngere (epoque larnaudienne), durch einen runden Brustschmuck und
ein Beil mit dicken Rändern und schmaler Schneide. Aus der Hallstatt-
B. lleCcrale. '2. UrL,^escliiclito. ^^j
zeit besitzt man drei bronzene Fibeln, die denjenigen von Südilalieii sein-
ähnlich sind. Man hat endlich noch vereinzelte Gegenstände aus der
etruskischen und römischen Zeit gefunden. Dr. L. Laloij-raiis.
8". Spanien.
263. Manuel Anton : Cnineos antiguos de Cienipozuelos.
Boletin de la K. Acad. de la Historie. 18"J8. \^^.\. XXX, S. 407
bis 483.
Verf. kommt bezüglich der Schädel von Ciempozuelos zu folgendem
Schlussresultat. Die Schädel dürften unsicheren Alters, entweder spätvor-
geschichtlich oder frühistorisch sein. Drei derselben, die eine bi-achycephale
Form besitzen, dürften weniger alt, wohl kelto-slavisch mit Eigenschaften
des Überganges zur lappoiden Rasse sein, und wahrscheinlich aus der
ersten Metallzeit oder selbst der neolithischen Periode stammen. Hin-
gegen dürften die drei Mesocephalen mit schmaler Stirn (entsprechend dem
Canon der römischen und griechischen Bildhauer) älteren Datums sein und
Iberern angehören, die sich von der Cro-Magnon-Rasse durch schmäleres
Gesicht, sowie höhere und weitere Augenhöhlen unterscheiden.
Frof. Dr. Telesforo de Aranzadi-Granada.
2. Asien.
264:. Gr. Zumoffen: L'äge de la pierre en Phenicie. L'Anthro-
pologie 1897. Bd. VIII, S. 271 und 426 (4 Tafeln und 1 Karte).
In dieser wichtigen Abhandlung wird alles zusammengestellt, was über
die Prähistorie Phöniziens bekannt ist. Dieselbe zerfällt in paläolithische
und neolithische Fundorte. Von der älteren Steinzeit kennt man 7 Nieder-
lassungen, welche durch ungeglättete Feuersteinwerkzeuge und Abwesenheit
jeder Topfindustrie gekennzeichnet sind. Die Werkzeuge sind von den
wohlbekannten Chelleschen und Moustierschen Typen. Die Niederlassungen
befinden sich fast alle in natürlichen Höhlen. Die Küchenabfälle und
Instrumente sind meist durch Infiltration von Kalk zu einer festen Masse
zusammengebacken, die zum Teil als Baumaterial benutzt worden ist. Die
Dicke dieser Breccie beträgt in der Niederlassung von Adloun 1,50 — 2 m,
was auf einen sehr langen Aufenthalt des Menschen hindeutet. Die Knochen
sind gespalten und tragen Streifen, als ob sie mit einem steinernen Werk-
zeug entfleischt worden wären. Das gleiche gilt von den menschlichen
Knochen, die in der grossen Höhle von Antelias gefunden wurden. Die
Fauna dieser Niederlassung setzt sich aus Überresten vom Menschen, Panther,
Bären, Marder, Fuchse, Wiesel, Bison, Hasen, Hirsch, Schwein, Pferd,
der Ziege, verschiedener Vögel und Mollusken zusammen.
Es besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen dieser Fauna und
derjenigen der neolithischen Niederlassungen; in zwei der letzteren sind
jedoch Zähne von Rhinoceros tichorhinus aufgefunden worden. Die jüngere
342 ^- Heferate. 2. Urgeschiclite.
Steinzeit ist durch vier Niederlassung-en und zwei Werkstätten vertreten.
Auch hier sind meistens die Reste menschlicher Thätigkeit zu einer festen
Breccie zusammengeschmolzen. Die Werkzeuge bestehen in polirten Beilen,
Meissein, Schabern, Sägen, Lanzenspitzen u. s. w. Dazu kommen Scherben
von Gefässen, die ohne Drehscheibe aus schlecht gebackener, mit Kies ver-
mischter Erde angefertigt sind. Dr. L. Laloy-Paris.
3. Afrika.
265. Letourneaii: Les signes libyques des dolmens. Bull,
de la Soc. d'anthrop. de Paris. 1896. Bd. VII, S. 319.
Im Museum von Bardo in Tunis fand Verf. eine Anzahl Stelen mit
libyschen Inschriften. Mindestens 5 der diese zusammensetzenden Buch-
staben entsprechen genau gewissen „alphabetiformen" Zeichen, die sich in
französischen Dolmen eingraviert finden. Er sieht hierin eine Bestätigung
seiner bereits früher ausgesprochenen Vermutung, dass die megalithischen
Steinbauten Frankreichs von einem Volke, wahrscheinlich berberischer Ab-
stammung herrühren, das aus Nordafrika eingewandert ist. Er erinnert
aber gleichzeitig daran, dass verschiedene tunesische Autoren eine ent-
gegengesetzte Richtung dieser Wanderung annehmen.
Dr. Bus chan- Stettin.
266. J. R. Martin: OeschlifFene ägyptische Steinwerkzeuge
und Bronzen. Verhandl. der Berl. anthropol. Gesellsch. 1896.
XXVIII, S. 191.
Vier grosse, an einer Seite geschliffene Messer, 1 Dolch und 2 Lanzen-
spitzen aus Feuerstein sind vorzüglich gearbeitet. Martin glaubt, sie seien
aus einem Lande importiert, wo die Steinkultur älter als in Ägypten ist.
Dr. Ä. Götze-Berlin.
267. H. W. Seton-Karr: Discovery of tlie lost flint mines of
Egypt. Journal of the anthropologial Institute of Great Britain
and Ireland. 1897. Bd. XXVII, S. 90.
Die betreffenden Feuersteinbrüche liegen in der Provinz Wady-el
Scheik, ungefähr 30 Meilen vom Nil entfernt. Einige derselben bestehen
aus Schächten von % m Durchmesser, welche mit Sand ausgefüllt sind
und auf deren Rand sich noch Massen der gewonnenen Steine vorfinden. Dicht
in der Nähe vieler Brüche war eine Werkstätte vorhanden, wo man
Werkzeuge aufdeckte. In verschiedenen Brüchen lagen Stäbe und Keulen
zerstreut, die vielleicht zur Gewinnung der Steine gedient hatten. Verf.
giebt leider keine nähere Beschreibung weder der aufgefundenen Objekte,
noch der geologischen Lage der Brüche. Eine solche Beschreibung hätte
zu einem interessanten Vergleich führen können mit den neolithischen
Feuersteinbrüchen Frankreichs. Dr. L. Laloy-Paris.
\i. Keleiale. 2. (Jryes('lii(;hte. 3.J3
2G8. H. W. Setoii-Karr . Further discovories of iiiicieiit stone
implements in SoilialilaiMl. Journal of tlie aullnopolo-ical
Institute of Great Diitain und Ireland. 1897. IUI. XXVII, S. WA.
Die paläolithische Niederlassung, wo diese Instrumente aufgefunden
wurden, befindet sich 85 Meilen im S. W, v. Berbera und 75 Meilen von
Bulhar, auf einem Hügel. Es ist der einzige Ort im Soinaliland, woher
paläolithische Funde zu verzeichnen sind; alle anderen Funde entstammen
nämlich der neolithischen Zeit. Die betreffenden Stücke besitzen eine
genaue Formenähnlichkeit mit denjenigen Westeuropas. Es handelt sich
hier um eine Niederlassung und nicht um eine Werkstätte; denn es fanden
sich keine Splitter, sondern nur ganze und schön erhaltene Werkzeuge.
Dr. L. Laloy-Faris.
269. 0. Flamand: Note sur deux pierres ecrites (Hadraj
Mektouba) (Felseu-Inschriften yon El-Hadj-Mimouii, in
der Gegend von Figuig, Provinz Oran). L'Anihropologie.
1897. Bd. VIII, S. 284.
Die in Rede stehenden zwei Steine sind von F. dem Musee du Louvre
in Paris zugesandt worden. Sie gehören der lybisch-berberischen Periode an.
Die Inschriften scheinen durch Abschaben mittelst eines spitzen Werkzeuges
hervorgebracht worden zu sein. Sie bestehen auf dem einen Stein aus
buchstabenähnlichen Zeichen; auf dem anderen scheint eine Jagd der-
gestellt zu sein: 3 Pferde mit Reitern, ein Kameel mit seiner Beladung,
ein Hund (?) und 2 Vögel. Alle diese Tiere sind aber stark schematisiert
und nur durch einige sehr unbeholfene Linien angedeutet. Diese lybisch-
berberische Kunst steht weit hinter den so schönen Darstellungen der
prähistorischen Künstler zurück.
Die Felseninschriften der Provinz Oran sind sehr zahlreich. Sie
zerfallen in 4 Gruppen: vorgeschichtliche (Tierdarstellungen, besonders
des Elephanten, nicht schematisiert und einen gewissen Sinn für Perspektive
aufweisend), lybisch-berberische (lybische Buchstaben und sehr schematische
Darstellungen von jetzt noch einheimischen Tieren), arabische (leicht
deutbare arabische Inschriften, hauptsächUch religiösen Inhalts) und moderne
Inschriften (von den französischen Soldaten gemacht). Für das genauere
Studium des Gegenstands verweise ich auf Flamands Aufsatz in l'Anthro-
pologie, Bd. III, Paris 1892, S. 145. Dr. L. Laloy-Paris.
4. Amerika.
270. Cornelia Horsford: Dwellings of the saga-time in Ice-
land, Greenland and Yineland. The National geographic
Magazine. 1898. Bd. IX, S. 73. (10 Abbild.)
Die Saga-Zeit begann mit der Kolonisation von Island im Jahre 875
und dauerte ungefähr 150 Jahre. Wie man weiss, ist in Dänemark,
344 '^- Referate. 2. Urgeschichte.
Schweden und Norwegen noch keine Ruine aus dieser Zeit her bekannt
geworden. Anders verhält es sich in Island; hier hat die antiquarische
Gesellschaft einige hundert alte, nur noch in Ruinen vorhandene Wohnplätze
beschrieben und gemessen. Alle liegen an Abhängen, unweit von Flüssen oder
Fjords. Diese Ruinen bilden gewöhnlich niedere, grasbedeckte Erhöhungen,
deren Hohlraum oft schwer zu entdecken ist. Jede Wohnung bestand aus
einem Hauptgemach mit dem Feuerplatz und zwei kleineren Stuben, die eine für
die Weiber, die andere zur Aufbewahrung der Speisen. Jedes dieser drei
Räume bildete, so zu sagen, ein kleines Haus mit besonderem Dach;
aber sie waren miteinander verbunden, und Öffnungen führten von dem
einen zum andern durch die dicken Mauern. Der Boden bestand aus fest-
gestampfter Erde. Die Mauern waren 1^/^ m dick und 1 — 1^2 m hoch.
Die Innenseite bestand aus unbehauenen Steinen, deren Zwischenräume
mit Erde gefüllt waren, die Aussenseite aus abwechselnden Schichten von
Steinen und Rasen, und die Mitte zwischen den zwei Seiten w^ar mit fest-
gestampfter Erde ausgefüllt. In anderen Fällen wieder waren die Mauern
einfach aus Rasenschichten aufgebaut. — Die Hauptstube hatte 3 — 7 m
Breite und 10 — 17 m Länge. In der Mitte war ein 3 m langer und
0,60 — 0.80 m breiter Feuerplatz, der zur Erwärmung und Beleuchtung
des Gemachs diente. Neben diesem Feuerplatz war ein kleiner Herd zum
Kochen der Speisen. Pflastersteine und Pfeiler befinden sich gewöhnlich
an der Schwelle und an den Übergängen von einem Zimmer zum
andern.
In Grönland liegen auch die alten Gehöfte an den Ufern der Flüsse
und der Fjords. Das Haus war gewöhnlich lang und schmal und bestand
aus 3 — 8 Stuben; es war umgeben von zahlreichen kleineren Gebäuden,
wie Scheune, Viehställe u. s. w. Die Mauern sind schmäler als in Island; sie
bestehen aus Stein und Rasenschichten; der mittlere mit Erde gefüllte
Raum ist fast verschwunden.
Die Ruinen, die im vermeintlichen Weinland aufgefunden wurden,
stimmen in ihren hauptsächlichsten Zügen mit denen von Island überein. Miss
Horsford beschreibt zw^ei solcher normannische Häuser aus Massachusetts;
das eine bestand nur aus Rasenschichten, hatte aber einen echt isländi-
schen Herd; das andere hatte steinerne Mauern und einen langen ge-
pflasterten Feuerplatz. Dr. L. Laloy-Paris.
271. H. C. Mercer: The linding of the remains of the fossil
sloth at Big Bone Cave, Tennessee in 1896. Proceed. of
the American philosophical Society. 1897. Vol. XXXVI, Nr. 154
(26 Abbildungen).
Dieser Fund ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Erstens, da
an den Knochen noch Knorpel und an einer Klaue noch Hornsubstanz an-
haftete, so scheint die Gattung Megalonyx in Nordamerika später erloschen
B. Piefei;it(!. ^i. Urgeschichte. 345
zu sein, als man bisher annahm. Trotzdem ist kein Beweis liir das »j^leirli-
zeitige Bestehen des Megalonyx und des Menschen gehelert; andererseits
ist diese Möglichkeit aber auch nicht abzustreiten.
Zweitens, da genanntes Tier doch zu schwerfällig war, um an Bäumen
heraufzuklettern, und da seine Skelettreste im entferntesten Teile der Höhle
gefunden wurden, wo das Tageslicht nie hineindringen ivonnte, das Tier
dort also sein gewöhnliches Obdach gehabt zu haben scheint, so meint
Verfasser, dass der Megalonyx eine ganz andere Lebensweise gehabt liat,
als das jetzige südamerikanische Faultier. Dr. L. Jjaloy- Paris.
272. Cosmos Mindeleff: The cliff ruins of Canyon de Chelley,
Arizona. 16 th. Annual Report of the Bureau of American
Ethnology by J. W. Powell. Washington 1897. S. 73—198.
Das Bureau of American Ethnology in Washington hat es sich zur
Aufgabe gestellt, die Anthropologie und Ethnologie der amerikanischen
Urbevölkerung nach allen Seiten zu studieren, und es löst seine Aufgabe
in so vollendeter Weise, dass man ihm dafür die höchste Bewunderung
nicht versagen kann.
Wie romantisch-fabelhaft waren noch zur Zeit der Gründung des
Bureaus die Vorstellungen über die Moundbuilders, und wie natürlich und
einfach wurde das Rätsel gelöst, als das Bureau mit seinem Stab von
wissenschaftlichen Fachleuten die Frage in der umfassendsten und ein-
gehendsten Weise durcharbeitete : es zeigte sich, dass keine Kluft zwischen
den modernen Indianern und den Erbauern jener früher so rätselhaften
Erdwerke besteht. Ein zweites, gleich verschleiertes, archäologisches Gebiet
war das der Pueblo-Ruinen im SW. der Vereinigten Staaten von Amerika
(Utha, Colorado, Neu-Mexico, Arizona), um die die romantische Phantasie
gleichfalls ein buntschillerndes Gewebe gesponnen hatte. Mit derselben
wissenschaftlichen Vorurteilslosigkeit, Unermüdlichkeit und Vertiefung ins
Einzelnste hat das Bureau in vielfachen Expeditionen auch hier den Beweis
für die Kontinuität der Erbauer jener Steinbauten und der modernen
Indianer erbracht. Wenn schon früher höchst wertvolle Arbeiten über die
Pueblos in den Jahresberichten des Bureaus veröffentlicht, so bildet die
Abhandlung Cosmos Mindeleffs einen gewissen Abschluss derselben, indem
sie die alten Bauten im Thal und in den Felsenwänden des Canyon de
Chelley (der an der westlichen Grenze der Navaho reservation zwischen
36. und 37.0 ^ g^ ^^d 109. und 110.^ westl. Länge verläuft) in er-
schöpfender Weise behandelt.
Der Canyon de Chelley ist eine in die Plateaulandschaft mit senk-
rechten Wänden eingeschnittene Schlucht, die auf ihrer flachen Sohle
gutes Ackerland, in den Steilwänden ihrer Ränder zahlreiche, durch Aus-
waschung entstandene Grotten und Nischen enthält. Der Fels hat grosse
Neigung in Platten zu zerbrechen, die dem noch nicht auf der Kunsthöhe
340 ^- Rtiferate. "2. Urgeschiclite.
einer Steinarchitektur vorgerückten Indianer umsomehr eine Anregung
geben muss, zu dieser überzugehen, da Bauholz in der ganzen Gegend
sehr selten ist. Aus jenem iMaterial hat nun auch die Hand früherer
Bewohner zahllose, jetzt in Ruinen liegende Wohnungen errichtet, die
Mindelefl' in 4 Gruppen einordnet: 1. alte Ansiedlungen in offener Lage,
in der Regel sehr zerstört und nur in unbestimmten Resten nachzuweisen.
2. Ansiedelungen in der Thalsohle, meist besser erhalten. 3. Dörfer, die
ihrer Lage nach für Verteidigung gut geeignet waren (schwieriger Zugang,
Grundplan mit defensivem Charakter, mit einzelnen runden Bauten
[Kiwas]). 4. Ausgucke oder Unterschlupfe für die Zeit der Bodenbestellung,
stets so gelegen, dass die Felder beobachtet werden konnten, und ohne
defensive Merkmale. Sie wurden ganz ebenso wie ähnliche Bauten der
Navahos während der Feldarbeit benutzt.
Die Gesamtbevölkerung des Canyon de Chelley war nie eine be-
trächtliche; gleichzeitig haben wohl nie mehr als 400 (vielleicht richtiger 300)
Bewohner im ganzen Thal gelebt. Mindeleff giebt zunächst eine bis ins
Einzelnste gehende Beschreibung aller dieser Bauten und entwickelt dann
überzeugend, wie Alles, was die Ruinen des Canyon de Chelley (wie die
ganze Pueblo-Gegend) von den Bauten der Indianer unterscheidet, eine
notwendige Folge der eigenartigen Daseinsbedingungen der umgebenden
Natur ist. In erster Linie drängte das überall bereit liegende Baumaterial
zur Verwendung von Stein, und damit war die Einführung des viereckigen
(von dem des runden Lederzeltes ganz verschiedenen) Grundrisses gegeben;
es war leicht, einen viereckigen Raum mit Hilfe von Holzbalken zu decken,
für den Indianer war dagegen die Bedeckung eines runden Raumes viel
schwieriger. Und doch finden sich auch solche Grundformen, die —
charakteristisch genug -^ in den zu politischen und religiösen Ver-
sammlungen dienenden Kiwas: hier hat die Religion, die konservativste
aller Mächte, die gewohnten Formen noch beibehalten, wo das praktische
Leben schon zu ganz anderen architektonischen Anpassungen gedrängt
hatte. Prof. Dr. Emil Schmidt-Leipzig.
273. F. S. Dellenbaugh: Death-niasks in ancient American
pottery. The American Anthropologist. 1897. Bd. X,
S. 48 ff.
Im Ganzen steht die Keramik der prähistorischen und historischen
Indianer Nordamerikas, was Darstellung menschlicher Köpfe betrifft, auf
keiner hohen Stufe. Selbst in Mexiko, das sonst bemerkenswerte Leistungen
der Plastik aufzuweisen hat, ist die Darstellung des menschlichen Gesichts
mangelhaft (die Ohren werden nicht abgebildet, sondern versteckt). Ver-
hältnismässig weit entwickelt ist die Bildnerei an der Pacifischen Küste;
aber wenn man von der schönen Thonbildnerei der Moundbuilders absieht,
sind die künstlerischen Leistungen der Indianer östhch von den Felsen-
B. Uelciiile. '1. üiye.scliichte. 347
gebirgen recht rückständig. Da fällt nun mitten in dieser künslleriseiien
Olinmacht eine Gruppe von Begräbnisurnen aus Arcansas durch ihre voll-
endet naturwahre Darstellung des menschlichen Kopfes mit scharfer Cha-
rakterisierung der individuellen Eigenart und selbst der Erstarrung des
Todes wie ein unmittelbarer Gegensatz auf (Holmes, im 4. Annual Kep.
Bur. Ethnology S. 407, Fig. 420). D. glaubt, diese merkwürdige Nalur-
wahrheit des Kopfes durch direkte Abformung nach der Natur (über dem
Gesicht der Leiche) erklären zu müssen, und sucht dies durch Vergleichung
der Kopfmaske jener Urnen mit denen eines halberwachsenen Knaben, einer
Frau und eines Mannes zu begründen. Prof. Dr. E. Schmidt-Leiyzig.
274. Daniel G. Brinton. The pillars of Ben. Bull, of the
Museum of Science and Art. Philadelphia 181)7. Bd. I, Nr. 1.
3 Abbildungen.
Die betreffenden monolithischen Säulen beiinden sich im Staate
Chiapas, Mexiko ; sie sind gewöhnlich 3 m hoch, mit spitzem Ende und
sind heute noch von den Eingeborenen verehrt. Nachdem Verf. ver-
schiedene historische Angaben erörtert hat, bringt er diese seltsamen
Überreste einer längst verschlossenen Vergangenheit in Zusammenhang
mit der Zeitgottheit Ben. Dr. L. Laloy-Faris.
275. Juan B. Ambrosetti: Los nionunientos megaliticos de
yalle de Tali (Tucumän). Bol. del Inst. Geogr. Arg. 1897.
Tomo XVIII, Nro. 1—3, p. 33—70; auch Globus 1897.
Bd. LXXI, Nr. 11.
Beschreibung und Abbildung einer grossen Zahl Menhire, in einem
ganz engen Gebiet errichtet, teilweise mit Skulpturen bedeckt, teihveise
kreisförmig mit Steinsetzungen umgeben. Das betreffende Thal zeigt auch
Reste cyklopischer Mauern. Jedenfalls nicht von den Calchaquis her-
rührend und älter als die Jesuitenansiedlungen, die sich dicht daneben
finden. Die Indianer wussten schon damals nichts von ihnen und zeigten
keine Verehrung dafür, andernfalls sie sicher von den Jesuiten zerstört
worden wären. Dr. Lehmann-Nitsche-La Plata.
276. Juan B. Ambrosetti: La antiqua ciudad de Quilmes
Bol. del Inst. Geogr. Arg. 1897. Tomo XVIII, Nr. 1—3,
p. 105—114.
Beschreibung der Ruinenstadt Quilmes; Lage, Gebäude, Befestigungen,
Gräber, Grabgefässe vom echten Calchaquitypus. Interessant vom prähis-
torischen Standpunkt sind Felsenzeichnungen in der Umgegend, darunter
ein Kopf von genau demselben Typus wie er als Ornament auf Kupfer-
sachen und Gefässen der Calchaqui wiederkehrt, Spiralen, auch zur
Swastika kombiniert etc. Mit Kupferbeilen primitivster Form, die sich
auch vorfinden, hält Ambrosetti diese Skulpturen für ausgeführt.
Dr. Lehmann-Nitsche-La Plata.
348 ß- Referale. 2. Urgeschichte.
211. Manuel Antonio Muniz and W. J. McOee: Primitive
trephining in Peru. Sixteenth Annual Report of the Bureau
of American Etlinology by S. W. Powell. Washington 1897.
S. 3— 72.
Dr. A. A. Muniz, bis 1893 Surgeon General der peruaner Armee,
hatte bis zu jener Zeit eine sehr grosse Sammlung peruaner Altertümer
angelegt, darunter mehr als 1000 alte Schädel der Eingeborenen. Neun-
zehn dieser Schädel waren trepaniert, also fast 2 7o5 und an mehreren
Schädeln war die Operation wiederholt vorgenommen worden, so dass die
Gesammtzahl der operativen Eingriffe 2 V2 7o ^^^ ^^^^1 ^^r Schädel über-
haupt betrug. Die trepanirten Schädel befinden sich jetzt bis auf einen
im Besitz des United States National Museum.
Das Verfahren bei den Operationen war in allen Fällen äusserst roh,
und man ging dabei nicht immer in gleicher Weise vor. In der Mehrzahl
der Fälle wurde durch gerade oder durch gebogene Einschnitte in den
Knochen ein Stück desselben umgrenzt und durch Hebelbewegung heraus-
gehoben; in anderen Fällen wurde der Knochen durch Schaben entfernt.
Die Einschnitte sind auf dem Querschnitt V förmig, auf dem Längsschnitt
bootsförmig, d. h. sie sind in der Mitte am tiefsten und laufen, seichter
werdend, an den Enden allmählich aus. Man umschnitt mit geraden Linien
ein Rechteck oder Quadrat; oft auch wurde unregelmässig vorgegangen,
wenn es galt, bei Frakturen Knochendepressionen zu heben oder abgesplitterte
Fragmente zu beseitigen. Spuren von Heraushebeln des zu entfernenden
Knochenplättchens zeigten sich an Druckstellen, an denen der Hebel auf-
gelegt worden war, in einem Falle sehr, und in 6 weiteren weniger
deutlich.
Zu den Einschnitten wurde ein konisch-spitziges Instrument benutzt
(Steinpfeilspitzer oder Ahnliches), das sägend hin- und hergeführt wurde;
die Schabung geschah, wie die meist unregelmässigen, rohen Steinritzungen
an denselben zeigen, wohl mit einem ganz ähnlichem Gerät. Nichts zeigt eine
besondere, der Eigenart der Operation angepasste Form des chirurgischen
Instrumentes an, nichts spricht auch dafür, dass dieses aus Metall bestanden
habe; dieser letztere Umstand, sowie die rohe Art des Vorgehens sprechen
dafür, dass jene Trepanationen noch in die vorspanische Zeit fallen.
Unter den 24 vorliegenden Trepanationswunden zeigen 13 Ver-
änderungen, die es zur Gewissheit machen, dass der Operierte noch längere
Zeit nach dem Eingriff lebte, mindestens mehrere Monate, in einzelnen
Fällen wohl Jahre. In 6 oder 7 Fällen starb der Patient wohl während,
oder sehr bald nach der Operation; es waren die Fälle, in denen
schwere Knochenbrüche mit Depression, etc. die Indikation zu derselben
abgegeben hatten. Ein solcher Grund für das chirurgische Eingreifen lässt
sich bei 11 Schädeln mit 16 Trepanationen nicht erkennen. Hier sind
B. Keterute. 3. Anthropologie. 349
die Resultate viel günstiger; der Trepanierte lebte hier na(;li G Operationen
noch lange, nach 4 oder 5 kürzere Zeit weiter.
Die Verfasser glauben, dass die Operation auch bei den schwer Ver-
letzten weniger zur Behandlung der Knochenwunden, als zur Bekämpfung
der Symptome (Coma, Delirien, Krämpfe) angewandt wurde, und dass aus
dieser Indikation oft auch der nicht mechanisch verletzte Schädel eröffnet
wurde. Es seien magisch-schamanische (,,thaumaturgische") Eingriffe ge-
wesen. Der Zweck, Knochenscheibchen (,,Rondelettes") zu gewinnen, tritt
in Peru nirgends hervor.
Frof. Dr. Emil Schmidt-Leipzig.
3. Anthropologie.
a. Somatische Anthropologie.
278. Crochley Clapham: A note ou the comparative intel-
lectual value of the anterior aud posterior cerebral
lobes. Journ. of ment. science. 1898. Bd. XLIV, S. 290.
Dass der Sitz der Intelligenz hauptsächlich im Hinterhaupt zu suchen
ist, wie bereits Retzius, Carpenter, Bastian und Hughlings Jackson u. A.
vermutet haben, sucht Verf. durch folgende Thatsachen zu stützen:
1. Biologisch. Die niederen Wirbeltiere besitzen keine Occipitallappen,
sondern nur Vorderlappen. Bei den Reptilien und Vögeln nehmen jene
mehr und mehr an Volumen zu. Bei den niederen Säugetieren er-
scheint das Mittelhirn in Entwicklung und nimmt aufsteigend in der
Tierreihe ebenfalls zu. Erst bei den Carnivoren differenziert sich ein
Hinterlappen von dem Mittelhirn. Je weiter man dann in der Tier-
reihe aufsteigt, um so mehr entwickelt sich dieser Hinterhauptslappen.
Der Mensch besitzt allerdings ein relativ kleineres Hinterhirn, als gewisse
Affen, aber dafür ist dieses bei ihm in zahlreichere Falten und Windungen
gelegt. — 2. Ethnologisch. Die niederen Rassen besitzen Occipitallappen
von nur geringem Volumen; so z. B. sind sie am Gehirne des Busch-
manns so gering entwickelt, dass sie das Kleinhirn nur ungenügend be-
decken (Marshall, Bastian). — 3. Geistig hochstehende Männer (Gauss, de
Morgan etc.) besitzen dagegen ein entwickelteres Hinterhirn. — 4. Ent-
wicklungsgeschichtlich. Die Hinterhauptslappen erscheinen sowohl beim
Individuum, als in der Spezies verhältnismässig spät; im 2. oder 3. Monat
des intrauterinen Lebens bilden sich die Vorderlappen, gegen Ende des
3. und im 4. erscheinen die beiden Mittellappen und erst nach dem
5. Monat die Hinterlappen. (Retzius.) — 5. Klinisch. Bei Idioten pflegt
das Hinterhirn nur mangelhaft entwickelt zu sein (Fletcher Beach, Shutt-
leworth). Verf. hat Messungen des Horizontalumfanges am Schädel von
183 Geistesgesunden und 1944 Geisteskranken angestellt mit dem Re-
sultat, dass das vordere Segment (bis zum Gehörgang) bei Idioten 52,30,
bei Geisteskranken 52,27 und bei Geistesgesunden 52,15 pCt. des Ge-
350 ^^ Referate. 3. Anthropologie.
samtumfanges ausmacht. In dem Maasse also wie die Intelligenz abnimmt,
nimmt das vordere Segment der Horizontalcurve zu, eine Beobachtung,
die auch Garson und Flower bei ihren Untersuchungen über Schädel
niederer Rassen gemacht haben wollen. — 6. Pathologisch. Die Autopsien
lehren, dass in der That das Occipitalgehirn von Idioten weniger,
hingegen das Frontalhii-n mehr im Vergleich zu dem Gesamtgewichte des
Gehirns wiegt. Verf. fand ein relatives Gewicht der Frontallappen bei
Idioten von 37,16, bei Imbecillen von 37,11 und bei Geisteskranken von
35,99 i)Ct. des Gesamtgewichtes. Aphasie ist hochgradiger und häufiger,
je mehr die Läsionen nach dem Hinterhaupt zu liegen (Marc Dax u. A.).
Das Gehirn von chronisch Dementen weist oft destructive Prozesse im
Hinterhaupt auf.
Neuerdings verlegt auch Flechsig den Sitz der Intelligenz in das
Hinterhirn. Dr. Buschan-Stettin.
279. Dubois: Über die Abhängigkeit des Hirngewichts Ton
der Körpergrösse bei den Säugetieren. Arch. f. Anthrop.
1897/98. Bd. XXV, S. 1—28. (Abdruck aus: Verhandl. d.
kon. Akad. van Wetenschappen te Amsterdam. 1897. Deel V,
Nr. 10. April; auch Bull, de la Soc. d'anthrop. de Paris.
1897. Bd. VIII, S. 337.)
Das Hirngewicht eines jeden Tieres hängt ab: erstens von der Ent-
wicklungsstufe, welche das Gehirn als Organ erreicht hat, also von der
Cephalisation des Centralnervensystems und zweitens von der Körper-
grösse, von letzterem Faktor aber nicht in genauer Proportion; denn
kleinere Tiere besitzen ein relativ höheres Hirngewicht. Nach Darstellung
der für diese Erscheinung vorgebrachten Erklärungen (verhältnismässig
grössere Sinnesorgane und grössere Muskelaction bei kleineren Tieren, so-
wie stets gleichbleibende Dicke der Grosshirnrinde, nicht vollkommen
gleiche Grösse der Ganglienzellen etc.) geht Verf. ohne spezielle Berück-
sichtigung dieser Faktoren zur allgemein mathematischen Formulierung
dieses Problems.
Nach seiner theoretischen Darlegung steht die Quantität des Gehirns
im Verhältnis zur Körperoberfläche, und um letztere genau auszu-
drücken, ist 0,6666 als Exponent zu der das Körpergewicht dar-
stellenden Zahl zuzusetzen. Soll also erstere theoretische Annahme
richtig sein, so wird, wenn man die Hirngewichte zweier Tiere von
gleicher systematischer Stufe miteinander vergleicht, die Zahl, welche dem
Körpergewicht der beiden betreffenden Tiere als Exponent (Relations-
exponent) zuzusetzen ist, um das Verhältnis der gegebenen Hirngrössen
auszudrücken, der Zahl 0,6666 . . . nahe kommen müssen. Dies ist in der
That der Fall; Verf. hat die Weber'schen Angaben daraufhin berechnet,
sowie eigene Untersuchungen vorgenommen, und es ergiebt sich so mathe-
B, Referate, 3. Anthropologie. 35|
matisch die Bestätigung der Annahme, dass das Flirngewiclit von di^v
Körperoberfläclie abhiingig ist.
Hat man erst einmal den Relationsexponenten gefunden, so kann man
darnach auch den Cephalisationsfaktor (als mathematischer Ausdruck der
Cephalisation des Centralnervensystem) berechnen. Es steht hiernach der
Mensch weit obenan. Aber auch der Elephant steht hoch, Verf. sucht
für des letzteren Verhalten eine Erklärung in der „passiven Vergrösserung
des Hirns", folgend der Ausdehnung des Schädels und der Schädelhöhle,
während es sich beim Ameisenbär gerade umgekehrt verhält.
Dr. Lehmcmn-Nitsche-La Flata.
280. H. Welcker: Die Dauerhaftigkeit des Dessins der Rief-
clien und Fältclien der Hände. Archiv f. Anthropol. 1897/98.
Bd, XXV, Heft 1—2, S. 29—32.
Schon Galton (Journ. of the anthrop. Inst. 1888, p. 188 — 189) hatte
dies an dem Abdruck der Fingerbeere des rechten Zeige- und Mittelfingers
Sir W. Herschels für den Zeitraum von 28 Jahren (1860 und 1888)
nachgewiesen. Verf. hat dasselbe ausser für die Fingerbeere (rechter
Daumen) auch für den Handteller bestätigt; die 1856 und 1897 ge-
nommenen Abdrücke weisen während des Zeitraums von 41 Jahren nur
solche Abweichungen auf, die auf Entwickelung oder Rückbildung der
jüngeren Form beruhen. Immer sind diese nur recht unbedeutend und
haben ihren Grund teils in dem Druck, teils in sehr wenig eingreifenden
Rückbildungen von Riefchen oder Neubildungen von Fältchen, „Nur
werden die Handfalten mit zunehmendem Alter zum teil breiter; hin und
wieder tritt eine neue hinzu und ein oder das andere Riefchen, welches
sich früher vorfand, fehlt in dem mehrere Dezennien späteren Abdrucke
längs eines verbreiterten Fältchens."
Dr. B. Lehmmin-Nitsche-La Plata.
281. B. Livi: L'indice ponderale o rapporto tra la statiira
e il pesO. Atti della Societä Romana di Anthropologia 1898.
Vol. V, Fase. II.
Die Beziehung zwischen dem Gewicht und der Körper grosse ist
nicht so einfach festzustellen, wie manche Autoren glaubten. Die Ver-
hältniszahl beider Grössen wechselt je nach dem Alter und der Grösse,
natürlich auch der Stärke der Individuen in so weitem Rahmen, dass
irgend eine Gesetzmässigkeit nicht herauszufinden ist. Der Verf. hat
richtig erkannt, woher dies rührt. Das Gewicht steht in naher Be-
ziehung zu dem Rauminhalt des Körpers, lässt sich also nicht einfach
mit der Länge einer Linie vergleichen. Ähnliche Körper verhalten sich
zu einander vielmehr wie die dritten Potenzen homologer Linien, und
352 ß- Referate. 3. Anthropologie.
wenn sich ein leichter Wechsel dieses Verhältnisses kundgiebt, so kann
man schliessen, dass die Körper nicht ganz ähnlich sind und in welchem
Sinne sie abweichen. Vergleicht man die dritte Wurzel aus dem Gewicht
mit der Körpergrösse, so findet man die bisher verborgenen Gesetzmässig-
keiten auf der Stelle. Die Prozent zahl, die hierbei herauskommt,
wurde von Livi ,,Gew i chts-Index" (Indice ponderale) genannt. Der
Gewichts-Index wechselt in doppeltem Sinne, zunächst mit dem Alter.
Er beträgt bei männlichen Neugeborenen 29,7, bei weiblichen 29,6 pCt.
und geht bei Knaben bis zum 11. Jahre, bei Mädchen bis zum 10. Jahre
herunter auf 22,8 und 23,2 pCt. Dann folgt ein Stillstand mit geringen
Schwankungen. Vom 17. Jahre an hebt sich der Index beim männlichen
Geschlecht wieder etwas bis auf etwa 24^6 pCt. ; beim weiblichen steigt
er schon vom 15. Jahr an und kommt auf 24,7. Ferner wechselt der
Gewichts-Index mit der Grösse der Individuen. Die bekannten Angaben
von Gould über Soldaten der Vereinigten Staaten ergeben in dieser
Weise berechnet, dass der Gewichts-Index bei 1,524 cm Körpergrösse
24,3 pCt. beträgt und mit zunehmender Grösse stetig abnimmt. Er be-
trägt bei 1,651 cm noch 23,7 pCt., bei 1,753 cm noch 23,3 pCt. und
bei 1,905 cm noch 22,2 pCt. Die Schwankungen sind nicht bedeutend,
was für die Theorie Livis spricht, aber sie sind sehr bezeichnend:
die kleinen Leute sind verhältnismässig schwerer, die grossen leichter,
d. h. jene stämmiger, diese schlanker. Der Verf. fügt noch eine Ver-
gleichung von Angaben über Gewicht und Körpergrösse aus verschiedenen
Ländern an, die ebenfalls interessante Schlüsse zulassen. Auch widmet
er dem Verhältnis zwischen dem Gewicht des Gehirns und dem des
Körpers einige sachgemässe Betrachtungen. Er drückt das Körpergewicht
durch einen Würfel aus, dessen Seite bestimmt wird, und dann giebt er
an, wie hoch eine in diesem Würfel stehende, dem Gewicht des Gehirns
entsprechende Wassermenge in Prozent der Würfelseite sein würde. Da-
bei ergiebt sich das Resultat, dass die Verhältniszahl mit der Körpergrösse
abnimmt. Sie beträgt bei Männern von 145 bis 149 cm 7,46 pCt., bei
solchen von 170 bis 179 cm 6,44 und bei solchen von 180 bis 187 cm
6,09 pCt. Die Abnahme der Zwischenstufen geschieht stetig. Bei Frauen
sind die entsprechenden Zahlen für die Grösse von 132 — 139 cm 7,86 pCt.,
160—169 cm 6,72 pCt. und 174—184 cm 6,10 pCt. Als Anhang sind
den Abhandlungen Rechent ab eilen beigegeben, die für jede beliebige
Körpergrösse von einem Centimeter zum andern und für jedes Gewicht
von 1 kg zum andern den Gewichts-Index angeben, also die mühsame Be-
rechnung des Kubikwurzelziehens und Teilens ersparen. Die Abhandlung
Livis bezeugt wieder den grossen Nutzen, den der Anthropologe aus einer
geometrisch - mathematischen Schulung ziehen kann. Livi hat schon
manches geleistet, was er ohne seine gediegenen Kenntnisse auf diesem
Gebiet nicht hätte leisten können. Es sei hier nur an seine gründlichen
B. Referate. 3. Anthropologie. 353
Untersuchungen über die graphische Darstellung der Frequenz der Grüssen-
Stufen hingewiesen. Unsere Anthropologen mögen sich dies gesagt
sein lassen. 0. Am)no)i-Karhnili<i.
b. Biologie.
282. (j. Papillault: Le transforniisme et son iiiterpr^tation
en craniologie. Bull, de la Soc. d'anthrop. de Paris. 1897.
Bd. Vm, S. 377.
In dieser ,, Conference annuelle transformiste" giebt Redner eine
kurze Übersicht der Fortschritte der Evolutions-Theorie und iiircs Ein-
flusses auf die Wissenschaft. Dann zeigt er an einigen Beispielen, dass
alle scheinbar atavistischen Erscheinungen nicht als Atavismus gedeutet
werden dürfen. So ist der Metopismus kein Rückschlag auf tierische
Schädelbildung. Bei den Fischen vereinigen sich die Stirnbeine nicht, weil
das Knochensystem überhaupt wenig ausgebildet ist; bei den Säugetieren,
weil das Riechorgan sehr entwickelt ist; zufälliger Weise beim Menschen
wegen der grossen Gehirnentwickelung. Diese Erscheinung hat also drei
verschiedene Ursachen (s. a. Centralbl. Bd. II, 1897, S. 21).
Das zweite Beispiel ist noch zutreffender. Auf der Sagittalnaht, am
Obelion, ist der Knochen oft dünner, die Naht ist einfach, und jederseits
befindet sich ein Gefässloch. Manchmal sind diese Löcher sehr gross, in
anderen Fällen mit einander verbunden ; hier und da bildet sich sogar eine
wahre Fontanelle, die durch einen Schaltknochen ausgefüllt wird oder
offen bleibt. Die Fontanelle existiert fast immer beim Neugeborenen. Es
besteht also hier an der Stelle des längst verschwundenen dritten Auges
der Wirbeltiere eine Unvollständigkeit der Verknöcherung. Aber warum
tritt diese Erscheinung gerade beim Menschen auf, der doch das jüngste
der Säugetiere ist? Weil bei ihm das Gehirn sehr hypertrophisch ist,
so dass der Schädel es nur mit grosser Mühe einhüllen kann. Da sich
am Obelion als Erinnerung des einst dagewesenen dritten Auges, so zu
sagen ein Locus minoris resistentiae befindet, wo die Verknöcherung lang-
samer vor sich geht, und wo Gefässe vorhanden sind, die für das Auge
bestimmt waren, so kann unter Umständen hier eine Lücke entstehen,
die zugleich einen Rückschlag auf eine längst verschwundene Bildung und
ein Zeichen neuer Fortentwickelung des Gehirns vorstellt.
Dr. L. Laloy- Paris.
283. G. de Mortillet: Jnstinct et raisonnement. Bull, de la
Soc. d'anthrop. de Paris. 1897. Bd. VIII, S. 439.
M. führt einige, dem Tierleben entnommene Beispiele an, um zu
zeigen, dass zwischen Instinkt und Vernunft keine Grundverschiedenheit
besteht. Referent meint, dass nach der Entdeckung der Associations-
centren durch Flechsig (Centralbl. Bd. III, 1898, S. 17) und der Beweg-
lichkeit der Nervenzellen (Mathias-Duval, L'amoeboisme des cellules ner-
veuses, Revue seien tifique 1898, Nr. 11), diese Frage bald eine bessere,
Centralblatt für Anthropologie. 1898. 23
354 B« Referate. 5. Anthropologie.
als eine empirische Lösung finden wird. Er glaubt, dass die Verschiedenheit
zwischen der sogenannten Vernunft und dem Instinkt nur darin besteht,
dass beim Menschen die Beweglichkeit der Zellenfortsätze eine grössere
ist, als bei den anderen Tieren und infolge dessen die gebildeten Ver-
bindungen leicht wieder gelöst und in andere umgewandelt werden können,
während bei den Tieren eine je nach der Art grössere oder kleinere
,, Steifheit" der Zellenfortsätze besteht, so dass die einmal gebildeten Ver-
bindungen oder Associationen eine grosse Neigung haben fortzubestehen,
und sich zu vererben. Übrigens existiert auch beim Menschen ein ge-
wisser Grad dieser Tendenz. Nach dieser Hypothese, die durch weitere
Untersuchungen bestätigt werden dürfte, wäre also zwischen Instinkt und
Vernunft keine Grund-, sondern nur eine Gradverschiedenheit: es bestände
nur eine Verschiedenheit in der Tenacität der von den Zellenfortsätzen
gebildeten Verbindungen. Dr. L Laloy-Paris,
d. Pathologisches Verhalten,
Anomalien, Degenerations -, Kriminal-Anthropologie.
*^84:. Ferdinand Birkner: Über die sog. Azteken. Archiv f.
Anthr. 1897/98. Bd. XXV, Heft 1—2, S. 45—59.
0. Berkhau: Zur Entwickelung und Deutung der sog.
Azteken-Microcephalen. Globus. 1898. Bd. LXXIII, Nr. 4.
Ausführliche Fassung des Vortrages, den Birkner auf dem vorletzten
Anthropologen - Congress zu Lübeck (s. Correspondenzbl. d. Deutschen
anthrop. Gesellsch., 1897, Nr. 11 u. 12, S. 153—154) gehalten hat.
Unter Hinweis auf das betr. Referat im Centralbl. (Bd. IL 1897, S. 347)
geben wir im folgenden nur die Resultate:
,,Das Wachstum des Schädels normaler Menschen zeigt im Laufe der
Entwickelung hinsichtlich der Schädellänge, der Schädelbreite und des
Horizontalumfanges eine Abnahme. Die jährliche Zunahme wird sowohl
absolut, als auch insbesondere relativ immer geringer. Die Azteken
gleichen hinsichtlich der Hirnschädel maasse (Länge, Breite, Horizontal-
umfang) ungefähr den Neugeborenen und den Kindern vom 2. Jahre, aber
hinsichtlich der Hirnschädelentwickelun g stehen sie den normalen
Menschen nicht nach. Weder die Zunahme der Kopflänge noch der Kopf-
breite oder des Horizontalumfanges sinkt unter die mittlere Zunahme beim
normalen Menschen. Es muss also die Hemmungsperiode vor dem Zahn-
wechsel liegen, am wahrscheinlichsten vor der Geburt. Auch bei der
Margarethe Becker gilt das Gleiche." Dr. B. Lehmann-Nitsche-La Plata.
285. G. J. Frey: Drei mikrocephale Geschwister. Arch. f.
Anthrop. 1897/98. Bd. XXV, Heft 1—2, S. 33—44.
Ausführliche Beschreibung und umfangreiche Messungen dreier in der
Irrenanstalt zu Schweiz internierter mikrocephaler Geschwister. Auffallend
B. Referate. 3. Anthropologie. 355
das hohe Lebensalter (der Bruder z. Z. 49, die beiden Schwestern 45 resp.
42 Jahr) und der starke Geschlechtstrieb dieser Idioten. Die geistigen
Fähigkeiten des Bruders haben sich durch die Anstaltsbehandlung gehoben.
Ätiologisch nichts nachweisbar, Eltern normal; ein verstorbenes viertes
Kind (Drillingsbruder der einen mikrocephalen Schwester) ebenfalls mikro-
cephal, vier andere Kinder normal.
Dr. E. Lehmann-Nüsche-La Flata.
286. J. Marty: Recherches statistiques sur le d^veloppement
physique des d^linquants. Archives d'anthropologie crimi-
nelle. 1898. Bd. XIII, S. 178.
Verf. hat die körperliche Entwicklung von mehr als 4000 Zücht-
lingen studiert, die nach Abbüssung der Strafe ihren Militärdienst in den
„bataillons de discipline" verrichteten. Sie gehören zu der kleinen und
mittleren Kriminalität. Als Vergleichsmaterial dienten französische Sol-
daten der gewöhnlichen Armee.
Die Körperhöhe giebt keinen nennenswerten Unterschied: 1,650 m
bei 10 651 Normalen und 1,647 m bei 4704 Sträflingen; bei letzteren
sind die Grossen und Kleinen zahlreicher, die Mittleren etwas seltener
vertreten, als bei den Normalen. Der Brustumfang soll nach Lombroso
grösser sein als bei den Verbrechern; das ist aber nicht der Fall: er be-
trägt 0,844 M. bei 10 689 Normalen und 0,846 m bei 4 445 Züchtungen
Dagegen ist das Körpergewicht grösser: 59,740 kg bei 10 071 Nonnalen
und 63,456 kg bei 2 545 Züchtungen.
Im Vergleich zu der Körperhöhe sind die Verbrecher günstiger ge-
stellt, nicht allein durch ihr Gewicht, das um 3,856 kg das Normalgewicht
für ihre Taille übertrifft, sondern auch durch ihren Brustumfang, der das
Mittel um 0,023 m übertrifft. Dazu kommt noch, dass ihre allgemeine
Körperbeschaffenheit eine bessere ist, als die der Normalen. Alle diese
Unterschiede erklären sich durch die Selektion, die in den schlechten
hygienischen Verhältnissen der Verbrecher - Familien und dann in den Ge-
fängnissen stattfindet, und welcher alle Schwachen oder schlecht Prä-
disponierten zum Opfer fallen. Dr. L, Laloy-Paris.
287. J. R. Lord: The collecting and recording of descrip-
tive and anthropometric data of the ear in the neu-
rotic, insane and criminal. A new method. Journal of
mental science. 1898. Bd. XLIV, S. 241. (4 Abbildungen.)
Diese kurze Abhandlung enthält die Beschreibung einer Methode der
Aufnahme der verschiedenen Maasse des äusseren Ohres. Sie unterscheidet
sich nur ganz unbeträchtlich von derjenigen Schwalbe's. Der Abhandlung
ist das Modell eines Schemas zur Eintragung der aufgenommenen Maasse
beigefügt. Dr. L. Laloy-Paris.
23*
356 C. Versammlungs- und Vereins-Berichte.
C. Versamiiiliings- und Vereins-Berichte.
Bericht über die 29. angemeiue Versammlwng der deutschen
anthropologischen Gesellschaft in Braunschweig(4r.— 6. Aug. 1898.)
Von Joseph Mies, Köln.
An der von Geheimrat Blas ins und den übrigen Mitgliedern des
Ortsausschusses aufs beste vorbereiteten Versammlung nahmen 164 An-
thropologen bezw. Freunde der mit den Menschen sich beschäftigen-
den Wissenschaft nebst zahlreichen Damen teil. Nicht in Braunschweig
wohnen 96 Teilnehmer, unter welchen sich 13 Ausländer befanden (7 Öster-
reicher, ein in der Schweiz ansässiger Forscher, 2 Russen, 1 Engländer
und 2 Angehörige der Vereinigten Staaten von Nordamerika).
Geheimrat Virchow gedachte bei Eröffnung der von ihm geleiteten
Versammlung zunächst des schweren Verlustes, den das deutsche Volk und
das Kaiserhaus erlitten haben. Redner erinnerte an eine ähnliche
schwere Zeit, den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, der die
Vertagung der nach Schwerin einberufenen begründenden Versammlung
der deutschen anthropologischen Gesellschaft veranlasste, v^ährend die
Berliner anthropologische Gesellschaft damals sowie überhaupt seit 1869
keine Sitzung habe ausfallen lassen. Da aber die Arbeit über die Gräber
hinausgehe, so müssten wir auch nach dem Tode des grossen Staatsmannes
auf unsere gewöhnlichen Geschäfte zurückkommen.
Virchow verbreitete sich dann über die jüngere Steinzeit in
einer längeren Rede, aus der folgendes angeführt sei : Die vor 30 — 50 Jahren
in Bezug auf die Steinzeit gemachten Entdeckungen gaben die Veranlassung
dazu, dass anthropologische Gesellschaften gegründet, zuerst internationale,
dann nationale Versammlungen veranstaltet wurden. Die Lösung der
seitdem erörterten Frage der Steinzeit wird vielleicht Keiner von uns er-
leben. Um zu erforschen, in welche Zeit die zwischen Braunschweig und
der Elbe besonders zahlreichen megalithischen Denkmäler gehören, darf
man sich nicht auf die Betrachtung der in diesem Lande befindlichen
Monumente beschränken, sondern muss ähnliche Funde in Amerika und
Afrika heranziehen. Die grosssteinigen Denkmäler wurden nicht für Jeder-
mann, sondern nur für Könige und Adelige errichtet. Als gross sind sie
insofern zu bezeichnen, als sie über das Maass hinausgehen, das man auch
heute noch bei Bauten für ähnliche Zwecke gewöhnlich anwendet. Die
mit den megalithischen Denkmälern oft verwechselten Steinkisten können
recht gross sein, dürfen aber nicht megalithische Denkmäler genannt
werden.
Virchow kommt hier auch auf die Kjökkenmöddinger und auf die
in den Mounds (amerikanischen Erdaufwürfen oder Schanzen) ausgegrabenen
Küchenabfälle zu sprechen und betont, dass man einem solchen Abfall-
haufen einen grossen Wert nur dann beimessen dürfe, wenn man seine
C. Versammlungs- und Vereins-Berichte. 357
Entstehung in eine längst vergangene Zeit zurückverlegen könne, die mit der
heutigen Welt nichts zu thun habe.
Die megalithischen Bauten haben im Laufe vieler Jahrhunderte durch
Verwitterung und namentlich durch die Zerstörungssucht der Menschen
sehr gelitten. Auf natürlichem oder, wie andere meinen, auf künstlichem
Wege sind Vertiefungen, Näpfchen, entstanden. Entgegen den Regierungs-
Verordnungen werden die Megalithen jetzt noch angegriffen, um zu Chaussee-
steinen verwandt zu werden. Auf diese Weise sind früher sorgfältig be-
schriebene grosssteinige Denkmäler ganz verschwunden und kann das Ge-
biet, in dem diese Monumente errichtet wurden, nicht mehr in seiner ur-
sprünglichen Ausdehnung begrenzt werden. Durch aufmerksame Über-
wachung und Verhängung strenger Strafen muss daher die Befolgung der
zum Schutze dieser unersetzlichen Denkmäler erlassenen Vorschriften ge-
sichert werden. Gegenüber der Annahme, dass die bis ins nördliche
Afrika zu verfolgenden megalithischen Bauten von einem auf der Wande-
rung begriffenen Volke, etwa den Vandalen, aufgeführt wurden, kann
Virchow sich nicht entschliessen, diese Denkmäler mit irgend einem ge-
schichtlichen Volke in Beziehung zu bringen. Zur Zeit der Völker-
wanderung waren diese Denkmäler längst fertig. Wenn wir die ältesten
Angaben römischer und griechischer Schriftsteller über die Namen be-
stimmter Völker heranziehen, so kommen wir für die Germanen auf die
Bastarner an der unteren Donau. Die auf einem grossen Denkmal in der
Dobrudscha aus der Zeit des Trajan dargestellten Barbaren könnte man
für Bastarner halten. Aber mit Trajan kommen wir noch nicht in die
Entstehungszeit der Megalithen. Übrigens kann man diesen Monumenten
ebenso wenig wie vorgeschichtlichen Schädeln ansehen, ob sie von Ger-
manen herrühren. Dies liegt daran, dass keine unversehrten Megalithen
mehr vorhanden sind. In ähnlicher Weise w^urden die ägyptischen Gräber
schon Jahrtausende vor Christo geplündert. Man brachte daher die Mumien
von Königen und Oberpriestern in einem tiefen Erdspalt unter, wo man
jetzt eine grosse Zahl derselben nebeneinander gefunden hat.
Das bewährte Verfahren, mittelst des Topfgeschirrs gewisse Zeit-
abschnitte zu bestimmen, kann auch noch an einem ausgeraubten Grabe,
in dem Topfscherben als wertlos zurückgelassen wurden, angewandt
werden. Das älteste neu-steinzeitliche Gräberfeld liegt in der Nähe von
Tangermünde. Grosse Gräberfelder aus der jüngeren Steinzeit sind neuer-
dings in Worms aufgedeckt worden, wo das Vorhandensein einer prä-
historischen Stadt nachgewiesen wurde. Viele sehen diese Gräberfelder als
typisch an für die Germanen, die durch Mecklenburg, Pommern bis in die
Ostsee-Provinzen gekommen sind, und Virchow würde es keinem Lang-
kopfe verdenken, wenn er sich in Beziehung bringen wollte mit den in
den neu-steinzeitlichen Gräbern bestatteten Langköpfen.
358 C. Versammlungs und Vereins-ßerichte.
Aber diese Gräber sind lange vor der Zeit angelegt worden, worüber
wir Urkunden haben. So hat man in den letzten Jahren solche Gräber
in Ägypten gefunden, die weit älter sind als die ägyptischen Dynastien.
In diesen Gräbern der Fremden sind die Leichen nicht in besonderen
Kammern, sondern unmittelbar in der Erde bestattet. Dabei liegt eine
Masse von früher in Ägypten nur vereinzelt gefundenen Geräten aus
geschlagenem, gemuscheltem Feuerstein, an denen wir die neolithische Zeit
erkennen. Virchow hält es für möglich, dass die in diesen Gräbern
beim 1. Katarakt ruhenden Fremden Zeitgenossen der Leute waren, die
in die Gräber von Tangermünde und Worms gelegt wurden.
Diese und andere, die jüngere Steinzeit betreffenden Fragen, wann
und von wem die grosssteinigen Denkmäler errichtet wurden u. s. w.,
können nur gelöst werden, wenn Viele sich mit ihnen beschäftigen. Da-
her forderte Virchow am Schlüsse seine Zuhörer auf, zum Ausbau der
anthropologischen und archäologischen Wissenschaften dadurch beizutragen,
dass sie sorgfältig über das berichten, was sie an Resten der Vorzeit auf
ihren Reisen und Spaziergängen bemerken.
Nachdem hierauf Geheimrat Blasius im Auftrage des zu den Trauer-
feierliehkeiten für Bismarck nach Berlin gereisten Staatsministers v. Otto
versichert hatte, dass die Regierung den Verhandlungen mit dem aller-
grössten Interesse folge, und nachdem die Vertreter der Stadt, der Hoch-
schule, des ärztlichen und des naturwissenschaftlichen Vereins die Ver-
sammlung begrüsst hatten, erstattete der Generalsekretär, Professor Jo-
hannes Ranke, den wissenschaftHchen Jahresbericht. Denselben er-
öffnete er mit dem Hinweis darauf, dass die Anthropologie im letzten
Jahre durch einen neuen Zweig, die Stammbaumkunde, bereichert worden
sei. Mit diesem Gebiete beschäftigen sich das grundlegende ,, Lehrbuch der
gesamten wissenschaftlichen Genealogie" von Professor Lorenz und
ein vortreffliches Werk des Grafen Zichy. Auch die Münzkunde, der
mehrere gediegene Arbeiten des letzten Jahres angehören, muss als eine
beachtenswerte Hilfswissenschaft der Anthropologie und Ethnologie an-
gesehen werden. In der somatischen Anthropologie sei das Studium der
Weichteile in den Vordergrund getreten vor die wissenschaftliche Betrach-
tung der Knochen. Als Beleg für diesen Satz wird die soeben erschienene
Arbeit Kollmann's über die Rekonstruktion des Gesichtes über dem
knöchernen Gerüst auf Grund der durchschnittlichen Dickenmaasse der
Weichteile angeführt. Redner spricht dann von der Steinzeit in Ägypten,
die durch die jüngst erforschten Gräber der Fremden festgestellt wurde,
und erwähnt die wichtigen Ergebnisse von W. Krause's Reise nach
Australien. Nachdem Ranke das freundschaftUche Verhältnis der deutschen
zur Wiener anthropologischen Gesellschaft und die regen Wechselbeziehungen
zu den anthropologischen Gesellschaften in den Niederlanden, der Schweiz
und Skandinavien hervorgehoben hatte, erinnerte er zum Schlüsse noch
C. Versammlungs- und Vereins-Bericlite. 359
an den vor einigen Monaten gefeierten Eintritt Virchows in das 50. Jahr
seiner akademischen Lehrthätigkeit und die gleichzeitige Vollendung des
150. Bandes seines berühmten Archivs und bittet die Versammelten, sich
von ihren Sitzen zu erheben zum Zeichen dafür, wie stolz die Gesell-
schaft darauf sei, dass ihr Gründer und Ehrenvorsitzender noch mit alter
Kraft das Steuer führe.
Indem Geheimrat Virchov^ für diese Ehrung bewegt dankte, sagte
er u. a., dass wir Alle Schüler der Anthropologie seien und als unseren
einzigen Meister nur die Erfahrung anerkennen. So lange seine Kräfte
ausreichen, werde er im Dienste der Anthropologie stehen.
In dem Kassenberichte, womit die erste Sitzung abschloss, hob Ober-
lehrer Weismann auch die umfassende, alle Erscheinungen auf den ver-
schiedenen Gebieten der Anthropologie sorgfältig beobachtende Thätigkeit
des Generalsekretärs der Gesellschaft rühmend hervor.
Am 2. Sitzungstage besprach zunächst Prof. Johannes Ranke neuere
anthropologische Veröffentlichungen aus dem bei allen Anthropologen
rühmlichst bekannten Verlage von Vi e weg in Braunschweig.
Hierauf legte Paul Teige, Berlin, einen grösseren, bei Drencova in
Serbien am eisernen Thor gemachten und von ihm auf einer Reise nach
Rumänien erworbenen Bronzefund vor, nämlich 11 Fibeln, ein Arm-
band, eine Figur, Spiralringe und zwei altrömische Gewichte. Eine dieser
Fibeln, von welcher der Finder die Patina abgeschabt hatte, zeichnet sich
jetzt, nachdem Redner sie vollständig abgeschliffen, poliert und metallisiert
hat, durch ihren schönen goldigen Glanz aus. Ferner zeigte er zwei
goldene Ohrgehänge und zwei goldene Ringe aus Tomi bei Constanza in
der Dobrudscha. Einer der Ringe enthält eine Saphirgemme, die an-
scheinend einen wandernden Bär darstellt. Endlich legte der durch seine
vortrefflichen Nachbildungen vor- und frühgeschichtlicher Funde sich aus-
zeichnende Berliner Hofjuw^elier noch einen prachtvoll verzierten Bronze-
celt und eine grosse Anzahl Perlen (darunter sehr schöne dunkle Bern-
steinperlen) vor aus Werschetz in Südungarn. — Geheimrat Virchow
äusserte die Ansicht, dass unter den zuletzt erwähnten Stücken fossile
Reste sich fänden. Ausserdem erinnerte er daran, dass Ovid nach Tomi
verbannt worden sei, und meinte, es sei möglich, dass einige der dort ge-
machten Funde aus der Zeit dieses römischen Dichters stammen.
Alsdann gab Geheimrat Prof. Dr. W. Blasius —Braunschweig eine
sehr klare Übersicht über die Vorgeschichte und Frühge schichte
des braunschweigischen Landes.' Mit Hilfe einer von ihm ent-
worfenen Karte des aus mehreren zersplitterten Teilen bestehenden braun-
schweigischen Gebietes führte der gewandte Redner folgendes aus. Der
älteren Steinzeit gehören an die Fundstätten in Thiede, Westeregeln, in
der Höhle von Scharzfeld, den Rübeländer Höhlen und in Watenstedt.
An diesen Stellen sind Spuren des ältesten Menschen aus der Zeit des
I
350 C. Versainmlungs- und Vereins-Berichte.
Diluviums gefunden worden. Die damaligen Bewohner haben wahrschein-
lich das Land verlassen. ' Die neusteinzeitlichen Bewohner aber sind im
Lande geblieben. Von ihnen zeugen die Lübbensteine bei Helmstedt, die
Hünensteine bei Benzingerode, eine Anzahl von Steinkistengräbern, viele,
südlich von Braunschweig gefundene Jadeitbeile, unter welchen eines durch
seine ausserordentliche Länge von 45 cm alle bekannten Stücke aus
diesem sehr geschätzten harten Gestein übertrifft, endlich Feuersteinsachen
und viele andere Steingeräte. Den Übergang zur Metallzeit kennzeichnet
ein bei Borssum in hockender Stellung gefundenes Skelett. Die Kupferzeit
ist im Herzogtum Braunschweig durch einige aus fast reinem Kupfer her-
gestellte Geräte vertreten, z. B. durch eine Doppelaxt aus der Gegend von
Börssum. Der Bronzezeit gehört eine grosse Anzahl von Funden an; auch
Doppelfunde wurden gemacht. Ja sogar ein ganzer Wohnplatz aus der
Bronzezeit kam in der Holzener Höhle zum Vorschein. Manche der zahl-
reichen Urnen, deren Form sehr verschieden ist, gehören in die Bronze-
zeit, andere können aber auch in späterer Zeit angefertigt worden sein.
Man findet sie in Steinkisten mit oder ohne Grabhügel, in Kegelgräbern
oder frei in der Erde. Auch ohne Urnen wurde die Asche unter Hügeln
beigesetzt. Die Urnen dürften der Zeit von 500 vor bis einige Jahr-
hunderte nach Christus angehören. Einige Schädel aus Grabstätten mit
Urnen sind gefunden worden. Die La Teneperiode ist gut vertreten. Ob
die vorhandenen Ringwälle und Befestigungen aus der vorgeschichtlichen
oder der geschichtlichen Zeit stammen, ist noch unentschieden. An einigen
Ringwällen sind slavische Einflüsse wahrnehmbar. Am wichtigsten ist der
Ringwall auf dem Burgberg des Elm. Auch Tumuli oder grosse Grab-
hügel kommen vor; besonders schön ist der bei Evessen. Römisch sind
nur wenige kleine Gegenstände, wie Löffel, Gefässe, Lampen, die vereinzelt
gefunden wurden. Infolge dessen kann man wohl annehmen, dass die
Römer hier nicht dauernd gewohnt haben, obgleich, nach dem Hildesheimer
Silberfund zu schliessen, ihre Einflüsse bis in die Nähe des Herzogtums
reichten. Was die frühgeschichtliche Zeit betrifft, so hat Cäsar über das
braunschweigische Gebiet geschrieben. Als Bewohner desselben werden
von ihm die Cherusker genannt, in deren Nähe die Fosen, Sigambrer,
Sueben und Langobarden sassen. Später kommen die Sachsen in betracht,
von deren vier Stämmen die Ostfalen im braunschweigischen Lande an-
sässig waren. Mit ihnen stehen die jetzigen Bewohner in unmittelbarer
Beziehung.
Im Anschluss an diesen Vortrag sprach Privatdozent Dr. R. Much —
Wien zur Stammeskunde der Altsachsen. Jakob Grimm suchte
die Sachsen, deren Namen er von sax, Schlachtschwert, ableitete, mit den
Cheruskern in Verbindung zu bringen. Diese Ansicht hat sich aber als
unzulässig erwiesen. Beide Völker werden von den Schriftstellern neben
einander genannt. Die Cherusker, die im Anfange unserer Zeitrechnung
C. Versammlungs- und Vereins-Beiiclite. ^(]\
unter Führung des Arminias so mächtig in die Geschichte eingriffen,
sind poHtisch ganz von der Bildfläche verschwunden. Möghcherweise sind
sie, wie die Angrivarier und Reste der Langobarden: die Barden, im frühen
Mittelalter in die sächsischen Gemeinden aufgenommen worden. P t o 1 cm ü u s
erwähnt einen dem Tacitus unbekannten Stamm der Saxones, die im
Norden bis zur Eider wohnten. Von dort, Holstein, aus haben sich die
Sachsen durch eroberndes Vordringen verbreitet. Die Wanderrichtung
lässt sich bei dem Gauvolke der Sturmi noch zeigen. Die Sachsen, die
durch ihre Züge bis nach England eine erstaunliche Kolonisationskraft be-
wiesen, haben im Norden und Osten der Elbe nichts wesentliches ver-
loren, sich wahrscheinlich zuerst die östlich wohnenden Völkerschaften
angegliedert und sind dann später nach Westen gegangen. Hierbei dürften
sie von den dänischen Inseln Verstärkungen erhalten haben. Redner
bringt die Hauptbestandteile der Saxones: die Ost- und Westfalen, auch
Falen allein genannt, in Beziehung mit der Insel Falster, dem Sitz der
Falen. Als die Chauken = hugas, die Hohen, nach Westen zogen und
den Anstoss gaben zur Bildung des Frankenreiches, drangen die Sachsen
auch in das von den Chauken verlassene Land. Von den zwischen den
Chauken und den Franken wohnenden Stämmen sind vermutlich einzelne
in den Sachsen aufgegangen, andere fränkisch geworden. — Freiherr
v. Stolzenberg-Luttmersen kann von diesen Ausführungen Nichts an-
erkennen. Die Chauken seien römische Bundesgenossen gewesen. Dieses
Volk, dessen Land wir nach allen Seiten umgrenzen könnten, bilde eine
Einheit bis nach Westfalen. Die Chauken seien heute noch da. Ihre
Namen hätten sich in England erhalten. Redner geht dann auf die Ge-
schichte der Langobarden ein und erklärt, dass wir uns die in den römi-
schen Urkunden niedergelegten Thatsachen nicht nehmen lassen könnten.
— Durch diesen heftigen Angriff gereizt, antwortete der Vortragende
in scharfer Weise, so dass Geheimrat Virchow als Vorsitzender dazu
auffordern musste, die Verhandlungen ruhig und sachlich zu führen.
Es folgte der grossangelegte und formvollendete Vortrag von Professor
J. Kollmann — Basel über die Beziehung der Vererbung zur
Bildung der Menschenrassen. Auf dem Gipsabguss von einem sehr
gut erhaltenen Frauenschädel der jüngeren Steinzeit aus dem Pfahlbau
von Auvernier am Neuenburger See (Schweiz) hat Redner in Gemeinschaft
mit dem Bildhauer Büchly, Thonschichten von der mittleren Dicke der
Weichteile aufgetragen und so eine schöne Büste hergestellt, die er schon
1897 auf dem internationalen medizinischen Kongresse zu Moskau durch den
dortigen Prof. An uts Chi n hatte zeigen und erklären lassen. Prof. KoU-
mann hat diese Nachbildung eines Frauenkopfes aus der jüngeren Stein-
zeit anzufertigen unternommen auf Grund seiner Ansichten von der Ver-
erbung. Um die Herkunft der Völker zu erforschen, sind Tausende von
Schädeln unter der Voraussetzung gemessen worden, dass die verschiedenen
3ß2 C. Versammliings- und Vereins-Berichte.
Formen von den Vorfahren ererbt sind, und hat man die Farbe der Augen,
der Haare und der Haut an Millionen von Kindern in Deutschland und
den angrenzenden Ländern bestimmt. Hierbei stellte es sich heraus, dass
im Norden vorzugsweise die Blonden, im Süden hauptsächlich die Braunen
wohnen. Auch überzeugte man sich davon, dass diese beide Varietäten
von altersher eingewandert sind und schon vor dem Auftreten der Ger-
manen und Römer sich an ihren Plätzen befunden haben. Die Annahme,
dass die Blonden und die Braunen stets dieselben bleiben, ist von vielen
Forschern bestritten worden, die sagten, dass die Umgebung, das Klima,
die Nahrung, das Milieu diese Varietäten verändert haben. Unter den
genannten Einflüssen aber haben die europäischen Völker (die weisse
Rasse) bei ihren Wanderungen nach Afrika, Amerika, Australien in den
letzten 300 Jahren nirgends eine Umänderung erfahren. Aber auch aus
weit älteren Zeiten haben wir, wie Virchow zeigte, Nachrichten, die für
die Persistenz der Rassen sprechen. Denn auf den Denkmälern in Ägypten
sind die Vertreter von Rassen abgebildet, die in einer an die neusteinzeit-
lichen Periode Europas heranreichenden Zeit lebten und nicht nur in-
bezug auf die Knochen (den Körperbau), sondern auch im Hinblick auf
die Weichteile heutigen Menschen gleichen. Diese Persistenz beruht auf
der Vererbung. Zwar üben das Milieu und, wie zuerst Virchow fest-
stellte, das Klima einen bedeutenden Einfluss auf den Körper aus. Unter
den äusseren Verhältnissen erleiden jedoch von den in der menschlichen
Natur vereinigten Rasse-, Geschlechts- und Individualitäts-Merkmalen nur
die individuellen oder die physiologischen Eigenschaften Veränderungen,
ohne dass dadurch die Rasse beeinflusst wird. Das Geschlecht spielt bei
der Vererbung gewisser Krankheiten eine Rolle. So wird, wie der Vor-
tragende an dem Stammbaum einer Bluterfamilie nachweist, die Bluter-
krankheit durch weibliche Familienangehörige auf deren männliche Nach-
kommen vererbt. Ebenso geht die Farbenblindheit (gewöhnlich durch die
Mutter) nur auf männliche Mitglieder der Familie durch Vererbung über.
Was nun noch die Rassenmerkmale betrifft, so sind dieselben bis zu einem
gewissen Grade unabhängig von den anderen Eigenschaften des Körpers.
Infolge dessen haben sich die Menschenrassen von der Zeit, die bis an die
neusteinzeitliche Periode heranreicht, nicht verändert, und zwar sehen wir
nicht nur inbezug auf unsere Knochen, sondern auch auf unsere Weich-
teile noch gerade so aus, wie unsere Vorfahren in der Steinzeit. Da wir
also, mit anderen Worten, den Urbewohnern Europas gleichen, so lässt
sich auf Grund von Knochenfunden, die aus weit entlegenen Zeiten
stammen, die äussere Erscheinung der damaligen Menschen wieder her-
stellen. Zu diesem Zwecke hat Prof. Ko 11 mann die Dicke der Weich-
teile an verschiedenen Punkten des Gesichtes von gut genährten weib-
lichen Leichen genau bestimmt, die 25 — 30 Jahre alt waren, wie die
Pfahlbaubewohnerin von Auvernier, von deren Schädel er einen Gips-
D. Tagesgeschichte. 363
abguss benutzte. An den entsprechenden Punkten der Schädelnachbildung
wurden Gipspyramiden befestigt von der durchschnittlichen Dicke der
Weichteile. Die Zwischenräume zwischen den Gipspyramiden wurden dann
ausgefüllt und die Oberfläche modelliert. Auf diese Weise entstand die
ausgestellte Büste, die ein niedriges, breites Gesicht, vortretende Wangen-
beine, eine breite Nase, dicke Lippen, einen grossen Mund und ziemlich
kräftige Gesichtszüge hat. Die Einzelheiten konnten genau nach den
Knochen wiedergegeben werden, da nach einem Ausspruche Goethes
Nichts im Körper ist, was nicht durch den Knochen ausgedrückt wäre,
eine Beobachtung, die auch Virchow gemacht hat. Sogar der Gesichts-
ausdruck wird durch die Knochen bestimmt. Nach ihrem Schädel und
ihrer von Professor Kollmann hergestellten Büste hatte die betreffende
Pfahlbaubewohnerin einen im Verhältnis zu seiner Länge breiten Hirn-
schädel und ein in anbetracht seiner Breite niedriges Gesicht. Sie gehörte
also zu den chamäprosopen Brachycephalen, die neben den leptoprosopen
Brachycephalen, d. h. den Leuten mit verhältnismässig breitem Kopf und
hohem Gesichte, seit der Steinzeit bis auf den heutigen Tag in Central-
Europa sich erhalten haben. Dagegen sind die Völker der Stein-, Bronze-
und Eisenzeit verschwunden. Die Völker gehen eben unter, aber die
Rassen sind unsterblich durch die Vererbung. — Geheimrat Virchow
erkannte mit rühmenden Worten die Ausdauer an, womit Professor Koll-
mann seine weit ausschauenden Forschungen anstellt.
(Schluss im nächsten Hefte.)
D. Tagesgeschichte.
Berlin. Am 15. August ist Prof. Bastian nach 2^/2 jähriger Ab-
wesenheit von seiner Forschungsreise nach Südost- Asien glücklich nach Berlin
wieder zurückgekehrt.
Brüssel. Am 2. August d. J. ist zu Brüssel unter dem Namen
„Societe anonyme d'etudes et d'editions geographiques Elisee Reclus" eine
Gesellschaft zusammengetreten, die sich die Herausgabe und Bearbeitung
des Atlas, geographischer und anderer Karten, Erdgloben und sonstiger
Manuskripte, die sich direkt oder indirekt auf geographische, ökonomische,
industrielle etc. Fragen beziehen, zum Ziel gesteckt hat. Sie hofft ihr
Wirkungsfeld zu entfalten u. a. dadurch, dass sie sich an allen Forschungen
und Untersuchungen interessiert, die zur Geographie in Beziehung stehen,
besonders an der Herstellung des „Atlas isometrique commercial" und des
„Atlas isometrique globulaire Elisee Reclus'S ferner dadurch, dass sie
Forschungsreisende aussendet, wissenschaftliche Expeditionen ausrüstet
oder sich an solchen beteiligt, die Ausbildung der geographischen Disziplin
oder der Wissenschaften im allgemeinen durch pekuniäre Unterstützungen,
364 D. Tagesgeschichte.
Vorlesungen, Zusammenkünfte, Schriftenherausgabe und besonders durch
die Publikation einschlägiger Zeitschriften, Bücher und Broschüren fördert
u. a. m. Die Gesellschaft, die vorläufig auf 30 Jahre gegründet ist, kann
auf dem Wege der Beziehungen, Verschmelzung, Ankauf von Aktien oder
auf sonstige Weise mit Gesellschaften, die ähnliche Zv^ecke verfolgen, in
Verbindung treten; sie kann im Auslande Zweiggesellschaften ins Leben
rufen u. a. m. — Das Grundkapital ist auf 1 200 000 Fr. vorausgesehen.
Die Leitung der ganzen Sache ist Prof. Dr. Elisee Reclus übertragen.
Darmstadt. Am 14. Januar verschied im Alter von 48 Jahren der
Inspektor des grossherzoglichen Museums in Darmstadt, Professor Rud.
Adamy, der sich auch auf vorgeschichtlichem Gebiete verschiedentlich
litterarisch beteiligt hat.
Dresden. Geh. Rat Prof. Dr. H. Bruno Geinitz hat nach 51 jähriger
Verwaltung des Kgl. mineralogisch-geologischen Museums zu Dresden, das
auch eine wertvolle prähistorische Abteilung enthält, seinen Abschied
genommen; an seine Stelle ist Dr. E. Kalkowsky, o. Prof. d. Mineralogie
an der Königl. sächs. technischen Hochschule, berufen worden.
Görlitz. Am 19. August verstarb in Görlitz im Alter von nahezu
50 Jahren der Direktor der Königl. Baugewerkschule Dr. Richard Bohn,
der Mitte der 70 Jahre vom Unterrichtsmininister mit der Teilnahme an
den Ausgrabungen zu Olympia, darauf von der Berliner Akademie mit der
Untersuchung klassischer Überreste in Athen betraut wurde und schliess-
lich durch seine selbständige Leitung der Ausgrabungen in Pergamon sich
einen Namen schuf.
Jena. Im Alter von 66 Jahren verstarb Dr. Friedrich Klopfleisch,
a. 0. Prof. der deutschen Altertumskunde in Jena, dem die Urgeschichte
der sächsisch - thüringischen Staaten manche wertvolle Untersuchung
verdankt.
Meran. Dr. Franz Tappeiner in Meran, bekannt durch seine anthro-
pologischen Studien über die Tiroler Bevölkerung, wurde der Adel mit
dem Ehrenwort Edler und dem Prädikat Tappein verliehen.
München. Am 18. Juni verstarb, 75 Jahre alt, in München Geh.
Rat Dr. C. W. Ritter v. Gümbel, königl. bayr. Oberbergdirektor und
Professor an der dortigen Universität, der Begründer der Münchener
anthropologischen Gesellschaft und der ,, Beiträge zur Anthropologie und Ur-
geschichte Bayerns" ein gelegentlich seiner geologischen Studien um die
Geschichte Bayerns (besonders Höhenforschung) verdienstvoller Forscher.
Wien. Am 24. Mai d. J. verstarb im Alter von 64 Jahren an einem
Herzleiden in Wien Dr. Friedrich Müller, Professor für vergleichende
Sprachwissenschaft und Sanskrit an der Universität, als Sprachforscher
und Ethnograph gleich hochgeschätzt (Allgemeine Ethnographie, Grund-
riss der Sprachwissenschaft u. a. m.).
I
E. Bibliographische Übersicht. ;j(^r^
E. Bibliographische Übersicht.
Von Georg Busch an.
Laufende Litteratur für das Jahr 1898.
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Compt. rendu de la 10. sess. Stockholm, Haeggström 1897.
Seier, Ed., Über Altertümer vom Rio Ulua in der Republik Honduras.
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Seier, Ed., Altmexikanische Knochenrasseln. Globus. Bd. 74, Nr. 6.
Virchow, Neue Gräberfunde aus Südamerika. Congres intern, des Americ.
Compte rendu de la 10. sess. Stockholm, Haeggström. 1897. S. 38.
Um Einsendung von Separatabdrücken, Abhandlungen etc. an den Heraus-
geber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an den Herausgeber
Dr. Buschan, Stettin, Friedrich- Carlstrasse 7^
Register.
1. Autoren- Verzeichnis.
(Die Zahlen bezeichnen die Seiten, auf welchen der betreffende Artikel beginnt.)
Abundo d' 23.
Adlerz 309.
Ambrosetti 347.
Anton 341.
Anutschin 57.
Appelgren 168. 169.
Arbo 55.
Arpi 312.
Arutinow 217.
Bach 326.
Bährendtz 312.
Baranski 26.
Bartels 10.
Bartenew 302.
Berkhan 354.
Bertholon 230.
Bickeles 204.
Birkner 354.
Blin 153.
Blind 298.
Brecht 323.
Brinton 213. 295. 347.
Bruinier 31.
Brunner 317.
Bugge 315.
Buschan 12. 68. 174. 249.
Carlsen 231.
Cartailhac 154.
Castren 172.
Caziot 340.
V
Cervinka 150.
Chalmers 228.
Charusin 110.
Christison 307.
Clapham 349.
Collin 336.
Conwentz 139.
Cushing 235. 236.
Daffner 205.
Debierre 57.
Deichmüller 53. 324.
Dellenbaugh 346.
Dorsey 229. 237.
Dubois 350.
Duckworth 227. 243.
Ebbinghaus 9.
Edelmann 141.
Ehrenreich 238.
Elkind 52. 66. 124.
Enjoy d' 49.
Evans 246.
Felcman 150.
Fenicia 199.
Ferre 23. 210.
Ferri 109.
Ferriani 25.
Fewkes 172.
Flamand 343.
Flechsig 17.
Fouju 336.
Fraipont 304.
Fritze 326.
Geiger 47.
Ghirardini 157.
Giuffrida-Ruggeri 20. 210.
Glück 41.
Graells, de la 301.
Gunda 318.
Gurieri 10.
Gutmann 305.
Hackman 166. 169.
Hahn 26.
Hamy 42.
Hansson 311.
Haxthausen, v. 330.
Hantschel 142.
Heierli 154. 155.
Hellwald, v. 212.
Helm 52.
Hildebrand 316.
Hitte, de la 240.
Hösemann 232.
Holmes 172. 229.
Horsford 343.
Hovorka v. Zderas 289.
Hrdlicka 8.
Hüppe 39.
Jantschuk 122. 127.
Jentsch 319.
Karutz 13.
ten Kate 240.
Keller 244.
Kjellmark 310.
Kluge 162.
Kohlbrugge 101. 104. 223.
Kohler 113.
Konstantinow - Schtschi-
punow 126.
Krause 139. 225.
Kficz 147. 334.
Kröhnke 51.
Kusnezow 170.
Lapouge, Vacher de 39.
Laville 132.
Lefevre 117.
Lehmann-Nitsche 320.
Leopold 211.
Letourneau 342.
Lewis 247.
Lissauer 53.
Liszt 24.
Livi 208. 351.
Lord 355.
Luschan, v., 56. 62. 65. 133.
Mac-Curdy 209.
Macahster 227.
Mahoudeau 355.
Maheu 151.
Majciger 117.
Majewski 242.
Makowsky 332.
Manotzkow 123.
Manouvrier 338. 339.
Mansuy 152.
Martin 34. 171. 342.
Marty 355.
Mathews 227.
Matiegka 148.
McGee 348.
Mercer 344.
Mertins 321. 322.
Mestorf 134. 138.
Mies 59. 197.
Mindeleff 345.
Montelius 300.308.311. 313.
Mortillet 236. 353.
Much 32.
Muffang 205.
Müller 51. 135.
Müller-Brand 139.
Muniz 348.
382
Register.
Munro 195.
Myres 30. 165.
Näcke 108.
Naef 155.
Naue 142. 156.
Neergaard 136.
Nehring 324.
Novicow "J13.
Olshausen 53.
Oppert 43. 44.
Paissel 127.
Panaitescu 216.
Papillault 353.
Patroni 159. 160.
Peli 210.
Penta 114.
Peschel 212.
Petersen 19. 164.
Pfister 198.
Pfleger 107.
Pic 144. 149.
Piette 152.
Pigorini 164.
Pilcz 107.
Pitard 299.
Pittin 237.
Ploss 16.
Posdnejew 219. 221.
Poterie, de la 152.
Preen 334.
Preyer 18..
Puydt 335.
Quilling 326.
Ramsay 233.
Ranke 34.
Radic 116.
Rathcke 22.
Raymond 151. 153. 339.
Reibmayer 105.
Reinach 154. 162. 337.
Reinecke 32. 305. 321.
Reynier 336.
Ripley 115.
Riess 50.
Riviere 336. 338.
Rössler 170.
Romanes 202.
Roshdestwenski 302.
Rossi 212.
Salin 308. 314. 315.
Salmon 243.
Sarasin 243.
Schmidt, E. 47, V. 150.
Schötensack 328.
Schrader 204.
Schmnann 97. 319.
Schwalbe 305.
Schwartz 319.
Seger 320. 323.
Sergi 1. 18. 57.
Seton-Karr 342. 343.
Shrubsall 235.
Siebold, v. 129.
Snellman 167.
Spalikowski 39.
Spöttel 11.
Springer 12.
Steiner 326.
Stieda 8. 55. 58.
Stratz 131.
Studer 244.
Takala 167.
Talbot 21.
Taramelli 156.
Tedeschi 217.
Thurston 45.
Tichomiroff 202.
Tonkoff 201.
Topinard 28.
Twarjanowitsch 218.
Ujfalvy, V. 222.
Variot 339.
Verneau 152.
Virchow 15. 52. 64. 151.
232. 233. 238. 323. 327.
Weber 33. 140. 141. 331.
Weinberg 60. 118.
Weineck 318. 319.
Weinzierl, v. 143. 147. 148.
Weisbach 116.
Welcker 351.
Wetzel 329.
Wibling 310.
Wide 165.
Wihsch 324.
Wilser 31.
Zaborowski 43. 214. 225.
Zanke 196.
Zeppelin, v. 243.
Zuccarelli 194.
Zumoffen 341.
2. Sachregister.
(Die Zahlen bezeichnen die Seiten, auf welchen der betreffende Artikel beginnt.)
Affekte, Genese der menschhchen 204.
Afrika (ethnolog.) 133, (vorgesch.) 342.
Albanesen 41.
Albinos 199.
Amerika (ethnolog.) 235—240, (vor-
geschichthch) 172. 236. 238. 343.
344.
Ammon'sches Gesetz 205.
Anthropologie, allgemeines 8.
Arier 39. 214. 222.
Armenier (anthrop.) 218.
Armschutzplatten, prähist. 305.
Asien (ethnol.) 43—50. 129—132. 218
bis 225, (vox'gesch.) 341.
Asymmetrie des Schädels und Gesichtes
210.
Atavismus 21. 22. 23. 101. 201. 202.
Atlantis 243.
Austrahen (ethnol.) 133. 225. 227.
Azteken 354.
Badagas 45.
Baden (vorgesch.) 139.
Bayern (ethnol.) 32. 33. 34, (vorge-
schichtlich) 140. 141. 142. 330. 331.
Belgien (vorgesch.) 335.
Bibliographie über Anthropologie 68.
249, Ethnologie 78. 263, Urgeschichte
174. 365.
Böhmen (vorgeschichtl.) 142—150.
Bogenspanner (myrmex der Alten) 213.
Bosnien (ethnol.) 116.
Brasilien (anthrop.) 238.
Bronzealter 147. 149. 153. 156. 159.
160. 166. 171. 321. 334.
Bronzeurnen, gewellte 53.
Bronzen, chemische Analyse derselben
51. 52.
Bronzen aus Guinea 231.
Buschmänner 235.
Cambodgier 225.
Register.
383
Canstadt-Rasse 304
Ceylon (ethnol.) 47.
Corsica (vorgesch.) 340.
Costa-Rica (ethnol.) 237.
Cuvier's Lebensgeschichte 8.
Cypern (vorgesch.) 165.
Darwinismus 202. 204.
Degeneration , Degenerationszeichen,
Degenerations- Anthropologie 1 9 — 25.
77. 107. 354, s. a. Kriminal-Anthropol.
Deutschland (vorgesch.) 51. 52. 53.
317. 332.
Dravidas 43. 48. 225.
Egisheimer Schädel 305.
Ehe, Urgeschichte der 113.
Etsch (ethnol.) 298.
England s. Grossbritannien.
Entartung s. Degeneration.
Entwicklung des menschlichen Körpers
205. 208.
Erblichkeit 15.
Esten 60.
Europa (ethnol.) 115.
Extremitäten, Analogie derselben bei
Menschen und Tieren 58.
Figuren, vorgeschichtliche 152. 320.
337.
Finnland (ethnol.) 117, (vorgesch.) 166
bis 169.
Flügelfortsätze des Keilbeins 11.
Formosa (ethnol.) 50.
Frankreich (ethnol.) 36. 39, (vorgesch.)
151-154. 336—340.
Gehirn (menschliches). Gewicht des-
selben und Schädel -Innenraum 196,
im Verhältnis zum Rückenmarks -
gewicht 197, zur Körpergrösse 350,
im Kindesalter 198, Rassengehirne
60. 118, und Intelligenz 349. Asso-
ciationswindungen 17.
Gemälde der mykenischen Periode 162.
Gemütsbewegung 18.
Germanen (ethnol.) 31. 33.
Geschlechtsunterschiede im mensch-
lichen Schädel 10.
Gewicht des menschlichen Gehirns 196,
197. 198, Schädels 10.
Goldring 321.
Gravierungen, vorgeschichtliche 151.
Griechenland (ethnol.) 39. 300, (vor-
gesch.) 162—166.
Grossbritannien (anthrop.)28,(vorgesch.)
246. 247. 306. 307. 308.
Guatemala-Schädel 238.
Guayaquis (anthropol.) 240 .
Guinea-Bronzen 231.
Haarwirbel 23.
Hand, Dauerhaftigkeit ihrer Riefchen
und Fältchen 351.
Haustiere, Geschichte derselben 26. 244.
Hautnerven auf Handrücken des Men-
schen und der Affen 201.
Hochäcker 329
Hohlvene, Verdoppelung derselljen 202.
Hottentotten 235.
Hunderassen, Ursprung der 244.
Japan (ethnol.) 129.
Java (anthropol.) 131. 223.
Index cranio-mandibularis, cranio-cere-
bralis 209, ])onderalis 351.
Indianer (ethnol.) 235. 236. 237.
Indien (ethnol.) 43.
Instinkt und Vernunft 353.
Instrumente, anthropologische 62.
Inzucht 105.
Irulas 45.
Island (vorgesch.) 343.
Itahen (ethnol.) 300, (vorgesch.) 156
bis 161.
Juden (anthropol.) 66.
Kalk-Einlagerung in vorgeschichtlichen
Thongefässen 52. .53.
Kamerun (ethnol.) 232.
Keilbein 11.
Kind 9. 18. 198.
Körper (menschlicher), Länge, Maasse,
Gewicht, Wachstum 59. 205. 351.
Kongressbericht über Moskau 54,
Braunschweig 356.
Kota 44. 45.
Krankheiten der Tenggeresen 223.
Kriminal - Anthropologie 19—25. 108.
109. 193. 354. 355.
Kroatien (ethnol.) 116.
Kupferzeit 153. 160. 165. 321. 339.
Kwakiutl-Schädel 237.
La Tene-Funde 97. 144. 148. 150. 155.
Lamuten 302.
Leber, abnorme Furchen der 22.
Letten 60.
Levres de minium, de plomb 49.
Lindau, frühmittelalterliche Schädel 34
Maasse der vorgeschichtlichen Stein-
bauten 247, Wert der anthropol.
Maasse 289.
Madagaskar (anthrop.u. ethnol.) 43. 234.
Mammut, Gleichzeitigkeit mit dem
Menschen 170.
Mandschurei 219.
Megalithische Bauten in Amerika 347.
Methoden zur Prüfung der geistigen
Fähigkeiten 9.
Metopismus 12.
Mexico 49. 110. 221.
Microcephalie 107. 354.
Mois 225.
Mongolen 49. 110. 221.
Moorbrücken 139.
Mtussi-Schädel 233.
Murman-Küste 123.
Musik, Entwicklung der .1 14.
Mykenische Kultur 162—165.
Neger 42.
Neolithische Zeit 143. 147. 152. 153.
154. 310. 317. 328. 335. 341. 343.
Neu-Guinea (anthropol.) 228.
384
Register.
Niederrödern, Gräberfeld 53.
Nippon 129.
Norwegen (ethnol.) 55.
Österreich (ethnol.) 32, (vorgeschichtl.)
142—151. 332—334.
Ohrform 13.
Ohrtalgdrüse 23.
Ostafrika 133.
Paläolithische Zeit 147. 151. 152. 170.
246. 333. 334. 336. 337. 338. 341.
Papuas 50. 228. 229.
Peru (vorgesch.) 348.
Pfahlbauten, Zweck der 243.
Phönizien (vorgesch.) 341.
Pliocen, Funde aus dem 151.
Polen (anthropol.) 60. 66. 124.
Polydactyhe 57.
Pommern (vorgesch.) 97.
Prussia-Museum in Königsberg 139.
Psychologie des Kindes 18» des Ver-
brechers 108,
Rasse, Rildung derselben und Erblich-
keit 15, weisse Rasse und ihre Zu-
kunft 213.
Rassengeographie Europas 115.
Reihengräber 1. 33.
Religion der primitiven Völker 295.
Rhinozeros als Jagdtier 332.
Römische Funde 151. 155.
Rumänien (ethnol.) 216.
Russland (ethnol.) 57. 64. 66. 126.
127, (vorgesch.) 166—172.
Schädel, Entwicklung seiner Maasse
206, Formverschiedenheit der Flügel-
fortsätze 11, Geschlechtsunterschiede
10, Gewicht 10. 208,Indices 209, Joch-
bein - Anomahen 20 , Messung des
Rinnenraumes 191, Schaltknochen
237, Stirnnaht und Stirnfontanell-
knochen 12. 55. 353.
Schädelreste, vorgeschichtliche, siehe
Skelettreste.
Schädeltypen Sergi's 58.
Schlesien (vorgesch.) 320—323.
Schrift, mykenische 162.
Schwanzbildung 104.
Schweiz (ethnol.) 34. 299, (vorgesch.)
154. 155.
Sibirien (ethnol.) 171 .302, (vorgesch.) 171.
Sicilien (vorgesch.) 160.
Singhalesen 47.
Skandinavien (vorgesch.) 134. 135. 308
bis 316.
Skelettreste, vorgeschichtliche 32. 39.
64. 116. 126. 298. 304. 305. 324. 338.
339. 341.
Slaven (ethnol.) 117.
Slovenen (ethnol.) 117.
Spanien (ethnol.) 301, 341, (vorgesch.)
341.
Statuen, vorgeschichtliche s. Figuren:
Stirnnaht 12. 55.
Stirnfontanellknochen 12. 55.
Stratifikationsgesetz 205.
Tagesgeschichte. Ernennungen, Aus-
zeichnungen: Evans, Schmeltz 67,
Naue, Lehmann - Nitsche, Matiegka
173; Niederle, Montelius 249, Tap-
peiner 364; Todesfälle: Schmidt,
Fraas , Zintgraff, Ossowski 67, Joest,
Fiala 123, SchiaparelH 249; Adamy,
Rohn, Klopfleisch, v. Gümbel, Friedr.
Müller 363; Verschiedenes: Martin,
Serrurier 67, Rastian, Geinitz 363,
Stettiner Gesellschaft für Volkere- u.
Erdkunde 67, Societe anonyme d'e-
tudes et d'editions geograph. 363,
Kongress 249. 356.
Tamil 45.
Tanz, Entwicklung des 114.
Tarantschen 127.
Teneriffa (ethnol.) 56.
Tenggerssen 223.
Totenmasken d. alten Amerikaner 343.
Transformismus 353.
Transkaukasien (vorgesch.) 170.
Trepanation 56. 349.
Trichtergruben 330.
Tschuktschen 302.
Tyrrhener 300.
Tsiams 225.
Türkenstämme 110. 127.
Tunis (ethnogr.) 230.
Uden (anthropol.) 217.
Ujiji (anthropol.) 232. 233.
Unterkiefer des Menschen 21. 209.
Venetien (anthropol.) 217.
Verbrecher 25. 109, s. a. Kriminal-
Anthropologie.
Vermischung 105.
Völkerkunde (Werke über) 212.
Vorderasien 65.
Wachstum des Menschen 205.
Weib in der Natur- und Völkerkunde
16, auf Java 131.
Wirbelsäule 23.
Wohnung, Entwicklung der 110.
Zähne 21. 39.
Zäpfchen, Missbildung und Stellungs-
anomalien 211.
Zeichnungen (vorgesch.) 336. 338. 342.
343.
Zinkguss, prähistorischer 151.
Zurechnungsfähigkeit, strafrechtliche24.
Druck von Grass, Barth & Comp. (W. Friedrich) in Breslau.
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