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Full text of "Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 15.1896 Iowa"

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3 18 


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Centralblatt 

für 

allgemeine Gesundheitspflege 

Organ 

des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. 

Heiausgegeben 

von 

Dr. Lent, Dr. Stutzer, Stübben, 

Geh. Sanit&tsrath in Cöln. Professor in Bonn. Baurath und Beigeordneter in COln. 

Dr. Wolffberg, 

KOnigl. Kreisphysikus in Tilsit. 



Fünfzehnter Jahrgang. 

Mit den Porträts von Edw. Jenner und Dr. Finkelnburg und 7 Abbildungen. 


Bonn, 

Verlag von Emil Strauss. 
1896. 


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Pierer’sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel ä Co. in Altenburg. 


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10 AP& I925 


614.05 
C 39 

V .15 


Inhalt. 


Abhandlungen. 

Seit« 

Ueber die Verbreitung der ägyptischen Augenentzündung in der 
Rheinebene und über die Mittel zur Bekämpfung derselben. 

Von Dr. Pröbsting, Augenarzt in Köln. (Mit 1 Abbildung) 1 
Bericht über die 20. Versammlung des Deutschen Vereins für 
a öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart vom 11. bis 14. Sep¬ 
tember 1895. Von Lent, Stübben, Unna . . . . 11 

Das Königliche Lymphe-Erzeugungs-Institut für die Rheinprovinz 
im neuen städtischen Vieh- und Schlachthofe der Stadt Köln. 

Von Sanitätsrath Dr. Vanselow, Director der Anstalt. (Mit 

2 Abbildungen).$8 

Bericht über die Ausstellung für Hygiene, verbunden mit der 
XX. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege in Stuttgart. Von Ingenieur Unna in Köln 49 
' ä Beiträge zur medicinischen Statistik des Kreises Tilsit. II. Von 
(V9 Dr. Wolffberg, Kgl. Kreisphysikus in Tilsit .... 98 

^ Kindersterblichkeit und ärztliche Hilfe, sowie zur Statistik der 
Todesursachen. Von Dr. Wolffberg, Kgl. Kreisphysikus 

in Tilsit. 102 

Nachruf an den Geheimen Regierungsrath Prof. Dr. Finkeln¬ 
burg in Godesberg.. . . . 145 

^Edward Jenner, Biographische Skizze. Von Dr. Pröbsting 

in Köln.146 

Ueber die Schutzwirkung der Impfung, sowie über die Erfolge 
des deutschen Impfgesetzes vom 8. April 1874. Von Dr. 

Wolffberg, Kreisphysikus in Tilsit.151 

Nachruf an den Geheimen Regierungsrath Prof. Dr. Finkeln¬ 
burg in Godesberg.185 

Rassenverbesserung und natürliche Auslese. Von Prof. Pelm an, 

Bonn.190 


239:181 


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IV 


Seite 


Bericht über die Frage der Einführung der Müllverbrennung in 
Elberfeld. Von Stadtbauinspector Höpfner. (Mit 2 Ab¬ 
bildungen) .205 

Probeweise Verbrennung des Essener Kehrichts in den Verbren¬ 
nungsöfen zu Hamburg. Von Stadtbaurath Wiebe in Essen 222 
Sanatorium Hohenhonnef im Siebengebirge. Entstehung, Ein¬ 
richtung, Heilverfahren. Von Dr. med. Ernst Meissen, 
dirigirendem Arzte. Vortrag, gehalten auf der Generalver¬ 
sammlung des Vereins der Aerzte des Regierungsbezirks 
Köln zu Hohenhonnef am 9. Mai 1896. (Mit 1 Abbildung) 267 
Soldaten-Selbstmorde. Von Dr. med. A. Pröbsting in Köln . 308 

Die Wohnungsverhältnisse der Liegnitzer Arbeiterbevölkerung 
vom hygienischen Standpunkte. Von Dr. Solbrig, Kreis¬ 
wundarzt in Liegnitz.348 

Die Barlow’sche Krankheit. Kurze Zusammenstellung der 
bisher über diese Krankheit gesammelten Erfahrungen. Von 
Dr. med. Arthur Dräer, I. Assistent am hygienischen 
Universitätsinstitut zu Königsberg i. Pr.378 


Kleinere Mittheilungen. 

Die Priorität der zur Bakteriologie und namentlich zur Erkennt- 
y niss des Wesens der Fäulniss führenden Entdeckungen . . 28 

Neue Schulbank von W. Rettig, städtischem Oberbaurath zu 

München a. D.30 

The report of the royal Commission of tuberculosis.32 

Entwurf zu einer Polizeiverordnung über Anlage, Bau und Ein¬ 
richtung von öffentlichen und Privatkranken-, Entbindungs¬ 
und Irrenanstalten in Preussen .... 57 

Wegschaffung der Haus- und Tagewässer.62 

Urtheil des Oberverwaltungsgerichts (IV. Senats) vom 10. Juli 
1895, betreffend den allgemeinen Anschluss an eine städtische 

Wasserleitung.64 

Ausstellung von Kraft- und Arbeitsmaschinen in München im 

Jahre 1898 . 05 

Die beiden Berliner Heimstätten für Lungenkranke in Malchow 

und Blankenfelde .120 

Volksheilstätten für Schwindsüchtige in der Schweiz . . . . 121 

Ueber die Berufskrankheiten der Buchdrucker.122 

Ueber Petroleumöfen.123 

Rede des Staatsministers Dr. von Bötticher zur Frage der Auf¬ 
hebung des Impfzwanges.174 


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V 


Seit« 


Ein Fall von angeblicher Impfschädigung.177 

Errichtung eines städtischen Gesundheitsamtes in Berlin . . . 226 

Entwurf einer Dienstordnung für die Schulärzte der Stadt Nürnberg 228 

Zur pädagogischen Pathologie und Therapie.280 

Vereinigung zur Fürsorge für kranke Arbeiter.281 

Geschichtliche Notiz Über Gährung und Fäulniss.231 

Belehrung über die Gefahren bei Anwendung giftiger Ungeziefer¬ 
mittel .232 


Uebersicht der Städte der Rheinprovinz, Westfalen und Hessen- 
Nassau mit 20000 Einwohnern und mehr, der Regierungs¬ 
bezirke dieser Provinzen und der Staaten und Landestheile 
des Deutschen Reiches, nach der vorläufigen Ermittelung der 
Zählung vom 2. December 1895, verglichen mit der Be¬ 


völkerung von 1890 .812 

Die 36. Jahresversammlung des Deutschen Vereins von Gas- und 

Wasserfachmännern.^.314 

Eine neue Kölner Polizei Verordnung über die Hausentwässerungs¬ 
anlagen . 815 

Die Thätigkeit des Berliner Vereins für Volksbäder . . . . 817 

Oeffentliche Badeanstalten in Köln.317 

Kölner Verein für Ferien-Colonien 1894/95 318 

Barmer Baugesellschaft für Arbeiterwohnungen.818 

Barmer Badeanstalten.319 

Städtische Brause-Badeanstalt von Duisburg vom 1. April 1894 

bis 81. März 1895 819 

Städtisches Schlachthaus zu Duisburg.320 

Maria Apollonia-Krippe in Düren vom 1. April 1895 bis 81. März 

1896 . 320 

Laurenz Sonderegger. 321 

A. Oldendorff. 822 

Communale Wohnungspolitik in der Schweiz.388 

Ueber die Bassinbäder Berlins.389 

Beseitigung von Freibrunnen für Schiffer nach Ablauf der Cholera¬ 
gefahr ..891 

Ueber Men sehen Verluste in Kriegen.891 

Die Gesundheitspflege beim deutschen Heere während des Krieges 

1870/71 . 893 

Zweiter Congress für Volks- und Jugendspiele in München vom 

11. bis 13. Juli 1896 . 397 

f Eduard Angerstein.399 

Bauhygienische Rundschau (J. St.).400 


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VI 


Seite 


Literaturberichte. 

Aug. Gärtner, Leitfaden der Hygiene (Bleibtreu-Köln) . 38 
S. F. Murphy, The study of epidemiology (Pröbsting) . . 83 
S o 1 b r i g, Die hygienischen Anforderungen an ländliche Schulen. 

(Bleibtreu - Köln). 34 

Dr. H. Schuschny, Ueber die Nervosität der Schuljugend 

(P e 1 m a n).85 

Dr. Enrico Dal’Acqua, Findelhaus und Impfung (Dr. Kro¬ 
tt e n b e r g - Solingen).37 

Small-Pox in Oldham in 1898 (Pröbsting).38 

Clarke, The sporozoa of variola and vaccina (Pröbsting) . 88 

Is infant mortality increasing? (Pröbsting) .88 

The decrease of child mortality (Pröbsting) .88 

The moist summer and its low death-rate (Pröbsting) . . . 89 

W. Carr, The starting points of tuberculous disease in children 

(Pröbsting).39 

E. Squire, The influence of heredity in phthisis (Pröbsting) 40 
Dr. Angelo Fiorentini, Die Eutertuberkulose und ihre Rolle 

bei der Infection der Milch, nebst einigen Betrachtungen 
über die in Mailand verzehrte Milch und praktischen Winken 

(Dr. Kronenberg-Solingen) .41 

G. C o r n e t, die Prophylaxis der Tuberkulose und ihre Resultate 

(Bleibtreu - Köln).41 

F. Clemow, The recent pandemic of influenza: its place of 

origin and mode of spread (Pröbsting) . . . • . 42 

F. Parsons, On the distribution of the mortality from influenza 

in England and Wales during recent years (Pröbsting) . 43 

Pielicke, Bakteriologische Untersuchungen in der Influenza- 

Epidemie 1893/94 (Dr. Dräer-Königsberg i. Pr.) ... 48 

V o g e s, Beobachtungen und Untersuchungen über Influenza und 

den Erreger dieser Erkrankung (Dr. Dräer- Königsberg i. Pr.) 44 
Huber, Ueber den Influenzabacillus (Dr. Mas t bäum - Köln) . 45 

Caspar, Zur Prophylaxe der Masern (Heimlich) . . . . 46 

Spottiswoode Cameron, Conditions of the dwelling as affect- 

ing recovery frcon measles (Pröbsting).47 

E. Vallin, L’arr6t6 sur la d£claration obligatoire des maladies 

6pid6miques (Pröbsting).47 

Schlockow, Der preussische Physikus (Dr. L o n g a r d - Köln) 65 

Eduard Pfeiffer, Eigenes Heim und billige Wohnungen (Stadt¬ 
baurath Heuser- Aachen).67 

Verein für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Lindenau 

(Stadtbaurath Heuser-Aachen).73 


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— vn — 

Seit« 

P. Pollitz, Die Wasserversorgung und die Beseitigung der Ab¬ 
wässer grösserer Krankenanstalten unter besonderer Berück¬ 
sichtigung der Irrenanstalten (Bleib treu-Köln) .... 75 

Oeorge E. Waring jr. M. J. C. E., Modem Methods of Se- 
wage Disposal for Towns, Public Institutions and Isolated 

Houses (Stadtbaurath Heuser-Aachen).77 

Dannemann, Geisteskrankheit und Irrenseelsorge (Lieb- 

mann-Köln).78 

Oesterreichischer Ingenieur- und Architekten-Verein. Bericht des 

Ausschusses über die Wasserversorgung Wiens (J. Stübben) 78 
Prof. A. di Vesta, Statistische Bemerkungen Uber die sanitären 
Bedingungen der kleinen Gemeinden (Dr. Kronenberg- 

Solingen) .79 

Fr. Müller, Die Schlammfieber-Epidemie in Schlesien vom Jahre 

1891 (Bleibtreu-Köln).80 

W. Pietrusky, Ueber das Auftreten des Fleckfiebers in Schlesien 
und die zu dessen Verhütung geeigneten sanitätspolizeilichen 

Maassregeln (Bleibtreu-Köln).82 

Fugen io di Mattei, Beitrag zum Studium der experimentellen 
malarischen Infection am Menschen und an Thieren (Bleib¬ 
treu-Köln) .88 

Paul Guttmann (Ottendorf), Gesundheitspolizeiliche Maass¬ 
nahmen gegen Entstehung und Verbreitung von Malaria- 

Erkrankungen (Bleibtreu-Köln) ..84 

Diverneresse, Aseptitation des terres contamin6es avant leur 

transport et leur mise en culture (Pröbsting) . . . . 86 

Kruse und Pasquale, Untersuchungen über Dysenterie und 

Leberabscess (Dr. D r ä e r - Königsberg i. Pr.).87 

Kelsch, De la pneumonie au point de vue 6pid6miologique 

(Pröbsting).88 

Neuere Arbeiten über Diphtherie und Heilserum (Wolff- 

berg).. . . . . 124 

H. Schmieden, Ueber Fortschritte und Erfahrungen im Kranken¬ 
hausbau (Bleibtreu-Köln).129 

Bubner, Ueber die nothwendigsten Reformen des Krankentrans¬ 
portes und der Kranken Verpflegung (Bleibtreu - Köln) . 180 

Prof. Dr. M. v. Pettenkofer ’ s und Prof. Dr. H. v. Ziems- 
sen’s Handbuch der Hygiene und der Gewerbekrankheiten 

(Schultze-Bonn). DieWohnung.181 

N. P. Schierbeck, Ueber die Bestimmung des Feuchtigkeits¬ 
grades der Luft für physiologische und hygienische Zwecke 

(Bleibtreu-Köln).. 184 

J. Stübben, Gesundheitliche Verbesserungen baulicher Art in 

italienischen Städten (Pröbsting) ...185 

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K. B. Lehm ann, Die Verunreinigung der Saale bei und in der 
Stadt Hof, ihre Ursachen und die Mittel zur Abhülfe (Bleib¬ 
treu -Köln) .185 

Davids, Untersuchungen über den Bakteriengehalt des Fluss¬ 
bodens in verschiedener Tiefe (D r Ä e r - Königsberg i. Pr.) . 186 

Dr. Bruno Galli Valerio, Die Rabot’sche Desinfections- 
methode mit Kalkmilch und Eisensulfat (Dr. Kronenberg- 

Solingen) .186 

A. Schuberg, Die parasitischen Amöben des menschlichen 

Darmes (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).187 

Ueber Desinfection des Darmkanals (Kreisphysikus Dr. Hens- 

gen-Siegen).189 

Cramer, Die Zusammensetzung der Cholerabacillen (Dr. Mast- 

bäum- Köln).140 

Sobernheim, Untersuchungen über die specifische Bedeutung 

der Cholera-Immunität (Dr. M as tb aum - Köln) .... 141 

Gotschlich, Choleraähnliche Vibrionen bei schweren einhei¬ 
mischen Brechdurchfällen (D r ä e r - Königsberg i. Pr.) . . 142 

Dr. Butt er sack, Ueber Hosenträger (Dr. Mas tb aum - Köln) 142 

Blattern und Schutzpockenimpfung (W.).178 

Stübben, Hygiene des Städtebaues (Mäu r e r- Elberfeld) . . 284 

Zeitschrift für sociale Medicin. Herausgegeben von Sanitäts-Rath 
Dr. A. Oldendorff, Berlin. Heft 2, 3 und 4 (Busch- 

Crefeld).239 

Recueil des travaux du comit6 consultatif d’hygi&ne publique de 
France et des actes officiels de Tadministration sanitaire 

(C r e u t z - Eupen).240 

P. v. Baumgarten und F. Roloff, Jahresbericht über Fort¬ 
schritte in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen 

(Bleibtreu - Köln).241 

Heinrich Berger, Die Infectionskrankheiten (Bleibtreu- 

Köln) .241 

Adolf Marcuse, Die atmosphärische Luft (Bleibtreu-Köln) 241 
Däubler, Ueber den gegenwärtigen Stand der medicinischen 
Tropenforschung (Acclimatisation und Physiologie des Tropen¬ 
bewohners (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).242 

Gustav Woltersdorf, Ueber feuchte Wohnungen (Bleib¬ 
treu - Köln).242 

Stabsarzt Dr. Gerd eck, Ueber Heizung und Ventilation in 
Kasernen vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege 

(Dr. Lent-Trier).... . 242 

Stabsarzt Dr. Gerd eck, Ueber Heizung und Ventilation in 
Kasernen vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege 

(Dr. Le nt-Trier) ..244 

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IX 


Seit« 


6. Frank, Bemerkungen über die Systeme, städtische Abwässer 
zu klären, und Vorschläge zu einem Verfahren, Kanalwasser 

durch Torf zu filtriren (Bleibtreu - Köln).245 

Weyl, Beeinflussen die Rieselfelder die öffentliche Gesundheit? 

(D r ä e r - Königsberg i. Pr.).247 

Holz, Das Wasser der Mosel und Seille bei Metz (Dräer- 

Köuigsberg i. Pr.).. 247 

Neumann, Ernährungsweise und Infectionskrankheiten im Säug¬ 
lingsalter (Dräer-Königsberg i. Pr.) ..248 

Keilmann, Zur Diätetik der ersten Lebenswoche (Dräer- 

Köuigsberg i. Pr.) ..249 

Peter, Zur Aetiologie des Pemphigus neonatorum (Dräer- 

Königsberg i. Pr.).250 

Meyer, Ueber Barlow’sche Krankheit (Dräer-Königsberg i. Pr.) 251 
Dr. C. Hochsinger, Gesundheitspflege des Kindes im Eltern¬ 
hause (L.).251 

Peiper und Schnaase, Ueber Albuminurie nach der Schutz¬ 
pockenimpfung (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).252 

Eulenburg, Zur „Schulüberbtirdung“. Derselbe, Noch ein¬ 
mal zur „SchulüberbUrdung“ (D r ä e r - Königsberg i. Pr.) . 252 

Axenfeld, Ueber eine durch Pneumokokken hervorgerufene 

Schulepidemie von Conjunctivitis (Dräer- Königsberg i. Pr.) 254 
Dr. Viktor von Woikowsky-Lindau, Das Beweguugsspiel 
in der deutschen Volkshygiene und Volkserziehung (Dr. Blum- 

berger, Stadtschulrath in Köln).254 

E. von Schenckendorff, die Ausgestaltung der Volksschule 
nach den Bedürfnissen der Gegenwart (Dr. Blumberger, 

Stadtschulrath in Köln).255 

Basen au, Ueber die Ansscheidung von Bakterien durch die 
thätige Milchdrüse und Uber die sogenannten baktericiden 
Eigenschaften der Milch (Dr. Mastbaum-Köln) .... 256 

Ebstein, Einige Mittheilungen Uber die durch das Maul- und 
Klauenseuchengift beim Menschen veranlassten Krankheits¬ 
erscheinungen (Dräer-Königsberg i. Pr.).257 

Carl Günther und Hans Thierfelder, Bakteriologische 
und chemische Untersuchungen über spontane Milchgerinnung 

(Bleibtreu-Köln).258 

Milroy, Die Gerinnung der Albuminstoffe des Fleisches beim 

Erhitzen (Bleibtreu-Köln).259 

W. Hartenstein, Zur Behandlung finniger Thiere (Bleib¬ 
treu - Köln).260 

Rissl ing, Nachweis von Finnen in gehacktem Fleisch und in 

Wurst (Bleibt reu-Köln).261 

Ostertag, Zum Nachweis des Finnentodes (Bleibtreu-Köln) 261 


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X 


Ostertag, Ueber die Verwerthung des Fleisches finniger Rinder 

(Bleibtren - Köln). 

Max Jolles und Ferdinand Winkler, Bakteriologische 
Studien über Margarine und Margarinprodtrete (Bleibtreu- 

Köln). 

Wilhelm Bode, Das Wirthshaus im Kampfe geg6n den Trunk 

(Liebmann-Köln). 

Pi stör, Das Gesundheitswesen in Preussen nach Deutschem 
Reichs- und Preussischera Landesrecht (Klussmann- 

Köln). 

E. v. Esmarch, Hygienisches Taschenbuch (Bleib treu- 

Köln). # . 

Dr. Wilhelm Bode, Kurze Geschichte der Trinksitten und 
Mässigkeitsbestrebungen in Deutschland (Pelman) . . . 

Dr. A. Jaquet, Die Stellungnahme des Arztes zur Abstinenz¬ 
frage (Pelm an). 

Prof. Dr. H. Müller (Thurgau), Die Herstellung unvergorener 
und alkoholfreier Obst- und Traubenweine (Pelman) . . 

E. Arnould, Les alcools naturels et les alcools dIndustrie 

(Pröbsting). 

James Niven, On the prevention of phthisis (Pröbsting) . 
Kirchner, Studien zur Lungentuberkulose (D r ä e r - Königs¬ 
berg i. Pr.). 

Kl epp, Ueber angeborene Tuberkulose bei Kälbern (Bleib¬ 
treu-Köln) ...*. . . 

F. Migneco, Azione della luce solare sulla virulenza del bacillo 

tuberculare (Pröbsting). 

Petruschky, Ueber die fragliche Einwirkung des Tuberculins 
auf Streptokokken-Infectionen (Mas tb au m - Köln) . . . 

Wolf, Die Wohnungsfrage als Gegenstand der Socialpolitik 

(J. S t ti b b e n). 

Jessen, Witterung und Krankheit (Dr. M as t bau m - Köln) 

Dr. H. Albrecht und Architekt Prof. A. Messel, Das Arbeiter¬ 
wohnhaus (J. St.). 

Handbuch der Hygiene von Dr. Theodor Weyl: 

25. Lieferung: Das Wohnhaus. 

26. Lieferung: Anlage und Bau der Krankenhäuser nach 
hygienisch-technischen Grundsätzen von F. Ruppel, 

' Bauinspector in Hamburg (J. St.). 

Prof. Axel Holst (Christiania), Untersuchungen über die Woh¬ 
nungen des Arbeiterstandes in Christiania (Wolffberg) . 
Serafini, Ueber die Appert’sehen durchlöcherten Scheiben als 
Ltiftungsmittel (Dr. Mastbaum -Köln). 


S#iU 

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268 

264 

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334 

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407 

408 

409 
412 


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XI 


Seite 


The Ventilation of hospitals and the treatment of infected air 

(Pröbsting).413 

F. Gillert, Welchen wissenschaftlichen Werth haben die Re¬ 

sultate der Kohlensäure-Messungen nach der Methode von 

Dr. med. Wolpert? (Dr. Mastbaum-Köln).414 

H. Charas, Ueber Krankentransportwesen in Städten und auf 

dem flachen Lande (Bleibtreu*-Köln).414 

E. Vallin, Les urinoirs k l’huile (Pröbsting).416 

H. Napias, La protection de la femme dans r Industrie 

(Pröbsting).416 

G. v. Liebig, Die Bergkrankheit (Bl eib treu - Köln) . . . 417 

Mabille, Note sur l'ivresse pßtrolique (Pröbsting). . . . 417 

Jürgensen (Kopenhagen), Hygiene der Bäckereien und der 

Bäcker (Bleibtreu-Köln).418 

W. Silberschmidt, Rosshaarspinnerei und Milzbrandinfection 

(Bleibtreu - Köln).420 

The prevalence of anthrax in London (Pröbsting) . . . . 420 

Freiherr von Düngern, Ueber die Hemmung der Milzbrand- 
Infection durch Friedlttnder’sche Bakterien im Kaninchen¬ 
organismus (Dr. Mastb aum-Köln).421 

Dr. W e g n e r, Gesundheitspolizeiliche Maassregeln gegen Blei¬ 
vergiftung (Bleibtreu* Köln).421 

Kobert, Ueber den jetzigen Stand der Frage nach den phar¬ 
makologischen Wirkungen des Kupfers.422 

Fi lehne, Beiträge zur Lehre von der acuten und chronischen 

Kupfervergiftung (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).422 

Lembke, Beitrag zur Bakterienflora des Darms (Dr. Mastbaum- 

Köln) .424 

Ueber Desinfection des Darmkanals. Untersuchungen von Dr. 

Paolo Casciani (San.-Rath Dr. Hensgen -Siegen) . . 424 

O. Leichtenstern, Behandlung der Darmschmarotzer (Bleib- 

treu- Köln).426 

Kaensche, Zur Kenntniss der Krankheitserreger bei Fleisch¬ 
vergiftungen (Bl eib tre u-Köln).431 

Rumpel, Ueber die Verwendung tuberkulösen Fleisches zu 

Genusszwecken (Dr. Mastba um-Köln).431 

Das Brot der italienischen Landleute. Chemische Untersuchungen 
von Dr. Romeo Castellani (San.-Rath Dr. Hensgen- 

Siegen).431 

E. Vallin, Le pain complet (Pröbsting).432 

Eugen Welte, Studien Uber Mehl und Brot (Bleibtreu- 

Köln) .433 

E. Jungmann, Studien Uber Mehl und Brot (Bleibt reu- 

Köln).433 


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XII 


Seit« 


M. Gruber, Die Methode des Nachweises von Mutterkorn in 

Mehl und Brot (B1 e i b t r e u - Köln).484 

J. Schöfer, Ueber Sandplattenfilter (Bleibtreu -Köln) . . 434 

v. Schoen, Die neuen Filteranlagen in Hamburg (Bleibtreu- 

Köln) .435 

Drenkhahn, Ueber denVerkehr mit Milch vom sanitätspolizei¬ 
lichen Standpunkt (Bleibtjeu-Köln).486 

Boxall, Milk infection (Pröbsting).437 

Sedgwick: On an epidemic of typhoid fever in Marlborough 

apparently due to infected skimmed milk.487 

Lehmann und N e u m a n n, Atlas und Grundriss der Bakterio¬ 
logie und Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik 

(Dr. Mas tba um-Köln).438 

R. J. Petri, Das Mikroskop (Dr. Ble ib treu-Köln) . . . . 439 

Rabinowitsch, Lydia, Untersuchungen über pathogene 

Hefearten (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).440 

Sanfelice, Ueber die pathogene Wirkung der Blastomyceten 

(D r ä e r - Königsberg i. Pr.). 440. 441 

A. Weichselbaum, Ueber Entstehung und Bekämpfung der 

Tuberkulose (B1 e i b t r e u - Köln).441 

Die experimentelle Tuberkulose nach endermatischen Einimpfungen 
bei Kaninchen. Untersuchungen von Dr. Olimpio Cozzolino 

(San.-Rath Dr. H e n sge n - Siegen).442 

0. Bujwid, Erfahrungen über die Anwendung des Tuberkulins 

zur Diagnose der Rindertuberkulose (Bleibtreu -Köln) . 448 

Statistics of certain causes of death (Pröbsting).443 

Rudolf Abel, Die Aetiologie der Ozaena (Bl eib treu-Köln) 444 
Kutscher, Zur Rotzdiagnose (D r ä e r - Königsberg i. Pr.) . . 445 

Jäger, Zur Aetiologie der Meningitis cerebrospinalis epidemica 

(Dr. Mastbaum-Köln) .445 

Diphtheria in London im Jahre 1894 (Pröbsting) . . . . 446 
F. A. Dixey, Vital statistics of diphtheria in London 1891—1895 

(Pröbsting) .446 

Ueber die Lebensfähigkeit des Diphtheriebacillus ausserhalb des 
Organismus und Uber die mögliche Verbreitung desselben 
durch die Luft (San.-Rath Dr. He n sge n - Siegen) . . . 446 
Einfluss des Sonnenlichts auf das diphtheritische Gift. Von Gaetano 

Piazza (San.-Rath Dr. He n sgen - Siegen).447 

Ueber den Einfluss des directen Sonnenlichts auf Infection mit 
Cholera- und Typhusbacillen bei Meerschweinchen. Unter¬ 
suchungen von Dr. Salvatore Mase 11a (San.-Rath Dr. 

H e n s g e n - Siegen).448 

Ueber die Vibrionen salzwasserhaltiger Teiche. Untersuchungen 

von Alberto Cadeddu (San.-Rath Dr. H e n s g e n - Siegen) 448 


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XIII 


Seit« 


Neu mann und Orth, Versuche zum Nachweis choleraähnlicher 

Vibrionen in Flussläufen (Dräer-Königsberg i. Pr.) . . 449 

Dunbar, Zur Differentialdiagnose zwischen den Choleravibrionen 
und anderen denselben nahestehenden Vibrionen (Dräer- 

Königsberg i. Pr.).450 

Bindfleisch, Die Pathogenität der Choleravibrionen für Tauben 

(D r ä e r - Königsberg i. Pr.).451 

Behring und R a n s o m , Choleragift und Choleraantitoxin 

(D r ä e r - Königsberg i. Pr.).451 

Ueber Immunität gegen die Cholerä. Von Dr. Claudio Fermi 

und Dr. Angelo Salto (San.-Rath Dr. Hensgen-Siegen) 452 

Inoculations against cholera in India (Pröbsting).452 

Reineke (Hamburg), Zur Epidemiologie des Typhus in Hamburg 

und Altona (Bleibtreu-Köln) .453 

Typhoid fever in Michigan (Pröbsting). . ■.454 

A. E. W r i g h t and D. S e m p 1 e, On the presence of typhoid 
bacilli in the urine of patients suffering from typhoid fever 

(Pröbsting).455 

Max Müller, Ueber den Einfluss von Fiebertemperaturen auf 
die Wachsthumsgeschwindigkeit und die Virulenz des Typhus¬ 
bacillus (Pröbsting).455 

Piorkowski, Ueber die Einwanderung des Typhusbacillus in 

das Hühnerei (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).457 

Elsner, Untersuchungen über relatives Wachsthum der Bacterium 
coli-Arten und des Typhusbacillus und dessen diagnostische 

Verwerthbarkeit (Dräer-Königsberg i. Pr.).457 

Dr. A. Blase hko, Die Lepra im Kreise Memel (W.) . . . 458 
J. Goldschmidt, An acute epizootic and epidemic outbreak 

of hydrophobia at Madeira (Pröbsting).460 

Chalmers, „Return“ cases of scarlet fever (Pröbsting) . . 460 

A. Laveran, De l’emploi pr^ventif de la quinine contre le 

paludisme (Pröbsting) .461 

J. K o r ö s i, Die Pockenstatistik der österreichischen Staatsbahn¬ 
gesellschaft (Bleibtreu - Köln).461 

Small pox in Massachusetts (Pröbsting) .462 

Leeds urban sanitary district (Pröbsting) .464 

Small pox in Manchester in 1892—1894 (Pröbsting) . . . 464 
Küttner, Ueber einen neuen, beim Menschen gefundenen Eiter¬ 
erreger (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).464 

Petruschky, Untersuchungen über Infection mit pyogenen 

Kokken (Mastbäum-Köln) .465 

Microbes on money (Pröbsting) .465 

Ueber die Wirkung der putriden Gifte auf den thierischen Or¬ 
ganismus. Von Dr. Bernardo Frisco (San.-Rath Dr. 

He ns gen-Siegen).466 


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XIV 


Seite 


Scheurlen, Zur Beurtheilung der antiseptischen Salben 

(Dräer- Königsberg i. Pr.).466 

Breslauer, Ueber die antibakterielle Wirkung der Salben mit 
besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Constituentien 
auf den Desinfectionswerth (Dräer- Königsberg i. Pr.) . . 467 

Walter, Zur Bedeutung des Formalins, bezw. Formaldehyds als 

Desinfectionsmittel (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).468 

Reports of medical offtcers of bealtb, Manchester urban sanitary 

district (Pröbsting).469 

Schanz, Wie sollen sich Kinder zu Hause heim Schreiben 
und Lesen setzen? und: Augenkrankheiten im Kindesalter 

(Pröbsting). . . 469 

Perlia, Kroll’s stereoskopische Bilder (Pröbsting). . . . 469 

Insanity and mortality (Pröbsting) .470 

Forly-ninth report of the commissioners in lunacy to the Lord 

Chancellor (Pröbsting).470 

Dr. Friedrich Scholz (Bremen), Ueber Reform der Irrenpflege 471 
O. Binswanger, Zur Reform der Irrenftirsorge in Deutschland 

(Pelman) .471 

Verzeichniss der bei der Redaction eingegangenen neuen Bücher etc. 90 

148. 265. 340. 478 


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i 


Ueber die Verbreitung der ägyptischen 
Augenentzündung in der Rheinebene und 
über die Mittel zur Bekämpfung derselben. 

Nach einem Vortrag, gehalten im Niederrheinischen Verein 
für öffentliche Gesundheitspflege. 

Von 

Dr. Pröbsting, Augenarzt in Köln. 

(Mit 1 Abbildung.) 


Manchen von Ihnen, meine Herren, mag wohl vor einigen 
Monaten eine kurze Zeitungsnotiz unter die Augen gekommen 
sein, in welcher berichtet wurde, dass in Düsseldorf eine Schule 
geschlossen werden musste, weil unter den Schülern eine ansteckende 
Augenkrankheit ausgebrochen war, und dann später noch eine 
weitere Mittheilung, dass es sich bei dieser Augenkrankheit um die 
sog. ägyptische Augenentzündung oder das Trachom handelte. 

Die in Rede stehende Augenkrankheit kommt jetzt nur noch 
selten in kleineren Epidemien vor, und dann hauptsächlich in 
Internaten, Schulen, Waisenhäusern, Kasernen u. s. w., kurz überall 
dort, wo auf einem kleinen Raum viele Menschen Zusammenleben. 
Das war aber durchaus nicht immer so, die Zeit liegt noch gar 
nicht so weit hinter uns, in welcher diese Erkrankung in grossen 
Epidemien Europa heimsuchte und ganz ungeheuere Verwüstungen 
anrichtete. 

Als nämlich nach Beendigung der ägyptischen Expedition die 
Truppen Bonaparte’s wieder nach Europa zurückkehrten, da brach 
überall in den Ländern, durch welche diese Truppen ihren Weg 
nahmen, und ganz besonders da, wo sie längere Zeit im Quartier 
lagen, eine Augenkrankheit aus, die sich zunächst unter den Sol¬ 
daten, dann aber auch unter der übrigen Bevölkerung dieser Gegen- 

Centralblatt f. »11g. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 1 


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den verbreitete und nach den Zeugnissen der damaligen Autoren 
die schwersten Schädigungen an den Augen der davon Befallenen 
anrichtete. 

In den folgenden 20—30 Jahren, also im ersten Viertel unseres 
Jahrhunderts, zeigte sich die Krankheit in allen europäischen Armeen 
und damit auch in allen europäischen Ländern. Die Krankheit 
wurde sehr verschieden benannt, am meisten bezeichnete man sie 
nach ihrer Ursprungsstätte als ägyptische Augenentzündung, in der 
neueren Zeit ist hauptsächlich der Name Trachom üblich, nach dem 
griechischen Worte TQaxvg rauh. 

Was nun Deutschland und speciell die Rheinebene angeht, so 
trat das Trachom zuerst in der preussischen Armee im Jahre 1813 
auf, als die Soldaten des York’schen Corps mit den französischen 
aus Russland fliehenden Truppen zusammenkamen. Noch im selben 
Jahre breitete sich die Krankheit am Niederrhein bis nach Mainz 
hin aus und wüthete ganz besonders stark in den Jahren 1818 und 
1819 unter der preussischen Besatzung der letztgenannten Stadt. t>e n 
Abschluss der grossen europäischen Epidemien bildete etwa die 
schwere Epidemie mit zahlreichen Erblindungen, welche im Jahre 
1834 in Belgien ausbrach. Jüngken, der damalige Professor der 
Augenheilkunde in Berlin, berichtet uns, dass in den dreissiger 
Jahren in Belgien etwa ein Sechstel der gesammten Bevölkerung 
an Trachom litt. 

Welche furchtbaren Verheerungen diese Krankheit angerichtet 
haben muss, geht am besten aus den officiellen Armeeberichte 
hervor. Danach gab es in der englischen Armee im Jahre 1818 
mehr als 5000 Invaliden, die in Folge von Trachom erblindet waren, 
und in einer einzigen englischen Garnison, Kilmanghame, erblindeten 
im Jahre 1810 nicht weniger wie 2307 Individuen durch diese 
Krankheit. Bei der eben erwähnten schweren Epidemie in Belgien 
vom Jahre 1834 erblindeten 4000 Soldaten gänzlich und 10000 auf 
einem Auge. In der preussischen Armee trat die Krankheit milder 
auf, hier wurden von 1813—1817 20—25000 Mann befallen, von 
welchen 150 ganz und 250 auf einem Auge erblindeten. Und ähn¬ 
liche Zahlen werden aus den anderen europäischen Heeren mit- 
getheilt. 

Nachdem sich nun die Krankheit über ganz Europa ausgebreitet 
hatte, verlor sie allmählich ihren epidemischen Charakter, wurde 
aber in vielen Gegenden eine endemische Landplage und eine wahre 
Geissei, die auch jetzt noch unter der dort lebenden Bevölkerung 
schwere Schäden anrichtet. Vorzugsweise sind es die Niederungen 
längs der Flüsse und Küsten, sowie die sumpfigen Tiefebenen, 
welche das hauptsächlichste Verbreitungsgebiet dieser Augenkrank¬ 
heit ausmachen. So kommt denn auch in einem Theil der Rhein- 


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3 


ebene und in den angrenzenden Gebieten die Erkrankung endemisch 
vor, zum Theil sogar in recht grosser Ausdehnung. 

Bevor ich jedoch näher auf diesen letzten Punkt eingehe und die 
Mittel bespreche, die uns für die Verhütung der Krankheit zu Ge¬ 
bote stehen, sei es mir gestattet, in ganz kurzen Zügen das Wesen 
und die Folgen dieser so verderblichen Augenerkrankung zu skizziren. 

Unter ägyptischer Augenentzündung oder Trachom verstehen 
wir eine Erkrankung der Bindehaut des Auges, bei welcher es zur 
Bildung von Körnern, sog. Follikeln, in dieser Haut kommt. Wir 
unterscheiden im Verlauf der Krankheit drei Stadien: Das erste, 
das Stadium der Entwicklung dieser Körner, das zweite, das des 
Zerfalls der Körner und der Geschwürsbildung, und das dritte, das 
der Narbenbildung in der Bindehaut. 

Wenn die Krankheit auch sehr rasch und schnell unter heftigen 
und stürmischen Entzündungserscheinungen entstehen kann — sog. 
acutes Trachom —, so beginnt doch in der weitaus grössten Mehr¬ 
zahl der Fälle das Trachom von vornherein ganz allmählich, ganz 
chronisch. Das Aussehen der Augen ist nur sehr wenig oder gar 
nicht verändert, und zumeist haben die Patienten selbst keine 
Ahnung von der Erkrankung ihrer Augen. 

Im zweiten Stadium kommt es nun zum Zerfall der Körner 
und zu stärkeren Reizerscheinungen. Das Auge ist geröthet, die 
Bindehaut ist geschwollen, und es besteht eine mehr oder weniger 
starke eitrige Absonderung. Die Hauptsache ist jedoch, dass in 
dieser Krankheitsphase fast immer die Hornhaut mitergriffen ist 
und zwar zumeist in der Form von ausgedehnten Trübungen, die 
das Sehvermögen immer ganz erheblich herabsetzen. 

Im dritten Stadium, welches sich dem zweiten meist in unmerk¬ 
lichem Uebergange anschliesst, kommt es nun zur Bildung von 
Narben in der Bindehaut. Die Trübungen der Hornhaut werden 
grösser und dichter, die Bindehaut verkleinert sich, schrumpft, und 
es kommt in Folge dessen zu Einwärtswendung der Lidränder. In 
den schwersten Fällen tritt völliger Schwund der Bindehaut ein, ein 
Zustand, der immer gänzliche Erblindung herbeiführt. 

Was nun die Folgen des Trachoms angeht, so habe ich schon 
vorhin bemerkt, dass das Sehvermögen fast immer mehr oder 
weniger stark geschädigt wird. Nach Rählmann, der in der Dor- 
pater Universitäts-Augenklinik jährlich eine sehr grosse Anzahl von 
Trachomkranken behandelt, in 96 °/o aller Fälle. In zahlreichen 
Fällen, etwa in 69 °/o nach Rählmann, kommt es in Folge von 
Trachom zu Liderkrankungen mit ihren für das Auge so verderb- 
ichen Folgen. 

Die Schädigung des Sehvermögens kann bis zur völligen Blind¬ 
heit gehen, und unter den Insassen der Blindenanstalten finden sich 

1 * 


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4 


nicht wenige, die in Folge von Trachom ihr Augenlicht verloren 
haben. Wenn dieses Letztere auch nicht so sehr für Deutschland 
gilt, so trifft es doch in hohem Maasse für andere Staaten zu. Wird 
doch allein für unseren Nachbarstaat Belgien die Zahl der an 
Trachom Erblindeten auf über 9000 angegeben *). 

Das Trachom ist eine Krankheit der ärmeren Bevölkerung; es 
ist geradezu eine Seltenheit, wenn es bei äusserlich günstig ge¬ 
stellten Personen beobachtet wird. Am häufigsten beftUlt es Per¬ 
sonen im Alter von 10—30 Jahren; bis zum fünften und jenseits 
der fünfziger Lebensjahre ist die Krankheit selten. Nachschübe 
der Krankheit kommen aber zuweilen noch bei alten Leuten vor. 

Unzweifelhaft ist das Trachom ansteckender Natur, die An¬ 
steckung vermittelt sich aber wohl ausschliesslich direct durch 
Uebertragung fixer Ansteckungsstoffe, die in den Ausscheidungen 
trachomkranker Augen enthalten sind. Eine Ansteckung durch die 
Luft, wie man früher vielfach annahm, scheint nicht stattzufinden. 
Die Uebertragung des Contagiums ist aber sehr wohl indirect durch 
Sachen möglich, und die Erfahrung lehrt, dass gerade gemeinschaft¬ 
liche Utensilien, wie Waschschalen, Handtücher u. s. w., die ge¬ 
wöhnlichsten Vermittler der Ansteckung darstellen. Ueber die 
Rolle, welche Handtücher bei der Uebertragung des Trachoms 
spielen, äussert sich Lucanus 2 ) in einer sehr interessanten Unter¬ 
suchung, die er an den Trachomkranken der Marburger Augen¬ 
klinik anstellte, folgendermaassen: „Ueber die Art der Ansteckung 
erfahren wir, dass dieselbe in weitaus den meisten Fällen durch 
Benutzung desselben Handtuches sowohl bei Dienstboten wie Fabrik¬ 
arbeitern erfolgte. Die Regel scheint dies auch zu sein in Familien, 
da es eben gang und gäbe ist in der hiesigen Gegend, dass sich 
die ganze Familie, von der Grossmutter bis zu den Kindern, des¬ 
selben Handtuches, oft auch desselben Taschentuches bedienen, 
falls die Cultur bereits bis zu diesem meist als unnöthig erachteten 
Gegenstände vorgeschritten ist.“ 

Zahlreiche Untersuchungen, den specifischen Erreger dieser 
Infection in Gestalt von Spaltpilzen aufzufinden, haben noch kein 
absolut sicheres Resultat ergeben. 

Wenn es nun auch wohl keinem Zweifel unterliegen kann, dass 
das Trachom zu den ansteckenden Augenkrankheiten gehört, und 
dass die Erkrankung lediglich durch unmittelbare oder mittelbare 
Uebertragung von einer Person auf die andere zu Stande kommt, 
so sind doch für den Ausbruch und die Weiterverbreitung dieser 


*) Aeademie royale de Belgique, Sitzung vom 25. April 1891. 
a ) Lucanus, Untersuchungen über Verbreitung und Ansteckungsfähigkeit 
des Trachoms auf Grund des Materials der Marburger Augenklinik. Inaug.- 
I )is8. Marburg 1890. 


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5 


Erkrankung noch andere Factoren thätig, die entweder klimatischer 
oder allgemein terrestrischer Natur zu sein scheinen. Sonst wäre 
wenigstens die höchst auffallende Thatsache gar nicht zu erklären, 
warum einige Länder so schwer und andere so sehr viel weniger 
oder gar nicht von dieser Krankheit heimgesucht werden. Und 
dieses gilt auch für Länder, in denen die Lebensgewohnheiten und 
die hygienischen Bedingungen, wie Reinlichkeit u. s. w., doch so 
ungefähr dieselben sind, wie z. B. in den verschiedenen Theilen 
Deutschlands. Und doch existiren ausserordentlich grosse Unter¬ 
schiede in der Häufigkeit des Trachoms zwischen den einzelnen 
Gegenden Deutschlands. 

Um nun auf die geographische Verbreitung des Trachoms ein¬ 
zugehen, so habe ich schon vorhin bemerkt, dass es in erster Linie 
in den Niederungen längs der Flüsse und Küsten und in den 
sumpfigen Tiefebenen vorkommt. In Europa ist daher das Trachom 
hauptsächlich in den östlichen Theilen des Continents verbreitet. 
Die europäische Türkei, die Donauuferstaaten, Griechenland und 
Russland sind im hohen Grade heimgesucht. Von den südlichen 
Theilen hat Frankreich im Allgemeinen wenig Trachom, häufiger 
ist es in Spanien, noch mehr aber in Italien; von den nördlichen 
Ländern ist Finnland sehr stark durchseucht, weniger Norwegen 
und Dänemark, fast gar nicht Schweden; in Grossbritannien ist es 
überall verbreitet, weitaus am stärksten in Irland. Im Gegensatz 
hierzu sind hochgelegene Länder, wie die Schweiz, Tirol, Ober¬ 
bayern , die Plateaux von Frankreich fast ganz oder gänzlich 
trachomfrei. 

In Deutschland sind es vorwiegend die östlichen Provinzen 
Preussens (Preussen, Posen, Schlesien), welche am meisten vom 
Trachom zu leiden haben. In Mittel- und Süddeutsehland ist die 
Krankheit im Allgemeinen recht selten. Sehr deutlich zeigt sich 
die Abnahme des Trachoms von Osten nach Westen beim Militär. 
So fanden sich im Jahre 1888 unter 1000 Soldaten in Tilsit 51, 
in Graudenz 24, in Posen 7, in Breslau 2,6 und in Berlin 0,6 
Trachomkranke. 

Im Rheinthal nun treffen wir da« Trachom wieder häufiger an, 
und hier ist es sehr auffallend, wie ungleichmässig die Zahl der an 
Trachom Leidenden in den Länderstrichen, welche das Bett des 
Rheins im weiteren Sinne bilden, vertheilt ist. Um mich über diese 
Vertheilung eingehender zu unterrichten, habe ich mich brieflich 
an eine grosse Anzahl von Augenärzten, die längs des Rheinstromes 
ihre Praxis ausüben, gewandt und von allen in der liebenswürdigsten 
Weise Zahlenmaterial und Auskunft erhalten. 

Während in der Schweiz das Trachom, wie schon erwähnt, 
wohl nur eingeschleppt vorkommt und unter der einheimischen 


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6 


Bevölkerung so gut wie unbekannt ist, treffen wir es im badischen 
Oberlande zuweilen, aber noch äusserst selten an. Ganz ähnlich 
sind die Verhältnisse im Eisass, auch hier ist, einzelne kleinere 
Trachomherde abgerechnet, die Erkrankung sehr selten. Auch 
weiterhin rheinabwärts bis zur Mainmündung findet sich das Trachom 
im Allgemeinen noch selten vor. Erst an der Mainmündung wird 
es etwas häufiger, wenngleich es auch dort noch zu den selteneren 
Krankheiten gehört. Trachomfälle kommen hier nur vereinzelt 
vor, schreibt mir ein College aus Mainz, ich schätze sie auf etwa 
1 0/ o aller Augenerkrankungen. Annähernd dasselbe Verhältniss 
gilt auch für Kreuznach und Wiesbaden, dagegen ist die Krankheit 
in Frankfurt etwas häufiger. Gehen wir weiter abwärts, so treffen 
wir in einem Seitenthale, nämlich im Lahnthal, ausserordentlich 
viel Trachom an. So hatte die Universitäts-Augenklinik zu Giessen 
in den Jahren 1890—1894 unter den sämmtlichen Augenkranken 
5,86 °/o Trachomatöse, und die Universitäts-Augenklinik zu Marburg 
hatte in den letzten vier Jahren durchschnittlich 6,8 0 o Trachom¬ 
kranke. In der schon vorhin erwähnten Untersuchung über die 
Verbreitung des Trachoms auf Grund des Materials der Marburger 
Augenklinik fand Lucanus, dass lediglich nach Ausweis des Kranken¬ 
jouraals dieser Klinik in zahlreichen Orten der Kreise Marburg, 
Biedenkopf, Frankenberg, Kirchhain, Ziegenhain 0,1—20 °/o der 
Einwohner an Trachom litten. 

Wenn wir uns nun wieder dem Rhein zuwenden, so treffen 
wir in der nächsten Umgebung von Koblenz das Trachom nur sehr 
selten an. Dann aber folgt eine Gegend, die zu den trachom¬ 
reichsten des ganzen Rheinthals gehört, nämlich die Eifel und der 
"Wester-Wald. Etwa 8 °/o aller Augenkranken leiden hier an dieser 
Krankheit. Wir sehen also, dass die Höhe allein keinen wirksamen 
Schutz gegen das Trachom bietet, wenn andere Factoren hinzu¬ 
kommen, welche für die Verbreitung und Entstehung der Krank¬ 
heit förderlich sind, nämlich die Armuth mit ihren schweren hygie¬ 
nischen Folgen, der Unreinlichkeit und der schlechten überfüllten 
Wohnung. Auch die Universitäts-Augenklinik in Bonn hat jährlich 
eine sehr grosse Anzahl von Trachomkranken, 11 °/o wurde mir 
von dort mitgetheilt. Offenbar rührt diese sehr hohe Ziffer von 
der Eifel, dem Wester-W r ald und dem Siegthal, das ebenfalls ziem¬ 
lich reich an Trachom ist, her. Unter den Augenkranken der 
Kölner Augenheilanstalt für Arme befanden sich, nach einer freund¬ 
lichen Mittheilung des Leiters dieser Anstalt, Herrn Sanitätsrath 
Dr. Samelsohn, in den Jahren 1880—1882 durchschnittlich 9,96 °/o, 
in den Jahren 1891—93 dagegen nur noch 5,54 °/o Trachom kranke. 
Es hat hier also eine wesentliche Abnahme stattgefunden. Für Düssel¬ 
dorf hat Mooren in einer grossen Zusammenstellung seines gesammten 


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25jährigen Krankenmaterials 7 °/o Trachomatöse angegeben, heute 
dürfte das Procentverhältniss, wie ich einer Mittheilung von dort 
entnehme, wohl wesentlich niedriger anzuschlagen sein. Gehen wir 
weiter, so wird die Krankheit wieder seltener. Elberfeld und Barmen 
haben sehr wenig Trachom, und auch für Crefeld wurde mir nur 
1 °/o der sämmtlichen Augenkrankheiten angegeben; fast die gleiche 
Zahl auch für Remscheid. Etwas häufiger tritt die Krankheit in 
Essen und Mülheim a. d. Ruhr auf, hier machen die Trachom¬ 
kranken etwa 2 °/o von allen Augenkranken aus. Hauptsächlich 
findet es sich jedoch bei eingewanderten polnischen Bergarbeitern, 
und seitdem die Zechen auf Veranlassung des Knappschafts Vereins 
keine Trachomkranken mehr einstellen, nimmt die Krankheit dort 
immer mehr ab. Häufiger ist es dann wieder in Wesel, wo es 
5,55 ° o aller Augenkrankheiten ausmacht, doch ist auch hier in 
den letzten Jahren eine langsame Abnahme zu bemerken. Wenden 
wir uns nun zur letzten Etappe des Stromes, so weit er deutsch 
ist, nach Cleve und Umgegend, so ist hier die Anzahl der Trachom¬ 
kranken auffallend niedrig. Ich hatte erwartet, dass das Trachom 
hier recht häufig Vorkommen würde, allein nach einer Mittheilung 
aus Cleve macht es nur 2 °/o sämmtlicher Augenkrankheiten aus, 
wobei sich der Wirkungsbezirk des dortigen Augenarztes auf die 
Kreise Cleve, Geldern, die Maasgegend und die holländischen Grenz¬ 
bezirke erstreckt. Ganz besonders findet es sich hier in den feuchten 
W T ie8engründen. So ist z. B. die von der Niers durchflossene wasser¬ 
reiche Gegend bei Kevelaer verhältnissmässig reich an Trachom, 
ebenso der Landstrich in der Rheinniederung, während höher ge¬ 
legene Ortschaften beinahe ganz frei sind. In Holland tritt nun 
das Trachom wieder wesentlich stärker auf, und zwar ganz beson¬ 
ders an der Küste. In erster Linie sind es hier die Juden, die 
schwer von der Krankheit zu leiden haben, und wenn auch in den 
letzten Jahren eine wesentliche Besserung eingetreten ist, so sind 
die Zahlen doch noch ausserordentlich hoch, wie die Untersuchungen 
der Judenschulen in Amsterdam beweisen. Nach dem 22. Jahres¬ 
bericht der Inrichting voor ooglijders te Amsterdam 1 ) fanden sich 
im Jahre 1893 in d$n Schulen, die fast ausschliesslich von Juden 
besucht werden, 18—50 °/o Trachomatöse. Das sind ganz enorm 
hohe Ziffern, und in anderen Theilen Hollands findet sich die Krank¬ 
heit viel weniger häufig. Auch in Belgien ist das Trachom sehr 
stark verbreitet. 

Wenn wir nun fragen, wie viele Menschen leiden denn in einer 
bestimmten Gegend oder in einer Stadt an Trachom, so geben uns 


M Vereeniging tot oprichting en enstandhouding eener inrichting voor 
ooglijders te Amsterdam. Twee en twentigste verslag. 


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8 


zur Beantwortung dieser Frage Schuluntersuchungen auf Trachom 
einen einigermaassen sicheren Anhaltspunkt. Hier in Köln werden 
diese Schuluntersuchungen seit dem Jahre 1890 regelmässig einmal 
im Jahre von den Armen-Augenärzten vorgenommen. Wenn auch bis 
jetzt erst sechs Untersuchungsresultate vorliegen, so gestatten diese 
doch schon einen Schluss, da die Zahlen in den einzelnen Jahren 
ganz ausserordentlich constant sind. Wir finden nämlich in drei 
Jahren 1,33 °/o, in einem Jahre 1,2 °/o, in einem anderen Jahre 
1,1 °/o und nur in einem Jahre etwas mehr, etwa 2 °/o Trachomatöse. 
Wenn wir somit den Procentsatz der trachomkranken Kinder für 
Köln auf etwa 1 °/o oder noch etwas höher veranschlagen, so dürften 
wir wohl ziemlich das Richtige treffen. 

Diese trachomkranken Kinder vertheilen sich nun aber sehr 
ungleichmässig über die Stadt, wie aus nebenstehender Figur zu 
ersehen ist. Am stärksten sind hiernach die Schulbezirke 15—24 
belastet, und das sind die Südbezirke der Stadt (St. Pantaleon, 
St. Severin, St. Johann-Jakob, St. Mauritius). Gerade diese Bezirke 
sind ja von Arbeitern, besonders Fabrikarbeitern, be- und über¬ 
völkert und befinden sich dadurch hygienisch in einer sehr viel 
schlechteren Lage wie die Nordbezirke. 

Sie sehen, meine Herren, dass das Trachom im Rheinthale und 
auch in unserer engeren Heimath am Niederrhein in ziemlicher 
Ausdehnung vorkommt. Es verlohnt sich daher sicher wohl der 
Mühe, auf Mittel zu sinnen, um diese so verderbliche Augenkrank¬ 
heit einzuschränken und wenn möglich gänzlich auszurotten. Welche 
Mittel stehen uns nun hierfür zu Gebote. 

Das Trachom ist, wie ich vorhin schon erwähnte, eine Krank¬ 
heit der Armen, die in schlechten, unsauberen und engen Wohnungen 
leben. Der erste Punkt bei der Bekämpfung des Trachoms wird 
daher die Verbesserung der allgemeinen hygienischen Verhältnisse, 
insbesondere der WohnungsVerhältnisse der armen Bevölkerung sein. 
Die Schaffung von hellen, gesunden, luftigen, geräumigen Wohnungen, 
besonders für die Arbeiterbevölkerung, wie dies ja von zahlreichen 
gemeinnützigen Baugesellschaften und Grossindustriellen angestrebt 
wird, ist sicher eine der wichtigsten Maassregein bei der Bekämpfung 
des Trachoms. 

Einen weiteren Punkt bildet dann die Erziehung zur körperlichen 
Reinlichkeit. Förster in Breslau, der in Bezug auf das Trachom 
eine sehr grosse Erfahrung besitzt, ist sehr geneigt anzunehmen, 
dass unreine Hände bei der Entstehung und Verbreitung des Trachoms 
eine ganz hervorragende Rolle spielen. Hier kann die Schule ausser? 
ordentlich viel Gutes wirken, sehr viel mehr wie sie jetzt thut. 
Die Kinder sollen zur Reinlichkeit des Körpers, besonders zur Rein¬ 
haltung der Hände und Nägel strengstens angehalten werden. Alle 


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9 


Einrichtungen, welche für diesen Zweck förderlich sind, also in 
erster Linie Schulbäder, sollen möglichst überall hergestellt werden. 
Aber auch das Schulzimmer und die Geräthe sollen rein und sauber 
sein, und auch hier ist noch Manches zu bessern. Dann ist auf 
eine reine, möglichst staubfreie Luft in den Schulen zu achten. 
Ein weiteres Mittel bei der Bekämpfung des Trachoms sind regel¬ 
mässige Schuluntersuchungen, die mindestens einmal im Jahre vor- 


* * ä? ä? <£ a? 3? 



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SCHULBEZIRKE 













10 


zunehmen sind. Kranke Kinder sind dem Lehrer zu bezeichnen, 
und die Eltern müssen von der Erkrankung informirt werden. Ist 
die Krankheit weit fortgeschritten, ist besonders eine stärkere, eitrige 
Absonderung vorhanden, so sind die Kinder aus der Schule zu ent¬ 
fernen und, wenn irgend möglich, in ärztliche Behandlung zu nehmen. 
Für eine zwangsweise Behandlung solcher Kinder fehlt uns bis jetzt 
leider noch die gesetzliche Handhabe, hoffentlich wird das zu er¬ 
wartende Seuchengesetz auch nach dieser Seite Wandel schaffen. 
Denn auf dem Wege der ärztlichen Behandlung würde es sicher 
möglich sein, die Weiterverbreitung des Trachoms zu verhüten und 
damit allmählich eine verderbliche Volkskrankheit gänzlich aus¬ 
zurotten. Empfehlen würde sich auch eine eingehende Besichtigung 
der Wohnräume und der übrigen Familienmitglieder solcher er¬ 
krankter Kinder. Kommen in einer Schule zahlreiche Erkrankungen 
vor, besonders in acuter Form, so ist die betreffende Schulklasse 
zu schliessen. 

Bei passenden Gelegenheiten kann in den Schulen auf die Ge¬ 
fahren des Trachoms und auf die Mittel zur Verhütung hingewiesen 
werden. 

Für Waisenhäuser, Erziehungshäuser, kurz für alle Internate 
wären folgende Regeln aufzustellen: 

1. Die Anstalten müssen den allgemeinen hygienischen Anfor¬ 
derungen auf Reinlichkeit, Ventilation u. s. w. entsprechen. 
Besonderes Gewicht ist wieder auf die Waschgeräthe zu legen. 

2. Jeder Aufzunehmende muss untersucht werden. 

3. Die Insassen sind häufig ärztlich zu untersuchen, besonders 
in den Gegenden, wo Trachom heimisch ist. Die Erkrankten 
müssen natürlich in ärztliche Behandlung genommen werden. 

4. Die Trachomatösen sind von den Gesunden zu trennen. 

5. Kein Trachomatöser darf in die Heimath entlassen werden. 
Mit kleinen Modificationen gelten diese Regeln auch für Militär 
und Kasernen. 

Auf diese Weise dürfte es wohl sicher gelingen, der verderb¬ 
lichen Krankheit allmählich Herr zu werden. Dass dieses möglich 
ist, beweisen die Trachom-Verhältnisse in der preussischen Armee, 
in welcher im Jahre 1873 noch 6,9%, im Jahre 1888 nur noch 
2,6 °/o der Mannschaften an Trachom litt, also in 15 Jahren eine 
Abnahme auf den dritten Theil. Und während 1874 noch 128 Mann 
in Folge von Trachom als Ganzinvalide entlassen wurden, belief 
sich diese Zahl 1884 nur noch auf 17 *). Die Maassnahmen in der 
preussischen Armee für die Bekämpfung des Trachoms sind aber 
auch als mustergültig zu bezeichnen. 

J ) H. Cohn, Lehrbuch der Hygiene des Auges. Wien und Leipzig 1892. 


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In seiner bekannten preisgekrönten Arbeit: Die Ursachen und die 
Verhütung der Blindheit, sagt Prof. Fuchs 1 ): Kein Mensch braucht 
bei gehöriger Sorgfalt am Trachom zu erblinden; ich möchte noch 
einen Schritt weiter gehen und sagen: bei gehöriger Vorsicht braucht 
kein Mensch am Trachom zu erkranken. 

Das ist freilich ein Ziel, welches augenblicklich noch in recht 
weiter Feme liegt, allein die Lösung dieser Aufgabe ist eine so 
segensreiche, dass sie wohl der allseitigen Beachtung und Mitarbeit 
werth erscheint. 


Bericht 

über die 20. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart vom 11. bis 
14. September 1895. 


Am Vorabende der Versammlung hatte die Stadt Stuttgart die 
Theilnehmer zu einem Abendfeste in den Stadtgarten eingeladen, 
woselbst der Oberbürgermeister Rümelin die Erschienenen herzlichst 
begrüsste. 

Am 11. September wurde die Versammlung, welche zu den 
bestbesuchtesten gehörte, von dem z. Vorsitzenden Geh. Medicinal- 
rath Dr. Pi stör in Berlin eröffnet. Nach den üblichen Begrüssungs- 
reden Seitens der Vertreter der Königlichen Staatsregierung und 
des Oberbürgermeisters, nach Verlesung des Geschäftsberichts durch 
den ständigen Secretär, Geh. Sanitätsrath Dr. Spiess, erstattete zu¬ 
nächst Oberbaurath Prof. Baumeister einen Bericht über den 
Erfolg der vom Vereine veranstalteten Enquete auf dem Gebiete 
der Baupolizei. Im Anschluss an diesen Bericht sprach sodann 
Baurath Stübben-Köln über „Maassnahmen zur Herbei¬ 
führung eines gesundheitlich zweckmässigen Aus¬ 
baues der Städte u (Bebauungsplan, Umlegung und Zusammen¬ 
legung, Enteignungsrecht, abgestufte Bauordnung). Von den beiden 
Referenten Oberbürgermeister Küchler (Worms) und Baurath 
Stübben (Köln) sprach letzterer über die gesundheitlichen Grund¬ 
lagen des Stadtbauplanes, die Nothwendigkeit der gesetzlichen Um¬ 
legung ungeregelter Grundstücke, die Zonenenteignung in alten 
Stadttheilen und die Bauordnung, während Küchler sich über 
besondere süddeutsche Verhältnisse und die genossenschaftliche Zu- 


*) Fuchs, Die Ursachen und die Verhütung der Blindheit. Wiesbaden 1885. 


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sammenlegung von Grundstücken im Stadterweiterungsgelände ver¬ 
breitete. Von Interesse waren namentlich die durch Pläne erläu¬ 
terten Umlegungen in Mainz und Zürich, sowie die ebenfalls auf 
ausgehängten Plänen dargestellten Sanirungsmaasaregeln, welche in 
London, Brüssel, Neapel und Budapest auf Grund der dort be¬ 
stehenden gesetzlichen Zonenenteignung ausgeführt worden sind. 
Abgestufte Bauordnungen besitzen gegenwärtig bereits sieben deutsche 
Städte: Berlin, Altona, Hannover, Hildesheim, Bochum, Barmen 
und Frankfurt a. M. In Köln, Düsseldorf, Magdeburg, Halle und 
Rheydt ist die Abstufung der Bauordnung im Sinne grösserer Weit¬ 
räumigkeit für die Bebauung der äusseren Bezirke in Vorbereitung. 

In der Discussion sprachen Baumeister Hartwig (Dresden) 
zu Gunsten der Zonenenteignung, aber gegen die Umlegung von 
Grundstücken und die Abstufung der Bauordnung; die Ober¬ 
bürgermeister Westerburg (Kassel), Schneider (Magdeburg), 
Adickes (Frankfurt) und Strauss (Rheydt) zu Gunsten aller 
aufgestellten Forderungen mit Ausnahme der genossenschaftlichen 
Zusammenlegung; ausser ihnen bekämpften noch Oberbaurath 
Baumeister und die beiden Referenten die Bedenken Hartwig's; 
Dr. Usteri (Zürich) berichtete über die günstigen Erfolge des in 
Zürich in Anwendung stehenden Umlegungsgesetzes. Schliesslich 
wurde ein Antrag Adickes und Dr. Lent fast einstimmig ange¬ 
nommen, welcher die Schlusssätze der Referenten nach Richtung 
und allgemeinem Inhalte billigt, jedoch mit Ausnahme der Sätze 
über Zusammenlegung, welche einer weiteren Behandlung durch 
den Ausschuss unterzogen werden sollen; die Drucklegung der 
heutigen Verhandlungen soll den deutschen Staatsregierungen als 
Material für die nothwendige Gesetzgebung überwiesen werden. 

Die angenommenen Leitsätze der Referenten lauten: 

I. Bebauungsplan. 

a. Das Gesundheitsinteresse verlangt Reinheit und Trockenheit des Unter¬ 
grundes, rasche und gründliche Beseitigung der Schmutzstoffe, Rein¬ 
haltung der Wasserläufe; ausreichende Versorgung der Stadt mit Wasser, 
Licht, Luft und Pflanzungen; Schutz gegen nachtheilige Gewerbebetrieb?, 
erhebliche Ausdehnung des Bebauungsplanes, zweckentsprechende Ab¬ 
messung der Strassenbreiten und Baublöcke. 

b. Insbesondere ist bei Abmessung der Strassenbreiten und Baublöcke 
dahin zu streben, dass für die verschiedenen Baubedürfnisse geeignete 
Strassen und Bauplätze gewonnen, Hintergebäude nach Möglichkeit 
vermieden, kleinere Wohnhäuser begünstigt werden. Es sind vorzu¬ 
sehen: Breite Verkehrsstrassen, mittlere und schmale Wohnstrassen; 
grosse Blöcke für Fabrikbauten und Landhäuser, mittlere für bürger¬ 
liche Wohn- und Geschäftshäuser, kleine für die Wohnungen der minder 
begüterten Volksklassen. 

c. Bestehende Stadtbaupläne sind zu prüfen und im vorstehenden Sinne, 
soweit möglich, zu verbessern. 


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d. Wo die Gesetzgebung die Feststellung ausgedehnter und sachgemässer 
Bebauungspläne noch behindert oder erschwert, sind diese Schwierig¬ 
keiten durch Erlass eines geeigneten Fluchtliniengesetzes zu beseitigen. 

II. Umlegung. 

a. Die Strassenlinieu des Stadtbauplanes können an die vorhandenen 
Grundstücksgrenzen der Feldflur nur in der Minderzahl der Fälle so 
angepasst werden, dass die Grundstücke in der bisherigen Lage und 
Gestalt zur Eintheilung und Benutzung als städtische Bauplätze brauch¬ 
bar sind. Es ist vorher die Grenzregelung oder Umlegung der Grund¬ 
stücke erforderlich. Diese wird zwar in manchen Fällen nach vieler 
Mühe und grossem Zeitverlust durch Uebereinkommen aller Betheiligten 
erreicht; bei dem oft vorkommenden Widerstreben Einzelner bedarf es 
dagegen eines Umlegungsgesetzes, d. h. der Verleihung des Rechtes auf 
zweckentsprechende Umlegung ihrer Grundstücke an die Betheiligten, 
auch ohne die Zustimmung jedes einzelnen Eigentümers. Dieses Um- 
legungsrecht ist notwendig, 

«. um eine gesundheitlich und wirtschaftlich unzweckmässige Be¬ 
bauung zu verhindern, eine zweckmässige Bebauung aber zu 
ermöglichen; 

ß. um die Gesammtheit der Besitzer einer Grundstücksgruppe gegen 
die Böswilligkeit eines Einzelnen, sowie um die kleineren Be¬ 
sitzer gegen die grösseren zu schützen; 
y. um die am Markt befindlichen Baugrundstücke zu vermehren 
und dadurch der übertriebenen Preissteigerung entgegenzuwirken; 
tf. um den geordneten, zusammenhängenden Ausbau der Stadt auf 
einem Gelände, dessen Grundstücke im Gemenge liegen, durch¬ 
führen zu können, sowohl zu Gunsten der Besitzer selbst und 
der zukünftigen Bewohner, als im Interesse der Nachbarschaft 
und der Gemeinde. 

b. Die Grundlage der Umlegung bildet der vorher festzustellende Be¬ 
bauungsplan. 

c. Zur Erleichterung der Umlegung empfiehlt es sich, die umzulegende 
Grundstücksgruppe auf einem Block des Bebauungsplanes zu beschränken. 

d. Das Recht auf Umlegung steht der Mehrzahl der betheiligten Eigen- 
thümer, insofern sie zugleich die grössere Hälfte der Grundflächen be¬ 
sitzt, unbedingt zu; der Minderzahl und der nicht über die Hälfte des 
Besitzes verfügenden Mehrzahl nur dann, wenn durch einen zustimmen¬ 
den Gemeindebeschluss die Dringlichkeit anerkannt wird. 

e. Der Umlegungsplan ist vom Gemeindevorstande zu entwerfen oder gut¬ 
zuheissen; dabei ist, damit kein Besitzer benachtheiligt werde, nicht 
bloss die Flächengrösse, sondern auch Lage und Werth der Grundstücke 
zu berücksichtigen. Den Betheiligten steht das Recht des Einspruchs 
zu, dessen Erledigung im Wege des Verwaltungsstreitverfahrens erfolgt. 

f. Die Errichtung von Bauten auf ungeregeltem Gelände, welche die Um¬ 
legung erschweren, ist zu untersagen. 

III. Enteignung. 

Das Enteignungsrecht der Gemeinde soll sich erstrecken 

a. auf die Erwerbung des Landes für die Anlage neuer, im gesetzlich ge¬ 
ordneten Verfahren der Fluchtlinienfeststellungen als nöthig anerkannter 
Strassen, freier Plätze und öffentlicher Pflanzungen; 


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b. auf die Erwerbung solcher neben den neuen Strassen und Plätzen liegen¬ 
bleibenden Grundstückstheile, welche gemäss der im gesetzlich geord¬ 
neten Umlegungsverfahren getroffenen Festsetzung wegen ihrer Klein¬ 
heit zur selbständigen Bebauung ungeeignet sind; 

c. auf die Erwerbung solcher in älteren Stadttheilen liegenden Grundstücke, 
welche gemäss einem gesetzlich geordneten Verfahren (Gesetz über 
Zonenenteignung) nöthig sind, um eine den Zwecken der ölfentlichen 
Gesundheitspflege und des Verkehrs entsprechende Bebauung herbei¬ 
zuführen. 

IV. Bauordnung. 

a. Die Einheitlichkeit der baupolizeilichen Vorschriften für die Innenstadt 
und alle Theile der Aussenstadt hat in vielen Stadterweiterungeu Bau- 
und Wohnzustände entstehen lassen, welche vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkte aufs lebhafteste zu beklagen sind. Insbesondere hat sich von 
Jahr zu Jahr die Wohndichtigkeit gesteigert, die Wohnräumlichkeit 
vermindert. 

b. Die Uebertragung der den altstädtischen Verhältnissen angepassten 
Bauordnung auf das ganze Stadterweiterungsgelände hat dort an zahl¬ 
reichen Orten eine ausgedehnte, auf die äusserste polizeilich erlaubte 
Ausnutzung sich stützende und diese nothwendig veranlassende Boden- 
und Bauspeculation zwar nicht hervorgerufen, aber ermöglicht, welche 
das Wohnen zugleich verschlechtert und vertheuert und nicht bloss auf 
gesundheitlichem, sondern auch auf allgemein socialem Gebiete zu den 
beklagenswertesten Erscheinungen unserer Zeit gehört. 

c. Zu den Maassregeln, welche geeignet sind, diesen Missständen in Zu¬ 
kunft entgegenzutreten, gehört die baupolizeiliche Anordnung, dass in 
den äusseren Theilen der Stadt weniger hoch und weniger dicht gebaut 
werde, als in der Innenstadt. Es empfiehlt sich, zu diesem Zwecke das 
Stadtgebiet (nach Bedarf unter Einbeziehung von Vororten) in Bezirke 
einzutheilen, für welche die Bauordnungsvorschriften sich unter Berück¬ 
sichtigung der bereits vorhandenen Bodenwerthe im Sinne der zunehmen¬ 
den Weiträumigkeit und der Bevorzugung des Einfamilienhauses bezw. 
Bekämpfung des Massenmiethhauses abstufeu. 

Die in dieser Richtung in Budapest, Wien, Berlin, Altona, Frank¬ 
furt a. M., Köln und anderen Städten hervorgetretenen Bestrebungen 
verdienen Anerkennung und Nachahmung. 

d. Bei der Abstufung der Bauordnung sind nach Maassgabe des voraus¬ 
sichtlichen Bedarfs und der örtlichen Verhältnisse auch solche Bezirke 
abzusondern, in welcheu 

«. nur die offene Bauweise gestattet wird; 

ß. der Bau und Betrieb von Fabriken und anderen lästigen gewerb¬ 
lichen Anstalten untersagt ist; 

y . der Bau und Betrieb von Fabriken begünstigt wird. 

Die an den Ausschuss zurückverwiesenen Sätze über Zusammen¬ 


legung lauten: 


Zusammenlegung. 


a. Anstatt der Umlegung unbebauter Grundstücke, die in der Regel sich 
auf einen Block zu beschränken hat und mit der Zutheilung der Ersatz¬ 
grundstücke absehliesst, empfiehlt sich an manchen Orten die Zu¬ 
sammenlegung grösserer Stadterweiterungsgebiete unter 
Erhaltung des ungetheilten Besitzes bis zur Verwerthung als Bau¬ 
gelände, und zwar: 


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«. um, unabhängig von der Böswilligkeit oder dem Unverstände 
Einzelner, das zur Bebauung bereit gestellte Stadtgelände zu 
vermehren und der künstlichen Preistreibung zu begegnen, 
ß. um den Schwachen vor dem Auskauf durch den Starken zu 
unterwerthigen Preisen zu schützen und ihm die Möglichkeit zu 
geben, an der allmählichen und naturgemässen Werthsteigerung 
Antheil zu nehmen; 

y. um den einzelnen Grundbesitzer vor der Zersplitterung seines 
Besitzes in verschiedenen Blöcken und vor der Enteignung der 
bebauungsfähigen Theile zu bewahren (vgl. IV b); 
tf. um in grösseren Stadterweiteruugsgebieten ein den verschieden¬ 
artigen Baubedürfnissen (vgl. Ib) dienendes, der Entwässerung 
wegen alsbald im Ganzen bereit zu stellendes Strassennetz ohne 
Enteignungsverfahren durchführen zu können. 

b. Die Zusammenlegung geschieht auf Antrag der Eigenthümer von mehr 
als der Hälfte der betheiligten Fläche mit Zustimmung der Gemeinde¬ 
vertretung, oder auf Beschluss der letzteren, wenn nicht die Eigen¬ 
thümer von mehr als der Hälfte der betheiligten Fläche widersprechen. 

c. Der Antheil der bei der Zusammenlegung Betheiligten ist durch Ab¬ 
schätzung in Geld zu ermitteln, wobei Flächengrösse, Lage und Werth 
der eingebrachten Grundstücke zu berücksichtigen sind. Beschwerden 
werden im Verwaltungsstreitverfahren erledigt. 

d. Die Verwaltung erfolgt durch einen gewählten Vorstand, der die Ge¬ 
nossenschaft nach Maassgabe eines zu errichtenden Genossenschafts¬ 
statuts vertritt. 

e. Etwaige in dem Zusammenlegungsgebiet befindliche Gebäude unterliegen, 
insoweit sie die Aufstellung des Bebauungsplanes hindern, der Enteignung 
durch die Genossenschaft. 

f. Jedem Genossenschafter steht der Austritt frei. Die Genossenschaft hat 
ihm den Schätzungs werth seines Antheils zu ersetzen. Lehnt dies die 
Genossenschaft ab, so erfolgt die Liquidation derselben. 

Das erste Thema des zweiten Tages war die Erbauung von 
Heilstätten für Lungenkranke durch Invaliditäts¬ 
und Alters-Versicherungsanstalten, Krankenkasse 
und Communalverbände, über welche Frage der Director 
der Hanseatischen Alters-Versicherungsanstalt Gebhard-Lübeck 
und Sanitätsrath Dr. Hampe-Helmstedt Bericht erstatteten. Nach¬ 
stehende Leitsätze waren aufgestellt: 

1. Die Einschränkung der Verheerungen, welche die Lungenschwind¬ 
sucht in allen Volkskreisen hervorruft, ist von grössester Bedeutung für die 
Wohlfahrt des ganzen Volkes. Zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht 
haben desshalb alle staatlichen und communalen Organisationen, zu deren Ob¬ 
liegenheiten die Minderung der aus Krankheit und Siechthum entspringenden 
Leiden gehört, mitzuwirken. 

2. Es ist insbesondere auch Aufgabe der Invaliditäts- und Alters-Ver¬ 
sicherungsanstalten, in Anwendung des § 12 des Invaliditäts- und Alters- 
Versicherungsgesetzes, zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht die Hand 
anzulegen und je nach den Umständen allein oder in Verbindung mit Kranken¬ 
kassen und zuständigen communalen Organen die hierzu geeigneten Maass¬ 
regeln zu ergreifen. 


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3. Da unter den verschiedenen, für die Bekämpfung der Lungenschwind¬ 
sucht bis jetzt empfohlenen Maassregeln die hygienisch-diätetische Behand¬ 
lung in klimatisch günstig gelegenen Heilstätten allein Erfolge von grösserem 
Umfange aufzuweisen hat, sind zur Zeit die Bestrebungen der bezeichneten 
staatlichen und communalen Organisationen auf dem in Rede stehenden Ge¬ 
biete in erster Linie dahin zu lenken, dass eine dementsprechende Behand¬ 
lung in Heilstätten den dafür geeigneten Lungenkranken derjenigen Volks¬ 
kreise, auf deren Wohlfahrt sich ihre amtliche Thätigkeit zu erstrecken hat, 
zu Theil wird. 

4. Es fehlt bislang an der genügenden Zahl von Heilstätten für Lungen¬ 
kranke aus den unbemittelten und den wenig bemittelten Bevölkerungskreisen. 
Die Bemühungen der zuständigen staatlichen und communalen Organisationen 
sind desshalh auf Beschaffung solcher Heilstätten zu richten. Von der Be- 
urtheilung der besonderen Verhältnisse der einzelnen Bezirke hängt es ah, 
von welcher der verschiedenen zur Mitarbeit berufenen Stellen die Errichtung 
der Heilstätten unter angemessener Mitwirkung anderer dazu berufener Or¬ 
gane vorzunehmen ist, insbesondere auch, ob die Invaliditäts- und Alters- 
Versicherungsanstalten selbst Heilstätten für Lungenkranke errichten und 
Krankenkassen und communale Organisationen sich an der Tragung der 
Kosten für die dort unterzubringenden Kranken betheiligen, oder ob sich die 
Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten beschränken, zur Deckung 
der Kosten, welche durch die Behandlung der Kranken entstehen, die in 
vorhandenen oder zu errichtenden Heilstätten gemeinnütziger Vereine, Privat¬ 
unternehmer, Krankenkassen und communaler Organisationen unterzubringen 
sind, in dem nach Lage der Umstände zu bemessenden Umfange Theil zu 
nehmen. 

5. Sache der Aerzte ist es, darauf hinzuwirken, dass die Lungenkranken 
von der Benutzung des ihnen zu bietenden Heilverfahrens, solange Erfolg 
von diesem mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, also möglichst 
bald, nachdem die Erkrankung eingetreten ist, Gebrauch machen. Es ist von 
grosser Bedeutung, dass die Erfahrungen darüber, unter welchen Voraus¬ 
setzungen Erfolg von dem Heilverfahren in Aussicht steht, zu immer allge¬ 
meinerer Kenntniss gebracht werden. 

6. Die auf die Errichtung und den Betrieb von Heilstätten für Lungen¬ 
kranke gerichtete Thätigkeit gemeinnütziger Vereine bleibt, auch nachdem 
von Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten, Krankenkassen und com¬ 
munalen Organisationen Maassregeln der weitestgehenden Art zur Bekämpfung 
Lungenschwindsucht auf dem ihnen zukommenden Thätigkeitsgebiete ergriffen 
sein werden, unentbehrlich. 

7. Allen zuständigen staatlichen Behörden liegt die grösstmögliche 
Förderung aller auf die Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke ge¬ 
richteten Bestrebungen ob. 

Schlusssätze des Correferenten. 

1. Nachdem weder die Vernichtung der specifischen Krankheitserreger, 
noch die Tuberkulinbehandlung der Kranken eine nachweisbare Verminderung 
der Lungenschwindsucht herbeigeführt haben, greift die öffentliche Gesund¬ 
heitspflege auf die schon seit Jahrzehnten mit zweifellosem Erfolge geübte 
„hygienisch-diätetische“ Behandlung der Kranken zurück, welche um so 
sicherer ist, wenn sie in besonderen Anstalten — „Sanatorien“, „Heilstätten“ 
— stattfindet. 

2. Eine Einschränkung der Lungenschwindsucht werden diese Sanatorien 
jedoch nur dann und allmählich bewirken können, wenn sie in grösserer 


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Zahl errichtet und auch den weniger begüterten Volksschichten zugänglich 
gemacht werden. 

3. Die Aufgabe, diese hochwichtige humane und hygienische Aufgabe 
der Lösung entgegenzuführen, ist durch unsere Gesetzgebung vor allen den 
Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten zu Theil geworden; sie haben 
das Recht, sich ihrer kranken Mitglieder schon vor Eintritt der Invalidität 
anzunehmen, um diese durch eine zweckmässige Behandlung möglichst zu 
verhüten. In dem Streben, von dieser Berechtigung Gebrauch zu machen, 
werden sie zunächst darauf hinwirken müssen, die an Lungentuberkulose 
Leidenden möglichst früh in Obhut nehmen und den specifischen Heilanstalten 
zuführen zu können, denn nur in ersten Stadien der Krankheit gelingt es, 
ohne allzu grosse Opfer ihren Stillstand zu veranlassen und die Arbeitsfähig¬ 
keit der Kranken wiederherzustellen, bezw. zu erhalten. Vor Allem aber 
werden bei dem gegenwärtigen Mangel an Sanatorien die Versicherungs¬ 
anstalten dahin wirken müssen, solche zu gründen oder gründen zu helfen. 

4. Die Sanatorien für Lungenkranke müssen nach den hygienischen 
Grundsätzen eingerichtet und verwaltet werden, welche in den für Angehörige 
der begüterten Bevölkerungskreise in Deutschland bestehenden Musteranstalten 
zur Geltung gebracht sind. Wenn auch einfach ausgestattet, müssen sie doch 
Alles enthalten, was erfahrungsgemäss zur Erreichung einer grösseren Wider¬ 
standsfähigkeit des menschlichen Körpers gegen die deletären Einwirkungen 
der Tuberkelbacillen als nothwendig oder zweckmässig erscheint. 

5. Die Sanatorien dürfen nicht ohne Vorkehrungen und Einrichtungen 
bleiben, welche nothwendig sind, die specifischen Krankheits-, insbesondere 
die Auswurfsstoffe zu vernichten und für die Nachbarschaft unschädlich zu 
machen. 

6. Ohne einen ständigen, sachkundigen Arzt wird der Erfolg der An¬ 
staltsbehandlung stets ein zweifelhafter bleiben. Ihm liegt es ob, durch stete 
persönliche Einwirkung den Muth der Kranken zu beleben und ihnen die für 
ihre Genesung erforderliche Lebensweise so fest und sicher einzuüben und 
anzugewöhnen, dass sie dieselbe auch in ihrem Familienkreise nach ihrer 
Heilung ohne Zwang fortsetzen werden. 

Der Referent gab eine statistische Uebersicht der Sterbeßllle 
an Tuberkulose in Deutschland, suchte das nur zu verbreitete Miss¬ 
trauen gegen die Heilbarkeit der Schwindsucht zu zerstreuen und 
begründete die Pflicht aller Behörden und Verbände, für die Er¬ 
richtung der Heilstätten thatkräftig einzutreten. Für die Invaliditäts¬ 
und Alters-Versicherungsanstalten sei diese Pflicht um so mehr zu 
erfüllen, damit eine zu frühe und starke Belastung der Anstalten 
möglichst verhütet werde. Der zweite Referent vertrat seine Leit¬ 
sätze vom medicinischen Standpunkte aus. In der Discussion sprach 
der Director des Kaiserl. Gesundheitsamtes Köhler seine Freude 
darüber aus, dass der Deutsche Verein für Gesundheitspflege sich 
mit dieser Frage beschäftige, welcher auch von Seiten des Reiches 
grosses Interesse entgegengebracht würde; die von dem Gesund¬ 
heitsamte zusammengestellte Statistik der Todesursachen ergebe 
das erschreckende Resultat, dass der dritte Theil der in Deutsch¬ 
land von der im erwerbsfähigen Alter stehenden Bevölkerung Sterben- 

Centnlblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 2 


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den an Tuberkulose zu Grunde gehen. Geheimer Rath Prof. Dr. 
von Ziemssen (München) trat sehr warm für die Leitsätze der 
Referenten ein. Ausser den Leitsätzen, welchen man allseitig zu¬ 
stimmte, wurde noch folgende Resolution (Küchler- Worms) ange¬ 
nommen: „Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege 
erklärt die Einführung einer auf gleichen Grundsätzen geordneten 
Statistik über die Ergebnisse der Heilpflege in den Anstalten für 
unbemittelte Lungenkranke für wünschenswerth, die sich womöglich 
auf die Dauer von mindestens 5 Jahre nach Verlassen der Heilstätte 
zu erstrecken hätte.“ 

Sodann folgte das Thema: „Die Schädlichkeit der 
Kanalgase und Sicherung unserer Wohnräume gegen 
dieselben“. 

Dieses Thema war bereits auf der vorjährigen Versammlung 
des Vereins in Magdeburg auf der Tagesordnung gewesen und 
durch Ingenieur A. Rö c h 1 i n g - Leicester (England) als Haupt¬ 
referent behandelt worden, jedoch nur vom Standpunkte des eng¬ 
lischen Disconnecting- Systems aus, welche Anschauungen bereits 
auf der vorjährigen Versammlung lebhaften Widerspruch fanden. 
Auf der diesjährigen Versammlung traten als Referenten Privat- 
docent Dr. Kirchner-Hannover und Stadtbaurath Lindley- 
Frankfurt a. M. auf. 

Der erste Referent Dr. Kirchner verbreitete sich hauptsäch¬ 
lich über die Schädlichkeit der Kanalgase und kam zu dem Schluss, 
dass die Annahme der englischen Hygieniker, welche dieselben als 
Erreger von Krankheiten, wie Lungenentzündung, Diphtherie, Typhus 
und Malaria betrachteten, nicht aufrecht erhalten werden könne, 
indem er nachwies, dass auf Grund der Bacillentheorie und unserer 
heutigen Kenntnisse vom Wesen der Krankheitserreger die Ver¬ 
breitung dieser Krankheiten mit der Ausdehnung der Städte- 
kanalisirung und der hierdurch ermöglichten Einathmung von 
Kanalgasen in reciprokem Verhältniss steht Gerade in unkana- 
lisirten Städten resp. Stadttheilen sei erfahrungsmässig häufig ein 
schweres Auftreten dieser Krankheiten beobachtet. Sehr anschau¬ 
lich wurde diese Behauptung erläutert durch zwei Tafeln graphischer 
Darstellungen, in denen für Frankfurt a. M. und Warschau die 
jährliche Zunahme der Wasserversorgung und Kanalisation und die 
correspondirende Abnahme der Typhuserkrankungen aufgezeichnet 
war. Referent führte weiter aus, dass jedoch unter allen Umständen 
die Einathmung der Kanalgase als schädlich auf den menschlichen 
Organismus einwirkend angesehen werden müsse und das Eindringen 
der Kanalgase in unsere Wohnungen mit allen uns zu Gebote stehen¬ 
den technischen Mitteln zu verhindern ist. 


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Diese technischen Mittel erläuterte hieran anschliessend der 
Correferent zum Thema, Stadtbaurath Lin dl ey-Frankfurt a. M., 
an der Hand eines umfangreichen Kartenmaterials, welches im 
Saale zur Ausstellung gelangt war, und auf welchem die Haus¬ 
entwässerungseinrichtungen in schematischer Form in höchst an¬ 
schaulicher Weise dargestellt waren. In erster Linie sei darauf 
Bedacht zu nehmen, die Entstehung der Gase nach Möglichkeit zu 
verhindern und dann die trotzdem sich entwickelnden Gase durch 
möglichst starke Verdünnung und Ausschluss dieser verdünnten 
Gase aus den Wohnräumen durch zweckentsprechende Mittel un¬ 
schädlich zu machen. 

Diese Mittel wurden vom Redner in ausführlicher Weise an 
den bereits erwähnten Plänen erläutert und mit ganz besonderem 
Nachdruck das englische Disconnecting-System (Abtrennungssystem), 
welches einen Abschluss der Hausleitung gegen den Strassenkanal 
durch Einschaltung eines Hauptwasserverschlusses fordert, bekämpft 
und als unrationell verworfen; da dasselbe die Lüftung und Spü¬ 
lung erschwert, complicirte Lüftungseinrichtungen erforderlich macht 
und die Anhäufung von Schmutzstoffen in unmittelbarer Nähe der 
Wohnungen mit sich bringt. Nur durch eine directe Verbindung 
der Hausleitung mit dem Strassenkanal kann eine ausreichende 
Durchlüftung zum Vortheil beider Anlagen geschaffen werden. 

Ferner trat derselbe der weitverbreiteten irrigen Ansicht ent¬ 
gegen, dass die in den Strassenkanälen befindliche Luft eine schlechte 
sei. Im Gegentheil sei die in abgeschlossenen Hausleitungen be¬ 
findliche Luft im Allgemeinen eine bedeutend schlechtere, als die 
in gut angelegten Strassenkanälen befindliche Luft, da die an den 
feuchten Wandungen der Hausleitungen und im Hauptwasserver¬ 
schluss festgehaltenen Rückstände in noch höherem Maasse in Fäul- 
niss übergehen, als die in stetem Abfluss befindlichen Abwässer 
der Strassenkanäle. 

Der Hauptwasserverschluss sei daher zu ver¬ 
werfen. 

Beide Redner ernteten für ihre Ausführungen lebhaften Beifall. 
Die Ausführungen derselben gipfelten in den nachstehenden, der 
Verammlung unterbreiteten Thesen: 

1. Die Annahme der Verbreitung epidemischer Krankheiten, namentlich 
von Typhus, Cholera, Diphtherie, durch Kanalgase ist mit unseren heutigen 
Kenntnissen vom Wesen der Krankheitserreger nicht vereinbar. 

2. Dagegen sind die in den Kanal- und Hausleitungen entstehenden 
Fäulnissgase, wenn auch nicht direct, so doch indirect, namentlich bei 
dauernder Einrichtung schädlich, indem sie ekelerregend wirken und das 
allgemeine Wohlbefinden und damit die Widerstandsfähigkeit des Körpers 
gegen Krankheiten herabsetzen. 

2 * 


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3. Die Bildung derartiger Gase und ihre Anhäufung in den Leitungen 
lässt sich durch entsprechende Anlage, regelmässige Spülung und Reinigung, 
sowie durch ausgiebige Lüftung auf ein sehr geringes Maass beschränken. 

4. Es dürfen daher in den öffentlichen, sowie in den Privatleitungen 
guter Kanalisationsanlagen weder Schmutzwasser noch Luft stagniren, noch 
Sinkstoffe sich ansammeln. 

5. Um das Eindringen schädlicher Gase an Kanälen und Leitungen in 
die Luft des Bodens und der Wohnräume zu verhindern, müssen sämmtliche 
Leitungen in, unter und neben den Häusern vollkommen luft- und wasser¬ 
dicht hergestellt und alle Eingussstellen mit wirksamen gegen Aussaugen 
und gegen Austrocknen gesicherten Geruchsverschlüssen versehen werden. 

6. Eine dauernd 'gute Wirksamkeit der Hauskanäle wird nur bei Ein¬ 
fachheit und Uebersichtlichkeit der Anlage gesichert. 

7. Die durchgängige Verbindung der Hauslei^ngen mit dem Strassen- 
kanal ist dementsprechend der Abtrennung durch einen Hauptverschluss in 
der Hausleitung (dem sog. Disconnecting-System) vorzuziehen, weil letzteres 
die Lüftung und Spülung erschwert, complicirte Lüftungseinrichtungen er¬ 
forderlich macht und die Anhäufung von Schmutzstoffen in unmittelbarer 
Nähe der Wohnungen mit sich bringt. 

In der Discussion sprach zunächst Ingenieur Röchling- 
Leicester seine lebhafte Befriedigung darüber aus, dass der Verein 
für öffentliche Gesundheitspflege der Frage der Schädlichkeit der 
Kanalgase fortgesetzt seine Aufmerksamkeit zu wende. In seinen 
weiteren Ausführungen versuchte derselbe die Versammlung, soweit 
ihm dies die bewilligte Zeit gestattete, von den Vorth eilen des Dis- 
connecting-Systems zu überzeugen, fand jedoch nur geringe Zu¬ 
stimmung. 

Es sprachen dann noch Sanitätsrath Dr. Göpel (Frankfurt a. O.), 
Privatdocent Stabsarzt Dr. Heinr. Jäger (Stuttgart), Oberbaurath 
Prof. R. Baumeister (Karlsruhe), Ingenieur Unna (Köln), Stadt¬ 
baurath Brix (Altona), Dr. Ficker (Breslau), Stadtbaurath 
Heuser (Aachen) und Bürgermeister Tettenborn (Bad Hom¬ 
burg). Diese Redner äusserten sich sämmtlich, mit Ausnahme des 
Stadtbauraths Heuser (Aachen) zustimmend zu den Thesen, zum 
Theil dieselben noch im Sinne des Verbindungssystems verschärft 
wünschend. Die Ausführungen des Dr. Ficker (Breslau) waren 
dadurch hochinteressant, dass derselbe gerade den Theil des Be¬ 
weismaterials von Röchling, welcher die Verbreitung der epi¬ 
demischen Krankheiten durch Kanalgase nachweisen sollte, durch 
die Mittheilung der Resultate der von ihm selbst auf Grund der 
Röchling'schen Quellen ausgeführten Versuche vollständig entkräftete. 
Auch die Mittheilungen des Bürgermeister Tettenborn, dass sich 
das Verbindungssystem, welches in Bad Homburg in der von Bau¬ 
rath Lindley vorgetragenen Form zur Ausführung gekommen sei, 
in vorzüglichster Weise zur vollen Zufriedenheit der Einwohner¬ 
schaft und der Behörden bewährt habe, war von grossem Interesse. 


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— 21 — 


Jedenfalls ist es als ein äusserst danken swerther, glücklicher 
Griff zu bezeichnen, dass der Vorstand des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege der Versammlung in Stuttgart noch 
einmal die Gelegenheit gegeben hat, dass ein Meinungsaustausch 
über diese hochwichtige Frage der städtischen Hygiene stattfinden 
konnte, wodurch verhindert wurde, dass die einseitigen englischen 
Anschauungen, welche auf der vorjährigen Versammlung in Magde¬ 
burg durch Herrn Röchling zum Vortrag gebracht wurden, bei 
Männern, welche keine Gelegenheit haben, dieser Frage durch ein¬ 
gehendes Studium näher zu treten, jedoch in der Verwaltung unserer 
Städte bei Aufstellung von hierauf bezüglichen Polizeivorschriften 
von maassgebendem Einfluss sind, feste Wurzel fassen. Da die 
Thesen nicht zur Abstimmung bestimmt waren, wurde ein Beschluss 
nicht gefasst. 

Es folgte der Vortrag von Hofrath Professor Dr. M eiding er- 
Karlsruhe über das Thema: Die Gasheizung im Vergleich 
zu anderen Einzel-Heizsystemen. 

Der Redner gab der Ansicht Ausdruck, dass die Gasheizung 
alle anderen Heizarten überflügele und schliesslich Allgemeingut 
werden würde. Wenn auch die Wärmeentwicklung des Steinkohlen¬ 
gases verglichen mit der der Steinkohlen und des Coaks bedeutend 
geringer sei, so können diese Mehrkosten durch die Raschheit der 
Wirkung und der Regulirbarkeit der Gasheizung wieder aus¬ 
geglichen werden. Besonders eingehend verbreitete sich Redner 
über die Behauptung, dass glühende Heizwände bei Oefen jeder 
Art als hygienisch durchaus unbedenklich anzusehen seien. Der¬ 
selbe legte der Versammlung schliesslich folgende Schluss¬ 
sätze vor: 

1. Das Steinkohlengas ist bei uns für gleiche Wärmeentwicklung fünf¬ 
biß siebenmal so theuer wie Steinkohlen oder Coaks und doppelt so theuer 
wie Holz. Guten eisernen Oefen mit Dauerbrand gegenüber kommt die Gas¬ 
heizung in entsprechendem Yerhältniss theurer. 

2. Ein Gasofen kann nicht mehr Wärme entwickeln als frei brennende 
Flammen; bei nicht abziehenden Verbrenn ungsproducten kann der Ofen somit 
nur die Bedeutung der Decoration oder Garnitur zum Schutz gegen Brand 
haben. Der Ofen kann jedoch die Verth ei lung der Wärme in Bezug auf 
Decke und Fussboden modificiren. 

3. Bei vollständiger Verbrennung des Gases kann das Ausströmen 
seiner Verbrennungsproducte aus dem Ofen in die Wohnräume an sich als 
ebenso unbedenklich angesehen werden, wie das offene Brennen der Leucht¬ 
flammen. Für deren Abführung in das Kamin sollte gleichwohl Vorsorge 
getroffen sein, namentlich für die Fälle, wo längere Zeit hindurch geheizt 
wird und grössere Mengen Gas gebrannt werden. 

4. Die schätzenswerthen Eigenschaften '-der Gasheizung bestellen i\äcks£ ';' \ , 

ihrer Reinlichkeit insbesondere in der fiabchhbfr ihrer Wirkung.und injlntej ; ; 

vorzüglichen Regulirbarkeit; ihre Mehrkosten ge^evüber der Heizung mit 


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den festen Brennstoffen können sich dadurch bedeutend mindern, in gewissen 
Fällen fast verschwinden, namentlich im Vergleich mit Holzheizung. 

5. Einem Gasofen kann nur, ganz aus Eisen hergestellt, innere Berech¬ 
tigung zugestanden werden. 

6. Glühende Heiz wände sind bei Oefen jeder Art als hygienisch durch¬ 
aus unbedenklich anzusehen. 

7. Es ist bei Oefen irgend welcher Art unstatthaft, Vorzüge einer be¬ 
sonderen Art der Wärmeabgabe allgemein geltend zu machen: grosse wie 
geringe Strahlung, grosse wie geringe Luftheizung können je nach Umständen 
angenehm bezw. vortheilhaft, wie das Gegentheil sein. Von einer günstigen 
Circulation der Luft in Wohnräumen bei der Heizung kann man nicht 
sprechen. 

In der sich hieran schliessenden Discussion wurden einzelne 
Ausführungen des Redners scharf angegriffen, besonders der Schluss¬ 
satz 6, welcher glühende Heizwände als hygienisch unbedenklich 
bezeichnet Durch den Gemeindebevollmächtigten Director Krell 
(Nürnberg) und Ingenieur Mährlin (Stuttgart), deren Gegen¬ 
äusserung Referent im Laufe der Discussion nicht in der Weise 
entkräften konnte, dass der Schlusserfolg auf seiner Seite zu be¬ 
trachten sein dürfte. 

Da die Schlusssätze nicht zur Abstimmung bestimmt waren, 
wurde ein Beschluss nicht gefasst. 

Den letzten Vortrag auf der diesjährigen Versammlung hielt 
Geheimer Rath Prof. Dr. Flügge-Breslau über die Hygienische 
Beurtheilung von Trink- und Nutzwasser. 

Der Redner hatte folgende Schlusssätze aufgestellt: 

1. Die bis jetzt übliche hygienische Begutachtung der Wässer lediglich 
auf Grund der chemischen, bakteriologischen und mikroskopischen Unter¬ 
suchung eingesandter Proben ist fast in allen Fällen verwerflich. 

2. Die einmalige Prüfung eines Wassers auf seine hygienische Zu¬ 
lässigkeit als Trink- oder Brauchwasser muss vor Allem durch Besichtigung 
und sachverständige Untersuchung der Entnahmestelle und der Betriebsanlage 
erfolgen. In manchen Fällen liefert diese Prüfung allein bereits eine Ent¬ 
scheidung. Meistens ist eine Ergänzung durch grobsinnige Prüfung des 
Wassers, sowie durch die Eisen- und Härtebestimmung wünschenswerth; 
selten ist eine weitergehende chemische, bakteriologische oder mikroskopische 
Untersuchung zur Sicherung der Resultate erforderlich. — Bei Neuanlagen 
von centralen Grundwasserversorgungen muss man sich mit besonderer Sorg¬ 
falt von der Keimfreiheit des betreffenden Grundwassers vergewissern. 

3. Zur fortlaufenden Controle von Wasserversorgungen, deren An¬ 
lage und Betrieb bekannt ist, eignet sich die bakteriologische, zuweilen auch 
die chemische Analyse einwandfrei entnommener Proben. Die hygienische 
Bedeutung auffälliger Resultate der Analyse ist meist nur aus einer wieder¬ 
holten Besichtigung und Untersuchung der Versorgungsanlage zu entnehmen. 

Diese in den Schlusssätzen niedergelegten Ansichten begründete 
F c lttg&e f .in r 3ehr« interessanter Weise; dieselben weichen von den 
bis jotzt. rjr" D^ütechlaiid ; in- d$r? JPraxis vertretenen Anschauungen 
über dep Wpctb der.jcjipmischen und auch bakteriologischen Unter- 


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8uchung des Wassers sehr wesentlich ab. Diese Frage ist für die 
Handhabung der Gesundheitspolizei mit Hinsicht auf die Entschei¬ 
dung über gesundheitgefehrdendes Wasser so wichtig, dass auf 
den demnächst erscheinenden ausführlichen Bericht über die Ver¬ 
sammlung in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege 
verwiesen werden muss. 

Ausser an dem sehr gelungenen Empfangsabend im Stadtgarten 
vereinigten sich die Mitglieder mit ihren Damen am ersten Ver¬ 
sammlungstage zu einem Festessen im Fürstenbau; am zweiten 
Abende nach einer langen Rundfahrt zum Zwecke der Besichtigung 
hygienischer Anlagen (Wasserleitung, Baucolonie Ostheim, Armen¬ 
bauten) im Jägerhofe auf dem Hasenberge. Am dritten Tage folgte 
die Versammlung einer Einladung Sr. Majestät des Königs auf dem 
Sommerschlosse Wilhelma, und brachte sodann den Abend im Kur¬ 
hause in Cannstadt zu. Am 14. September fand ein Ausflug nach 
Tübingen und Bebenhausen statt; an letzterem Orte wurde das Jagd¬ 
schloss des Königs von Württemberg besichtigt, in Tübingen dieu 
neuen klinischen Anstalten. 

Die Versammlung in Stuttgart hat nach jeder Hinsicht hin in 
hohem Maasse befriedigt; der wissenschaftliche Theil zeichnet sich 
durch vorzügliche Referate und sachgemässe Discussion aus; zur 
Erholung der Gäste hatte die Stadt Stuttgart, sowohl die städtische 
Verwaltung als auch die Bürgerschaft, in der liebenswürdigsten 
Weise gewetteifert. 

Ueber die mit der Versammlung verbundenen hygienischen 
Ausstellung folgt ein besonderer Bericht. 

Lent. Stübben. Unna. 


Das Königliche Lymphe-Erzeugungs-Institut 
für die Eheinprovinz im neuen städtischen 
Vieh- und Schlachthofe der Stadt Köln. 

Von 

Sanitätsrath Dr. Vanselow, Director der Anstalt. 

(Mit 2 Abbildungen.) 


Die staatliche Anstalt zur Bereitung thierischen Impfstoffes für 
den Bedarf der Rheinprovinz und der hohenzollerischen Lande 
wurde zu Köln im Jahre 1889 errichtet Die Räume auf dem alten 
Schlachthofe, welche bis zum Jahre 1895 benutzt werden mussten, 


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waren äusserst mangelhaft, eng, feucht und dunkel und Hessen eine 
praktische, einheitliche Anordnung vermissen. Beim Bau des neuen 
Vieh- und Schlachthofes wurde von vornherein eine zweckmässige 
Anlage für die Lymphe-Erzeugung in's Auge gefasst und so ent¬ 
stand das jetzige Institut, welches allen Anforderungen der Hygiene 
entspricht und mit Recht als Prototyp einer derartigen Anstalt be¬ 
trachtet wird. 

Die Anlage befindet sich an dem einen Ende eines grossen 
Rinderstalles, so dass beide eine gemeinsame Wand haben und die 
Anstalt eine Kopfstation dieses Stalles bildet. Die Hauptfront sieht 
nach Norden, so dass sämmtliche Räume, da nur an der Frontseite 
Fenster sich befinden, gleichmässig vertheiltes Licht von Norden 
erhalten. Das Gebäude ist völlig massiv erbaut, mit Pappe ge¬ 
deckt, aber nur zum geringsten Theil an der östlichen Seite unter¬ 
kellert. Da jedoch das ganze Terrain angeschüttet ist und nur 
absolut trockenes und durchlässiges Material zur Anschüttung ver¬ 
wendet wurde, ist ein Feuchtwerden der Räume nicht zu befürchten. 

Ip dem Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich der Corridor, 
das Impfzimmer, der Kälberstall, der Schlachtraum, das Aerzte- 
zimmer, das Schreibzimmer und das Closet. 

Im ersten Stockwerk, zu welchem vom Impfzimmer aus eine 
bequeme Wendeltreppe führt, liegt das Laboratorium, an welches 
sich zu beiden Seiten je eine grosse Bodenkammer anschliesst. Der 
Eingang zum Gebäude liegt an der Strasse und gestattet den Ein¬ 
tritt, ohne dass man den Viehhof zu betreten braucht, da die dem 
Eingang zugehörige Wand continuirlich in die Umschliessungsmauer 
des Viehhofes übergeht. Die Kälber werden durch die Thüre des 
Sch lach traumes, welche an der entgegengesetzten Seite liegt, der 
Anstalt zugeführt. 

Während die Fussböden des Schlachtraumes, des Kälberstalles, 
des Impfraumes und des Laboratoriums cementirt sind, ist das 
Aerztezimmer und die Schreibstube parquetirt, der Corridor und das 
Closet mit Mettlacher Fliessen ausgelegt, endlich die Dachkammern 
mit hölzernen Dielen versehen. Im Schlachtraum, Kälberstall und 
im Impfraum ist der Fussböden nach einer bestimmten Richtung 
hin leicht geneigt; am tiefsten Punkte befindet sich eine Abfluss¬ 
öffnung, welche durch einen Geruchsverschluss abgeschlossen wird. 
Die Höhe der Erdgeschossräume ist 3V2 in, nur der Impfraum 
hat eine solche von 4 V 2 m, die Höhe des Laboratoriums 3 V 2 m. 
Sämmtliche Räume des Erdgeschosses sind mit flachen massiven 
Tonnengewölben überwölbt Laboratorium und Boden haben Balken¬ 
lage und Holzdeckung. Der Impfsaal, der Kälberstall und das 
Closet sind in einer Höhe von IV2 m vom Fussböden an allen vier 
Seiten mit einer Bekleidung von weissen Milchglasplatten umgeben, 


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'V\'C 


A4, 


der Schlachtraum an drei 
Seiten (der Thürraum ist 
ausgeschlossen) in eben 
Bolcher Höhe von weissen 
Thonplatten. Der Rest der 
Wände in diesen Räumen 
ist mit weisser (Emaille-) 
Porzellanfarbe gestrichen. 
Das Aerzte- und das 
Schreibzimmer haben mit 
Tapeten bekleidete Wän¬ 
de. Im Laboratorium und 
Corridor sind die Wände 
mit Oelfarbe gestrichen. 
Das Impfzimmer ist mit 
einem 4 m breiten und 
3 m hohen Fenster tag¬ 
hell erleuchtet. Das ein¬ 
fallende Licht wird von 
den glänzend weissen 
Wänden stark reflectirt. 
Das Laboratorium hat 3, 
der Kälberstall 2, Arzt- 
und Schreibstube je 1 
grosses Fenster, Closet 
und Schlachtraum haben 
kleinere Fenster. Sämmt- 
liche Räume sind aber 
ausreichend hell. 

Der Kälberstall ent¬ 
hält 11 Stände, welche 
zur Aufnahme der Kälber 
bestimmt sind, 6 resp. 5 
zu den Seiten des Mittel¬ 
ganges. Die Stände stehen 
frei im Raume, so dass 
nirgends die Wand zur 
Begrenzung dient und 
man frei um alle Stände 
herumgehen kann; sie 
sind je 70 cm breit und 
150 cm lang. Die Um¬ 
grenzung und gegen- 


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seitige Abgrenzung wird durch Eisengitter gebildet; an den beiden 
Schmalseiten eines jeden Standes befindet sich je eine Thüre, so 
dass die Kälber nach beliebiger Seite hinein- und hinausgeführt 
werden können. Die Gitter sind mit hellgrauer Oelfarbe gestrichen, 
so dass jeder Schmutzfleck sofort erkannt und entfernt werden 
kann. Auf dem Boden der Stände liegen Holzroste. An der Stelle 
welche dem 12. Kälberstande entsprechen würde, befindet sich eine 
versenkte Brückenwaage mit dem oben geschilderten Gitter um¬ 
geben; diese Waage gestattet die Wägung des Kalbes, während 
dasselbe hindurchgeführt wird. Der ausgehöhlte Raum, in welchem 
sie steht, hat ebenfalls einen Geruchsverschluss. Die Ventilation 
des Stalles wird durch einen grossen, durch den entsprechenden 
Bodenraum geführten Sauger vermittelt. Der Impfsaal hat Klappen¬ 
ventilation im Fenster, wie auf dem Plan ersichtlich ist. Zwischen 
Kälberstall und Impfraum befindet sich ein doppeltes Thüren- 
system, von welchem das eine stark gepolstert ist Thtiren, 
Polsterung und die Zwischenluftschicht isoliren den Impfraum gegen 
Geruch und Geräusch. Das Closet ist ein sog. „Unitas tt -Closet. Die 
Wasserversorgung geschieht durch die städtische Leitung und ist in 
jedem Raume eine Wasserentnahmestelle vorgesehen. Die Beleuch¬ 
tung ist elektrisch, nur im Laboratorium ist Auer’sches Glühlicht 
vorgezogen worden. 

Die Heizung wird durch amerikanische Oefen bewirkt; für das 
Aerztezimmer ist aus Zweckmässigkeitsgründen ein Gasofen be¬ 
stimmt. Für die Erwärmung des Wassers und der Milch dienen 
grosse Gaskocher. Für die Aufbewahrung grösserer Lymphe¬ 
mengen ist der Anstalt ein genügend grosser Raum in dem zum 
städtischen Schlachthofe gehörenden Kühlhause reservirt. 

Das Mobiliar der Anstalt ist den schönen Räumen entsprechend 
in würdiger Ausstattung beschafft worden und besteht durchweg aus 
eichenem Material. Das Laboratorium ist vollständig zu eingehenden 
bakteriologischen Untersuchungen eingerichtet, besitzt sämmtliche 
Sterilisationsapparate, Thermostaten, ausgezeichnete Mikrotome, 
Mikroskop, Centrifuge u. s. w. 

Den Umfang der Leistungen kann man aus der Menge des 
versandten Impfstoffs entnehmen; es wurden im Jahre 1894 circa 
356 000 Portionen Lymphe versandt, in diesem Jahre wird die Zahl 
400000 fast erreicht werden. 


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Kleinere Mittheilnngen. 


Herr Prof. Dr. Stamm er meint in der Chemiker-Zeitung 1895, 
19, 1899, in den verschiedenen 

Lebensbeschreibungen Pasteur's 

schienen ihm dessen grundlegende Entdeckungen, die zur Bakterio¬ 
logie und namentlich zur Erkenntniss des Wesens der Fäulniss führten, 
nicht hinreichend hervorgehoben zu sein. Wahrscheinlich sei es das 
Jahr 1858 gewesen, in welchem Pasteur entdeckt habe, dass Fleisch, 
Fleischbrühe etc. nicht faulten, wenn die Luft, die man dazu gelangen 
lässt, vorher durch Baumwolle filtrirt wird. Und dadurch sei (von 
Pasteur) bewiesen worden, dass die Fäulniss durch feste, in der 
Luft schwebende Körperchen erregt werde. 

Die Entdeckung, dass Fäulniss von diesen lebenden Körperchen 
erregt wird, stammt keineswegs aus dem Jahre 1858, sondern aus 
1837; sie gehört auch nicht Pasteur an, sondern dem deutschen 
Physiologen Th. Schwann (geb. zu Neuss 1810, gest. zu Cöln als 
Professor in Lüttich 1882). Hier der Beleg dafür; er steht unter der 
Ueberschrift: „Vorläufige Mittheilung über die Weingährung und Fäul¬ 
niss“ in den „Annalen der Physik nnd Chemie 1837, 41, 184“. Da 
heisst es aus Schwan n’s Feder wörtlich, und zwar auf Grund von 
exacten Versuchen: 

„Ich bemerke hier nur, dass die Versuche, wenn man sie vom 
Standpunkte der Gegner der Gen. aequivoca betrachtet, sich so er¬ 
klären lassen, dass die Keime des Schimmels und der Infusorien, die 
nach dieser Ansicht in der atmosphärischen Luft enthalten sind, beim 
Ausglühen zerstört werden. Alsdann muss die Fäulniss so 
erklärt werden, dass diese Keime, indem sie sich ent¬ 
wickeln und auf Kosten der organischen Substanz er¬ 
nähren, eine solche Zersetzung in dieser hervorrufen, wodurch die 
Phänomene der Fäulniss entstehen. Es kann natürlich hier nur die 
Rede sein von der gewöhnlichen, bald nach dem Tode eintretenden 

Fäulniss.nicht Von all den mannigfaltigen Processen, die man 

unter dem Namen Fäulniss zusammengefasst hat, z. B. Moderbildung, 
Braun- und Steinkohlenbildung etc.“ 

Die Abbildung des Apparates, worin die geglühte Luft zur Ver¬ 
wendung kam, um so alle niedersten Organismen auszuschliessen, ist 
beigegeben. 

Im Jahre 1836 hatte Th. Schwann entdeckt und auf der Natur¬ 
forscherversammlung in Jena (September desselben Jahres) demonstrirt, 
dass der von ihm beschriebene Hefepilz die Ursache der Alkohol- 


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gährung sei. Zwei Monate nachher erschien aus Frankreich die Mit- 
theilung, dass ungeföhr gleichzeitig mit Schwann dasselbe Cagniard- 
Latour gefunden habe. Ebenfalls 1886 beschrieb Fr. Schulze (gest. 
als Professor der Chemie in Rostock) und illustrirte es durch Abhilden 
seines Apparates, dass leicht fäulnissfähige Flüssigkeiten absolut ge¬ 
schützt blieben durch Erhitzen und dann folgendes Einsaugen von Luft, 
die durch Schwefelsäure und Kalilauge hindurch gegangen war 1 ). Er 
schloss daraus, das geschehe so, dass „alle in der Luft befindlichen 
lebendigen oder lebensfähigen Theilchen von der Schwefelsäure auf¬ 
genommen und sofort zerstört werden“. 

Diese grundlegenden Versuche der beiden Forscher wurden bald 
von einer Reihe anderer, mit wesentlich demselben Erfolg, in Deutsch¬ 
land wiederholt und weiter entwickelt Ich nenne nur H. Schröder 
und Th. v. Dusch in Heidelberg. Ihre erste Abhandlung vom Jahre 
1854 sagt uns schon in ihrem Titel, was wir von den landläufigen 
Behauptungen hinsichtlich der französischen Priorität dieser schönen 
und hochwichtigen Entdeckung zu halten haben. Er heisst: „Ueber 
Filtration der Luft in Beziehung auf Fäulniss und Gährung.“ Die 
Abhandlung steht in den „Ann. Chem. Pharm. 1854. 89. 232“. Und 
wenn wir nach dem Filtrationsmittel sehen, so finden wir, dass 
Schröder und v. Dusch, nicht Pasteur, es waren, die zuerst 
von der Baumvolle Gebrauch machten. Hier einige Belege: 

„Wir wählten als Fitrationsmittel zunächst Baumwolle, weil 
von ihr bekannt ist, dass sie ansteckende Krankheitsmiasmen auf ihrer 
Oberfläche zurtickzuhalten und weithin zu verschleppen im Stande ist.“ 

„Mit Wasser frisch abgekochtes Fleisch fault nicht und frisch 
abgekochte Fleischbrühe bleibt während mehrerer Wochen völlig un¬ 
verändert, wenn nur solche Luft Zutritt hat, welche vorher durch 
Baumwolle filtrirt worden ist.“ 

„Frisch gekochte süsse Malzwürze, mit etwas Hopfen versetzt, 
welche nur sehr schwach sauer reagirte, erhielt sich im Filtrirapparat 
28 Tage lang ganz unverändert. Die Flüssigkeit war wie von Anfang 
vollkommen klar . . . von süssem Geschmack und von schwach saurer 
Reaction wie vor dem Versuche. . . . Durch diesen Versuch glauben 
wir festgestellt zu haben, dass eine süsse gährungsfähige Malzwttrze 
durch Wochen völlig unverändert bleibt, wenn nur solche Luft Zutritt 
hat, welche vorher durch Baumwolle filtrirt worden ist.“ 

Diese paar Proben, die ich leicht vermehren könnte, dürften ge¬ 
nügen, um uns auch betreffs Anwendung der Baumwolle als Filtrir- 
mittel ftlr die Luft ins Klare zu setzen und festzustellen, wer das 
„entdeckt“ hat. Wer die ganze Sachlage zusammengefasst lesen will, 
dem empfehle ich die aus meinem Institut hervorgegangene Doctor- 

i) Ann. Phys. Chem. 1836. 39, 487. 


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30 


dUsertation, die nach den Quellen bearbeitet ist und diese citirt: 
„C. Ingenkamp, Die geschichtliche Entwicklung unserer Kenntniss 
von Fäulniss und Gährung. Bonn 1885“ 1 ). Sie enthält auch eine 
Tafel Abbildungen der Apparate von 1886. Jeder Leser wird ihrem 
Schlusssätze zustimmen: „Die grundlegenden Entdecker davon, dass 
Fäulniss und Gährung von lebenden, niedersten Organismen erzeugt 
werden, sind Fr. Schulze, Th. Schwann und Cagniard-Latour, 
1886—1837; der erfolgreichste Vertheidiger und Förderer des Ent¬ 
deckten ist L. Pasteur von 1857 an.“ 

Mit der Bitte um gefälligen Abdruck in der „Chemiker-Zeitung“ 
Bonn, 30. October 1895. 

Pharmakolog. Institut der Universität. 

Ihr sehr ergebener 

Prof. Dr. C. Binz. 

(Chemiker-Zeitung 1895, Nr. 89.) 


Neue Schulbank von W. Rettig , städtischem Oberbaurath 
zu München a. D. 

Den vielen Banksystemen, welche in den Schulen zur Verwendung 
gelangen, und bei welchen bekanntermaassen Vorzüge und Nachtheile 
mehr oder weniger zu Tage treten, schliesst sich ein ganz neues an, 
welches den Oberbaurath a. D. Rettig zu München zum Erfinder 
hat, und was in mancher Beziehung wohl Beachtung verdienen dürfte, 
da es bezüglich der praktischen Handhabung sowie in sanitärer Hin¬ 
sicht einen Fortschritt zeigt. 

Das neue System kennt nur eine Anordnung von je zwei Sitzen 
bei einer Gangbreite von 40 cm. Sie ist getroffen, einestheils um dem 
Lehrer zu ermöglichen, an jeden seiner Schüler herantreten zu können, 
andemtheils um Ein- und Austritt der letzteren auf die einfachste 
Weise sich vollziehen zu lassen; schliesslich noch aus constructiven 
Gründen, da die Bänke auf eine besondere Art am Fussboden befestigt 
sind, so zwar, dass sie bei einem Gewichte von nur 35 kg pro Bank 
leicht umzulegen sind, und dadurch die Möglichkeit geboten wird, den 
Saalboden auf dieselbe gründliche Weise zu reinigen, wie dies bei den 
Räumen einer Privat wohnung üblich. Auch werden die aufsichtführen- 
den Lehrer dadurch jederzeit in der Lage sein, eine Controle über 
die Arbeit der mit der Reinigung betrauten Personen auszuüben. Die 
Befestigung der Bänke wird mittelst durchlaufender Schienen und 
zweier Gelenkstücke bewerkstelligt, in denen sie sich nach der den 
Fenstern abgewendeten Seite drehen, wobei eine sinnreiche Klemm¬ 
vorrichtung den Unfug hindert, welcher von den Schülern mit diesen 


*) Ztschr. klin. Med. 1885. 10, 50—107. 


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Einrichtungen verübt werden könnte, und nur das Umlegen einer 
ganzen Reihe von hintereinanderstehenden Bänken zulässt. 

Eine weitere Neuerung besteht darin, dass die Ftisse der Schüler 
beim Sitzen den Boden des Schulzimmers nicht mehr berühren, sondern * 
auf einem 19,5 cm über demselben befindlichen durchbrochenen Holz¬ 
roste ausruhen; der Ansammlung des von den Schulhöfen eingebrachten 
Schmutzes und der Bildung von Feuchtigkeit am Boden des Schul¬ 
zimmers bei nassem Wetter wird dadurch entgegengetreten, das Aus- 
trocknen des Schuhwerkes durch allseitige Luftcirculation befördert. 
Die gewählte Construction bedingt damit eine auffallende Höhe des 
Sitzes für die Kinder, allein es wird gleichzeitig erreicht, dass die¬ 
selben ohne Biegung des Standbeines und ohne Krümmung des Körpers 
ihren Platz einnehmen und verlassen können, nicht nur bei Beginn 
und Schluss des Unterrichts, sondern auch während desselben, beim 
Aufruf durch den Lehrer. Wollte der Schüler sich in der Bank auf 
dem Roste erheben, so würde er durch die Pultkante behindert sein, 
und den hinter ihm Sitzenden die Aussicht nach der Tafel hin be¬ 
nehmen. So tritt er frei seitlich in den Gang ein, und belässt dem 
Lehrer die vollständige Uebersicht der Klasse; soll letztere insgesammt 
auf kurze Zeit aufstehen, so treten beim Erheben von den Sitzen die 
Schüler mit einem Fusse in den Gang, während der andere auf dem 
Roste verbleibt. Einen weiteren Vortheil gewährt die erhöhte An¬ 
ordnung der Sitze insofern, als der Lehrer der Unbequemlichkeit des 
Niederbeugens zu den kleineren Kindern in etwa enthoben ist. 

Die Construction der Bänke selbst bei + 0 Distanz ist eine ein¬ 
fache, solide, ohne allen Mechanismus. Enger Lehnenabstand und 
schmaler Sitz zwingen den Schüler zu gerader Haltung, ohne dass 
eine Ermüdung eintreten kann; Ausbauschung der Lehne und Aus¬ 
höhlung des Sitzbrettes, der Rücken- und Gefässbildung entsprechend, 
tragen hierzu wesentlich bei. 

Zur weiteren Erläuterung mögen die Maassangaben der neun ver¬ 
schiedenen Bankgrössen dienen: Sitzhöhe (über Rost) 28,7—52,5 cm, 
Pulthöhe (desgl.) 52,8—90,0 cm, Sitzbreite 18,4—80,8 cm, Pultplatten¬ 
breite 31,0—40,0 cm, Gesammttiefe der Bänke 61—82,3 cm bei einer 
durchgehenden Breite von 116 cm. Der Preis stellt sich auf durch¬ 
schnittlich 11 Mark für den Sitzplatz (frei Berlin W., Behrenstrasse 54, 
bei Bezug durch Architekt S. Johs. Müller). 

Was der Einführung der Rettig 7 sehen Bänke wohl hinderlich sein 
könnte, ist der Umstand, dass die Anordnung der Zwischengänge ein 
grösseres Breitenmaass der Klassenzimmer erheischt (7,20 m) als das 
gewöhnlich zur Anwendung gebrachte, damit im Zusammenhang stehend 
schwerere Constructionen zur Bildung von Fussboden und Decke, sowie 
vermehrte Fensterfläche. In neu zu erbauenden Gebäuden ist das 
Alles zu erreichen, bei bestehenden von geringeren Abmessungen wird 


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32 


es nicht möglich sein, nach dem neuen System so viel Sitzplätze zu 
schaffen, dass sie die bereits vorhandene Zahl der Kinder aufnehmeii 
können, zumal wenn es sich um Ersatz von vier- oder fünfsitzigen 
Bänken handeln sollte. 

Ob das neue System den Anforderungen der Schule — nament¬ 
lich auch der Mädchenschule — in weitgehendstem Maasse entspricht,* 
ob die Erwartungen des Erfinders sich verwirklichen werden, vermag 
allein die Praxis zu bestätigen. Jedenfalls lässt sich nicht verkennen, 
dass seine Arbeit auf langjährige Studien, allerwärts gesammelte An¬ 
gaben und Erfahrungen sich gründet, die Mängel der bisherigen Bank¬ 
systeme zu vermeiden, anerkannte Vorzüge zu verwerthen erstrebt, und 
somit als ein sehr schätzbarer Beitrag zur Lösung der „Schulbank¬ 
frage“ sich darstellt. Stadtbaurath Hei mann. 

The report of the royal oommission of tuberculosis. (The Lancet 3739.) 

Für das Studium der Tuberkulose wurde im Jahre 1890 eine 
königliche Commission eingesetzt, die nach dem Tode des Präsidenten 
derselben, Lord Basing, im Jahre 1894 neu gebildet wurde und aus 
den Mitgliedern G. Buchanan, Professor Browne, Dr. Payne und 
Professor Burdon Sanderson bestand. Der Bericht dieser Commission 
wurde im April 1895 dem Parlament übergeben und behandelt folgende 
Punkte: 

1. Einfluss tuberkulöser Nahrung auf Thiere und auf den Menschen. 
Durch zahlreiche Experimente ist festgestellt, dass Thiere durch tuberku¬ 
löse Nahrung inficirt werden können, und es ist wegen der Gleich¬ 
artigkeit des pathologischen Prozesses zweifellos, dass auch Menschen 
auf diesem Wege sich Tuberkulose zuziehen können. Die Eingeweide- 
Tuberkulose der Kinder ist wahrscheinlich in sehr vielen Fällen auf 
den Genuss von Milch tuberkulöser Kühe zurtickzuführen. 

2. Vorkommen der Tuberkulose bei Thieren, die zur Nahrung 
dienen, und Mittel, dieselbe zu erkennen. Hier sind in erster Linie 
die statistischen Aufstellungen der Schlachthäuser von Kopenhagen und 
Berlin zu beachten. Nach diesen Aufstellungen fand sich Tuberkulose 
in Kopenhagen (1890—93) und in Berlin (1892—93) bei Ochsen und 
Kühen in 17,7 und 15,1 °/o, bei Schweinen in 15,3 und 1,5 °/o, bei 
Kälbern in 0,2 und 0,23 °/o, bei Schafen in 0,0003 und 0,003 °/o. 

Unter den diagnostischen Mitteln ist in erster Linie das Koch’sehe 
Tuberkulin zu nennen, das, richtig angewandt, nur sehr selten im 
Stiche lässt. 

3. Unter welchen Umständen können durch das Fleisch und die 
Milch tuberkulöser Thiere Gefahren für den Menschen entstehen? 

Im Fleisch findet sich nur selten tuberkulöse Materie, sondern zu¬ 
meist in den Eingeweiden, Drüsen und Membranen. Das Fleisch kann 
aber durch schmutzige Hände, Messer u. s. w. inficirt und dadurch 


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83 


gefährlich werden. Es ist daher vorsichtiges Entfernen der tuberkulösen 
Theile nothwendig und bei fortgeschrittener, allgemeiner Tuberkulose 
muss das ganze Thier vernichtet werden. 

Die Milch ist nur dann gefährlich, wenn sie von Thieren mit 
tuberkulösen Eutern herstammt, ebenso Butter die von solcher Milch 
hergestellt wird. 

Während durch Kochen die Tuberkel-Bacillen in der Milch sicher 
vernichtet werden, ist dies beim Fleisch nicht so sicher, hier dringt die 
Hitze oft nicht tief genug in das Innere des Stückes ein, um alle 
.Bacillen zu zerstören. Pröbsting. 


Literaturbericht. 


Aug. Gärtner, Leitfaden der Hygiene. Berlin, S. Karger, 1896. 

Gärtner’s Leitfaden für Hygiene liegt jetzt in der zweiten Auf¬ 
lage vor. Bei gleicher Anordnung des Stoffes hat eine ausgiebige 
Durcharbeitung stattgefunden. Eine gründliche Umarbeitung haben 
besonders die Abschnitte über Wärmeregulation, Wasserversorgung, 
Wohnungen und Städteanlagen, Gewerbehygiene und über Infections- 
krankheiten erfahren. Dem letzten Kapitel ist als Anhang ein neuer 
Abschnitt „über Hospitäler“ beigefügt, in welchem die verschiedenen 
Bausy8teme von Krankenanstalten, sowie die wesentlichen Anforderungen 
an Betrieb und Verwaltung derselben erörtert werden. 

Die Ausstattung des Buches ist vorzüglich. Die Zahl der Abbil¬ 
dungen ist um 40 gegen die erste Auflage vermehrt worden. 

Bleib treu (Köln). 

8. P. Murphy, The study of epidemiology. (The Lancet 8720.) 

Nach einigen einleitenden Bemerkungen bespricht M. zunächst 
den Einfluss des Wetters auf einige zymotische Krankheiten. So hat 
Körösi für Diphtherie, Scharlach und Masern gefunden, dass die 
meisten Diphtheriefälle bei mittlerer Temperatur Vorkommen, grosse 
Kälte und grosse Hitze scheinen die Ausbreitung der Krankheit zu 
verhindern. Auch beim Scharlach war eine mittlere Temperatur für 
die Ausbreitung am günstigsten, während Kälte hindernd wirkte. Ueber 
den Einfluss der Luftfeuchtigkeit konnte bei beiden Krankheiten kein 
sicheres Urtheil gewonnen werden. In Betreff der Masern ergab die 
Untersuchung kein bestimmtes Resultat über den Einfluss von Temperatur 
und Feuchtigkeit. 

Oentralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 8 


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34 


M. erwähnt dann weiterhin die Untersuchungen von Ransome und 
Del öp ine, welche fanden, dass 1. feinzertheilte, tuberkulöse Materie wie 
Reinkulturen des Tuberkelbacillus in Tageslicht und in freien Licht- 
Strömen rasch die Virulenz verlieren, dass 2. auch im Dunkeln die 
frische Luft noch einige desinficirende Kraft hat, wenngleich auch die 
Wirkung verlangsamt ist, und dass 3. hei Luftmangel oder in einge¬ 
schlossener Luft der Bacillus für lange Zeit seine Wirksamkeit behält. 

Zum Schluss bespricht dann M. die wichtige Frage, welche Rolle 
die Schule bei der Uebertragung und Ausbreitung von ansteckenden 
Krankheiten spiele. Hier ist zu erwähnen, dass die Zunahme der 
Diphtherie-Sterblichkeit ganz besonders das Alter von 3—10 Jahren 
betrifft. Whitelegge fand für Nothingham, dass am Mittwoch Er¬ 
krankungen an Scharlach seltener Vorkommen wie an den anderen 
Tagen und glaubt, dass dies durch die verringerte Infectionsmöglichkeit 
am Sonntag zu erklären sei. Scharlach und Diphtherie zeigen für 
London eine erhebliche Abnahme in den Sommerferien. In Betreff der 
Masern fand Körösi, dass in 9 Jahren mit Beginn der Schule ent¬ 
weder eine Epidemie oder doch eine erhebliche Vermehrung der Fälle 
eintrat. Pröbsting. 

Solbrig, Die hygienischen Anforderungen an ländliche Schulen. Nebst 
einem Anhang über die hygienischen Verhältnisse der ländlichen Schulen 
aus vier Kreisen des Regierungsbezirks Liegnitz. Frankfurt a. M. 1895. 
Verlag von Joh. Alt. 

Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, die hygienischen An¬ 
forderungen speciell an ländliche Schulen einer eingehenderen Be¬ 
sprechung zu unterziehen. Dieselben decken sich ja selbstverständlich 
in vielen Punkten mit solcheu für andere Schulen, dagegen hat 
manches, was in den Lehrbüchern gemeinsam unter dem Capitel 
„Schulhygiene“ behandelt wird, nur Giltigkeit entweder für ländliche 
oder für städtische Schulen und ist in Folge dessen eine getrennte 
Besprechung der ländlichen Schulhygiene wohl gerechtfertigt. 

Das Material zu seinen Aufzeichnungen hat Verfasser aus vier 
Kreisen des Regierungsbezirks Liegnitz: Liegnitz, Hirschberg, Hoyers¬ 
werda und Grünberg, entnommen. Es ergab sich, wie wohl zu erwarten 
war, dass manche Mängel in der ländlichen Schulhygiene vorhanden 
sind, deren Abstellung ja wohl nicht auf einmal, hauptsächlich wegen 
pecuniärer Gründe, möglich ist; jedoch glaubt Verfasser, dass bei einem 
consequenten schrittweisen Vorgehen sich manches in der Hygiene 
der Dorfschulen erreichen lässt, und wünscht, dass seine Arbeit das 
Interesse in bezeichneter Richtung fördern möchte. 

Bleibtreu (Köln). 


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35 


Dr. H. Schuschny, Ueber die Nervosität der Schuljugend. Jena, G. Fischer, 
1895. 31 S. 

In diesen Blättern ist von jeher eine aufmerksame Beachtung den 
Bestrebungen zu Theil geworden, die auf eine Verbesserung des Unter¬ 
richtes und eine Vermeidung der Schäden gerichtet waren, denen unsere 
Schuljugend nun einmal ausgesetzt ist. Zunächst waren es die Aerzte, 
welche auf die Nachtheile einer gar zu intensiven Betreibung des 
Unterrichtes für das Nervensystem der Kinder aufmerksam machten, 
und sie haben sich dadurch den Zorn der Herren Pädagogen nicht 
wenig auf den Hals gezogen, bis endlich auch aus den Reihen der 
letzteren immer mehr Stimmen laut wurden, die einzelne Fehler und 
Mängel zugaben und das Gewicht ihres Einflusses für eine zweck¬ 
entsprechendere Einrichtung des Unterrichtes einsetzten. 

Diesmal ist es wieder ein Arzt, der Schularzt und Professor der 
Hygiene an der Königl. Ungarischen Staats-Oberrealschule zu Budapest, 
der den alten Kampf auf's Neue aufnimmt, und neues Material zur 
Stütze der alten Forderungen herbeiträgt. 

Gilt es doch bisher noch immer, feste Grundlagen zu beschaffen, 
um den Behauptungen, dass man übertreibe und die Schäden mehr 
in den Köpfen und dem Nervensysteme der Ankläger als der Schüler 
gelegen seien, mit dem sicheren Beweise der Zahlen entgegenzutreten. 

Das hat Schuschny gethan, und er versucht seine vier Fragen: 

1. Bringt der Schüler seine nervöse Disposition mit in die Schule? 

2. Bringt der Schüler Symptome von Nervosität mit in die Schule? 

3. Wodurch werden Disposition und Symptome erzeugt? 

4. Wodurch wird die Nervosität der Schuljugend verhindert? 
an der Hand zahlenmässig belegter Thatsachen zu beantworten. 

Zu diesem Zwecke hat er bei 205 Schülern der Königl. Ober¬ 
realschule zu Budapest den Schädel, das Gesicht in Bezug auf Form 
und Asymmetrien, Pupillendifferenz und Form der Pupillen, Strabismus, 
Jochbein, Nasenrücken, Form, Winkel und Stellung des Unterkiefers, 
Grösse und Form der Ohrmuscheln, Angewachsensein des Ohrläppchens, 
die Lippen, Convexität des harten Gaumens, Grösse der Zunge, Form, 
Beschaffenheit und Zahl der Zähne, Skoliose, der Gang und schliess¬ 
lich die Ernährung zum Gegenstände der Untersuchung gemacht, und 
er konnte bei 49,5 °/o der Schüler sogenannte Entartungszeichen con- 
statiren, d. h. körperliche Abweichungen von der normalen Bildung, 
aus denen man den Schluss auf eine erbliche Entartung zu ziehen be¬ 
rechtigt ist. 

Man kann daher dieseu Procentsatz als belastet annehmen und 
sagen, dass nahezu 50 °/o der Schüler die nervöse Disposition mit in 
die Schule bringen. Noch bedeutender war die Zahl der Schüler, bei 
denen Schuschny in der Lage war, Symptome der Nervosität nach¬ 
zuweisen, wobei er übrigens die erklärende Bemerkung hinzufügt, dass 

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36 


ein grosser Theil aller Schüler, nnd zwar 69,7 °/o, der israelitischen 
Religion angehörten nnd daher als besonders erblich belastet anzn- 
sehen seien. 

Nicht weniger nämlich als 51,7 °/o aller Schüler litten an nervösen 
Symptomen, nnd zwar stieg dieser Procentsatz in den vier oberen 
Klassen anf 57 °/o, während er in den vier unteren Klassen nur 46,4 °l$ 
betrug, ein Verhältnis, das direct dem schädlichen Einflüsse der Schule 
zuzuschreiben ist. 

Die Ursachen der Schulnervosität liegen zum allergrössten Theile 
in der Erziehung, und hier wieder vorzugsweise iü dem Genüsse 
geistiger Getränke. Nicht oft, nicht laut genug kann von ärztlicher 
Seite darauf hingewiesen werden, dass die geistigen Getränke für die 
Kinder geradezu ein Gift sind, und ihr Genuss von den verderblichsten 
Folgen begleitet ist Wenn auch die Pester Verhältnisse, wo 49,7 °/o 
der Kinder alkoholische Getränke geniessen, nicht ohne weiteres auf 
uns zu übertragen sind, so geschieht doch auch bei uns in dieser Be¬ 
ziehung, sei es aus Unverstand oder aus ^Schwäche, mehr als genug, 
während für Anderes und Besseres, wie z. B. für Bewegung und frische 
Luft, nicht die gleiche Sorge getragen wird. 

Neben dieser Hauptschädlichkeit tritt alles andere mehr zurück, 
obwohl für die Hausarbeiten und die Ueberbtirdung des modernen 
Lehrplanes noch Einiges übrig bleibt. In der Vermeidung dieser 
Schädlichkeiten findet die vierte Frage: Wodurch wird die Nervosität 
der Schuljugend verhindert? ihre Beantwortung. 

Ein grosser Theil der Schüler kommt mit nervöser Disposition in 
die Schule, eine Grundlage, auf der nervöse Symptome entstehen. Je 
länger der Schulbesuch dauert, um so mehr nimmt die Zahl jener 
Schüler zu, die an nervösen Symptomen leiden. Nervöse Erscheinungen 
stellen sich aber auch bei solchen Schülern ein, die ohne nervöse Dis¬ 
position in die Schule kommen. 

Da aber die Schule unentbehrlich ist, so müssen wir danach 
trachten, dass nervöse Erscheinungen durch sie nicht hervorgerufen 
werden, dass die Factoren beseitigt werden, welche sie zeitigen. 

Der Kampf gegen die Nervosität muss im Elternhause begonnen 
werden durch rationelle Erziehung und Ernährung. Pflicht der Schule 
ist es, mitzukämpfen und alles aufzubieten zur Pflege und Erhaltung 
der Gesundheit und Lernfähigkeit der Jugend (S. 25). Dies könnte 
sie erreichen durch Abschaffung des Fachlehrersystems, Verminderung 
der Hausarbeit, grössere Sorgfalt für Turnunterricht, Jugendspiele, 
Schwimmen und Ausflüge, Förderung der schulärztlichen Institution, 
Verbreitung hygienischer Kenntnisse und insbesondere solcher über die 
Gesundheitslehre des Schülers. 

Das sind die Ziele, und wenn sie auch zum Theil noch weit¬ 
gesteckt sind, so ist für den Gewinn, für die Gesundheit der heran- 


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87 


wachsenden Generation, kein Ziel zu hoch oder zu weit, dass es nicht 
zu erreichen wäre. 

Die vorliegende Schrift schliesst sich einer Reihe von anderen an, 
die Merksteine auf dem Wege zu diesem Ziele bedeuten, wir können 
sie daher nur mit Freuden begrüssen und zur ernsten Erwägung an¬ 
empfehlen. P e 1 m a n. 

Dr. Enrico Dall’Acqua, Findelhaus und Impfung. Giornale della reale 
societä italiana d’igiene. November 1894. 

Verfasser geht kurz auf den Werth der Impfung überhaupt und 
die Wichtigkeit der Einwände der Impfgegner ein, insbesondere unter 
den heutigen Verhältnissen, bei Benutzung animaler Lymphe und Be¬ 
folgung aller antiseptischen Cautelen auch bei der kleinen Operation 
der Impfung. Er betont die Gefahr, welche das Hinausschieben der 
Impfung der Säuglinge bis zum 6. oder 7. Lebensmonat sowohl für 
diese selbst, wie für die Umgebung darstellt. Die Neugeborenen der 
ersten Lebenstage vertragen diesen Eingriff ebenso gut — nach Max 
Wolf sogar besser — wie in den späteren Monaten, wenn nur die 
nöthigen Vorsichtsmaassregeln nicht ausser Acht gelassen werden. Es 
ist zu verlangen, dass 

1. sowohl in Instituten wie in der Privatpraxis nicht geimpft wird, 
wenn Erysipelfälle in der Umgebung des zu impfenden Säug¬ 
lings vorgekommen sind; 

2. die Nachbehandlung der Impfwunde nicht unwissenden Ammen 
und Pflegerinnen überlassen wird; 

3. in jeder Jahreszeit und nicht nur ein- oder zweimal im Jahre 
geimpft wird. 

Der wichtigste Punkt bei der Impfung ist die strengste Asepsis, 
insbesondere der Instrumente; ferner ist der Entwickelung der Pustel 
Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn in Folge starker Schwellung zu 
reichliche Resorption pyrogener Substanzen stattfindet, soll man die 
Pusteln durch kleine Stiche öffnen, worauf diese Beschwerden schnell 
verschwinden. Die Impflinge soll man sich alle 2—3 Tage zur Unter¬ 
suchung vorstellen lassen. Dall’Acqua hat unter diesen Vorsichts¬ 
maassregeln viele hundert Kinder in den ersten Lebenstagen 
sowohl in dem ihm unterstellten Institute wie auch in der Stadt (Pavia) 
geimpft, ohne jemals nachtheilige Folgen zu beobachten. Er tritt 
daher mit Wärme dafür ein, dass dieser Modus allgemein Eingang 
finden möge, damit wir dem Ideal eines absoluten Schutzes vor den 
Pocken möglichst nahe kommen, während wir heute von diesem Ideal 
doch noch recht weit entfernt sind. 

Dr. Kronenberg (Solingen). 


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38 


Small-Pox in Oldham in 1803. (The L&ncet 8726.) 

Im Ganzen wurden in dem Pocken-Hospital 638 Fälle behandelt, 
64 von diesen starben, was eine Sterblichkeit von 10 °/o ausmacht. 
Ueber das Verhältniss der Geimpften und Ungeimpften zu den Ge¬ 
storbenen giebt folgende Tabelle Auskunft. 



Aufgenommen 

Gestorben 

Mortalität 

Alter 

Geimpfte 

Nicht 

Geimpfte 

Geimpfte J 

1 

Nicht 

Geimpfte 

Geimpfte 

Nicht 

Geimpfte 

0- 5 

5—15 

3 * 

561 

>115 

59) 

:}■ 

i 

1 181 

»r 

> 

Sh* 

15-25 

152 

16 

3 

5 

3,0 

31,2 

25-35 

155 

21 

4 

7 

2,6 

33,3 

35-45 

79 

3 


3 

6,3 

100,0 

45 u. höher 

37 

1 

■ 

1 

10,8 

100,0 

Summe: 

472 

; 156 

17 

48 

3,6 

27,6 


10 Fälle waren in Bezug auf Impfung zweifelhaft, von diesen 
starben 4 Erkrankte. Den Einfluss des Pockenspitals auf die Umgebung 
illustrirt folgende Beobachtung. Im Umkreis von 1 U Meile vom Spital 
kamen 12,9 Fälle auf 100 Häuser, 1 U — 1 l 2 Meile 6,6 Fälle, 1 /a— 
Meile 2,0, 8 U —1 Meile 1,5 und ausserhalb des 1 Meile-Radius 0,8 
Fälle auf je 100 Häuser. Wird diese letztere Zahl (0,8) als Einheit 
angenommen, so wächst die Morbidität mit jeder 1 U Meile zum Spital 
hin auf 1,9; 2,5; 5,2; 16,1. Pröbsting. 

Clarke, The sporozoa of variola and vacoina. (The Lancet 3725.) 

Wenn man mit der Spitze eines sterilisirten Messers die Cornea 
eines Kaninchens oberflächlich verwundet und auf diese Kratzwunde 
etwas Impflymphe bringt, so kommt es zu einer Infection der an¬ 
liegenden Zellen. 24 Stunden nach der Impfung findet man in den 
tieferen Epithelzellen Einlagerungen, die stark lichtbrechend sind und 
sich mit einer Reihe von Farben (Hämatoxylin, Carmin, Eosin u. s. w.) 
leicht färben lassen. 

An diesen Körperchen hat Verf. amöboide Bewegungen wahrge¬ 
nommen und hält sie daher für intracelluläre Parasiten und zwar fhr 
Sporozoen. Pröbsting. 

1s infant mortality increasing? (The Lancet 3717.) 

The decrease of child mortality. (The Lancet 3718.) 

In den letzten 30 Jahren hat die Kindersterblichkeit in England 
langsam, aber stetig abgenommen und zwar sowohl der Kinder unter 


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39 


1 Jahr als auch der unter 5 Jahren. In der Deeade 61—70 betrug 
die mittlere Jahressterblichkeit bei Kindern unter einem Jahre 154 
auf 1000 lebendgeborene Kinder, bei Kindern unter 5 Jahren 68,6 auf 
1000. In den folgenden 10 Jahren waren die bezüglichen Zahlen 149 
auf 1000 und 63,3 auf 1000, und im letzten Decenium 81—90 war 
die mittlere Jahressterblichkeit 142 auf 1000 und 56,8 auf 1000. 

In den einzelnen Jahren fanden freilich ganz erhebliche Schwan¬ 
kungen statt, 1893 war die Sterblichkeit weit über dem Durchschnitt, 
1894 dahingegen ganz erheblich unter dem Durchschnitt der letzten 
10 Jahre. Bedingt werden diese Schwankungen von dem Stand der 
Durchfallserkrankungen, die wieder in hohem Grade von der Temperatur 
abhängen. Pröbsting. 

The moist summer and its low death-rate. (The Lancet 3716.) 

Der Sommer des vorigen Jahres (1894) zeichnete sich durch niedrige 
Temperatur, häufige Niederschläge und spärliche Sonnentage aus. 
Trotzdem war gerade in den 3 Sommermonaten die Mortalität in Eng¬ 
land ganz ausserordentlich niedrig und zwar nicht weniger wie 3 auf 
1000 unter dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre. Die Sterblichkeit 
war zum ersten Mal seit 1837 (der Einführung der Standesregister) 
unter 15 auf 1000, sie betrug nämlich nur 14,2 auf 1000. Am Auf¬ 
fallendsten war die Herabsetzung der Mortalität bei den Kindern, welche 
sich durch die niedrige Sterblichkeit an Diarrhoe erklärt. Dabei zeigt 
die Diarrhoe-Sterblichkeit in den verschiedenen Gegenden ganz ausser¬ 
ordentliche Differenzen, so betrug sie z. B. in Halifax nur 0,05, während 
sie in Leicester 3,32 und in Preston 4,46 auf 1000 betrug. 

Pröbsting. 

W. Carr, The starting points of tuberculous disease in children. 

(Lancet 3689.) 

Die Tuberkulose der Erwachsenen unterscheidet sich von der bei 
Kindern hauptsächlich in drei Punkten: erstens in dem Vorwiegen der 
Lungentuberkulose, zweitens in der Tendenz, sich zu localisiren, und 
drittens in dem sehr geringen Antheil, den die Lymphfollikel an der 
Erkrankung nehmen. 

Verfasser bespricht an der Hand von 120 Sectionsberichten von 
tuberkulösen Kindern diese drei Punkte, besonders den letzteren. 

Bei 82 Kindern war die Krankheit mehr oder weniger allgemein 
im Körper verbreitet. 

Was nun den Ausgangspunkt der Erkrankung betrifft, so konnte 
nur bei vier ein Centrum nicht gefunden werden; in elf Fällen be¬ 
standen in verschiedenen, von einander getrennten Körpertheilen käsige 
Herde, bei 13 Kindern waren nur die Drüsen erkrankt, und zwar 
7mal die Bronchial-, 5mal die Mesenterialdrüse, lmal beide Drüsen- 


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40 


arten. Von den 92 übrigen Fällen begannen 7 in den Knochen and 
Gelenken, 47 in den Brustlymphdrtisen, 18 in den Lungen, 8 in den 
Lungen- oder den Brustlymphdrtisen, 6 in den Eingeweiden, 7 in den 
Mesenterialdrüsen, 2 in den Halsdrüsen und 2 in der Niere. 

In 70 von den 120 Fällen waren somit die Drüsen sicher der 
primäre Erkrankungsherd, in 17 weiteren wahrscheinlich. In 79 Fällen 
begann die Krankheit wahrscheinlich in den Lungen oder den Bronchial¬ 
drüsen, in 20 Fällen in den Eingeweiden oder den Mesenterialdrüsen. 
Die Erkrankung der Drüsen geschieht zumeist in der Weise, dass die. 
Bacillen durch die Lunge oder die Darmwandungen in die Drüse ein- 
dringen, sehr viel seltener auf dem Wege der Blutbahnen. 

Pröbsting. 


E. Squire, The influence of heredity in phthisis. 


Um den Einfluss der Erblichkeit bei phthisischen Erkrankungen 
genauer zu studiren, hat S. über 474 Familien genaue Untersuchungen 
angestellt mit folgendem Resultat: 



Kinder 

Es starben im 
Kindesalter 

phthisich 

474 Familien. 

Totalsumme. 

Auf jede Familie. 

Totalsumme. 

in °/o auf alle 
Kinder. 

Totalsumme. 

in °/o auf alle Kinder 
ausgenommen der 
im Kindesalter 
gestorbenen. 

A. 275 Familien, Eltern 
nicht phthisisch . . 

1745 

6,34 

193 

11,06 

386 

24,87 

B. 84 Familien, Vater 
phthisisch. 

511 

6,08 

67 

13,11 

138 

31,8 

C. 82 Familien, Mutter 
phthisisch. 

506 

6,17 

56 

1 11.06 

155 

34,4 

D. 33 Familien, beide 
Eltern phthisisch . . 

165 

5,0 

18 

10,09 

58 

39,45 

B, C u. D. 199 Familien, 
ein oder beide Eltern 
phthisisch. 

1182 

5,93 

141 

11,92 

351 

33,71 


Auch aus dieser Tabelle ergiebt sich, dass der Einfluss der Erb¬ 
lichkeit auf die Erkrankung an Phthisis nicht so gross ist, wie man 
früher angenommen hat. Pröbsting. 


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41 


Dr. Angelo Floren tini, Die Eutertuberkulose und ihre Bolle bei der 
Infection der Milch, nebst einigen Betrachtungen über die in Mailand 
Versehrte Milch und praktischen Winken. Giornale della reale societk 
italiana d’igiene. Januar 1895. 

Verfasser kommt zu folgenden Resultaten: Die tuberkulöse Er¬ 
krankung der Milchdrüse des Rindviehs tritt in zwei Formen auf: 

3. Diffuse Infiltration ganzer Drüsenlappen. Diese Form ist klinisch 
und anatomisch nachweisbar. 

2. Häufiger ist die Anwesenheit miliarer Tuberkelknötchen in den 
Drüsengängen. Diese Form ist in der Regel nur anatomisch 
nachweisbar. 

Ist die Milchdrüse tuberkulöser Thiere nicht gleichfalls nachweis¬ 
lich erkrankt, so gelingt es nicht, mit Bestandtheilen dieser Drüse 
(Milch, Blut, Gewebstheilen) Meerschweinchen zu inficiren, immer da¬ 
gegen gelingt es, wenn der tuberkulöse Process die Drüse in Mit¬ 
leidenschaft gezogen hat. 

Verfasser schliesst daraus: 

1. Der Koch’sehe Bacillus geht nicht in die Milch über, ohne dass 
die Milchdrüse selbst erkrankt ist. 

2. Die tuberkulöse Erkrankung der Milchdrüse ist fast immer 
secundär, und in der Regel nicht klinisch nachweisbar. 

Die praktischen Betrachtungen gipfeln in der Empfehlung des 
Tuberkulins zur Diagnose der latenten Tuberkulose des Rindviehs und 
in Rathschlägen zur Erlangung einer gesundheitlich zuverlässigen Markt¬ 
milch. In dieser Beziehung stellt Verfasser als erstrebenswerthes Ziel 
hin: Gesundheitspolizeiliche Ueberwachung der Gehöfte, welche Milch 
produciren, äusserste Reinlichkeit bei der Melkung und beim Milch¬ 
transport, strenge Controle der Milchverkaufsstände in den Städten. 

Dr. Kronenberg (Solingen). 

G. Cornet, Die Prophylaxis der Tuberkulose und ihre Resultate. Berl. 
klm. Wochenschrift, 1895, Nr. 20. 

Verfasser weist in diesem in der Berliner medicinischen Gesell¬ 
schaft gehaltenen Vortrag, gestützt auf seine früheren bekannten Ar¬ 
beiten über die Verbreitungsart der Tuberkulose, nochmals darauf hin, 
dass die antibacilläre Prophylaxis keineswegs aussichtslos ist. sondern 
dass wir relativ einfache Mittel an der Hand haben, der Verbreitung 
der Tuberkulose mit einem gewissen Erfolge entgegenzutreten. Da, 
wie Cornet nachgewiesen hat, im Sputum, und zwar im getrockneten 
Sputum, die fast einzige Ursache für die Verbreitung der Lungen¬ 
tuberkulose zu finden ist, so hat unser Bestreben dahin zu gehen, das 
Sputum Tuberkulöser unschädlich zu machen. Es bedarf dazu nicht 
tief in die socialen Verhältnisse einschneidender Maassregeln, wie sie 
von manchen Seiten empfohlen worden sind, sondern das Mittel ist 


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42 


relativ einfach und besteht darin, in der nächsten Umgebung des 
Menschen das Sputum an der Vertrocknung zu hindern. So wurde 
von Seiten der Directoren von Gefängnissen und Irrenanstalten seit 
den Cornet’sehen Veröffentlichungen geeignete, dahin zielende Maass¬ 
regeln, wenigstens in Preussen, getroffen, und der Erfolg war, dass 
die Gefängnisstuberkulose in Preussen seit dieser Zeit auf die Hälfte 
gesunken ist und in den Irrenanstalten ebenfalls eine beträchtliche 
Abnahme der Seuche sich bemerklich gemacht hat. 

Der Einfluss der grösseren Vorsicht in der Behandlung des Aus¬ 
wurfs Tuberkulöser lässt sich auch deutlich an der Tuberkulose-Sterb¬ 
lichkeit der katholischen Krankenpflegerinnen nachweisen. Ja, Cornet 
geht in seinen Schlüssen noch weiter und behauptet, dass die That- 
sache, dass in Preussen r allein vom Jahre 1887—1893 um ca. 70 000 
Menschen weniger an Tuberkulose gestorben sind, als nach dem Durch¬ 
schnitt der früheren Jahre zu erwarten war, mit den seit dieser Zeit 
getroffenen prophylaktischen Maassnahmen in ursächlichem Zusammen¬ 
hänge stehe. B1 e i b t r e u (Köln). 

F. Clemow, The recent pandemic of influenza: its plaee of origin and 
mode of spread. (The Lancet No. 3673, 3676.) 

China, der nördliche Theil der Mongolei und Russland sind als 
Ursprungsstätten der letzten Influenzaepidemie angesprochen worden. 
Verfasser glaubt, dass die Krankheit von Russland ihren Ausgang ge¬ 
nommen habe, und weist nach, dass diese dort endemisch sei, wenn 
auch nicht in Form von grösseren Epidemien. Besonders in den Gou¬ 
vernements, welche am Finnischen Meerbusen liegen, kamen im Jahre 
1888, also im Jahre vor dem Ausbruch der Pandemie, zahlreiche Fälle 
von Grippe vor. So in Esthland 34,1, in Livland 27,4, in Kurland 
22,2, in Petersburg 30,6 Fälle von Grippe auf 10 000 der Bevölke¬ 
rung. Aber auch in den übrigen Theilen Russlands wurden Erkran¬ 
kungen an Grippe beobachtet. 

In epidemischer Form trat jedoch die Influenza zuerst in West- 
Sibirien auf und zwar Ende September 1889; von hier aus breitete 
sie sich in östlicher, westlicher und südlicher Richtung aus. Verfasser 
glaubt, dass die Epidemie bei den Nomadenstämmen, welche die kirgi¬ 
sischen Steppen bewohnen, ihren Ursprung nahm; positive Beweise 
kann er freilich für diese Annahme nicht beibringen. 

Was nun die Art der Ausbreitung anlangt, so folgte die Influenza 
immer den Verkehrswegen; je besser die Verbindungen waren, um so 
schneller reiste auch die Krankheit. Von Petropavlowsk (Provinz 
Tobolsk), wo sie zuerst Ende September auftrat, bis nach Petersburg 
gebrauchte sie nur einen Monat, während sie in Wladiwostok am Stillen 
Ocean erst im Mai auftrat. Daraus geht wohl mit Sicherheit hervor, 
dass sich die Krankheit durch Contagien und nicht durch Miasma ver- 


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43 


breitete. Für die erste Art der Verbreitung führt Verfasser dann noch 
zahlreiche Beispiele an. Aus dem Umstande, dass sehr häufig zuerst 
die Postbeamten erkrankten, glaubt Verfasser den Schluss ziehen zu 
dürfen, dass auch durch Briefe und Packete die Krankheit übertragen 
werden kann. Pröbsting. 

F. Parsons, On the distribution of the mortaiity from infiuenza in 
England and Wales during reeent years. (The Lancet 3691.) 

Von 1889—94 wurde England von fünf Influenza-Epidemien heim- 
gesucht, nämlich Winter 1889—90, Frühjahr und Sommer 1891, 
Winter 1891—92, Frühjahr 1893 und Winter 1893—94. 

Die erste Epidemie zeichnete sich durch grosse Ausdehnung, rasches 
Ansteigen und raschen Abfall aus; die Sterblichkeit war jedoch geringer 
wie in den anderen Epidemien. Die zweite Epidemie begann, an¬ 
scheinend ganz unabhängig von einander, an mehreren Punkten Eng¬ 
lands. Die Sterblichkeit war eine sehr hohe durch die häufige Com- 
plication mit Pneumonie. Die dritte Epidemie brach ebenfalls gleich¬ 
zeitig an mehreren Punkten Englands aus; auch in dieser Epidemie 
war die Sterblichkeit eine ausserordentlich hohe. In London herrschte 
sie 6 Wochen, die Sterblichkeit während dieser Zeit tibertraf die zehn¬ 
jährige Durchschnittssterblichkeit der gleichen Wochen um 5921. Die 
vierte Epidemie war milde, die fünfte hatte eine hohe Sterblichkeits¬ 
ziffer, doch nicht so hoch wie die zweite und dritte. Die Influenza- 
Sterblichkeit in London war ftir 1890 = 152, für 1891 = 554, für 
1892 = 532 und für 1893 = 347 auf 1 000 000 Einw.; die Influenza- 
Sterblichkeitszahlen für ganz England waren fast die gleichen wie für 
London. Im Allgemeinen kann man sagen, dafs die Influenza-Sterblich¬ 
keit in den Bergbau- und Industrie-Bezirken unter dem Durchschnitt, 
in den Ackerbau- und den Berg-Bezirken über dem Durchschnitt war. 

Was das Alter angeht, so war das erste Lebensalter zunächst in 
ziemlich hohem Maasse betheiligt, dann sinkt das Sterblichkeitsverhältniss 
und erreicht zwischen 10 bis 15 Jahren das Minimum, steigt darauf 
langsam bis zur Lebensmitte an, um nach dieser Zeit eine rasche und 
stetige Zunahme zu erfahren. Das weibliche Geschlecht war in ge¬ 
ringerem Grade bei der Sterblichkeit betheiligt wie das männliche, 
nur in den Jahren von 2—3 und von 5—10 überwog das weibliche 
Geschlecht in geringem Grade. Pröbsting. 

Pielicke, Bakteriologische Untersuchungen in der Influenza-Epidemie 
1893 / 94 . Berliner klin. Wochenschr. 1894, Nr. 23. 

Während der Influenza-Epidemie 1893/94 wurden im städtischen 
Krankenhause Moabit 35 klinisch als Influenza diagnosticirte Krank¬ 
heitsfälle beobachtet. Verfasser versuchte es, in diesen Fällen mikro¬ 
skopisch und bakteriologisch Influenzabacillen nachzuweisen. Es gelang 


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ihm aber der mikroskopische Nachweis derselben nur in 15 und der 
bakteriologische durch Reinzüchtung auf Blutagar nur in 5 Fällen. 

In 20 Fällen, die klinisch das Bild der Influenza darboten, konnten 
weder mikroskopisch noch bakteriologisch Influenzabacillen nachgewiesen 
werden, wohl aber verschiedene andere Mikroorganismen. So fand sich 
in den Fällen, die von einer typischen Lungenentzündung begleitet 
waren, der Fränkel’sche Diplococcus pneumoniae; in den von atypischer 
Lungenentzündung begleiteten, oft zu schweren Complicationen führen¬ 
den Fällen wurden dagegen meistens Streptokokken gefunden. 

Ein Fall war insofern interessant, als bei der bakteriologischen 
Untersuchung des Auswürfs auf Blutagar das Wachsthum von Colonien 
beobachtet wurde, welche in ihrem durchsichtigen Aussehen und in 
dem alleinigen Wachsthum auf Blutagar vollkommen den Colonien von 
Influenzabacillen glichen. Bei der mikroskopischen Untersuchung er¬ 
gaben sich jedoch Bacillen, die viel länger und dicker waren, als In¬ 
fluenzabacillen, und ziemlich lange Scheinfäden bildeten, also den 
Pfeiffer’sehen Pseudo-Influenzabacillen vollkommen glichen. 

Nach dreiwöchentlichem Fortztichten nahmen diese Bacillen aber 
so an Grösse ab, dass sie den echten Influenzabacillen gleich waren. 

Verfasser kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu folgenden 
Schlüssen: 

1. Der Influenzabacillus und der P s e u d o - In f 1 ue nza- 
bacillus sind identisch. 

2. Das klinische Bild der Influenza kann auch durch 
andere Bakterien als gerade Influenzabacillen 
hervorgerufen werden. 

3. Auf der Basis eines Inf 1 u en za- Anf all es kann eine 
Streptokokken-Infection eintreten und eine tödt- 
liche Lungenentzündung veranlassen. 

Dr. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Voges, Beobachtungen und Untersuchungen über Influenza und der 
Erreger dieser Erkrankung. Aus dem Stadtlazareth Olivaerthor Danzig. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1894, Nr. 38.) 

Während des Winters 1893/94 konnte Voges im Danziger Stadt¬ 
lazareth 25 Fälle von Influenza beobachten und sie bakteriologisch 
verarbeiten. Da von dem Anstaltspersonal 9 Personen erkrankten, 
und zwar nur solche, die mit der Aufnahme der Kranken und Ver¬ 
waltung der Kleidungsstücke betraut waren, oder denen die Besorgung 
der Kleider resp. der Wäsche überwiesen war, während von dem 
Warte- und Pflegepersonal auf den Stationen Niemand erkrankte, so 
spricht Voges die (wohl etwas zu weitgehende Ref.) Forderung aus, 
dass der Wäsche und den Kleidungsstücken der Influenzakranken die- 


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selbe Behandlung zu Theil werden müsse, wie den Kleidungsstücken 
der Cholerakranken. 

In 15 auf Influenzabacillen untersuchten Fällen konnte der 
Influenzabacillus mikroskopisch und bakteriologisch nachgewiesen wer¬ 
den. Im Blute der Kranken konnte er entgegen Canons Mittheilung 
nie gefunden werden. 

Die Cultur gelang stets auf Blutagar, niemals auf den andern 
üblichen Nährböden und auch nicht im Hühnerei, wo sich die Influenza¬ 
bacillen wohl 4 Tage lang lebend erhielten, aber nicht vermehrten. 

Bei Injection von Influenzabacillen-Aufschwemmungen in die Bauch¬ 
höhle von Kaninchen und weissen Mäusen wurden profuse Diarrhöen 
bei den Versuchsthieren erzeugt, in Folge deren sie schliesslich erlagen, 
ohne dass im Blute oder in irgend einem Organe der Thiere die 
Influenzabacillen nachzuweisen gewesen wären. Es ist der Tod der 
Ver8uchsthiere also als Folge einer Intoxication (Giftwirkung durch 
Bakterien -Stoffwechselproducte) und nicht einer Infection (mecha¬ 
nische Wirkung der Bakterien selbst) aufzufassen. 

Dr. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Huber, IJeber den Influenzabaeillus. Zeitschrift für Hygiene und Infections- 
krankheiten Bd. XV, Heft 3, S. 453—460. 

Die Resultate dieser Arbeit bestätigen vollkommen die bisherigen 
Angaben Pfeiffer’s über den Influenzabacillus. 

Der Auswurf ist charakteristisch, gelb - grünlich, zäh und ge¬ 
ballt. In den meisten klinisch als Influenza anzusprechenden Fällen 
gelang der Nachweis der Bacillen sowohl mikroskopisch, als auch durch 
das Cultur verfahren. Zum Culturverfahren bediente sich H. zunächst 
immer des von Pfeiffer angegebenen Blutagars. Uebertragungen auf 
Glycerinagar, Gelatine und Bouillon blieben steril. 

Im Blute konnte der Bacillus niemals nachgewiesen werden. 

Da das Culturverfahren mittels Blutagar oft dadurch unbrauchbar 
wird, dass sich dem Blute Verunreinigungen beigesellen, so versuchte 
H. ein im Handel vorkommendes Haemoglobinpräparat, das Haematogen- 
Hommel. Setzt man dem Agar unter angegebenen Cautelen sterilisirtes 
Haematogen zu, so erhält man einen Nährboden, auf welchem die 
Influenzabacillen gedeihen. Das Wachsthum ist aber erheblich lang¬ 
samer als auf Blutagar; dagegen besitzen sie eine erheblich grössere 
Lebensdauer. In diesem Nährboden lassen sich auch Stichculturen 
erzielen. 

Wahrscheinlich wirkt das Haemoglobin nicht als Sauerstoffträger, 
sondern in Folge seines Eisengehaltes fördernd auf das Gedeihen der 
Influenzacolonien. Dr. Mastbaum (Köln). 


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Caspar, Zur Prophylaxe der Masern (Wernich’s Vierteljahrsschr. für ge¬ 
richtliche Medizin u. öff. Sanit. 1895, 2, S. 395). 

Verfasser stellt die sämmtlichen amtlich zur Kenntniss gelangten 
Masernfälle des Regierungsbezirks Stettin vom Jahre 1882 — 1893 zu¬ 
sammen. Dieselben ergeben 36 990 Masernerkrankungen mit 1090 
Todesfällen, also 2,94 °/o. Dieser Procentsatz der Todesfälle war aber 
nicht in allen Ortschaften des Regierungsbezirkes gleich, in manchen 
stieg er bis 40 °/o. Eine Masernepidemie, in welcher 7 °/o sterben, 
will Verfasser nicht mehr als eine gutartige bezeichnen. Bemerkens¬ 
werth ist es, dass nach dem reichhaltigen Material, welches Verf. zu 
Gebote stand, Todesfälle erst zahlreicher ein treten, wenn die Epidemie 
ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ganz verwerflich ist, als Prophylaxe 
gegen schwerere Erkrankungen absichtlich bei anscheinend leichtem 
Auftreten einer Epidemie bei gesunden Kindern eine Ansteckung 
durch kranke herbeizuführen, indem man jene zu diesen ins Bett 
legt, wie es in alten Zeiten und noch jetzt auf dem Lande geschieht. 
Abgesehen davon, dass man niemals mit Sicherheit die Schwere oder 
Leichtigkeit der künstlich erzeugten Erkrankung voraussehen kann, 
ist auch eine abermalige Erkrankung an Masern bei derselben Person 
nach 10, 7, 5 ja sogar nach 3 Jahren wieder möglich. Als Träger 
des Ansteckungsstoffes sind zunächst immer Personen, namentlich 
Kinder, anzusehen und geschieht diese Ansteckung von Person zu 
Person. Im Stettiner Regierungsbezirk war in den 12 Jahren der 
Weiterträger der Epidemie häufig in einem erkrankten Kinde nach¬ 
zuweisen. Ein Fall aus dieser Zeit beweist aber, dass auch Sachen 
den Ansteckungsstoff weiterverbreiten können. Ein Fräulein in der 
Stadt Greiffenberg erhielt einen Brief von einer Familie in Berlin, in 
welcher mehrere Mitglieder derselben an Masern krank waren, ohne 
dass in Greiffenberg ein Masernfall vorhanden war. Zwölf Tage nach 
Empfang des Briefes erkrankte das Fräulein an Masern. Die Masern¬ 
epidemien, welche zu jeder Jahreszeit auftreten können, verbreiten sich 
sehr langsam von einem Orte (Dorf) zum anderen und folgen nicht 
den Eisenbahnlinien. So brauchte eine Epidemie im Stettiner Bezirk, 
um von einem Dorfe zu dem 3 Meilen entfernten zu gelangen, 
4 Wochen, wozu die lange Incubatiouszeit der Masern viel beiträgt. 
Wenn nun auch die Weiterverbreitung der Masern durch Gegenstände, 
wie Briefe, erfolgen kann, so ist es doch vornehmlich die Ansteckung 
von Person zu Person, welche die Verbreitung begünstigt. Es sind 
Hochzeitsfeierlichkeiten, weniger Begräbnisse, Märkte, Schulen und 
Confirmandenunterricht, bei welchen diese Ansteckungen erfolgen 
können. Alle diese Gelegenheitsursachen treffen Ostern zusammen, 
zu welcher Zeit auch die Landleute ihre Einkäufe in der Stadt be¬ 
sorgen und dort Zusammenkommen. In der That waren gewöhnlich 
in den 12 Jahren in dem Stettiner Bezirk die zahlreichsten Er- 


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krankungen an Masern 4 bis 6 Wochen nach Ostern. Dass dies nicht 
10 Tage (Incubationsdauer) nach Ostern stattfand, hat seinen Grund 
wohl darin, dass'erst von einem Kinde 4 bis 6 und 10 Tage darauf 
von jedem dieser wieder 4 bis 6 angesteckt waren und so fort, so 
dass schliesslich nach 4 bis 6 Wochen fast alle Kinder erkrankt 
waren. So ist es auf dem Lande. In den Städten tritt der Höhepunkt 
der Epidemie später ein. Nach diesen Beobachtungen ergiebt sich 
nach Yerf. die Prophylaxe gegen die Weiterverbreitung der Masern¬ 
epidemien leicht. Es ist anzunehmen, dafs der noch unbekannte An¬ 
steckungsstoff durch Niesen und Husten der Luft mitgetheilt wird. Schon 
im Vorläuferstadium kann ein Kind mit Masernschnupfen und Husten 
eine ganze Klasse inficiren. Viel weniger ansteckend als die Ab¬ 
sonderung der Nasenschleimhaut und der Luftröhren sind die Aus¬ 
schläge und Hautschuppen nach Verfasser. Derselbe will nun beim 
ersten Masernerkrankungsfalle die Schule schliessen und desinficiren. 
14 Tage darauf, mit Rücksicht auf die Incubationsdauer von 9 bis 11 
Tagen, wird sie wieder eröffnet, und die inzwischen an Masern er¬ 
krankten Kinder fehlen. Alsdann kann durch den Umgang der ge¬ 
sunden Kinder aus gesunden Familien in der Schule keine An¬ 
steckung erfolgen. Der Schulschluss auf der Höhe der Epidemie ist 
nicht als prophylaktische Maassregel zu bezeichnen. Um die durch 
Niesen und Husten inficirte Luft zu desinficiren, empfiehlt Verf. 
Formalm in hinreichender Verdünnung oder Lysol oder Essig mit 
einem Spray in der Luft vertheilt. Heimlich. 

Spottiswoode Cameron, Conditio ns of the d welling as affeoting recovery 
from measles. (The Lancet 3726.) 

In den 3 Jahren 1891, 92, 93 kamen in Leeds 1770 Masemftllle 
zur Beobachtung, 657 von diesen starben in 627 Häusern, die Ge¬ 
nesungen fanden in 547 Häusern statt. In den ersteren Häusern kamen 
2,7 Personen, in den letzteren 2,1 Personen auf den Wohnraum. Von 
den Häusern, in welchen Todesf&lle vorkamen, waren 19°/o in hygienisch 
gutem, 81 °/o in nicht gutem Zustande, von den anderen Häusern waren 
24 °/o in gutem, 76 °/o in nicht gutem Zustande. 

Pröbsting. 

E. Vallin, I/arröte sur la d£elaration obligatoire des maladies öpide- 
miques. Revue d’Hygtene Tom. XVI, Nr. 1. 

Der Minister des Inneren, Dupuy, hat unter dem 23. November 
1893 eine Verfügung, betreffend die Anzeigepflicht übertragbarer Krank¬ 
heiten, erlassen, die wir dem Texte nach wiedergeben: 

Art. 1. Die Anzeigepflicht erstreckt sich auf folgende Krankheiten: 

1. Typhus abdominalis. 

2. Typhus exanthematicus. 


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8. Variola und Variolofs. 

4. Scarlatina. 

5. Diphtherie (Croup und angina membranacea). 

6. Schweissfriesel (suette miliaire). 

7. Cholera und choleraartige Erkrankungen. 

8. Pest. 

9. Gelbes Fieber. 

10. Ruhr. 

11. Wochenbettfieber, sofern nicht Stillschweigen in Betreff der 
Schwangerschaft verlangt wird. 

12. Blennorrhoe der Neugeborenen. 

Art. 2. Die Anzeige muss dem Unterpräfect und dem Bürger¬ 
meister gemacht werden. Zur Anzeige sind nach Art. 15 des Gesetzes 
vom 80. November 1892 verpflichtet: die Aerzte, Gesundheitsbeamten 
und Hebammen. 

Art. 8. Die Anzeige wird mittelst Karten, die aus einem Notiz¬ 
buch ausgerissen werden, gemacht Die Anzeige muss enthalten: 
Datum, die inficirte Wohnung, die Art der Krankheit, bezeichnet durch 
eine Ziffer gemäss der Nomenclatur auf der ersten Seite des Buches. 
Ausserdem kann sie Angaben über eventuell vorzunehmende prophy¬ 
laktische Maassregeln enthalten. 

Die Notizbücher werden unentgeltlich abgegeben. 

Pröbsting. 


Lanolinum puriss. Liebreich 

einzige antiseptische, nie dem Ranzigwerden unterworfene Salbenbasis. 

Vollkommen mit Wasser und wässerigen Salzlösungen mischbar. 

Benno Jaffi & Darmstaedter, 

Martinikenfelde bei Berlin. 

Eine Zusammenstellung der Literatur über Lanolin wird auf Wunsch 
firanoo zugesandt. 


Sanatorium Dr. Aug. Meyer, 

Eitorf a. d. Sieg. 

Ernährungsstörungen. — Nervenleiden. — Krankheitsanlagen. — Hydro- und 
Elektrotherapie. — Fluss-, medicinische und elektrische Bäder. — Diät-, Be- 
wegungs- u. Massagekuren. — Das ganze Jahr geöffnet. — Näh. d. d. Prospect. 


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Bericht über die Ausstellung für Hygiene, 

verbunden 

mit der XX. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart. 

Von 

Ingenieur Unna in Köln. 


Der Vorstand dieser Ausstellung, Herr Präsident v. Leibbrand, 
hat es gemeinsam mit den übrigen Ausstellern in vorzüglicher Weise 
verstanden, den Besuchern der Versammlung ein Bild der muster- 
giltigen hygienischen Einrichtungen der Stadt Stuttgart und des 
Württemberger Landes vorzufiihren. Diesen Eindruck erhielt jeder 
Besucher schon nach einem kurzen oberflächlichen Rundgang durch 
die im Museumsaale ausgestellten Modelle und Zeichnungen. Den 
bei weitem grössten Beitrag hierzu hatte das Städtische Bauamt ge¬ 
liefert, und zwar das Tiefbauamt, vertreten durch Herrn Stadtbau¬ 
rath Kölle, das Hochbauamt vertreten durch Herrn Stadtbaurath 
Maier, und die Directoren der Städtischen Wasserwerke, vertreten 
durch Herrn Baurath Zobel. 

I. Abtheilung. Tiefbauamt Stuttgart. 

Die Stadterweiterung der Stadt Stuttgart war in einem mit 
grossen Geschick ausgearbeiteten Gypsrelief zur Anschauung ge¬ 
bracht. Der doppelte Höhenmaassstab im Vergleich zum Längen¬ 
maassstab zeigte die muldenförmige Bodengestaltung der Stadt 
Stuttgart in höchst anschaulicher Weise und gleichzeitig die 
schwierige Lösung der Stadterweiterung an theilweise recht steil 
abfallenden Hängen dieser Mulde. Die bisher üblichen, fast recht¬ 
winklig sich schneidenden Strassenzüge, welche nur mit starken 
Gefällen senkrecht zur Thallinie hergestellt werden konnten, sind 
nicht mehr angewandt. In den neuprojectirten Stadttheilen sehen 

CentralblaM f. tilg. Getundheitepfleg®. XV. Jahrg. 4 


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wir anstatt dessen fast nur gewundene Strassen, welche sich dem 
Terrain anschmiegen und als eine Reihe schöner Panoramastrassen 
sich an den Abhängen hinziehend. 

Die drei Bebauungsweisen machen sich durch verschiedenartige 
Färbung auf dem Modell sehr übersichtlich kenntlich. 

Es wird unterschieden: 

1. eine Innere Zone nach geschlossener Bebauung; 

2. eine Mittlere Zone mit Abständen von 2,90 m; 

3. eine Aeussere Zone mit landhausartiger Bebauung mit 
4 m Abstand und nicht über 16 m Höhe. 

Eine eingehende Begleitschrift des Herrn Stadtbaurath Kölle 
erläuterte dieses hoch interessante lehrreiche Project. 

Ein weiteres, sehr fein ausgeführtes Modell zeigte in grösserem 
Maassstab den Schwabstrassen tunnel, der zwei durch einen 
Bergrücken getrennte Hauptstrassen verbindet. Derselbe ist bereits 
in der Ausführung begriffen. 

Sehr schöne Pläne zeigten die Anlagen der Kanalisation, 
welche in Stuttgart als gemischtes System ausgebildet sind. Die 
Entwässerungskanäle führen die Fäcalien nicht ab, sondern nur 
die Brauch- und Tagewasser, und zwar bildet der das Thal durch- 
fliessende Nasenbach, der in ein festes Profil gefasst und zum Theil 
überwölbt ist, den Strassenkanal, in den die fünf getrennten Ent¬ 
wässerungssysteme sich ergiessen und dann dem Neckar, begünstigt 
durch sehr starke natürliche Gefälle, zueilen. 

Eigenartig ist die Organisation der Städtischen Latrinen- 
inspection, deren Arbeitsthätigkeit in einer grossen Anzahl sehr 
schön ausgearbeiteter Pläne veranschaulicht wurde. Die Fäcalien 
werden in Gruben, welche gewöhnlich in den Durchfahrten der 
Häuser angebracht sind und auf ihre Wasserdichtigkeit geprüft 
werden, gesammelt und nach Bedürfniss, längstens alle vier Wochen, 
geleert. Diese Latrinenleerung geschieht in städtischer Regie mittelst 
Dampfluftpumpen. Die Hausbesitzer haben eine Gebühr von 3 Mk. 
30 Pf. (!) für das Cubikmeter entleerte Masse zu zahlen, wobei die 
Stadt natürlich auch in finanzieller Beziehung ihre Rechnung findet 
und vorläufig mit einem Ueberseliuss von 100000 Mk. paradirt. 
Es gelangen zur Zeit im Jahre ca. 75000 cbm Fäcalien zur Ab¬ 
fuhr, so dass es äusserst schwierig werde, ein Absatzgebiet für 
diese grossen Mengen zu schaffen. Dies wurde erreicht durch den 
Ferntransport mit der Eisenbahn bis zu Entfernungen von 88 km, 
was durch eine Uebersichtskarte der Bahn verfrachtungskarte ver¬ 
anschaulicht wurde. Der Transport geschieht auf Eisenbahnwagen, 
welche eigens hierzu mit je drei grossen Holzfässern von zusammen 
90 hl Inhalt ausgerüstet sind. In den letzten Jahren wurden ca. 
50000 cbm nach ca. 90 Stationen befördert. Auf ca. 15 Stationen 


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sind Sammelgruben angelegt und werden dieselben benützt, wenn 
die unmittelbare Verwendung der Fäcalstoffe zur Düngung nicht 
möglich ist, gleichzeitig wird aber auch den kleinen Bauern hier¬ 
durch Gelegenheit gegeben, kleine Mengen Fäcalien zu beziehen. 

Da aber einerseits das Absatzgebiet als erschöpft zu betrachten 
ist, andererseits bei der rapiden Zunahme der Bevölkerung ein 
Anwachsen der Fäcalmassen bis zum Jahre 1900 auf ca. 100000 cbm 
zu erwarten ist; ferner aber bei Ausbruch einer Epidemie der 
Absatz womöglich regierungsseitig verboten werden könnte, so 
führten diese Umstände zu dem Gedanken, der Verarbeitung der 
flüssigen Fäcalstoffe zur Trockensubstanz, der sog. Poudrette, näher 
zu treten. Ein solches Project ist von Herrn Stadtbaurath Kölle 
ausgearbeitet in Anlehnung an die Erfahrungen der Fabrik von 
Podewils in Augsburg, und ist dasselbe in verschiedenen Plänen 
ausgestellt worden. Es ist die Verbringung der Fäcalien von 
den Gruben in sieben in der Stadt vertheilte Füllstationen vor¬ 
gesehen, von wo aus dieselben in Rohrleitung pneumatisch in die 
Poudrettefabrik befördert werden. Die Rohrleitungen sollen zum 
Theil in den bestehenden Entwässerungskanälen aufgehängt werden. 
Die Anlage soll sich der Rentabilitätsberechnung nach mit 5 bis 
8 °/o verzinsen, welche Ansicht als recht angenehm, jedoch als nicht 
sehr wahrscheinlich und auch nicht nothwendig zu betrachten ist, 
da es doch in erster Linie darauf ankommt, der weitgehendsten 
sanitären Anforderungen bezüglich der Beseitigung der menschlichen 
Abfallstoffe zu entsprechen. 

Weitere Pläne zeigten in übersichtlicher Weise die Organisation 
der Hauskanalreinigung, der Strassenreinigung, der 
Kehrichtabfuhr und Strassenbesprengung. 

Die Hauskanalreinigung ist noch nicht obligatorisch ein¬ 
geführt, wird dieses jedoch voraussichtlich in kurzer Zeit. Es 
werden jedoch bereits zwei Drittel der bestehenden Hauskanäle 
nach einem jährlich festzusetzenden Tarif von der Stadt gereinigt. 

Die Strassenreinigung geschieht durch das Strassen- 
reinigungsamt gegen eine jährliche Gebühr von 25 Pfg. auf den 
Quadratmeter Strassenfläche. Die Verpflichtung zur Beseitigung 
von Schnee und Eis von den Gehwegen verbleibt dabei den Haus¬ 
besitzern bezw. den Miethern. Die Stadtkasse wird hierdurch mit 
32000 Mk. jährlich belastet, um welche Summe die Ausgaben die 
Einnahmen über treffen. 

Die Kehrichtabfuhr von den Strassen, sowie von den 
Häusern und gewerblichen Anlagen wird durch einen besonderen 
städtischen Fahrpark besorgt und kostet der Stadt bei täglicher 
Abfuhr von ca. 100 cbm Masse jährlich ca. 130000 Mk. 

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Die Besprengung der Strassen geschieht mittelst Spreng¬ 
wagen von 1,5 cbm Inhalt, welche in ebenen Strassen mit einem 
Pferde, in steileren Strassen mit zwei Pferden bespannt sind. Der 
Sprengbezirk umfasst ca. 63 ha, welcher mit einem Aufwand von 
16000 Alk., also ca. 3 Pfg. pro Quadratmeter, besprengt wurde. 

II. Abtheilung. Hochbauamt Stuttgart. 

In zahlreichen, hübsch ausgeführten Zeichnungen sind verschie¬ 
dene Hochbauten dargestellt, welche seitens der Städtischen Ver¬ 
waltung in den letzten 20 Jahren zur Ausführung gebracht wurden. 
Den Hauptbestandtheil bilden die Schulen, und zwar sowohl Volks¬ 
schulen als höhere Bildungsanstalten. Wir sahen dort: 

1. Die Alädchenmittelschule und Bürgerschule, zwei 
ca. 50 m von einander entfernte Gebäude. Zwischen beiden 
liegt zur gemeinschaftlichen Benutzung eine geräumige Turn¬ 
halle. Entwurf und Ausführung Professor Walter. 

2. Die Johannesschule (Volksschule) für Knaben und Aläd- 
chen von Stadtbaurath Wolf erbaut. 

3. Die neue Realanstalt von Baudirector v. Tritschler, mit 
grossem Lehrsaal für Chemie und Physik nebst Laboratorium. 

4. Das neue Volksschulgebäude in der Vorstadt 
Heslach von Stadtbaurath Wolf erbaut. 

5. Die Stöckachschule (Volksschule). 

Im Kellergeschoss ist ein Feuerwehrmagazin und eine 
Feuerwache, im Souterrain sind Wohnungen für Schuldiener 
und Polizeiinspector, sowie eine Volksküche untergebracht. 

6. Das Realgymnasium durch Oberbaurath von Santer auf 
Staatskosten in edelster Renaissance ganz massiv aus Quadern 
erbaut. An den auf drei Seiten hufeisenförmig vom Schul¬ 
gebäude umschlossenen Hof stösst an der vierten Seite die 
Turnhalle. Die Schulabtritte sind an der Längsseite der letz¬ 
teren angebaut. 

7. Die Jacobsschule von Stadtbaurath Wolf erbaut in den 
durch farbigen Ziegelrohbau belebten Formen der nieder¬ 
ländischen Renaissance. 

8. Das Karlsgymnasium von Stadtbaurath Wolf in italie¬ 
nischer Renaissance entworfen. 

9. Die Römerschule (Volksschule) nach dem Plane und unter 
Leitung von Stadtbaurath Alayer erbaut; benannt nach der 
an derselben vorbeiführenden Römerstrasse. 

10. Das Schulhaus im Vorort Gablenberg, 

11. ein Schul- und Spritzenhaus im Vorort Berg in Fachwerk, 
und schliesslich 


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12. ein neues Realschulgebäude, welches noch im Bau be¬ 
griffen ist; sämmtlich von Stadtbaurath Mayer entworfen und 
ausgeführt. 

Bezüglich der hygienischen Gesichtspunkte, unter 
denen diese Bauten errichtet sind, lässt sich im Allgemeinen Fol¬ 
gendes mittheilen: 

Es sind für jeden Schüler nicht weniger als 3 cbm Luftraum, 
fiir ältere Schüler 3,5—5 cbm Luftraum gewährt, welcher sogar in 
der neuen Realanstalt 6,63 cbm beträgt. 

Die unter Ziffer 1, 2, 4, 5 und 8 aufgezählten Schulen zeigen 
doppelseitig angebaute Korridore; bei 3, 6, 7, 9 und 12 sind die 
Korridore nur einseitig angebaut. Die Gänge und Treppen zeigen 
feuersichere Herstellungsart. 

Die Heizungsanlagen. Die unter 4, 5, 10 und 11 ge¬ 
nannten Schulen haben Zimmerofenheizung, und zwar theilweise 
mit Mantelöfen, zum Theil mit irischen Oefen, zum Theil mit 
Reguliröfen. Zum Schutze gegen strahlende Wärme sind doppel¬ 
wandige Ofenschirme aus Blech in Verwendung. Die übrigen 
Schulgebäude sind mit Centralheizungs-Einrichtungen ausgestattet, 
und zwar 1—3 und 7 mit Luftheizung, 6 und 8 mit combinirter 
Dampf- und Luftheizung mit Hochdruck, 9 mit Niederdruckdampf¬ 
heizung. 

Neuerdings sind Versuche mit Gasheizung angestellt, über deren 
Resultate jedoch noch nichts zu erfahren ist. 

Die Ventilation wird durch einen Ventilationsschlot in jedem 
Schullocal bewirkt mit zwei Oeffnungen, eine in der Nähe des Bo¬ 
dens, die andere an der Decke des Raumes. 

Die Abtrittsanlagen sind in den Hofräumen, mit dem 
Schulhaus durch bedeckte Gänge verbunden, angeordnet, und zwar 
unter Anwendung des Grubensystems mit pneumatischer Leerung. 

Die Pissoirs haben Wasserberieselung. 

In der Jacobs- und Römerschule sind Brausebäder mit 13 
resp. 17 Brausen angelegt. 

Ferner sind eine Anzahl hübscher Zeichnungen und Photo¬ 
graphien von dem unter Leitung des Stadtbauraths Maier und des 
Bauinspectors Pantle ausgeführten Bürgerhospitals ausgestellt. 

Dasselbe umfasst ausser dem Bürgerhospital die Armenhaus¬ 
bauten. 

Das Bürgerhospital umfasst Gesundbau, Kranken bau, Irren¬ 
bau, Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude. 

Die Armenhausbauten umfassen das Armenhaus, die Armen¬ 
beschäftigungsanstalt und das Asyl für Obdachlose. 

Ferner sind die Gebäude auf dem Pragfriedhof nach Ent¬ 
würfen von Prof. Dr. v. Beyer ausgestellt. 


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Schliesslich zwei Feuerwehrgebäude und eine Perspective der 
Gewerbehalle, welche den glanzvollen Schluss dieser reichen Aus¬ 
stellung des städtischen Hochbauamtes bildet. 

III. Abtheilung. Das Bauamt der städtischen Wasser¬ 
werke unter Leitung des Stadtbauraths Zobel. 

Auch in dieser Abtheilung waren auf mehreren Tischen und 
Wänden zahlreiche, auf das sorgfältigste ausgeführte Zeichnungen 
und Photographien zu sehen, welche die umfassenden Anlagen 
Stuttgarts in klarer und übersichtlicher Weise veranschaulichen. 

Bei der Art der geognostischen Verhältnisse innerhalb und in 
der Umgebung der Stadt war es wohl möglich, eine Anzahl Quellen 
zu erschliessen, jedoch nicht möglich, Quellwasser in der Menge zu 
beschaffen, dass bei dem rapiden Anwachsen der Stadt der ge- 
sammte Wasserbedarf gedeckt werden konnte. 

Man hat daher mit der Zeit weitere Wassermengen durch Her¬ 
stellung von Sammelteichen (Seewasserwerk) und mittelst Wasser¬ 
entnahme aus dem Neckarflusse gedeckt. Auf diese Weise bildeten 
sich zwei getrennte Leitungssysteme, die Quellenwasserleitung 
und die sog. Nutz Wasserleitung, aus. Für die erstere sind 
90 Quellsauger hergestellt, die meist tief in das Terrain eingreifen, 
theils als Stollen ausgeführt sind und ihr Wasser zum grossen Theil 
der Keuperformation, einen geringen Theil dem Stubensandstein 
entnehmen. Die Temperatur desselben beträgt 6—15° C. Das 
Gesammtquantum beläuft sich auf 1900 cbm täglich, und werden 
hiervon 38 laufende Brunnen und 166 Ventilbrunnen gespeist. 

Die Nutzwasserversorgung dient zur Bewässerung der 
Privatgrundstücke und Hydranten etc., und wird der nordwestliche 
Stadttheil und die Karlsvorstadt vom See Wasserwerk gespeist, 
das übrige weit grössere Areal vom Neckarwasserwerk. Die 
gesammte Wasserbewegung geschieht beim Seewasserwerk durch 
natürliche Gefälle, und misst das Regengebiet der Seen ca. 1600 ha 
mit einem nutzbaren Inhalt von 700 000 cbm. Die Wasserlieferung 
erfolgt in drei verschiedenen Höhenzonen, und beträgt die Leitungs¬ 
fähigkeit ca. 5000 cbm täglich. 

Das Neckarwasserwerk versorgt ein Gebiet von ca. 200 m 
Höhendifferenz, und ist dieser Höhenunterschied wiederum in drei 
Zonen getheilt. Zur Hebung resp. Förderung dienen zwei Werk¬ 
anlagen. Die erste, am Mühlkanal bei Berg liegend, hebt das 
ganze Wasser nach Passiren der Sandfilteranlage auf das Reservoir 
am Kanonenwege zur Speisung der ersten Zone mit 76 m Hub. 
Von hier aus wird das für die beiden oberen Zonen benöthigte Wasser 
durch getrennte Pumpwerke und Leitungen nach den zugehörigen 
Hochbehältern gefördert. Dies Wasserwerk liefert im Maximum 


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- 55 f — 

15000 cbm täglich. Es beträgt der gesammte Nutzwasserverbrauch 
bei einer Einwohnerzahl von 145000 Einwohnern im Durchschnitt 
75 Liter, im Maximum 130 Liter pro Tag und Kopf. Die Anlage¬ 
kosten für die städtische Nutzwasserversorgung betragen ca. 4600000 
Mark, und reicht der Wasserzins aus für Deckung der Betriebs¬ 
und Unterhaltungskosten, Verzinsung und Amortisation des Anlage¬ 
kapitals. 

Die Filter und Pumpwerksanlagen mit Wasserkraft- und Dampf¬ 
betrieb waren mit allen maschinellen Einrichtungen bis in’s Ein¬ 
zelne dargestellt, desgleichen die Hochreservoirbauten. Die Pläne 
bekundeten eine sachgemässe Anordnung aller Einrichtungen bis in 
das kleinste Detail, welche dem Leiter und Erbauer dieser Anlage, 
Stadtbaurath Zobel, zur hohen Ehre gereicht. 

Die Retriebsresultate der letzten zehn Jahre waren in über¬ 
sichtlichen graphischen Darstellungen veranschaulicht. Ferner dürfte 
in dieser Abtheilung noch ein Apparat vom städtischen Chemiker 
Dr. Bujard zu erwähnen sein, der zur Entnahme von Wasser¬ 
proben in beliebiger Tiefe der Reservoire zwecks bakteriologischer 
Untersuchung dient. 

Von der Ausstellung verschiedener staatlicher Verwal¬ 
tungen sind in erster Linie zwei grosse und vorzüglich ausge¬ 
führte Tafeln der Königlichen Domänendirection zu erwähnen, von 
denen die eine das Königl. Karlsbad in Wildbad, erbaut 
von Oberbaurath Berner, und die andere die psychiatrische 
Klinik in Tübingen, erbaut von Baudirector v. Bock, darstellt. 
Es würde zu weit führen, diese hervorragenden hygienischen In¬ 
stitute hier näher zu beschreiben. 

In demselben Saale war ein grosses Relief der berühmten 
württembergischen Albwasserversorgung ausgestellt mit den Längen- 
protilen der einzelnen Druckleitungen, sowie zahlreiche Pläne ein¬ 
zelner Gruppen der Albwasserversorgung. Welch ein Segen die 
Ausführung dieses genialen, von dem verstorbenen Baudirector 
von Ehmann entworfenen und zum grossen Theile ausgeführten 
Werkes für die schwäbische Alb geworden ist, ist allgemein be¬ 
kannt. 

Die Königliche Eisenbahn Verwaltung hat das sog. 
„Eisenbahndörfle“ auf der Prag, einem Gebäudecomplex für Beamten¬ 
wohnungen der Eisenbahnverwaltung, in Entwurfs- und Ausführungs¬ 
zeichnungen zur Anschauung gebracht. Dem Bedürfnisse nach ge¬ 
sunden und billigen Wohnungen für Unterbedienstete wird durch 
diese Anlage in mustergültiger Weise Rechnung getragen. 

Das Arbeiterheim, erbaut von den Architekten Wittmann 
und Stahl, ist ebenfalls in mehreren Plänen veranschaulicht. Diese 
Anstalt wurde im Jahre 1890 von dem Verein für das Wohl der 


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arbeitenden Klassen in Gemeinschaft mit dem Arbeiterbildungs¬ 
verein in's Leben gerufen. Der Bau enthält die Wohnräume für 
240 alleinstehende Männer, ein Lesezimmer, Bibliothek, Räume für 
Unterrichtszwecke, einen geräumigen Saal zu Versammlungen, 
Wirthschaftsräume etc. Dasselbe ist zum grossen Theil durch eine 
Stiftung in’s Leben gerufen. Die Bewohner sind zum überwiegenden 
Theil gewerbliche Arbeiter. 

Der Wohnungsverein hat seine billigen Familien Wohnungen 
(Etagengebüude) in zahlreichen Plänen ausgestellt, welche nach 
Entwürfen des Architekten Frey ausgeführt sind. Dieser Verein 
verfolgt den Zweck, kleine Wohnungen für fleissige und geordnete 
unbemittelte Familien zu erbauen und gegen Bezahlung eines billigen 
Miethzinses zu vermiethen. 

Die Kolonie Ostheim war in zahlreichen Plänen, darunter 
sehr hübschen Perspectiven, durch die Architekten Heim und Sipple 
zur Anschauung gebracht und dabei eine sehr lesenswerthe Schrift 
von Geh. Hofrath Pfeiffer: „Eigenes Heim und billige 
Wohnungen“ betitelt, aufgelegt, welche die näheren Erläu¬ 
terungen über das Zustandekommen und die Ausführung dieser 
Wohlfahrtsanlage enthält. 

Einen würdigen Schlusspunkt bildete das in zahlreichen Plänen 
und Photographien ausgestellte Stuttgarter Schwimmbad. 
Dasselbe ist auf der Grundlage der Gemeinnützigkeit unter Leitung 
des Commerzienrath Vetter von der Actiengesellschaft der Stutt¬ 
garter Badegesellschaft nach den Plänen <Jer Architekten Wittmann 
und Stahl in theilweise maurischem Stile gebaut. Es trägt den 
Bedürfnissen aller Kreise, aller Stände, auch den verwöhntesten 
Ansprüchen Rechnung, um durch den Erlös der besser bezahlten 
Bäder die Abgabe billiger, einfacher Bäder zu ermöglichen. Das¬ 
selbe enthält zwei Schwimmbäder für Männer und Frauen, ein 
russisch-römisches Bad mit Kaltwasserkur, römische Volksschwitz¬ 
bäder, Kaltwasserkur, Volks - Douchebad, Sonnen- und Sandbad, 
Nobel-, Bassin- und Wannenbäder, Hundebad mit Schwimmbassin 
und Dampftrockenraum für dieselben und eine Wäscherei. 

• Nicht Alles, was die so umfangreiche und lehrreiche Ausstellung 
bietet, kann hier aufgezählt werden, es war des Guten zu viel. 

Wie bereits Eingangs gesagt, hat sich das Ausstellungscomit^ 
durch das von ihm geschaffene Werk einen bleibenden Denkstein 
in der Erinnerung der Besucher der diesjährigen Versammlung des 
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gesetzt und den 
Beweis geliefert, dass Stuttgart als leuchtendes Beispiel an der 
Spitze der grossen Städte Deutschlands auf sanitärem Gebiete 
marsch irt. 


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Kleinere Mittheilungen. 


Aus den „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes“, 
XIX. Jahrgang, Nr. 50. 

Preüssen. Mittels Runderlasses vom 19. August 1895 haben die 
Minister für Handel und Gewerbe, der öffentlichen Arbeiten, der etc. 
Medicinalangelegenhciten und des Innern den Oberpräsidenten nach¬ 
stehenden Entwurf zu einer Polizeiverordnung über Anlage, Bau 
und Einrichtung von öffentlichen und Privatkranken-, Entbin- 
dungs- und Irrenanstalten behufs Erlasses entsprechender Vorschriften 
für die einzelnen Provinzen mitgetheilt: 

Polizeiverordnung. 

Auf Grund der §§ 6, 12 und 15 des Gesetzes über die Polizei¬ 
verwaltung vom 11. März 1850*(G.-S. S. 265) — §§ 6, 12 und 13 der 
Verordnung vom 20. September 1867 (G.-S. S. 1529) und des Lauen- 
burgischen Gesetzes vom 7. Januar 1870 (Officielles Wochenblatt S. 13) 
— und des § 137 des Gesetzes Uber die allgemeine Landesverwaltung 
vom 30. Juli 1883 (G.-S. S. 195) wird hiermit unter Zustimmung des 

Provinzialrathes für den Umfang der Provinz.nachstehende 

Polizeiverordnung erlassen. 

Im Sinne dieser Verordnung werden die Krankenanstalten unter¬ 
schieden: als grosse Anstalten mit mehr als 150 Betten, mittlere 
mit 150 bis 50 Betten, kleine mit weniger als 50 Betten. 

Für die Anlage, den Bau und die Einrichtung von öffentlichen 
und Privatkranken-, Entbindungs- und Irrenanstalten, sowie ftir den 
Umbau und die Erweiterung bestehender Anstalten dieser Art gelten 
folgende Vorschriften. 

I. Anlage und Bau. 

§ 1. Die Krankenanstalt muss tkunlichst frei und entfernt von 
Betrieben liegen, welche geeignet sind, den Zweck der Anstalt zu be¬ 
einträchtigen. Der Baugrund muss in gesundheitlicher Beziehung ein¬ 
wandfrei sein. 

Die Frontwände der Krankengebäude müssen untereinander min¬ 
destens 20 m und von anderen Gebäuden mindestens 10 m entfernt 
bleiben. 

Vor den Fenstern der Krankenzimmer muss mindestens ein solcher 
Freiraum verbleiben, dass die Umfassungswände und Dächer gegen¬ 
überliegender Gebäude nicht über eine Luftlinie hinausgehen, welche 


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in der Fussbodenhöhe der Krankenzimmer von der Frontwand aus 
unter einem Neigungswinkel von 30 Grad gezogen wird. Wenn diese 
Fenster benachbarten, nicht zur Anstalt gehörigen Grundstücken gegen¬ 
überliegen, so sind an der Grenze dieser Grundstücke Gebäude von 
der grössten, nach den örtlichen Bauordnungen zulässigen Höhe auch 
dann als vorhanden anzunehmen, wenn die Grenzen unbebaut oder 
nicht bis zur zulässigen Höhe bebaut sind. 

Für kleine Krankenanstalten im Innern grosser Städte kann ein 
grösserer Neigungswinkel zugelassen werden, welcher jedoch nicht über 
45 Grad hinausgehen darf. 

Bei Einheitsbauten (sogenanntes Corridorsystem) sind rings¬ 
umschlossene Höfe unzulässig. 

§ 2. Flure und Gänge müssen mindestens 1,80 m breit sein; die 
Gänge sollen in der Regel einseitig angelegt werden. Mittelgänge sind 
nur unter der Bedingung zulässig, dass sie reichliches Licht unmittelbar 
von aussen erhalten und gut lüftbar sind. 

§ 3. Die ftir die Aufnahme von Kranken bestimmten Räume 
müssen mindestens 1 m über dem höchsten bekannten Grundwasser¬ 
stande liegen und in der ganzen Grundfläche gegen das Eindringen 
von Bodenfeuchtigkeit gesichert sein. 

Räume, deren Fussboden unter der anschliessenden Erdoberfläche 
liegt, dürfen mit Kranken nicht belegt werden. 

Krankenzimmer, welche das Tageslicht nur von einer Seite er¬ 
halten, dürfen nicht nach Norden liegen. 

Die Wände in Operations- und Entbindungszimmern, sowie in 
solchen Räumen, in welchen Personen mit ansteckenden Krankheiten 
untergebracht werden, sind zur Erleichterung der Desinfection glatt 
und mit ausgerundeten Ecken herzustellen. 

§ 4. Die Treppen sollen feuersicher und mindestens 1,30 m breit 
sein, die Stufen mindestens 28 cm Auftrittsbreite und höchstens 16 cm 
Steigung haben. Die Treppenhäuser müssen Licht und Luft unmittel¬ 
bar von aussen erhalten. 

Die Fussbödeu aller von Kranken benutzten Räume sind möglichst 
wasserdicht herzustellen. 

§ 5. Die Krankenzimmer, alle von den Kranken benutzten Neben¬ 
räume, Flure, Gänge und Treppen müssen mit Fenstern versehen werden; 
die Fensterfläche soll in Krankenzimmern mindestens 1,5 qm auf jedes 
Bett einschliesslich der Lagerstellen für Wärter betragen. 

§ 6. Für jedes Bett (Lagerstelle) ist in Zimmern ftir mehrere 
Kranke ein Luftraum von mindestens 35 cbm bei 7,5 qm Bodenfläche 
und in Einzelzimmern von mindestens 45 cbm bei 10 qm Bodenfläche 
zu fordern. 

Mehr als 30 Betten (Lagerstellen) dürfen in einem Kranken¬ 
zimmer nicht aufgestellt werden. 


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II. Innere Einrichtung. 

§ 7. In jeder Krankenanstalt muss fiir jede Abtheilung oder flir 
jedes Geschoss mindestens ein geeigneter Tageraum für zeitweise nicht 
bettlägerige, in gemeinsamer Pflege befindliche Kranke eingerichtet 
werden, dessen Grösse auf mindestens 2 qm für das Krankenbett zu 
bemessen ist. 

Ausserdem muss ein mit Gartenanlagen versehener Erholungsplatz 
von mindestens 10 qm Fläche für jedes Krankenbett vorgesehen werden. 

§ 8. Für Irrenanstalten gilt anstatt der Bestimmungen in 
dem § 6 Abs. 1 und § 7 Folgendes: 

1. In Anstalten mit mehr als 10 Betten müssen ausnahmslos Tage¬ 
räume und Erholungsplätze vorgesehen werden. 

2. Bei Anstalten, welche Tageräume haben, darf die Grösse des 
Luftraumes in den Schlafzimmern für den Kopf nicht unter 
20 cbm bei 3 bis 4,50 m lichter Höhe betragen; ausserdem 
müssen in den Tageräuraen bei gleicher Höhe mindestens 4 qm 
Grundfläche für den Kopf vorhanden sein. Bei Kranken unter 
14 Jahren genügen für den Kopf in den Schlafzimmern 15 cbm 
Luftraum, in den Tageräumen 3 qm Grundfläche. 

3. Anstalten, welche keine Tageräume haben, müssen für jeden 
Kranken 35 cbm Luftraum, bei Personen unter 14 Jahren je 
27 cbm Luftraum darbieten. 

4. Befinden sich in der Anstalt bettlägerige, laute, sich vernach¬ 
lässigende oder nicht saubere Kranke, so muss für jeden der¬ 
selben in den Schlafzimmern mindestens 35 cbm Luftraum, für 
jeden nicht Bettlägerigen 5 qm Grundfläche in den Tageräumen 
vorhanden sein. Bei Kranken solcher Art unter 14 Jahren ge¬ 
nügen für den Kopf in den Schlafzimmern 27 cbm Luftraum 
und für jeden nicht Bettlägerigen in den Tageräumen 4 qm 
Grundfläche. 

5. Zur Absonderung störender Kranker muss mindestens ein Einzel¬ 
raum vorhanden sein, dessen Luftraum nicht unter 40 cbm be¬ 
tragen darf. 

6. Der Erholungsplatz muss schattig sein und mindestens 30 qm 
Fläche für den Kopf enthalten. 

§ 9. Allen Krankenzimmern und von Kranken benutzten Neben¬ 
räumen ist während der Heizperiode frische vorgewärmte Luft aus dem 
Freien zuzuführen. Die verbrauchte Luft muss in geeigneter Weise 
abgeführt werden. Als Mindestmaas der Lufterneuerung sind 40 cbm 
für jedes Bett (Lagerstelle) in der Stunde zu fordern. 

§ 10. Der obere Theil der Fenster der Krankenzimmer, der von 
den Kranken benutzten Nebenräume, der Flure, Gänge und Treppen 


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muss leicht zu öffnen sein und mit Lüftungseinrichtungen versehen 
werden. 

§ 11. Für alle Krankenzimmer, von Kranken benutzten Neben¬ 
räume, Flure und Gänge muss in genügender Weise gleichmässige Er¬ 
wärmung vorgesehen werden. Hierbei ist jeder Belästigung durch 
strahlende Wärme vorzubeugen und jede Staubentwicklung bei der 
Bedienung der Heizeinrichtung, jede Ueberhitzung der Luft an den 
Heizflächen und jede Beimengung von Rauchgasen auszuschliessen. 

§ 12. Für jedes Krankenbett müssen mindestens 300 Liter ge¬ 
sundheitlich einwandfreies Wasser täglich geliefert werden können. 
Sollte die Beschaffung dieser Menge mit besonderen Schwierigkeiten 
verbunden sein, so kann das Maass bis auf 150 Liter verringert werden. 

Die Wasserbezugsquelle, sowie die dazu gehörige Leitung sind 
nach Lage und Fassung gegen jede Verunreinigung durch Krankheits¬ 
oder Abfallstoffe zu sichern. 

§ 13. Die Entwässerung und die Entfernung der Abfallstoffe muss 
in gesundheitlich unschädlicher Weise erfolgen. 

Die Fäkalien sind durch Abfallrohre entweder mittels Abfuhr oder 
mittels Schwemmung unter Wahrung der Reinheit der Luft in den 
Gebäuden und unter Verhütung jeder Bodenverunreinigung zu beseitigen. 

Abtrittsgruben sind unzulässig. 

Trockene Abfälle und Kehricht sind in dichten verschliessbaren 
Gruben oder Behältern zu sammeln und so oft abzufahren, dass keine 
UeberfÜllung der Behälter eintritt. 

Ansteckungsverdächtige Auswurfsstoffe müssen sofort unschädlich 
beseitigt werden. 

§ 14. Die Aborte sind von den Krankenzimmern durch einen 
Vorraum zu trennen, welcher, wie der Abort selbst, hell, lüftbar und 
heizbar sein muss. 

§ 15. In jeder Krankenanstalt ist bei einer Belegzahl bis zu 
30 Betten mindestens e i n Baderaum für ein Vollbad, bei einer grösseren 
Belegzahl für mindestens je 30 Betten ein Baderaum zu beschaffen. 

§ 16. In Krankenanstalten, in welchen chirurgische Operationen 
ausgefülirt zu werden pflegen, ist bei einer Belegzahl von mehr als 
50 Betten mindestens ein besonderes Operationszimmer einzurichten. 

Ein solches kann auch bei kleineren Anstalten nach Lage der 
Verhältnisse verlangt werden. 

§ 17. In Entbindungsanstalten mit mehr als vier Betten ist ein • 
besonderes Entbindungszimmer einzurichten. 

HI. Nebengebäude. 

§ 18. Für grosse und mittlere Anstalten sind die Wirthschafts- 
räume in einem besonderen Gebäude unterzubringen. 


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§ 19. Jede Krankenanstalt muss eine eigene, ausschliesslich für 
deren Insassen bestimmte Waschküche haben. 

Inficirte Wäsche darf ohne vorherige Desinfection nicht ausserhalb 
der Anstalt gereinigt werden. 

§ 20. Für grosse und mittlere Anstalten ist in einem besonderen, 
nur für diesen Zweck bestimmten Gebäude eine geeignete Desinfections- 
einrichtung vorzusehen, sofern nicht am Orte oder in dessen Nachbar¬ 
schaft eine öffentliche Desinfectionsanstalt zur Verfügung steht. 

§ 21. Zur Unterbringung von Leichen ist in allen Anstalten ein 
besonderer Raum herzustellen, welcher lediglich diesem Zwecke dient 
und dem Anblick der Kranken möglichst entzogen ist. Für grosse und 
mittlere Anstalten ist ein besonderes Leichenhaus mit Sectionszimmer 
erforderlich. 

Leichenhaus und Desinfectionshaus dürfen unter einem Dach unter 
der Voraussetzung angeordnet werden, dass beide Anlagen durch eine 
vom Erdboden bis zur Dachfirst reichende massive, undurchbrochene 
Wand getrennt werden. 

IV. Unterbringung der Kranken. 

§ 22. In allen Anstalten müssen männliche und weibliche Kranke, 
abgesehen von Kindern bis zu zehn Jahren, in getrennten Räumen, in 
grossen und mittleren Anstalten in getrennten Abtheilungen unter¬ 
gebracht werden 

§ 23. Für Kranke, welche an ansteckenden, insbesondere akuten 
Eirankheiten leiden, sind in grossen und mittleren Kranken anstalten 
ein oder mehrere Absonderungshäuser, in kleineren Anstalten mindestens 
abgesonderte Räume, wenn möglich in besonderen Stockwerken vor¬ 
zusehen. 

In Irrenanstalten muss mindestens ein Zimmer für ansteckende 
Erkrankungen zu Gebote stehen. 

§ 24. In öffentlichen, sowie in grossen und mittleren Privat- 
Krankenanstalten muss für die vorübergehende Unterbringung eines 
Geisteskranken ein geeigneter Raum mit der erforderlichen Einrichtung 
vorhanden sein. 

§ 25. Zur Feststellung von ansteckenden Krankheiten ist in grossen 
und mittleren öffentlichen Anstalten eine eigene Beobachtungsstation 
einzurichten. 

V. Schluss- und Strafbestimmungen. 

§ 26. Die Vorschriften der örtlichen Baupolizeiordnung bleiben 
insoweit in Kraft, als sie nicht durch die vorstehenden Bestimmungen 
abgeändert werden. 

§ 27. Von den Bestimmungen des § 1 Abs. 1 bis 3, der §§ 2, 
4, 7, 9, 12 Abs. 1, §§ 16, 19 Abs. 1, §§ 20, 21 Abs. 2 kann der 


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Regierungspräsident (für Berlin und Charlottenburg der Polizeipräsident 
von Berlin) in besonderen Fällen Ausnahmen zulassen. 

§ 28. Zuwiderhandlungen gegen diese Polizeiverordnung werden, 
sofern nach den bestehenden Gesetzen keine höhere Strafe verwirkt 
ist, mit Geldstrafe bis zu 00 Mark, eventuell verhältnissmässiger Haft 
geahndet. 

Daneben bleibt die Polizeibehörde befugt, die Herstellung vor- 
schriftsraässiger Zustände herbeizuführen. 

*** Wegsohaffung der Haus* und Tagewftsser. Wenn durch 
mangelhafte Entwässerung eines Grundstücks sanitäre 
Missstände entstehen, ist die Polizei befugt, Anlagen 
zur Wegschaffung der Haus- und Tagewässer vorzu¬ 
schreiben. Einrichtung und regelmässige Entleerung 
von Sammelgruben. Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts 
(1. Senats) vom 5. März 1895. 

Mittelst Verfügung vom 28. April 1894 forderte die Polizeiver¬ 
waltung zu D. den Bäckermeister G. auf, im sanitätspolizeilichen In¬ 
teresse die Jauchenpfütze auf einem Theil des Hofes und im Garten 
seines Grundstücks zu beseitigen, zur Aufnahme der Tages- und Wirth- 
schaftswässer eine massiv gemauerte und mit Cement verputzte Sammel¬ 
grube anzulegen und zu deren Anlage vorher die baupolizeiliche Er¬ 
laubnis nachzusuchen. G. erhob hiergegen Klage mit dem Anträge, 
den angefochtenen Theil der polizeilichen Anordnung aufzuheben, und 
mit der Ausführung: das Grundstück des Klägers liege auf der einen 
Seite tiefer als das nachbarliche und habe auf der andern Seite ein 
noch tiefer liegendes Grundstück. Der Eigenthümer des letzteren habe 
neuerdings auf der Grenze eine massive Mauer gezogen, das Wasser 
habe folgedessen keinen Abfluss, sammle sich auf dem Gruudstück des 
Klägers, und es entstehe mit der Zeit eine stinkende Pfütze; die Polizei¬ 
verwaltung müsse im sanitären Interesse für die Aufnahme und Ab¬ 
leitung des Wassers über das Nachbargrundstück nach der Weichsel 
Sorge tragen. Durch Anlage einer Sammelgrube und Entleerung der¬ 
selben würden sanitäre Uebelstäude — üble Gerüche in Folge der ver¬ 
dorbenen Abwässer — entstehen; auch habe die Polizei einen Platz nicht 
dafür bestimmt, wohin das stinkende Wasser gebracht werden soll. Im 
Winter werde die Grube zufrieren, nicht benutzt und der sich bildende 
Eisklumpen nicht entfernt werden können. Hierauf sei es dem Kläger 
unmöglich, der polizeilichen Verfügung Folge zu leisten. — Die Be¬ 
klagte hält die Klage, den Bestimmungen des § 127 des Landesver¬ 
waltungsgesetzes entsprechend, überhaupt nicht für begründet und be¬ 
streitet, dass die Polizei für Verschaffung der Vorfluth bei Hausgrund¬ 
stücken Sorge zu tragen habe, und dass die Entleerung der Sammel- 
gruben unmöglich sei. Die Grundbesitzer in D. stellten Abfuhrwagen 


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gegen Entschädigung und nähmen den Inhalt der Dünger- und Jauche¬ 
gruben gern zur Verbesserungen ihrer Ländereien. Auf dem eng be¬ 
bauten, von acht Familien bewohnten Grundstücke des Klägers würden 
drei Schweine und ein Pferd gehalten, die Jauche sickere aus der nicht 
wasserdichten Jauchengrube in den Rinnstein des Hofes und fliesse in 
den Garten, ebenso das ganze Wirthschaftswasser der acht Familien; 
aus dem tiefer als die Nachbargrundstücke liegenden Garten habe das 
Wasser gar keinen Abfluss, hierdurch entständen üble Gerüche, was 
sanitätspolizeilich nicht geduldet werden könne. 

Der Bezirksausschuss zu D. wies durch Vorbescheid vom 15. August 
1894 die Klage mit der Ausführung zurück, dass die Nothwendigkeit 
und Angemessenheit der auf Grund des § 10, Titel 17, Theil II des 
Allgemeinen Landreclites an sich gerechtfertigten polizeilichen Anordnung 
nicht zu prüfen und die Unmöglichkeit der Ausführung der letzteren 
nicht dargethan sei. — Gegen diese Entscheidung hat Kläger noch 
Berufung eingelegt und lediglich unter Bezugnahme auf die Aus¬ 
führungen der Klage die Aufhebung der angefochtenen Anordnung 
wiederholt beantragt, während die Beklagte auf Abgabe einer Gegen¬ 
erklärung verzichtet hat. 

Die Bestätigung der Vorentscheidung unterlag keinem Bedenken. 
Die Polizeibehörde ist auf Grund des § 10, Titel 17, Theil II des 
Allgemeinen Landrechts und § 6 zu f des Polizeiverwaltungsgesetzes 
vom 11. März 1850 befugt, gegen den Grundstücksbesitzer einzu¬ 
schreiten, wenn durch mangelhafte Entwässerung seines Grundstücks 
sanitäre Missstände entstehen; insbesondere kann sie auch die Auf¬ 
sammlung von Jauche und anderen übelriechende und schädliche Aus¬ 
dünstungen verursachenden Flüssigkeiten in nicht vorschriftsmässigen 
Behältern oder das Verbleiben solcher auf dem Gehöfte ohne Behälter 
verbieten. 

Dass die Entwässerung der Gebäude lediglich Sache der Eigen¬ 
tümer ist und nicht etwa von der Polizeibehörde dafür nach den 
Grundsätzen des Vorfluthedicts vom 15. November 1811 Sorge zu 
tragen ist, hat die Rechtsprechung gleichmässig angenommen. Endlich 
ist die Polizeibehörde auch wohlbefugt, Anlagen zur Wegschaffung der 
Haus- und Tagewässer vorzuschreiben, wobei es dem von der Anord¬ 
nung Betroffenen überlassen bleiben muss, seinerseits nachzuweisen, 
dass er auf andere Art den von der Behörde wahrzunehmenden In¬ 
teressen zu genügen vermag. Zu jenen Anlagen gehören auch die 
Einrichtung und die regelmässige Entleerung von Sammelgruben auf 
den Grundstücken der Hauseigenthümer; solche Anordnungen sind da¬ 
her auch Gegenstand zahlreicher Polizeiverordnungen. Im vorliegenden 
Falle handelt es sich nach den unbestrittenen Ausführungen der Be¬ 
klagten und den Zugeständnissen des Klägers selbst um sehr erhebliche 
polizeiliche Missstände, da die Wirtlischaftswässer des stark bewohnten 


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klägerischen Grundstücks aus diesem keinen ordnungsmässigen Abfluss 
haben und ausserdem die aus der Dunggrube austretende Jauche durch 
die vorhandene Rinne in den Hof und Garten fliesst und hier eine 
stinkende Pfütze bildet Zur Abstellung beider Uebelstände ist die 
Beklagte den Kläger anzuhalten ganz zweifellos berechtigt und ver¬ 
pflichtet. Die Einwendungen des Klägers sind vom Vorderrichter mit 
Recht für unzutreffend erachtet. Die Abfuhr des Inhalts der so oft 
als erforderlich zu entleerenden Saramelgrube lässt sich nach den un¬ 
widersprochenen Angaben der Beklagten sehr wohl bewerkstelligen. 
Auch kann die Grube so angelegt und die Art der Entleerung so ein¬ 
gerichtet werden, dass die vom Kläger befürchteten Missstände thun- 
lichst vermieden werden. Die Unmöglichkeit, den von der beklagten 
Polizeibehörde an ihn gestellten Anforderungen zu entsprechen, hat der 
Kläger in keiner Weise nachgewiesen. Im Uebrigen ist die Nothwen- 
digkeit und Angemessenheit jener Anforderungen im Verwaltungsstreit¬ 
verfahren nicht zu prüfen. 

(Vgl. Zeitschr. für Medicinalbeamte 1895, No. 19, Beilage.) W. 

*** Von erheblicher Bedeutung für alle Gemeinden mit centraler 
Wasserversorgung ist das nachfolgende Urtheil des Oberver¬ 
waltungsgerichts (IV. Senats) vom 10. Juli 1895; hiernach 
kann der allgemeine Anschluss an eine städtische Wasserleitung 
durch Polizeiverordnung, aber nicht durch Ortsstatut erzwungen 
werden. 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Polizeiverordnung den 
Zweck verfolgt, durch den Zwang zum Anschluss an die städtische 
Wasserleitung dem Publikum grössere Sicherheit vor Feuersgefahr und 
vor Gefährdung der Gesundheit durch Genuss verseuchten Brunnen¬ 
wassers und unzureichende Verwendung von Wasser zu Reinigungs¬ 
zwecken zu gewähren. Diese Aufgaben entsprechen recht eigentlich 
dem § 10, Tit. 17, Th. II Allg. L. R., sowie dem § t> pos. f und g 
des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850. Das dem¬ 
entsprechende Gebot des Anschlusses an die städtische Wasserleitung 
überschreitet auch nicht die der Polizei dem Einzelnen gegenüber zu¬ 
stehenden Machtvollkommenheiten. Der Kläger hat selbst in seinem 
Schriftsätze vom 7. Juli 1895 erklärt, dass man die Befugniss der Poli¬ 
zeibehörde zum Anschluss an die städtischen Abzugscanäle anerkennen 
müsse. Auch das Oberverwaltungsgericht hat ausgesprochen, dass der 
mit einer Canalisation erstrebte Zweck vollständig und sicher nur bei 
einer allgemeinen Durchführung der Maassregel erreicht werden 
könne, und dass deshalb die Polizeibehörde befugt sei, einen all¬ 
gemeinen Zwang einzuführen und alle bebauten Grundstücke der An¬ 
schlusspflicht zu unterwerfen, gleichviel, ob bei einem oder dem andern 
vielleicht die Entwässerung ohne Gefährdung der Gesundheit in anderer 


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Weise bisher bewirkt worden sei oder fernerhin bewirkt werden 
könnte. Das in dem genannten Schriftsatz des Klägers angeführte Er¬ 
kenntnis des O.-V.-G. vom 9. Januar 1894 stellt nur in Abrede, dass 
ein solcher Zwang mittelst Ortsstatuts eingeführt werden könne, 
weist aber gleichfalls darauf hin, dass eine entsprechende Maassregel 
zu den Befugnissen der Polizei gehöre, wonach in Berlin, und in weit¬ 
verbreiteter Uebung auch anderweit, verfahren sei. Die Gründe, aus 
denen ein polizeilicher Zwang zum allgemeinen Anschluss an eine 
Canalisationsanlage rechtlich zulässig erscheint, treffen aber im Wesent¬ 
lichen auch bei der Wasserleitung in C. zu. Es gilt auch hier, dass 
der mit einer solchen Einrichtung erstrebte Zweck vollständig und 
sicher nur bei einer allgemeinen Durchführung der Maassregel erreicht 
werden kann. 

(Vgl. Zeitschr. für Medicinalbeamte 1895, No. 22, Beilage.) W. 

Der allgemeine Gewerbeverein in München wird im Jahre 1898, in 
welchem der Verein sein 50 jähriges Bestehen feiert, eine Ausstellung 
von Kraft- und Arbeitsmasohinen in München veranstalten, deren 
Zweck in erster Linie ist, den Handwerkern Belehrung zu schaffen, 
das Kleingewerbe zu heben und zu fördern und so mit beizutragen 
zur Lösung der socialen Frage, zur Lösung des Widerstreites zwischen 
Klein- und Grossgewerbe. 


Literatnrbericht. 


Schlockow, Der preussische Physikus. Vierte vermehrte Auflage. Be¬ 
arbeitet von Dr. E. Roth und Dr. A. Leppmann. Berlin, Verlag von 
Richard Schoetz, 1895. 

In dem verhältnissmässig kurzen Zeitraum von neun Jahren erlebt 
das Buch die vierte Auflage, ein Beweis, dass dasselbe viele Freunde 
gefunden hat; vielen ist dasselbe ein unentbehrlicher Rathgeber ge¬ 
worden, besonders unter denjenigen Aerzten, welche viel mit sanitäts¬ 
polizeilichen und gerichtlich medicinischen Begutachtungen sich be¬ 
schäftigen. 

Das Buch zerfällt in zwei Bände; der erste behandelt die gesammte 
Medicinal- und Sanitätspolizei, der zweite die gerichtliche Medicin. 
Die erste Abtheilung des ersten Bandes gibt uns einen vollständigen 
Ueberblick über die Organisation der Medicinalbehörden und deren dienst¬ 
lichen Obliegenheiten, wobei auch die ärztliche Standesvertretung eine 
ausführliche Berücksichtigung gefunden hat. Dabei ist auch das Attest- 

Centnüblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 5 


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wesen eingehend behandelt. Die zweite Abtheilung führt uns ein in 
das Apothekenwesen und deren Beaufsichtigung, wobei auch die jüngsten 
gesetzlichen Veränderungen in demselben, ebenso die neuen gesetzlichen 
Bestimmungen über den Handel mit Giften aufgeführt sind; ferner die 
Drogenhandlungen, das Hebammenwesen und das Heildienerwesen. 
In ganz knapper Form sind in einem ferneren Capitel die Kranken¬ 
häuser und deren Beaufsichtigung behandelt; sodann die Schulen, die 
Schulhygiene, die Maassregeln zur Verhütung der Uebertragung an¬ 
steckender Krankheiten durch die Schule, Schliessung derselben etc. 
In dem viel umfassenden Capitel Nahrungs- und Genussmittel sind zu¬ 
erst die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen über den Verkehr mit 
Nahrungsmitteln, über den Gebrauch gesundheitsschädlicher Farben und 
Metalle bei Herstellung von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen 
aufgeführt, wonach tibergegangen wird auf die einzelnen Nahrungs¬ 
mittel, unter welchen besonders eingehend das Fleisch, das Schlacht¬ 
hauswesen, die Fleischschau und die entsprechenden gesetzlichen Be¬ 
stimmungen Berücksichtigung finden. Im Capitel Desinfectionskrank- 
heiten sind hauptsächlich die vielen im Laufe der Zeit ergangenen gesetz¬ 
lichen Bestimmungen, Erlasse und Verordnungen etc. aufgeführt, wobei 
die Pocken mit dem Impfwesen, die Tuberkulose, besonders aber die auch 
von den Behörden mit besonderer Liebe behandelte Cholera naturge- 
mäss den grössten Raum einnehmen. Es folgen das Leichen- und Be- 
erdigungsweseu, sodann die gewerblichen und industriellen Anlagen mit 
den auf das Wohl und den Schutz der arbeitenden Classen gerichteten 
gesetzlichen Bestimmungen der letzten Jahre; ferner in kurzer Form 
Wohnungen, Gastwirthschaften und Gefängnisse und endlich das 
Irren wesen. 

Es ist sicherlich keine leichte Aufgabe, das ungeheure zu be¬ 
handelnde Gebiet in ein kurzes Compendium so hineinzuzwängen, dass 
dasselbe dem Inhaber wirklich Nutzen bringt. Letzteres ist aber ohne 
Zweifel dem verstorbenen Verfasser und dem ihm folgenden Bearbeiter 
vollständig gelungen, zumal der Verfasser selbst ja nicht beabsichtigte, 
ausführliche Abhandlungen über die einzelnen Theile des grossen Ge¬ 
bietes zu schreiben; der Hauptwerth des Buches liegt ja besonders 
darin, bei den an uns herantretenden Aufgaben uns ein Führer zu 
sein, ganz besonders hinsichtlich der gesetzlichen etc. Bestimmungen, 
was bei dem Chaos der Gesetze, Erlasse und Verordnungen etc. ohne 
eine derartige Handhabe sehr schwer sein dürfte; es ist hier klar und 
übersichtlich zusammengetragen, was wir uns sonst mit grosser und 
zeitraubender Mühe zusammensuchen müssten. 

Der zweite Band behandelt die gerichtliche Medicin; in seiner 
ersten Abtheilung die gerichtliche Medicin im Specielleu. Knapp und 
zusammengedrängt, dabei klar und präcise und das Wesentliche voll 
berücksichtigend, gibt uns der Verfasser, Dr. Leppmann, in trefflicher 


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Weise eine Abhandlung der gerichtlichen Medicin. In derselben Weise 
gibt uns der auch nach dieser Richtung bekannte Verfasser einen 
Ueberblick über die gerichtliche Psychiatrie, schildert kurz die Formen 
des Irreseins, gibt eine Anleitung zur Untersuchung des Geisteszu¬ 
standes und dessen Beurtheilung in civil- und strafrechtlicher Beziehung. 

In der Bücherei des Arztes wird sich das vorliegende Buch sicher¬ 
lich als nützlich erweisen. Dr. Longard (Köln). 

Eduard Pfeiffer, Eigenes Heim und billige Wohnungen. Ein Beitrag 
zur Lösung der Wohnungsfrage, mit besonderem Hinweis auf die Erstellung 
der Colonie Ostheim-Stuttgart. Mit 8 lithographirten Tafeln. 1896. 

Das vorliegende Werk gelangte bei Gelegenheit der in den Tagen 
vom 11. bis 14. September 1895 in Stuttgart abgehaltenen Versamm¬ 
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zur ersten 
Ausgabe und bildet einen hervorragenden Beitrag zur Lösung der 
Wohnungsfrage insofern, als darin alle den in Rede stehenden Gegen¬ 
stand betreffenden Umstünde in einer Vollständigkeit und Ausführlich¬ 
keit und mit soviel auf praktischen Erfahrungen beruhender Sach¬ 
kenntnis besprochen werden, wie man sonst nicht findet. Alle Fragen 
werden sowohl im Allgemeinen, als auch an der Hand der wirklichen 
Vorgänge bei Gründung und Ausführung der Colonie Ostheim bei 
Stuttgart aufs gründlichste erörtert. 

Nachdem zunächst die Ursachen und Folgen der Wohnungsnoth 
besprochen worden sind, wird auf die Wichtigkeit von Erhebungen 
über die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Classen hingewiesen, wo¬ 
durch allein ein richtiges Bild über die herrschenden Zustände und 
den Umfang des Bedürfnisses an neuen billigen Wohnungen gewonnen 
werden kann. Das was diese Erhebungen in Stuttgart zu Tage ge¬ 
fördert haben, war mehr als genügend, um den dortigen Verein für 
das Wohl der arbeitenden Classen zu veranlassen, sich mit aller Kraft 
der Schaffung einer grösseren Zahl von guten und billigen Familien¬ 
wohnungen zuzuwenden. Aehnliche Erhebungen in anderen, nament¬ 
lich Fabrikstädten, würden ohne Zweifel das Vorhandensein eines noch 
viel grösseren Bedürfnisses ergeben. 

Es wird sodann die Frage erörtert, durch wen die Wohnungen 
hergestellt werden sollen, und dabei des Antheils gedacht, welchen die 
Grossindustriellen, die Gemeinden, der Staat, die Baugenossenschaften, 
die bauenden Actiengesellschaften und die gemeinnützigen Baugesell¬ 
schaften bisher in dieser Richtung genommen haben oder zweckmässig 
in Zukunft nehmen werden. Der Verein für das Wohl der arbeiten¬ 
den Klassen in Stuttgart hatte schon früher mit grossem Erfolg eine 
Herberge für Fabrikarbeiterinnen mit Raum für 200 Frauen und 
Mädchen, sowie ein Arbeiterheim für 240 alleinstehende Männer ge- 

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gründet und konnte daher mit gutem Vertrauen sich nunmehr auch 
der Schaffung von billigen Familienwohnungen zuwenden. 

Sollen die Wohnungen billig werden, so ist vor allen Dingen er¬ 
forderlich, billiges Geld für ihre Herstellung zur Verfügung zu haben. 
Die Quellen, aus denen dasselbe fliessen kann, und die einschlägige 
Gesetzgebung in verschiedenen Ländern werden besprochen. 

Die folgenden Capitel behandeln die Frage, nach welchem System 
gebaut werden soll, ob Familienhäuser oder Miethkasemen; ferner die 
Wahl der Baugrund stücke, die Baupläne der Häuser, die Bauausführung 
und die Baukosten. Diese Capitel enthalten eine grosse Menge werth¬ 
voller Bemerkungen über technische Einzelheiten; gegebenen Falles 
wird auf örtliche Gewohnheiten hingewiesen, welche für die eine oder 
andere Anordnung von Einfluss sind und vielleicht in anderen Orten 
nicht bestehen, so z. B. die Einrichtung einer besonderen Küche für 
jede Wohnung, die Anbringung von Baikonen an den Küchen in jedem 
Geschoss u. dergl. 

Die Gründe, welche zur Erbauung von Einfamilienhäusern oder 
Miethkasemen führen, insbesondere der Einfluss des Preises des Grund 
und Bodens werden eingehend dargelegt. Allerdings werden nach 
unserer Meinung an verschiedenen Stellen des Buches die Miethkasemen 
allzusehr verurtheilt. Wir halten mit dem Herrn Verfasser im Innern 
der Grossstädte die Miethkasemen, draussen vor den Thoren das Ein¬ 
familienhaus und zwischen diesen Grenzfüllen auch Zwischenstufen in 
der Bauart der Häuser am Platz, sind aber nicht der Meinung, dass 
die Miethkasemen gewissermaassen nur als ein nothwendiges Uebel 
und an und für sich überhaupt zu verwerfen seien. In Deutschland 
sind freilich die weitaus meisten Miethkasemen in den Händen von 
Leuten, welche, unbekümmert um das Wohl ihrer Miether, lediglich 
darauf ausgehen, möglichst hohe Miethen zu erzielen, für Verbesserung 
in den Wohnungseinrichtungen daher wenig zugänglich sind. In London 
und anderen englischen Städten dagegen giebt es zahlreiche, meist von 
gemeinnützigen Gesellschaften, die den Zweck verfolgen, für ihre Mit¬ 
glieder eine gute und sichere Capitalanlage und zugleich für die 
unteren Classen der Bevölkerung gute und billige Wohnungen zu be¬ 
schaffen, erbaute Miethkasemen, die an Vortrefflichkeit der Einrich¬ 
tungen nichts zu wünschen übrig lassen. Die Treppenhäuser dienen 
dabei meist nur einer beschränkten Zahl von Wohnungen und sind 
oft unmittelbar der Aussenluft zugänglich. Jede Wohnung ist für sich 
abgeschlossen und enthält innerhalb des Abschlusses ihren besonderen 
Abort und häufig auch einen Einwurf in den Müllschacht. Die Tren¬ 
nung der Wohnungen von einander ist hierbei fast ebenso vollständig 
wie bei Einfamilienhäusern, bei denen an der Strasse Hausthür neben 
Hausthür liegt. Obgleich diese Baugesellschaften in ihre Miethkasemen 
mit Vorliebe kinderreiche Familien aufnehmen, ist doch die Gesund- 


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heit der Bewohner eine ausserordentlich günstige. Die Sterblichkeit 
beträgt nämlich durchschnittlich nur 14 vom Tausend, das ist ungefähr 
soviel wie in den allerbesten Stadtvierteln von London, während der 
Durchschnitt für ganz London etwa 20 und für die ungesunderen Viertel 
im Osten der Stadt 30 bis 40 und mehr beträgt. 

Der Verein für das Wohl der arbeitenden Classen in Stuttgart 
hat in Berücksichtigung der dort vorliegenden Verhältnisse einen Mittel¬ 
weg zwischen Miethkaserne und Einfamilienhaus gewählt, indem er 
Häuser erbaute, die ausser dem Erdgeschoss nur noch ein Obergeschoss 
und ein zu Wohnungen ausgebautes Dachgeschoss haben, wobei aber 
jede Wohnung für sich abgeschlossen ist. Dadurch wurde erreicht, 
dass die Kosten des Grund und Bodens die einzelnen Wohnungen nur 
mässig belasten, dass die Nachtheile der Miethkaserne zum grössten 
Theil vermieden wurden und dass die Möglichkeit erhalten blieb, die 
Häuser in das Eigenthum ihrer Bewohner übergehen zu lassen. Auf 
diesen letzteren Punkt wurde mit Recht aus socialpolitischen Gründen 
grosses Gewicht gelegt; man wollte den Trieb zum Sparen anregen 
und eine sesshafte und besitzende Bevölkerung heranziehen. Der neue 
Besitzer des Hauses wird allerdings, da sein Haus mehrere Wohnungen 
enthält, nun auch Vermiether, und es liegt die Gefahr vor, dass er die 
Miethen nach Möglichkeit hinauftreibt und dadurch dem gemein¬ 
nützigen Zweck des Vereins entgegenwirkt. Um dies zu verhindern, 
ist für ausreichendes Angebot an zu vermiethenden Wohnungen zu 
sorgen, was zum Theil schon durch die Besitzer der anderen Häuser, 
zum Theil aber auch dadurch geschieht, dass der Verein eine Anzahl 
der Häuser dauernd in seinem Besitz behält, so namentlich die Eck¬ 
häuser, welche im Erdgeschoss Verkaufsläden und nur in den oberen 
Geschossen zu vermiethende Wohnungen haben. 

Sollen ferner die Wohnungen dauernd billig bleiben, so ist es 
nöthig zu verhindern, dass durch Speculationsverkäufe der Werth der 
Häuser künstlich in die Höhe getrieben wird. Aus diesem Grunde 
behält sich der Verein ein Vorrecht des Rückkaufes zu einem Preise 
vor, welcher dem ersten Verkaufspreis nach Abzug eines angemessenen 
Betrages für Abnutzung u. s. w. entspricht. 

Wie die hieraus sich ergebenden rechtlichen Verhältnisse, wie 
ferner die Rückstellungen zu Abschreibungen und Reserven, die 
Sicherung gegen Verluste durch Miethausfälle geregelt wurden, wie 
sich das Verhältniss des Vereins zu den Hausanwärtern und zu den 
Miethern gestaltete und wie überhaupt die gesammte Verwaltung ein¬ 
gerichtet wurde und welche finanziellen Ergebnisse erzielt wurden, ist 
in den weiteren Capiteln des Buches ganz ausführlich dargelegt. Der 
ganze Inhalt des Buches, aber unseres Erachtens ganz besonders auch 
dieser letzterwähnte Theil desselben, ist allen denen eindringlichst zuni 


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Studium zu empfehlen, welche sich mit der praktischen Lösung der 
Frage der Beschaffung billiger Wohnungen befassen wollen. 

Bei Gelegenheit der Tagung des Deutschen Vereins ftlr öffentliche 
Gesundheitspflege in Stuttgart fand auch eine Besichtigung der Colonie 
Ostheim statt, und es mag wohl mancher der Theilnehmer an diesem 
Ausflug den Eindruck gewonnen haben, dass die dortigen Häuser doch 
eigentlich nicht Arbeiterwohnungen, weil hierfür zu aufwandreich er¬ 
baut und daher zu theuer seien. 

Der Verein für das Wohl der arbeitenden Classen hat sich von 
Anfang an dagegen verwahrt, dass er nur Wohnungen für Arbeiter in 
dem landläufigen Sinne des Wortes, nämlich nur für Fabrikarbeiter 
und andere Arbeiter der alleruntersten Classen, bauen wolle; er ist 
der Ansicht, dass nicht bloss diese, sondern auch die besser gestellten 
Arbeiter und sogenannten kleinen Leute aller Berufsarten unter der 
herrschenden Wohnungsnoth zu leiden und daher ebensowohl Anspruch 
auf Berücksichtigung haben. 

Von dieser Voraussetzung ausgehend wollte der Verein vor allen 
Dingen gute, gesunde und billige Wohnungen für alle unteren Klassen 
schaffen, und es muss ihm die Anerkennung gezollt werden, dass er 
dies auf zum Theil ganz neuen Wegen und trotz vieler Anfeindungen 
in der vortrefflichsten W'eise erreicht hat. Wenngleich es möglich 
gewesen wäre, bei dem Bau der Häuser vielleicht hier und da noch zu 
sparen, so sind doch auch jetzt schon die Miethpreise der Wohnungen 
so niedrig, dass sie auch für den gewöhnlichen Arbeiter erschwinglich 
sind. Eine Wohnung von drei Zimmern kostet 252—312 Mark, eine 
solche von zwei Zimmern 204—252 Mark, eine Dachwohnung von zwei 
Zimmern 138—180 Mark jährlich. 

Dabei gehört zu jeder dieser Wohnungen ein abgeschlossener Vor¬ 
platz und innerhalb desselben Küche und Abort, ferner ein Kellerraum 
und ein Platz zum Lagern von Brennmaterial, sowie ein bis zwei ab¬ 
geschlossene Räume auf dem Speicher, wovon einer meist auch noch 
als Schlaf- oder Wohn raum benutzt werden kann. Ausserdem ist jede 
Wohnung mit Wasserleitung versehen, und der Wasserpreis ist dem 
Miethpreis bereits eingerechnet. Thatsächlich befinden sich unter den 
537 Miethem der Colonie Ostheim weit überwiegend Lohnarbeiter im 
engeren Sinne, nämlich 420 dem Arbeiterstand angehörige Miether, 
ferner 35 Unterbedienstete von Staat und Gemeinde, 47 Beamte und 
Privatangestellte, 1 Arzt, 1 Geistlicher, 1 Schriftsteller, sowie 32 Kauf¬ 
leute, Wirthe und sonstige Geschäftsleute. 

Die Lösung der Wohnungsfrage ist nicht nur für weite Kreise 
der Bevölkerung, sondern auch für Staat und Gemeinde und ganz be¬ 
sonders für grosse Fabrikstädte von der äussersten Wichtigkeit. Wenn¬ 
gleich in neuerer Zeit vieles in dieser Richtung geschehen ist, wovon 
die Colonie Ostheim in Stuttgart ein hervorragendes Beispiel abgiebt, 


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so ist doch an manchen Orten der Nothstand von so ausserordentlichem 
Umfange, dass dagegen alles, was bisher geschehen ist, geringfügig 
erscheinen muss, und dies hat seinen Grund wohl wesentlich darin, 
dass man in dem löblichen Bestreben, möglichst billige Wohnungen 
herzustellen, den grössten Werth auf möglichst billige Geldbeschaffung 
legt; so billiges Geld in so grossen Summen ist aber nur durch Ver¬ 
mittelung des Staates, der Gemeinden oder öffentlichen Institute auf 
oft sehr umständliche, schwerfällige Weise zu erlangen. Ganz wesent¬ 
lich leichter wird die Capitalbeschaffung sein, wenn man zwar die 
vorerwähnten Quellen nach Möglichkeit benutzt, ausserdem aber auch 
das Privatcapital dadurch wesentlich mit heranzieht, dass man ihm 
einen höheren Zinssatz, z. B. 5 0/ o bewilligt, wonach sich dann wohl 
bald die Ueberzeugung Bahn brechen wttrde, dass die Herstellung 
billiger Wohnungen eine sehr gute, sichere und dabei ergiebigere 
Capitalanlage bildet, als die Anschaffung von Werthpapieren von gleicher 
Sicherheit. Dies ist in England thatsächlich der Fall. Allerdings sind 
in England die Löhne der arbeitenden Classen meist nicht unbedeutend 
höher als bei uns, die Miether der Wohnungen daher auch in der 
Lage, höhere Miethen zu zahlen. Dagegen sind bei uns wiederum die 
Baupreise niedriger als in England, das auf die einzelnen Wohnungen 
entfallende Anlagecapital daher kleiner. Der Einfluss dieser beiden 
Umstände gleicht sich daher einigermaassen aus. 

Der vorher angedeutete Weg ist in grossartigem Maassstab von 
verschiedenen englischen Gesellschaften beschritten worden, so z. B. 
von der Improved Industrial Dwellings Company in London. 

Dieselbe hat eine grosse Anzahl sehr gut eingerichtete Mieth- 
kasernen in den verschiedensten Stadttheilen von London errichtet. 
Die einzelnen Wohnungen haben meist zwei oder drei Zimmer. Jede 
Wohnung ist vollständig abgeschlossen und hat innerhalb des Ab¬ 
schlusses ihren Abort. Die Treppenhäuser sind dem Eintritt der 
Aussenluft frei zugänglich; jedes derselben dient für je vier Woh¬ 
nungen in jedem Geschoss. An jedem Treppenhaus befindet sich ein 
Müllschacht. Die Häuser der Gesellschaft enthielten vor einigen Jahren 
insgesammt 5848 Wohnungen, in welchen rund 26 000 Menschen 
wohnten, so dass auf jede Wohnung durchschnittlich rund 4,85 Be¬ 
wohner kamen. 

Das gesammte Anlagecapital, betrug damals rund 19,4 Millionen 
Mark. Die Anlagekosten der Wohnungen betrugen durchschnittlich 
für den Kopf der Bewohner 812 Mark. Die Miethe der Wohnungen 
beträgt durchschnittlich 2,05 Mark für ein Zimmer wöchentlich oder rund 
218 Mark für eine Wohnung von zwei und 820 Mark für eine Wohnung 
von drei Zimmern; in diesen Preis sind Steuern und Abgaben, Reparaturen, 
Wasserbezug u. s. w. einbegriffen. Die Sterblichkeitsziffer stellte sich für 
die Bewohner dieser Häuser im Durchschnitt einer Reihe von Jahren auf 


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13,7 pro 1000, während sie für ganz London durchschnittlich rund 20 
betrug. Eine Uebertragung ansteckender Krankheiten zwischen den 
Bewohnern verschiedener Geschosse wurde niemals beobachtet, dagegen 
wohl zwischen Bewohnern desselben Geschosses. Diese Fälle konnten 
meist leicht darauf zurückgeführt werden, dass den von der Krankheit 
befallenen Familien von ihren Flurnachbarn Hülfe geleistet worden war. 
Annähernd die Hälfte des gesammten Anlagecapitals ist von der Staats¬ 
regierung hergeliehen, welche auf Grund gesetzlicher Bestimmungen 
bis zu 50 °/o des Bauwerthes der Häuser Capital zu 3 Vs bis 3 8 /s °/o 
Zinsen, je nachdem die Rückzahlung in 20 bis 40 Jahren stattfindet, 
unter der Bedingung beisteuert, dass die Gesellschaft für ihr eigenes 
Capital nicht mehr als 5 °/o Dividende beansprucht. Die andere Hälfte 
ist von den Mitgliedern der Gesellschaft beigesteuert. Diesem letz¬ 
teren Capital ist seit dem Bestehen der Gesellschaft, das ist seit dem 
Jahre 1859, regelmässig eine Dividende von jährlich 5 °/o zugeflossen. 
Der hierüber hinaus sich ergebende Ueberschuss wurde statutengemäss 
zur Erbauung weiterer Wohnungen verwendet. 

Eine andere Gesellschaft, die Artizans, Labourers and General 
Dwellings Company in London befasst sich hauptsächlich mit der Er¬ 
bauung von Einfamilienhäusern. Sie besass vor einigen Jahren in 
London vier grosse Ansiedelungen mit zusammen über 6000 solcher 
Häuser. Die letzteren sind in Reihen nach fünf verschiedenen Grund¬ 
risstypen, aber in wechselnder äusserer Ausbildung erbaut und haben 
vier bis sieben Zimmer. Die Grundstücke haben 4 bis 4,9 Meter Front 
und 18 bis 26 Meter Tiefe. Die Miethpreise betragen 318 Mark für 
den kleinsten und 610 Mark für den grössten Typus jährlich. Diese 
Ausgabe ermässigt sich unter Umständen erheblich durch Unterver- 
miethung einzelner Zimmer an Unverheirathete. 

Die von der letzterwähnten Gesellschaft geschaffenen Wohnungen 
sind schon so hoch im Preise, dass sie meist nur besser gestellten 
Arbeitern, Vorarbeitern, Werkführern u. s. w., sowie kleinen Beamten, 
Privatangestellten und Geschäftsleuten erreichbar sind. Dagegen werden 
die von der ersterwähnten Gesellschaft erbauten Wohnungen fast aus¬ 
schliesslich von gewöhnlichen Lohnarbeitern benutzt, sind aber freilich 
für die alleruntersten Classen der Arbeiter auch noch zu theuer. Diese 
werden wohl immer darauf angewiesen bleiben, sich durch Unter- 
miethung ein nothdürftiges Unterkommen zu suchen. Mittelbar haben 
aber auch sie einen Vortheil, denn wenn die besseren Arbeiterfamilien 
aus diesen schlechten Wohnungen in die ihnen von den Baugesell¬ 
schaften gebotenen bedeutend besseren und nicht oder nur unwesent¬ 
lich theuereren Wohnungen übersiedeln, so werden dadurch zahlreiche 
Wohnungen der ersteren Art frei, es entsteht mehr Angebot, die Be¬ 
sitzer der betreffenden Häuser werden gezwungen, auch diese schlechten 
Wohnungen einigermaassen zu verbessern und die Miethpreise herab- 


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zusetzen, was dann den untersten Schichten der Ajbeiterbevölkerung 
zu gute kommt. 

Es ist bekannt, dass in allen grossen und namentlich Fabrik* 
Städten aus den Wohnungen der allerschlechtesten Art die verhältniss- 
mässig höchsten Mietherträge von den Besitzern erzielt werden und 
von den letzteren daher auch die Schaffung guter und billiger Woh¬ 
nungen durch Vereine und Gesellschaften sehr ungern gesehen wird. 
Von den grauenerregenden Zuständen, welche in den Wohnungen der 
untersten Classen vielfach herrschen, kann sich niemand eine Vor¬ 
stellung machen, der nicht Gelegenheit gehabt hat, solche mit eigenen 
Augen zu schauen. Wer aber dieses Elend kennen gelernt hat, kann 
nur den lebhaftesten Wunsch haben, dass in noch viel grösserem Um¬ 
fange als bisher neue gute und billige Wohnungen geschaffen werden. 
Denjenigen, welche sich mit dieser Aufgabe befassen wollen, wird das 
vorliegende Buch ein ausserordentlich nützlicher und zuverlässiger Weg¬ 
weiser sein. Stadtbaurath Heuser (Aachen). 

Verein für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Iiindenau. General¬ 
bericht für die Zeit vom April 1891 bis Juli 1895. 

Als Zweck der Veröffentlichung des Berichtes wird im Eingang 
desselben lediglich die Absicht bezeichnet, „weitere capitalistische Kreise 
von der praktischen Ausführbarkeit einer dringenden socialwirthschaft- 
lichen Aufgabe zu überzeugen, ohne dass ihnen capitalistische Opfer 
zugemuthet werden“. 

In der Besprechung des Werkes „Eigenes Heim und billige Woh¬ 
nungen“ wurde bemerkt, dass alle die bisherigen Bestrebungen, gute 
und billige Wohnungen für die unteren Classen zu schaffen, unseres 
Erachtens bei Weitem noch nicht genügten, um dem in grossen, nament¬ 
lich in Fabrikstädten herrschenden Bedürfnisse zu begegnen, und dass 
dieses nur dadurch zu ermöglichen sein würde, dass das Privatcapital 
sich mehr als bisher diesen Unternehmungen zuwende und darin eine 
gute und sichere Capitalanlage mit ausreichender Verzinsung finde, wie 
dies in englischen Städten vielfach der Fall sei. 

Die vorliegende kleine Schrift giebt Aufschluss über ein erfolg¬ 
reiches und nachahmenswerthes Beispiel in dieser Richtung. 

Der Verein für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Lindenau 
ist von diesem Grundsatz ausgegangen. Er beansprucht für Verzinsung 
des Anlagecapitals für den Baugrund und die Strassenzüge, sowie des 
Baucapitals 3 °/o Zinsen, ausserdem für den Aufwand für bauliche 
Unterhaltung V 2 °/o und für den Aufwand für Verwaltung und die 
übrigen Ausgaben IV 2 °/o, also im Ganzen 5 0 0 des gesammten Anlage¬ 
capitals. Hiernach sind die Miethen berechnet und wie folgt fest¬ 
gesetzt: Für eine Wohnung, bestehend aus einer zweifenstrigen Stube, 
einer einfenstrigen Stube, Küche und Vorraum, im Erdgeschoss 150 Mark, 


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im ersten Stock 1(J0 Mark, im zweiten Stock 145 Mark und im dritten 
Stock 130 Mark, also im Durchschnitt 146,25 Mark jährlich; ferner 
für eine Wohnung, bestehend aus einer zweifenstrigen und zwei ein- 
fenstrigen Stuben, sowie Küche und Vorraum, im Erdgeschoss 200 Mark, 
im ersten Stock 200 Mark, im zweiten Stock 180 Mark, im dritten 
Stock 155 Mark, also im Durchschnitt 184 Mark jährlich. Der Preis 
einer einfenstrigen Stube beträgt je nach den Geschossen 60, bezw. 50 
und 40 Mark, im Durchschnitt 52,25 Mark jährlich. Für einen Garten 
sind wöchentlich 15 Pfennige zu entrichten. Die Preise der Wohnungen 
stellen sich hiernach ein Sechstel bis ein Fünftel billiger als die orts¬ 
üblichen. 

Der Verein hat zwei Baublöcke von durchschnittlich etwa 87 m 
Tiefe erworben und dieselben rundum mit Miethkasernen bebaut, den 
zwischen den Häusern verbleibenden inneren Raum der Blöcke aber 
in eine grosse Anzahl von kleinen Gärtchen eingetheilt, welche eben¬ 
falls an die Hausbewohner vermiethet werden. 

An dem Kopfende des einen Blockes ist ein Kinderhort und eine 
Wasch- und Badeanstalt errichtet. Die Eckhäuser sind im Erdgeschoss 
mit Kaufläden versehen. Die Gesammtanlage umfasst 39 Wohnhäuser 
und bietet Unterkunft für 400 Familien; bebaut sind im Ganzen 
6956 qm; der zwischen den Gebäuden verbleibende Raum für Höfe, 
Wege und Gärten beträgt rund 15 000 qm; es sind 202 gleich grosse, 
mit Fruchtbäumen bestandene Gärtchen von je 40 qm Fläche vor¬ 
handen, welche viel begehrt und daher leicht vermiethbar sind. 

Die in fortlaufender Reihe erbauten Häuser haben eine Front¬ 
länge an der Strasse von je 14 m und eine Tiefe von 9,70 m; das 
an der Rückseite um 1,82 m vorspringende Treppenhaus, welches zu¬ 
gleich, von den Podesten aus zugänglich, die Aborte enthält, bildet 
den Zugang für je zwei Wohnungen in jedem Stockwerk. Jede Woh¬ 
nung ist gegen das Treppenhaus abgeschlossen. In jedem Stockwerk 
ist ein Zimmer unmittelbar vom Treppenhaus aus zugänglich und 
daher für sich allein vermiethbar; dadurch erhält die eine der beiden 
Familienwohnungen eines Stockwerkes ein Zimmer weniger als die 
andere. 

Von den vorhandenen 400 Wohnungen einschliesslich der 38 ein¬ 
zelnen Stuben war zur Zeit des Herausgebens des Berichtes nur eine 
unbewohnt. Die übrigen waren bewohnt von 710 Erwachsenen und 
1082 Kindern, zusammen 1792 Personen. Der Wohnungswechsel hat 
stetig abgenommen; im letzten Jahre sind 36 Miether aus- und 35 
Miether eingezogen. Der gesammte Miethausfall betrug innerhalb des 
letzten Jahres 213 Miethwochen, entsprechend einem Einnahmeverlust 
von 689,75 Mark, das ist ein kleiner Bruchtheil über 1 °/o der Ge- 
sammteinnahme. Dazu kommen aber noch rund 6 °/o an uneinbring¬ 
lichen Miethschulden. Die Miethen werden wöchentlich einkassirt. 


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Die Reinhaltung und die Beleuchtung der Häuser sammt deren Zubehör, 
das Reinigen der Strassen und der Höfe, die Beleuchtung der Treppen¬ 
häuser, das Schliessen und Oeflhen der Hausthüren etc. ist einer An¬ 
zahl sogenannter Hausmänner, welche Mitbewohner der Ansiedelung 
sind, gegen eine mässige Vergütung übertragen worden. 

Der Anhang der kleinen Schrift enthält das Formular eines Miet¬ 
vertrages nebst Verzeichniss der vermieteten Räume und Gegenstände, 
die Hausordnung, die Gartenordnung, den Dienstvertrag mit den Haus¬ 
männern und die Satzungen der Kinderbewahranstalt. 

Stadtbaurath Heuser (Aachen). 

F. Pollitz, Die Wasserversorgung und die Beseitigung der Abwässer 
grösserer Krankenanstalten unter besonderer Berücksichtigung der 
Irrenanstalten. Vierteljahresschrift für gerichtliche Medicin etc. 1895 
Supplementheft, und 1896, 1. Heft. 

Während in grösseren sowohl als auch in kleineren Städten die 
Krankenhäuser an den im Orte jeweils vorhandenen Einrichtungen für 
Wasserversorgung und Abwässerabfuhr participiren, liegen in den 
grossen Krankenanstalten die .— von einem 'grösseren Gemeinwesen 
mehr oder weniger entfernt gelegen — einen geschlossenen Betrieb in 
sich bilden und auf die Zufuhr von Wasser und die Unterbringung 
ihrer Abwässer selbst bedacht sein müssen, die Verhältnisse wesentlich 
anders und schwieriger. 

Was zunächst für derartige Krankenhäuser die Wasserversorgung 
im Allgemeinen angeht, so lassen sich nach den Ausführungen von 
Pollitz die Forderungen, die zu stellen sind, kurz nach drei Richtungen 
formuliren: man verlangt ein physikalisch, chemisch und medicinisch, 
d. i. bacteriologisch untadelhaftes Wasser, und nur Methoden, die diesen 
Forderungen entsprechen, können bei der Wasserversorgung einer 
Krankenanstalt in Frage kommen. Was zunächst die physikalische 
Beschaffenheit eines Wassers angeht, so hat man kurz zusammengefasst 
folgende Forderungen zu stellen: Das Wasser muss in einer dem Be¬ 
darf der Anstalt genügenden Menge vorhanden sein, es muss klar, von 
angenehmem, nicht fadem Geschmack und geruchlos sein, es darf nur 
geringen, um 10° sich bewegenden Temperaturschwankungen während 
des Jahres unterliegen. 

Ist das Wasser in physikalischer Hinsicht als geeignet anzusehen, 
so kommt weiterhin die chemische Untersuchung in Betracht. Vorzüg¬ 
lich kommen von chemischen Körpern folgende in Frage: 

1. Der Kalk- und Magnesiagehalt, dem Wasser seine Härte verdankt. 

Dieselbe soll 18 deutsche Härtegrade nicht übersteigen. 

2. Die organische Substanz, nachweisbar durch die Chamäleonprobe. 

3. Chlor mittelst Silbernitratlösung als Kochsalz nachgewiesen; die 


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zulässige Menge ist nach Schulz 5 mg, nach Roth 20—30 mg pro 
Liter, nach Niederstädt 3 — 5 Theile auf 100000. 

4. Salpetersäure durch die Brucinreaction und andere nachzuweisen, 
falls keine salpetrige Säure vorhanden ist, soll 2,5 Theile auf 
100000 nicht überschreiten (Niederstädt), 3—4 mg pro Liter 
(Roth). 

5. Von den übrigen chemischen Körpern hat die Phosphorsäure — 
durch ihre Reaction auf Ammonium molybdaenicum nachzuweisen 
— einen besonderen Werth, insofern ihr Vorhandensein mit 
grosser Wahrscheinlichkeit auf unreine Zuflüsse schliessen lässt. 

Besonders die drei letztgenannten Beimengungen bedeuten, falls 
sie in wechselnder Menge, oder in die Durchschnittzahlen wesentlich 
überschreitender Concentration auftreten, auf Verunreinigung durch 
menschliche Ausscheidungen, besonders durchsickernden Harn hin. 

Von ausschlaggebender Bedeutung ist nach der heutigen Auffassung 
ftir die Beurtheilung der Zulässigkeit eines Wassers die medicinisch- 
bakteriologische Untersuchung. Schon eine einfache mikroskopische 
Untersuchung des Wassers lässt Verunreinigungen aus den menschlichen 
Haushalte, wie Fäkalpartikel, Fleischfasern und dergl., aber auch 
ernstere und bedenklichere Beimengungen, wie tbierisclie Parasiten, 
theils in ausgebildetem, theils im Larvenzustand oder deren Eier er¬ 
kennen. Es kommen da Ascaris, Oxyuris, Taenia solium, Tricho- 
cephalus dispar und Distoma hepaticum und hämatobium in Betracht. 
Ausschlaggebend ist jedoch der Nachweis etwa vorhandener pathogener 
Mikroorganismen, wie sie durch die bakteriologische Technik nachge¬ 
wiesen werden können. In Betracht werden vor Allem die Typhus- 
und Cholerabacillen gezogen werden müssen. 

Was den Keimgehalt des Wassers im Allgemeinen angeht, so soll 
derselbe je nach der Entnahmestelle und den äusseren Bedingungen 
möglichst gering und keinen Schwankungen ausgesetzt sein, es darf keine 
Gelegenheit zum Eindringen von Keimen vorhanden sein. 

Die Frage der Wasserversorgung im Speciellen hängt von ver¬ 
schiedenen Umständen, besonders von der geographischen Lage der 
Krankenanstalt ab. Im Allgemeinen soll eine sorgfältig angelegte, vor 
jeglicher Verunreinigung geschützte Grundwasserleitung zur Wasser¬ 
versorgung einer grossen Krankenanstalt vom Standpunkt der Hygiene 
in erster Linie erstrebt werden. Wo dies absolut unmöglich ist, kann 
eine Versorgung durch filtrirtes Oberflächenwasser, das einer stetigen 
sanitätspolizeilichen Controle zu unterwerfen ist, zugelassen werden. 

Im zweiten Abschnitte seiner Abhandlung fasst Pollitz die An¬ 
forderungen, die man an eine hygienisch und sanitätspolizeilich empfehleus- 
werthe und zulässige Beseitigung der Abwässer einer Krankenanstalt 
stellen muss, in folgenden Sätzen zusammen: 


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1. Die Abwässer dürfen weder innerhalb noch ausserhalb der An¬ 
stalt zu einer Quelle von Infection werden. 

2. Dieselben sollen weder Luft, noch Wasser, noch Boden ver¬ 
unreinigen. 

3. Es ist jede Flussverunreinigung zu vermeiden. 

4. Das Anstaltsterrain muss gleichzeitig drainirt werden. 

5. Die in dem Abwasser vorhandenen verwerthbaren Stoffe sind 
unter Bewahrung aller sänitärer Vorschriften, wenn möglich, aus¬ 
zunutzen. 

Von den speciellen Methoden genügt diesen Anforderungen am 
besten die Beseitigung durch eine Canalisation, die alle Abwässer auf¬ 
nimmt. Die Reinigung des Abwassers wird am vollständigsten und 
billigsten durch Rieselfelder erzielt. Wo diese aus localen Gründen nicht 
angelegt werden können, sind die Methoden der künstlichen Reinigung 
heranzuziehen, deren Ergebnisse bei den einfacheren vom sanitäts¬ 
polizeilichen Standpunkte aus nicht einwandsfrei sind. Gruben und 
Tonnensystem sind für Krankenanstalten zu verwerfen. 

Bleibtreu (Köln). 

Ctoorge E. Waring jr., M. J. C. E., Modern Methode of 8ewage Disposal 
for Towns, Public InstitutionB and Isolated Houees. New York und 
London. 

Der Verfasser verfolgte die Absicht, in bequemer Form und inner¬ 
halb mässigen Umfanges die wichtigeren Ergebnisse der neueren For¬ 
schungen und Erfahrungen auf dem Gebiete der Beseitigung und der 
Reinigung städtischer Schmutzwasser zusammenzufassen. 

Dem Fachtechniker wollte er nicht etwas besonders Neues, son¬ 
dern nur einen gedrängten Ueberblick über den augenblicklichen Stand 
der bezüglichen Fragen bieten. Dagegen war es insbesondere seine 
Absicht, denjenigen Laien einen zuverlässigen Wegweiser in die Hand 
zu geben, welche in Folge ihrer Mitwirkung bei der städtischen Ver¬ 
waltung berufen sind, über die zur Beseitigung und Reinigung der 
städtischen Schmutzwasser einzuschlagenden Wege zu entscheiden. Ihnen 
vornehmlich soll dieser Wegweiser in gedrängter Kürze eine Ueber- 
sicht über das ganze fragliche Gebiet geben und sie befähigen, unter 
bestimmten vorliegenden Verhältnissen den für den gegebenen Fall 
zweckmässigsten Weg zu wählen. Der Verfasser ist der hauptsäch¬ 
lichste Vertreter des Trennungssystems in seiner vollen Strenge. Er 
hat es jedoch mit Recht vermieden, in dem vorliegenden Wqrkchen 
seine bezüglichen Ansichten besonders hervorzukehren, behandelt viel¬ 
mehr den Stoff durchaus vorurteilsfrei, rein sachlich und zugleich sehr 
klar und übersichtlich. Ausser den verschiedenen Verfahrungsarten 
zur Beseitigung und Reinigung der Schmutzwasser wird insbesondere 
auch der erforderliche Grad der Reinigung, sowie die durch die höchst 


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bemerkenswerthen und umfassenden Untersuchungen des Massachusetts 
State Board of Health in neuerer Zeit gewonnene Erkenntniss tiber die 
Vorgänge bei der Reinigung des Wassers mittelst Filtration durch den 
Erdboden besprochen. 

Am Schlüsse werden dann noch die für Landhäuser und vereinzelt 
gelegene, von vielen Menschen bewohnte Anstalten, wie Krankenhäuser, 
Irrenanstalten u. dergl. zur Beseitigung und Reinigung der Schmutz¬ 
wasser zu treffenden Einrichtungen erörtert. 

Das kleine Werk kann bestens empfohlen werden. 

Stadtbaurath Heuser (Aachen). 

Dannemann, Geisteskrankheit und Irrenaeelsorge. Ein Wort zur Auf¬ 
klärung und Warnung. Bremen 1895. 

Gegen die Bestrebungen gewisser theologischer Kreise, bei der 
Behandlung von Geisteskrankheiten der Geistlichkeit auf Kosten des 
ärztlichen Einflusses die führende Stellung zu erobern, wendet sich 
das vorliegende Schriftchen Dannemann’s in eindrucksvoller Weise. 
Es ist an das gesammte gebildete Publicum gerichtet, und in der 
That ist es gut, dass die mittelalterlichen Anschauungen, aus denen 
jene Herren ihre Forderungen ableiten, einmal in ihren eigenen 
Worten niedriger gehängt werden. Einer weiteren Polemik bedarf es 
dann wohl nicht mehr. Lieb mann (Köln). 

Oesterreiohi8cher Ingenieur- und Architekten-Verein. Bericht des 
Ausschusses über die Wasserversorgung Wiens. Wien 1895. Verlag 
des Österreich. Ingenieur- u. Architekten-Vereins. 

Mehr als irgend ein anderer technischer Verein greift der Verein, 
dem wir dieses stattliche und sehr umfangreiche Werk über die Er¬ 
gänzung und weitere Ausgestaltung der Wiener Wasserversorgung ver¬ 
danken, durch thätige Mithilfe in die Lösung der grossen, in Wien 
und Oesterreich schwebenden Fragen technischen Inhaltes ein. Der aus 
17 Mitgliedern bestehende Ausschuss hat in 22 Sitzungen den Gegen¬ 
stand berathen, 20 andere Sachverständige in seiner Mitte begrüsst 
und vernommen und dann die Redaction des Berathungs-Ergebnisses 
einem aus den Herren Pollack, Witz, Schurz, Wilhelm und Freund 
bestehenden Unterausschuss übertragen. Das Werk besteht aus den 
Sitzungsprotokollen nebst deren Beilagen und dem eigentlichen Aus- 
schussberichte. Letzterer gliedert sich in die allgemeine Darstellung 
der Aufgabe, die Ergänzung der Hochquellenleitung, die allgemeinen 
Maassnahmen zur Wasserbeschaffung, die Untersuchung der Gewinnungs¬ 
gebiete und in ein klares Schluss-ResumA Der Schrift sind 8 Tafeln 
mit zahlreichen Abbildungen beigegebeu. Zwar ist es hier nicht möglich, 
auf die Wiener Wasserversorgung, ihre Vorzüge und Schattenseiten, 
sowie die Vorschläge des Vereins-Ausschusses sachlich näher einzugehen. 


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Wohl aber kann das bedeutungsvolle Werk des Wiener Ingenieur- und 
Architekten-Vereins nicht bloss zum aufmerksamen Studium empfohlen 
werden, sondern verdient zugleich wegen seiner Uneigenntttzigkeit und 
seines Eifers fUr das Wohl der Bevölkerung unumschränktes Loh. Es 
möge ein Vorbild sein für alle ähnlichen Bestrebungen auf gesund¬ 
heitlichem Gebiete in den technischen und hygienischen Vereinen 
Deutschlands. J. S t ti b h e n. 

Prof. A. di Vesta, Statistische Bemerkungen über die sanitären Be¬ 
dingungen der kleinen Gemeinden. Giornale della reale societä italiana 
d’igiene. October 1894. 

Aus den Veröffentlichungen des italienischen statistischen Amtes 
geht hervor, dass in dem Zeiträume von 1887—90 die Sterblichkeit 
an Masern, Scharlach, Typhus, Diphtherie und Erkrankungen im 
Puerperium auf dem Lande und in den kleinen Städten erheblicher 
war als in den Mittel- und grossen Städten, dagegen kehrte sich bei 
der Pneumonie und der Tuberkulose das Verhältnis um, so dass 
schliesslich die grossen Städte ungünstiger dastehen als die kleinen 
Gemeinden. (274,2:265,1 auf 10 000 Einwohner in den vier Jahren.) 

Um diese auffallende Thatsache näher zu ergründen, untersuchte 
Verfasser speciell das Verhältnis der Todesfälle an Typhus und die 
Kindersterblichkeit. Er theilt zu diesem Zwecke die Gemeinden in 
drei Kategorien: 1) Solche mit über 70 000 Einwohnern. 2) Mittel¬ 
städte. 3) Kleine Gemeinden im eigentlichen Sinne des Wortes. Es 
stellte sich hierbei heraus, dass trotz der grösseren Dichtigkeit der 
Bevölkerung, trotzdem viele Kranke von draussen in die Hospitäler 
der Städte hineingebracht werden, und obgleich die grössere Zahl der 
unehelichen Geburten in den Städten ein ungünstiger Factor für die 
Kindersterblichkeit ist, dennoch fast durchweg die grossen Städte die 
beste Ziffer haben. Dann folgen die Mittelstädte; am schlechtesten steht 
das platte Land. Auf das ganze Königreich berechnet, verhielt sich in 
der Berichtszeit die Typhussterblichkeit wie 1 : 1,04 : 1,81, die Kinder¬ 
sterblichkeit wie 1 : 1,38 :1,38 in diesen drei Kategorien. 

Verfasser zieht den Schluss, dass demnach in den grösseren Ge¬ 
meindeverbänden mehr für die öffentliche Gesundheitspflege geschieht, 
so dass hier die vermeidbaren Erkrankungen gegenüber den kleinen 
Ortschaften erheblich sinken. Er verlangt, dass auch für diese Ge¬ 
meinden mehr als es bisher der Fall gewesen, die staatliche Fürsorge 
in hygienischer Beziehung Platz greifen müsse und glaubt, dass mit 
der Verbesserung der sanitären Verhältnisse auf dem Lande ein wich¬ 
tiges Moment für die Entvölkerung der Landgemeinden und das 
Ueberwuchern der Städte wegfallen würde. 

Dr. Kronenberg (Solingen). 


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Fr. Müller, Die Schlammfieber-Epidemie in Schlesien vom Jahre 1891. 

Münchener med. Wochenschrift 1894, Nr. 40 u. 41. 

Der Verfasser lenkt in diesem Aufsatz die Aufmerksamkeit der 
Aerzte auf eine im Sommer 1891 in mehreren Orten Schlesiens 
beobachtete, eigentümliche epidemische Erkrankung. Die von der¬ 
selben befallenen Gegenden gehörten sämmtlich dem Stromgebiet der 
Oder und deren Nebenflüssen an. Ergriffen waren hauptsächlich die 
Ortschaften um Ratibor, Cosel, Oppeln, Brieg, Ohlau, Breslau und 
Glogau, und zwar fast ausschliesslich die ländliche Bevölkerung. Das 
Ausdehnungsgebiet der Epidemie ist auf einer beigefügten Karte von 
Schlesien kenntlich gemacht. Die Epidemie begann Ende Juni, er¬ 
reichte Ende Juli und im August ihren Höhepunkt, um im October 
zu erlöschen. Es zeichnete sich das Jahr 1891 dadurch aus, dass im 
Odergebiet im März und später während des Sommers der Boden 
durch zahlreiche Ueberschwemmungen sehr durchfeuchtet war, und steht 
wohl hiermit die Epidemie jedenfalls in ursächlichem Zusammenhang. 
Hauptsächlich befallen wurden die im landwirthschaftlichen Betriebe 
beschäftigten jungen, kräftigen Knechte und Mägde, sowie die Drainage¬ 
arbeiter. Kinder und ältere Leute blieben verschont. Unter dem 
Militär wurden nur die Gemeinen und Gefreiten befallen, während 
die Officiere und Unterofficiere frei blieben. Da bei der Gutartigkeit 
der Erkrankung meistens ärztliche Hülfe nicht in Anspruch genommen 
wurde, so ist eine auch nur annähernde Angabe der Erkrankungsfölle 
nicht möglich. Beide Geschlechter waren anscheinend gleichmässig 
befallen, nur in einzelnen Gegenden, wo die Feldarbeit hauptsächlich 
den Frauen obliegt, überwog die Zahl der erkrankten weiblichen Per¬ 
sonen die der männlichen bedeutend, so dass man in einzelnen 
Gegenden die Krankheit sogar als „Weiberkrankheit“ bezeichnete. 
Der typische Krankheitsverlauf war folgender: Plötzlicher Anfang ohne 
Vorboten mit Schüttelfrost, Fieber bis zu 40 und 41 0 C., starke Kopf-, 
Nacken-, Kreuz- und Gliederschmerzen und fast constant heftige 
Schmerzen in der Magengegend und zuweilen Erbrechen. Starke Be¬ 
nommenheit, Delirien, Ohnmachtsanwandlungen, starke Röthe des Ge¬ 
sichts, injicirte Conjunctiven, Pharyngitis mit fleckiger Röthe der 
Tonsillen, Laryngitis, Lymphdrüsenschwellungen am Halse sind mehr oder 
weniger vorhanden, Stuhlgang theils angehalten, theils leicht diarrhoisch. 
Die Milz oft, aber durchaus nicht immer, vergrössert, häufig auch 
Leberschwellung geringen Grades. Das Fieber hielt sich 3—7 Tage 
auf gleicher Höhe. Am 4. — 7. Tage entwickelt sich ein von der 
Schlüsselbeingegend sich über den Rumpf und die Extremitäten ver¬ 
breitendes, das Gesicht oft freilassendes, masern-, bisweilen auch 
scharlachähnliches Exanthem. Herpes bisweilen beobachtet. Nach 
Eintritt des Exanthems verminderten sich mit dem Fieber die Be¬ 
schwerden. Gewöhnlich geschah die Entfieberung lytisch in 2 bis 


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4 Tagen, beobachtet wurde aber auch kritischer Temperaturabfall mit 
Schweissausbruch. 1—3 Tage nach der Entfieberung wurde bisweilen 
ein rasch wieder verschwindendes Nachfieber beobachtet. In der Regel 
ist die Reconvalescenz eine langsame gewesen. Nachdem Verfasser 
zum Beleg für den typischen Verlauf einige Krankheitsgeschichten 
nebst den Fiebercurven mitgetheilt hat, geht er zu den Verlaufs¬ 
anomalien über und erwähnt hierbei, dass neben den leichten und 
abortiven Fällen als Seltenheit auch schwere Fälle vorkamen. Als 
wichtigste Abweichung erwähnt er das Fehlen des Exanthems bei 
sonst gleichen Krankheitserscheinungen. Er glaubt, dass die grossen 
Verschiedenheiten in den Angaben über die Häufigkeit des Exanthems 
unmöglich auf Zufälligkeiten in der Beobachtung zurtickzuführen sind, 
dass vielmehr locale Unterschiede vorhanden waren, die sich eventuell 
durch Annahme eines exogenen Parasiten als Krankheitserregers er¬ 
klären lassen, welcher im Boden und Wasser lebend unter verschiedenen 
Lebensbedingungen verschiedene Eigenschaften annehmen kann. Unter 
den Complicationen und Nachkrankheiten werden vereinzelt Nieren¬ 
entzündungen mit hydropischen Anschwellungen, Menstruationsstörungen, 
Hodenanschwellung, profuses Nasenbluten erwähnt Während Compli¬ 
cationen von Seiten der Respirationsorgane selten beobachtet wurden, 
waren gastrointestinale Störungen sehr häufig. Die beobachteten Leber¬ 
schwellungen verliefen meistens ohne Icterus, jedoch wurden vereinzelte 
Fälle von hepatogenem Icterus immerhin beobachtet. Es ergab sich 
ferner eine eigentümliche Beziehung zum Abdominaltyphus, indem 
häufig im Anschluss an das Schlammfieber ein typischer Abdominal¬ 
typhus auftrat. Der Verlauf der Krankheit war in der überaus grossen 
Mehrheit der Fälle ein gutartiger. Was die Aetiologie angeht, so ist 
es nicht gelungen, den eigentlichen Erreger der Krankheit zu finden, 
jedoch hat man es, nach Müller, wahrscheinlich mit einem im Ursprungs¬ 
gebiet der Oder und deren Nebenflüssen weitverbreiteten exogenen 
Parasiten, etwa einem Fäulnissbacterium, zu thun. Allgemein aber war 
man davon überzeugt, dass die Krankheit mit den Feuchtigkeitsver- 
hältnissen in den überschwemmten Gegenden in Zusammenhang stehen 
müsse; auf welchem Wege jedoch die Infection stattgefunden, ist trotz 
mancher interessanter Beobachtung mit Sicherheit nicht zu eruiren ge¬ 
wesen. Eine directe Contagion von Mensch zu Mensch scheint nach 
den mitgetheilten Beobachtungen wahrscheinlich nur höchst selten statt¬ 
gefunden zu haben. 

Der Verfasser kommt, nachdem er die Identität der Erkrankung 
mit dem exantemathischen Typhus, der Influenza, sowie der Malaria 
durch Anführung gewichtiger Gründe ausgeschlossen hat, zu dem 
Resultat, dass wir es mit keiner der bei uns häufiger vorkommenden 
Infectionskrankheiten zu thun haben; jedoch hat nach seiner Ansicht 
die Krankheit mit dem im Orient einheimischen Denguefieber trotz 

CentmlblaU f. aUg. Geaundheitspflege. XV. Jtüurg. 6 


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einiger Abweichungen manches Verwandte, und ist eine Identificirung 
mit demselben nicht ganz von der Hand zu weisen. Ferner wirft Müller 
die Frage auf, ob wir es nicht mit einer milden Form der unter dem 
Namen Weil’sehe Krankheit bezeichneten Gruppe von Infections- 
krankheiten zu thun haben, indem er sich vorstellt, dass der Icterus 
in der epidemisch auftretenden Weil’sehen Krankheit nicht ein unum¬ 
gänglich nöthiges Symptom darstellt, sondern dass in leichten Fällen 
resp. Epidemien die Krankheit ohne Icterus verlaufen könne. 

Bleibtreu (Köln).- 

W. Pietrueky, Ueber das Auftreten des Fleckfiebers in Schlesien und 

die zu dessen Verhütung geeigneten sänitätspolizeilichen Maassregeln. 

Vierteljahresschrift für gerichtl. Medicin- und öffentliches Sänitätswesen, 

1895, X. Bd., Heft 2, und XI. Bd., Heft 1. 

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung lassen sich folgender- 
maassen zusammenfassen: „Das Fleckfieber, welches seit dem Anfang 
dieses Jahrhunderts in Schlesien in mehreren grossen Epidemien auf¬ 
getreten ist und besonders den Regierungsbezirk Oppeln, wo dasselbe 
bis in die jüngste Zeit endemisch geblieben ist, befallen hat, während 
der Regierungsbezirk Liegnitz von der Krankheit stets verschont ge¬ 
blieben ist, wird fast immer durch den nicht sesshaften Theil der Be¬ 
völkerung (Landstreicher, Vagabunden, Bettler etc.) eingeschleppt und 
ist in hohem Grade contagiös. Die Weiterverbreitung der Krankheit 
wird begünstigt durch das Zusammendrängen von vielen Menschen in 
engen, schlecht ventilirten, unsauberen Räumen, eine unzweckmässige 
oder mangelhafte Ernährung, Durchfeuchtung des Bodens. Als Vor¬ 
beugungsmaassregeln empfiehlt Pietrusky Sorge für genügende Anzahl 
von Wohnungen, speciell bei der Arbeiterbevölkerung, sanitätspolizei¬ 
liche Controle der vorhandenen Wohnungen, namentlich bei nicht 
sesshaften Arbeitern, Hebung der Bildung im Allgemeinen (in den 
Schulen und durch die Presse), Beaufsichtigung des Schlafs teilen wesens 
im Kleinen wie im Grossen (Nachtherbergen, Pennen), ebenso der 
Asyle und Gefängnisse, Bekämpfung des Vagabundenthums auf gesetz¬ 
lichem Wege, Sorge für genügende Ernährung der Bevölkerung in 
Zeiten der Noth und bei Arbeitsmangel, Trockenlegung nassen Terrains, 
Verhütung von Ueberschwemmungen, Ueberwachuug des Eisenbahnver¬ 
kehrs, namentlich bei Epidemien in den angrenzenden Landestheilen, 
Errichtung von Krankenhäusern, Sorge für Krankentransportmittel und 
Räume zur Unterbringung von Leichen. Beim Auftreten einzelner Fälle 
sollen folgende Maassnahmen getroffen werden: Schleunige Anzeige 
jedes auch nur verdächtigen Krankheitsfalles, Isolirung des Kranken, 
am besten in einem Krankenhause, Vermeidung öffentlicher Fuhrwerke 
zum Krankentransport; beim Verbleiben des Kranken in der Behausung: 
Anbringung einer Warnungstafel, nach Ablauf der Krankheit strenge 


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Desinfection des Krankenraumes und der darin befindlichen Sachen, 
schleunige Fortschaffung der Leichen aus dem Hause, Sorge für 
möglichst rasche Beerdigung; im Hause keine Trauerversammlung; 
Verbot des Leichentransports mittelst Eisenbahn. Beim Ausbruch einer 
Epidemie kommen noch folgende Maassnahmen hinzu: Bildung von 
Sänitätscommissionen und energisches Vorgehen der schon bestehenden, 
Sorge für Reinlichkeit des Ortes mit besonderer Berücksichtigung der 
Herbergen, Gefängnisse etc., Durchsuchung der Wohnungen nach 
Kranken, Belehrung der Bevölkerung über die Krankheit und Angabe 
von Verhaltungsmaassregeln, Schliessung der Schulen, Verlegung der 
Impftermine, Verbot grösserer Menschenansammlungen an dem befallenen 
Ort (Jahrmärkte, öffentliche Feste etc.), Sorge für genügende ärztliche 
Hülfe, Berichterstattung Uber den Gang der Epidemie seitens der Orts¬ 
behörde, strenge Beaufsichtigung der Trödler und Lumpengeschäfte, 
gute Ernährung der Kranken und Gesunden, strenge Durchführung 
aller beim Auftreten einzelner Fälle erwähnten Maassnahmen, Regelung 
derselben in einem „Reichsseuchengesetz“, Controle der getroffenen 
Maassregeln durch die Medicinalämter. Bleib treu (Köln). 

Bugenio Di Mattei, Beitrag aum Studium der experimentellen mala¬ 
rischen Infeetion am Menschen und an Thieren. Archiv f. Hygiene, 
22. Bd., 3 Heft, 1895. 

In dem ersten Theil der vorliegenden, sehr interessanten Abhand¬ 
lung behandelt der Verfasser, gestutzt auf die in ätiologischer Be¬ 
ziehung so sehr wichtigen Arbeiten von Laveran, Marchiafava, Celli und 
Guarnieri, die Frage der experimentellen Malaria-Infection am Menschen. 
Neben der Möglichkeit der Malaria-Infection durch subcutane Injection 
von Malariakranken, die Di Mattei an mehreren Fällen experimentell 
feststellte, sucht der Verfasser besonders die Ansicht Golgi’s experi¬ 
mentell zu erhärten, „dass man nicht von einer Einheit der Malaria¬ 
parasiten sprechen kann, sondern dass die verschiedenen Malaria¬ 
formen durch verschiedene Malariaparasiten veranlasst sind, und dass man 
nicht eine Umgestaltung oder Wandlung einer Form in eine andere 
annehmen dürfe. Er ist der Ansicht, „dass die Malariaparasiten sich in 
verschiedene Species scheiden, obwohl in einigen Stadien sich die¬ 
selben in morphologischer Hinsicht nähern, dass jede Species für sich 
einen eigenen biologischen Kreis hat, und dass niemals eine Art über¬ 
geht oder sich wandelt in eine andere.“ 

„Dass zwischen den verschiedenen Arten der Malariaparasiten und 
den Fiebertypen ein unverwischbares Abhängigkeitsverhältniss besteht, 
da die einen als Ursache, die anderen als Effect anzusehen sind; dass 
sich somit auch ein Fiebertypus nicht in einen anderen wandelt, da er 
ja doch von einer Parasitenart, die für sich besteht, verursacht wird.“ 

6 * 


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„Dass bei den Malariafieberformen, wo ein Grund typus fehlt, man 
<>. r t mit so zu sagen unreinen Fällen, mit Mischfällen rechnen muss, 
mit Individuen, deren Organismus zu gleicher Zeit von verschiedenen 
Arten von Malariaparasiten durchdrungen ist.“ 

Im zweiten Theil spricht Verfasser über experimentelle Malaria- 
infection an Thieren und Blutparasiten der Vögel und sucht haupt¬ 
sächlich die Anschauungen Danielewsky’s, welcher von einer voll¬ 
kommenen Identität zwischen den malariaähnlichen Parasiten der Vögel 
und den malarischen des Menschen überzeugt ist, zu widerlegen. Er 
zeigt experimentell, dass im Gegensatz zur Malaria beim Menschen bei 
inficirten Tauben keine Temperaturerhöhung, keine Beziehung zwischen 
Cyclus von Parasiten und Temperatur besteht, dass Chinin und Arsenik 
keine Wirksamkeit zeigen, dass es keinen örtlichen Einfluss giebt. 
Ebenso stellt er fest, dass die erbliche Infection nicht vorkommt und 
dass die künstliche Infection auf dem Wege des Blutes von inficirter 
Taube auf gesunde Taube nicht erreichbar ist. 

Bleib treu (Köln). 

Paul Guttmann (Ottendorf), Gesundheitspolizeiliche Maassnahmen gegen 
Entstehung und Verbreitung von Malaria-Erkrankungen. (Viertel¬ 
jahrsschrift für gerichtl. Medicin und öffentl. Sanitätswesen, Bd. X, 1. Heft.) 

Auf Grund umfangreicher Literaturstudien bespricht Guttmann 
unter besonderer Berücksichtigung der Aetiologie, sowie der geogra¬ 
phischen Ausbreitung der Malaria die Maassnahmen, die gegen die 
Entstehung und Verbreitung dieser Krankheit schützen können. Auf 
die ausführlichen Auseinandersetzungen des Verfassers kann hier nicht 
näher eingegangen werden, sondern es sollen nur die Schlusssätze der 
Arbeit im Wortlaut mitgetheilt werden. 

1. Die Malaria-Infection wird durch die Gegenwart eines bestimmten 
Parasiten im Blutkreisläufe verursacht, welcher zur Classe der 
Protozoen gehört, das Plasmodium malariae. 

2. In Erwartung der definitiven Entscheidung ist es nach dem 
heutigen Stande unseres Wissens noch gestattet, anzunehmen, 
dass dem einheitlichen klinischen und epidemiologischen Bilde 
der Malaria-Erkrankungen auch ein einheitlicher Parasit zu 
Grunde liegt. 

8. Die Malaria-Erkrankungen gehören zu den nicht contagiösen 
(miasmatischen) Infectionskrankheiten, als deren einzige in Be¬ 
tracht kommende Infectionsquelle ein Boden von gewisser Be¬ 
schaffenheit anzusehen ist; doch scheint die Verbreitung durch 
Malariaboden entnommene Erde oder andere Gegenstände, an 
denen die Malariaparasiten zu haften vermögen, nicht ausge¬ 
schlossen zu sein. 


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4. Relativ hohe Feuchtigkeit, zeitweise grosse Wärme und ein ge¬ 
wisser Gehalt an organischen, besonders vegetabilischen Stoffen 
igelten als die hauptsächlichsten, der Entstehung und Verbreitung 
der Malariakrankheiten günstigen Bedingungen des Bodens. 

5. Hindernd wirkt auf die Malariagenese ein: Entwässerung des 
Bodens und dauernde Cultur desselben, desgleichen dauernde 
Ueberfluthung oder Ueberschtittung mit gesunder Erde. 

6. Ueber die Art des Transportes der Malariaerreger aus dem Boden 
in den menschlichen Körper ist Definitives noch nicht bekannt. 
Als wesentlichstes Transportmittel wird die Luft angesehen, auch 
dem Malariaboden entnommenen Trinkwasser wird diese Rolle 
zugeschrieben; die Möglichkeit, dass stechende Insecten die Ver¬ 
mittler bilden, ist nicht ausgeschlossen. 

7. Die Maassnahmen gegen die Entstehung und Verbreitung der 
Malaria-Erkrankungen haben sich gegen alle Momente zu richten, 
die sich von Einfluss auf Entstehung und Verbreitung dieser 
Krankheit erwiesen haben, und bestehen in allgemeinen hygie¬ 
nischen und in persönlichen Schutzmaassregeln. 

A. Die allgemeinen Maassregeln bestehen in 

a) Sanirung des Bodens durch Entwässerung, dauernde Bebauung, 
Erhöhung und Ueberschtittung mit gesunder Erde oder durch 
Ueberfluthung; 

b) Wohnungs- und Schiffshygiene; 

c) Beschaffung gesunden Trinkwassers. 

B. Die persönlichen Schutzmaassregeln umfassen eine Reihe einzelner 
Vorschriften, die sich allgemein etwa folgendermaassen zusammen¬ 
fassen lassen: 

a) Meiden der Malariaherde oder möglichst kurzen Aufenthalt da¬ 
selbst; ist längerer oder dauernder Aufenthalt nicht zu umgehen: 

b) Uebersiedelung in gesunder Jahreszeit. 

c) Möglichste Beseitigung der individuell disponirenden Momente 
durch baldige und möglichst vollkommene Anpassung an die 
Lebensgewohnheiten der Landeseinwohner, besonders in Bezug 
auf Kleidung, Nahrung, Wohnung, Arbeitszeit. 

d) Vermehrung der Widerstandsfähigkeit des Körpers durch allge¬ 
meine Maassnahmen, event. durch medicamentöse (Arsengenuss). 

e) Verhütung des Transports der Malariaerreger in den mensch¬ 
lichen Organismus durch Vermeidung unreinen Wassers, Schlafens 
auf blosser Erde, Aufenthalt im Freien bei Nacht etc. 

f) Prophylactischer Chiningebrauch in Dosen von 1—2 g und in 
grösseren Zeiträumen (6—8 Tagen), aber nur bei vorübergehen¬ 
dem Aufenthalt in Malariagegenden. Der prophylactische, habi¬ 
tuelle Chiningenuss ist als gesundheitsschädlich zu verwerfen. 

Bleib treu (Köln). 


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Diverneresse, Aseptitation des terres con* aminees avant lenr transport 
et leur mise en culture. Revue d’Hygi&ie Tom. XVI, No. 2. 

Die Frage: welche Mittel giebt es, um bei Arbeiten in sumpfigem 
oder inficirtem Terrain sowohl die Arbeiter als auch die Anwohner vor 
der Malaria zu schützen, wurde in Frankreich zuerst 1881, als der 
Kanal Tancarville gegraben werden sollte, gestellt. Die Soci6t6 de 
m6dicine publique und die Academie de m6dicine gaben eine ganze 
Reihe von Schutzvorschriften ftir die Arbeiter; ftir die Anwohner 
empfahlen sie, die fortgeschaffte Erde mit schnellwachsenden Pflanzen 
zu besäen. Die Frage wurde von Neuem angeregt, als im Jahre 1892 
der grosse Kanal des Parks von Versailles und zugleich der See von 
Saint-Mand6 im Bois ausgebaggert werden sollten. Der Kanal war seit 
100 Jahren nicht mehr, ausgeschlemmt worden und verbreitete einen 
sehr starken unangenehmen Geruch. Bei einer Gesammtoberfiäche von 
28 Hectar waren etwa 85 000 cbm Schlamm zu entfernen. 

Zunächst wurde vorgeschlagen, den Kanal trocken zu legen und 
den Schlamm mit Karren fortzuschaffen. Dieses Project wurde jedoch 
als gefährlich verworfen. Auf Grund mehrerer Versuche machte dann 
Dr. Rahot den Vorschlag, den Schlamm durch Lösungen von Eisen¬ 
vitriol und Kalk aseptisch zu machen. Nach diesem Vorschlag wurde 
nun gearbeitet, und zwar derart, dass der Schlamm bei vollem Kanal 
mit einem Saugbagger gehoben wurde. In dem Saugrohr wurde die 
Mischung mit dem Eisensulfat, und zwar 500 gr auf 1 chm Schlamm, 
vorgenommen und später Kalkmilch, 1 kg auf 1 cbm, zugesetzt. Die 
Arbeit wurde im Winter vorgenommen, dauerte 4 Monate und kostete 
200 000 Francs. In dem ganzen Verlauf kam kein Krankheitsfall vor, 
weder bei den Arbeitern noch bei den Anwohnern, nur gingen, wohl 
in Folge der grossen Schlammanschüttung, zahlreiche Bäume längs des 
Kanals ein. 

Der See von St.-Mand& ist ein künstlicher See, der 1860 ge¬ 
graben wurde, eine Oberfläche von 15 000 qm und eine mittlere Tiefe 
von 1 m hat. Seit 1860 war er nicht mehr gereinigt worden, und 
man schätzte die zu entfernende Schlammmasse auf 2449 cbm. Auch 
hier wurde die Desinfection des Schlammes durch Eisenvitriol und 
Kalkmilch vorgenommen, doch war die Methode etwas von der beim 
Kanal von Versailles angewandten verschieden. Zunächst wurde der 
See bis auf 0,15 cm Wasser über dem Schlamm abgelassen und diesem 
Wasser 300 kg Eisenvitriol in gesättigter Lösung und später 600 kg 
ungelöschter Kalk zugesetzt. Nach zwei Tagen wurde das Wasser 
ganz abgelassen, der Schlamm, um ihn zu trocknen, mit Gräben durch¬ 
setzt und gleichzeitig mit Lösungen von Eisenvitriol und Kalk ausgiebig 
begossen. 17 Tage liess man den Schlamm trocknen, dann wurde er 
700 m weit fortgeschafft, ausgebreitet, nachdem vorher noch ein Mal 
Kalk zugesetzt war, und mit einer 5 cm dicken Erdschicht be- 


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87 


deckt. Im Frühjahr 1893 wurde diese mit Wicke und Hafer besäet. 
Die Arbeit dauerte 89 Tage und kostete 10 383 Francs. Fieber¬ 
erkrankungen kamen weder bei den Arbeitern noch bei den Anwohnern 
des Sees yor, auch hatten letztere sich niemals über irgend welche 
schlechten Gerüche zu beklagen. Pröbsting. 

Kruse und Pasquale, Untersuchungen über Dysenterie und Leberabsceas. 

Zeitschr. f. Hygiene XVI, Heft 1. 

In ihrer sehr umfangreichen Arbeit theilen die beiden Verfasser 
die Resultate ihrer auf einer Forschungsreise nach Egypten angestellten 
Untersuchungen über die Erreger der Ruhr und der Leberabscesse 
mit. Nachdem sie in der Einleitung in umfassender Weise die ein¬ 
schlägige Literatur wiedergegeben haben, machen sie Mittheilung über 
die Resultate einer grossen Reihe von ihnen ausgeftihrter Unter¬ 
suchungen des Darm in halte s gesunder Menschen, wobei sie 
recht oft Amöben fanden, ohne dass dieselben den geringsten schä¬ 
digenden Einfluss auf ihren Wirth ausübten. 

Nach Analogie der recht oft zu beobachtenden Thatsache, wonach 
der nämliche Krankheitserreger — z. ß. der Choleravibrio — bei dem 
einen Wirth schwere Krankheitserscheinungen hervorruft, während ein 
anderer Wirth in keiner Weise geschädigt wird, schliessen die Ver¬ 
fasser, dass entweder eine verschiedenartige Disposition der be¬ 
treffenden Individuen oder ein verschiedener Grad der Infections- 
kraft der Parasiten vorkomme. Das Aussehen der verschiedenen 
Amöben, sowohl der infectionstüchtigen bei Ruhrkranken, als auch der 
harmlosen Darmschmarotzer gesunder Menschen, ist nämlich ein voll¬ 
kommen gleiches. 

Sodann berichten die Verfasser über 24 Fälle von Ruhr resp. 
Leberabscessen, bei welchen Amöben theilweise gefunden, theil- 
weise nicht gefunden wurden. Daneben konnten in den Leberabscessen 
häufig verschiedene Bakterienarten nachgewiesen werden. 

Diese bei Ruhr und Leberabscessen isolirten Bakterien werden 
auch eingehend beschrieben, doch sprechen die Verfasser keines der¬ 
selben als Erreger der Ruhr an. 

Es folgt sodann eine Schilderung der anatomischen Darm Verän¬ 
derungen bei Dysenterie und eine Beschreibung der Leberabscesse. 

Züchtungsversuche der Darmamöbfen fielen stets negativ aus; 
die von Kartulis in Strohinfus gezüchteten Amöben waren, wie vor¬ 
auszusehen war und wie auch die Nachprüfungen der Verfasser er¬ 
gaben, keine Darmamöben, sondern Strohamöben. Durch In- 
jection amöbenhaltigen Materials von Ruhrkranken in den 
Mastdarm von Katzen, mit nachfolgendem Verschluss des Afters für 
ca. 24 Stunden durch die Naht, gelang es, typische Ruhr hervor¬ 
zurufen, dagegen nicht bei Verwendung von Amöben aus dem Darm 


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88 


gesunder Menschen, und ebenso wenig durch Injection von Reinculturen 
der aus dem Darminhalt Ruhrkranker gezüchteten Bakterien. 

Nach allen diesen hier kurz angeführten Resultaten kommen die 
Verfasser zu dem Schluss, dass die Amöben für die Ent¬ 
stehung der Ruhr verantwortlich sind, dass jedoch die 
tiefer greifenden Zerstörungen in der Darmwand nur 
mit Hilfe verschiedener nicht specifischer Bakterien 
zu Stande kommen. 

Am Ende ihrer Arbeit stellen die Verfasser dann noch die Be¬ 
hauptung auf, dass man drei Formen von Ruhr unterscheiden müsse: 

1. Die Amöbendysenterie, ein Kind des heissen Klimas, wo 
sie endemisch ist, die aber auch sporadisch in Gegenden der 
gemässigten Zone vorkommt. 

2. Die japanische Dysenterie, bis jetzt nach den allein¬ 
stehenden Mittheilungen Ogata’s als auf Infection mit einem 
specifischen Bacillus beruhend anzusehen. 

3. Die eigentliche Ruhr des gemässigten Klimas mit 
ihren beiden durch Uebergänge verbundenen Formen der d i - 
phtherischen und der katarrhalisch en Ruhr, deren Ent¬ 
stehungsursache bisher noch nicht genügend studirt ist, um klar¬ 
gelegt werden zu können. Vielleicht hat man es bei dieser Ruhr 
mit verschiedenen Krankheitserregern zu thun. 

Dr. D r ä e r (Königsberg i. Pr.). 

Reisch, De la pneulnonie au point de vue epidemiologique. Revue 
d’Hygi£ne Tom. XV, Nr. 10. 

Wenngleich die croupöse Pneumonie auch auf allen Punkten der 
Erde vorkommt, so ist sie doch am häufigsten in den mittleren und 
nördlichen Breitegraden Europas und Nord-Amerikas. Nach Ziemssen 
ist ihre Häufigkeit in den Staaten Mittel-Europas 6 und 7 °/o der 
inneren Krankheiten und 3 °/o der Krankheiten der ganzen Erde. 
Am häufigsten kommt sie in Frankreich, Deutschland, Italien und der 
Schweiz vor. In Betreff der Jahreszeit kommen nach Hirsch von 
100 Fällen von Pneumonie 34,7 auf den Frühling, 29 auf den Winter, 
18,3 auf den Herbst, 18 auf den Sommer. Zahlreiche Versuche, die 
Häufigkeit der Pneumonie von meteorologischen Einflüssen abhängig 
zu machen, haben zu den verschiedensten, zum Theil ganz wider¬ 
sprechenden Resultaten geführt. Ausser diesen jährlichen Schwan¬ 
kungen zeigt die Pneumonie durch eine lange Reihe von Jahren und 
für einen bestimmten Ort verfolgt, ganz erhebliche Frequenzschwan¬ 
kungen, wie solche nur bei ansteckenden Krankheiten Vorkommen. 
Aus diesem Grunde ist es durchaus gestattet, von Pneumonie-Epidemien 
zu sprechen. Ein charakteristisches Merkmal dieser Epidemien ist ihre 
ausserordentlich geringe Neigung, sich über weite Gebiete auszudehnen; 


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89 


Verfasser führt hierfür zahlreiche interessante Beispiele an. Oertliche 
Bedingungen werden daher in der Entstehung solcher Epidemien eine 
hervorragende Rolle spielen. Grosse Schwankungen des Grundwassers, 
schlechter, mit faulender organischer Materie beladener Boden, 
schmutzige Wohnräume können zu grösseren oder kleineren Epidemien 
Anlass geben. Bekannt und oft beobachtet und beschrieben sind die 
Pneumonie-Epidemien in Gefängnissen, von denen Verfasser eine ganze 
Anzahl mittheilt, und die zumeist durch starke Ueberfüllung herbei¬ 
geführt waren. 

Allein ausser diesen mehr oder weniger allgemeinen Bedingungen 
spielen in der Aetiologie der Pneumonie auch rein persönliche 
Factoren eine wichtige Rolle. Solche sind zunächst Erkältungs- 
einflüsse, deren ätiologische Bedeutung in vielen Fällen nicht von der 
Hand zu weisen ist. Ferner hat die Lebensweise insofern einen wich¬ 
tigen Einfluss, als die Pneumonie besonders häufig bei der ärmeren, 
unter schlechten hygienischen Bedingungen lebenden Bevölkerung vor¬ 
kommt. Was das Alter anlangt, so ist das Kindes- und Greisenalter 
am stärksten belastet. Von 503 Fällen kamen nach Jürgensen 
313 = 62 °/o auf das Alter unter 14 Jahren, von den übrigen 190 
Fällen kamen 2 /s auf das vorgeschrittene Alter und das Greisenalter. 
Nach Wolffberg liegt das Minimum zwischen 15 und 40 Jahren. Das 
Geschlecht spielt eine geringe Rolle; nach Keller kommen auf 100 
Fälle 54 Männer und 46 Frauen. Durch Traumen der verschiedensten 
Art kann eine Pneumonie hervorgerufen werden, unter 320 Fällen von 
Pneumonie konnte Litten 14 mal ein Trauma als veranlassende Ursache 
constatiren. 

Als letztes ätiologisches Moment fährt Verfasser dann die Contagion 
an. Erst in der allerneuesten Zeit ist die Ansteckungsfähigkeit der 
Pneumonie durch sichere Beobachtungen erwiesen, und Verfasser bringt 
zahlreiche Belege hierfür bei. So die bekannte Epidemie in der 
Moringer Strafanstalt, wo die Pneumonie durch Wärter, die selbst von 
der Krankheit verschont blieben, auf Familienmitglieder, die nie einen 
Fuss in das Gefängniss gesetzt hatten, übertragen wurde. 

Die vielfachen Versuche, den specifischen Erreger der Pneumonie 
aufzufinden, sind bis jetzt noch nicht von einem sicheren Erfolge ge¬ 
krönt worden. Verschiedene Mikroorganismen sind als Erreger ange¬ 
sprochen worden, aber keiner hat alle Bedingungen, die ein solcher 
erfüllen muss, wirklich erfüllt. Pröbsting. 


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90 


Verzeichntes der bei der Redaction eingegangenen neuen 

Rächer etc. 

Bokelmann, Dr., Der gegenwärtige Stand der prophylaktischen Antisepsis 
in der Geburtshilfe und ihre Durchführbarkeit in der ärztlichen Privat¬ 
praxis. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Frauen¬ 
heilkunde und Geburtshilfe; herausgegeben von Dr. Max Gräfe. H. I.) 
Halle a./S. 1896. Karl Marhold. 8°. 35 S. Abonnementspreis für 1 Bd. = 
8 Hefte 8 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 1,50 Mk. 

Celli, Prof. Angelo, Annali d’igiene sperimentale. Vol. V. (Nuova Serie.) 
Fase. IV. 1895. 8°. Roma, Loescher & Co. 

Fla tau, Dr. Theodor S., Sprachgebrechen des jugendlichen Alters in ihren 
Beziehungen zu Krankheiten der oberen Luftwege. (Sammlung zwang¬ 
loser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Hals¬ 
krankheiten; herausgegeben von Dr. Maximilian Bresgen. H. VIII.) 
Halle a./S. 1896. Karl Marhold. 8°. 59 S. Abonnementspreis für 1 Band 
12 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 1,80 Mk. 

Handbuch der praktischen Gewerbehygiene mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Unfallverhütung. Herausgegeben von Dr. 
H. Albrecht. Mit 756 Figuren. Lfg. V. 8°. Berlin 1896. Robert 
Oppenheim (Gustav Schmidt). Subscriptionspreis 7 Mk. Das vollständige 
Werk 27 Mk., geb. 30 Mk. 

Index-Catalogue of the library of the Surgeon-GeneraTs Office, 
United States army. Autors and subjects. Vol. XVI. W—Zythus. 
8°. XIV u. 822 S. Washington 1895. Government Printing Office. 

Isolani, Wider den Schmutz. Eine Aufforderung zum Kampfe gegen die 
unserer Gesundheit drohenden Gefahren. 8°. 40 S. Zürich 1896. Cäsar 
Schmidt Preis 60 Pf. 

Kalender für Heizungs-, Lüftungs- und Badetechniker. Bearbeitet 
von J. H. Klinger. L Jahrgang 1896. Kl. 8°. München und Leipzig 
1896. R. Oldenbourg. Preis 4 Mk. 

Kroll’s stereoskopische Bilder. 26 farbige Tafeln. Dritte verbesserte Auf¬ 
lage von Dr. R. Perlia, Augenarzt in Crefeld. Hamburg, Leopold Voss. 
Preis 3 Mk. 

Müller, Dr. Aug., Ein rüstiges Alter. Willst Du es erstreben, so musst Du 
nach folgenden Rathschlägen leben. 8°. 150 S. Berlin 1896. Wilhelm 
Möller. Preis 3 Mk. 

Ploetz, Dr. Alfred, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der 
Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältniss zu den 
humanen Idealen, besonders zum Socialismus. 8°. 240 S. Berlin 1895. 
S. Fischer. 

Schanz, Dr. med. F., Augenkrankheiten im Kindesalter. Vortrag gehalten 
bei Gelegenheit der Ausstellung von Erzeugnissen für Kinderpflege, Er¬ 
nährung und Erziehung in Dresden Sommer 1895. 8°. 13 S. Dresden, 
Alex. Köhler. 

—, Wie sollen sich Kinder zu Hause beim Schreiben und Lesen setzen. 
Vortrag gehalten bei Gelegenheit der Ausstellung von Erzeugnissen für 
Kinderpflege, Ernährung und Erziehung in Dresden Sommer 1895. 8°. 
17 S. Dresden, Alex. Köhler. 

State Board of Health of Massachusetts. 26. annual report. 8°. 
892 S. Boston 1895. Wright & Potter Printing Co. 


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91 


Vossius, Prof. Dr. A., Die croupöse Conjunctivitis und ihre Beziehungen 
zur Diphtherie. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete 
der Augenheilkunde; herausgegeben von Prof. Dr. A. Vossius. Heft I.) 
Halle a./S. 1896. Karl Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 
8 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 1 Mk. 

Zeitschrift für sociale Medicin. Organ zur Vertretung und Förderung 
der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes. Herausgegeben von Dr. 
A. Oldendorff. I. Band, 4. Heft. 8°. Leipzig 1895. Georg Thieme. 
Preis des vollständigen Bandes 6 Mk., des einzelnen Heftes 1,20 Mk. 


NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬ 
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaction zur Besprechung 
an die Herren Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der be¬ 
schrankte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine 
Verpflichtung zur Besprec ung oder Rücksendung nicht besprochener Werke 
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen 
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels, 
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren 
Einsendern genügen. 

Die Verlagshandlung. 


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Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege, XV. Band, 2. Heft 1196. 

Appetitlich — wirksam — wohlschmeckend sind: 



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Leipzig, dirig. Arzt. 


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Hümatin (-Eisen) und Hftmoglobulin (als Albuminat) 49,17 % Serumalbumin und 
Paraglobulin (als Albuminat) 46,23%, sämmtliche Blutsalze 4,6%, einige Tropfen 
Ol. Cassiae als indiff. Aromat. — Absolut löslich dureh Kochen ln Wasser. 

Das Spektrum des Hänutlbumins ist identisch mit dem 
Spektrum von künstlich (Pepsin, Salzsäure etc.) verdautem Blut* 
Vollkommener Blutersatz . 

Dm Himalbnmln enthalt 95,4% wasserfreies Etweiss ln verdautem Zustande 
und sämmtliche Mineralsalze des Blutes. 

Hämalbnmin ist ein trockenes, nicht hygroskopisches Pulver, trocken auf 
die Zunge gelegt leicht mit Wasser zu nehmen, durch Kochen in Wasser leicht in 
einen liqnor Haemalbamlnl mit beliebigen Corrigentien zu verwandeln — es wird 
von Jedem Nagen, auch bei Mangel an verdannngsAften, resorbflrt. 
Das Hämalbnmin resorbflrt per Klystier vollständig (3- bis 4mal 
täglich 1 Theelöffel voll bei Kindern, 1 Esslöffel voll bei Erwachsenen in Wasser 
oder Haferschleim gelöst, 5% = klare Flüssigkeit, 10% = Gallerte. 

1 g Hitmalhumln = den festen Bestandteilen von 6 g Blut und = 0 g 
Hühnerei weis». — Dosis durchschnittlich nur 3—6 g pro die. 1 g = 1 Messer¬ 
spitze voll. 

Sichere Wirkung bei Chlorose, Phthisls, Rhachitis, Skrofulöse, Infektionskrank¬ 
heiten, Sehwächezuständen, besonders auch Nervenschwäche, geistiger Ueber- 
anstrenining, angeregelter Menstruation plus oder minus, bei Blutverlusten s. B. 
nach Wochenbett, Operationen etc., Kekonvalescens, verdauunssschwachen Säug¬ 
lingen etc. — Unfehlbarer Appetiterreger. — Koncentrirtestes Nahrungsmittel. — 
Dm Mlligttte eller Eisen -Elweisspraparate! — Gewichtszunahme oft 
8 Pfund and mehr ln 14 Tagen. 20 g = 500 g eines resorblrbaren Liqnor 
ferrl albumlnatl. — Kurkosten pro die 7—15 D. durchschnittlich. — Preis JC 28 per 
Kilo incl. Packung, o—Proben und Litteratur gratis. Q>—o 


Chemische Fabrik F. W. Klever, Köln. 


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Beiträge zur medicinischen Statistik des 
Kreises Tilsit. 

Von 

Dr. Wolfberg, Kgl. Kreisphysikus in Tilsit. 


II. Die ländlichen Gemeinden des Kreises. 

(Vgl Centralblatt 1895, S. 205 ff.) 

1. Grösse der Bevölkerung. 

Nach der Volkszählung vom 1. December 1885 betrug die Be¬ 
völkerung der ländlichen Gemeinden des Kreises Tilsit: 

22321 männl. Personen 
24876 weibl. „ 

47197. 

Die Bevölkerung des ganzen Kreises betrug 69619. 

Von den Bewohnern der ländlichen Gemeinden waren somit 
47,3 % männlichen und 52,7 °/o weiblichen Geschlechts. 

Am 1. December 1890 bestand die ländliche Bevölkerung aus 
21994 = 47,2 °/o männlichen Personen 
24649 = 52,8 °/o weiblichen „ 

46643. 

Die Bevölkerung des ganzen Kreises betrug 71193; die der 
ländlichen Gemeinden hatte sich nur wenig verändert, sie hatte sich 
in 5 Jahren um 554 Personen vermindert, d. i. jährlich um 111. 

Für die späteren relativen Berechnungen sind die nachfolgenden 
Bevölkerungszahlen angenommen worden: 

Tabelle 1. 

Einwohner der ländlichen Gemeinden des Kreises: 

am 1. Juli 1886 in Summa 47133 22283 m. 24850 w. 

„ 1. Juli 1887 „ „ 47023 22218 „ 24805 „ 

CentralMatt f. tilg. Oesnndheitspflege. XV. Jabrg. 7 


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94 


p 


am 1. Juli 1888 in Summa 46913 

„ 1. Juli 1889 „ „ 46803 

„ 1. Juli 1890 „ „ 46693 

„ 1. Juli 1891 „ „ 46643 

„ 1. Juli 1892 „ „ 46643 

B 1. Juli 1893 „ B 46643 


22153 m. 24760 w. 
22088 B 24715 „ 
22023 B 24670 „ 
21994 „ 24649 „ 

21994 „ 24649 B 

21994 B 24649 „ 


Nach den hier eingegangenen Berichten der etwa 20 ländlichen 
Standesämter berechnete ich die nachfolgenden Zahlen für die Ge¬ 


burten und die Sterbefälle. 


2. Die Geburten. 


Tabelle 2. Die Geburten in den ländlichen Gemeinden 
in den Jahren 1886 —1893. 


im 

Jahre 

Summe 

männ¬ 

liche 

weib¬ 

liche 

eheliche 

unehe¬ 

liche 

Lebend¬ 

geburten 

Todtge- 
burten*) 

1886 

2037 

1077 

960 

1820 

214 

1966 

71 

1887 

2197 

1122 

1057 

1942 

229 

2117 

80 

1888 

2059 

1000 

1052 

1848 

204 

1994 

65 

1889 2 ) 

2008 

972 

1022 

1798 

196 

1936 

72 

1890 

1997 

1022 

966 

1758 

230 

1936 

61 

1891 

2052 

1055 

988 

1857 

186 

1987 

65 

1892 

1977 

1047 

913 

1789 

176 

1927 

50 

1893 

2006 

1073 

928 

1791 

210 

1937 

69 


a. Somit betrug die Geburtenhäufigkeit: 

Tabelle 3. 


im Jahre 1886 


J» 

V 

n 

r> 

V 
J) 
n 


; 1887 

„ 1888 
„ 1889 

„ 1890 

7i 1891 
„ 1892 

„ 1893 


mit Einschluss unter Ausschluss 
der Todtgeborenen 


43.2 °/oo E. 

46.7 B 
43,9 B 

45.2 B 

42.8 „ 

44,0 B 
42,4 B 
43,0 B 


41,7 °/oo E. 
44,9 B 

42.5 B 

43.6 B 

41.5 B 

42.6 „ 

41,3 B 
41,5 „ 


Auch in den ländlichen Gemeinden sind die Schwankungen in 
der Natalität nur unbeträchtlich gewesen. Die durchschnitt- 


*) Die Summen sind nicht völlig gleich, da in allen Jahren für einzelne 
Geburten nähere Angaben fehlten. 

2 ) In diesem Jahre gelten die Zahlen für eine Einwohnerzahl von 44403; 
8. die Anmerkung auf S. 208 des vorigen Jahrgangs. 


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95 


liehe Geburtenhäufigkeit belief sich unter Einrechnung der 
Todtgeborenen auf 43,9 °/oo, unter Ausschluss der Todtgeburten auf 
42,4 °/oo E. 

Bemerkenswerth ist diese hohe Geburtenziffer, welche die 
städtische um 11,9 °/oo übertrifft; letztere verhält sich zu dieser wie 
100:137. 

b. Unter 100 Geborenen gab es auf dem Lande: 


Tabelle 4. 


im Jahre 

männliche 

weibliche 

Todt¬ 

geburten 

uneheliche 

Geburten 

1886 

52,9 

47,1 

3,5 

10,5 

1887 

51,5 

48,5 

3,6 

10,5 

1888 

48,7 

51,3 

3,1 

9,9 

1889 

48,7 

51,3 

3,6 

9,8 

1890 

51,4 

48,6 

3,1 

11,5 

1891 

51,6 

48,4 

3,2 

9,1 

1892 

53,4 

46,6 

2,5 

9,0 

1893 

53,6 

46,4 

3,4 

10,5 


Demgemäss waren im Durchschnitt der 8 Jahre von 100 Ge¬ 
borenen 51,5 männlichen, 48,5 weiblichen Geschlechts. Auf dem 
Lande überwiegt die Zahl der männlichen Geburten noch um ein 
Geringes mehr als in der Stadt. Es kamen auf 100 Mädchen- 106,3 
Enabengeburten. Die Zahl der Todtgeburten schwankte zwischen 
2,5 und 8,6 °/o der Geburten und betrug durchschnittlich 3,25 °/o. 
Die unehelichen Geburten betrugen zwischen 9,0 und 11,5 °/o, im 
Durchschnitt 10,1 °/o. Die Zahl der Todtgeburten ist auf dem Lande 
kleiner, die Zahl der unehelichen Geburten grösser als in der Stadt. 

c. Zahl der Geburten in den einzelnen Monaten. 

Tabelle 5. 


Die Zahl der Geburten (einschl. der Todtgeburten) 
betrug: 


im Jahre 

. ■ ■ a 

Januar 

Februar 

N 

«- 

JÄ 

S 

April 

03 

s 

s 

Juli 

August 

September 

October 

November 

December 

1887 

209 

146 

205 

202 

180 

148 

172 

161 

166 

216 

179 

194 

1888 

172 

177 

190 

169 

177 

161 

171 

166 

157 

180 

171 

161 

1890 

174 

163 

172 

162 

183 

163; 

159 

145 

151 

161 

177 

178 

1891 

197 

152 

178 

167 

177 

174 | 

177 

163 

141 

152 

178 

187 

1892 

184 

166 

168 

137 

172 

154 

163 

174 

162 

142 

156 

182 

1893 

172 

142 

167 

140 

182 

175 

185 

165 

167 

175 

169 

162 

in 6 Jahren 

1108 

946 

o 

00 

o 

977 

1071 

1 975 

1027 

974 | 

944 | 

10261 

1030 | 

1064 


7* 


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96 


Somit wurden durchschnittlich an je 100 Tagen geboren: 
Tabelle 6. Geburtenhäufigkeit nach Monaten. 


im 

Januar . 

. 596 

im 

Juli . . 

552 


Februar . 

. 556 

n 

August . 

524 

» 

März . . 

. 581 

n 

September 

524 

n 

April . . 

. 543 

% 

October . 

552 

w 

Mai . . 

. 570 

n 

November 

572 


Juni . . 

. 542 

» 

December 

574 


In gleicher Zeitdauer fanden sonach die meisten Geburten im 
Januar, März, December, November, Mai statt. Es folgen die Mo¬ 
nate Februar, October, Juli, April, Juni; die wenigsten Geburten 
erfolgten im August und September. 

3. Die Sterblichkeit. 


Tabelle 7. Sterbefälle, ausschliesslich der Todt- 

geburten. 


im Jahre 

Summe 

männlich 

weiblich 

Kinder unter 1 Jahre 

ehelich 

unehelich 

1886 

1785 

906 

879 

479 

71 

1887 

1440 

771 

669 

521 

93 

1888 

1315 

672 

643 

475 

85 

1889 0 

1278 

647 

631 

493 

96 

1890 

1314 

693 

621 

415 

83 

1891 

1312 

696 

616 

490 

68 

1892 

1372 

726 

646 

504 

73 

1893 

1358 

688 

670 

509 

81 


Demgemäss betrug die Mortalität: 

Tabelle 8. 

überhaupt für das männliche 

Geschlecht 

für das weibliche 
Geschlecht 

im Jahre 1886 

37,9 °/oo 

40,7 °/oo 

35,4 °/oo 


1887 

30,6 „ 

34,7 . 

26,9 „ 

n » 

1888 

28,0 „ 

30,3 „ 

26,0 „ 

7) n 

1889 

28,1 „ 

30,8 , 

27,0 „ 

» » 

1890 

28,1 „ 

31,5 „ 

25,2 „ 

v » 

1891 

28,1 „ 

31,7 „ 

25,0 „ 

5) 1i 

1892 

29,2 „ 

33,0 „ 

26,2 „ 

r» n 

1893 

29,1 „ 

31,3 „ 

27,2 , 


i) S. die Anmerkung auf S. 94. Die Zahl der männlichen Einwohner 
ist für 1889 zum Zwecke der Mortalitäts-Berechnung hier gleich 21003, die der 
weiblichen gleich 23 400 anzunehmen. 


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97 


Die Mortalität schwankte zwischen 28,0 und 37,9 °/ 00 und be¬ 
trug durchschnittlich 29,9 °/oo. 

Die Sterblichkeit der männlichen Einwohner schwankte zwischen 
30,3 und 40,7 °/oo und war durchschnittlich gleich 33,0 °/oo; die der 
weiblichen Einwohner zwischen 25,0 und 35,4 °/oo und belief sich 
durchschnittlich auf 27,4 °/oo. 

Wie ein Blick auf diese Tabelle zeigt, tritt das Jahr 1886 durch 
besonders ungünstige Verhältnisse hervor und erhöht die durch¬ 
schnittliche Sterblichkeit beträchtlich, mehr noch, als dies für die 
städtische Bevölkerung galt; auch in der Stadt war das Jahr 1886 
das ungünstigste. 

Tabelle 9. Häufigkeit der Sterbefälle in den 
einzelnen Monaten. 

DieZahl der Sterbefälle (ausschliesslich derTodt- 
geburten) betrug: 


im Jahre 

Januar 

u 

cft 

= 

u 

rn 

0 ) 

Marz 

'u 

< 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

October 

November 

December 

1887 

132 | 

1 118 

128 

103 

127 106 155 

117 

1 121 

1 107 

1 114 

112 

1888 

124 

1 111 

120 

101 

104 115 114 

108 

98 

1 120 

98 

102 

1890 

i54; 

106 i 

121 

98 

109 117 119 

80 

92 

120 

92 

106 

1891 

126 , 

94 

93 

106 

107 119 115 

100 

140 

109 

88 

115 

1892 

151 

117 

94 

108 

100 112 1 103 

118 1 

122 

124 

1 115 

108 

1893 

120 

104 

123 

81 1 

92 86 111 

167 

151 

120 

106 

97 

in 6 Jahren 

807 

650 

679 

597 | 

639 655 717 

690 | 

724 

| 700 

1 613 

640 


Durch hohe Sterblichkeit zeichnete sich im Jahre 1887 der 
Monat Juli aus; da eine eigentliche epidemische Krankheit 
nicht verantwortlich zu machen ist, so wird man nicht fehl gehen, 
wenn man als Ursache vorzüglich Brechdurchfälle, insbesondere 
kleiner Bänder, annimmt; worauf wir noch zurückkommen werden. 
Dann treten wieder wie in der Stadt die Januar-Monate der Jahre 
1890 und 1892 hervor, in welchen die Influenza viele Todesfülle 
verursachte. Und ebenso wie in der Stadt brachten uns auf dem 
Lande August und September 1893 zahlreiche Todesfälle (Ruhr- 
Epidemie und Brechdurchfälle). 

In den 6 angeführten Jahren starben an je 100 Tagen der ein¬ 
zelnen Monate: 


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Tabelle 10. 


im Januar . 

. 434 

im Juli . . 

885 

„ Februar . 

. 382 

„ August . 

371 

„ März . . 

. 365 

„ September 

402 

» April . . 

. 332 

„ October . 

376 

„ Mai . . 

. 349 

„ November 

841 

„ Juni . . 

. 364 

„ December 

344 

Somit zeigte der 

Januar die höchste Sterblichkeit; 

es folgt der 


September; dann Juli, Februar, October, August; sodann März und 
Juni; am günstigsten verliefen Mai, December, November und zu» 
mal der April. 

4. Die Kindersterblichkeit. 

Tabelle 11. Die Säuglingssterblichkeit als 
Procentsatz 

der allgemeinen der Lebend- 





Mortalität 

gebürten 

im 

Jahre 

1886 

30,8 

28,0 

r> 

77 

1887 

42,6 

29,0 

n 

Ti 

1888 

42,6 

28,1 

» 

7) 

1889 

46.1 

30,4 

7? 

77 

1890 

37,9 

25,7 

77 

77 

1891 

42,5 

28,1 

7) 

77 

1892 

42,1 

29,9 

77 

77 

1893 

43,5 

30,5 


Die Kindersterblichkeit ist erheblich; insbesondere stellt sie auf 
dem Lande einen sehr beträchtlichen Bruchtheil der allgemeinen 
Mortalität dar. Dies dürfte hauptsächlich darin begründet sein, dass 
die Zahl der Säuglinge in der ländlichen Bevölkerung verhältniss- 
mässig grösser ist als in der Stadt Dies ist wiederum erstlich auf 
grössere Fruchtbarkeit der ländlichen Bevölkerung, d. i. die grössere 
Zahl der Geburten, zurückzuführen; es mag ferner auch zu erwägen 
sein, ob nicht auf dem Lande die Personen mittleren Alters durch 
Wegzug an Zahl zurücktreten; trotz dieses letzteren Umstandes 
könnte die höhere Zahl der Geburten erklärlich bleiben. 

Indem wir die Kindersterblichkeit auf die Zahl der in der 
gleichen Zeit Lebendgeborenen beziehen, wird der Einfluss der 
Natalitäts-Schwankungen auf die Kindersterblichkeit ausgeschaltet. 
Unsere obigen Zahlen zeigen eine bemerkenswerthe Gleichheit, da 
sie nur zwischen 25,7 und 30,5 schwanken. Im Durchschnitt der 
acht Berichtsjahre belief sich die Kindersterblichkeit auf 28,7 °/o. 

Wenn wir nun die Sterblichkeit der ehelichen und der un¬ 
ehelichen Kinder unter einem Jahre berechnen wollen, werden 


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99 


wir von unsera Zahlen einigermaassen im Stiche gelassen, da die 
ländlichen Standesämter erstlich für eine kleine Zahl von Geburten 
keine näheren Angaben brachten. So ist im Jahre 1886 die Zahl 
der Geburten auf 2037 berechnet; wir wissen aber nur von 2034 
Geburten, dass sie aus 1820 ehelichen und 214 unehelichen Geburten 
bestanden. Angesichts der hier meist sehr geringen Differenzen ent¬ 
steht kein wesentlicher Fehler, wenn wir nach dem Verhältnisse 
von 1820 zu 214 die fehlenden 3 Fälle vertheilen. Ln Jahre 1887 
sind es 26; 1888 — 7; 1889 — 14; 1890 — 9; 1891 — 9; 1892 - 12; 
1893 — 5 Fälle, welche in entsprechender Weise auf die ehelichen 
und die unehelichen Geburten zu vertheilen waren. 

Nach Tabelle 4, welche die relative Zahl der unehelichen Ge¬ 
burten für jedes Jahr angibt, berechnen wir somit die rectificirte 
Zahl der ehelichen und unehelichen Geburten, wie folgt: 


Tabelle 12. 
Die Geburten. 


im Jahre 

eheliche 

uneheliche 

Summe 

1886 

1823 

214 

2037 

1887 

1965 

232 

2197 

1888 

1854 

205 

2059 

1889 

1811 

197 

2008 

1890 

1766 

231 

1997 

1891 

1865 

187 

2052 

1892 

1800 

177 

1977 

1893 

1795 

211 

2006 


Nunmehr fehlt uns eine genauere Angabe darüber, wie viele 
von den ehelichen, bezw. den unehelichen Kindern lebend oder 
todt zur Welt kamen. Da wir aber die Zahl der Todtgeburten 
unter der Gesammtzahl der Geborenen kennen, so erhalten wir 
durch eine hiernach (s. Tabelle 4) berechnete Aufteilung der ehe¬ 
lichen und der unehelichen Geburten wenigstens annähernd 
richtige Werthe. Zweifellos ist die relative Zahl der Todtgeburten 
unter den ehelichen Geborenen nicht so gross wie unter den Un¬ 
ehelichen. Die von uns nach dem für die einzelnen Jahre be¬ 
kannten durchschnittlichen Procentsatz der Todtgeburten be¬ 
rechneten Zahlen werden demgemäss für die ehelichen Geburten zu 
gross, für die unehelichen zu klein sein — und umgekehrt die so 
berechneten Lebendgeburten. 


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100 


So erhalten wir 


Tabelle 13. 
Die Geburten. 


im Jahre 

eheliche 

uneheliche 


Lebendgeburten 

Todtgeburten 

Lebendgeburten 

Todtgeburten 

1886 

1759 

64 

207 

7 

1887 

1894 

71 

224 

8 

1888 

1797 

57 

199 

6 

1889 

1746 

65 

190 

7 

1890 

1711 

55 

224 

7 

1891 

1805 

60 

181 

6 

1892 

1755 

45 

173 

4 

1893 

1734 

61 

204 

7 


Berechnen wir nunmehr die Sterblichkeit der ehelichen und der 
unehelichen Kinder bis zu einem Jahre, indem wir die Gestorbenen 
dieses Alters (Tabelle 7) in Beziehung setzen zu den ehelichen und 
den unehelichen Lebendgeburten, so ergibt sich folgende 


Tabelle 14. Kindersterblichkeit 


Sterblichkeit der 





ehelichen 

unehelichen 





Säuglinge 

im 

Jahre 1886 

27,2 °/o 

34,3 °/o 

» 

» 

1887 

27,5 „ 

41,5 „ 

n 

j? 

1888 

26,4 „ 

42,7 „ 

r 

n 

1889 

28,2 „ 

50,5 „ 

7} 

n 

1890 

24,3 „ 

37,1 „ 

n 

n 

1891 

27,1 „ 

37,6 „ 

» 

V 

1892 

28,7 „ 

42,2 „ 

V 

i) 

1893 

29,4 „ 

39,7 „ 


Somit schwankte die Sterblichkeit der ehelichen Kinder des 
ersten Lebensjahres zwischen 24,3 und 29,4 °/o, die der unehe¬ 
lichen Kinder zwischen 34,3 und 50,5 °/o. Die Sterblichkeit der 
ehelichen Kinder betrug im Durchschnitt weniger als 27,3 °/o, die 
der unehelichen mehr als 40,7 °/o. 


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101 


Die Kindersterblichkeit in den einzelnen Monaten. 

Tabelle 15. 


Die Zahl der gestorbenen Kinder unter 1 Jahre (aus¬ 
schliesslich der Todtgeburten) betrug: 


im Jahre 

Januar 

Februar 

März 

April 

*5 
■ S 

Juni 

•“3 

August 

September 

October 

November 

December 

1887 

47 

47 

48 

38 

54 

39 

89 

61 

59 , 

46 

38 

48 

1888 

41 

46 

1 41 

39 

37 

46 

67 

61 

49 ! 

50 

39 

44 

1890 

53 

34 

38 

32 

36 

56 

66 

38 

39 ' 

45 

29 

32 

1&91 

48 

39 

35 ; 

43 1 

43 

47 

73 

59 

66 

44 

30 

! 31 

1892 

46 

45 ! 

28 i 

45 

40 

44 

54 

62 | 

68 j 

63 

44 

38 

1893 

33 

45 i 

1 49 ! 

27 

31 

35 

63 

114 1 

73 

47 

42 

31 

in 6 Jahren 

268 

256 

239 

1 224 J 

241 

267 ! 

412 

395 

354 | 

295 | 

222 

224 


Hier finden wir bestätigt, dass die hohe allgemeine Sterb¬ 
lichkeit, durch welche der Juli 1887 auffiel, bedingt ist durch die 
hohe Kindersterblichkeit dieses Monats. Sodann tritt der August 
des Jahres 1893 durch sehr hohe Kindersterblichkeit aus der Reihe 
heraus. Es war die Zeit, in welcher im Kreise Tilsit viele Fälle von 
Ruhr und Brechdurchfällen tödtlich endeten; diese werden auch 
noch durch die Septemberzahl des Jahres 1893 kenntlich. Weniger 
bemerklich machen sich die Influenza-Epidemien, wenngleich in 
der Stadt wie auf dem Lande in keinem Jahre der Januar mehr 
Kinder-Todesfklle aufweist, als in unserem bisher schwersten In¬ 
fluenza-Monat Januar 1890. 


An je 100 Tagen der einzelnen Monate starben: 

Tabelle 16. Kindersterblichkeit nach Monaten. 


im Januar . 144 
„ Februar . 151 
„ März . . 128 

„ April . . 124 

„Mai . . 130 

„ Juni . . 147 


im Juli. . . 221 
„ August . 212 
„ September 197 
„ October . 159 
„ November 123 
„ December 120 


Nach der Höhe der Todeszahlen geordnet, folgen sich die 
Monate also: 

Juli, August, September, October, Februar, Juni, Januar, Mai, 
März, April, November, December. 

Scheiden wir wegen der besonderen epidemischen Ereignisse 
das Jahr 1893 aus, so ergeben sich nachfolgende Zahlen: 


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102 


Tabelle 16a. Kindersterblichkeit nach Monaten. 


Es starben an je 100 Tagen: 
im Januar . 152 
„ Februar . 149 
„ März . . 123 

„ April . . 131 

„ Mai . . 135 

„ Juni . . 155 


im Juli. . . 225 
„ August . 181 
„ September 187 
„ October . 160 
„ November 120 
„ December 125 


Die Kin der s terbli chkei t war am geringsten im November und 
annähernd ebenso gering im December; auf ebenso niedriger Stufe 
steht sie im März, steigt im April, Mai und Juni an, um im Juli 
einen sehr hohen Stand zu erreichen; sehr beträchtlich ist sie noch 
im August und im September, im October noch etwas höher als im 
Juni. In den kältesten Monaten — im Januar und Februar — 
ist die Sterblichkeit wesentlich geringer als in den heissen, aber 
doch weniger günstig als in den milden Jahreszeiten. 

Verwerthbare Mittheilungen über die Todesursachen können 
nicht gegeben werden. — 

Die Verhältnisse der Jahre 1894 und 1895 sollen unter Be¬ 
rücksichtigung der Ergebnisse der letzten Volkszählung in einem 
späteren Berichte besprochen und ein Vergleich zwischen der Stadt 
und den ländlichen Gemeinden hinzugefügt werden. 


Kindersterblichkeit und ärztliche Hilfe, sowie 
zur Statistik der Todesursachen 1 ). 

Von 

Dr. Wolffberg, Kgl. Kreisphysikus in Tilsit. 


Die Frage, ob wir eine wissenschaftlich verwerthbare Stati¬ 
stik der Todesursachen für Preussen, bezw. für Deutschland 
besitzen, muss m. E. verneint werden. Auch die Statistik, welche 
die „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes“ in ihren wöchentlichen, bezw. monatlichen Nach Weisungen 
bieten, darf nur mit Vorsicht benutzt werden. Die Städte, aus 


*) Zugleich dritter Theil der Beiträge zur medicinischen 
Statistik des Kreises Tilsit; vgl. Ceutralblatt für allgemeine Gesund¬ 
heitspflege. 1895, S. 205; 1896, S. 93. 


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103 


denen die Sterblichkeitsvorgänge hier berichtet werden, geben ihre 
Mittheilungen überwiegend zwar „auf Grund ärztlicher Todtenscheine 
oder lassen die Nachweisungen wenigstens von einem Arzte zu- 
sammenstellen oder prüfen“. In wie vielen Städten die Angaben 
der Standesämter auf ärztlichen Todtenscheinen beruhen, weiss ich 
nicht Jedenfalls sind die ärztlichen Todtenscheine das sicherste 
Hülfsmittel, um einige Zuverlässigkeit für die standesamtlichen 
Nachrichten zu gewinnen. Sofern aber die Nachweisungen durch 
einen Arzt nur zusammengestellt oder geprüft werden, ist hierin 
nur ein geringer Fortschritt anzuerkennen. Wie in Tilsit werden 
die Verhältnisse wohl auch in vielen anderen preussischen Orten 
derart liegen, dass nur in den seltensten Fällen dem Standesamte 
ein ärztlicher Todtenschein eingereicht wird. Es sind dann lediglich 
die Angaben der Angehörigen, aus denen der Sekretär des Standes¬ 
amts mit grösserer oder geringerer Findigkeit, mit mehr oder 
minder Vorliebe für diese oder jene Todesursache die Sterbefälle 
in die Spalten des gegebenen Schemas einträgt. Wenn die also 
gefertigten Nachweise nunmehr dem Arzte (wohl meist dem Medi- 
cinalbeamten) zur Kenntnissnahme vorgelegt werden, bevor sie 
dem Kaiserlichen Gesundheitsamte einzusenden sind, so ist der 
Arzt nur selten in der Lage, die Zuverlässigkeit des standesamt¬ 
lichen Berichts zu prüfen. Ob jene unter Masern, Scharlach u. s. w. 
gezählten Todesfälle wirklich den Masern u. s. w. zuzuschreiben 
sind, kann der Arzt jetzt nicht feststellen. Alle diese Zahlen werden 
um so unzuverlässiger, wenn nicht nur keine ärztlichen Todten¬ 
scheine Vorlagen, sondern dem Tode nicht einmal ärztliche Behand¬ 
lung vorherging. 

Eine grelle Beleuchtung erfuhr unsere Todesursachenstatistik 
u. A. dadurch, dass nach den Zusammenstellungen des Standesamts 
in der Stadt Tilsit im Jahre 1894 fünfzig Todesfälle durch 
Diphtherie vorgekommen sein sollten. Auf Grund der durch die 
Stadt-Polizei-Verwaltung angeordneten unbedingten Anzeigepflicht 
waren in demselben Jahre überhaupt nur elf Erkrankungsfälle 
gemeldet worden. Obgleich ich nun keineswegs annehme, dass 
die für die Familienvorstände, Aerzte u. s. w. bestehende Anzeige¬ 
pflicht überall Beachtung findet, ist mir von vornherein zweifellos 
gewesen, dass jene Zahl von 50 Diphtherie-Todesfällen falsch war. 
Die von mir befragten Aerzte theilten mir mit, dass die Diphtherie 
im Jahre 1894 nicht anders als früher nur vereinzelt, gelegentlich 
auch in mehreren Fällen in einer Familie aufgetreten sei. Der 
Sekretär des Standesamts sagte mir mit Recht, dass er ausser Stande 
sei, die Angaben der anzeigenden Personen immer richtig zu be- 
urtheilen. In manchen Fällen sei ja wohl auch keine ärztliche Be¬ 
handlung vorhergegangen. Er hat im besten Glauben Krankheits- 


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104 


fälle bei Kindern, die mit Halsbeschwerden oder mit Athemnoth zum 
Tode führten, zur Diphtherie gerechnet, unter andern Krankheiten 
z. B. Fälle von Scharlach, oft auch die hier sogen. „Brust¬ 
bräune“, welche selbst wieder, medicinisch betrachtet, kein ein¬ 
heitlicher Begriff ist (Bronchitis capillaris, Pneumonia cruposa, 
catarrhalis, Pleuritis). 

Aber nicht bloss die Zahlen für Diphtherie, sondern ebenso 
die für Masern und Scharlach und Brechdurchfall und Kindbett¬ 
fieber u. s. w. sind unsicher. Nicht einmal die Angaben über die 
Häufigkeit des gewaltsamen Todes verdienen unbedingtes Vertrauen. 
Mir ist ein Fall mitgetheilt, in welchem als Todesursache Herz¬ 
lähmung angegeben war, obgleich demnächst Tod durch Selbster¬ 
hängen festgestellt wurde. In einem andern Falle wurde Herzschlag 
verzeichnet, obgleich der Tod durch Körperverletzung erfolgt war; 
Unterleibsleiden statt Verblutung in der Geburt, statt Kindbettfieber; 
Unterleibsentztindung statt Typhus. Wie können die Zahlen für 
Lungenschwindsucht richtig sein, Wenn die Angehörigen oft die 
Krankheit als Lungenleiden, Brustleiden bezeichnen ? u. s. w. u. s. w. 

In der Erwägung, dass ärztliche Todtenscheine die Zuverlässig¬ 
keit der Statistik erhöhen müssen, schien es mir erst erforderlich, 
festzustellen, in wie vielen Fällen etwa eine ärztliche 
Behandlung dem Tode nicht vorhergegangen war. Es 
ist völlig notorisch, dass in unsern ländlichen Gegenden zu der 
Mehrzahl der Krankheitsfälle ein Arzt nicht zugezogen wird. Aber 
wie mochte es in der Stadt sein? Diese hat drei Aerzte für die 
armen Kranken der drei armenärztlichen Bezirke angestellt: für 
den südlichen Theil, zu welchem auch das Dorf Kalkappen zählt, 
für den mittleren und für den östlichen Theil, zu welchem letzteren 
das Dorf Tilsit-Preussen gehört. Die Stadt Tilsit hat die Armen¬ 
pflege für die beiden eben genannten, angrenzenden Dörfer über¬ 
nommen, wie auch für die Stadt und diese beiden Dörfer (mit jetzt 
insgesammt etwa 29 000 Einwohnern) ein gemeinschaftliches Standes¬ 
amt eingerichtet ist. 

Auf meinen Antrag genehmigte der Magistrat, dass der Sekretär 
des Standesamts zu jedem in die Sterberegister einzutragenden 
Todesfall kurz vermerke, ob ärztliche Behandlung stattgefunden 
habe oder nicht Ausserdem wurden wie bisher die Angaben der 
Angehörigen über die Todesursachen aufgenommen. 

Diese Vermerke haben mit dem 14. Mai 1895 begonnen. In 
Folgendem berichte ich über die Ergebnisse bis zum 8. Februar 
1896, d. i. über einen Zeitraum von annähernd neun Monaten 
(271 Tagen), in welchem 580 Todesfälle angemeldet wurden. 


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105 


Hauptübersicht. 


Mal 1805 

(vom 14. ab). 

Todesfälle nach ärztlicher Behandlung 1 ). 


männliche 

weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

32 J. . . . 

Herzschlag 

66 J. . . . 

Herzschlag 

53 J. . . . 

Wassersucht 

3 J. 7 M. . 

Brustbräune 

47 J. . . . 

Lungenentzündung 

40 J. . . . 

Herzschlag 

41 J. . . . 

Herzschlag 

63 J. . . . 

Herzschwäche 

58 J. . . . 

Herzfehler 

16 J. . . . 

Starrkrampf 

4 J. 5 M. . 

Gehirnentzündung 



81 J. . . . 

Schlaganfall 



22 J. . . . 

Herzfehler 



20 J. . . . 

Lungenentzündung 



35 J. . . . 

Herzlähmung 



IVa M. . . 

Brechdurchfall 



83 J. . . . 

Altersschwäche 



74 J. . . . 

Herzschlag 




13 5 


Ohne ärztliche Behandlung. 


6 T. ... 

Lebensschwäche 

53 J. . . . 

Herzschlag 

6 T. ... 

rt 

1 J. 4 M. . 

Brustleiden 

23 T. . . . 

Krämpfe * 

8 M. ... 

Zahnen 

38 J. . . . 

Magenkrebs 

l'/s M. . . 

Krämpfe 

5 T. ... 

Krämpfe 

4 V* M. . . 

Brechdurchfall 

79 J. . . . 

Altersschwäche 

2V» M. . . 

Krämpfe 

1 J. 9 M. . 

Brechdurchfall 

13 T. . . . 

n 


7 7 


Jul. 


Nach ärztlicher Behandlung. 


50 J. . . . 

Brust- und Kopfleiden 

27 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

3 1 /* M. . . 

Brechdurchfall 

64 J. . . . 

Herzfehler 

66 J. . . . 

Wassersucht 

31 J. . . . 

Lungenleiden 

69 J. . . . 

Nierenentzündung 

44 J. . . . 

Unterleibskrebs 

66 J. . . . 

Speiseröhrenkrebs 

41 J. . . . 

Tuberkulose 

39 J. . . . 

Gehirnlähmung 

39 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

1 M. 4 T.. 

Krämpfe 

85 J. . . . 

Altersschwäche 


J ) Uneheliche Kinder unter 1 Jahre sind durch Fettdruck hervor¬ 
gehoben. 


Digitized by ^.ooQle 





















106 


männliche 

weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

5 M. 21 T. 

Magendarmkatarrh 

53 J. . . . 

Brustleiden 

11 M. 25 T. 

Lungenentzündung 

4 M. 9 T. . 

Keuchhusten 

18 J. . . . 

Herzschwäche u. Nieren- 

1 J. 15 T.. 

Abzehrung und Krämpfe 


entzündung 

1 J. 6 M. . 

Gehirnleiden 

68 J. . . . 

Altersschwäche 

80 J. . . . 

Schlaganfall 

20 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

82 J. . . . 

Altersschwäche 

67 J. . . . 

Bückenmarksleiden 

1 J . 

Keuchhusten 

4Va M. . . 

Brechdurchfall 



70 J. . . . 

Brustleiden 



2 J . 

Darmverschliessung 



30 J. . . . 

Lungenschwindsucht 



7 J . 

Halsbräune 



18 

14 


Ohne ärztliche Behandlung. j 

>/4 St. . . . 

Lebensschwäche 

71 J. . . . 

Altersschwäche 

2 M. 6 T. . 

Brechdurchfall 

83 J. . . . 

n 

1 M. 17 T. 

n 

Vs St. . . . 

Lebensschwäche 

3 M. 13 T. 

Krämpfe 

75 J. . . . 

Altersschwäche 

4 M. 26 T. 

Brustleiden 

80 J. . . . 

7? 

10 M. 18 T. 

Krämpfe 

1 M. 9 T. . 

Lebensschwäche 

22 T.. . . 

Krämpfe 

2 M. 12 T. 

Diarrhöe 

63 J. . . . 

unbekannt 

1 J. 3 M. . 

Brustbräune 

4 M. 18 T. 

Krämpfe 

60 J. . . . 

Wassersucht 

3 M. 24 T. 

Brechdurchfall 



8 M. 22 T. 


«» 



11 » 


JTali. 

Nach ärztlicher Behandlung. 


57 J. . . . 

Magenleiden 

11 M. 10 T. 

Zahndurchbruch 

60 J. . . . 

Gehirnschlag 

10 M. 1 T. 

Brechdurchfall 

8 M. 4 T. . 

Krämpfe 

64 J. . . . 

Magenleiden 

41 J. . . . 

Leberkrebs 

6 M. 24 T. 

Brechdurchfall 

13 J. . . . 

Diphtherie 

74 J. . . . 

Gehirnerweichung 

2 M. 26 T. 

Brechdurchfall 

77 J. . . . 

Schlaganfallsfolgen 

2 M. 26 T. 

Lebensschwäche 

31 J. . . . 

Magengeschwür 

86 J. . . . 

Schädelbruch 

53 J. . . . 

Herzleiden 

2 M. 19 T. 

Brechdurchfall 

7 M. 26 T. 

Krämpfe 

33 J. . . . 

Lungenentzündung 

7 J. 

Gehirnentzündung 

78 J. . . . 

Altersschwäche 

6 M. 2 T.. 

Zahndurchbruch 

54 J. . . . 

Brustleiden 

67 J. . . . 

Gelenkrheumatismus 

38 J. . . . 

Krebs 

1 M. 16 T. 

Lebensschwäche 

1 J. 7 M. . 

Gehirnentzündung 

65 J. . . . 

Herzschlag 


Digitized by ^.ooQle 



















107 


männliche 


weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

72 J. . . . 

Herzleiden 

65 J. . . . 

Herzschlag 

2 M. 2 T.. 

Brechdurchfall 

7 M. 26 T. 

Auszehrung 

5 J. 9 M. . 

Folgen von Scharlach 

62 J. . . . 

Herzleiden 


und Diphtherie 

35 J. . . . 

Darmverschliessung 

18 J. . . . 

Gehirnentzündung 

9 M. 17 T. 

Magendarmkatarrh 

8 M. 8 T. . 

Zahndurchbruch 

46 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

19 J. . . . 

Unterl eibsentz ündung 

20 J. . . . 

Lungenleiden 

16 J. . . . 

Lungenleiden 

72 J. . . . 

Herzschlag 


£1 fcfc 


Ohne ärztliche Behandlung. 


40 J. . . . 

Schlaganfall 

25 T.. . . 

Brechdurchfall 

11 St.. . . 

Lebensschwäche 

2 M. 28 T. 

Brechdurchfall 

3 M. 22 T. 

Keuchhusten 

1 M. 12 T. 

Krämpfe 

6 M. 1 T. . 

Brechdurchfall 

16 T. . . . 

n 

3 M. 9 T. . 

» 

3 J. 6 M. . 

Brechdurchfall 

1 M. 26 T. 

Keuchhusten 

17 T. . . . 

Lebensschwäche 

3 M. 16 T. 

Brechdurchfall 

10 M. 14 T. 

Brechdurchfall 

8 J. 

ertrunken 

5 M. 13 T. 

Brechdurchfall 

ii j. . . . 

n 

1 M. 1. T.. 

Lebensschwäche 

7 M. 5 T. . 

Brechdurchfall 

1 M. 24 T. 

Brechdurchfall 

2 M. 2 T. . 

n 

5 M. 28 T. 

Brechdurchfall 

13 T. . . . 

Lebensschwäche 

67 J. . . . 

Brustleiden 

17 T. . . . 

Krämpfe 

1 J. 9 M. . 

Abzehrung 

55 J. . . . 

Rückenmarksschwind¬ 

79 J. . . . 

Altersschwäche 


sucht 

2 M. 10 T. 

Brechdurchfall 

6 T. ... 

Krämpfe 

2 M. 14 T. 

7) 

86 J. . . . 

Altersschwäche' 

1 J. 20 T.. 

XI 

81 J. . . . 

jj 

2 J. 2 M. . 

Krämpfe 

8 M. 4 T.. 

Brechdurchfall 

13 J. 9 M.. 

Kopfleiden und innere 

14 T. . . . 
26 St.. . . 

Lebensschwäche 

n 


Hitze 

2 M. 27 T. 

1 St. . . . 

4 M. 28 T. 

3 M. 19 T. 

8 M. 18 T. 

Auszehrung 

Lebensschwäche 

Krämpfe 

Brechdurchfall 

Brustleiden 




£5 19 


Ancut. 


Nach ärztlicher Behandlung. 


11 J. 7 M.. 

Lungen- u. Nierenkrank¬ 
heit 

3 M. 15 T. 

55 J. . . . 

Hirnschlag 

32 J. . . . 


Darmkatarrh und Nieren¬ 
entzündung 
Lungenschwindsucht 


Digitized by 


Google 












108 


männliche 

weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

4 M. 25 T. 

Brechdurchfall 

62 J. . . . 

Lungenschlag 

1 J. 6 M. . 

Kopfgeschwulst 

4M. ... 

Brechdurchfall 

64 J. . . . 

Lungenentzündung 

45 «J. . . . 

Lungenentzündung 

42 J. . . . 

Darmkatarrh 

60 J. . . . 

Wassersucht 

5 M. 22 T. 

Brechdurchfall 

27 J. . . . 

Unterleibsleiden 

33 J. . . . 

Tuberkulose 

68 J. . . . 

Gehiraschlag 

67 J. . . . 

Speiseröhrenkrebs 

8 M. 22 T. 

Scharlach 

79 J. . . . 

Entkräftung 

73 J. . . . 

Leberleiden 

29 J. . . . 

Gehirnentzündung 

3 M. 20 T. 

Krämpfe 

8 M. 21 T. 

Scharlach 

30 J. . . . 

Tuberkulose 

2 J. 1 M. . 

Gehirn entz ündung 

82 J. . . . 

Altersschwäche 

50 J. . . . 

Magen- u. Nervenleiden 

57 J. . . . 

Brustleiden 

4 J. 2 M. . 

Krämpfe 

76 J. . . . 

Bauchfellentzündung 

3 J. 10 M.. 

Nierenwassersucht 

75 J. . . . 

Altersschwäche 

6 M. . . . 

Darmentzündung 

65 J. . . . 

Mundstarrkrampf 

80 J. . . . 

Lungenentzündung 



6 J. 

Halsbräune 



68 J. . . . 

Herzschlag 




*0 17 


Ohne ärztliche Behandlung. 


15 T. . . . 

Brechdurchfall 

7 M. 17 T. 

Brechdurchfall 

2 M. 22 T. 

rt 

6 M. 3 T. . 

n 

16 T. . . . 

Krämpfe 

27 T. . . . 

r> 

1 Ä. 7 T.. 

Brechdurchfall 

14 T. . . . 

Brechdurchfall 

16 T. . . . 

Krämpfe 

75 J. . . . 

Schlaganfall 

4 M. 18 T. 

n 

7 T. ... 

Lebensschwäche 

4 M. 19 T. 

V 

V» St. . . . 

n 

1 J. 8 T. . 

Brechdurchfall 

26 T. . . . 

Krämpfe 

2 M. 7 T. . 

7 M. 2 T. . 
83 J. . . . 
11 M. 3 t; 

6 M. 8 T. . 
35 J. . . . 

6 T . 

1 M. 3 T. . 

rt 

Brechdurchfall 

Altersschwäche 

Abzehrung 

Brechdurchfall 

ertrunken 

Lebensschwäche 

Krämpfe 

8 M. 1 T. . 

Brechdurchfall 


16 9 


September. 


Nach ärztlicher Behandlung. 


4 M. 24 T. 

Brechdurchfall 

4 M. 28 T. 

71 J. . . . 

Leberleiden 

74 J. . . . 

39 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

1 J. 8 M. . 


Abzehrung 

Bruchleiden 

Scharlach und Diphtherie 


Digitized by v^ooQle 


















109 



m annliche 


weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

6 M. 9 T.. 

Krämpfe 

1 M. 17 T. 

Darmkatarrh 

59 J. . . . 

Herzfehler 

5 J. 10 M.. 

Diphtherie 

1 J. 8 M. . 

Magenleiden 

45 J. . . . 

Unterleibsgeschwulst 

43 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

76 J. . . . 

Altersschwäche 

59 J. . . . 

Brustleiden 

4 M. 2 T.. 

Brechdurchfall 

15 J. 6 M.. 

Tuberkulose 

61 J. . . . 

Herzschlag 

3 J. 6 M. . 

Nierenwassersucht 

28 J. . . . 

Schwindsucht 

30 J. . . . 

Blutsturz 

81 J. . . . 

Altersschwäche 

67 J. . . . 

Herzfehler 

15 St.. . . 

Lebensschwäche 

37 J. . . . 

Gehirnentzündung 

3 J. 1 M. . 

Brustbräune 

1 J. 5 M. . 

Brustbräune 

1 J. 6 M. . 

Nervenfieber 

5 M. 5 T. . 

Magen- u. Darmkatarrh 

20 J. . . . 
42 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

Brustkrebs 

15 

16 


Ohne ärztliche Behandlung. 

42 J. . . . 

Herzschlag 

70 J. . . . 

Herzschlag 

3 T. ... 

Krämpfe 

24 T. . . . 

Krämpfe 

9 J. 9 M. . 

ertrunken 

80 J. . . . 

Altersschwäche 

5 M. 12 T. 

Scharlach u. Diphtherie 

75 J. . . . 

77 

1 M. 3 T. . 

Brechdurchfall 

2 M. 8 T. . 

Brechdurchfall 

1 M. 3 T.. 

77 

1 M. 4 T.. 

Krämpfe 

1 J. 29 T.. 

Zahndurchbruch 

5 M. 11 T. 

77 

1 J. 12 T.. 

77 

1 M. 16 T. 

7 M. 14 T. 

Brechdurchfall 

Zahndurchbruch 


8 9 


Oetofeer. 


Nach ärztlicher Behandlung. 


57 J. . . . 

Herzschlag 

21 J. . . . 

Lungenleiden 

37 J. . . . 

Schwindsucht 

58 J. . . . 

Herzschlag 

50 J. . . - 

Schlaganfall 

60 J. . . . 

Unterleibsleiden 

67 J. . . . 

Herzfehler 

79 J. . . . 

Altersschwäche 

54 J. . . . 

Darmverschlingung 

6 M. 25 T. 

Brechdurchfall 

35 J. . . . 

Brustleiden 

40 J. . . . 

Todtschlag 

7 T. ... 

Krämpfe 

16 J. . . . 

Blutvergiftung 

38 J. . . . 

Lungenentzündung 

74 J. . . . 

Wassersucht 

49 J. . . . 

77 

50 J. . . . 

Schlaganfall 

81 J. . . . 

Altersschwäche 

76 J. . . . 

Unterleibsleiden 

62 J. . . . 

Gehirnkrankheit 

8 M. 26 T. 

Masern 

3 M. 17 T. 

Magenleiden 

24 J. . . . 

Lungenschlag 

32 J. . . . 

Bauchfel 1 entzündung 

17 T. . . . 

Darmkatarrh 

58 J. . . . 

Herz- und Leberleiden 

70 J. . . . 

Asthma 

72 J. . . . ! 

Asthma 

i 

66 J. . . . 

Herzschlag 


Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. S 


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110 


männliche 

weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

60 J. . . . 

Gehirnleiden 

56 J. . . . 

Blutarmuth 

15 J. . . . 

Unterleibstyphus 

73 J. . . . 

Altersschwäche 

39 J. . . . 

Leberleiden 

11.4 T.. 

Krämpfe 

21 J. . . . 

Lungensch win dsucht 

33 J. . . . 

Schlaganfall 



73 J. . . . 

Altersschwäche 



2 M. 8 T.. 

Lebensschwäche 


10 21 


Ohne ärztliche Behandlung. 


2 M. 1 T. 

Brechdurchfall 

90 J. . . . 

Altersschwäche 

68 J. . . . 

Brustleiden 

9 M. 29 T. 

Brechdurchfall 

4 J. 3 M. . 

Krämpfe 

69 J. . . . 

Schlaganfall 

25 T. . . . 

Brechdurchfall 

13 T. . . . 

Hrämpfe 

1 M. 19 T. 

n 

7 M. 5 T. . 

Zahndurchbruch 

3 M. 1 T. . 

Magendarmkatarrh 

51 J. . . . 

Geschwulst 

42 J. . . . 

Schlaganfall 

70 J. . . . 

Altersschwäche 

38 J. . . . 

Brustleiden 

16 T. . . . 

Krämpfe 

2 J. 6 M. . 

Brechdurchfall 

1 M. 17 T. 

Brechdurchfall 


0 0 


üeTeHfeer. 


Nach ärztlicher Behandlung. 


23 J. . . . 

Herzschlag 

6 T. ... 

Starrkrampf 

72 J. . . . 

Gehimschlag 

72 J. . . . 

Gehirnleiden 

10 M. 21 T. 

Kolik 

26 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

2 J. 

Lungenkatarrh 

45 J. . . . 

Gehirnentzündung 

54 J. . . . 

Herzlähmung 

73 J. . . . 

Herz- und Nierenleiden 

62 J. . . . 

Magenkrebs 

58 J. . . . 

Nierenleiden 

59 J. . . . 

Leberschrumpfung 

1 M. 10 T. 

Krämpfe 

69 J. . . . 

Lungenschlag 

50 J. . . . 

Gehirnentzündung 

40 J. . . . 

Herz- und Nierenleiden 

73 J. . . . 

Wassersucht 

44 J. . . . 

Entkräftung 

60 J. . . . 

Lungen- und Brustleiden 

37 J. . . . 

Gehirnlähmung 

71 J. . . . 

Altersschwäche 

29 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

1 J. 2 M. . 

Brechdurchfall 

60 J. . . . 

phl egmon. Handentzündg. 

3 J. 8 M. . 

» 

8 J. 9 M. . 

Lungenentzündung 

4M.... 

Geschwulst 

60 J. . . . 

Folgen der Trunksucht 

32 J. . . . 

Entbindungsfolgen 

9 M. 28 T. 

Krämpfe 



10 St.. . . 

Lebensschwäche 



8 M. 14 St 

Abzehrung 




18 15 


Digitized by ^.ooQle 
















111 


Ohne ärztliche Behandlung. 


männliche 

weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

35 J. . . . 

Lungenentzündung 

86 J. . . . 

Entkräftung 

2 T. ... 

Lebensschwäche 

29 T. . . . 

Krämpfe 

68 J. . . . 

Entkräftung 

1 M. 19 T. 

Brechdurchfall 

1 M. 10 T. 

Brustbräune 

16 T. . . . 

Krämpfe 

V* St. . . 

Lebensschwäche 

1 M. 16 T. 

Keuchhusten 

8 T. ... 

Krämpfe 

2 St. ... 

Lebensschwäche 

62 J. . . . 

Lungenleiden 

83 J. . . . 

Altersschwäche 

74 J. . . . 

Altersschwäche 

67 J. . . . 

Brustleiden 

56 J. . . . 

ertrunken 

2 M. 19 T. 

Brechdurchfall 


9 9 

Decenfeer. 

Nach ärztlicher Behandlung. 


83 J. . . . 

Altersschwäche 

45 J. . . . 

Lungenentzündung 

70 J. . . • 

Lungenlähmung 

41 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

26 J. . . . 

Schlaganfall 

4 M. 3 T. . 

Schlaganfall (!) 

61 J. . . • 

Herz- und Nierenleiden 

77 J. . . . 

Altersschwäche 

58 J. . . . 

Lungen- u. Brustleiden 

32 J. . . . 

Kopfgeschwulst 

7 T. ... 

Kinnbackenkrampf 

62 J. . . . 

Kopfentzündung 

18 J. . • • 

Blutvergiftung 

74 J. . . . 

Altersschwäche 

69 J. . . . 

Influenza 

39 J. . . . 

Nierenleiden 

38 J. . . • 

Herzlähmung 

88 J. . . . 

Altersschwäche 

3 J. 6 M. . 

Nierenleiden 

10 J. . . . 

Nieren Wassersucht 

30 J. . . • 

Bauchfellentzündung 

18 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

44 J. . . • 

Herzlähmung 

76 J. . . . 

Lungenkatarrh 

51 J. . . • 

Herz- und Nierenleiden 

13 J. . . . 

Gehirnentzündung 

72 J. . . . 

Altersschwäche 



31 J. . . . 

Herzschwäche 



79 J. . . . 

Darmleiden 



55 J. . . . 

Lungenentzündung 




17 18 


Ohne ärztliche Behandlung. 


2 M. 21 T. 

Lebensschwäche 

2 M. 25 T. 

Halsbräune 

40 J. . . . 

Lungenleiden 

71 J. . . . 

Brustleiden 

1 M. 19 T. 

Brustleiden 

65 J. . . . 

Lungenleiden 

3 T. ... 

Krämpfe 

2 M. 21 T. 

Brechdurchfall 

1 M. 14 T. 

n 

12 J. . . . 

Magenleiden 

1 M. 18 T. 

n 

9 T. ... 

Krämpfe 

12 T. . . . 

» 

1 M. 16 T. 

n 

1 M. 22 T. 

Lehensschwäche 

11 M. 14 T. 

Zahndurchbruch 

3 M. 18 T. 

Krämpfe 

80 J. . . . 

Altersschwäche 



7 M. 5 T. . 

Krämpfe 



85 J. . . . 

Altersschwäche 



3 M. 17 T. 

Krämpfe 


9 12 

8 * 


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112 


Jmar 1896. 

Nach ärztlicher Behandlung. 



männliche 


weih 1 iche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

Todesursache 

11 M. 28 T. 

Verschleimung 

44 J. . . . 

unbekannt 

22 J. . . . 

Meningitis 

76 J. . . . 

Altersschwäche 

3 J . 

Diphtherie 

89 J. . . . 

n 

27 J. . . . 

Lungenleiden 

72 J. . . . 

Entkräftung 

51 J. . . . 

Herzschlag 

28 J. . . . 

Gehirnentzündung 

9 M. 25 T. 

Luftröhrenkatarrh 

27 J. . . . 

Lungen- u. Magenkatarrh 

69 J. . . . 

Schlaganfall 

73 J. . . . 

Altersschwäche 

8 M. 22 T. 

Brustleiden 

80 J. . . . 

n 

25 J. . . . 

Lungenentzündung 

80 J. . . . 

n 

43 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

70 J. . . . 

Lungenentzündung 

10 J. . . . 

Brandwunden 

43 J. . . . 

Herz- und Nierenleiden 

50 J. . . . 

Lungenkatarrh 

67 J. . . . 

Entkräftung 

72 J. . . . 

Altersschwäche 

3 M. 17 T. 

Gehirnkrämpfe 

39 J. . . . 

Herz- und Nierenleiden 

77 J. . . . 

Altersschwäche 

28 J. . . . 

Unfall 

22 J. . . . 

Schwindsucht 

39 J. . . . 

Herz- und Nierenleiden 

64 J. . . . 

Tuberkulose 

30 J. . . . 

Herzschlag 

7 J. 6 M. . 

Brustbräune 

68 J. . . . 

64 J. . . . 1 

43 J. . . . j 

34 J. . . . 

17 T. . . . 1 

42 J. . . . ! 

4 M. 25 T. 
53 J. . . . 

Leberleiden 

Altersschwäche 

Leberleiden 

Schädelbruch 

Brechdurchfall 

Darmverschliessung 

Lungenkatarrh 

Lungenentzündung 

88 J. . . . 

j 

Altersschwäche 


25 18 


Ohne ärztliche Behandlung. 


4 T. ... 

Krämpfe 

11 M. 21 T. 

Keuchhusten 

5 T. ... 

n 

3 T. ... 

Lebensschwäche 

14 T. . . . 

n 

27 T. . . . 

Brechdurchfall 

11M. 7 T. 

Brechdurchfall 

69 J. . . . 

Entkräftung 

1 2 St.. . . 

Lebensschwäche 

2 M. . . . 

Krämpfe 

4 M. 22 T. 

Krämpfe 

79 J. . . . 

Altersschwäche 

3 M. 13 T. 

71 



1 M. 19 T. 

Krämpfe 



71 J. . . . 

Brustleiden 



1 J. 1 M. . 

Krämpfe 



27 T. . . . 

Brechdurchfall und 




Krämpfe 



52 J. . . . 

Lungenschwindsucht 



9 M. 17 T. 

Abzehrung 




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113 


männliche 

weibliche 

Alter 

Todesursache 

Alter 

i 

Todesursache 

11 J. . . . 
20 T. . . . 

8 M. 17 T. 
11 M. 25 T. 

ertrunken 
Krämpfe 
. Keuchhusten 
Zahndurchbruch 



17 

6 


Fefenar. 

Nach ärztlicher Behandlung. 


6 M. 11 T. 

Brechdurchfall 

61 J. . . . 

Herzleiden 

52 J. . . . 

Leberleiden 

24 J. . . . 

Lungenschwindsucht 

40 J. . . . 

Lungenkatarrh 

15 J. 10 M. 

Lungenentzündung 

2 M. 16 T. 

Lungenentzündung 

1 J. 2 M. . 

Diphtherie 

1 J. 9 M. . 

Luftröhrenkatarrh 



34 J. . . . 

Blutsturz 



10 J. . . . 

Halsbräune 



59 J. . . . 

Influenza und Herz¬ 




schwäche 



37 J. . . . 

Schwindsucht 



30 J. . . . 

Altersschwäche 




10 4 

Ohne ärztliche Behandlung. 


41 J. . . . 

ertrunken 

47 J. . . . 

ertrunken 

27 J. . . . 


9 J. 

rt 

5 M. 18 T. 

Keuchhusten 

67 J. . . . 

Brustleiden 

77 J. . . . 

Altersschwäche 

! 

4 M. 20 T. 

7 M. 1 T. . 

Krämpfe 

n 


J_!_L 

4 5 


Das ist nun die Grundlage für eine Sterblichkeits-Statistik! Es 
bedarf keiner Erörterung, dass die Angaben der Todesursachen 
beinahe ganz unbrauchbar sind für die über Erwarten grosse Zahl 
der ärztlich nicht Behandelten. Unter den letzteren überwiegen 
der Brechdurchfall, die Krämpfe. Aber es genügt auch ein Blick 
in die Abtheilung der ärztlich Behandelten, um zu zeigen, dass die 
Angaben selbst für die schon vorsichtig sich auf wenige Krankheiten 
und Krankheitsgruppen einschränkende officielle Statistik eine 
wenig zuverlässige Grundlage bietet. Da machen die Bezeich¬ 
nungen „Brustleiden“, „Lungenleiden“ die Rubrik der Schwindsucht, 
der acuten Erkrankungen der Athemorgane, unsicher; auch hier 
sind „Krämpfe“ und „Zahndurchbruch“ häufig; die Angabe „Diphthe¬ 
rie“ ist mit Rücksicht auf das gleichzeitig herrschende Scharlach- 


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114 


fieber zweifelhaft: so bleibt es in vielen Fällen ungewiss, in welche 
Spalte der officiellen Todesursachen-Statistik die Eintragung erfolgen 
soll. Dazu kommt, dass die anmeldenden Personen oft genug so¬ 
wohl aus böser Absicht, wie mehr noch aus Unwissenheit oder 
Gleichgültigkeit falsche Angaben machen und den Standesbeamten 
irre führen. 


Unerwartet gross ist die Zahl derjenigen, welche ohne ärztliche 
Behandlung starben, obgleich armenärztliche, unentgeltliche Hülfe 
zur Verfügung stand 1 ). Eine sofortige Uebersicht gewährt die 
nachfolgende Tabelle. 


Tabelle 1. 

Uebersicht der in S U Jahr auf dem Standesamte 
angemeldeten Stcrbefälle. 


Zeit 

Von den Verst 

ärztlich behandelt 
männliche | weibliche 

orbenen waren 

ärztlich nicht behandelt 
männliche | weibliche 

1895 Mai (18 Tage) . 

13 

5 

7 

7 

Juni. 

18 

14 

11 

9 

Juli. 

21 

22 

25 

19 

August .... 

20 

17 

16 

9 

September. . . 

15 

16 

8 

9 

October .... 

19 

21 

9 

9 

November . . . 

18 

15 

9 

9 

December . . . 

17 

13 

9 

12 

1896 Januar .... 

25 

18 

17 

6 

Februar (8 Tage) 

10 

4 

4 

5 

in 271 Tagen .... 

176 

145 

115 

94 


Von den angemeldeten 580 Verstorbenen waren 
209 = 39,4 °/o ärztlich nicht behandelt worden! 

Ein Blick auf unsere Hauptübersicht lehrt, dass unter diesen 
Nichtbehandelten sich überwiegend Kinder unter einem Jahre be¬ 
finden, während diese Altersklasse unter den Behandelten stark 
zurücktritt. 

Die nachfolgende Tabelle 2 giebt eine Auftheilung derjenigen 
angemeldeten Sterbeftllle, welche Kinder unter einem Jahre be- 


! ) Die Zuverlässigkeit unserer Zahlen stützt sich erstens auf die dankens- 
wertlie Sorgfalt unseres Standesamts-Sekretärs Peterssohn. Sodann liegt kein 
Grund vor für die Annahme, dass in häufigeren Fällen wahrheitswiarig die 
vorhergegangene ärztliche Behandlung abgeleugnet wäre; eher könnte man 
das Gegentheil vermuthen. 


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115 


treffen, je nachdem ärztliche Behandlung vorhergegangen war oder 
nicht. Die Zahl der darunter befindlichen unehelichen Kinder ist 
in Klammer beigefügt. 

Tabelle 2. 



Von den verstorbenen Kindern unter 1 Jahre waren 

Zeit 

ärztlich behandelt 

1 ärztlich nicht behandelt 


männliche 

weibliche 

männliche 

weibliche 

1895 Mai. 

i (i) 

_ 

4 

5 

Juni. 

5 

1 

10 (1) 

3 

Juli. 

6 

8 

19 

13 (3) 

August .... 

4 

4 

1 13 (2) 

8 (1) 

September . . . 

3 

4 

4 

6 

October .... 

2 

5(1) 

4 (1) 

5 

November . . . 

4 

3 (1) 

4 

6 (1) 

December . . . 

1 

1 

8(3) 

7 

1896 Januar .... 

5 

1 

13 (2) 

4 

Februar .... 

2 

— 

1 

2 


33 (1) 

27 (2) 

j 80 (9) 

59 (5) 

, 


Somit waren unter den 209 ärztlich nicht Behandelten 139 = 
66,5 °/o Kinder unter einem Jahre. 

Es waren überhaupt 199 Todesfälle von Kindern unter einem 
Jahre gemeldet worden; von diesen waren 189 = 70°/o von keinem 
Arzte gesehen!! 

Unter diesen verstorbenen Säuglingen gab es 182 von ehe¬ 
licher, 17 von unehelicher Abkunft; von jenen waren 125 = 
69,2 °/o, von diesen 14 = 82,4 °/o ärztlich nicht behandelt worden. 

Es - offenbart sich aus diesen Zahlen eine unerwartete, ja un¬ 
erhörte Gleichgültigkeit der hiesigen Bevölkerung gegenüber Krank¬ 
heiten und Tod der Säuglinge. 

Wie ich früher gezeigt 1 ), stirbt in Tilsit von den in der Ehe 
geborenen Kindern beinahe der vierte Theil, von den unehelich 
geborenen Kindern beinahe die Hälfte vor Vollendung des ersten 
Lebensjahres. Diese Zahlen erfahren nun dadurch eine gewisse 
Beleuchtung, dass unter den verstorbenen ehelichen Kin¬ 
dern über zwei Drittel, unter den verstorbenen un¬ 
ehelichen Kindern über vier Fünftel ärztlicher Be¬ 
handlung nicht unterworfen waren. 

Ausser den 139 Säuglingen sind nur wenig Kinder der ärzt¬ 
lichen Behandlung entzogen worden. 

*) Beiträge zur medicinischen Statistik des Kreises Tilsit. L 
Centralblatt f. allg. Gesundheitspfl. 1895, S. 213. 


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Tabelle 3. 

Gemeldete Sterbefälle von Kindern über 1 Jahr (bis zu 15 Jahren). 


116 



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Krämpfe 

Halsbräune 

Lungen- und Nierenleiden 



117 



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118 


Während von den verstorbenen Säuglingen 70°/o äiztlich 
nicht behandelt waren, ist dieser Procentsatz für die Kinder von 
einem bis unter 15 Jahren auf fl = 28 °/o gesunken. Und 
von diesen 14 Nichtbehandelten waren neun jünger als zwei Jahre, 
so dass wir lediglich bestätigt sehen, dass es gerade die jüngsten 
Kinder sind, die auf das Gröblichste vernachlässigt werden. 

Von den übrigen Nichtbehandelten waren angeblich 22 
(im Alter von 68, 69, 70, 71, 74, 75, 75, 77, 79, 79, 79, 80, 80, 
80, 81, 83, 83, 83, 85, 86, 86, 90 Jahren) an Altersschwäche 
gestorben, darunter 15 Frauen. Ertrunken waren 10 Personen, 
darunter 2 weiblichen Geschlechts. Bleiben 24 Erwachsene, 13 
männlichen, 11 weiblichen Geschlechts, von denen 7 an Schlag¬ 
anfall oder Herzschlag, 11 an Schwindsucht, Brust- bezw. Lungen¬ 
leiden gestorben sein sollen. 

Für die ohne ärztliche Behandlung gebliebenen 139 Säuglinge 
und 9 Kinder von 1—2 Jahren finden wir als Todesursachen an¬ 
gegeben : 

Lebensschwäche in 22 Fällen, darunter 5 Kinder, die älter 
als 1 Woche, bis zu 2 2 /s Monate alt wurden. 

Krämpfe 48 mal für Kinder im Alter von 3 Tagen bis 1 Jahr 
1 Monat. 

Es ist bekannt, dass sub titulo Krämpfe („innerliche“ oder 
„äusserliche“) alle denkbaren Krankheiten verstanden werden. 

Brechdurchfall ist in 51 Fällen angegeben; 1 mal Diarrhöe, 
lmal Magen- und Darmkatarrh. 

Auszehrung in 4 Fällen; Halsbräune 1 mal; Scharlach 
und Diphtherie lmal. (Vermuthlich war hier vorher zu einem 
von gleicher Krankheit ergriffenen grösseren Kinde der Arzt zu¬ 
gezogen worden, später zu dem Säugling nicht.) 

Keuchhusten soll in 6 Fällen die Todesursache gewesen 
sein, Brustleiden 4mal, Brustbräune 2mal. 

Zahndurchbruch war in 7 Fällen angegeben. 

Das Ergebniss dieser Untersuchung ist, dass in unserer Be¬ 
völkerung die jüngsten Kinder, insbesondere die des ersten Lebens¬ 
jahres in Krankheitsfällen mit einer kaum glaublichen Gleichgültig¬ 
keit behandelt werden. Denn der ärztlichen Fürsorge waren in 
dem untersuchten Zeitraum 69 °/o der ehelichen, 82 °/o der unehe¬ 
lichen Kinder, die durch Krankheit starben, entzogen geblieben. 
Und doch sind die Armenärzte für die unentgeltliche Behandlung 
der Armen vorhanden! Aus dem hohen Procentsatz der Nichtbe¬ 
handelten ist übrigens zu schliessen, dass nicht nur, vielleicht nicht 
einmal überwiegend diejenigen Bevölkerungskreise, welche an der 


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119 


Armenpflege theilhaben, ihre kleinen Kinder ohne ärztliche Hülfe 
lassen, sondern auch solche Familien, welche nicht arm genug sind, 
um den Armenarzt zuziehen zu dürfen, aber sich zu arm fühlen, 
um einen Arzt, Heil- und Pflegemittel zu bezahlen. Da wird dann 
des Säuglings nicht geachtet, wenn man auch den grösseren Kindern 
und den Erwachsenen Sorge und Aufwendungen zu widmen bereit ist. 

Gleiche Untersuchungen bleiben für andere Theile unserer 
Provinz, unseres Vaterlandes ein dringendes Bedürfhiss. 

Wer wollte sagen, wie viele Kinder nicht durch ärztliche Für¬ 
sorge, bessere sachgemässe Pflege erhalten bleiben könnten! 

Um Ablitilfe zu schaffen, sollte das Recht auf freie ärztliche 
und medicamentöse Hülfe weitherziger, weniger eingeschränkt als 
bisher gewährt werden; aber auch durch Belehrung (von der Kanzel, 
in den Volksschulen, in den Volksabenden) ist die Nothwendigkeit, 
ja die sittliche Verpflichtung, bei den Erkrankungen auch der 
kleinsten Kinder den Arzt zu Rathe zu ziehen, einzuschärfen. 

Und welch ein schönes, breites Feld werkthätiger Nächsten¬ 
liebe eröffnet sich hier den wohlthätigen Frauen-Vereinen! Wenn 
unsere Frauen und Töchter die ihnen vom Vorstande zugewiesenen 
armen Familien öfter aufsuchen, so werden sie auf Schritt und 
Tritt vernachlässigte Kranke finden und zu besserer Fürsorge Ver¬ 
anlassung geben. Ihnen wird es vermuthlich nicht schwer werdeü, 
auch ärztliche Hülfe zu verschaffen. Es ist dies eine Frage der 
Organisation*). 

Ein zweites Ergebniss dieser Untersuchung ist die Bestätigung 
der erheblichen Unsicherheit unserer officiellen Statistik der Todes¬ 
ursachen. Es mag in andern Gegenden unseres Vaterlandes manches 
auch auf diesem Gebiete besser bestellt sein. Fortschritte aber in 
der Sicherheit der Statistik werden überall nur durch ärztliche 
Todtenscheine zu erzielen sein. Hierüber vielleicht ein andermal. 

Denken zu müssen, dass hier von 100 Verstorbenen 40 in den 
Sarg gelegt werden — in der Stadt und den beiden benachbarten 
Dörfern; viel mehr, vielleicht 80—90°/o, auf dem flachen Lande! — 


Aus diesem Gesichtspunkte ist eine sich unentgeltlich darbietende 
ärztliche Hülfe (Poliklinik, Ambulatorium) fast immer und überall mit Freuden 
zu begrüssen; zumal in armen Gegenden. Die Hülfe der angestellten Armen¬ 
ärzte reicht fast überall nicht aus. Möchten doch die den Polikliniken vielfach 
abhold gesinnten Collegen vor einem Unmuth sich bewahren, der gelegentlich, 
wann durch die Poliklinik lediglich die privaten Interessen des Leiters ge¬ 
fördert werden sollen, berechtigt ist, gelegentlich aber auch den Eindruck 
zünftlerischer Engherzigkeit gewährt. Icn möchte lieber einmal eine Poliklinik 
zu viel fördern, da das allgemeine Interesse, die Sorge um das Wohl vieler 
Armen uns unbedingt leiten und höher stehen soll als das Bedenken, ob nicht 
auf solchem Wege einmal ein Arzt schneller als andere zu dem doch allgemein 
angestrebten Ziele grosser praktischer Wirksamkeit gelange. 


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120 


ohne dass ein Arzt sie gesehen, kann den Menschenfreund nur mit 
Trauer erfüllen. Der Arzt soll die Lebenden und soll die Todten 
sehen! Viele Gründe verlangen gebieterisch die obligatorische 
ärztliche Leichenschau; und wir sollten nicht müde werden, 
sie zu fordern, zumindest für alle Orte, in denen Aerzte wohnen. 


Kleinere Mittheilungen. 


*** Die beiden Berliner Heimstätten für Lungenkranke in 

Malchow und Blankenfelde haben nach den letzten Jahresbe¬ 
richten einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Zu Anfang fanden 
die Heimstätten nur wenig Zuspruch. Allmählich hingegen hat man 
die Anstalten schätzen gelernt. Die Aerzte und Hospitäler nehmen 
mehr Interesse an ihnen. Und vor allem haben die Kranken die Be¬ 
denken gegen die Sonderheimstätten aufgegeben. Dieser Wandel in 
der Anschauung kommt in der Statistik der Heimstätten deutlich zum 
Ausdruck. Die ältere Heimstätte für Lungenkranke zu Malchow, die 
1892 ins Leben trat, hatte im Jahre 1892/93 nur 90 Pfleglinge (79 
männliche und 11 weibliche). Im Jahre 1893/94 stieg die Zahl der 
Aufnahmen bereits auf 409 (382 Männer und 27 Frauen), und im Jahre 
1894/95 wurden 674 Pfleglinge, durchweg Männer, aufgenommen. Die 
Zahl der Verpflegungstage betrug 1892/93 4 339, und 1894/95 25 870. 
Die Heimstätte für Lungenkranke in Blankenfelde ist ausschliesslich 
für Lungenkranke weiblichen Geschlechtes bestimmt; sie wurde im 
Juli 1893 eröffnet. 16 damals in der Heimstätte in Malchow in Pflege 
befindliche lungenkranke Frauen waren die ersten Insassen der neuen 
Heilanstalt. Insgesammt wurden 1893/94 nur 64 lungenkranke Frauen 
aufgenommen. 1894/95 stieg die Zahl der Aufgenommenen auf 192. 
Weit ausgiebigeren Gebrauch als früher machen von den Heimstätten 
die Krankenkassen. Von den 674 Pfleglingen der Malchower Anstalt 
wurden 237 von Kassenärzten in die Heimstätte geschickt. Sicher 
waren auch unter den 263 Kranken, die aus den städtischen Kranken¬ 
häusern und der Charitee in die Heimstätte übertraten, beträchtlich 
viele Mitglieder von Krankenkassen. Gering hingegen ist die Zahl 
der Ueberweisungen nach Malchow durch die Armenärzte. Sie beläuft 
sich auf nur 27. Im Gegensätze dazu hat die Armenverwaltung die 
Heimstätte zu Blankenfelde beträchtlich viel mehr ausgenutzt. Von den 
192 Insassen der Anstalt waren 44 von den Armenärzten in die Heim¬ 
stätte geschickt worden; aus städtischen und andern Krankenhäusern 


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121 


kamen 87; aus der Praxis der Kassenärzte 36. Früher wurde sehr 
darüber geklagt, dass den Heimstätten Kranke zugewiesen würden, die 
für die Beimstättenpflege gar nicht geeignet seien. Jetzt wird diese 
Klage auch noch laut; diese Ueberweisungen aber sind ganz vereinzelt. 
Man hat offenbar allmählich gelernt, eine Auswahl unter den Kranken 
zu treffen. Die Aerzte der Heimstätten Dr. Ellerhorst und Dr. Reuter 
sind in der Beurtheilung der erzielten Erfolge sehr vorsichtig. Unbe¬ 
streitbar sind die Ergebnisse nach den Tabellen günstig. Berück¬ 
sichtigen muss man freilich, dass die Zeit, die der einzelne verpflegt 
wird, im Verhältniss nur gering ist. In Malchow betrug sie im Durch¬ 
schnitt 44,3 Tage, in Blankenfelde 7,43 Wochen. Die Beobachtungen 
in den Heimstätten sprechen eindringlich für den Nutzen einer be¬ 
sonderen Fürsorge für die Lungenkranken. (Nach der V. Z.) W. 

*** Volksheilstfitten für Schwindsüchtige in der Schweiz. Eine 
Arbeit von Dr. F. Schmid „Die Bedeutung der Volkssana¬ 
torien im Kampfe gegen die Tuberkulose, mit besonderer 
Berücksichtigung schweizerischer Verhältnisse* 4 (Schwei¬ 
zerische Blätter für Wirthschafts- und Socialpolitik, 1895, Heft 12) 
enthält folgende Angaben: 

In wenigen Wochen wird das erste Volkssanatorium in der Schweiz, 
die „bernische Heilstätte für unbemittelte Tuberkulöse in Heilige n- 
schwendi“ (1800 Fusb über dem Thunersee) mit vorläufig 40 Betten 
eröffnet werden; die fertige Anstalt soll Raum für 80 Kranke bieten. 
Baselstadt hat mit dem Bau eines Sanatoriums für 60 Betten in 
Davos begonnen und gedenkt ausserdem eine gleich grosse Anstalt in 
der Nähe von Basel, in Bruderholz, zu errichten. Baselland be¬ 
theiligt sich an den Kosten der Erstellung des Basler Sanatoriums in 
Davos (mit einer Summe von 60 000 Fr.) und erhält dafür das Recht 
der Mitbenutzung desselben (VerfUgungsrecht über mindestens 10 Betten). 
Die Glarner haben auf der sonnigen Höhe des Braunwaldberges eine 
Liegenschaft (untere Niederschlacht) erworben, auf der sie im kom¬ 
menden Jahre eine Heilstätte für unbemittelte Brustkranke zu erstellen 
gedenken, und die Züricher suchen nach einem geeigneten Bauplatz 
zur Errichtung eines Sanatoriums mit 100 Betten. Die romanische 
Schweiz (Waadt, Neuenburg und Genf) sammelt Gaben, um neben 
dem Sanatorium für Wohlhabende in Leysin ein solches für unbe¬ 
mittelte Kranke zu bauen. Auch in den Kantonen Aargau, Solo¬ 
thurn, Graubünden, St. Gallen, Thurgau und in den Ur- 
kantonen beschäftigen sich Aerzte und gemeinnützige Gesellschaften 
mit den Vorarbeiten zur Gründung derartiger Heilstätten. Ferner hat 
der bekannte Philanthrop Pfarrer W. Bion in Zürich, der Schöpfer 
der Ferienkolonieen, unterstützt durch ein Initiativkomit6, die Gründung 
eines grossen schweizerischen Vereins zur Errichtung und Unterstützung 


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122 


von Sanatorien für unbemittelte Lungenkranke in die Hand genommen. 
(Vgl. Deutsche medic. Wochenschr. 1895, Nr. 41.) W. 

*** Nach einer in Conrad’s Jahrbüchern für Nationalökonomie 
und Statistik, 3. Folge, Bd.X, 1895, veröffentlichten Arbeit berichtet 
Dr. GeorgHeimann über die Berufskrankheiten der Buchdrucker 
in der deutschen medic. Wochenschrift, 1895, No. 39. Wir entnehmen 
dem Artikel Folgendes: 

Die Lebensdauer der Berliner Buchdrucker ist wesentlich geringer 
als die durchschnittliche gleicher Altersklassen der Berliner männlichen 
Bevölkerung. Die Sterblichkeitsziffer nähert sich in bedenklicher Weise 
der der Solinger Schleifer, bekanntlich einer der ungünstigsten 
der verschiedenen Berufsklassen, für die statistische Feststellungen ge¬ 
macht sind. Die häufigste Todesursache (über 49 °/o der Sterbefälle) 
ist die Lungenschwindsucht, weit häufiger als in der übrigen gleich- 
alterigen männlichen Berliner Bevölkerung. So kamen z. B. von 100 
Sterbefällen überhaupt an Schwindsucht auf die Buchdrucker im Jahre 
1891: 46,03, auf die Übrigen männlichen Berliner gleicher Alters¬ 
klassen: 34,41; im Jahre 1892 war das Verhältnis 43,93:33,23; 
1893: 46,37 : 30,75. 

Unter den Erkrankungen bilden die der Athmungsorgane ein 
Viertel der Gesammtsumme. 

Ausserordentlich häufig treten Rheumatismen auf, vielleicht manch¬ 
mal die Diagnose „Bleivergiftung“ verschleiernd. 

Die Bleikrankheit befällt die Buchdrucker bei weitem nicht so 
häufig, als man gemeinhin annimmt; immerhin öft genug, um energische 
Vorsichtsmassregeln gegen die Gefahr der Vergiftung zu rechtfertigen. 
Es sind hierher ausser den unter Diagnose „Bleivergiftung“ be- 
zeichneten Fällen noch eine Reihe von Erkrankungen zu rechnen, 
welche als „Nervenleiden“, „Magenleiden“, „Rheumatismus“ u. a. m. 
bezeichnet sind. 

Es finden sich unverliältnissmässig häufig unter dem Bilde der 
Neurasthenie einhergehende Erkrankungen, die zuweilen auf Bleiver¬ 
giftung zu beruhen scheinen. Die Differentialdiagnose zwischen Alko¬ 
holismus und Bleivergiftung ist in manchen Fällen schwierig. Die von 
Levy (Berufskrankheiten der Bleiarbeiter, Wien 1873) 
erwähnte Caries und Nekrose infolge von Bleivergiftung ist hier in 
keinem Falle beobachtet worden. Relativ häufig sind Augenerkran¬ 
kungen und Verminderungen des Sehvermögens beobachtet. Sehr häufig 
ist das Vorkommen von Krampfadern und daraus resultirenden Unter¬ 
schenkelgeschwüren, eine Folge des stundenlangen ununterbrochenen 
Stehens bei der Arbeit. Seitdem die Handpresse mehr und mehr durch 
die Schnellpresse ersetzt ist, scheint eine Abnahme der Häufigkeit der 
Unterleibsbrüche zu constatiren zu sein. 


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123 


Die Häufigkeit der Lungenschwindsucht unter den Buchdruckern 
findet ihre Erklärung in der ungesunden Luft, die in den Druckereien 
herrscht, zum Theil auch in der langen anstrengenden Arbeitszeit, in y 
der beständig gestanden werden muss. Die Schriftsetzer sind durch¬ 
schnittlich kräftige Leute, deren im allgemeinen verhältnissmässig nicht 
unbedeutendes Einkommen eine ausreichende kräftige Ernährung und 
nicht ungesunde Wohnungsverhältnisse ermöglicht, also im grossen und 
ganzen sind für die Entwickelung der Schwindsucht keine allzu gün¬ 
stigen Vorbedingungen vorhanden. Diese Disposition wird aber 
durch den in der Luft enthaltenen Bleistaub hervorgerufen, der 
reizend auf die Respirationsorgane einwirkt und leicht Veranlassung 
zu chronischen Katarrhen giebt, wofür die Betreffenden um so em¬ 
pfänglicher sind, als sie bei der meist schwülen Temperatur der Werk¬ 
räume sich leicht erkälten. Diese Wärme lässt die Erreger der Schwind¬ 
sucht, die Tuberkelbacillen, welche sich in dem in die Spucknäpfe, 
resp. auf den Fussboden entleerten Auswurf schwindsüchtiger Drucker 
befinden, desto besser gedeihen und sich vermehren, und so können 
diese Krankheitserreger die für die Erkrankung von Tuberkulose in 
geeignetster Weise vorbereiteten, häufig im Zustand chronischer Ent¬ 
zündung befindlichen Organe leicht inficiren. Dem Bleistaub kommt 
also eine vorbereitende, die Disposition zur Erkrankung schaffende 
resp. vermehrende Rolle zu. 

Bezüglich der Bleivergiftung ist die Haupteingangspforte in den 
Körper das Respirationssystem. Der in so reichlichem Masse (vergl. 
die bekannten Untersuchungen von Stumpf, Archiv für Heilkunde, 
1875) in der Luft der Werkräume suspendirto Bleistaub wird einge- 
athmet und verbreitet sich so weiter im Organismus. In zweiter Linie 
vermitteln die Verdauungsorgane die Aufnahme des Bleies. An den 
Händen bleibt bei der Arbeit leicht etwas Metall zurück; die Hände 
kommen dann beim Rauchen, Essen oder Trinken u. s. w. mit dem 
Munde in Berührung, und so dringt das ßift in den Körper ein. 

Durch geeignete hygienische Massregeln, besonders durch Fürsorge 
für bessere Luft in den Arbeitsräumen und Vorsichtsmassregeln gegen 
die Bleivergiftung Hessen sich ohne grosse Schwierigkeiten die Gefahren 
dieses Berufes bedeutend vermindern, und es ist auch unsere, der 
Aerzte, Pflicht, mit aller Energie dieses Ziel zu erstreben. W. 

lieber Petroleumöfen. 

Nach einem in der Berliner militärärztlichen Gesellschaft am 20. December 
1895 gehaltenen Vortrage von Oberstabsarzt Dr. Krocker. Deutsche militär¬ 
ärztliche Zeitschrift 1896, Heft 2. 

Verfasser empfiehlt in dem in Rede stehenden Aufsatze eine neue 
Construction von Petroleumöfen zu Heizzwecken. Dieselben werden 
unter dem Namen „Universal“ von einer Berliner Fabrik (J. Hirsch- 


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horn) in den Handel gebracht. Als Vorzüge rühmt Verfasser die 
völlige Geruch- und Gefahrlosigkeit heim Brennen, leichte Bedienung 
und Instandhaltung, schnelle Erwärmung der zu beheizenden Räume 
durch Ausströmen der heissen Luft aus den oberen Oefihungen des 
Ofens, geringe Erwärmung des Mantels. Die Betriebskosten sind im 
Vergleich zu Gasöfen verhältnissmässig gering, dieselben stellen sich 
für mittelgrosse Oefen bei dem jetzigen Petroleumpreise auf 50 Pfg. 
fitr den Tag. Ein weiterer Vortheil sei die leichte Transportffthigkeit 
der Oefen; da dieselben leicht sind und kein Abzugsrohr besitzen, 
könnten sie ohne Mühe von einer Person von einem Raum zum andern 
gebracht werden. Das Fehlen eines Abzugsrohres gebe zu hygienischen 
Bedenken keine Veranlassung, da die Verbrennung eine vollständige 
sei. Verfasser glaubt die Oefen für die Fälle warm empfehlen zu 
können, in welchen aus irgend einem Grunde die vorhandenen Heiz¬ 
anlagen bei grösserer Kälte nicht zur genügenden Erwärmung aus¬ 
reichten oder fhr Räume, die nur vorübergehend in Benutzung wären. 
Für die Heeresverwaltung könnten die Oefen insofern von Bedeutung 
werden, als man mit ihnen im Felde Lazarethbaracken bezw. Zelte 
leicht beheizen könnte. Die Oefen würden bei den Lazarethreserve- 
depots mitzuführen sein. Dr. Leut (Trier). 


Literaturbericht. 

Neuere Arbeiten über Diphtherie und Heilserum. 

i. 

Die durch Behring eingeführte Behandlung der Diphtherie 
mittels Einspritzungen von Serum immunisirter Pferde, über deren Er¬ 
folge Überwiegend günstige Berichte vorliegen, legt es nahe, zu prüfen, 
welche Wirkungen die Einspritzung von Serum gesunder, aber nicht 
gegen Diphtherie künstlich immunisirter Pferde hervorruft. Da ferner 
die Einspritzung des Beh ring 1 sehen Diphtherie-Heilserums auch zur 
Vorbeugung, zur Immunisirung bedrohter, aber noch nicht kranker 
Menschen empfohlen wird, so ist erforderlich, zu prüfen, welche 
Wirkungen das Diphtherie-Heilserum auf Gesunde ausübt. Wie wir 
noch sehen werden, entfaltet auch das nicht - specifische Serum er¬ 
hebliche Wirkungen im Menschen, und es ist daher die Meinung ge- 
äussert worden, dass der Einfluss, welchen die Behring’sehe Behandlungs¬ 
methode auf diphtheriekranke Menschen ausübt, nicht specifisch sei, 
sondern eben lediglich auf der Einspritzung des Serums, d. h. einer 


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125 


eiweiss- und salzreichen, aus dem Blute einer fremden Thierart stammen¬ 
den Flüssigkeit beruhe. 

Versuche, Diphtheriekranke mit nichtspecifischem Pferdeserum zu 
behandeln, liegen in sehr beschränkter Zahl vor. B e r t i n *) sah in 
fünf Fällen dieselben Wirkungen wie nach dem „antidiphtherischen“ 
Serum (von immunisirten Pferden). 

Prof. A. Johannessen 2 ) (von der Kinderklinik in Christiania) 
berichtet, dass er — unter allen Vorsichtsmassregeln — reines, nicht- 
specifisches Pferdeserum 22 Individuen unter die Haut spritzte (einer 
Erwachsenen und 21 Kindern von 7 /12 bis 12 Jahren). Die Gaben 
betrugen einmal 2 ccm, einmal 15 ccm, sonst 5—10 ccm. — Niemand 
von den 22 ist später an Diphtherie erkrankt. — Ein Kind wurde 
nach vier Tagen entlassen, ohne Krankheitssymptome gezeigt zu haben. 
Von den übrigen zeigten sich bei acht (in etwa 40 °/o der Fälle) 
Temperaturerhöhungen bis 38,7 0 C., die meist bald kamen und bald 
wieder schwanden. Zwölfmal (in 60 °^o der Fälle) traten Hautaus¬ 
schläge auf, meist drei bis elf Tage nach der Einspritzung, die nach 
wenigen Tagen schwanden, übrigens aber in wenigen Fällen fünf bis 
sieben Tage später noch einmal sich zeigten. Die Erwachsene 
erkrankte unter Gelenkschmerzen, Mattigkeit und Uebelbefinden. Ein 
tuberkulöses Kind erkrankte schwerer mit Hautausschlag und Eiweiss- 
harnen. Urinuntersuchungen ergaben, dass der Stickstoffgehalt, also 
der Eiweissumsatz bei den Meisten in Folge der Serumeinspritzung 
abnahm. Wurde unfiltrirtes Serum benutzt, so zeigten sich ernstere 
Symptome; die Menge der eingespritzten Flüssigkeit schien dagegen 
von keiner wesentlichen Bedeutung. 

Dies sind im Ganzen dieselben Folgen, wie sie auch als „Neben¬ 
wirkungen“ nach der Injection des specifischen, antidiphtherischen 
Pferdeserums beobachtet sind. Dr. Johannessen machte mit anti- 
diphtherischem Serum, das in jedem Cubikcentimeter mindestens 60 
Behring’sehe Immunisirungseinheiten enthielt, an 41 Individuen In- 
jectionen von je 5—20 ccm, — davon waren acht erwachsen, die 
übrigen Kinder von drei Monaten bis zwölf Jahren. Nur bei drei 
Behandelten trat keine Reaction ein. Mehrmals zeigten sich kurz 
dauernde, mässige Fieberbewegungen, sehr häufig (2—16 Tage nach 
der Einspritzung) Hautausschläge, die vereinzelt mit ernsthafteren Er¬ 
scheinungen einhergingen. Bei allen Erwachsenen und bei mehreren 
Kindern fanden sich schmerzhafte Gelenkschwellungen, dazu Kopfweh, 
Uebelkeit, langdauernde Mattigkeit und Schwäche; in einem Falle bot 

J ) Referat in Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 13, S. 285. 

9 ) Ueber Injectionen mit antidiphtherischem Serum und reinem 
Pferdeserum bei nichtdiphtheriekranken Individuen. Deutsche 
medic. Wochenschrift 1895, Nr. 51. 

CentralbUtt f. allg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 9 


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126 


sich ein ernsthaftes Krankheitsbild und Eiweisshamen von vierzehn¬ 
tägiger Dauer. 

Der Verfasser theilt einen bemerkenswerthen Fall mit, in welchem 
nach der Injection eine auffallende Besserung einer älteren, mit Eiter- 
abscheidung einhergegangenen Rippenfellentzündung eintrat. 

Bei einer der 41 regelmässig untersuchten Personen fanden sich 
bald nach der Injection — zehn Tage lang — Diphtheriebacillen; 
hier war während zweier Tage auf beiden Mandeln ein unbedeutender 
Belag vorhanden; sonst war und blieb dieses Individuum völlig gesund. 

Wenn in beiden Versuchsreihen die Wirkungen des Serums auch 
gleichartig waren, so ist doch noch fraglich, ob nach Anwendung des 
antidiphtherischen Serums nicht einzelne Symptome intensiver auftreten. 

Verfasser räth, möglichst kleine Dosen von Serum, also das 
Antitoxin möglichst stark concentrirt anzuwenden, und sehr vorsichtig 
in der Benutzung des Mittels zu sein, wo Diphtherie nicht vorliegt. 

Zu dem gleichen Schlüsse gelangt Geheimrath Dr. Pistor, der 
an seiner sieben Jahre alten Tochter, welche an diphtherieverdächtiger, 
aber — wie später erwiesen — nicht diphtherischer Mandelentzündung 
litt, nach der Injection von Serum mit 900 Immunitäts-Einheiten (in 
wieviel ccm?) eine nicht unerhebliche, mehrmals recidivirende Krank¬ 
heit beobachtete 1 ). Pistor bekämpft keineswegs die Behandlung er¬ 
wiesener Diphtherie durch B e r i n g ’ s Serum, fordert aber noch grössere 
Garantien für die prophylaktische Anwendung desselben. Der 
Pistor’sehe Fall ist auch deshalb bemerkenswerth, weil er zu erweisen 
scheint, dass das Serum sehr lange Zeit — hier fast drei Monate — 
im Körper verbleiben könne. Vielleicht darf man gerade hieran 
Hoflhungen für eine gedeihliche Anwendung zur Vorbeuge der Diphtherie 
anknüpfen. 

Inzwischen wird amtlich mitgetheilt, dass die „Farbwerke vorm. 
Meister, Lucius und Brüning“ zu Höchst a. M. ein Diphtherieserum 
hergestellt haben, welches mehr als 200 und selbst mehr als 500 Im- 
munisirungs-Einheiten in 1 ccm enthält. 

Man könnte den oben erwähnten Fall, in welchem Diphtherie- 
Bacillen im Munde sich fanden, ohne dass allgemeine Krankheits¬ 
symptome folgten, als einen Beweis für die prophylaktische Wirksam¬ 
keit des eingespritzten Serums ansehen. Denn das Serum kann wohl 
die von den Bacillen erzeugten Gifte, nicht aber die Bacillen selbst 
vernichten. Allein die Löffler ’ sehen Diphtheriebacillen sind in 
neuerer Zeit auch bei unbehandelten gesunden Menschen öfters im 
Munde gefunden worden, zumal zur Zeit herrschender Diphtherie. So 


*) Erkrankung nach prophylaktischer Anwendung von 
Behring’s Diphtherie-Heilserum. Deutsche Aerzte-Zeitung, 1895, 
Nr. 24. 


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berichtet Dr. P. Aaser (Christiania) *) von einer Epidemie, die in 
einer Cavalleriekaserne herrschte und trotz sorgfältigster Desinfection 
der Zimmer, der Kleider u. s. w. nicht zu unterdrücken war. Es lag 
daher der Schluss nahe, dass der Ansteckungsstoff an den Personen 
selbst haftete. Als nun von 89 Bewohnern der Kaserne Schleim aus 
der Mundhöhle (von den Rachengebilden) bakteriologisch untersucht 
wurde, fanden sich in 17 Fällen (= 19 °/o) Diphtheriebacillen von 
hoher Giftkraft. (Es genügten 0,5 ccm einer zweitägigen Bouillon- 
cultur dieser Bacillen, um mittelgrosse Meerschweinchen unter charakte¬ 
ristischen Symptomen zu töten.) Von diesen 17 erkrankte demnächst 
ein Soldat an schwerer Diphtherie; zwei andere bekamen Halsaffectionen 
mit etwas Unwohlsein, Fieber und stecknadelkopfgrossen Belägen der 
Mandeln; bei den übrigen 14 Soldaten war die Rachenschleimhaut 
stark geröthet und blieb so bis zum Verschwinden der Bacillen, ohne 
dass die Gesundheit sonst gestört war. 

Man lernt aus dieser Beobachtung, dass die Ansiedelung der 
Diphtheriebacillen nicht immer eine schwere Krankheit, sondern in 
vielen Fällen kaum merkbare örtliche Erscheinungen hervorruft. Nach 
Dr. Aaser’ s Bericht hat einer jener Soldaten später an einer ganz 
leichten Lähmung im Accommodationsapparat der Augen gelitten, wie 
solche als Folgezustand der Diphtherie, öfters in hartnäckiger schwerer 
Form, bekannt ist. Man muss also annehmen, dass die Bacillen, die 
keine Beläge erzeugten, doch soviel Toxin bildeten, um, in die Säfte¬ 
masse aufgenommen, zu jener Lähmung, d. i. zur partiellen Vergiftung 
nervöser Apparate zu führen. Ganz analoge Beobachtungen wie an 
den Soldaten machte Dr. Aaser auch an Kindern. Von 29 Kindern 
(Scharlach - Reconvalescenten), die keinerlei subjective Krankheits¬ 
symptome zeigten, hatten neun (= 31 °/o) giftkräftige Löffler’sche 
Bacillen im Schleim der Mandeln; es fand sich objectiv nur eine ab¬ 
norme Röthe der Schleimhaut. Nur bei einem dieser Kinder fanden 
sich später ganz leichte diphtherische Beläge; alle übrigen blieben ganz 
gesund (die einen mit, die andern ohne B e h r i n g ’ s Serum). 

Für die Aetiologie der Epidemien ist ein Fall bemerkenswerth, in 
welchem ein gesundes (nur mit Rachenrötlie behaftetes) Kind wochen¬ 
lang Diphtheriebacillen im Munde hatte, dann (mit noch spärlichen 
Bacillen) nach Hause entlassen wurde. Wenige Tage darnach er¬ 
krankten hier zwei jüngere Schwestern an Diphtherie. 

(Prophylaktisch folgt hieraus, dass man, soweit durchführbar, 
alle Personen, welche mit einem Diphtheriekranken in nähere Be¬ 
rührung gekommen waren, so lange isoliren sollte, bis durch die 


*)Zur Frage der Bedeutung des Auftretens der Löffler’schen 
Diphtheriebacillen bei scheinbar gesunden Menschen. Deutsche 
medic. Wochenschrift 1895, Nr. 22. 

9* 


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bakteriologische Untersuchung die Abwesenheit der Bacillen nachge¬ 
wiesen ist. Dass zu diesem Behufe zahlreiche bakteriologische Unter¬ 
suchungsstationen einzurichten sind, liegt auf der Hand. Die hygieni¬ 
schen Universitäts-Institute werden diese Aufgabe auf die Dauer vor¬ 
aussichtlich um so weniger durchführen können, als nach der heutigen 
Entwicklung der Epidemiologie und Gesundheitspflege die bakterio¬ 
logischen Stationen noch manche andere Untersuchungen werden aus- 
zuflihren haben.) 

Die Thatsache, dass die Diphtheriebacillen auch bei Gesunden 
Vorkommen, wird von Einigen benutzt, um hieraus Zweifel gegen die 
ätiologische Bedeutung der Löffler’sehen Bacillen für die Diphtherie 
abzuleiten. Solche und andere Bedenken hat insbesondere Hanse¬ 
mann entwickelt; mit ihrer Widerlegung beschäftigt sich ein Artikel 
von C. F r ä n k e 1 (Marburg), auf welchen einzugehen hier der Ort ist*)* 
Die neuesten Erfahrungen haben Gleiches — das Vorkommen bei Ge¬ 
sunden — auch für andere unzweifelhafte Krankheitserreger dargethan. 
So finden sich die Choleravibrionen in epidemischer Zeit auch im Darm¬ 
kanal Gesunder. Fränkel führt ferner an, dass u. A. auch der 
„Pneumokokkus“, der Erreger der Lungenentzündung und zahlreicher 
anderer krankhafter Vorgänge, im vollgiftigen Zustande häufig in der 
Mundhöhle gesunder Menschen vorkommt; dass (nach Mittheilung von 
Straus) in der Nase völlig gesunder und kräftiger Menschen der 
Tuberkelbacillus keineswegs selten angetroffeu werden kann. Hieraus 
folgt eben nur, dass die Anwesenheit des Krankheitserregers allein 
noch nicht genügt, um die specifische Krankheit hervorzurufen, sondern 
dass hierzu noch andere Bedingungen erfüllt sein müssen, die an die 
Organisation des Menschen gebunden sind, und welche wir als indi¬ 
viduelle Disposition bezeichnen. Auch ist zu erwägen, dass die 
specifischen Bacillen von wechselnder Virulenz sind, und dass 
sie ihre Virulenz für den Menschen verloren haben können, wenn sie 
selbst — experimentell — sich für Thiere (Meerschweinchen) giftkräftig 
erweisen. So lässt sich gewissen Kokkenformen durch ein bestimmtes 
Verfahren eine für Mäuse immer mehr gesteigerte Giftkraft geben, 
während sie hierdurch zugleich für Kaninchen harmlos werden. (Unter¬ 
suchungen von Knorr und von Petruschky) 2 ). Diese Erfahrung 
ist auch zu berücksichtigen, wenn man gegen die Bedeutung der 
Lö ffl e r’schen Bacillen ins Feld führen will, dass auch bei einer ge¬ 
wissen Art von Entzündung der Nasenschleimhaut (Rhinitis fibrinosa) 
die Löffler’sehen Bacillen sich finden und doch diese Krankheit niemals 
erheblichere Erscheinungen hervorruft. (Man darf wohl auch vermuthen, 


J ) Die ätiologische Bedeutung des Löffler’sehen Bacillus* 
Deutsche medicinische Wochenschrift 1895, Nr. 11. 

2 ) Zeitschrift für Hygiene, Bd. XIII, Bd. XVII. 


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dass hier, auf anderem Nährboden, andere, weniger giftige Toxine, 
Stoffwechsel - Producte, sich bilden. Ref.) F r ä n k e 1 verweist aber 
auch auf andere Krankheitserreger, die gleichfalls je nach dem Sitze 
verschiedenartige Krankheitszustände erzeugen. Ein einfacher Furunkel 
oder eine eiterige Lymphgefässentzündung haben gewiss keine Aehnlicli- 
keit mit geschwüriger Entzündung des innern Herzüberzuges (Endo- 
carditis ulcerosa), und doch werden diese Leiden durch die nämliche 
Kokkenart hervorgerufen. 

Andere Bedenken leitete Hansemann von der angeblichen That- 
sache ab, dass nur in etwa 75 °/o der Fälle klinischer Diphtherie die 
Löffler’schen Bacillen gefunden würden, und dass sie stets von einer 
Reihe anderer Bakterien begleitet wären. Das letztere bestreitet 
Fränkel; in frischen Fällen sei es keineswegs eine Seltenheit, die 
Löffler’schen Bacillen allein zu finden. Auch fehlten sie viel seltener, 
als Hansemann angebe. So vermisste sie Baginsky in 333 Fällen 
nur einmal. Aber Fränkel bestreitet keineswegs, dass es diphtherie¬ 
ähnliche Fälle giebt, die eben nicht eigentliche Diphtherie sind, sondern 
durch andere Bakterien, insonderheit Kokken, hervorgerufen werden 
und als „Kokkendiphtherie“ von der „Stäbchendiphtherie“ unterschieden 
werden könnten. So kennt man auch verschiedene Formen von Rippen¬ 
fellentzündung , die als Streptokokken- und Pneumokokken - Pleuritis 
ätiologisch getrennt werden. 

Auch die Thierversuche sind lediglich geeignet, die ätiologische 
Bedeutung der Löffler’schen Bacillen zu erhärten. Thatsächlich kann 
man durch Uebertragung der Bacillen an der Luftröhren-Schleimhaut 
von Kaninchen fortschreitende häutige Entzündungen und schwere all¬ 
gemeine Krankheit hervorrufen. 

Die Frage des Heilserums bespricht Fränkel hier nicht; 
über diese Angelegenheit habe nur die praktische Erfahrung zu ent¬ 
scheiden. Wolffberg. 

H. Schmieden, Ueber Fortschritte und Erfahrungen im Eirankenhausbau. 

Zeitschrift für Krankenpflege 1895. Nr. 10, 11 und 12. 

Baurath Schmieden giebt in diesem Aufsatze einen Ueberblick über 
die wichtigsten Fortschritte auf dem Gebiete des Krankenhausbaues in 
den letzten 25 Jahren. Seitdem mit der Erbauung des Berliner 
Krankenhauses Friedrichshain mit dem bis dahin üblichen Princip der 
Hospitalbauten nach dem Corridorsystem gebrochen wurde und nach¬ 
dem allgemein in allen Culturländern seitdem das Princip der Massen- 
bauten verlassen worden ist und ein Uebergang zu dem sogenannten 
Decentralisationsystem stattgefunden hat, treten neuerdings mit dem 
Fortschreiten der Technik wie auch der Wundbehandlung mehr und 
mehr auch die Anforderungen hinsichtlich der Decentralisation zurück. 
So gilt der einstöckige, massive Pavillon nicht mehr als das in hygie- 


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nischer Beziehung allein zulässige Gebäude. In England und Amerika 
findet man z. B. Hospitäler mit Krankenpavillons von 2, 3, meist sogar 4, 
selbst 5 Stockwerken, wodurch ja natürlich eine viel ausgiebigere Aus¬ 
nutzung des Bauterrains möglich ist. Dadurch ist die Aufführung von 
Hospital bauten auch innerhalb grosser Städte, die ja jedenfalls auch 
ihre grossen Vortheile hat, jetzt nicht mit zu grossem Kostenaufwande 
verbunden. 

Die kreisrunden Pavillons, wie man solche in England und Belgien 
antrifft, werden wohl keine grössere Ausbreitung finden, da die Nach¬ 
theile grösser sind als die Vortheile. 

Der Aufsatz enthält kurze Besprechungen des Hamburger Kranken¬ 
hauses in Eppendorf, des Kreiskrankenhauses zu Bernburg, die Anlage 
des Diphtheriepavillons im Kaiser- und Kaiserin Friedrich-Kranken¬ 
hause, des Infectionshospitals zu Stockholm und des Presbyterian- 
hospitals in NewYork, sowie des Hospitals Umberto I. in Rom. 

Während in Deutschland gewisse Einrichtungen in Kranken¬ 
häusern durchweg mit der grössten Sparsamkeit ausgeführt werden, 
herrscht in England und überhaupt im Ausland ein viel grösserer Luxus 
vor, besonders findet derselbe sich auf die Wohnräume des Pflege¬ 
personals und die technischen Einrichtungen (Wasserleitung, Bäder, 
Beleuchtung, Heizung, Fernsprechleitung und elektrische Klingelan¬ 
lage etc.) ausgedehnt und kann in dieser Beziehung in Deutschland 
noch viel geschehen. 

Für die Fussbodenanlage empfiehlt Schmieden Terazzo bezw. 
Mettlacher Fliessen mit Fnssbodenheizung. 

Die Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Pavillons sollen, 
wenn sie angelegt werden, was noch immer eine vielumstrittene Frage 
ist ? jedenfalls nicht ganz geschlossen sein. 

Die richtige Orientirung der Pavillons ist nach Schmieden be¬ 
sonders für unser Klima von weittragender Bedeutung und sollte man 
der Sonne möglichst Zutritt verschaffen, wobei allerdings zweckmässige 
Vorkehrungen getroffen werden müssten, um die Sonnenstrahlen be¬ 
sonders im Sommer zeitweise abzuhalten. 

Von zweckmässigen Einrichtungen der Operationssäle erwähnt 
Schmieden besonders das grosse Operationshaus des Eppendorfer 
Krankenhauses und des städtischen Krankenhauses in Frankfurt a. M. 
Für die Polikliniken verlangt der Verfasser eine luxuriösere Einrichtung, 
wie sie beispielsweise in einzelnen Krankenhäusern Englands und 
Amerikas besteht. B1 e i b t r e u (Köln). 

Rubner, Ueber die nothwendigBten Reformen des Krankentransportes 
und der Krankenverpflegung. Zeitschrift für Krankenpflege, Januar 1896. 

Rubner verlangt eine gründliche Reorganisation des Krankentrans¬ 
portwesens, Die jetzt meist bestehende Organisation ist nicht nur eine 


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beständige Quelle für die Verschleppung von Krankheitsstoffen, sondern 
sie birgt auch grosse Gefahren für den zu Befördernden selbst, be¬ 
sonders wenn es sich um Verletzte handelt, in sich. Die wesentlichen For¬ 
derungen fasst Rubner in folgenden Sätzen zusammen: „Die Kranken¬ 
wagen müssen in allen Fällen schnell zu erlangen sein, müssen also 
durch telephonische oder telegraphische Bestellung — wenigstens in den 
Gressstädten — zu erreichen sein. Die Stellung der Krankenwagen 
darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Patient zahlungs¬ 
fähig ist oder nicht, sondern nur von der Frage, ob der Transport 
nöthig ist Sieht man von den plötzlichen Unfällen ab, so wird immer 
ein Arzt zur Hand sein können, der die Nothwendigkeit des Trans¬ 
portes ohne Weiteres entscheidet. Die Transportwagen müssen an ge¬ 
eigneten Stellen der Stadt, ähnlich wie die Feuerwehr, zur raschen 
Anspannung bereit stehen. Die Wagen sollen möglichst unauffällig 
sein, die bequeme Lagerung des Kranken gestatten und zugleich die 
Aufnahme von Krankenwärtern (bei Schwer kranken) erlauben. Die 
Wagen müssen im Winter beheizbar, ferner lüftbar sein und Beleuch¬ 
tung besitzen. Medicamente für die Fälle der Noth und bei. Eintritt 
von Schwächezuständen sind rasch zur Hand und befinden sich im 
Wagen. Die Construction der Wagen vermeidet durch Federauf hängen 
und Gummiräder alle stärkeren Stösse. Die Wagen für ansteckende 
Kranke müssen so gebaut sein, dass dieselben leicht desinficirbar sind.“ 

Ferner empfiehlt Rubner in diesem Aufsatz die Einrichtung von 
Meldestationen für Kranke, besonders in jenen Stadtgegenden von 
Grossstädten, welche am weitesten, beziehungsweise weit von Kranken¬ 
anstalten abliegen. Dadurch Hesse sich der jetzt häufig vorkommende 
Uebelstand beseitigen, dass Kranke nach einem langen Transport wegen 
Raummangels in einem Hospital nicht aufgenommen werden können. 

Eine solche Meldestation, aus wenigen Zimmern bestehend, würde 
ständig mit einem Arzt besetzt sein. Bei geordnetem, centralisirtem 
Krankentransport Hessen sich zugleich ein paar Krankenträger hier 
stationiren. Die Meldestation steht in telephonischer Verbindung mit 
allen Krankenanstalten der Stadt und erfährt sonach, wo und wieviel 
Betten frei sind. 

Wenn die Städte sich dazu entschliessen, den Krankentransport¬ 
dienst nach den modernen Anforderungen einzurichten und ausserdem 
in der eben angedeuteten Weise Meldestationen ein richten, so wird 
auch die von hygienischer Seite gewünschte Verlegung der Hospitäler 
nach ausserhalb der Städte viel eher durchführbar sein. 

Bleib treu (Köln). 

Prof. Dr. M. v. Pettenkofer’s und Prof. Dr. H. v. Ziemssen’s Handbuch 
der Hygiene und der Gewerbekrankheiten. I. Theil, 2. Abtheilung, 
4. Heft. Die Wohnung von Prof. Dr. R. Emmerich und Prof. Dr. 
G. Recknagel, Leipzig, F. C. W. Vogel, 1894. 


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Von der Erwägung ausgehend, dass die Beschaffung gesunder 
Wohnungen ebenso wie die Regelung der Schmutzbeseitigung, der 
Wasserversorgung und der Lebensmittelpolizei zu denjenigen Aufgaben 
gehöre, deren Lösung von den zur Förderung des Gemeinwohls be¬ 
stellten Organen anzustreben sei, erläutern die Verfasser die wissen¬ 
schaftlichen Erfahrungen und die daraus abgeleiteten hygienischen 
Grundsätze, welche bei Herstellung und Benutzung der Wohnung mass¬ 
gebend sein sollen, in der Art, dass sie unmittelbar als Richtschnur 
der praktischen Ausführung dienen können, und führen den Nachweis, 
dass die wichtigsten der angeregten Verbesserungen gegenüber dem 
althergebrachten Unzulänglichen einen erheblichen Mehraufwand von 
Kosten nicht verursachen. 

In den zwölf Capiteln, in welchen Prof. Dr. Emmerich den Bau 
des Wohnhauses bespricht, weist er zuerst nach, von welcher 
Wichtigkeit für die Gesundheit der Wohnung die Wahl des Bauplatzes, 
und zwar sowohl mit Rücksicht auf die Terraingestaltung, also die 
Lage der Häuser in Vertiefungen, an Gehängen oder in stufenförmigem 
Terrain, als auch mit Bezug auf die Tektonik und die Grundwasser¬ 
verhältnisse des Baugrundes ist. Zweifellos bieten die verschieden¬ 
artigen Boden- und Oberflächengestaltungen eine Reihe von Fällen, in 
welchen die Bebauung des Geländes vom hygienischen Standpunkte 
aus bedenklich erscheint; da der Mensch jedoch in der Wahl seines 
Ansiedlungsplatzes sich keiner Beschränkung unterwirft, ist es eine der 
Aufgaben der modernen Gesundheitspflege, Maassnahmen zu treffen, 
um auch einen verdächtigen oder thatsächlich verseuchten Untergrund 
zum Baugrunde geeignet zu machen. Diesem Zwecke dienen die im 
Einzelnen dargestellten Arbeiten der Trockenlegung des Baugrundes 
und der Umgebung des Hauses, die zweckmässige Anlage der Grund¬ 
mauern, besonders bei einer Lage derselben im Wasser und in Sümpfen. 
Bei der Besprechung der Baumaterialien wird besonders auf die grosse 
Wichtigkeit der Verwendung solcher Stoffe hingewiesen, welche eine 
gewisse Porosität besitzen, die im Grossen und Ganzen in engem Zu¬ 
sammenhänge mit der Wärmecapacität des betreffenden Stoffes steht, 
und es wird die Bestimmung der Permeabilität von Baumaterialien 
nebst dem Einflüsse, welchen Luftdruck, Wandstärke und Befeuchtung 
auf dieselbe hat, näher dargelegt. Eingehend werden die verschiedenen 
Arten der Errichtung von Umfassungsmauern, insbesondere solcher mit 
Luftisolirschichten geschildert. Die grosse Gefahr, welche die Zwischen¬ 
decken für die Gesundheit der Bewohner durch ungeeignete Con- 
struction und Verwendung unreinen Füllmaterials bieten, sowie die 
Herstellung gesundheitlich unschädlicher Zwischendecken und Fuss- 
böden werden ausführlich behandelt. Das sechste Capitel giebt die 
Darstellung der Zersetzungserscheinungen und Pilzkrankheiten des Bau¬ 
holzes und des Einflusses derselben auf die menschliche Gesundheit; 


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es folgen die Abschnitte über das Dach, die Treppen und die Aborte. 
Hinsichtlich der Abortlüftung stellt der Verfasser den noch keineswegs 
genügend gewürdigten Leitsatz auf, dass dieselbe in zuverlässiger Weise 
nur mit Hülfe eines Motors zu erzielen sei, welcher in bestimmter Zeit 
eine bestimmte Menge von Luft auf dem beabsichtigten Wege fördert, 
wofür der Nachweis zu erbringen ist. Das Schlusscapitel beschäftigt 
sich mit dem wichtigen Gegenstände der Feuchtigkeit der Neubauten 
und deren Austrocknung. Im Gegensatz zu den bisherigen, unzweifel¬ 
haft höchst trügerischen und unsicheren Methoden zur Beurtheilung der 
Mauerfeuchtigkeit durch Beschauen und Betasten ermittelte Glässgen 
die wichtige Thatsache, dass der innere Mörtelbewurf einer Wand um 
so feuchter ist, je feuchter die Wand selbst ist, und dass es daher zur 
Beurtheilung der Wandfeuchtigkeit genügt, den Wassergehalt des 
inneren Mörtelbewurfs zu bestimmen. Diese Bestimmung kann auf 
mehrfache Weise nach verschiedenen, genau angegebenen Methoden 
erfolgen. Glässgen nahm auf Grund zahlreicher Untersuchungen von 
Neubauten als Norm an, dass jeder Neubau als trocken und beziehbar 
erklärt werden könne, wenn der innere Wandputz nicht mehr als 1 °/o 
Wasser im Feinputz enthält; Emmerich erscheint diese Forderung 
jedoch zu streng und er schlägt vor, einen Wassergehalt des Gesammt- 
mörtels von 2 °/o (mit dem Vakuumapparat bestimmt) als Norm der 
Trockenheit zu fordern. Weiter werden noch der Schutz der Neu¬ 
bauten gegen Durchnässung durch Regen, das Austrocknen der Bauten 
und die Mittel zur Herstellung rasch trocknender Neubauten besprochen. 

Angeschlossen ist eine Abhandlung über Lüftung des Hauses 
von Prof. Dr. G. Recknagel. Der Verfasser giebt eine auf genauen 
Berechnungen gegründete, eingehende wissenschaftliche Darstellung aller 
die Lüftung des Hauses betreffenden Verhältnisse und erläutert im 
ersten Theile die Wirkung des Athmungsprocesses auf eine begrenzte 
Luftmasse, die Factoren, welche bei der Bestimmung der Verunreinigung 
der Luft als maassgebend zu erachten sind, sowie die Ermittlungen 
der Grösse des erforderlichen Luftwechsels für verschiedene Verhält¬ 
nisse. Der zweite Theil bespricht die Kräfte, welche die Luft in den 
Gebäuden bewegen und die Geschwindigkeiten, welche sie hervorbringen. 
Die Lüftung des Hauses durch capillare Luftkanäle (natürlicher Luft¬ 
wechsel) wird im dritten Abschnitt erörtert und zum Schlüsse werden 
die besonderen Vorrichtungen zur Erzielung eines auf Ausnutzung von 
Temperaturdifferenzen berechneten ausgiebigeren Luftwechsels (Zu- und 
Abflusskanäle, Fensterschieber, Centrallüftung), sowie Mittel zur künst¬ 
lichen Steigerung des Luftwechsels einer gegebenen Ltiftungsanlage 
(Heizen des Abluftkamines, Vorwärmen der Zuluft, Anwendung des 
Ventilators zum Einblasen von Luft in die Frischluftkanäle oder zum 
Absaugen derselben durch Abluftkanäle erwähnt. 

Für die behaupteten Uebelstände der Lüftung des Hauses und für 


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die Leistungsfähigkeit der vorgeschlagenen Einrichtungen hat der Ver¬ 
fasser den zahlenmässigen Nachweis und die naturgesetzliche Begrün¬ 
dung beigebracht. 

Es ist dringend zu wünschen, dass diesen überzeugenden Dar¬ 
legungen in den Kreisen der Bautechniker, der Bauherren und der 
Behörden die grösste Aufmerksamkeit entgegengebracht, und dass den 
Forderungen der Gesundheitspflege bei Errichtung unserer Wohnhäuser 
ein viel weiter gehender Einfluss eingeräumt wird, als dies zur Zeit 
der Fall ist. Schultze (Bonn). 

N. P. Schierbeck, Ueber die Bestimmung des Feuchtigkeitsgrades der 
Luft für physiologische und hygienische Zwecke. Archiv für Hygiene, 
1895, 25. Bd., 2. Heft. 

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung fasst Schierbeck 
in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Bei der Beurtheilung des Einflusses eines Klima’s auf die 
Wärmeregulirung des Organismus und bei der Beurtheilung der aus¬ 
trocknenden Wirkung desselben sowohl auf den Organismus als auf 
leblose Gegenstände ist das Hauptgewicht auf die Geschwindigkeit der 
Verdampfung zu legen. 

2. Das Spannungsdeficit giebt keinen Maassstab der Geschwindig¬ 
keit der Verdampfung ab, wie allgemein angenommen wird. 

3. Das Stefan’sche Gesetz dagegen ist der genaueste Ausdruck, 
den wir bisher besitzen, für die Abhängigkeit der Verdampfungsge¬ 
schwindigkeit von den atmosphärischen Verhältnissen, wenn die Luft 
in völliger Ruhe ist, jedoch muss noch eine Correction der Lufttempe¬ 
ratur in die ursprüngliche Stefan’sehe Formel aufgenommen werden, 
da die Verdampfung zugleich der absoluten Temperatur proportional ist. 

Das Dalton’sche Gesetz ist unter gewöhnlichen Verhältnissen der 
natürlichen Atmosphäre ein zwar nicht völlig so genauer, zu praktischen 
Zwecken jedoch brauchbarer Ausdruck der Verdampfungsgeschwindig¬ 
keit; bei höheren Dampftensionen ist es dagegen nicht anwendbar. 

4. Die Verdampfungsgeschwindigkeit ist der Quadratwurzel der 
Geschwindigkeit des Windes proportional. 

5. Die austrocknende Wirkung eines Klima’s ist also folgendem 
Ausdruck proportional 

log O H- « 0 V w 

wo f| durch die Temperatur gemessen wird, welche ein feuchtes Thermo¬ 
meter angiebt, das vor dem directen Einfluss des Windes geschützt an¬ 
gebracht ist, also gerade so, wie es auf den meteorologischen Stationen 
der Fall ist. Es wäre deshalb wünschenswert, dass die Temperaturen 
des feuchten Thermometers künftig in den meteorologischen Tabellen 
direct angeführt würden. Bleibtreu (Köln). 


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J. Stubben, Gesundheitliche Verbesserungen baulicher Art in italieni¬ 
schen Städten. (Bonn, E. Strauss 1895. 30 S.) 

An der Hand zahlreicher Skizzen schildert der Verf. in kurzen 
Zügen die baulichen Veränderungen in Rom, Neapel, Palermo und 
Florenz. Wir in Deutschland können aus dieser Darstellung sehr viel 
lernen. Wir sehen, mit welchen enormen pecuniären Opfern die 
italienischen Städte für die Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse 
sorgen, wie der Staat gewaltige Summen für denselben Zweck zur Ver¬ 
fügung stellt. So berechnen sich die Gesammtkosten dieser Ver¬ 
besserungen in Palermo auf 43 900 000 Lire bei einem Staatszuschuss 
von 5 687 000 Lire, für die baulichen Verbesserungen in Neapel hat 
der Staat sogar einen Zuschuss von 100 Millionen Lire bewilligt. 

Und nicht allein in den 4 angeführten Städten sind diese Umge¬ 
staltungen im Gang, sondern auch zahlreiche andere Städte sind in 
derselben Richtung thätig. Wenn auch zugegeben werdeu muss, dass 
bei diesen grossartigen Verbesserungen manches Malerische in den 
italienischen Städten vernichtet wird, so ist anderseits doch wieder zu 
bedenken, dass die Gesundheit und das Leben der Bewohner in aller¬ 
erster Linie in Erwägung kommen und den Werth des Malerischen weit 
Überragen. 

Für uns bilden aber diese Schilderungen eine ernste Mahnung, 
nach dieser Seite hin mehr zu thun, als bisher geschehen ist, denn es 
ist fraglos, dass wir in der Verbesserung und Beseitigung alter unge¬ 
sunder Stadttheile hinter anderen Nationen zurückgeblieben sind. 

Pröbsting. 

K. B. Lehmann, Die Verunreinigung der Saale bei und in der Stadt 
Hof, ihre Ursachen und die Mittel zur Abhülfe. Hof 1895, Verlag 
der Münzel’schen Buchdruckerei. 

Dieses Gutachten ist im Aufträge des Stadtmagistrates von Hof 
erstattet worden aus Veranlassung der Folgen der Verunreinigung der 
Saale durch die Abwässer zahlreicher, zum Theil bedeutender Industrie¬ 
anlagen, wozu noch die Spülwässer der Haushaltungen, die AbfÜlle 
des Schlachthauses etc. kommen. Nicht nur die Stadt, sondern auch 
einige unterhalb Hof gelegene Landgemeinden führten lebhafte Klage 
Über die stets zunehmende Verschlechterung des Saalewassers. Wenn 
nun auch dieses Gutachten, welches in der gewissenhaftesten Weise 
speciell auf Grund zahlreicher Wasseranalysen die Ursachen der Ver¬ 
unreinigung zu erforschen sucht und zum Schluss die Mittel angiebt, 
welche die Uebelstände am besten zu beseitigen im Stande sind, zu¬ 
nächst nur locales Interesse hat, so soll hier doch auf dasselbe ver¬ 
wiesen werden, weil dasselbe als mustergiltig für alle derartigen Gut¬ 
achten, welche bei der immer mehr sich ausdehnenden Industrie wohl 
in Zukunft immer häufiger eingeholt werden, bezeichnet werden muss. 

Bleib treu (Köln). 


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Davids, Untersuchungen über den Bakteriengehalt des Flussbodens in 
verschiedener Tiefe. (Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, S. 213—227.) 

Verf. hat im Aufträge Rubner’s mittelst eines neu construirten, 
wasserdicht schliessenden Ventilbohrers Erd proben aus verschiedener 
Tiefe des Flussbodens, und zwar des kleinen, am östlichen Ufer des 
Kieler Hafens mündenden Flüsschens Schwentine entnommen und die¬ 
selben auf ihren Bakteriengehalt untersucht. Der Keimgehalt wurde so 
bestimmt, dass abgemessene Mengen der erbohrten Erdproben in verflüs¬ 
sigte Gelatine gebracht wurden, welche zu Esmarch’sehen Rollröhrchen 
ausgerollt wurden. 

Die Proben wurden an drei verschiedenen Stellen des Flussbodens 
entnommen und zum Vergleich jedesmal eine 4—5 m vom Flusse ent¬ 
fernte Uferstelle herangezogen. 

Aus diesen Untersuchungen ging hervor, dass der Flussboden in 
Bezug auf den Bakteriengehalt in verschiedener Tiefe sich ähnlich verhält, 
wie der nicht vom Wasser bedeckte Uferboden. Die Zahl der Keime 
nimmt mit zunehmender Tiefe ab. Nach dieser Seite hin stimmen die Re¬ 
sultate David’s mit den Untersuchungen Fränkel’s, Reimer’s, 
Eberbach ’ s. u. s. w. überein. Sie unterscheiden sich jedoch von 
diesen dadurch, dass auch bis zur Tiefe von 7 m eine absolute 
Keimfreiheit nicht gefunden wurde. 

Man kann also entgegen den Behauptungen, die von vielen Seiten 
aufgestellt werden, nicht mit Sicherheit darauf rechnen, schon in einer 
Tiefe von 4 m — was für die Anlage von Trinkwasserbrunnen von 
Bedeutung ist — einen keimfreien gewachsenen Boden zu finden. 

Abhängig ist die Bakterienzahl übrigens nicht von der Bodentiefe, 
sondern auch von der Bodenart, da diejenigen Bodenschichten einen 
höheren Keimgehalt haben, die ein grösseres Nährmaterial besitzen. 

Was die verschiedenen Bakterienarten betrifft, so teilt D. über die¬ 
selben nur mit, dass mit zunehmender Tiefe die die Gelatine verflüssigen¬ 
den Keime besonders abnehmen. Anärobe Keime kamen nicht zur Ent¬ 
wicklung, Schimmelpilze kamen in den Proben aus grösserer Tiefe nur 
ganz vereinzelt vor. Hauptsächlich wurden in den Bodenproben aus 
einer Tiefe von 5—7 m nicht verflüssigende farbstoffbildende Bak¬ 
terien gefunden. Besonders langsam wachsende Keime kamen in den 
untersuchten Erd proben nicht vor. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Dr. Bruno Galli Valerio, Die Rabot’sche Desinfectionsmethode mit 
Kalkmilch und Eisensulfat. Giomale della reale societä italiana d’igiene. 
December 1894. 

Ein noch nicht genügend gewürdigter Theil der Desinfection ist 
die der menschlichen und thierischen Abfallstoffe, der Kanäle, stagniren- 
den Wässer u. ä. Hier bedarf es vor allem solcher Desinfectionsmittel, 


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welche neben kräftiger Wirkung sich durch billigen Preis und geringe 
Giftigkeit für Mensch und Thier auszeichnen. • Diese Vorzüge ver¬ 
bindet die Rabot’sche Methode, nach welcher ein Cubikmeter der zu 
desinficirenden Massen mit 1 kg Kalkmilch und 500 g Eisensulfat in 
gesättiger Lösung vermischt wird. 

Die Wirkung der Kalkmilch, welche eine chemische und durch 
Bildung eines Niederschlages auch eine mechanische ist, wurde schon 
lange durch die Versuche von Koch, Kitasato, Pfuhl u. a. sichergestellt. 
Rabot fügte Eisensulfat hinzu, hierbei bildet sich nach der Formel 
Ca(OH) 2 + FeS0 4 — Fe(OH) 2 + CaS0 4 Calciumsulfat und Ferrohydrat, 
welch letzteres bei Gegenwart von 0 in Ferrihydrat übergeht, das 
leicht wieder zu Ferrohydrat reducirt werden kann. Darin liegt der 
besondere Werth dieser Combination. 

Verfasser hat sich durch zahlreiche Versuche an Meerschweinchen, 
welche er mit faulenden Stoffen, die durch obige Mischung desinficirt 
waren, impfte, von der Wirksamkeit des Mittels überzeugt. Alle diese 
Thiere blieben am Leben, während sämmtliche Controlthiere zu Grunde 
gingen. 

Zum Schluss tritt Verfasser nochmals lebhaft für die Bedeutung 
obiger Mischung in der Städtehygiene ein. 

Dr. Kronenberg (Solingen). 

A. Schuberg, Die parasitischen Amöben des menschlichen Darmes. 
Kritische Uebersicht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand 
unserer Kenntnisse. (Centralbl. für Bakteriologie und Parasitenkunde 1893, 
Bd. XIII, Nr. 18/19, S. 598-609; Nr. 20, S. 654-665 u. Nr. 21/22, S. 701—714.) 

Man kann die Protozoen, welche den thierischen Organismus be¬ 
wohnen, in zwei Gruppen scheiden, nämlich in solche, welche den 
grössten Theil ihres Lebens innerhalb der Zellen des von ihnen 
befallenen Organismus zubringen, wie z. B. die Malariaparasiten, 
und in solche, welche ausserhalb der Zellen gefunden werden^ 
wie die im Darm des Menschen gefundene Amoeba coli. 

Es ist nun aus dem häufigen Vorkommen dieser Darmamöbe 
speciell bei Ruhrkranken und in Leberabscessen von vielen Autoren 
der Schluss gezogen worden, dass dieselbe die Erregerin der Ruhr 
sei. Als besonders beweisfähig führen einzelne Autoren dabei die 
Thatsache an, dass es gelungen sei, durch Einfuhren amöbenhaltigen 
Materials in den Dickdarm von Katzen bei diesen eine ruhrähnliche 
Erkrankung zu erzielen. 

Schuberg stellt nun in umfassender Weise die recht reichliche 
Literatur über diesen Gegenstand zusammen und übt dabei eine sach¬ 
liche Kritik derselben. Es ergiebt sich zunächst, dass die meisten 
Beobachtungen bei Kranken angestellt wurden, so zwar, dass Amöben 
am meisten bei Ruhrkranken und in Leberabscessen gefunden wurden, 


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die im Gefolge der Ruhr auftreten; doch wurden auch bei anderen 
Darmkrankheiten, wie Typhus, Cholera, chronischem Darmkatarrh u. s.w. 
Amöben gefunden, so dass ohne Zweifel der Satz Gültigkeit hat, dass 
Amöben auch bei verschiedenen anderen Krankheiten 
als Ruhr beobachtet worden sind. 

Da Beobachtungen Uber das Vorkommen von Amöben im Darm 
gesunder Menschen bisher nur sehr spärlich vorhanden waren, so ver¬ 
suchte Schuberg durch Abführmittel (Karlsbader Salz) den Inhalt der 
oberen Darmpartien herauszuschaffen, um denselben auf Amöben zu 
untersuchen. Es gelang ihm denn auch, unter etwa zwanzig Stühlen 
in der Hälfte der Fälle Amöben nachzuweisen, die in jeder Beziehung 
den von verschiedenen Autoren als Erreger der Ruhr angesprochenen 
Amöben glichen. 

Schuberg war zu diesen Untersuchungen durch folgende Erwägung 
gekommen. Die Amöben gehen in der Regel, wie festgestellt werden 
konnte, in dem normalen Kothe durch die Umwandlungen zu Grunde, 
welche derselbe in den unteren Darmabschnitten erfährt, so dass sie 
in dem normal entleerten Stuhl nicht zu finden sind. Uebrigens werden 
sie auch durch Ricinusöl vernichtet. Es ist aber leicht erklärlich, dass 
die Amöben unter geeigneten Bedingungen, d. h. bei Erkrankungen 
des Darmes, also z. B. bei der Ruhr, wobei die Fäces nicht die eben 
erwähnten Umwandlungen durchmachen, leicht in denselben nach¬ 
gewiesen werden können. 

Dass es sich bei den Amöben von Ruhrkranken und von ge¬ 
sunden Menschen wohl nicht um zwei verschiedene Arten handelt, 
sondern vielmehr um eine und dieselbe, nämlich die Amoeba coli 
(Lösch), geht wohl daraus hervor, dass Schuberg mit den von gesunden 
Menschen stammenden Amöben die nämlichen Erscheinungen bei Ver- 
suchsthieren auslösen konnte, wie mit den von Ruhrkranken stammen¬ 
den. Ob übrigens die bei Versuchstieren angeblich von den Amöben 
hervorgerufenen Krankheitserscheinungen (Kartulis) wirklich auf die 
Amöben zurtickzuführen sind, ist zum mindesten sehr zweifelhaft, da 
diese Experimente nicht mit Reinculturen von Amöben, die bisher 
noch nicht dargestellt werden konnten, angestellt wurden, sondern mit 
Gemischen aus Amöben und Bakterien. 

Auch der Einwand, es möchten vielleicht beim Menschen ver¬ 
schiedene Arten, pathogene und nicht pathogene, Vorkommen, ist hin¬ 
fällig, da alle Beschreibungen der Amöben, so mangelhaft sie im All¬ 
gemeinen auch sind, doch ziemlich genau Ubereinstimmen. 

Aus allem diesem geht hervor, dass ein ursächlicher Zusammen¬ 
hang zwischen Ruhr und Darmamöben bisher noch nicht sichergestellt 
ist und auch nicht einmal sehr wahrscheinlich ist. Jedenfalls wird 
man weitere Untersuchungen über die Ursache der Ruhr, resp. über 
die Wirkungen der Darmamöben auf den Organismus nicht früher mit 


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Erfolg betreiben können, bevor man nicht dazu gelangt ist, diese 
Amöben in Reincultur zu züchten. Dies ist also auf diesem Gebiete, 
auf dem noch recht viel zu thun ist, die nächstliegende Aufgabe *). 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Ueber Desinfection des Darmkanals. Untersuchungen von Dr. Luigi Brotzu 
(Annali dell’ Istituto d’Igiene sperimentale della R. Universiti di Roma. 
Vol. IV. Fase. IV). 

Das Interesse, welches von Tag zu Tag das bacterium coli com¬ 
mune angenommen, obgleich experimentell die Bedingungen noch nicht 
festgestellt sind, welche seine Virulenz vermehren können, hat neue 
und zahlreiche Beobachtungen zur Folge gehabt. Ohne die Theorie 
der Identität mit dem Ebert’schen Bacillus, welche von Rodet, 
Roux und Anderen angenommen, von Einigen, wie Chantemesse 
und Widal bekämpft worden, discutiren zu wollen, bestätigt der 
Verfasser die pathogenen Eigenschaften des bacterium coli in den Pro¬ 
cessen der eiterigen Peritonitis, der Pyelonephritis, der eiterigen 
Meningitis, bei Leberabcessen und Puerperalinfectionen, bei welchen 
fast ständig der Bacill in Reinkultur gefunden wurde. Diese Be¬ 
obachtungen berechtigen dazu, ihn zu den stärksten pathogenen Mikroben 
zu rechnen. 

Ausserdem wurde das bacterium coli von Gilbert und Giro de 
in drei Fällen von Cholera nostras, von Lion und Marfan in zwei 
Fällen von Enteritis dysenteriformis mit Ulcerationen des Dickdarmes 
gefunden. Maggiora fand ihn bei einer Epidemie von Enteritis 
dysenteria und Rossi Doria in den Sommerdiarrböen der Kinder, wo 
er die Symptome einer Enterocolitis acuta gab und eine Allgemein- 
infection erzeugte ähnlich der typhösen, sowohl was die klinischen Er¬ 
scheinungen, als die pathologisch-anatomischen Veränderungen und den 
epidemischen Charakter anbetrifft. 

Nachdem Verfasser zunächst bei Hunden den Einfluss der ver¬ 
schiedenen Ernährungsformen (Mehldiät, Fleischdiät, gemischte Diät) 
auf die Entwickelung der Organismen des Darmes studirt, und nachdem 
er gefunden, dass eine Hungerkur die Zahl der Organismen nicht ver¬ 
mindert, beschreibt er die Bakterien des Darmcanals beim Hunde als 
zwei grosse Familien, deren Hauptgruppen sind das bacterium coli 
commune von Escherich und ein typhusähnlicher Bacillus. Von den 
verschieden ernährten Hunden wurde ein Gramm Kot entnommen, in 
10 ccm sterilisirtem Wasser gelöst und davon 2 ccm Meerschweinchen 
in das Unterhautbindegewebe eingespritzt. Die letzteren starben ge¬ 
wöhnlich in 2—3 Tagen und zeigten bei der Section meist serosanguino- 
lentes Oedem des Unterhautzellgewebes. Nim wurden die verschieden 

J ) Vgl. hierzu dieses Centralblatt 1894, S. 276. 


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schweren Hunde mit antiseptischen Medicamenten behandelt, die man 
theils der Nahrung zufügte, theils in Klystierform den Thieren bei¬ 
brachte. Bei ihnen wurde die Keimzahl bestimmt und die Kothemulsion 
hierauf, wie oben beschrieben, Meerschweinchen eingespritzt. 

Die Resultate dieser Untersuchungen entsprachen nicht den Er¬ 
wartungen von einer wirklichen Desinfection und Antisepsis des Darm¬ 
kanals. Fast negativ fiel die antiseptische Wirkung aus bei den lös- 
ichen Mitteln, die in dem oberen Tractus des Ernährungsschlauches 
liecht resorbirbar waren. Resorcin, Gerbsäure, Salicylsäure, überman¬ 
gansaures Kali, die Chininsalze übten nur dann eine geringe antisep¬ 
tische Wirkung aus, wenn sie in Form von Rectalinjectionen angewandt 
wurden. Doch zeigten weitere Controlversuche, dass Einspritzungen von 
sterilisirtem Wasser denselben Effect hatten. 

Etwas bessere Resultate lieferten die per os eingeführten unlöslichen 
Desinfectionsmittel, wenn sie, sehr fein gepulvert, in kleinen, öfters 
wiederholten Dosen gegeben wurden. Unter ihnen gebührte der Vorzug 
dem Salol und dem Benzonaphtol, die im Darmcanal sich zersetzen, 
und von denen das erstere seine Abstammung von der Salicyl- und 
Phenylsäure bewies und das zweite als ß Naphtol in statu nascendi 
am wirksamsten war. Das Thymol verminderte beträchtlich die Zahl 
der Keime im Darmcanal und zeigte die meiste antiseptische Wirkung 
bei Rectalinjectionen. Nicht geringere Wirkung zeigte das Cresol, welches 
von Hi Iler für die Behandlung des Typhus vorgeschlagen wurde; 
bei sechstägiger Anwendung war die Zahl der Keime auf die Hälfte 
reducirt. 

Verfasser schliesst aus seinen Untersuchungen, dass eine wirksame 
Desinfection des Darmcanales mit beiden gleichzeitig anzuwendenden 
Methoden erzielt werden könne; nämlich mit Anwendung eines der 
besseren, unlöslichen, antiseptischen Mittel per os und mit Rectalirriga¬ 
tionen mittels Lösungen von Substanzen, deren antiseptische Wirkung 
nicht zweifelhaft ist. Kreisphysikus Dr. Hensgen (Siegen). 


Cramer, Die Zusammensetzung der Cholerabacillen. (Archiv für Hygiene 
XXH. Bd., II. Heft, S. 167-190.) 

Die Resultate der Cramer’sehen Arbeit sind folgende: 

1. Es existirt bei den Bacterien eine directe Gasathmung; der 
directe Contact mit dem atmosphärischen Sauerstoff befähigt die 
Cholerabacillen, den Nährboden besser auszunutzen, als wenn selbst 
bei reichlichster Luftzufuhr kein solcher Contact stattfindet. 

2. Die Zusammensetzung der Cholerasorten verschiedener Pro¬ 
venienz auf Sodabouillon ist eine nahezu gleichmässige. Die Trocken¬ 
substanz der Commabacillen enthält im Mittel 65 °/o Eiweiss und 
31 °/o Asche. 


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3. Ganz anders verhalten sich die Commabacillen auf eiweissfreier 
Uschinskylösung. Sie enthalten hier in der Trockensubstanz weit 
weniger Eiweiss und Asche und zeigen eine von einander deutlich ver¬ 
schiedene Zusammensetzung. 

4. Auf gutem Nährboden verhalten sich die Commabacillen rück¬ 
sichtlich ihrer Zusammensetzung fast völlig gleich; auf weniger günstigem 
eiweisfreien Nährboden treten Differenzen auf, und zwar können die 
am unmittelbarsten aus menschlichen Dejectionen gezüchteten Comma¬ 
bacillen die geringste Tendenz zu saprophtyischem Wachstum zeigen. 

5. Bei dem Wachsthum auf Sodabouillon kommt fast aller von den 
Bakterien in Angriff genommene Stickstoff als Eiweissstickstoff. Die 
Sauerstoffzufuhr ist dabei innerhalb gewisser Grenzen ohne Belang. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

Sobernheim, Untersuchungen über die speoifisehe Bedeutung der 
Cholera-Immunität. (Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, 
Bd. XX, Heft 3, S. 438 -489.) 

Ueber die früheren, dieses Thema betreffenden Arbeiten des Ver¬ 
fassers ist in früheren Heften von uns ausführlich berichtet worden. 
Es genüge daher jetzt die Angabe der Resultate: 

Nur bei Vorbehandlung mit Choleraculturen gelingt es, eine 
dauernde, über Wochen und Monate sich erstreckende Immunität gegen 
die intraperitonale Cholera-Infection zu erzielen und den Thierkörper 
zur Production von Choleraschutzstoffen (Antitoxinen) zu befähigen. 

Der Impfschutz, welcher vermittels anderer Bakterienarten gegen 
Cholera geschaffen wird, erlischt nach relativ kurzer Zeit (nach circa 
14 Tagen) und lässt eine Schutzwirkung des Blutes gegenüber der 
Cholera-Infection nur in dem gleichen Maasse hervortreten, wie sie 
auch dem Blute unbehandelter Thiere eigen ist. 

In diesem Sinne ist neben einem allgemein, auf verschiedene Weise 
zu erzeugenden Impfschutz auch eine echte, durch ganz specifische 
Eigenschaften charakterisirte Cholera-Immunität zu unterscheiden. 

Die Immunisirung — sowohl mit Choleraculturen wie mit Cholera¬ 
serum — bewirkt die Entstehung baktericider Substanzen, deren ganz 
specifischer Charakter durch die von Pfeiffer angegebene Methode 
innerhalb des Thierkörpers festzustellen ist. 

Die auf dem Princip der specifischen Serumwirkung beruhende 
„Pfeiffer* sehe Reaction“ scheint sich in der That als ein vorzügliches 
differential-diagnostisches Mittel zur Trennung der Koch’sehen Vibrionen 
von choleraähnlichen Arten zu bewähren. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

% 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 10 


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Gotschlioh, Cholera&hnliehe Vibrionen bei schweren einheimischen 
Brechdurchfällen. (Zeitschrift für Hygiene, Bd. XX, S. 489—501.) 

Während der letzten Choleraepidemie sind in den Jahren 1893, 
1894 und 1895 in Schlesien eine grosse Anzahl schwerer Brechdurch¬ 
fälle vorgekommen, mit einer Mortalität von 40 °/o im Jahre 1893, 43,3 °/o 
im Jahre 1894 und 31,9 °/o im Jahre 1895. Alle diese Fälle wurden 
im hygienischen Institut der Universität Breslau auf Cholerabacillen 
untersucht, und zwar mit negativem Resultate. 

Eine deutliche Zunahme dieser Erkrankungsfälle war im Hoch- 
und Spätsommer zu constatiren. Das klinische Bild derselben war 
häufig von dem der Cholera asiatica nicht zu unterscheiden; die nähere 
Diagnose ermöglichte immer erst die bakteriologische Unter¬ 
suchung. In den meisten Fällen war die bakteriologische Diagnose 
leicht zu stellen, da nur eine Art von Colonien auf den von der 
Pep tonwasser-Vorcultur angelegten Gelatineplatten eine gewisse Aehn- 
lichkeit mit Cholera-Colonien aufwies, deren Bakterien sich aber bei 
der Untersuchung als kurze Stäbchen ohne Krümmung erwiesen. 

Nur in zwei Fällen gestaltete sich die bakteriologische Unter¬ 
suchung schwierig, da in dem einen Fall sowohl aus dem Pepton¬ 
wasser als auch von den Gelatineplatten zwei Vibrionen-Arten sich 
isoliren Hessen, die mehr oder weniger grosse Aehnlichkeit mit 
Choleravibrionen aufwiesen. Bei dem zweiten Fall konnte ebenso ein 
dem Choleravibrio ähnlicher Vibrio rein gezüchtet werden. 

G. giebt in seiner Arbeit eine umfassende Beschreibung dieser 
beiden Fälle, sowie der drei isolirten Vibrionen, aus welcher hervor¬ 
geht, dass das morphologische Verhalten der drei Vibrionen wohl 
viele Aehnlichkeit mit dem Choleravibrio aufwies, nach einigen 
Richtungen auch das biologische, dass aber doch so viel Ver¬ 
schiedenheiten vom Koch’sehen Vibrio vorhanden waren — z. B. fehlte 
bei allen dreien die Nitroso-Indolreaction, ferner waren zwei nach 
Uebertragung in die Bauchhöhle von Meerschweinchen ungiftig u. s. w. — 
dass eine Verwechslung mit Choleravibrionen für den einigermaassen 
geübten Untersucher direct unmöglich war. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Dr. Butteraack, Ueber Hosenträger. Archiv für Hygiene Bd. XVI, Heft 1 
S. 73—78. 

B. erklärt die bisherige Art der Hosenbefestigung für unzweck¬ 
mässig und in gewissem Grade für gesundheitsschädlich. Als zweck¬ 
mässig und empfehlenswerth erklärt er, dass künftig die Beinkleider 
nicht an den Schultern, sondern am Becken aufgehängt werden. 

^ Dr. Mastbaum (Köln). 


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Verzeichntes der bei der Redaction eingegangenen neuen 

Bücher ete. 

Annali d’igiene sperimentale, diretti dal Prof. Angelo Celli. 
Volume VI. (Nuova Serie.) Fase. I. 1896. Roma 1896. Societä editrice 
Dante Alighieri. 8°. 181 S. 

Berger, Dr. Heinrich, Die Infectionskrankheiten. Ihre Abwehr und Unter¬ 
drückung. 8°. 810 S. Braunschweig 1896. Fr. View eg & Sohn. Preis 
4 Mk. 

Dornblüth, Dr. med. Otto, Gesunde Nerven. Aerztliche Belehrungen für 
Nervenkranke und Nervenschwache. 8°. 189 S. Rostock 1896. Wilh. 
Werther. Preis 2,50 Mk. 

Hess, Professor C., Ueber Linsentrübungen in ihren Beziehungen zu Allge¬ 
meinerkrankungen. 8°. 39 S. Halle a./S. 1896. Karl Marhold. (Sammlung 
zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheilkunde. Bd. I, 
Heft 2. Abonnementspreis für 1 Band =-■ 8 Hefte 8 Mk.) Einzelpreis 
1,20 Mk. 

Jacobson, Dr. G., Leitfaden für die Revisionen der Drogen-, Gift- und 
Farbenhandlungen nach den Vorschriften vom 1. Februar 1894 zum Ge¬ 
brauch für Medicinalbeamte, Apotheker, Drogisten und Behörden. 8°. 
167 S. Salzwedel 1896. Gustav Klingenstein. 

The Journal of experimental medicine, edited by William H. Welch. 
Vol. I, Nr. 1. 8°. 210 S. New-York 1896. D. Appleton & Co. 

J u r i s c h, Dr. Konrad W., Ueber Gefahren für Arbeiter in chemischen 
Fabriken. Eine Vertheidigung. 8°. 19 S. Berlin 1896. M. Krayn. 

Keller, Dr. C., Die Wanderniere der Frauen, insbesondere ihre Diagnose 
und Therapie. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete 
der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Bd. I, Heft 2.) 8°. 44 S. Halle ajS. 
1896. Carl Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. 
Einzelpreis dieses Heftes 1,20 Mk. 

Lahs, Professor, Zur Reform der Kreisphysikate. Zur Heilserumfrage. 8°. 
27 S. Marburg 1896. N. G. Elwert'sche Verlagshandlung. Preis 50 Pf. 

Marcuse, Dr. Adolf, Die atmosphärische Luft Eine allgemeine Darstellung 
ihres Wesens, ihrer Eigenschaften und ihrer Bedeutung. 8°. 76 S. Berlin 
1896. Friedländer & Sohn. Preis 2 Mk. 

Müller, Dr. Franz C., Ueber Schüler-Verbindungen. 4. Auflage. 8°. 16 S. 
München 1896. Seitz & Schauer. Preis 50 Pf. 

Rethi, Dr. L., Die Verbildungen der Nasenscheidewand in ihren örtlichen 
und allgemeinen Beziehungen. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus 
dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Halskrankheiten. Bd. I, 
Heft 9.) 8°. 44 S. Halle a./S. 1896. Karl Marhold. Abonnementspreis 
für 1 Band = 12 Hefte 12 Mk. Einzelpreis 1,40 Mk. 

8chörg, Johann, So verhütet und heilt man die Diphtherie. Eine ernste 
Mahnung in jedes Elternhaus. 8°. 40 S. Röthenbach bei Lauf (Bayern). 
Selbstverlag. Preis 1 Mk. 

Schulgesundhei tslehre. Das Schulhaus und das Unterrichts wesen vom 
hygienischen Standpunkte, für Aerzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte und 
Architekten bearbeitet von Dr. H. Eulenberg und Dr. Theod. Bach. 
Zweite umgearb. Auflage. Lfg. 1. 8°. 80 S. Berlin 1896. J. J. Heiners 
Verlag. Preis 1 Mk. 

10 * 


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144 


21. annual report of the secretary of the State Board of Health of the State 
of Michigan. CXXIY u. 444 S. Lansing 1895. Smith & Co. 

Thiele, Dr. med. Adolf, Vorbeugungs- und Verhaltungsmaassregeln bei 
Diphtheritis. Ein Vorschlag zur praktischen Prophylaxe der Diphtherie. 
8°. 14 S. München 1896. Seitz & Schauer. Preis 50 Pf. 

Zeitschrift für sociale Medicin. Organ zur Vertretung und Förderung 
der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes. Herausgegeben von Dr. 
A. Oldendorff. Band I, Heft 5. 8°. Leipzig 1896. Georg Thieme. 
Preis des vollständigen Bandes 6 Mk., einzelne Hefte ä 1,20 Mk. 

NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬ 
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaction zur Besprechung 
an die Herren Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der be¬ 
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine 
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke 
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen 
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels, 
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren 
Einsendern genügen. D|e Ver|aBahand|unfl . 



Soeben erschienen: 


Archiv für Unfallheilkunde, Gewerbehygiene 














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(Nach dem in Dr. Baron’s Werke: Life of Jenner, London 1838, 
enthaltenen Stiche.) 


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Am Abend des 11. Mai d. J. starb in Godesberg 
plötzlich an einem Herzschlage der Mitherausgeber und 
Mitbegründer des Centralblattes für allgemeine Gesund¬ 
heitspflege, der 

Geh. Regierung8rath Prof. Dr. 

Carl Maria Finkelnburg, 

Generalarzt der Reserve, Ritter des Eisernen Kreuzes, 
im Alter von 63 Jahren. 

Seit dem Bestehen des Centralblattes hat er sich in 
hervorragender Weise an den Arbeiten für dasselbe be¬ 
theiligt; seit Gründung des Niederrheinischen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege gehörte er, mit Aus¬ 
nahme der Zeit seiner Thätigkeit im Kaiserl. Deutschen 
Gesundheitsamte, dem Vorstande des Vereins an. Eine 
Reihe inhaltreicher Vorträge und Aufsätze sind die Ge¬ 
denksteine seiner rastlosen Arbeitsfreudigkeit auf dem 
Gebiete der Gesundheitspflege. 

Mit herzlicher Trauer zeigen wir den Tod unseres 
bis zum letzten Augenblicke thätigen Mitarbeiters an. 
Das Centralblatt und der Niederrheinische Verein für 
Öffentliche Gesundheitspflege werden dem Heimgegangenen 
ein treues Andenken bewahren. 

Bonn, Köln, Tilsit, den 12. Mai 1896. 

Die Herausgeber und der Der Vorstand des 

Verleger des Centralblattes fflr Niederrheinischen Vereins fOr 
allgemeine Gesundheitspflege. Öffentliche Gesundheitspflege. 


CentralbUtt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 


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Edward Jenner. 

Biographische Skizze 1 ). 

Von 

Dr. Pröbsting in Köln. 


Zu Berkeley, einem kleinen Städtchen in der Grafschaft 
Gloucester, wurde am 17. Mai 1749 ein Knabe geboren, der 
berufen war, eine der segensreichsten Entdeckungen für die Mensch¬ 
heit zu machen und der Medicin die nachhaltigste Anregung zu 
geben. Das war Eduard Jenner. Sein Vater, Stephan 
Jenner, war Rector von Rockhampton und Vicar von Berkeley, 
seine Mutter war die Tochter eines Geistlichen Namens Henry Head. 
Schon in frühester Jugend traf den Knaben ein harter Schlag-, im 
Jahre 1754 starb nämlich der Vater, erst 52 Jahre alt, und nun 
übernahm der älteste Bruder Vaterstelle bei dem kleinen Eduard. 
Mit inniger Liebe und rührender Anhänglichkeit hat dieser seinem 
Bruder zeitlebens dafür gedankt. Im Alter von 8 Jahren wurde 
der Kleine nach Wotton-under-Edge auf die Schule geschickt, 
später nach Cirencester, und schon hier zeigte sich seine Liebe 
zur Natur und zu den Naturwissenschaften. Während andere 
Knaben spielten, benutzte er seine Erholungsstunden, um natur¬ 
wissenschaftliche Sammlungen anzulegen; besonders eifrig suchte er 
Fossile, die in der Umgegend von Cirencester sehr häufig gefunden 
werden. 

Nachdem seine Schulbildung vollendet war, kam er, damaliger 
englischer Sitte gemäss, nach Sodbury zu einem Arzt Namens 
Ludlow in die Lehre, um die Elemente der Chirurgie und Phar- 
macie zu erlernen. Als die festgesetzte Lehrzeit beendigt war, 

Nachfolgende Angaben entstammen dem Werke von John Baron, 
M. D., The life of Edward Jenner witli illustrations of his doctrines and 
selections from his correspondenee, in two volumes, London, H. Colbum, 1838. 


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ging er nach London, um seine Fachstudien fortzusetzen. Zwei 
Jahre lang arbeitete er hier unter der Leitung des berühmten John 
Hunter, dessen Lieblingsschüler er war, und in dessen Familie 
er lebte. Der Verkehr mit diesem hervorragenden Manne war von 
bestimmendem Einfluss auf Jenner’s Entwicklung. Durch ihn 
wurde Jenner zur genauen Beobachtung der umgebenden Natur 
angeleitet, durch ihn wurde er immer wieder zu neuen Unter¬ 
suchungen angeregt. Treue Freundschaft, wovon noch ein erhaltener, 
umfangreicher Briefwechsel beredtes Zeugniss giebt, verband die 
beiden ausgezeichneten Männer auf das Innigste mit einander. 
Während Jenner in London studirte, kam Capitain Cook von 
seiner ersten grossen Entdeckungsreise zurück (1771), und Jenner 
wurde beauftragt, die reichhaltigen Sammlungen desselben zu ordnen 
und zu präpariren. Er löste diese Aufgabe so vorzüglich, dass 
Cook ihm für seine zweite Reise, welche 1772 stattfand, eine Stelle 
als Naturforscher anbot. Aber die Liebe zu seinem ältesten Bruder 
und die Anhänglichkeit an seinen Geburtsort bewogen Jenner, 
dieses und ähnliche Anerbieten auszuschlagen. Er liess sich, 
23 Jahre alt, in seiner Vaterstadt Berkeley als Arzt nieder und 
erlangte sehr bald eine grosse, ausgedehnte Praxis. Die Mühen 
und Beschwerden, welche die Landpraxis mit sich bringt, musste 
er im reichsten Maasse durchkosten; so wäre er z. B. an einem 
kalten Wintermorgen beinahe erfroren. Trotz der vielen und 
grossen Anstrengungen seines Berufes fand er jedoch immer noch 
Zeit, sich mit naturwissenschaftlichen Studien zu beschäftigen; seine 
Beobachtungen über die Wandervögel, seine vortreffliche Unter¬ 
suchung über die Lebensweise des Kuckucks legen hierüber Zeugniss 
ab. Mit Hunter zusammen und hauptsächlich auf Anregung des¬ 
selben studirte er den Winterschlaf der Thiere, besonders am Igel. 
Aber auch auf die Erweiterung seiner medicinischen Kenntnisse 
war er eifrigst bedacht; so gründete er eine ärztliche Gesellschaft 
zur Förderung von Wissenschaft und Collegialität, und er selbst 
hielt zahlreiche Vorträge in dieser Vereinigung. Noch von einer 
anderen ärztlichen Gesellschaft war Jenner Mitglied; sie tagte zu¬ 
meist in Alveston, und hier brachte er zuerst seine Gedanken 
über die prophylaktische Wirkung der Kuhpockenimpfung in die 
Oeffentlichkeit. Bei seinen Kollegen fand er jedoch sehr wenig 
Glauben, ja, da er immer und immer wieder auf diesen Gegenstand 
zurtickkam, so wollte man ihn sogar aus der Gesellschaft aus- 
schliessen. 

Aber nicht allein als tüchtiger Arzt, sondern auch als heiterer, 
liebenswürdiger Gesellschafter war er bekannt und beliebt. Neben 
seinem fröhlichen Humor waren Bescheidenheit und eine tiefe Reli¬ 
giosität die Hauptzüge seines Charakters. In seinen Erholungs- 

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stunden beschäftigte er sich gern mit der schönen Literatur und 
mit der Dichtkunst. Wir besitzen von ihm noch eine grosse An¬ 
zahl von Gedichten, die zum Theil ein mehr wie gewöhnliches Talent 
verrathen. Nur sein Ruf als hervorragender Arzt, sagt Ed. Gardner, 
verhinderte es, dass Jenner sich als Dichter einen Namen machte. 
Ganz besonders aber liebte er die Musik, und er selbst spielte 
Violine und Flöte. 

Ueber seine äussere Erscheinung in dieser Zeit hat Gardner 
uns eine Beschreibung hinterlassen, die ich ganz kurz hier anftihren 
möchte. Darnach war Jenner unter mittlerer Grösse, von kräftiger 
aber wohlproportionirter Gestalt. In seiner Kleidung war er ausser¬ 
ordentlich sauber und wählerisch, und alles an ihm verrieth den 
ernsten, gesetzten Mann. 

Bis dahin hatte Jenner bei seinem ältesten Bruder Stephan 
gewohnt, am 6. März 1788 gründete er aber seinen eigenen Haus¬ 
stand, indem er sich mit Kath. Kingscote verheirathete. Wie 
aus Jenner’s Briefen hervorgeht, war die Ehe eine ausserordentlich 
glückliche; seine Frau stand ihm in Leid und Freud’ treu zur Seite, 
und als sie durch den Tod von ihm gerissen wurde, trauerte er tief 
und lange um sie. Im Jahre 1789 wurde ihm ein Sohn geboren, 
der den Namen Eduard empfing. 

Das Leben J e n n e r 7 s verlief nun still und ruhig, ohne grosse, 
bemerkenswerthe Ereignisse. Das änderte sich aber völlig, als er 
im Juni des Jahres 1798 mit seinem berühmten Werk „Inquiry 
into the causes and effects of the Variolae vaccinae, 
or the Cowpox“ vor die Oeffentlichkeit trat Aus dem einfachen, 
schlichten und bescheidenen Landarzt war mit einem Schlage ein 
hochberühmter Mann geworden. 

Die erste Anregung auf dem Gebiete der Schutzimpfung 
bekam Jenner schon während seiner Lehrzeit in Sodbury. 
Eine junge Frau kam zu seinem Lehrmeister, Dr. Ludlow, um 
sich Raths zu holen. In ihrer Gegenwart wurde auch von 
Pocken gesprochen, und die Frau bemerkte, dass sie diese nicht 
bekommen könne, da sie die Kuhpocken gehabt habe. Das war 
das erste Mal, dass Jenner von dieser unter den Landleuten 
der dortigen Gegend verbreiteten Meinung über die Schutzkraft 
der Kuhpocken hörte. Seither verliess ihn der Gedanke nie mehr; 
immer und immer wieder kam er in Gesprächen mit Freunden auf 
diesen Gegenstand zurück, oft, wie schon erwähnt, zum Ueberdruss 
seiner Zuhörer. Immer wieder suchte er die Aerzte anzuregen, die 
Sache mit ihm weiter zu verfolgen, jedoch vergebens, sie verhielten 
sich ablehnend. Aber Jenner’s Eifer erlahmte nicht; er studirte 
und forschte weiter und stellte mit verschiedenen Arten von Thier¬ 
pocken Experimente an; so impfte er z. B. 1789 seinem Sohn Eduard 


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die sog. Schweinepocken ein. In erster Linie aber suchte er das 
Wesen der Kuhpocken zu ergründen. Da zweifellos in einigen Fällen 
die Kuhpocken durch Uebertragung des Giftes der Mauke, einer 
bekannten Pferdekrankheit, entstanden waren, so glaubte Jenner, 
dass die Kuhpocken überhaupt von den Pferden herstammen, und 
dass das Gift der Mauke durch den Kuhkörper gehen müsse, um 
in den Kuhpocken seine Schutzkraft für den Menschen zu be¬ 
kommen. Die Menschenpocken und die Kuhpocken hielt Jenner 
für dieselbe Krankheit, letztere nur für die mildeste Form. Diese 
Erwägung legte den Gedanken nahe, durch die Ueberimpfung der 
Kuhpocken auf den Menschen einen Schutz gegen die eigentlichen 
Pocken zu schaffen. Denn schon im Anfänge des Jahrhunderts 
hatte man versucht, durch Ueberimpfen von Sekret der menschlichen 
Pocken auf andere Menschen den letzteren eine mildere Krankheits¬ 
form zu sichern. Aber die Methode war im Allgemeinen bald wieder 
verlassen worden, da eine immerhin grosse Anzahl der Geimpften 
an den Pocken gestorben war. 

Am 14. Mai 1796 impfte Jenner zum ersten Male 
die Kuhpocken von einem Menschen auf den anderen 
über. Das Impfmaterial entnahm er einer Pockenpustel an der 
Hand eines Mädchens Namens Sara Nelines und übertrug es mit 
zwei oberflächlichen Einschnitten am Arm auf den achtjährigen 
Knaben James Phipps. Die Impfung war von t Erfolg, und 
als zur Probe im Juli der Kleine mit Eiter aus einer menschlichen 
Pockenpustel geimpft wurde, erkrankte er nicht. Nach einigen 
weiteren Versuchen veröffentlichte er seine oben angeführte Arbeit 
Inquiry into the causes and effects of the Variolae vaccinae, in 
welcher er seine Ansichten über die Pocken, über die Schutzkraft 
der Kuhpocken und die Resultate seiner Ueberimpfungen (im 
Ganzen sieben) niederlegte. Die Arbeit machte, wie leicht erklärlich, 
ganz ausserordentliches Aufsehen, und es konnte nicht ausbleiben, 
dass neben begeisterten Freunden und Anhängern auch Widersacher 
und Feinde auftraten. Aber die Sache der Schutzimpfung gewann 
immer mehr an Boden, und in verhältnissmässig kurzer Zeit wurde 
sie in allen civilisirten Staaten angewandt. Im Mittelpunkte dieser 
grossen Bewegung stand natürlich Jenner, und an Stelle des 
ruhigen, stillen Landlebens traten jetzt Arbeit, Unruhe und Sorgen. 
Doch auch wohl kein Forscher ist zu Lebzeiten so geehrt worden, 
wie Jenner. Von der königlichen Familie wurde er empfangen, 
bei welcher Gelegenheit er dem Könige sein Werk Inquiry über¬ 
reichen durfte. Als nach Beendigung des Krieges gegen Napoleon 
der Kaiser von Russland und der König von Preussen in London 
anwesend waren (Juni 1814), wurde er beiden Herrschern vor¬ 
gestellt, ebenso anderen hervorragenden Personen, z. B. Blücher, 


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und von Allen mit Auszeichnungen überhäuft. Es mag vielleicht 
wohl von Interesse sein, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die 
preussische Königsfamilie die erste Herrscherfamilie war, welche 
ihre Kinder impfen liess (1799), ein Beispiel, welches für die Ein¬ 
führung und Verbreitung der Impfung in Preussen von ganz ausser¬ 
ordentlicher Bedeutung war. Zweimal stattete das englische Volk 
ihm den Dank der Nation für seine grosse Entdeckung durch das 
Parlament ab, indem es ihm zuerst 10 000 (1802) und später noch¬ 
mals 20 000 Pfund Sterling bewilligte (1807)-, über 40 gelehrte 
Gesellschaften und Korporationen ernannten ihn zum Ehrenmitglied, 
darunter die französische Akademie der Wissenschaften, die Aka¬ 
demien in Göttingen und München. Die Universität Oxford er¬ 
nannte ihn zum Ehrendoctor, London und Edinburg zum Ehren¬ 
bürger. Ihm und seiner Entdeckung zu Ehren wurden acht ver¬ 
schiedene Medaillen geschlagen, davon zwei in Preussen. 

Aus dem späteren Leben Jenner’s ist nur noch wenig mit- 
zutheilen. Er lebte zumeist in oder bei Berkeley in stetem Ver¬ 
kehr mit seinen Freunden. Doch sonst war sein Leben einsam, 
nachdem seine Frau ihm durch den Tod geraubt war (1815), und 
seine einzige Tochter sich verheirathet hatte. Wissenschaftliche 
Untersuchungen und Berufsarbeiten füllten seine Tage aus. 

Am 6. August 1820 kam die erste Todesmahnung; beim Spazier¬ 
gang im Garten bekam er einen Schlaganfall. Er erholte sich nach 
und nach, doch hatten seine Geisteskräfte in der ersten Zeit schwer 
gelitten. Aber auch hierin trat bald eine wesentliche Besserung 
ein, so dass er nach einigen Monaten wieder völlig hergestellt war 
und seine früheren Arbeiten wieder aufnehmen konnte. Am 
25. Januar 1823 erlitt er einen zweiten Schlaganfall. Er wurde 
am Morgen dieses Tages von seinem Diener in seiner Bibliothek be¬ 
wusstlos aufgefunden, und er starb am folgenden Morgen um 3 Uhr, 
ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Unter grosser Be¬ 
theiligung seiner Freunde wurde er am 3. Februar zu Berkeley 
in einem Grabgewölbe zur Seite seiner Frau beigesetzt. 

So endete das Leben eines der grössten Wohlthäter der Mensch¬ 
heit, der durch seine Entdeckung unzählige Menschenleben vor dem 
Tode gerettet hat. Und noch ein weiteres Verdienst müssen wir 
ihm beimessen. Er war der Erste, welcher eine künstliche Immunität 
gegen eine bestimmte Krankheit schuf, der in dieses weite, dunkle 
Gebiet das erste Licht brachte. Und wenn später Pasteur und seine 
Schüler und in der jüngsten Zeit die deutsche Schule unter Koch 
so Grosses auf diesem Felde geleistet haben und sicher noch leisten 
werden, so dürfen wir nicht vergessen, dass Jenner es war, der 
den ersten Anstoss zu diesen Forschungen gab. 


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In der Kathedrale zu Gloucester haben seine Freunde ihm ein 
Denkmal gesetzt, und ein weiteres hat das dankbare englische Volk 
ihm zu London errichtet, aber ein viel schöneres und dauerhafteres 
Denkmal hat er sich in der Geschichte der Medicin und in den 
Herzen und dem Gedenken seiner Mitmenschen errrichtet, ein 
Denkmal aere perennius. 


Ueber die Schutzwirkung der Impfung, sowie 
über die Erfolge des deutschen Impfgesetzes 
vom 8. April 1874. 

Von 

Dr. WolfFberg, Kreisphysikus in Tilsit. 


Die nachfolgende Abhandlung ist im Aufträge des Herrn 
Regierungs-Präsidenten Hegel verfasst worden. Die statistischen 
Nachweise aus neuerer Zeit entstammen überwiegend amtlichen 
Quellen, insbesondere den aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte 
hervorgegangenen Veröffentlichungen. Im Uebrigen verwerthete ich 
vorzüglich ältere eigene Studien zur Pocken- und Impflehre. 

Von einer „Impffrage“ zu sprechen, ist man eigentlich nicht 
mehr berechtigt. Es kann eben nicht mehr als fraglich bezeichnet 
werden, dass die Impfung Schutz gewährt gegenüber den Menschen¬ 
pocken. Lediglich der Impfung ist es zu verdanken, dass wir im 
Deutschen Reiche beinahe frei von Pocken sind, die nur selten 
noch und nur in vereinzelten Fällen oder auf kleinen Gebieten in 
kurz dauernden Epidemien auftreten. Aber gerade dieser günstige 
Zustand hat bei Manchen, welche die Ursachen desselben ver¬ 
kennen, Zweifel erweckt, ob es wirklich die Impfung sei, welche 
vor den Pocken schütze. Man kann jetzt selbst von einigen Aerzten, 
zumal jüngeren, welche die Schrecken der Pockenseuchen nicht 
erlebt haben, die Ansicht berichtet hören, dass die Zunahme unserer 
Kultur, unsere Fortschritte auf dem Gebiete der allgemeinen Ge¬ 
sundheitspflege die Herrschaft der Pocken eingedämmt hätten; die 
Impfung* sei nutzlos, sagen die Einen, — von so geringer Wirkung, 
die Andern, dass von diesem künstlichen Verfahren ein wesentlicher 
Fortschritt nicht erwartet werden könne. Manche wollen es auch 
nur als Zufall erklären, dass jetzt die Pocken seltener auftreten; 
und sie sprechen die Befürchtung aus, dass über kurz oder lang 
trotz der Impfungen neue verheerende Epidemien zur Herrschaft 
gelangen werden. 


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Dem gegenüber ist zunächst anzuführen, dass gerade die 
neuesten Fortschritte der Wissenschaft neues Licht auf die Jenner’- 
sche Entdeckung der Schutzimpfung geworfen haben. Neue 
Forschungen zeigten, dass die Gifte, bezw. die Erreger mehrerer 
Krankheiten rein dargestellt werden können. So wurde der Erreger 
des allgemein bekannten Milzbrands, welche Krankheit Rinder, 
Pferde und andere Thiere bedroht und oft genug schon auf Menschen, 
z. B. beim Schlachten, übertragen wurde, in einer bestimmten Art 
eines stäbchenförmigen Spaltpilzes nachgewiesen. Dieser Milzbrand- 
Bacillus liess sich in Reinkulturen züchten und auf Thiere über¬ 
tragen, die hiernach an typischem Milzbrand erkrankten und starben. 
Durch gewisse Eingriffe, z. B. bestimmte höhere Temparaturen, 
lassen sich nun die so giftigen Milzbrand-Bacillen abschwächen, so 
dass sie nur noch kleinere, aber nicht mehr grössere Thiere zu 
tödten vermögen; und schliesslich lässt sich diesen Bacillen selbst 
jegliche Giftkraft nehmen. Wurden nun schwachgiftige Milzbrand- 
Bacillen auf grössere Thiere übertragen, so wurden diese zwar 
krank, aber sie erholten sich wieder, und nach ihrer Genesung 
waren sie unempfänglich, immun, gegen die giftigeren Bacillen. 
So können Schafe und Rinder gegen das heftigste Milzbrandgift 
immunisirt werden. 

* Nicht anders haben wir die Wirkung des Kuhpockengiftes uns 
vorzustellen. Wenn heute auch die Erreger der Pockenkrankheit 
noch nicht bekannt sind, so haben wir allen Grund zu der An¬ 
nahme, dass die Kuhpockenlymphe ein lebendiges, vervielföltigungB- 
föhiges Gift, ein Lebewesen enthält, welches demjenigen Gifte, das 
die Menschenpocken erregt, gleichartig, in seiner Giftkraft aber 
ungemein abgeschwächt ist. Wie nach den Masern die Genesenen 
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle unempfänglich geworden 
sind gegen ein nochmaliges Erkranken an Masern, so auch nach 
den Menschenpocken gegen diese; und eben dieselbe Immunität, 
die der Mensch nach einmaligem Ueberstehen der Pocken gewonnen 
hat, wird ihm, wenn auch in geringerem Grade, durch die einmalige 
Impfung ertheilt: in geringerm Grade; denn man kann nicht 
erwarten, dass die Impfung mit dem abgeschwächten Pockengifte 
im Körper dieselben Wirkungen hervorruft und zurücklässt wie 
das Pockengift selbst. 

Welchen Segen und Gewinn an Menschenleben die Impfungen bis¬ 
her gewährt haben, kann man nur würdigen, wenn man von den Ver¬ 
heerungen Kenntniss hat, welche die Menschenpocken vor der Ent¬ 
deckung der Schutzimpfung bewirkten. Heute freilich ist die Pocken- 
noth des vorigen Jahrhunderts vergessen. Damals herrschten die 
Pocken allgemein, wie heute die Masern. Sie waren wie diese eine 
Kinderkrankheit, weil die Menschen schon im jugendlichen Alter der 


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beinahe immer gegenwärtigen Ansteckungsgefahr ausgesetzt und 
die Ueberlebenden in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle gegen 
eine zweite Erkrankung geschützt waren. Unter den Todten eines 
Jahres gab es in allen europäischen Ländern stets etwa 10 °/o, die 
den Pocken zum Opfer gefallen waren. Dies gilt u. a. auch für 
die deutschen Lande. In Berlin waren nach zeitgenössischen 
Aufzeichnungen in den Jahren 1758—1774 unter insgesammt 
81134 Todesfällen 6705 = 8,3 °/o Pockentodte; in den Jahren 
1783—1808 8,5 °/o. In der Churmark und Neumark Bran¬ 
denburg (den Regierungsbezirken Potsdam und Frankfurt a. O. 
entsprechend) gab es in den Jahren 1789—1798 9,32, bez. 9,64 °/° 
Pockentodte. Nach von mir eingesehenen Quellen sind in Halle 
in der Zeit von 1776—1796 7,2 °/o; in der Grafschaft Schaum¬ 
burg 1771—1796 11 °/o; in Züllichau in dem Zeitraum von 
1766—1796 9,1t °/o; in der Inspection Rathenow 1775—1796 
11,2 °/o; in der Kirchengemeine Gröben (in 28 Jahren) 
10,4 °/o; in Neustadt a. d. Haidte (1760—1797) 13 °/o aller 
Todten den Pocken erlegen (Nr. 1). 

Jährlich starben 250—300 Personen (meist kindlichen Alters) 
auf je 100000 Einwohner. 

In dem „Reglement“, welches der König von Preussen am 
81* October 1803 betreffs der Schutzimpfung erliess, wird an¬ 
gegeben, dass das menschliche Pockentibel im Durchschnitt jährlich 
mehr als 40000 Menschen in den preussischen Landen weggerafft 
habe (Nr. 2). 

Das social-statistische Bild, welches die Pocken boten und u n - 
bekämpft zweifellos im grossen Ganzen auch heute bieten würden, 
lässt sich folgendermaassen zeichnen: 

Wie heute die Masern, wiederholten sich die Pockenseuchen 
alle 4 bis 6 Jahre; in grösseren Gemeinden herrschten sie ohne 
Unterbrechung. 

Von je 100 Kranken mögen etwa 12 an den schwersten Formen 
der schwarzen, blutigen und zusammenfliessenden Blattern gelitten 
haben; von diesen starben 75 °/o. 

Fernere 25 Kranke litten an den schweren Arten der Variola, 
und von ihnen starben 10 °/o. 

Häufiger noch waren die leichteren Arten — bei etwa 33 von 
100 Kranken — mit einer Letalität von 1—2 °/o. 

30 Kranke schliesslich litten an der leichtesten Art, welche oft 
selbst das Umherwandeln gestattete und in der Regel keinen tödtete. 

Durchschnittlich — und in den meisten Einzelepidemien — 
starben 11—12 °/o der Kranken. 

Den jüngsten Kindern bis zum dritten Jahre waren die Pocken 
sehr gefährlich; es starben 20 —35 °.'o der Erkrankten; weniger 


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schon den 4—7jährigen und viel weniger den 7—10jährigen; wer 
das seltene Glück hatte, erst zwischen dem 10. und 15. Lebens¬ 
jahre zu erkranken, lief meistens nur geringe Gefahr. Erwachsene 
erkrankten selten, weil die meisten schon als Kinder gepockt 
waren. Nur ausnahmsweise wurden Geblätterte später noch einmal 
heftig ergriffen. Häufig dagegen waren rein örtliche Zweit¬ 
erkrankungen (Blattern ohne Fieber), und nicht seltener mögen auch 
leichteste Zweiterkrankungen ohne Blattern gewesen sein. 

Für Ungeschützte verschlechtert sich die Vorhersage der 
Pockenkrankheit nach dem 15. Lebensjahre beträchtlich, und für 
solche, welche das 25. Lebensjahr überschritten haben, sind die 
Pocken nicht weniger gefährlich als die Pest oder die Cholera 
(Letalität von 30—70 °/o). 

So war das Bild der Krankheit gestaltet, bevor Edward 
Jenner nach langjährigen Untersuchungen seine Erfahrungen über 
die Schutzkraft der Kuhpockenimpfung veröffentlichte. Von be¬ 
sonderer Bedeutung wurde die am 14. Mai 1796 ausgeführte erste 
öffentliche Impfung, deren Hundertjahrfeier wir demnächst dankbar 
zu begehen Gelegenheit haben. Ati dem genannten Tage be¬ 
nutzte Jenner zur Abimpfung ein Kind, welches sich eine Woche 
zuvor mit Kuhpockenlymphe (beim Melken einer kranken Kuh) an¬ 
gesteckt, unabsichtlich geimpft hatte. Erst diese Benutzung der 
„humanisirten“ Lymphe hatte die allgemeine Durchführung der 
Impfung bis vor Kurzem allein ermöglicht. 

In ungemein zahlreichen Fällen wurden die bald überall in 
grosser Zahl geimpften Kinder einige Zeit nach Ablauf des Impf- 
processes der Ansteckung mit Pockengift, meist der künstlichen 
Einimpfung des Pockengiftes unterworfen; und stets blieben die 
Geimpften frei von Pocken. Andere ungeimpfte Kinder aber er¬ 
krankten. Dieses Verfahren war damals erlaubt; ja die künstliche 
Einimpfung der Menschenpocken - Lymphe wurde gegen das Ende 
des vorigen Jahrhunderts — vor der Jenner’schen Entdeckung — 
vielfach empfohlen und geübt, weil die Pocken doch unvermeidlich 
waren und die Beobachtungen gelehrt hatten, dass die also künst¬ 
lich Inficirten die Menschenpocken in meist milderer Form als die 
natürlichen Menschenpocken überstanden. 

Dies ist das sogen. Jenner’sche Experiment: die erfolg¬ 
lose künstliche Uebertragung von Pockengift auf Geimpfte; die 
Durchführung der Impfungen hat also, was heute oft vergessen 
wird, eine experimentelle Grundlage. 

Nur die „Pockennoth“ um die Wende des Jahrhunderts macht 
es begreiflich, dass, von Begeisterung getragen, in fast allen Ländern 
die Impfung alsbald zahllosen Kindern zu Theil wurde. 


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Die Berichte zeitgenössischer Schriftsteller kann man nicht 
ohne Rührung lesen. In dem Dr. Faust' sehen Gesundheits- 
Katechismus (Neunte Auflage 1802) werden die jährlichen Blattern¬ 
opfer in deutschen Landen auf durchschnittlich 70000 bis 75000 an¬ 
gegeben (auf 25000 für die preussischen Staaten). Es heisst dann: 
„Dieses Elend wird bald ein Ende haben“, und nach einer ein¬ 
gehenden geschichtlichen und populär-medicinischen Darlegung der 
Kuhpockenimpfung wird schliesslich gefordert, dass alle Völker den 
14. Mai heilig halten und feiern sollten (Nr. 3). 

Zur Zeit der ersten Impfungen bestand die Bevölkerung zu 
mehr als 80 °/o aus den bereits früher Gepockten, die überwiegend 
immun waren. Auch vön den Kindern war ein nicht geringer 
Theil bereits durchseucht; ein anderer wurde geimpft; was Wunder, 
dass nun an vielen Orten eine Zeit von 10 bis 15 Jahren folgte, 
in welcher auf eine früher ungeahnte Weise Blatternpatienten zu den 
Seltenheiten gehörten. 

Auch Tilsit kann hier angeführt werden. In dem historischen 
Tagebuche des Stadtsekretärs Salchow finden wir eine Sterblich¬ 
keitsstatistik für das Jahr 1813, aus welcher hervorgeht, dass in 
Tilsit (einschl. Tilsit-Preussen und Kallkappen) — also auf etwa 
10000 Einwohner — 520 Menschen gestorben waren, eine ausser¬ 
ordentliche Sterblichkeit, welche durch eine schwere Typhus-Epidemie 
im Anfänge des Jahres bedingt war. „Eine tröstliche Bemerkung 
ist es,“ sagt Salchow, „dass das ganze Jahr hindurch nur ein ein¬ 
ziges Kind an den Pocken gestorben ist.“ Salchow lobt dann die 
Aerzte, besonders den Stadtchirurgus Morgen, wegen ihrer 
fleissigen und uneigennützigen Impfungen und theilt mit, dass der 
Staat Morgen's Verdienste durch Belobigungsschreiben und Ehren¬ 
zeichen anerkannt habe (Nr. 4). 

Ueberall war man beglückt überden Zuwachs der jugendlichen 
Bevölkerung, welcher im Königreich Preussen in jenen Jahren — 
nach 1809 — wenigstens 10 bis 15000 Kinder jährlich betrug, 
welche leben blieben,, da sie doch ehedem unzweifelhaft den Blattern 
erlegen wären. Wie zu Festen drängten sich die Mütter zu den 
Aerzten, um ihren Kindern die Wohlthat der Impfung zu ver¬ 
schaffen (Nr. 5). Die zeitgenössischen Schriftsteller melden, dass 
die Schulstuben auf dem Lande zu klein werden, und hoffen eine 
neue Aera für das befreite Menschengeschlecht. In Berlin kamen 
die Aerzte alljährlich am 14. Mai zusammen, um durch die Samm¬ 
lung von Nachrichten über den Fortgang der Impfungen und über 
etwaige Blatternepidemien das Andenken und den Jahrestag der 
ersten öffentlichen Vaccination durch Jenner zu feiern. 

Doch schon bald wurden vereinzelte Blatternfülle bei Geimpften 
beobachtet. Anfänglich bestritten und falsch gedeutet, wurden sie 


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156 


bald als leichteste Fälle wahrer Blattern erkannt. Unter manchen 
Schwierigkeiten, welche insbesondere durch die unächten Kuh¬ 
pocken bereitet waren, gelangte man allmählich zu der Erkenntnis^ 
dass, um einen genügenden Schutz zu erzielen, eine genügende 
Zahl von Impfpusteln hervorgerufen werden muss; und lang¬ 
sam überzeugen sich die Aerzte, dass der sichere Schutz nur eine 
beschränkte Zeit andauert (Nr. 6). 

Ich will hier gleich hinzufügen, dass meines Erachtens alle bis 
in die neueste Zeit gesammelten Erfahrungen lehren, dass durch 
die Impfungen die natürliche Disposition zu den Blattern bis zu 
einem gewissen Grade getilgt wird, kaum jemals so vollständig 
wie durch die ächten Menschenpocken selbst und in verschiedenem 
Grade je nach der ursprünglichen Anlage und je nach der Intensität 
des Eingriffs, insbesondere nach der Zahl der eingeimpften Schutz¬ 
pocken. Nach einer sorgfältigen Impfung ist meist nur eine ge¬ 
ringe, nach schlechter Impfung meist eine grössere Pockenempfäng¬ 
lichkeit zurückgeblieben. Ein schlecht geimpftes Kind kann daher 
sehr leicht schon gleich nach Ablauf der Impfkrankheit, sobald eine 
stärkere Ansteckungsgefahr vorhanden ist, an den Pocken erkranken. 
Man hat nicht nöthig anzunehmen, dass der Impfschutz als solcher 
allmählich schwinde. In die Impflehre hat es eine nicht unerheb¬ 
liche Verwirrung gebracht, dass (noch jetzt) behauptet wird, dass 
der durchschnittliche Impfschutz etwa 10 Jahre oder 15 Jahre oder 
6 Jahre andauere. Die Veränderung, welche die Impfung im Körper 
hervorruft, ist meines Erachtens als solche bleibend; sie besteht, wie 
ich annehme, in der Ausmerzung zahlreicher, gegenüber dem Pocken¬ 
gift widerstandsschwacher Zellen und Zellentheile (Nr. 7). Viele 
schlechter geimpfte oder von vornherein stärker empfängliche Kinder 
haben auch nach der Impfung noch einen bestimmten Grad von 
Krankheitsdisposition bewahrt, hinreichend, um einer in bestimmter 
Höhe entwickelten Ansteckungsgefahr zu erliegen; man beobachtet 
nicht, dass in späteren Kinderjahren mehr Geimpfte erkranken als 
in den ersten Jahren nach der Impfung. Für alle Geimpfte aber 
gilt dasselbe wie für die Ungeimpften, dass die natürliche 
Pockenempfänglichkeit um das 15. Lebensjahr, d. i. um die Zeit 
der geschlechtlichen Entwicklung, für Mädchen früher als für Knaben, 
erheblich zunimmt und dann mit zunehmendem Lebensalter immer 
stärker an wächst; wie dies auch fiir viele andere Krankheiten er¬ 
wiesen ist. 

Daher die Nothwendigkeit der Wiederimpfung vor dem 
15. Lebensjahre, welche lediglich als eine Verstärkung des 
Schutzes, den die Jugendimpfung gewährte, aufzufassen ist. 

Im Anfänge des Jahrhunderts, solange die Impfungen ziemlich 
gleichmässig durchgefährt wurden, blieben zuvörderst die Pocken- 


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157 


Epidemien noch immerhin selten und örtlich beschränkt. So 
herrschte 1818 in Edinburg eine Epidemie, in welcher nach dem 
Berichte des Prof. Thomson von den Ungeimpften, die zum 
grössten Theile aus jüngsten Kindern bestanden, 25 °/o starben. 
Thomson beobachtete im Ganzen 810 Blatternfelle bei Vaccinirten; 
diese zeichneten sich in ihrem Verlauf durch eine ausserordentliche 
Milde aus, so dass er sie nicht Variolen, sondern Varioloiden 
nannte; die Kranken hatten ein Alter von 10 Wochen bis zu 15 
Jahren; von den 810 Fällen endete ein einziger tödtlich. Von Per¬ 
sonen über 15 Jahren erkrankten nur sehr wenige. — Einen ähn¬ 
lichen Charakter haben alle hier und da folgenden Epidemien. 
Beispielsweise erkrankten im Jahre 1819 im Ruppin'sehen Kreise 
250 Personen, darunter waren 30 geimpft, und von diesen starb 
niemand; von den Ungeimpften sind 15 erlegen. Je weiter nun 
das Jahrhundert vorschreitet, um so mehr ändert sich der Charakter 
der Epidemien. Sie erscheinen seltener als vordem, und nur aus¬ 
nahmsweise erreicht die Zahl der Blatterntodten eines Jahres den 
zehnten Theil der ehemaligen durchschnittlichen Todtenzahl. Aber 
es wächst die Summe der erkrankten Erwachsenen — aus be¬ 
greiflichen Gründen. Die seit dem Anfänge des Jahrhunderts da- 
tirenden glücklicheren Zeiten bewirkten, dass die meisten der in 
diesem Säculum Geborenen undurchseucht blieben; die Impfung 
aber (meist mit einer geringen Zahl von Stichen ausgeführt) gab 
manchen Kindern nur einen geringen Schutz, der bei einem 
kleineren oder grösseren Theile von ihnen nur eine bald mehr, 
bald minder kurze Zeit über das 15. Lebensjahr hinausreichte. Als 
daher am Ende des dritten Jahrzehnts neue Epidemien durch Europa 
zogen, erwiesen sich anders als früher alle Lebensalter bis zum 
80. Jahre disponirt; viele Geimpfte und fast alle über 30 Jahre 
Alten waren immun; diese Letzteren hatten noch die Epidemien des 
achtzehnten Jahrhunderts durchgemacht und waren früher schon 
einmal pockenkrank gewesen. So lesen wir von Marseille, dass 
dort im Jahre 1828 fast niemand nach dem 30. Lebensjahre er¬ 
krankte. Unter Jüngeren aber erkrankten viele Geimpfte, noch 
mehr Ungeimpfte; es starben 45 von den Ersteren und über 1400 
von den Letzteren; es lässt sich berechnen, dass auf 25 Ungeimpfte, 
aber erst auf 1500 Geimpfte ein Todesfall vorkam. Wer schon 
die Pocken gehabt hatte, war ziemlich sicher, denn es kam erst 
ein Todesfall auf 12000 Geblätterte. — 

Je älter das Jahrhundert wird, um so mehr häuft sich die Zahl 
der Erwachsenen, welche, in der Jugend geimpft, ihre Empfänglich¬ 
keit für die Pocken wiedergewonnen haben. In den Epidemien der 
vierziger Jahre erwiesen sich alle Altersstufen bis zum fünfzigsten 
Jahre empfänglich; wenige erkrankten, welche älter waren; und 


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158 


in den siebenziger Jahren war die Empfänglichkeit in 
allen Altersklassen verbreitet, da (abgesehen von den 
ältesten Jahrgängen) in allen die früher schon Geblätterten in der 
Minderzahl sich befanden. 

Da unsere Kinder nicht mehr den einst gleichmässig wieder¬ 
kehrenden Seuchenzügen unterliegen, so sind wir heute, um Schutz 
vor den Pocken zu besitzen, einzig und allein auf die Impfung an¬ 
gewiesen, auf Impfung und Wiederimpfung. 

Niemand, dem diese Verhältnisse klar geworden, wird sich 
wundern, dass die Pocken in diesem Jahrhundert von Epidemie zu 
Epidemie mehr Todesfälle verschuldet, und dass stets mehr Erwachsene 
unter den Erkrankten sich befanden. Man vertraute, soweit über¬ 
haupt geimpft wurde, überwiegend der einmaligen Impfung. Daher 
war nicht zu erwarten, dass dieselben glücklichen Zustände beharrten, 
wie jene des ersten Drittels dieses Jahrhunderts, als noch der grösste 
Theil der Bevölkerung durchseucht war. So nahmen nach und 
nach die Blattern ihre alte Bösartigkeit wieder an, und während in 
den dreissiger Jahren von den Geimpften 1—3 °/o der Erkrankten 
starben und noch bis 1864, als in Berlin beinahe 2 °/o aller Todes¬ 
fälle von den Blattern veranlasst waren, nur 4—5 Todesfälle auf 100 
erkrankte Geimpfte gerechnet wurden, — starben in den Jahren 
1870—1874 von den Geimpften 10, 15, hie und da selbst 20 °/o. 

In dieser letzten heftigen Epidemie ist also die durchschnitt¬ 
liche und häufigste Höhe der Tödtlichkeit, welche ehemals die 
Kinderpocken in Europa besessen, weit überschritten. Analysirt 
man die einzelnen Seuchenausbrüche dieser letzten Pandemie, so 
erwachsen zunächst für die Statistik grosse Schwierigkeiten, welche 
wesentlich in der Unvollständigkeit des Materials bestehen. Für die 
Ungeimpften ergibt sich fast überall in jeder Altersstufe eine ganz unge¬ 
wöhnliche Sterbehäufigkeit. Da angeblich von den erkrankten Unge¬ 
impften 30—70 °/o starben, so wird hierdurch die auch sonst be¬ 
gründete Annahme bestätigt, dass viele leichter erkrankte Ungeimpfte 
nicht zur Kenntniss gelangten. Die einzige, aufs Genaueste so ausge¬ 
zählte Epidemie, dass alle Ansprüche der Statistik befriedigt sind, die¬ 
jenige der Stadt Chemnitz, ergibt für die Ungeimpften eine sehr viel 
beträchtlichere Krankenzahl als für die Geimpften; sie ergibt ferner, 
dass in Chemnitz, wo seit lange eine rührige gegnerische Agi¬ 
tation das Volk bethört hatte, verhältnissmässig sehr viel mehr 
Kinder als anderwärts erkrankten. Von den ungeimpften Kindern 
bis zu 10 Jahren, welche an den Pocken erkrankt waren, starben 
nur 9 °/o, im Alter von 10—15 Jahren etwa 2 °/o; Verhältnisse, 
welche denjenigen älterer Epidemien auffallend analog sind. Von 
den erwachsenen Ungeimpften sind nach einer minimalen Be¬ 
rechnung 30 °/o der Erkrankten gestorben. 


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159 


Unter den geimpften Kindern bis zu zehn Jahren starb keines; 
von den Erwachsenen wenige (Nr. 8). 

Von besonderem statistischem Werthe aus jener Zeit sind La- 
zarethberichte, weil in diesen die Pockenfklle, welche in einem 
abgeschlossenen Ganzen ziemlich gleichaltriger und ziemlich gleich¬ 
artiger Individuen beobachtet werden, zur Verwerthung kommen. 
Nach der Mittheilung des Abgeordneten von Puttkamer (Lyck), 
für deren objective Richtigkeit derselbe bürgte, starben in den 


Pockenlazarethen (Nr. 9): 


Ungeimpfte 

Geimpfte 

Revaccinirte 

in Münster 

80 °/o 

18 °/o 

0 °/o 

„ Posen 

70 „ 

12 „ 

2 , 

„ Berlin, 

Lazareth in der Paiissadenstr. 

54 „ 

13 „ 

0 n 

„ „ „ Eisenbahnstr. 

70 „ 

16 „ 

4 „ 

„ im Zellengefängniss 

66 „ 

15 , 

4 „ 

„ am Tempelhofer Ufer 

81 „ 

14 „ 

9 „ 


Nach einem Berichte, welchen wir Dr. Thalmann über die 
Erkrankungen von 536 Soldaten (Coblenz) verdanken (Nr. 10), 
hatten 

63 Geimpfte ohne Narben 1 ) eine Letalität von 17,8 °/o 
338 „ mit „ „ „ „ 1,2 „ 

11 Wiedergeimpfte ohne Narben 1 ) eine Letalität von 18,2 °/o 

39 » mit „ „ * » 0 „ 

Von 25 Ungeimpften starben 17; „ „ „ 68 „ 

In Bayern, wo die Impfung der einjährigen Kinder seit 1830 
in rühmlicher Konsequenz durchgeführt war, gehörten in jener 
grossen Epidemie der ersten 70 er Jahre unter 100 Todten der ersten 
10 Lebensjahre 82 dem Säuglingsalter, also den Ungeimpften an; 
von geimpften Kindern starben nur sehr wenige. Vom zwanzigsten 
Jahre ab nahm daselbst die Zahl der Todten zu und stieg, auf die 
gleiche Zahl der in jeder Altersklasse Lebenden berechnet, vom 
zwanzigsten Jahre an bis zu der höchsten Altersklasse, welche 
letztere überwiegend reich an Durchseuchten war. 

Es starben (in Bayern) vom October 1870 bis Ende 1875 jähr¬ 
lich an Pocken von je 100000 in den einzelnen Altersklassen 
Lebenden (Nr. 11): 


von 

0-1 

Jahr 

232 

n 

1-5 

V 

10 

7 ? 

5-10 

r> 

3 

1) 

10—20 

r> 

6 

V 

20-30 

n 

25 


0 Also schlecht Geimpfte! 


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160 


von 

30—40 Jahr 

35 


40—50 „ 

54 

rt 

50—60 , 

69 

?> 

60—70 , 

82 

» 

70 Jahren und darüber 

50 


Ausserordentlich viel höher waren in derselben Pandemie die 
Blattern-Todeszahlen in Berlin. Während in ganz Bayern mit 
fünf Millionen Einwohnern in den Jahren 1871 bis einschliesslich 
1874 9167 Menschen an den Pocken starben, betrug in demselben 
Zeiträume die Todeszahl allein in Berlin mit 900000 Einwohnern 6538. 
In den vier Epidemiejahren starben somit in Berlin, auf die gleiche 
Einwohnerzahl berechnet, viermal soviel Menschen als in Bayern. 
Bekanntlich war — anders als in Bayern — in Preussen die 
Impfung in starken Verfall gerathen, und selbst nach der Schulzeit 
blieben nicht wenige ungeschützt. In Berlin starben an den 
Pocken (von Januar 1871 bis Juli 1872), auf den Zeitraum eines 
Jahres und auf 100000 Lebende der einzelnen Altersklassen be¬ 
rechnet (Nr. 12): 


von 

0-1 

Jahr 

4414 

» 

1—2 


2032 

n 

2—3 


1484 

ff 

3-4 


1122 

» 

4-5 

ff 

737 

ff 

5—10 


276 

ff 

10—15 


59 

» 

15-20 


124 

» 

20—30 


233 

ff 

30-40 

ff 

362 

» 

40—50 

ff 

485 

ff 

50-60 


769 

ff 

60—70 

» 

597 

» 

70 Jahren und darüber 

206 


In Berlin nahm die relative Zahl der Todten jenseits des 
60. Lebensjahres wieder ab, in Bayern jenseits des 70. Jahres, weil 
in diesen höheren Altersstufen aus den früheren (in Berlin zahl¬ 
reicheren) Epidemien Geblätterte in verhältnissmässiger Ueberzahl 
vorhanden waren. 

Aber nicht bloss die Mortalität wuchs vom 15. Lebensjahre ab, 
sondern auch die Letalität, die Gefährlichkeit der Blattern; d. h. es 
starben vom 15. oder 20. Jahre ab von 100 Erkrankten in jeder 
einzelnen Altersstufe mehr und mehr, bis in der höchsten das 
Maximum erreicht war. Während unter den jüngeren, erfolgreich 
Geimpften nur verhältnissmässig wenige der Erkrankten den Blattern 
erlagen, wurden für Dreissigjährige an vielen Orten schon 4—6, für 


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161 


Vierzigjährige 6—10 und für Aeltere selbst 15 und darüber bis zu 
20—25 Todten auf 100 erkrankte Geimpfte gezählt. 

Wie man sieht, waren für viele ältere Geimpfte die Blattern 
wieder zu einer deletären Krankheit geworden, und dennoch wurden 
nirgendwo die enormen Sterbeziffern erreicht, welche den unge¬ 
schützten Erwachsenen eigen sind. So zahlreich daher auch 
unter den älteren Geimpften Todesfälle vorkamen, so war dennoch 
für viele der Erkrankten ein beträchtlicher Rest von Impfschutz 
zurückgeblieben, welcher ihnen wenigstens das Leben erhielt und 
vielen die Krankheit relativ leichter gestaltete. 

Die Zahlen lehren uns, was davon zu halten ist, wenn un¬ 
wissende Impfgegner meinen und dem Volke erzählen, die Pocken 
wären bei der modernen Behandlung eine leichte Erkrankung. 

Sie zeigen uns zugleich, dass die einmalige Jugendimpfung, 
wie sie z. B. in Bayern seit 1830 geübt wurde, nicht ausreicht, um 
den Erwachsenen einen hinlänglichen Schutz zu gewähren. Um 
auch diese mehr zu schützen, ist die Wiederimpfung erforder¬ 
lich. Das deutsche Impfgesetz, welches seit dem Jahre 1875, 
also zwei Jahrzehnte, in Kraft ist, schreibt bekanntlich für alle 
Kinder die Erstimpfung vor Ablauf des auf die Geburt folgenden 
Kalendeijahres, die Wiederimpfung aber nur für Schulkinder in 
dem Jahre vor, in welchem sie das zwölfte Lebensjahr vollenden. 
Dieses Gesetz ist für die deutschen Bevölkerungen zu einem bei¬ 
nahe unerwarteten Segen geworden. Das deutsche Reich tritt durch 
die Seltenheit der Pocken seit 1875 auffallend aus dem Rahmen der 
europäischen Länder heraus. 

Der bedeutende Einfluss, den dieRevaccination ausübt, war 
übrigens gerade für Preussen schon völlig erwiesen durch die 
günstigen Erfolge der Allerhöchsten Cabinets ordre vom 
16. Juni 1834, durch welche die Impfung, bez. Wiederimpfung 
aller Rekruten der preussischen Armee, die die Blattern nicht ge¬ 
habt und in den letzten zwei Jahren nicht geimpft waren, ange¬ 
ordnet wurde. 

Nachdem bis zum Jahre 1834 (von 1825 ab) jährlich 10 bis 
75 auf 100000 Soldaten an den Pocken gestorben waren, sank schon 
in den Jahren 1835 und 1836 die Mortalität auf 3,7 und 6,9 von 
je 100000 Mann. In den folgenden Jahren starben nur Vereinzelte, 
selbst in dem Kriegs- und Epidemiejahre 1866 nur acht Mann. 
Während des französischen Feldzuges — unter den so besonders 
schwierigen Verhältnissen —starben (von Juli 1870 bis Juni 1871) 
nur 164 preussische Soldaten an den Pocken. „Mitten in dem 
Seuchenherde“, so äussert sich der officielle Bericht, „stand die 
deutsche Armee nur wenig berührt von der ringsum wüthenden 
Krankheit, wehrhaft auch diesem Feinde gegenüber, welchem das 

Centralblatt f. allg. Oeenndbeitepfiege. IV. Jabrg. 12 


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162 


Heimathland leider ebenso wie Frankreich und dessen Heer unter¬ 
lag“ (Nr. 13). 

In der französischen Armee hatte es schon in den vier 
Friedensjahren 1866—1869 380 Pockentodte gegeben. Während des 
Krieges sollen die Franzosen über 23000 Mann an den Pocken ver¬ 
loren haben. Dagegen waren die deutschen Opfer an Ruhr und 
Typhus sehr erheblich, nicht weniger zahlreich als die der 
Franzosen. 

Seit dem Feldzuge sind in der deutschen Armee nur noch ganz 
vereinzelte Todesfälle durch Pocken vorgekommen. 

Dagegen starben in der französischen Armee von 1872 bis 
1881 jährlich 14 bis 127 (d. i. 3,3 bis 28,2 auf je 100000 Mann); 
in der österreichischen Armee nach der im Jahre 1874 abge¬ 
laufenen Epidemie von 1875 bis 1886 jährlich 20 bis 77 Mann, d. i. 
7,7 bis 27,7 auf je 100000 Soldaten. 

Diese Unterschiede lassen sich nur durch die Verschiedenheiten 
im Impfzustande der Armeen erklären. 

Untersuchen wir nun, welche Vortheile die gesammte Be¬ 
völkerung dem deutschen Reichs-Impfgesetze vom 8. April 1874 
verdankt, so ist Folgendes zunächst zu erwägen. Da die Impfungen 
in der Regel in den Monaten Mai bis September ausgeführt werden, 
so sind stets alle Kinder unter vier, meist auch alle unter sechs 
Monaten ungeimpft; in den ersten Monaten jedes Jahres sind auch 
von den 6—16 Monate alten Kindern fast alle ungeimpft; im 
weiteren Verlauf des Jahres sind die in dem letzteren Geborenen 
ungeimpft. Viele Kinder werden auch wegen Schwächlichkeit oder 
aus sonstigen Veranlassungen erst in einem späteren Alter, im 
zweiten oder dritten Lebensjahre geimpft. Alle diese Kinder bilden 
jetzt die Hauptmasse der Ungeimpften in den deutschen Bevölke¬ 
rungen, und eben diese stellten die Ungeimpften in denjenigen 
Ländern und Bezirken dar, in welchen schon vor 1875 eine obli¬ 
gatorische Jugendimpfung stattfand. Die Wiederimpfung der elf- 
bi8 zwölfjährigen Schulkinder gewährt vor allem den grossen Vor¬ 
theil, dass viele früher mit weniger gutem Erfolge geimpften, viel¬ 
leicht auch aus irgend welchen Gründen der Impfung entzogenen 
Kinder jetzt eines neuen Schutzes theilhaftig werden. Inwieweit 
Erst- und Zweitimpfung zusammen Schutz gewähren gegen die nach 
dem 15. Lebensjahre schrittweise immer mehr sich steigernde Pocken- 
Empfänglichkeit, diese Frage konnte nur durch die Erfahrung ent¬ 
schieden werden, und wir werden gleich die in den letzten zwanzig 
Jahren gewonnenen Erfahrungen darzulegen haben. Nicht minder 
ist es lediglich Sache der Erfahrung, zu entscheiden, ob die jetzt 
beinahe allgemein durchgeführte Impfung mit animalem, d. i. vom 


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163 


Thiere (Kalbe) gewonnenem Impfstoffe die gleichen günstigen Erfolge 
gewährleistet, wie die Impfung mit Menschenlymphe. 

Wir werfen nun einen Blick auf die Pockenereignisse eines 
Landes, welches — wie Bayern — schon vor Erlass des deutschen 
Impfgesetzes durch die obligatorische Durchführung einer einmaligen 
Impfung sich auszeichnete (Nr. 14). 


Im Königreich Bayern 
pocken: 

in den Jahren: I 


1857/58 

316 

1858/59 

193 

1859/60 

131 

1860/61 

73 

1861/62 

121 

1862/63 

111 

1863/64 

108 

1864/65 

221 

1865/66 

557 

1866/67 

1210 

1868 

917 

1869 

487 

1870 

164 

1871 

5070 

1872 

2992 

1873 

869 

1874 

236 


starben an Menschen- 

in den Jahren nach Erlass des 
deutschen Impfgesetzes: 


1875 

87 

1876 

67 

1877 

88 

1878 

69 

1879 

26 

1880 

62 

1881 

77 

1882 

67 

1883 

35 

1884 

8 

1885 

17 

1886 

7 

1887 

10 

1888 

21 

1889 

29 

1890 

8 

1891 

4 

1892 

3 


In den 18 Jahren vor Einführung des deutschen Impfgesetzes 
blieb in Bayern kein Regierungsbezirk von der meist aus Oester¬ 
reich gekommenen Seuche verschont. „Ein besonderes schlimmes Ver- 
hängniss waltete über den Bezirken, die solchen Ländern angrenzen, 
in welchen der staatliche Impfzwang nicht besteht. Stets von aussen 
bedroht und immer wieder von den Pocken heimgesucht, forderte 
und fand dort beständig diese verderbliche Krankheit ihren Tribut“ 
— zumal unter Ungeimpften und älteren Geimpften. 

Berechnet man die Blattern-Sterbefklle in Bayern auf je 100000 
Einwohner, so erhalten wir folgende Tabelle: 


Auf je 100000 Einwohner starben in den Jahren 
vor Einführung nach Einführung 

des deutschen Impfgesetzes: 


1857/58 

6,8 

1875 

1,7 

1858/59 

4,1 

1876 

1,3 

1859/60 

2,8 

1877 

1,7 




12* 



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164 


vor Einführung nach Einführung 

des deutschen Impfgesetzes: 


1860/61 

1,5 

1878 

1,3 

1861/62 

2,5 

1879 

0,5 

1862/63 

2,3 

1880 

1,2 

1863/64 

2,3 

1881 

1,4 

1864/65 

4,6 

1882 

1,2 

1865/66 

12,0 

1883 

0,6 

1866/67 

25,0 

1884 

0,1 

1868 

18,8 

1885 

0,3 

1869 

10,9 

1886 

0,1 

1870 

3,4 

1887 

0,1 

1871 

104 

1888 

0,3 

1872 

62 

1889 

0,5 

1873 

18 

1890 

0,1 

1874 

5 

1891 

0,07 



1892 

0,05 


Durchschnittlich starben in Bayern an den Pocken in den 
letzten 18 Jahren vor Einführung des deutschen Impfgesetzes jähr- 
lieh 159 auf eine Million Einwohner, in den 18 Jahren nach der 
Einführung jährlich 7. 

Dieser ausgezeichnete Erfolg zeigte sich in einem Lande, wel¬ 
ches die Vortheile der einmaligen Zwangsimpfung schon längere 
Zeit zu eigen hatte. 

In Preussen dagegen war das Impfwesen bis zum Jahre 1874 
durch die Allerhöchste Cabinetsordre vom 8. August 1835 geregelt, 
durch welche im Allgemeinen vortreffliche „sanitätspolizeiliche Vor- 
Schriften (Regulativ) bei ansteckenden Krankheiten“ gegeben waren. 
Hiernach war in pockenfreien Zeiten Niemand gezwungen, sich oder 
seine Kinder impfen zu lassen. Die Impfung wurde nur dringend 
empfohlen; die zuständigen Beamten werden angewiesen, die Im¬ 
pfungen so viel als möglich zu fördern. Hierzu sollten alljährlich 
oder öfters öffentliche Gesammtimpfungen vorgenommen werden. 
Zur Aufnahme in die Schulen oder in andere private und öffentliche 
Anstalten wurde vielfach der Nachweis der stattgehabten Impfung 
erforderlich gemacht. Polizeiliche Strafe sollte Diejenigen treffen, 
deren Kinder bis zum Ablauf des ersten Lebensjahres ungeimpft 
geblieben und demnächst von den Pocken befallen waren. 
Dem Impfzwange unterlagen die ungeimpften Individuen eines 
Hauses, in welchem ein Fall von Pocken vorgekommen war. 

Die nach diesem Regulativ jährlich für die jüngsten Kinder 
veranstalteten öffentlichen Impftermine wurden in den verschiedenen 
Gegenden des Königreichs und zu verschiedenen Zeiten mit sehr 
ungleichmässiger Regelmässigkeit wahrgenommen. 


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165 


Für den hiesigen Kreis erweisen die Akten, dass die Behörde 
ihre volle Aufmerksamkeit und Fürsorge dem Impfwesen zuwandte. 
Doch gibt es auch hier Ortschaften, die gelegentlich durch ihr ge¬ 
ringes Interesse am Impfwesen besonders auffielen, deren Ortsvor¬ 
steher die Termine nicht gehörig bekannt machten, und öfters wird 
über die noch immer herrschende Intoleranz gegen die Impfung 
geklagt 

Wesentlich schlimmer lagen die Dinge in anderen Regierungs¬ 
bezirken. So wurde noch im Jahre 1871 gerügt, dass in den 
Qeneralimpftabellen mehrerer Regierungen eine grosse Zahl von 
ungeimpften Kindern sich fand, welche seit einer langen Reihe von 
Jahren fortgeführt war. Der Minister forderte eine unausgesetzte 
strenge Beförderung der Impfungen, indem er zugleich anordnete, dass 
die bis zum Ablauf ihres dritten Lebensjahres ungeimpft gebliebenen 
Kinder endgültig aus den Listen zu löschen wären (Nr. 15). 

Eine allgemeine gesetzliche Grundlage erhielt der Impfzwang 
in Preussen erst durch das deutsche Impfgesetz. 

Sehen wir nun, wieviel Opfer die Pocken in den letzten vierzig 
Jahren im Königreich Preussen forderten, so erhalten wir folgende 
Zahlen (Nr. 16): 

Es starben an den Pocken, auf,je 100000 Einwohner 

berechnet: 


im 

Jahre 1855 

9,7 

im 

Jahre 1875 

3,6 

V 

n 

1856 

7,3 

rt 

rt 

1876 

3,1 

7) 

rt 

1857 

13,3 

rt 

rt 

1877 

0,8 

1) 

V 

1858 

26,4 

rt 

rt 

1878 

0,7 

rt 

rt 

1859 

19,6 

rt 

V 

1879 

1,3 

r > 

rt 

1860 

18,9 

rt 

rt 

1880 

2,6 

rt 

rt 

1861 

30,2 

V 

rt 

1881 

3,6 

V 

V 

1862 

21,1 

V 

rt 

1882 

3,6 

rt 

rt 

1863 

33,8 

rt 

rt 

1883 

2,0 

rt 

rt 

1864 

46,2 

rt 

rt 

1884 

1,4 

n 

rt 

1865 

43,8 

rt 

rt 

1885 

1,4 

rt 

rt 

1866 

62,0 

rt 

n 

1886 

0,5 

rt 

rt 

1867 

43,2 

V 

rt 

1887 

0,5 

n 

rt 

1868 

18,8 

rt 

rt 

1888 

0,3 

rt 

V 

1869 

19,4 

tt 

V 

1889 

0,5 

rt 

rt 

1870 

17,5 

tt 

V 

1890 

0,1 

rt 

rt 

1871 

243,2 

rt 

rt 

1891 

0,09 

rt 

rt 

1872 

262,4 

V 

V 

1892 

0,3 

rt 

rt 

1878 

35,6 

tt 

rr 

1893 

0,4 

rt 

rt 

1874 

9,5 






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166 


Uns in Preussen ist, wie man sieht, aus dem Impfgesetz ein 
um so grösserer Segen erwachsen, als (theilweise in Folge des 
Verfalls der Impfungen) die Pockensterblichkeit bis 1874 wieder 
erheblich angestiegen war. In den letzten 20 Jahren vor 1875 
waren jährlich im Durchschnitt etwa 491 Menschen (also sehr viel 
mehr als in Bayern) auf je 1 Million Einwohner an den Pocken 
gestorben; in den letzten 19 Jahren starben im Durchschnitt nur 
14 auf 1 Million Einwohner jährlich. Seit 1875 hat in Preussen 
die Pockensterblichkeit einen so niedrigen Stand wie niemals vorher* 
Es ist zwar richtig, dass nach jeder grossen Epidemie, wie solche in 
Preussen in den Jahren 1871 und 1872 geherrscht hat, in Folge 
starker Durchseuchung der Bevölkerung ruhigere Zeiten kommen, 
und man hat hierauf die geringeren Todtenzahlen für das Jahr 1874 
zurückzuführen. Gleichwohl lehrt die obige Tabelle, dass gerade in 
den letzten zehn Jahren dauernd Wenige den Blattern erlagen, 
weniger als in den ersten zehn Jahren nach jener grossen Epidemie: 
hierin ist unzweideutig eine Wirkung der Zwangsimpfung und 
-Wiederimpfung zu erkennen. 

Nach den uns vorliegenden Zahlen sei noch angeführt, dass im 
ganzen Deutschen Reiche in den letzten acht Jahren (bis einschL 
1893) auf je eine Million Einwohner durchschnittlich jährlich 2,68 
Todesfälle an den Pocken sich ereigneten, das sind auf 50 Millionen 
Einwohner 134 Pockentodte (Nr. 17). 

Seit dem Jahre 1886 werden zufolge der Beschlüsse des 
deutschen Bundesrathes vom 18. Juni 1885 aus sämmtlichen deutschen 
Bundesstaaten und aus Eisass - Lothringen Meldekarten über die 
Pocken-Todesfälle — und zwar nach einem vom Bundesrathe fest¬ 
gesetzten Schema — an das Kaiserliche Gesundheitsamt eingesandt 
Hierdurch ist eine statistische Uebersicht gewonnen, welche bisher 
u. A. gelehrt hat, dass es im Deutschen Reiche nur ausnahmsweise 
zu einer grösseren Verbreitung der Seuche an einem Orte kam, und 
dass überwiegend die meisten Todesfälle in den Grenzbezirken 
des Reiches sich ereignen. 

Obwohl auch in den Nachbarländern nach der grossen 
Pandemie der ersten siebziger Jahre zuvörderst ein gewisser 
Nachlass in der Verbreitung der Pocken folgte, erlitten hier die 
mangelhaft geimpften Bevölkerungen doch seit langem wieder hohe 
Verluste. So starben in den österreichischen Ländern seit 
1875 bis 1884 jährlich 402 bis 984 Personen auf eine Million 
Einwohner, und sehr verbreitet blieben die Pocken dauernd im 
russischen Reiche. 

Während in Berlin von 1876—1886 jährlich nur 0,7 bis 
höchstens 47 auf je eine Million Einwohner an den Pocken starben, 
erlagen ihnen in Paris in keinem dieser Jahre weniger als 36, in 


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167 


dem höchst belasteten 1035; und es betrugen in Wien die Opfer 
jährlich zwischen 97 und 1796, in Petersburg (von 1878—1886) 
jährlich 116 bis 1449, in Prag von 555 bis 3958 — immer auf je 
eine Million Einwohner. Und auch in der neuesten Zeit blieben 
die deutschen Grossstädte dauernd fast frei von den Pocken, während 
die des Auslandes häufige Verwüstungen erfuhren. 

Nur in denjenigen fremden Ländern, die sich ebenfalls eines 
(einmaligen) Impfzwanges erfreuen, wie Schweden, England und 
Dänemark, verharren die Pockenzahlen auf einer verhältnissmässig 
niedrigeren Stufe. So starben in England in den Jahren von 
1873—1884 in keinem Jahre mehr als 188, meist sehr viel weniger 
— bis 25 und 24, in Schweden (von 1876—1883) jährlich 27 bis 
136 auf je 1 Million Einwohner (Nr. 18). 

Nach den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge¬ 
sundheitsamtes, welchem aus allen (über 200) deutschen Städten 
mit 15000 und mehr Einwohnern wöchentliche, bez. monatliche 
Nachweise über die Sterblichkeitsvorgänge zugehen, starben in diesen 
Städten (mit etwa 12V2—lS 1 /^ Millionen Einwohnern): 


im 

Jahre 1887 

50 

» 

n 

1888 

46 

n 

71 

1889 

54 

n 

T» 

1890 

34 

n 

J! 

1891 

28 

71 

n 

1892 

45 

r> 

r* 

1893 

38 

1 » 

71 

1894 

6 


Personen an den Pocken. 

Vergleicht man mit diesen günstigen Zahlen die Pockentodes- 
fhlle für solche ausländische Städtegruppen, in denen anscheinend 
eine besonders genaue Registrirung der Todesursachen stattfindet 
und regelmässig veröffentlicht wird, so ergibt sich folgende Tabelle: 

Es starben an den Pocken auf je 1 Million Einwohner: 

in den Jahren 
1886—1889 

in den mehr als 200 grösseren Städten des 


DeutschenReichs 4,6 

„ den 28 grössten Städten Englands 27,2 

„ 66 grossen Städten Belgiens 152,4 

„ den grössten Städten Frankreichs 367,7 

„ 57 grösseren Städten Oesterreichs 419,3 

„ 69 grossen Städten Italiens 558,1 

„ 12 grösseren Städten Ungarns 1016 


Aehnlich lauten die Nachrichten aus den folgenden Jahren. 
Während im Jahre 1894 in allen deutschen Städten mit mehr als 


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168 


15000 Einwohnern (auf 13V2 Millionen) überhaupt nur 6 Personen 
an den Pocken starben, entfielen auch im Jahre 1893 auf die 
Städte 

Ungarns etwa 4 mal 

der Schweiz „ 8 „ 

Italiens „ 15 „ 

Englands „ 24 „ 

Frankreichs „ 34 „ 

Oesterreichs „ 67 „ 

Belgiens „ 158 „ 

so viel Todesfälle als auf die deutschen Städte. 

Im Jahre 1893 starben an den Pocken in Bordeaux 74, in 
Brüssel 19, in Genua 11, in London 206, in Krakau.161, in Madrid 
274, in Moskau 120, in Odessa 89, in Paris 256, in Prag 126, in 
Triest 203, in Warschau 455, in Wien 36 Menschen. 

Dagegen starben zu derselben Zeit: in Danzig 5, in Düsseldorf 1, 
in Frankfurt a. M. 5, in Leipzig 1, in Hamburg 3; in allen anderen 
Grossstädten des Deutschen Reiches mit 50000 und mehr Ein¬ 
wohnern Niemand (Nr. 19). 

Diesen Zahlen gegenüber kann Niemand sich vor der Aner¬ 
kennung des hygienischen Triumphes, den das Impfgesetz im 
Deutschen Reiche errungen hat, verschliessen. Noch günstiger als 
bisher würden die Verhältnisse sich gestalten, wenn auch unsere 
Nachbarländer zur Einführung des Impf- und Wiederimpfzwangs 
sich aufrafften. Da es niemals gelingen kann, eine vollständige und 
absolute Pocken-Immunität unserer gesammten Bevölkerung herzu¬ 
stellen, so bleiben wir, zumal an den Grenzen, immerhin beständig 
bedroht. So starben in den 15 Regierungsbezirken an der östlichen 
Grenze des Reiches in den 4 Jahren von 1886 bis 1889 zusammen 
554 (= jährlich 10 auf 1 Million Einwohner), zur selben Zeit in 
allen übrigen Theilen des Deutschen Reiches 128 (= jährlich 0,9 
auf 1 Million Einwohner). In derselben Zeit starben allein in 
Warschau mehr als doppelt so viel Personen an den Pocken als 
im ganzen Deutschen Reiche, nämlich 1876, d. i. durchschnittlich 
jährlich 469. Auf je 1 Million Einwohner starben jährlich an 
den Pocken in den meist betroffenen östlichen Grenzbezirken des 
Deutschen Reiches 10, dagegen in der benachbarten russischen Stadt 
Warschau 1050. Wir erkennen hieraus die hundertfach geringere 
Gefahr, die uns selbst im deutschen Osten im Vergleich zur 
russischen Bevölkerung durch die Pocken droht; wir ersehen aber 
zugleich, wie in Folge des ungehinderten Verkehrs für unsere Gegen¬ 
den eine hohe Gefahr der Einschleppung beständig vorhanden ist 
(Nr. 20). 


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169 


Da die Erfahrungen auch der letzten Jahre immer wieder be¬ 
stätigten, dass dem deutschen Osten aus den jenseits der russischen 
und österreichisch-ungarischen Grenze andauernden Epidemien die 
Pocken häufig zugetragen werden, so ordnete der Herr Minister der 
Medicinalangelegenheiten im Juni 1894 an, dass die in den östlichen 
Bezirken beschäftigten oder neu eintreffenden russisch-polnischen, 
•bez. galizischen Arbeiter hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes 
polizeilich überwacht und eventuell sofort der Impfung unterworfen 
werden. — Naturgemäss ist oft genug durch die Pocken des Aus¬ 
landes auch das deutsche Binnenland bedroht. So war eine Pocken¬ 
epidemie, die im Jahre 1893 in Frankfurt a. M. und‘Umgebung 
herrschte und fünf Todesfälle verursachte, nachweislich durch rus¬ 
sisch-polnische Arbeiter eingeschleppt, von denen einer schon am 
Tage nach der Ankunft an den schwarzen Blattern erkrankte 
(Nr. 21). Wenn es bisher noch immer gelang, die weitere Pocken¬ 
verbreitung ziemlich bald zu verhindern, so verdanken wir dies 
wesentlich der Impfung, sowohl den vorhergegangenen Impfungen, 
welche eine im Allgemeinen herabgesetzte Empfänglichkeit der Be¬ 
völkerung für die Pocken schafften, wie auch den stets dringend 
sofort zu empfehlenden neuen Impfungen, denen zumindest die un¬ 
mittelbar bedrohten Personen zu unterwerfen sind. Dass hierneben 
weder die Isolirung der Kranken noch die Desinfection vernachlässigt 
werden dürfen, sei nur angedeutet. 

Der Verfasser dieser Zeilen hat sowohl im Kreise Tilsit, wie 
mehr noch im Kreise Heydekrug eine Anzahl von Pockener¬ 
krankungen beobachtet, die stets ihre ursprüngliche Quelle in Russ¬ 
land hatten. Mehrfach blieben solche Fälle vereinzelt Der durch 
die gute Impfung gewährte Schutz leuchtete immer wieder aufs Neue 
hervor. Die ungeimpften Kinder waren hart bedroht, die ge¬ 
impften erkrankten selten und leicht. Aber auch Personen, die an¬ 
geblich revaccinirt waren, erkrankten gelegentlich und zumal ein¬ 
zelne ältere Personen schwer. — Wie grossen Schutz die Impfung 
gewährt, lehrte u. A. folgende Beobachtung. In einem Dorfe R. er¬ 
krankte in einem abgelegenen Hause ein etwa 18 Jahre altes Dienst¬ 
mädchen, dessen Irapfzustand nicht sicher festzustellen war, schwer 
an den Pocken; die andern Hausbewohner blieben gesund; das 
Mädchen ist später genesen. Die Nachforschung nach dem Ur¬ 
sprung dieses zuerst gemeldeten Falles ergab, dass kurz vorher in 
einem Hause an der Dorfstrasse — gegenüber der Schule — ein 
acht Jahre alter, als Säugling geimpfter Knabe an den Pocken leicht 
erkrankt war. Als ich ihn sah, fanden sich an der Körperober¬ 
fläche zahlreiche frische oberflächliche Pockennarben. Die Mutter 
dieses Knaben verrichtete Hofarbeit in jenem Hause, dessen Dienst¬ 
mädchen, wie erwähnt, erkrankt war: ein Fall zweifelloser Ver- 


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170 


Schleppung durch einen Gesunden. Woher die Krankheit des 
Knaben stammte, war nicht festzustellen; das Dorf R. liegt an der 
Hauptkunststrasse, die von der russischen Grenze nach Tilsit ftlhrt; 
wir hatten sonst in unserer Gegend keine Pocken. Das Bemerkens- 
werthe des Falles liegt darin, dass der Knabe ohne jede Abson¬ 
derung, an einer verschleppbaren Krankheit leidend, in einem Hause 
krank lag, das von mehreren kinderreichen Familien bewohnt war. 
Keines dieser Kinder war ungeimpft, wie auch die Erwachsenen 
theils einmal, theils mehrmals geimpft waren. Hier wäre ohne den 
Impfschutz nach allen sonstigen Erfahrungen zumindest eine Haus¬ 
epidemie zu befürchten gewesen. Es sei hinzugefügt, dass wir 
ausser andern Maassregeln sogleich einen öffentlichen Impftermin 
veranstalteten und dessen Benutzung empfahlen; allgemeine Zwangs¬ 
impfungen waren vorgesehen, falls eine weitere Pockenverbreitung 
erfolgen sollte. In dem Termin meldeten sich, wie nebenbei be¬ 
merkt sei, fast nur weibliche Personen jüngeren Alters zur Impfung. 
Es ereignete sich kein neuer Fall. — 

Fassen wir alles Obige zusammen, so fanden wir die Wirkung der 
Impfung als eines Schutzmittels gegen die Menschenpocken erwiesen 
durch das Experiment und bestätigt durch die besonderen Eigentüm¬ 
lichkeiten der Pockenverbreitung in diesem Jahrhundert. Die Wir¬ 
kungen des Impfzwanges sahen wir u. A. durch die verhältniss- 
mässig günstigere Lage erwiesen, in welcher beispielsweise Bayern 
gegenüber den andern Ländern sich befunden hat. In besonders 
günstigem, beinahe pockenfreiem Zustande erweist sich seit etwa 
20 Jahren das Deutsche Reich, in welchem seit ebenso langer Zeit 
ein gesetzlicher Zwang zur Impfung und Wiederimpfung besteht 
Die Erfahrungen lehren, dass, um die Empfänglichkeit der Be¬ 
völkerung dauernd auf einem möglichst niedrigen Stande zu erhalten, 
jede Einzelimpfung und jede Wiederimpfung mit besonderer Sorg¬ 
falt, mit möglichst ausgiebigem Erfolge zu bewirken sind. Tritt 
ein Pockenfall auf, so sind alle der Ansteckungsgefahr ausgesetzt 
gewesenen Personen alsbald zu impfen, bez. wiederzuimpfen. Wir 
müssen ja immer daran festhalten, dass nicht erwartet werden kann, 
dass alle Geimpfte einen absoluten Schutz gegen die Pocken be¬ 
sitzen; die Impfung vermag immer nur einen bald grösseren, bald 
geringeren Antheil der Empfänglichkeit zu löschen; jede neue 
Impfung wird aber sehr oft voraussichtlich den bereits vorhandenen 
Schutzgrad erhöhen. Besonders sollten in der Zeit der Gefahr die 
Erwachsenen die Wiederimpfung nicht versäumen; denn die Er¬ 
wachsenen sind durch die Pocken vermöge ihrer hohen natürlichen 
Empfänglichkeit fast immer besonders heftig bedroht, und je älter 
wir werden, um so dringender ist dies zu beherzigen. 


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171 


Nachdem durch die beständige Fürsorge, welche die Behörden 
der Regelung des Impfwesens zugewandt haben, die Gefahren der 
Impfung auf ein Minimum geschwunden sind, ist der Widerspruch, 
wie solcher, wenn auch vereinzelt, doch immer wieder aufs Neue 
dem Impfgesetze entgegengesetzt wird, als thöricht, als kurzsichtig 
oder doctrinär zu bezeichnen. Zumal die Agitation gegen das 
Impfgesetz, welche die segensreichste, wirkungskräftigste Maassregel 
der neueren Gesundheitspflege in Frage zu stellen geeignet ist, kann 
der Einsichtige nur als ein frevelhaftes Aufsspielsetzen zahlreicher 
Menschenleben beurtheilen. 

Litteratur. 

Nr. 1. Dr. S. Wolffberg, Privatdocent in Bonn, Ueber 
den Einfluss des Lebensalters auf die Prognose der 
Blattern, sowie über die Andauer des Impfschutzes. 
Ergänzungshefte zum Centralblatt für allgemeine Gesund¬ 
heitspflege. Bd. I, S. 1 ff., 15, 16. 1883. 

Zu den im Texte angeführten Zahlen vergl. Juncker's 
(Prof, zu Halle) Archiv der Seelsorger und Aerzte 
wider die Pockennoth. Erstes bis sechstes Stück. 1796 ff. 
Nr. 2. Beiträge zur Beurtheilung des Nutzens der 
Schutzpockenimpfung. Bearbeitet im Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte. Berlin, Julius Springer, 1888. S. 102. 

Nr. 3. Bernhard Christoph Faust, Dr., Gräfl. Schaumburg- 
Lippischer Hofrath und Leibarzt u. s. w., Gesundheits- 
Katechismus zum Gebrauch in den Schulen und beim häus¬ 
lichen Unterrichte. Preis 2 g. Gr. und in Lateinischer Sprache 
3 g. Gr. Neunte Auflage. Leipzig, P. G. Kummer, 1802. 

S. S. 142: 419. Frage: „Welches war der unvergessliche Tag, an 
welchem Eduard Jenner die ersten Kuhpocken einimpfte?“ 

„Der vierzehnte Mai im Jahre 1796.“ 

420. „Sollten alle Völker diesen Tag feiern?“ 

„Ja, alle Völker sollen den vierzehnten Mai heilig halten, 
feiern und Gott für die Kuhpocken und die Errettung von den 
Blattern danken.“ 

Nr. 4. Historisches Tagebuch der Stadt Tilse vom 
17. December 1812 bis zum 3. August 1814 geführt von dem 
Stadtsekretär Salchow. Zum Druck befördert von Dr. Ru¬ 
dolph Thimm. Beiträge zur Geschichte von Tilsit, n. Tilsit, 
1893. Kommissionsverlag von Wilh. Lohauss. — S 27. — 

Nr. 5. Dr. Adolph Friedrich Lliders, Versuch einer 
kritischen Geschichte der bei Vaccinirten beob- 


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172 


achteten Menschenblattern. Altona, Hammerich, 1824. 
S. S. 183: 

„ . . Diese Impffeste auf dem Lande . . . wenn nicht die 
Mütter sich, wenigstens hier zu Lande, mit Begierde hinzudrängten, 
ihren Kindern die Wohlthat der Vaccination zu verschaffen.“ 

Nr. 6 . Dr. S. Wolffberg, Ueber die Impfung. Berlin SW., 
1884, Verlag von Carl Habel. — S. 29. — 

Nr. 7. Dr. S. Wolffberg, Untersuchungen zur Theorie 
des Impfschutzes, sowie über die Regeneration der 
Pocken an läge. Ergänzungshefte zum Centralblatt für allge¬ 
meine Gesundheitspflege. Bd. I, S. 183 ff. 

Nr. 8. S. Nr. 6. S. 29 ff. 

Zu der Edinburger Epidemie vergl. John Thomson, An 
account of the varioloid epidemic etc., London 1820; 
zu der Epidemie im Ruppin'schen Kreise und zu der von Mar¬ 
seille Nr. 1, S. 29, 30; zu der Epidemie von Chemnitz 1870/71 
die mu8tergiltige Arbeit von Max Flinzer in: Mittheilungen 
des statistischen Bureaus der Stadt Chemnitz. Erstes Heft. 
Chemnitz, Focke, 1873. 

Nr. 9. Das Reichs-lmpfgesetz. Dargestellt von Dr. C. Ja- 
cobi und Dr. A. Guttstadt. 2. Ausgabe. Berlin 1876, Kort- 
kampf. S. 45. 

Nr. 10. Thalmann, Ueber den Werth der Impfung. 
Inaugural-Dissertation. Greifswald, 1871. 

Nr. 11. Dr. Th. Lotz, Physikus in Basel. Pocken und Vac¬ 
cination. Zweite Auflage. Basel, Schwabe, 1880. — S. 136. 
— Die Quelle ist die Zeitschrift des k. bayrischen statistischen 
Bureaus. — 

Nr. 12. S. Nr. 11. S. 91. 

Nr. 13. S. Nr. 2, S. 23, 24, 119. Der hier citirte Bericht ist 
der VI. Band des Sanitätsberichts über die deutschen 
Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/71 (Die 
Pocken bei den deutschen Heeren u. s. w.); Berlin 1885. 

Nr. 14. Vergl. die statistisch-hygienische, auf amtlichen Quellen 
beruhende Studie von Dr. Friedrich Böhm (Neu-Ulm), Die 
Pockensterblichkeit in Bayern in den Jahren 1857/58 
bis 1892. Münchener medicinische Wochenschrift, 1895, Nr. 37, 38. 

Nr. 15. S. Nr. 2, S. 114. 

Nr. 16. Bis zum Jahre 1886 entstammen die Zahlen den unter 
Nr. 2 genannten „Beiträgen“; für die späteren Jahre den 
„Arbeiten“ und den „Medicinal-statistischen Mitthei¬ 
lungen“ aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Die absoluten 
Zahlen für die Pockentodesfälle in Preussen lauten für die Jahre 
1887—1893: 145, 80, 157, 36, 26, 91, 136. 


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173 


Nr. 17. Dr. Kübler, Ergebnisse der amtlichen Pocken¬ 
todesfallstatistik im Deutschen Reiche vom Jahre 
1893. Medicinal«statistische Mittheilungen aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamte, II. Band, 2. Heft, Berlin, Springer, 1895. S. 205. 

Von besonderem Interesse sind die nachstehenden, der 
„ Preussis chen Statistik“ entnommenen jährlichen Zahlen 
der Todesfälle an Blattern bei Kindern von 5—10 Jahren, 
die wir nach Dr. Kübler (Statistisches zur Wirkung 
des Impfgesetzes, Deutsche mediz. Wochenschrift, 1896, 
Nr. 4) anführen. Dieselben betrugen in den Jahren: 


1875 

95 

1885 

40 

1876 

66 

1886 

9 

1877 

8 

1887 

7 

1878 

19 

1888 

3 

1879 

34 

1889 

11 

1880 

85 

1890 

1 

1881 

103 

1891 

1 

1882 

112 

1892 

7 

1883 

32 

1893 

8 

1884 

35 




Bis zum Jahre 1884 waren in der Klasse der Fünf- bis Zehn¬ 
jährigen solche Kinder enthalten, welche der Erstimpfung nach 
dem Impfgesetze noch nicht unterworfen waren. Man darf an¬ 
nehmen, dass erst von 1885 ab die Klasse der Fünf- bis Zehn¬ 
jährigen fast nur aus Geimpften bestanden hat. Um so be- 
merkenswerther ist die erst seitdem und andauernd bestehende 
minimale Todtenzahl. 

Ferner sind im Deutschen Reiche bis zum Jahre 1885 die 
Zahlen für diejenigen 11—12 Jahre alten Kinder, welche von 
der Wiederimpfung befreit blieben, weil sie in den vorher¬ 
gegangenen 5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden hatten, 
verhältnissmässig beträchtlich gewesen und haben seitdem erheblich 


abgenommen. 

Die Zahlen sind für die Jahre 


1879 

1605 

1886 

280 

1880 

1432 

1887 

248 

1881 

1335 

1888 , 

178 

1882 

1203 

1889 

218 

1883 

1024 

1890 

139 

1884 

629 

1891 

230 

1885 

349 1 

1892 

229 


Erst nach 1885 kamen zur Wiederimpfung nur solche Kinder, 
welche nach Einführung des Impfgesetzes geboren, bez. diesem 
Gesetze schon unterworfen waren. (Vgl. Kübler a. a. O.) 


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174 


Nr. 18. „Beiträge“ (Nr. 2). S. 11 ff., S. 88. 

Nr. 19. S. „Veröffentlichungen“ 1893, S. 316; 1895, S. 282; 
„Arbeiten“, VII, 41; „Medicinal-statistische Mit¬ 
theilungen“, II, 209. 

Nr. 20. „Arbeiten“ VII, 42. 

Nr. 21. Dr. Grandhomme, Eine Pockenepidemie des 
Jahres 1893 zu Frankfurt a. M. und Umgebung. Dr. 
A. Wernich’s Vierteljahrsschrift fiir gerichtliche Medicin und 
öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge. VII. Band. Jahrgang 
1894. S. 365. 


Die eben (während diese Abhandlung mir zur Revision vor¬ 
liegt) erschienene „Denkschrift“ des Kaiserlichen Gesundheitsamts 
„Blattern und Schutzpockenimpfung“ konnte nicht mehr benutzt 
werden. 


Kleinere Mittheilungen. 


*** Hede des Staatsministers Dr. von Bötticher zur Frage 
der Aufhebung des Impfzwanges. Am 12. März d. J. verhandelte 
der deutsche Reichstag über die Anträge der Abgeordneten Förster 
und Metzner, sowie Bios und Genossen auf Aufhebung des Impfgesetzes. 
Bei dieser Gelegenheit äusserte sich der Herr Staatssekretär des Innern 
wie folgt: 

„Nach der mir bekannten Auffassung, wie sie aus früheren 
Correspondenzen entgegeugetreten ist, glaube ich nicht in Aussicht 
stellen zu können, dass für die vorliegenden Anträge eine Majorität 
im Bundesrath zu haben sein wird. Ich bin vielmehr der Meinung, 
dass die überwiegende Mehrheit der Bundesregierungen, wenn nicht 
sogar alle, gegen die Aufhebung des Impfgesetzes sich erklären werden. 
Und, meine Herren, das hat seinen guten Grund. Die bisherigen Er¬ 
fahrungen, die mit der Zwangsimpfung gemacht worden sind, lassen es 
keineswegs als wohlgethan erscheinen, dieses werthvolle Schutzmittel 
gegen eine verderbliche Krankheit aufzugeben. Die Herren Antrag¬ 
steller, welche heute ihre Anträge begründet haben, haben die vom 
Gesundheitsamt beigebrachte Statistik und die vom Gesundheitsamt für 
die Aufrechterhaltung des Impfzwanges herangezogenen Gründe mit 
Gegengründen und mit dem Hinweis auf andere statistische Auf¬ 
nahmen zu bemängeln gesucht. Meine Herren, ich glaube, dass die 
Statistik, die das Gesundheitsamt aufgenommen hat, und welche Ihnen 


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Allen zugänglich gemacht ist in dem TBüchlein, welches den Titel: 
„Blattern- und Schutzpockenimpfung“ trägt, um deswillen vor jeder 
anderen Statistik den Vorzug verdient, weil sie sich stützt auf amt¬ 
liche Erfahrungen und auf amtliche Erhebungen. Nun, meine Herren, 
woraus erklärt sich denn die wachsende Zunahme der Impfgegner? 
Ganz einfach daraus — und das hat Herr Dr. Langerhans schon mit 
grossem Recht hervorgehoben —, dass das gegenwärtig lebende Ge¬ 
schlecht gar keine Vorstellung mehr hat von dem Elend, das durch 
eine Blatternepidemie hervorgerufen werden kann. Und, meine Herren, 
woraus erklärt sich die Zunahme der Impfgegner weiter? Sie erklärt 
sich daraus, dass es ja für das menschliche Gefühl — das wird jeder 
fühlende Mensch zugeben — ausserordentlich empfindlich ist, wenn 
man, obwohl man die Ueberzeugung hat, sein Kind, seinen Liebling, 
durch die Impfung einer gewissen Gefahr auszusetzen, trotzdem vom 
Staate gezwungen wird, gegen die eigene Ueberzeugung die Impfung 
vornehmen zu lassen. Aber daraus folgt noch lange nicht, dass, wie 
die Herren Impfgegner heute behauptet haben, es nicht die Aufgabe 
des Staates sei, und dass der Staat kein Recht habe, zur Impfung zu 
zwingen. Der Staat hat das Wohl der Gesammtheit dem Wohle des 
Individuums voranzustellen, und wenn der Staat zu der Ueberzeugung 
kommt, dass nur unter Opfern, die von Seiten des Einzelindividuums 
gebracht werden müssen, das Wohl des Ganzen sicherzustellen ist, so 
hat er allerdings das Recht, auch, wie der Herr Abgeordnete Dr. Förster 
sich ausdrtickt, über den Leib des Individuums zu verfügen. Meine 
Herren, zum Schutze des Vaterlandes thun wir ja nichts Anderes: wir 
haben die allgemeine Militärpflicht, da wird auch über den Leib des 
Soldaten verfügt. Andererseits aber hat auch der Staat die Aufgabe, 
wenn wirklich mit den Opfern, die er von dem Individuum verlangt, 
Schädigungen verbunden sind, Alles zu thun, um diese Schädigungen, 
soweit sie nicht völlig beseitigt werden können, auf ein Minimum 
zurückzuführen. Und, meine Herren, in dieser Beziehung ist die 
deutsche Regierung nicht lässig gewesen und hat bereits schöne Er¬ 
folge durch ihre Bemühungen erzielt. Ich erinnere einfach daran, 
dass, seitdem der Bundesrath dazu übergegangen ist, die Anwendung 
der Thierlymphe bei den Zwangsimpfungen zu empfehlen, die Zahl 
der Impfschädigungen sehr erheblich abgenommen hat. Das ist auch 
ganz natürlich: wird unverfälschte reine Thierlymphe zur Impfung 
verwendet, so kann von einer Uebertragung von Menschenkrankheiten 
auf den Impfling nicht die Rede sein. Und wenn Sie sich die Ziffern 
ansehen, die auch in diesem Büchlein enthalten sind, so hat die An¬ 
wendung der Thierlymphe constant zugenommen, und im Jahre 1898 
waren es z. B. nur noch 1,45 °/o der Erstimpfungen und 0,65% der 
Wiederimpfungen, bei denen menschliche Lymphe zur Anwendung ge¬ 
kommen oder die Art der angewendeten Lymphe nicht ermittelt ist. 


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Uebrigens werden wir auch in diesem Punkt noch zu besseren Zu¬ 
ständen kommen müssen. Auch hier müssen wir bestrebt sein, dafs 
überall nur unverfälschte und gute Thierlymphe Verwendung findet 
Meine Herren, was die Beschaffenheit der Thierlymphe anbelangt, so 
sind die Regierungen dazu übergegangen, die grösstmöglichsten Vorsichts¬ 
maassregeln zu ergreifen. Jedes Kalb, von dem die Lymphe ge¬ 
nommen wird, wird geschlachtet; es wird untersucht, und wenn sich 
irgend ein Krankheitsstoff in dem Cadaver vorfindet, so wird die 
Lymphe nicht zur Anwendung gebracht. Weiter sprach der Herr Vor¬ 
redner davon, dass eine grosse Unzufriedenheit bestehe rücksichtlich 
der Unterwerfung unter die Zwangsimpfung um deswillen, weil die 
Kinder von Wohlhabenden vom Hausarzt geimpft werden, während die 
der armen Leute sich zum Impftermin einfinden müssen. Er sprach 
weiter davon, dass es sich vielleicht empfehle, die Unzufriedenheit 
dadurch zu beseitigen, dass man die Lymphe den Aerzten unentgelt¬ 
lich giebt, und dass man den armen Leuten, die ihre Kinder impfen 
lassen müssen, die Wahl des Arztes anheimgiebt. In dieser Beziehung 
ist bereits, wie mir gesagt wird, der Anfang in einem Bundesstaat ge¬ 
macht; in Hessen wird die Lymphe unentgeltlich verabfolgt. Ich bin 
gern bereit, in Erwägung zu nehmen, ob nicht auch in anderen 
Theilen des Reiches auf demselben Wege* vorgegangen werden kann. 
Eine weitere Maassregel zur Verringerung der Unannehmlichkeiten der 
Zwangsimpfung habe ich mir noch in neuerer Zeit bei den Regierungen 
anzuregen erlaubt. Es wird darüber geklagt, dass die Kinder an 
beiden Armen geimpft werden, dass namentlich, wenn die Pocken auf¬ 
gehen, Fieber eintritt, und dass dann das Betten der Kinder schwierig 
ist. Wir haben die Ueberzeugung gewonnen: es genügt auch die 
Impfung an einem Arm, und zwar soll das künftig, wenn möglich, 
der linke sein, damit das Kind nicht behindert ist, von seinem rechten 
Arm Gebrauch zu machen — natürlich nur zu Zwecken des Schul¬ 
unterrichts. So werden wir jede Anregung, die auf diesem Gebiet 
gegeben wird, gern verfolgen; wir werden uns sehr freuen, wenn es 
möglich ist, die unangenehmen Seiten der Zwangsimpfung und die un¬ 
angenehmen Eindrücke, welche die Vorschrift der Zwangsimpfung auf 
einen grossen Theil des Publicums ausübt, hintanzuhalten. Jedenfalls 
steht soviel fest, dass, wenn auch der gegenwärtige Zustand nicht mehr 
als verbesserungsfähig anzusehen wäre, wenn wir ihn beibehalten 
müssten, und wenn es uns — das will ich noch hinzufügen — nicht 
gelänge, eine noch sorgfältigere Behandlung der Impflinge zu er¬ 
möglichen — aus dem Mangel ausreichender Sorgfalt resultiren nämlich 
die meisten Schädigungen, es werden die Impfstellen nicht gehörig ver¬ 
bunden, nicht reingehalten, nicht sorgfältig genug beobachtet —, ich 
sage: selbst wenn alles dies nicht zu bessern wäre, so würde ich doch 
der Meinung sein, dass der gegenwärtige Zustand noch weitaus den 


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Vorzug verdient vor dem Zustande, in den wir verfallen würden, wenn 
wir unser Impfgesetz auf höben. Sehen Sie sich die graphische Dar¬ 
stellung in diesem Büchlein an, betrachten Sie z. B. die Karte über 
die Häufigkeit der Pockentodesfälle, auf welcher die dunkelste Farbe 
die grösste Häufigkeit der Pockentodesfälle bezeichnet und die hellste 
Schraffirung die geringste Blatternsterblichkeit darstellt, so finden Sie, 
dass Deutschland neben Schweden und Schottland in Bezug auf die 
Pockentodesfälle das am besten bestellte Land ist, dass Spanien und 
Russland die grössten Ziffern für Pockentodesfälle zeigen, und dass auch 
andere Länder, wie Italien, England, Oesterreich, die Balkanländer, 
weit hinter uns zurückstehen. Wenn man nun die interessante That- 
sache aus allen diesen statistischen Aufnahmen sich ergeben sieht, dass 
ein colossaler Umschwung in Bezug auf die Pockenerkrankungen und 
Pockentodesfälle seit 1874 bei uns eingetreten ist, so bedeutend, dass 
man sagen kann: die Erkrankungen und Todesfälle an Pocken sind 
auf ein Minimum seit jener Zeit reducirt — dann frage ich: wer will 
die Verantwortung übernehmen, jetzt ein Gesetz aufzuheben, welches 
diese Schutzwehr gegen die Pocken aufgerichtet hat, welches zum 
Segen der Bevölkerung bestanden hat, und welches, wenn es aufgehoben 
wird, die Bevölkerung zum grossen Theil wieder dem Elend und der 
Gefahr preisgiebt?“ — W. 

*** Ein Fall von angeblicher Impfschfidigung, mitgetheilt von 
Dr. Wolffberg. 

„Ich selbst habe,“ so sagte mir kürzlich Herr Prediger X., einer 
unserer beredtesten Geistlichen, „einer Petition um Aufhebung des 
Impfzwang-Gesetze8 vor einiger Zeit mich angeschlossen. “ Auf meine Frage, 
wie dies möglich sei, erfuhr ich, dass Herr X. vor Jahren seiner 
Meinung nach ein Kind infolge der Impfung durch den Tod verloren 
habe. Ich forderte Aufklärung und erfuhr: 

Das Kind war reconvalescent von den Masern, als es geimpft 
wurde. Es erkrankte, abgesehen von den Impfpocken, die normal 
verlaufen zu sein scheinen, an einem allgemeinen Ausschlag, der 
Herrn X. als Prurigo bezeichnet wurde. Hierbei war das Kind er¬ 
heblich krank. Kein Mittel konnte den Ausschlag beseitigen, bis 
Herr X. von einem befreundeten Apotheker, der zugleich Medicin 
studirt hatte (? !), eine Arznei erhielt, welche Heilung brachte. Es 
traten Durchfälle auf, und das Kind genas. Aber diese Freude dauerte 
nicht lange. Es war bald darauf nöthig gewesen, mit dem Kinde nach 
einem anderen Orte überzusiedeln, und hier, unter dem Einflüsse ver¬ 
änderter Diät, zeigte der allgemeine Ausschlag sich wieder schlimmer 
als früher. Allerdings verschwand die Prurigo bald, sie hatte sich 
aber nach innen geworfen; es trat eine Lungenentzündung auf, und 
das sonst so prächtige Kind starb. — 

Centralblatt f. allg. Geenndheita pflege. XV. Jahrg. 13 


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Diese Erzählung ist ganz typisch für eine grosse Anzahl von 
Berichten über angebliche Impf-Schädigungen. Auch dass ein Mann 
auf hoher Bildungsstufe, getroffen durch den Verlust eines geliebten 
Kindes, an einen derartigen Zusammenhang zwischen der Impfung und 
der zum Tode führenden Lungenentzündung fest glaubt, wird den Er¬ 
fahrenen nicht überraschen. Um so weniger darf es auffallen, dass 
die grosse Masse des Volkes durch solche Nachrichten beunruhigt wird. 
Da sollte es denn die Aufgabe der Aerzte sein, immer wieder die 
ihnen mitgetheilten Fälle kritisch zu beleuchten und Irrthtimer auf¬ 
zuklären. Jeder Arzt sieht sofort, wie irrig die Auffassung ist, in 
welcher Herr Prediger X. sich befindet. Die Prurigo ist eine mit 
heftigem Jucken einhergehende Hautkrankheit, bei welcher hirse- bis 
hanfkorngrosse Knötchen sich finden; durch das Jucken und die 
folgenden Kratzeffecte leiden die Kranken sehr. Sie ist niemals 
tödtlich, aber ungemein hartnäckig und schwer zu behandeln. In der 
Kegel entsteht sie in frühester Kindheit und kann bei Kindern in der 
Mehrzahl der Fälle zur Heilung gebracht werden. Bei Erwachsenen 
ist die Krankheit meist als ein aus dem Kindesalter überkommenes 
Leiden anzusehen. Man hat Grund, anzunehmen, dass die Prurigo 
auf einer vom Nervensystem abhängigen Ernährungsstörung der Haut 
beruht. Von der Impfung ist ihr Auftreten ganz unabhängig; nie ist 
ein solcher Zusammenhang angenommen worden. Im vorliegenden 
Falle könnte man mit nicht geringerem Rechte die vorhergegangenen 
Masern als Ursache anschuldigen. Aber sicher waren weder Masern 
noch Impfung die Ursache. — Vollends ein „Zurückschlagen“ der 
Prurigo und eine dadurch veranlasste Entstehung der tödtlichen 
Lungenentzündung sind unverständlich und ein solcher Zusammenhang 
unmöglich. W. 


Literaturbericht. 


Blattern und Schutzpockenimpfung. 

Beurtheilung des Nutzens des Impfgesetzes vom 8. April 1874 und zur 
Würdigung der dagegen gerichteten Angriffe. Bearbeitet im Kaiser- 
liehen Gesundheitsamte. Mit 1 Abbildung im Text und 7 Tafeln. 
Berlin, Verlag von Julius Springer, 1896. — 192 Seiten. 

Gerade zu rechter Zeit, vor der Jahrhundertfeier des 14. Mai 1796 
und vor den im Deutschen Reichstage stattgehabten Verhandlungen der 
antisemitischen und socialdemokratischen Anträge auf Aufhebung des 
Impfgesetzes, ist diese Denkschrift erschienen. Sie beleuchtet den 


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Nutzen, den das deutsche Impfgesetz der Bevölkerung des Deutschen 
Reiches gebracht hat, widerlegt die Angriffe der Gegner und wird 
Viele, welche ohne genaue Kenntniss des Gegenstandes durch Agitatoren 
sich beunruhigen Hessen, die aber ihre Augen nicht absichtlich vor den 
objectiven Thatsachen verschliessen wollen, für das Gesetz gewinnen. 

Hier eine Angabe des Inhalts. 

Das erste Kapitel schildert diePockennoth früherer Zeiten, 
das zweite die Versuche zur Verminderung der Pockennoth 
im achtzehnten Jahrhundert (Seltenheit wiederholter Pocken¬ 
erkrankungen bei denselben Menschen; das „Pockenkaufen“; die 
Inoculation der Menschenpocken). 

Der Verfasser der Denkschrift erwähnt, dafs Jenner über einen 
tödtlichen Pall von zweiten Pocken berichtet, der einen 50 Jahre alten, 
als Kind bereits geblätterten Mann betraf. „Der Fall,“ sagt Jenner, 
„war so merkwürdig, dass er in dem Kirchenbuche aufgezeichnet ward.“ 

Referent erlaubt sich hinzuzufügen, dass in unserem Jahrhundert 
die Fälle von zweiten Pocken zweifellos sehr viel häufiger geworden 
sind. Namhafte Forscher haben diesen Zweiterkrankungen eine be¬ 
sonders schlechte Vorhersage zuschreiben wollen. Die Seltenheit 
heftigerer Zweiterkrankungen im vorigen Jahrhundert hängt innig mit 
der beständigen Herrschaft der Pocken, ihre grössere Häufigkeit in 
unserem Jahrhundert gerade mit der Seltenheit der Epidemien unseres 
Jahrhunderts zusammen: worauf ich in den Ergänzungsheften zur 
diesem Centralblatt, Bd. I, 1883, S. 38, hingewiesen habe. 

Das dritte Kapitel behandelt die Entdeckung und Ein¬ 
führung der Kuhpockenimpfung. 

Hier sei nur der Schluss des Kapitels angeführt, aus welchem 
hervorgeht, wie bald nach Veröffentlichung der ersten Jenner’sehen 
Schrift auch die preussische Regierung sich bemühte, der 
Impfung Eingang zu verschaffen. Die Anfangssätze eines Reglements, 
das am 31. October 1803 vom Könige Friedrich Wilhelm IH. 
erlassen wurde, lauten: 

„Wir F. W. thun kund und zu wissen: In der festen Ueber- 
zeugung, dass neue Entdeckungen in dem Gebiete der medicinischen 
Wissenschaften nicht gleich einen Gegenstand der Regierung abgeben 
müssen, haben Wir bisher die Impfung der Schutzblattern .... blofs 
der Leitung Unserer Medicinalbehörde überlassen und nur insofern 
mitgewirkt, dass Wir, um stets echten Impfstoff vorräthig zu haben, in 
Berlin, Königsberg und anderen grossen Städten Unserer Monarchie 
besondere Impfungsinstitute haben etabliren lassen. Nachdem aber .... 
sich die Fragen: 

1. schützet der echte Kuhpockenstoff vor der Ansteckung der natür¬ 
lichen Pocken? 

13* 


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2. ist die Impfung des ersteren mit anderen gefährlichen Folgen 
für die Gesundheit verbunden? 

zum überwiegenden Ausschlag für die Vaccine entschieden haben, 
indem Unserem Ober-Coll. med. et Sanitatis innerhalb Jahr und Tag 
von praktischen Aerzten und Regimentschirurgen 17 741 veranstaltete 
und sorgfältig beobachtete Impfungen einberichtet und dabei die erste 
Frage durch 8000 Ansteckungsversuche bestätigt, die zweite aber 
durch eine seit drei Jahren fortgesetzte pflichtmässige Controlle zum 
Vortheil der Schutzblattern beseitigt worden, so finden Wir aus väter¬ 
licher Fürsorge ftir das Leben und die Gesundheit Unserer getreuen 
Unterthanen Uns veranlasst, die Beförderung der Schutzblattemimpfung 
nunmehr zu einem besonderen Augenmerk Unserer Staatsverwaltung 
in der Absicht zu machen, damit das menschliche Pockenübel, welches 
im Durchschnitt jährlich mehr als 40 000 Menschen in Unsern Landen 
wegrafft, sobald als möglich vertilgt und ausgerottet werde.“ 

Im vierten Kapitel bespricht die Denkschrift die Verbreitung 
der Kuhpockenimpfung und Abnahme der Pocken¬ 
sterblichkeit im Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts. 
Der Verfasser berichtet u. A., wie es im Anfänge des Jahrhunderts 
gelang, an vielen Orten herrschende Pocken-Epidemien durch gehäufte 
Impflingen zu unterdrücken. So impfte Dr. Schütz in dem Dorfe 
Untergrambach (im Bisthum Speyer) 49 Kinder mit Kuhpocken; 
von diesen starb keins. Von 59 nicht geimpften, welche alle die 
Blattern bekamen, starben 13. „Was habe ich,“ so schreibt der ge¬ 
nannte Arzt, „in dem Dorfe Untergrambach für traurige und reuevolle 
Auftritte gesehen! Besonders in jenen Häusern, woraus man das 
einzige Kind zu Grabe trug! Der eine Theil schrie schmähend: 
Hätte ich mich doch nicht von der Impfung abwendig machen lassen! 
Der andere Theil beweinte seine Unwissenheit. Die ärmere Klasse 
schrie: Warum wussten wir nicht, dass man uns unentgeltlich impfen 
wollte!“ 

Das fünfte Kapitel erörtert das Wiederauftreten von 
Pockenepidemien und die Wiederimpfung, das sechste 
Impfung und Pocken im zweiten Drittel des neunzehnten 
Jahrhunderts, das siebente die allgemeine Pockenepidemie 
der Jahre 1870 bis 1875. 

Es folgt dann im achten Kapitel eine Darstellung des deutschen 
Impfgesetzes vom 8. April 1874 nebst den Beschlüssen des 
Bundesraths vom 18. Juni 1885. (Vgl. dieses Centralblatt 1885, S. 200.) 

Im neunten Kapitel werden die Einwände gegen das Impf¬ 
gesetz besprochen. (Erwähnt werden die Verhandlungen des Reichs¬ 
tages über impfgegnerische Petitionen; die Beschwerden der Impfung; 
die impfgegnerische Agitation, der angeblich unzulässige Eingriff in die 
persönliche Freiheit; das Bestreiten des Impfschutzes; das Ver- 


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schwinden der Pocken soll andere Gründe haben; die Impf¬ 
schädigungen). 

Die Frage der Impfschädigungen wird mit Recht ausführlich er¬ 
örtert. Die Seltenheit der Impfschäden, die Irrthümlichkeit und Un¬ 
wahrheit der Angaben von Impfgegnern werden dargethan. Das 
Minimum von noch vorhandener Gefahr darf nicht bestritten 
werden. Im Besonderen können, wie zu jeder Wunde, auch zu den 
kleinen Impfwunden, zumal bei unvorsichtigem Verhalten der Impf¬ 
linge, bezw. ihrer Pfleger, sog. accidenteile Krankheitserreger sich ge¬ 
sellen und Krankheit und selbst den Tod herbeiflihren. Die Be¬ 
mühungen bleiben fortgesetzt auf immer vollständigere Beseitigung aller 
denkbaren Uebelstände, die mit der allgemeinen Zwangsimpfung und 
-Wiederimpfung verbunden sind, gerichtet. Wer wollte wegen der 
geringen Gefahren auf das Gesetz bezw. auf die Impfungen verzichten, 
ohne welche wir im Deutschen Reiche jährlich, wie mit Sicherheit an¬ 
zunehmen ist, nicht weniger als 100 000 Kinder durch die Pocken 
verlieren würden? Wer wollte, fragt der Verfasser mit Recht, auf 
Grund der Verunglückungen beim Turnen die Aufhebung des Turn¬ 
unterrichts, wegen der durch den Schulunterricht gelegentlich Über¬ 
tragenen Krankheiten die Beseitigung des Schulzwanges fordern? Für 
viel geringere Dinge setzen wir uns täglich, z. B. bei Benutzung der 
Eisenbahnen, grösseren Gefahren aus. 

Das zehnte Capitel bespricht schliesslich die Erfolge des 
Impfgesetzes. 

Zur Ergänzung unserer obigen Mittheilungen entnehmen wir der 
Denkschrift die nachfolgenden, auf amtlichen Ermittelungen beruhenden 
Angaben: 

„Von 1551 in den deutschen Bundesstaaten (ausschl. Preussen) 
während der Jahre 1886 —1894 festgestellten Blatternerkrankungsfällen 
sind für 1278 Angaben über das Alter und für 1233 auch über den 
Impfzustand vorhanden. Es standen nur 288 Kranke im Alter bis zu 
10 Jahren, 990 in höheren Altersklassen. Von ersteren waren nur 
85 erfolgreich geimpft, 87 waren ungeimpfte Kinder des ersten Lebens¬ 
jahres; von den 990 Erkrankten höheren Alters waren G80 einmal, 
189 wiedergeimpft. Insgesammt waren von den Erkrankten bekannten 
Impfzustandes 215 niemals geimpft, das ist mehr als der sechste Theil; 
von diesen standen 92 in der Altersklasse von 2—20 Jahren, eine 
Zahl, die mit Rücksicht darauf, dass in Folge des Gesetzes die Zahl 
der Ungeimpften in diesen Jahrgängen in Deutschland sehr gering ist, 
auffallend hoch erscheint und somit erweist, wie der Pockenansteckungs- 
stoff die wenigen Ungeimpften der Bevölkerung herausfindet. Aber 
auch an dem Verlaufe der Krankheit in den ermittelten Fällen hat 
sich aufs Neue gezeigt, dass der Impfschutz, wenn er unter besonderen 
Umständen die Erkrankung nicht verhütet, doch deren Ausgang günstiger 


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zu gestalten vermag, denn von 189 Erkrankten, die wiedergeimpft 
waren, starben nur 10, also 5,3 °/o. Von diesen aber waren 5 ohne 
Erfolg wiedergeimpft worden; ein sechster Todesfall betraf einen 
Scharlachkranken, zu dessen ursprünglicher Erkrankung die Pocken 
hinzugetreten waren. Von 815 einmal mit Erfolg geimpften Kranken 
starben 74 = 9,1 °/o. Hiervon aber standen 56 bereits im Alter über 

40 Jahre, und nur 2, bei denen der tödtliche Ausgang durch Bronchial¬ 
katarrh bezw. Hirnhautentzündung herbeigeftlhrt wurde, waren Kinder 
unter 10 Jahren. Dagegen erlagen den Pocken von den 215 Un- 
geimpften 68 = 31,6 °/o. Unter 3 Fällen wiederholter Erkrankung an 
Pocken endete einer tödtlich. Der Einwand, dass unter den ge¬ 
storbenen Ungeimpften sich hauptsächlich Kinder des frühesten Lebens¬ 
alters, die der Krankheit wenig Widerstand zu leisten vermögen, be¬ 
fanden, trifft nicht zu, da auch in den höheren Altersklassen die Sterblich¬ 
keit gross war. Von 92 Ungeimpften des 2. bis 20. Lebensjahres starben 

19 = 20,7 °/o, von 36 noch höherer Lebensjahre 9 = 25 °/o. 

Ein ähnliches Ergebniss wie die Erkrankungsstatistik liefert die 
das ganze Deutsche Reich umfassende Todesfallstatistik .... 

Von 1137 im Deutschen Reiche während der Jahre 1886 bis 
1894 an Pocken Verstorbenen standen 490 im Alter unter 2 Jahren: 
d. i. im Jahresdurchschnitt 54,4 oder 2 von 100 000 Lebenden dieser 
Altersklasse. Nur 13 davon waren nachweislich geimpft (3 ohne Er¬ 
folg), 126 ungeimpft, und von den übrigen 351, deren Impfzustand 
nicht ermittelt ist, wird dem Lebensalter entsprechend die überwiegende 
Mehrzahl des Impfschutzes entbehrt haben. Im Alter von 3 bis zu 

20 Jahren starben 178 Personen, im Jahresdurchschnitt 19,8 oder 0,1 
von 100 000 Lebenden der Altersklasse. Die Impfverhältnisse sind ftir 

41 bekannt; unter diesen waren 20 geimpft, 21 nicht geimpft; 10 der 
Geimpften hatten aber bereits das 10. Lebensjahr überschritten, und 
von ihnen waren 6 nicht wiedergeimpft. Es zeigt sich also auch an 
diesen Zahlen, dass die nicht geimpften Angehörigen des Alters von 
2 bis zu 20 Jahren zu den Opfern der Pockenseuche einen Antheil 
stellen, welcher im Hinblick auf die dank dem Impfgesetz verschwindend 
geringe Zahl solcher Personen in Deutschland sehr bedeutend ist. 
Endlich aber bestätigt sich aus der Todesfallstatistik die Erfahrung, 
dass in einer gut geimpften Bevölkerung die sonst erheblich von der 
Seuche heimgesuchten Jahrgänge im Allgemeinen wenige Blattem- 
todesfälle aufzuweisen haben; 465 Verstorbenen höheren Alters stehen 
nur 178 Todesfälle des 3. bis 20. Lebensjahres gegenüber. Während 
im Jahresdurchschnitt von je 100 000 Personen jenes Alters rund 0,2 
starben, betrug diese Ziffer ftir die Altersklasse vom 3. bis 20. Jahre, 
wie erwähnt, nur 0,1. 

Eine kleine örtliche Epidemie hat erst kürzlich wieder gezeigt, 
dass der Schutz der Bevölkerung gegen die Pocken nur so lange von 


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sicherem Bestand ist, als die impfpflichtigen Altersklassen thatsächlich 
erfolgreich geimpft werden, dagegen leicht verloren geht, sobald in der 
regelmässigen Durchimpfung jener Jahrgänge eine Störung erfolgt. Im 
Jahre 1894 entfielen von 88 Pockentodesfällen im Reiche 58 allein 
auf den Kreis Ratibor. Die für deutsche Verhältnisse auffallend 
hohe Ziffer gab die Veranlassung zu amtlichen Ermittelungen. Es er¬ 
gab sich, dass im vorausgegangenen Jahre bei den Impfungen un¬ 
genügend wirksamer Impfstoff zur Verwendung gelangt und dass daher 
eine gröfsere Zahl von Impfungen erfolglos geblieben war. Die Mehr¬ 
zahl der Todesfälle fiel in die Zeit vor Beginn des Impfgeschäftes im 
Jahre 1894. Die Bevölkerung jenes Grenzkreises hatte Jahre lang 
der von Oesterreich ständig drohenden Seuchengefahr dank dem Impf¬ 
schutze Widerstand geleistet. In den Jahren 1886—1892 waren nur 
6 Todesfälle an der Krankheit vorgekommen. Mit dem Jahre 1893 
dagegen, in das die unbefriedigenden Impfergebnisse fielen, begann auch 
die Seuche die nun ungenügend geschützte kindliche Bevölkerung heim¬ 
zusuchen. Von 17 Todesfällen in diesem Jahre betrafen 13 Kinder 
der ersten beiden Lebensjahre. Von den 58 Verstorbenen des Jahres 
1894 standen 37 in den ersten beiden, weitere 15 im 3. bis 10. Lebens¬ 
jahre und 6 im Alter über 10 Jahren. 

Die kleine Epidemie im Kreise Ratibor vergegenwärtigt, was 
Deutschland zu erwarten hat, sobald seiner Bevölkerung der Impf¬ 
schutz genommen wird .... Eine Aufhebung des Impfzwanges 
würde schnell die Empfänglichkeit des ganzen Volkes für die Seuche 
wiederherstellen. Zweifellos würde alsbald die Zahl der Impfungen 
erheblich zurückgehen, und die Verhältnisse würden allmählich denen 
ähnlich werden, die vor dem Jahre 1870 in Preussen bestanden. 
Vielleicht bedürfte es einiger Jahre, bis die Pocken dann wieder 
Uberhandnehmen könnten, denn zunächst würden ja nur die untersten 
Altersklassen weniger gut geimpft sein, allmählich aber müsste sich 
die Zahl der schlecht geimpften Jahrgänge vermehren; gleichzeitig 
würde die Seuche Anfangs langsam und gering, später aber schneller 
und heftiger wieder zunehmen, bis eine Epidemie von ähnlichem 
Umfange wie im Jahre 1870 jeden Zweifel über den begangenen 
Fehler beheben dürfte. 

Solche nachtheiligen Folgen würde unser Vaterland um so mehr 
zu gewärtigen haben, als Deutschland in Folge seiner geographischen 
Lage in besonders hohem Grade der Einschleppungsgefahr ausgesetzt 
ist. Von 1137 Todesfällen an Blattern während der Jahre 1866 bis 
1894 trafen 905, d. i. rund 4 /ß auf die den Landgrenzen nahe 
liegenden Kreise und auf die Seestädte, wo der Verkehr mit dem 
Auslande eine erhöhte Ansteckungsgefahr für die Bevölkerung bedingt, 
und nicht selten unmittelbar vom Auslande her eintreffende Personen 
erkranken oder sterben. Auch an den übrigen Pockentodesiällen in 


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Deutschland sind Ausländer, namentlich Arbeiter, die hier vorüber¬ 
gehend beschäftigt wurden, vielfach betheiligt. 

Als ein schöner Erfolg des Impfgesetzes ist es zu bezeichnen, dass 
alle jene Einschleppungen nicht grösseren Schaden angerichtet haben, 
dass vielmehr die Keime erstarben, wie ein Funke erlischt, der auf ein 
feuersicher eingedecktes Haus fällt. 

Um die Grösse des Nutzens, welchen wir der Bekämpfung der 
Pocken durch die allgemeine Impfung und Wiederimpfung verdanken^ 
voll würdigen zu können, muss man einen Blick auf die Verhältnisse 
im Ausland werfen. Es ergiebt sich dabei, dass das Deutsche Reich 
in dem fünfjährigen Zeitraum von 1889 bis 1898 572 Menschen an 
Blattern verlor, während daran in den französischen Städten 5670, in 
Belgien 7779, in Oesterreich 87 037 und im Russischen Reiche (in 
den 8 Jahren von 1891 bis 1898, für welche hier allein vergleichs¬ 
fähige Nachrichten vorliegen) 288 120 Personen starben. Von 1 Million 
Einwohner erlagen den Blattern in Deutschland jährlich 2,3, dagegen 
in den 4 genannten Nachbarländern unseres Reiches: 


in 

den französischen Städten . 

148 

in 

Belgien. 

253 

iu 

Oesterreich. 

313 

in 

Russland. 

836. 


Wäre die Blatternsterblichkeit bei uns so gross wie in den französischen 
Städten, Belgien, Oesterreich oder Russland, so hätte unser Vaterland 
einen jährlichen Verlust von 7321, 12 584, 15 558 oder gar 41 584 
Menschenleben zu beklagen gehabt. Thatsächlich starben im Jahres¬ 
durchschnitt nur 115 Personen an den Pocken.“ 

Im Anhang enthält die Denkschrift A. die von Reichswegen über 
das Impfwesen erlassenen Vorschriften; B. Erläuterungen zu den Tafeln. 
Die Tafeln stellen übersichtlich dar: 

1. Pockensterblichkeit in Preussen und Oesterreich in den Jahren 
1816—1893. 

2. Pockensterblichkeit in einer Anzahl grösserer Städte des In- und 
Auslandes; 

3. in Bayern und Belgien. 

4. Erkrankungen und Todesfälle an Pocken in verschiedenen Armeen 
in den Jahren 1867—1893. 

5. Pockeusterblichkeit der Civil- und Militärbevölkerung in Preussen 
in den Jahren 1825 —1893. 

6. Darstellung der mit Menschenlymphe ausgeftihrten Impfungen im 
Deutschen Reiche im Jahre 1893. 

7. Die Häufigkeit der Pockentodesfälle in europäischen Staaten 

während der Jahre 1889—1893. W. 


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Dr. Ferd. Carl Maria Finkelnburg. 

Am 11. Mai d. J. verschied plötzlich in seinem 
Wohnsitze Godesberg bei Bonn Dr. Ferd. Carl Maria 
Finkelnburg, Professor an der Universität Bonn, Ge¬ 
heimer Regierungsrath. Für seine ihm nicht sehr nahe 
stehenden Bekannten kam die Todesnachricht gänzlich 
unerwartet: wohl wussten wir, dass Finkelnburg^ Con¬ 
stitution zu den zarteren gehörte, und dass einige 
schwere Krankheiten den Körper geschwächt hatten, 
aber er war doch immer wieder zu Kräften gekommen, 
und noch jüngst hatte er einen Erholungsaufenthalt im 
südlichen Klima genommen. Jetzt war er vor kurzer 
Frist heimgekehrt und hatte seine ärztliche und schrift¬ 
stellerische Thätigkeit wieder aufgenommen. Stetige Ar¬ 
beit und ärztliches Streben hat das Leben des hoch- 
begabten Mannes erfüllt; auf verschiedenen Gebieten der 
medicinischen Wissenschaft und Praxis suchte er etwas 
Besonderes zu leisten, und diese geistigen, nach ver¬ 
schiedenen Richtungen sich bewegenden Anstrengungen 
mögen die Kräfte des Verstorbenen vielleicht zu früh 
aufgerieben haben. Die Psychiatrie und die Hygiene 
waren seine Lieblingsf&cher, und was an dieser Stelle 
ausgesprochen werden soll und muss, ist die Anerkennung 
und Dankbarkeit für seine vielfachen Arbeiten und Be¬ 
mühungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. 

Finkelnburg war am 16. Juni 1832 in dem kleinen 
Dorfe Marialinden im Regierungsbezirk Köln, Kreis 
Mülheim, geboren. Nach seinen Universitätsstudien in 


Centralblatt f. allg. Gerondheitapflege. XV. Jahrg. 


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Dr. Ferd. Carl Maria Finkelnburg. 

Am 11. Mai d. J. verschied plötzlich in seinem 
Wohnsitze Godesberg bei Bonn Dr. Ferd. Carl Maria 
Finkelnburg, Professor an der Universität Bonn, Ge¬ 
heimer Regierungsrath. Für seine ihm nicht sehr nahe 
stehenden Bekannten kam die Todesnachricht gänzlich 
unerwartet: wohl wussten wir, dass Finkelnburg’s Con¬ 
stitution zu den zarteren gehörte, und dass einige 
schwere Krankheiten den Körper geschwächt hatten, 
aber er war doch immer wieder zu Kräften gekommen, 
und noch jüngst hatte er einen Erholungsaufenthalt im 
südlichen Klima genommen. Jetzt war er vor kurzer 
Frist heimgekehrt und hatte seine ärztliche und schrift¬ 
stellerische Thätigkeit wieder aufgenommen. Stetige Ar¬ 
beit und ärztliches Streben hat das Leben des hoch- 
begabten Mannes erfüllt; auf verschiedenen Gebieten der 
medicinischen Wissenschaft und Praxis suchte er etwas 
Besonderes zu leisten, und diese geistigen, nach ver¬ 
schiedenen Richtungen sich bewegenden Anstrengungen 
mögen die Kräfte des Verstorbenen vielleicht zu früh 
aufgerieben haben. Die Psychiatrie und die Hygiene 
waren seine Lieblingsfkcher, und was an dieser Stelle 
ausgesprochen werden soll und muss, ist die Anerkennung 
und Dankbarkeit für seine vielfachen Arbeiten und Be¬ 
mühungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. 

Finkelnburg war am 16. Juni 1832 in dem kleinen 
Dorfe Marialinden im Regierungsbezirk Köln, Kreis 
Mülheim, geboren. Nach seinen Universitätsstudien in 


CentraJbUtt f. allg. GeenndheiUpflege. XV. Jahrg. 


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Bonn, Würzburg und Berlin wurde er bei der letzteren Universi¬ 
tät am 16. August 1853 zum Doctor promovirt, legte in Berlin 
1853/54 die Staatsprüfung ab, bestand auch während seiner Dienst¬ 
zeit als einjährig-freiwilliger Arzt das Physikatsexamen. Nach 
kurzer Thätigkeit als Assistenzarzt am Hedwigs-Krankenhaus trat 
er als Arzt in die englische Armee, welche damals wegen des 
Krimkrieges junger Aerzte benöthigte. Da aber bald darauf der 
Krieg beendet war, trat er nach sechsmonatlicher Thätigkeit in 
einem stehenden Armeelager in London wieder aus dem Armee- 
verbande aus und verblieb noch längere Zeit als Assistent im 
Thomas-Hospital in London. Von dort besuchte er Paris, wo er 
noch ein Jahr studirte. Nach kurzer Thätigkeit im Kölner Bürger¬ 
hospital unter Fischer wurde er Assistenzarzt in der Provinzial¬ 
irrenanstalt in Siegburg unter Jacobi (1857—61). Vom Februar 
1861 bis März 1862 versah er das Kreisphysikat in Kochern a. d. 
Mosel. Von dort aus nahm er die Stelle als ärztlicher Leiter der 
Kaltwasseranstalt in Godesberg an und habilitirte sich am 25. No¬ 
vember 1862 bei der medicinischen Facultät in Bonn für das Fach 
der gerichtlichen Arzneikunde und der Psychiatrie. Nach einem 
Probevortrage über „die pathologische Anatomie des Gehirns bei 
Geisteskranken“ hielt er in der Aula seine Antrittsvorlesung über 
„die Entwicklung der Staatsarzneikunde zu einer Wissenschaft“. Im 
ersten Semester 1862/63 las er gerichtliche Medicin und dann später 
fast in jedem Semester eine öffentliche und eine Privatvorlesung 
über Psychiatrie, öffentliche Gesundheitspflege und gerichtliche Me¬ 
dicin. 1870/71 machte er den Krieg mit, aus welchem er mit dem 
Eisernen Kreuze geschmückt heimkehrte. Im Jahre 1872 erfolgte 
seine Ernennung zum ausserordentlichen Professor. Die Bemühungen 
Finkelnburg's um Errichtung eines hygienischen Instituts blieben 
erfolglos. Im October 1874 wurde er Mitglied des Rheinischen 
Medicinal-Collegiums. Nachdem Finkelnburg^ angegriffene Gesund¬ 
heit eine Beurlaubung im Winter 1875/76 nothwendig gemacht, trat 
er nach seiner Rückkehr im Jahre 1876 als Vortragender Rath mit 
dem Titel eines Geheimen Regierungsrathes in das Kaiserliche 
Gesundheitsamt. In angestrengtester, nicht immer angenehmer 
Thätigkeit hat er diese Stellung vier Jahre bekleidet, bis ver¬ 
schiedene Misshelligkeiten ihm sein Verbleiben verleideten; aus 
seiner Thätigkeit seien hier nur die Bearbeitung des Nahrungsmittel¬ 
gesetzes, die Prüfungsordnung für Aerzte im Deutschen Reiche, 
Vorschläge zur Organisation des Gesundheitswesens erwähnt. Er 
kehrte im April 1880 nach Godesberg zurück, wurde wieder zum a. o. 
Professor in Bonn mit dem Aufträge ernannt, neben der Vertretung 
der Hygiene, die ihm hauptsächlich obliege, im Falle des Bedürf¬ 
nisses noch Vorträge über Staatsarzneikunde und theoretische Vor- 


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lesungen über Psychiatrie in seinen Wirkungskreis zu ziehen. 
Während des Aufenthalts in Berlin war Finkelnburg auch Mit¬ 
glied der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen in 
Preussen. Mit Aufnahme seiner Thätigkeit in Bonn trat er immer 
wieder für die Einrichtung eines hygienischen Laboratoriums ein, 
doch trotz Unterstützung der Facultät — der hohen Kosten wegen — 
ohne Erfolg. Finkelnburg's Thätigkeit wird von jetzt ab nicht 
selten durch Beurlaubungen unterbrochen, welche wohl meisten- 
theils in Störungen seines Gesundheitszustandes ihren Grund ge¬ 
habt haben mögen. Im Jahre 1893 zog er sich vom Lehramte ganz 
zurück. 

Als der wissenschaftliche Vertreter der Hygiene an der Uni¬ 
versität Bonn lag es nahe, dass Finkelnburg sich auch an der Be¬ 
wegung zu Gunsten der öffentlichen Gesundheitspflege betheiligte, 
welche seit 1865 in den niederrheinischen Städten begann, und 
welche zur Gründung des Niederrheinischen Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege führte. Finkelnburg trat in den Vorstand des 
Vereins ein und hat die Bestrebungen des Vereins auf das Eifrigste 
unterstützt Im Correspondenzblatt des Vereins, welches 1871—1881 
Lent herausgab, finden sich drei grosse Artikel von ihm: Ein Beitrag 
zur Naturgeschichte der städtischen Brunnenwasser im Rheinthale 
(Bd.II); Ueber den Einfluss der Volkserziehung auf die Volksgesund¬ 
heit (Bd. H); Ueber den Schutz der geistigen Gesundheit (Bd. VIII). 
Das Correspondenzblatt, als Organ des Niederrheinischen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege, wurde 1881 in das Centralblatt für 
allgemeine Gesundheitspflege im Verlag von E. Strauss in Bonn um¬ 
gewandelt und von Finkelnburg und Lent herausgegeben; 1884 trat 
Wolffberg der Redaction bei. Im Jahr 1880 war Finkelnburg den 
Herausgeber der deutschen Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege 
beigetreten. Unter Finkelnburg's Mitredaction ist das Centralblatt 
bis zum 15. Bande gediehen. Von grösseren Artikeln Finkelnburg's 
im Centralblatt nennen wir: Der hygienische Gegensatz von Stadt 
und Land, insbesondere in der Rheinprovinz; Das Filter Pasteur- 
Chamberland ; Bericht über den internationalen Congress für Hygiene 
in Wien 1887; Das Victoria-Hospital in Godesberg; Ueber die 
Errichtung von Volkssanatorien für Lungenschwindsüchtige; Pasteur 
und seine Verdienste (1895). Sodann enthielt das Centralblatt eine 
grosse Zahl grösserer und kleinerer Berichte; besonders entstammen 
die Choleraberichte seiner Feder. Auch seine anderweitigen hygie¬ 
nischen Aufsätze mögen hier Erwähnung finden: 

Die öffentliche Gesundheitspflege in England nach ihrer ge¬ 
schichtlichen Entwicklung. Bonn 1874. (Fortsetzung dazu in der 
Deutschen Vierteljahrsschrift.) 

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Einfluss der heutigen Unterrichtsgrundsätze in den Schulen auf 
die Gesundheit des heran wachsenden Geschlechts. (Deutsche Viertel¬ 
jahrsschrift X.) 

Commentar zum Gesetz betr. den Verkehr mit Nahrungs- und 
Genussmitteln, in Gemeinschaft mit Meyer. Berlin 1885. 

Socialer Seucheboden. Bonn 1894. 

Ueber Errichtung und Organisation ländlicher Krankenhäuser. 
Bonn 1888. 

Ueber bodenständige Verbreitungs-Verhältnisse der Tuberkulose 
in Deutschland. (VIII. Congress für innere Medicin.) Wiesbaden 1888. 

Ueber die Aufgabe des Staates zur Bekämpfung der Trunk¬ 
sucht. Magdeburg 1882. 

Entwicklungsgang und heutiger Stand der internationalen Ge¬ 
sundheitspflege. (Deutsche Vierteljahrsschrift XXV.) 

Geschichtliche Entwicklung und Organisation der öffentlichen 
Gesundheitspflege in den Culturstaaten (in Weyl's Handbuch, Jena 
1893). 

Von bakteriologischen Arbeiten, denen Finkelnburg gern oblag, 
ist der Aufsatz zur Frage der Variabilität der Cholerabacillen zu 
erwähnen. 

Es ist hier nicht der Ort, die psychiatrische Thätigkeit Finkeln- 
burg’s einer Besprechung zu unterziehen; dass mag von anderer, sach¬ 
verständiger Seite geschehen; doch mag hier zunächst erwähnt sein, 
dass mehrere literarische Arbeiten von ihm in der Zeitschrift für 
Psychiatrie Veröffentlichung gefunden, auch seine preisgekrönte 
Abhandlung über Willensstörungen ohne Störungen der Intelligenz 
und deren gerichtliche Beurtheilung im Archiv der Deutschen Ge¬ 
sellschaft für Psychiatrie V, 1863. 

Die psychiatrische Thätigkeit scheint, wenn man Finkelnburg’s 
ärztliches Leben überschaut, in der That seine Lieblingsbeschäftigung 
gewesen zu sein, und es sollen besonders die Erkrankungsformen 
seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben, welche nach 
seiner Anschauung ausserhalb der geschlossenen Anstalten Heilung 
finden sollten. Diese seine persönliche Auffassung scheint die an¬ 
fängliche Ursache des Gegensatzes gewesen zu sein, in welchen er 
zu den Vertretern der deutschen Psychiatrie gerathen, welcher 
Gegensatz dann in der Frage der Zurechnungsfähigkeit besonders 
in dem bekannten Prozesse Feldmann zu scharfem Ausdrucke ge¬ 
kommen. Wenn Finkelnburg's Thätigkeit in dem Alexianer- 
Prozesse in Aachen mit dazu beigetragen hat, auf mannigfache 
Mängel in unserem Irrenwesen die Aufmerksamkeit zu lenken, so 
befindet er sich hierbei in Uebereinstimmung mit den deutschen 
Irrenärzten, die schon seit Jahren diese Mängel klargelegt haben, 
Mängel, die zum grossen Teile in den unheilvollen Bestimmungen 


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der deutschen Gewerbeordnung wurzeln, nach welchen die Aus¬ 
übung der Heilkunde, also auch die Irrenbehandlung, vollständig 
freigegeben, von jedem Befähigungsnachweise befreit ist. 

In seiner psychiatrischen ärztlichen Praxis hat sich Finkeln¬ 
burg viel Vertrauen, Zuneigung und Liebe erworben, und manche 
seiner Patienten werden ihm tief nachtrauern. 

lieber Finkelnburg^ sonstiges Leben ist wenig in die Oeffent- 
lichkeit gedrungen; er war ein ernster, stets mit Geistesarbeit be¬ 
schäftigter Charakter; im Kreise von Collegen, in Vereinen, denen 
er vielfach angehörte, erschien er selten; er mied offenbar gesellige 
Zusammenkunft, wahrscheinlich aus Gesundheitsrücksichten. Er¬ 
holung und Erquickung suchte und fand er im Schosse der Familie; 
ihr widmete er seine ganze Zeit, die nicht von Arbeit erfüllt war. 
Ob Finkelnburg auf politischem Boden oder sonst im öffentlichen 
Leben hervorgetreten, ist uns nicht bekannt geworden; er war in 
politischen und religiösen Fragen ein freisinniger Mann. 

Am 15. Mai fand unter grosser Betheiligung die Beerdigung 
Finkelnburg’s auf dem schönen Friedhofe Godesbergs statt. Mit 
der Familie trauern um den Heimgegangenen Viele, die ihm im 
Leben nahe gestanden und die ihm Dank schulden. Auch der 
Niederrheinische Verein für öffentliche Gesundheitspflege schliesst 
sich dieser Trauer an; Finkelnburg’s Name wird mit unserem heimath- 
lichem Vereine verbunden bleiben. Als ein äusseres Zeichen der 
Anerkennung und Dankbarkeit legten wir einen Kranz auf sein 
Grab. Aber auch über die Grenzen unserer Heimathprovinz hinaus 
wird in den Reihen der Männer, welche die Pflege der öffentlichen 
Gesundheit sich zur Aufgabe gestellt, sein Name mit Anerkennung 
und Dank genannt werden, denn er hat sich seinen Namen durch 
ernste Arbeit, durch eigene Kraft verdient. 

Köln, Juni 1896. Lent. 


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Rassenverbesserung und natürliche Auslese 1 ). 

Von 

Professor Pelman, Bonn. 


In diesen Heften ist so viel, oder richtiger bemerkt, so aus¬ 
schliesslich von dem Wohle des Einzelnen die Rede gewesen, dass 
es kaum etwas verschlagen wird, wenn zur Abwechslung einmal 
auf die Gefahren aufmerksam gemacht wird, welche der Gesammt- 
heit aus dem allzu einseitigen Schutze des Einzelnen erwachsen. 

Gewiss sind auch die Völker und Nationen organische Lebewesen, 
die zu ihrem Gedeihen ebenso wie das einzelne Individuum günstige 
Bedingungen, Regen und Sonnenschein zur gegebenen Zeit erfordern, 
die wie jenes wachsen und gedeihen, altern und vergehen. Während 
aber das einzelne Individuum und ebenso die politische Nation ein 
Auf- und Abgehen zeigt, kann sich die Rasse im ganzen Verlaufe 
ihrer Geschichte von diesem Verfalle frei erhalten. Was dort orga¬ 
nisch bedingt ist, das Altern des Individuums, ist es hier nicht, 
und so sehen wir u. A., wie die Juden als Nation zu Grunde ge¬ 
gangen, als Rasse aber bis auf den heutigen Tag eine der be¬ 
gabtesten geblieben sind. 

Immerhin aber wird es auch für die Rasse nöthig sein, gewisse 
Gefahren zu erkennen und zu vermeiden, wenn sie nicht endlich 
den Schädlichkeiten unterliegen und zu Grunde gehen will. 

Der Natur der Sache nach war es im Verlaufe der Zeiten zu¬ 
nächst die Kenntniss des Individuums, die in Angriff genommen 
und zu einer gewissen Ausbildung gebracht wurde, und aus dieser 
Kenntniss hat sich alsdann eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, 
denen wir als den Lehren der Hygiene mehr oder weniger nach- 


*) Dr. A. Ploetz, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der 
Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältniss zu den 
humanen Idealen, besonders zum Socialismus. Berlin, S. Fischer, 1895. 239 S. 
John B. Haycraft, Natürliche Auslese und Rassenverbesserung. Ueber- 
setzt von Dr. H. Kurella. Leipzig, G. Wigand, 1895. 216 S. 


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zuleben und in unsern socialen Einrichtungen gerecht zu werden 
suchen. 

Dass diese, dem Wohle des Einzelnen förderlichen Maassregeln, 
die Hygiene des Einzelnen, sich allmählich zu der Rassenhygiene 
in einen immer schrofferen Gegensatz gestellt haben, und dies 
sogar in einem solchen Maasse, dass sich die moderne Civilisation 
auf die Dauer für die Erhaltung der Rasse verderblich erweisen 
muss, ist längst kein Geheimniss mehr, und es muss daher die Auf¬ 
gabe der Zukunft sein, diese Gegensätze, wenn irgend möglich, aus¬ 
zugleichen, und Mittel und Wege aufzufinden, wodurch es der 
Natur ermöglicht wird, ihrem Bestreben nach einer Verbesserung 
der Rasse gerecht zu werden, ohne hierin auf Schritt und Tritt 
durch die Sorge um das einzelne Individuum behindert zu werden. 
Zu diesem Zwecke aber ist es nothwendig, uns die allgemeinen 
Faktoren der Erhaltung und Entwickelung etwas näher anzusehen, 
sowie die Gesetze der Rassenveränderung und den Einfluss der 
modernen Philanthropie auf das Wohl des Individuums und der 
Rasse klarzulegen. 

Das, was uns unsere Stellung in der Natur sichert, unsere beste 
Waffe und Werkzeug für ein besseres Erkennen und leichteres Be¬ 
herrschen unserer Umgebung ist das Gehirn, und eine Steigerung 
seiner Anlagen von Geschlecht zu Geschlecht kann der Menschheit 
allein die nöthige Kraft verleihen, sich der umklammernden Arme 
des Elendes zu erwehren. 

Nun wissen wir aber, dass man wohl das einzelne Individuum 
beeinflussen kann, in sehr geringem Maasse aber die Nachkommen. 
Die von den Eltern erworbenen Fähigkeiten und Eigenschaften 
vererben sifth, wenn überhaupt, so doch nur in einem sehr geringen 
Grade auf die Kinder. Der Sohn muss dort anfangen, wo auch 
der Vater begann, und der Vater kann dem Sohne wohl sein 
Portemonnaie, nicht aber seine anderen erworbenen Eigenschaften 
vermachen. Dass es sich so und nicht anders verhält, ergiebt sich 
ausser vielem Andern aus der einen Erwägung, wohin wir es nämlich 
in unserer Entwicklung gebracht haben müssten, wenn es eben 
anders wäre. 

Ginge das Ganze der von den Eltern erworbenen Fähigkeiten 
und Eigenschaften von den Eltern auf die Kinder über, brauchte 
die Arbeit des individuellen Fortschrittes in jeder Generation nicht 
von Neuem zu beginnen, dann müsste der Fortschritt ein un¬ 
ermesslicher sein, und das goldene Zeitalter wäre in der That er¬ 
reicht. 

Allerdings haben sich unter dem Einflüsse der neuesten 
Forschungen die Verhältnisse in der letzten Zeit wesentlich ge¬ 
ändert. 


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Während die Vortheile früherer Civilisation nur einer kleinen 
Minderzahl zu Gute kamen, werden die Vortheile der modernen 
Cultur Allen zu Theil, ja noch mehr, sie werden Allen mehr oder 
weniger aufgezwungen. Ich brauche hier nur auf die Zwangs¬ 
impfung, die Isolirung ansteckender Kranken u. A. zu verweisen. 
Das hat nun die weitere Folge, dass der Conflict zwischen den 
humanitären und socialistisehen Forderungen des Tages und dem 
Rassenwohle um so unverhüllter zu Tage tritt. Denn wenn die 
Rassen Veränderung ausschliesslich auf dem Wege der Auslese zu 
Stande kommt, das heisst durch den Tod oder die Kinderlosigkeit 
gewisser Individuen der Rasse, während die anderen überleben und 
Kinder erzeugen, und wenn sich ferner die Natur bemüht, die 
minderwerthigen Individuen einer Rasse auszumerzen und auf diese 
Weise unschädlich zu machen, und wenn sich die heutige Phil- 
antropie dagegen ihrerseits die grösste Mühe giebt, sie am Leben zu 
erhalten, so sind das offenbare Widersprüche, die im Interesse des 
Ganzen eines Ausgleiches bedürfen. 

Die Gesammtheit erfordert die Ausscheidung der Minder¬ 
werthigen, wenn sie gedeihen soll, und sie geht in ihrem Streben 
zielbewusst und unbarmherzig vor. 

Der grosse Dichter des Pessimismus, Leopardi, giebt diesem 
Bemühen der Natur in den Versen Ausdruck: 

Ich weiss es, taub ist die Natur, 

Sie kennt nichts von Erbarmen. 

Sie sorgt für unser Dasein nur, 

Nicht wie es geht uns Armen 1 ). 

Das wissen wir ganz gut, und trotzdem geben wir uns alle er¬ 
denkliche Mühe, auf dem Wege der Entdeckungen, Heilmittel und 
Einrichtungen den Erfolgen der Auslese entgegenzutreten und ihre 
Wirkung zu vereiteln. 

So lange man der Ansicht sein konnte, dass neben der Aus¬ 
wahl noch die Vererbung, d. h. die Uebertragung erworbener Eigen¬ 
schaften auf die Nachkommen eine Rolle spiele, so lange Hess sich 
diese Erhaltung des Individuums um jeden Preis einigermaassen 
vertheidigen. Man verbesserte an dem Individuum, was zu ver¬ 
bessern war, und hoffte, dass es diese Verbesserungen auf seine 
Nachkommen übertragen werde. 

Wie schon früher bemerkt, ist man nach und nach von dieser 
Ansicht Lamarke's zurückgekommen, und an die Stelle der Ver¬ 
erbung erworbener Eigenschaften ist das Gesetz der natürlichen 

*) So che natura 6 sorda 
Che miserar non sa. 

Che non del bei sollecito 
Fu, ma del esser solo. 


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193 


Auslese getreten. Wenn wir die für eine Vererbung angeführten 
Beweise einer eingehenden Untersuchung unterziehen, so finden 
wir, dass für weitaus die meisten Erscheinungen die Naturzüchtung 
ausreicht, und auf der anderen Seite zeigt uns die Erfahrung, wie 
sich die experimentell verursachten Veränderungen auf dem Wege 
der Vererbung nicht fortpflanzen. 

Jahrtausende lang werden die Völker semitischer Rasse einer 
gewissen Verstümmelung unterzogen, und trotzdem muss die Operation 
immer wieder vorgenommen werden, da der entfernte Theil an dem 
Neugeborenen von heute ganz ebenso erscheint, wie in den frühesten 
Zeiten der Geschichte dieser Rasse. 

Die chinesischen Frauen haben seit unvordenklicher Zeit ihre 
Füsse verunstaltet, indianische Stämme die Köpfe ihrer Kinder künst¬ 
lich abgeflacht, und doch werden die Kinder der Chinesen mit 
grossen Füssen, die der Indianer mit runden Köpfen geboren; die 
Verunstaltung wird nicht vererbt. 

Aus diesen und anderen Erwägungen heraus neigen wir all¬ 
gemein zu der Ansicht Weismann's von der Continuität des Keim¬ 
plasmas, d. h. dass die Keimsubstanz in ununterbrochenem Zu¬ 
sammenhänge von einer Generation auf die andere übergehe, ohne 
in ihrem Gange von den Veränderungen des Organismus in Mit¬ 
leidenschaft gezogen zu werden. Wie sollten die Sexualzellen auch, 
da sie jeder nervösen Einwirkung entzogen sind, durch eine Ver¬ 
änderung der Muskeln oder Nervenzellen bei den Eltern betroffen 
werden ? 

Sie können die Vorgänge im Körper unter Umständen, wie 
z. B. unter dem Einflüsse von Alkohol oder Hunger, bei konsti¬ 
tutionellen Krankheiten u. dergl. mehr, wohl in Mitleidenschaft 
ziehen und ihre Lebenskraft herabsetzen, im übrigen aber stellt das 
Keimplasma eine ununterbrochene Kette lebender Substanz dar, 
welche jedes lebende Wesen an Ahnen der entferntesten Vorzeit 
knüpft. Der Mensch ähnelt seinen Eltern, weil er sich aus gleichem 
Keimplasma entwickelt wie sie, nicht aber, weil sie ihre Aehnlich- 
keit auf ihn übertragen. Und da diese Continuität des Keimplasmas 
eine Thatsache und keine Theorie ist, so ist die Auslese auch der 
wichtigste, wenn nicht der einzigste Factor in der Entstehung der 
Rassen Veränderungen. 

Zur dauernden Erhaltung der Rasse gehört zu allererst die 
Erhaltung der Zahl ihrer Individuen. Je kleiner eine Rasse ist, 
um so gefährdeter ist ihr Bestand, und es ist deshalb von der 
elementarsten Bedeutung für ihr Bestehen, dass sich ihre Zahl wo¬ 
möglich vermehrt, oder zum mindesten doch auf ihrer Höhe verbleibt 
Dies kann nur dadurch geschehen, dass im Durchschnitt der Gene¬ 
ration die Geburtenziffer der Sterbeziffer zum mindesten gleich- 


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kommt. Das beste Verhältniss wäre in dieser Beziehung eine mög¬ 
lichst hohe Geburten- und eine möglichst niedrige Sterbeziffer. 

Die niedrigste der bis jetzt bekannten Sterbeziffern ist 17 von 
1000 der Bevölkerung, und diese Zahl muss die Geburtenziffer er¬ 
reichen, und ebenso darf die Sterbeziffer die höchste der bekannten 
Geburtsziffern von 58 auf 1000 nicht überschreiten. 

Da indess eine starke Geburtsziffer meist durch schlechte Er¬ 
nährung der Kinder zu einer vermehrten Sterbeziffer derselben 
führt, so bedeuten für gewöhnlich viele Kinder auch viele Todes¬ 
fälle, mithin einen ökonomischen Verlust und eine Einbusse von 
Widerstandskraft anderen Rassen gegenüber, die weniger Geburten 
und weniger Tbdesfälle haben. Möglichst wenig Geburten bei noch 
geringerer Sterblichkeit ist demgemäss hier das anzustrebende Ziel. 

Zwei weitere Bedingungen der Vermehrung einer Rasse liegen 
in der Verminderung von Schädlichkeiten, und in der Vermehrung 
der Constitutionskraft ihrer Individuen. 

Für die erstere Bedingung können wir die bessere Kranken- 
und Gesundheitspflege heranziehen, für die letztere war es früher 
u. A. der Krieg. 

In den früheren Kämpfen blieben bei dem Mangel an Feuer¬ 
waffen die Stärksten, Gewandtesten und Schlausten am Leben, der 
Schwache, Ungewandte und Dumme ging zu Grunde. In der 
Neuzeit dagegen, dem Zeitalter der weittragenden Schusswaffen, ist 
das Verhältniss ein wesentlich anderes, und jedenfalls ist es nicht 
mehr der Bessere, der am Leben bleibt Im letzten Kriege stellte 
sich nach Haushofer die Mortalität auf deutscher Seite für die 


Generäle auf 

46 # /oo 

Stabsoffiziere 

105 „ 

Hauptleute, Rittmeister 

86 „ 

Lieutenants 

89 , 

Unteroffiziere und Mannschaften 45 „ 


Der moderne Krieg kann daher nicht mehr als eine Auslese 
im Sinne der Natur angesehen werden. 

Wenn wir nun die verschiedenen Rassen in ihrem Verhältniss 
des Ueberschusses der Geburten über die Todesfälle mit einander 
vergleichen, so eilen auf der ganzen Erde die Westarier, d. h. die 
Angehörigen der weissen Rassen voran, die Germanen der Gesammt- 
heit der nicht germanischen Westarier, und die Engländer den 
anderen Germanen. In Europa allein dagegen überflügeln die 
Slaven die anderen Westarier, dann kommen in bedeutend ge¬ 
ringerem Grade die Germanen, unter denen die Engländer auch 
hier am raschesten anwachsen. 

Während Grossbritannien und Irland in den letzten 25 Jahren 
um 25° o zugenommen hat, ist Frankreich stehen geblieben. Der 


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195 


Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle betrug dort 50%, 
während er in Frankreich kaum merklich ist. Aus denselben 
Gründen ist die Colonialpolitik für England ein Bedürfnisse für die 
Franzosen eine Sache des Ehrgeizes, ein Ideal, aber keine Noth- 
wendigkeit Dass das vitale Bedürfnis der Engländer sich bei 
weitem stärker wirksam erweist, als der Ehrgeiz der Franzosen, 
ist gewiss nicht wunderbar und ist u. A. aus der Thatsache er¬ 
sichtlich, dass in der Welt von den grossen europäischen Sprachen 
das Englische von 12,7 °/o im Jahre 1801, im Jahre 1890 dagegen 
von 27,7 °/o gesprochen wurde und das Französische in der gleichen 
Zeit von 19 auf 12,7 herabgesunken ist. Das Deutsche ist mit 
18,7% stehen geblieben. Wir können daraus entnehmen, welche 
Folgen eintreten, wenn eine Gruppe von Individuen an Fruchtbar¬ 
keit zurückgeht und fernerhin, wie das Englische zur Welt¬ 
sprache wird. 

Ob man die Engländer deshalb und aus anderen Gründen für 
die beste Rasse anzusehen hat, wie dies ohne allen Zweifel ihre 
eigene Ansicht ist; ob die Amerikaner das Recht haben, sich den 
Vorzug zu geben, dafür steht die Entscheidung zur Zeit noch und 
für so lange aus, als wir nicht eine Messeinheit besitzen. So nöthig 
hierfür die Gewinnung einer psychophysischen Messeinheit wäre, so 
werden wir doch bis auf Weiteres darauf verzichten müssen, da zu¬ 
nächst die Vorarbeiten für ein solches Ziel noch nicht weit genug 
gediehen sind, ja vielfach noch in den Kinderschuhen stecken. 
Ein besonderes Interesse beansprucht in dieser Beziehung die Ge¬ 
schichte der jüdischen Rasse, und wenn wir daraus erfahren, dass 
in ihr kaum 5 % an reinem semitischen Blut stecken und im Laufe 
der Jahrtausende 95% fremde Bestandteile hinzugekommen sind, 
die vorzugsweise arischem Blute entstammen, dann wird man dem 
Antisemitismus doch etwas misstrauisch gegenüberstehen. 

Wenn vorher die Rede war, dass die Ueberlegenheit der Rasse 
in ihrer Zahl beruhe, so thut es die Zahl allein freilich nicht. 
Ausser der Zahl müssen auch die Güte und die Vollkommenheit 
grösser sein. Diese grössere Vollkommenheit liegt vorzugsweise in 
der grösseren Adaptionsfähigkeit an die verschiedenen Bedingungen, 
welche die Umgebung an den Menschen stellt. 

Die Adaptionsfähigkeit verleiht der Rasse die Möglichkeit, sich 
weiter auszubreiten und eine grössere Anzahl von Individuen 
zu liefern. 

So sehen wir, dass der grosse und starke Gorilla nur in der 
heissen Zone leben kann. Auch der Neger ist seiner Natur nach 
an bestimmte Theile der Erde gebunden, und er geht zu Grunde, 
wenn er sich in andere Länder verpflanzen wollte, die seiner Natur 
und Anlage nicht entsprechen. Nur der Kaukasier allein beherrscht 


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die Erde in fast allen ihren Theilen, und nur er kann vermöge seiner 
Intelligenz und Arbeitskraft so viel aus dem Boden herausziehen, 
dass seiner Vermehrung weit weniger enge Schranken gesetzt sind, 
als dem Neger. 

Diese Ueberlegenheit des Kaukasiers beruht auf der Feinheit 
seiner Organisation, und nicht zum wenigsten auf der Feinheit 
seines Gehirns. Von dem Augenblicke an, wo das Gehirn die 
Führung der anderen Organe übernahm, bildete es sich nämlich 
unter allen am meisten aus, und dies sogar auf Kosten einer Reihe 
von anderen Organen, welche durch die Herrschaft des Gehirns 
überflüssig wurden und zurückgegangen sind. Um nur ein Beispiel 
anzufiihren, so sind unsere Zähne kleiner und ihre Zahl geringer 
geworden, sogar die sogen. Weisheitszähne schwinden mehr und 
mehr, weil unser Gehirn die Speisen besser herzustellen lehrt und 
wir den Mund mehr zum Reden als zum Essen benutzen. 

Immerhin aber muss die Frage offen bleiben, ob sich in 
historischer Zeit wesentliche Veränderungen nach dieser Richtung 
hin nach weisen lassen, und ob eine Verbesserung des Menschen¬ 
geschlechts stattgefunden habe. Hier steht Meinung gegen Meinung, 
und wenn Galton, ein englischer Forscher, nach eingehender Be¬ 
trachtung der Staatsmänner, Philosophen, Feldherren und Künstler 
zur Zeit des Perikies die Durchschnittsfähigkeit der Athener jener 
Zeit um 2 Grade höher veranschlagt, als unsere heutige Rasse, also 
etwa um so viel höher, als unsere Rasse über der des afrikanischen 
Negers steht, so ist dies nicht gerade ermuthigend. 

Wir haben hier vor Allem in Betracht zu ziehen, dass ein 
Unterschied besteht zwischen der angeborenen intellektuellen 
Leistungsfähigkeit und unserem intellektuellen Besitze. Der 
materielle Fortschritt bedingt noch lange keinen geistigen, und 
wenn der erstere unbestritten in ungeheurem Maasse zugenommen 
hat, so folgt daraus keineswegs, dass wir mehr wissen und können 
als unsere Vorfahren, dass wir an ihre geistige Grösse heranreichen 
oder sie gar übertreffen. Dabei kann das Durchschnittsniveau der 
ganzen Erde ganz gut ein höheres geworden sein, indem einmal 
die niederen Rassen ganz zu Grunde gehen, und in den höheren 
Rassen die besseren Elemente den Wettbetrieb über die anderen 
davontragen. 

Aber auch hier sind die Thiere im Grunde genommen besser 
daran, als wir. Bei den Thieren ist es der Kampf ums Dasein, ein 
unerbittlicher Kampf aufs Messer, der stets mit dem Untergange 
des schwächeren Individuums endet, beim Menschen dagegen handelt 
es sich weniger um einen Kampf um das Ueberleben, sondern um 
erreichbaren Ueberfluss an Gütern und Besitz. Trotz allem Kampfe 
bleibt bei den Menschen ein Theil der Minderwerthigen am Leben 


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197 


und pflanzt sich fort, und auf diese Weise haben wir uns den ge¬ 
ringen Fortschritt zu erklären, der sich unter Anderem in der sich 
gleichgebliebenen Grösse des Schädels ausspricht. 

Zudem hat die Gesellschaft von jeher gewaltsam in diesen 
Fortschritt eingegriffen. Jahrhunderte lang gingen die Besten des 
Volkes verzweifelnd an der Welt und den Menschen ins Kloster 
und überliessen die Sorge der Fortpflanzung ihren weniger empfind¬ 
samen und ihren roheren Genossen, und wieder lange Jahrhunderte 
hindurch hat die Kirche in selbstmörderischer Politik einen er¬ 
bitterten Krieg gegen Alles geführt, was an geistiger Grösse über das 
gemeine Maass hervorragte. 

In den 3 Jahrhunderten von 1471—1781 sind in Spanien allein 
an 1000 Menschen jährlich der Ketzerverfolgung und der Inquisition 
zum Opfer gefallen, und was das für das Wohl des Landes und die 
spanische Rasse überhaupt zu besagen hatte, steht nur allzudeutlich 
in den Annalen der Geschichte zu lesen. 

Nicht viel anders wirken Erbgesetz und die Erhaltung der 
schwächlichen Kinder. Auch die besten Klassen sind in der Wahl 
ihrer Ehehälften nichts weniger als verständig. Nicht Gesundheit 
und Kraft geben den Ausschlag der Wahl, sondern meist sind es 
andere Gründe, die mit der körperlichen oder geistigen Vollkommen¬ 
heit nichts zu thun haben. 

Bisher haben wir eine ganze Reihe zerstörender Kräfte kennen 
gelernt, die auch ohne ein directes Eingreifen der Gesellschaft dem 
Bestreben der Natur nach der Ausschaltung der Minderwerthigen 
entgegenarbeiten. 

Aber auch an einem directen Eingreifen lässt es die heutige 
Gesellschaft nicht fehlen. 

Mit der zunehmenden Ueberzeugung, dass es mit unserer 
Heilkunst gegen bereits bestehende Krankheiten nicht weit her sei, 
musste natürlicher Weise die Neigung wachsen, der Entstehung der 
Krankheiten entgegenzutreften, und wir stehen zur Zeit unter dem 
Zeichen der Hygiene. 

Das Merkzeichen unseres Jahrhunderts ist die übertriebene 
Werthschätzung des Individuums, und die moderne Herrschaft der 
Humanität drängt mehr und mehr zu einer Individualhygiene. 

Erhaltung des einzelnen Individuums um jeden Preis, das ist 
das Ziel und Streben, das heute seine Anerkennung findet, und 
kaum denkt Jemand daran, wie arg das Wohl des Ganzen dadurch 
geschädigt und wie sehr die Zukunft der Rasse in Frage ge¬ 
stellt wird. 

Nirgends hat die medizinische Prophylaxe unserer Tage einen 
grösseren Triumph gefeiert, als in der Ausrottung gewisser Orga¬ 
nismen, die in den menschlichen Körper eindringen und dort fieber- 


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198 


hafte Prozesse hervorrufen können, wie z. B. Pocken, Masern, 
Typhus, Cholera und vieles Andere. 

Mit den Pocken sind wir dank der Impfung so gut wie fertig 
geworden, den Typhus, die Malaria drängen wir Schritt für Schritt 
zurück, und auch der Cholera soll es, wie wir wenigstens hoffen, 
schlecht ergehen, sollte sie es sich beikommen lassen, einen Einfall 
zu wagen. 

Sicherlich ist es verdienstvoll und schön, die Sterblichkeit 
eines Volkes herabzusetzen. Wenn wir aber von anderer Seite er¬ 
fahren, wie Rassen, welche Epidemien einer bestimmten acuten 
Infectionskrankheit ausgesetzt sind, unter dem Einflüsse der be¬ 
treffenden Mikroorganismen einer Auslese unterliegen, und wie die 
Ueberlebenden aus besonders widerstandsfähigem Stoffe gemacht 
sind, so gewinnt jener anscheinende Fortschritt eine andere und 
weit weniger günstige Beleuchtung. 

Nach dieser Art der Auffassung dürfte man die Tuberkulose 
geradezu als einen Freund der Rasse bezeichnen, da sie mit Vor¬ 
liebe Individuen einer ganz bestimmten Art befällt, die, von 
zarterer Organisation, von vornherein weniger widerstandsfähig und 
daher als minderwerthig anzusehen sind. So bedeutet fast jede 
Verbesserung der öffentlichen hygienischen Verhältnisse einen Vor¬ 
theil für die Schwächlichen, und wenn die wahrscheinliche Lebens¬ 
dauer des modernen Menschen, wie uns mit Stolz entgegengehalten 
wird, eine grössere geworden ist, so bedeutet das in Wirklichkeit 
nichts Anderes, als dass dies nur auf Kosten der Durchschnitts¬ 
stärke der Constitution oder der angeborenen Gesundheit der Rasse 
geschieht. Denn heute lebt eine grössere Zahl schwächlicher und 
kränklicher Individuen unter uns, leidet eine grössere Zahl von 
ersteren an tuberkulösen, skrophulösen und anderen Anlagen als in 
früherer Zeit, und diese und andere Anlagen gehen auf unsere 
Kinder über. 

Neben der Abnahme der constitutioneilen Krankheiten ist die 
Kindersterblichkeit eine geringere geworden, und wir würden dies 
gewiss freudig begrüssen, wenn hiermit nicht wiederum eine Zu¬ 
nahme der erblichen Krankheiten, ein Ueberhandnehmen der an¬ 
geborenen Anlagen Hand in Hand ginge. 

Wenn dementsprechend die wahrscheinliche Lebensdauer für 
die Jahre 0—15 zugenommen hat, so hat sie für die Zeit nach dem 
15. Lebensjahre abgenommen, und eben so gewiss ist eine Zunahme 
des sogenannten neuropathischen Temperamentes und damit der 
Nervenkrankheiten überhaupt. 

Wie sich hier die Ansichten so ganz anders gestalten können, 
wie wir sie dem gewohnten Gange nachbetend gemeiniglich flir 
richtig halten, beweist u. A. ein kurzes Eingehen auf den Trunk. 


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Dass die Trunksucht schädlich und mit allen Mitteln zu be¬ 
kämpfen sei, das ist Gemeingut aller ordentlichen Leute geworden 
und hat zu den bekannten Mässigkeitsvereinen oder doch zu den 
Vereinen gegen den Missbrauch geistiger Getränke geführt 

Und doch erweist sich jene allgemeine Annahme nur in be¬ 
schränktem Maasse als richtig. Sicherlich da, wo es sich um all¬ 
gemeine Trunksitten handelt, die an dem Marke eines ganzes Volkes 
zehren. Ganz anders aber dort, wo die Trunksucht den Ausdruck 
eines individuellen Hanges darstellt. Die Statistik der Staaten von 
Maine, Kansas und Jowa, wo die Production und der Handel mit 
Alkohol verboten ist, ergiebt anstatt der erhofften Abnahme eine 
verblüffende Zunahme an Verbrechern und Geisteskranken, und an 
Stelle der verpönten Schenken sind Opiumhöhlen getreten. Hier 
ist der Missbrauch des Alkohols das Symptom einer Minderwertig¬ 
keit, die durch den Missbrauch zu Grunde geht, und die sich in 
einer anderen und weit schlimmeren Richtung Luft machen wird, 
wenn man sie daran hindert, sich zu Tode zu saufen. 

Es wird deshalb Niemand im Ernste daran denken, Tuberkulose 
und Alkohol zu diesem Zwecke einzuführen oder auch nur den 
anderen Bestrebungen entgegenzutreten, die der Erhaltung des 
Individuums gewidmet sind. Andererseits geben uns diese Er¬ 
fahrungen zu denken, und sie fordern uns geradezu zu der Er¬ 
wägung auf, wie wir auf eine andere Weise der Gefährdung der 
Rasse entgegenwirken können. 

Das Rezept hierfür ist keineswegs neu, und schon Schopenhauer 
hat es in einer recht derben Weise dahin formulirt: „Könnten wir 
alle Schurken unschädlich machen und alle dummen Gänse ins 
Kloster stecken, den Leuten von edlem Charakter ein ganzes 
Harem beigeben und allen Mädchen von Geist und Verstand 
Männer und zwar ganze Männer verschaffen, so würde bald eine 
Generation entstehen, die ein mehr als Perikleisches Zeitalter dar¬ 
stellt.“ Man kann mit dieser Auffassung des Frankfurter Philo¬ 
sophen völlig einverstanden sein, ohne deshalb ein besonderes Ver¬ 
trauen auf die nahe Durchführbarkeit der von ihm in Vorschlag 
gebrachten Maassregeln zu setzen. 

Das Gleiche gilt von dem Vorschläge Wallace’s, der die Wahl 
den Frauen überlassen will, die sich dann schon den besten Mann 
aussuchen würden. Alles das ist ganz schön geplant, in der Aus¬ 
führung aber etwas schwierig, und wenn wir selbst den besten 
Frauen die Verpflichtung auferlegen wollten, möglichst viele Kinder 
zu gebären, so fragt es sich noch sehr, ob die besten Frauen gewillt 
wären, auf diesen Vorschlag zur Güte einzugehen. 

So viel aber ergiebt sich aus allen diesen Vorschlägen, dass 
nur auf dem Wege der Ehe eine Verbesserung der Schäden zu 


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200 


erreichen ist. Nicht mehr die Zahl der Kinder, sondern deren 
gute Beschaffenheit muss das Ziel sein, und wie der Staat den 
Vater zwingen kann, sein Kind in die Schule zu schicken, so 
muss er auch das Recht haben, ihm die Ehe mit einer minder- 
werthigen Frau zu verbieten. 

Dass der Staat das Recht haben muss, seine extra- und anti¬ 
socialen Elemente an der Fortpflanzung überhaupt zu hindern, kann 
nach unserer bisherigen Ausführung keinem Zweifel unterliegen. 
Dem geborenen Verbrecher, dem die verbrecherische Neigung zur 
zweiten Natur geworden ist, die er nicht mehr lassen kann, musa 
jede Möglichkeit, diese Neigung auf andere Generationen zu über¬ 
tragen, gründlich abgeschnitten werden. 

Dass der Armenpflege und der strafenden Gerechtigkeit hiermit 
ganz andere Aufgaben erwachsen, wie sie zur Zeit gang und gäbe 
sind, ist eine Forderung, die mit der zunehmenden Erkenntniss von 
der Natur der Verbrecher ohnehin gestellt werden muss. 

Mögen wir danach streben, diesen Auswurf der Menschheit zu 
bessern, gut, so lange sie aber ungebessert sind, sollen sie die 
Folgen ihrer Lebensführung ungemildert tragen. 

Welchen Anspruch hat der träge und gefährliche Vagabund, 
die Vortheile einer Civilisation zu gemessen, die auf die mühevolle 
Arbeit der ehrlichen Leute aufgebaut ist, wenn er an dieser nicht 
theilnehmen will? 

Dass wir mit diesen Extrasocialen auf die eine oder andere 
Weise fertig werden müssen, ist ausser aller Frage. Die Behand¬ 
lung dieses Gegenstandes hat bisher gar zu sehr dem Gebahren dea 
Vogels Strauss geglichen, der bekanntermaassen seinen Kopf in den 
Sand steckt, wenn er anders nicht weiss, wohin er damit soll und 
ihm Gefahr droht. 

Noch ist diese Gefahr nicht so drohend, noch und bis auf 
Weiteres hat die Welt Platz genug, und eine Beschränkung der 
Zunahme ist vorläufig nicht geboten. Aber diese Zunahme sollte 
von Gott und Rechts wegen von den besseren Elementen aus¬ 
gehen, nicht von den schlechteren, und diese besseren Elemente 
haben sich ihrer Aufgabe besser bewusst zu werden. 

Wir schulden unseren Vorfahren so unendlich viel, dass es 
nichts als unsere verfluchte Pflicht und Schuldigkeit wäre, für 
unsere Nachkommen gleiche Sorge zu tragen. Je mehr wir die 
Bedingungen kennen lernen, um so mehr werden wir zur Erfüllung 
der Aufgaben bereit sein. 

Man hat vielfach in der Concurrenz der Individuen eine dieser 
Bedingungen gesehen, indem man voraussetzte, es werde sich durch 
diese Concurrenz in der menschlichen Gesellschaft ein ähnlicher 
Kampf abspielen, wie dies in der Thierwelt geschieht. 


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201 


Insofern als ganze Rassen in blutigem Kampfe mit einander 
ringen, der Erfolg der stärkeren zufällt und die schwächere zu Grunde 
geht, hat diese Annahme eine gewisse Berechtigung. Allein das 
Verhältniss wird sofort ein anderes, so wie es sich um die Con- 
currenz der Individuen unserer Gesellschaft handelt. Hier steht 
mehr die Hirnkraft gegen Hirnkraft, als Muskelkraft gegen 
Muskelkraft, und der Preis des Siegers ist keineswegs der Unter¬ 
gang des Gegners. 

Zudem fehlt es hier an der Grundbedingung eines auslesenden 
Kampfes, an der gleichen Vertheilung der Chancen, und nicht 
immer kommt der als Erster an das Ziel, der auch der Tüch¬ 
tigste ist. 

Durch die Anhäufung und Vererbung von Eigenthum ist es 
einzelnen Individuen möglich geworden, grosse Mengen von Werth¬ 
gegenständen anzusammeln und zu erwerben, oder in ein Mittel 
umzusetzen, das dafür eingetauscht werden kann, Geld. Die 
reicheren Klassen besitzen Kapital genug, um ihre Kinder bei 
völligem Nichtsthun zu unterhalten und in bessere Stellung zu 
bringen; die Kinder solcher Familien, die wenig Geld besitzen, sind 
dadurch von vornherein im Nachtheil und in der Gefahr, bei einer 
Concurrenz zu unterliegen, mögen sie ihre begüterteren Gegner noch 
so sehr an Kraft und Wissen übertreffen. 

Das Kapital der Wohlhabenderen verleiht an sich ihren Kindern, 
die durchaus nicht immer die begabtesten sind, einen ungeheuren 
Vortheil in der Concurrenz mit den Söhnen der Armen, und wenn 
auch die moderne Kultur hierin nach den verschiedensten Seiten 
ausgleichend gewirkt, Standesunterschiede ausgeglichen, Vorurtheile 
aufgehoben und den nicht besitzenden Klassen auf diese Art ein 
Eintreten in die Concurrenz erleichtert hat, so fehlt doch in unserer 
civilisirten Gemeinschaft noch viel an einer gleichen Vertheilung 
der Chancen und Vortheile für jedes in ihr geborene Kind. Ohne 
diese gleiche Vertheilung von Luft und Licht wird nach wie vor 
ein grosser Theil von individueller Kraft unterdrückt, so manche 
Impotenz künstlich aufgestutzt, und die Concurrenz muss ihre Auf¬ 
gabe in grossem Umfange verfehlen, die fähigsten Bewerber an 
die Spitze zu bringen. Bekanntlich glauben die Anhänger socialer 
Zukunftspläne mit der Forträumung der künstlichen Schranken 
zwischen den verschiedenen Klassen und mit der gleichmässigen 
Vertheilung von Rang und Reichthum die grosse Frage zu lösen 
und das goldene Zeitalter herbeizuführen. 

Dem gegenüber kann nicht genug darauf hingewiesen werden, 
wie gewisse Unterschiede nie verschwinden und die arbeitenden 
Massen im Vergleich mit anderen Producenten stets relativ arm 
bleiben werden. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. IV. Jahrg. 15 


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202 


Wenn alle Welt sich in Seide kleiden, von jungen Hähnen und 
Schoten leben würde, dann werden diese Genüsse nicht mehr als 
ein Vorzug gelten, da der Mensch nun einmal so geschaffen ist, 
dass er nicht das schätzt, was er besitzt, sondern nur das, was er 
entbehrt. Wenn aber die Tendenzen unserer Zeit weiter wirken und 
die Tüchtigsten in Folge ihres geistigen Bemühens zu einer höheren 
gesellschaftlichen Stellung gelangen, dann kann es dahin kommen, 
dass die arbeitenden Klassen immer ärmer an angeborenen Talenten 
werden. Es müssen sich alsdann unter den verschiedenen Klassen 
merkliche organische Unterschiede herausbilden, die vorläufig nicht 
vorhanden sind. 

Und sind jene Tüchtigsten wirklich stets die besten? Werden 
es nicht vielfach die Schmiegsamsten und Rücksichtslosesten sein, 
die sich auf den Schultern der andern in die Höhe schwingen, und 
von denen somit eine Veredelung der Rasse nicht zu erwarten ist? 
Aber selbst dann, wenn man in jener „Oberklasse“ eine wirkliche 
Aufbesserung der Rasse erblicken würde, dann wäre es noch sehr 
die Frage, ob die Zukunft einen Vortheil davon zu erwarten hätte. 

Dass sie mehr Nachkommen erzeugen, als die minderwerthigen 
arbeitenden Klassen und so auch für die Zukunft Sorge tragen 
werde, muss ftiglich bezweifelt werden. Die Statistik wenigstens 
beantwortet diese Frage mit „Nein“, und nach Gründen für diese 
Verneinung brauchen wir nicht weit zu suchen. 

Während im Thierreich die verbesserte Anpassung zum Ueber- 
leben und zur Fortpflanzung führt, führt sie den Menschen zur 
Ehre und zum Reichthum, neljenbei aber auch zur Sterilität. 

Der Ackerknecht hat seine Ausbildung mit dem zwanzigsten 
Jahre vollendet. Er kann es kaum weiter bringen, und er schreitet 
in diesem Alter unbesorgt zur Ehe und zur Kindererzeugung. Der 
Kaufmann, der Gelehrte und Beamte dagegen brauchen eine viel¬ 
seitige allgemeine Bildung und eine langdauernde praktische Aus¬ 
bildung, und wenn sie überhaupt heirathen, thun sie das in einem 
weit späteren Lebensabschnitte. 

In der arbeitenden Klasse dagegen bringen nicht nur die ein¬ 
zelnen Frauen mehr Kinder zur Welt, als in den höher gebildeten 
Ständen, sondern dank dem früheren Heirathen folgen sich die 
Generationen auch schneller. 

Haycraft führt dies an einem Beispiele näher aus. Eine 
Arbeitersfrau A ist seit dem 23. Jahre, eine Rechtsanwaltsfrau B 
seit dem 26. Jahre verheirathet, und jede von ihnen hat vier Kinder. 
In dem Falle A wird die Familie etwa alle 27 Jahre auf die 
doppelte Zahl anwachsen, im Falle B alle 30 Jahre, angenommen, 
dass in beiden Fällen die Geburten in den Zeitraum von 4 Jahren 
fallen. Die Nachkommenschaft der Frau A wird in 270 Jahren 


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203 


2048 Köpfe zählen, die der Advokatenfrau nur die Hälfte, nämlich 
1024 in derselben Zeit. 

Wir können daraus ersehen, wie schon in den natürlichen Ver¬ 
hältnissen unserer modernen Civilisation die Gründe fUr ein lang¬ 
sameres Anwachsen der bevorzugteren Klassen gelegen sind, und 
dass wir nicht nöthig haben, sie in anderen zu suchen, die 
mehr künstlicher Natur sind und auf einem anderen Gebiete liegen, 
obwohl deren Einfluss keineswegs geleugnet werden soll. 

Haben wir aber bisher kein Mittel in der Hand, die Besseren 
der Nation zum Heirathen und zum Kindererzeugen zu zwingen, 
so müssen wir immer auf den Punkt zurückkehren, dass wenigstens 
die Fortpflanzung der antisocialen Elemente so viel als möglich zu 
verhindern sei. 

Wenn unser Mitgefühl dem Leiden gehört, so muss es in erster 
Linie dahin wirken, zu hindern, dass überhaupt Menschen entstehen, 
die zum Leiden bestimmt sind. Alle, die sich nicht selbst erhalten 
können, sei es in Folge von Kranksein, Schwächlichkeit, Irresein 
oder Charakterdefecten, werden trotzdem von der Gemeinschaft 
nicht gehindert, die Function der Elternschaft auszuüben, und doch 
setzt diese Function ihrem Wesen nach einen Ueberschuss von Kraft 
über dasjenige Maass hinaus voraus, das für die Selbsterhaltung 
des Individuums erforderlich ist. 

„Die oberflächlichste Betrachtung der Frage wird uns lehren, 
dass in der Flucht der Dinge allein der organische Quell des 
Lebens Dauer besitzt. Wir vergessen zu leicht, wie vergänglich 
Rang und Reichthum im Grunde doch sind, dass Gold und Silber 
beständig ihre Besitzer wechseln, dass Häuser neu gebaut werden 
müssen, dass alter Grundbesitz seine Grenzen verliert. Unsere per¬ 
sönlichen Ideen und Leidenschaften tauchen nur auf, um bald für 
immer zu verschwinden; ganze Familien und Rassen gehen dahin 
und hinterlassen keine Spur. Und doch ist die Menschheit noch 
da, seit unvordenklicher Vorzeit bis heute fortdauernd, und Manche 
von uns werden im Blute der Menschheit, wie sie nach Aeonen 
sein wird, fortleben. In diesem Lebensquell zählt der Schäfer und 
sein gesundes, munteres Weib mehr als der Kaiser, der eine kränk¬ 
liche Prinzessin neben sich auf dem Throne hat und so das Glück 
seiner Nachkommen zerstört. Gehirn und Muskeln sind Leben, 
Besitz und Rang nur Beiwerk. Der Ehe gegenüber müssen wir 
nicht ihr Ziel und ihren Zweck vergessen, denn das Individuum 
führt sein Sonderleben nur so lange, bis es sich selbst reproducirt 
hat; jede Generation lebt nur, um die nächste hervorzubringen. 
Wenn die Menschen das nur erst allein recht verstehen werden, 
wird diese Einsicht gewiss einen grossen Einfluss auf ihre Stellung 
zur Ehe haben, und mit dem wachsenden Gefühle für die damit 

15 * 


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204 


verbundene Verpflichtung und Verantwortung muss auch die Zahl 
körperlich und geistig minderwerthiger Kinder abnehmen. 

Auf dem Boden einer verständigen Auslese der Eltern des 
künftigen Geschlechtes werden wir auch nichts mehr von der Pflege 
zu fürchten haben, welche die moderne Kultur und die Hygiene 
dem Individuum gewähren. 

Wenn die Gemeinschaft die Auslese selbst ausübt, wird der 
auslesende. Einfluss der Mikroorganismen von Scharlach, Keuchhusten 
und Tuberkulose entbehrlich; unsere Heil- und Diätmittel können 
dann nur mit Vortheil verwendet werden, um den Menschen eines 
kräftigen und energischen Geschlechtes über die Gefahren weg¬ 
zuhelfen, die auch ihnen einmal drohen können.“ Ich glaube, meine 
Ausführungen nicht besser beschliessen zu können, als indem ich 
den Schlusssatz des Haycraft'schen Werkes wörtlich anführte. 

Und nun zum Schlüsse noch ein kurzes Wort über die beiden 
Bücher selbst, welche den Anlass zu der vorstehenden Ausführung 
gegeben haben. 

Das Buch von Ploetz bildet den ersten Theil eines Werkes, 
das der Verfasser selbst als einen Versuch bezeichnet, aus zwie¬ 
spältigen Gedanken und Empfindungen zur Klarheit zu gelangen. 
Indem er sich bemühte, zunächst das Material flir eine umfassende 
Bearbeitung des Gegenstandes zu sammeln, ergeht es ihm, wie es 
so manchem Anderen unter ähnlichen Umständen ergangen ist, dass 
er nämlich manches minder Werth volle mit in den Kauf nehmen musste, 
und dass sein Versuch hin und wieder einer einheitlichen Durch¬ 
arbeitung und Abrundung entbehrt. In dem zweiten Theile will 
er die Mittel besprechen, den rassenhygienischen Anforderungen 
gerecht zu werden, und nach einer Besprechung des Schutzes der 
guten Variationen im Wesen eine Untersuchung über die Mittel 
und Wege zur Erzeugung tüchtiger Nachkommen geben. 

Das andere Buch stellt die Wiedergabe von Vorlesungen dar, 
die der Verfasser im Royal College of Physicians zu London ge¬ 
halten hat, und zwar in einer Bearbeitung, welche dem Bedürfnisse 
eines nicht ausschliesslich aus Aerzten bestehenden Publikums an¬ 
gepasst ist, ein Standpunkt, der übrigens auch von Ploetz ein¬ 
genommen wird. Das Buch ist vorzüglich geschrieben und ebenso 
vorzüglich übersetzt. Es hilft uns in klarer Uebersicht und oft 
wie spielend über die schwierigsten Probleme hinweg, und eignet 
sich daher vorzugsweise zur Einführung in diesen recht schwierigen 
Wissenszweig, während uns Ploetz durch ein reichhaltiges Material 
weiter hineinführen und zur Bildung eines selbständigen Urtheils 
die Hand bieten will. 


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Bericht über die Frage der Einführung der 
Müllverbrennung in Elberfeld 1 ). 

Von 

Stadtbauinspector Hopfner. 

(Mit 2 Abbildungen.) 


Auf Vorschlag der städtischen Baucommission hat die Stadt- 
verordneten-Versammlung in ihrer Sitzung vom 3. December 1895 
die Kosten (2500 Mk.) für die Vornahme von Verbrennungsversuchen 
mit Elberfelder Müll in der von der Strassenreinigungs-Deputation 
der Stadt Berlin in dankenswerther Weise zur Verfügung gestellten 
dortigen Versuchsanlage bewilligt. 

Diese Versuche haben in der Zeit vom 4. bis 9. Januar d. Js. 
stattgefunden und ich habe denselben, dem mir ertheilten Auftrag 
entsprechend, beigewohnt. 

Ueber den Verlauf der Versuche und über die Frage der Be¬ 
seitigung der städtischen Abfälle durch Verbrennung gestatte ich 
mir, unter besonderer Berücksichtigung der hiesigen Verhältnisse, 
Folgendes zu berichten. 

Die Frage der Beseitigung der festen städtischen Abfälle durch 
Verbrennung ist vom Stadtbauamt stets mit besonderer Aufmerk¬ 
samkeit verfolgt und die Vornahme von diesbezüglichen Versuchen 
bereits im Sommer vorigen Jahres durch mündliche Besprechung 
mit dem die Berliner Versuchsanlage leitenden Herrn Regierungs¬ 
baumeister Grohn vorbereitet worden. 

Der erste officielle Bericht über den Gang der Verbrennungs¬ 
versuche mit Berliner Müll, welcher vom 9. Mai 1895 datirt ist, 
lautete nicht sehr ermuthigend für den Erfolg der Sache in Deutsch¬ 
land; es konnte aber doch bei den hier in Elberfeld vorliegenden 
Verhältnissen auf ein besseres Ergebniss mit unserem Müll von vorn¬ 
herein gerechnet werden. 

Im Gegensatz zu Berlin, wo in grossem Umfange mit Braun- 
kohlenbriquettes geheizt wird, die eine sehr feine, das Feuer ein¬ 
dämmende Asche zurücklassen, findet nämlich hier fast ausschliesslich, 
ähnlich wie in England und Hamburg, die Steinkohle zu diesem 
Zwecke Verwendung. Ausserdem ist zu beachten, dass die in 
Berlin üblichen, in der Wohnung feststehenden und zu dieser ge¬ 
hörigen Oefen das Feuerungsmaterial durchschnittlich besser aus- 


*) Der Bericht wurde im Februar 1896 an die Stadtverordnetenversamm¬ 
lung erstattet. 


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206 


nutzen, wie die hier gebräuchlichen, zu den Möbeln zu rechnenden, 
oft recht mangelhaften Heizanlagen. 

Um indessen über die Zusammensetzung des hiesigen Mülls 
ein genaues Urtheil zu erhalten, wurden in der Zeit vom 17. October 
bis 18. November und Ende December v. Js. mechanische Mtill- 
analysen durch Absieben und Aussortiren des aus allen Stadt¬ 
gegenden entnommenen Kehrichts vorgenommen, und zwar nach 
den in Berlin hierfür geltenden Vorschriften nach 14 Kategorien. 

Es wurden auf diese Weise bei der ersten Sortirung 22282 kg, 
bei der zweiten 7823 kg, also im Ganzen 30105 kg, sortirt und 
die in Gewichtsprocenten ausgedrückten Resultate sind in nach¬ 
folgender Tabelle verzeichnet: 

Tabelle I. 


Ermittelter Inhalt. 

Elberfelder Müll 

Englisches 

sortirt 

Oct./Nov. 

sortirt 

December 

Müll 

1. Kohlentheile. 

0,29 

0,17 

0,150 

2. Halbverbrannte Kohle (Koks). . 

3,29 

4,90 

28,800 

8. Papier. 

1,85 

0,36 

— 

4. Lumpen. 

1,12 

0,31 

0,425 

5. Knochen.1. 

0,51 

0,19 

0,250 

6. Holz. 

0,35 

0,14 

1 

7. Sonstige pflanzliche und thierische 
Theile. 

36,62 

26,18 

\ 14,200 

8. Feiner Siebdurchfall. 

47,03 

57,25 

52,600 

9. Schlacken . . . .. 

3,12 

6,45 

— 

10. Weisses Glas. 

0,97 

0,65 

0,075 

11. Buntes Glas. 

0,63 

0,41 

| 0,225 

12. Eisen. 

0,36 

0,27 

0,350 

13. Anderes Metall, einschl. Blech¬ 
büchsen . 

0,39 

0,24 

0,025 

14. Scherben, einschl. Steine .... 

3,47 

2,48 

2,900 


100,00% 

100,00% 

Ü 100,000% 

| r 


Die so gewonnenen Resultate können natürlich ein vollkommen 
richtiges Bild über die Zusammensetzung des Elberfelder Mülls nicht 
geben, da diese sich mit der Jahreszeit wesentlich ändert. Ich er¬ 
wähne in dieser Beziehung nur, dass in dem Müll im Sommer sehr 
viele GemüseabfÜlle, im Winter mehr Kohlenreste und Asche als im 
Sommer, enthalten sind. 

Ohne nun auf eine weitere Discussion dieser Resultate einzugehen, 
sei nur bemerkt, dass nach deren Feststellung die Hoffnung auf ein 
günstiges Ergebniss der Verbrennungsversuche erheblich sank, da der 
gegen die Berliner Zahlen erwartete höhere Prozentsatz an nicht und 
nur halbverbrannten Kohlen sich nur in sehr geringem Umfange zeigte 


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207 


und hinter einer englischen Analyse, die zum Vergleich mit an¬ 
gegeben ist und die 28,8 °/o halbverbrannte Kohlen gegen 3,29 bezw. 
4,90°/o der Elberfelder Analyse aufweist, so erheblich zurückblieb. 

Doch schon das Aussehen des Elberfelder Mülls im Vergleich 
zum Berliner — ersteres ist grauschwarz, letzteres hellgraubraun — 
liess erkennen, dass das Elberfelder Müll noch eine erhebliche 
Menge unverbrannte Kohle — Grus — in so feiner Vertheilung 
enthält, dass dieselbe durch die mechanische Analyse nicht fest¬ 
gestellt werden kann. Dieser Umstand ist offenbar darauf zurück¬ 
zuführen, dass die hier zur Heizung verwendeten Steinkohlen einen 
beträchtlichen Procentsatz von Grus enthalten, welcher zum Theil 
unverbrannt durch den Ofenrost in die Asche fällt, was bei den in 
Berlin zu Heizzwecken benutzten Braunkohlen nicht der Fall ist 

Der zur Verbrennung bestimmte Haus- und Strassenkehricht, 
welcher ja bekanntlich hier zusammen abgefahren wird, wurde am 
18. December v. Js. verladen. Das Quantum von 61445 kg, welches 
45 einspännige Karrenladungen und 1 zweispännige Wagenladung 
ausmachte, stellt die Gesammtproduction des 18. Decembers dar, 
so dass also in dieser Hinsicht auf Durchschnittsresultate gerechnet 
werden konnte. 

Nicht ganz normal war vielleicht der Procentsatz an Strassen¬ 
kehricht, welchen das Müll an diesem Tage enthielt. Es hatte 
nämlich in der Nacht vom 17. bis 18. December bei 1° Kälte 
schwach gefroren und in Folge dessen war am 18. früh Strassen¬ 
kehricht nicht in demselben Maasse zusammengefegt worden, als 
dies sonst wohl der Fall gewesen wäre. Die Temperatur am Tage 
vorher hatte aber 4° Wärme betragen, so dass eine Beeinflussung 
der Zusammensetzung des Mülls, etwa durch zum Bestreuen der 
Strassen benutzte Asche und dergl., ausgeschlossen ist. 

Dies geht auch aus dem Vergleich der Decemberanalyse mit 
der aus dem October bezw. November hervor. Erstere wurde 
nämlich mit am 19. December gesammeltem Kehricht vorgenommen, 
um über die Zusammensetzung des in Berlin verbrannten Mülls ein 
Urtheil zu gewinnen. 

Die Verwiegung des Elberfelder Mülls auf der Berliner V ersuchs- 
anlage ergab ein Gewicht von 60 786 kg, die Differenz von 659 kg 
ist beim Umladen, durch Verstäuben und dergl. verloren gegangen. 

Ehe ich nun zur Mittheilung der Versuchsresultate übergehe, 
möchte ich einige allgemeine Bemerkungen über das Verbrennungs¬ 
verfahren selbst einflechten. 

Die weiteste Verbreitung hat dasselbe bis jetzt in England, 
welches auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege überhaupt 
bahnbrechend vorangegangen ist, gefunden. 

Es waren daselbst bis Anfang vorigen Jahres in etwa 60 Städten, 
deren Einwohnerzahl von 10 000 bis 700 000 schwankt, rund 600 


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208 


Zellen im Betriebe und die rapide Vermehrung, die diese Anlagen 
besonders in den neunziger Jahren erfahren haben, lässt erkennen, 
dass man in England auf dem Punkte steht, die Müllverbrennungs¬ 
anlagen ebenso für eine nothwendige städtische Einrichtung zu halten, 
wie z. B. eine Schlachthausanlage. 

Die einzige definitive Müllverbrennungsanlage auf dem Continent 
besteht z. Z. in Hamburg. Dort hatte man sich mit der für die 
Gesundheitsverhältnisse einer Stadt so überaus wichtigen Frage der 
Müllverbrennung schon seit längerer Zeit beschäftigt, als die ver¬ 
hängnisvolle 1892er Choleraepidemie den Anstoss dazu gab, die¬ 
selbe in mustergültiger Weise zu lösen. Die Anlage umfasst 
86 Zellen und hat 480000 Mk. gekostet, ist aber noch nicht lange 
genug im Betriebe, um die Angabe bestimmter Resultate zu gestatten. 

Ausserdem besteht noch die auch von der Stadt Elberfeld be¬ 
nutzte Versuchsanlage in Berlin, für deren Herstellung und Betrieb 
die dortige Stadtverwaltung bis jetzt 130Ö00 Mk. bewilligt hat, 
ferner eine solche in Brüssel. Eine grosse Anzahl von Städten ist 
jedoch dieser Frage, die auch in der Magdeburger Versammlung 
des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege im Jahre 1894 ihrer 
Bedeutung gemäss gewürdigt worden ist, näher getreten. 

Wenn ich jetzt dazu komme, eine derartige Verbrennungs¬ 
anlage in allgemeinen Zügen zu beschreiben, so wird dies am 
zweckmässigsten geschehen können, wenn ich den Weg des Mülls 
verfolge von seiner Sammelstelle an bis zur definitiven und un¬ 
schädlichen Unterbringung. (S. Abbildung auf nebenstehender Seite.) 

Das Müll wird also zunächst in Wagen irgend welcher Con- 
struction, die hier nicht weiter in Frage kommt, verladen und 
mittelst derselben nach der Verbrennungsanlage abgefahren. 

Dort angekommen, passiren die Fahrzeuge eine Brückenwaage, 
um das Gewicht des zu verarbeitenden Kehrichts festzustellen. 
Hierauf gelangen dieselben an die Oefen, die theils von oben, 
theils durch seitliche Oeffnungen beschickt werden. Jedenfalls 
ist eine Hebung des Kehrichts auf eine gewisse Höhe erforder¬ 
lich, und diese geschieht, wenn es nicht möglich ist, durch 
Rampenanlagen die Fahrzeuge direkt auf diese Höhe zu befördern, 
auf maschinellem Wege. In Hamburg z. B. werden die ganzen 
Wagenkasten von den Untergestellen abgehoben, durch einen Lauf- 
krahn an die gewünschte Stelle gebracht, daselbst entleert und 
wieder auf die Wagengestelle zurückgeführt. 

Nun gelangt der Kehricht in die Verbrennungsräume, Zellen 
genannt, und wird daselbst verbrannt. Auf diesen Vorgang werde 
ich noch speciell zurückkommen. 

Die Rückstände, welche sich als vollständig durchgeglühte 
Schlacken und seine Asche darstellen, werden durch die Feuerungs- 


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«mH* 









210 


thür bezw. den Aschefall herausbefbrdert und gelangen entweder 
auf Abschütteplätze oder werden zur weiteren Verwendung ver¬ 
arbeitet. In letzterer Hinsicht kommt besonders die Schlacke in 
Frage, und diese wird, wenn eine nutzbringende Verwendung 
möglich ist, in einem Schlackenbrecher zerkleinert und durch ein 
Sortirwerk nach verschiedenen Korngrössen getrennt. 

Ein weiteres, sehr schätzbares Product der Verbrennung ist die 
dabei erzeugte Hitze. Die Rauchgase gelangen, ähnlich wie bei 
einer gewöhnlichen Kesselfeuerung, in den Rauchkanal, den sog. 
Fuchs, und werden durch diesen dem Schornsteine zugeführt Ist 
die erzeugte Hitze so gross, dass es möglich ist, Dampfkessel mit 
derselben zu heizen, so wird ein solcher in den Rauchkanal ein¬ 
gebaut und diese Anlage dient alsdann zum Betriebe der erforder. 
liehen Maschinen, als welche wir bereits die Hebekrahne, den 
Schlackenbrecher und die Sortirmaschine kennen gelernt haben. 

Hierzu kommen noch die Maschinen für die elektrischen Licht¬ 
anlagen, und ich brauche wohl nicht besonders hervorzuheben, dass 
auch zum Betriebe aller anderen Maschinen die Elektricität be¬ 
nutzt wird. 

Rechnet man hierzu noch die Räume für den Aufenthalt der 
Arbeiter, zu welchen auch eine Badeeinrichtung gehört, ferner das 
Gebäude für die Beamten der Anlage und beachtet schliesslich; 
dass die Ofenanlage, um die Nachbarschaft vor dem Anblick der 
lagernden Kehrichtmassen und dem beim Betriebe entstehenden 
Staub zu schützen, umbaut und überdacht ist, so wird man ein, 
wenn auch nur in flüchtigen Strichen gezeichnetes, dennoch ziemlich 
vollständiges Bild einer derartigen Anlage vor sich sehen. 

Das Hauptinteresse von den einzelnen Theilen einer Ver¬ 
brennungsanlage, als welche wir 

1. eine Brückenwaage, 

2. die Verbrennungsöfen, 

3. den Rauchkanal (sog. Fuchs), 

4. den Schornstein, 

5. die Maschinen verschiedener Art nebst Dampfkesselanlage und 

6. die der Verwaltung und den Arbeitern dienenden Räume 
kennen lernten, nehmen natürlich die Verbrennungsöfen für sich in 
Anspruch, und auf diese will ich jetzt etwas näher eingehen, wobei 
sich gleichzeitig Gelegenheit finden wird, die Verbrennung selbst 
zu besprechen. 

Ich wähle zur Beschreibung der Oefen einen solchen nach dem 
System Horsfall, welcher u. A. in Hamburg und bei einem Theil 
der Berliner Versuchsanlage angewendet worden ist, da es zu weit 
führen würde, auch nur einige der vielen in England gebräuchlichen 
Systeme hier vorzuführen. 


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211 


Ein jeder Ofen besteht aus einer Anzahl einzelner Verbrennungs¬ 
räume, Zellen genannt, und zwar sind gewöhnlich deren drei zu 
einer Gruppe vereinigt. Dies hat seinen Grund in der Erfahrung, 
dass ein Heizer bei achtstündigem Schichtwechsel 8 Zellen be¬ 
dienen kann. Hier sei eingeschaltet, dass der Betrieb einer Ver¬ 
brennungsanlage, Ähnlich wie derjenige eines Hochofens, ein con- 
tinuirlicher ist. 

Jede Zelle, die, je nach den örtlichen Verhältnissen, neben¬ 
einander oder Rücken an Rücken angeordnet werden, hat ihre ge¬ 
sonderte Einwurfsöflnüng, die, wie schon erwähnt, entweder seitlich 
oder auf der Oberfläche des Ofens sich befindet, ohne dass hierin 
ein principieller Unterschied liegt. Durch diese, nehmen wir an, 
oben liegende Einwurfsöffnung, gelangt der Kehricht in die Zelle 
und wird in deren oberem Theile zunächst vorgetrocknet. Je nach 
Bedarf wird nun von der, ähnlich wie die Feuerungsthür einer 
Kesselanlage, am unteren Ende der Zelle liegenden Thür aus mit 
langen Haken Müll auf den Rost herabgezogen und hier zur voll¬ 
ständigen Verbrennung gebracht. Der Rost ist als Schtittelrost 
ausgebildet, um gleichmässigere Luftzuführung zu dem Feuer und 
hierdurch eine intensivere Verbrennung mit grösserer Wärme¬ 
entwickelung zu erzielen. Auch wird durch die Bewegung der 
Roststäbe das Festsetzen der Schlacken zwischen denselben ver¬ 
mindert und das Durchfallen der Asche erleichtert. 

Die Asche fällt in den Ascheraum, aus welchem sie von Zeit 
zu Zeit entfernt wird, die Schlacken werden zur vorderen Feuer¬ 
thür herausbefördert, und zwar wiederholt sich der letztere Vorgang 
in Zeiträumen von IV2 bis 2 Stunden, welche genügen, um eine 
völlige Verbrennung aller organischen Bestandteile des Mülls herbei¬ 
zuführen. 

Die Rauchgase gelangen durch einen Schacht in den gemein¬ 
samen , nach dem Schornsteine führenden Rauchkanal. Als be¬ 
sonderer Vortheil des Horsfall-Ofens ist nun hervorzuheben, dass 
die Rauchgase und die Trockengase, durch deren üblen Geruch 
Belästigungen der Nachbarschaft entstanden, die heisseste Stelle der 
Zelle — über dem Rost — passiren müssen und durch das durch¬ 
brochene Gewölbe erst in eine über der Zelle gelegene Kammer 
kommen, in welcher sie vollständig verbrennen, ehe sie in den 
Rauchkanal gelangen. 

Eine weitere charakteristische Verbesserung HorsfalFs ist die 
Anbringung eines Dampfgebläses zur Verstärkung des Zuges unter 
dem Feuer. Letzteres ist indessen in Hamburg neuerdings durch 
einen Ventilator ersetzt worden, durch welchen Luft direkt unter 
die Feuerung gedrückt wird, und es ist zu hoffen, dass es durch 
diese Verbesserung gelingen wird, auch weniger „reiches“ Müll zu 


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212 


verbrennen, wie das englische. Während der Verbrennungsdauer 
ist die Einwurfsöffnung durch aufgehäufte Müllmassen so fest ver¬ 
schlossen, dass ein Austreten von Gasen in das Gebäude in ge¬ 
nügender Weise verhindert wird. 

Namentlich durch die von Horsfall eingeführten Verbesserungen 
hinsichtlich einer vollkommeneren Verbrennung ist es gelungen, die 
Anstalten jetzt so herzustellen, dass eine Belästigung der Nachbar¬ 
schaft vollständig ausgeschlossen erscheint, was wohl am Besten 
daraus erhellt, dass man in einer englischen Stadt eine Schule 
direkt neben der Verbrennungsanstalt erbaut hat. 

Ich wende mich nunmehr zu den mit der Verbrennung von 
Elberfelder Müll in Berlin angestellten Versuchen. 

Auf welche Punkte sich Verbrennungsversuche erstrecken 
müssen, geht aus vorstehenden allgemeinen Bemerkungen hervor. 

Wir sahen, dass die Anlage aus einzelnen Verbrennungsräumen, 
Zellen genannt, besteht, und es wird sich bei der Projectirung einer 
jeden Neuanlage dieser Art zuerst fragen, wieviel derartiger Zellen 
muss ich bauen, um einen regelmässigen Betrieb zu erzielen. Die 
Kenntniss der Mengen der producirten Abfälle vorausgesetzt, muss 
also durch Versuche festgestellt werden, wieviel Kilogramm Kehricht 
ich in jeder Zelle pro Tag zu verbrennen vermag. 

Geht man alsdann zur finanziellen Betrachtung des Betriebes 
einer derartigen Anlage über, so wird es von Wichtigkeit sein, zu 
wissen, ob die Verbrennung des Kehrichts ohne Kohlenzusatz möglich 
ist, oder nicht. Ferner wird es sich fragen, ist die erzeugte Hitze 
gross genug, um Dampfkessel damit heizen zu können, oder muss 
ich zum Betriebe der erforderlichen Maschinen eine Kesselanlage 
mit Kohlenfeuerung zu Hülfe nehmen. Ich muss also zu erfahren 
suchen, welche Temperatur bei der Verbrennung des in Frage 
stehenden Unrathes erzeugt wird. Und endlich muss man darüber 
Klarheit haben, welche Mengen Rückstände übrig bleiben, um über¬ 
schlagen zu können, was durch deren Beseitigung eventuell noch 
für Ausgaben erwachsen. 

Nach der hygienischen Seite hin werden sich die Versuche 
darauf zu erstrecken haben, ob durch die Verbrennung des Unrathes 
die Nachbarschaft geschädigt oder belästigt wird. Letzteres ist, bei 
gut ausgeführten Anlagen, wie schon erwähnt, nicht der Fall, ersteres 
muss durch eine Analyse der Abgase festgestellt werden, wobei be¬ 
sonders zu beachten ist, ob eine vollkommene Verbrennung eintritt 
und das sehr giftige Kohlenoxydgas nicht durch den Schornstein 
entweicht. 

Ich gebe nachstehend die nach obigen Gesichtspunkten zu¬ 
sammengestellten Resulate der Berliner Versuche, welche genügen, 
um deren Erfolg beurtheilen zu können. 


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Tabelle II. 


213 


Bemerkungen 

Mit Ventilator, 
keine Kohle im 
Ofen. 

desgl. 

Ohne Ventilator, 
keine Kohle im 
Ofen. 

Mit Ventilator, 
keine Kohle im 
Ofen. 

desgl. 

desgl 

Gasanalyse 

§*= 

3S I 7 l ’SI 

S^.goO g^B 

Temperatur 

Mittel aus 

131 Beobacht. 
275° C. 

Mittel aus 

131 Beobacht. 
301° C. 

im 'Fuchs ge¬ 
messen. 

Mittel aus 

79 Beobacht. 
279° C. 

Min. 190°, 
Max. 520° 

% 

zusammen 

59,4 

58,9 

50,1 

53.8 

51.8 

57.8 

ö 

i •£ 

1 « 

£ 

^ oo co^ iq co^ co 

OS OS CO ^4 OS ^ 

»— 1 *—• r-4 OQ C<| 

Rü( 

Schlacken 

40,0 

39.1 

36.5 

32,3 

32.2 

33.5 

Auf 

24 h be¬ 
rechnet 

kg 

4558 

4941 

1763 

3 916 

4 455 

3847 

Brenn¬ 

dauer 

£ 'i 'i 1 'l '1 

M A M M JS M 

CO 0Q CO OS OS OS 

co co 

Gewicht 

des ver¬ 
brannten 

Mulls 

kg 

12 629 

13 999 

4112 

9 628 

10956 

9462 

Zelle 

Nr. 

I. 

II. 

in. 

I. 

II. 

in. 

Ofen¬ 

system 

IT'BJSIOJJ 


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214 


Kurz gefasst lautet das Ergebniss: Es sind pro Tag und Zelle 
8913 kg oder, wenn man die ohne Ventilator betriebene Horsfall- 
Zelle Nr. HI ausscheidet, 4 343 kg Kehricht ohne Zusatz von Kohlen 
verbrannt worden, wobei eine durchschnittliche Temperatur von 
beinahe 300° C. erzeugt wurde. An Rückständen verblieben im 
Durchschnitt 35,6 0 o Schlacken und 19,7 °/o Asche, also im Ganzen 
55,3 °/o des Gewichtes, und Kohlenoxydgas ist nicht entstanden, ein 
Beweis, dass die Verbrennung der organischen Substanzen eine 
vollkommene war. 

Zum Vergleich sei bemerkt, dass nach englischen Angaben in 
dortigen Anlagen 5000 bis 10 000 kg, im Durchschnitt 7000 kg, 
pro Tag und Zelle verbrannt werden und hierbei 25 bis 30°/o 
Rückstand verbleiben. Die erzeugte Hitze wird für Horsfall-Oefen 
im Mittel auf 1100° C. angegeben. 

Wenn nun auch die mit dem Elberfelder Müll erzielten Resultate 
hinter den englischen weit zurück bleiben, was an dem grösseren 
Kohlenreichthum des letzteren liegt, so sind die Ergebnisse doch in¬ 
sofern als günstige zu bezeichnen, als konstatiert ist, dass unser 
Kehricht anstandslos ohne Kohlenzusatz brennt. 

Nach dem Urtheil des Leiters der Berliner Anlage wird es 
möglich sein, in definitiven, nach den neuesten Erfahrungen gebauten 
Oefen täglich 5—6 Tonnen Elberfelder Müll zu verbrennen und 
hierbei eine Hitze zu entwickeln, die ausreicht, um einen Dampf¬ 
kessel für den Betrieb der Anlage zu heizen, was man in Hamburg 
ebenfalls zu erreichen hofft. 

Die gegen diese Annahme geringeren Resultate sind zurück- 
zufUhren auf den provisorischen Charakter der Berliner Versuchs¬ 
anlage und auf die UnVertrautheit der dortigen Heizer mit dem 
Elberfelder Müll. 

Es wird daher sehr empfehlenswerth sein, um weitere Klarheit 
in dieser Frage zu gewinnen, etwa für nächsten Sommer einen 
Brennversuch in der definitiven Hamburger Anlage in Aussicht zu 
nehmen. 

Von Interesse dürfte es sein, an der Hand der gewonnenen Er¬ 
gebnisse einen Ausblick in die Zukunft der Verbrennung des Mülls 
in Elberfeld zu thun. 

Um dies zu können, muss eine kurze Schilderung des jetzigen 
Abfuhrbetriebes vorausgeschickt werden: 

Derselbe umfasst gegenwärtig die Beseitigung 

1. der Haus- und Marktabfklle, 

2. des Strassenkehrichts und 

3. des Kanalunrathes, 

und zwar werden die unter 1. und 2. genannten Abfälle zusammen 
abgefahren, wobei zu bemerken ist, dass die Strassenreinigung von 


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215 


den Anwohnern in den Morgenstunden besorgt wird und die Abfuhr 
sich über den ganzen Tag erstreckt. 

Zur Bewältigung der Aufgabe sind z. Zt. täglich für die Ab¬ 
fuhr des Haus- und Strassenkehrichts 23 einspännige, zweiräderige 
Kippkarren und 1 zweispänniger Wagen, für diejenige der Schlamm¬ 
abfuhr 5 einspännige, zweiräderige Karren und 3 zweispännige 
Wagen im Gebrauch, die von 36 Pferden und ca. 50 Mann bedient 
werden. Seit dem 1. Juni 1893 stellt die Stadt zu diesem Betriebe 
die erforderlichen Fahrzeuge und Hülfsarbeiter, während die Ge¬ 
stellung von Pferden und Fuhrleuten einem Unternehmer über¬ 
tragen ist. 

Die nachstehend angegebenen Gewichte werden in der W'eise 
ermittelt, dass jedes Fahrzeug in jedem Monat einmal leer und be¬ 
laden gewogen wird; sie sind daher nicht absolut genau, fUr unsern 
Zweck aber ausreichend. Die Massen werden nach dem cubischen 
Inhalt der Fahrzeuge ermittelt. 

In den 31 Monaten, die der Abfuhrbetrieb in der jetzigen 
Weise umfasst, sind folgende Unrathmassen aus der Stadt hinaus 
befördert worden: 

Tabelle UI. 


Zeit 

Haus- und Strassenkehricht 

Kanalschlamm 

von 

bis 

4 | 

J J 

cbm 

kg 

1 £ 
a. ' C3 

1 * 
t-g 

cbm 

kg 



,3 

£ Ui 



z £ 




1. Juni 1893 

81. M&rz 1894 

11 914 

1060 

28161 

17 462 430 

1 707 

1 440 

5 478 

5 271 460 

1. April 1894 

31. M&rz 1895 

15 015 

1041 

34 108 

20 283 045 

2 270 

1 702 

5 714 

5 999 352 

1. April 1895 

81. Dec. 1895 

11 718 

758 

26 966 

17 050 602 

2 161 

1 548 

4 912 

I 

5239 068 


Summen 

38 677 

2 859 

89 235 

54 796 077 

6 138 

I 

4 685 

16 104 

16 509 875 


Diese Massen sind zum überwiegend grössten Theil auf den 
städtischen Abschütteplätzen in der Varresbeck und im Uellendahl 
untergebracht worden. 

Aus der Vergleichung der Massen und Gewichte ergiebt sich, 
dass ein Kubikmeter Haus- und Strassenkehricht durchschnittlich 
614 kg, ein Kubikmeter Kanalunrath durchschnittlich 1025 kg wiegt. 

Von Wichtigkeit ist es ferner, zu wissen, wieviel Procent 
Strassenkehricht in der oben erwähnten Masse des Haus- und 
Strassenunraths enthalten ist, und es wurde aus den Ergebnissen 
der sich nur auf diesen erstreckenden Abfuhr an Sonn- und Feier¬ 
tagen ermittelt, dass die Menge 37 °/o der ganzen Masse beträgt. 

Weiter ist es für die Beurtheilung der Grösse einer eventuell 
anzulegenden Verbrennungsanlage erforderlich, festzustellen, wieviel 
Kilogramm bez. Liter der einzelnen Unrathsarten auf den Kopf 


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216 


der Bevölkerung und das Jahr entfallen, und endlich interessiren 
uns die Kosten, welche die Beseitigung eines Kubikmeters oder einer 
Tonne derselben erfordert, und die, welche sich auf den Kopf der 
Bevölkerung und das Jahr hiernach ergeben. 

Diese Resultate sind in nachstehender Tabelle vereinigt], und 
es sei bemerkt, dass der Ermittelung derselben die Einwohnerzahl 
deijenigen Stadtbezirke zu Grunde gelegt wurde, in welchen die 
regelmässige Abfuhr stattfindet, nämlich 127 000 bei einer Gesammt- 
zahl von 140 000, und dass ferner angenommen wurde, dass die 
Beseitigung eines Kubikmeters Strassenunrath dieselben, die eines 
Kubikmeters Kanalunrath die doppelten Kosten verursacht, wie die 
Beseitigung eines Kubikmeters Hausunrath. 


Tabelle LY. 


Bezeichnung 

der 

Abfälle 

Menge 
pro Kopf 
und Jahr 

Kosten 

der Beseitigung 
Mk. 

Kosten 

der 

Beseitigung 
pro Kopf 
und Jahr 

Der im Etatsjahr 
1894/95 
ausgegebene 
Betrag 
vertheilt sich 

Liter 

k g 

pro 

cbm 

pro Tonne 
= 1000 kg 

Hauskehricht 

175 

108 

2,62 

4,40 

1 0,475 

56 249,88 Mk. 

Strassenkehricht 

102 

63 

2,62 

4,40 

j 0,255 

33035,23 „ 

Kanalunrath 

50 

51 

5,24 

5,00 

0,230 

29918,61 „ 

Summen 

827 ' 

222 1 

— 

— 

0,960 

1 119203,72 Mk. 


Auf Grund dieser Zahlen wird es möglich sein, sich ein Bild 
über die Einführung der Mtillverbrennung in Elberfeld in finanzieller 
Beziehung zu machen. 

Vorher müssen indessen noch zwei Fragen kurz berührt werden, 
nämlich: 

„wann ist für eine Stadt der geeignete Zeitpunkt gekommen, 
um zur Beseitigung der Abfülle durch Verbrennung über¬ 
zugehen, und was soll verbrannt werden?“ 

Die Beantwortung der ersten Frage kann allgemein nicht er¬ 
folgen; sie hängt vielmehr von den lokalen Verhältnissen ab. 

So lange eine Stadt in der Lage ist, die Abfülle landwirthschaft- 
lich zu benutzen, oder dieselben an hierzu geeigneten Stellen 
abzulagern, deren Bebauung ähnlich wie die der Friedhöfe, auf 
eine längere Reihe von Jahren hinaus ausgeschlossen ist,%wird sich 
hiergegen in hygienischer Beziehung wenig ein wenden lassen, zumal 
wenn verhindert werden kann, dass aus dem Unrath die noch für 
brauchbar gehaltenen Stoffe herausgelesen und wieder nach der 
Stadt zurückgebracht werden. 

Kann man auf diese Weise die Abfälle nicht mehr unschädlich 
unterbringen oder sind geeignete Abschütteplätze nur' in so weiter 


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217 


Entfernung von der Stadt zu erlangen, dass die Transportkosten 
unverhältnissmässig gross werden, so wird der Zeitpunkt gekommen 
sein, der Frage der Verbrennung ernstlich näher zu treten. Hierbei 
ist zu beachten, dass der Besitz einer Verbrennungsanlage die Stadt 
unabhängig von den Abnehmern des Kehrichts macht, die z. B. in 
Hamburg während der 1892er Choleraepideraie das Ablagern des 
Unrathes mit Gewalt verhindert haben. In diesem Umstande ist 
für jede Stadt eine grosse Beruhigung für den Fall des Ausbruchs 
einer Seuche zu erblicken. 

Hier in Elberfeld liegen nun die Verhältnisse derart, dass die 
Abschütteplätze 4—5 km weit von der Stadt entfernt sind und es 
möglich ist, mit jedem Fuhrwerk zwei Ladungen Unrath pro Tag 
hinaus zu befördern. Die oben angegebenen Kosten für den Kopf 
der Bevölkerung und das Jahr werden nun im Allgemeinen relativ 
unverändert bleiben, so lange es möglich ist, Abschütteplätze in 
dieser Entfernung zu erlangen. Mit der grösseren Entfernung der 
Plätze verringern sich die Leistungen der Fuhrwerke und wachsen 
die Kosten; will man dies vermeiden, so würde also für Elberfeld 
die Müllverbrennung, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, so 
lange nicht angestrebt zu werden brauchen, als es möglich ist, ge¬ 
eignete Plätze in der oben genannten Entfernung zu erhalten. 

Anlangend die zweite Frage, was überhaupt verbrannt werden 
soll, so ist über dieselbe Folgendes zu bemerken: 

Für Elberfeld handelt es sich in erster Linie um die Beseitigung 
der Haus- und Marktabfälle, des Strassenkehrichts und des Kanal¬ 
unraths, da diejenige der etwa sonst in Frage kommenden Abfall¬ 
stoffe, wie Stalldünger, gewerbliche Abgänge, die Abgänge des 
Schlachthofes und die Fäkalien entweder z. Zt. ohne irgend welche 
Nachtheile geschieht, oder für die Zukunft auf andere Weise bereits 
in Aussicht genommen ist. 

Letzteres gilt von den Fäkalien, die nach vollständiger Durch¬ 
führung der Kanalisation durch dieselbe beseitigt werden. Es liegt 
nun nahe, den Kanalunrath in derselben Weise weiter zu behandeln, 
wie die Rückstände, welche sich in der auf Gut Buchenhofen zu 
errichtenden Reinigungsanlage ergeben werden und dieselben zu 
diesem Zwecke nach genanntem Orte zu befördern. Dies ist aus¬ 
führbar, ohne dass sich hierdurch die für die Kanalreinigung auf¬ 
zuwendenden Kosten relativ erhöhen, da, wie durch eine Probe 
dargethan worden ist, die Fuhren gerade so oft in einem Tage 
nach Gut Buchenhofen fahren können, wie nach einem der Ab¬ 
schütteplätze. 

Nehmen wir also an, dass der Kanalunrath von der Verbrennung 
auszuscheiden sei. 

Centralblatt f. »11g. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 16 


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218 


Es kommt weiter der Strassenkehricht in Frage. Dieser wird 
im Allgemeinen für hygienisch unbedenklich gehalten und eignet 
sich zur Düngung der Felder weit besser, wie der Hauskehricht, 
da er frei von den lästigen Scherben, Blechgefässen und dergl. ist. 
Wenngleich nun dieses Düngemittel jetzt von den Landwirthen 
wenig begehrt wird, da denselben der bequem zu benutzende 
Latrinendünger in fast unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht, 
so wird doch hierin eine Wandlung eintreten, wenn Letzteres nach 
Durchführung der Kanalisation nicht mehr in demselben Maasse der 
Fall ist, wie jetzt. 

Hierzu kommt noch, dass, soll der Strassenkehricht mit ver¬ 
brannt werden, dadurch von vornherein eine Unsicherheit in den 
regelmässigen Betrieb der Anlage gebracht werden würde. Denn 
in demselben Maasse, wie der Strassendünger bei anhaltender 
Trockenheit den Verbrennungsprozess befördern würde, würde er 
ihn bei anhaltender Nässe, wo der Strassenkehricht eine schlamm¬ 
artige Beschaffenheit hat, in der ungünstigsten Weise beeinflussen. 

Es wird also anzunehmen sein, dass, wie z. B. auch in Hamburg, 
der Strassenkehricht nicht mit verbrannt, sondern für denselben 
eine landwirtschaftliche Verwertung gesucht wird. 

Beiläufig sei hier darauf hingewiesen, dass dies eine Trennung 
des Abfuhrbetriebes in der Weise zur Folge haben müsste, dass 
alsdann die Haus- und Marktabfälle und der Strassenkehricht ge¬ 
sondert abzufahren wären, ein Fall, der aber ohnedies eintreten 
wird, sobald die Stadt dazu übergeht, die Strassenreinigung in 
Regie zu übernehmen. 

Demnach wird die Verbrennung meiner Ansicht nach auf die 
in hygienischer Beziehung bedenklichen Haus- und Marktabfälle zu 
beschränken sein. 

Um sich nun ein Bild über die finanzielle Seite der Müll¬ 
verbrennung zu machen, soll angenommen werden, die Stadt Elber¬ 
feld wolle oder müsse nach Verlauf von fünf Jahren zu derselben 
übergehen. 

Dann werden die Bezirke, aus denen der Unrath abgefahren 
wird, ein Wachstum der Bevölkerungsziffer um 2,2 °/o vorausgesetzt, 
142 000 Einwohner haben und es würden, da auf den Kopf der 
Bevölkerung 108 kg Hauskehricht entfallen, 15 336 oder rund 
15 500 Tonnen (zu 1000 kg) Kehricht zu beseitigen sein. 

An Kosten würden hierfür nach dem jetzigen Modus und nach 
dem Einheitssätze von 0,475 Mk. pro Kopf und Jahr berechnet, 
67 450 oder rund 67 500 Mk. entstehen. 

Die Frage ist nun, wie würde sich hiergegen der Aufwand für 
Beseitigung des Mülls durch Verbrennung stellen. 


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219 


Sollen im Allgemeinen die nach dem jetzigen Modus entstehen¬ 
den Kosten als Norm angesehen werden, die womöglich nicht zu 
überschreiten ist, so muss zur Deckung der durch den Betrieb der 
Verbrennungsanlage entstehenden Kosten an anderer Stelle eine 
Ersparniss eintreten. Diese zu erzielen, wird nur möglich sein durch 
Abkürzung der von den Fuhrwerken zurückzulegenden Wege, also 
durch die Wahl eines günstigen Platzes für die Anlage. 

Hier muss auch darauf hingewiesen werden, dass es, um die 
Leistung der Fuhrwerke zu erhöhen, im Allgemeinen zweckmässiger 
sein wird, mehrere kleinere, als eine grosse Anlage zu bauen. 

Wir nehmen also an, dass es gelinge, Plätze etwa 2,5 km vom 
Mittelpunkt der Stadt entfernt zu gewinnen. Hierdurch würde die 
Leistung der Fuhrwerke um 50 °/o erhöht werden, d. h. anstatt dass 
dieselben jetzt zweimal pro Tag fahren, würden sie alsdann drei 
Fuhren leisten können. Die oben angegebene Summe von 67 500 Mk. 
würde sich demnach zerlegen in 45 000 Mk. für die eigentliche 
Abfuhr und 22 500 Mk. als Rest für den Betrieb der Verbrennungs¬ 
anlage. 

Wie oben angegeben, werden pro Jahr 15 500 Tonnen Kehricht 
zu verbrennen sein, dies ergiebt eine Tagesleistung von rot. 
42,5 Tonnen. 

Rechnet man nun, um sicher zu gehen, pro Zelle nur eine 
Tagesleistung von 5 Tonnen, so müssten also für den regelmässigen 
Betrieb 9 Zellen, oder mit genügender Reserve 12 Zellen (2 Anlagen 
ä 6 Zellen) zur Verfügung stehen. 

Die Kosten für die Zelle, einschliesslich Schornstein, Maschinen etc., 
giebt Herr Oberingenieur Andreas Meyer in seinem auf der 
Magdeburger Versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege gehaltenen Vortrag zu 14 000 Mk. an, die Anlage würde 
also einen Aufwand erfordern von . 12X 14 000 = 168 000 Mk., 

hierzu für den Erwerb von Bauplätzen (geschätzt) . 52 000 „ 

• giebt in Summa Anlagekosten 220 000 Mk. 

Nach vorgenannter Quelle sind die Betriebskosten einer Ver¬ 
brennungsanlage, einschliesslich derjenigen für Verzinsung und 
Amortisation der Baulichkeiten^ mit 1 Mk. pro Tonne anzunehmen, 
d. h., sie würden für unseren Fall 15 500 Mk. betragen und der 
verbleibende Rest von 22 500— 15 500 = 7000 Mk. könnte zur 
Tilgung des für den Bauplatz aufgewendeten Kapitals, zur Abfuhr 
von Rückständen etc. in Rechnung gestellt werden. 

Sollte es aus irgend einem Grunde erforderlich werden, die 
Veibrennungsanlage für Hausmüll mit der Kläranlage für die 
Kanalwässer zusammenzulegen, so würden, da, wie erwähnt, die 
Leistungen der einzelnen Fuhrwerke in diesem Falle ebenso gross 

16 * 


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220 


sind, wie jetzt, die für den Betrieb der Anlage erwachsenden Kosten 
zu denjenigen hinzukommen, welche die Beseitigung der Abfälle 
nach dem jetzigen Modus kostet Die Kosten der Beseitigung des 
Hausabfalles würden also dann nicht nur 67 500 Mk., sondern 
ca. 90 000 Mk. betragen. 

Aus dieser generellen Rechnung geht klar hervor, dass die 
Beseitigung der Haus- und Marktabfälle durch Verbrennung nicht 
oder doch nur unwesentlich theurer werden wird, als die jetzige 
f Abfuhr. 

Bei Aufstellung der vorstehenden Rechnung ist auf die ver¬ 
bleibenden Rückstände noch keine Rücksicht genommen worden. 
Dieselben setzen sich, wie oben ausgeführt, zusammen aus rund 
20 °/o Asche und 36 0/ o Schlacken; d. h. es würden in unserem 
Falle rund 3000 Tonnen Asche und 5600 Tonnen Schlacke bei der 
Verbrennung übrig bleiben. 

Für letztere eine Verwendung zu finden, dürfte hier, wo man 
vielfach schon Kesselasche zur Mörtelbereitung und zur Fussweg- 
befestigung benutzt, wo die Anwendung von Schlackenbeton immer 
an Verbreitung gewinnt, nicht schwer sein. Die Schlacken eignen 
sich ferner zur Ausfüllung von Zwischendecken, zur Herstellung 
von Cementplatten und dergl., so dass bei günstiger Lage der Ver¬ 
brennungsanstalten wenn auch auf keinen Gewinn, so doch auf 
kostenlose Beseitigung der Schlacken gerechnet werden darf. 

Die feine Asche kann, wenn sich keine nutzbare Verwendung 
für dieselbe findet, was indessen durchaus nicht ausgeschlossen er¬ 
scheint, unbedenklich zur Aufhöhung von Plätzen, Anschüttung von 
Strassen und dergl. benutzt werden. 

Das Schlussergebniss ist also folgendes: Für die Stadt Elberfeld 
liegt augenblicklich noch keine zwingende Nothwendigkeit vor, zur 
Müllverbrennung überzugehen; erscheint dies jedoch später durch 
die Verhältnisse geboten, so werden die hierdurch entstehenden 
Kosten voraussichtlich nicht grösser sein, als die für die Beseitigung 
der Haus- und Marktabfälle nach dem jetzigen Modul aufzu¬ 
wendenden. 

Der Vortheil, der in hygienischer Hinsicht unzweifelhaft in 
dem Vorhandensein einer derartigen Anlage, besonders beim Herr¬ 
schen von Epidemien liegt, ist also ohne besonderen Kostenaufwand 
zu erreichen. 

Wie gross dieser aus Besserung der gesundheitlichen Zustände 
hervorgehende Nutzen sich eventuell ziffernmässig stellen kann, ist 
aus nachstehender, nach den Angaben von v. Pettenkofer und Praus- 
nitz angestellten Berechnung zu ersehen. 

Nimmt man an, es gelänge durch irgend eine Einrichtung die 
Sterblichkeit auch nur um Va °/oo herabzudrücken, so würde das 


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221 


unter Zugrundelegung der jetzigen Bevölkerungsziffer von 140 000 
den Erfolg haben, dass pro Jahr 70 Personen weniger als früher 
sterben. Nach statistischen Erhebungen entfallen auf einen Todes¬ 
fall 34 Erkrankungsfölle, so dass die Zahl derselben um 70 X 34 = 2380 
sinken würde. Die Dauer eines Krankheitsfalles bis zum Wieder¬ 
eintritt der Genesung zu 20 Tagen angenommen, würde eine Ver¬ 
minderung der Krankentage um 2380 X 20 = 47 600 ergeben, und 
rechnet man schliesslich pro Tag einen durch entgangenen Verdienst, 
Beschaffung von Medikamenten, Kosten der ärztlichen Behandlung 
entstehenden Ausfall von 4 Mk., so würde dem Nationalvermögen 
jährlich eine Summe von 190 400 Mk. erhalten bleiben. 




























222 


Wie sich, unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, die in den 
letzten 30 Jahren in unserer Stadt ausgegebenen Summen für die 
Wasserleitung, Kanalisation, die Schlachthausanlage, die Badeanstalt, 
die Krankenanstalten, Sanirung der Wupper, Verbesserung der Ver¬ 
kehrs- und Wohnverhältnisse und dergl. verzinsen, kann aus nach¬ 
stehender graphischer Darstellung ermessen werden, nach welcher 
seit dem Jahre 1866 ein Sinken der Sterblichkeit um 17 °/oo ein¬ 
getreten ist, und es steht zu erwarten, dass auch die zukünftige 
Müllverbrennungsanlage sich als ein neues Glied in der Kette der 
dem Wohle der Bürger gewidmeten sanitären Einrichtungen ebenso 
segensreich für diese erweisen wird, wie die bereits bestehenden. 


Probeweise Verbrennung des Essener 
Kehrichts in den Verbrennungsöfen zu 
Hamburg. 

Von 

Stadtbaurath Wiebe in Essen. 


In der 19. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege, welche im Jahre 1894 zu Magdeburg tagte, hielten 
die Herren Medicinalrath Dr. Reineke und Oberingenieur An¬ 
dreas Meyer aus Hamburg Vorträge über die Beseitigung des 
Kehrichts und anderer städtischer Abfälle, besonders durch Ver¬ 
brennung. Dabei wurde mitgetheilt, dass für Hamburg eine grössere 
Verbrennungsanstalt für Hausunrath mit einem Kostenaufwande von 
480000 Mk. in der Ausführung begriffen sei und voraussichtlich 
noch im Laufe des Jahres 1894 vollendet werden würde. In freund¬ 
licher Weise wurde den Mitgliedern des Deutschen Vereins anheim¬ 
gestellt, nach der Eröffnung des Betriebes die Anlage zu besichtigen. 

Die für viele Städte so schwierige Frage der dauernden Keh- 
richtbeseitigung bedarf auch in Essen immer dringender der Lösung. 
Die Abfuhr des'Hausunrathes von den Gebäuden besorgt der städtische 
Fuhrpark. Die Massen wurden bisher in verlassene Steinbrüche 
oder in tiefe Thäler des hügeligen Geländes geschüttet; die An¬ 
schüttung neuer Strassen durch Kehricht ist jedoch nicht gestattet 
worden. Ist ein Thal oder ein Steinbruch angefüllt, so wird mit 
einer dicken Schicht Lehm und Mutterboden das Ganze abgedeckt, 


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223 


Bäume und Büsche werden gepflanzt, und Gras wird gesäet, um 
schädliche Ausdünstungen der eingeschütteten Massen zu verhindern. 

Es wird nun aber immer schwieriger, geeignete Ablagerungs¬ 
plätze zu erwerben. In der Nähe der Stadt sind solche nur mit 
sehr hohem Kostenaufwand zu kaufen; weit abgelegene Plätze ver¬ 
teuern aber den Transport in aussergewöhnlicher Weise. Auch 
die jetzt benutzten Ablagerungsplätze liegen so weit entfernt, dass 
die städtische Verwaltung schon seit längerer Zeit der Kehricht- 
Verbrennung, welche bei theuren Ablagerungsplätzen oder bei be¬ 
deutendem Transport der Massen billiger als die Ablagerung sich 
gestaltet und in hygienischer Beziehung letzterer unbedingt vor¬ 
zuziehen ist, nähertreten musste. 

Der Bau der Hamburger Kehrichtöfen erregte daher das leb¬ 
hafteste Interesse der städtischen Verwaltung, und als die ersten 
Verbrennungszellen vollendet waren und im Betriebe sich befanden, 
besichtigten der Oberbürgermeister Zweigert und Verfasser im Mai 
1895 die Hamburger Anlage. 

Bei der kurzen Zeit des bisherigen Betriebes konnten zuver¬ 
lässige Angaben über die Betriebskosten noch nicht gemacht werden, 
die Verbrennung der Kehriclitmassen machte aber einen so günstigen 
Eindruck, dass auf den der Essener Baudeputation erstatteten 
Bericht dieselbe beschloss, den Hamburger Senat um die Erlaubniss 
zu bitten, probeweise einen Doppelwagen Essener Kehricht nach 
Hamburg zu schicken und den letzteren in den dortigen Oefen zu 
verbrennen, um festzustellen, ob der hiesige Kehricht überhaupt 
zur Verbrennung geeignet ist. Durch freundliche Vermittelung des 
Herrn Andreas Meyer wurde die Erlaubniss ertheilt, und am 
81. Juli 1895 wurde ein Wagen von 12Va Tons oder 250 Centnern 
Tragfähigkeit mit Kehricht beladen. Der Eisenbahnwagen nahm 
den Kehricht von 8 städtischen Abfuhrkarren auf. Das Brutto¬ 
gewicht des beladenen Wagens wurde zu 19090 kg ermittelt, das 
Wagengewicht betrug 6730 kg, also betrug das Gewicht des Keh¬ 
richts 12360 kg. Die Masse des verladenen Kehrichts wurde zu 
18 cbm festgestellt. Der Kehricht enthielt eine grosse Zahl von 
zerbrochenen Glaspfannen, Dachpfannen, Schieferplatten und Glas¬ 
scherben, welche von dem am 26. Juli stattgehabten heftigen Hagel¬ 
schlage herrührten. Diese Theile wurden bei der Beladung grössten- 
theils entfernt, so dass der zur Absendung gelangte Kehricht an¬ 
nähernd der normalen Beschaffenheit des Essener Hauskehrichts 
entsprach. Am 3. August kam der Wagen in Hamburg an, und 
am 5. August Vormittags sollte mit der Verbrennung begonnen 
werden. Verfasser begab sich nach Hamburg, um der Kehricht- 
Verbrennung beizu wohnen. 


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224 


Die Verbrennungsanstalt befindet sich zu Bullerdeich bei Ham¬ 
burg. Der Essener Kehricht lagerte vor der Verbrennung oben 
auf dem Mauerwerk der Oefen in unmittelbarer Nähe der beiden 
Zellen, welche für die Verbrennung bereit gehalten wurden. Durch 
die Hamburger Beamten war das Gewicht des Kehrichts zu 12260 kg 
ermittelt. Der Unterschied mit dem in Essen festgestellten Ge¬ 
wicht muss Verlusten, welche durch die Ueberführung des Kehrichts 
veranlasst sind, zugeschrieben werden. Dagegen ist in Hamburg 
der Rauminhalt des Kehrichts zu 20 cbm gemessen und berechnet, 
also um 2 cbm grösser als auf dem Bahnhofe zu Essen. Diese 
grössere Masse ist zweifellos durch die Auflockerung des Kehrichts 
entstanden, welche beim Umladen aus dem Eisenbahnwagen in die 
Abfuhrwagen für den Transport nach Bullerdeich eingetreten ist. 

Die Hamburger Verbrennungsöfen sind nach dem Horsfall- 
System construirt, wie sie von der Firma Horsfall Refuse Furnace Co. 
in Leeds ausgeführt werden. Nach eingehenden Prüfungen ver¬ 
schiedener englischer Systeme ist für Hamburg dies als das zweck- 
mässigste befunden worden. 

Um 11 Uhr Vormittags begann die Verbrennung des Essener 
Kehrichts. Nachdem auf den Rosten der beiden Zellen einige 
Scheite Holz in Brand gesteckt waren, wurde ein Theil des oben 
lagernden Kehrichts durch die gemeinsame Schüttöffnung in die 
beiden Zellen auf das Holzfeuer befördert. Gleichzeitig trieb ein 
Gebläse Luft von unten durch die Roste, und sofort geriethen die 
eingeschütteten Massen in lebhaften Brand. Das Gebläse wurde 
elektrisch betrieben, und es erforderte jede Zelle eine Arbeit von 
B U bis 1 Pferdestärke. Allmählich wurden nun die beiden Zellen 
vollständig mit Kehricht angefüllt, so dass derselbe auch die Schütt¬ 
öffnung theilweise ausfüllte. Der kleinere Theil des verbrannten 
Kehrichts fiel als Asche von brauner und schwarzer Farbe durch 
die Roste; aus dem grösseren Theile bildete sich Schlacke, welche 
in bestimmten Zeitabschnitten von den Rosten abgezogen werden 
musste. Die entfernten Schlacken- und Aschenmassen wurden be¬ 
ständig durch neu eingeschütteten Kehricht ersetzt, so dass die 
Zellen dauernd gefüllt blieben. Es hatten die Zellen einige Tage 
vor der Kehricht-Verbrennung kalt gestanden; das war für den 
Betrieb ungünstig, weil nun das Ofenmauerwerk zunächst einen 
grossen Theil der entwickelten Hitze aufhehmen musste, bevor die 
gewünschte Temperatur im Ofen erreicht wurde. Diese Temperatur 
trat erst nach 12 Stunden ein; die höchste Temperatur der Abgase 
über dem Gewölbe wurde zu 600° C. ermittelt. 

Am Dienstag, den 6. August, nach Verlauf von 24 Stunden, 
war der Kehricht nahezu verbrannt. Die letzten Schlackenreate 
konnten jedoch erst Nachmittags von den Rosten gezogen werden. 


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Die vollständige Verbrennung würde zweifellos in 24 Stunden er¬ 
folgt sein, wenn die beiden Zellen nicht erst hätten angeheizt werden 
müssen. Es kann also angenommen werden, dass eine Zelle im 

12 26 

Stande ist, in 24 Stunden —= 6,13 Tons Essener Kehricht zu 

Ci 

verbrennen, und es muss dies Ergebniss als ein günstiges bezeichnet 
werden. Täglich werden in Essen 40 Karren Kehricht durch den 
städtischen Fuhrpark abgefahren. Der gesammte Kehricht ist das 
nicht; einen Theil lässt die Firma Friedr. Krupp abfahren, und im 
äusseren Stadtgebiete wird er theils auch zu landwirtschaftlichen 
Zwecken verwendet. Da 8 Karren Kehricht nach Hamburg ge¬ 
schickt waren, so würden zur Verbrennung von 40 Karren Keh- 
40 

rieht in 24 Stunden -q-- 2= 10 Zellen erforderlich sein. 

o 

Die nackte Zelle, also ohne das zugehörige Gebäude, kostete 
3000 Mk.; daher würden die erforderlichen 10 Zellen allein 30000 Mk. 
Kostenaufwand verursachen. 


Die Rückstände vom Essener Kehricht wurden gewogen und 
gemessen. Dieselben ergaben an Gewicht der Schlacken 5,103 Tons, 
der Asche 2,022 Tons. 

Das Gewichtsverhältniss der Schlacken zum Kehricht betrug also 


: = 41,6 °/o, dasjenige der Asche zum Kehricht 


- = 16,5 °/o; 


12 260 — ? ' v 5 «.vuiivui 12 260 — > i 

das Gewicht der ganzen Rückstände betrug daher rund 58 °/o vom 
Kehrichtgewicht. 

Dieser Procentsatz erscheint, verglichen mit den Ergebnissen 
der Kehrichtverbrennung in englischen Städten, hoch; in einzelnen 
Fällen soll dort eine Gewichtsverminderung bis auf 30 °/o erzielt 
werden. Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass bei dauern¬ 
dem Betriebe, also ohne gleichzeitige Anheizung der Zellen, die 
Rückstände des Essener Kehrichts ein geringeres Gewicht als das 
festgestellte ergeben haben würden. 

Die Messung ergab an Rauminhalt 

der Schlacken 7,5 cbm lose geschüttet, 

„ Asche 2,3 „ » r> 

Das Raumverhältniss Schlacke + Asche zum Kehricht war 
9 8 

also oder 49 °/o. Wenn jedoch Schlacke und Asche vermengt 


gemessen wären, so würde ein grosser Theil der letzteren die Hohl¬ 
räume der ersteren ausgefüllt haben, und man kann annehmen, dass 
das Verhältniss dann nur etwa 42 °/o betragen hätte. 

Das specifische Gewicht des Kehrichts war ermittelt zu 0,68, 
das der Schlacke ergab ebenfalls 0,68, dagegen das der Asche 0,88. 
Die Asche war zum Theil feine Flugasche von brauner Farbe und 


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zum Theil gewöhnliche schwarze Asche. Die Schlacke war porös und 
hart und enthielt kleine Glaskügelchen, welche von geschmolzenen 
Glastheilen herrührten. In Hamburg wird die Schlacke durch 
elektrisch betriebene Brechmaschinen zerkleinert und soll in Zu¬ 
kunft zu Wegebefestigungen benutzt werden. Jetzt dient sie zur 
Anschüttung einer Niederung. 

In England benutzt man die Verbrennungsrückstände ausser¬ 
dem zur Herstellung von Mörtel und Beton. Hier in Essen würden 
Schlacken und Asche zur Befestigung der nicht gepflasterten Strassen 
zweckmässig Verwendung finden können. 

Man ist in Hamburg mit den Erfolgen der Kehricht-Verbrennung 
sehr zufrieden und entschlossen, die Anlage so zu erweitern, dass 
der Kehricht des ganzen inneren Stadtgebietes verbrannt werden 
kann. 

Während in England schon seit Jahren in vielen Städten die 
Kehricht-Verbrennung mit Erfolg durchgeführt ist, hat in Deutsch¬ 
land die Stadt Hamburg zur Lösung dieser Frage zum ersten Male 
praktische Versuche in grossem Maassstabe angestellt, und dankbar 
muss es anerkannt werden, dass die Vertreter dieser Stadt in ent¬ 
gegenkommendster Weise ihre Erfahrungen und Einrichtungen an¬ 
deren Städten zur Verfügung stellen. 


Kleinere Mittheilnngen. 


*** Die vor Kurzem in der Stadtverordneten-Versammlung zu 
Berlin erörterte Frage, ob die Errichtung eines städtischen Gesund¬ 
heitsamtes in Berlin nothwendig sei oder nicht, wird auch weitere 
Kreise interessiren. Nach der „Vossischen Zeitung 4 vom 9. Mai war 
in der Versammlung nicht viel Stimmung dafür. „Dr. Langerbans 
meinte, man solle erst abwarten, ob nicht die neue Deputation flir die 
Krankenanstalten, der auch die Ueberwachung der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege anheimgegeben ist, die Aufgabe der öffentlichen Hygiene 
ganz erfüllen werde. Und Dr. Strassmann verwies darauf, dass man 
an die Schaffung eines städtischen Gesundheitsamtes so lange nicht 
werde denken können, als sich die Ausübung der Sanitätspolizei in den 
Händen der Polizei befinde. Dr. Langerhans gegenüber ist eines vor 
Allem einzuwenden. Die Aufgaben der Deputation und die eines Ge¬ 
sundheitsamtes sind durchaus verschieden. Die Deputation hat wesent¬ 
lich Aufgaben der Verwaltung zu besorgen. Ihr liegt es ob, die Ein- 


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227 


richtungen der öffentlichen Gesundheitspflege und der Krankenpflege 
auf ihr ordnungsmässiges Wirken zu überwachen und so oft notwendig 
ihre Ausgestaltung in die Wege zu leiten. Das Gesundheitsamt hin¬ 
gegen ist wesentlich eine technische Anstalt. Sie hat die Laboratoriums¬ 
arbeit im Dienste der Hygiene zu thun. Die Hauptaufgabe des Ge¬ 
sundheitsamtes wäre chemische, bakteriologische und mikroskopische 
Arbeit im Dienste der Berliner Hygiene. Die Thätigkeit des Gesundheits¬ 
amtes würde durchaus nicht die Kreise der Deputation stören. Das 
Gesundheitsamt würde vielmehr die Leistungen der Deputation fördern. 
Das Amt müsste auf die Weisung der Deputation in seiner Weise, 
durch die hygienische Prüfung und durch Versuche bei der Klärung 
hygienisch wichtiger Fragen, so oft dies der Deputation geboten er¬ 
scheint, mitwirken. Dr. Strassmann ist zuzugeben, dass bei dem Ueber- 
gange der Wohlfahrtspolizei auf die Stadt einem städtischen Gesundheits¬ 
amte reichliche Arbeit zu Theil werden wird. Aber ohne dies würde 
schon jetzt ein städtisches Gesundheitsamt über Mangel an Beschäftigung 
nicht zu klagen haben. Die gewaltigen hygienischen Einrichtungen 
Berlins erheischen seit geraumer Zeit eine grosse Summe von Unter¬ 
suchungen chemischer, bakteriologischer, hygienischer Art. Da ist zu¬ 
nächst die chemische Nahrungsmitteicontrole, für die die Kosten die 
Stadtverwaltung zu tragen hat. Dazu kommt die in regelmässigen 
Zwischenräumen vorgenommene chemische Prüfung der Rieselwässer, 
weiterhin die bakteriologische Prüfung dieser. Weiterhin ist hier die 
chemische und bakteriologische Ueberwachung der Wasserwerke an¬ 
zuführen. Alle diese Arbeiten lässt die Stadtverwaltung seit Jahren, 
eine jede für sich, von einzelnen Universitätsanstalten, wie dem chemischen 
Laboratorium des pathologischen Instituts, dem hygienischen Institut 
der Universität, oder von Privatlaboratorien und schliesslich von einigen 
Aerzten ausführen. Verlegte man alle diese Untersuchungen in ein 
städtisches Gesundheitsamt, so würde dieses schon einen Stamm von 
wissenschaftlichen Arbeitern beschäftigen können. Aber auch ein Theil 
der Kosten für das Gesundheitsamt würde durch die Summe der Ge¬ 
bühren, die jetzt gezahlt werden, gedeckt werden. Wichtiger ist, dass 
dem Gesundheitsamte in kurzer Frist noch eine Reihe neuer Aufgaben 
zufallen würden, wie die Schulhygiene, die bakteriologische Diagnose 
der Diphtherie u. A. m. Auch daran ist zu denken, dass die Berliner 
Vororte sich veranlasst sehen würden, dem Berliner Gesundheitsamte 
hygienische Arbeiten zu überweisen, die sie jetzt von Privatlaboratorien 
ausführen lassen. Wenn andere Grossstädte und selbst Mittelstädte 
hygienische Stadtlaboratorien unterhalten, so wird die Stadt Berlin 
sicher ihre Rechnung dabei finden.“ W. 


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228 


Entwurf einer Dienstordnung für die Schulärzte der Stadt 

Nürnberg. 

1. Die Schulärzte haben im Allgemeinen die Aufgabe, den könig¬ 
lichen Bezirksarzt in der gesundheitspolizeilichen Beaufsichtigung der 
städtischen Schulen wie auch der seiner Aufsicht unterstellten privaten 
Erziehungs- und Unterrichtsanstalten zu unterstützen. 

2. Sie haben die ihnen zugewiesenen Schulen allmonatlich min¬ 
destens einmal und im Bedarfsfälle auf Antrag der Inspection einzelne 
Classen wiederholt zu besuchen und hierbei auf die richtige Hand¬ 
habung aller für die Gesundheit der Kinder und Lehrer getroffenen 
Einrichtungen zu achten, vor Allem auf Erwärmung, Lüftung, Beleuch¬ 
tung und Reinigung der Räume, auf Schulbänke, Aborte, Turnsäle und 
Schulbäder. 

Allenfallsige Beschwerden und Wünsche der Lehrer und Haus¬ 
meister haben sie dabei entgegenzunehmen. 

Ueber ihre Wahrnehmungen bei diesen Besuchen wie über die 
ihnen vorgetragenen Wünsche und Beschwerden haben sie unter Be¬ 
nutzung eines gleichmässigen Formulars einen kurzen Vermerk auf¬ 
zunehmen , von welchem sie eine Abschrift dem königlichen Bezirks¬ 
arzt übermitteln, während sie das Original zu ihren Acten nehmen. 

3. Ebenso haben die Schulärzte die in ihrem Bezirke liegenden 
Kinderbewahranstalten oder Kindergärten mindestens viermal jährlich 
zu besuchen und über den Befund an den Königlichen Bezirksarzt 
zu berichten. 

4. Bei ihren Besuchen in den Schulen haben die Schulärzte die¬ 
jenigen Kinder zu untersuchen, deren Untersuchung im Interesse des 
Unterrichts wtinschenswerth ist. Diese Untersuchungen sind, soweit 
nöthig, in der Wohnung des Hausmeisters vorzunehmen. 

Ueber das Ergebniss derselben ist ein kurzer Vermerk aufzunehmen, 
welcher mit der Censurliste des betreffenden Kindes aufbewahrt wird. 

5. Die Untersuchung und Begutachtung eines Kindes ist vorzu¬ 
nehmen, 

a. wenn für ein Kind vor vollendetem 6. Lebensjahre die Aufnahme 
in die Werktagsschule gewünscht oder wenn für Schüler der 
Werktags- und Fortbildungsschule, für Schülerinnen der Werk¬ 
tags- oder der Mädchensonntagsschule mit Rücksicht auf deren 
Gesundheitsverhältnisse die Entlassung vor vollendeter Schul¬ 
pflicht beantragt wird; 

b. wenn für einzelne Kinder die Zurückstellung vom Schulbesuche 
auf ein Jahr oder die Befreiung von der Theilnahme an einzelnen 
Unterrichtsgegenständen verlangt wird; 


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229 


c. wenn für Kinder, welche an ansteckenden Krankheiten gelitten 
haben, der Nachweis zu erbringen ist, dass sie ohne Gefährdung 
der Mitschüler zum Schulbesuche wieder zugelassen werden 
können; 

d. wenn Zweifel darüber bestehen, ob Schulversäumnisse wegen 
Krankheit gerechtfertigt sind. 

Diese Untersuchungen haben nur dann einzutreten, wenn haus¬ 
ärztliche Zeugnisse nicht vorgelegt werden können, oder wenn sie von 
dem zuständigen Schulinspector besonders gefordert werden. Auf Ver¬ 
langen der Behörde müssen diese Untersuchungen im Hause des Arztes 
oder des Kindes vorgenommen werden. 

Das vom Schulärzte ausgestellte Zeugniss wird mit 
der Censurliste des betreffenden Kindes aufbewahrt. 

6. Ausser ihren regelmässigen Aufgaben haben die Schulärzte 
auch die besonderen Aufträge zu erledigen, welche ihnen vom König¬ 
lichen Bezirksarzte oder vom Magistrate ertheilt werden. 

Vor Allem haben sie bei dem Auftreten von Infectionskrankheiten 
unter den Schulkindern den Weisungen des königlichen Bezirksarztes 
zur Untersuchung der Schulkinder in den Schulen sofortige Folge zu 
leisten und die ihnen aufgetragenen Berichte schleunigst an denselben 
zu erstatten. Den regelmässigen jährlichen Umgängen der Pfleger in 
den Schulhäusern haben sie auf Einladung beizuwohnen. 

7. Es ist die Aufgabe der Schulärzte, die Beseitigung Vorgefundener 
Mängel im Einvernehmen mit den Inspectoren, Lehrern oder Haus¬ 
verwaltern zu veranlassen; ein Recht derselben, selbstständig Weisungen 
zu ertheilen oder Anordnungen zu treffen, ist ihnen nicht eingeräumt. 

Anträge oder Beschwerden ihrerseits haben sie an den könig¬ 
lichen Bezirksarzt zu richten, der dieselben dem Magistrate zur Ver- 
bescheidung und Mittheilung an die Schulbehörde übermittelt. 

8. Masserfuntersuchungen von Schulkindern zum Zwecke der 
Lösung hygienischer oder anderer wissenschaftlicher Fragen dürfen sie 
nur dann vornehmen, wenn die königliche Localschulcommission auf 
besonderes, durch den königlichen Bezirksarzt an dieselbe zu bringendes 
Ersuchen die Erlaubnis dazu ertheilt hat. 

9. Mindestens einmal in jedem Vierteljahre wird der Königliche 
Bezirksarzt mit den Schulärzten eine Besprechung abhalten, bei welcher 
Angelegenheiten und Fragen der Schulgesundheitspflege, insbesondere 
auch die von den Schulärzten im letzten Vierteljahre gemachten Wahr¬ 
nehmungen, zur Sprache kommen. 

Ueber die Gegenstände dieser Besprechung, zu welcher sämmt- 
liche Schulärzte zu erscheinen haben, wird ein Vermerk aufgenommen. 

10. Ueber ihre Thätigkeit haben die Schulärzte jeweils am Ende 
des Schuljahres an den königlichen Bezirksarzt einen Bericht zu er¬ 
statten, den dieser dem Magistrate zur Kenntnissnahme übermittelt. 


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230 


11. Ferner haben die Schulärzte über die amtlichen Vorkomm¬ 
nisse ein Tagebuch zu führen, welches sie sammt allen amtlichen 
Schriftstücken aufzubewahren haben. Sämmtliche Aktenstücke sind als 
amtliche zu erachten und daher Eigenthum des Magistrats; sie gehen 
im Falle des Rücktritts eines Schularztes auf dessen Nachfolger über. 

12. Ist ein Schularzt während des Schuljahres veranlasst, seine 
Thätigkeit vorübergehend zu unterbrechen, so bedarf es hierzu eines 
Urlaubs von Seiten des Magistrats. Das Urlaubsgesuch ist rechtzeitig 
bei dem königlichen Bezirksarzte einzureichen und wird von diesem 
mit gutachtlicher Aeusserung dem Magistrate vorgelegt. 

13. In dem Urlaubsgesuche muss angegeben sein, welcher von 
den anderen Schulärzten für die Dauer des Urlaubs die Stellvertretung 
übernimmt. 

14. Für ihre Mühewaltung erhalten die Schulärzte einen be¬ 
stimmten Jahresgehalt, der jeweils in den vom Magistrate bestimmten 
Fristen ausbezahlt wird. 

15. Die Schulärzte werden von dem Magistrate je auf 3 Jahre 
angestellt, unbeschadet der beiden Theilen jeder Zeit zustehenden drei¬ 
monatlichen Kündigung, sind jedoch nach Ablauf dieser Frist wieder 
wählbar. 

16. Der Magistrat behält sich vor, vorstehende Bestimmungen ab¬ 
zuändern oder zu erweitern. 

Zur pädagogischen Pathologie und Therapie. 

Ich habe in diesen Blättern schon mehrfach auf Bestrebungen auf¬ 
merksam gemacht, die Ergebnisse der Psychiatrie für die Ziele der 
Pädagogik zu verwerthen, um auf dem Wege der wissenschaftlichen 
Forschung zu einer besseren Erkenntniss abnormer Vorgänge in der 
Seele des Kindes zu gelangen. Wie sehr derartige Versuche unser 
Interesse in Anspruch nehmen, bedarf keiner weiteren Bestätigung, 
und ich will daher früher Gesagtes nicht nochmals wiederholen. 

Zweck dieser Zeilen ist, auf ein literarisches Unternehmen hinzu¬ 
weisen, welches diesen Bestrebungen gewidmet ist und in erster Linie 
das bisher vernachlässigte Gebiet der Psychologie des Physiologischen 
wie Pathologischen im Kindesleben bebauen soll. 

Der Schwerpunkt des Arbeitsgebietes soll in den Formen der Ab¬ 
normität liegen, die sich zwischen ausgesprochener Krankheit (Psychose, 
Idiotie, Taubstummheit, Blindheit u. s. w.) und geistiger Gesundheit 
bewegen, und es soll die innigste Fühlung angestrebt werden mit der 
Medicin und der Heilpädagogik auf der einen, wie mit der wissen¬ 
schaftlichen Pädagogik des Normalen auf der anderen Seite. 

Die neue Zeitschrift trägt den Titel: Die pädagogische Pa¬ 
thologie. Beiträge zur Heilerziehung in Haus, Schule und socialem 


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231 


Leben. Herausgegeben von J. Trüper, Director der Erziehungs- und 
Heilanstalt auf der Sophienhöhe bei Jena, Dr. med. J. L. A. Koch, 
Director der königl. Württembergischen Staatsirrenanstalt in Zwiefalten, 
Chr. Ufer, Rector der Reichenbachschulen in Altenburg, und Prof. Dr. 
theol. et phil. Zimmer, Director des Prediger-Seminars und Vorstand 
des ev. Diakonievereins in Herborn. Langensalza, H. Beyer & Söhne. 

P elman. 

** In Leipzig hat sich im vorigen Jahre eine Vereinigung zur 
Fürsorge für kranke Arbeiter gebildet, welche den Zweck hat, die in 
dem Krankenversicherungsgesetze enthaltenen Härten und Lücken durch 
Vereinsuntersttttzungen möglichst auszugleichen, z. B. beim Aufhören 
der gesetzlichen Unterstützung oder fortdauernder Krankheit, bei noth- 
wendiger UeberfÜhrung des Kranken in das Krankenhaus, bei Wöch¬ 
nerinnen etc. zu unterstützen. Der Verein ist für das Jahr 1895 schon 
in voller Thätigkeit gewesen, über welche er einen Rechenschafts¬ 
bericht ausgegeben hat. Jetzt hat derselbe eine Denkschrift über die 
Nutzbarmachung des § 12 des Invaliditäts- und Altersversicherungs- 
gesetzes, in welchem die Grundsätze bei Uebemahme des Heilverfahrens 
Seitens der Versicherungsanstalt, die Errichtung von Sanatorien, sowohl 
Heimstätten ftir Genesende, als solche für Lungenkranke, abgehandelt 
werden. Von grossem Interesse ist auch die Zusammenstellung des¬ 
jenigen, was von den deutschen Versicherungsanstalten bisher in dieser 
Hinsicht geschehen ist. Sodann hat der Verein zwei sehr empfehlens- 
werthe Flugblätter herausgegeben, welche von der hanseatischen Ver¬ 
sicherungsanstalt in Lübeck zusammengestellt sind, nämlich Rathschläge 
für Lungenkranke und Belehrung über die ersten Anzeichen beginnender 
Lungenschwindsucht und Mahnung zu deren Beachtung. Diese Flug¬ 
blätter können zur Verbreitung in allen Volksschichten, besonders in 
Arbeiterkreisen, nicht warm genug empfohlen werden. L. 

Geschichtliche Notiz über Gfthrung und Fäulniss. Aus einer 
im 1 . Hefte dieses Centralblattes 1896 befindlichen Notiz von Prof. 
C. Binz ergiebt sich, dass schon vor Pasteur (1858) verschiedene 
Autoren, wie Schwann (1836), Cagniard-Latour, Schulze, v. Dusch u. A. 
richtige Vorstellungen über die Ursachen der Gährung gehabt, ja zur 
Fernhaltung einer solchen sogar schon exacte Experimente, Filtriren 
der Luft mittelst Baumwolle u. A. augewendet haben. Doch geht auch 
diese Frage, wie so Vieles in den Naturwissenschaften, sehr viel weiter 
zurück, als man sich wohl gewöhnlich vorstellt: wenigstens finde ich 
in W. Whiston’s kürzlich mir zur Hand gekommenen Übersetzung des 
Flavius Josephus, des hochgebildeten und sehr gelehrten Geschichts¬ 
schreibers und Theilnehmers am jüdischen Kriege unter Vespasian und 
Titus, bei Schilderung der nach Jerusalem von den Römern gleichfalls 


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232 


eingenommenen und zerstörten Bergfestung Masada (VII, 8, 4) die 
folgende, hierher gehörige Stelle: „As for the fumiture that was within 
this fortress, it was still more wonderful, on account of its splendour 
and long continuance; for here was laid up corn in large quantities, 
and such as would subsist men for a long time; here was also wine 
and oil in abundance, with all kinds of pulse and dates heated up 

together. These fruits were also fresh and full ripe, no way 

inferior to such fruits newly laid in, although they were little short of 
a hundred years from the laying in these provisions by Herod, tili 
the place was token by the Romans; nay, indeed, when the Romans 
got possession of those fruits that were left, they found them not cor- 
rupted all that while: nor should we be mistaken, if we supposed that 
the air was here the cause of their enduring so long, — this fortress 
beeing so high, and so free from the mixture of all terrene 
and muddy particles of matter. Nach einer von Whiston hier 
hinzugefügten Notiz hat auch Plinius ähnliche Beobachtungen über lange 
Conservirung mancher Nahrungsmittel gemacht. 

Im Anschluss hieran sei noch auf eine ähnliche, gleichfalls bei 
Josephus befindliche Notiz, und zwar über die präservirende Einwir¬ 
kung des Honigs, hingewieseu, indem es nämlich dort (I, 9, 1) bezüg¬ 
lich eines jüdischen Parteigängers des Pompejus heisst, er habe, nach¬ 
dem er vergiftet worden, for a long while, had not so much as a burial 
vouchsafed him in bis own country; but his dead body lay above ground, 
preserved in honey, until it was sent to the Jews by Antony, in 
order to be buried in the royal sepulchres.“ Die hier in so inter¬ 
essanter Weise benutzte, eonservirendei Wirkung des Honigs beruht 
ausser auf der Gegenwart gewisser aromatischer, durchaus nicht belang¬ 
loser Bestandtheile, z. Th. natürlich auch auf der Anwesenheit der 
Ameisensäure, deren Derivat, das Formalin, ja jetzt hochmodern ge¬ 
worden ist. 

Diese Beispiele fordern uns abermals auf, der weithin rückwärts 
wie vorwärts schauenden Worte eines Leibnitz: „quand lesLatins, les 
Grecs, les Hebreux et les Arabes seront ßpuises un jour, les Chinois, 
pourvus encore d’anciens livres, se mettront sur les rangs, et fourniront 
de la matiere ä la curiosit6 de nos critiques; sans parier de quelques 
livres des Persans, des Armeniens, des Coptes et des Bramines, qu’on 
deterrera avec le temps, pour ne n^gliger aucune lumi&re que l’anti- 
quit6 pourrait donner par la tradition des doctrines et par l'histoire 
des faits“ — eingedenk zu bleiben. Dr. Ziem (Danzig). 

*** Der Polizei-Präsident von Berlin veröffentlicht auf 
Gruud des § 18 der Polizei-Verordnung, betreffend den Handel mit 
Giften vom 24. August 1895, den Wortlaut der Belehrung über 
die Gefahren bei Anwendung giftiger Ungeziefermittel: 


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283 


„1. Für Arsen und arsenhaltige Präparate, insbesondere 
Schweinfurter Grün: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Auf b ewahrang: 
Man kaufe nur geringe Mengen auf einmal und bewahre sie unter 
Verschluss fern von Nahrungs* und Genussmitteln, nie in der Küche 
auf. Gebrauch: In Schlaf- und Kinderstuben nicht verwendbar. 
Beim Ausstreuen hüte man sich vor Einathmen des Pulvers, wasche 
die Hände nach dem Gebrauch und vernichte die Reste im Behälter 
durch Feuer. Vergiftungszeichen: Choleraähnlich, Durst, Leib¬ 
schmerz, Erbrechen, Durchfall. Gegengift: 1. Brechmittel aller Art, 
Reizung des Schlundes. 2. Kalkwasser in Verbindung mit Milch und 
Eiweiss. 3. Das in jeder Apotheke vorräthige Arsengegengift. — Aerzt- 
liche Hilfe! — 

2. Für Phosp h orpillen: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Auf¬ 
bewahrung: Man kaufe nur geringe Mengen auf einmal und bewahre 
sie unter Verschluss fern von Nahrungs- und Genussmitteln, nie in der 
Küche auf. Gebrauch: Zur Vertilgung von Ratten und Mäusen lege 
man die Pillen in die Löcher. Muss man sie offen auslegen, so wähle 
man Stellen, die thunlichst für Kinder unzugänglich sind, lege nur 
Nachts aus und sammle Morgens die Reste. Nach jedem Gebrauch 
wasche man die Hände. Reste und Behälter sind in den Abort zu 
werfen. Vergiftungszeichen: Erbrechen, Durst, Leibschmerz, 
Durchfall, Ohnmacht. Das Erbrochene leuchtet im Dunkeln, und riecht 
Athemluft und Stuhl nach Knoblauch. Gegengifte: 1. Brechmittel 
aller Art, Reizung des Schlundes. 2. Altes Terpentinöl vom nächsten 
Apotheker nach dessen Vorschrift. — Aerztliche Hilfe! — Zu vermeiden : 
Ricinusöl, Milch, Oele, Fette. 

3. Für Phosphorpaste, Phosphorlatwerge, Pho sphor - 
brei: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Aufbewahrung: Man kaufe 
nur geringe Mengen auf einmal und bewahre sie unter Verschluss, 
fern von Nahrungs- und Genussmitteln, nie in der Küche auf. Ge¬ 
brauch: Der Brei ist auf Brot oder Schinkenschwarte gestrichen zur 
Vertilgung von Ratten und Mäusen in die Löcher einzubringen. Muss 
man das Gift frei auslegen, so beschränke man den Gebrauch auf die 
Nachtstunden und auf Stellen, welche für Kinder unzugänglich sind, 
und sammle am Morgen die Reste. Holzspäne, Behälter und Reste 
werfe man in den Abort. Nach jeder Hantirung mit dem Gift wasche 
man die Hände. Vergiftungszeichen: Erbrechen, Durst, Leib¬ 
schmerz, Durchfall, Ohnmacht. Das Erbrochene leuchtet im Dunkeln, 
und riecht Athemluft und Stuhl nach Knoblauch. Gegengifte: 
1. Brechmittel aller Art, Reizung des Schlundes. 2. Altes Terpentinöl 
vom nächsten Apotheker nach dessen Vorschrift. — Aerztliche Hilfe! 
— Zu vermeiden: Ricinusöl, Milch, Oele, Fette. 

4. Strychnin weizen: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Auf¬ 
bewahrung: Man kaufe nur geringe Mengen auf einmal und bewahre 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 17 


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234 


sie sorgfältig unter Verschluss, fern von Nahrungs- und Genussmitteln, 
nie in der Küche auf. Gebrauch: Der Weizen ist in die Mause¬ 
löcher zu schütten. Müssen die Körner frei ausgelegt werden, so wähle 
man Stellen, welche Kindern unzugänglich sind, lege nur Nachts aus 
und sammle am Morgen die Reste. Reste und Schachteln sind zu ver¬ 
brennen. Vergiftungszeichen: Unruhe, Ameisenkriechen, Kurz- 
athmigkeit, Schlingbeschwerden, Zucken in Armen und Beinen, Steif¬ 
heit der Glieder, Starrkrampf. Gegengifte: 1. Fortwährendes Her¬ 
umführen. 2. Der Patient soll nicht ruhen. 3. Bei Starrkrampf künst¬ 
liche Athmung. — Aerztliche Hilfe! — 

Diese Belehrung ist auf feuerrothem Papier gedruckt den Packungen 
beizugeben.“ W. 


Literaturbericht. 

Stübben, Hygiene des Städtebaues. Abdruck aus dem Handbuch der 
Hygiene, herausgegeben von Dr. Theodor Weyl. 

Vorstehendes Werk Stübben’s kann als eine hervorragende Arbeit 
auf dem Gebiet der Hygiene bezeichnet werden, welche eine vor¬ 
handene Lücke ausfüllt. Dasselbe verdient mit Rücksicht auf die hier 
behandelten, für alle Gemeinden und namentlich die grösseren Städte 
höchst wichtigen Fragen eine ausführlichere Behandlung, umsomehr, 
als die Aufgaben, welche der Verfasser dem Städtebau stellt, in den 
meisten Städten noch nicht in genügender Weise gelöst sind. Es soll 
deshalb über den Inhalt etwas eingehender berichtet werden. Die an¬ 
geregten Fragen werden in vier Abschnitten besprochen, und zwar be¬ 
trifft der erste Abschnitt den Entwurf des Städtebebauungsplanes, der 
zweite die Ausführung desselben, der dritte die Bauordnung, und der 
vierte bringt eine Zusammenstellung der für diese Fragen wichtigen 
gesetzlichen Bestimmungen und Vereinsbeschltisse. 

Im 1. Abschnitt werden die Anforderungen an den Entwurf 
des Bebauungsplanes festgelegt. Der Plan muss ausser den Bau- 
und Verkehrsbedürfnissen namentlich auch den hygienischen Rück¬ 
sichten angepasst sein und sich im Wesentlichen auf folgende Punkte 
erstrecken. Das zu bebauende Gelände muss, wenn irgend möglich, 
vollständig vor Ueberschwemmungen geschützt sein. Für solche 
Fälle, wo dies nicht möglich ist, sind bestimmte Vorschriften nach 
stattgehabter Ueberschwemmung einzelner Gebäudetheile zu erfüllen. 
Der Untergrund muss trocken und rein gehalten werden; deshalb sind 
die Strassen und Baugründe so hoch anzulegen, dass die Kellerräume 


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235 


dem Einfluss des Grundwassers entzogen, bezw. der Grundwasser¬ 
spiegel durch unterirdische Kanalisation gesenkt wird und durch 
letztere ebenfalls die flüssigen Abgänge und die Fäcalstoffe abgefUhrt 
werden. Die vom Stadtbauplane berührten und umschlossenen Wasser¬ 
läufe sind vor der Verunreinigung durch den städtischen Anbau zu 
schützen, zu welchem Zwecke die Anlage von Uferstrassen oder öffent¬ 
lichen Anpflanzungen sich empfiehlt. Die Herstellung von Wasser¬ 
läufen im Innern von Baublöcken ist zu verwerfen, und Bachläufe sind 
nur in öffentlichen Strassen oder öffentlichen Pflanzungen durchzuftihren. 
Schmutzwässer sind erst ausserhalb der Städte dem Flusse zu über¬ 
geben, und zwar in möglichst geklärtem Zustande. Eine Versorgung der 
Stadt mit gutem Wasser in ausreichender Menge zu Trink-, Koch- 
und Nutzzwecken ist unentbehrlich. Genügendes Licht muss be¬ 
schafft werden durch ausreichende Breite der Strassen und zweck¬ 
mässige Führung derselben zu den Himmelsrichtungen, sowie durch 
entsprechende Grösse und Gestalt der Baublöcke. Am besten wird 
die Gebäudehöhe nicht grösser als die Breite der Strassen angenommen; 
jedenfalls sollte die Höhe des gegenüber liegenden Gebäudes durch 
einen Winkel von 45 Grad begrenzt werden, welcher durch die 
Fenstersohlbank des Erdgeschosses des auf der anderen Seite liegenden 
Gebäudes gezogen wird. Besser ist es ja, wenn die Breite der Strassen 
grösser als die Gebäudehöhe ist. Auch eine abendliche Beleuchtung 
durch eine centrale Beschaffung des Lichtes durch Leuchtgas oder 
elektrischen Strom ist vorzusehen. Den Strassen, Baublöcken und den 
Gebäuden muss Luft in ausreichender Menge zugeführt werden, und 
muss ein genügender Luftwechsel stattfinden. Zur Erreichung dieser 
Anforderung müssen die Strassen genügend breit und nicht zu winkelig 
sein und müssen durch öffentliche Plätze und Gartenanlagen unter¬ 
brochen werden. Die Tiefe der Baublöcke muss hinsichtlich ihrer 
Zweckbestimmung richtig angeordnet und die Errichtung von Quer¬ 
oder Hintergebäuden möglichst vermieden werden. Ein nicht zu kleiner 
Theil der Baustelle soll unbebaut bleiben und die Schaffung eines 
Bauwichs neben den Gebäuden in einzelnen Stadttheilen angestrebt 
werden. Baum- und Gartenp fl an zungen sollen auf jede Weise be¬ 
günstigt und erstrebt werden. Dieselben finden Anwendung bei 
Strassen, öffentlichen Plätzen und Parkanlagen. Die Strassenbepflanzung 
kann in zwei oder mehr Baumreihen, mitunter verbunden mit Rasen¬ 
beeten, mit oder ohne Strauchgruppen oder Vorgärten, geschehen. Als 
bester, zähester Strassenbaum wird besonders die kleinblätterige Ulme 
empfohlen. Bei Verkehrs-, Architektur- und Marktplätzen tritt die 
Bepflanzung nur in bescheidenem Maasse auf, während dieselbe bei 
Gartenplätzen die Hauptsache bildet und entweder eine geschlossene 
oder offene ist. Die Parkanlagen sind entweder Parkgärten, Park¬ 
wälder oder Parkpromenaden. Erstere sollten nicht unter 5 ha Grösse 

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angelegt werden, und sollten eigentlich auf den Kopf der Bevölkerung 
2 qm Parkgarten kommen. Von 100 ha Stadtgelände sollten etwa 
35 ha auf unbepflanzte Strassen und Plätze, 10 ha auf Pflanzungen 
und 55 ha auf Baublöcke entfallen. Endlich sollten die bewohnten 
Stadtviertel vor gesundheitlich nachtheiligen und störenden Betrieben 
geschützt und in bestimmten, genau umgrenzten reinen Wohngegenden 
gewerbliche Anlagen lästiger Art überhaupt nicht zugelassen, sondern 
hierfür im Stadtbebauungsplan besondere Viertel und Gegenden vor¬ 
gesehen werden. 

Im 2. Abschnitt behandelt der Verfasser die Ausführung 
des Stadtbauplanes. Hierbei müssen thätig eingreifen der 
Staat, die Gemeinde und die Privaten. Der erstere kann vorzugs¬ 
weise durch seine gesetzgeberische, sodann aber auch durch anregende, 
unterstützende und vermittelnde Thätigkeit viel zur gedeihlichen Ge¬ 
staltung des Städtebebauungsplanes beitragen. Die Hauptaufgabe Mit 
der Gemeindeverwaltung zu, welche die gute Ausführung durch 
zweckentsprechende ortsstatutarische und polizeiliche Bestimmungen, 
Wahrung der Verkehrs-, der hygienischen und ästhetischen Interessen 
und dergl. zu sichern bat. Dem Staat und der Gemeinde fällt die 
gemeinsame Aufgabe zu, die Gemeindebezirke entsprechend abzugrenzen 
und durch Einverleibung von Vororten zu erweitern. Die Privat¬ 
personen endlich, welche als Bauherren, Bauunternehmer, Grundbesitzer 
und Stadterweiterungsunternehmer bei der Ausführung des Stadtbau¬ 
planes thätig sein können, müssen ihre Unternehmungen in einem dem 
Bedürfnisse entsprechenden Umfange in solider und rationeller Weise 
zur Ausführung bringen. Eine Beschränkung der Baufreiheit 
ist zur sachgemässen Durchführung eines solchen Planes unentbehrlich. 
Der Zeit nach darf an einer Strasse erst gebaut werden, wenn die¬ 
selbe vollendet ist. Oertlich ist jede bauliche Ausführung vor der fest¬ 
gesetzten Baufluchtlinie zu verbieten und anzustreben, dass der städtische 
Anbau nur innerhalb des vom Stadtbauplane vorgesehenen Bereichs 
gestattet wird. Hinsichtlich der Bauart sind Beschränkungen zu 
treffen, welche zum Schutze der Nachbarn, Miether und Besitzer, der 
Landesverteidigung, Feuersicherheit, Gesundheit und dergl. erforder¬ 
lich sind. Die Herstellung der Strassen und ihres Zubehörs, 
namentlich aber einer geregelten Kanalisation, muss so zeitig geschehen, 
dass das Baubedürfniss befriedigt werden kann, wobei Strassenkehricht 
oder andere faulende oder fäulnissfähige Massen zur Anschüttung des 
Strassenkörpers nicht verwendet werden dürfen. Gas-, Wasser- oder 
ähnliche Leitungen sollen möglichst in die Bürgersteige verlegt werden. 
Bei der Wahl des Materials der Stra6sendecke können gesundheitliche 
Rücksichten nicht allein maassgebend sein. Verbesserungen in 
der Altstadt sind in den meisten Städten mit Rücksicht auf das 
Anwachsen derselben und den Umstand, dass die alten Anlagen den 


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modernen Anforderungen des Verkehrs und der Gesundheit nur in 
geringem Grade entsprechen, unumgänglich und stellen grosse Anfor¬ 
derungen an den Stadtsäckel. Strassenverbreiterung durch neue Flucht- 
linienfestsetzungen, in manchen Fällen Durchführung geänderter 
Höhenlinien und selbst Strassendurchbrtiche und Beseitigung gesund¬ 
heitswidriger Wohnungen und Stadtviertel, wobei die Gemeinde mit¬ 
unter selbst als Unternehmer auftreten muss, sind unvermeidlich. Eine 
weitere Forderung, die zur erfolgreichen Ausführung des Stadtbau¬ 
planes gestellt werden muss, ist die Ausdehnung des Enteig- 
nungsrechtes auch auf die Anlage öffentlicher Pflanzungen, auf die 
Umlegung, welche eine anderweitige zweckmässige Zusammenlegung 
von Grundstücken bezweckt, die von Strassenzttgen schiefwinklig oder so 
geschnitten werden, dass sie sich zur Bebauung nicht mehr eignen, und 
endlich auf die sogenannten Grundstückszonen, wodurch es er¬ 
möglicht wird, auch ausser dem für Strassen erforderlichen Terrain 
Grundstücke, Grundstückreste und Baulichkeiten behufs Verbesserung 
gesundheitlicher und öffentlicher Interessen zu enteignen. Die Be¬ 
theiligung der Anlieger an den Kosten findet in der Regel 
nur bezüglich der eigentlichen Strassenbaukosten statt, während die 
Kosten aller Verbesserungen im Innern der Stadt und die Kosten der¬ 
jenigen Anlagen, welche nöthig sind, um das Erweiterungsgelände dem 
städtischen Anbau zu erschliessen, als Bau von Brücken, Festungs¬ 
werken, Vorfluthanlagen für die Entwässerungsanlagen und dergl., von 
der Gemeinde getragen werden. Billiger Weise müsste aber wenigstens 
ein Theil solcher Kosten von Denen übernommen werden, welche den 
Hauptvortheil gemessen. 

Der 3. Abschnitt bespricht die Bauordnung, welche, wenn 
der Stadtbauplan festgestellt ist und stückweise ausgeführt wird, die 
Art der Bebauung innerhalb der Blockgrenzen regelt. Die Bauord¬ 
nungen sind sehr verschiedenartig. Dies erklärt sich schon daher, dass 
dieselben z. Th. von den Gemeinden erlassen werden. Eine deutsche 
Reichsbauordnung wäre jedenfalls als ein Unding zu betrachten, während 
eine gewisse Vereinheitlichung der Hauptgesichtspunkte doch anzu¬ 
streben ist. Die Bauordnung ist eine verschiedene, je nachdem es sich 
um Bauten auf dem flachen Lande oder in Städten handelt, ebenso 
für kleinere und grosse Städte und für alte und neue Stadttheile. 
Nach aussen hin ist eine Abstufung der Vorschriften geboten, und soll 
bei der Aussenbebauung eine weiträumigere Bebauung angestrebt 
werden. Es ist deshalb eine Zonenbauordnung ein gesundheit¬ 
liches und wirtschaftliches Bedürfniss. Es werden nun solche Zonen¬ 
bauordnungen, welche für die Städte Berlin, Frankfurt a. M., Köln 
und Wien erlassen sind, unter Beifügung von Plänen, in welche die 
Bauzonen eingezeichnet sind, vom Verfasser speciell besprochen. Es 
handelt sich hier gewöhnlich ufn Eintheilung in 3 oder mehr Bau- 


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zonen. Besondere Bauzonen bilden gewöhnlich die alte Stadt mit ge¬ 
schlossener Bauweise, die neuen Stadtviertel mit geschlossener und 
offener Bebauung und die ländliche Bauweise. Vielfach werden auch 
besondere Viertel für Fabriken angestrebt. Einen wesentlichen Punkt 
in der Bauordnung bildet die Sicherung des Lichtes für die Bauten. 
Dasselbe müsste den Wohnungen auch im Innern der Baublöcke nach 
denselben Grundsätzen zugeführt werden, welche schon im 1. Abschnitt 
bezüglich der Lichteinführung von der Strasse besprochen sind, was 
aber an der praktischen Ausführbarkeit scheitert. Zunächst ist eine 
Grösse der Fensterflächen für die zum Aufenthalt von Menschen be¬ 
stimmten Räume vorzuschreiben, als deren Mindestmaass V 12 der 
Grundfläche des betreffenden Raumes anzunehmen ist. Sodann ist aber 
auch die Grösse des vor den Fenstern liegenden unbebauten Raumes 
festzustellen. Die meisten Bauordnungen entsprechen wohl den An¬ 
forderungen , welche hier zu stellen sind, nicht. Dieselben schreiben 
in der Regel nur die kleinste zulässige Hofgrösse bezw. den Theil des 
Grundstücks, welcher bebaut werden darf, und den kleinsten Abstand 
des Gebäudes von der Nachbargrenze oder anderen Gebäuden vor. 
Bezüglich der abendlichen Beleuchtung sind nur insoweit Bestimmungen 
aufzunehmen, als Gesundheitsgefahren durch die Zuleitungen von einer 
Centralstelle entstehen können. Auch die Bauordnung muss für ge¬ 
nügende Luftversorgung der Häuser von den Strassen und aus dem 
Innern der Baublöcke sorgen, wie dies schon im 1. Abschnitt von dem 
Bebauungsplan gefordert wurde, und namentlich die zu dichte Be¬ 
bauung verhindern. Es muss eine ausreichende Höhe der Wohnräume, 
ferner eine reichliche Flächengrösse und eine genügende Anzahl der¬ 
selben vorgeschrieben und einer zu grossen Anhäufung von Wohnungen 
in demselben Gebäude, also auch namentlich einer zu grossen Anzahl 
von Wohngeschossen, entgegengetreten werden. Es decken sich die 
Vorschriften für die Lichtbeschaffung zum Theil mit denen über Luft¬ 
versorgung. Eine Ursache der Luftverderbniss ist ferner vielfach in 
der Verlegung von Wohnungen in Kellergeschosse, in der Anwendung 
schlechter Zwischendecken, sowie in der Feuchtigkeit der Wände und 
Decken zu suchen. Die Gebäude müssen deshalb unter Umständen 
so construirt werden, dass die Feuchtigkeit von aussen in dieselben 
nicht eindringen kann; ausserdem dürfen dieselben nicht zu früh be¬ 
zogen werden. Gas- und Entwässerungsleitungen, sowie Abortanlagen 
müssen geruchlos hergestellt werden. Sodann hat die Bauordnung sich 
auch mit dem Wasser zu befassen. Die Wohnungen müssen dem 
Einfluss des Grund- und Flusswassers entzogen und mit gutem Trink- 
und Wirthschaftswasser versorgt werden. Eine nicht weniger wichtige 
Frage ist die Beseitigung der Abfallstoffe. Die festen Ab¬ 
fallstoffe, wie Kehricht und dergl., werden am besten durch städtische 
Abfuhr beseitigt. Wenn eine Kanalisation noch nicht vorhanden oder 


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das städtische Kanalnetz zur Aufnahme der Fäcalstoffe nicht geeignet 
ist, so werden letztere in wasserdichten Abortgruben anzusammeln und 
zeitweise in geruchloser Weise abzufahren oder durch Tonnensystem 
oder ähnliche Einrichtungen zu beseitigen sein. Senk- oder Versitz¬ 
gruben sind zu verwerfen. Anzustreben ist in Städten die Beseitigung 
sämmtlicher flüssigen Abgänge einschliesslich Fäcalien durch eine Kanali¬ 
sation. Es ist eine tadellose Ausführung der Hausentwässerungsanlagen zu 
verlangen. Hierbei ist bei guter Ausführung dieser Anlagen das in 
Deutschland allgemein übliche offene Lüftungssystem ohne Hauptent¬ 
wässerungsverschluss zu empfehlen bezw. vorzuschreiben, während der 
hauptsächlich in England bevorzugte Hauptentwässerungsverschluss nur 
als Nothbehelf bei mangelhaften Anlagen zu betrachten ist. Für ge¬ 
werbliche Anlagen und Ställe werden besondere Vorschriften 
nothwendig, welche Belästigungen und gesundheitliche Schädigungen 
von den Arbeitern fernhalten sollen. Auch die gesundheitliche 
Benutzung von Wohnungen und anderen Räumen bedarf der polizei¬ 
lichen Regelung durch eine Wohnordnung, welche sich nicht nur 
auf die neuen, sondern auch auf die Verbesserung bestehender älterer 
Wohnungen erstrecken soll. Es muss eine zeitweise Unbewohnbarkeit 
der Wohnungen oder einzelner Räume ausgesprochen und den Be¬ 
wohnern das fernere Bewohnen gesetzlich untersagt werden, bezw. die 
Enteignung schlechter Baulichkeiten Platz greifen können. 

Zum Schluss ist ein tabellarischer Auszug aus den Bauordnungen 
38 verschiedener Städte bezw. aus den wichtigsten Bestimmungen der¬ 
selben in übersichtlicher Weise beigefügt. 

Der 4. Abschnitt endlich bringt noch eine Zusammenstellung 
von gesetzlichen und ortsstatutarisdhen Bestimmungen und Verordnungen, 
welche in Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Frankreich, Belgien, Italien 
und der Schweiz im Interesse der Hygiene des Städtebaues erlassen 
sind, sowie von Thesen, welche nach dieser Richtung und zum Schutze 
des gesunden Wohnens von Vereinen, namentlich vom Deutschen Verein 
für öffentliche Gesundheitspflege, aufgestellt sind. 

Mäurer (Elberfeld). 

Von der Zeitschrift für soei&le Medioin, Organ zur Vertretung und För¬ 
derung der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes, herausgegeben von 
San.-Rath Dr. A. Oldendorff, Berlin, Verlag von G. Thieme-Leipzig, liegen 
uns Heft 2, 3 und 4 vor. 

Der Inhalt dieser Hefte zeigt, wie die Zeitschrift ihrem im ersten 
Prospect gegebenen Versprechen treu geblieben ist; in grösseren Ab¬ 
handlungen, in umfangreichen Schilderungen bestehender Zustände, in 
statistischen Untersuchungen hat sie eine grosse Reihe socialer Fragen 
erörtert, Zustände in den verschiedenen Culturstaaten einer ver¬ 
gleichenden Beobachtung unterzogen und das Verständniss vieler ärzt- 


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240 


lich-socialer Fragen vielseitig gefördert. Fragen des medicinischen 
Unterrichtes, des Krankenhauswesens, der socialen Stellung der Aerzte, 
der Rechten und Pflichten der Aerzte, der Mithülfe der praktischen 
Aerzte an den Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege u. s. w. 
finden hier von hervorragenden Autoren eingehende Erörterung. Eis 
kann hier nicht unsere Aufgabe sein, auf den Inhalt der einzelnen 
Artikel kritisirend einzugehen; eine kurze Inhaltsangabe möge an dieser 
Stelle genügen. Heft 2 bringt Naturheilkunde und Schulmedicin von 
Prof. Dr. F. Hüppe-Prag; die deutsche Medicinalreform von Geh. Med.- 
Rath Dr. 0. Schwartz-Köln; die gesellschaftliche Stellung der Aerzte 
in Frankreich von Dr. Max Nordau-Paris; Heft 3: Entwurf eines Ge¬ 
setzes, betreffend das Irrenwesen, von Landgerichtsrath Prof. Dr. Medem- 
Greifswald; Psychiatrie als Examensfach von Prof. Dr. Sommer-Giessen; 
Enspricht der deutsche Samariterverein nach bisheriger Erfahrung einem 
socialen Bedürfniss unserer Zeit? von Geh. Med.-Rath Dr. 0. Schwartz- 
Köln; ein statistisches Bild der medicinischen Facultät von Prof. Dr. 
A. Petersilie-Berlin; Heft 4: Zum Jubiläum des Kgl. medicinisch- 
chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts vom Herausgeber; die Rechts¬ 
verhältnisse der Curpfuscherei in Deutschland und die Bekämpfung 
ihrer Gefahren für die Gesundheit von Rechtsanwalt A. Joachim-Berlin; 
zur Vereinfachung des Reichsversicherungswesens von Dr. Ascher-Bomst. 
Alle Hefte bringen dann Kritiken und Referate verschiedener neuerer 
Werke auf dem Gebiete der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes, 
Besprechungen und Correspondenzen über die verschiedensten Tages¬ 
fragen, wie Medicinaltaxe, Kassenarztfrage, Impffrage, Apothekerwesen, 
Irrenfrage, Sanitätsdienst bei den Staatsbahnen, Reclamen, ärztliche 
Unterstützungskassen u. s. w. In besonderen Abschnitten ist der Gesetz¬ 
gebung und Rechtsprechung für alle obigen Fragen Rechnung getragen. 
Kleinere Mittheilungen, Nekrologe auf Ed. Graf, Adolf von Bardeleben 
ergänzen den reichhaltigen Inhalt. Wir wünschen der neuen Zeitschrift 
eine Verbreitung, die in verdienter Weise ihrem reichen Inhalte ent¬ 
spricht. Busch (Crefeld). 

Hecueil des travaux du oomite consultatif d’hygiene publique de 
France et des actes offlciels de l’administration sanitaire. Tome 
vingt-quatri&me, ann6e 1894. 

Der vierundzwanzigste Band dieser Jahrbücher schliesst sich so¬ 
wohl bezüglich seines Inhaltes als in Hinsicht auf Ausstattung seinen 
Vorgängern in würdiger Weise an. Das Buch bringt Vieles und Allen 
etwas. Was an dem Jahrbuch am meisten gefällt und es zu einem 
der nützlichsten macht, ist der Umstand, dass es zum grösseren Theile 
praktische Fragen und ihre Lösung bringt, hauptsächlich die Be¬ 
schreibung von Epidemieen und deren gründliche Bekämpfung, ferner 
die zweckmässigen Anlagen von Wasserleitungen u. s. w. Der Inhalt 
ist ein ebenso reichhaltiger als belehrender. Creutz (Eupen). 


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P. v. Baumgarten u. F. Boloff, Jahresbericht über Fortschritte in der 
Lehre von den pathogenen Mikroorganismen. 9. Jahrgang 1893. 1. u. 
2, Abtheilung. Braunschweig, Harald Bruhn. 

Mit dem Erscheinen der zweiten Abtheilung des Jahrgangs 1893 
ist Herr F. Roloff, der sich auch früher schon au den Berichten in 
hervorragender Weise betheiligt hat, als Mitredacteur auf dem Titelblatt 
genannt. Die Verzögerung des Abschlusses der Berichte für 1893 soll 
durch eine möglichst beschleunigte Herausgabe der Berichte für 1894 
u. 1895 wieder gut gemacht werden. Die wohlwollende Aufnahme, 
die die Jahresberichte seit ihrem Bestehen Seitens des medicinischen 
Publicums gefunden haben, dürfte dem verdienstvollen Werke auch 
fernerhin gesichert sein. Bleib treu (Köln). 

Heinrich Berger, Die Infeotionskrankheiten. Braunschweig, Vieweg 
& Sohn, 1896. 

Nachdem in einem allgemeinen Theil die bei jder Abwehr und 
Unterdrückung von Infectionskrankheiten im Allgemeinen in Betracht 
kommenden Maassnahmen in eingehender Weise erörtert worden sind, 
unterzieht im zweiten Theil der Verfasser die einzelnen Infections¬ 
krankheiten einer näheren Besprechung. Es werden hier 1) die Art 
und Weise der Ansteckung, 2) die Symptome der beginnenden und 
bestehenden Krankheit, 3) die Art und Weise der Verbreitung, 4) die 
Dauer der Ansteckungsmöglichkeit im Einzelfall kurz erörtert. Es 
folgt dann am Schluss der Besprechung der einzelnen Kapitel eine 
kurze allgemeinverständliche Belehrung über die betreffenden Infections¬ 
krankheiten. B1 e i b t r e u (Köln). 

Adolf Marcuse, Die atmosphärische Luft. Berlin, Friedländer & Sohn, 1896. 

Dieses Schriftchen enthält eine knapp gehaltene, allgemeine ver¬ 
ständliche Darstellung des Wesens und der Eigenschaften der atmo¬ 
sphärischen Luft, sowie einen Versuch, dieselbe in ihren mannigfachen 
Beziehungen zu fast allen Gebieten der Naturwissenschaften darzu¬ 
stellen. Die Arbeit behandelt in drei Abschnitten die statische, die 
dynamische und die angewandte Atmosphärologie in klarer, populärer 
Weise. Vor Allem wird gezeigt, wie eng das Wohl der Menschheit 
mit den Fortschritten der Atmosphärologie verknüpft ist. Es liegt in 
dem Fortschreiten der Atmosphärologie, wie der Verfasser in den 
Schlusssätzen sich ausdrückt, eines jener erhabenen und erhebenden 
Beispiele vor, wie Naturwissenschaft und Humanität Hand in Hand 
gehen, wie die Fortschritte der einen auch den Fortschritt der anderen 
bedeuten. B1 e i b t r e u (Köln). 


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242 


Däubler, Ueber den gegenwärtigen Stand der medicinischen Tropen- 
forsohung (Acclimatiflation nnd Physiologie des Tropenbewohners). 
Deutsche med. Wochenschr. 1896, Nr. 8 u. 9. 

Verfasser versucht es, in diesem Aufsatz durch Herausgreifen der 
hauptsächlich für die Acclimatisationsfrage in Betracht kommenden That- 
sachen und deren Besprechung an der Hand der umfangreichen 
Literatur über diesen Gegenstand die ausserordentlich grosse Ver¬ 
wirrung zu beseitigen, welche durch die vielen einander theilweise 
vollkommen widersprechenden Arbeiten zahlreicher Tropenärzte in 
diese Angelegenheit hineingekommen ist. Er bespricht eingehend die 
Orte, an welchen scheinbar eine vollständige Acclimatisation von 
Europäern an’s Tropenklima gelungen ist, und die Gründe für dieses 
scheinbare Gelingen, kommt aber auf Grund eigener Studien zu 
folgenden Schlüssen: 

1. Die Acclimatisation der weissen Rasse in Tropenländern er¬ 
scheint zufolge des gegenwärtigen Standes der Tropenforschung im 
allgemeinen nicht möglich. 

2. Die sogenannte Tropenacclimatisation wird durch die Fragen 
der Tropenhygiene verdrängt. 

3. Die Colonisation hochgelegener, geeigneter Tropengebiete durch 

weisse Ansiedler gelingt bei allmählich eintretender Vermischung der 
europäischen Bevölkerung mit Eingeborenen, frischem Nachschub aus 
Europa und unter Zuhtilfenahme einer auf das Praktische gerichteten 
Tropenhygiene. Dräer (Königsberg i. Pr.) 

Gustav Woltersdorf, Ueber feuchte Wohnungen. Greifswald, Julius 
Abel, 1896. 

Verfasser bespricht in dieser hygienisch-sanitätspolizeilichen Studie, 
wie |er seine Schrift bezeichnet, zunächst die gesundheitsschädlichen 
Einflüsse feuchter Wohnungen, die sich einmal durch die Luftverderbniss, 
sodann durch Störungen im normalen Wärmehaushalte des Organismus 
und durch Beförderung des Wachsthums pflanzlicher, gesundheitsschäd¬ 
licher Organismen offenbaren. Die folgenden Abschnitte behandeln 
dann die Ursache der Wohnungsfeuchtigkeit und ihre Verhütung, die 
Angaben, wann eine Wohnung feucht zu nennen ist, die Methoden zur 
Bestimmung der Wohnungsfähigkeit und zum Schluss die Aufgabe der 
Sanitätspolizei feuchten Wohnungen gegenüber. 

Bleibtreu (Köln). 

Stabsarzt Dr. Gerdeck, Ueber Heizung und Ventilation in Kasernen 
vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege. Deutsche militär¬ 
ärztliche Zeitschrift 1896, Heft 2 u. 3. 

Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht hat der Staat die 
Verpflichtung übernommen, dafür Sorge zu tragen, dass die Wohnungen, 


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243 


die er den ihm Dienenden als Aufenthaltsort anweist, allen hygienischen 
Forderungen soweit entsprechen, dass eine Schädigung der Gesundheit 
ausgeschlossen. Eine der schwierigsten Aufgaben in dieser Beziehung 
ist es, den Soldaten in den Kasernen stets eine gute und einwandsfreie 
Luft zur Verfügung zu stellen. Allerdings kann man durch Venti¬ 
lationseinrichtungen der Luft in einem bewohnten Baume annähernd 
die Zusammensetzung der Aussenluft geben, aber für Kasernen würde 
diese Art der Luftversorgung eine zu kostspielige werden. Die 
Schwierigkeit der Lösung dieser Aufgabe liege daher darin, einerseits 
genau abzuwägen, was unter den obwaltenden Verhältnissen Luftbe- 
dürfniss, was Luftvergeudung sei, andererseits den wirklich noth- 
wendigen Bedarf an hygienisch einwandfreier Luft möglichst wohlfeil 
zu beschaffen. Verf. giebt zunächst eine Uebersicht der einzelnen be¬ 
kannten Factoren, welche die Luft bewohnter Räume im allgemeinen 
verderben und wie diese Factoren auf die Gesundheit nachtheilig ein¬ 
wirken können. Sodann wird die natürliche Ventilation besprochen, 
indem klargelegt wird, was dieselbe zu leisten vermag und, da man 
ihr einen gewissen günstigen Einfluss nicht absprechen könne, der nur 
an Werth sehr viel verliere, da man ihre Grösse nie genau bestimmen 
könne, die Frage erwogen, ob die natürliche Ventilation für Kasernen 
ausreiche. Zu dem Behufe werden die Forderungen, welche die Gar- 
nisongebäudeordnung für Kasernenbauten aufstellt, mitgetheilt und die 
für deutsche Kasernenbauten zur Anwendung kommenden Systeme be¬ 
schrieben. Diese sind, geringe Ausnahmen abgerechnet, nach dem 
Corridorsystem gebaut und regulirt sich die natürliche Lufterneuerung 
folgendermaassen: 1. Eintreten der Aussenluft durch die freie Aussen- 
wand. 2. Eintreten verbrauchter Luft durch die Fussbödeu aus den 
unteren Stockwerken (das Undurchlässigmachen der Fussböden ist 
nicht vorgeschrieben). 3. Eintreten der Corridorluft durch die den 
Corridor begrenzende Wand, sowie durch die Corridorthtir. 4. Aus¬ 
tausch der Luft zwischen den durch Scheidewände getrennten Neben- 
wohnräumen. 5. Hereinströmen von Corridorluft durch Fugen und 
Bitzen der Thür. Die natürliche Ventilation ist also zu einem grossen 
Theil auf den Luftbezug von den Corridoren angewiesen, und diese 
Luft ist, wie Verf. nachweist, in Kasernen nicht als eine reine Luft 
zu betrachten. Verf. kommt zu dem Schlüsse, dass, selbst wenn man 
annähme, eine Kasernenstube brauche zur Beschaffung einer einwand¬ 
freien Luft nicht mehr als ein anderes Wohnzimmer, die natürliche 
Ventilation in den Kasernen nicht ausreiche, und ferner auch, dass die 
künstliche Ventilation, wie sie in den Kasernen angebracht würde, 
ihren Zweck nicht erfüllen könne. Verf. stellt die Forderung auf, 
durch feste Vorrichtungen bei einem Luftkubus von 16 cbm eine zwei¬ 
malige Lufterneuerung in der Stunde sicher zu stellen. Dies sei auf 
zwei Wegen möglich, der eine führt unter Beibehaltung der früher 


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üblichen Systeme des Kasernenbaues zur Verzichtleistung auf den An- 
theil dßr natürlichen Ventilation, der andere erstrebt die grösstmög- 
lichste Steigerung der natürlichen Ventilationscoöfficienten; der letzte 
Weg führe zum Bruch mit den bisherigen Systemen des Kasernen- 
baues — zur Decentralisation, zum Pavillon- oder Barackensystem. 
Im Weiteren werden die Erfahrungen besprochen, die man in England 
mit dem Blocksystem und in Frankreich mit dem Tollat’sehen Baracken¬ 
system gemacht hat. Wolle man bei dem System grosser centraler 
Bauten beharren, so müsse man auf die Mitwirkung der natürlichen 
Ventilation verzichten. Sodann werden die Ansprüche, die man an 
eine künstliche Ventilation stellen müsse, wie folgt, normirt: 1. Sie 
soll möglichst reine Aussenluft zuführeu. 2. Im Zusammenhang mit 
der natürlichen Ventilation die Zimmerluft zweimal in der Stunde er¬ 
neuern. 3. Sie soll die Luft mit relativer Feuchtigkeit von 50 °/o in 
Verbindung mit der Heizung liefern. 4. Sie soll gleichmässig arbeiten. 
5. Die Luftbewegung muss von der Decke gegen den Fussboden ge¬ 
richtet sein. 6. Die Bewohner dürfen durch die Anlage nicht soweit 
belästigt werden, dass sie ein stetes Unbehagen fühlen. 7. Die Anlage 
soll dem Willen des Einzelnen unzugänglich sein. Mit Recht fordert 
Verf. dazu noch die Anlage von Putzstuhen, denn was könne die beste 
Ventilation nützen, wenn durch beständiges Staubaufwirbeln die Luft 
doch nicht frei von Keimen bleibe. (Fortsetzung folgt.) 

Dr. L e n t (Trier). 

Stabsarzt Dr. Gerdeck, Ueber Heizung und Ventilation in Kasernen 
vom Standpunkt der öffentlichan Gesundheitspflege. Deutsche militär- 
ärztliche Zeitschrift 1896, Heft 4 (Fortsetzung u. Schluss). 

Im Folgenden bespricht Verfasser die Anforderungen, die an die 
Heizung in Kasernen bauten zu stellen und wie dieselben mit der 
Ventilation zu verbinden sei. Es wird eine Kaserne skizzirt, wie sie 
gebaut werden müsste, wenn man den Anforderungen der Gesundheits¬ 
pflege und dem ökonomischen Standpunkte gerecht werden wolle. Für 
den Fall, dass der Grunderwerb es zuliesse, sei das Pavillonssystem vorzu¬ 
ziehen ; es werden zweistöckige Pavillons vorgeschlagen mit zwei 
Mannschaftsstuben für je 12 Mann; Wirtschaftsgebäude, Wohnungen 
für verheiratete Unterofficiere u. s. w. müssten abgesondert werden. 
Eine centrale Heizung und Ventilation würde mit zu grossen Kosten 
in Anlage und Unterhaltung verknüpft sein, daher wird eine locale 
Ventilation und Heizung empfohlen, in der Weise, dass die verbrauchte 
Luft durch eine Ausflussöffnung dicht über dem Fussboden abge¬ 
führt, die Aussenluft durch eine Oeffnung zugeftthrt würde, die in 
einer Höhe von 2,5 m vom Fussboden anzulegen sei; diese Oeffnung 
sei so zu teilen, dass ein Theil der Luft in schräger Richtung gegen 
die Decke geleitet würde, die andere Hälfte durch ein Blechrohr 


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unter dem Fussboden des Pavillons hin zum Ofen geführt werde, von 
wo die Luft erwärmt gegen die Zimmerdecke anstiege, um von hier 
aus gleichsam als Regen sich dem Zimmer mitzutheilen. Die Regu¬ 
lirung des Lufteintrittes durch dieses Blechrohr bei starken Temperatur- 
differenzen sei einfach. Als brauchbare Oefen werden einfache eiserne 
Regulierten empfohlen. Der obere Theil der Fenster sei als Kipp¬ 
fenster einzurichten, um in der Zeit, wo nicht geheizt werde, eine 
ausreichende Lufterneuerung ermöglichen zu können. Auch ftir die 
grossen centralen Kasernenbauten nach Corridorsystem empfiehlt Ver¬ 
fasser als das Einfachste und Billigste, natürlich vorausgesetzt, dass die 
Wände und Böden für Luft undurchlässlich gemacht werden, eine 
locale Heizung und locale Ventilation, die in entsprechender Weise, 
wie oben skizzirt, anzulegen sei. Centrale Heizungs- und Ventilations¬ 
anlagen wären für Kasernen aus verschiedenen Gründen nicht em- 
pfehlenswerth. Dr. Lent (Trier). 

Gh Frank, Bemerkungen über die Systeme, städtische Abwässer zu 
klären, und Vorschläge zu einem Verfahren, Kanalwasser durch Torf 
zu flltriren. Hygienische Rundschau 1896, No. 8. 

Verfasser weist zunächst auf die Eigenschaften von Abwässern 
städtischer Kanalanlagen hin, die im Einzelnen genau gekannt und 
berücksichtigt werden müssen, wenn es sich um die Beurtheilung 
hygienisch zweckentsprechender Kanal- resp. Kläranlagen handelt. 
Von den Eigenschaften ist zunächst die anzuführen, dass die Abwässer 
sehr zahlreiche Bakterien mitführen, unter ihnen zweifelsohne auch 
pathogene Keime, welche also Infectionskrankheiten weiter verbreiten 
können. Sodann sind die Abwässer reich an organischen Substanzen, 
welche durch Bakterien in faulige Zersetzung übergeführt und durch 
höchst üble Gerüche zu einer unerträglichen Belästigung werden können. 
Dazu kommt, dass die organischen Stoffe meist in suspendirtem Zu¬ 
stande in den Abwässern enthalten sind, wodurch Veranlassung zum 
Absetzen und zur Verschlammung der Wasserläufe gegeben werden 
kann. Als vierte Eigenschaft ist zu beachten, dass die Abwässer ftir 
die Landwirthschaft werthvolle Bestandteile enthalten, die nicht ohne 
Noth weggeschwemmt werden sollten. Diese Eigenschaften müssen 
nun bei der Frage, wie man die Kanalwässer unterbringen soll, in Be¬ 
tracht gezogen werden. Es ist klar, dass das Verfahren, das meistens 
noch geübt wird, dass die Kanäle direct in die Wasserläufe geleitet 
werden, das allerschlechteste ist, da es keinen aus den obigen Eigen¬ 
schaften sich ergebenden hygienischen Anforderungen gerecht wird. 
Sehr zu empfehlen ist dagegen das Rieselsystem, wie dasselbe z. B. in 
Berlin besteht. Dasselbe hat aber den Nachtheil, dass es ausserordent¬ 
lich kostspielig ist; dasselbe kann daher nur sehr kapitalkräftigen 
Gemeinwesen zugemuthet werden. Ausserdem kommt noch hinzu, dass 


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nicht jeder Boden zu Rieselzwecken so geeignet ist, wie der in der 
Umgebung von Berlin. Das dritte Verfahren besteht darin, dass den 
Abwässern Chemikalien zugesetzt werden, erstens, um dieselben zu 
desinficiren, und zweitens um Niederschläge zu bilden. Auf diese Weise 
soll angeblich eine vollständige Klärung der Abwässer erzielt werden, 
so dass sie unbeanstandet in die Flussläufe eingelassen werden können. 
Die gebildeten Niederschläge sollen als Düngmittel Verwendung finden. 
Eine derartige Anlage bespricht der Verfasser an dem Beispiel der 
Wiesbadener Kläranlagen, denen zum Zweck der Desinfection und 
Klärung Kalkmilch zugesetzt wird. Er kommt zu dem Schluss, dass 
die Wiesbadener Anstalt, deren hauptsächlichste Mängel des Näheren 
angeführt werden, viel zu klein ist und auch nicht im Entferntesten 
die Aufgabe erfüllt, welche durch dieselbe gelöst werden soll. Sie 
beseitigt weder die Schäden der Abwässer, noch vermag sie den 
Nutzen, welchen die Abwässer besitzen (Düngwerth), wieder aus den¬ 
selben herauszuziehen. Vor Allem ist der Kalkzusatz viel zu niedrig, 
um eine wirksame Desinfection zu gewährleisten. Aehnlich fällt das 
Urtheil Uber die anderen derartigen Systeme, von denen das beste 
noch das von Roeckner-Rothe ist, aus. 

Weil nun keines der bisher bekannten Systeme genügt, so tauchen 
immer wieder neue Projecte auf. So empfiehlt Verfasser ein neues 
Verfahren der Klärung der Abwässer. Dasselbe besteht in der Fil¬ 
tration der Abwässer durch angefeuchteten, vorher vollständig 
lu ft befreiten Torf. Verfasser konnte durch Versuche im Labora¬ 
torium zeigen, dass der präparirte Torf sehr gut und gleichmässig fil- 
trirt, und dass er Bakterien in reichlicher Weise zurückhält. Die 
Versuche, in etwas grösserem Maassstabe auf der Wiesbadener Klär¬ 
anlage angestellt, haben des Weiteren ergeben: 

1. dass die Filtrationsfähigkeit des Torfes beständig genug ist, 
um einen gleichmässigen Betrieb, auch während längerer Zeit, zu er¬ 
möglichen ; 

2. dass auf dem Torf eine Masse zurückbleibt, welche einen 
hervorragenden Werth als Düngmittel besitzt. Diese Masse kann 
während mehrerer Monate im Laboratorium in offenem Gefässe auf¬ 
bewahrt werden, ohne durch Entwicklung übler Gerüche lästig zu 
werden; 

3. dass das Ablaufwasser bedeutend weniger suspendirte Bestand¬ 
teile enthält, als das Zulaufwasser, nicht mehr in stinkende Fäulniss 
übergeht, also unbeanstandet in öffentliche Wasserläufe eingelassen 
werden kann. 

Ob die Versuche sich nun in grossen Anlagen in der Praxis be¬ 
währen werden, diese Frage lässt Verfasser offen, bis die Resultate 
derartiger Versuche vorliegen. Bleibtreu (Köln). 


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Weyl, Beeinflussen die Rieselfelder die öffentliche Gesundheit P (Berl. 
klin. Wochenschr. 1896, Nr. 2.) 

In den letzten Jahren sind den Rieselfeldern mehrere Vorwürfe 
gemacht worden: 

1. Die Rieselfelder sollen einen unerträglichen Geruch verbreiten. 

2. Eine kurze Benutzung des Bodens als Rieselfeld führe zur Ver¬ 
sumpfung desselben. 

3. Die Rieselfelder stehen im dringenden Verdacht, Infectionskrank- 
heiten zu verbreiten. 

Weyl versucht nun, diese Vorwürfe einzeln zu entkräften, indem 
er auf die in der Nähe verschiedener Grossstädte schon bestehenden 
Rieselfelder hinweist, bei welchen sich ein übler Geruch in stärkerem 
Maasse nur sehr selten wahrnehmen lässt. 

Auch gegen den zweiten Vorwurf erhebt er Widerspruch, indem 
er an Bunzlau mit seinem Rieselfeld von 1559 und an Edinburg mit 
seinem nunmehr auch schon 150 Jahre alten Rieselfeld erinnert. 
Auch die in Danzig und Berlin gemachten Erfahrungen sprechen durch¬ 
aus nicht für die Annahme, dass eine Versumpfung der Rieselfelder 
eintreten müsse, wenn diese drainirt sind. 

Was nun den letzten Punkt betrifft, so ergeben statistische Er¬ 
hebungen in Frankreich und in den wenigen Städten Deutschlands, 
welche Rieselfelder besitzen, dass eine Zunahme der Sterblichkeits¬ 
ziffer bei den Bewohnern der Rieselfelder nirgend zu beobachten ist, 
ebensowenig ein stärkeres Auftreten einzelner Krankheiten, wie Typhus, 
Diphtherie, Kinderdiarrhöen u. s. w. 

Für Berlin mit seinen grossen Rieselfeldern gestalten sich die 
Verhältnisse so, dass in allen 10 Jahren von 1884 bis 1894 die 
Sterblichkeitsziffer in Berlin eine bedeutend höhere gewesen ist, als 
auf den Rieselfeldern. 

Im Verlaufe dieser 10 Jahre kamen 15 Erkrankungen und 
1 Todesfall an Typhus abdominalis auf den Rieselfeldern vor, während 
in Berlin gerade in dieser Zeit mehrfach recht umfangreiche Typhus¬ 
epidemien beobachtet wurden. 

Weyl hält demnach — und zwar mit vollem Recht (Ref.) — die 
Rieselfelder, so lange wir nicht bessere Methoden kennen, für bei 
weitem die beste Methode zur Beseitigung städtischer Abwässer. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Holz, Das Warner der Mosel und Seille bei Metz. (Archiv f. Hygiene, 

Bd. XXV, S. 309—320.) 

Metz mit einer Einwohnerzahl von rund 47 300 (ausgenommen 
die kasernirten Garnisonangehörigen) besitzt für die Beseitigung der 
flüssigen Abfallstoffe von Küche, Haus und gewerblichen Anlagen eine 


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Kanalisation, welche an verschiedenen Stellen in die Mosel und die 
Seille, einen kleinen Nebenfluss der Mosel, mündet. 

Die Fäkalien werden in Gruben gesammelt, die gut cementirt sein 
sollen, und deren Inhalt auf pneumatischem Wege entleert und auf 
die Felder der Umgegend von Metz gefahren oder mit anderen Ab¬ 
fällen zu Poudrette verarbeitet wird. 

Es gelangt aber auch ein Theil der Fäkalien, und zwar mindestens 
von Ve der sämmtlichen Häuser, in die genannten Flussläufe. 

Da nun das Abfuhrsystem ein recht mangelhaftes ist, so ist schon 
seit mehreren Jahren die Anlage einer Kanalisation beschlossen; man 
ist sich nur noch nicht darüber klar, wo man mit den Abfällen bleiben 
soll. In Frage könnte nun event. die Einleitung der Abwässer in 
die Mosel unterhalb Metz kommen, aber wohl nach vorausgegangener 
Reinigung in Klärbassins. 

Da nun mit Rücksicht auf den Stand dieser Angelegenheit eine 
vorherige Untersuchung des Moselwassers an verschiedenen Stellen 
längere Zeit hindurch recht erwünscht war, unternahm Holz es, diese 
Aufgabe zu lösen. 

Er entnahm der Mosel oberhalb, innerhalb und unterhalb Metz 
an im Ganzen 7 Stellen Proben an jedem Ersten des Monats ein Jahr 
hindurch und untersuchte dieselben regelmässig auf die suspendirten 
Stoffe, Trockenrückstand bei 180 °, Gltihrückstand, Chlor, Ammoniak, 
Salpetersäure, salpetrige Säure und organische Substanz. Viermal wurde 
noch Kalk, Magnesia und Schwefelsäure bestimmt, dreimal ausserdem 
auch die bakteriologische Untersuchung ausgeführt. 

Die in mehreren Tabellen wiedergegebenen Untersuchungsresultate 
ergaben, dass der Mosel durch die Seille nicht unbedeutende Ver¬ 
unreinigungen erwachsen, dass aber die Verunreinigungen des Wassers 
der Mosel nach dem Verlassen der Stadt Metz schon in kurzer Zeit 
sich bedeutend verringern. Dräer (Königsberg i. Pr.). 


Neumann, Ernährungsweise und Infectionskrankheiten im Säuglings¬ 
alter. (Vortrag, gehalten in der Section für Kinderheilkunde der 67. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Lübeck.) Deutsche med. 
Wochenschr. 1895, Nr. 50. 

Die Bedeutung der Ernährungsweise der Säuglinge für gewisse 
Krankheiten, im Wesentlichen für Darmkrankheiten und Rhachitis, ist 
bekannt. Für andere Krankheiten, insbesondere für Infectionskrank¬ 
heiten bestehen bezüglich des Einflusses der Ernährungsweise nur Ver¬ 
muthungen. N e u m a n n unternahm es daher auf Anregung Ehrliches, 
diese Frage einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen, und be¬ 
nutzte dazu das Material seiner Poliklinik. Es handelt sich dabei um 
eine Bevölkerungsklasse Berlins, welche Wohnungen von 1—2 Zimmern 
bewohnt, also annähernd in gleichen socialen Verhältnissen lebt. 


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249 


Die Untersuchungen wurden über Kinder im 1. und 2. Lebensjahre 
ausgedehnt. Aus der umfangreichen, durch zahlreiche Tabellen er¬ 
läuterten Arbeit seien folgende Punkte als die wichtigsten hervor¬ 
gehoben : 

1. Für den Keuchhusten lässt sich eine wesentlich geringere 
Disposition der Brustkinder gegenüber den Päppelkindern 
— wenigstens in Berlin — nicht verkennen. 

2. Bei den Masern sind die Brustkinder weniger betheiligt; 
jedoch ist auch bei ihnen der Procentsatz der Brustkinder noch 
erheblich. 

Ist diese geringere Empfänglichkeit von Brustkindern für Masern 
etwa auf eine durch die Muttermilch erworbene Immunität zurück- 
znführen? Nach den diesbezüglichen Erhebungen Neumann’s nicht, 
da gerade die Brustkinder von Müttern, welche selbst die Masern durch¬ 
gemacht haben, häufiger an Masern erkranken, als die Brustkinder 
nicht inficirt gewesener Mütter. N e u m a n n schliesst hieraus, dass 
bei Masern eine Säugungsimmunität nicht besteht. 

Ganz anders verhält es sich mit dem Keuchhusten! Hier 
findet Neumann, dass Mütter, welche keinen Keuchhusten 
durchgemacht haben, ungefähr doppelt so oft unter 
ihren keuchhustenkranken Kindern Brustkinder haben 
als solche, welche Keuchhusten tiberstanden haben. Es 
besteht also eine Keuchhusten-Säugungsimmunität. 

Was die Bedeutung der Ernährungsweise für die Prognose 
der Masern und des Keuchhustens betrifft, so konnte Neumann mit 
Hülfe des Berliner statistischen Amtes feststellen, dass die Prognose 
bei Masern und Keuchhusten für künstlich genährte Kinder eine be¬ 
deutend schlechtere ist, als für Brustkinder. Es liegt das zum Theil 
wohl an der bei Päppelkindern häufigeren Rhachitis, welche die Kinder 
aus verschiedenen Gründen widerstandsloser macht. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Keilmann, Zur Diätetik der ersten Lebenswoche. (Aus der Königl. 
Universitäts-Frauenklinik in Breslau. Deutsche med. Wochenschr. 1895, 
Nr. 21.) 

Eine grosse Zahl von Untersuchungen hat sich mit dem Körper¬ 
gewicht der Kinder in der ersten Lebenswoche beschäftigt, und mit 
Berücksichtigung der gesetzmässigen Gewichtsschwankungen lässt sich 
durch tägliche Wägungen wohl controliren, wie günstig oder un¬ 
günstig das neugeborene Kind sich dem Leben unter den neuen Ver¬ 
hältnissen anpasst, wie es nach der Geburt gedeiht. Es liegen also 
die Darmfunctionen und Emährungsverhältnisse des Kindes dem 
Interesse des Beobachters am nächsten. 

Centralblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 18 


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250 


Nachdem nun aber mehrere Untersucher ihre Beobachtungen über 
die Häufigkeit des Fiebers bei Neugeborenen mitgetheilt und die 
Beziehungen desselben zur Nabelheilung und deren Störungen 
untersucht haben, musste man diesen und noch anderen Verhältnissen 
in der ersten Lebenswoche des Neugeborenen mehr Beachtung schenken. 
Verfasser machte es sich daher zur Aufgabe, diesen Verhältnissen 
näher zu treten und kam dabei an der Hand des grossen Materials 
der Breslauer Universitäts-Frauenklinik zu folgenden Resultaten: 

Er fand, dass das Wohlbefinden der Kinder namentlich davon 
abhängig sei, wie der Nabelschnurrest behandelt werde, so dass er 
nicht dringend genug rathen kann, alles das fortzulassen, was die 
trockene Mumifikation des Nabelschnurrestes hindern oder verzögern 
kann; und hierzu gehört vor Allem das Bad in der ersten Lebens¬ 
woche, weil bei dem täglichen Baden leicht an dem Nabelschnurrest 
gezerrt und derselbe so zum vorzeitigen Abfall gebracht werden kann; 
ausserdem aber, weil durch die tägliche Durchfeuchtung desselben der 
Eintrocknungsprozess nur gestört wird. 

Die Kinder können auch ohne das tägliche Bad sauber gehalten 
werden, ja es kommen nach Einführung dieses Regime in der Breslauer 
Klinik — abgesehen, dass niemals Fieber auftritt und die Kinder 
mehr und schneller zunehmen, als die gebadeten — jetzt weniger 
häufig die beim Säugling so häufig zu beobachtenden Reizerscheinungen 
der Haut (Intertrigo und Ekzeme) auf. Verfasser empfiehlt also durch¬ 
aus den Fortfall des Bades in der ersten Lebenswoche. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Peter, Zur Aetiologie des Pemphigus neonatorum. (Nach einer Mit¬ 
theilung im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg.) Berl. 
klin. Wochenschr. 1896, Nr. 6. 

Peter konnte bei einem Fall von Pemphigus eines Neugeborenen, 
der sich bei einem Kinde entwickelt hatte, das von einer nach der 
Geburt septisch inficirten Frau gestillt war, aus dem Inhalt des 
Blasenausschlags den Staphylococcus aureus und albus sowie einen 
Diplococcus rein züchten. 

Die Untersuchung geschah im hiesigen hygienischen Institut unter 
Beihülfe des Unterzeichneten Referenten. 

Dieselben Mikroorganismen fanden sich auch im Blute des Kindes 
und ebenso in der Milch der Mutter. Peter schliesst daraus — und wohl 
mit vollem Recht —, dass die genannten Bakterien von der Mutter, wo 
sie zur Blutvergiftung geführt hatten, auf das von ihr gesäugte Kind 
übertragen worden waren, und dass dieselben bei dem Kinde den 
Blasenausschlag hervorgerufen hatten. Ferner schliesst er daraus, dass 
als Erreger des Pemphigus nicht specifische Mikroorganismen fungiren, 


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251 


sondern, dass die verschiedensten Arten im Stande sind, diese Krank¬ 
heit gelegentlich zu erzeugen, wenn sie in den Blut- und Lymphstrom 
des Kindes gelangen. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Meyer, Ueber Barlow’sche Krankheit. Sitzung der Berliner med. Ge¬ 
sellschaft am 15 Jan. 1896. (Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 4.) 

M. beschreibt vier Fälle von Barlow’scher Krankheit, die er im 
Laufe des letzten Winters zu beobachten Gelegenheit hatte. Er nimmt 
an, dass die blutbereitenden Organe zuerst erkranken, und dass durch 
die Veränderungen des Blutes die übrigen Symptome der Krankheit aus¬ 
gelöst werden. Da alle vier Fälle in der wohlhabenden Praxis unter 
günstigen äusseren Bedingungen auftraten, glaubt M. die Nahrung als 
ätiologisches Moment heranziehen zu sollen, zumal alle 4 Kinder mit 
Rieth’scher AJbumosemilch genährt wurden. 

Bei der Behandlung versagten sowohl antirhachitische wie anti¬ 
skorbutische Mittel, es dürfte nach M. wohl das beste Mittel gegen die 
Krankheit in diätetisch-hygienischen Maassnahmen bestehen. 

Die Beobachtungen Meyer’s sollen in extenso im Archiv für 
Kinderheilkunde niedergelegt werden. In diesem Centralblatt wird 
über die Barlow’sche Krankheit demnächst eine umfassendere Ueber- 
sicht vom Unterzeichneten erscheinen. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Dr. C. Hoohsinger, Gesundheitspflege dea Kindes im Elternhause. 

Leipzig und Wien 1896, bei F. Dentike. 

Verfasser giebt in seinem Werke eingehende Anleitung zu ver- 
nunftgemässer Pflege des Kindes, vornehmlich in den ersten Lebens¬ 
jahren. Er wendet sich an Eltern und Pflegerinnen, warnt vor ver¬ 
alteten Anschauungen und Vorurtheilen und schildert die mannigfachen 
Gefahren, die in Sonderheit dem Säuglingsalter drohen. 

Geeignete Ernährung, peinliche Sauberkeit und pünktliche Regel¬ 
mässigkeit bezeichnet er als Grundzüge rationeller Kinderpflege. Falls 
zu künstlicher Ernährung übergegangen werden muss, so empfiehlt er 
als einzig richtige Methode die Soxhlet’sche Milchsterilisirung. (Verfasser 
selber gründete im Jahre 1890 in Wien die erste Milchsterilisirungs- 
anstalt zum Zwecke künstlicher Kinderernährung.) 

Die Schrift giebt in ausführlicher Weise Mittel und Wege an, die 
dem ersten Lebensalter drohenden Gefahren thunlichst zu vermeiden, 
ertheilt in vielen vorkommenden Fällen praktischen Rath, verweist aber 
im Uebrigen bei Krankheitserscheinungen auf den Arzt. 

Mit Bezug auf das spätere Lebensalter des Kindes begründet der 
Verfasser die körperliche Entwicklung und Kräftigung des kindlichen 
Organismus, und ertheilt Rathschläge in Betreff der Kleidung, körper¬ 
lichen Bewegung, Wohnungsverhältnisse u. s. w. Den Infectionskrank- 

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beiten und deren Verhütung widmet er eingehende Betrachtung und 
schliesst mit einem kurzen Ueberblick, die Hygiene in der Schule und 
im Hause betreffend. L. 

Peiper und Schnaase, lieber Albuminurie nach der Schutzpocken¬ 
impfung. (Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 4.) 

In der Berl. klin. Wochenschr. 1898, Seite 674, beschrieb Perl 
einen Fall von acuter Nierenentzündung nach Schutzpockenimpfung. 
Da nun bisher über eine derartige Folgeerscheinung der Impfung 
nichts bekannt war, wohl weil dieselbe stets nur äusserst geringfügig 
war, stellte Falkenheim im Jahre 1894 ausgedehnte Urinunter¬ 
suchungen bei Erstimpflingen an, und zwar bei 187 Knaben. Von 
diesen konnte er bei 35 im Urin zeitweilig Eiweiss nachweisen. Es 
handelte sich dabei aber fast immer nur um Spuren. Diese Unter¬ 
suchungen gaben den Verfassern Veranlassung zu den ihrigen. Sie 
untersuchten den Urin von 122 Erstimpflingen, 54 Wieder¬ 
impflingen im Alter von 12—18 Jahren und 127 Militär- 
Wied erimpflingen. 

Die Kesultate der Untersuchungen sind folgende: Bei 122 Erst¬ 
impflingen mit 474 Urinproben konnte neunmal eine leichte Opalescenz 
des Urins beobachtet werden, welche als minimale Albuminurie ge¬ 
deutet wurde. In keinem Falle konnte das Bestehen einer Nieren¬ 
entzündung constatirt werden. 

Es ist nach den Verfassern keine auffällige Erscheinung, dass bei 
einem derartigen Process, wie die Schutzpockenimpfung es ist, ge¬ 
legentlich Albuminurien auftreten. Handelt es sich doch um eine, 
wenn auch leichte, Infectionskrankheit von mehrtägiger Dauer. 

Bei den Kevaccinanden waren die Albuminurien etwas häufiger 
als bei den Vaccinanden. Unter 54 Wiederimpflingen wurden 10 Fälle 
von geringer Albuminurie constatirt, also in 16,6 °/o. 

Bei den Militär-Wiederimpflingen wurde in 10,80 °/ 0 Albuminurie 
beobachtet. 

Es liegt jedenfalls nach den bisherigen Beobachtungen kein Grund 
vor, der vaccinalen Albuminurie eine besondere Bedeutung beizulegen. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Eulenburg, Zur „Schulüberbürdung“. (Deutsche med. Wochenschr. 1895, 
Nr. 43.) 

Derselbe, Noeh einmal zur „Sehulüberbürdung“. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1895, Nr. 48.) 

Eulenburg wendet sich in beiden Aufsätzen gegen die Ueber- 
bürdung der Schüler, und indem er darauf hinweist, dass noch immer 
die Mehrzahl unserer Schulpädagogen sich von den vortrefflichen 
schulhygienischen Schriften (Kraepelin, Schuschny, Griesbach) 


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253 


in keiner Weise beeinflussen lässt, führt er als ein Beispiel ftlr seine 
Behauptung die mangelhafte Zusammenstellung vieler Stundenpläne an. 
So z. B. ist die Stundenzahl im Ganzen oft eine zu grosse, die Pausen 
sind vielfach zu kurz bemessen, der allgemein verurtheilte Nachmittags* 
unterricht ist oft noch beibehalten, Turnstunden sind gleichsam als 
Erholungsstunden dicht hinter mehrstündigen geistigen Unterricht ge¬ 
setzt u. s. w. Verfasser bespricht dann noch eingehend eine treffliche 
Arbeit des Gymnasialdirectors Dr. Gustav Richter in Jena: „Unter¬ 
richt und geistige Ermüdung, eine schulm änni sch e 
Würdigung der Schrift Kraepelin’s über ge i stige Arbei t u 
(Sonderabdruck aus Lehrproben und Lehrgängen, Jahrgang 1895, 
Heft 45), in welchen Richter im Grossen und Ganzen die Ansichten 
Eulenburg’s und die der oben genannten Autoren theilt. 

Des Weiteren erörtert Eulenburg noch einen Uebelstand, der 
daraus resultirt, dass die Kinder den Weg zur Schule und zurück nach 
Hause mit einem ihre Körperkräfte oft übermässig belastenden Gepäck 
zurücklegen müssen. Verfasser hat das Gewicht der gefüllten Schul¬ 
mappe eines Gymnasialquartaners im Alter von 11—12 Jahren eine 
Woche hindurch festgestellt und dabei folgende Zahlen erhalten: 


Montag 

4200 g 

Dienstag 

4700 , 

Mittwoch 

3200 „ 

Donnerstag 

5200 „ 

Freitag 

3500 „ 

Sonnabend 

4250 „ 


Es ergiebt sich daraus ein Durchschnittsgewicht von 41 759 = 8 7 /so 
Pfund, an einzelnen Tagen aber ein Gewicht von nahezu IO 1 /« Pfund, 
also fast den fünften Theil des Körpergewichtes, das 
Kinder dieser Altersstufe durchschnittlich besitzen. 

Auf diesen Missbrauch, um den der Ordinarius jeder Klasse sich 
zu kümmern und nötigenfalls energisch einzuschreiten hätte, dürfte 
mit die erschreckend häufige Rückgratsverkrümmung zurückzuführen 
sein, sei es, dass die Kinder die Büchertasche auf dem Rücken, sei 
es, dass sie dieselbe — was noch schlimmer ist — unter dem einen 
Arme tragen. 

Zum Schlüsse wird noch eine andere recht wichtige schul- 
hygienische Frage berührt, nämlich die einer zweckmässigeren 
Gestaltung unserer Ferienordnung, namentlich einer zweck¬ 
mässigeren Festsetzung und Dauer der Sommerferien. Eulenburg 
empfiehlt dabei die Anlehnung an die in unsern deutsch-österreichischen 
Nachbarländern üblichen Einrichtungen, welche sich dort durchaus be¬ 
währt haben. Es fallen dort die grossen Sommerferien mit dem Schluss 
des Schuljahres zusammen und dauern volle zwei Monate (in der 


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Regel vom 1. Juli bis 1. September), wobei durch Regulirung der 
übrigen Ferien die gesammte Feriendauer doch nicht grösser ist. 

Die Vortheile einer derartigen Umgestaltung sind so in die Augen 
springende, dass wir hier von einer weiteren Besprechung derselben 
absehen können. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Axenfeld, Ueber eine durch Pneumokokken hervorgerufene Schul¬ 
epidemie von Conjunctivitis. (Sitzungs-Protokoll des Aerztl. Vereins zu 
Marburg vom 6. November 1895.) Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 6. 

Axenfeld hatte Gelegenheit, in Nieder-Weimar eine sog. Schul¬ 
epidemie bakteriologisch zu untersuchen, an der 25 Kinder von einer 
Gesammtzahl von 94 erkrankten. 

Bei der Untersuchung des von der Bindehaut secemirten Eiters 
konnte A. massenhaft den Fränkel* sehen Pneumokokkus nachweisen. 
Trotzdem die Thierversuche negatv ausfielen, spricht der klinische 
Verlauf der ganzen Epidemie doch für Weiterverbreitung durch 
Contact. Verfasser schliesst aber aus seinen Beobachtungen, 

1. dass Erwachsene sehr wenig empfänglich sind, die Pneumokokken- 
Conjunctivitis also in erster Linie eine Kinderkrankheit ist, 

2. dass vielleicht der bei den meisten Kindern vor der Erkrankung 
bestehende Schnupfen bei der Uebertragung von Einfluss ge¬ 
wesen ist. 

Jedenfalls befällt die Pneumokokken-Conjunctivitis nur dazu dis- 
ponirte Individuen. 

Der Verlauf der Krankheit war ein meist sehr milder. 

Die Differentialdiagnose gegenüber der Granulöse ist leicht und 
wegen der erheblich besseren Prognose von praktischer Wichtigkeit. 

Verfasser wünscht, dass in den amtlichen Listen unter der all¬ 
gemeinen Rubrik „contagiöse Augenentzündung“ eine Anzahl Unter¬ 
abtheilungen eingefügt werden möchten, mit den ihrer Entstehungs¬ 
ursache nach bekannten Formen von Bindehautentzündungen. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Dr. Viktor von Woikowsky-Lindau, Das Bewegungsspiel in der deut¬ 
schen Volkshygiene und Volkserziehung. Leipzig bei R. Voigtländer. 

Die Schrift ist ein Sonderabdruck aus dem Jahrgang 1895 der Zeit¬ 
schrift des Königl. preussischen statistischen Büreaus. Sie enthält neben 
den eingehenden, alle Theile der Bewegung zur Förderung der Jugend- 
und Volksspiele berücksichtigenden statistischen Aufnahmen der Jahre 
1891 bis 1898 eine erschöpfende Darstellung über die Bedeutung und 
die Geschichte des Bewegungsspieles, sowie eine Zusammenfassung der 
Erfahrungen, welche auf diesem Gebiete bisher gemacht sind, und die 
Bezeichnung der Richtung, in welcher sich die weiteren Bestrebungen 
bewegen müssen. Die Ausführungen sind im Ganzen wie im Einzelnen 


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ohne Einseitigkeit and dabei streng sachlich und wissenschaftlich ge¬ 
schrieben und verleihen der Schrift daher ein Anrecht auf eine wohl¬ 
wollende Beachtung bei allen gebildeten Kreisen. 

Dr. Blumberger, Stadtschulrath in Köln. 

JB. von SchenckendorfF (Mitglied des Hauses der Abgeordneten), Die Aus¬ 
gestaltung der Volksschule nach den Bedürfnissen der Gegenwart. 
Görlitz, bei P. W. Saattig. 

Das 21 Octavseiten umfassende Schriftchen ist vom Verfasser vor 
Kurzem den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses überreicht worden. 
Es soll als weiteres Begründungsmaterial für einen im Mai v. J. mit 
grosser Majorität angenommenen Antrag dienen, durch welchen der 
Unterrichtsverwaltung die Erwartung ausgesprochen wurde, dass sie der 
körperlichen und werkthätigen Ausbildung der Jugend ihre unausge¬ 
setzte und volle Aufmerksamkeit zuwenden und derselben auch durch 
vermehrte Aufwendung von Staatsmitteln eine kräftige Förderung und 
Unterstützung angedeihen lassen werde. Weiterhin soll die Abhand¬ 
lung aber auch diejenigen Gesammtforderungen an die. Volksschule um¬ 
fassen, welche sich aus dem Bedürfnisse der Gegenwart ergeben und 
vom Standpunkte der allgemeinen Interessen als begründet erscheinen. 

Ausgehend von der als allgemein zugestanden angenommenen Auf¬ 
fassung, dass die Volksschule der Gegenwart vom Leben überholt sei, 
dass sie heute das nicht mehr leiste, was unsere rasch fortgeschrittenen 
volkswirtschaftlichen und socialen Verhältnisse von ihr fordern müssten, 
verlangt der Verfasser zunächst eine Verstärkung des erziehlichen Ein¬ 
flusses der Volksschule durch kräftigere Weckung des idealen, vater¬ 
ländischen und religiösen Sinnes und durch Erziehung zu einem 
strengeren sittlichen Charakter. Durch zweckmässige Ausgestaltung des 
Unterrichts soll die Schule ferner der Jugend mehr bewahrende Kräfte 
mit ins Leben geben, was dyrch die Pflege des Jugendspieles, des 
Haushaltungs- und des Handfertigkeitsunterrichtes zu erreichen sei. 
Endlich aber soll die Schule ihre Zöglinge mit den Verhältnissen des 
socialen Lebens, wenn auch in elementarster Form, vertraut machen 
und durch diesen Gesammtausbau den heutzutage ganz unvermittelten 
Uebergang ins praktische bürgerliche Leben nicht nur vorbereiten, 
sondern gewissermaassen selbst vollziehen. 

Man sieht hieraus, dass von SchenckendorfF sein früheres Programm 
wieder um ein ganz neues Gebiet erweitert hat. Neben der Körper¬ 
pflege und Werkthätigkeit verlangt er allgemein eine reichhaltigere Er¬ 
ziehung und ausserdem Belehrung über staatliche und volkswirtschaft¬ 
liche Einrichtungen und Verhältnisse. Dem gegenüber fragt der 
Pädagoge nicht mit Unrecht: Was soll denn an dem alten Lehrstoff 
gestrichen werden, um Raum für alle diese neuen Dinge zu gewinnen? 
Oder soll die oft genug beklagte Ueberbtirdung der Jugend, deren 


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Milderung zu Gunsten der körperlichen Gesundheit ja gerade den Aus¬ 
gangspunkt der von SchenckendorfP sehen Bestrebungen gebildet hat, 
jetzt sogar noch vermehrt werden? Zwar erklärt der Verfasser selbst 
seine Forderungen, soweit sie Uber den Kähmen des erwähnten Be¬ 
schlusses des Abgeordnetenhauses hinausgehen, noch nicht für spruch¬ 
reif. Allein die Gedanken sind in so schlichter und ansprechender und 
daher für den Laien überzeugender Form dargestellt, dass besonders 
vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aller Grund vorhanden ist, 
der Sache eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, damit nicht 
neben dem wirklich Guten der Volksschule ein Ballast aufgenöthigt 
werde, der die geistige Ueberbürdung nur noch erhöht. 

Dr. Blumberger, Stadtschulrath zu Köln. 

Basenau, üeber die Ausscheidung von Bakterien durch die thatige 
Milchdrüse und über die sogen, baktericiden Eigenschaften der Milch. 
(Archiv für Hygiene XXIII. Bd., 1. Heft, S. 44—86.) 

Zur experimentellen Erforschung dieser ungemein wichtigen Frage 
stellte B. Thierversuche an. Er benutzte zur Infection den von ihm 
entdeckten Bacillus bovis morbificans (cf. Archiv für Hyg. XX. Bd., 
Referat im vorigen Jahrgang). Er gelangte zu folgenden Resultaten: 

1) Der Bacillus bovis morbificans lässt sich bei Meerschweinchen 
nach intraperitonealer Injection innerhalb 45 Minuten und nach sub- 
cutaner Injection in einer Stunde im Blute in grösseren Mengen nach- 
weisen. Bei der Ziege und der Kuh war seine Anwesenheit im Blute 
innerhalb der ersten 24 Stunden nach intraperitonealer Injection festzu¬ 
stellen. Die Anzahl der Bakterien im Blute nimmt mit der Schwere 
der Erkrankung zu. 

2) Der Bacillus bovis morbificans wird durch die thätige Milch¬ 
drüse in bedeutenden Mengen ausgeschieden, die grösser sind, als die 
zu gleicher Zeit in einem gleich grossen Volumen Blut enthaltenen. 
Die Ausscheidung der Bakterien erfolgt aber erst längere Zeit nach 
ihrem ersten Erscheinen im Blute und erst dann, wenn bereits schwere 
Krankheitssymptome sich offenbaren. Die Menge der ausgeschiedenen 
Bakterien wird grösser, je mehr das Ende des Thieres herannaht. 

3) Die Milchdrüse ist nicht als ein Organ aufzufassen, dessen 
sich der Körper als ein Abwehrmittel bedient, um in den Säftestrom 
gerathene, pathogene Keime so schnell wie möglich zu entfernen. 

4) Frische, steril aufgefangene Kuhmilch besitzt gegenüber dem 
Bacillus bovis morbificans keine baktericiden Eigenschaften, und ver¬ 
halten sich die Bakterien in ihr nicht wesentlich anders als in Löffler¬ 
scher Bouillon. 

Vom hygienischen Standpunkt aus erscheint die Thatsache einer 
massenhaften Ausscheidung pathogener Bakterien mit der Milch von 
grosser Bedeutung. Allerdings wird die Gefahr der Uebertragbarkeit 


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/ 


der infectiösen Keime durch die Milch derartig erkrankter Kühe auf 
Mensch und Thier dadurch mehr oder weniger eingeschränkt, dass 
wohl in vielen Fällen die Milch solcher Kühe nicht in den Handel 
gebracht wird, besonders, dass die Milchsecretion bei schwerer Er¬ 
krankung stark abnimmt. Jedenfalls ist aber die Möglichkeit der 
Uebertragung vorhanden, und die Gefahr wird grösser, wenn derartig 
inficirte Milch bei grösseren Viehständen mit anderer guter Milch zu¬ 
sammengegossen und diese Mischmilch dann in den Handel gebracht 
wird. Neben der grösseren Verbreitung der Krankheitserreger fällt 
hier nämlich vor Allem schwer ins Gewicht, dass diese Bakterien sich 
noch bei einer Temperatur von 8—9° vermehren können. 

Um die von Seiten dieser Bakterien drohenden Gesundheits¬ 
schädigungen zu vermeiden, muss die Milch vor dem Consum gekocht 
werden. Dr. Mastbaum (Köln). 


Ebstein, Einige Mittheilungen über die durch das Maul- und Klauen¬ 
seuchengift beim Menschen veranlassten Krankheitserscheinungen. 
(Nach einem in der Göttinger medicinischen Gesellschaft am 9. Januar 1896 
gehaltenen Vortrage.) Deutsche med. Wochenschr. 1896» Nr. 9 u. 10. 

Während eine Reihe von Krankheiten, welche durch contagiöse 
Thiergifte hervorgerufen werden, schon seit langer Zeit ein lebhaftes 
Interesse erregte, welches sich unter dem Einflüsse der Bakteriologie 
wesentlich vertieft hat, ist die Lehre von den durch das Maul- und 
Klauenseuchengift veranlassten Krankheitserscheinungen im allgemeinen 
immer stiefmütterlich behandelt worden, und zwar mit Unrecht, da 
gerade hier die in Betracht kommenden theoretischen Fragen noch 
lange nicht beantwortet sind. Verfasser theilt daher seine Wahr¬ 
nehmungen über diese auf den Menschen übertragene Thierkrankheit 
an der Hand einer Reihe von Krankengeschichten mit. 

Eine Beschreibung derselben gehört nicht hierher; wir wollen uns 
daher mit der kurzen Wiedergabe der vom Verfasser aus seinen Be¬ 
obachtungen gezogenen Schlüsse begnügen. 

Durch die Maul- und Klauenseuche der Hausthiere können nach 
einer gewissen (8—4tägigen) Incubationsdauer nach der Infection mit 
dem betreffenden Gift gewisse Krankheitserscheinungen von grösserer 
oder geringerer Schwere veranlasst werden, indem — abgesehen von all¬ 
gemeinen — in der Mund- und Rachenhöhle sowie auf der Haut 
localisirte Störungen auftreteij. 

Da der Krankheitserreger'der Maul- und Klauenseuche der Haus¬ 
thiere unbekannt ist, so können bei der Vielgestaltigkeit der Krankheits¬ 
symptome beim Menschen leicht diagnostische Schwierigkeiten ent¬ 
stehen, wenn man es unterlässt, der Entstehungsursache (Verkehr mit 
kranken Thieren, Genuss der von ihnen gelieferten Milch in un- 


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gekochtem Zustande und der aus ihrer Milch gewonnenen Produkte — 
Butter und Käse) nachzugehen. 

Obwohl die Krankheitserscheinungen im allgemeinen keine sehr 
schweren und langdauernden zu sein pflegen und der Ausgang in Ge¬ 
nesung der gewöhnliche ist, so verdienen die durch das Maul- und 
Klauenseuchengift hervorgerufenen Krankheiten doch die volle Be¬ 
achtung, und abgesehen von dem Verbot des Verkaufs der von kranken 
Thieren gewonnenen Milch, Hesse sich wohl auch der Infection mit 
Milchprodukten aus der Milch dieser Thiere begegnen. 

Die Uebertragungsgefahr ist dann am grössten, wenn der Euter 
der Kühe mit erkrankte. Die Milch solcher Kühe dürfte nicht zum 
Verkauf und nicht zur Production von Butter und Käse gelangen. 

Die Milch leichter kranker Thiere müsste wenigstens vor dem 
Genuss gut abgekocht werden, was zur Unschädlichmachung des Giftes 
genügt. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Carl Günther und Hans Thierfelder, Bakteriologieehe und chemische 
Untersuchungen über die spontane Milchgerinnung. Archiv für Hygiene, 
1895, Bd. XXV, Heft 2. 

Aus den Resultaten vorliegender Arbeit seien hier folgende mit- 
getheilt: 

In den untersuchten Proben spontan sauer gewordener Milch fand 
sich constant eine, und zwar nur eine bestimmte Bakterienart, welche, 
in sterile Milch geimpft, dieselbe unter starker Säuerung zur Ge¬ 
rinnung bringt. « 

Die Bakterienart stellt kleine (1,0 /u. lange, 0,5—0,6 dicke), an 
den Enden meist lanzettförmig zugespitzte Stäbchen ohne Eigenbewegung 
dar, die meist zu zweien verbunden sind, aber auch in kleinen Ketten 
angeordnet Vorkommen, hie und da auch haufenartige Conglomerate 
bilden. 

Sporenbildung wurde nicht beobachtet. Die Stäbchen färben sich 
nach der Gram’sehen Methode. 

Die Stäbchen lassen sich auf künstlichem Nährboden, und zwar 
unter aäroben Bedingungen ebenso wie unter anaöroben, züchten; sie 
wachsen am besten bei ca. 28° C., bei 37° C. etwas weniger gut, bei 
21—24° C. noch weniger gut. 

Auf dem gewöhnlichen, zuckerfreien Nährboden ist das Wachs¬ 
thum weniger gut als auf zuckerhaltigem. 

Die Nährgelatine wird nicht verflüssigt. Auf der gewöhnlichen, 
zuckerfreien Nährgelatine entstehen weisse, mikroskopisch punktförmig 
erscheinende, bei oberflächlichem Wachsthum über die Gelatineober¬ 
fläche prominirende Colonien, deren Durchmesser 0,5 mm fast nie 
überschreitet. Auf Traubenzucker- oder Milchzucker - Gelatineplatten 
werden die Colonien gewöhnlich etwas grösser. — 


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Auf der Agaroberfläche bilden sich zarte, durchsichtige Beläge, 
welche wie aus feinsten Thautröpfchen gebildet erscheinen. 

Gewöhnliche, zuckerfreie Nährbouillon wird nur ganz mässig durch 
die Entwicklung der eingesäten Bakterien getrübt; die chemische 
Reaction wird nicht verändert. In traubenzucker- oder milchzucker¬ 
haltiger Bouillon ist das Wachsthum dagegen ein sehr rapides; es 
findet hier intensive Trübung der Culturflüssigkeit unter starker 
Säuerung statt. 

Bei der Cultur in Gährungskölbchen mit Traubenzuckerbouillon 
oder mit Milchzuckerbouillon findet keine Gasentwicklung statt. 

In eiweissfreier (zuckerhaltiger) Nährlösung scheint sich die Bak¬ 
terienart nicht entwickeln zu können. 

Eine 8 Minuten dauernde Erhitzung auf 60° C. scheint diejenige 
Beeinflussung durch Hitze zu sein, bei der die Bakterien ernstlich ge¬ 
schädigt zu werden beginnen, die in den Culturen in Milch producirte 
Säure ist in allen Fällen reine Rechtsmilchsäure, während bei spontan 
geronnener Milch gewöhnlich inactive Milchsäure oder eine Mischung 
von inactiver und Rechtsmilchsäure, und nur in sehr seltenen Fällen 
reine Rechtsmilchsäure sich findet. 

Der charakterisirte Organismus ist höchst wahrscheinlich mit dem 
Lister’ sehen Bacterium lactis und dem Hüppe 1 sehen Bacillus acidi lactici 
identisch. Bleib treu (Köln). 

Milroy, Die Gerinnung der AlbuminetofFe des Fleisches beim Erhitsen. 

Archiv für Hygiene, Bd. 25, 2. Heft 

Milroy hat in dieser Arbeit die Menge der coagulirten und nicht 
coagulirten Albuminstoffe in Feischsorten, welche in verschiedener 
Weise zubereitet resp. auf bestimmte Temperaturen erhitzt wurden, 
quantitativ zu bestimmen versucht. Er suchte zu ermitteln, wie viel 
von den gesammten Albuminstoffen in einigen Fleischsorten uncoagulirt 
bleiben, nachdem das Fleisch eine bestimmte Zeit auf bestimmte Tem¬ 
peraturen erhitzt worden ist. 

Er wandte dabei folgendes Verfahren an: 

Von ungefähr einem halben Pfund fettfreien und fein zerhackten 
Fleisch werden ca. 100 g auf zehn Portionen vertheilt und in kleine 
Bechergläser gebracht. Neun dieser kleinen Bechergläser werden in 
grösseren, halb mit Wasser gefällten Gefässen auf dem Wasserbade 
eine Stunde auf die bestimmten Temperaturen (50 °—100°) erhitzt. 
Das zehnte Becherglas wurde in der gleichen Weise im Autoclaven 
bi6 auf 120 0 erwärmt. Nach dem Abktihlen wurde das Fleisch mit 
50 ccm löproc. NHiCl-Lösung digerirt, hierauf filtrirt und das ge¬ 
messene Filtrat bis zum Sieden erhitzt. Nach dem Abkühlen wurde 
durch ein gewogenes Filter filtrirt, der Niederschlag zur Entfernung 
des NH 4 CI mit Wasser und zum Schlüsse mit Alkohol und Aether ge- 


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waschen. Hierauf wird Filter und Niederschlag zuerst bei niedriger 
Temperatur, später bei 115 0 bis zur Gewichtsconstanz getrocknet. 
Durch dieses Verfahren erhält man die Menge der nicht coagulirten, 
in NH 4 CI löslichen Albuminstoffe. 

Ein Theil von dem frischen Fleisch wurde ohne vorhergehendes 
Erhitzen mit NHiCl extrahirt und, wie oben angegeben, weiter be¬ 
handelt, um festzustellen, wie viel aus demselben von dem HN 4 CI 
extrahirt werden konnte. 

Bei drei verschiedenen Sorten von Rindfleisch ergab sich z. B. 
als Resultat: 

1. bei 50° sind 40—50 °/o der durch NH 4 CI extrahirbaren Eiweiss¬ 
stoffe coagulirt; 

2. bei 60° sind 65—70% derselben Eiweissstoffe coagulirt; 

3. bei 70° ca. 90°/o; 

4. bei 80° ca. 98—99°/o; 

5. bei 90 0 und 100 0 sind alle durch NH 4 CI extrahirbaren Eiweiss¬ 
stoffe coagulirt; 

6. bei 120° sind auch 100% derselben coagulirt. 

Beim Erhitzen unter Druck wurden die coagulirten Eiweissstoffe 
nicht wieder gelöst. 

Die Untersuchungen erstrecken sich ferner auf Schinken, ein¬ 
gesalzenes Rindfleisch, gebratenes Rindfleisch (auf deutsche und englische 
Weise), essigsaures Rindfleisch und Kalbshirn. 

Bleibtreu (Köln). 

W. Hartenstein, Zur Behandlung finnige^ Thiere. Zeitschrift für Fleisch- 
und Milchhygiene, 1896, Heft 4. 

Durch eine Verordnung des sächsischen Ministeriums ist es in 
Sachsen neuerdings gestattet worden, dass in Fällen, wo lediglich das Vor¬ 
handensein einer Finne nachgewiesen ist, das Fleisch solcher Schlacht- 
thiere auf der Freibank in rohem Zustande, aber unter Angabe des Be¬ 
fundes und mit dem Hinweise, dass dasselbe vor dem Genüsse gut zu 
durchkochen sei, verkauft werden darf. Voraussetzung ist natürlich, dass 
bei genauer Durchmusterung von Schnitten durch die inneren und äusseren 
Kaumuskeln bei Rindern, nach sorgfältiger Untersuchung des Herzens 
und der Muskelschnittflächen, welche bei der Theilung des Thieres in 
vier Viertel entstehen, sowie bei Schweinen bei genauester Besichtigung 
ausser der einen weitere Finnen nicht gefunden werden. Dieses weniger 
rigoröse Verfahren hält Hartenstein auch vom hygienischen Standpunkte 
fllr hinreichend unter der Voraussetzung, dass bei Errichtung der Frei¬ 
bank folgende Bestimmungen getroffen werden: 

1. Personen, welche gewerbsmässig Fleischwaaren gegen Bezahlung 
an andere Leute abgeben (Fleischer, Restaurateure, Inhaber von 
Pensionaten etc.) dürfen kein Fleisch auf der Freibank kaufen. 


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Dieses Verbot wird um so besser wirken, je kleiner der be¬ 
treffende Ort ist. Dasselbe wird wesentlich unterstützt durch die 
weitere Bestimmung, 

2. dass das Fleisch nur in kleinen Portionen (nicht über 2 kg) ver¬ 
kauft werden darf, und 
8 . dass der Verkauf genügend controlirt wird. 

Bleibtreu (Köln). 

Rissling, Nachweis von Finnen in gehacktem Fleisch und in Wurst. 
Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, Heft 4, 1896. 

Auf Grund der Eigenschaft der Finnen, schwerer zu sein als 
magerstes Fleisch, führt Rissling die Isolirung der Finnen durch folgen¬ 
des Verfahren herbei: Man bereitet aus Aetznatron, Pottasche oder 
einem anderen leicht löslichen Alkali eine Lauge von ca. 1,15 spec. 
Gew. = 19° Beaum6e. Dieselbe wird, nachdem sie sich möglichst 
wasserhell geklärt hat, in ein genügend breites und, wenn es sein kann, 
nach unten zugespitztes GlasgefÜss (von 1 — 4 Liter Inhalt) gegossen. 

Hierauf wird die zu untersuchende, fein gehackte Fleisch- oder 
Wurstmasse, unter Beigabe einer geringen Menge Lauge, möglichst ohne 
Quetschen, zu einem gleichmässigen dünnen Brei verrührt und dann der 
bereiteten Lauge zugefügt 

Nach einigem Umrühren sondern sich die vorhandenen Finnen so¬ 
fort nach unten ab. 

Der Nachweis, dass die Finnen einer dem Menschen schädlichen 
Tänienart angehören, ist hierauf durch das Mikroskop ohne Mühe zu 
erbringen. Bleibtreu (Köln). 

Oatertag, Zum Nachweis des Finnentodes. Zeitschrift für Fleisch- und 
Milchhygiene, 1896, Heft 4. 

Zur Feststellung, ob Finnen unverkennbare Lebenserscheinungen 
zeigen oder abgestorben sind, bedient sich Ostertag des von Perroncito 
angegebenen thermo-mikroskopischen Untersuchungsverfahrens. Perron¬ 
cito bediente sich nämlich zur Demonstration von Bewegungen der Finne 
des Schulze’sehen Wärmetischchens. Ostertag empfiehlt als noch zweck- 
mässigeren Apparat den für jedes Mikroskop passenden Thermostaten 
nach Nuttal (vorräthig bei der Firma Altmann, Berlin, Luisenstr. 52). 
Ostertag wünscht, dass in Schlachthäusern mit Kühlanlage möglichst 
zahlreiche thermo-mikroskopische Untersuchungen von Finnen aus 
Fleisch, welches im Kühlhause mindestens 14 Tage aufbewahrt war, 
angestellt werden, damit die volkswirthschaftlich ungemein wichtige 
Frage der Abtödtung der Rinderfinnen durch Aufbewahrung des Fleisches 
im Kühlhause schnell vollends zur Entscheidung gebracht werde. 

Bleibtreu (Köln). 


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Oatert&g, Ueber die Verwerthung des Fleisches finniger Rinder. Zeit¬ 
schrift für Fleisch- und Milchhygiene, 1896, Heft 4. 

Uebereinstimraend wird in den letzten Jahren der Kochzwang ftlr 
das finnige Rindfleisch als eine sehr harte Maassregel bezeichnet, weil 
gekochtes finniges Rindfleisch — im Gegensatz zu Schweinefleisch — 
nur schwer und an manchen Orten gar keine Abnahme findet, sondern 
auf der Freibank verfault. Der Kochzwang bedeutet stets eine starke Ent- 
werthung des finnigen Rindfleisches, zum Theil kommt er der völligen 
Vernichtung gleich. Da nun die Verbreitung der Rinderfinne eine sehr 
ausgedehnte ist und trotz unregelmässiger Untersuchung die Statistik 
schon eine sehr beträchtliche Höhe erreicht, so ist die Frage be¬ 
rechtigt, ob nicht ein weniger rigoröses Verfahren möglich ist, zumal 
da in sanitätspolizeilicher Beurtheilung zwischen Rinder- und Schweine¬ 
finne ein fundamentaler Unterschied besteht, indem nur die letztere 
durch Uebertragung auf den Menschen indirect Finnen im Gehirn und 
Auge zur Entwicklung bringen kann, während die Rinderfinne nur eine 
reparable Belästigung des Consumenten hervorruft. Jedenfalls müsste 
für das sogenannte einfinnige Fleisch von Rindern eine Milderung der 
gesetzlichen Bestimmungen eintreten. 

Es fragt sich nun, gibt es Mittel, das finnige Rindfleisch in einer 
den Anforderungen der Gesundheitspflege und den wirthschaftlichen 
Interessen gleichmässig genügenden Weise zu verwerthen. 

Ausser der Anwendung höherer Temparaturen hat sich nun ergeben, 
dass zunächst auch die Pökelung praktisch zur Unschädlichmachung 
finnigen Rindfleisches benutzt werden kann, unter Beachtung: 

1. der Zerlegung des Fleisches in nicht zu dicke Stücke (1 bis zu 6 cm 
Dicke) und des Uebergiessens mit der gewöhnlichen Salzlake, oder 
der Verwendung beliebig dicker Stücke und Einspritzen der Lake 
in das Innere der Fleischstücke vermittelst der sog. Lakespritze, 
und Aufbewahrung in Lake; 

2. des Verkaufs des Fleisches, nachdem es 14 Tage unter behörd¬ 
lichem Verschluss in der Pökellake gelegen hat. 

Da gepökeltes Rindfleisch nun fast nur gekocht genossen wird, so 
schliesst die vorgängige Pökelung den privaten Kochzwang ein. Ein 
ferneres Mittel zur Abtödtung der Finnen glaubt nun Ostertag ferner in 
der Einwirkung der niedrigen Temperaturen im Kühlhause gefunden 
zu haben. Nach seinen bisherigen Versuchen, die sich auf Be¬ 
obachtungen Perroncito’s stützen, genügt 14 tägige Aufbewahrung finnigen 
Fleisches im Kühlhause, um den Finnentod herbeizuführen und das 
finnige Fleisch unschädlich zu machen. Damit wäre allerdings ein 
ideales Mittel zur unschädlichen und möglichst nutzbringenden Ver- 
werthuug des Fleisches finniger Rinder gegeben. 

Bleib treu (Köln). 


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Max Jo lies und Ferdinand Winkler, Bakteriologische Studien über 

Margarine und Margarinproduote. Zeitschrift für Hygiene, 1895, Bd. XX, 

Heft 1. 

Lafar hatte in einer Abhandlung über das bakteriologische Ver¬ 
halten der Naturbutter nachgewiesen, dass der Bakteriengehalt der¬ 
selben ein ausserordentlich hoher ist, indem 1 g Natur butter im Mittel 
10—20 Millionen Keime enthält. Jolles und Winkler dehnten diese 
Untersuchungen nun auch auf die Surrogate der Naturbutter, vor Allem 
auf die Kunstbutter, bezw. auf den Grundbestandtheil derselben, das 
Oleomargarin, aus. Neben den Resultaten der bakteriologischen Unter¬ 
suchung enthält die Arbeit als Einleitung eine kurze Uebersicht über 
die Fabrikation von Margarin, Margarinbutter und Margarinschmalz. 
Die Verfasser gelangen zu folgenden Schlusssätzen: 

1. Im Vergleiche zur Naturbutter ist der Bakteriengehalt des Mar- 
garins und der Margarinproducte ziemlich gering. 

2. Der Keimgehalt der Margarinproducte ist viel grösser als der 
Keimgehalt des Margarins, 

3. Während der Fabrikation des Margarins nimmt der Bakterien¬ 
gehalt ab ^ im Premier jus ist er höher als im Oleomargarin. 

4. Der Bakteriengehalt des Margarinschmalzes ist niedriger als der 
Keimgehalt der Margarinbutter. 

5. Der Keimgehalt des Margarins nimmt mit dem Alter des Mar¬ 
garins stetig zu, und zwar an der Oberfläche in höherem Grade 
als im Innern. 

6 . Der Vertalgungsprocess des Margarins steht mit der Vermehrung 
der Bakterien im Zusammenhänge. Das Ansteigen des Bakterien¬ 
gehaltes ist dem Fortschritte des Vertalgungsprocesses proportional. 

7. Bei den Margarineproducten kommt der Kälte ein wesentlich 
bakterientödtender Einfluss zu, der sich bei dem Margarinschmalze 
in noch grösserem Maassstabe äussert als bei der Margarinbutter. 

8 . Die Aussenpartien des Margarins erweisen sich bakterienreicher, 
die Aussfenpartien der Margarinproducte bakterienärmer als die 
entsprechenden Innenpartien. 

9. Mit der relativen Bakterienarmuth an den Aussenpartien der 
Margarinproducte geht ein Reichthum an Schimmelpilzen einher. 

10. Von kranken Thieren herstammendes oder auf andere Weise 
verdorbenes Rohfett darf bei der Margarinfabrikation keine Ver¬ 
wendung Anden. 

11. Die Verwendung centrifugirter Milch und möglichst keimfreien 
Wassers als Zusatz zum Oleomargarin vor der Verbutterung sind 
geeignet, den Keimgehalt in der Margarinbutter herabzudrücken. 

12« Pathogene Bakterien sind weder in dem Margarin noch in den 
Margar inproducten nach zuweisen; die besonders auf den Nach- 


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264 


weis von Tuberkelbacillen gerichteten Untersuchungen sind 
sämmtlich negativ ausgefallen. 

13. Die Vorgefundenen Bakterienarten gehören sämmtlich den Sapro- 
phyten an; sie stammen theilweise aus der Luft und dem Wasser, 
theilweise aus der zugesetzten Milch oder der zugesetzten Natur¬ 
butter. 

14. In dem Margarin finden sich zwei als Margarinbacillus a und ß 
bezeichnete, bisher noch nicht identificirte, nicht pathogene Bak¬ 
terienarten vor, welche bei der Zunahme des Vertalgungsprocesses 
in grösserer Menge angetroffen werden; sie stehen wahrscheinlich 
mit diesem Processe in causalem Zusammenhänge. 

15. Unter den aus der Margarinbutter isolirten Organismen sind vier 

bisher nicht beschrieben; sie haben die Bezeichnungen Diplo- 
coccus capsulatus margarineus, Bacillus viscosus margarineus, Ba¬ 
cillus rhizopodicus margarineus und Bacillus rosaceus margarineus 
erhalten. Bleibtreu (Köln). 

Wilhelm Bode, Das Wirthshaus im Kampfe gegen den Trunk. Hildes¬ 
heim 1895. 

Dr. Bode, der Geschäftsführer des Deutschen Vereins gegen den 
Missbrauch geistiger Getränke, wendet sich in erster Linie an die 
Wirthe, und weist mit Nachdruck auf die bedeutsame Rolle hin, die 
grade sie im Kampfe gegen den Trunk zu spielen im Stande seien, 
und zwar bei vollkommener Wahrung ihrer eigenen berechtigten Inter¬ 
essen. Vorbedingung hierzu sei freilich das Aufhören der bisherigen, viel¬ 
fach ganz systemlosen, jedenfalls viel zu weitgehenden Concessionirung 
und des daraus hervorgehenden wilden Concurrenzkampfes. Es würde 
dann den Wirthen gelingen können, sich von der Abhängigkeit von den 
Grossbrauereien zu befreien und aufzuhören, wie häufig jetzt, blosse 
Agenten des Bier- und Spirituosengeschäftes zu sein. Der Ausfall 
werde durch grösseren Consum der nichtalkoholischen Getränke — die 
natürlich weit sorgfältiger als bisher zu behandeln seien —, vor allem 
aber durch Einführung eines Platzgeldes für Gäste, die überhaupt 
nichts zu verzehren wünschten, zu decken sein. Auf diese Weise wird 
es, wie Code hofft, selbst wenn die Einführung des Gothenburger 
Systems sich einstweilen nicht ermöglichen lässt, gelingen, unsere 
Wirthshäuser aus blossen Trinkstuben zu Erholungsstätten im weitesten 
und besten Sinne des Wortes allmählich umzubilden. 

Liebmann (Köln). 


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265 


Verzeichntes der hei der Redaction eingegangenen nenen 

Bücher etc. 

Ambrosius, Dr. W., Die Aufgaben der Flussreinhaltung und deren Erfüllung 
vom hygienischen und sanitätspolizeilichen Standpunkte. (Sonderabdruck 
aus der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 
XXVIII. Band, 2. Heft.) Braunschweig 1896. Friedrich Vieweg & Sohn. 

Baas, Dr. med. Karl, Die semiotische Bedeutung der Pupillenstörungen. 
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheil¬ 
kunde. I. Band, 3. Heft.) 8°. 32 S. Halle a./S. 1896. Karl Marhold. 
Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 
1 Mk. 

Beschreibung der Nordseebäder Sylt, Westerland und Wenning¬ 
stedt, herausgegeben von der Seebade-Direction. Kl. 8°. 95 S. Wester¬ 
land, Fr. Bossberg. 

Flaischlen, Dr. N., Der gegenwärtige Stand der Betroflexionstherapie. 
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Frauenheil¬ 
kunde und Geburtshilfe, I. Band, 3. Heft.) 8°. 35 S. Halle aJS. 1896. 
Karl Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. Einzel¬ 
preis dieses Heftes 1,20 Mk. 

Förster, Dr. A., Die preussische Gebührenordnung für approbirte Aerzte 
und Zahnärzte vom 15. Mai 1896. Mit Einleitung, Anmerkungen und 
Sachregister. Nebst einem Anhang: Der ärztliche Gebührenanspruch und 
seine gerichtliche Geltendmachung. Kl. 8°. 80 S. Berlin 1896. Bichard 
Schoetz. Preis 1,50 Mk. 

Hagedorn, Dr. Max, Ueber Beziehungen von Allgemein-Krankheiten, sowie 
von Nasen- und Halsleiden zum Gehörorgane. (Sammlung zwangloser 
Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Hals- 
krankheiten. I. Band, 10. Heft.) 8°. 32 S. Halle a./S. 1896. Karl 

Marhold. Abonnementspreis für 1 Band — 12 Hefte 12 Mark. Einzelpreis 
dieses Heftes 1 Mk. 

Heinrich, Fr. Aug., Homöopath Dr. med. Volbeding und die Seinen. Ein 
Beitrag zur Cultur- und Sittengeschichte unserer Zeit 8°. 80 S. Leipzig 
1896. Commissionsverlag von E. O. Jahn. Preis 50 Pf. 

Hess, J. und Mehl er, Dr. med., Anleitung zur ersten Hilfeleistung bei 
plötzlichen Unfällen. Für Jedermann verständlich und von Jedermann 
ausführbar. 26 Abbildungen. Kl. 8°. 93 S. Frankfurt a./M. H. Bechhold. 
Preis 1 Mk. 

H o c h e , Privatdocent Dr., Die Frühdiagnose der progressiven Paralyse. 
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und 
Geisteskrankheiten, I. Band, Heft 1.) 8°. 44 S. Halle a./S. 1896. Karl 
Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. Einzelpreis 
dieses Heftes 1,50 Mk. 

Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. V. Jahrg. 1896* Herausgeg. 
von E. v. Schenckendorff und Dr. med. F. A. Schmidt 8°. 314 S. 
Leipzig 1896. B. Voigtländer’s Verlag. 

Jaquet, Dr. A., Die Stellungnahme des Arztes zur Abstinenzfrage. Nach 
einer von der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft des Cantons Bern 
mit einem Preise bedachten Arbeit. 8°. 67 S. Basel 1896. Benno 

Schwabe. Preis 1,20 Mk. 

Cantralblatt f. allg. Gwundheitspflage. XV. Jahrg« 19 


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266 


Müll er-Thurgau, Prof. Dr. H., Die Herstellung unvergorener und alkohol¬ 
freier Obst- und Traubenweine. Kl. 8°. 31 S. Frauenfeld 1896. J. Huber. 
Preis 65 Pf. 

Pi stör, Dr. M., Das Gesundheitswesen- in Preussen nach deutschem Reichs¬ 
und preussischem Landrecht. Bd. I, Abth. 2/3. 8°. Berlin 1896. Richard 
Schoetz. Preis 24 Mk. 

Rumpel, Dr. Theodor, Pathologisch-anatomische Tafeln nach frischen Prä¬ 
paraten mit erläuterndem anatomisch-klinischen Text. Unter Mitwirkung 
von Prof. Dr. Alfred Käst. (Aus den Hamburger Staatskrankenhäusem.) 
Gross-Folio. Lieferung XHL Wandsbeck-Hamburg, Kunstanstalt (vorm. 
Gustav W. Seitz), Act.-Ges. Im Abonnement 4 Mk. pro Lieferung. Ein¬ 
zelne Tafeln 1,50 Mk. 

Schmidt-Monnard, Dr., Ueber die zweckmässige Ernährung junger Kinder. 
8 °. 18 S. Berlin 1896. Elwin Staude. Preis 30 Pf. 

Scholz, Dr. Friedrich, Ueber Reform der Irrenpflege. 8°. 77 S. Leipzig 
1896. Eduard Heinrich Mayer. Preis 1,50 Mk. 

Sch ul gesundheitslehre. Das Schulhaus und das Unterrichtswesen vom 
hygienischen Standpunkte für Aerzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte und 
Architekten. Bearbeitet von Dr. H. Eulenberg und Dr. Theod. Bach. 
Liefg. 2. Zweite, umgearbeitete und erweiterte Auflage. 8°. Berlin 1896. 
J. J. Heine’s Verlag. Preis 1 Mk. 

Sitzungsberichte der physikalisch-medicinischen Gesellschaft 
zu Würzburg. Herausgegeben von der Redactions-Commission der Ge¬ 
sellschaft: Prof. Dr. O. Schultze, Prof. Dr. W. Reubold, Privatdocent 
Dr. Paul Reichel. Jahrgang 1895. Würzburg 1896. Stahersche Hof- 
und Universitäts-Buchhandlung. Preis pro Jahrgang 4 Mk. 

The Journal of experimental medicine. Voi. I, No. 2. April 1896. 
New-York, D. Appleton and Company. 

Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft 
zu Würzburg. Herausgegeben von der Redactions-Commission der Ge¬ 
sellschaft: Prof. Dr. O. Schultze, Prof. Dr. W. Reubold, Privatdocent 
Dr. P. Reichel. Neue Folge. XXIX. Band 1895. Mit 5 Tafeln und 
8 Textabbildungen. Würzburg 1896. Stahel’sche Hof- und Universitäts- 
Buchhandlung. Preis pro Band (Jahrgang) 14 Mk. 

Woltersdorf, Dr. Gerhard, Ueber feuchte Wohnungen. Eine hygienisch- 
sanitäcspolizeiliche Studie. 8°. 79 S. Greifewald 1896. Julius Abel. 

Preis 2 Mk. 

Die Verlagshandlung. 


Berichtigung. 

Bchloekow, Der preussisehe Physikus. 

In der Besprechung des Buches ist der Irrthum unterlaufen, dass der 
2. Band „Gerichtliche Medicin“ von Dr. Leppmann bearbeitet sei. Es ist 
nur die II. Abtheilung „Gerichtliche Psychiatrie“ von Dr. Leppmann be¬ 
arbeitet, während die I. Abtheilung „Gerichtliche Medicin“ im Speciellen von 
Dr. Roth verfasst ist. Dr. Longard (Köln). 


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Sanatorium Hohenhonnef im Siebengebirge. 

Entstehung, Einrichtung, Heilverfahren. 

Von 

Dr. med. Ernst Meissen, dirigirendem Arzte. 

(Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Vereins der Aerzte des 
Regierungsbezirks Köln zu Hohenhonnef am 9. Mai 1896.) 

(Mit 1 Abbildung.) 


I. Entstehung. 

Die wirksame Anregung zur Begründung einer Heilanstalt für 
Lungenkranke im Siebengebirge bei Honnef ging von dem im 
Frühjahr 1895 an den Folgen der Grippe verstorbenen Herrn 
Geheimen Regierungsrath August Bredt und dessen Familie aus. 
Honnef und seine Umgebung, das „rheinische Nizza“, erfreut sich 
seit Jahrzehnten eines gewissen Rufes als Kurort und entsprechenden 
Besuches von Brustkranken und Erholungsbedürftigen. Auch ist 
die Wahl dieses Ortes für ein Sanatorium beispielsweise bereits von 
dem verstorbenen Geheimrath Professor Dr. med. Rühle in Bonn 
ausdrücklich befürwortet worden. Es bestand sogar der phan¬ 
tastische Plan eines Deutsch-Amerikaners, der für viele Millionen 
ein ungeheures Glashaus mit künstlicher Lüftung und Heizung, mit 
Gartenanlagen und allem Zubehör erbauen wollte, in der Meinung, 
damit etwas besonders Zweckentsprechendes zu schaffen. Der Ge¬ 
danke der Errichtung eines Sanatoriums im modernen Sinne gehört 
aber unbedingt Herrn Geheimrath Bredt, dem früheren Ober¬ 
bürgermeister von Barmen, der sich nach Niederlegung seines 
Amtes in Honnef angekauft und dort eine neue Heimath begründet 
hatte. Er war ein edler Mann von seltenem Gemeinsinne, der sich 
um viele gemeinnützige Zwecke grosse Verdienste erworben hat, 
und nicht nur in seiner bergisch-rheinischen Heimath, sondern als 
Mitglied des Herrenhauses auch in weiteren Kreisen einen wohl- 

Centrmlblfttt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jafcrg. 20 


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268 


bekannten, hochgeachteten Namen besass. Die Familie hatte das 
Unglück, einen erwachsenen Sohn, den Dr. jur. Adolf Bredt, an 
einem schweren Lungenleiden erkranken zu sehen. Herrn Dr. Bredt 
lernte ich als Patienten in Falkenstein kennen, wo ich damals-als 
H. Arzt neben Herrn Geheimrath Dr. med. Dettweiler angestellt 
war. Auch er interessirte sich mit grossem Verständnisse für die 
Frage der Sanatorien, und da ich selbst den lebhaften Wunsch 
hatte, meine Erfahrungen als Anstaltsarzt in einer selbständigen 
Stellung zu verwerthen, so trat ich bald zu der Familie Bredt in 
nähere Beziehungen mit der ausgesprochenen Absicht, nach dem 
Vorbilde von Falkenstein und mit Benutzung der Erfahrungen an 
den älteren Anstalten bei Honnef eine neue Heilanstalt für Lungen¬ 
leidende zu begründen, welche alle Einrichtungen für den Kur¬ 
gebrauch während des ganzen Jahres in möglichst vollkommener 
Weise darbieten sollte. 

Im Sommer 1889 brachte das Centralblatt für Allgemeine 
Gesundheitspflege eine Abhandlung von mir: „Betrachtungen über 
eine neue Heilanstalt für Lungenleidende“, in welcher die Grund¬ 
erfordernisse und die Aussichten einer solchen Anlage erörtert 
wurden. Die Durchführung der gestellten Aufgabe zeigte sich weit 
schwieriger als es anfänglich schien, und ohne die unermüdliche, 
hingebende Thätigkeit des Herrn Geheimraths Bredt wäre sie 
schwerlich gelöst worden. Derselbe hat trotz hohen Alters weder 
Mühe noch Opfer gescheut, um unsere Pläne der Verwirklichung 
näher zu bringen, und war mir und allen anderen Mitarbeitern bis 
zuletzt ein Vorbild und Ansporn selbstlosen, arbeitsfreudigen Schaffens. 
Die Vollendung und den beginnenden Betrieb des Unternehmens 
hat er noch erlebt ; das Aufblühen des grossen Werkes zu sehen, 
dem er den Abend seines Lebens in rastlosem Bemühen gewidmet 
hat, war ihm leider nicht mehr vergönnt. Sein Andenken wird 
uns Allen unvergesslich sein. 

Wir gewannen zu einem „Aufrufe“, welcher die Ausführung der 
Anstalt in weiten Kreisen befürworten sollte, eine Reihe von Unter¬ 
schriften namhafter Aerzte, darunter unsere ersten Autoritäten, sowie 
sonstiger hervorrragender Persönlichkeiten, und gingen dann an die 
Beschaffung der erforderlichen Geldmittel, welche in Form von 
Actienzeichnungen aufgebracht wurden. Ausdauernder, zum Theil 
recht mühevoller und nicht immer angenehmer Arbeit gelang es, 
in verhältnissmässig kurzer Zeit ein Actienkapital bis zur Höhe von 
800 000 Mk. aufzubringen. Nicht nur unser Rheinland, sondern 
ganz Deutschland und sogar das Ausland haben beigesteuert; über¬ 
all fanden sich dank ausgedehnter Beziehungen Freunde und Gönner 
des ideal gedachten Unternehmens. Es wurden gezeichnet aus 
Barmen 86 000 Mk., aus Bonn 59 000 Mk., aus Elberfeld 47 000 Mk., 


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aus Düsseldorf 31 000 Mk., aus Honnef 67 000 Mk., aus Koblenz 
7000 Mk., aus Köln 99 000 Mk., aus Königswinter 10 000 Mk., 
aus Krefeld 32 000 Mk., aus Trier 6000 Mk., aus kleineren rheinisch- 
westfelischen Städten 132 000 Mk., ferner aus Berlin 114 000 Mk., 
aus Frankfurt a. M. 19 000 Mk., aus Hamburg 22 000 Mk., aus 
Leipzig 64000 Mk., aus dem übrigen Deutschland 40 000 Mk., 
endlich aus dem Ausland (Amsterdam, Antwerpen, London, Paris) 
12 000 Mk. Die Gesammtzahl der Zeichner beträgt über 200. Zu 
diesem Actienkapital von 801000 Mk. treten noch 400 000 Mk. 
hypothekarisches Darlehen der Rheinischen Provinzialbank, so dass 
wir für den Bau eine Summe von 1 200 000 Mk. zur Verfügung 
hatten. 

Gleichzeitig gewannen wir in der Person des Architekten 
F. Pfeiffer aus Leipzig einen tüchtigen Baumeister, der die Er¬ 
fordernisse einer Lungenheilanstalt als ehemaliger Patient in Falken¬ 
stein aus eigener Erfahrung genau kennen gelernt hatte und sich 
dem Werke mit hingebender Schaffensfreude widmete. Unter den 
übrigen Mitarbeitern bei der Schöpfung von Hohenhonnef sind 
ausserdem zu nennen die Herren A. de Boischevalier aus Düssel¬ 
dorf, Carl Cahn aus Bonn, Jul. Haarhaus aus Honnef, Dr. jun 
K. Mayer aus Köln, A. vom Rath aus Köln, Reg.-Rath P. Schubart 
aus Berlin, Herrn. Seyd aus Elberfeld, W. v. Siemens aus Berlin, 
später W. Weyermann aus Hagerhof bei Honnef und C. Steinmüller 
aus Gummersbach. Die Mehrzahl dieser Herren gehört auch zur 
Zeit noch dem Aufsichtsrathe des Unternehmens an. 

Durch das Zusammenwirken so vieler Kräfte kam die Ent¬ 
wickelung des Unternehmens in raschen Fluss. Wir konnten bereits 
im Mai 1891 den Grundstein legen, und im October 1892 die fer¬ 
tige Anstalt beziehen. Während der Bauzeit hatten wir in Honnef 
in einer dazu geeigneten Villa — es ist dieselbe, welche in diesem 
Frühjahr die Königin von Schweden bewohnte — im April 1891 
eine provisorische kleine Anstalt eröffnet, welche sich von Anfang 
an sehr guten Gedeihens zu erfreuen hatte und uns manche nütz¬ 
liche Erfahrung für den Betrieb der grossen Anstalt einbrachte. 

Ganz glatt ging die Entwickelung von Hohenhonnef nach der 
Eröffnung freilich nicht. Es war gerade eine Zeit weniger gün¬ 
stiger Stimmung für die Sanatorien, da die Entdeckung des Tuber¬ 
kulins Hoffnungen auf raschere Bekämpfung der Krankheit in ganz 
ausserordentlicher Weise erweckt hatte. Wenn auch der Misserfolg 
des Mittels bald klar wurde, so glaubten doch manche Aerzte, dass 
es verbessert werden könne, und dass dann alle übrigen Massnahmen, 
die bisher gegen die Tuberkulose in Anwendung gebracht wurden, 
so gut wie überflüssig sein würden. Bei einer noch grösseren Zahl 
machte sich nach dem Tuberkulinrausche eine pessimistische 

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270 


Stimmung geltend, welche die Möglichkeit eines wirksamen Ein¬ 
greifens bei der Tuberkulose überhaupt leugnete. Ausserdem hatten 
wir manches Vorurtheil zu überwinden, wie es allem Neuen ent¬ 
gegentritt. Namentlich heftete man uns die Behauptung fast un¬ 
erschwinglich hoher Kosten des Aufenthaltes in Hohenhonnef an, 
ganz ohne Grund, da die Preise in Hohenhonnef sogar absolut 
billiger sind, als diejenigen mancher ähnlicher Anstalten, welche 
die Vollkommenheit der Einrichtungen unseres Sanatoriums keines¬ 
wegs erreichen. Endlich blieben auch uns die Anfangsschwierig¬ 
keiten, die Kinderkrankheiten jedes grossen Unternehmens nicht 
erspart, die aus Unerfahrenheit in der Handhabung eines so aus¬ 
gedehnten Betriebes hervorgehenden und nicht zu vermeidenden 
Missgriffe namentlich in wirthschaftlicher Hinsicht, die erst durch 
die Erfahrung ausgeglichen werden können. 

Aber alle diese Schwierigkeiten sind glücklich überwunden 
worden und haben nicht gehindert, dass Hohenhonnef sich ver- 
hältnissmässig sehr rasch entwickelt hat und bereits jetzt nach 
kaum dreijährigem Bestehen sich so lebhaften Besuches erfreut, 
dass Erweiterungsbauten in Aussicht genommen werden mussten 
und zum Theil bereits ausgefithrt sind. Nicht nur aus dem In¬ 
lande, sondern auch aus dem Auslande sind immer zahlreichere 
Gäste zu uns gekommen, besonders aus den Nachbarländern Belgien 
und Holland, desgleichen aus Dänemark und Schweden, Russland, 
selbst aus Frankreich, England, Amerika, so dass wir ständig eine 
sehr beträchtliche ausländische Kolonie haben, die oft über ein 
Viertel unserer Gäste beträgt. 

II. Einrichtung. 

Wir wollten in Hohenhonnef eine Heilstätte für Lungenleidende 
schaffen, welche allen Anforderungen der Wissenschaft wie der 
Bequemlichkeit der Patienten für den Aufenthalt während des 
ganzen Jahres nach Möglichkeit entsprechen sollte, ohne den immer¬ 
hin unerfreulichen Eindruck eines Krankenhauses hervorzurufen. 
Nach den bisherigen Erfahrungen glauben wir annehmen zu dürfen, 
dass dieses Ziel in allem Wesentlichen erreicht ist. Jeder Besucher, 
darunter eine grosse Anzahl von Ärzten und Sachverständigen aus 
dem In- und Auslande, lobt die prächtige Lage und die schönen 
Einrichtungen des rheinischen Sanatoriums. Unsere Gäste fühlen 
sich wohl in dem für sie geschaffenen behaglichen Comfort. Dies 
weist der steigende Besuch und die Thatsache, dass viele Patienten 
wiederholt nach Hohenhonnef kommen, sei es, dass die Krankheit 
eine Fortsetzung oder Wiederaufnahme der Kur nöthig macht, sei 
es zu vorübergehender Erholung. Ueberhaupt gestaltet sich das 


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271 


• Anst&ltsleben, das Zusammensein vieler Kranker unter bestimmt 
geregelter Lebensweise wesentlich anders wie der Aussen stehende 
meist geneigt ist anzunehmen. Die feste Ordnung im Thun und 
Lassen legt doch nur solche Beschränkungen auf, deren Nothwendig- 
keit für den Kurzweck und Kurerfolg leicht einzusehen ist. Es bleibt 
immer auch Raum für gesellige Fröhlichkeit, welche in richtigem 
Maasse recht wohl geeignet ist, auch ftir die Gesundheit nützlich 
zu wirken. So gestaltet sich das Anstaltsleben für die Kranken so 
angenehm wie es unter ähnlichen Verhältnissen nur möglich ist. 

Einwendungen wegen angeblicher Infectionsgefahr in Folge des 
Zusammenseins vieler Kranken in einer Anstalt sind wissenschaftlich 
gänzlich hinfällig. Die hygienische Ueberwachung des Verhaltens 
der Patienten im Allgemeinen und die Beseitigung bezw. Unschädlich¬ 
machung der Auswurfstoffe, welche doch allein die Träger des 
Krankheitsgiftes sind, im Besonderen kann nirgend leichter und 
sicherer geschehen als in einer geschlossenen Anstalt. Darüber ist 
ebenso wenig Zweifel, wie dass solchen grundsätzlichen Forderungen 
in einem Sanatorium, welches diesen Namen verdient, in jeder 
Hinsicht genügt wird. An einem Orte mit den Einrichtungen und der 
hygienischen Sorgfalt wie in Hohenhonnef ist Ansteckung nicht wohl 
denkbar, sicher aber niemals beobachtet worden. Es wäre nur zu 
wünschen, dass diese hygienische Sorgfalt auf diejenigen Oertlich- 
keiten ausgedehnt und übertragen würde, wo am ehesten eine An¬ 
steckungsmöglichkeit gegeben ist, wo sie aber meist gar nicht be¬ 
achtet wird: Wartesäle, Eisenbahn, Pferdebahn, Wirthshaus, Concert- 
säle, Theater u. dgl. 

Hohenhonnef liegt am Südwestabhange des Siebengebirges 
ganz ftir sich inmitten eines an 40 Hektar oder 160 Morgen grossen 
eigenen Waldgebietes, Nadel- und Laubholz in meist gemischtem 
Bestände. In Folge der landesüblichen, forstmässig abscheulichen 
Behandlung ist verhältnissmässig wenig Hochwald vorhanden, zumal 
das Gebiet von einer sehr grossen Zahl einzelner kleiner Besitzer 
erworben werden musste. Aber gerade durch den gemischten 
Bestand der verschiedenen Bäume wirkt unser Wald ungemein 
freundlich durch sein mannigfaches Grün und hat auch keinen 
Mangel an prächtigen schattigen Plätzen. Sorgfältiger Pflege und 
richtiger Behandlung wird er sich dankbar erweisen, so dass wir 
im Laufe der Jahre zeigen werden, dass auch auf unserem Berge 
schöner Hochwald gedeiht. 

Das gesammte Areal ist durch eigens für die Kurzwecke mit 
Rücksicht auf bequeme Steigung, Windschutz und Schatten an¬ 
gelegte, bereits viele Kilometer lange Wege überall zugänglich 
gemacht. Die Wege schliessen überall unmittelbar an die Anstalt 
an und eröffnen die mannigfaltigsten Ausblicke in die durch den 


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272 


Wechsel von Thal und Gebirge besonders reizvolle Landschaft* ^ 
Sie verbinden sich gleich mit den Wegen des romantischen Sieben¬ 
gebirges, das mit seinen lieblichen Thälern und Höhen wie über¬ 
haupt die ganze herrliche Gegend auf beiden Ufern des Rheins für 
den Kräftigem eine Mannigfaltigkeit von Spazierwegen und Aus¬ 
flügen bietet, die kaum irgendwo erreicht wird. Die vom Ver¬ 
schönerungsverein ftir das Siebengebirge neuerbaute prächtige 
Fahrstrasse zur Löwenburg, der zweithöchsten Kuppe des 
Gebirges, in der Anregung und in der Beschaffung der erforder¬ 
lichen Geldmittel hauptsächlich ein Werk des verstorbenen Dr. jur. 
Ad. Bredt, schliesst gleich von der Anstalt aus das gesammte Strassen- 
netz des Gebirges auch für Wagen und Schlitten auf. 

Die Baufläche der Anstalt liegt 236 m über Meer, 158 m über 
dem Rhein bei Honnef. Nach dem Gebirge zu steigt das Gelände 
rasch auf und erreicht Höhen von 4 — 500 m. Den Baugrund 
bilden Felsbildungen der unterdevonischen Formation, die auf dem 
Anstaltsgebiete stellenweise basaltische Durchbrüche zeigt. Die 
steile Schichtung des Gesteins bietet den Vortheil eines raschen 
Verschwindens der Tage Wässer, so dass unsere Wege stets trocken 
bleiben. Der Baugrund ist überhaupt durchaus trocken, und um 
so gesunder, als er niemals vorher menschliche Wohnungen ge¬ 
tragen hat. 

Das Klima unserer Gegend ist im Allgemeinen ein mildes zu 
nennen, ohne indessen kräftiger Frische zu entbehren. Der Winter 
ist meist gelinde und von kurzer Dauer, der Sommer in Folge der 
freien Höhenlage, welche drückende Schwüle nicht aufkommen 
lässt, selten heiss. Besonders schöne Jahreszeiten sind Frühling 
und Herbst, wo die rheinische Landschaft ihren eigenartigen Reiz 
in besonderer Weise entfaltet. Alle Jahreszeiten eignen sich, wie 
die Erfahrung längst gelehrt hat, gleich gut für die Durchführung 
der Kur. 

Grössere, empfindliche Tagesschwankungen der Temperatur 
sind sehr selten. Namentlich fehlen Dank der trockenen Boden¬ 
beschaffenheit, stärkere Abkühlungen um die Zeit des Sonnen¬ 
unterganges; die Abende sind vielmehr stets ein sehr angenehmer 
Theil des Tages, und erlauben selbst empfindlichen Kranken den 
Aufenthalt im Freien, da weder allzu grosse Kühle der Luft noch 
aufsteigende Feuchtigkeit störend wirkt. 

Das durchweg bewaldete Gebiet von Hohenhonnef, hoch über 
demRheinthale gelegen, fernab von allen rauch- oderstauberzeugenden 
Anlagen, erfreut sich einer ungewöhnlich reinen und anregenden, 
von schädlichem Staube durchaus freien Luft. Die grossen Be¬ 
stände von Nadelholz geben ihr eine besonders duftige und er¬ 
frischende Beschaffenheit, zumal während der warmen Jahreszeit. 


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Ausreichender Schutz gegen rauhe Winde ist vorhanden, namentlich 
gegen Nord und Ost; die westliche und südwestliche Richtung ist 
offen und gewährt einen überraschend schönen Ausblick ins Rhein¬ 
thal über Honnef, mit seinen Villen und Gärten, auf den breiten 
Strom mit den Inseln Grafenwerth und Nonnenwerth, gegenüber 
Rolandseck, zur Rechten der Drachenfels und die zerklüfteten 
Felsen der Wolkenburg, zur Linken die Berge an der Ahr und 
die Höhen des Westerwaldes, über den Fluss hinaus die blauen 
Gipfel des Eifelgebirges. Es ist hier einer der schönsten Punkte 
am ganzen Strome. 

Eines aber fehlte auf unserer Höhe zu Anfang gänzlich, nämlich 
das Wasser, an welchem, wahrscheinlich in Folge der steilen 
Gesteinschichtung, der Südabhang des Gebirges überhaupt sehr arm 
ist. Da der Anschluss an das Honnefer Wasserwerk technischen 
und auch finanziellen Schwierigkeiten begegnete, so entschlossen 
wir uns, im Asbachthale, dem tiefen Einschnitte, welcher das eigent¬ 
liche Siebengebirge vom Westerwalde trennt, auf eigenem Gebiete 
einen Quellbrunnen zu graben. W T ir fanden denn auch in der ver- 
hältnissmässig geringen Tiefe von 9 m reichliches und nach den 
Untersuchungen von Professor Stutzer in Bonn sehr gutes Wasser. 
Der Brunnenschacht wurde von der Sohle aus durch Stollen¬ 
anlagen von zusammen 50 m Länge nach drei verschiedenen 
Richtungen erweitert und stellt uns nun täglich über 70 Cubik- 
meter Wasser zur Verfügung. Dasselbe wird durch ein starkes 
Pumpwerk 180 m höher in einen unterirdischen Cementbehälter 
auf der Anhöhe gleich hinter der Anstalt gepumpt, von wo es mit 
einem Drucke von ungefähr 3 Atmosphären dem Hause zuströmt 
Hierdurch ist unser Bedarf für alle Zwecke, auch für die Maschinen¬ 
anlagen und die eigene Waschanstalt, reichlich gedeckt, und wir 
würden auch für den Fall einer erheblichen Vergrösserung der 
Anstalt nicht in Verlegenheit kommen, da der bisherige tägliche 
Verbrauch nur 30—40 Cubikmeter beträgt. 

Grössere Schwierigkeiten bereitete die Entwässerung der 
Anstalt Es war von Anfang an eine einheitliche und gemeinsame 
Kanalisation sämmtlicher Abwässer der Anstalt aus den Closets, 
welche durchweg als Spülclosets, System Unitas, eingerichtet sind, 
aus den Bädern, Duschen und der Küche geplant. Die Abwässer 
sollten geklärt und dann den Kanälen der Stadt Honnef zugeführt 
werden, welche in den Unterlauf des Asbachs und mit diesem in 
den Rhein einmünden. Die Stadt Honnef verweigerte indessen die 
Einleitung, und wir waren nunmehr gezwungen, mit grossen Kosten 
eine eigene Rohrleitung — theils Thon-, theils Cementrohre — 
von über drei Kilometer Länge von unserem Berge bis an den 
Rhein unterhalb Honnefs zu legen. Sie endigt dort in einem Senk- 


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brunnen, welcher die geklärten Abwässer im Grundwasser versinken 
lässt, was bei der grobkiesigen Beschaffenheit des Bodens an der 
gewählten Stelle, regelmässige und genaue Beaufsichtigung voraus¬ 
gesetzt, keine Schwierigkeit hat. Bei Hochwasser lassen wir die 
Abwässer nicht ins Thal fliessen, sondern berieseln mit ihnen eine 
etwa ein Hektar grosse, mit Obstbäumen bestandene Wiese. Die 
Klärung und Reinigung der Abwässer geschieht in zwei hinter 
einander geschalteten Klärbecken mit Schlammf&ngen und Filter¬ 
körben, die mit Torf und Coaks gefüllt und täglich gereinigt werden. 
Der Schlamm, welcher sich in den Klärbecken absetzt, kann in 
einen besonderen Behälter unterhalb abgelassen werden, wird dort 
mit Torfmull gemengt und dann als Compostdünger verwendet. 
Diese Art der Beseitigung der Abwässer, deren Gesammtmenge 
etwa 30 Cubikmeter täglich beträgt, hat sich im Allgemeinen gut 
bewährt; es wird rasche und vollständige Entfernung, auch eine 
gewisse Ausnutzung des Dungwerthes erreicht. Für den Fall, dass 
sie versagen sollte, haben wir bei der Strombau-Verwaltung die 
Erlaubniss zur Einleitung der Abwässer in den Rhein selbst erwirkt. 

Die Kanalisation nimmt auch den Auswurf der Kranken auf. 
Genaue Vorschriften über die Behandlung desselben werden sorg¬ 
fältig durchgeführt: Es ist aufs Strengste verboten, auf den Fuss- 
boden oder in’s Taschentuch zu spucken; ausschliesslich sind die 
meist aus blauem Glase verfertigten Spucknäpfe zu benutzen, welche 
des besseren Aussehens, auch der leichteren Benutzung wegen 
vielfach in Wandarmen aufgehängt sind. Dieselben sind mit einer 
Lösung von Kresolseife gefüllt, welche etwa 5°/o schwarze Seife 
und 1 °/o Kresol enthält und sich aus manchen Gründen ästhetischer 
und sanitärer Natur empfiehlt; namentlich wird nach Möglichkeit 
eine Desinfection des Auswurfs erreicht. Jeder Kranke hat ausser¬ 
dem seinen Spucknapf im Zimmer und in den Liegehallen. Bei 
Spaziergängen wird das Dettweiler’sche Taschenfläschchen in 
Gebrauch gezogen; denn auch im Freien darf nicht auf den Boden 
gespuckt werden. 

Die Leibwäsche unserer Gäste wird obligatorisch der sicheren 
Reinigung und Desinfection wegen in der Dampfwaschanstalt des 
Sanatoriums besorgt. Soweit nothwendig, passirt sie vorher den 
Dampfdesinfectionsapparat, und wird deshalb gleich nach dem 
Gebrauch in dichtschliessende Leinwandbeutel gesteckt. Das ge- 
sammte Bettzeug und auf Wunsch auch die Leibwäsche und die 
Kleidungsstücke jedes abreisenden Patienten werden gleichfalls 
regelmässig im Desinfectionsapparate gereinigt, so wie überhaupt 
das verlassene Zimmer eine gründliche, den Forderungen der 
Wissenschaft entsprechende Säuberung erfährt. 

Die Küchenabfälle werden theils im Walde vergraben und 


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SANATORIUM HOHENHONNEF 
Siebengebirge. 



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werden dort als Dünger nützlich, theils werden sie weit abseits in 
eine Waldschlucht gebracht und dort nach Bedarf mit Asche oder 
Sand bedeckt — 

Dank dem ausgedehnten eigenen Grundbesitze haben die 
Anstaltsbauten sehr zweckmässig vertheilt werden können. Die 
Maschinen-Anlagen, nämlich Kesselhaus, Dampf- und Dynamo¬ 
maschinen, Accumulatoren, Pumpwerk, Dampfwaschanstalt, Des- 
infectionsapparat für überhitzten Dampf, Schlosserwerkstätte u. s. w., 
liegen in dem erwähnten Asbachthale etwa 150 m tiefer als das 
Plateau der Anstalt und bilden dort gewissermassen ein Reich 
für sich. Hierdurch wird alle Belästigung durch Rauch, Staub und 
Geräusch, Unbequemlichkeiten, welche mit einem so ausgedehnten 
Maschinenbetriebe unweigerlich verbunden sind, der eigentlichen 
Anstalt vollständig fern gehalten. 

Auf der Höhe liegen nur das grosse schlossartige Kurhaus 
und der mit diesem vom ersten Obergeschosse aus durch einen ge¬ 
deckten Vorsaal verbundene, aber im Uebrigen ganz getrennt 
liegende Speisesaal nebst Küche und Kellern, sowie einige Ge¬ 
bäulichkeiten für den wirtschaftlichen Betrieb, namentlich die 
kürzlich bedeutend vergrösserten Personalwohnungen. Die Gebäude 
auf der Höhe sind mit denen im Thale durch eine Drahtseilbahn 
mit elektrischem Antriebe verbunden. Dieselbe wurde beim Baue 
der Anstalt zur Beförderung des Baumaterials angelegt, aber 
dauernd im Betriebe erhalten, weil zur Beförderung der Lebens¬ 
mittel und sonstigen Bedürfnisse die etwas steil geratene Fahr¬ 
strasse von Honnef aus nicht genügt. 

Die vom Haupthause gesonderte Lage des Speisesaals nebst 
Küche und Kellern hält alle Belästigung durch Koch- und Speise¬ 
gerüche fern. Auch der Speisesaal selbst, ein architektonisch be¬ 
sonders schöner Raum, bleibt durch die Wirkung besonderer, mehr¬ 
facher Lüftungsvorrichtungen stets ein luftiger, gleichmässig tempe- 
rirter Aufentalt. Für die Verpflegung der Kranken, welche das 
Zimmer hüten müssen, ist ein unterirdischer Verbindungsgang von 
der Küche zum Haupthause angelegt. Derselbe führt zu einem 
Speiseaufzuge, welche die benötigten Speisen in jedem Stockwerke 
einem Anrichteraume abliefert. 

Das Hauptaus, welches seine Vorderfront nach Südwesten 
richtet, ist ebenso wie der Speisesaal durchaus massiv gebaut. An 
der Hinterfront unter dem Vorsaal, welcher Haupthaus und Speise¬ 
saal verbindet, befindet sich die Anfahrt vor der mit Beihülfe der 
Stadt Honnef erbauten Fahrstrasse, welche Abends vom Ausgange 
der Stadt ab elektrisch beleuchtet ist. Das Haupt- oder Kurhaus 
besteht aus einem Mittelbau mit zwei stumpfwinklig ansetzenden 
Flügeln, durch welche ein besonders geschützter Theil der grossen 


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Terrasse vor dem Hause eingeschlossen wird. Nur die Flügel 
haben einen Mittelcorridor mit Zimmern zu beiden Seiten; der 
lange Mittelbau hat einen seitlichen Corridor und nur eine Flucht 
Zimmer, der gegenüber nach der Nordwestseite im 1. und 2. Ober¬ 
geschosse grosse Baikone liegen; dieselben gewähren einen sehr 
angenehmen und bequemen Aufenthalt während der warmen Jahres¬ 
zeit. Die beschriebene, recht kostspielige Bauart des Hauses wurde 
aus hygienischen Gründen gewählt, namentlich um eine stets gründ¬ 
liche Lüftung zu sichern. 

Die Anordnung von Haupthaus und Speisesaal und die Ver- 
theilung der Räumlichkeiten ist aus den umstehenden Grundriss- 
Zeichnungen — Untergeschoss, Erdgeschoss, I. Obergeschoss — 
leicht zu ersehen. 

Das Haus hat ein nach der Terrasse hin freiliegendes Unter¬ 
geschoss , ein Erdgeschoss und drei Obergeschosse. Sämmtliche 
Stockwerke sind durch eine grosse eiserne Haupttreppe und zwei 
Seiten treppen, ausserdem durch einen Personen-Aufzug mit 
elektrischem Antriebe verbunden. 

Dem Untergeschoss ist nach der Terrasse hinaus in fast ge- 
sammter Ausdehnung nach Westen, Süden und Osten eine Hallen- 
anlage für die Freiluftcur vorgebaut. Dieselbe ist als ein 
Hauptcurmittel mit besonderer Berücksichtigung des Schutzes gegen 
Wind, Regen und Sonne ausgeführt und mit allen Bequemlichkeiten 
ausgestattet; namentlich enthält sie besonders construirte Liege¬ 
sessel mit beweglicher breiter Rückenlehne. Abends ist sie elektrisch 
beleuchtet. Sie ermöglicht den dauernden Aufenthalt im Freien 
von früh bis spät bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Eine 
ähnliche Halle befindet sich gleich unterhalb der Terrasse im Walde; 
weitere sind geplant, soweit die Vergrösserung der Anstalt sie nöthig 
macht Der östliche Theil der Halle am Hause ist für künstliche 
Kühlung durch Wasserberieselung eingerichtet, und gewährt deshalb 
auch im Hochsommer einen sehr angenehmen, kühlen Aufenthalt 
unmittelbar am Hause für solche Kranke, denen der Weg in den 
schattigen Wald zu weit ist 

Im Erdgeschoss befinden sich die Gesellschaftsräume — 
Gartensaal, Empfangssaal, Lesezimmer, Damenzimmer, Musikzimmer, 
Billardzimmer —, welche in der ganzen Mitte des Hauses auf eine 
grosse Veranda hinausgehen, ferner die ärztlichen Sprech¬ 
zimmer nebst Hausapotheke und Laboratorium für 
bakteriologische und chemische Untersuchungen, die Büreaux für 
den wirtschaftlichen Betrieb, sowie das Post- und Telegraphen¬ 
amt, dessen Einrichtung wir der gütigen Vermittelung Sr. Excellenz 
des Herrn Unterstaatssekretärs Dr. Fischer verdanken. 


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In jedem Stockwerke befinden sich comfortable Baderäume, 
in welchen nach Bedarf auch Soolbäder, Kiefernadelbäder u. dgl. 
verabreicht werden können; die Badewannen sind englische Por- 
cellanwannen aus einem Stück, und erlauben unbedingte Rein¬ 
haltung in Folge des glatten, lückenlosen, unveränderlichen Materials, 
welches von keinen Badezusätzen angegriffen wird. Die Vertheilung 
der Baderäume auf die einzelnen Stockwerke erleichtert den Ge¬ 
brauch für die Kranken sehr und machte die Anlage eines besonderen 
Badehauses überflüssig. 

Im Untergeschosse befindet sich die Dusche mit allen in 
Betracht kommenden Formen von Staub-, Regen-, Stachel- und 
Strahldouchen. Sie ist temperirbar, wird aber gewöhnlich kalt mit 
einer Temperatur von 8—10 0 R angewendet. Ebenfalls im Unter¬ 
geschoss befindet sich ein Inhalatorium mit allen Einrichtungen 
zur Unterstützung der Behandlung von Hals-, Nasen- und Rachen¬ 
leiden. 

Die Zahl der vorhandenen Patientenzimmer beträgt 75 
mit etwa 85 Betten, da eine grössere Anzahl zweibettiger Zimmer 
vorhanden ist. Diese Zimmer sind auf das Erdgeschoss und die 
drei Obergeschosse vertheilt, so dass eine grosse Mannigfaltigkeit vor¬ 
handen ist; jedoch ist die Einrichtung derselben überall fast gleich¬ 
artig. Bei den Möbeln ist auf möglichste Glätte und Einfachheit 
der Form unter Vermeidung von Kanten und Vorsprüngen Rück¬ 
sicht genommen, um die Reinigung zu erleichtern. Die meisten 
Zimmer liegen nach Süden und Südwesten; nur auf den Flügeln 
liegt eine Anzahl nach Südosten und nach Westen; keine entbehren 
des freien Zutritts des Sonnenlichtes, das zum mindesten Morgens 
und Abends hineingelangt; viele Zimmer haben Baikone oder 
Veranden. 

Die durchschnittliche Grösse der Patientenzimmer beträgt 
3,5 x 5,5 m Bodenfläche bei 3,85 m Höhe. Nur wenige bleiben 
etwas unter dieser Grösse; dagegen haben die salonartigen zwei- 
bettigen Zimmer erheblich grössere Ausmessungen der Bodenfläche. 

Bei den Fussböden, auch bei den Zwischenwänden des Hauses 
ist in ausgiebiger Weise von Gipsdielen-Cons truktion 
Gebrauch gemacht worden. Gipsdielen sind Planken von 7—8 und 
mehr Centimeter Dicke, die aus Gipsguss mit Einlage von Rohr 
und ähnlichen leichten Stoffen gebildet sind, so dass ein fester und 
doch verhältnissmässig leichter und poröser Körper entsteht. Sie 
stellen ein vollkommen feuersicheres und sehr bequem zu ver¬ 
arbeitendes Baumaterial dar. Die Fussböden enthalten auf und 
zwischen den Tragbalken drei Lagen solcher Gypsdielen, welche 
also zwei Luftschichten zwischen sich einschliessen, dagegen keine 
weitere Füllung von Sand, Asche u. dergl. enthalten. Auf die 


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oberste Schicht der Dielen ist ein Gips-Estrich aufgetragen und auf 
diesen Linoleum oder Riemenparket aufgelegt. Letzteres ist 
hauptsächlich in den grossen gemeinsamen Räumen angewendet 
(Gesellschaftszimmer, Speisesaal u. s. w.). Bei weitem die meisten 
Zimmer, namentlich sämmtliche Patientenzimmer haben einen Fuss- 
bodenbelag von gemustertem Linoleum. Dieser Stoff ermöglicht 
bekanntlich sichere Reinhaltung und sogar, wenn es nöthig ist, eine 
chemische Desinfection; es sieht sauber und freundlich aus und 
erweist sich als sehr haltbar, wenn er ab und zu mit einer Mischung 
von Wachs und Terpentinöl gebohnt wird. Von Wollteppichen und 
dergleichen haben wir natürlich fast ganz Abstand genommen. Die 
Krankenzimmer haben nur eine kleine Bettvorlage von glattem 
Wollstoff. Die Corridore haben keinen Läufer und dürfen einen 
solchen Stauberzeuger nicht haben. Freilich waren wir nun ge¬ 
zwungen, allmählich im ganzen Hause an den Patienten zimmern 
Doppelthüren anzubringen, weil die hygienischen Corridore akustische 
Unannehmlichkeiten im Gefolge hatten; die Doppelthüren beseitigen 
dieselben vollkommen. 

Die Zimmerwände durchweg mit waschbarem Oelanstrich zu 
versehen, haben wir uns nicht entschliessen können. Bei der sehr 
günstigen Lage des Hauses in Bezug auf Durchlüftung und Be¬ 
lichtung ist die Nothwendigkeit nicht recht einzusehen. Die Tuber¬ 
kulose ist ja keine Infectionskrankheit wie Masern, Scharlach, 
Diphtherie u. dergl., sondern bei ihr lässt sich die Infectionsgefahr 
durch strenge Reinlichkeit und peinliche Sorgfalt in der Beseitigung 
des Auswurfs mit grosser Sicherheit und verhältnissmässig einfach 
vermeiden und ausschliessen. Oelgestrichene Wände haben immer 
etwas Kahles, Unfreundliches, und gegenüber den unbestreitbaren 
hygienischen Vortheilen ist doch auch der Nachtheil zu erwägen, dass 
die Wände ihre Porosität verlieren, gewissermaassen nicht mehr 
athmen, leichter feucht bleiben, und die natürliche Lüftung des 
Hauses erschweren. Wir haben also Tapetenbekleidung gewählt, 
die im Bedarfsfälle, d. h. bei der jedesmaligen Abreise eines Patienten 
durch Abreiben mit Brotkrume gereinigt werden, falls nicht die 
Erneuerung vorgezogen wird. 

Dank seiner freien Lage und wohlüberlegten Bauart erfreut 
sich das Sanatorium einer sehr wirksamen natürlichen Lüftung. 
Eine genau vorgeschriebene und durchgeführte Lüftungsordnung 
sorgt, dass die Lufterneuerung im ganzen Hause, namentlich auch 
in den Corridoren und Treppenhäusern systematisch befördert wird. 
Jedes Fenster hat ein bewegliches und in verschiedenen Ab¬ 
stufungen feststellbares Oberlicht. Ebenso ist jeder Fensterflügel 
für sich festzustellen. Jedes Zimmer hat ausserdem einen bis zum 
Dache geführten Entltiftungsschacht mit zwei Klappen, für den 


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Sommer oben an der Decke, für den Winter unten am Fussboden. 
Die Gesellschaftsräume und der Speisesaal haben ausserdem noch 
active Zufuhr vorgewärmter und durch Flanell gefilterter Aussen- 
luft. Blendläden, welche ohne Oeffnung des Fensters vom Zimmer 
aus vor- und zurtickgeschoben werden können, oder Rollblenden 
sorgen ausser für Milderung des Lichtes im Verein mit der ange¬ 
gebenen Fenstereinrichtung für beliebige Abstufung der Lüftung in 
den Zimmern, sodass auch der Empfindlichste ohne den gefürchteten 
Zug bei Tag und Nacht für reinste Luft in seinem Zimmer sorgen 
kann. So lässt sich das zur Kurmethode gehörige „Schlafen bei 
offenem Fenster“, ein manchmal missverstandenes Schlagwort für 
die Nothwendigkeit gründlicher Lüftung gerade während der Nacht¬ 
ruhe, mit Leichtigkeit allgemein durchführen. Die Lüftungsein¬ 
richtungen im Hause arbeiten so gut, dass der Arzt bei der Morgen¬ 
visite der Zimmerkranken nicht merken darf, dass er in ein 
Krankenzimmer tritt, und sofort rügen kann, wenn es doch der 
Fall ist, weil er dann weiss, dass die Vorrichtungen nicht richtig 
angewandt wurden. 

Man hat Hohenhonnef wohl gelegentlich den Vorwurf gemacht, 
dass es etwas zu wenig Windschutz habe. Dem gegenüber muss 
betont werden, dass es doch wohl kein richtiges Princip ist, ein 
Sanatorium für Tuberkulöse, welches jahraus, jahrein von Kranken 
bewohnt ist, mit Rücksicht auf möglichsten Windschutz nach allen 
Richtungen zu bauen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir damit 
das Haus einem der mächtigsten natürlichen reinigenden und des- 
inficirenden Factoren, der freien Luftbewegung, entziehen. Die 
Rücksicht auf gesunde und durchlässige Beschaffenheit des Bau¬ 
grundes wird stets einen Gebirgsabhang dem Thalgrunde vorziehen 
lassen, und dann kann der Windschutz kein vollständiger sein. 
Der Wind, welchem Hohenhonnef mit einer gewissen Absichtlichkeit 
ausgesetzt ist, ist übrigens nur der Südwest- und Westwind, während 
die rauhen und am meisten gefürchteten Winde, der Nord- und 
Ostwind, durch vorgelagerte Bergzüge so gut wie vollständig ab¬ 
gehalten und abgelenkt werden. Man sieht die eigentliche Lage 
des Sanatoriums am besten von dem im Parke der Anstalt be¬ 
findlichen Aussichtsthurm. 

Hingegen muss für örtlichen Windschutz in jeder Weise Sorge 
getragen werden, damit auch der empfindliche Kranke behaglich 
im Freien weilen kann. Dies ist in Hohenhonnef in ausgiebiger 
Weise durch die Hallenanlagen geschehen, und wird ergänzt durch 
die rasch heranwachsenden Baumpflanzungen auf der Terrasse und 
sonst in der unmittelbaren Umgebung des Hauses. Die stark 
coupirte Beschaffenheit des ausgedehnten Anstaltsgebietes hat über¬ 
dies die Anlage von Spazierwegen in solcher Mannigfaltigkeit er- 


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möglicht, dass für jede Windrichtung besondere windgeschützte 
Wege zur Auswahl sind.. So kann allen Ansprüchen in Bezug auf 
den Aufenthalt im Freien genügt werden. 

Die ängstliche Furcht vor jeder Luftbewegung bei den Lungen¬ 
kranken ist übrigens ein Rückstand aus den Anschauungen früherer 
Zeiten, wo man den Patienten nicht besser behandeln zu können 
meinte, als wenn man ihn hübsch warm hinter dem Ofen hielt und 
vor jedem Zuglüftchen ängstlich bewahrte. Die Erfahrung hat uns 
längst eines anderen belehrt. Gewöhnung an die freie Luft, Aus¬ 
nutzung ihrer erfrischenden und kräftigenden Eigenschaften, metho¬ 
dische Abhärtung ist doch ein Hauptziel der modernen Phthisis- 
therapie, welches an einem Orte nicht erreicht werden kann, wo 
die klimatischen Verhältnisse bloss schonend, nicht übend ein¬ 
wirken. Nicht das Wetter macht gesund, auch das schönste Wetter 
nicht, sondern nur die Gewöhnung an das Wetter, die nur durch 
möglichst dauernden Aufenthalt im Freien erreicht wird; es ist 
eine schlechte Gesundheit, die bei jedem Wetterwechsel versagt 
In Hohenhonnef fällt übrigens die verhältnissmässig geringe Zahl 
von sogenannten Erkältungskrankheiten auf, was zum Theil damit 
zusammenhängt, dass die Kranken mit Vorsicht an den Auf¬ 
enthalt im Freien gewöhnt werden, anderseits aber wohl der un¬ 
gewöhnlichen Reinheit und Staubfreiheit der Luft zuzuschreiben ist. 

Die Heizung geschieht im ganzen Hause, auch auf den 
Corridoren durch eine centrale Niederdruck-Warmwasser¬ 
heizung. Da das Röhrensystem derselben eine Verbindung mit 
der freien Luft hat, so kann das Wasser in demselben höchstens 
seinen Siedepunkt erreichen. Derselbe wird indessen bei Weitem 
nicht in Anspruch genommen; es genügt eine Erwärmung auf 
50—60 °, selten 70 0 R. Es sind drei centrale Heizkessel im Unter¬ 
geschoss vorhanden, zwei für das Haupthaus, einer für den Speise¬ 
saal. Aus ihnen gelangt das erwärmte Wasser zunächst durch ein 
Steigrohr bis auf den Speicher und geht dort in ein horizontales 
Vertheilungsrohr; aus diesem strömt es den einzelnen Heizkörpern 
zu und gelangt dann in den Kessel zurück. Da an jedem Heiz¬ 
körper sowohl der Zufluss wie der Abfluss geöffnet und gesperrt 
werden kann, so ist die Heizung vollkommen regulirbar, und kann 
nach Belieben in jedem Zimmer abgestuft oder ganz ausgeschaltet 
werden. Je nach ihrer Grösse haben die Zimmer einen oder 
mehrere Heizkörper in verschiedenen Abmessungen; dieselben sind 
aus freistehenden, leicht zugänglichen, glatten doppelwandigen Eisen¬ 
rohren gebildet, in deren ringförmigem Zwischenraum das warme 
Wasser circulirt. In Folge der sehr grossen Oberfläche, welche in 
Folge dieser Construction entsteht, genügt eine Wärme von 50 bis 
60 0 R vollkommen, um eine sehr angenehme behagliche Wärme 


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zu erzeugen, welche niemals durch unangenehme Gerüche gestört 
ist, weil so niedere Temperaturen keine Zersetzungen hervorrufen. 
Da das Haus fast überall Doppelfenster hat, so wird die von der 
Firma Schäffer & Walcker in Berlin garantirte Leistung einer 
Innentemperatur bis zu 20 0 C selbst bei einer Aussentemperatur 
von — 20 0 C in der That erreicht. Die Heizung arbeitet bei 
sorgfältiger Behandlung zu unserer vollen Zufriedenheit, und ist 
auch im Betriebe nicht allzu kostspielig, obwohl die Heizperiode 
vom October bis in den Mai dauert. 

Im ganzen Hause ist ausschliesslich elektrische Be¬ 
leuchtung durchgeführt. Die Kraft liefert unsere Maschinen¬ 
anlage im Asbachthale. Die Beleuchtung ist kostspielig im Be¬ 
triebe, bietet dafür aber auch Vortheile in Bezug auf Bequemlichkeit 
und Feuersicherheit, welche sie jedes Andere weit überlegen macht. 
In einem Sanatorium für Lungenleidende ist sie fast unentbehrlich, 
da sie den hygienischen Forderungen an eine Beleuchtung ohne 
Frage am besten entspricht. Abgesehen von der Annehmlichkeit 
jeder Zeit bei Tag und Nacht durch einen Fingerdruck Licht 
haben zu können, ist die elektrische Beleuchtung die einzige, welche 
keinerlei Verbrennungsprodukte an den bewohnten Raum abgiebt. 
Bogenlicht ist in Hohenhonnef nur im Freien und im Speisesaal in 
Anwendung. 

Es erübrigt nun noch ein kurzes Wort über die innere 
Organisation der Anstalt. Dieselbe ist Besitz der Aktien¬ 
gesellschaft Heilanstalt Hohenhonnef. Ihre Organe sind in Ge- 
mäösheit des Aktiengesetzes der Aufsichtsrath, an dessen Spitze 
zur Zeit Gr. C. Steinmüller aus Gummersbach steht, und der Vor¬ 
stand oder die Direction. Letzteres ist das eigentliche geschäfts¬ 
führende Organ, und besteht aus dem dirigirenden Arzte (Dr. med. 
E. Meissen) und dem wirthschaftlichen Director (A. Pitschel). Der 
Vorstand ist in financieller Hinsicht dem Aufsichtsrath bezw. der 
Generalversammlung der Actionäre verantwortlich. In der Anstalt 
ist der dirigirende Arzt die oberste Instanz und hat die oberste 
Leitung in allen Fragen sanitärer Natur. Ausser ihm ist noch 
ein Assistenzarzt angestellt. Ferner sind sechs ausgebildete Wärter, 
je drei männliche und drei weibliche, vorhanden. Die Bedienung 
der Patienten sowie überhaupt der sehr verwickelte Betrieb des 
Sanatoriums erfordert ausserdem ein ungewöhnlich grosses Personal. 
Die Gesammtkopfzahl desselben — Bureaubeamte, Wärter und 
Wärterinnen, Zimmermädchen, Köche und Küchenleute, Servir- 
mädchen, Heizer, Maschinisten, Wäscher und Wäscherinnen, Garten¬ 
arbeiter, Handwerker — beträgt durchweg etwa 70, obwohl es 
naturgemäss nicht Princip ist, überflüssige Leute anzustellen. Die 


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Anforderungen eines regelmässigen und geordneten Betriebes macht 
eben erfahrungsmässig in allen ähnlichen Anlagen einen grossen 
Aufwand an Personal nothwendig. 


HI. Heilverfahren. 

Die Darlegung der Kurmethode, als deren Werk- und Rüst¬ 
zeug Hohenhonnef von seinen Begründern geschaffen wurde, er¬ 
fordert einige einleitenden Ausführungen. 

Seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus durch Robert Koch 
kann ernsthafter Zweifel darüber nicht mehr bestehen, dass die 
Tuberkulose eine Infectionskrankheit ist, in dem Sinne, dass die ihr 
eigenthümlichen anatomischen Veränderungen nur dann entstehen, 
wenn das genannte Mikroparasit, früher oder später bei der Lungen¬ 
tuberkulose höchst wahrscheinlich vergesellschaftet mit andern 
Mikroben — Streptokokken u. a. — im menschlichen Organismus sich 
ansiedelt und weiter entwickelt. Dass mit dieser Thatsache, welche 
uns den oder die Erreger der Tuberkulose kennen lehrt, das Wesen 
dieser trotz ihrer Alltäglichkeit merkwürdigen und wunderlichen 
Krankheit nicht erschöpft ist, bedarf für den Arzt, der gewohnt ist, 
seine Beobachtungen am kranken Menschen zu machen und deren 
Ergebnissen die entscheidende Bedeutung beizulegen, kaum einer 
Erörterung. Jahrhunderte alte, alltäglich erneute Erfahrung hat 
von jeher bewiesen, dass gerade bei der Tuberkulose Verhältnisse 
in der Eigenart des erkrankenden Organismus aufs Bestimmteste 
hervortreten, welche das Entstehen und den Verlauf der Erkrankung 
erst erklären. Die sicherlich vorhandene wechselnde, d. h. grössere 
oder geringere Giftigkeit, „Virulenz“ des Krankheiterregers genügt 
hier nicht. Wir sehen alltäglich Menschen tuberkulös werden, 
während andere, auf welche der Tuberkelpilz ganz sicher ebenso 
eingewirkt hatte, gesund bleiben. Wäre die Tuberkulose eine In¬ 
fectionskrankheit in dem mit diesem Begriffe gewöhnlich ver¬ 
bundenen Sinne, etwa wie Diphtherie oder auch nur wie Typhus, 
so müsste bei der ungeheuren Verbreitung der Krankheit und bei 
der sorglosen Nichtbeachtung aller Vorsicht gegenüber den Trägern 
des Tuberkelbacillus — Auswurf der Kranken, Milch und Fleisch 
tuberkulöser Thiere —, wie sie vor der Entdeckung des Mikroben 
allgemein geübt wurde, und nachher noch keineswegs entscheidende 
Veränderungen erfahren hat, das Menschengeschlecht längst an der 
Tuberkulose zu Grunde gegangen sein. Nun mag die inficirende 
Kraft des Parasiten grösser sein als man gelegentlich annimmt, und 
es ist gewiss unser Aller ernste Pflicht, seiner Weiterverbreitung, 
wo und wie wir können, entgegenzuarbeiten. Die pathologische 

CentralMatt f. all g. Gwundheitopflege. XV. Jahrg. 21 


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Anatomie zeigt uns, dass tuberkulöse Veränderungen in den Drüsen, 
in den Lungen und in andern Organen ganz ausserordentlich häufig 
sind, so dass schliesslich in gewissem Sinne fast jeder Culturmensch 
ein bischen „tuberkulös“ sein mag. Allein hier handelt es sich doch 
ganz vorwiegend um rasch wieder erloschene kleine örtliche Herde, 
die noch keine Erkrankung des Organismus vorstellen. Derselbe 
wurde eben mit seinem Feinde fertig, und es kam nicht zur Ent¬ 
wicklung der Krankheit. Die erwähnten pathologisch-anatomischen 
Beobachtungen sind aber deshalb von so grosser Wichtigkeit, weil 
sie uns die Heilbarkeit der Tuberkulose und das Wie der Heilung 
aufs Bestimmteste darthun, und noch mehr, weil wir durch sie 
einige Klarheit über den oft überraschenden und sonderbaren Aus¬ 
bruch der Krankheit gewinnen. Höchst wahrscheinlich nämlich 
folgt bei der Tuberkulose nicht allzu häufig der Aufnahme des 
Krankheitserregers, der „Infection“ alsbald, d. h. in kurzer oder 
doch absehbarer Zeit das Hervortreten der Krankheit, wie wir es 
bei den gewöhnlichen Infectionskrankheiten sehen. Vielmehr kommt 
es sehr oft, falls der eingedrungene Mikrob nicht überhaupt un¬ 
schädlich gemacht, vernichtet wurde, zunächst zur Bildung kleiner 
örtlicher Herde, die abgeschlossen werden und erlöschen, allmählich 
wohl auch gänzlich heilen können. Da nun aber die in ihnen ent¬ 
haltenen Bacillen noch lange Zeit lebensfähig bleiben, so hängt es 
von den Verhältnissen des betroffenen Organismus ab, ob von diesen 
Herden aus früher oder später der Ausbruch der Krankheit stattfindet 
Aus diesem Zusammenhang erklärt sich dann ziemlich ungezwungen das 
scheinbar plötzliche Auftreten der Tuberkulose nach andern Krank¬ 
heiten, beispielsweise nach Influenza, welche hier das auslösende 
Moment abgeben. Jedenfalls ist zu beachten, dass bei der Tuber¬ 
kulose die erste Ansiedlung des Krankheitserregers und der Aus¬ 
bruch der Krankheit zeitlich weit auseinander liegen können. 

Mit einer Infectionskrankheit im gewöhnlichen Sinne des Wortes 
hat die Tuberkulose überhaupt sehr wenig Aehnlichkeit. Weit 
eher vergleicht sie sich im Entstehen und im Verlauf mit dem Er¬ 
kranken und Absterben von Pflanzen und Bäumen, die von 
schlechtem Samen stammen oder auf ungünstigem Boden stehen. 
Dieser Vergleich giebt freilich keine volle Erklärung, aber er drängt 
sich dem Beobachter unwillkürlich auf. In der That sind wir ent¬ 
sprechend gewöhnt, in einer Schwächung des Organismus, vielfach 
schon von seiner Abstammung, oder in einer Verschlechterung 
seiner natürlichen Widerstandskraft durch Mängel oder Fehler in 
der Lebensweise, kurz in einer ererbten oder erworbenen 
Anlage, deren Wesen eine Depotenzirung im Vergleich zu einem 
vollkräftigen Organismus ist, die Ursache der Ansiedlung des 
Tuberkelpilzes und damit der Tuberkulose zu erblicken. Diese als 


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solche vererbt sich nicht, wohl aber bekanntermassen in ausge¬ 
sprochener Weise die Anlage. 

Je länger man sich mit der Krankheit beschäftigt, desto mehr 
wird diese Auffassung zur festen Ueberzeugung, und man gelangt 
ohne Zweifel durch sie zu einem befriedigenden Verständniss der 
Tuberkulose, wie es auch einem bewussten und zielstrebigen Heil¬ 
verfahren zu Grunde liegen muss. In der That ist sie auch fast all¬ 
gemein angenommen worden. Wir gelangen damit auf die etwas dunklen 
Begriffe der Constitution und Disposition, welche der alten Medicin 
angehören und zur Zeit einen etwas unmodernen Klang haben, 
weil sie sich nicht gleich in chemische Formeln bringen lassen. 
Gleichwohl aber sind sie unzweifelhaft, und zwar nicht bloss für die 
Tuberkulose, sondern für alle Krankheiten greifbare Realitäten, 
und nicht blosse Schemen. Nur ist dringend zu wünschen und 
auch zu erreichen, dass ihnen allmählich ein etwas exacterer Inhalt 
für die einzelnen Krankheiten gegeben werde, d. h. dass wir die¬ 
jenige Beschaffenheit des Organismus in exacter Weise ergründen, 
welche dem Krankheitserreger erst den Boden bereitet, ohne den 
er nicht haften und weiter wachsen kann. Denn hier liegt gerade 
für die Tuberkulose offenbar der eigentliche Grund, die.Ursache, 
und es genügt nicht, dass wir seit alter Zeit ihren wechselvollen 
klinischen Verlauf kennen, dass wir hernach auch die anatomischen 
Veränderungen kennen lernten, welche ihn begleiten, dass wir 
zuletzt auch den oder die Krankheitserreger gefunden haben, 
welche die Eigenart dieser anatomischen Bedingungen bedingen und 
hervorrufen. Der Schlussstein fehlt noch, und es wird noch viel 
Arbeit erfordern, ihn einzufügen, Arbeit in einer Richtung, der 
unsere gegenwärtige Zeit wenig günstig ist. Die ältere Medicin 
hat manchen Beitrag zur Erforschung der zur Tuberkulose führen¬ 
den constitutioneilen Anlage geliefert, freilich ohne zu einer all¬ 
gemein befriedigenden Lösung der Frage zu gelangen. Für den 
Zweck unserer Darlegungen genügt übrigens vollkommen die Kenn¬ 
zeichnung dieser Anlage in ihrem allgemeinen Wesen als eine Ver¬ 
minderung der natürlichen Widerstandskraft, die sich in der Lunge 
noch besonders geltend macht. 

Um die Anlage oder Disposition zu beseitigen, hat man an ihre 
Stelle die angeborene Infection zu setzen gesucht. Die Vertreter 
dieser Meinung vergessen aber, dass es unzweifelhaft auch eine er¬ 
worbene Disposition giebt, die wir in der Tuberkulose nach Staub¬ 
inhalationskrankheiten, nach traumatischen Einwirkungen und be¬ 
sonders klar beim Diabetiker sehen. Ausserdem ist es mit der 
exacten Begründung der angeborenen Infection schlecht bestellt. 
Die bisher sehr wenigen erwiesenen Fälle beziehen sich auf die 
Möglichkeit einer Uebertragung von der Mutter her, während Er- 

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fahrung und experimenteller Beweis für eine Uebertragung vom 
Vater her gänzlich fehlen. Man kommt aber noch mehr in Ver¬ 
legenheit, wenn man das in tuberkulösen Familien vorkommende 
Ueberspringen einer Generation, oder auch nur die so häufig erst 
im erwachsenen Alter erfolgende Erkrankung der Nachkommen 
tuberkulöser Eltern mit einer angeborenen Infection erklären will. 
Wir werden immer wieder zur Disposition zurtickgeführt, deren 
hohe Bedeutung bei der Tuberkulose übrigens auch von Robert 
Koch selbst gebührend anerkannt wird. 

Zur Bekämpfung der Tuberkulose sehen wir auf Grund dieser 
Darlegungen zwei Wege vor uns, deren einer sich gegen die Krank¬ 
heit selbst, bezw. den Krankheitserreger wendet, während der 
andere sich mit der Krankheitsanlage, bezw. mit dem Boden, 
auf welchem der Erreger wachsen will, beschäftigt. 

Der erstere Weg erscheint zunächst als der viel einfachere und 
kürzere; er erschien namentlich nach der Entdeckung des Tuberkel¬ 
bacillus als sofort gangbar und sollte unmittelbar dem Ziele rascher 
Heilung zuführen. Allein die Erfahrung hat diesen Erwartungen 
in keiner Weise Recht gegeben, und gerade das aus dem Tuberkel¬ 
pilz bereitete Tuberculin, für welches die überschwänglichsten 
Hoffnungen gemacht wurden, hat die schmerzlichste Enttäuschung 
gebracht, und dem Ansehen unserer Wissenschaft sehr geschadet. 
Hier hat sich schwer gerächt, dass der sichere Weg, den Robert 
Koch sich selbst klar vorgezeichnet hatte, verlassen wurde. Die 
Echtheit eines Krankheitserregers sollte zunächst durch seine 
Züchtung auf künstlichen Nährböden, und durch die experimentelle 
Erzeugung der betreffenden Krankheit bei Thieren, mindestens in 
ihrer anatomischen Eigenart, erwiesen werden. Dann sollte er¬ 
probt werden, was gegen den Erreger zunächst auf todtem Nähr¬ 
boden, dann im Thierkörper wirksam wäre, bis man dahin gelangt 
wäre, die experimentell im Thiere erzeugte Krankheit durch die 
angewandten Mittel auch wieder zu heilen, und zwar in regel¬ 
mässiger, unzweideutiger Weise. Erst dann sollte zur Anwendung 
am Menschen übergegangen werden, und zwar immer in dem Ge¬ 
fühl, dass, was für’s Thier erwiesen war, beim Menschen sich doch 
noch wesentlich anders verhalten könnte. Wollte man diesen Weg 
stets im Auge behalten, so würden wenigstens Irrungen, wie sie in 
einer exacten Wissenschaft nicht Vorkommen dürfen, vermieden 
werden. Das Tuberculin ist das Toxin des Tuberkelpilzes, und 
die weitere Entwickelung der Bakteriologie selbst hat die seiner 
Anwendung zu Grunde liegende homöopathische Auffassung, dass 
das Krankheitsgift in gewissen Sinne sein eigenes Gegengift sei, 
verlassen und sich den Antitoxinen der Serumtherapie zugewendet, 
hoffentlich mit besserem Erfolge. 


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Ganz sicher besitzen wir bis jetzt keinerlei Arzneimittel, 
mit welchen wir den Krankheitsvorgang bei der Tuberkulose 
direct und specifisch in der Richtung der Heilung beeinflussen 
könnten, und zwar weder im Tuberkulin und ähnlichen Prä¬ 
paraten, noch in andern Substanzen. Was davon berichtet wurde 
und alltäglich wieder berichtet wird, hat nüchterner Prüfung 
noch niemals Stand gehalten. Es ist geradezu erstaunlich, was 
Alles im Laufe der Zeit als wirksam empfohlen und mit den 
schönsten Theorien gestützt wurde, so dass es schliesslich am Er¬ 
staunlichsten erscheint, dass die Krankheit überhaupt noch besteht. 
Die Arzneimittel gegen die Tuberkulose haben etwas an sich wie 
die Mode, die jeder meint mitmachen zu müssen; aber sie sind 
auch kurzlebig wie die Mode und wechseln wie diese. Ihre Ge¬ 
schichte ist ein merkwürdiger Beitrag zur Geschichte mensch¬ 
licher Täuschung und menschlichen Irrthums und bietet vielfach 
unerfreuliche Seiten. Nach allen bisherigen Erfahrungen hat 
strengste Skeptik diesen Mitteln gegenüber nicht nur ihre gute 
Berechtigung, sondern wird zur Verpflichtung. „Die arzneiliche 
Behandlung der Schwindsucht hat vollständig Bankerott gemacht,“ 
und diesem harten Urtheile C. Gerhardts muss man sich leider 
anschliessen, da man sich ihm nicht entziehen kann. Man braucht 
eine Anzahl dieser Mittel nicht über Bord zu werfen, aber man 
wird gut thun, namentlich in der Deutung ihrer Wirkung recht 
vorsichtig zu sein. Das gilt besonders von dem Kreosot, oder da 
dasselbe bereits aus der Mode ist, von seinen Bestandteilen und 
Abkömmlingen, dem Guajacol und Kresol bezw. deren kohlensauren 
Verbindungen. Die sorgfältigsten toxikologischen Untersuchungen 
und Thierexperimente, beispielsweise Friedländer's in Leipzig, er¬ 
geben auch nicht den Schimmer einer Einwirkung auf den tuber¬ 
kulösen Process, dagegen erweisen sie klar und bestimmt die Be¬ 
denken und Gefahren grösserer Gaben des Mittels, die seinen Com- 
ponenten und Verbindungen jedenfalls auch anhaften, da sie doch 
das Guajacol und Kresol im Organismus wieder frei lassen sollen. 
Gleichwohl träumen manche Schwärmer von einer „innern Des- 
infection“, von einer „Zerstörung der Toxine“ im kranken Organis¬ 
mus durch diese Mittel, ohne auch nur den Schatten eines Beweises 
beizubringen. Der Wunsch ist hier zu sehr des Gedankens Vater, 
und so wird denn schon nach wenigen Monaten von den erstaun¬ 
lichsten, tausendfältigen Heilungserfolgen berichtet, und zwar von 
dem neuesten Mittel immer die allerbesten. Schon Brehmer pflegte 
zu höhnen, „dass er nicht das Glück habe, die Erfolge sehen zu 
können, welche die Collegen von ihren Mitteln rühmten.“ Dieser 
Hohn ist begreiflich und berechtigt. Man bedenkt zu wenig die 
Eigenart des langwierigen und wechselvollen Verlaufes der Tuber- 


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kulose, der überraschende Wendungen zum Guten und Schlechten 
in sich schliesst. Kein Arzt giebt doch seinem Tuberkulösen 
bl 0 8 das Kreosot o. dergl., sondern giebt ihm eine Reihe von 
anderen Anordnungen, namentlich in Bezug auf Lebensweise, 
Ernährung u. s. f., und wenn er es nicht thäte, würde es der 
Kranke aus sich thun. Wenn man nun jede Veränderung im 
Krankheitsbilde dem Arzneimittel zuschreibt, so kann man vieles 
sehen, dass man aber richtig sieht, ist mehr wie zweifelhaft Dem 
Kreosot und seinen Genossen scheint in gewissen Fällen eine günstige 
Wirkung auf die Nahrungsaufnahme, die Assimilation zuzukommen, 
was nach seiner chemischen Natur auch begreiflich erscheint. 
Vielleicht bewirkt es auch gelegentlich in bereits stationären Fällen 
eine Verminderung des Auswurfs, eine Beschränkung der Secretion 
auf den kranken Stellen der Lunge, obwohl das schon zweifelhafter 
ist. Mehr wird, wer nüchtern prüft, von diesen Mitteln nicht sehen, 
eher noch weniger, und das Geld für die meist recht theuren 
Drogen von recht bescheidener Wirkung kann gewiss meist besser 
und nützlicher verwendet werden. 

Mit dem unermüdlichen Suchen und vermeintlichen Finden von 
Mitteln gegen die Schwindsucht ist es ungefähr so gegangen wie 
mit dem Stein der Weisen oder dem Perpetuum Mobile. Vielleicht 
gelangen wir einmal zu der klaren Einsicht, dass dieser Vergleich 
in Wahrheit stimmt, d. h. dass wir in allen diesen Fällen nach 
etwas logisch Unmöglichem suchen. Wir werden die Tuberkulose 
zu heilen verstehen, wenn wir ihre Ursache beseitigen können. 
Wo ist nun die Ursache der Tuberkulose zu suchen? Nach den 
vorstehenden Darlegungen kann darüber kein Zweifel sein. Ihre 
wirkliche und eigentliche Ursache sind gewisse Verhältnisse und 
Veränderungen im Organismus, die dem Tuberkelpilz erst er¬ 
möglichen, zu haften und die Krankheit zu erregen. Ohne diese 
Voraussetzung ist der Tuberkelbacillus ein gleichgültiger oder doch 
harmloser Gesell, mit welchem der ungeschwächte, vollkräftige 
menschliche Organismus leicht fertig wird, sei es, dass er ihn durch 
seine Schutzeinrichtungen ganz vernichtet oder durch Absperrung 
imschädlich macht. Wir gelangen damit zu Vorstellungen, wie sie 
besonders von F. Hueppe ausgesprochen und vertreten werden. 
Wenn im Hochgebirge der leise Flügelschlag eines Vogels eine 
Lawine löst, die donnernd ins Thal stürzt und gewaltige Zer¬ 
störungen anrichtet, oder wenn ein kleiner elektrischer Funke ein 
grosses Fass Pulver zur Explosion bringt, welche ganze Felsen 
sprengen kann, so kann man den leisen Schlag und den kleinen 
Funken nicht Ursache so grossartiger Wirkungen nennen. Wir 
brauchen hier den Ausdruck Anstoss oder Auslösung, und 
finden die Ursache in der labilen Anordnung grosser Schneemassen 


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auf geneigter Bahn und in der labilen Anhäufung chemischer 
Spannkräfte. Die Wirkung der Ursache hängt offenbar nicht von 
dem Anstosse, sondern in dem einen Falle von der Masse und 
Anordnung des Schnees, und in dem andern von Menge und Art 
des Pulvers ab. Ganz unabhängig vom Anstoss würde sie grösser 
werde«, wenn noch mehr Schnee auf stärker geneigter Bahn vor¬ 
handen wäre, oder wenn man das Pulver etwa durch Dynamit er¬ 
setzen würde. 

In ähnlicher Weise ist auch bei der Tuberkulose Entstehung 
und Verlauf von der Eigenart des betroffenen Organismus abhängig, 
und in dieser sehen wir die Ursache, die zu bekämpfen und zu 
beseitigen ist. Wie es scheint, entsteht die Tuberkulose allerdings 
nur auf den bestimmten Anstoss, wie ihn der Tuberkelbacillus aus¬ 
übt. Allein es ist doch eine lange Verkettung von Verhältnissen 
vor ihm vorhanden, und es ist sehr fraglich, ob wir durch das 
Herausreissen des letzten Gliedes, d. h. eben des Tuberkelpilzes, 
selbst wenn es uns möglich wäre, etwas Wesentliches erreichen 
würden. 

Nach den bisherigen Darlegungen scheint es mit unserm ärzt¬ 
lichen Können; gegen die Tuberkulose nicht weit her zu sein. 
Gleichwohl besteht der für den Lungenkranken wie für den Lungen¬ 
arzt gleich tröstliche Satz zu vollem Recht, dass die Lungentuber¬ 
kulose heilen kann. Die pathologische Anatomie erweist ihn in 
exacter Weise, indem sie zeigt, dass die Tuberkulose zwar noch 
weit häufiger ist, als wir annahmen, aber auch viel häufiger heilt 
als wir dachten. Die tuberkulösen Vorgänge zeigen eine deutliche 
Heilungstendenz, und daraus folgt die bestimmte Zuversicht, dass 
wir die Krankheit auch durch unser Zuthun beeinflussen, bessern 
und heilen können müssen. Die Frage, ob die Heilung der Tuber¬ 
kulose eine absolute im Sinne einer vollständigen anatomischen 
„restitutio in integrum“ sei, oder anders erfolge, ist praktisch 
ziemlich müssig. Wenn es sich auch nur um ein Erlöschen des 
tuberkulösen Processes handelt, wenigstens in den meisten Fällen, mit 
der Bildung von narbigen Schwielen, bindegewebigen Verhäutungen, 
Verkalkungen u. dgl., so ist doch das Wesentliche und Entscheidende, 
dass dies Erlöschen ein möglichst dauerndes sei, so dass der Er¬ 
krankte nachher nicht mehr wesentlich in seiner Lebenshaltung ge¬ 
stört ist. In diesem Sinne gewinnt auch die relative Heilung den 
Werth einer absoluten. Viele Tuberkulöse erleben es nicht, dass sie 
an ihrer Tuberkulose zu Grunde gehen, weil sie andern Krank¬ 
heiten erliegen, und es sterben wahrscheinlich mehr Menschen m i t 
einer Phthise als an der Phthise. 

Ziffernmä8sig zu belegende, wissenschaftlich vollständig sicher 
gestellte und über eine Reihe von Jahren verfolgte Heilungen der 


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Lungentuberkulose sind bisher nur durch ein Verfahren erreicht 
worden, welches den zweiten oben dargelegten, anscheinend umständ¬ 
lichen und weitschweifigen Weg einhielt, welches sich also gegen 
die Krankheitsanlage wendet. Dies ist nun das in den geschlossenen 
Anstalten zuerst durch Brehmer in Görbersdorf, dann unter Dett- 
weiler in Falkenstein nicht etwa erfundene, wohl aber systematisch 
ausgebildete und methodisch durchgeführte Heilverfahren, welches 
zum Ziele die Verbesserung der organischen Widerstandskraft im 
Allgemeinen und der gestörten Thätigkeit in den Athmungs- und 
Kreislauforganen im Besondern hinstellt. Es sollen Spannkräfte 
im Organismus frei gemacht werden, welche geeignet sind, den von 
dem Krankheitserreger in Bewegung gesetzten Kräften entgegen¬ 
zuwirken, und die natürliche Heilkraft, deren Vorhandensein uns 
die pathologische Anatomie der Tuberkulose zeigt, zu unterstützen. 
Um modern zu sprechen, handelt es sich hier um ein „Immuni- 
siren“ des Organismus, da wir den Zustand von Unempfitnglich- 
keit oder doch Ausgleichsfähigkeit gegenüber den Wirkungen des 
Tuberkelpilzes herstellen wollen, den wir bei wirklich gesunden, 
vollkräftigen Menschen beobachten. Da die Krankheitsvorgänge, 
d. h. der Kampf zwischen den Bacillen und den menschlichen Zellen, 
mit chemischen Waffen ausgefochten werden, so wollen wir die 
Waffen des Organismus verstärken und vermehren, etwa in dem 
Sinne, dass wir die Thätigkeit derjenigen Zellen, welche activ in 
den Kampf eintreten, der Phagocyten MetschnikofFs, befördern, oder 
die Bildung der Schutzstoffe im Blute, der Alexine Buchner’s be¬ 
günstigen. Hierzu benutzen wir als unentbehrliche Grundlage 
hygienische und diätetische Heilfactoren, indem wir den Lungen¬ 
kranken unter gerade für ihn geeigneten gesundheitsmässigen Be¬ 
dingungen eine bestimmt geregelte Lebensweise einhalten lassen, 
welche durch richtige Schonung neue Störungen fern halten, zu¬ 
gleich aber durch Gewöhnung und Uebung neue Kräfte zuführen 
soll. Wir kommen damit auf den oben angeführten Vergleich aus 
dem Pflanzenreiche zurück, aus dem ein Hinweis auf unsere Heil¬ 
bestrebungen unwillkürlich sich ergiebt: „Gleichwie ein Baum nur 
dann gedeihen und Früchte tragen kann, wenn er aus gesunder 
Erde reichlich Nahrung erhält, freie Luft hat und von der. Sonne 
beschienen wird, also kann auch der Lungenkranke nur dann 
voran kommen und genesen, wenn ihm Luft und Licht in ver¬ 
schwenderischer Weise zu Gebote stehen und wenn sein Körper 
zweckmässig und reichlich ernährt wird.“ 

In seiner praktischen Durchführung hat dies Heilverfahren zu¬ 
nächst sich entwickelt aus uralter, gewissermassen volkstümlicher 
Erfahrung und der Beobachtung derjenigen Verhältnisse, unter 
denen man noch am ehesten Lungenkranke besser werden und ge- 


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nesen sah, nämlich durch Aufenthaltswechsel und besondere Er¬ 
nährung bei reichlichem Verweilen in freier Luft. In diesem Sinne 
hatte man bereits im klassischen Alterthume eine ziemlich aus¬ 
gebildete Klimatotherapie der Tuberkulose, wie beispielsweise die 
Auffassung von dem besondern Nutzen der harzigen Luft der Nadel¬ 
holzwälder bis auf Plinius zurückgeht, während andere wieder die 
Seeluft für besonders heilsam hielten. Auch die moderne Klimato¬ 
therapie hat sich erst sehr langsam losgemacht von der auf Grund 
irgend welcher Theorien vorgefassten, und deshalb sehr exclusiven 
Werthschätzung einzelner klimatischer Factoren. Betrachtet man 
in dieser Hinsicht, welche Verschiedenheiten und Gegensätze, wie 
die warme theils feuchte, theils trockne Luft des Südens — Madeira 
und Aegypten sind die Extreme —, die kühle und trockne, dünne 
und frische Luft des Hochgebirges, die wassergesättigte, dichte Luft 
am Meere und auf Inseln, die je nach ihrer Lage sehr verschiedene 
Luft der sommerlichen Badeorte u. s. w. als besonders heilkräftig 
angepriesen wurden und werden, und erwägt man ferner, dass unter 
allen diesen so verschiedenen klimatischen Bedingungen Erfolge 
sich ergaben, so muss sich doch der Gedanke aufdrängen, dass 
nicht diese klimatischen Besonderheiten, sondern etwas Gemein¬ 
sames das eigentlich Wirksame ist. Dies Gemeinsame liegt nun 
eben in den hygienisch-diätetischen Maximen, die an allen diesen 
Orten mehr oder minder bewusst durchgeführt werden, und denen 
gegenüber die Verschiedenheit der einzelnen klimatischen Factoren 
wenn auch nicht verschwindet, so doch an Bedeutung sehr verliert. 
Auch den an manchen Badeorten verordneten und von Alters her 
üblichen Genuss der betreffenden Quelle kann man, ohne zu weit 
zu gehen, unter die diätetischen Maassnahmen rechnen. Dass den 
Natronsalzen und der Kohlensäure oder dem Kalk und dem Stick- 
ßtoff dieser Heilquellen eine unmittelbare Wirkung auf die kranke 
Lunge zukäme, wird heutzutage wohl Niemand mehr ernstlich be¬ 
haupten, da wir nicht mehr glauben, dass diese einfachen Stoffe, 
wenn sie in einer natürlichen Quelle enthalten sind, mehr leisten 
als wenn sie anderswoher stammen. 

Mehr und mehr dringt denn auch der Gedanke durch, dass 
hauptsächlich und entscheidend nicht der Ort w o, sondern die Art 
wie der Lungenkranke lebt und behandelt wird, für sein Wohl 
und Wehe, für Erfolg oder Nichterfolg von Bedeutung ist. Es 
giebt auch keine klimatischen Specifica gegen die Tuberkulose, trotz 
aller gegentheiligen Spekulationen und Phantasien alter und neuer 
Zeit. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass nun jeder Kranke 
an beliebigem Orte mit gleicher Aussicht auf Erfolg behandelt 
werden könne. Das würde nicht zutreffen. Vielmehr ist kein 
Zweifel, dass an den Ort und noch mehr an seine Einrichtungen 


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eine Reihe von Anforderungen gestellt werden müssen, falls er für 
die Behandlung von Lungenkranken geeignet sein soll, und ebenso, 
dass einzelne Kranke sich unter besondem klimatischen Bedingungen 
wohler fühlen und besser gedeihen. Dem empfindlichem Kranken 
wird man ein behaglicheres und gleichmässigeres Klima anrathen, 
während man den Robustem schon mehr zumuthen kann. Im All¬ 
gemeinen wird man mit mitdern klimatischen Verhältnissen, wie 
sie auch Hohenhonnef darbietet, am Weitesten kommen, weil sie 
für die ganz überwiegende Mehrzahl der Kranken am besten passen. 
Jedenfalls aber muss hier betont werden, dass wir nach den Er¬ 
fahrungen an den bestehenden Anstalten durchaus keinen Anlass 
mehr haben, unsere Lungenkranken in die ferne Fremde zu schicken. 
Namentlich der Süden richtet recht häufig mehr Schaden als Nutzen 
an. Die Winterkuren in den deutschen Anstalten bieten weit 
bessere Aussichten auf Erfolg. Der deutsche Winter ist gar nicht 
so schlimm, wie man meint, wenn man ihn nur vom Zimmer und 
hinterm Ofen her ansieht; es ist nicht schwer, sich an ihn zu ge¬ 
wöhnen. Die Erfolge sind vielfach noch günstiger als im Sommer. 
Das im eigenen Lande, im heimischen Klima Erreichte erweist sich 
erfahrungsmässig meist auch dauerhafter als ein in der Fremde 
gewonnener Erfolg, der häufig schon auf der Rückreise ins Wanken 
^geräth. 

Orte, wo die Tuberkulose heilen müsste, schon durch das 
Verweilen daselbst, giebt es nirgends, und auch die Meinung, dass 
es für jeden Fall zur Heilung vor Allem des rechten Ortes bedürfe, 
ist falsch und nur geeignet, den Kranken unruhig und unstät zu 
machen. Der Tuberkulöse heilt, wenn sein Fall heilbar ist, d. h. 
wenn er keine zu ausgedehnten Veränderungen in den Lungen und 
keine schweren Complicationen in andern Organen darbietet, und 
wenn seine natürliche Widerstandskraft, von welcher wir Ent¬ 
stehung und Verlauf der Infection mit dem Koch’schen Pilz ab¬ 
hängig sahen, noch nicht allzu sehr erschüttert ist. Er heilt als¬ 
dann verhältnissmässig leicht, wenn er an geeignetem Orte in ge¬ 
eigneter Weise behandelt wird und sich auch behandeln lässt, d. h. 
ein einsichtiger, gewissenhafter und geduldiger Patient ist. Dies 
letztere ist Hauptsache und den Kranken dazu zu erziehen Haupt¬ 
aufgabe des Arztes. Das gilt überall, denn ganz sicher fand sich 
bislang auf der ganzen Erde noch kein Ort, wo der Verlauf der 
Tuberkulose an sich und grundsätzlich anders wäre als es überall 
beobachtet wird; es ist auch keine Aussicht, solche Orte zu finden. 
Orte dagegen, die sich zu erfolgreicher Behandlung der Tuberkulose 
recht gut eignen, braucht man meist nicht allzu weit zu suchen. 
Wenn nur die nöthigen Einrichtungen geschaffen werden, braucht 
man jedenfalls das eigene Land nicht zu verlassen, obwohl gerade 


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der Deutsche geneigt ist, gering zu achten, „was nicht weit her ist“. 
Das Gute liegt auch hier so nahe. 

Das Bestehen einer immunen Zone in einer gewissen Gebirgs- 
höhe oder überhaupt immuner Gegenden im Sinne Brehmer’s ist 
eine unhaltbare Annahme. Der Erreger der Tuberkulose ist nach 
Allem, was wir wissen, ein exquisiter, echter Parasit, der nur inner¬ 
halb des menschlichen oder thierischen Organismus gedeiht. Ob er 
in anderer Form auch in der freien Natur wächst, ist unerwiesen; 
jedenfalls wissen wir nichts Sicheres davon. Immune Gegenden 
giebt es bei Krankheiten wie die Malaria, deren Erreger im Freien 
lebt und an eine gewisse Bodenbeschaffenheit gebunden ist Gegen¬ 
über der Tuberkulose kann nur von immunen Menschen die Rede 
sein, und diese finden wir im dicht bewohnten Flachlande mitten 
unter den Tuberkulösen eher als im Gebirge, dessen Bewohner be¬ 
kanntlich leicht an Tuberkulose erkranken, wenn sie ins Flach¬ 
land ziehen. Die vermeintliche Schwindsuchtfreiheit hoher Gebirgs- 
zonen, sagt Finkelnburg, dem ich hier folge, beschränkt sich bei 
näherm Studium immer mehr auf die Thatsache, dass in solchen 
Gegenden meist nur wenig oder gar nicht industriell beschäftigte, 
sondern mehr im Freien arbeitende Bevölkerung lebt, welche auch 
im Uebrigen von der Schädlichkeit des Stadtlebens und der Stadt¬ 
nähe verschont bleibt, und dass ferner im Gebirge meist gesunde 
Boden- und Grundwasser-Verhältnisse bestehen. Wo diese beiden 
Voraussetzungen nicht zutreffen, da ist auch in beliebiger Gebirgs- 
höhe in Deutschland die Tuberkulose ebenso stark, wenn nicht noch 
stärker verbreitet als in der Niederung. Aehnliches wissen wir aus 
der Schweiz, wo in den Uhrmachergegenden von Joux und Chaux- 
de-fonds die Tuberkulose ebenso häufig ist als in irgend einer 
Grossstadt. Es steht also sehr schlecht mit den Beweisen, dass 
irgendwo das Gebirgsklima eine solche Einwirkung auf den Menschen 
habe, dass er immun würde gegen die Wirkung des Tuberkel¬ 
bacillus. Eine wirkliche Immunität gegen denselben, wie er im 
menschlichen Verkehr auf uns einwirkt, scheint sich erst allmählich 
und im Laufe von Generationen im Kampfe mit ihm zu entwickeln 
und wird dann eine Art von Rasseneigenschaft. Einige Beobach¬ 
tungen sprechen ziemlich deutlich hierfür. 

Sicher also giebt es keine Gegenden, die man bloss aufzusuchen 
brauchte, um immun gegen die Tuberkulose zu werden. Wohl aber 
scheint eine gewisse Bodenbeschaffenheit begünstigend auf das Auf¬ 
treten dieser Krankheit zu wirken. Die Untersuchungen Finkeln¬ 
burg’s decken sich hier mit denjenigen englischer und amerikanischer 
Forscher — Buchanan, Bowditch —, und laufen darauf hinaus, dass 
das Wesen dieser Bodenbeschaffenheit Undurchlässigkeit, stauender 
Wassergehalt, oft moorige Art des Untergrundes sei. Auf Grund 


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umfassender statistischer Vergleiche, die sich über ganz Deutschland 
erstrecken, kommt Finkelnburg zu dem Schlüsse, dass eine mässig 
hohe Hügellandschaft mit nördlich oder nordwestlich vorliegendem 
Gebirgsschütz und mit durchlässiger Bodenformation die günstigsten 
Bedingungen gegen endemische Disposition zur Tuberkulose gewähre, 
dass also derartige Oertlichkeiten sich auch am besten zur Anlage 
von Heilstätten eignen würden, wenn man von der deutschen See- 
ktiste, deren Vortheilen viele Nachtheile entgegenstehen, absieht. 
Jedenfalls ist die Beschaffenheit des Untergrundes von weit grösserer 
Bedeutung als die gewöhnlichen klimatischen Factoren, die doch, 
wie z. B. der Feuchtigkeitsgehalt der Luft, auch sehr von ihr ab- 
hängen. Gegenden mit nassem Boden haben meist unbehagliche 
Abkühlung gegen Abend, oft mit Nebelbildung aus dem Boden, und 
bieten manche Unzuträgliclrkeiten sogar für den Gesunden. Dem 
Lungenkranken muss das ferngehalten werden, und Hohenhonnef 
besitzt einen seiner besten klimatischen Vortheile darin, dass es 
dank seiner stets trockenen Bodenbeschaffenheit sehr gleichmässige 
Tagestemperatur und besonders schöne, niemals feuchte Abende 
hat, wie seine Lage überhaupt den Finkelnburg’schen Anforderungen 
durchaus entspricht. 

Auch die neuerdings viel beredete Veränderlichkeit der Zahl 
der rothen Blutkörperchen mit der Meereshöhe — zunehmende Höhe 
zunehmende Zahl und umgekehrt, ergiebt keinen Anhalt für die 
Annahme specifisch wirkender klimatischer Kräfte, die der Heilung 
der Tuberkulose zu Gute kämen. Fast scheint es, als ob selbst die 
Richtigkeit der Beobachtung zweifelhaft sei. Grawitz beispielsweise 
bestreitet die Neubildung von rothen Blutkörperchen im Gebirge, 
weil die mit ihrer Vermehrung, beispielsweise durch Reizung des 
Knochenmarks, sonst stets verbundene Leukocytose, Vermehrung 
auch der weissen Blutkörperchen fehlt. Ebenso unmöglich sei das 
rasche Verschwinden der vermehrten rothen Blutscheiben beim 
Uebergang in die Ebene, weil bei massenhaftem Untergange von 
rothen Blutkörperchen Anhäufung von Galle in der Leber, Icterus 
und Hämoglobinurie eintritt. Hiervon zeigt sich aber nichts, sonst 
müsste jede rasche Rückreise aus dem Hochgebirge schwere Krank¬ 
heitserscheinungen hervorrufen! Geben wir aber einmal die Richtig¬ 
keit der Beobachtung zu, so handelt es sich um ein Zunehmen der 
Zahl der rothen Blutkörperchen, dem nach einigen Autoren allerdings 
auch eine Vermehrung des Hämoglobingehaltes entspricht, während 
andere — F. Wolff und Koeppe — ausdrücklich die Verminderung 
des Hämoglobins betonen. Die nächstliegende Deutung würde dann 
dahin gehen, dass es sich um einen Anpassungsvorgang handele, 
durch den die Natur das Leben in höheren Regionen erst zu er¬ 
möglichen sucht. Die Vermehrung der Zahl und damit der Ober- 


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fläche der rothen Blutscheiben würde die Sauerstoff-Aufaahme aus 
der dünnem Luft erleichtern, bis in sehr beträchtlichen Höhen die 
Einrichtung versagt und der von Jourdanet beschriebene Zustand 
der Anoxyhämie auftritt, d. h. ein an schwere Chlorose erinnern¬ 
der Vorgang; auch die sogen. Bergkrankheit fände hier eine Er¬ 
klärung. Wie so das nun dem gesunden, oder gar dem tuber¬ 
kulösen Menschen einen Nutzen bringen soll, ist ganz unerfindlich. 
Weit eher könnte man aus diesen Beobachtungen, stets ihre Richtig¬ 
keit vorausgesetzt, einen schädlichen Einfluss des Gebirgsklimas 
ableiten. Denn das Entscheidende im Blute ist nicht Zahl und 
Oberfläche der rothen Blutkörperchen, sondern Menge und Güte 
des Hämoglobins, welches im Gebirge, wenigstens nach F. Wolff, 
sich vermindert. Die Schlussfolgerung wird denn auch in der That 
gezogen, dass jeder Gebirgsbewohner, Gesunder oder Kranker, 
eigentlich chlorotisch sein oder werden müsste! Nach allen bis¬ 
herigen Erfahrungen kann eine solche Blutverschlechterung dem 
Lungenkranken nur Schaden und Gefahr bringen! 

Alle derartige Theorien tragen schon in ihrer Einseitigkeit 
den Keim der Schwäche und Unhaltbarkeit. Die blosse Erhebung 
über den Meeresspiegel kann doch unmöglich für die hygienisch¬ 
klimatische Bedeutung eines Ortes in erster Linie entscheiden, 
am wenigsten bei Höhenunterschieden von wenigen 100 Metern. 
Die geographische Breite, die Art der Erhebung — ob breite Hoch¬ 
fläche, ob rasch ansteigender Berg, die Lage nach den Himmels¬ 
richtungen, das Verhältniss zu den herrschenden Winden, die 
Bodenbeschaffenheit in ihrer bereits erwähnten hohen Wichtigkeit, 
der Pflanzenwuchs, besonders der Wald, die Lage inmitten oder 
fern von menschlichen Ansiedelungen und noch viele andere Dinge 
wirken in so mannigfacher und entscheidender Weise zusammen, 
so dass es geradezu unsinnig erscheint, wenn einer einzelnen Beob¬ 
achtung, von deren besonderer Wirkung bisher Niemand etwas ge¬ 
sehen hat, nun gleich die entscheidende Bedeutung beigemessen 
wird. 

Diese Schwärmer vergessen ganz die aus den Versuchen Paul 
Bert’s bekannte Thatsache, dass die Wirkung der Druckvermin¬ 
derung auf Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung erst 
dann physiologisch bemerkbar wird, wenn der Partiardruck des 
Sauerstoffs um ein Viertel, also der Luftdruck von 760 mm 
auf 570 mm sich vermindert hat, was einer Seehöhe von etwa 
2000 m entspricht. Neuere Untersuchungen von A. Loewy erweisen 
sogar, dass selbst Verdichtung der Luft bis auf den doppelten 
Atmosphärendruck und Verdünnung bis auf den halben Atmosphären¬ 
druck Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung nicht zu 
ändern vermögen! Auch das Verhältniss beider, der respiratorische 


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Quotient, bleibt desshalb constant. Entsprechend berichtet Disird 
Charnay, dass er die Indianer am Popocatepetl in der Höhe von 
4—5000 m gesund und stark fand, trotzdem die meisten schon seit 
20—30 Jahren in diesen Höhen zum Zwecke des Schwefeltransportes 
aus dem Gipfelkrater des Berges lebten! Was wollen gegenüber 
solchen Thatsachen, die eine Anpassung in ganz überraschend weiten 
Grenzen erweisen, die geringfügigen Erhebungen unserer deutschen 
Mittelgebirge besagen, und was soll man von Theorien über die 
Unterschiede von wenigen hundert Metern in diesen kleinen Ge¬ 
birgen halten, die auf einseitigen, durchaus nicht einwandfreien 
Beobachtungen fussen, und durch die Erfahrung auch nicht die 
mindeste Bestätigung finden! Der hygienisch-klimatische Werth 
dieser prächtigen und gerade für die Behandlung der Tuberkulose 
so werthvollen Landschaften wird doch sicherlich dadurch nicht 
gesteigert, dass man ihm Eigenschaften andichtet, die selbst das 
Hochgebirge in den in Betracht kommenden Höhen nicht besitzt! 

Niemand wird nun behaupten wollen, dass unsere Mittelgebirge 
überall gleichwertig als Aufenthalt für den Lungenkranken seien. 
Nichts würde unrichtiger sein! Uns fehlen leider bisher eingehende 
Beobachtungen und vergleichende Untersuchungen über die Wir¬ 
kung der Veränderung des Aufenthaltes überhaupt, deren 
hohe Wichtigkeit ausser Zweifel ist. Jeder von uns kann das an 
sich beobachten, wenn er aus der ermüdenden Berufstätigkeit, aus 
dem Einerlei der Arbeit einmal ausspannt Alle Functionen ge¬ 
winnen bald neue Spannkraft, da sie irgendwie eine mächtige An¬ 
regung erfahren. Was bei der Veränderung des Aufenthalts wirkt, 
gehört, wie so manches andere bei klimatischen und Badekuren, 
noch zu den Imponderabilien. Wir können es nicht wägen, nicht 
messen, nicht in exacte Formeln bringen, und doch ist die bedeut¬ 
same Wirkung da. Ein wirksames Heilverfahren gegen die Tuber¬ 
kulose darf desshalb niemals auf den gewaltigen Vortheil verzichten, 
der in dem Herauslösen des Kranken aus den Verhältnissen, unter 
denen er krank wurde, liegt. Er soll allen aufregenden, störenden, 
ermüdenden Einflüssen seiner gewohnten Umgebung und Lebens¬ 
weise in Beruf und Familie entzogen, und dafür an einen ruhigen, 
behaglichen, mit allen gesundheitlichen Einrichtungen versehenen 
Ort versetzt werden. Was das allein zu bedeuten hat, fühlt und 
weiss am besten der Kranke; es ist oft rührend, wie er es schildert. 
Desshalb bleibt zu Hause trotz anscheinend günstiger Umstände 
der Erfolg eine Ausnahme. In den heimischen Verhältnissen ist 
eine wirkliche und dauernde Durchführung der nothwendigen 
Maximen trotz ihrer scheinbaren Einfachheit fast unmöglich, und 
zwar besonders für den Kranken, der dieselben noch nicht aus 
eigener Erfahrung kennt, der noch „ungeschult“ ist. Die Anfor- 


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derungen des Berufes, der Familie, der Geselligkeit machen un¬ 
weigerlich ihren Einfluss geltend, so lange der Kranke ihnen nicht 
gänzlich entrückt ist. Es fehlt desshalb die zielbewusste Consequenz 
des Thuns und Lassens, die allein den Erfolg gewährleistet und 
die fast von selbst sich ergiebt, sobald ein Kurort aufgesucht wird, 
wo alle Einrichtungen und Vorkehrungen dem Nutzen und dem Be¬ 
dürfhiss des Kranken angepasst sind, wo eine feste Tagesordnung 
ihn unwillkürlich auf dem richtigen Wege hält. 

Das Heilverfahren, wie es in Hohenhonnef durchgeführt wird, 
ist schon in diesem Sinne eine klimatische Kur. Es stellt aber 
auch ausserdem an die klimatischen Verhältnisse des Ortes, wo der 
Lungenleidende behandelt werden soll, eine Reihe von Anforderungen. 
Welcher Art dieselben sind, ergiebt sich im Wesentlichen aus den 
vorhergehenden Ausführungen. Schon die allgemeine landschaft¬ 
liche Lage ist nicht gleichgültig. Der Lungenkranke soll monate¬ 
lang an einem und demselben Orte leben, getrennt von der Heimat 
und mit Verzicht auf manche gewohnten Genüsse und Anregungen. 
Da hat er wohl ein Recht auf den landschaftlichen Reiz des Ortes, 
wo er Genesung sucht. Es gesundet sich angenehmer und leichter 
in einer schönen Gegend. Wir haben hier wieder ein Imponderabile, 
dessen Werth nicht gering anzuschlagen ist. Auf den grossen 
Vortheil einer freien Lage, eines freien Ausblicks in die offene 
Landschaft darf und soll man desshalb nicht verzichten. 

Man kommt damit fast von selbst auf die Wahl des bewaldeten 
Gebirges, welches alle Vorbedingungen am ehesten vereinigt, und 
aus mancherlei Gründen der Meeresküste, wenigstens bei uns, vor¬ 
zuziehen ist. Im Gebirge lassen sich beispielsweise Windschutz, 
Schatten, Wege in abgestuften Steigungen und vieles andere sehr 
leicht erreichen. Auf die ausschlaggebende Wichtigkeit einer rich¬ 
tigen Bodenbeschaffenheit ist nochmals hinzuweisen. Der Boden, 
auf dem wir leben, bedingt in hohem Maasse auch die Beschaffen¬ 
heit der Luft, in der wir leben. Dagegen hat es keinen Sinn, in 
unseren Mittelgebirgen, zumal in den nördlicher gelegenen, mög¬ 
lichst hoch hinaufzugehen, weil die dort herrschende Rauhheit und 
Unwirthlichkeit des Klimas die Benutzung während des ganzen 
Jahres unnöthig erschwert, 'ein Nachtheil, der durch keinen Vor¬ 
theil ersetzt wird. Die klimatischen Annehmlichkeiten und Vorzüge, 
die das Hochgebirge zumal im Winter bietet, werden dort nirgends 
erreicht, und auch im Hochgebirge giebt es keine besonderen Heil¬ 
kräfte gegen die Tuberkulose. 

Dagegen erblicken wir in dem Vorhandensein reiner, von 
schädlichem Staube freier, gesunder und anregender Luft einen 
Heilfactor von solcher Bedeutung, dass er allein an Gewicht alle 
andern aufwiegt. Solche Luft muss also in reichlichster Menge 


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vorhanden und ihre reine Beschaffenheit auch dauernd gesichert 
sein, nicht bloss für die Gegenwart, sondern auch für absehbare 
Zukunft, so dass nicht durch unliebsame Nachbarschaft, die sich 
später ansiedelt, verdorben und gestört wird, was Anfangs gut war. 
Wie günstig Hohenhonnef in dieser Hinsicht durch Lage und Ein¬ 
richtung dasteht, ergiebt sich aus der vorstehenden Beschreibung 
des Sanatoriums. Die unausgesetzte Einwirkung reiner, stetig er¬ 
neuerter Luft bei Tag und Nacht, der möglichst ausgedehnte Aufent¬ 
halt im Freien, je nach Maassgabe der Kräfte des Kranken in Ruhe 
oder in Bewegung, also eine vernünftige, dem Zustande des Ein¬ 
zelnen sorgsam angepasste Freiluftkur erscheint in der That als 
ausschlaggebendes Hauptkurmittel. Dass dabei Ueberanstrengungen 
jeder Art und Erkältungseinflüsse, rauher Wind, schroffer Tem¬ 
peraturwechsel, grosse Feuchtigkeit, zu meiden sind, ist selbst¬ 
redend. 

Alle Einrichtungen im und am Hause, sowie in der Umgebung 
unserer Anstalt zielen darauf hin, eine solche Dauerluftkur bei 
Tag und bei Nacht, im Sommer und im Winter, für den ver¬ 
schiedensten Kräftezustand unserer Patienten durchzuführen, und 
es gelingt vorzüglich. Wesentlich erleichtert wird es durch die 
Hallenanlagen mit den Liegesesseln. Nach dem Vorgänge und den 
guten Erfahrungen in Falkenstein lassen wir nämlich mit Vorliebe 
die Kranken im Freien auf diesen eigens zu dem Zwecke gebauten 
Sesseln mit beweglicher Rücklehne liegen — Ruheluftkur. 
Diese Art der Kur, welche im Hochsommer ihre Ergänzung durch 
Liegen ganz im Freien, im Walde in bequemen Hängematten oder 
leicht transportabel Klappstühlen findet, ist für den Kräftezustand 
mancher Patienten, sowie überhaupt bei regnerischem oder win¬ 
digem Wetter die einzige Möglichkeit, mit Behagen dauernd im 
Freien zu verweilen, und bewährt sich auch im Winter vorzüglich. 
Wir sind mit ihrer Hülfe in der Lage, die meisten Patienten von 
früh Morgens bis Abends 10 Uhr unabhängig von Wetter und 
Jahreszeit draussen leben zu lassen. Jeder Kranke hat seinen be¬ 
sonderen Liegesessel, der ihm ausschliesslich zur Verfügung steht. 
Auch die Kräftigeren benutzen ihn, namentlich auch zum Aus¬ 
ruhen nach Spaziergängen. Findige Patienten lernen leicht mit 
Benutzung kleiner Vorrichtungen in liegender Lage schreiben, 
zeichnen, malen u. dergl.; die Beschäftigung mit Lesen, leichten 
Handarbeiten u. dergl. ist natürlich ohne Weiteres bequem möglich. 

Die ausgezeichnete Lüftung unserer Patientenzimmer hat die 
Einrichtung besonderer Schlafstätten im Walde niemals als wünschens¬ 
wert nahe gelegt, obwohl es in Hohenhonnef leicht zu machen 
wäre. Der- Gedanke ist an sich rationell und fand auch bereits 
Ausführung. Solche Schlafstätten eignen sich aber nur fUr den 


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Sommer, also eine kurze Zeit des Jahres, und haben auch manches 
Missliche, das gern von ihnen absehen lässt, wenn der Zweck auf 
andere Weise ebenso gut erreicht wird. 

Der Liegekur schreiben wir auch eine direct therapeutische, 
heilende Wirkung zu. In demjenigen Stadium der Krankheit, wo 
noch active Reizzustände in der erkrankten Lunge, Fieber oder 
Neigung zu Fieber vorhanden sind, bedarf das kranke Organ un¬ 
bedingt der Ruhe und Schonung. Dazu kommt die Rücksicht auf 
das Herz, dessen Kraft und Leistung bei der Tuberkulose, häufig 
schon vor ihrem Ausbruche, so sehr oft erheblich herabgemindert 
ist, dem namentlich Fieberzustände sehr zusetzen. Mit unüber¬ 
legter Verordnung von Bergsteigen und Athemübungen ist 
in vielen Fällen in bester Absicht oft rechter Schaden angerichtet 
worden. Dieser Schaden ist fast unvermeidlich, wenn unerfahrene 
Lungenkranke in einen offenen Kurort geschickt werden, wo die 
neuen Eindrücke zu Ueberschätzung der eigenen Leistungsfähig¬ 
keit und entsprechend zu Ueberanstrengungen mit ihren Folgen 
geradezu verleiten. 

Die Verordnung von Bergsteigen und Athemübungen passt für 
ein anderes Stadium der Krankheit, wenn durch Ruhe, Pflege und 
Schonung der Kräftezustand gehoben und gleichmässiges Besser¬ 
befinden eingetreten ist, wenn gleichzeitig der Arzt durch Beob¬ 
achtung die Eigenart des Patienten besser erkannt hat. Dann 
sind sie von hohem Werthe, können durch gewisse lungen¬ 
gymnastische Uebungen ergänzt werden, und sollen fleissig 
und methodisch, aber immer vorsichtig geübt werden, um diejenige 
Leistungsfähigkeit wieder zu erreichen, welche zur wirklichen Ge¬ 
sundheit, zum Wiedereintritt in das Leben, in den Beruf erforder¬ 
lich ist. 

Es ist sonderbar, wie die medicinische Wissenschaft auch auf 
dem Specialgebiet der Tuberkulose in Extremen sich bewegt. Als 
man anfing sich loszumachen von der Watte- und Flanelltherapie 
alter Zeit und einsah, dass der Lungenkranke viel besser gedieh, 
wenn er der freien Luft nicht entzogen wurde, konnte man sich 
nicht genug thun mit der Empfehlung von Bergsteigen und reich¬ 
licher Bewegung „Abkilometern der Gegend“. Diese unterschied¬ 
lose Uebertreibung, welche natürlich mehr schadete als nützte, ist 
durch die Erfahrung eigentlich längst auf das richtige Maass zurtick- 
geführt. Gleichwohl müssen wir es nun erleben, dass neuerdings 
ebenso unterschiedslos ausschliessliche Ruhe, Bewegung höchstens 
auf ebenem Wege, als das einzig Richtige angerathen wird! Aber 
das Wahre und Richtige hat stets in der Mitte gelegen, und es 
für den einzelnen Fall zu finden, ist Sache der individualisirenden 

CentraTblatt f. »11g. Geroudheitqpflege. XY. J»brg. 22 


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ärztlichen Kunst, die in solchen Dingen allgemein gültige Regeln, 
Schablonen nicht kennt und nicht kennen darf, ohne sich selbst 
aufzugeben. 

Nun tritt die Frage an uns heran, warum verordnen wir den 
Lungenkranken möglichst reichlichen Genuss reiner, frischer Luft, 
warum sehen wir Erfolg von dieser Verordnung, ist solche Luft 
nun nicht ein Heilmittel gegen die Tuberkulose? Es wird der 
Versuch angeführt, dass tuberkulös inficirte Kaninchen ebenso 
schnell zu Grunde gingen, wenn sie nach Davos verbracht wurden, 
als wenn sie in Berlin blieben, wo man die Infection mit dem 
Tuberkelpilz vorgenommen hatte; die Thiere wurden beidemal im 
Stalle gehalten. Der Versuch beweist, dass auch in Davos die 
Luft nichts enthält, was direct auf den tuberkulösen Process ein¬ 
wirkt, und da das auch anderswo nach unserer Darlegung nicht 
der Fall ist, so kann man in der That die reine Luft ein Heil¬ 
mittel gegen die Tuberkulose nicht nennen. Aber so ist auch die 
Wirkung nicht zu deuten! Andere Versuche werden die Erklärung 
geben. Bereits Brown-S4quard impfte Kaninchen mit Tuberkulose, 
hielt sie aber dann nicht im engen Stalle, sondern unter möglichst 
günstigen äusseren Bedingungen in einem geräumigen Gewahrsam 
bei reinlicher, häufig gewechselter Streu, reichlicher Nahrung und 
freier Luft: angeblich starb keins. Noch chrakteristischer sind 
Versuche, welche ein amerikanischer Specialist Trudeau in Saranac- 
Lake, N.-Y. anstellte. Er impfte eine Anzahl gesunder Kaninchen 
in gleicher Weise durch Injection einer gleichen Menge einer Auf¬ 
schwemmung von Tuberkelbacillen in Wasser unter die Haut. Die 
Hälfte der Thiere wurde in einem engen Käfig bei schlechter 
Nahrung in einem Keller gehalten, die andere Hälfte aber auf 
einer Sandinsel im benachbarten See in Freiheit gesetzt. Sie lebten 
dort in frischer Luft und Sonnenschein, hatten reichlichstes Futter 
und überhaupt alle Bedingungen, welche ein Kaninchenherz freuen 
können. Die erste Hälfte der Thiere starben in der gewöhnlichen 
Zeit sämmtlich, und zeigten sich durch und durch tuberkulös. Von 
der zweiten Hälfte starb dagegen nur eines an Tuberkulose, wäh¬ 
rend die andern durchaus gesund blieben, und, als sie getödtet 
wurden, nirgends irgendwelche Zeichen von Tuberkulose darboten; 
sogar der Stich der Injectionsnadel konnte nicht gefunden werden. 

Dieser lehrreiche Versuch ist fast in jeder Hinsicht ein Para¬ 
digma unserer Heilbestrebungen gegen die Tuberkulose. Die ein¬ 
zelnen Factoren dieser Bestrebungen sind nicht an sich Heilmittel, 
also auch die Luft nicht, aber sie alle wirken zusammen, um mög¬ 
lichst günstige äussere und innere Bedingungen für den Organismus 
zu schaffen, die vitale Energie seines Zellenlebens anzuregen, und 
ihm dadurch den Sieg über seine Feinde zuzuwenden. 


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So wird auch klar, warum wir auf der unausgesetzten Ein¬ 
wirkung möglichst reiner, anregender Luft bestehen, und die 
dunstige, staubige Luft der Städte für schädlich ansehen. Wie das 
klare frische Wasser eines Baches auf den Fisch wirkt, der aus 
einer abgestandenen trüben Pfütze sich rettet, so wirkt auch die 
reine Luft eines guten Kurortes auf die leidende Lunge, für die 
sie nach alter Sprache das „pabulum vitae“ vorstellt. 

Der dauernde Aufenthalt im Freien erzweckt gleichzeitig die 
Gewöhnung an die Witterungseinfltisse. Unabhängigkeit 
wenigstens gegenüber dem gewöhnlichen Wechsel des Wetters — 
bei extremem Wetter bleibt man am besten zu Hause — ist für 
den Lungenkranken eine hochwichtige Angelegenheit, und als solche 
von jeher allgemein anerkannt. Ist auch die Tuberkulose keines¬ 
wegs eine Erkältungskrankheit, wie man früher wohl annahm, 
sondern eine Infectionskrankheit auf Grund einer eigenartig ge¬ 
schwächten Gesundheitsbreite, so können doch Erkältungseinfltisse 
unzweifelhaft Anlass zum Ausbruch und zur Weiterverbreitung des 
Krankheitsvorganges werden. Der dauernde Aufenthalt im Freien, 
die allmähliche Gewöhnung an den Wetterwechsel ist das unerläss¬ 
liche Mittel, um zu einer wirklichen Abhärtung zu gelangen, 
die wir ja am deutlichsten bei denjenigen Menschen sehen, welche 
die Art ihres Berufes reichlich in’s Freie bringt. 

Wesentlich unterstützt wird die Abhärtung durch gleichzeitig 
angewandte hydrotherapeutische Anwendungen auf die 
Haut, Abreibungen, Duschen, Bäder, von welchen regelmässiger, 
dem Einzelfall angepasster Gebrauch gemacht wird. 

Hier ist auch ein Wort zu sagen über die Bekleidung des 
Lungenkranken. Bei diesem muss das oberste Gesetz gesundheifc- 
mässiger Bekleidung „genügend warm und doch genügend durch¬ 
lässig für die Hautausdünstung und den Luftzutritt“ besonders sorg¬ 
sam durchgeführt werden. Im Allgemeinen soll sich der Lungen¬ 
kranke nicht zu leicht kleiden, beispielsweise immer Unterzeug 
tragen, weil die Energie der Blutbildung bei ihm gewöhnlich herab¬ 
gemindert ist, und die Wärmeregulirung entsprechend mangelhaft 
geschieht. Es werden heutzutage geeignete Stoffe für Unter- und 
Oberzeug in reichlicher Auswahl in den Handel gebracht, von 
Wolle, Baumwolle, Leinen und Seide. Eine bestimmte, allgemein¬ 
gültige Regel lässt sich nicht angeben; auch die Frage der Be¬ 
kleidung enthält ein individuelles Moment. Wenn nach- und neben¬ 
einander Wolle, Baumwolle und Leinen als alleiniger Heiland an¬ 
gepriesen werden, so folgt daraus schon, dass man auf verschiedene 
Weise zum Ziele gelangen kann. Wer Wolle wählt, ist nicht immer 
weise. Ihren Vortheilen stehen ebenso schwere Missstände entgegen, 
die Schwierigkeit der Reinigung, das leichte Verfilzen. Man muss 

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eine sehr grosse Auswahl an wollenen Sachen haben, und sich ent¬ 
schlossen, dieselben nur chemisch waschen zu lassen. Da das recht 
kostspielig und umständlich ist, so kann man oft genug Unglaubliches 
von der Wolle sehen; sie wird leicht das schlechteste Unterzeug, 
so dass ihr Baumwolle oder Leinen, oder gemischte Stoffe weit 
vorzuziehen sind. 

Luftkur und Abhärtung sind die Mittel zur Anregung der 
Bluterneuerung. Zur eigentlichen Blutbildung bedürfen sie 
als Grundlage und nothwendige Ergänzung der Zufuhr passender 
reichlicher Nahrung. Steigerung der Ernährung, und zwar 
nicht etwa im Sinne einer blossen Mastkur, ist naturgemäss Grund- 
erforderniss eines auf die Hebung der organischen Widerstands¬ 
fähigkeit hinzielenden Heilverfahrens. Wenn man den Lungen¬ 
kranken nicht ernähren, seine Stoffwechselvorgänge nicht mit 
positiver Bilanz arbeiten lassen kann, vermag man nicht, ihn zu 
heilen. Die Zufuhr geeigneter Nahrung muss desshalb ebenso um¬ 
sichtig und sorgsam systematisch durchgeführt werden wie die Luft¬ 
kur, die hier in gewissem Sinne nur Mittel zum Zweck ist Wir 
kommen beim Lungenkranken am weitesten und erreichen das 
Ziel am sichersten, wenn wir möglichst wenig künsteln, von den 
hundertfältig erfundenen und angepriesenen künstlichen Nährprä¬ 
paraten nur im wirklichen Bedarfsfälle Gebrauch machen, dagegen 
dem Patienten recht sorgfältig zubereitete, leicht verdauliche Speisen 
vorsetzen, wie sie erfahrungsmässig auch dem Gesunden am zu¬ 
träglichsten sind. Es sollen häufige Mahlzeiten, fünf am Tage, ge¬ 
reicht werden, und zu Mittag und Abend soll eine gewisse Aus¬ 
wahl von Speisen vorhanden sein, damit leichter gefunden wird, 
was dem Geschmacke des Einzelnen zusagt. Es braucht nicht bei 
jeder Mahlzeit oder gar von jedem Gerichte viel gegessen zu werden, 
aber es muss regelmässig gegessen werden, keine Mahlzeit darf 
überschlagen werden. Die Gewöhnung thut sehr viel. Besonders 
werthvoll sind, abgesehen von Fleischspeisen, gewisse Suppen und 
Breispeisen, namentlich Reisbrei, den unsere Patienten jeden Abend 
erhalten. Richtig gewählte, gemischte Kost bringt den Lungen¬ 
kranken am besten voran; ihren Nährwerth erst in Calorien um¬ 
zurechnen, ist überflüssig; regelmässig vorgenommene Wägungen 
des Kranken sagen uns in einfachster Weise, ob alles in Ordnung 
ist. Natürlich giebt es auch Fälle, wo alle diätetischen Künste 
herangezogen werden müssen, um vorwärts zu kommen; auch hierauf 
muss man eingerichtet sein. 

Kurmässiger Milchgenuss ist in die Ernährungsmethode 
regelmässig eingeschlossen, in der Weise, dass namentlich zu den 
Zwischenmahlzeiten, Vormittags und Nachmittags, zum zweiten Früh¬ 
stück und zum Vesperbrod Milch gereicht wird. Selten verordne 


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ich mehr als ein bis höchstens anderthalb Liter Milch täglich, die, da 
unser Kuhstall thierärztlich genau überwacht ist, roh oder gekocht, 
kalt oder gewärmt getrunken wird, oft mit gewissen Zusätzen, wie 
Kalkwasser, Mineralwasser, Cognac, je nachdem sie lieber genommen 
oder besser vertragen wird. Mit der Verordnung sehr grosser Mengen 
Milch, oder auch schon mit dem Anrathen, möglichst viel Milch 
zu trinken, wird häufig Schaden angerichtet, und selbst wenn die 
Milch literweise vertragen wird, wie es vorkommt, bleibt diese 
immerhin einseitige Ernährung, welche Lust und Fähigkeit zur 
Aufnahme anderer Nahrung herabmindert, bezüglich ihrer Zweck¬ 
mässigkeit zweifelhaft Es ist viel besser, ein massiges Quantum 
Milch, das gut vertragen wird, dauernd trinken zu lassen, als durch 
grosse Mengen, die fast stets nur zeitweilig verdaut werden, unan¬ 
genehme Magen- und Darmstörungen zu riskiren. 

Für den Lungenkranken ist die Küche die beste Apotheke. 
Bei ihm soll man desshalb von Arzneien recht sparsamen Gebrauch 
machen. Nicht als ob das Heilverfahren sie ausschlösse oder ihnen 
ablehnend gegenüberstände. Im Gegentheil, die gleichzeitige An¬ 
wendung von unmittelbar auf die KrankheitsVorgänge oder die 
Krankheitserreger wirkenden Arzneien würde gewissermaassen das 
Ideal der Behandlung der Tuberkulose vorstellen, da man auf 
beiden Wegen vereint zum Ziele streben würde. Aber solche Mittel 
besitzen wir eben nicht. Es handelt sich also um symptomatische 
Arzneien, Fieber-, Husten-, Schlafmittel u. s. w., deren man nicht 
entrathen kann, bei denen aber weise Sparsamkeit ein guter Lehr¬ 
meister ist. Leitsatz sollte sein, alle Arzneien fortlassen, welche 
die Magen- und Darmthätigkeit stören. 

Eine Zeitlang erfreute sich der Alkohol in Form von Cognac 
und Wein einer ganz besonderen Werthschätzung bei der Behand¬ 
lung der Tuberkulose, die vielfach zu Uebertreibung und Missbrauch 
geführt hat. Seine anregende und stärkende Wirkung wird man 
in der That immer hochschätzen, auch als Sparmittel bei fieber¬ 
haftem Verbrauch der Organsubstanz ihn gern anerkennen. Von 
einer unmittelbar fieberwidrigen Wirkung dagegen wird nüchterne 
Beobachtung nicht viel sehen können. Man muss sich mit der 
Thatsache begnügen, dass geistige Getränke in richtigem Maasse 
genossen keinesfalls die Blutwärme des fiebernden Kranken erhöhen, 
und dass überhaupt ihr mässiger Gebrauch für den Lungen¬ 
leidenden erfahrungsmässig sehr nützlich ist Wir lassen in Hohen- 
honnef regelmässig zum Mittagessen einige Glas nicht zu schweren 
Wein trinken — weissen oder rothen Rheinwein, Bordeaux —, zum 
Abendessen ebenso oder auch wohl eine halbe Flasche gutes Bier. 
Cognac, auch in der gegenwärtig beliebten Form des Eiercognacs, 
und starke Weine sind für manche Fälle von fieberhafter Anämie 


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sehr zweckmässig, oft unentbehrlich. Man muss nach Dettweiler’s 
Vorgang kleine Mengen vertheilt und wiederholt am Tage nehmen 
lassen, jede berauschende Wirkung sorgfältig fernhalten. Zusatz 
von einigen Theelöffeln Cognac macht bekanntlich für manche 
Kranken die Milch verdaulicher. Neben den gewöhnlichen Süd¬ 
weinen und Ungarweinen verdient der neuerdings in den Handel 
gebrachte Malzwein, unnützerweise „Maltonwein tt genannt, eine 
Erwähnung. Leider ist er meist zu süss, weil man ihn, anstatt ein 
originelles Product daraus zu machen, surrogatartig dem Tokeyer 
oder Sherry annäherte. Er wird aus sehr stark eingekochter Malz¬ 
maische durch ein besonderes Gährungsverfahren mittels Reincultur 
von südlicher Weinhefe dargestellt, und ist also seinem Ursprünge 
nach reinlich und zweifelsohne mehr jedenfalls als viele Südweine, 
die Stärke und Feuer allzuhäufig nordischem Sprit verdanken. 
Wenn die Hersteller des Malzweines auf dauernd zuverlässige 
Waare halten, wird er schon seines billigen Preises halber sich ein¬ 
führen. 

Es würde viel zu weit führen, hier und in vielen andern 
Punkten, die noch in Betracht kämen, auf Einzelheiten einzugehen. 
Mit einigen Worten ist aber noch der Stellung und Thätigkeit des 
Arztes in der Anstalt zu gedenken. Sie ist keine leichte. Denn 
er muss die Seele des ganzen Getriebes sein, dem seine Persönlich¬ 
keit das Gepräge giebt. Seine Aufgabe ist, den für den Einzelfall 
passenden Heilplan nicht bloss anzurathen, sondern auch praktisch 
durchzuführen. Dazu bedarf es milden und geduldigen Eingehens 
auf die Eigenart des Kranken, und auch wieder umsichtiger, un¬ 
beugsamer Energie. Beides zusammen nur führt zum Ziele. So 
gewinnt seine Thätigkeit zu der rein ärztlichen auch eine er¬ 
zieherische Seite, und so sollen die Anstalten die Orte sein, wo der 
Kranke nicht nur nach Möglichkeit gesund wird, sondern auch 
lernt, wie er gesund bleibt. Die Erfolge einer wirksamen Methode 
werden um so schneller, zahlreicher und sicherer eintreten, je inten¬ 
siver und consequenter sie durchgeführt wird. Desshalb muss die 
Stellung des Anstaltsarztes eine solche sein, dass er sämmtliche 
den Kranken umgebenden und betreffenden Verhältnisse gleichmässig 
und vollständig beherrschen und gestalten kann. Kommt hierzu 
Lust und Liebe zur Sache und die nöthige Erfahrung, so wird es 
an gedeihlichem Erfolge nicht fehlen. Bloss auf die Heilmethode, 
deren Grundzüge im Vorherigen dargelegt wurden, wird sich eine 
Heilanstalt fUr Lungenkranke nicht begründen lassen; sie verlangt 
als Leiter jemanden, der mit Herz und Kopf sich ihr hingiebt. 
Hieraus erklärt sich, warum zwar die einzelnen Anstalten sich 
Anerkennung errungen haben, warum aber die Grundidee doch nur 


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sehr langsam durchdringt. Es würde sonst anders aussehen in der 
Behandlung der Tuberkulose! 

Hohenhonnef als das jüngste Sanatorium für Lungenkranke 
muss auch über seine bisherigen Leistungen Auskunft geben. 
Dies kann freilich nur mit gewissen Einschränkungen geschehen, 
da die Anstalt noch sehr jung an Jahren ist Nimmt man aber die 
Zeit der provisorischen Anstalt hinzu, so stehen immerhin die Er¬ 
fahrungen von fast genau fünf Jahren zu Gebote. In dieser Zeit 
wurden im Ganzen aufgenommen 725 Kranke. Von denselben sind 
zunächst abzuzählen 72 Patienten, welche noch in Behandlung sind, 
und ferner 11, welche entweder nur zur Beobachtung hier waren 
oder an anderartigen Krankheiten litten. Die übrigen 642 aber 
litten an Lungentuberkulose verschiedener Grade mit und ohne 
Complicationen in anderen Organen. Die Diagnose war klinisch 
und in den allermeisten Fällen auch bakteriologisch festgestellt. 
Jeder meiner Patienten bekommt bei der Entlassung im Kranken¬ 
buche eine „Censur“, und zwar in der Reihenfolge: Bester Erfolg, 
recht guter Erfolg, befriedigender Erfolg, Nichterfolg, Tod. Ich 
spreche also zunächst nicht von Heilung, weil hierzu der Verlauf 
nach der Heimkehr, die Dauer des Erfolges gehört. Indessen ent¬ 
sprechen die drei ersten Rubriken den gewöhnlich angewandten 
Bezeichnungen Heilung, annähernde Heilung, Besserung. Von den 
642 Patienten wurden in diesem Sinne 90 oder 15°/o als „geheilt“, 
174 oder ca. 27°/o als „annähernd geheilt“, 176 oder ebenfalls ca. 
27 °/o als „gebessert“ entlassen. Bei den übrigen blieb der Erfolg 
aus, und zwar fast durchweg, weil das Leiden zu weit vorgeschritten 
war, als dass man überhaupt noch Besserung oder Heilung er¬ 
warten durfte. Diese Ergebnisse, welche insgesammt etwa 69°/o 
erfolgreiche Kuren aufweisen, mit einer verhältnissmässig be¬ 
deutenden Zahl vollständiger, zum Theil überraschender Heil¬ 
resultate sind sehr erfreulich. Ihre Aufstellung ist möglichst streng 
und ohne Voreingenommenheit geschehen; sie stehen den besten 
bisher veröffentlichten Statistiken mindestens gleich, und zeigen aufs 
Bestimmteste, dass zu einer wirksamen Behandlung der Tuber¬ 
kulose weder das ferne Hochgebirge, noch der sonnige, freilich 
noch mehr staubige Süden nöthig sind, sondern dass das ebenso gut 
und viel bequemer auf unsern heimischen Bergen, jedenfalls an den 
schönen Ufern des Rheines geschehen kann. Das ist ungemein 
tröstlich, wenn wir an die Lungenkranken der armen Klassen 
denken, die wir weder ins Hochgebirge noch in den Süden schicken 
können, und die wir doch nicht zu Kranken stempeln wollen, denen 
das Mindergute immer noch gut genug ist. Alles was aus den 
Orten, welchen manche immer noch eine besondere Wirkung auf 
die Tuberkulose zuweisen möchten, über starke Anregung des 


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Appetits und entsprechende Gewichtszunahme, rasches Verschwinden 
des Fiebers u. s. w. berichten, kann man ganz regelmässig auch 
in Hohenhonnef beobachten. Gewichtzunahme bis zu 10 Pfund in 
den ersten 14 Tagen sind nicht selten; sehr viele Kranke erreichen 
am Schlüsse ihrer Kur ein Gewichtplus von 20, 30 und sogar 
40 Pfund. Das rasche Verschwinden des Fiebers, welches zu 
Hause oder auch an anderen Kurorten wochen- und monatelang 
gedauert hatte, ist sehr häufig, oft ganz überraschend. 

Da ich mit den meisten meiner Kranken in Beziehung bleibe, 
viele später wiedersehe und zu untersuchen Gelegenheit habe, so 
kann ich auch, soweit es die Kürze der verflossenen Zeit erlaubt, 
über die Dauer des Erfolgs nach der Rückkehr in die Heimath 
ein Urtheil abgeben. Zahlenmässig ist das freilich erst nach längerer 
Zeit möglich. Die Dauererfolge sind naturgemäss ganz vorwiegend 
aus den beiden ersten erwähnten Rubriken zu suchen. Ich kenne 
aber bereits eine erkleckliche Anzahl Hohenhonnefer Patienten, 
welche schon seit mehreren Jahren voll und ganz wieder in ihrem 
Berufe leben, als Kaufleute, Beamte, Officiere in zum Theil recht 
anstrengender Thätigkeit, auch Frauen und Mädchen, welche 
durchaus gesund blieben. Es macht immer den Eindruck, dass 
die Erfolge, welche in Uebung und Gewöhnung an die wechselnden 
Wettereinflüsse des heimischen Klimas erreicht wurden, dauernder 
bestehen, als die in fremdartigem Klima gewonnenen, die so häufig 
bereits auf der Heimreise durch Rückfälle beeinträchtigt oder zer¬ 
stört werden. 

Der Anstaltsarzt muss alle Kranken aufnehmen, welche zu ihm 
kommen oder welche das Vertrauen der Collegen ihm zuweist. 
Wählen kann er nur in bescheidenen Grenzen. Eine Statistik, 
welche nur die heilbaren Fälle umfasst, ergiebt noch weit günstigere 
Resultate. Ich muss die Darlegung derselben einer späteren Zeit 
Vorbehalten, kann aber nicht unterlassen zu erwähnen, dass nach 
meiner Ueberzeugung der weitaus grösste Theil der frischen und 
leichteren Fälle geheilt, wirklich und dauernd geheilt werden kann! 

Allein man soll nicht als Schönredner erscheinen, und desshalb 
muss in die Freude Uber so erfreuliche Erfolge bei der bösesten 
Krankheit der Kulturmenschheit ein Tröpfchen Bitterniss fallen. 
Seit wir wissen, dass die Tuberkulose heilbar ist — die Heilung 
ist, wie wir sahen, nur ein Erlöschen des Krankheitsprocesses, nicht 
eine völlige restitutio in integrum, ist sie durchaus keine leicht 
heilbare Krankheit geworden. Dies kann nicht genug betont 
werden! Man darf von dem hygienisch-diätetischen Heilverfahren 
nicht zu viel, nicht das Unmögliche erwarten. Die Tuberkulose 
ist auch in den leichtesten und einfachsten Fällen ein ernst und 
schwer zu nehmendes Leiden, dessen Beseitigung unermüdliche 


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307 


Geduld und Ausdauer vom Kranken und auch vom Arzte erfordert 
Gerade weil constitutioneile Vorbedingungen die hochwichtige Vor¬ 
aussetzung für die Infection bilden, trotzt die Krankheit oftmals in 
scheinbar gutartigen Fällen allen Bemühungen, und in schweren, 
verschleppten Fällen ist die Einsicht in den Zusammenhang dann 
ein übler Trost für den Kranken. Wir müssen die Tuber¬ 
kulose im frühesten Beginne so behandeln, wie es 
bisher meist nur im späteren Verlaufe oder am trau¬ 
rigen Ende geschieht! Und gerade die Anfänge der Krank¬ 
heit sollten stets den Anstalten überwiesen werden! Für sie sind 
die Sanatorien, die Heilanstalten gebaut, die Orte, wo man in 
ernster und gründlicher Kur am sichersten gesund wird, und zu¬ 
gleich lernt, wie man gesund bleibt Denn nicht immer aus Leicht¬ 
sinn, sondern ebenso oft aus Unerfahrenheit versäumt der be¬ 
ginnende Lungenkranke das richtige Verfahren und damit die 
Heilung. Gerade diese Kranken bedürfen am meisten der An¬ 
leitung und Erziehung, des unmittelbaren Anhaltes am Arzte, der 
über den Ernst der Sache wie über die Aussicht der Heilung be¬ 
lehrt, stets aber die Nothwendigkeit der eigenen Mitwirkung betont, 
das Gefühl der eigenen Verantwortlichkeit beim Patienten wachhält. 

Auf dem Gebiete der möglichst frühzeitigen Erkennung der 
Tuberkulose ist noch sehr viel zu arbeiten und zu erreichen, und 
zwar nicht nur durch den Nachweis des Tuberkelpilzes, der 
immer schon sehr deutliche Veränderungen voraussetzen lässt. Es 
giebt leider immer noch Aerzte, welche von Tuberkulose erst 
sprechen, wenn sämmtliclie klinische Nachweise zu führen sind. 
Dann aber ist es vielfach schon zu spät für die Heilung, und in 
mancher Hinsicht hat die Entdeckung des Tuberkelbacillus nicht 
segensreich gewirkt. Man muss nicht immer auf handgreifliche 
Thatsachen warten, um eine sichere Diagnose zu stellen! Wenn 
man den Pilz nicht findet, darf man durchaus noch nicht schliessen, 
dass nun keine Tuberkulose vorhanden wäre. Man lese nur nach, 
was ein so erfahrener Kenner wie Penzoldt in seinem vortrefflichen 
Werke darüber sagt. Vielleicht gelangen wir durch die Vermitt¬ 
lung von Röntgend neuen Strahlen zu einem neuen Hülfsmittel 
früher Erkennung dieser Krankheit. Gründliche Versuche sollten 
gemacht werden. 

In der möglichst frühzeitig eingeleiteten, und gründlich, d. h. 
monatelang durchgeführten Anwendung des einzigen, bei der Tuber¬ 
kulose bisher bewährten Heilverfahrens liegt die nächste Zukunft einer 
wirklich erfolgreichen Behandlung dieses Leidens ausschliesslich. 
Auch schwere Fälle können ja heilen, und heilen oft wider Erwarten. 
Aber im Allgemeinen werden wir auch mit diesem Heilverfahren in 
rascher Stufenfolge um so ohnmächtiger, je länger das Lungenleiden 


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308 


gedauert hat, je weiter es sich ausgebreitet hat. Wenn die modernste 
Medicin bei einer verhältnissmässig einfachen, acuten Krankheit, 
der Diphtherie, die Anwendung eines als specifisch angesprochenen 
Heilmittels möglichst am ersten Tage mit Recht verlangt, so kann 
es nicht unbillig erscheinen, wenn wir für eine sehr verwickelte, 
chronische Krankheit mit Nachdruck Entsprechendes fordern. Die 
möglichst frühzeitige Anwendung unseres Heilverfahrens wird sicher¬ 
lich niemals schaden, sondern nur nützen und eine strenggenommen 
vielleicht einmal unnötigerweise unternommene Kur wird immer 
noch lehrreiche Erinnerungen hinterlassen. Wenn dieser Forderung 
Genüge geschehen ist, werden wir über die Heilbarkeit der Tuber¬ 
kulose anders denken lernen, und der in der Tiefe der Geister 
schlummernde Unglaube, das Haupthinderniss des Fortschritts, wird 
endlich überwunden sein. Nur dann werden die Volksheilstätten, 
deren Errichtung man jetzt endlich allerorts ins Werk setzt, den 
Erwartungen, die man an sie knüpft, entsprechen und die Hoffnung 
erfüllen, dass wir durch sie in geduldigem, zielbewusstem Kampfe 
die Geissei der modernen Menschheit, die Tuberkulose, allmählich 
besiegen werden. 


Soldaten - Selbstmorde. 

Von 

Dr. med. A. Pröbsting in Köln. 


Durch eine grosse Anzahl von Zeitungen ging vor Kurzem 
die hocherfreuliche Mittheilung, dass in der preussischen Armee 
die Zahl der Selbstmorde in den letzten Jahren ganz erheblich ab¬ 
genommen habe. Da diese Abnahme sich hauptsächlich seit Ein¬ 
führung der zweijährigen Dienstzeit bemerklich macht, so gehen 
wir sicher wohl nicht fehl, wenn wir die Verminderung der Soldaten¬ 
selbstmorde zum guten Theil auf die Erleichterung der Wehrpflicht, 
wie sie durch die zweijährige Dienstzeit bedingt ist, zurückführen. 

In den letzten Tagen ist das Capitel der Soldaten-Selbstmorde 
auch wieder im Reichstage erörtert worden, und so mag es wohl 
von Interesse sein, einen kurzen Blick auf die Häufigkeit und die 
Gründe der Selbstmorde in den einzelnen europäischen Armeen zu 
werfen. 

Obenan in der Häufigkeitsskala der Soldaten-Selbstmorde steht 
die österreichische Armee. Von 1870 — 74 kamen hier 89, 


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309 


von 1875—80 112 und von 1881—87 131 Selbstmorde auf 100000 
Mann; ausserdem kommen noch durchschnittlich 40 Selbstmord¬ 
versuche auf 100000 Mann. Die Selbstmorde machen etwa V§ der 
Gesammtsterblichkeit des österreichischen Heeres aus! 

An zweiter Stelle steht leider die deutsche Armee. Von 
1867—75 kamen 57, von 1875—78 61, von 1878-88 67 und 1890 
64 Selbstmorde auf 100 000 Mann. Von Seldstmordversuchen 
kommen etwa 10 auf 100 000 bei den deutschen Soldaten vor. 

In der preussischen Armee kamen von 1876—90 im Durch¬ 
schnitt 60,7 Selbstmorde auf 100 000 Mann. Seither ist nun eine 
ganz erhebliche und dauernde Abnahme zu constatiren. Die Durch¬ 
schnittszahlen betrugen nämlich für 1891 53,3, 1892 52,8, 1893 47,6, 
1894 43,9 und 1895 42,2 auf 100 000 Mann. 

Auch im französischen Heere macht sich eine erhebliche 
Abnahme der Selbstmorde bemerklich. Von 1862—69 zählte man 47, 
von 1872—89 nur 29 Selbstmorde auf 100 000 Mann. Sehr viel 
zahlreicher sind dagegen die Selbstentleibungen bei den französischen 
Truppen in Algier; dort kamen von 1872—79 63 Selbstmorde auf 
100 000 Mann. 

Ganz ähnlich steht es bei den englischen Truppen. Während 
in England selbst von 1882—1888 23 Selbstmorde auf 100000 Mann 
gezählt wurden, war die Häufigkeit derselben bei den englischen 
Soldaten in Indien mehr als doppelt so gross, nämlich 48 auf 
100 000 Mann. 

Die belgische Armee zählte von 1875—88 24, die russische 
von 1873—1889 20, die spanische 14, die italienische 40 
Selbstmorde auf 100000 Mann. 

In den früheren Heereskörpern, die sich durch Werbung 
recrutirten, waren es die alten Soldaten, die das Hauptcontingent 
der Selbstmörder ausmachten, und im englischen Heere ist es auch 
heute noch so. In Frankreich, Italien, Deutschland und ganz be¬ 
sonders in Oesterreich sind es dahingegen hauptsächlich die Re¬ 
kruten in den ersten Monaten, welche die meisten Selbstmorde 
begehen. Bei den Unterofficieren kommen verhältnissmässig viel 
mehr Selbstmorde vor, als bei den Gemeinen, und zwar etwa drei¬ 
mal so viel. Auch die einzelnen Waffengattungen zeigen grosse 
Unterschiede in der Häufigkeit der Selbstmorde; die meisten er¬ 
eignen sich bei der Cavallerie und dem Train, die wenigsten bei 
den Pionieren. Unter den militärischen Sträflingen in Festungen 
u. s. w. ist der Selbstmord selten, sehr zahlreich sind dahingegen 
die Selbstendeibungen bei den Soldaten im Arrest und in Unter¬ 
suchungshaft. 

Was die Art der Selbsttödtung angeht, so entleiben sich die 
meisten militärischen Selbstmörder, etwa die Hälfte, durch einen 


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310 


Schuss, und zwar fast immer durch einen Schuss in den Kopf. 
Nur bei den eingeborenen algerischen Soldaten ist der Schuss in 
die Brust weitaus am häufigsten, da sich bei den Arabern an die 
Verstümmelung des Kopfes eine entehrende Vorstellung knüpft 
Nach dem Erschiessen sind Aufhängen und Ertränken die häufigsten 
Todesarten. 

Wenn wir nun die veranlassenden Ursachen der Selbstmorde 
betrachten, so ist an allererster Stelle die Furcht vor Strafe zu 
nennen, die in Oesterreich und Deutschland etwa Vs, in Frank¬ 
reich Vs und in Italien Vt der Selbstmorde veranlasst. Leidenschaft 
ist in Frankreich (Vs) und in Italien (V7) viel häufiger Grund zum 
Selbstmord wie in Oesterreich und Deutschland. Geistesstörungen 
bilden fiir V5—V12 der Soldaten-Selbstmorde das veranlassende 
Motiv. Bei der österreichischen Armee ist der Widerwille gegen 
den militärischen Dienst eine der Hauptursachen des Selbstmordes 
bei den Soldaten; etwa 1 la der Selbstentleibungen ist auf diesen 
Grund zurtickzufehren, in den anderen Armeen und ganz besonders 
in Deutschland spielt dieser Grund eine viel geringere Rolle. Wenn 
man auch zugeben muss, dass Quälereien und schlechte Behandlung 
seitens der Vorgesetzten zuweilen einen Soldaten zum Selbstmorde 
treiben, so ist dies doch sicherlich viel seltener der Fall, als viel¬ 
fach angenommen und behauptet wird. Das geht schon aus der 
ungleich höheren Selbstmordziffer der Unterofficiere hervor, denn 
gerade diese letzteren werden vorzugsweise für die Soldaten¬ 
schindereien und für die dadurch hervorgerufenen Selbstmorde der 
Untergebenen verantwortlich gemacht. Auch Misshandlungen der 
Rekruten von Seiten der älteren Soldaten dürften wohl nur in ganz 
seltenen Fällen zum Selbstmord der Misshandelten führen. 

Eine höchst auffallende Erscheinung ist die, dass die Zahl der 
Selbstmorde in gewisser Weise von der Jahreszeit abhängt; das 
Maximum feilt auf den Sommer, das Minimum auf den Winter; 
dieselbe Erscheinung zeigt sich jedoch auch bei der Civilbevölkerung. 
Von ganz hervorragender Bedeutung ist das Beispiel: der Selbst¬ 
mord wirkt ansteckend, und es ist durchaus nicht selten, dass in 
einem Regiment mehrere Selbstmorde rasch auf einander folgen. 
So kamen in einem österreichischen Regiment 9 Selbstmorde und 
1 Selbstmordversuch in einem Jahre vor. 

Man hört und liest sehr oft die Behauptung, dass die Zahl der 
Selbstmorde bei den Soldaten sehr viel höher sei, als die bei der 
übrigen Bevölkerung, und man hat hieraus die schwersten Anklagen 
gegen die Heeresverwaltung, ja gegen unser ganzes Wehrsystem 
erhoben. Diese Behauptung ist indessen im Allgemeinen nicht 
richtig. Vergleichen wir dieselben Altersstufen beim Militär und 
bei der Civilbevölkerung, so finden wir in den meisten Staaten an- 


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311 


nähernd die gleichen Zahlen. Nur in Italien sind die Selbstmorde 
bei den Soldaten sehr viel zahlreicher wie bei der gleichaltrigen 
Civilbevölkerung. Ein gleiches Verhältniss bestand früher auch in 
Frankreich; jetzt ist dort der Unterschied nur ein ganz geringer. 
Für Preussen stellte sich nach Hegar im Jahre 1885 die Zahl der 
Selbstmörder in den einzelnen Lebensaltern folgendermaassen: 


15—20 Jahren 

18,1 

Männer und 

8,2 Weiber, 

20—30 „ 

33,7 

9 

n 

10,4 

n 

30-40 „ 

41,6 

n 

n 

10,9 

n 

40-50 „ 

68,3 

9 

9 

11,8 

» 

50-60 „ 

92,1 

9 

9 

17,2 

9 

60—70 „ 

97,5 

n 

n 

24,3 

9 

70-80 , 

90,1 

n 

» 

14,3 

9 

80 u. mehr „ 

92,4 

T) 

9 

17,6 

I, auf 100000. 

Der Unterschied ist also, 

wie 

man sieht, für Preussen in den 

bezüglichen Altersclassen 

bei 

der 

Militär- 

■ und 

Civilbevölkerung 


nur unbedeutend. Dazu kommt noch, dass im Allgemeinen die Un¬ 
verheirateten, und mit solchen haben wir es ja bei den Soldaten 
fast ausschliesslich zu thun, erheblich mehr zum Selbstmord neigen, 
als die Verheiratheten. Setzen wir die Verhältnisszahl der ver- 
heiratheten männlichen Selbstmörder = 100, so ist die Zahl für 
die Ledigen in Frankreich 111, in Italien 120, in Württemberg 
etwa 150. (Morselli.) 


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312 


Kleinere Mittheilungen. 


Uebersicht 

der Städte der Rheinproyinz, Westfalen und Hessen-Nassau mit 
20 000 Einwohnern und mehr, der Regierungsbezirke dieser Pro¬ 
vinzen und der Staaten und Landestheile des Deutschen Reiches, 
nach der vorläufigen Ermittelung der Zählung vom 2. Deoember 
1895, verglichen mit der Bevölkerung von 1890. 


Namen der 
a) Städte. 

Ortsan? 

1895 | 

resende 

1890 

Fünfjährige 

Zunahme, 

Personen 

m 

ijli 

S|Js 

a) Städte. 

Köln. 

321548 

281 681 

39 867 

2,64 

Bonn. 

44 560 

89 805 

4 755 

2,25 

Mülheim &. Rhein .... 

36000 

30 996 

5004 

2,99 

Düsseldorf. 

176024 

144642 

31382 

3,91 

Elberfeld. 

139168 

125899 

13 269 

2,0 

Barmen. 

127 002 

116 144 

10 858 

1,79 

Crefeld. 

107 278 

105 376 

1902 

0,36 

Essen. 

96163 

78 706 

17 457 

3,99 

Duisburg. 

70287 

59 285 

11002 

3,40 

München-Gladbach .... 

53666 

49 628 

4038 

1,56 

Remscheid. 

47285 

41715 

5 570 

2,50 

Solingen. 

40 843 

36540 

4303 

2,22 

Mülheim a. d. Ruhr .... 

31431 

27 903 

3 528 

2,38 

Oberhausen. 

30 099 

26830 

8269 

2,30 

Rheydt. 

30161 

25 249 

4912 

3,55 

Neuss. 

25 032 

22 635 

2397 

2,01 

Viersen.. 

22 803 

22198 

605 

0,54 

Wesel.. 

22 258 

20 724 

1534 

1,43 

Coblenz. 

39 642 

37 273 

2 369 

1,23 

Trier. 

39 993 

36166 

3827 

2,01 

Malstatt-Burbach. 

23 675 

18 378 

5 297 

5,04 

Aachen. 

110489 

103470 

7 019 

1,31 

Düren.. . 

24 536 

21731 

2 805 

2,43 

Münster. 

57 018 

49340 

7 678 

2,89 

Recklinghausen. 

20638 

14 041 

6 597 

7,61 

Bielefeld. 

47 461 

39 950 

7 511 

3,44 

Minden. 

22321 

20223 

2098 

1,97 

Herford. 

21572 

19255 

2 317 

2,27 

Dortmund. 

111285 

89663 

21572 

4,30 

Bochum. 

53788 

47 618 

6170 

2,44 

Hagen i. W. 

41826 

35 428 

6 398 

3,31 

Geilenkirchen. 

31582 

28 057 

3 525 

2,36 

Witten. 

28 773 

26 310 

2463 

1,79 

Hamm. 

28 592 

24 969 

3 623 

2,71 

Iserlohn. 

24 720 

22117 

2 603 

2,22 

Lüdenscheid . 

21264 

19 457 

1807 

1,78 


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313 


Namen der 
b) Regierungsbezirke, 
c) Staaten und Landestheile. 

Ortsanwesende 

1895 I 1890 

Fünfjährige 

Zunahme, 

Personen 

lif 

«H 

»ul 

b) Regierungsbezirke. 





Köln. 

905 506 

827 074 

78432 

1,81 

Düsseldorf. 

2 191462 

1973115 

218 347 

2,10 

Coblenz. 

650 536 

633 638 

16898 

0,53 

Trier. 

768 537 

711998 

56 539 

1,53 

Aachen. 

590 038 

564 566 

25 472 

0,88 

Münster. 

594469 

536 241 

58 228 

2,06 

Minden. 

586 011 

549 709 

36 302 

1,28 

Arnsberg. 

1 519 770 

1342 711 

177 059 

2,47 

Wiesbaden. 

906176 

893438 

62 738 

1,43 

Kassel. 

850370 

821001 

29 377 

0,70 

c) Staaten und Landes¬ 
theile. 





Königreich Preussen . . . 

31849 795 

29 957 367 

1892 428 

1,22 

„ Bayern .... 

5 797 414 

5 594982 



„ Sachsen .... 

3 783 014 

3 502 682 


1,54 

„ Württemberg . . 

2080 898 

2 036 522 

44376 


Gr.-Hzth. Baden. 

1725 470 

1657 867 



„ Hessen. 

1039 388 

992883 

46 505 


„ Mecklenburg- 





Schwerin . . . 

596 883 

578 342 

18 541 

0,68 

„ Sachsen-Weimar . 

338 887 

326 091 

12796 

0,77 

„ Mecklenburg- 




Strelitz .... 

101513 

97 978 

3 535 

0,71 

„ Oldenburg . . . 

373 739 

354 968 

18771 

1,03 

Herzogth. Braunschweig . . 

433986 

403 773 


1,44 

„ Sachsen-Meiningen 

234 005 

223 832 

Bult ll 


„ Sachsen-Altenburg 

180 012 

170 864 

9148 


„ Sachsen-Coburg- 





Gotha .... 

216 624 

206 513 



„ Anhalt. 

293 123 

271 963 

21160 

1,50 

Fürstenth. Schwarzburg- 




Sondershausen . 

78 248 

75 510 

2 738 

0,71 

„ Schwarzburg- 




Rudolstadt . . 

88 590 

85 863 

2727 


„ Waldeck .... 

57 782 

57 281 

501 

Hü 

„ Reuss altere Linie 

67 454 

62 754 

4 700 

1,44 

„ Reuss jüngere Linie 

131469 

119 811 

11658 

1,86 

„ Schaumburg-Lippe 

41224 

39 163 

2061 


„ Lippe-Detmold 

134617 

128 495 

6122 

BiBjfej 

Lübeck. 

83324 

76 485 

6 839 

1,71 

Bremen. 

196 278 

180443 

15 835 

1,68 

Hamburg. 

681 632 

622530 

59102 

1,81 

Reichsland Elsass-Lothringen 

1641222 

1603 506 

37 716 

0,46 

Zusammen Deutsches Reich 

52 246589 

49 428470 

2818119 



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314 


Die 36. Jahresversammlung des Deutschen Vereins von Gas- 
und Wasserfachmännern fand vom 16. bis 19. Juni d. J. in Berlin 
statt. Von hygienischem Interesse waren Vorträge der Herren Grahn, 
Smreker, Lindley und Giebeler. Ingenieur E. Grahn sprach über 
Deutschlands Wasserversorgung und deren Entwickelung seit 
1870. Während damals nur wenige deutsche Städte mit centraler 
Wasserversorgung ausgestattet waren, betrug die Zahl dieser Städte und 
Städtchen im Jahre 1893 bereits 621. Auch in den jüngsten Jahren 
vermehrt sich diese Zahl, oft in Verbindung mit Elektricitätswerken, 
beständig. Mit der Vergrösserung der Anzahl hielt die Verbesserung 
der technischen Mittel gleichen Schritt, so dass die deutschen Wasser¬ 
werkanlagen jeden Vergleich mit ausländischen bestehen können. Be¬ 
sonders bedeutsame Anlagen weist die Wasserversorgung des rheinisch¬ 
westfälischen Industriegebietes auf, welche der Redner näher beschrieb. 
O. Smreker theilt Versuche und Erfahrungen mit über den Einfluss 
von Wassergewinnungsanlagen auf die Bodenfeuchtig¬ 
keit. Nach Erörterung der Vorgänge im Boden in Folge der Wasser¬ 
entnahme, der Einwirkung des Grundwassers auf den Pflanzenwuchs, 
sowie der Verfahren zur Bestimmung der Bodenfeuchtigkeit und ihrer 
Ergebnisse gelangte der Vortragende zu dem Schlüsse, dass ein nach¬ 
theiliger Einfluss der Absenkung des Grundwasserspiegels auf den 
Pflanzenwuchs nicht nachweisbar sei. Demgegenüber glaubt Herr 
W. Lindley doch auch Fälle feststellen zu können, wo unter bestimmten 
Verhältnissen eine Schädigung der Vegetation abgeleitet werden müsse. 
Die'Frage erschien nicht spruchreif; weitere Erfahrungen und Beobach¬ 
tungen sind zur Klärung derselben nöthig. Oberingenieur W. Lindley 
berichtete über die Arbeiten der Commission für Wassermesser-Nor¬ 
malien. Die Arbeiten beziehen sich auf die Eintheilung der Wasser¬ 
messer nach ihrer Durchlassfähigkeit, die Feststellung von Normal¬ 
abmessungen und die Aichung. Die Commission macht bestimmte Vor¬ 
schläge für Normal Vorschriften über Baulänge, Verschraubung, lichte 
Rohrweite, Zifferblätter u. s. w.; sie empfiehlt, von einer amtlichen 
Aichung der Wassermesser abzusehen, vielmehr dieselben in bisheriger 
Weise mittels eigener, unter der Verwaltung des Wasserwerkes stehen¬ 
der Station zu prüfen. Die Anträge der Commission wurden zum Be¬ 
schluss erhoben. Ingenieur G iebe 1 er sprach über einige älteste 
Wasserleitungen und deren Beziehung zu neuesten. Von 
den Alten haben nicht nur die Römer und Griechen Wasserleitungen 
besessen; der Redner beschrieb eine noch im Betriebe befindliche 
70 Kilometer lange Wasserleitung im Kaukasus, welche nach den In¬ 
schriften etwa 700 vor Chr. Geb. angelegt wurde, sowie eine antike 
Wasserleitung in Syrien. Er erwähnte ferner die Leitungen, Rohr¬ 
verbindungen und Wassermesseinrichtungen der Römer und Mauren. 
Die Verwandtschaft römischer und arabischer Wassermesser mit einigen 


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315 


modernen Einrichtungen, welche neu erfunden worden sind, ist auf¬ 
fallend. Vielleicht werden auch in Zukunft wiederum Rohre aus Thon 
Verwendung finden, allerdings nicht in der antiken Art, sondern in 
der Form des modernen Aluminiums. J. St. 

Eine neue Kölner Polizei Verordnung über die Hausentwftsserungs- 
anlagen. Eine unterm 11. April d. J. von der städtischen Polizei¬ 
verwaltung zu Köln erlassene neue Polizeiverordnung über die Ent¬ 
wässerung der behauten Grundstücke enthält verschiedene Vorschriften, 
die auch über den Geltungsbereich der Polizeiverordnung hinaus von 
Interesse sein werden. Als Material der Leitungen sind nur innen 
und aussen mit Asphaltfirniss überzogene Eisen-, hartgebrannte, innen 
und aussen glasirte Thonrohre, Blei- und Zinkrohre zugelassen, Zink¬ 
rohre jedoch nur zur oberirdischen Ableitung von Hegenwasser und zu 
Entlüftungsleitungen, in beiden Fällen aber nur ausserhalb der Gebäude; 
die Polizeiverwaltung ist aber berechtigt, den Fortschritten der Technik 
entsprechend auch anderes Material zuzulassen. Während die meisten 
neueren Polizeivorschriften der Verwendung von Thonrohren nicht günstig 
gegenüberstehen und namentlich im Innern der Gebäude vielfach nur 
Eisen- und bei geringeren Weiten Bleirohre zulassen, lässt die Kölner 
Verordnung Eisen- und Thonrohre im Allgemeinen gleichmässig zu, 
namentlich auch im Innern der Gebäude. Nur in einzelnen Fällen, 
wo eine ganz besondere Widerstandsfähigkeit gegen Druck oder Stoss 
gefordert werden musste, sind Eisenrohre vorgeschrieben (bei Sohl¬ 
leitungen, die frei aufgehängt sind oder an den Wänden frei oder 
flach unter der Oberfläche mit weniger als 50 cm Deckung oder in 
aufgefülltem Boden liegen, der Senkungen befürchten lässt, ferner bei 
den Theilen der Leitung, die z. B. bei Hochwasser, aus dem Canal unter 
Rückstau kommen können. Den, wie oft in anderen Städten, so auch 
bislang in Köln für das Tiefgebiet geforderten selbstthätig wirkenden 
Rückstauverschluss hat man fallen lassen. Bei mangelhafter 
Reinhaltung erfüllt er seinen Zweck bekanntlich oft nicht, und man 
hielt durch die Verwendung von Eisenrohren, durch Vorschriften 
über eine besonders sorgfältige Dichtung derselben, endlich durch das 
Verbot von Einläufen im Gebiete des Rückstaues eine genügende 
Sicherheit gegen das Eindringen des Hochwassers aus dem Canal für 
gegeben. Nach dem Vorgänge anderer Städte ist ferner der Haupt- 
geruchverschluss jetzt auch für Köln aufgegeben worden. 

Zum Theil neue Bestimmungen finden sich über die Lüftung 
der Leitungen. Die Vorschrift, dass jedes Fallrohr in gleicher Weite 
Über Dach emporgeführt werden muss, ist auch für Köln wiederholt; 
aber es ist eine Ausnahme zugelassen. Befindet sich an einem Fall¬ 
rohr nur ein Einlauf, so kann, wenn der Emporführung des Fallrohres 

Centralblatt f. »Hg. Gesundheitspflege. XV. J»hrg. 23 


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316 


besondere bauliche Schwierigkeiten entgegenstehen, davon Abstand ge¬ 
nommen werden, sofern der Einlauf in geeigneter Weise verschlossen 
werden kann. Diese Ausnahme erschien unbedenklich und im Interesse 
namentlich der vielen kleineren Hausbesitzer geboten, denen die Empor¬ 
führung des Fallrohres unter solchen Umständen oft erhebliche, in 
keinem Verhältnisse zu dem etwaigen Vortheile stehende Ausgaben machen 
würde. Wohl alle neueren Verordnungen schreiben noch ein beson¬ 
deres Entlüftungsrohr ftir die Geruchverschlüsse ftir den Fall vor, dass 
in ein Fallrohr Anschlüsse von mehr als zwei Geschossen münden. 
Auch für Köln bestand eine solche Vorschrift, war aber dort ver¬ 
schiedentlich als auf rein theoretischen Erwägungen beruhend und 
praktisch zwecklos bezeichnet, weil ein Leersaugen und Brechen der 
Geruchverschlüsse, zu deren Verhütung das besondere Entlüftungsrohr 
bestimmt ist, auch ohne dasselbe nicht einträte. Umfangreiche, an der 
Wirklichkeit entsprechenden Modellen von der städtischen Polizeiver¬ 
waltung angestellte Versuche ergaben nun allerdings, dass, wenn die 
Anlage gewissen Bedingungen entspricht, das besondere Entlüftungsrohr 
in der That überflüssig ist, und führten zu einer Bestimmung, wonach, 
wenn das Fallrohr senkrecht geführt ist und es ausserdem in dem 
Falle, dass es zur Ableitung auch von Regenwasser bestimmt ist, eine 
lichte Weite von mindestens 100 mm hat, das besondere Entlüftungs¬ 
rohr — vorbehaltlich besonderer Bestimmungen bei Abführung von 
Wasser, das in kurzer Zeit in besonders grossen Mengen abfliesst, 
z. B. aus Badeeinrichtungen, hydraulischen Betrieben — für diejenigen 
Geruchverschlüsse fortfällt, die den sämmtlichen nachfolgenden Be¬ 
dingungen entsprechen, nämlich wenn: 

a) der Geruchverschluss unmittelbar unter dem Einlauf angebracht 
und ohne Zwischenstück an die Abzweige der Fallrohre an¬ 
gebracht ist; 

b) die Tiefe des Wasserverschlusses in dem Geruch Verschluss min¬ 
destens 100 mm beträgt; 

c) die lichte Weite des Fallrohres grösser ist als die des Geruchver¬ 
schlusses und bei einem Geruchverschluss von 40 mm lichter 
Weite mindestens 50 mm, bei einem Geruchverschluss von 50 mm 
lichter Weite mindestens 65 mm beträgt; 

d) die Oeflnungen des Siebes in dem Einlauf über dem Geruch¬ 
verschluss zusammen nicht mehr als die Hälfte des freien Quer¬ 
schnittes des Geruchverschlusses betragen. — 

Gegenüber anderen Polizeiverordnungen, welche eine Anzeige 
an die Polizeibehörde von dem Beginn der Ansführung und von 
der Vollendung der Entwässerungsanlagen verlangen, kennt die neue 
Kölner Verordnung nur eine Anzeige und verlangt sie in einem anderen 
Zeitpunkt, den der bevorstehenden Verdeckung der nicht frei liegenden 
Theile der Anlage. Zwischen dem Eingänge der Anzeige und dem 


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317 


Beginne der Verdeckungsarbeiten müssen mindestens zwei Arbeitstage 
liegen. Diese Vorschrift will eine der Polizeibehörde sonst so gut wie 
ganz unmögliche Prüfung dieser Theile der Anlage möglich machen, 
da diese Theile erfahrungsgemäss oft in höchst ungenügender Weise 
ausgeführt werden. 

Die Thfitigkeit des Berliner Vereins für Volksbäder (Berlin 
bei Julius Springer, 1896) ist Gegenstand einer Veröffentlichung bei 
Gelegenheit der diesjährigen Berliner Gewerbe-Ausstellung. Die Ver¬ 
öffentlichung enthält zunächst einen Vortrag des Prof. Dr. Lassar über 
das Volksbad und seine hygienische Bedeutung, insbesondere über das 
Volksbrausebad auf der genannten Ausstellung. „Jedem Deutschen 
wöchentlich ein Bad“ ist der Leitsatz des Vortragenden. Es folgen 
die technischen Erläuterungen des durch Zeichnungen dargestellten 
Brausebades der Ausstellung, verfasst von den Erbauern, nämlich den 
Regierungsbaumeistern Solf und Wichards und den Ingenieuren Börner 
und Herzberg. Geheimrath Dr. Adolf Abraham berichtet dann über 
das Brausebad in den Berliner Gemeindeschulen, der Schatzmeister 
V. Weisbach endlich über die Leistungen des Berliner Vereins für 
Volksbäder in der Stadt Berlin. Bis jetzt sind zwei grössere Bade¬ 
anstalten errichtet, zu welchen der Magistrat ausser den Baustellen 
eine namhafte Summe als Baukapital hergegeben hat. Die Verträge, 
die Verwaltungs- und Rechnungsformulare werden mit den bisherigen, 
auch wirtschaftlich befriedigenden Ergebnissen mitgetheilt. Möge die 
Schrift ihren Zweck, zur Nachahmung anzuregen und besonders auch 
in kleineren Orten die Erfüllung des Badebedürfnisses zu verallgemeinern, 
in vollem Umfange erreichen, J. St. 

Oeffentliche Badeanstalten in Köln. 1. April 1894 bis 31. März 
1895. 

a) Das Hohenstaufenbad wurde frequentirt: 

Schwimmbad für Herren 114 278 gegen 116 554 im Vorjahre, 

* * » 38162 „ 39 689 „ 

Volksbadehallen 72 295 „ 71116 „ „ 

Wannen- und sonstige Bäder 80 796 „ 87 533 „ „ 

Zusammen 305 531 gegen 314892 im Voijahre. 

Im Durchschnitt täglich 849 gegen 875 im Voijahre. 

Die Einnahmen betrugen 128 168 Mk. 

Die Angaben betrugen 119 759 „ 

Der schwächere Besuch der Anstalt gegen das Voijahr wird auf 
die Ungunst des nassen Sommers und des strengen Winters zurück¬ 
geführt. 

23* 


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318 


b) Im Volksbad ist nachstehender Besuch nachgewiesen: 
Die Wannenbäder I. CI. 7 754 (5 728 im Vorjahre), 
• » n. „ 38883 (32513 „ * ), 

„ Brausebäder I. „ 3 555 (3 004 „ „ ), 

. - H. , 31966 (81847 „ „ ), 


Zusammen 77158 (73122 im Voijahre). 
Täglicher Durchschnitt 214 (203 im Vorjahre). 

Die Einnahmen betrugen 18 903 Mk. 

„ Ausgaben „ 13 381 „ 

c) Rheinbadeanstalt (offene Badestelle): 

Dieselbe konnte wegen des niedrigen Wasserstandes erst am 28. Mai 
in Benutzung gegeben werden. 

Der Besuch bezifferte sich auf 13 266 Erwachsene, 

15 286 Kinder. 


Zusammen 28552, 

gegen 26 697 im Voijahre. 

Die Benutzung ist unentgeltlich; die Ausgaben betrugen 688 Mk. 

Th. 


Kölner Verein für Ferien-Colonien 1804/05. Wie im Vorjahre, 
so wurden auch im Berichtsjahre sieben Colonien, und zwar drei für 
Knaben und vier für Mädchen mit 92 Knaben und 106 Mädchen 
(gegen 89 bezw. 102 im Vorjahre) in mehreren schön gelegenen Ort¬ 
schaften des Siegkreises drei Wochen lang untergebracht. 

Der Gesundheitszustand war ein guter. Die Zunahme an Körper¬ 
gewicht bewegte sich wie im Vorjahre zwischen 0,5 und 5,5 Kilogramm. 
Ausserdem wurden 768 Kinder (gegen 913 im Vorjahre) in Milch¬ 
stationen mit günstigem Erfolg verpflegt; diese Kinder wurden, wie 
früher, täglich in Gruppen nach den ländlichen Ortschaften von Köln 
ausgeftihrt und neben den regelmässigen Spaziergängen mit Spielen 
beschäftigt. Das städtische Waisenamt hatte 54 Kinder auf drei Wochen 
den Colonien zugesandt; die Hospital-Verwaltung schickte 40 Kinder 
auf die Dauer von 30 Tagen zu einer Badekur in das Victoriastift nach 
Kreuznach. 

Die Kosten der Verpflegung in den Feriencolonien betrugen 
33,82 Mk. und die der Milchstation 4,89 Mk. pro Kind und Ver¬ 
pflegungsdauer. Gesammtkosten 10 893 Mk. Th. 

Barmer Baugesellaehaft für Arbeiterwohnungen. Im Berichts¬ 
jahre 1894/95 wurde nur ein Doppelhaus gebaut und fand sofort 
Miether mit Kaufrecht unter entsprechender Anzahlung. Von den 
früher mit Kaufrecht begebenen Häusern gingen 16 durch notariellen 
Akt in den Besitz der Anmiether über, eine Anzahl, die bis dahin 


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noch nicht erreicht wurde; weitere 23 Miether mit K&ufrecht haben 
ein Drittel des Kaufpreises oder mehr erlegt und können mithin den 
definitiven Kauf beanspruchen. 

Gebaut sind bis jetzt von der Gesellschaft 296 Häuser; von diesen 
sind notariell verkauft 88, mit Kaufrecht begeben 164, einfach ver¬ 
miedet 44. Baustellen sind noch 142 vorhanden. 

Der Gesammtwerth der 296 Häuser beziffert sich auf 1422 225,72 Mk. f 
durchschnittlich pro Haus 4805 Mk. 

Die Dividende fhr 1894/95 ist wieder auf 4 °/o festgesetzt. 

Th. 


Barmer Badeanstalten. Im Berichtsjahre 1. April 1894 bis 


31. März 1895 sind nachgewiesen: 

Schwimmhallen-Abonnements 608, 

Schwimmschüler 182, 

Zehner- und Einzelbillets-Bassin 66 534 Stück, 
Volksbäder 50601 „ 

Wannenbäder 26355 „ 

Andere Bäder 7 071 „ 


Die Einnahme einschliesslich eines Saldovortrags 
von 1529,26 Mk. betrug 
Die Ausgaben 

so dass sich ein Bruttogewinn (ca. 9Vi °/o des Actien- 
capitals) von 

ergiebt. Hiervon sind verwandt 
Zu Abschreibungen 
Dem Reservefonds überwiesen 
Zur Vertheilung einer Dividende von 4 °/o 
Zur Ausloosung von 20 Actien 
Als Vortrag auf neue Rechnung 


61420,46 Mk. 
88 988,40 „ 


22 487,06 „ 

8 014,62 * 
647,16 „ 
9592,00 „ 

8000,00 „ 
1233,28 „ 

Th. 


Städtische Brause-Badeanstalt zu Duisburg vom 1. April 1894 
bis 8L Kftrs 1895. 

Es wurden Bäder genommen: 

1894/95 1893/94 

6609 Bäder k 10 Pf., 6 797 Bäder k 10 Pf., 

11665 „ ä 15 „ 7002 , k 15 , 

Zusammen 18274 Bäder, 13 799 Bäder. 

Davon entfallen auf 

a) Männer 5 205 Bäder k 10 Pf., 4573 Bäder k 10 Pf., 

11541 „ k 15 „ 6759 „ k 15 „ 

zusammen 16 746 Bäder, 13 382 Bäder. 


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320 


1894/95 1893/94 

b) Frauen 1404 Bäder k 10 Pf., 2 224 Bäder k 10 Pf., 

124 , k 15 , 243 , k 15 , 

zusammen 1528 Bäder, 2467 Bäder. 

Die Abnahme der Zahl der Frauenbäder dürfte auf die Maass¬ 
regel zurückzuführen sein, dass die Badeanstalt von Sonnabend Abends 
6 Uhr ab und an den Sonntagen überhaupt nur von Männern benutzt 
werden darf. 

Die Verhandlungen wegen Errichtung eines Schwimmbassins mit 
Einzelbädern der verschiedensten Art haben noch zu keinem Abschluss 
geführt werden können. Th. 

Städtisches Schlachthaus zu Duisburg. Im Berichtsjahre 1894/95 
sind geschlachtet 198 Ochsen, 382 Stiere, 3552 Kühe, 424 Rinder, 
56 schwere, 3989 leiche Kälber, 16150 Schweine, 1123 Schafe, 167 
Ziegen, 264 Pferde, 1 Esel, 14 Spanferkel, zusammen 26 320 Stück 
gegen 27 244 Stück im Vorjahre. 

Die grösste Abnahme weist die Pferdeschlachtung auf, 264 gegen 
456 im Vorjahre. 

Beanstandet wurden im Ganzen 340 Thiere, davon vernichtet 4, 
auf die Freibank verwiesen nach Entfernung der erkrankten Th eile 
16 Thiere. In 275 Fällen war das Leiden der Thiere nur ein locales 
Und wurden die davon ergriffenen Theile (Lunge, Leber, Euter, Nieren, 
Herz etc.) vernichtet und im Uebrigen die Thiere zum Verkauf frei- 
gegeben. Von der Schlachtung zurtickgewiesen wurden 35 Thiere, und 
zwar: 

28 Kälber wegen zu geringen Alters und ungenügender Entwicklung, 
2 Kühe wegen hochgradiger Knochenerweichung, 

5 Pferde wegen allgemeiner Abmagerung. 

Von auswärts wurde folgendes frische Fleisch zur Untersuchung 
gebracht: 

321 Stück Grossvieh, 123 Kälber, 276 Schweine, 179 Schafe, 
zusammen 899 8tück; 

davon wurden beanstandet und auf der Freibank als minderwerthig 
verkauft: 

2 Kühe wegen geringgradiger Tuberkulose, 

1 Kuh wegen Milchfieber. 

An gesalzenem und geräuchertem Fleisch wurden zur Untersuchung 
gebracht: 253 geräucherte Schinken, 1852 Seiten Speck, davon wurden 
12 Seiten trichinös befunden. Th. 

Maria Apollonia-Krippe in Düren vom 1. April 1895 bis 
81. März 1896. In das Berichtsjahr 1895/96 trat die Anstalt ein mit 
50 Pfleglingen, während desselben wurden aufgenommen 52, von denen 


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321 


32 im ersten Lebensjahre standen. Es wurden demnach in dem Be¬ 
richtsjahre 102 Kinder mit 10464 Pflegetagen gegen 87 Kinder mit 
11 744 Pflegetagen im Vorjahre versorgt. 

Der Gesundheitszustand der Neuaufgenommenen wurde festgestellt 
hei der Aufnahme der Kinder. 

Es waren gesund 23 Kinder. 

An Rhachitis litten 15 „ 

An Blutmangel „ 2 „ 

An allgemeiner Schwäche 12 „ 

Nabel- und Leistenbruch bedingten nicht die Bezeichnung unge¬ 
sund; ersterer kommt jedoch häufig vor, so dass bei 46 Kindern Ende 
März 1896 noch sechs Fälle in Behandlung waren, was auf eine Nach¬ 
lässigkeit in der Besorgung des Nabels in den unteren Volksschichten 
hindeutet. Die in der Krippe übliche Behandlung mit improvisirter 
Pelotte und Heftpflasterverband lieferte rasche und gute Resultate. 

Auffallend wird in dem Bericht der grosse Procentsatz der rhachi- 
tischen Kinder mit fast 29 °/o hervorgehoben. Zieht man jedoch in 
Betracht, dass die Kinder der armen Volksklasse angehören, die meist 
dumpfe Wohnungen und mangelhafte Ernährung haben, so geht einer¬ 
seits die Zahl der rhachitischen Kinder kaum über das in anderen 
Städten festgestellte Mittel hinaus, andererseits ist der günstige Ein¬ 
fluss der Krippenpflege auf die Krankheit erklärlich. Auch in diesem 
Berichtsjahre ist der Soxhletsche Apparat ausser Gebrauch gelassen, 
und besteht auch nicht die Absicht, zu demselben zurückzukehren, 
ohne indess seine Vorzüge für gewisse Verhältnisse verkennen zu 
wollen. 

Die Einnahmen an Zinsen, Pflegegeldern, Geschenk der Frau 
Commerzienrath Philipp Schöller (2000 Mk.) etc. betrug 12 466,45 Mk., 
die Ausgaben 10153,72 Mk. 

Das Vermögen der Krippe an Mobiliar, Immobiliar und Capital 
am Schluss des Geschäftsjahres bezifferte sich auf 331 306,01 Mk. 

Th. 


Am 20. Juni d. J. starb in seinem Wohnort St. Gallen in der 
Schweiz Dr. med. Laurenz Sonderegger im 71. Lebensjahre, ein um 
die öffentliche und private Gesundheitspflege der Schweiz hochverdienter 
Mann, tief betrauert von den Aerzten, die in dem Verstorbenen das 
Ideal eines Arztes und edlen Menschen verehrten. Sein gesprochenes 
Wort hat die Aerzte stets zu treuem Gemeinsinn und echter Wissen¬ 
schaftlichkeit und Collegialität begeistert, sein geschriebenes Wort 
wirkte weit Über die Grenzen der Schweiz hinaus bei Allen, die für 
Gesundheitspflege und Volkswohlfahrt Interesse und Herz haben. Seine 
„Vorposten der Gesundheitspflege“ ist ein Werk, welches dem Namen 
des Verstorbenen besonders auch in Deutschland grosse Verbreitung 


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322 


und Anerkennung verschaffte. Die Aerzte und Volksfreunde der Schweiz, 
ja alle Bürger der Schweiz blicken mit thränenumflortem Auge auf das 
Grab dieses seltenen und trefflichen Mannes. Dieser Trauer schliessen 
sich in aufrichtiger Verehrung des Verstorbenen alle Deutschen an, 
die persönlich oder wissenschaftlich Sonderegger gekannt haben. 

L. 


Am 16. Juni starb Dr. A. Oldendorff (Berlin) zu 
Karlsbad, wo er sich zur Kur auf hielt. Dr. Oldendorff, 
Herausgeber der „Zeitschrift für sociale Medicin“, war ein 
um die Medicinalstatistik verdienter Schriftsteller, welchem 
auch unser Centralblatt werthvolle Beiträge verdankt. Wir 
werden ihm ein treues Andenken bewahren. 


Literatnrbericht. 


Pistor, Das GtesuncLheitswesen in Preussen nach Deutschem Reichs¬ 
und Preussisohem Landesrecht. Band I, 2. und 3. Abtheilung. Berlin, 
Richard Schoetz. Ladenpreis 24 Mark. 

Der schon in der ersten Abtheilung begonnene Abdruck der gesetz¬ 
lichen und Verwaltungsbestimmungen über den beamteten Arzt wird 
in dem jetzt vorliegenden Schlüsse des ersten Bandes durch Mit¬ 
theilung der Vorschriften über die gerichtsärztlichen Untersuchungen, 
die amtsärztlichen Zeugnisse und Gutachten, die Annahme von Neben¬ 
ämtern und die Gebühren der Medicinalbeamten, sowie die Umzugs¬ 
kosten beendet. In einem Anhänge finden sich die Satzungen des 
Preussischen Medicinalbeamten Vereins und der Centralhülfskasse für 
die Aerzte Deutschlands. Der danu beginnende dritte Abschnitt ent¬ 
hält in dankenswerther Ausführlichkeit eine Wiedergabe der Vor¬ 
schriften über den Apotheker (seine Ausbildung, Prüfungsbestimmungen 
für Apotheker und Apothekergehülfen, auch für Diakonissen und Ordens¬ 
schwestern) und das Apothekenwesen (Anlage und Berechtigung, Ein¬ 
richtung, Betrieb und Beaufsichtigung der Apotheken und Dispensiran- 
stalten, die technische Commission für die pharmazeutischen Angelegen- 


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323 


heiten und den deutschen Apothekerverein). Wie richtig der Gedanke 
des Verfassers war, durch Wiedergabe mancher älterer, jetzt nicht mehr 
in Kraft befindlicher oder gegenstandslos gewordener Bestimmungen 
das Werden des heutigen Rechtszustandes darzustellen und gerade da¬ 
durch ein volles Verständniss für ihn und für die Aufgaben der Zu¬ 
kunft zu erschliessen, zeigt sich an diesem wichtigen Abschnitt vielleicht 
am deutlichsten. Unbeschadet dieses Zweckes wäre freilich ein stärkeres 
Herausheben des heutigen Rechtszustandes an manchen Stellen möglich 
und erwünscht gewesen. Am Schlüsse des Abschnitts und in einem 
Anhänge dazu sind die Vorschriften Uber den Verkehr mit Giften und 
Über den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken, über 
Kurpfuscher, Geheimmittel und Heilquellen mitgetheilt. Ein vierter 
Abschnitt behandelt das ärztliche Hülfspersonal (Hebammen und 
Krankenpfleger), zu denen allerdings die Kammerjäger, über die hier 
die (S. 866) mitgetheilte Verfügung handelt, wohl schwerlich gehören 
werden, der fünfte und letzte die öffentlichen und privaten Heil¬ 
anstalten, den Krankentransport, die Rettung Verunglückter und 
Scheintodter, sowie am Schluss die Armen kranke npflege und die ein¬ 
schlagenden Vorschriften der Gesetze über den UnterstützungsWohnsitz 
und die Krankenversicherung nebst Ausführungsvorschriften. — Durch 
Nachträge während des Druckes ist der erste Band überall auf dem 
neuesten Stande erhalten. Für die praktische Brauchbarkeit wäre es 
aber besser gewesen, alle Nachträge am Schlüsse des Werkes zusammen¬ 
zustellen, anstatt wie jetzt, zerstreut an verschiedenen Stellen (vgl. 
S. 780 ff., 980 ff, auch S. 179). 

Bei Bestimmungen, welche den Gegenstand des Werkes weniger 
nahe berühren, ist einer weitläufigen wörtlichen Wiedergabe mit vollem 
Rechte eine kurze Angabe des Inhaltes vorgezogen. Auch diese An¬ 
gaben sind im Allgemeinen correct. Ungenau heisst es freilich auf 
S. 707, dass die Ehrenpflicht, als Geschworener thätig zu sein, auch 
dem Apotheker obliege und Ausnahmen davon nur unter den allgemein 
gültigen Bedingungen zulässig seien, dass er dagegen Gemeindeämter 
dann ablehnen könne, wenn er sein Geschäft ohne Gehülfen betreibe. 
Die Sache liegt eigentlich umgekehrt. Die Berufung zum Amte eines 
Geschworenen (wie eines Schöffen) können nach §§ 35 und 85 des 
Gerichtsverfassungsgesetzes gerade die Apotheker ablehnen, die keinen 
Gehülfen haben, während weder die Städteordnung für die 6 östlichen 
Provinzen, noch diejenigen für Westfalen und die Rheinprovinz einen 
gerade aus dem Berufe eines Apothekers hergeleiteten besonderen Ab¬ 
lehnungsgrund haben, die Hannoversche Städteordnung aber wiederum 
jedem Apotheker, er mag einen Gehülfen haben oder nicht, die Be- 
fugniss zur Ablehnung giebt. Auch der Arzt darf die Berufung zum 
Amte eines Geschworenen ablehnen (§§ 35, 85 a. a. 0.) und die ent¬ 
gegengesetzte Bemerkung auf S. 165 der ersten Abtheilung, welche 


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324 


sogar eine alte, auf Grund des früheren Gerichtsverfahrens ergangene 
Verordnung vom 3. Januar 1849 als noch gültig behandelt, beruht 
ebenfalls auf Irrthum. 

Uebrigens will das Werk eine wirklich vollständige Darstellung 
offenbar nur für die 6 östlichen (alten) preussischen Provinzen geben 
und erreicht das auch in vollkommener Weise. Das Becht der 5 west¬ 
lichen (neuen) Provinzen hat zwar vielfach Darstellung gefunden, 
aber eine Vollständigkeit besteht hier nicht; die Vielgestaltigkeit der 
Vorschriften und die dadurch bedingte ausserordentliche Schwierigkeit 
der Darstellung rechtfertigt das durchaus. Aber bei einzelnen wichtigeren 
Materien wären, wenn auch kein Abdruck, so doch eine kurze vollständige 
Aufzählung der in den neuen Provinzen gültigen Vorschriften noch er¬ 
wünscht gewesen. Dass z. B. die revidirte Apothekerordnung vom 
11. October 1801 in den neuen Provinzen als Gesetz nicht publicirt 
und deshalb dort keine Gesetzeskraft hat, findet sich auf S. 490 zwar 
angegeben; ob aber und welche gesetzlichen Bestimmungen über diesen 
Gegenstand in den neuen Provinzen Gesetzeskraft haben, ist, soweit 
ich habe finden können, nirgends mitgetheilt; die Hannoversche Apo¬ 
thekerordnung vom 19. December 1820 ist nur gelegentlich (S. 711) 
erwähnt worden. Solche einzelne Mängel, die wohl jedem derartigen 
Sammelwerke anhaften werden, thun aber seiner Bedeutung für die 
Praxis keinen Eintrag. 

Der bei der früheren Besprechung zum Ausdruck gebrachte Wunsch, 
es möge dem Werke auch ein Register der aufgenommenen Vorschriften 
nach der Zeitfolge beigegeben werden, sei hiermit wiederholt. 

Klussmann (Köln.) 

E. von Esmarch, Hygienisches Taschenbuch. Berlin 1896. Julius Springer. 

Dieses Taschenbuch verfolgt vor allem einen praktischen Zweck. 
Es soll besonders dem Medicinal- oder Verwaltungsbeamten, sowie dem 
praktischen Arzte, dem bauausführenden Techniker und dem Schul¬ 
manne kurze Fingerzeige geben, wie sie im speciellen Falle praktisch 
zu verfahren haben. Dass das Buch hauptsächlich praktische Zwecke 
verfolgt, geht schon daraus hervor, dass im Text zahlreiche Adressen 
mit Preisangabe beigefügt sind, namentlich auch, wo es sich um hygie¬ 
nisch empfohlene, aber weniger bekannte Stoffe und dergleichen handelt. 
Ein besonderes Gewicht ist sodann auf diejenigen Untersuchungs¬ 
methoden gelegt, die unabhängig von einem besonders eingerichteten 
Laboratorium oder ohne eingehende chemische oder bakteriologische 
Kenntnisse meist an Ort und Stelle ausgeführt werden können. 

Bleib treu (Köln). 


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325 


Dr. Wilhelm Bode, Kurze Geschichte der Trinksitten und Mäsaigkeits- 
bestrebungen in Deutschland. München, J. F. Lehmann, 1896. 227 S. 
Dr. A. Jaquet, Die Stellungnahme des Arztes zur Abstinenzfrage. Nach 
einer von der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft des Kantons Bern mit 
einem Preise bedachten Arbeit. Basel, Benno Schwabe, 1896. 67 S. 

Prof. Dr. H. Müller (Thurgau), Die Herstellung unvergohrener und 
alkoholfreier Obst- und Trauben weine. Frauenfeld, J. Hube, 1896. 81 S. 

Dass schon die alten Deutschen „auf beiden Ufern des Rheins" 
mehr getrunken haben, als ihnen gerade dienlich war, erfahren wir durch 
Tacitus. Obwohl es diesem römischen Schriftsteller vorzugsweise darum 
zu thun war, seinen vielfach verkommenen Landsleuten in der Schilderung 
eines naturfrischen und kräftigen Volkes einen Spiegel vorzuhalten, 
kann er doch nicht umhin, in seiner „Germania" dieses Nationalfehlers 
Erwähnung zu thun, und er thut dies mit folgenden Worten: „Um 
den Hunger zu stillen, bedürfen die Deutschen keiner feinen Zubereitung 
und keiner Leckereien. Dem Durste gegenüber zeigen sie nicht die¬ 
selbe Mässigung. Wenn man ihre Trinklust unterstützt und so viel 
herbeischafft, wie sie begehren, so werden sie leichter durch ihr Laster 
als durch die Waffen besiegt“. 

Aber auch nach des grossen Geschichtsschreibers Zeiten ist in 
unserem Vaterlande getrunken, und zwar schwer getrunken worden, 
und wer sich darüber einigermaassen vergewissern will, der kann das 
Nähere in dem flott geschriebenen Buche des rührigen Geschäftsführers 
des Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke finden. Wir er¬ 
sehen ferner daraus, wie sich schon früh ebenfalls Bestrebungen geltend 
machen, diesem Missbrauche entgegen zu treten, und Bode bezeichnet 
sein Buch als den ersten Versuch, die ganze bisherige Entwicklung 
dieses Kampfes darzustellen, und den Leser in die Geschichte des deut¬ 
schen Kampfes gegen die Trunksucht einzuführen. Wir sehen, wie unter 
unsera Vorfahren die Unmässigkeit allerdings nichts Seltenes war, ja wie 
um die Wende von Mittelalter und Neuzeit weite Kreise davon ergriffen 
waren. Aber wir müssen annehmen, dass stets ein erheblicher Theil 
des Volkes zu arm war und den Stätten des Trunkes zu entfernt 
wohnte, um dem Trinklaster verfallen zu können. Erst gegen Aus¬ 
gang des Mittelalters wurde das Saufen zur Volksgefahr; es wurde erst 
dann ein Laster weiterer Kreise, als die Städte emporblühten, als ihre 
Bürger wohlhabend wurden und das Bierbrauen in Norddeutschland zu 
einem wirklich kunstgerechten Gewerbe wurde. 

Noch ungünstiger gestalteten sich die Verhältnisse durch den 
80jährigen Krieg, und die allgemeine Verwilderung der Sitten, welche 
er in seinem Gefolge hatte, zeigte sich nicht am wenigsten in der Zu¬ 
nahme und Verbreitung der Trunksucht, die von jetzt an um so brutaler 
auftrat, je verbreiteter der Genuss des bis dahin wenig bekannten 
Branntweins wurde. 


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Allerdings war der Ruhm, ihn zu dem Range eines Volksgetränkes 
zu erheben, unserem Jahrhundert Vorbehalten. Bis gegen Ende des 
18. Jahrhunderts war das Branntweinsaufen mehr vereinzelt und der 
Branntwein fand nur langsam seinen Weg in die Bier- und Weinstuben. 
Man trank ihn bei festlichen Gelegenheiten, aber nicht täglich, man 
hielt ihn namentlich nicht nöthig zur Arbeit. Erst mit der Vervoll¬ 
kommnung der Brennereien, als der Kartoffelbranntwein aufkam und 
zu dem billigsten Getränke wurde, und unter dem Einflüsse der langen 
Kriege zum Anfänge dieses Jahrhunderts wurde das Volksgift zum 
Volksgetränk. Hand in Hand mit dieser Entwicklung des Trinkens 
ging der Kampf gegen die zunehmende Trunksucht. 

Schon Karl der Grosse hatte den Mönchen und Geistlichen ver¬ 
boten, eine Schenke zu betreten; die Aeltesten sollten mit einem guten 
Beispiele der Nüchternheit vorangehen; wer im Heere betrunken ge¬ 
funden wurde, sollte nur Wasser bekommen, bis er sein Unrecht ein- 
geselien; kein Trunkener sollte vor Gericht als Kläger zugelassen 
werden. Kein Graf sollte zu Gericht sitzen, wenn er nicht nüch¬ 
tern sei. 

Von da an bis zum Ausgange des Mittelalters und darüber hinaus 
hatte man es von verschiedener Seite in Güte und mit Zwang ver¬ 
sucht, dem unmässigen Trinken entgegen zu treten, und mancher 
Sermon, manche Vermahnung gegen Gotteslästerung und Völlerei geben 
Zeugniss von dem guten Willen und dem regen Eifer der Mässigkeits- 
prediger. 

Auch Mässigkeitsvereine bildeten sich, aber sie hatten meist einen 
komischen Beigeschmack, obwohl sie gewöhnlich von hohen Herren ge¬ 
gründet waren. Sie verlangten ein so geringes Maasshalten und ge¬ 
statteten so zahlreiche Ausnahmen, dass sie völlig erfolglos und von 
kurzer Dauer waren. Kaum mehr Erfolg hatten die Gesetze und Ord¬ 
nungen, welche von verschiedenen weltlichen und geistlichen Behörden 
gegen den Trunk erlassen wurden. 

Grosse und andauernde Wirkungen hatten alle diese angeführten 
Maassregeln nicht, und erst unter dem Drucke der zunehmenden 
Branntweinpest, zu Anfang dieses Jahrhunderts, entwickelte sich gegen 
das Ende der 30er Jahre eine kräftige Reaction gegen das am Marke 
des Volkes zehrende Uebel. 

Bei den Fürsten fing es an und bei der Geistlichkeit hallte es 
wieder, bis sich ganz Deutschland mit Enthaltsamkeitsvereinen tiberzog, 
und der Erfolg der Mässigkeitsbestrebungen in einer ausserordentlichen 
Abnahme des Branntweinverbrauches zu Tage trat. Diese Erfolge 
waren in erster Linie das Verdienst wahrhaft tüchtiger Führer, und 
die Namen des Pastors Böttcher, eines Freiherrn von Seid, eines Seling 
u. a. m. klingen aus jener Zeit zu uns herüber. Das tolle Jahr 1848 
machte wie so mancher anderen Hoffnung, so auch dieser wohlthätigen 


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Bewegung ein gründliches Ende. In dem aufgeregten politischen Treiben 
jenes Jahres wollte man von Enthaltsamkeit und dergleichen nichts 
mehr hören, und die Vereine, die von oben, herab begünstigt worden 
waren, deren Leiter zumeist Geistliche waren, galten geradezu als 
Werkzeuge der Reaction. 

Gegen die wachsende Trunksucht geschah in den folgenden Jahr¬ 
zehnten ausserordentlich wenig. Man kümmerte sich kaum noch um 
die verunglückte Mässigkeitsbewegung, und bewegte politische Zeiten, 
Kriege und Eroberungen sind derartigen Bestrebungen überhaupt wenig 
gewogen. 

Erst Anfangs der achtziger Jahre vereinigten sich die zerstreuten 
Trunkgegner zu gemeinsamem Handeln und zu grösseren Schaaren. 
Anfangs 1883 erschien ein Aufruf an das deutsche Volk zur Begründung 
eines deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke, 
der sich alsdann unter der Leitung Nasse's immer weiter verbreitete. 

Der neue Verein unterschied sich in drei Punkten von den früheren 
Vereinen. Erstens, dass er ein Verein der Gebildeten war und seine 
Kraft in den höheren und mittleren Ständen der Nation suchte; zweitens 
fasste er die Alkoholfrage sofort wissenschaftlich an, deren Ursache man 
zuerst ermitteln müsse, um ihr um so gründlicher entgegentreten zu 
können, und drittens richtete der Verein seinen Kampf gegen die Un- 
mässigkeit. Massigkeit, aber nicht Enthaltung war seine Devise. 

Man kann das Programm des Vereins in drei Ideale zusammen¬ 
fassen: bessere Anschauungen, bessere Einrichtungen, bessere Gesetze, 
und die Thätigkeit des Vereins äussert sich unermüdlich in Vorträgen, 
in Schriften und Versammlungen. 

Gleichzeitig mit diesem grossen deutschen Vereiue entstanden neue 
Enthaltsamkeitsvereine. Sie waren eine Nothwendigkeit und sind für 
viele ein Segen. Der Trinker bleibt viel leichter völlig enthaltsam 
als mässig, und zu retten ist er einzig und allein durch Enthaltsamkeit. 
Will man daher auf den einzelnen Trinker wirken und ihn dauernd 
von seinem Laster befreien, so kann dies nur auf dem Wege der 
völligen Enthaltsamkeit geschehen, und es ist leicht verständlich, dass 
eine erfolgreiche Einwirkung nur von einer Seite her geschehen kann, 
die selber auf einem enthaltsamen Standpunkt steht. In diesem Sinne 
wird man derartige Bestrebungen aufzufassen haben und den ver¬ 
schiedenen Vereinen dieser Art, den Gut Templern, dem blauen Kreuze 
und anderen ähnlicher Natur, welche nicht blosses Maasshalten, sondern 
völlige Abstinenz auf ihre Fahnen geschrieben haben, den besten Er¬ 
folg wünschen. 

Eine andere Frage allerdings ist die, ob wir deshalb gezwungen 
sind, selbst zu Abstinenzlern zu werden und uns eines jeden Alkohol¬ 
genusses zu enthalten. 


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Für die Aerzte beantwortet A. Jaquet diese Frage mit „Nein“, 
und er begründet seinen Ausspruch in einer, unserer Meinung nach 
unangreifbaren Weise. 

Das ganz vorzüglich geschriebene kleine Buch verdient überhaupt 
nach Inhalt und Form die wärmste Anerkennung und die weiteste Ver¬ 
breitung, und es bildet einen wahren Trost ftlr Jeden, welcher der Be¬ 
kämpfung des Missbrauches sympathisch gegenübersteht, ohne gerade 
Lust zu haben, den grossen Sprung zur Enthaltsamkeit mitzumachen. 

Jaquet geht von der Frage aus, ob denn der Alkohol unter allen 
Umständen schädlich wirke, und ob selbst der mässige Wein oder Bier¬ 
genuss Gefahren für die Gesundheit nach sich ziehe. Zur Beantwortung 
dieser Frage geht der Verfasser etwas näher auf die Wirkung des 
Alkohols ein, und er scheidet auf Grund eigener Beobachtungen die 
Wirkung des Alkohols auf den menschlichen Organismus in zwei von 
einander verschiedene Wirkungsweisen. 

In genügender Concentration gegeben, wirkt er zunächst als locales 
Reizmittel, was auf reflectorischem Wege eine Hebung der Herzaction 
zur Folge hat, während er nach stattgehabter Resorption lähmend auf 
die 'Centralorgane wirkt, und somit bei genügend starker Dosis zu einer 
Herabsetzung der Herzthätigkeit führt. Daneben lässt sich eine eiweiss- 
ersparende Wirkung des Alkohols, ähnlich derjenigen der anderen stick¬ 
stofffreien Nahrungsmittel, nicht in Abrede steilen. Wenn wir aber 
auch zugeben, dass der Alkohol nährende Eigenschaften besitzt, so folgt 
daraus nicht, dass er unter normalen Umständen ein empfehlenswerthes 
Nahrungsmittel sei. 

Was den Kostenpunkt anbetrifft, so ist er das theuerste unserer 
gewöhnlichen Nahrungsmittel, und wollte man ihn in Mengen geniessen, 
wo seine nährenden Eigenschaften in Betracht kommen, so würde er 
bereits schädlich auf den Organismus wirken. Grössere Schwierigkeiten 
bietet die Beurtheilung der geistigen Functionen nach dem Genüsse 
alkoholischer Getränke. Durch den Alkohol fühlen wir uns gestärkt 
und belebt, wir werden gesprächiger, unternehmungslustiger, grosse 
Anstrengungen erschrecken uns nicht mehr, das Gefühl von Abspannung 
und Müdigkeit nach schwerer Arbeit schwindet, und an.dessen Stelle 
tritt ein behagliches Gefühl der Erholung ein. 

Das sind doch lauter Erscheinungen, welche deutlich iür eine er¬ 
regende Wirkung des Alkohols auf das centrale Nervensystem zu 
sprechen scheinen. 

Wenn die Anschauungen über die Wirkungen des Alkohols gerade 
hier sehr auseinander gehen, und die zur Zeit vorliegenden Ermittelungen 
nicht hinreichen, um die Wirkung des Alkohols auf die psychischen 
Functionen in einer einwandfreien Weise zu erklären, so ist doch 
Material genug vorhanden, um in eine Beantwortung der Frage ein- 
treten zu können, ob es unter allen Umständen schädlich oder doch 


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wenigstens nutzlos für den Menschen sei, wenn er von Zeit zu Zeit zu 
Mitteln greift, die beruhigend auf seine überaus in Anspruch genommenen 
geistigen Functionen einwirken! 

Von Bibra äussert sich darüber iu seinem Werke „Genussmittel“ 
wie folgt: Jeder Mensch darf den Wunsch haben, sich zeitweise über 
die Mühen und Sorgen des täglichen Lebens zu erheben; auf derjenigen 
Bildungsstufe, wo dieses Ziel nicht durch irgend eine geistige Arbeit 
zu erreichen ist, da dürfte es wohl entschuldbar erscheinen, zu einem 
äusseren Mittel zu greifen, das durch seine physiologische Wirkung 
den Menschen erhebt. Die Natur hat den Menschen darauf hingewiesen, 
irgend ein sorgenbrechendes Mittel zu benutzen, um von Zeit zu Zeit 
den Becher der Lethe zu trinken, um wenigstens auf Stunden die 
Sorgen und den Kummer zu vergessen, welchen Jeder hat, welcher vom 
Weibe geboren, der Fürst wie der Bettler, der intelligente Europäer 
wie der affenähnliche Neuseeländer. 

Dass die Pflege der Geselligkeit, wenn man will, auch ohne Alkohol 
möglich ist, lässt sich nicht bestreiten; die gemüthliche Seite aber, 
welche durch den Alkoholgenuss vorzugweise herausgefordert wird, trägt 
viel dazu bei, den Verkehr unter Menschen zu erleichtern. Nur dürfen 
die Rollen nicht umgekehrt und die Geselligkeit bloss ein Vorwand zu 
übermässigem Kneipen werden. 

Sogar ein so entschiedener Gegner des Alkoholgenusses, wie 
Kraepelin es ist, sieht sich zu dem Zugeständnisse genöthigt, dass kleine 
Gaben von Alkohol unter Umständen von Nutzen seien. Sei man ge¬ 
nöthigt, als ohnmächtiger Zuschauer schweres Leid über sich ergehen 
zu lassen, dann sei seiner Ueberzeugung nach die Linderung des 
traurigen Affectes durch kleine Gaben Alkohol aus psychischen Gründen 
angezeigt. 

Dass die Therapie einen ausgedehnten Gebrauch dieser schwach 
narkotischen und beruhigenden Wirkuug des Alkohols macht, ist hin¬ 
länglich .bekannt. Wie oft hören wir Kranke über Schlaflosigkeit und 
gesteigerte Erregbarkeit klagen, bei welchen diese Erscheinungen ein¬ 
fach die Folgen von übermässigen Geschäftssorgen sind oder von anderen 
Momenten herrtthren, die das Gehirn in abnormer Weise in Anspruch 
nehmen. Wer hat in solchen Fällen die wohlthätige Wirkung einer 
Flasche Bier Abends kurz vor dem zu Bettegehn noch nicht beobachtet? 
Bier ist unser mildestes und zugleich unschädlichstes Narkotikum, und 
es wird uns in vielen Fällen die nie gleichgiltige Verordnung eines 
der üblichen Schlafmittel entbehrlich machen. 

Auch bei acuten fieberhaften Krankheiten können wir den be¬ 
ruhigenden Einfluss eines Glases Wein oder Grog beobachten. 

Diese günstigen Wirkungen eines vereinzelten Alkoholgebrauches 
könnte man zugeben, und in dem gewohnheitsmässigen Genüsse trotz¬ 
dem eine Gefahr erblicken. Auch hier beruhigt uns Jaquet durch die 


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Behauptung, dass sich die Annahme, der Alkohol wirke auch in kleinen 
Dosen und nicht zu häufig genossen eine schädliche Wirkung aus, zur 
Zeit einfach nicht beweisen lasse. Verschiedene Bedenken, die man 
dagegen geltend gemacht hat, so unter andern die statistischen Er¬ 
hebungen englischer Lebensversicherungen haben sich als nicht beweisend 
her&usgestellt, und man kann daher die Ergebnisse der bisherigen Er¬ 
mittelungen dahin zusammenfassen, dass Alkohol in richtigen Mengen 
genommen, keine nachweisbar schädliche Wirkung auf den Organismus 
ausübt, dass er im Gegentheil in manchen Fällen von Nutzen sein kann 
und als Medikament von hohem Werthe betrachtet werden muss. 

Hiermit ist die Stellung des Arztes zur Alkoholfrage gegeben. 
Niemand kann heutzutage bezweifeln, dass derjenige, der einmal ein 
Sklave des Alkohols geworden, unrettbar verloren ist, wenn er nicht 
vollständig und für alle Zeit seiner verderblichen Leidenschaft entsagt. 
Dies ist so wahr, dass die Bestrebungen aller Gesellschaften, welche 
den Trinkern bloss die Mässigkeit empfehlen, erfolglos geblieben sind. 
Hier ist nur eine völlige Enthaltung am Platze, und Bestrebungen dieser 
Art, wo dem Trinker neben der Geselligkeit noch die nöthige mora¬ 
lische und thatsächliche Unterstützung geboten werden, seinem Hange 
zu entsagen, können von ärztlicher Seite daher nur sympathisch begrüsst 
und unterstützt werden. 

Ebenso werden wir den Abstinenten, welche zum Zwecke einer 
wirksameren Einwirkung auf den Trinker selber dem Genüsse geistiger 
Getränke entsagen, unsere vollste Anerkennung zu zollen haben. 

Aber der Kampf gegen den Alkoholismus besteht nicht nur in der 
Rettung der Trinker, sondern hauptsächlich in der Beseitigung der zur 
Förderung der Trunksucht beitragenden Momente. Hier liegt der 
Schwerpunkt der ganzen Frage; denn so lange es nicht gelingt, den 
Alkoholmissbrauch wirksam zu bekämpfen, wird für die Gesellschaft 
die Bekehrung der Opfer des Alkohols nur einen sehr bedingten Werth 
haben. 

Wir haben nun gesehen, dass ein mässiger Alkoholgenuss, solange 
es sich um wirkliche und nicht nur um scheinbare Mässigkeit handelt^ 
für den Menschen keinen nachweisbaren Schaden mit sich bringt, dass 
im Gegentheil eine mässige Alkoholdosis von Nutzen sein kann, und 
dass in Krankheitsfällen die therapeutische Verwendung des Alkohols 
von zahlreichen ärztlichen Autoritäten aufs wärmste befürwortet wird. 

Dass wir uns demnach einer Bewegung anschliessen sollten, welche 
den Alkoholgenuss als unbedingt schädlich verwirft, entbehrt eines zu¬ 
reichenden Grundes, und in dieser Ansicht können uns die bisherigen 
geringen und zweifelhaften Erfolge der Enthaltsamkeitsbestrebungen 
nur bestärken. Wenn wir somit keine Veranlassung haben, die An¬ 
sichten der Freunde eines unbedingten Verbotes zu theilen und uns 
dafür zu begeistern, so erwächst für uns Aerzte doch die moralische 


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Verpflichtung, uns nach besten Kräften an der Bekämpfung des Alkohol¬ 
missbrauches zu betheiligen. Auch ohne totale Enthaltsamkeit wird 
dies dem Einzelnen durch den Einfluss seiner Persönlichkeit gelingen, 
und besonders dadurch, dass er sich bei seinen Verordnungen in Acht 
nimmt, nicht selber zum Ausgangspunkte eines Missbrauches geistiger 
Getränke zu werden, wie dies leider gar zu oft geschieht. Die Ver¬ 
ordnung muss in Bezug auf Dosis und Dauer immer genau festgesetzt 
sein; in chronischen Fällen muss man sich hüten, hohe Dosen regel¬ 
mässig zu verordnen, denn die Zahl der Trinker ist keine geringe, die 
mit Bestimmtheit die Veranlassung zu ihrem Trinken auf eine ärzt¬ 
liche Verordnung zurtickführen. Ein zweiter, ungemein wichtiger Punkt, 
wo der Arzt im Stande ist, manches Unglück zu verhüten, betrifft die 
noch allgemein übliche Verabreichung an kleine Kinder. Wie schädlich 
der Alkohol auf die Entwicklung des kindlichen Organismus wirkt, hat 
in überzeugendster Weise Demme gezeigt. Kinder brauchen keinen 
Alkohol und sollten bis zum 15. Jahre überhaupt weder Wein noch 
Bier bekommen, einige seltene Gelegenheiten ausgenommen, und auch 
dann nur in ganz kleinen Mengen. 

Die eigentliche Aufgabe des Arztes in dem Kampfe gegen den 
Alkohol liegt jedoch in der Aufklärung des Publikums und in der 
Leitung der öffentlichen Meinung. 

-Er ist ganz besonders dazu berufen, dem Publikum die Gefahren 
und die Schäden des Alkohols vorzuführen, und er kann es um so mehr 
thun, als er nicht im Verdacht steht, aus anderen Rücksichten als 
allein aus Sorge für das Wohl seiner Mitmenschen zu handeln. 

Bei der Behandlung des Trinkers gilt der Grundsatz, dass er als 
Kranker betrachtet und folglich auch als solcher behandelt werde. 
Mit Strafen und Gefängniss ist noch kein Trinker geheilt worden, und 
die Frage der Trinkerheilanstalten ist eine der actuellsten der ganzen 
Alkoholfrage, und Niemand ist mehr berufen, sich an der Gründung und 
Unterstützung solcher Anstalten zu betheiligen, als gerade der Arzt. 
Hier liegt für ihn ein schönes und grosses Arbeitsfeld vor, wo die 
Erfolge seine Bemühungen reichlich belohnen werden, wie dies die bis¬ 
herigen Erfahrungen beweisen. Desgleichen werden die Fachkenntnisse 
des Arztes überall nützliche Verwendung finden, wo es sich um Besserung 
der Lebens Verhältnisse der ärmeren Klassen handeln wird, sei es in 
der Frage der Volksernährung, sei es in der Wohnungsfrage. Alle 
Einrichtungen, welche eine Hebung und Besserung der Lebensverhält¬ 
nisse der Arbeiterklasse zur Folge haben, können als wirksame Mittel 
gegen die Trunksucht betrachtet werden. In dieser Hinsicht ist die 
Aeusserung eines Londoner Arbeiters von der grössten Bedeutung. 
Er sagt: 

„Männer, die vom Morgen bis zum Abend in engen Werkstätten 
eingepfercht sind, ermangeln deshalb — zu ihrer Ehre sei es gesagt 
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 24 


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— nicht des Geselligkeitstriebes. Sie verlangen danach, am Feier¬ 
abend mit Ihresgleichen zusammenzukommen, Gedanken auszutauschen, 
Erfahrungen mitzutheilen, Ideen, welche ihnen bedeutungsvoll erscheinen, 
eine gewisse Veröffentlichung zu geben. Dieses Verlangen nach ge¬ 
selligem Verkehr findet sich in allen Klassen der Bevölkerung; nur 
sind Einige in der Leichtigkeit, es zu befriedigen, mehr begünstigt als 
Andere. Der Reiche ladet sich Gesellschaft in sein Haus, geht in seinen 
Club oder in andere Häuser in Gesellschaft. Der Arme in den grossen 
Städten ist nicht so glücklich gestellt. Für die meisten Arbeiter ist 
die eigene Häuslichkeit ein viel zu unbehaglicher Ort, um zu einem 
freundschaftlichen Beisammensein mit einem Kameraden einzuladen. 
Diese Häuslichkeit ist nur zu oft ein einziges kleines Zimmer in einem 
mit üblen Gerüchen gefüllten Hause, kärglich möblirt, minus Behaglich¬ 
keit, plus Kindergeschrei. Und das einzige Wesen, welches sogar eine 
so dürftige Heimstätte hell und wohnlich machen könnte, ist vielleicht 
aus Mangel an geeigneter Vorbildung und sittlicher Erziehung für das 
Amt der Hausfrau und Mutter gänzlich ungeeignet. 

So lange die Vorkämpfer der Enthaltsamkeitsbewegung von der 
vorgefassten Meinung ausgehen, dass nur und in erster Linie das 
Verlangen nach Alkohol den Arbeiter in die Schenke treibt, werden 
sie nicht viel dauernd Gutes wirken. 

Eine Kette ist nicht stärker als ihr schwächstes Glied. Einige 
tausend Männer, Frauen und Kinder mögen veranlasst werden, eine 
Verpflichtung zu unterschreiben, sich ein blaues Bändchen anzuheften 
und sich aller geistigen Getränke und des Tabaks obendrein zu ent¬ 
halten, aber diese Beispiele werden für die Massen wirkungslos bleiben, 
solange der Grundstein des Volkslebens, die Häuslichkeit des Arbeiters, 
so wenig Anziehungskraft besitzt, wie jetzt. 

Ein wohlausgestattetes Kaffeehaus, ein Arbeiterviertel mit freund¬ 
lichen, bequemen, gesunden Wohnungen ist so viel werth, wie zehn¬ 
tausend Reden in Versammlungen und eine Million Zeugnisse von den 
verderblichen Wirkungen des Alkohols. Wenn die jetzt auf die Ver¬ 
dammung von Bier und Tabak verwandte Energie dazu benutzt würde, 
junge Mädchen aus dem Volke zu sparsamen, geschickten und ver¬ 
ständigen Hausfrauen zu erziehen, so würde das tausendjährige Reich 
einer nüchternen Nation näher sein, und wir könnten es erleben, in 
den Frauen der Arbeiter die dienenden Engel ihrer bescheidenen 
Heimstätten, und nicht blosse Aschenbrödel zu sehen. 

In eine durch das Walten einer solchen Mutter verschönerte Häus¬ 
lichkeit könnte der heranwachsende Sohn am Feierabend auch einen 
oder den andern Genossen, der kein Elternhaus am Orte hat, einführen, 
und es dürften wenig gutgeartete Jünglinge sein, die nicht lieber ihre 
Freistunden so verbrächten, als in einer geräuschvollen Schänke. Wie 


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es jetzt ist, führt der Vater seine Gäste in das Wirthshaus, und der 
Sohn ahmt ihm nach. 

Es wäre thöricht zu glauben, dass das einfache, zwangsweise 
Schliessen der Schänken das Uebel abstellen würde. Die Beschaffung 
von geistigen Getränken schwierig machen und ein Volk zur Gewohn¬ 
heit eines mässigen Lebens zu erziehen, das ist noch lange nicht das¬ 
selbe. Ehe nicht die socialen Schäden abgestellt sind, welche in den 
meisten Fällen zur Branntweinflasche treiben, wird kein äusserer Zwang 
den Branntwein aus der Welt verbannen.“ 

So äussert sich der Londoner Arbeiter, und seine Aeusserungen 
enthalten das vollständige Programm der bereits von vielen Seiten zur 
Hebung der Volkswohlfahrt vorgeschlagenen Maassnahmen: gesunde 
Arbeiterwohnungen, Versammlungslokale und Lesesäle für Arbeiter, 
Consumvereine, Volksküchen und Speisehallen für Arbeiter, die keine 
eigene Haushaltung haben, Koch- und Haushaltungscurse für heran- 
wachsende Hausfrauen u. dergl. mehr. 

Wie wir daraus ersehen, steht dem Arzte ein weites Arbeitsfeld 
offen und selbst ohne totale Enthaltsamkeit wird sich seine Mitwirkung 
zu einer segensreichen gestalten, sobald er mit der erforderlichen 
Energie und Ausdauer ans Werk geht. 

Ein besonderer Theil der Bestrebungen hat sich die Aufgabe ge¬ 
stellt, den Alkohol durch ein anderes, unschädliches Getränk zu ersetzen. 
Auch diesen Bemühungen werden wir unsere Aufmerksamkeit zuzu¬ 
wenden haben. Allerdings wird es gut sein, wenn wir nach dem, was 
wir durch Jaquet über die Wirkungen des Alkohols erfahren haben, 
unsere Hoffnungen nicht allzuhoch schrauben, denn es wird wohl für 
immer ein aussichtsloses Unternehmen bleiben, kaltes Wasser auf die 
Höhe eines Nationalgetränkes zu erheben, und den ungegohrenen und 
alkoholfreien Obst- und Traubenweinen dürfte es kaum besser er¬ 
gehen. 

Allerdings wird bei ihrem Genüsse, wie Müller-Thurgau hervor¬ 
hebt, jeder Anreiz zur Unmässigkeit fortfallen, und betrinken wird man 
sich in ihnen nicht; ob sie aber auf der anderen Seite im Stande sind, 
einen Ersatz für alles das zu bieten, was gerade den Alkohol zu einem 
ebenso begehrten wie gefährlichen Genussmittel macht, das ist eine 
andere Frage. 

Müller-Thurgau erklärt die Gährung für einen Nothbehelf, solange 
es nicht möglich war, die Fruchtsäfte auf eine andere Weise an der 
auftretenden Zersetzung zu hindern. 

Ob die Menschen ursprünglich des Alkohols* wegen vergohrene 
Getränke herstellten oder vielmehr nur deshalb, weil es ihnen nicht 
möglich war, die Gährung dieser Getränke zu verhindern, will er nicht 
weiter untersuchen, wohl aber trete an unsere Generation, welcher 
die Wissenschaft die nöthigen Hilfsmittel darbietet, die Pflicht heran, 

24* 


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zu prüfen, ob es nicht richtiger sei, die Fruchtsäfte in ungegohrenem 
Zustande aufzubewahren und zu geniessen, in einem Zustande, in welchem 
sie nicht nur reicher an wichtigen Nährstoffen, sondern auch, weil 
alkoholfrei, der Gesundheit zuträglicher sind. 

Von den Wegen, die uns zu diesem Zwecke offen stehen, ist es 
eigentlich nur ein Verfahren, welches hier in Frage kommt, das so¬ 
genannte Pasteurisiren, das heisst, das Sterilisiren der Fruchtsäfte durch 
Zerstören ihrer Gährungspilze vermittelst einer erhöhten Temperatur. 

Der Verfasser beschreibt das Verfahren sowohl im Kleinbetrieb 
der eigenen Haushaltung, als auch bei fabrikmässiger Herstellung genau, 
und er behauptet, dass der Saft gut ausgereifter Obstfrüchte und 
Trauben gewiss nicht nachtheilig wirke und auf die Dauer gerne ge¬ 
trunken werde. 

Da zudem die Herstellungskosten gering und das Verfahren kein 
besonders schwieriges ist, so kann die allgemein fasslich geschriebene 
kleine Schrift nur empfohlen werden. Pelman. 

33. Arnould, Le« alcools naturels et les alcools d’industrie. (Revue 
d’Hygi&ne T. XVni No. 1.) 

Als alcools naturels bezeichnet Verf. solche Producte, die durch 
einfache Gährung von zuckerhaltigem Saft — in erster Linie Frucht¬ 
saft — erhalten werden, während der alcool d’industrie durch Fermen¬ 
tation von Kartoffeln, Getreide u. s. w. entsteht. Die alkoholischen 
Getränke, die aus diesen beiden Producten hergestellt werden, sind in 
Bezug auf die Verunreinigung und schädlichen Bestandteile nicht 
wesentlich verschieden, ja die alcools d’industrie sind im Allgemeinen 
noch reiner wie die alcools naturels, wie Verf. durch zahlreiche Analysen 
erweist. Ein gleiches Resultat ergaben Injectionen an Kaninchen. 
Verf. bespricht dann die ausserordentliche Zunahme des Spiritus-Ver¬ 
brauchs in Frankreich, der 1850 585 000 oder 1,45 1 auf den Kopf, 
1869 Uber 1000 000 und 1890 etwa 1662 000 Hektoliter oder 4,5 1 
auf den Kopf betrug. 

Um nun die schweren Schädigungen, die aus dem Spiritus-Miss- 
brauch entstehen, möglichst zu mildern, hat die französische Kammer 
ein Gesetz angenommen, wonach die Reinigung des Spiritus dem Staat 
als Monopol übergeben wird. Verf. verspricht sich von diesem Gesetze 
nicht die gewünschten Resultate; nicht die Qualität, sondern die Quantität 
des verbrauchten Spiritus sei zu bekämpfen, und es seien gesetzliche 
Maassregeln zu ergreifen, um den Alkoholconsum einzuschränken. 

Pröbsting. 

James Niven, On the prevention of phthisis. (The Lancet 8754.) 

Bei der Bekämpfung der Lungenschwindsucht sind folgende Punkte 
zu berücksichtigen: 


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1. Phthisis kann nur durch Eindringen von Tuberkelbacillen in 
den Organismus entstehen. 2. Der Auswurf von Schwindsüchtigen 
enthält solche Bacillen in grosser Anzahl; in trockenem, staubförmigem 
Zustande kann daher solches Sputum die Krankheit weiter verbreiten. 
3. Die übrigen Excrete der Schwindsüchtigen können auch Bacillen 
enthalten und dadurch gefährlich werden. 4. Die infectiösen Aus¬ 
scheidungen der Phthisiker können durch chemische Agentien des- 
inficirt werden. In der Form von Reinculturen und als Staub werden 
die Infectionsstoffe durch directes Sonnenlicht sehr rasch vernichtet. 
5. Die Tuberkulose ist unter den Thieren sehr verbreitet, ganz be¬ 
sonders unter den Milchkühen. Die Milch von letzteren kann Tuber¬ 
kulose beim Menschen erzeugen, das Fleisch von solchen Thieren ist 
weniger gefährlich. 

Als Mittel zur Bekämpfung der Phthise schlägt Verf. folgende 
Maassnahmen vor: 

1. Belehrung des Publicums und der Phthisiker über die Gefahren 
der Uebertragung. Die Belehrungen sind in Form von gemeinverständ¬ 
lichen kurzen Abhandlungen, Plakaten u. s. w. zu verbreiten. Ver¬ 
fasser theilt eine solche Belehrung, der 15 kurze Artikel enthält, mit. 

2. Die Tuberkulose muss gesetzlich zu denjenigen Krankheiten, 
filr welche eine Anzeigepflicht besteht, gerechnet werden. 

3. Für die tuberkulös Erkrankten sind besondere Spitäler und 
Sanatorien zu errichten. 

4. Strengste ärztliche Ueberwachung der Milchkühe und der 

Schlachtthiere. Pröbsting. 

Kirchner, Studien zur Lungentuberkulose. Aus der hygien.-chem. Unter¬ 
suchungsstation des X. Armee-Corps. (Zeitschr. f. Hygiene 1896. Bd. 21.) 

In den Jahren 1893, 94 und 95 war in einer Kaserne je ein 
Unterofficier an Lungentuberkulose erkrankt, der den Dienst als 
Kammerunterofficier auf einer bestimmten Compagniekammer versehen 
hatte. Daraufhin wurden acht verschiedene Staubproben aus dieser 
Kammer in der üblichen Weise auf Tuberkelbacillen untersucht, indem 
mit den Staubproben Meerschweinchen inficirt wurden. 

Von diesen gingen drei an Tuberkulose ein, die mit folgenden 
Staubproben geimpft waren: 

1. Mit Staub von Tornistern. 

2. Von Säbeltaschen. 

3. Aus alten Röcken ausgeklopft. 

Es handelte sich also zweimal um Staub, der sich aus der Luft 
der Kammer zu Boden gesetzt hatte, und einmal um Staub aus alten 
Kleidungsstücken. 

Nach Untersuchungen, wie die vorliegende, ist daher an dem 
Vorkommen von Tuberkelbacillen im Staube, und an der Möglichkeit 




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der Infection mit Tuberkulose durch Einatbmen tuberkelbacillenhaltigen 
Staubes wohl nicht mehr zu zweifeln. 

Am Schlüsse seiner Arbeit betont Verf. noch die Nothwendigkeit 
der Desinfection alter getragener Kleider und der Beseitigung des 
Staubes aus denselben. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Klepp, Ueber angeborene Tuberkulose bei Kälbern. Zeitschr. für Fl eisch¬ 
und Milchhygiene, 1896, Heft 10. 

Bei der Häufigkeit der tuberkulösen Erkrankung der Gebärmutter 
von Kühen musste es auffallend erscheinen, dass nur eine so geringe 
Zahl von tuberkulösen Kälbern gefunden werde. Klepp, dem dieses 
Missverhältniss befremdend war, lenkte seine Aufmerksamkeit auf eine 
genauere Untersuchung der portalen Lymphdrüsen. Hierbei stellte es 
sich heraus, dass die Vererbung von Tuberkulose wenigstens von der 
Mutter auf das Junge, höchstwahrscheinlich durch placentare Infection, 
doch eine verhältnissmässig nicht geringe Rolle spielt und die angeborene 
Tuberkulose viel öfter als bisher bekannt vorkommt. So fand Klepp 
in Kiel innerhalb 5 Monaten 26 tuberkulöse nüchterne, d. h. neugeborene 
Kälber. Diese 26 tuberkulösen Kälber machen 0,64 °/o der gesammten 
Schlachtung aus. Auf Grund seiner Untersuchungen glaubt er, dass bei 
sorgfältiger Nachforschung auch anderwärts höhere Procentzahlen für 
die angeborene Tuberkulose von Kälbern gefunden werden müssten. 

Bleibtreu (Köln). 

F. Migneoo, Azione della luoe solare aulla virulenza del bacillo tuber- 
culare. (Annali dTgiene sperimentale 1895, T. V, p. 215.) 

Auf dem internationalen medicinischen Congress zu Berlin (1890) 
machte R. Koch eine kurze Mittheilung, dass unter dem Einfluss des 
Sonnenlichtes die Virulenz der Tuberkel-Bacillen rasch abnehme. Diese 
Angaben wurden von einer Seite bestätigt, von anderer nicht. 

Migneco hat nun neue Versuche nach dieser Richtung hin ange¬ 
stellt und kann die Behauptungen Kocb’s in vollem Umfange bestätigen. 
Schon nach dreistündiger Einwirkung des directen Sonnenlichtes auf 
bacillenhaltiges Sputum zeigte sich bei geeigneten Thierversuchen eine 
deutliche Abschwächung der Virulenz, die mit der Dauer der Ein¬ 
wirkung progressiv zunahm. Pröbsting. 

Fetruschky, Ueber die fragliche Hin Wirkung des Tuberoulins auf 
Streptokokken-Infectionen. (Zeitschr. für Hygiene und Infectionskrank- 
heiten, XIX. Bd. ? 3. Heft, S. 450-461.) 

Die Untersuchungen Petruschky’s wenden sich hauptsächlich gegen 
die Angaben von Arthur Klein, dass das Tuberculin Bedingungen 
schaffe, welche vielleicht eine lebhaftere Proliferation, vielleicht eine 
Steigerung der Virulenz bereits a priori vorhanden gewesener bak» 


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337 


terieUer Entzündungserreger in den betroffenen Affectionen hervor¬ 
zurufen vermögen und dass dieser Vorgang als Ursache der Tuberculin- 
reaction aufzufassen sei. 

Die Untersuchungen Petruschky’s ergeben nun ganz andere Re¬ 
sultate, so dass auf Grund derselben Petruscliky zu dem Schlüsse ge¬ 
langt, dass Tuberculin in Dosen bis 10 mg auf Streptokokken - 
infectionen bei Kaninchen irgend welchen, aus dem Krankheitsverlaufe 
ersichtlichen Einfluss nicht ausübt. Damit wird selbstredend auch die 
Verwendung dieser Versuche in dem Sinne hinfällig, als böten die¬ 
selben eine Stütze für die Annahme, dass die Einwirkung des Tuber- 
culins auf secundäre Streptokokkeninfectionen bei tuberkulösen Menschen 
als „Ursache der Tuberculinwirkung“ aufgefasst werden könne. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

Die Wohnungsfrage als Gegenstand der 8oeia1politik. Vortrag von 
Prof. Dr. Julius Wolf. Jena bei Gustav Fischer, 1896. 

Zwar hat der Vortragende es sich nicht zur Aufgabe gestellt, der 
vielbehandelten Frage neue Seiten abzugewinnen; aber er giebt einen 
klaren und geistvollen Ueberblick über den ganzen Stoff und dadurch 
den Berufenen eine vortreffliche Anregung. Die schlechte Wohnung 
gefährdet die sittliche Existenz des Einzelnen wie der Familie, sie ge¬ 
fährdet zugleich das leibliche Dasein. Die Frage ist eine hygienische 
und mehr noch eine sociale. Zwar ist die Wohnungsnotli keine neue 
Erscheinung unserer Zeit. Von Diodor, Martial und Juvenal erfahren 
wir, dass in den antiken Städten, besonders im alten Rom, die Wohn¬ 
verhältnisse nicht besser waren, als in den schlimmsten Theilen unserer 
Grossstädte. Auch in den mittelalterlichen und nachmittelalterlichen 
Städten sah es nicht besser aus. Die ältesten Theile unserer Städte 
geben uns mit ihren engen, winkeligen Gassen, luftarmen und sonnen¬ 
leeren Häusern nicht selten noch heute ein Bild jener Zustände. 

Aber unser Sinn ist geschärft zur Erkenntniss der Unzuträglich¬ 
keiten, und die Massenhaftigkeit ihrer Verbreitung ist gerade in unserer 
Zeit gesteigert worden durch verschiedene Veranlassungen. Die erste 
derselben ist das aus wirthschaftlichen Gründen sich vollziehende Ein¬ 
strömen der Bevölkerung in die Städte; der zweite Grund ist die starke 
Bevölkerungszunahme an sich, hauptsächlich beruhend auf der sehr 
herabgeminderten Sterblichkeit. Als dritten Grund führt der Vor¬ 
tragende die „Grundrente“ an, d. h. die Steigerung der Miethe zu 
Gunsten der Hausgrundbesitzer in Folge des Anwachsens der städtischen 
Bodenpreise, und schliesslich als vierten Grund die nicht seltene Un¬ 
tüchtigkeit der Hausfrau zur Wahrnehmung ihrer Haushaltsaufgaben, 
namentlich zur Erfüllung der besonderen Aufgabe, auch einen ärmlichen 
Raum möglichst wohnlich zu gestalten. So sind nach Webb in London 
eine Million Menschen derart untergebracht, wie ein vernünftiger Mann 


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338 


seine Pferde nicht unterbringen würde. In Berlin wohnen 600000 
Menschen zu sechs und mehr in einem heizbaren Zimmer, und die 
Zahl der Schlafleute, d. h. derer, die nur ein Bett, kein Zimmer ge- 
miethet haben, beträgt 100000. Selbst in Basel und Frankfurt a. M. 
hat die Statistik erschreckende Ergebnisse geliefert. Die Noth beruht 
auf der zu geringen Zahl, der zu hohen Miethe, der zu schlechten Be¬ 
schaffenheit der Wohnungen, sowie in dem zu häufigen Wechsel der¬ 
selben; diese Erscheinungen treten gemeinsam und vereinzelt auf. 

Zur Abhtilfe sind in verschiedenster Weise, aber im Grossen und 
Ganzen mit geringem Erfolge thätig gewesen: Arbeitgeber, einzelne 
Philanthropen, manche Baugenossenschaften und einige Stadtgemeinden. 
Die gemeinnützigen (Actien-)Gesellschaften vergisst der Vortragende. 
Kirche und Staat haben sich an den Bestrebungen zur Hebung der 
Wohnungsnoth kaum betheiligt. Die Gründe für die Geringfügigkeit 
des Handelns auf diesem Gebiete liegen in der Schwerfälligkeit der 
amtlich berufenen Organe, in ihrer Ueberbürdung und ihren mangel¬ 
haften Lebenskenntnissen, in der Ununterrichtetheit weiter bürgerlicher 
Kreise, in dem Widerstreben interessirter städtischer Kollegien, und 
endlich andrerseits in dem zu radikalen Vorgehen mancher Theoretiker. 
Besonders auf dem Gebiete der Wohnungsreform ist das Bessere der 
Feind des Guten. Nothwendig sind folgende Maassnahmen: 1. ein 
Wohnungsgesetz, welches gesundheitswidrige Wohnungen verbietet, und 
eine Wohnungscontrole, welche jenem Gesetze Nachachtung verschafft; 
2. Verbesserung alter Häuser und, wenn dies nicht mehr angeht, Ent¬ 
eignung und Neubau derselben; 3. Begünstigung von Baugenossen¬ 
schaften (und gemeinnützigen Baugesellschaften); 4. Ausfüllung der 
sodann noch verbleibenden Lücken durch Stadtgemeinden und sonstige 
öffentliche Körperschaften. 

Wie es Fabrikinspectoren giebt, so bedarf es auch „staatlicher oder 
städtischer Wohnungsinspectoren und Wohnungscommissignen, in welche 
letztere zum Theil ehrenamtlich Pfarrer, junge Aerzte und Baufachleute 
zu wählen sind“. Die Baugenossenschaften haben in Deutschland nicht 
die auf sie gesetzten Erwartungen erfüllt, ihre Zahl ist erheblich zurück- 
gegangen, nicht weil die Idee verfehlt war, sondern weil die Ausführung 
fehlging. Das Ziel, den städtischen Arbeiter zum Hauseigentümer 
zu machen, ist schön, aber meistens nicht von dauerndem Erfolge. Das, 
was städtische Baugenossenschaften für den Arbeiter vorzugsweise zu 
erstreben haben, ist der Bau von Häusern, welche im Besitz der Ge¬ 
nossenschaft bleiben und an Arbeiter vermiethet werden. „Der erfolg¬ 
reichste Typus von Genossenschaften dieser Art ist der Bau- und Spar¬ 
verein Hannover.“ In grösseren Städten ist indess der Bau von Arbeiter¬ 
wohnhäusern am äusseren Umfang des Weichbildes nicht immer eine 
Wohlthat, oft sogar ein Missstand. Desshalb ist das grössere Arbeiter- 
miethhaus (wenn auch nicht gerade die Kaserne) im Innern der Städte 


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339 


unentbehrlich, und zwar nicht bloss für die Familien der Armen. Hier 
handelt es sich mehr um den passenden Umbau alter Häuser als um 
die Errichtung von Neubauten. Wo aber einzelne Menschenfreunde 
oder Gesellschaften nicht in diesem Sinne eingreifen, da soll nach 
Meinung des Vortragenden die Gemeinde der Aufgabe sich unterziehen 
und, wo diese es nicht thut, der Staat. Octavia Hill in London ist 
mit vortrefflichem Beispiel voraufgegangen, wie überhaupt England auf 
dem Gebiete der Wohnungsfrage am meisten, wenn auch noch lange 
nicht genug, geleistet hat. Ausser London sind besonders die Städte 
Liverpool, Birmingham und Glasgow segensreich vorgegangen. Nachdem 
Glasgow einen Umbau der alten Stadt vorgenommen hatte, sank die 
Sterblichkeit von 32,4 pro Tausend auf 25,5, und zugleich sank die 
Zahl der Verbrechen. Nach der letzten Cholera-Epidemie wurde in 
Hamburg eine Wohnungsreform mit Wohnungsgesetz, Wohnungscontrole, 
Inspectoren und Pflegern vorbereitet (aber nicht gründlich durch- 
gef tthrt). 

Die Stadt bietet niemals die gleich günstigen Bedingungen physi¬ 
schen Gedeihens, wie das Land, l^esto dringender ist die Pflicht, 
nichts von dem zu versäumen, was die Städte zum Schutze der körper¬ 
lichen Entwickelung, zur Verhütung des körperlichen Verkommens ihrer 
Bewohner thun können; das ist um so wichtiger, als es sich bei 
der Wohnungsfrage zugleich um den Familiensinn und die Sittlichkeit 
handelt. Möge die gewaltige Schaffenskraft unserer Zeit sich zum Theil 
auch in den Dienst der Hebung oder Linderung der Wohnungsnoth 
stellen! Mögen die Worte des Vortragenden weithin gehört und be¬ 
herzigt werden und zu kräftigem Eingreifen anregen! 

J. Stubben. 

Jessen, Witterung und Krankheit. (Zeitschr. für Hygiene und Infections- 
krankheiten. XXI, Bd.: II. Heft, S. 287—294.) 

Die Vorstellung, dass das Wetter einen Einfluss auf den Gesund¬ 
heitszustand der Menschen ausübe, ist so alt, wie die Beschäftigung 
mit der Heilung der Krankheiten selbst. Immer mehr bricht sich die 
Erkenntniss Bahn, dass ausser der Causa movens der Mikroorganismen 
noch andere Vorgänge bei der Entstehung, namentlich aber bei der 
weiteren Verbreitung vieler Krankheiten eine Rolle spielen. 

Verfasser hat genaue Untersuchungen über einen Zeitraum von 
14 Jahren in Hamburg angestellt. 

Bei acuten Entzündungen der Athmungsorgane liegt das Minimum 
der Curve im Spätsommer und Herbst, dann Ansteigen der Curve. 
Zur Zeit des Maximums herrschten meist Östliche bezw. nördliche Winde, 
des Minimums westliche Winde. Viel Regen scheint die Mortalität 
herabzusetzen. Gleiche Verhältnisse zeigt die Mortalitätscurve der 
Schwindsucht. 


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340 


Bei Durchfall und Brechdurchfall liegt da» Maximum stets in der 
heissen Jahreszeit und auch fast immer bei der absolut höchsten Jahres¬ 
temperatur. Das SättigungsÄeficit der Luft ist zur Zeit der Maxima 
sehr hoch. 

Der Typhus trat in Hamburg vorzugweise in der kalten Jahres¬ 
zeit auf. Croup und Diphtherie kamen in grosser Zahl wesentlich zur 
Zeit kalter, bezw. kühler Temperatur vor; das Minimum trifft fast 
stets mit warmen Temperaturen zusammen. Das Maximum trifft mit 
wenig Kegen zusammen, ferner mit geringen Sättigungsdeficiten. 

Masern fallen hauptsächlich in die kalte Jahreszeit, die Nieder¬ 
schläge sind gross, Sättigungsdeficit niedrig. 

Nach diesen Beobachtungen scheint die Lufttemperatur der wesent¬ 
liche meteorologische Factor zu sein. 

Dr. Mastbaum (Köln). 


Verzeichniss der hei der Redaction eingegangenen neuen 

Bücher etc. 

Albrecht, Dr. H., Das Arbeiterwohnhaus. Gesammelte Pläne von Arbeiter- 
wohnhäusem und Rathschläge zum Entwerfen von solchen auf Grund 
praktischer Erfahrungen. Mit Entwürfen von Prof. A. Messel. 66 Seiten 
in Folio mit 4 Figuren im Text und 12 Doppeltafeln. Berlin 1896. 
Robert Oppenheim (Gustav Schmidt). Preis in eleganter Mappe 10 Mk. 
Annali d’ igiene sperimentale pubblicati e diretti dal Prof. 
Angelo Celli. Vol. VI (nuova eerie), fascicolo II, 1896. 8°. Roma 1896. 
Societä Editrice Dante Alighieri. 

Bollettino della Societä d’ igiene di Palermo. Vol. IH, Fase. 1—2. 

Anno 1896. 8°. Palermo 1896. Fratelli Marsala. 

Borntraeger, Dr. J., Diät-Vorschriften für Gesunde und Kranke jeder Art. 

Zweite verb. Auflage. Leipzig 1896. H. Hartung & Sohn. Preis 2 Mk. 
—, Die neue preussische Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte. Mit 
eingehenden Erläuterungen und den für das Erwerbsleben der Medicinal- 
personen gütigen Bestimmungen. Kl. 8°. 70 S. Ebenda. Preis 1 Mk. 
Bulletin de l’acad^mie royale de m^decine deBelgique. IV« s6rie t 
Tome X, No. 5. Ann4e 1896. 8°. Bruxelles 1896. 

Die Thätigkeit des Berliner Vereins für Volksbäder. Mit 4 Tafeln. 

8°. 72 S. Berlin 1896. Julius Springer. 

Dietrich, Dr. E., Das Hebammenwesen in Preussen mit besonderer Berück¬ 
sichtigung seiner geschichtlichen Entwicklung und Vorschlägen zu seiner 
Reform. 8°. VIII u. 128 S. Merseburg 1896. Friedrich Stollberg. Preis 
2 Mk. 

Dornblüth, Dr. Otto, Nervöse Anlage und Neurasthenie. (Klinik der 
Neurosen I.) Kl. 8°. 150 S. Leipzig 1896. H. Hartung & Sohn. Preis 
2,50 Mk. 


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341 


Düsing, Dr., Die Veijudung der Aerzte und das dadurch veranlasste Ein¬ 
dringen des Cynismus in die Medicin. Ein Beitrag zur: Frauenärztirinen- 
frage. 8°. 84 S. Münster i. W. 1895. «Johs. Basch. Preis 1 Mk. 

von Esmarch, Dr. Erwin, Hygienisches Taschenhuch für Medicinal- und 
Verwaltungsbeamte, Aerzte, Techniker und Schulmänner. Kl. 8°. 240 S. 
Berlin 1896. Julius Springer. Preis geh. 4 Mk. 

Gerhardt, Dr. C., Edward Jenner und die Kuhpockenimpfung. Festrede 
am 15. Mai 1896. Kl. 8°. 24 S. Berlin 1896. Schall & Grund. 

Kaufmann, W. H., Ueber die Errichtung von Sanitätswachen in der Stadt 
Hannover. Vertrag. 8°. 15 S. Hannover 1896. Carl Meyer (Gustav 

Prior). Preis 50 Pfg. 

Kneipp, Sebastian, Oeffentliche Vorträge gehalten vor seinen Kurgästen 
in der Wandelbahn zu Wörishofen. Hl. Band: Die Vorträge der Jahre 
1890 und 1891. Nach stenographischen Aufzeichnungen bearbeitet und 
herausgegeben von Prior Fr. Bonifaz Beile & H. Hartmann. Mit einem 
Titelbilde. Kl. 8°. 850 S. Kempten 1896. Jos. Kösel’sche Buchhandlung. 
Preis 2,60 Mk. 

Kobert, Dr. Rudolf, Ueber den Kwass und dessen Bereitung zur Ein¬ 
führung desselben in Westeuropa. Separatabdruck aus Band V (1896) der 
Historischen Studien aus dem pharmakologischen Institute der Kaiser¬ 
lichen Universität Dorpat. 8°. 32 S. Halle a./S. 1896. Tausch & Grosse. 
Preis 1 Mk. 

Lange, Prof. C., Periodische Depressionszustände und ihre Pathogenesis auf 
dem Boden der harnsauren Diathese. Autoris. deutsche Ausgabe nach 
der 2. Auflage des Originals von Dr. Hans Kurelia. 8°. 55 S. Hamburg 
und Leipzig 1896. Leopold Voss. 

Lehmann, Prof. Dr. K. B. und Neumann, Dr. R., Atlas und Grundriss der 
Bakteriologie und Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik. 
Theil I: Atlas. Mit 558 farbigen Abbildungen auf 63 Tafeln und circa 
70 Bildern im Text. Theil II: Text. (Lehmann’s medicinische Hand¬ 
atlanten Bd. X.) 8°. 448 S. München 1896. J. J. Lehmann. Preis 

geh. 15 Mk. 

Monatsschrift für Gesundheitspflege. Organ der Oesterreichischen 
Gesellschaft für Gesundheitspflege. Bd. XIV, Nr. 1/5. In Commission bei 
M. Perles, Wien. 

Petri, Dr. med. R. J. (Regierungsrath), Das Mikroskop. Von seinen An¬ 
fängen bis zur jetzigen Vervollkommnung für alle Freunde dieses In¬ 
struments. Mit 191 Abbildungen im Text und 2 Facsimiledrucken. 8°. 
248 8. Berlin 1896. Richard Schoetz. Preis 8 Mk. 

Proksch, J. K., Dritter Protest gegen Professor Isidor Neumann’s Geschichts¬ 
schreiberei über Syphilis. 8°. 13 S. Bonn 1896. P. Hanstein’s Verlag. 

Preis 60 Pfg. 

Rabe, Josef, Abbazia als Winterkurort und Seebad. (Europäische Wander¬ 
bilder Nr. 243, 244.) Mit 16 Illustrationen und 1 Karte. 8°. 52 S. Zürich, 
Art. Institut Orell Füssli. Preis 1 Mk. 

Schulgesundheitslehre. Das Schulhaus und das Unterrichtswesen vom 
hygienischen Standpunkte für Aerzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte und 
Architekten bearbeitet von Dr. H. Eulenberg, Geh. Obermedicinalrath 
in Bonn und Dr. Theod. Bach, Director des Falk-Realgymnasiums in 
Berlin. Zweite umgearbeitete und erweiterte Auflage. 3. Lieferung. 8°. 
S. 177—320. Berlin 1896. J. J. Heine’s Verlag. Preis 8 Mk. 


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342 


Sperling, Dr. Arthur, Medicinische Streiflichter. Kl. 8°. 224 S. 8. bifl 
10. Tausend. Berlin, Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund. Preis 
geh. 3 Mk.; geh. 4 Mk. 

Vierteljahresschrift über die Fortschritte auf dem Gebiete der 
Chemie der Nahrungs- und Ge nussmittel. XI. Jahrgang 1896. 
Heft I. 8°. 160 S. Berlin 1896. Julius Springer. Preis 3 Mk. 

Wolf, Dr. Julius, Die Wohnungsfrage als Gegenstand der Socialpolitik. 
Vortrag gehalten im Rathhaus zu Zürich am 5. December 1895. 8°. 38 S. 
Jena 1896. Gustav Fischer. Preis 1 Mk. 

Zeitschrift für sociale Medicin. Organ zur Vertretung und Förderung 
der Gesammt-Interessen des ärztlichen Standes. Herausgegeben von Dr. 
A. Oldendorff. Bd. I, Heft 6. 8°. Leipzig 1896. Georg Thieme. 
Preis des vollständigen Bandes 6 Mk. Einzelne Hefte ä 1,20 Mk. 
Ziegelroth, Dr., A-B-0 für junge Frauen mit Anleitung zur Ernährung und 
Pflege des Kindes bis zur Schulzeit. Nach Dr. Lahmann’s Grundsätzen. 
Kl. 8°. 78 S. Stuttgart 1896. A. Zimmer’s Verlag (E. Mohrmann). Preis 
geh. 1 Mk.; geb. 1,50 Mk. 

Zimmer, D. Friedrich, Der evangelische Diakonieverein, Verein zur 
Sicherstellung von Dienstleistungen der evang. Diakonie, eingetragene 
Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. Seine Aufgaben und seine 
Arbeit. Dritte durchgesehene Auflage. Kl. 8°. 136 S. Herborn 1896. 
Evang. Diakonie-Verein. Preis 1 Mk. 


NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬ 
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaction zur Besprechung 
an die Herren Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der be¬ 
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine 
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke 
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen 
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels, 
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren 

Einsendern genügen. 0|e Ver laflShandlunfl. 


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•) Vergl. Brügelmann „Ueber Asthma* 
e^c. III. Aufl. Verl, von J. F. Bergmann, 
Wiesbaden 1895. 


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Die Wohnungsverhältnisse der Liegnitzer 
Arbeiterbevölkerung vom hygienischen 
Standpunkte. 

Von 

Dr. Solbrifl, Kreiswundarzt in Liegnitz. 


In der XX. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege im Jahre 1895 zu Stuttgart betonte der Ober¬ 
bürgermeister Küchler (Worms) in einigen einleitenden Sätzen zu 
seinem Referat über „Maassnahmen zur Herbeiführung eines gesund¬ 
heitlich zweckmässigen Ausbaues der Städte“ die Wichtigkeit der 
Wohnungsfrage der arbeitenden Classen vom allgemein-socialen und 
besonderen gesundheitlichen Standpunkt. Er sagte: „Das Wohnungg¬ 
elend, es tritt uns in den armen Menschen entgegen, die meistens 
gern zu Hause sein möchten, wenn sie eben ein Zuhause 
hätten. Der Mangel des Familienheims drängt sie auf die Strasse, 
verführt sie zum Schnapsgenuss, entfremdet sie dem Familienleben 
und zerstört damit das Familienglück. Ja, der Mangel der für ein 
Familienleben nöthigen Wohnräume zerstört die Grundlagen, jauf 
denen Staat, Gemeinde und Familie gleichermaassen beruhen, — 
die Wohnungsfrage ist der grössere Theil der socialen Frage. Wenn 
es gelingen wird, der arbeitenden Bevölkerung nicht nur gesunde 
Schlafstellen, sondern Wohnräume zu beschaffen, die ein Familien¬ 
leben ermöglichen, dann wird der schwierigere Theil der noch 
zu lösenden socialpolitischen Aufgaben seine Lösung gefunden 
haben.“ *) 

Ueber den Einfluss des Wohnens auf die Gesundheit sind zahl- 


J ) Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl. Bd. XXVHI, S. 28. 
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 25 


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344 


reiche statistische Erhebungen von namhaften Forschern angestellt. 
Das Ueberwiegen gewisser Krankheiten — besonders solcher der 
Säuglinge und bestimmter Infectionskrankheiten — in den Städten 
gegenüber dem Lande weist darauf hin, dass, wenn auch nicht die 
einzige, so doch eine Hauptursache für die höhere Sterblichkeit in 
den Städten „in dem daselbst gedrängten Zusammenleben der 
niederen socialen Schichten der Bevölkerung in unzureichenden, 
mangelhaften Wohnungen und der damit gegebenen, bald grösseren, 
bald geringeren Verunreinigung von Luft, Boden und Wasser“ zu 
suchen ist*). Ein directer Einfluss überfüllter, schmutziger, feuchter, 
lichtarmer Wohnungen auf die Sterblichkeit ist wiederholt nach¬ 
gewiesen , so bei Epidemieen von Cholera 2 ), Flecktyphus 8 ), 
Diphtherie 4 ) u. a. 

Hieraus geht die Bedeutung des gesunden Wohnens für die 
Arbeiterclassen deutlich genug hervor; im Uebrigen ist dies ja ein 
Gegenstand, der oft und mit Nachdruck von den verschiedensten 
Seiten betont ist. 

Soviel nun über die Wohnungsnoth und Mittel zu deren Ab¬ 
stellung gesagt und geschrieben ist, so verhältnissmässig vereinzelt 
sind bisher genauere statistische Erhebungen über die thatsächlichen 
hygienischen Zustände der Wohnungen der Arbeiter geblieben 6 ). 
Solche Beschreibungen, welche sich mit detaillirten Verhältnissen 
der Arbeiterwohnungen beschäftigen, sind aber nach Wernich 6 ) 
„offenbar geeignet, anregend für den fraglichen Gegenstand zu 
wirken“. 

Im Nachstehenden will ich nun versuchen, eine Schilderung 
der hygienischen Zustände der Arbeiterwohnungen in der Stadt 
Liegnitz auf Grund eigener Anschauungen und Untersuchungen zu 
geben. Es ist mir zwar nicht möglich gewesen, alle oder annähernd 
alle dahin gehörenden Wohnungen zu besichtigen — daran waren 
äussere Gründe schuld: einmal nahmen die Untersuchungen, da ich 
sie allein vornahm, viel Zeit in Anspruch, während andererseits, 
um das Ergebniss nicht zu beeinträchtigen, in möglichst kurzer 

1 ) Oldendorff, „Einfluss der Wohnung auf die Gesundheit“, i. Handbuch 
d. Hygiene von Weyl, IV. Bd., S. 4. 

2 ) Körösi s. Oldendorff op. cit. S. 7—8. 

8 ) Virchow s. Oldendorff op. cit. S. 7—8. 

4 ) Albrecht s. Oldendorff op. cit. S. 7—8. 

ö ) Als „bis heute unerreichtes Muster einer Wohnungserhebung“ ist die 
von Karl Bücher vorgenommene Bearbeitung einer behördlich angeordneten 
Enquöte über die Wohnungsverhältnisse der Stadt Basel vom 1.—19. Februar 
1889 an erster Stelle zu nennen. — Diese und eine kleine Broschüre von 
H. Hess über die Wohnungsverhältnisse der Nürnberger Arbeiterbevölkerung 
(Nürnberg 1893) haben nur manchen Fingerzeig bei aer Bearbeitung des vor¬ 
liegenden Stoffes gegeben. 

6 ) Eulenburg, Kealencyklopädie, II. Auflage, Jahrbücher Nr. 4, Artikel 
„Wohnungshygiene“. S. 613. • 


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345 


Zeit die Erhebungen zu Ende zu führen waren, und zweitens er¬ 
fuhr ich, da ich ohne behördlichen Auftrag zu Werke ging, hin 
und wieder Seitens der Hausbesitzer meinem Vorhaben gegenüber 
Widerstand. Trotzdem glaube ich, da sich meine Untersuchungen 
auf 780 in den verschiedensten Stadttheilen befindliche Wohnungen 
beziehen, ein einigermaassen für die ganze Stadt zutreffendes Bild 
der Arbeiterwohnungen geben zu können. 

Die Besichtigungen, Messungen u. s. w. habe ich in der Zeit 
von Ende Februar bis Ende April 1896 vorgenommen; dabei habe 
ich solche Wohnungen berücksichtigt, die von den Arbeitern der 
verschiedenen Kategorieen (Fabrik-, Bahn-, Tagarbeiter u. dgl., 
excl. aller Handwerker), und zwar nur von solchen, die verheirathet 
sind, bewohnt werden. 

Die 780 untersuchten Wohnungen vertheilen sich auf 240 Häuser 
in 25 Strassen der Stadt und wurden zur Zeit der Untersuchung 
von im Ganzen 3205 Personen (1795 Erwachsenen und 1410 Kindern) 
bewohnt. Von den 25 Strassen liegen 7 — mit 109 Wohnungen in 
48 Häusern — in dem ältesten Stadttheil des Centrums, während 
die übrigen 18 Strassen, in denen 671 Wohnungen in 192 Häusern 
zur Untersuchung kamen, mehr in der Peripherie der Stadt gelegen 
sind. Beide, Centrum und Peripherie, unterscheiden sich in der 
Hauptsache durch folgende Punkte: dort enge, dicht bebaute 
Strassen, schmale, alte Häuser mit engen, oft dunklen Treppen¬ 
fluren, engen Höfen und Hinterhäusern, hier breitere, z. Th. recht 
breite, freundliche Strassen, häufig mit Baumanlagen, mehrfach 
offene Bauweise, Häuser mit Vorgärten, grossen Höfen, die Häuser 
nicht selten klein und niedrig, aber auch grosse und hohe Miets¬ 
kasernen mit hellen Ein- und Aufgängen. 

Bei Weitem die meisten Arbeiter wohnen in den an Ausdehnung 
grösseren Stadttheilen der Peripherie, in denen sich auch die Fabrik¬ 
anlagen u. dgl. befinden. Als eigentliches Arbeitsviertel ist ein im 
Osten der Stadt gelegener Theil anzusehen, in dem sich neben 
älteren Strassen mehrere neuen Datums befinden, die sich durch 
die oben genannten Vorzüge auszeichnen, in denen aber anderer¬ 
seits die Arbeiterkasemen vorherrschen. Die in diesem Viertel ge¬ 
legenen Arbeiterwohnungen habe ich annähernd vollständig unter¬ 
sucht; es sind 512 in 12 Strassen, die sich auf 145 Häuser ver¬ 
theilen. Die fehlenden 161 Wohnungen in 47 Häusern sind in der 
Hauptsache in den gegen N, S und W lang sich hinstreckenden, 
breiten, ziemlich weit bebauten Strassen (meist älteren Datums) 
gelegen. 

Die grösste Zahl der in einem Hause befindlichen Arbeiter¬ 
wohnungen betrug 13; Häuser mit 8 bis 10 solcher Wohnungen 
fand ich eind ganze Reihe. Den Charakter von Miethskasernen, für 

25* 


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346 


welche die Grundstücke mit über 20 Wohnungen gelten 1 ), trugen 
im Ganzen nur 14 von den 240 Häusern. 

Dies vorausgeschickt über die allgemeinen Verhältnisse der 
Strassen und Häuser, in denen die untersuchten Wohnungen sich 
befinden, wenden wir uns nun zu letzteren selbst. Zur Beurtheilung 
der hygienischen Beschaffenheit derselben habe ich hauptsächlich 
folgende Punkte in Betracht gezogen: Lage der Wohnung (Vorder¬ 
oder Hinterhaus, nach der Strasse oder dem Hof hinaus, Stock¬ 
werk, mit besonderer Berücksichtigung der Keller- und Dach¬ 
wohnungen), Höhe, Grösse nach Zahl der Wohnräume und nach 
dem auf den Kopf fallenden Antheil an Flächen- und Luftraum, 
Helligkeit, Feuchtigkeit, Sauberkeit, Zahl der Inwohner, mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der fremden Elemente, Wasserbezug, 
Abortverhältnisse und schliesslich Miethspreis der Wohnung und 
Arbeitsverdienst der Bewohner. Die letzteren beiden Punkte 
schienen mir, obwohl sie nicht direct die Hygiene angehen, doch 
wichtig genug, um berücksichtigt zu werden, um aus einem Ver¬ 
gleich zwischen dem Verdienst und der zu zahlenden Wohnungs- 
miethe einen Rückschluss auf die Lebensbedingungen, unter denen 
die Arbeiter stehen, machen zu können. Allerdings war ich bei 
diesen Punkten, besonders der Frage des Verdienstes, auf die An¬ 
gaben der Inwohner selbst angewiesen, deren Glaubwürdigkeit nicht 
ohne Weiteres zweifellos ist. Die vielfache Uebereinstimmung in 
den Angaben — bei Arbeitern derselben Branche der gleiche Ver¬ 
dienst u. dgl. — unter Ausscheidung der unsicheren Angaben ge¬ 
stattet aber doch, auch über diesen Punkt ziemlich sichere Resultate 
zu gewinnen. 

Nach dem Vorbild von Hess habe ich, zugleich, um Vergleiche 
zwischen den hiesigen und den von ihm beschriebenen Nürnberger 
Verhältnissen anstellen zu können, die untersuchten Wohnungen 
zunächst in vier Gruppen, nach der Grösse der Bodenfläche, die 
sie einnehmen, geordnet. Die erste Gruppe enthält die Wohnungen, 
deren Grundfläche kleiner als 20 qm ist, die zweite Gruppe jene 
zwischen 20 und 29, die dritte Gruppe jene zwischen 30 und 39, 
die vierte Gruppe jene zwischen 40 und 49 qm; es bleibt dann 
noch eine einzige Wohnung übrig, deren Bodenfläche über 50, 
nämlich 70 qm beträgt 2 ). Bei dieser Berechnung habe ich Wohn-, 
Schlaf- und Küchenräume zusammengefasst. Die meisten Woh¬ 
nungen gehören der zweiten Gruppe, zwischen 20 und 29 qm, an; 
es sind dies 445, also mehr als die Hälfte aller untersuchten 


J ) Nach Albrecht, „Wohnungsstatistik und Wohnungsenqußte“, i. Handb. 
d. Hygiene von Weyl, IV. Bd., S. 22. 

*) Bei den weiteren Zusammenstellungen habe ich diese einzelne Woh¬ 
nung mit der Gruppe IV zusammengerechnet. 


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58 | 39 | 19 | 68 |l36|l29 | 35 | 98 273 | 35 1 231 




































348 


Wohnungen; dann kommen in fast gleicher Anzahl die Wohnungen 
der ersten und dritten Gruppe, während die grössten (Gruppe TV) 
nur in der bescheidenen Zahl von 20 vertreten sind. 

Wir sehen schon hier einen auffallenden Unterschied zwischen 
unseren und den Hess'schen Wohnungen; in Nürnberg fanden sich 
nämlich unter 666 Arbeiterwohnungen 29: bis 20 qm, 135: zwischen 
20 und 29, 204: zwischen 30 und 39, 172: zwischen 40 und 49, 
87: zwischen 50 und 59, 39: über 60 qm gross. Es sind demnach 
in Nürnberg sehr viel mehr grössere Wohnungen unter den Arbeitern 
vorhanden, als hier; übrigens waren die kleinsten Wohnungen (unter 
20 qm), wie Hess angiebt, häufiger vorhanden, als es den Anschein 
hat, es kamen nur aus äusseren Gründen so wenige zur Unter¬ 
suchung. — 

Es dürfte von Interesse sein, die Grössenverhältnisse der 
kleinsten Wohnungen etwas genauer zu betrachten. Die beifolgende 
kleine Tabelle zeigt uns, dass von den 159 Wohnungen der Gruppe I 
43 kleiner als 15 qm sind, dass die kleinste Wohnung 10 qm Boden¬ 
fläche hat. Füge ich hinzu, dass die letztere von 5 Personen 
(2 Erwachsenen, 3 Kindern) bewohnt wird, so ist daraus zu ermessen, 
wie beengt die Familie wohnen muss. 


Grösse der Wohnungen 
in qm 

10 

11 





Zusammen 

Zahl der Wohnungen: 

1 

4 

10 

i 

i 8 

! 

20 

116 

159 


Im Ganzen befinden sich von den 780 Wohnungen 679 in 
Vorder- und 101 in Hinter- oder Seitenhäusern. 297 Wohnungen 
liegen nach der Strasse, 132 nach der Strasse und nach dem Hofe 
und 351 nur nach dem Hofe hinaus; es sind also 45°/o reine Hof¬ 
wohnungen. Von letzteren sind die meisten bei den kleinsten 
Wohnungen zu finden, während mit Grösserwerden der Wohnungen 
die Lage nach dem Hofe hinaus seltener wird. Die Tab. I (S. 347) 
erläutert dies genauer: in Gruppe I sind 66°/o, Gruppe II 43°/o, 
Gruppe HI 30°/o und Gruppe IV 25°/o Hofwohnungen. 

Ein sehr grosser Theil der untersuchten Wohnungen, nämlich 
811 =40%, besteht aus je einem Zimmer; 103 Wohnungen haben 
Stube und Küche, 300 zwei Stuben, 61 zwei Stuben und Küche, 
und 5 haben drei Stuben. Naturgemäss überwiegen bei den kleinsten 
Wohnungen die einzimmerigen (in Gruppe I 130 = 82%). 

Vergleichsweise sei angeführt, dass unter den Nürnberger 
Wohnungen nur im Ganzen 4 mit je einem Zimmer vorkamen. 

In den 311 Stuben muss also jedesmal die ganze Familie 


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349 


wohnen und schlafen, ja, es muss auch darin gekocht werden. Dem 
letzteren Uebelstande abzuhelfen, ist nun eine mir ganz zweckmässig 
erscheinende Einrichtung bei den kleinen Wohnungen hier vielfach 
getroffen, nämlich Kochöfen, die in die Wand eingemauert sind, 
auf dem Flur anzulegen, die meist für je eine Familie, zuweilen 
auch für zwei gemeinschaftlich, zur Benutzung stehen. Im Ganzen 
habe ich 67 solcher Kochöfen bei den von mir untersuchten Woh¬ 
nungen gezählt. Wie ich durch vielfache Erkundigungen erfahren, 
werden diese Oefen meist gern benutzt — natürlich müssen sie gut 
im Stande sein, was nicht immer der Fall zu sein schien —, aller¬ 
dings nur im Sommer, denn im Winter wird, um nicht doppeltes 
Brennmaterial zu verbrauchen, im Zimmer gekocht. Dieser Spar¬ 
samkeitsgrund bestimmt auch vielfach die Leute, die mehr als ein 
Zimmer haben, im Winter nur eins derselben zu heizen und zu 
bewohnen, auch zum Schlafen zu benutzen. In einer Reihe von 
Fällen konnte ich mich von dieser vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkte nicht gutzuheissenden Einrichtung überzeugen: in dem 
kleineren, einfenstrigen von den beiden Wohnräumen wohnt die 
ganze Familie, hier wird gekocht, hier schläft auch wenigstens ein 
Theil der Familie, während das grössere, freundliche, helle Wohn¬ 
zimmer durch sein sauberes Aussehen, aber mangelnde Heizung 
sofort zu erkennen gab, dass es als sogenannte „gute Stube“ nur 
Sonntags benutzt wird. Diese Sitte oder richtiger gesagt Unsitte 
ist leider auch in besser situirten Kreisen recht vielfach verbreitet! 

Gewöhnlich sind nun die Wohnungen mit zwei Wohnräumen 
so eingerichtet, dass der eine — der grössere — mit einem zum 
Kochen zu benutzenden Ofen als Wohnzimmer und Küche, der 
zweite — der kleinere, oft unheizbare — Raum als Schlafkammer 
dient. Diese Kammern, auch Alkoven genannt, sind meist schmal, 
oft mit schrägen Wänden und mit kleinen Fenstern versehen, bis¬ 
weilen auch ganz dunkel. Ich zählte bei den 366 Wohnungen mit 
je zwei bis drei Räumen 36 schräge und 24 ganz dunkle Kammern. 
Oft (bei kinderreichen Familien) war zwischen den aufgestellten 
Betten kaum so viel Platz, um hindurch zu gehen. 

Die Küchen, die sich im Ganzen bei 164 Wohnungen (103 mit 
je einem Wohnzimmer, 61 mit deren je zwei) fanden, zeigen ein 
ganz verschiedenes Aussehen. Ein grosser Theil ist nach Lage, 
Grösse, Helligkeit einem Wohnzimmer gleich zu achten, dient auch 
hin und wieder mit als Wohn- oder auch als Schlafraum; eine 
ganze Anzahl Küchen sind nur kleine — bis zu 2 qm Fläche 
herunter —, dürftige Räume, und nicht selten ist der Küchenraum 
ohne jede Lichtzufuhr; das letztere findet sich 37 Mal. 

Das Genauere mit Rücksicht auf die einzelnen Wohnungs¬ 
gruppen ist aus der Tab. I zu ersehen. 


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350 


Die Höhe der Wohnungen. 

Dieselbe steht einmal mit der Grösse der Wohnungen in einem 
gewissen Verhältniss, insofern als die Höhe mit der Gesammtgrösse 
der Räume wächst. Die gleiche Erfahrung hat Hess bei den Nürn¬ 
berger Wohnungen gemacht Aus der Tab. I entnehmen wir, dass 
die mittlere Zimmerhöhe von allen Wohnungen 2,5 m beträgt, dass 
dieselbe von Gruppe I zu Gruppe IV von 2,46 zu 2,66 m ansteigt. 
Die genaueren Höhenverhältnisse ergeben sich aus den folgenden 
Tabellen. 

Setzt man 2,5 m als das Mindestmaass an Zimmerhöhe an, 
wie es der Reichsgesetzentwurf des Deutschen Vereins für öffent¬ 
liche Gesundheitspflege*) fordert (übereinstimmend mit Baumeister’ s, 
von Gruber’s 2 ) Forderungen, übereinstimmend auch mit der 
„Bezirks-BaupolizeiVerordnung über die Bauten in den Städten 
des Regierungsbezirks Liegnitz“ 8 ), so erreichen im Ganzen 285, 
d. i. 36,6%, der Wohnungen diese Minimalhöhe nicht. Der Unter¬ 
schied in den einzelnen Wohnungsgruppen ist hierbei ein grosser: 
bei den kleinsten Wohnungen sind 52%, bei den grössten 9,5% 
niedriger als 2,5 m. 


Höhe in m 

unter 

2 

2 

bis 

2,09 

1 

2,1 

bis 

2,19 

2,2 

bis 

2,29 

2,3 
j bis 
2,39 

^ 2,4 
bis 
j 2,49 

2,5 

bis 

2,99 

3 

und 

mehr 

Zus. 

unter 2,5 

zus. % 

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Gruppe I . 

1 

15 

17 

21 

10 | 

18 

70 1 

7 

159 

82 

52 

K\ 

. H . 

6 

18 | 

12 

22 

43 

53 | 

274 

17 

445 

154 

35 

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2 

2 

5 

7 

9 1 

23 

104 

3 

155 

48 

31 

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— 

1 

— 

1 

— 

17 

2 

21 

2 

9,5 


Zusammen 

9 

35 

35 

50 

63 

94 

465 

29 

780 

286 

36,6 


Unter 2,3 m Höhe, welches Mindestmaass Hess zu Grunde 
legt, bleiben von unseren Wohnungen immer noch 129= 16,5%, 
während in den Nürnberger Wohnungen 13,2 % in diesem Sinne 
als zu niedrig gefunden wurden 4 ). 


! ) S. unter HI, § 6, 1. „Räume, welche zu längerem Aufenthalt von 
Menschen dienen, müssen eine lichte Höhe von mindesten 2,5 m haben.“ 

a ) Nach Stübben, „Hygiene des Städtebaues“, i. Handb. d. Hygiene von 
Weyl, IV. Bd., S. 459. 

8 ) S. § 27. „Wohnräume müssen bei Neubauten eine lichte Höhe von 
mindestens 2,5 m erhalten.“ 

4 ) Hess 1. c. S. 10. 


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351 


In welchem Zusammenhänge ferner die Zimmerhöhe mit der 
Stockwerkslage der Wohnungen steht, darüber giebt die folgende 
Tabelle Auskunft Wir sehen, dass die Kellerwohnungen auffallend 
niedrig im Vergleich zu allen anderen Wohnungen sind (90°/o unter 
2,5 und noch 64,5% unter 2,3 m). Dagegen sind deutliche Unter¬ 
schiede bei den Wohnungen im Erdgeschoss und in den vier Stock¬ 
werken nicht vorhanden; am günstigsten sind die Wohnungen des 
ersten Stockwerkes, unter denen 32%, am ungünstigsten die des 
vierten Stockwerkes, unter denen 40% niedriger als 2,5 m sind. 


Höhe in m 

unter 

o 

2 

bis 

24 

bis 

2,2 

bis 

2,3 

bis 

2,4 

bis 

2,5 

bis 

3 

und 

Zus. 

unter 2,5 



o 

2,09 

249 

2,29 

2,39 

2,49 

2,99 

mehr 


zus. 

! °/o 

.2 

Keller. . . 

2 


7 : 

6 

5 

3 

3 

— 

31 

28 

90 

w 

tf. 

Erdgeschoss. 

1 

5 

2 

7 

14 

23 

81 

7 

140 

52 

37 

J 

I. Stockwerk 

2 

9 

5 

18 

15 

26 

146 

11 

232 

75 

32 

o 

£ 

n. . 

4 

14 

16 

10 

18 

15 

127 

11 

215 

77 

36 

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in. „ 

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2 

5 

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25 

102 

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152 

50 

33 

2 

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— 

— 

1 ' 

1 

2 

6 

— 

10 

4 

40 


Unter 2 m Zimmerhöhe wurde im Ganzen 9 Mal gefunden 
(darunter die niedrigste Höhe bei einer Wohnung mit 1,8 m); die 
höchste Höhe betrug 3,4 m und fand sich in einer der ersten 
Gruppe angehörenden, im Uebrigen manche Mängel aufweisenden 
Wohnung. 


Die Belichtung der Wohnungen. 

Zur Beurtheilung der Helligkeit habe ich das Verhältniss der 
lichtgebenden Fensterflftche (d..i. der reinen Glasfläche und nicht 
des Fensters mit Holzrahmen) zur Bodenfläche der einzelnen Wohn- 
räume zu Grunde gelegt. 

Ohne dass man bisher wissenschaftlich ein für die menschliche 
Gesundheit erforderliches Mindestmaass der lichtgebenden Fenster¬ 
fläche festgestellt hat — eine Aufgabe, die schwer zu lösen sein 
dürfte —, hält man doch allgemein daran fest, ein solches Maass 
zu fordern. Dasselbe wird von den verschiedenen Hygienikern 
und Architekten vielfach verschieden angegeben*). Die be¬ 
scheidenste Forderung ist die des Deutschen Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege, der in dem schon genannten Entwürfe reichs- 

*) Vgl. Stübben, „Hygiene d. Städtebaues" 1. c. S. 454/55. 


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352 


gesetzlicher Vorschriften zum Schutze gesunden Wohnens die 
Mindestgrösse der lichtgebenden Fensterfläche auf Via der Grund¬ 
fläche des Raumes festsetzt 

Nach dem Durchschnitt bei allen unseren Wohnungen berechnet 
(vgl. Tab. I) ist das genannte Verhältniss 1:15; durchschnittlich 
die schlechteste Helligkeit haben die kleinsten Wohnungen (Gruppe I 
mit 1:15); dann folgen die Wohnungen der Gruppe II und IV 
(mit 1 : 14), und am besten sind in diesem Punkte die Wohnungen 
der Gruppe HI (mit 1 :12). 

Die beiden folgenden Tabellen enthalten die genaueren Licht¬ 
verhältnisse der einzelnen Wohnungen, die einmal nach den vier 
Gruppen, das andere Mal nach der Stockwerkslage geordnet sind, 
und zwar habe ich dabei alle Wohnräume (excl. Küchen) der 
780 Wohnungen, im Ganzen 1151, in Betracht gezogen. Von 
letzteren sind 412, d. i. fast 36°/o, in dem oben erörterten Sinne 
mehr oder weniger ungenügend belichtet. 

In einer ganzen Reihe von Fällen sind höchst mangelhafte 
Helligkeitsverhältnisse vorhanden: wir finden 17 Wohnräume, bei 
denen das Verhältniss zwischen Glas- und Bodenfläche 1:50 bis 
1 :100 beträgt, 5 1 , bei denen dasselbe geringer als 1:100 ist, und 
schliesslich 24 Räume, die ohne jede Lichtzufuhr, ganz dunkel sind. 
Wenn nun auch diese ganz schlechten Lichtverhältnisse nicht bei 
einzimmerigen Wohnungen, sondern nur bei solchen mit zwei oder 
drei Räumen und zwar dann in den zum Schlafen benutzten 
Kammern (Alkoven) sich finden, so sind doch auch manche der 
erstgenannten Wohnungen vorhanden, die viel an Helligkeit zu 
wünschen übrig lassen. 

Nach den vier Gruppen geordnet lassen die Wohnungen 
folgende Unterschiede in der Helligkeit erkennen: Die allergrösste 
Wohnung von 70 qm ist mangelhaft belichtet (das Verhältniss = 
1:22 in jeder der beiden Stuben, während übrigens die dabei 
befindliche Küche ganz dunkel ist); die nächstgrössten Wohnungen 
zwischen 40 und 49 qm weisen 54°/o solcher Wohnräume auf, bei 
denen das Verhältniss geringer als 1 :12 ist; dann folgen mit 42°/o 
die kleinsten Wohnungen, mit 38°/o diejenigen zwischen 30 und 
39 qm, und schliesslich sind die günstigsten die am meisten ver¬ 
tretenen Wohnungen zwischen 20 und 29 qm mit nur 32 °/o mangel¬ 
haft belichteter Wohnräume. 

Unter Berücksichtigung der Stockwerlage zeigt sich, dass die 
im vierten Stockwerk gelegenen Wohnungen die ungünstigsten 
Lichtverhältnisse darbieten, denn 82°/o derselben haben ein ge¬ 
ringeres Verhältniss von Glas- zur Bodenfläche als 1:12. Aller¬ 
dings sind nur 10 derartige Wohnungen mit zusammen 11 Wohn- 
räumen zur Untersuchung gekommen, so dass Zufälligkeiten nicht 


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SHE 


Zusammen 2 5 22 j 25 97 149 215 108 116 70 60'56 32 15 16 13 64 21 19 12 5 5 24 1151 412 35,8 


















354 


ausgeschlossen werden können. Die nächstungünstigen sind die 
Kellerwohnungen mit 70°/o mangelhaft belichteter Wohnräume; es 
folgen mit 40°/o die Wohnungen des dritten, mit 37,5°/o die des 
zweiten, mit 32% die des ersten Stockwerkes, und am besten 
stehen die im Erdgeschoss gelegenen Wohnungen da, da nur 27% 
derselben nicht ausreichend hell sind. 

Der Grad der Helligkeit richtet sich nun auch noch nach der 
Grösse des vor den Fenstern liegenden unbebauten Raumes, auch 
nach der Himmelsrichtung (bei gleicher Fensterfläche sind die nach 
der Sonnenseite zu gelegenen Räume heller als die nach N gelegenen). 
Bezüglich des ersteren Punktes verlangt der Entwurf reichsgesetz¬ 
licher Bestimmungen des Deutschen Vereins flir öffentliche Gesund¬ 
heitspflege als Minimum einen mittleren Abstand der Gebäude von 
% der Gebäudehöhe und eine geringste mittlere Hofbreite von 
4 m. Unter Zugrundelegung dieser äusserst bescheidenen Forde¬ 
rungen, die von den meisten Hygienikern weit überschritten werden, 
sind von unseren 780 Wohnungen etwa 30, die an zu schmalen 
Strassen liegen, und 30 Hofwohnungen zu beanstanden. Fast alle 
diese Wohnungen befinden sich im Centrum der Stadt; wie schon 
oben gesagt, liegen die in der Peripherie befindlichen Wohnungen 
fast stets an breiten Strassen bzw. nach grossen, luftigen Höfen 
hinaus. 

Sonstige Beschaffenheit der Wohnungen (Trocken¬ 
heit, Sauberkeit, Dürftigkeit, Luxus). 

Zu einer guten Wohnung gehört vor Allem Trockenheit. 
Es ist hier nicht der Ort, die Uebelstände einer feuchten Wohnung 
auseinanderzusetzen; es sei nur darauf hingewiesen, wie wichtig 
gerade flir die arbeitende Bevölkerung bei dem meist engen 
Zusammen wohnen eine trockene Wohnung ist, da es feststeht, dass 
die Feuchtigkeit den Krankheitserregern gute Existenzbedingungen 
bietet, deshalb in feuchten Räumen gewisse Krankheiten häufiger 
sind. 

Ich habe bei jeder von mir besichtigten Wohnung ein Augen¬ 
merk auf die mehr oder weniger trockene Beschaffenheit gerichtet 
und bei meiner Zusammenstellung unterschieden: 1) durchaus 

trockene, 2) theilweise feuchte (z. B. feuchte Ecken, was ziemlich 
häufig war, oder bei mehrzimmerigen Wohnungen eine mässige 
Feuchtigkeit des einen Zimmers), 3) durchaus feuchte Wohnungen 
(bei denen ganze Wände feucht waren). Das Resultat, das ich 
hierbei gewonnen, ist folgendes: Durchaus trocken waren 474 = 
61%, theilweise feucht 170 = 22% und durchaus feucht 136 = 
17%. Die „theilweise bestehende Feuchtigkeit“ glaube ich als 


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355 


nicht erheblich von Einfluss auf die Gesundheit ansehen zu dürfen, 
denn einmal sind es doch nur umschriebene feuchte Flecke in den 
Wänden, und dann ist diese Feuchtigkeit meist nur zu gewissen 
Zeiten — im Winter, an nassen Tagen — vorhanden. Der Grund 
ihrer Entstehung liegt wohl auch weniger in der schlechten Be¬ 
schaffenheit der Mauern resp. in dem Aufsteigen von Feuchtigkeit 
aus dem Boden als in der Nachlässigkeit der Bewohner, besonders 
in dem mangelhaften Lüften, bei gleichzeitiger UeberfÜllung der 
Wohnräume mit Wasserdampf (durch Kochen und Waschen in den 
Stuben). — Als durchaus feucht würden dann immer noch 17°/o 
der Wohnungen zu beanstanden sein. Vergleichsweise sei bemerkt, 
dass Hess bei den Nürnberger Wohnungen 22% feuchte fand. 

Auf -die einzelnen Gruppen vertheilt, stellt sich das Verhältniss 
so dar, dass die kleinsten Wohnungen relativ die feuchtesten sind 
(23%), dass die Feuchtigkeit mit Grösserwerden der Wohnungen 
abnimmt (vgl. die folgenden Tabellen), so dass wir unter den 
grössten Wohnungen (über 40 qm) keine durchaus feuchte mehr 
finden. 





Beschaffenheit der Wohnungen 



zus. 

trocken 

theilweise 

feucht 

durchau 

zus. 

iS feucht 

°/o 

Ja 

o _ 

Gruppe I . 

159 

85 

37 

37 

23 

M 

n II . 

445 

258 

101 

86 

19 

© £. 

* fl 
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, III . 

155 

114 

28 

13 

8 

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N 

„ IV und V. . . 

21 

17 

4 




en in | 

Keller. 

31 

7 

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16 

52 

t£ 

§ 

Erdgeschoss .... 

140 

64 

30 

46 

33 

C 

ja 

© 

I. Stockwerk . . . 

232 

159 

41 

32 

14 

£ 

n. , ... 

215 

141 

51 

23 

10,7 

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152 

98 

38 

16 

10,5 

1 

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IV. . ... 

10 

5 

2 

3 

30 

Zusammen 

780 

474 

170 

136 

17°/o 


Ferner sind unter den Kellerwohnungen die meisten feuchten 
(über die Hälfte); dann folgen die Wohnungen des Erdgeschosses 
und vierten Stockwerkes, die des ersten und schliesslich die des 


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356 


zweiten und dritten Stockwerkes, in welch letzteren nur zwischen 
10 und ll°/o feuchte gefunden wurden. 

Von grosser Wichtigkeit ist ferner die Ordnung und Sauber¬ 
keit in den Wohnungen, nicht blos vom ästhetischen, sondern 
auch vom gesundheitlichen Standpunkt. Es ist selbstverständlich, 
dass bei Beurtheilung einer Wohnung nach dieser Richtung hin bei 
den arbeitenden Classen ein nicht allzu strenger Maassstab angelegt 
werden darf; es fehlt hier oft an der Zeit — zumal die Frauen häufig 
mit auf Arbeit gehen —, um die Wohnung immer peinlich sauber 
halten zu können. Doch kann und müsste jede Arbeiterfrau darauf 
halten, dass ihre Wohnung in nicht zu langen Zwischenräumen ge¬ 
scheuert wird, dass einigermaassen Ordnung herrscht, die Betten 
täglich gemacht werden u. s. w. Bei meinen Besichtigungen habe 
ich nun zwar oft, auch bei ärmeren, eng wohnenden, zudem kinder¬ 
reichen Familien, eine höchst befriedigende Ordnung und Sauber¬ 
keit vorgefunden, aber auch nicht selten hohe Grade von Vernach¬ 
lässigung jeder Ordnung und Sauberkeit: die Dielen von Schmutz 
starrend, Gerätschaften, Kleider u. dgl. in allen Ecken und auf 
Tischen und Stühlen herumliegend, überall Schmutz, selbst auf dem 
Tisch, an dem gegessen wurde, die Betten ungeordnet u. dgl. m. 
Natürlich ist in solch vernachlässigten Wohnungen auch die Körper¬ 
pflege der Insassen, zumal der kleinen Kinder, eine höchst mangel¬ 
hafte. Was Wunder, wenn da Krankheiten leichter sich einstellen 
und Verbreitung finden, wenn beim Mangel jeder Wohnlichkeit 
und Behaglichkeit der Mann nach der Arbeit lieber ins Wirthshaus 
als nach Hause geht! 

In höchst unsauberem Zustande habe ich im Ganzen 39, d. i. 
5°/o, der Wohnungen vorgefunden. Es nimmt kein Wunder, dass, 
je kleiner die Wohnungen sind, desto häufiger Unsauberkeit herrscht; 
aus der folgenden Tabelle entnehmen wir, dass in Gruppe I 9% 
und in Gruppe IV keine unsauberen Wohnungen vorhanden sind. 
Ferner ergiebt sich, dass in den Kellerwohnungen verhältnissmässig 
häufig (20° o) Unsauberkeit herrscht. 

Einen besonders ärmlichenEindruck haben 36 Wohnungen 
= 4,6 °/o auf mich gemacht; einige davon waren höchst dürftig aus¬ 
gestattet und entbehrten der nothwendigsten Möbel; so fand ich wieder¬ 
holt, dass die Betten in unzureichender Zahl und in recht dürftigem 
Zustand waren, u. dgl. m. In 17 Eällen war sowohl hochgradige 
Unsauberkeit als grosse Aermlichkeit vorhanden. Dass diese Woh¬ 
nungen, zumal bei anderweitigen Uebelständen (defecte Dielen, 
mangelhafte Licht- und Luftverhältnisse u. s. w.) einen im hohen 
Grade jammervollen Eindruck machten, bedarf keiner weiteren 
-Ausführung. Zum Glück waren dies wenigstens nur ganz vereinzelte 


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357 


Fälle im Vergleich zu der grossen Zahl besser beschaffener Woh¬ 
nungen. 

Dass mit Grösserwerden der Wohnungen die Aermlichkeit 
seltener wird, zeigt die folgende Tabelle. 




unsauber 

besonders 

mit etwas Luxus 

Beschaffenheit der 

ärmlich 

versehen 


Wohnungen 

ges. 

°/o 

ges. 

°/o 

ges. 

°/o 

i a 1 

Gruppe I . . . . 

14 

9 

18 

11 

1 

— 

. n ... . 

19 

7 

15 

6 

18 

7 


„in ... . 

6 

4 

3 

2 

41 

26 

üc c 

'S 

„ IV und V . 

— 

— 

— 

— 

9 

43 


M 

Keller. 

6 

20 

8 

26 




Erdgeschoss . . . 

7 

5 

10 

7 

7 

5 


I. Stockwerk . . 

16 

7 

11 

5 

18 

8 

fl 

n. 

5 

2 

5 

2 

23 

10 

s a 

NI 

in. . 

4 

2,6 

2 

1,3 

20 

13 

iv. 

1 

10 

— 

— 

— 

— 


Zus. 

39 

5 

36 

4,6 

68 

8,7 


Im Gegensatz zu dieser Dürftigkeit waren eine Anzahl Woh¬ 
nungen in tadellos sauberem Zustande nicht nur, sondern zeigten 
auch eine gewisse Wohlhabenheit (im Aussehen der Möbel, im 
Vorhandensein kleiner Luxusgegenstände u. dgl.), wodurch sie einen 
angenehmen, behaglichen Eindruck machten. Dergleichen beobachtete 
ich selbst bei den einfachsten Tagarbeitern, im Uebrigen vielfach bei 
den im Allgemeinen etwas besser gestellten Bahnarbeitern. Im 
Ganzen zeigten etwa 68, d. i. fast 9°/o aller Wohnungen, dies Vor¬ 
handensein eines gewissen Luxus. Naturgemäss findet sich dies 
häufiger in den grösseren als in den kleineren Wohnungen und 
kommt in den Keller- und den im höchsten Stockwerk gelegenen 
Wohnungen nicht vor. Auch darüber giebt die obige Tabelle ge¬ 
nauere Auskunft. 

Grösse der Wohnungen (pro Kopf und nach der Zahl 
der Wohnräume berechnet). 

Um eine Ueberfüllung ,der Wohnungen zu vermeiden, bedarf 
es eines hinreichenden Flächenraums resp. Luftraums; dieses Maass 
wissenschaftlich festzustellen ist um so schwieriger, wie Sttibben 


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358 


ausführt 1 ), als andere Umstände, wie Luftwechsel, Besonnung u. A. 
dabei in Betracht zu ziehen sind. Es ist jedoch ohne Weiteres ein¬ 
leuchtend, dass mit Zu- und Abnahme des auf die Person fallenden 
Wohn- resp. Schlafraums die Reinheit der Luft und damit das 
Wohlbefinden besser und schlechter wird. Abgesehen von viel zu 
weit gehenden und deshalb unerfüllbaren Forderungen einiger 
Autoren 2 ) wird im Allgemeinen für jeden Erwachsenen wenigstens 
4 qm Fussbodenfläche und 10—12 cbm Luftraum gefordert 8 ). 

Aehnliche Forderungen werden durch die Bestimmungen über 
den Mindestschlafraum, welche sich in Gesetzen und Polizei¬ 
verordnungen u. dgl. finden, aufgestellt. So soll in Deutschland 
in Kasernen an Luftraum in Schlafsälen auf den Mann mindestens 
13 cbm kommen. Für Nachtherbergen und Schlafgängereien wird 
in Deutschland meist ein Luftraum von mindestens 10 cbm auf den 
Kopf vorgeschrieben, in Belgien und Frankreich von 14, in Genf 
von 16 cbm. Als Mindestschlafraum wird in englischen Armen¬ 
wohnungen und in Auswanderer-Logirhäusern in Seestädten 10 cbm 
verlangt 4 ). 

In dem mehrfach schon genannten Entwurf des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege wird im § 10,2 bestimmt: 
„Vermiethete, als Schlafraum benutzte Gelasse müssen für jedes 
Kind unter 10 Jahren mindestens 5 cbm, für jede ältere Person 
mindestens 10 cbm Luftraum enthalten. (Kinder unter einem Jahre 
werden nicht mitberechnet.)“ Bücher trennt nun den Mindest¬ 
schlafraum von dem Mindestwohnraum und fordert für den ersteren 
eine Grösse von mindestens 10 cbm, für den letzteren eine solche 
von mindestens 20 cbm 6 ). 

Dies vorausgeschickt, wollen wir daraufhin unsere Wohnungen 
betrachten. Die nachfolgenden Tabellen erläutern den auf den 


1) 1. c. S. 473. 

2 ) Hirt verlangt für jeden Erwachsenen 240 cbm, Oesterlen 150—180 cbm 
Schlafraum (nach Bücher 1. c. S. 125). 

8 ) Die vom Oesterreichischen Ingenieur-und Architektenverein entworfenen 
Grundlagen fordern, dass auf jede erwachsene Person oder auf je zwei Kinder 
über 2 und unter 14 Jahren wenigstens 4 qm Fussbodenfläche und 10 cbm 
Wohnraum entfallen; wird in einem Wohnraume ein Kohlenherd aufgestellt, 
so sind für die Ermittelung des Belages 10 cbm Rauminhalt in Abzug zu 
bringen (nach Stübben 1. c. S. 459). — Ifach einem Gesetzentwurf des Ham¬ 
burger Senates wird verlangt: Im Schlafzimmer müssen auf jedes Kind unter 
10 Jahren mindestens 5, auf jede ältere Person mindestens 10 cbm Luftraum 
bei mindestens 2 bezw. 4 qm Grundfläche pro Person vorhanden sein (Kinder 
unter 1 Jahr werden ausser Betracht gelassen (nach Hygien. Rundschau 1893, 
S. 1024). — Klasen meint: „Unter der Voraussetzung, dass Wohn- und Schlaf¬ 
zimmer getrennt seien, biete erfahrungsgemäss ein Zimmerraum von 10 —12 cbm 
für jeden darin lebenden erwachsenen Menschen hinreichende Luft zu einem 
normalen Athmungsprocess; rechne man für Arbeiterwohnungen eine Zimmer¬ 
höhe von 3 m, so ergebe sich die minimale Grundfläche für jede Person zu 
etwa 4 qm.“ (nach Bücher 1. c. S. 125). 

4 ) Nach Bücher 1. c. S. 126. 

*) 1. c. S. 92 u. 127. 


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Flächenraum in qm I Luftraum 



CentrmIHfctt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 


26 


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zusammen 3,21 47 93 110113 96 78 189127 3 24 3 1 4 9 13 9 29 24 34 34 42 212271 73 18 6 2 35 4,5 410 52,6 


































360 


Kopf fallenden Flächen- und Luftraum. Bei diesen Berechnungen 
habe ich die gesammten Wohnräume (incl. Küchen, da diese meist 
mit zum Wohnen benutzt werden) in Betracht gezogen, zwei Kinder 
unter 10 Jahren gleich einem Erwachsenen gerechnet und die Kinder 
unter einem Jahr unberücksichtigt gelassen. 

Legen wir nun die bescheidenen Vorschriften mit 4 qm 
Flächenraum und 10 cbm Luftraum zu Grunde, so bleiben im 
Ganzen nur 24, d. i. 3°/o der Wohnungen, unter dem Mindestmaass 
von 4 qm Fläche pro Kopf, und 35, d. i. 4,5 % unter dem Mindest¬ 
maass von 10 cbm pro Kopf. Wir finden, wie dies natürlich ist, 
dass solche Ueberfüilung fast nur in den kleinsten Wohnungen vor¬ 
kommt, und dass mit Zunahme der Grösse der Wohnungen auch 
die Grösse des auf den Kopf fallenden Flächen- und Luftraums 
steigt. Nach Tab. I (S. 347) wächst der durchschnittliche Flächen¬ 
raum von Gruppe I zu Gruppe IV von 5,4 bis 10 qm und der 
durchschnittliche Luftraum von 13,2 bis 26,6 cbm. 

Wenn wir dagegen mit Bücher als Mindestwohnraum 20 cbm 
Luftraum pro Kopf verlangen, so würden von unseren 780 Woh¬ 
nungen über die Hälfte, nämlich 410 = 52,6%, dieses Maass nicht 
erreichen; auf Gruppe I kommen hierbei 85%, auf Gruppe IV 
4,8 %. 

Nach den Stockwerken geordnet zeigen auch in diesem Punkte 
die Kellerwohnungen die ungünstigsten Verhältnisse (9,7 % weniger 
als 4 qm und 10 cbm pro Kopf), während die übrigen Wohnungen 
wesentliche Unterschiede nicht erkennen lassen. 

Vergleichsweise sei das Ergebniss von Hess bei den Nürnberger 
Wohnungen angeführt. Hess bezeichnet als überfüllt solche Woh¬ 
nungen, bei denen auf den Kopf weniger als 12 cbm Wohn- und 
Schlafraum treffen, und fand in diesem Sinne überfüllte Wohnungen 
17%. Legen wir gleichfalls diesen Maassstab an, so würden von 
unseren 780 Wohnungen 88 = 11 % als überfüllte zu bezeichnen sein. 

Man hat ferner zur Beurtheilung des zulänglichen Wohnens 
die Zahl der Bewohner mit der Zahl der Wohnräume in jeder 
einzelnen Wohnung in Beziehungen gebracht. Bücher 1 ) hält alle 
Wohnungen „schlechthin für unzulänglich“, in denen mehr als zwei 
Personen ohne eigene Küche hausen müssen, solche mit zwei Per¬ 
sonen ohne Küche als bedingt zulänglich; er fordert für Familien, 
die 4—5 Personen zählen, zwei Zimmer nebst Küche. Neefe 2 ) be¬ 
trachtet einzimmerige Wohnungen mit mehr als 5, zweizimmerige 
Wohnungen mit mehr als 9 Bewohnern überhaupt als überfüllt. 

Die oben erwähnten, vom Oesterreichischen Ingenieur- und 


0 1. c. S. 92. 

2 ) Stübben 1. c. S. 473. 


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361 


Architektenverein entworfenen Grundzüge bestimmen, dass Jede 
selbstständige Wohnung in der Regel wenigstens aus zwei getrennten 
Räumen bestehen muss“. 

Sehen wir uns von diesem Gesichtspunkt unsere Wohnungen 
an (vgl. die folgenden drei Tabellen), so finden wir, dass von den 
im Ganzen vorhandenen 311 Wohnungen mit je einem Zimmer 
67 von je zwei Personen bewohnt werden; die übrigen 244 sind 
nach Bücher als unzulänglich (kulturwidrig) zu bezeichnen, während 
nach Neefe im Ganzen 43 Wohnungen, in denen auf das Zimmer 
mehr als fünf Personen kommen, schon deshalb überfüllt genannt 
werden würden. In je zwei Fällen bewohnen acht Personen eine 
einzimmerige Wohnung. 

Von den 403 Wohnungen mit zwei Zimmern (bzw. ein Zimmer 
und Küche — ich habe aus früher genannten Gründen diese dazu 
gerechnet —) werden 48 von je zwei Personen bewohnt; in dem 
Neefe’schen Sinne überfüllt (d. h. mehr als neun Personen auf eine 
solche Wohnung) würde nur eine sein. Die Forderung Bücher's, 
dass für Familien, die 4—5 Personen zählen, zwei Zimmer und 
Küche vorhanden sind, erfüllen von den 323 hierher gehörigen 
Haushaltungen nur 32 (= 10 °/o). Der weiteren Forderung, dass bei 
zahlreicheren Haushaltungen (mehr als fünf Personen auf eine 
Wohnung) nicht mehr als zwei Personen auf ein Zimmer entfallen, 
würden von den 147 Haushaltungen nur neun entsprechen. 

Die Anzahl der Personen wächst mit Grösserwerden der Woh¬ 
nungen *). ln Tab. I (S. 347) sind die mittleren Personenzahlen bei 
den vier Gruppen der Wohnungen eingezeichnet; wir sehen daraus, 
dass die durchschnittliche Zahl der Bewohner von Gruppe I zu 
Gruppe IV allmählich von 8,6 zu 4,4 steigt, dass die Zunahme 
mehr bei den Erwachsenen als bei den Kindern stattfindet. 

Keller- und Dachwohnungen. 

Wir haben bisher schon manche Eigenthümlichkeiten der Woh¬ 
nungen je nach der Höhenlage, in der sich dieselben befinden, 
erörtert und im Besonderen das Ueberwiegen gewisser Uebelstände 
in den Kellerwohnungen festgestellt. Trotzdem wird es nöthig sein, 
im Zusammenhang noch einmal auf die Kellerwohnungen zurttck- 
zukommen und dann die Dachwohnungen, die als solche bisher 
noch keine Besprechung gefunden haben, einer Untersuchung zu 
unterziehen. — Vielfach wird verlangt, Kellerwohnungen ganz zu 
versagen; dies ist nach Gärtner nicht immer berechtigt, doch 
müssen dieselben, um den gesundheitlichen Ansprüchen zu genügen, 
vollkommen trocken, luftig und gut belichtet sein, ferner eine 

*) Dasselbe stellt Hess für Nürnberg fest. 

26 * 


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362 


Kellersohle haben, die nicht mehr als ca. 1 m unter der Erde liegt, 
und dürfen dieselben nicht nach N liegen 1 ). 


1. Einzimmerige Wohnungen. 


Zahl der Bewohner 
einer Wohnung 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

zusammen 

Zahl der 
Wohn, in 

Gruppe I. 

. n . 

n HI . 

38 

29 

36 

45 

3 

21 

48 

6 

17 

25 

12 

18 

1 

6 

4 

1 

1 

__ 


130 

170 

11 

zusammen 

2. Zweizin 

67 84 1 75 

amerige 

42 

Wo 

31 1 10 2 

hnungen. 



311 

Zahl der Bewohner 
einer Wohnung 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

zusammen 

Zahl der Woh¬ 
nungen in 

Gruppe I . 

» ii. 

. ui. 

. IV . 

8 

26 

14 

7 

55 

28 

1 

7 

62 

20 

5 

7 

51 

18 

4 

►—* 4^ 1 

O O 1 

17 

: 

- 

8 

1 

3 

I 2 

1 

29 

263 

99 

12 

zusammen 

3. Dreizir 

48 1 91 

1 

nmeri 

94 

g e 

1 80 

Wo 

51 24 

1 

hnung 

9 

;en 

5 

1 

403 

Zahl der Bewohner 
einer Wohnung 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

zusammen 

Zahl der 
Wohn, in 

Gruppe II. 

. in. 

„ IV und V . . 

2 

5 

2 

2 

9 

3 

12 

2 

2 

9 

4 

1 

7 

1 

2 

3 

_ 

— 

— 

12 

45 

9 

zusammen 

9 

11 

17 

15 

Q 

9 

5 

— 


66 


*) 1. c. S. 129. — Eine Polizeiverordnung für Liegnitz sagt: „Mit Rück¬ 
sich auf die örtlichen Verhältnisse in Liegnitz dürfen Räume, welche zu 
dauerndem Aufenthalt von Menschen dienen, nirgends tiefer als 0,50 m unter 
dem umgebenden Erdboden liegen. Dieses Maass kann auf 1 m erhöht werden, 
wenn an der zu den betreffenden Räumen gehörigen Frontwand ein durch- 

f ehender Lichtgraben hergestellt wird, dessen Breite mindestens nur 0,60 m 
eträgt, und dessen gut zu entwässernde Sohle um 15 cm tiefer als der Fuss- 
boden der anstossenaen Räume angeordnet ist. Zu dauerndem Aufenthalt 


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363 


Wie früher schon besprochen, sind von den zur Untersuchung 
gekommenen 31 Kellerwohnungen (d. i. 4% der Gesammtzahl) 16 
= 52% absolut feucht; bei manchen war dies so hochgradig, dass 
die Wände vor Nässe trieften, oder Pilzwucherungen an den 
Wänden stark ausgebreitet waren. Nicht genügende Helligkeit 
(d. h. das Verhältniss von Glas- zur Bodenfläche kleiner als 1:12) 
haben 70°/o der Kellerräume. Ferner beträgt der senkrechte Ab¬ 
stand der Kellersohle von dem Niveau der Strassenoberfläche bei 
20 Kellerwohnungen (= 64°/o) mehr als 1 m. Wie die kleine Tabelle 
zeigt, ist der geringste Abstand 0,6 m (in fünf Fällen), der höchste 
2,2 m (in einem Fall). Schliesslich liegen 10 von den Kellerwohnungen 
nach N hinaus. 


Abstand der Kellersohle von 

der Erdoberfläche in m 

0,6 

bis 

0,69 

0,7 

bis 

0,79 

0,8 

bis 

0,89 

0,9 

bis 

0,99 

1 

bis 

1,50 

1,50 

bis 

2 

über 

2 

Zahl der Kellerwohnungen . 

5 

— 

1 

i 

5 

17 

2 

i 

1 


Berücksichtigt man diese besonderen Verhältnisse der Keller¬ 
wohnungen, so dürften nur drei derselben, da sie allenfalls hin¬ 
sichtlich der Trockenheit, Helligkeit und Tief läge genügen, als 
einigermaassen befriedigend gelten können. Da nun aber auch hin¬ 
sichtlich der Höhe (90% sind niedriger als 2,5 m) und des auf den 
Kopf fallenden Luftraums (10% sind überfüllt) vielfach Uebel- 
stände herrschen, wie wir früher gezeigt haben, so würde von den 
drei sonst zulässigen Kellerwohnungen nur eine einzige hygienisch 
unbeanstandet bleiben können. 

Dachwohnungen werden hier nach einer Polizeiverordnung 
unter folgenden Bedingungen zugelassen: 

„Dachwohnungen dürfen nur unmittelbar über dem obersten 
Stockwerk und nicht über einander angelegt werden und müssen 
massive Wände oder Wände mit gemauertem Bindewerk haben. 
Im Uebrigen müssen sie den für Wohnräume allgemein gültigen 
Bestimmungen entsprechen.“ 

Von den 780 Wohnungen sind 48 (=6%) Dachwohnungen; 
davon befinden sich 8 eine Treppe, 28 zwei Treppen, 12 drei 
Treppen hoch. Die Hälfte besteht aus je einem, die andere Hälfte 
aus je zwei Wohnräumen. Das zweite Zimmer ist fast jedesmal 


von Menschen bestimmte Räume, deren Fussboden in den Erdboden ein¬ 
gesenkt werden soll, dürfen an Höfen nur angelegt werden, wenn die Längen- 
bezw. Breiten-Abmessung des Hofes nicht kleiner ist, als die zugehörigen 
Fronten der umgebenden Gebäude hoch sind. 


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364 


eine abgeschrägte Kammer , die zum Schlafen dient. 26 von den 
Wohnungen sind Giebel- und 12 Erker- oder Mansardenwohnungen« 
Was die Grösse betrifft, so haben 

1 zwischen 10 und 14 qm Bodenfläche 

20 „ 15 )> 19 „ 

25 „ 20 „ 29 „ 

2 „ 30 „ 39 „ „ 

Die Höhe der Wohnungen geht aus folgender Tabelle hervor. 


Höhe in m. 

unter 

2 

2 

bis 

2,09 

2,1 

bis 

2,19 

2,2 

bis 

2,29 

2,3 

bis 

2,89 

2,4 

bis 

2,49 

2,5 

und 

mehr 

Zahl der Dachwohnungen . 

2 

12 

12 

9 

2 

5 

6 


Danach bleiben 35 (= 73 °/o) unter 2,3 m Höhe (welches Mindest- 
maass nach der bayerischen Bauordnung für Dachwohnungen vor¬ 
geschrieben ist), manche davon ganz erheblich darunter; die beiden 
niedrigsten Dachwohnungen sind je 1,9 m hoch. 2,5 m hoch, und 
höher sind überhaupt nur 6 (das höchste ist 2,6 in einem Falle). 

Ueber die Helligkeit geben die beiden folgenden Tabellen Aus¬ 
kunft. Aus der ersten ersehen wir, dass bei den einzimmerigen 
Dachwohnungen von 24 nur 4 genügend hell sind (d. h. dass bei ihnen 
das Verhältniss von Glas zur Bodenfläche wenigstens 1:12 beträgt); 


Verhältniss von Glas- 

zur Bodenfläche = 1: 















52 

Zahl der 
Dachwohnungen 

1 

3 

1 

4 

1 

2 

1 

3 

1 

1 

2 

i 

1 

1 

1 

1 

1 


manche sind höchst mangelhaft belichtet, bei zwei Wohnungen be¬ 
trägt das betreffende Verhältniss 1 : 42 bzw. 1:52. Bei den Dach¬ 
wohnungen, die je zwei Zimmer haben, zeigt das eine (das Wohn¬ 
zimmer) in elf Fällen günstige Lichtverhältnisse (Verhältniss =1:8 
bis 1:12), während 1:20 bis 1 :30 im Ganzen sechsmal vorkommt; 
dagegen ist das zweite Zimmer (die Schlafkammer) fast stets mangel¬ 
haft belichtet; nur einmal findet sich 1:10, dann gleich 1:80 und 
mehr bis zu 1: 50, und drei von den Kammern sind überhaupt ohne 
Fenster. 

In diesen mehr oder minder dunklen Räumen schlafen gewöhn¬ 
lich die Insassen, und zwar meist recht eng, denn die durchschnitt¬ 
liche Grösse der Kammern beträgt 8 qm, die durchschnittliche Höhe 


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365 


2,2 m, der mittlere Luftraum, da die Kammern meist ganz oder 
theil weise abgeschrägt sind, nicht mehr als ca. 12 cbm. Zum Theil 
können die Uebelstände dadurch gemildert werden, dass die Thüren 
zu den Wohnzimmern während der Nacht offen gelassen werden. 



Recht bedenklich ist es aber, wenn nur ein Raum vorhanden 
ist, der zum Wohnen, Schlafen und zugleich zum Kochen dient. 
Weniger als 4 qm Fussbodenfläche pro Kopf (wobei zwei Kinder 
unter zehn Jahren = einem Erwachsenen gerechnet sind) kommt 
in zwei, weniger als 10 cbm Luftraum pro Kopf dagegen in neun von 
den Dachwohnungen vor. Ein Mindestwohnraum von 20 cbm findet 
sich nur bei acht Wohnungen vor. Die genaueren diesbezüglichen 
Zahlen ergeben sich aus den beifolgenden Tabellen. 


Fläohenraum pro Kopf 
in qm 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

i 

8 

9 

10 

bis 

14 

zu¬ 

sammen 

3 

einzimmerigen Wohnungen 

1 

1 

5 

6 

5 

2 

1 

2 

1 

24 

i 

zweizimmerigen „ 


— 

3 

3 

4 

4 

1 

5 

_! 

4 

24 

zusammen 

Tj 

1 

8 i 

1 

9 

9 

6 

2 

7 

5 

48 


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366 



Luftraum pro Kopf 
in cbm 

6 

7 

8 

9 

10 

11 ; 


13 

14 

I 15 
bis 

! 19 

20 

bis 

29 

zusammen || 

u 

© 

2 

einzimmerigen Wohnungen 

1 

1 1 

3 

2 

1 4 

i 

3 

1 

_ 



24 

c8 

N 

zweiziinmerigen „ 

— 

' — 

— 

2 

! 4 

i 

; i 

2 

2 



24 


zusammen 

1 

I 1 

1 ^ 

4 

'8 

2 

4 

3 

2 

i 12 

8 

48 


Von den 24 Wohnungen mit nur je einem Zimmer werden 
22 von mehr als zwei Personen bewohnt; so viele würden also nach 
Bücher als unzulässig zu bezeichnen sein. Die nächste Tabelle er¬ 
läutert die Zahl der auf die Dachwohnungen fallenden Inwohner. 


Zahl der Bewohner einer 
Wohnung 



B 



B 


zusammen 

© 

2 

einzimmerigen Wohnungen 

2 

5 

6 

7 

2 

2 

_ 

24 

08 

N 

zweizimmerigen „ 

4 

7 

2 

6 

4 

1 

— 

24 

zusammen 

6 

12 

8 

13 

6 

3 

— 

48 


Ueber die sonstige Beschaffenheit der Dachwohnungen ist noch 
zu bemerken, dass 15 derselben trocken, 19 theilweise feucht und 
14 (=29°/o) als durchaus feiicht zu bezeichnen sind. 6 befanden 
sich in höchst unsauberem Zustande, 7 machten einen besonders 
ärmlichen Eindruck. 

Unter Berücksichtigung aller besprochenen Verhältnisse dürften 
nur zwei von den Dachwohnungen hygienisch ganz unbeanstandet 
bleiben können, während als durchaus schlecht und ungesund 40 
(== 83 °/o) ganz zu verwerfen sind. 

Wasserversorgung und Abortverhältnisse. 

Durch die hier vorhandene Wasserleitung erhalten die meisten 
Häuser bis in die oberen Stockwerke hinauf ihr Wasser. Nur in 
wenigen, abseits gelegenen Häusern ist keine Wasserleitung und 
daher der Bezug des Wassers durch Brunnen oder die Wasser¬ 
leitung aus Nachbarhäusern geboten. Zuweilen sind die obersten 
Stockwerke und manche Hinterhäuser nicht an die Wasserleitung 
angeschlossen; in diesen Fällen sind die Bewohner darauf angewiesen, 
ihr Wasser aus den tiefer gelegenen Stockwerken bzw. aus den 
Vorderhäusern zu holen. 


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367 


Bei den 780 Wohnungen fand ich 21, die sich auf acht Häusei 
vertheilten, deren Bewohner das Wasser aus den im Hof befind¬ 
lichen Brunnen entnehmen. 11 Haushaltungen in Hinterhäusern 
sind auf den Bezug des Wassers aus der jedesmal im Vorderhaus 
im Erdgeschoss befindlichen Wasserleitung angewiesen. Bei 26 Woh¬ 
nungen ist die Wasserleitung nicht in demselben Stockwerk, sondern 
eine Treppe tiefer (ii* 23 Fällen) resp. zwei Treppen tiefer (in drei 
Fällen). 

Im Ganzen ist also die Wasserversorgung eine bequeme. Das¬ 
selbe gilt von der Ableitung der Abwässer aus den Küchen, denn 
überall da, wo Wasserleitung ist, ist zugleich für die Abwässer ein 
Ausgussbecken vorhanden, durch das dieselben dem Kanalisations¬ 
netz zugeführt, also schnell abgeleitet werden. Aus den wenigen 
Wohnungen ohne Anschluss an die Kanalisation müssen die Ab¬ 
wässer nach aussen getragen oder in die Abborte geschüttet 
werden. 

Was die Abortverhältnisse betrifft, so sind dieselben insofern 
günstige, als fast allgemein die Aborte an die Kanalisation an¬ 
geschlossen sind, deshalb Wasserspülung haben und geruchlos 
sind; hingegen ergeben sich vielfach Uebelstände daraus, dass die 
Zahl der Aborte im Vergleich zu den dieselben benutzenden Per¬ 
sonen meist eine zu geringe ist. Die Durchschnittszahl der auf 
einen Abort angewiesenen Familien beträgt (vgl. Tab. S. I 347) in 
Gruppe II am meisten, nämlich 6, dann in Gruppe I 5,6, Gruppe HI 
5,3 und Gruppe IV immer noch 4,7 Familien. 

Die folgende Tabelle giebt genauere Auskunft über die Zahl 
der auf einen Abort angewiesenen Familien. 


Zahl der auf einen 

Abort kommenden 

Familien 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

i 11 

! 12 

15 

? 

zusammen 

Zahl der Woh¬ 
nungen in 

Gruppe I . . 

. II • • 

„ III . . 

„ IV und V 

1 

4 

q ! 

' 

6 

2 

11 

25 

16 

6 

28 35 

74101 

30 36 

3 2 

39 

77 

21 

! 3 

16 

35 

19 

1 2 

13 

77 i 

17 

2 

2 

4 

3 

6 

26 

4 

1 

2 

1 

5 

4 

2 

7 

3 

159 

445 

155 

21 

zusammen 

1 

I 21 

: 58 

I 135 I 174 

jl40 

72 

109 

9 

1 37 

2 

6 

4 

1 

1 12 

780 


Danach hat nur in einem Falle eine Familie ihren eigenen 
Abort, und es kommen in 239 Fällen (d. h. mehr als 30%) mehr 
als sechs Familien und noch in 49 Fällen zehn und mehr Familien 
(höchste Zahl 15, viermal) auf einen einzigen Abort. 


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368 


Ein grosser Werth wird nun von den meisten Hygienikern 
darauf gelegt, dass die Zahl der Aborte in jedem Hause eine aus« 
reichende ist, und es bedarf wohl keiner weiteren Auseinander¬ 
setzung, dass es nicht nur höchst misslich, sondern auch wegen 
eventueller Uebertragung von Krankheiten gefährlich ist, wenn 
mehrere oder gar zahlreiche Familien auf einen Abort angewiesen 
sind. So fordert Gärtner 1 ), dass jeder Abort von nur einer, 
höchstens zwei Familien benutzt wird. Der Gesetzentwurf des 
Hamburger Senates verlangt für jede Wohnung einen eigenen 
Abort. Nach dem Entwürfe reichsgesetzlicher Vorschriften etc. ist 
„in der Regel für jede Wohnung ein besonderer, umwandeter, be¬ 
deckter Abort anzulegen“. 

Von solchem Standpunkt betrachtet, sind demnach die Abort¬ 
verhältnisse der Liegnitzer Arbeiterwohnungen durchgehends 
mangelhafte. Bücher 2 ), der in Basel in dieser Beziehung „geradezu 
skandalöse Zustände“ fand, glaubt eine Lücke in der bestehenden 
Gesetzgebung zu sehen, wenn ein Hausbesitzer beliebig viele Woh¬ 
nungen zu dauerndem Aufenthalt für Menschen vermiethen darf, 
ohne für genügende Abtrittseinrichtungen gesorgt zu haben. 

Was die Lage der Aborte betrifft, so sind bei 551 Haus¬ 
haltungen (d. h. 70°/o) die betreffenden Aborte in den Höfen 
befindlich, während in den übrigen Fällen die Aborte innerhalb 
der Häuser gelegen sind, und zwar entweder mit der Wohnung 
im gleichen Stockwerk oder in einem höheren oder tieferen 
Stockwerk. 

Wir sehen auch hierbei einen Unterschied bei den ver¬ 
schiedenen Wohnungsgruppen, insofern als bei den kleineren 
Wohnungen die Aborte häufiger im Hofe sich befinden, als bei 
den grösseren (Gruppe I 76%, Gruppe IV 50%), wie dies die 
folgende Tabelle zeigt. 




1 

im Hof 

, im Haus 

g 

Lage der Aborte 

in demselben 
Stockwerk 

in einem anderen 
Stockwerk 

»9 

M 

*■- 

I 

Gruppe I. . . 

121 

16 

22 

159 

M g 
® 60 

. ii . • 

323 

63 

59 

445 

'Ö P 
—1 p 

„in . . 

97 

38 

20 

155 

•8 = 
N 

„ IV und V 

10 

8 

3 

21 


zusammen 

551 

125 

104 

780 


’) Leitfäden der Hygiene, 1822, S. 242. 
f ) L c. S. 244. 


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369 


Schlafgängerei und Haltekinderwesen in den 
Wohnungen. 

Von fremden Elementen in den Haushaltungen verdienen die 
Schlafgänger und Haltekinder eine besondere Beachtung. 

Im Ganzen habe ich bei meinen Untersuchungen 12 Haus¬ 
haltungen mit zusammen 19 Schlafgängem (14 männlichen, 5 weib¬ 
lichen) und 26 Haushaltungen mit zusammen 28 Zieh- oder Pflege¬ 
kindern angetroffen. Bei Weitem am häufigsten finden sich die 
Schlafgänger in den grösseren Wohnungen (vgl. die Tabelle). 




Schlafgänger 

j Ziehkinder 




Zahl der fremden 

Personen 

1 

2 , 

1 

3 

zusammen 

i j 

2 

zusammen 

Gesammte 

Zahl der 

Schlaf- Zieh¬ 
gänger kinder 

zusammen 

w c 

3.5 

Ä 

X g 

Gruppe I . . 

2 


— 

2 

1 

— 

1 

2 

1 

3 

u tc 
® c 

. ii • • 

3 


— 

3 

17 

2 

19 

3 

21 

24 

TJ 2 

, in • • 

2 


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2 

6 

— 

6 

2 

6 

8 

: 

„ IV und V 

1 

1 

3 

5 

— 

J — 

— 

12 


12 


zusammen 

8 

1 

1 3 

12 

24 

2 

26 

19 

28 

47 


Für die Unterbringung der Kost- oder Quartier-(Schlaf-)gänger 
existirt in Liegnitz eine Polizeiverordnung, die ähnlich den sonst 
hierüber erlassenen Vorschriften beschaffen und deren wesentlichster 
Inhalt folgender ist: 

„§ 3. Jeder an Kost- oder Quartiergänger vermiethete Schlaf¬ 
raum muss eine lichte Höhe von 2,30 m haben, durch eine Thür 
verschliessbar, mit mindestens einem in der Aussenwand befind¬ 
lichen, zum Oeffnen eingerichteten Fenster versehen sein und 
trockene, gegen Witterungseinflüsse vollkommen schützende Decke, 
Fussboden und Wände haben. Kellerräume dürfen nur, nachdem 
sie von der Ortspolizeibehörde nach Anhörung des Kreisphysikus 
für geeignet erachtet sind, Bodenräume unter dem unverschalten 
Dache überhaupt nicht als Schlafstellen vermiethet werden. 

§ 5. Für jeden Quartiernehmer ist ein Luftraum von 10 cbm 
bei 4 qm Grundfläche zu gewähren.“ 

Im Allgemeinen entsprechen die von mir untersuchten Räume, 
in denen Schlafgängerei betrieben wird, den gestellten Anforde¬ 
rungen; der geforderte Flächen- und Luftraum war stets vorhanden; 
bezüglich der Höhe blieben zwei Räume ein wenig unter dem 


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370 


Mindestmaass von 2,3 m (mit 2,2 bzw. 2,25 m); die sonstige Be¬ 
schaffenheit (Trockenheit, Helligkeit u. s. w.) war auch eine stets 
zufriedenstellende; nur in einem Falle waren die Zustände höchst 
mangelhafte. Es handelte sich um einen Bodenraum, der zwar 
genügend gross und hoch war, der aber unverputzte Wände hatte, 
unter dem unverschalten Dache sich befand und vor allem un¬ 
genügend durch ein kleines Fenster belichtet war (das Verhältnis« 
von Glas- zur Bodenfläche = 1 : 60). 

Was die Verhältnisse, unter denen die Zieh- und Pflegekinder 
untergebracht sind, betrifft, so soll dies hier nicht genauer erörtert 
werden, da ich diesen Gegenstand auf Grund eigener Beobachtungen 
besonders behandelt habe 1 ). Im Allgemeinen sei nur erwähnt, dass 
das Haltekinderwesen hier im Ganzen nicht unter ungünstigen 
Wohnungsverhältnissen zu leiden hat. 

Wohnungsmiethe. 

Dass mit dem Grösserwerden der Wohnung der Preis für die 
Miethe im Allgemeinen steigt, ist selbstverständlich. Der Gesammt- 
miethspreis nimmt von Gruppe I bis zu Gruppe IV von 66,5 bis 
zu 125 Mark zu, wie aus der Tab. I (S. 347) zu ersehen ist Doch 
sind noch andere Momente für den Preis maassgebend: Lage der 
Wohnung mit Bezug auf den Stadttheil, mit Bezug auf das Stock¬ 
werk, grösserer oder geringerer Zubehör zur Wohnung u. dgl. m. 
Alles dies interessirt uns hier nicht so sehr, als zu ermitteln, wie¬ 
viel der Quadrat- bzw. Cubikmeter bei den verschiedenen Woh¬ 
nungen kostet. Es ergiebt sich nun hierbei die merkwürdige That* 
Sache, dass, je kleiner die Wohnung, um so höher der Preis für 
den einzelnen Quadrat- und Cubikmeter wird. Aus der Tab. I ent¬ 
nehmen wir, dass in den kleinsten Wohnungen der Quadratmeter 
4,18 und der Cubikmeter 1,72 Mark kosten, dass die Preise sich 
mit jeder einzelnen Gruppe verringern, so dass bei den grössten 
Wohnungen der Quadratmeter nur noch 2,8 und der Cubikmeter 
nur noch 1,08 Mark kosten (d. h. die kleinsten Wohnungen sind 
um 67 bzw. 63°/o theurer als die grössten). 

Mit Recht macht Hess, der bei den Nürnberger Wohnungen 
dieselbe Beobachtung gemacht hat, darauf aufmerksam, dass „das 
Preisverhältniss pro Cubikmeter in grossen und kleinen Wohnungen 
für letztere noch weit ungünstiger ist, als es die Tabellen ersehen 
lassen, wenn man in Betracht zieht, dass die Wohnungen um so 
weniger an Bequemlichkeiten bieten, je kleiner sie sind“ 2 ). 

*) Vgl. -Ueber das Kost- und Haltekinderwesen“ in Vierteljahrsschrift f. 
gerichtl. Mea. und öffentl. San.-W. Dritte Folge XII. 2. 

*) Hess 1. c. S. 7. 


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371 


Auch Bücher kommt bei seinem grossen Zahlenmaterial zu 
dem Resultate, dass, „je kleiner die Wohnungen sind, um so grösser 
die Zahl der Wohnungen mit hohen und sehr hohen Preisen ist; 
dass der Aermere relativ erheblich theurer und schlechter wohnt, 
als der Reiche“ *). 

Zum Vergleiche möge erwähnt werden, dass die Miethspreise 
absolut, d. h. pro Quadrat- resp. Cubikmeter, in Liegnitz erheblich 
niedriger sind, als in Nürnberg. Nach Hess kostete hier der Quadrat- 
resp. Cubikmeter bei den Gruppen: 



qm 

cbm 

I 

7,27 

3,17 Mark 

II 

5,88 

2,37 „ 

in 

5,05 

1,97 „ 

IV 

4,58 

1,74 ,, 


Einkommen und Verhältniss von Wohnungsmiethe 
zum Einkommen. 

Das Einkommen der Arbeiterfamilien setzt sich zum grösseren 
Theil aus dem Arbeitsverdienst der Familienväter, zum kleineren 
Theil aus dem Verdienst der Frauen und erwachsenen Kinder 
und schliesslich aus dem etwaigen Verdienst durch Halten von 
Schlaf- und Kostleuten und Pflegekindern zusammen. Gerade die 
Frauenarbeit ist hier gar nicht selten: eine ganze Zahl der Arbeiter¬ 
frauen hilft durch Arbeiten ausser dem Hause (in Fabriken, in der 
Landwirtschaft u. A. m.) oder auch im Hause (Verfertigen von 
Wollarbeiten für Fabriken hier besonders häufig) mit verdienen. 
Nach meinen Erhebungen kommt dies im Ganzen bei 171 von den 
780 Haushaltungen (=22°/o) vor. 

Ohne hier näher auf die Höhe des Arbeitsverdienstes im 
einzelnen Falle eingehen zu wollen, will ich nur angeben, dass das 
durchschnittliche Gesammteinkommen in den Haushaltungen der 
Gruppen I 512, Gruppe H 562, Gruppe IH 585, Gruppe IV 
675 Mark etwa jährlich beträgt. Danach beläuft sich die Wohnungs- 
miethe durchschnittlich auf 15,5°/o des Einkommens; günstiger sind 
die Familien in kleineren Behausungen daran als die in grösseren 
(bei Gruppe 1 12,8, II 15,1, III 18, IV 19°/o), wie dies aus der 
Tab. I ersichtlich ist. 

Vergleichsweise sei angeführt, dass Hess bei den Nürnberger 
Wohnungen fand, dass durchschnittlich 13,2 °/o des Einkommens 
für die Miethe ausgegeben wurde, dass die Familien in kleineren 
Behausungen etwas ungünstiger daran waren, als die anderen; 
denn während letztere zwischen 12,1 und 13,1 °/o der Einnahme 

*) Bücher 1. c. S. 210. 


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372 


für Miethe zahlten, gaben erstere zwischen 13,4 und 14,1 °/o dafür 
aus. Im Ganzen war die Wohnungsmiethe in Nürnberg, wie schon 
bemerkt, höher, dafür aber auch der Verdienst entsprechend 
grösser. 

Damit der Arbeiter gesundheitlich entsprechend leben kann, 
darf er für die Wohnung nicht mehr als ungeführ ein Sechstel des 
Verdienstes ausgeben 1 ). Es würden also danach die Inwohner der 
Wohnungen von Gruppe ID und IV etwas zu viel für ihre Woh¬ 
nung ausgeben, während für die an Zahl überwiegenden Haus¬ 
haltungen der Gruppe I und H Einkommen und Wohnungsmiethe 
im richtigen Verhältnis stehen würden. 

Gesammtresultat über die Güte der Wohnungen. 

% 

Nachdem wir die wichtigsten hygienischen Punkte einzeln be¬ 
sprochen haben, wollen wir nun das Gesammtresultat über die 
sanitären Verhältnisse der untersuchten Wohnungen ziehen. 

Wenn wir die bescheidensten Anforderungen gelten lassen, so 
werden wir alle die Wohnungen als ungesund und unzulässig an- 
sehen müssen, die 

1) weniger als 10 cbm Luftraum pro Kopf (zwei Kinder unter 
zehn Jahren = ein Erwachsener gerechnet) gewähren — überfüllt —, 

2) eine Zimmerhöhe von weniger als 2,3 m haben — zu 
niedrig —, 

3) das Verhältnis von Glas- zur Bodenfläche kleiner als 1: 20 
haben — zu dunkel —, 

4) feucht sind. 

Aus den folgenden Tabellen geht hervor, wie oft diese vier 
Missstände entweder einzeln oder mehr oder weniger vereinigt bei den 
780 Wohnungen Vorkommen. Wir finden, dass 75 von den Woh¬ 
nungen von den genannten Missständen je zwei, 14 deren drei und 
drei alle vier aufzuweisen haben. Im Ganzen sind 273=85°/o 
als unzulässig anzusehen; davon kommen 53°/o auf die kleinsten 
Wohnungen (Gruppe I); mit Zunahme der Grösse nimmt die Zahl 
der schlechten Wohnungen ab, so dass Gruppe H 33%, Gruppe IH 
26% und Gruppe IV nur noch 14% unzulässiger Wohnungen auf¬ 
zuweisen hat. 

Nach der Höhenlage geordnet, sind die schlechtesten die Keller¬ 
wohnungen (87 % resp. nach dem, was hierüber weiter oben gesagt 
ist, noch mehr unzulässig); dann folgen die Wohnungen im vierten 
Stockwerk (70%), die des Erdgeschosses (39%), und die besten 
sind die des ersten, zweiten und dritten Stockwerks in ziemlich 
gleichem Verhältniss (28—34% schlecht). 

*) Gärtner 1. c. S. 242. 


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26 

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374 


Zum Vergleiche sei angeführt, dass Hess in Nürnberg bei ähn¬ 
lichen Anforderungen — er berücksichtigt den Helligkeitsgrad nicht 
in der Weise, wie ich es gethan, verlangt dafür aber statt 10 cbm 
Luftraum 12 cbm pro Person — im Ganzen nur 27°/o der Woh¬ 
nungen als unzulässig bezeichnen musste; es waren aber die 
Gruppe I mit 66, H mit 36, HI mit 29 und IV mit 20% be¬ 
theiligt. Hiermit verglichen, würden also die Liegnitzer Verhält¬ 
nisse etwas günstiger sein, als die in Nürnberg. 

Sind aber nun die übrig bleibenden 65% der Wohnungen 
hygienisch tadellos? Das ist leider nicht der Fall. Uebelstände, 
wenn auch nicht so krasser Natur, sind auch in gar manchen von 
diesen Wohnungen zu finden. Bezeichnen wir nach den voran¬ 
gegangenen Erörterungen als mangelhaft alle solche Woh¬ 
nungen, die 

1) weniger als 20 cbm Luftraum pro Kopf (Mindestwohnraum) 
haben, 

2) niedriger als 2,5 m sind, 

3) bei nur einem Zimmer mehr als zwei Personen beherbergen, 

4) unter zwei Wohnräumen einen dunklen besitzen (bei mehr 
als zwei Inwohnern), 

so würden incl. der bereits als unzulässig bezeichneten Wohnungen 
im Ganzen 549 = 70% herauskommen, demnach nur 231=30% 
gut und hygienisch nicht zu beanstanden genannt werden können. 
Von letzteren entfallen auf Gruppe 1 10%, II 25%, HI 55%, 
IV 76%. 

Unterschied zwischen den Wohnungen der alten und 
1 der neuen Stadtviertel. 

Es ist nun von grossem Interesse, zu untersuchen, wie die 
hygienischen Zustände der Wohnungen in den verschiedenen Stadt- 
theilen sich gestalten. Von vornherein war anzunehmen, dass die 
alten Stadttheile, besonders das Centrum, wesentlich ungünstigere 
Verhältnisse darbieten würden, als die neueren Stadttheile in der 
Peripherie. 

Um hierüber Genaueres zu erfahren und dabei nicht allzu 
weitläufig zu werden, habe ich die sämmtlichen 109 Wohnungen» 
die im Centrum, in den alten Häusern, gelegen sind, 129 Woh¬ 
nungen in vier neueren Strassen der Peripherie der Stadt gegen¬ 
übergestellt Das Ergebniss ist in der folgenden Tabelle nieder¬ 
gelegt. Der Unterschied in beiden Gruppen ist fast in allen Punkten 
ein ganz gewaltiger. Dort — in dem alten Stadttheil — sind 48 % 
aller Wohnungen einzimmerig, hier — in dem neueren Stadttheil — 
nur 37%; dort 11% überfüllt (d. h. weniger als 10 cbm Luft- 


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375 


raum pro Kopf), hier nur 2,3%; dort 52°/o niedriger als 2,5 m, 
hier nur 4%; dort 18% zu dunkel (d. h. Verhältniss von Glas- 
zur Bodenfläche kleiner als 1 :20), hier 0°/o. Das Gesammtresultat 
ist, dass als hygienisch unzulässig nach den oben angegebenen An¬ 
forderungen in der ersten Gruppe 54 Wohnungen = 50% und in 
der zweiten Gruppe nur 7 =4,6%, als durchaus befriedigend vom 
hygienischen Standpunkt von der ersten Gruppe 18%, von der 
zweiten Gruppe 60% anzusehen sind. Dabei sind die Wohnungen 
der ersteren Gruppe noch theurer als die der zweiten, denn der 
durchschnittliche Miethspreis pro Cubikmeter beträgt dort 1,48, 
hier 1,36 Mark. — Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich 
nun die übrigen Wohnungen; ich habe davon abgesehen, die ge¬ 
naueren Verhältnisse der letzteren tabellarisch niederzulegen. 


Ueberblicken wir die gewonnenen Resultate, so müssen wir 
zugeben, dass auch für die hiesigen Arbeiterwohnungen, soweit die 
Zustände der untersuchten Wohnungen eine Verallgemeinerung 
zulassen, ein gewisser Nothstand besteht. Leider ist es bei dem 
Mangel bisheriger zahlreicher Wohnungserhebungen aus Mittel¬ 
städten nicht möglich, zu sagen, ob die Verhältnisse in Liegnitz 
günstiger oder ungünstiger sind ?/ als durchschnittlich in Städten 
gleicher Ausdehnung. 

Was kann nun geschehen, um bestehende Missstände zu be¬ 
seitigen? Die Thatsache, dass die Wohnungen in den alten Stadt- 
theilen recht viele gesundheitliche Uebelstände zeigen, dagegen die 
Wohnungen in den neueren Strassen und Stadtvierteln ausser ihrer 
gesünderen Lage auch hinsichtlich der baulichen Verhältnisse ganz 
erheblich besser beschaffen sind, lässt ja erfreulicher Weise hoffen, 
dass mij der Zeit die Zahl der gesunden Wohnungen zunehmen 
wird. Mit einem Schlage wird ja überhaupt die Wohnungscalamität 
nicht zu beseitigen sein, denn das, was vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkte wünschenswerth ist, dass die schlechten Wohnungen geräumt 
bezw. bei Ueberfüllung der Wohnungen die betreffenden Insassen 
veranlasst würden, in grössere Quartiere zu ziehen, scheitert an der 
damit verbundenen Schädigung materieller Interessen. 

Es wird daher vorzugsweise darauf ankommen, dass bei Neu¬ 
anlagen alle erforderlichen Bedingungen für eine gute Arbeiter¬ 
wohnung erfüllt werden, und in zweiter Linie darauf, dass nach 
Möglichkeit solche Wohnungen, die in jeder Beziehung den gesund¬ 
heitlichen Anforderungen zuwider sind, geräumt werden. Zur 

Centnffblfttt f. »11g. Gesundheitspflege. XV. Jshrg. 27 


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376 


I. Alter Stadttheil 
(Centrum) .... 

II. Neuer Stadttheil 
(Peripherie). . . 

Wohnungen nach der 
Lage — alter und 
neuer Stadttheil — 
z usammengestell t 

| CO 

05 

Zahl der Wohnungen, in denen auf 
den Kopf entfallen cbm 

1 ^ 


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1 ^ 

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1 

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feucht, zu dunkel und 
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I. Alter Stadttheil 
(Centrum) .... 

II. Neuer Stadttheil 
(Peripherie) . . . 

“O“ - 

neuer Stadttheile — 
zusammengestellt 

Wohnungen nach der 
liiurß — Alter und 

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An¬ 

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1 Zimmer 

Wohnungen 
bestehen aus 

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1 Zimmer n. Kftehe 

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2,4—2,49 

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2,5-2,99 

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3 u. mehr 

1 

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Verhältniss der Glasfläche zur Bodenfläche 
in den Wohnzimmern = 1: 

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1 CO 

Zimmer 

Zahl der 
Wohnungen 
mit je 

1 dunklen 

-t—i co 

Küche 


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377 


Durchführung solcher Maassnahmen sind meines Erachtens ärzt¬ 
liche Sachverständige nicht zu entbehren. Die geeigneten Per¬ 
sonen würden in erster Reihe die Medicinalbeamten (der Kreis- 
physicus), dann auch die Communal- und Armenärzte sein, welche 
letztere Gelegenheit haben, die Wohnungen der ärmeren Classen 
häufiger zu sehen. |Es würde mich hier zu 'weit führen, näher 
darauf einzugehen, wie solche Controle einzurichten ist — ob in 
Form von Wohnungsaufsehern oder Wohnungsämtern u. dgl.*) —; 
nur sei noch bemerkt, dass auch in diesem Punkte, wie in manchem 
andern, was die Hygiene anlangt, vielfach das Ausland 2 ) uns 
Deutschen voraus ist. 

*) Vgl. Wernich, Wohnungsbetrieb, Wohnungsaufseher etc., in Handb. 
d. Hygiene von Weyl, IV. Bd., 2. Abth., S. 519 ff. 

*) Ders. S. 528 u. 29. 


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Die Barlow’sche Krankheit. 


Kurze Zusammenstellung der bisher über diese Krankheit 
gesammelten Erfahrungen. 

Von 

Dr. med. Arthur Dräer, 

I. Assistent am hygienischen Universitätsinstitut zu Königsberg i. Pr. 


Eine in den letzten Jahren immer mehr das Interesse der 
Aerzte erregende Krankheit der Säuglinge ist die „Barlow*sehe 
Krankheit“, benannt nach dem Engländer Barlow, dem ersten 
gründlichen Beschreiber derselben. Wenngleich seit der Beschrei¬ 
bung der ersten Fälle dieser Krankheit durch Möller in Königs¬ 
berg im Jahre 1857 schon ca. 200—300 weitere Fälle, besonders 
in der englischen und amerikanischen Literatur, bekannt gemacht 
sind, so ist unsere Kenntniss von dem Wesen der Krankheit und 
von ihren Ursachen noch eine recht unvollkommene, und es gehen 
die Ansichten auch der neueren Autoren über die Barlow'sche 
Krankheit vielfach noch recht weit auseinander. 

Ich will es versuchen, in Folgendem an der Hand der wich¬ 
tigsten Literatur über die genannte Krankheit eine kurze Be¬ 
schreibung der Entwicklung der jetzt bestehenden Ansichten über 
dieselbe, sowie der Krankheitssymptome und ihrer Bekämpfung zu 
geben. 

Was die Bezeichnung dieses Krankheitsbildes mit dem Namen 
„Barlow'sche Krankheit“ betrifft, so führt dasselbe diesen 
Namen — wenigstens bei uns in Deutschland — seit dem Jahre 
1883, als Barlow 1 ) die bisherigen, vielfach von einander abwei¬ 
chenden Einzelbeobachtungen deutscher und englischer Forscher 

*) Barlow, On cases described as „acute Rachitis“, which are probably 
a combination of scurvy and rickets, the scurvy being an essential and the 
rickets a variable element. (Med.-chir. Transact. London. Bd. 66. 1883.) 


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379 


sammelte und auf Grund derselben, sowie eigener Beobachtungen 
ein einheitliches Bild der damals noch wenig beobachteten Krank¬ 
heit gab. Allerdings war schon vor Barlow von verschiedenen 
-Autoren mehrfach auf die scorbutartige Natur des Leidens 
hingewiesen worden, auf Symptome, deren Beschreibung in den 
ersten Veröffentlichungen jjollkommen fehlte, und welche doch nach 
den neueren und neuesten Untersuchungen als das wichtigste Moment 
bei dieser Krankheit hingestellt werden. 

Der erste Beobachter der Krankheit war, wie schon gesagt, 
Möller 1 ), welcher im Jahre 1857 einzelne Fälle beschrieb, sie 
aber für eine acut auftretende Modification der Rachitis hielt und 
sie dementsprechend auch „acute Rachitis“ nannte, weil er an 
seinen Kranken nur die rachitischen Erscheinungen beobachtete 
und zunächst keine anatomischen Studien hatte machen können. 
Aber auch einige Jahre später hielt Möller 2 ) noch an der von 
ihm gewählten Krankheitsbezeichnung fest, trotzdem er inzwischen 
Gelegenheit gehabt hatte, an einem Fall die anatomischen Verhältnisse 
zu überschauen und an einem zweiten Falle deutliche scorbutartige 
Erscheinungen, sowie den günstigen Einfluss einer antiscorbutischen 
Behandlungsweise zu beobachten. 

Uebrigens hat vor Möller vielleicht schon Monfalcon 8 ) diese 
Krankheit gekannt, da er bei der Besprechung der Rachitis bereits 
von Beziehungen spricht, welche zwischen der Rachitis und dem 
Scorbut bestehen, und über einen Fall von „Rachitis scor- 
butique“ berichtet, woselbst er an einer Stelle sagt: „Man hat 
in einigen, allerdings sehr seltenen Fällen eine gewisse Complication 
von Rachitis und Scorbut gesehen.“ 

Die auf die Veröffentlichungen Möller's folgenden Beobach¬ 
tungen über neue Fälle aus der Feder verschiedener Autoren, wie 
Andersen 4 ), Bohn 5 )in Königsberg, Förster 6 ) u. A., schliessen 
sich eng an Möller an und behalten die Bezeichnung „acute 
Rachitis“ bei, bis endlich 1878 von Cheadle 7 ) die scorbutische 
Natur des Leidens erkannt wurde. In Deutschland wies zuerst 


l ) Möller, Acute Rachitis. (Königsberger med. Jahrbücher, Bd. I. 1859.) 

8 ) Möller, Zwei Fälle von acuter Rachitis. (Königsberger med. Jahr¬ 
bücher, Bd. III. 1862.) 

*)Monfalcon, Artikel „Rachitis“ im Dict. des Sciences mädicales, 
Bd. XL VI. 1820. (Citirt nach Fürst, Arch. f. Kinderheilk., Bd. XVIII.) 

4 ) Andersen, Studier over „Acut Rachitis“. (Aphandling for Doctor- 
graden i Medicin 1866.) 

B ) Bohn (Königsberg), Acute Rachitis. (Jahrb. für Kinderheilkunde, 
Bd. I. 1868.) 

Ä ) Förster, Ein Fall von acuter Rachitis. (Jahrb. für Kinderheilkunde 
Bd. I. 1868.) 

7 ) Cheadle, Clinical Lecture on three cases of scurvy supervening on 
rickete in young children. (Lancet. 16. Nov. 1878.) 


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380 


Förster 1 ) auf die Erscheinungen von hämorrhagischer 
Diathese (Blutkrankheit, d. h. krankhafte Veränderung in der 
Zusammensetzung des Blutes) bei der Erkrankung hin, und nun 
folgte eine grosse Reihe von Veröffentlichungen über diese Krank¬ 
heit, in welchen dieselbe theilweise direct als Scorbut, resp. infantiler 
Scorbut u. 8. w. bezeichnet wird, wie es die Engländer und Ameri¬ 
kaner zum grössten Theil auch jetzt noch thun, theilweise aber — 
und das ist wohl der richtigere Standpunkt — sehr viel vorsich¬ 
tigere und sich y nur an das Thatsächliche haltende Bezeichnungen 
erhält. 

Autoren der ersten Art sind unter Anderen z. B. R e h n 2 ) und 
Pott 8 ) von deutschen Autoren, und Carr 4 ), Goss 5 ) und 
Northrup 6 ) von amerikanischen. 

Von Untersuchern der zweiten Art sind als die wichtigsten 
Rehn, Rauchfuss und Hirschsprung 7 ) zu nennen, von 
welchen Rehn es zunächst dahingestellt sein lässt, ob die Barlow'sche 
Krankheit Scorbut oder irgend eine andere neue Krankheit sei, 
später aber wieder bei seinen Publicationen die Bezeichnung Scorbut 
wählt, während Rauchfuss und Hirschsprung es direct in 
Abrede stellen oder zum Mindesten stark bezweifeln, dass die 
Krankheit Scorbut sei. 

Weitere Autoren dieser Art sind Heubner 8 ), welcher nur 
von einer „scorbutartigen Erkrankung rachitischer 
Säuglinge“ spricht, und Henoch 9 ), welcher annimmt, dass es 
sich bei der Barlow’schen Krankheit nur um eine Form der 
hämorrhagischen Diathese handelt, die zwar Manches mit dem 
Scorbut gemein hat, aber doch nicht identisch mit diesem zu 
sein scheint. Ihre häufige Combination mit Rachitis spricht 


*) Förster, Zur Frage der sogenannten acuten Rachitis. (Veröffentl. 
der Gesellsch. f. Heilk. in Berlin, Ba. IV. 1881.) 

*) Rehn, Ein Fall von Scorbut bei einem Knaben von 15 Monaten, mit 
ausgedehnter subperiostaler Blutung, Epiphysenlösung u. s. w., die sogenannte 
-acute Rachitis“. (Berl. klin. Wocnenschr. 1889.) — Rehn, Ueber Scorbut. 
(Verhandl. des 10. internst, med. Congresses zu Berlin 1890.) — Rehn, Ein 
weiterer Fall von kindlichem Scorbut mit subperiostalen Blutungen, Cheadle- 
Barlow’scher Krankeit. (Jahrb. für Kinderheilkunde Bd. XXX VII. 1894.) 

8 ) Pott, Ueber Scorbut im Säuglingsalter. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1891.) 

4 ) Carr, A case of scorbuts in an infant. (Med. Rec. New York 1892. 
Bd. UL) 

5 ) Goss, A case of infantile scurvy. (Boston Med. and Surg. Joura. 
1892. Bd. CXXVII.) 

•) Northrup, Scorbutus in infants. (Transact. amer. Pediatr. Soc. 
New York 1892Ö 

7 ) Rehn, Rauchfuss und Hirsch sprung, Bericht über die Verhandl. 
der pädiatr. Section auf dem intemat. med. Congress zu Kopenhagen 1884. 
(Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. XXV. 1886.) 

8 ) Heubner, Die scorbutartige Erkrankung rachitischer Säuglinge. 
Nach einem Vortrag in der Med. Gesellsch. zu Leipzig. (Jahrb. für Kinder¬ 
heilkunde 1892. Bd. XXXIV.) 

9 ) Henoch, Vorlesungen über Kinderkrankheiten. 8. Aufl. 1895. 


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381 


seiner Meinung nach für eine gemeinsame Ursache, die in fehler¬ 
hafter Ernährung zu suchen ist. 

Auch Conitzer 1 ) ist hier zu nennen, welcher auf Grund 
ähnlicher Erwägungen sogar eine Namensänderung der Krankheit 
vorschlägt, nämlich in „Osteopathia haemorrhagica“, eine 
Bezeichnung, die auch Henoch sehr passend erscheint. 

Eine Namensänderung wird auch von Fürst 2 ) vorgeschlagen, 
der eine Bezeichnung wählt, welche sich an das rein Thatsächliche 
bei der Krankheit hält und alle Speculationen vermeidet, nämlich 
„Rachitis haemorrhagica tt , weil sich das Krankheitsbild aus 
einer leichten Rachitis und einer schweren hämorrhagischen Diathese 
zusammensetzt 

Von den meisten Autoren, die in den letzten Jahren casuistische 
Beiträge zur Kenntniss der Barlow’sehen Krankheit gebracht haben, 
wird jedoch eben die Bezeichnung „Barlow’sche Krankheit“ 
gewählt, besonders von den deutschen Autoren im Gegensatz zu 
d^n Engländern und Amerikanern, die auch bis in die neueste Zeit 
meistens die Bezeichnung „Scurvy“ (Scorbut) beibehalten. Es ist 
also wohl zweckmässig, dass möglichst von allen Namensänderungen 
abgesehen wird, damit die Unsicherheit, welche gerade bei dieser 
Krankheit noch recht gross ist, nicht noch mehr zunimmt. 

Was die Symptome der Krankheit betrifft, so sind dieselben, 
von den meisten Autoren ziemlich übereinstimmend beschrieben, 
kurz folgende: 

Die Krankheit befällt ausschliesslich Kinder von der Mitte des 
ersten bis zur Mitte des dritten Jahres; sie sucht sich also ziemlich 
dasselbe Alter aus, in welchem die Rachitis vorzugsweise beobachtet 
wird, und zwar beginnt sie meistens gegen Ende des Winters oder 
im Frühling, also zu einer Zeit, in welcher das Kind vorher wochen¬ 
lang am Genuss frischer Luft behindert gewesen ist. 

Der Beginn des Leidens ist oft acut, so dass das Kind schon 
nach wenigen Tagen allgemeinen Unbehagens Empfindlichkeit, ja 
oft ausserordentlich starke Schmerzhaftigkeit und Unbeweglichkeit 
der befallenen Glieder zeigt, bei deren leisester Berührung oder 
Bewegung es laut aufschreit. In vielen Fällen zeigt die Krankheit 
aber nicht diesen acut einsetzenden Beginn, sondern das Kind verliert 
anscheinend allmählich die Lust am Gehen und Stehen, bis schliess¬ 
lich Beides unmöglich wird, und dasselbe meistens ausgestreckt, 
unbeweglich im Bett liegen bleibt, jede Betastung, jede active oder 
passive Bewegung mit lauten Schmerzensäusserungen begleitend. 

*) Conitzer, Zwei Fälle von Barlow’scher Krankheit. (Münch, med. 
Wochenschr. 1894.) 

*) Fürst, Die Barlow’sche Krankheit (Rachitis haemorrhagica). (Archiv 
für Kinderheilk., Bd. XVIIL 1895.) 


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382 


Sehr bald tritt nun auch — und das ist der eigentliche Beginn 
der Krankheit — eine diffuse Schwellung der Weichtheile einer 
oder mehrerer Glieder auf, und zwar meistens der Ober¬ 
schenkel. Diese Schwellung ist gewöhnlich derart, dass sie in der 
Mitte des befallenen Knochens am stärksten ist und nach den 
Gelenkenden zu abnimmt, so dass das kranke Glied eine Spindel¬ 
form erhält. Diese Geschwulst ist meist prall-elastisch und so stark, 
dass bald alle Falten der Haut verstrichen sind, dieselbe leicht 
glänzend und gespannt erscheint. Dabei ist sie nicht geröthet, 
sondern sogar sehr blass. Durch vorsichtige äussere Untersuchung 
lässt sich annähernd feststellen, dass der Knochen selbst nicht die 
directe Ursache der Schwellung ist, sondern dass dieselbe zwischen 
Knochen und Weichtheilen ihren Sitz haben muss. Die Schwellung 
wird durch ein grosses Blutgerinnsel bedingt, welches seinen Sitz 
zwischen dem Knochen und der von ihm abgehobenen Knochen¬ 
haut hat. 

Ein weiteres sehr bemerkenswerthes und fast constantes Symptom 
ist eine schwammige Wulstung des ganzen Zahnfleisches mit üblem 
Geruch und Neigung zu Blutungen wie beim Scorbut, mögen 
nun schon Zähne vorhanden sein oder nicht. Ebenso wie beim 
Scorbut treten auch hier oftmals Blutungen unter die Haut auf, 
seltener in andere Organe, wie Nase, Darm, Nieren, Gehirn, Augen¬ 
höhlen. 

Das Allgemeinbefinden bei derartig kranken, durch Blutungen 
sehr geschwächten Kindern ist im Allgemeinen erheblich gestört, 
besonders wenn die Blutungen umfangreicher sind. Der Schlaf ist 
unruhig, oft durch Aufschrecken beeinträchtigt, und der Appetit 
lässt mehr und mehr nach, so dass das Kind, zumal wenn zu der 
Barlow'schen Krankheit sich noch andere Complicationen hinzu¬ 
gesellen, wie Magen- und Darmkatarrhe, Lungenentzündung, Bron¬ 
chialkatarrhe u. s. w., leicht der Krankheit erliegen kann. 

ln manchen Fällen tritt spontan Heilung ein, besonders bei 
Eintritt gleichmässig warmer Witterung. Die Schwellung der be¬ 
fallenen Glieder nimmt allmählich ab, ebenso die Schmerzhaftigkeit, 
die Beweglichkeit nimmt zu, die Blutungen verschwinden, das Zahn¬ 
fleisch wird blasser und fester, die allgemeine Schwäche und Blut- 
armuth verlieren sich, und schliesslich macht das Kind Versuche 
aufzusitzen, zu stehen und gehen. 

Zuweilen bleiben nach Ablauf der Krankheit, die meistens 
2—6 Monate dauert, Verdickungen der vorher befallenen Knochen 
zurück; auch Verkrümmungen und Knickungen der Knochen 
kommen vor, besonders wenn neben der hämorrhagischen Diathese 
ausgesprochene rachitische Erscheinungen vorhanden waren. Letz¬ 
teres braucht nicht immer der Fall zu sein, wie z. B. auch 


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383 


Fürst 1 ) neuerdings von einem durch das Fehlen aller rachitischen 
Erscheinungen sich auszeichnenden Krankheitsfall berichtet. Hier¬ 
aus ist zu ersehen, „dass Rachitis kein constanter Begleiter der 
Barlow’schen Krankheit, die rachitische Ernährungsstörung keine 
nothwendige Vorbedingung für hämorrhagische Diathese ist, die 
ja bekanntlich auch nicht selten ohne jede Rachitis, ganz selbständig 
auftritt, wie manche als »infantiler Scorbut« beschriebene 
Fälle darthun“. 

In dem erwähnten Fürst'schen Falle fehlten auch alle ohne 
Weiteres wahrnehmbaren Zeichen von Scorbut, wie die entzündliche 
Schwellung des Zahnfleisches und der Mundschleimhaut, Blutungen 
unter die Haut u. s. w. Es bestand nur die oben beschriebene, 
durch eine Blutung unter die Knochenhaut bedingte spindelförmige 
Schwellung beider Oberschenkel neben der allgemeinen Blutarmuth 
und Kraftlosigkeit. Dieser Fall lehrt also, dass Barlow’sche 
Krankheit ohne rachitische und scorbutische Er¬ 
scheinungen auftreten kann, dass es sich bei dieser 
Krankheit eben nur um hämorrhagische Diathese 
handelt, welche mitunter deutliche scorbutartige Er¬ 
scheinungen darbietet, mitunter nicht, und welche 
ausserdem in vielen Fällen von Rachitis begleitet ist. 

Meyer 2 ), welcher auch mehrere Fälle von Barlow’scher 
Krankheit in neuerer Zeit in Berlin beobachtete, ist der Meinung, 
dass die Blutarmuth im Vordergründe des jeweiligen Krankheits¬ 
bildes steht und auch die anatomischen Befunde erklärt. Er nimmt 
an, dass die blutbereitenden Organe zuerst erkranken, und dass 
die Veränderungen des Blutes zur hämorrhagischen Diathese führen; 
Rachitis, Blutarmuth und hämorrhagische Diathese werden durch 
dieselbe unbekannte Ursache bedingt. 

Was nun die Entstehungsursache der Krankheit betrifft, 
so lässt sich darüber nur sagen, dass dieselbe noch gar nicht ge¬ 
nügend aufgeklärt ist, trotzdem — oder besser gesagt, weil von 
den verschiedenen Autoren die verschiedensten Momente als diese 
Krankheit erregende angeführt werden. Neben allgemein schädigen¬ 
den Einflüssen, wie kümmerlicher Ernährung, die den Grund 
zu Rachitis und Skrophulose legt, engem Zusammenleben in 
dicht bewohnten, schlecht ventilirten, sonnenarmen, 
feuchten Wohnungen, vorangegangenen Krankheiten, 
z. B. Rachitis, Keuchhusten etc., wird am meisten wohl einer un- 
zweckmässigen Diät Schuld gegeben. 

*) Fürst, Ein neuer Fall von Barlo w’scher Krankheit. In: „Die Barlow’sche 
Krankheit.“ (Arch. f. Kinderheilk., Bd. XVIII. 1895.) 

2 ) Meyer, Ueber Barlow’sche Krankheit. Sitzungsprotokoll der 
Verhandl. der Berl. med. Gesellsch. Sitzung vom 15. Jan. 1896. (Berl. klin. 
Wochenschr. 1896, Nr. 4.) 


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384 


Ich will hier nicht die ganze diesen Punkt berührende Literatur 
über die Barlow’sche Krankheit anführen, sondern nur die An¬ 
sichten einzelner neuerer Forscher. 

Baginsky 1 ) äussert sich über den Einfluss der Nahrung 
folgendermaassen: „Was nun sehr beachtenswerth ist, das ist, dass 
die Krankheit keineswegs Kinder*aus armen Familien befällt, die 
etwa in besonders ungünstigen Lebensbedingungen sich befinden. 
Im Gegentheil handelt es sich in der Regel um Kinder gut situirter 
Familien, bei welchen, wenn ich so sagen darf, gewisse besondere 
Künsteleien in der Ernährung vor sich gegangen sind. Fast alle 
meine Beobachtungen sind aus der Privatpraxis. 2 Kinder sind mit 
Rieth’scher Albumosemilch ernährt worden, 1 mit So- 
matosemilch, 1 mit Lahmann’scher Pf 1 an z en m i 1 c h 
neben verschiedenen Kindermehlen. Bei allen diesen Kin¬ 
dern ist der Hergang der gleiche, dass die Kinder eine Zeit lang 
bei der gereichten Nahrung gut gediehen, dann plötzlich in der 
Ernährung stehen blieben oder zurückgingen, unter gleichzeitigem 
Auftreten der schmerzhaften Schwellungen. Diese Thatsache ist 
immerhin sehr bemerkenswerth und bedarf wohl weiterer Aufmerk¬ 
samkeit der Aerzte. Freilich beabsichtige ich damit nicht, die ge¬ 
nannten Nährmittel in Verruf zu bringen, um so weniger, als die 
Emährungsart nicht ohne Weiteres als Ursache hingestellt werden 
kann, ist doch die Krankheit in England unter anderen Verhält¬ 
nissen beobachtet und beschrieben worden. Ich selbst habe einen 
Fall gesehen, der sich an eine sichere Tussis convulsiva (Keuch¬ 
husten) anschloss. Das betreffende Kind hatte nur Kuhmilch er¬ 
halten. Es werden also noch andere Bedingungen als die ge¬ 
künstelte Nahrung ursächlich mit herangezogen werden dürfen. 
Immerhin wird aber die Ernährungsfrage Berücksichtigung erfordern 
müssen.“ 

Die vier von Meyer 2 ) beobachteten Fälle traten auch gerade 
in der wohlhabenden Praxis unter günstigen äusseren Bedingungen 
auf, und da alle vier Kinder mit Rieth’scher Albumosemilch 
genährt waren, glaubt Meyer die Nahrung als ursächliches Mo¬ 
ment heranziehen zu müssen. 

Auch Cassel 8 ) hat die Beobachtung gemacht, dass die Fälle 
von Barlow’scher Krankheit, die er gesehen hat — es sind dieser 
vier — sämmtlich künstlich ernährt waren. Ein Kind hatte Nestle- 
Mehl, Eichelcacao und peptonisirte Milch erhalten, das 

x ) Baginsky, Sitzungsprotokoll der Berl. med. Gesellsch. Sitzung vom 
6. Febr. 1895. (Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 7.) 

2 ) Meyer, Ueber Barlow’scbe Krankheit. (Berl. klin. Wochenschr. 1896. 
Nr. 4.) 

8 ) Cassel. Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 4 (in: Meyer, Ueber 
Barlow’sche Krankheit). 


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385 


zweite Hartmann’sche Säuglingsmileh, ein künstliches 
Gemisch aus Milch, Wasser, Rahm und Milchzucker* das dritte 
Kind war mit sterilisirter Kuhmilch und das vierte mit 
Rieth’scher AlbumosemiIch ernährt worden. 

Cassel zieht daher aus seinen Beobachtungen auch den 
Schluss, dass die Kinder weder mit Surrogaten noch mit sterilisirter 
Milch lange Zeit hindurch ernährt werden dürfen, um nicht in die 
Gefahr zu kommen, die Barlow’sche Krankheit zu acquiriren. 

Dieselbe Ansicht vertritt auch Baginsky 1 ), welcher das 
neuerdings immer mehr hervortretende Bestreben, den Kindern 
eine absolut steril gemachte Milch zu verabreichen, bezüglich der 
Ernährung der Kinder für sehr gefährlich hält und vor dem 
Weiterschreiten auf diesem Wege durchaus warnt, damit nicht die 
Barlow’sche Krankheit immer mehr um sich greife. 

Auch Fürst 8 ) spricht sich dahin aus, dass, wenn man die 
der Barlow’schen Krankheit vorangegangene Ernährung überblickt, 
zunächst auffhllt, dass dieselbe um so ungünstiger wirkt, je mehr 
sie sich von der Natur und von dem vollkommensten Prototyp, der 
Frauenmilch, entfernt. Je künstlicher die Zusammensetzung der 
Nährmittel im Säuglingsalter ist, desto wahrscheinlicher wird die 
Disposition zur Barlow'schen Krankheit, und da diese Künstelei in 
den besser situirten Klassen grösser ist, als bei den unbemittelten, 
die bei der einfacheren, billigeren Kost bleiben, so ist darin schon 
der Schlüssel für die seltsame Wahrnehmung gegeben, dass Kinder 
aus reichen Familien nicht verschont bleiben, ja procentual ziemlich 
stark vertreten sind. 

Northrup und Cranden 8 ), welche die Krankheit natür¬ 
lich — wie meistens in Amerika — Scorbut nennen, sehen auch 
Mangel an frischer Nahrung und die Anwendung von Nähr¬ 
präparaten und condensirter Milch als die wichtigsten Ursachen 
des Leidens an. Auch die bis zu einem unvernünftigen Grade 
getriebene Sterilisation der Milch dürfte ähnlich schädigend 
wirken und ebenso schliesslich noch eine zu starke Verdünnung 
der verabreichten Milch. 

Fruitnight 4 ), der, ebenso wie die eben genannten Autoren, 
auch von Scorbut spricht, führt die Zunahme dieser Krankheit 
darauf zurück, dass die natürliche Ernährung an der Mutterbrust 


J ) Baginsky. Berl. klin. Wochensclir. 1896, Nr. 4 (in: Meyer, Ueber 
Barlow’sche Krankheit). 

a ) Fürst. Arch. f. Kinderheilk., Bd. XVIII. 1895. 

8 ) Northrup und Cranden, Scorbut bei Kindern. (The New York 
Med. Journ. 1894. — Ref. Arch. f. Kinderheilk., Bd. XX.) 

4 ) Fruitnight, Scorbut bei Kindern nebst Bemerkungen über seine 
Diagnose. (Archives of Pediatrics, 1894. — Ref. Arch. für Kinderheilkunde, 
Bd. XX. 1896.) 


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386 


immer seltener gewährt wird. Daraus erklärt sich auch, dass die 
vermögenderen Bevölkerungsklassen mehr Fälle von „kindlichem 
Scorbut“ aufweisen als die ärmeren, denn erstere haben die 
Mittel, allerlei künstliche Nährmittel zu kaufen, welche, fehlerhaft 
zusammengesetzt, die Entwicklung der Krankheit verursachen. 

Er berichtet in seiner Arbeit über sechs von ihm selbst beob¬ 
achtete Fälle, in denen allen die Ernährung fehlerhaft gewesen war, 
indem sie meistens, wie er sich ausdrückt, allerlei „Patenthumbugs® 
(„a whole lot of patent humbugs“) erhalten hatten. 

Auch Marsh 1 ), welcher eine Reihe von Fällen Barlow'scher 
Krankheit in England gesehen hat, betont die Wichtigkeit einer 
richtigen Ernährung, wenn dieses Leiden vermieden werden soll. 

Auf demselben Standpunkt wie die bisher genannten Autoren 
stehen die meisten anderen der zahlreichen Untersucher bezüglich 
der Bedeutung, welche die Ernährung der Kinder für diese Krank¬ 
heit hat. Alle andern Factoren, wie ungenügender Aufenthalt in 
frischer Luft, nasskalte Witterung, vorausgegangene Krankheiten 
etc., haben nur nebensächliche Bedeutung neben der fehlerhaften 
Ernährung. 

Man hat sich nun viele Mühe gegeben, die Quelle zu erforschen, 
auf welche direct die krankhaften Veränderungen bei vorher ganz 
gesunden Kindern zurückzufiihren seien, und ist dabei zu dem 
Resultat gekommen, dass es der Mangel an Mineralsalzen 
ist, der die hämorrhagische Diathese begünstigt, und dass dieser 
Mangel hauptsächlich bei Anwendung einer nicht frischen Nahrung 
sich geltend macht. Das Mineralsalz, auf welches es dabei am 
meisten ankommt, ist das phosphorsaure Kali, welches für 
die Blutkörperchen unentbehrlich ist. Fehlt dieses, so treten alle 
die Erscheinungen des Scorbuts und der hämorrhagischen Diathese 
ein. Am meisten verdient gemacht hat sich Cantani 2 ) bei der 
Aufklärung dieser Frage. 

Was nun die Bekämpfung der Barlow'schen Krank¬ 
heit betrifft, so müssen wir dabei unterscheiden zwischen der 
Behandlung der entwickelten Krankheit und der An¬ 
wendung von Maassnahmen, welche die Entwicklung 
der Krankheit verhindern. 

Bezüglich beider Punkte ist nicht viel zu sagen. Was die 
Behandlung der entwickelten Krankheit betrifft, so hat man zu¬ 
nächst für Reinlichkeit im weitesten Sinne des Wortes zu sorgen, 
d. h. für genügende Hautpflege, frische Luft, saubere, warme Klei¬ 
dung u. s. w. Sodann muss die bisherige Ernährungsweise sofort 

*) Marsh, Die Barlow’sche Krankheit bei Kindern. (The British Med. 
Jonrn. Dec. 1894. — Ref. Arch. f. Kinderheilk., Bd. XX. 1896.) 

2 ) Nach Fürst (1. c). 


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eine Umwandlung erfahren. Alle künstlichen Milchpräparate und 
Surrogate werden fortgelassen, und das Kind erhält Frauenmilch 
oder, falls es diese nicht bekommen kann oder nicht mehr nimmt, 
frische abgekochte (nicht sterilisirte, d. h. lange Zeit oder 
bei hohen Temperaturen gekochte) Kuhmilch, die gar nicht oder 
nur wenig mit Hafer- oder Gerstenschleim verdünnt wird. Täglich 
erhält das Kind ausserdem einige Theelöffel frisch ausgepressten 
Fleischsaft; auch Citronen- und Apfelsinensaft (8—4 Theelöffel 
täglich, entsprechend versüsst) werden als sehr wirksam gerühmt. 
Baginsky empfiehlt, täglich einige Theelöffel Bierhefe zu geben. 
Ist das Kind bereits über 1 Jahr alt und hat Verlangen nach con- 
sistenterer Nahrung, so giebt man etwas frisches Schabefleisch, 
Spinat, geschabte Möhren oder Kartoffelbrei von guten Kartoffeln. 

Medicamente sind am besten ganz fortzulassen. Gegen die 
schmerzhaften Schwellungen sind höchstens noch die Maassnahmen 
zu treffen, die man im Allgemeinen bei derartigen Affectionen wählt, 
nämlich Ruhestellung der erkrankten Glieder, Kälte resp. hydropa- 
thische Umschläge. Uebrigens gehen auch diese Erscheinungen 
unter einer rein diätetischen Behandlung allmählich zurück. 

Was nun den zweiten Punkt betrifft, nämlich die Verhütung 
der Krankheit, so ergeben sich die hier zu befolgenden Maassregeln 
aus dem bisher Gesagten von selbst, nämlich man hat für eine 
längere Ernährung des Kindes, falls Frauenmilch nicht zugängig 
ist, am liebsten frische, möglichst unverdünnte Kuh¬ 
milch zu verwenden, unter Fortlassung aller künstlichen Nahrungs¬ 
mittel. Höchstens ist der Gebrauch von Gersten- oder Haferschleim 
zur Verdünnung der Milch zu gestatten. Abgesehen von einer 
solchen, möglichst zweckmässigen Ernährung hat man natürlich 
dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder überhaupt unter möglichst 
günstigen hygienischen Verhältnissen leben, besonders was die Zu¬ 
führung frischer Luft betrifft. Es wird aus diesem Grunde auch 
vor der weitgehenden Verweichlichung der Kinder gewarnt, welche 
dadurch bedingt ist, dass dieselben während der Wintermonate, 
vollständig von der frischen Luft abgeschnitten, fortwährend im — 
womöglich noch schlecht gelüfteten — Zimmer gehalten werden. 

Bei Befolgung dieser Rathschläge dürften die in den letzten 
Jahren besonders in den grossen Städten immer mehr an Zahl zu¬ 
nehmenden Erkrankungen an Barlow’scher Krankheit wohl all¬ 
mählich wieder immer seltener werden. 


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388 


Kleinere Mittheilungen. 


Communale Wohnungspolitik in der Schwei*. Zahlreiche 
schweizerische Städte haben nach dem durch Bücher’s Veröffent¬ 
lichung 1 ) gegebenen Beispiele Untersuchungen ihrer WohnungsVerhält¬ 
nisse angestellt und zum Gegenstände statistischer Zusammenstellungen 
gemacht, dann aber auch thatkräftige Schritte unternommen oder vor¬ 
bereitet, um den Wohnungsübelständen abzuhelfen. So hat Bern als 
Stadtgemeinde seit Ende der 1880er Jahre an verschiedenen Enden 
der Stadt kleine Wohnungen gebaut und in Selbstverwaltung ge¬ 
nommen; Ende 1897 soll deren Zahl 200 und das von der Stadt¬ 
gemeinde aufgewendete Kapital annähernd 1 Million Franken betragen 2 ). 
In Zürich hat die Gemeindevertretung den Ankauf eines 22 ha grossen 
Geländes in der Nähe der Stadt genehmigt, um dasselbe für die Er¬ 
bauung kleiner Wohnungen zur Verfügung zu haben. Der Züricher 
Stadtrath (die Verwaltungsbehörde der Stadtgemeinde) hat das folgende 
Programm für die Behandlung der Wohnungsfrage den zuständigen 
Behörden unterbreitet 3 ): 

1. Es sind bei den für die Stadt Zürich in Frage kommenden 
Eisenbahngesellschaften Schritte zu thun, damit es durch Ausgabe billiger 
Abonnements und Einschaltung passender Localzüge Leuten mit ge¬ 
ringem Einkommen, welche in der Stadt beschäftigt sind, möglich ge¬ 
macht wird, auf dem Lande Wohnung zu nehmen. 2. Ueber die leer¬ 
stehenden Wohnungen in der Stadt Zürich sind periodische Erhebungen 
zu veranstalten. 8. Der gelegentliche Ankauf billiger, geeigneter 
Wohnungen ist ins Auge zu fassen. 4. Der Erlass gesetzlicher Be¬ 
stimmungen , welche den Bau billiger Wohnungen für Leute mit ge¬ 
ringem Einkommen erleichtern, ist anzustreben. 5. Die allmähliche 
Erstellung billiger, gesunder Wohnungen für Gemeinde-Einwohner mit 
geringem Einkommen ist in Aussicht zu nehmen. 6. In Ausführung 
von Ziffer 5 übernimmt die Stadt die Erstellung derartiger Wohnungen 
für städtische Arbeiter und ähnlich bezahlte städtische Angestellte. 
Im Uebrigen ist die Ausführung von Ziffer 5, unter Mitwirkung der 
Stadt und eventuell des Staates, auf dem Boden der Gemeinnützigkeit 
und der Selbstbetheiligung der Wohnungsnehmer zu suchen. 7. Zur 
Befriedigung des Einzelbedtirfnisses (soll wohl heissen: des Bedürfnisses 
allein stehender Personen) sind Logishäuser in Aussicht zu nehmen. 
8. Die Anlagen sollen nach Maassgabe der Vertheilung der Arbeits¬ 
plätze in verschiedenen Theilen der Stadt errichtet werden. Für die 

*) K. Bücher, Die Wohnungs-Enquöte in der Stadt Basel, 1891. 

*) Sociale Praxis, 1896, S. 1222. 

8 ) Sociale Praxis a. a. 0. 


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389 


Aussengebiete ist das System der Ein- und Zweifamilienhäuser in Be* 
tracht zu ziehen. 9. Die Miethzinse sind im Voraus zu zahlen; sie 
haben für Kapitalzins, Abschreibung, Steuern und Gebühren, Ver¬ 
waltungskosten und Speisung des Reservefonds Deckung zu bieten. 
10. Der Uebergang hergestellter Häuser ins Eigenthum Privater ist 
unter Schaffung von Sicherheiten gegen speculative Verwerthung der 
Häuser zu ermöglichen. 

Ein ähnliches Programm hat der Regierungsrath zu Basel, die 
Verwaltungsbehörde des Kantons Basel-Stadt, dem dortigen Grossen 
Rathe zur Beschlussfassung unterbreitet. Dasselbe lautet: 

I. Gesetzgeberische Maassregeln. 1. Erlass eines 
Wohnungsgesetzes, in dem Bestimmungen Aufnahme finden sollen, 
die der übermässigen und gesundheitswidrigen Ausnützung von Ge¬ 
bäuden zu Wohnzwecken entgegenwirken. Das Verhältniss zwischen 
Vermiether und Miether soll über die Vertheilung der Obliegenheiten 
präciser geregelt werden. Für den Vollzug eines solches Gesetzes ist 
eine Wohnungsinspection vorzusehen. 2. Erlass eines neuen Gesetzes 
über Anlage und Correction von Strassen im Sinne der Ausdehnung 
der Enteignungsbefugnisse. 3. Aufstellung eines umfassenden 
Planes für die Correctionen in der inneren Stadt. 

H. Administrative Maassregeln. 1. Planmässige Durch¬ 
führung der Correctionen in der inneren Stadt. 2. Ankauf von Wohn¬ 
häusern in der inneren Stadt und deren Einrichtung nach den 
Vorschriften des Wohnungsgesetzes behufs Vermiethung. 
3. Ueberla8sung von Baugrund zu günstigen Bedingungen an gemein¬ 
nützige Baugesellschaften und an Baugenossenschaften behufs Errich¬ 
tung von billigen Wohnungen zum Zwecke des Verkaufs oder der 
Vermiethung. 4. Erstellung billiger Wohnhäuser in den verschiedenen 
Quartieren durch den Staat (d. h. den Kanton Basel-Stadt) zur Ver¬ 
miethung an die Angestellten und Arbeiter desselben. 5. Erleich¬ 
terung des Verkehrs mit den Aussenquartieren und der Umgebung 
durch billige Bahnverbindungen. 

Es scheint hiernach, als ob die sociale und gesundheitliche Woh¬ 
nungsreform in der Schweiz langsam, aber planmässig fortschreitet. 
Von Deutschland dasselbe zu sagen, wäre trotz mancher guten An¬ 
fänge gewagt. J. St. 

Ueber die Bassinbfider Berlins hat Prof. Dr. Adolf Baginsky 
einen Vortrag in der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege zu Berlin gehalten, welcher in Nr. 13 der Hygienischen 
Rundschau von 1896 abgedruckt ist. Nach einer kurzen Darlegung 
des gesundheitlichen Nutzens der offenen Fluss- und der geschlossenen 
Bassin-Schwimmbäder theilt Redner eine Reihe von Erkrankungen 
jugendlicher, gesunder Personen mit, beschreibt den Verlauf der 


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390 


Krankheitsfälle und führt dieselben mit grösserer oder geringerer Sicher¬ 
heit auf das Schwimmen in Berliner Bassinbädern zurück, deren 
Sauberkeit zu wünschen übrig liess. Er unterzog sechs Badeanstalten 
Berlins einer Besichtigung und Prüfung; die Ergebnisse, sowie die 
Berichte der betreffenden Verwaltungen über Frequenz, Wasserinhalt, 
Wasserverbrauch, Beckenreinigung und Wassererneuerung werden mit- 
getheilt. Folgende Forderungen sind durchaus zu erfüllen: 

Die Reinlichkeit und Reinhaltung der gesammten Anlage unter 
dem Einflüsse einer intensiven, tageshellen Beleuchtung; kräftige Lüf¬ 
tung; Herstellung der Auskleideräume so, dass die Wände und das 
Mobiliar mit Seife, Soda und Bürsten bearbeitet werden können, der 
Fussboden am besten aus Linoleum auf Schellack, und tägliche Rei¬ 
nigung derselben; Anordnung und Ausrüstung der Abseifräume derart, 
dass Körperschmutz und Abflusswasser nie in das Schwimmbad ge¬ 
langen können und reichliches Douchewasser zu Gebote steht; Einlass 
in’s Schwimmbad nur für diejenigen Personen, welche vorher die Ab- 
seifung hinlänglich vorgenommen haben; Auskleidung des Schwimm¬ 
beckens möglichst mit glasirten Kacheln oder Glasplatten, selbstredend 
ohne scharfe Ecken; Wassertiefe des Schwimmbeckens von 0,8—2,5 m; 
keine Circulation des Badewassers, sondern nur frischer Zu¬ 
lauf; Speirinne rings um die Wasserfläche mit gutem Abfluss; öftere 
Reinigung des ganzen [Beckens durch Ausscheuern mittels Seife und 
Bürsten, wohl auch unter Zusatz von Soda oder verdünnter Salzsäure, 
da von der mangelhaften Reinhaltung der Bassinwände und deren 
Umgebung in erster Reihe die Infection des Badewassers mit putriden 
Stoffen sich herleiten lässt. 

In der Darbietung reinen Badewassers concentrirt sich 
für die Badenden das Wesentliche der Badehygiene. Es genügt nicht 
die Wasseremeuerung „nach Bedürfniss“, oder Je nachdem das Wasser 
schmutzig erscheint“, sondern es ist nöthig, feste Grundsätze aufzustellen. 
Im Ganzen und Grossen sind an Badewasser hygienisch dieselben An¬ 
forderungen zu stellen wie an Trinkwasser, weil das Badewasser, wenn 
auch in geringeren Mengen, verschluckt wird und mit der Nasen¬ 
schleimhaut und den Rachenorganen in Berührung tritt. Es ist indess 
dem Vortragenden nicht gelungen, wissenschaftlich zuverlässige Grenzen 
für die zulässige chemische oder bakteriologische Verunreinigung des 
Bade wassers zu ermitteln. Dass eine gewisse Verunreinigung statthaft 
ist, liegt in der Bestimmung des Badewassers, die Verunreinigungen 
der Haut, insoweit sie nicht durch das vorherige Abseifen beseitigt 
wurden, aufzunehmen. Die Grenze ist durchaus zweifelhaft und vor¬ 
läufig nur durch die „grobsinnliche Prüfung“ zu bestimmen, bis eine 
exacte wissenschaftliche Methode gefunden sein wird. Kann der For¬ 
derung eines täglichen vollständigen Wechsels des Badewassers mit täg^ 
lieber gründlicher Beckenreinigung leider aus wirtschaftlichen Gründen 


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391 


nicht entsprochen werden, so wird man sich auf beschränktere For¬ 
derungen zurtickziehen müssen. Vielleicht ist eine tägliche Auffrischung 
bis zu zwei Dritteln des Inhalts hei wöchentlich zweimaliger Reinigung 
und Neufüllung, wie es in der städtischen Volksbadeanstalt zu Moabit 
geschieht, ausreichend. Jedenfalls ist eine stete behördliche Controle 
' der Reinhaltung, der Abseif- und Auskleide - Einrichtungen, der 
Lüftung, der tadellosen Beschaffenheit des zugeführten Wassers, der 
Zu- und Abflussmengen, der regelmässigen gründlichen Beckenreinigung 
und Neufüllung, sowie der Zahl der täglich Badenden nothwendig. 

J. St. 

****) Beseitigung von Freibrunnen für Schiffer nach Ablauf der 
CholeragefSahr. Innerhalb der zuständigen Behörden wird in Berlin 
die Frage erörtert, ob die 18 Freibrunnen, welche für Schiffer, Lade¬ 
arbeiter, Fuhrleute zur Zeit der Choleragefahr an den Flussläufen der 
Stadt errichtet wurden, erhalten werden sollen oder nicht. Diese 
Angelegenheit hat ein allgemeineres Interesse. Man kann die Be¬ 
seitigung der Brunnen nur widerraten. Was hierüber eine Berliner 
politische Zeitung anführt, erscheint ganz zutreffend. (Vgl. Vossische 
Zeitung, 12. September.) Auch in cholerafreien Zeiten ist es nicht 
rathsam, dauernd Berliner Flusswasser zu gemessen. Zum wenigsten 
lehren dies einzelne Beobachtungen, die aus Berliner Krankenhäusern 
veröffentlicht sind. So berichtete Prof. Pfuhl, Arzt am Institut für 
Infectionskrankheiten, über einen Berliner Typhusfall, der nach Baden 
in der Spree und reichlichem Wasserschlucken entstanden war. Die 
Beobachtungen lehren, dass das rohe Berliner Flusswasser nicht immer 
frei ist von krankmachenden Bakterien. Zu erinnern ist auch noch 
daran, dass Typhusepidemien der letzten Jahre im Osten der Stadt 
mit der Infection des Flusswassers in Verbindung gebracht wurden. 
Dazu kommt noch Folgendes. Wenn man den Schiffern in den seuche- 
freien Zeiten Gelegenheit giebt, sich leicht mit einwandfreiem Wasser 
zu versehen; wenn ihnen so die Entnahme des Wassers aus den Frei¬ 
brunnen für die Zeit des Berliner Aufenthaltes zur Gewohnheit wird, 
dann kann man in den Zeiten der Gefahr viel sicherer den Zweck 
erreichen, dem die Freibrunnen dienen sollen. W. 

*♦**) XJeber Mensohenverluste in Kriegen macht Generalarzt 
Dr. Frölich (Leipzig) in der Zeitschrift für Krankenpflege 1896, 
Nr. 9, bemerkenswerthe Mittheilungen. Eine vornehmlich den militäri¬ 
schen Gesundheitsdienst angehende Frage ist die, ob die Menschen¬ 
verluste in den Kriegen mehr auf Rechnung von Krankheiten, ins¬ 
besondere Seuchen, oder mehr auf Rechnung der Kriegsverletzungen 
kommen. Für ältere Zeiten mangeln genauere Nachrichten. Aber 

nach Dr. Frölich bedürfen selbst die aus diesem Jahrhundert 
Cntr&TbUtt f. »11g. GMundheitspllege. XV. Jafcrg. 28 


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392 


stammenden Zahlen vorsichtiger Verwendung; „denn überall drängen 
sich die zu den Gefechtsverlusten gehörigen Vermissten und die an 
Seuchen erlegenen Verwundeten unbequem in die Rechnung“. Für 
die neuere Zeit hatte Kolb bis 1865 ausgerechnet, dass sechsmal 
so viel Feldsoldaten an Krankheiten wie an Waffen Verletzungen ge¬ 
storben sind. Dr. Frölich giebt nun über die Verluste aus den % 
neueren Kriegen (aus der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts) folgende 
Uebersicht: 


Krieg 

Heer 

Heer¬ 

stärke 

Tod 

durch 

Waffen 

Tod 

durch 

andere 

Ursachen 

Einheits- 

verhältn. 

beider 

Todes¬ 

ursachen 


Franzosen 

309 263 

20 240 

65 135 

mm 

1854—1856 

Engländer 

97 864 

1761 

16 297 

mm 

Summe 

407 127 

22 001 

81432 

IE9 

Italienischer 

Franzosen 

149 690 

3 664 

5 002 

1:1,4 

1859- 1860 






Nordamerikanischer 

Nordheer 

2 500 000 

210038 

224 586 

1:2,0 

1861—1865 






Deutsch-Dänischer 

Preussen 

39 200 

738 

310 

1:0,4 

1864 







Preussen 

363 100 

4450 

6 427 

■jHgfH 

Deutsch-Oester- 

Oesterreicher 

350000 

8 873 



reichischer 1866 

Sachsen 

26 500 

323 

126 



Summe 

739 600 

13 646 

16623 


Deutsch-Französischer 

Deutsche 

1146 355 

28278 

14 904 

1:0,5 

1870—1871 






Russisch-Türkischer 

Russen 

933 726 

34 742 

82 879 

1:2,4 

1877—1878 







Das Kolb’sche Verhältniss von 1 : 6 hat sich zufolge dieser Ueber¬ 
sicht geändert; es schwankt zwischen 1 : 0,4 und 1 : 4 und beträgt im 
Mittel etwa 1:2. Im Krimkriege betrug es 1 : 3,7, — ein Viertel¬ 
jahrhundert später im russisch-türkischen Kriege 1 : 2,4, während in 
den grossen Kriegen der Zwischenzeit die zweite Verhältnisszahl noch 
kleiner ist. 

Nur darf man nicht ohne Weiteres, wie es gewöhnlich geschieht, 
diese relative Verminderung der Verluste durch Krankheiten auf 
die bessere Gesundheitspflege beziehen;. das Verhältniss muss sich in 
gleicher Weise durch Vermehrung der Kriegsverletzungen verändern. 
Dr. Frölich schliesst: 


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393 


„1. Die Kriegssterblichkeit in Folge von Krankheiten hat in den 
neueren Kriegen von rund 20 °/o bis unter 1 °/o der Heeresstärke ge¬ 
schwankt. 

2. Die Sterblichkeit nach Kriegsverletzungen hat in mehreren 
grösseren Kriegen übereinstimmend gegen 2 °/o betragen. 

3. Die Sterblichkeit nach Krankheiten hat, in Ansehung nur 
derjenigen bei den grossen Kriegen von 1854 und 1877, beträchtlicher 
abgenommen, als diejenige nach Kriegsverletzungen; diese Abnahme 
ist aber an sich zu unbedeutend und von den zwischenliegenden Kriegs¬ 
zeiten zu sehr unterbrochen worden, als dass sich zur Aufstellung eines 
bezüglichen Sterblichkeits-Gesetzes genügender Anhalt böte. 

Mit dieser Unthunlichkeit wird der Versuch hinfällig, dem Kriegs¬ 
gesundheitsdienste einen wesentlichen Einfluss auf jenes Verhältniss 
zuschreiben zu wollen. Wenn man seinen Einfluss auch als wahrscheinlich 
betrachten darf, muss man doch zugestehen, dass mächtigere Einflüsse 
als menschliche Erkenntniss auf jenes Verhältnis einwirken, solche wie 
sie in keinem Kriege fehlen und durch die Kriegsdauer, Jahreszeit, 
Zahl der streitenden Massen, Eigenschaften (Klima, Bodenart, Boden¬ 
kultur, Bevölkerung) des Kriegsschauplatzes und Kriegführungsweise 
gegeben sind — Einflüsse, an welchen die gewaltigsten Anstrengungen 
des Kriegsgesundheitsdienstes scheitern. 

So schmerzlich diese Wahrheit ist, so schützt uns doch ihre Be¬ 
achtung vor Trugschlüssen, tröstet über Nichterfolge und lässt die Auf¬ 
gaben der Zukunft in richtigem Lichte erscheinen.“ 

(Vgl. jedoch hiezu den folgenden, der Voss. Zeitg., 1896, 8. Mai, 
entnommenen Artikel, welcher den Gesundheitsdienst und die prophy¬ 
laktische und kurative Wirksamkeit unserer Militärärzte während des 
Krieges 1870/71 in ein helles Licht stellt.) W. 

****) Die Gesundheitspflege beim deutschen Heere während 
des Krieges 1870/71. „Die Gesammtstärke des deutschen Heeres 
während des deutsch-französischen Krieges betrug 42 420 Officiere, 
Aerzte und Beamte und 1 451 992 Mannschaften. Hiervon befanden 
sich auf dem Kriegsschauplätze an Offieieren, Aerzten und Beamten 
33 101 und an Mannschaften 1 113 254. Eine solche Armee, will man 
mit ihr das erreichen, was wir uns zum Ziele gesetzt hatten, muss 
vorbildlich in ihrer Mannszucht sein, künstlerisch geführt werden, darf 
nicht Noth leiden und kann gesundheitlich nicht sorgfältig genug ge¬ 
pflegt werden. 

Der Bedarf an ärztlichen Kräften war bedeutend. Die vorhandenen 
Militärärzte des activen und Beurlaubtenstandes reichten bei Weitem 
nicht aus. Ueber 2000 sich freiwillig meldende Civilärzte mussten heran¬ 
gezogen werden; ausserdem stellte man auch nicht approbirte Studirende 
der Medicin, soweit deren Vorbildung genügte, als Unterärzte ein; 

28 * 


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394 


endlich fanden hervorragende Universitätslehrer und Chirurgen, wie 
Bardeleben, Busch, Wagner, Langenbeck, Burow, Volkmann, Wilms, 
Wegner, Kosen, Stromeyer, Nuss bäum, Kupprecht, Bruns als kon- 
sultirende Chirurgen mit dem Kange von Generalärzten bei den einzelnen 
Feldarmeen oder als chirurgische Consulenten ohne bestimmten Militär¬ 
rang Verwendung. 

Mit Einschluss der im Laufe des Krieges für das XIII. und 
XIV. Armeecorps sowie Bayern aufgestellten Neuformationen haben 
bei der Feldarmee bestanden: 52 Sanitätsdetachements oder Sanitäts- 
Compagnien und Sanitätszüge, 197 Feldlazarethe und Feldspitäler, 
45 Abteilungen Lazareth-Reservepersonal und 17 Lazareth-Reserve- 
depots. Im Sanitätsdienst waren beschäftigt bei der deutschen Armee 
und den Reservelazarethen: 7022 Aerzte, 8336 Lazarethgehtilfen, 12 707 
Krankenwärter, 7800 Krankenträger, ausschliesslich der Hülfskranken- 
träger bei den Truppen, 606 Apotheker, 254 Apothekenhandarbeiter, 
1309 Lazarethbeamte und ausserdem noch 523 Officiere, 8398 Train¬ 
soldaten. Wir dürfen an dieser Stelle auch der freiwilligen Kranken¬ 
pflege nicht vergessen; man widmete ihr auf Grund der schon 1866 
gemachten Erfahrungen besondere Aufmerksamkeit. Sie und die Hülfs- 
thätigkeit des ganzen Volkes hat während des Krieges die militärischen 
Sanitätseinrichtungen, die, den Heereseinrichtungen entsprechend, zu¬ 
nächst die Gewährung des Nothwendigen sichern müssen, in wahrhaft 
grossartiger Weise unterstützt. Die in allen Volkskreisen sich zur frei¬ 
willigen Hülfe, auch in ungezählten Summen darbietenden Kräfte zu 
organisiren, in richtige Bahnen zu lenken und vor Zersplitterung zu 
bewahren, war die Aufgabe des Commissars und Militär-Inspecteurs, 
mit welcher Stellung Fürst Hans Heinrich XI. von Pless be¬ 
betraut wurde. Ihm unterstanden auf dem Kriegsschauplatz 363 Delegirte. 
Das Verhältniss zur Militärverwaltung, der sie sich unterzuordnen hatten, 
war fest geregelt. Erfrischungs- und Verbandsstationen erwiesen sich 
äusserst wohlthätig. Vereins-, Haupt-, Reserve- und Zweigdepots ver¬ 
mittelten die Verausgabung der für die Krankenpflege erforderlichen 
Httlfsmittel und Liebesgaben an die Truppentheile, Lazarethe und Ver¬ 
bandsstationen, und Vereinslazarethe bestanden zu Ende des Krieges 
über 1500. 

Dieses beträchtliche Vorhandensein an Aerzten und Sanitätsmaterial 
befähigte die Heeresverwaltung zu ausgedehnten Lazaretherrichtungen. 
Während der Heeresbewegungen bis zur Mosel und der Belagerung 
von Strassburg waren deren 58, im Anschluss an die Schlachten um 
Metz und in Folge der Einschliessungen von Metz, Diedenhofen und 
Toul 168, während der Bewegungen der III. und Maasarmee in der 
zweiten Augustliälfte und im Anschluss an die Schlachten von Beaumont 
und Sedan 54, auf den rückwärtigen Verbindungen des deutschen 
Heeres in dem Zeitraum bis zur Capitulation von Sedan 5, während 


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395 


des Vormarsches der III. und Maasarmee nach Paris 14, während der 
Ereignisse auf dem südlichen Kriegsschauplatz bis zum Abschluss des 
Präliminarfriedensvertrages 51, während des Vormarsches der I. Armee 
nach der Champagne und der Ereignisse auf dem nördlichen Kriegs¬ 
schauplatz bis zum Abschluss der Friedenspräliminarien 35, während 
der Ereignisse auf dem südwestlichen Kriegsschauplätze bis Ende 
December 63, während derselben Ereignisse vou Anfang 1871 bis zum 
Abschluss des Präliminarfriedensvertrages 24, während der Einschliessung 
von Paris bis ebendahin 108, auf den rückwärtigen Verbindungen des 
deutschen Heeres nach der Capitulation von Sedan und während der 
Einschliessungen von Verdun, Mezi&res und Longwy 32, endlich nach 
Abschluss der Friedenspräliminarien bis Ende December 1871 noch 86, 
im Ganzen also 698 Lazarethe in fast 500 Ortschaften 
in Thätigkeit. 

Der ärztliche Dienst bei den Truppen liess sich am leichtesten 
bewältigen; er beschränkte sich auf die Leicht- und Fusskranken, die, 
wenn sie nach drei Tagen nicht wieder marschfähig waren, an die 
Etappenl&zarethe abgegeben wurden. Bei längerem Ausbleiben grösserer 
Truppentheile auf demselben Raum, wie bei Einschliessungeu, Be¬ 
lagerungen erwies sich die Einrichtung von Krankendepots, Revier¬ 
krankenstuben und Cantonnementslazarethen sehr zweckmässig, nament¬ 
lich während der rauhen Jahreszeit. Besonders schwierig aber gestaltete 
sich die Gesundheitspflege bei der Armee vor Metz, deren Sanitäts¬ 
verhältnisse in Folge des anstrengenden Vorpostendienstes, des monate¬ 
langen Lageras auf einem durch Leichen und Abfallstofle verpesteten 
Boden und des mangelhaften Schutzes gegen die Herbstwitterung 
dauernd sehr ungünstige waren. Die hier allmählich errichteten 
90 Lazarethe genügten für den Andrang kaum. Zahlen sprechen: 
185 636 Kranke und Verwundete (zum Theil noch von den Schlachten 
vor Metz her) kamen vom 20. September bis 31. October in Behandlung, 
davon 22 070 an gastrischem Fieber und Typhus, 27 959 
an Ruhr. Nach dem Falle der Festung mussten Stadt und Umgebung, 
auf deren Schlachtfeldern fast 30 000 Menschenleichen begraben liegen, 
sorgfältig desinficirt und gereinigt werden. Aehnlich ungünstig lagen 
die Verhältnisse in und um Sedan, dessen Schlachtfeld die belgische 
Regierung zu desinflciren übernommen hatte. Die Einschliessungsarmee 
vor Paris erfreute sich hingegen eines im Allgemeinen günstigeren 
Gesundheitszustandes; trotz Blattern, Gelbsucht und Ruhr überschritt 
die Sterblichkeit im Grossen und Ganzeu den in Friedensverhältnissen 
gewöhnlichen Grad nicht bedeutend. Während des sehr angestrengten 
Bewegungskrieges in der kalten Jahreszeit minderte sich namentlich 
bei der H. Armee und der Armeeabtheilung des Grossherzogs von 
Mecklenburg die Streiterzahl bald in höherem Grade durch Er¬ 
krankungen, als durch Gefechtsverluste; die Unterbringung der Kranken 


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396 


war Überaus schwierig. Die angestrengte und segensreiche Thätigkeit 
der Sanitätsdetachements, von denen manche über 400 Verwundete auf- 
nahmen und verpflegten, ist rühmlichst hervorzuheben, zumal in den 
grösseren Schlachten, wo die Aerzte ununterbrochen tagelang ihrem 
schweren Berufe oblagen. Die Zahl der von sämmtlichen Feldlazaretten 
behandelten Verwundeten und Kranken betrug 295 644. Es erübrigt 
noch die Erwähnung der Etappenlazarethe, die nicht nur für den 
Bedarf im Rücken der Armee bestimmt waren, sondern auch ein Netz 
von Stützpunkten für die Krankenbeförderung nach rückwärts bildeten. 
Am schwierigsten war ihre Arbeit da, wo es an einem regelmässigen 
Eisenbahnbetriebe fehlte. 

Mit dem Eintritt des Präliminarfriedens wurden die noch 
bestehenden Lazarethe der II. und III. Armee grossentheils geräumt 
und Ende März aufgehoben. Im Laufe desselben Monats wurden die 
in den Lazarethen der I., Maas- und Südarmee noch verbliebenen 
transportfähigen Verwundeten und Kranken nach Deutschland Über¬ 
geführt. Die weitere Entleerung und Auflösung der Lazarethe hielt 
gleichen Schritt mit dem Rückmarsch der Truppen; die letzten grösseren 
Krankentransporte nach der Heimath erfolgten im November 1872. 
Die Evakuationslinien waren für diese Zwecke vorgeschrieben; 6500 
Verwundete von Beaumont und Sedan wurden nach besonderer Ver¬ 
einbarung über Belgien zurückgeführt; an den betreffenden Verlade¬ 
stationen waren mit grosser Umsicht Baracken-Etappenlazarethe ein¬ 
gerichtet worden, von denen das in Nancy, das im Laufe von acht 
Monaten fast 145 000 Kranke und Verwundete passirten, ganz be¬ 
sonders hervorzuheben ist. Ausser den für die Beförderung von Leicht¬ 
verwundeten und Kranken bestimmten Krankenzügen kamen für die 
Schwerverwundeten die sogenannten Sanitätsztige in Anwendung, deren 
Einführung sich als einer der wichtigsten Fortschritte auf dem Gebiete 
der Verwundetenpflege erwies. Ihre innere Einrichtung war darauf 
berechnet, eine Anzahl bequemer, den Erschütterungen nicht unmittel¬ 
bar ausgesetzter Lagerstätten herzustellen. Jeder Zug enthielt durch¬ 
schnittlich zehn Betten; die Wagen waren heizbar und mit dem Küchen- 
und Arztwagen, der auch die Apotheke enthielt, so verbunden, dass 
während der Fahrt ein ungehinderter Verkehr zwischen ihnen statt¬ 
finden konnte. Die Gesammtzahl der so in die Beimath beförderten 
Verwundeten und Kranken betrug 240 426. Hier wurden sie in den 
über ganz Deutschland verbreiteten Reservelazarethen untergebracht, 
unter denen das mit 2500 Lagerstellen ausgestattete Barackenlazareth 
auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin die umfangreichste Anlage war. 

Um das Ergebniss unserer Gesundheitspflege im Felde in das 
richtige Licht zu stellen, lassen wir wiederum Zahlen sprechen: Von 
den fast 300 000 Kranken und Verwundeten, die in den verschiedenen 
Kriegslazarethen behandelt wurden, sind nur 40 880 einschliesslich 


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397 


Marine* und Civilpersonen verstorben, und in dieser Summe kommt 
der grösste Procentsatz auf die der Einwirkung äusserer Gewalt (ge* 
fallen, an Wunden verstorben, verunglückt, Selbstmord) erlegenen mit 
28 628. An inneren akuten, sowie chronischen Krankheiten haben nur 
12 253 ihr Leben eingebüsst. So können wir an der Hand der vor¬ 
stehenden Skizze bestätigen, was im December vorigen Jahres bei 
Gelegenheit des hundertjährigen Stiftungsfestes des Medicinisch-chirur- 
gischen Friedrich Wilhelms*Instituts von namhaften Rednern nur an¬ 
gedeutet, und was bei der Kriegserinnerungsfeier unserer Militär- und 
Civilärzte und Krankenpfleger noch einmal zum Ausdruck gebracht 
wurde. Wir fügen dem hinzu, dass die vorbeugende und Hülfe 
bringende Thätigkeit unserer Aerzte in hohem Grade zur Schlagfohig- 
keit und dadurch mittelbar zu den Erfolgen der deutschen Waffen bei¬ 
getragen hat, und knüpfen daran die wärmste Anerkennung der selbst¬ 
verleugnenden Hingebung des gesammten deutschen Sanitätspersonals 
während des Krieges 1870/71.“ W. 


Zweiter Congress für Volks- und Jugendspiele in München 

vom 11. bis 18. Juli 1896. 

Der vom Central-Ausschuss zur Förderung der Volks¬ 
und Jugendspiele nach München berufene Congress fand vom 
11. bis 18. Juli statt. Zahlreiche Behörden und Schulverwaltungen, 
Städte, einzelne Schulanstalten, sowie Vereinigungen hatten Vertreter 
zu der stattlichen Versammlung entsandt. Die erste öffentliche Ver¬ 
sammlung im Saale des alten Münchener Rathhauses brachte einen 
Vortrag des Altmeisters der inneren Medicin, Geh. Rath. Prof. Dr. 
von Ziemssen; „Ueber die Bedeutung der Bewegungs¬ 
spiele in freier Luft für das deutsche Volk. u Redner wies 
in classischer Form den Werth der Bewegungsspiele im Freien für das 
Wohl und Gedeihen unserer Jugend nach. Zunächst zur Erfrischung 
und Erholung des Nervensystems, an welches in allen Altersclassen 
zu grosse Anforderungen gestellt werden, während der Erholung zu 
wenig Zeit gewidmet wird, oder besser, während diese Erholung nicht 
in der richtigen Weise gehandhabt wird. Sodann wies Redner im 
Einzelnen nach, dass in somatischer Beziehung vom regelmässigen 
Jugendspiele in erster Linie profitire der Bewegungsapparat, das sind 
die Muskeln und die Gelenke, dann der Athmungsapparat und der 
Circulationsapparat, in zweiter Linie aber auch der Verdauungs¬ 
apparat. Die Functionen aller dieser Organe stehen in so reger 


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398 


Wechselwirkung zu einander, dass die Schädigung des einen ein 
Deficit in der Function des andern nach sich zieht, und schliesslich 
leidet unter dieser Minderwerthigkeit der einzelnen Functionsleistungen 
der gesammte Organismus, seine Ernährung, sein Wachsthum, seine 
Leistungsfähigkeit, seine Widerstandsfähigkeit gegen äussere Schädlich¬ 
keiten aller Art. Ein fertiger Körper kann ein Minus dieser Functions¬ 
leistungen eher vertragen, als ein wachsender, bei dem es sich nicht 
allein um die Deckung des täglichen Stoffwechseldeficits handelt, son¬ 
dern bei dem neben dem Ersatz des täglichen Kraftverbrauchs noch 
die Anbildung neuer Körpersubstanz erforderlich ist. Ziemssen betonte 
namentlich in eingehender Weise die Wichtigkeit, den Reservefonds 
an lebendiger Kraft für das Herz zu erhöhen und dauernd auf dieser 
Höhe durch regelmässige starke Bewegung zu erhalten. Der Knabe, 
der die grossen Ferien im Gebirge zubringt und fleissig geht und 
steigt, erzielt eine erhebliche Steigerung der Leistungsfähigkeit seines 
Herzens. In der winterlichen Unterrichtscampagne müsse aber der 
grösste Theil der errungenen Herzkraft wieder verloren gehen. Ebenso 
verhalte es sich mit den Athmungsorganen. Alles dies dränge dazu, 
dass der heran wachsen den Jugend die Wohlthat regelmässiger Uebung 
in Spiel und Turnen das ganze Jahr hindurch zu Theil werden müsse. 
Der Redner schilderte schliesslich die günstige Einwirkung der Spiele 
auf die psychische und intellectuelle Sphäre der Jugend. 

Der bedeutsame Vortrag fand grossen Beifall und wird hoffent¬ 
lich durch den Druck noch weiteren Kreisen zur Anregung und Be¬ 
herzigung zugänglich gemacht werden. 

Die zweite öffentliche und Hauptversammlung fand Sonntag, den 
12. Juli, statt. Der Vorsitzende des Central-Ausschusses, Abgeordneter 
von Schenckendorff, warf in seiner einleitenden Rede einen 
Blick auf die Entwicklung und bisherigen Arbeiten des 
Central-Ausschusses. Seit Beginn der Arbeit des Central - 
Ausschusses vor 5 Jahren hat die Anlage von Spielplätzen in Deutsch¬ 
land und die Einrichtung regelmässigen Spielbetriebs im Freien an den 
Mittel- und Volksschulen wie an den Universitäten und im Volke — 
die Turn- und Spielvereine sind hier besonders zu nennen — eine 
ganz ungeahnte Ausdehnung schon gewonnen. Das Spiel in freier 
Luft ist auf bestem Wege, zur allgemeinen Volkssitte in Deutschland 
zu werden. Der Central-Ausschuss hat nicht nur durch äusserst rege 
Agitation in Schrift und Wort hierzu beigetragen — es seien nur an 
die fünf bisher erschienenen, inhaltreichen Jahrbücher des Ausschusses, 
die kleineren Schriften, die Musterspielregeln u. s. w. erinnert —, 
sondern auch praktische Anleitung vermittelt. In den Spielcursen des 
Central-Ausschusses waren bis Frühjahr 1896 an 4000 Lehrer und 
Lehrerinnen aus allen Theilen Deutschlands ausgebildet worden, in 


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399 


den besonderen Universitäts-Spielcursen an 17 Universitäten über 1000 
Studirende. Diese Ziffern werden sich in diesem Jahre noch wesent¬ 
lich erhöhen. Des Weiteren beschäftigte sich der Ausschuss mit der 
Frage, unsere Volksfeste zu veredeln und an Stelle der leidigen Häu¬ 
fung von Trinkgelagen Veranstaltungen von Spielen und Leibesübungen 
im Freien zu deren Mittelpunkt zu machen. Die auf ein bezügliches 
Preisausschreiben eingegangene beste (unter 42) Schrift zur Lösung 
dieser Frage, von Dr. E. Witte in Braunschweig, findet sich im 
Jahrbuch 1896 abgedruckt. Den Fortgang gerade dieser Seite der 
Thätigkeit diente auch die Hauptverhandlung des Congresses: „Ein¬ 
richtung von National tagen für deutsche Kampfspiele“. 
Die Redner über diese Frage waren Dr. med. F. A. Schmidt in Bonn 
und Realschuldirector Prof. Reydt in Hannover. An der Discussion 
betheiligten sich besonders die Herren Stabsarzt Dr. Dedolph-Aachen, 
Prof. Kessler aus Stuttgart, Prof. Dr. Hüppe-Prag, Hofrath Dr. Näher- 
München, Prof. Dr. Jäger, früher in Stuttgart, städt. Tumwart SchrÖer- 
Berlin u. A. Mit dieser allseitigen und eingehenden Besprechung ist 
die Frage vor der Oeffentlichkeit im Fluss gekommen, und wird wohl 
bald einer schönen Verwirklichung nahe gebracht sein. — Von den 
sonstigen Ansprachen sei noch die von Prof. Dr. Büchner, als Ver¬ 
treter der Universität München, und die des Bürgermeisters v. Borscht 
besonders hervorgehoben. 

Endlich dürfen nicht unerwähnt bleiben die Spielvorfüh¬ 
rungen der Münchener Jugend: Freitag den 10. auf dem 
königl. öffentlichen Turnplatz; Samstag den 11. und Sonntag den 12. 
auf dem Hofe der Leihgrenadierkaserne im Hofgarten. Und zwar 
spielten am Samstag erst Hunderte von Kindern der Münchener Volks- 
Mädchen- und Volks-Knabenschulen, sodann die Gymnasiasten und 
Realschüler, endlich eine Anzahl studentischer Vereine, am Sonntag 
die Münchener Turnvereine. Schmidt (Bonn). 

f Eduard Angerstein. — Am 23. Juli d. J. starb in Berlin Prof. 
Dr. med. Eduard Angerstein, ein hervorragender Vertreter des 
deutschen Turnens. Geboren 1830 in Berlin, studirte Angerstein seit 
1850 Medicin, promovirte 1854 und war Assistent zuerst bei dem 
Orthopäden und begeisterten Verfechter der schwedischen Heilgymnastik 
Dr. Neu mann, später an der heilgymnastischen Anstalt von Dr. 
Eulenburg. Als Arzt in Berlin war Angerstein sowohl schrift¬ 
stellerisch als praktisch lehrend auf dem Gebiete des Turnens thätig. 
Er betheiligte sich lebhaft an dem Kampfe gegen den Versuch, das 
schwedische Turnen an Stelle des deutschen an unseren Schulen ein- 
zuführen. Der Vertreter der schwedischen Gymnastik und Leiter der 
königlichen Central-Turnanstalt, Major Rothstein, unterlag in diesem 
Kampfe, in den u. A. auch Du Bois-Reymond mit mehreren 


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400 


glänzenden Schriften, sowie Vircho w eingriffen. Rothstein 
musste das Feld räumen. — Im Jahre 1864 wurde Angerstein, nach¬ 
dem er vorher schon in erfolgreicher Weise bei der Organisation des 
Schulturnens in Berlin mitgewirkt hatte, zum städtischen Ober-Turawart 
ernannt und stand als solcher bis zu seinem Tode an der Spitze des 
städtischen Turnwesens. Berlin hat heute neben einer Reihe schöner 
Tum- und Spielplätze 88 Turnhallen für Volksschulen, 3 für höhere 
Töchterschulen, 6 für Realschulen und 18 für Gymnasien. Neben der 
Einrichtung der Räume für den Turnunterricht war es auch Angerstein’g 
Aufgabe, die Lehrer durch besondere Turncurse und Fachconferenzen 
fortzubilden. 1871 erhielt Angerstein, der den Feldzug als Stabsarzt 
mitgemacht, das Eiserne Kreuz; 1890 wurde er zum Professor ernannt« 
Er betheiligte sich auch 1891 an den Bestrebungen des Central- 
Ausschusses für Volks- und Jugendspiele. — Das grossartige Leichen¬ 
begängnis am 26. Juli legte Zeugniss ab von der ungemeinen Beliebt¬ 
heit, deren sich Angerstein in den weitesten Kreisen seiner Vaterstadt 
erfreute. Schmidt (Bonn). 


Bauhygienisohe Rundschau. 

Hamm a. d. Lippe (29 000 Einwohner). 

Kanalisation. Nach dem Ortsstatut vom 22. August 1892 
müssen alle bebauten Grundstücke und alle diejenigen unbebauten 
Grundstücke, deren Benutzungsweise den Ablauf von Flüssigkeiten mit 
sich bringt, unterirdisch an den Strassenkanal angeschlossen werden, 
sobald die Strasse kanalisirt wird (§ 2). Alle alten Entwässerungs¬ 
leitungen in den Strassen werden beseitigt (§ 3). Die Kosten der 
Privatanschlüsse tragen die Grundstücksbesitzer mit Ausnahme des 
Falles, wo die Aenderung eines unwiderruflich genehmigten An¬ 
schlusses durch die Stadt selbst veranlasst wird (§ 4). Die Polizei¬ 
ordnung vom 22. August 1892 setzt ebenfalls die Anschlusspflicht fest 
und verlangt auf jedem Grundstück einen abgedeckten, wasserdichten, 
leicht zugänglichen „Senkkasten u von 0,5 m Breite, 1 m Länge und 
1 m Tiefe mit Wasserverschluss; bis zu diesem Senkkasten kann das 
Abwasser oberirdisch geleitet werden. Die Abführung von Flüssig¬ 
keiten nach anderer Stelle als nach dem städtischen Strassenkanal ist 
untersagt. Menschliche Auswurfstoffe dürfen nicht in den Kanal ein¬ 
geführt werden, gewerbliche Abwässer nur, nachdem sie unschädlich 
gemacht sind. 

Ortsstatut über die Bebauung. Ein neues Ortsstatut ist 
am 7. Januar 1896 erlassen worden, welches die Beitragspflicht Der- 


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401 


jenigen, welche an neuen oder an alten unbebauten Strassenstrecken 
Gebäude errichten, auf eine halbe Strassenbreite von höchstens 10 m 
festsetzt und den Anbau an unfertige Strassen untersagt bezw. nur 
unter bestimmten Ausnahmebedingungen zulässt. Die letzteren sichern 
insbesondere die Zugänglichkeit und die Entwässerung. 

Bauordnung. Eine neue Baupolizei-Verordnung ist am 10. Januar 
1896 von der Polizeiverwaltung erlassen und am 3. Februar vom Re¬ 
gierungspräsidenten bestätigt worden. Die wichtigsten gesundheitlichen 
Bestimmungen derselben sind folgende: 

Gebäude, welche nicht mehr als ein Obergeschoss haben, ‘er¬ 
fordern einen Hofraum gleich einem Drittel des Grundstücks, jedoch 
von mindestens 50 qm Grösse bei 5 m Mindestbreite. Für Eck¬ 
grundstücke genügen 30 qm bei 4 m Breite. Für jedes weitere 
Obergeschoss wächst der erforderliche Mindest-Hofraum um 25 °/o der 
vorstehenden Fläche und Breite (§ 13 c). 

Für jede Familienwohnung muss mindestens ein getrennter und 
verschliessbarer Abortsitz (soll wohl heissen: Abort) eingerichtet werden 
(§ 15b). 

Die Aborte müssen eine Grundfläche von mindestens 90 cm im 
Quadrat und 2 m Höhe im Lichten, sowie ein ins Freie führendes 
Fenster von mindestens 0,2 qm und ausserdem, „wenn nöthig“, ein 
Ventilationsrohr von mindestens 250 qcm Querschnitt haben (§ 15 c). 

Die Fallrohre der Aborte müssen mit Koth- oder Wasserver¬ 
schluss versehen, am oberen Ende über Dach geführt werden, leicht 
zugänglich, mindestens 15 cm im Lichten weit, im Innern möglichst 
glatt und ohne scharfe Biegungen und schwache Neigungen sein 
(§ 15d). 

Alle Sammelstätten von Abfallstoffen müssen.von Brunnen 

mindestens 5 m und von Wegen mindestens 3 m entfernt bleiben 
(§ 15 f). Ausnahmen werden jedoch bei besonders beschränkten Bau¬ 
stellen zugelassen. 

Jedes bewohnte Grundstück muss entweder einen geeigneten 
Brunnen haben oder an die städtische Wasserleitung angeschlossen 
werden (§ 16). 

Die zulässige Gebäudehöhe beträgt an Strassen von weniger als 
8 m Breite 10 m, an Strassen von mehr als 8 m Breite 13 m; an 
Strassen von mehr als 13 m Breite ist die zulässige Gebäudehöhe 
gleich der Strassenbreite (§ 18 a). 

Hintergebäude dürfen die zulässige Höhe der Vorderhäuser nur 
insoweit übersteigen, als die betreffende Hofabmessung die Strassen¬ 
breite überschreitet (§ 18d). 

Vor den Fenstern von Wohnräumen, welche an winkelig ge¬ 
stalteten Hofräumen liegen, muss in senkrechter Linie mindestens ein 
freier Raum von 4 m sich befinden (§ 32 b). 


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402 


Die lichte Stockwerkshöhe von Wohnräumen muss in Neubauten 
8 m, beim Umbau alter Bauten mindestens 2,80 m betragen. 

Arnsberg, Regierungsbezirk. 

Polizeiverordnung des Regierungspräsidenten vom 11. November 
1894, betreffend das Kost- und Quartiergängerwesen. 

Die Schlafräume der Kostgänger und Quartiergänger dürfen mit 
den Wohn- und Schlafräumen des Kost- und Quartiergebers und seiner 
Haushalt-Angehörigen weder in offener Verbindung stehen, noch durch 
eine auischliessbare Thür verbunden sein (§ la). 

Jeder Schlafraum für Kost- und Quartiergänger muss gedielt (aus¬ 
nahmsweise in anderer Art vom Erdboden getrennt) werden, verschliess- 
bar und wenigstens mit einem Aussenfenster versehen sein und darf 
keine Verbindung mit einem Abort haben (§ 1 b). 

Der geringste Schlafraum für jede Person beträgt 10 cbm (§ lc). 
Dies gilt sowohl für die Schlafgäste als für die Haushalt-Angehörigen 
des Vermiethers (§ 4). 

Für je zwei Schlafgänger muss mindestens ein Bett und ein Wasch¬ 
geschirr vorhanden sein (§ 1 d). 

An der Thür des Schlafraumes muss auf der Innenseite eine Tafel 
hangen, auf welcher die zulässige Zahl der Schlafenden angegeben ist 
(§ le). 

Niemand darf „ohne Erlaubniss der Ortspolizeibehörde“ gleich¬ 
zeitig Kost- oder Quartiergänger verschiedenen Geschlechts aufnehmen 
oder bei sich behalten, ausser wenn dieselben zu einer Familie ge¬ 
hören (§ 2). 

Die Zahl der aufzunehmenden Kost- oder Quartiergänger, sowie 
die Veränderung dieser Zahl ist vorher der Polizeibehörde anzuzeigen. 

Malstatt-Burbaeh (24 000 Elnw.). 

Bauordnung. Eine neue Baupolizei-Verordnung ist am 11. April 
d. J. vom Bürgermeister nach Anhörung der Stadtverordneten - Ver¬ 
sammlung erlassen worden. Die wichtigsten gesundheitlichen Be¬ 
stimmungen derselben sind nachstehend im Auszuge wiedergegeben. 

Der Hofraum soll mindestens ein Viertel, bei Eckhäusern ein 
Sechstel des Grundstücks betragen, jedoch nicht weniger als 40 qm 
(§ 22 ). 

Die Gebäudehölie an der Strasse darf die Strassenbreite nicht 
übersteigen. Die lichte Stockwerkhöhe soll im Dachgeschoss wenigstens 
2,5 m, sonst im Allgemeinen mindestens 2,8 m betragen* an neun be¬ 
sonders genannten Strassen wird indessen eine Erdgeschosshöhe von 
3,50 m und eine Höhe der Obergeschosse von 3,20 m gefordert (§ 28). 

Alle Räume, die zum dauernden Aufenthalt von Menschen be- 


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403 


stimmt sind, müssen mindestens 2,50 m in Lichten hoch sein und 
dürfen nirgends tiefer als 0,5 m unter der Erdoberfläche liegen. Das 
letztere Maass darf bei Anordnung von Lichtgräben auf 1 m wachsen. 
Der Fussboden ist jedoch mindestens 0,40 m über den höchsten Grund¬ 
wasserstand zu legen und gehörig zu isoliren (§ 24). 

Jedes bebaute Grundstück muss entweder einen einwandfreien 
Brunnen besitzen oder an die städtische Wasserleitung angeschlossen 
werden (§ 25). 

So viel Stockwerke, so viel Aborte werden gefordert, und zwar 
mit Fenstern nach aussen; die Fallrohre aus geeignetem Material, zu¬ 
gänglich und frostfrei, gelüftet über Dach; die Abtrittsgruben „wasser¬ 
dicht“, mit Entlüftungsrohr und wenigstens 1 m von der Grenze (§ 26). 

Der Anschluss an die städtischen Strassenkanäle ist, wo solche 
vorhanden, obligatorisch (§ 27). 

Die nach den §§ 16 und 24 der Reichs-Gewerbeordnung con- 
cessionspflichtigen Bauten (welche die Nachbarschaft durch starken 
Abgang unreiner Stoffe, lautes Geräusch oder Rauch, Russ oder Dampf 
belästigen oder gesundheitlich benachtheiligen) können „nach dem Er¬ 
messen der Polizeibehörde“ für bestimmte Strassen gänzlich untersagt 
werden und sind im Uebrigen besonders vorzuschreibenden Bau¬ 
bestimmungen unterworfen (§ 36). 

Gas- und Wasserleitungsrohre dürfen nicht eingemauert noch ver¬ 
putzt, die letzteren müssen zudem frostsicher angelegt werden (§ 37). 

Haspe (10 200 Elnw.). 

Nach dem Geschäftsbericht für 1895/96 ist die Eingemeindung 
der 3234 Einwohner zählenden Gemeinde Westerbauer in Aussicht ge¬ 
nommen. Eine neue Schlachthofanlage ist im Bau begriffen. In zwei 
Privathäusern wurden die Erdgeschosswohnungen in Folge Ueber- 
schwemmung durch einen starken Regenguss Seitens der Sanitäts¬ 
commission für unbewohnbar erklärt, geräumt und die fernere Be¬ 
wohnung erst nach mehreren Monaten, nachdem die eingeschlemmte 
Erde entfernt und eine gehörige Lüftung und Trocknung der Räume 
stattgefunden hatte, wieder zugelassen. Ein Brunnen wurde wegen 
gesundheitswidrigen Wassers geschlossen. An ansteckenden Krank¬ 
heiten traten auf: Masern 182, Scharlach 4, Diphtheritis 43, Typhus 
8 Fälle. 

Rees (4000 Einw.). 

Die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Aussengelände ist 
in Angriff genommen. Der Entwurf einer unterirdischen Kanalisation 
mit Einlass in den Rheinstrom ist aufgestellt worden, um die noch 
vorhandenen Theile der stagnirenden alten Stadtgräben, in welche die 
meisten Abwässer der Stadt bisher abfliessen, verfüllen und dadurch 


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404 


hd schädlich machen za können; die Ausführung ist bis zur Fertig¬ 
stellung des Bebauungsplanes vertagt worden. 

M.-Gladbach (54 000 Einw.). 

Eine Reihe von Industriellen hat unter dem Namen „Wohnungs- 
verein für M.-Gladbach, Gladbach-Land und Neuwerk* 4 ein Unter¬ 
nehmen in's Leben gerufen, welches auf sanitärem und socialem Ge¬ 
biete sich hoffentlich als segensreich erweisen wird. Zweck des Vereins 
ist, durch Besserung der Beschaffenheit der Mietwoh¬ 
nungen die Lage der arbeitenden Klassen in gesundheitlicher und 
sittlicher Hinsicht zu heben. Um es den Arbeitern zu erleichtern, 
sich bessere Wohnungen zu beschaffen, wird der Verein zunächst eine 
Nachweisstelle für leerstehende oder zu vermiethende Wohnungen ein¬ 
richten. Ausserdem aber wird er die Beschaffenheit der Wohnungen 
durch geeignete Organe überwachen, namentlich in Bezug auf Luft 
und Licht, sowie auf die der Zahl der Familienglieder entsprechende 
Raumgrösse. Den Familien mit zahlreichen Kindern sollen die Mittel 
gewährt werden, zu dem zweiten Zimmer noch ein drittes Zimmer an- 
zumiethen und, wo es dringend nöthig ist, noch ein viertes. Beson¬ 
dere Fürsorge soll getroffen werden, dass die halberwachsenen und 
erwachsenen Kinder nach Geschlechtern getrennte Schlaf räume er¬ 
halten, sowie dass die Kinder im rechtzeitigen Alter aus der Schlaf¬ 
stätte der Eltern entfernt werden. Durch den persönlichen Verkehr 
der Vereinsorgane mit den Mietherfamilien soll der Sinn für Häus¬ 
lichkeit und Ordnung gehoben, zur Förderung des Sparsamkeitssinnes 
die Errichtung einer Miethzinssparkasse veranlasst, das Kostgänger¬ 
wesen soll nach Möglichkeit bekämpft werden. Die an Arbeiter¬ 
familien überwiesenen Geldgaben sollen in der Regel als Darlehen 
gelten, mit der moralischen Verpflichtung der Rückerstattung beim 
Eintritt besserer Erwerbslagen. Man hofft, in Kurzem mindestens 
9000 Mark Jahresbeiträge zu gewinnen. Für die Gesundung der 
Arbeiterwohnungsverhältnisse scheint uns die Gladbacher Vereins - 
gründung einen richtigen und segensreichen Weg gefunden zu haben, 
dessen Betretung auch in anderen Städten dringend zu empfehlen ist. 
(Nach der Köln. Ztg.) 

Köln (824 000 Einw.). 

Ueber Arbeiterwohnungen auf Ziegeleien hat unterm 
14. März d. J. der Regierungspräsident eine Polizeiverordnung erlassen, 
welche wohlgeeignet erscheint, auf diesem hygienisch vernachlässigten 
Gebiete der Wohnungsfrage bessernd einzugreifen. Danach müssen 
die dauernd oder vorübergehend benutzten Wohnungen auf den Ziegeleien 
in Zukunft mindestens folgende getrennten Räume enthalten: einen Raum 
zur Bereitung und Einnahme der Mahlzeiten, einen Raum zum Aufent- 


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halt in den Freistunden, besondere, nach Geschlechtern abgesonderte 
Schlafräume und eine Bedürfnisanstalt. Die Fussböden sind gut und 
dauerhaft zu dielen, die Wände zu verputzen, die Decken und inneren 
Dachflächen zu pliestern. Auf der Aussenseite der Thür eines jeden 
Schlafraumes ist die zulässige Belegschaft deutlich zu vermerken; die¬ 
selbe wird so berechnet, dass auf jeden Schläfer wenigstens 8 qm 
Fussböden und 10 cbm Luftraum entfallen. Für jede Person ist eine 
Bettstelle aus Eisen oder gehobeltem Holze zu beschaffen und so auf¬ 
zustellen, dass der Fussböden zum Reinigen zugänglich ist. Das Bett¬ 
zeug muss mindestens aus einem Strohsack und einer wollenen Decke 
bestehen. Das Bettstroh ist wenigstens alle 6 Wochen zu erneuern. 
Geeignete Wascheinrichtungen sind zu beschaffen und zu unterhalten. 
Zwischen Wohn- und Schlafräumen sind Leitern unzulässig, sind viel¬ 
mehr Treppen mit sicheren Handleisten anzuordnen. Arbeiter, welche 
an ansteckenden Krankheiten leiden, dürfen nicht in denselben Räumen 
mit andern Arbeitern untergebracht werden. Ein Abdruck dieser Polizei¬ 
verordnung ist in den Ess- und Aufenthaltsräumen an einer in die 
Augen fallenden Stelle anzubringen. Ziegeleibesitzer und Betriebsleiter 
werden wegen Uebertretungen in empfindliche Geldstrafen genommen. 

Zonen-Bauordnung. Am 20. Februar d. J. ist für die ausser¬ 
halb der Stadtumwallung liegenden Theile des Stadtbezirks von Köln, 
sowie für einige Theile der Innenstadt eine neue Baupolizei-Verordnung 
erlassen worden, welche, entsprechend den wiederholten Empfehlungen 
der Vereine für öffentliche Gesundheitspflege, die polizeilichen Bau¬ 
vorschriften zonenweise abstuft. Danach werden in der Aussenstadt 
vier Bauzonen oder Bauklassen unterschieden. Die erste Klasse 
umfasst zwei Hauptstrassen im Vororte Nippes und drei Hauptstrassen 
im Vororte Ehrenfeld, für welche die Bauvorschriften der Innenstadt 
Geltung behalten. Die zweite Klasse umfasst diejenigen Strassen 
oder Strassenstrecken in den städtischen Vororten Nippes, Ehrenfeld, 
Lindenthal, Bayenthal und Deutz, welche bereits hergebrachter Weise 
im Anbau begriffen sind. Die dritte Klasse umfasst alle übrigen 
Strassen und Strassenstrecken der städtischen und die ländlichen Vor« 
orte (mit Ausnahme der Bezirke für offene Bebauung). Die vierte 
Bauklasse, nämlich die offene Bebauung, erstreckt sich auf 
drei Bezirke der Neustadt innerhalb der Umwallung (am Römerpark, 
am Volksgarten und an der Riehlerstrasse) und auf vier Bezirke der 
Aussenstadt (Riehler, Ossendorfer, Lindenthaler und Marienburger Be¬ 
zirk). Alle sieben Bezirke für offene Bauweise enthalten zusammen 
rund 900 ha. Dazu kommen 17 ha ehemals städtischer Grundstücke 
am Sachsenring, welche nach den Bedingungen des Verkaufes nur mit 
Landhäusern (Villen) bebaut werden dürfen. Durch einfache Ver¬ 
fügung der städtischen Polizeibehörde können auf Antrag Strassen und 
Strassenstrecken aus der dritten Klasse in die zweite übertreten, sofern 


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die planmässige Herstellung dieser Strassen geschehen oder gesichert 
ist. Die wichtigsten Baubestimmungen der verschiedenen Klassen sind 
in der nachstehenden Tabelle enthalten. 



Geringster Antheil des 
Hofraumes an der 
Grundstücksgrösse. 

Mindestbreite des Hofes 

3 m 

Grösste 

Gebäude¬ 

höhe 

Stockwerkszahl. 

Das Erdgeschoss, ein 
Zwischengeschoss 
und ein bewohntes 
Kellergeschoss wer¬ 
den mitgerechnet 

Klasse I 

0,25 

bei Eckgrundstücken 0,15. 

Strassenbreite 
+ 3,5 m; jedoch 
höchstens 20 m. 

4 

Klasse II 

* Bei nur einstöckiger 
Bebauung 0,25 (Eckgrund¬ 
stücke 0,15); bei mehr¬ 
stöckiger Bebauung 0,35 
(Eckgrund8tücke 0,25). 

Höchstens 

17 m. 

3 

Klasse III 

Bei nur einstöckiger 
Bebauung 0,35 (Eckgrund¬ 
stücke 0,25); bei mehr¬ 
stöckiger Bebauung 0,50 
(Eckgrundstücke 0,40). 

Höchstens 

15 m. 

2 

Klasse IV 

0,60 

bei Eckgrundstücken 0,50. 

Höchstens 

15 m. 

2 


In allen Klassen sind ausnahmsweise kleinere Höfe zulässig bei 
öffentlichen Gebäuden, bei Fabriken, bei sehr beschränkten Eckgrund¬ 
stücken und bei sonstigen Grundstücken von weniger als 100 qm 
Flächeninhalt. 

In allen Klassen darf ausserdem das halbe Dachgeschoss bewohnt 
werden. Der Fussboden von Kellerwohnungen darf nicht tiefer als 
0,5 m unter der Bürgersteigfläche liegen. 

In den Bezirken der Klasse IV muss betragen der Abstand von 
der seitlichen Grenze 5 m, vom Nachbarhause 10 m. Je zwei Gebäude 
dürfen bis auf 40 m Frontlänge zusammengebaut werden. Gewisse 
Vorbauten sind in den Zwischenräumen statthaft. 

Belästigende gewerbliche Anlagen sind in den Bezirken der offenen 
Bebauung uutersagt. 

Diese neue Zonen-Bauordnung hat sich ohne jede Beschwerden 
und Schwierigkeiten eingefllhrt. J. St. 


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407 


Literatnrbericht. 

Dr. H. Albrecht und Architekt Prof. A. Meißel, Das Arbeiterwohnhaus. 
Gesammelte Pläne von Arbeiterwohnhäusern und Rathschläge zum Ent¬ 
werfen von solchen auf Grund praktischer Erfahrungen. Berlin 1896. 
Verlag von Robert Oppenheim. Preis 10 Mk. 

Nicht die erschöpfende Behandlung der Frage vom wirthschaftlichen 
und socialen Standpunkte, sondern die Anleitung zu zweckmässigen 
Neubauten ist die Absicht der Verfasser. Sie wollen sowohl hinsicht¬ 
lich der Grundrisse als der äusseren Erscheinung der Arbeiterwohn¬ 
häuser mustergültige Beispiele geben; sie betonen die gefällige äussere 
Ansicht als ein Mittel, bei dem Arbeiter Freude an seiner Behausung, 
Ordnungs- und Reinlichkeitssinn hervorzurufen und zu pflegen. In drei 
Abschnitten wird zunächst die wirthschaftliche und sociale Seite der 
Arbeiterwohnungsfrage skizzirt, dann der Bau von Arbeiterwohnungen 
vom technischen Standpunkte, schliesslich die finanzielle Seite des 
Baues behandelt. In die eigentliche Tiefe der Wohnungsfrage, welche 
in den dunkelsten Gründen der Altbauten, in Grossstädten wie in 
Mittelstädten, zu suchen ist, wollen die Verfasser nicht hinabsteigen; 
ihr Bestreben beschränkt sich auf Neubauten durch die Wohnungs¬ 
fürsorge von Arbeitgebern, durch gemeinnützige Stiftungen und Bau¬ 
gesellschaften, sowie durch Selbsthülfe der Wohnungsbedürftigen, letz¬ 
teres hauptsächlich nach dem Vermiethungssystem. Muster werden 
mitgetheilt für das freistehende Einfamilienhaus, das Doppelhaus mit 
zwei getrennten Familienwohnungen, das Reihenhaus mit getrennten 
Familien Wohnungen und für Häuser mit Wohnungen in verschiedenen 
Stockwerken (vier und mehr Familien), endlich für Arbeitercolonien. 
Die Grundrissanordnung, die Nebenräume und die baulichen Einrich¬ 
tungen werden sachgemäsg besprochen. Die Musterentwtirfe sind durch¬ 
weg vortrefflich; in der äusseren Architektur überschreiten sie indess 
stellenweise den gemeiniglich gesteckten Rahmen. Von erheblichem 
Werthe sind auch die finanziellen Mittheilungen, so der Kaufvertrag 
des Stuttgarter Vereins, die Grundsätze und Bedingungen für die Be¬ 
leihung von Grundstücken, für Bau- und Handwerksdarlehen, endlich 
die Baubedingungen, Lieferungs- und Mietverträge des Berliner Spar- 
und| Bauvereins. — Dem sehr nützlichen und trefflich ausgestatteten 
Werke ist die weiteste Verbreitung und Beachtung zu wünschen. 

J. St. 

Handbuch der Hygiene von Dr. Theodor Weyl. 25. Lieferung: Das 
Wohnhaus. Bau und Einrichtung des Wohnhauses von Chr. 
Nussbaum (Docent an der Techn. Hochschule zu Hannover). Gesetze, 
Verordnungen u. s. w., betreffend billige Wohnungen, von Dr. 
A. Wernich (Regierungs- und Medicinalrath in Berlin). Bakteriologie 
und Biologie der Wohnung von Prof. Dr. F. Hüppe in Prag. Mit 
190 Abbildungen im Texte. Jena, Gustav Fischer, 1896. 

Centndblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 29 


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408 


Das vorliegende, 420 Seiten starke Heft bildet die Schlossliefernng 
der Bau- und Wohnungshygiene des in rascher Folge erscheinenden 
Weyl 1 sehen Handbuchs. Den Löwenan theil des Heftes bildet die Ab¬ 
handlung Nussbaun^s über den Bau und die Einrichtung des Wohn¬ 
hauses in 10 Abschnitten. Die ersten drei Abschnitte betreffen die 
Lage des Wohnhauses, die Wahl der Bauweise und die Nachtheile der 
übermässigen Grundausnutzung. Der vierte Abschnitt behandelt ein¬ 
gehender die verschiedenen Baustoffe nach ihrer hygienischen Bedeu¬ 
tung, während im ausgedehnten fünften Abschnitte die einzelnen Theile 
des Gebäudes und deren Herstellungsarten sehr ausführlich besprochen 
werden. Das Ausheizen der Neubauten und die Anlage der Neben¬ 
räume bilden den Inhalt der beiden folgenden Capitel, während der 
achte, neunte und zehnte Abschnitt sich wieder eingehend mit der 
Anlage von Landhäusern bezw. Einfamilienhäusern, der Häuser mit 
MiethWohnungen und der Arbeiterwohnungen beschäftigen. Der Verf. 
beherrscht den Stoff technisch und literarisch; er vermochte deshalb 
die vollständigste praktische Bauhygiene des Wohnhauses zu liefern, 
welche bisher geschrieben wurde. Von grossem Gebrauchswerte ist 
auch die Zusammenstellung der Gesetze, Verordnungen, Statuten etc. 
von A. Wernich. Hüppe erörtert die hygienischen Verhältnisse 
der Zwischendecken und des Staubes im Hause: die Salpeterbildung, 
die Kohlensäure-Entwicklung, die Fäulnissgase und deren Einfluss auf 
die Krankheitsanlage, den Hausschwamm, die tierischen Holzzerstörer, 
die Krankheitserreger im Füllmaterial der Zwischendecken, den Staub 
als Begünstiger der Disposition und als Träger von Krankheitskeimen, 
endlich den Staub in Turnhallen. 

26. Lieferung: Anlage und Bau der Krankenhäuser nach hygienisch- 
technischen Grundsätzen von F. Kuppel (Bauinspector in Hamburg). 
Mit 304 Textfiguren. Jena, Gustav Fischer, 1896. 

Gestützt auf grosse Sachkunde und Erfahrung behandelt der Verf. 
mit Fleiss und Sorgfalt den Krankenhausbau in allen seinen Be¬ 
ziehungen. Der erste längere Theil seiner Schrift erstreckt sich auf 
allgemeine Krankenhäuser, der zweite, kürzere Theil aufIsolir- 
gebäude und Spitäler für ansteckende Krankheiten. Die 36 Capitel 
des ersten Theiles beziehen sich auf die geschichtliche Entwicklung, 
die ärztlichen Anforderungen, die Bausysteme und das Bauprogramm, 
die allgemeine Anordnung, die bautechnische Herstellung der einzelnen 
Bautheile und namentlich des Krankensaales, die Heizung und Lüf¬ 
tung, die Einzelzimmer, den Tageraum und die Nebenräume, die 
Aborte, den Operationsraum, die Verwaltungsräume, die Küchen¬ 
einrichtungen, die Desinfection, das Eis-, Kessel-, Maschinen- und 
Leichenhaus, das Mobiliar, die Wasserversorgung, Canalisation, Be¬ 
leuchtung und die Kosten. Im zweiten Abschnitte werden die Noth- 
wendigkeit und die Arten der Isolirung besprochen, ferner die ärzt- 


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409 


liehen Anforderungen an Isolirspitäler, die allgemeine bauliche An¬ 
ordnung und die Raumdisposition derselben, sowie die bauliche Ge¬ 
staltung des Krankensaales. Eingehend behandelt Verf. schliesslich 
die „temporären Kranken- und Unterkunftsräume“ in Gestalt von festen 
und beweglichen Baracken von verschiedenster Herstellungsart nebst 
ihren Einrichtungen. Die Ruppe lösche Schrift gehört zum Besten, was 
auf dem vorliegenden Gebiete die Literatur aufzuweisen hat. J. S t. 

Prof. Axel Holst (Christiania), Untersuchungen über die Wohnungen des 
Arbeiterstandes ln Christiania. Archiv für Hygiene 1896, Band XXVI, 
S. 109. 

Diese auf Veranlassung der städtischen Gesundheitscommission 
ausgeführten Untersuchungen erstreckten sich nicht auf alle Arbeiter¬ 
wohnungen in Christiania, sondern nur auf mehrere Strassen der ver¬ 
schiedensten Stadttheile, von denen anzunehmen war, dass sie die 
Wohnungsverhältnisse jener Stadttheile durchschnittlich, gleichsam als 
„repräsentative Strassen“ vertraten. Aus solchen Strassen wurden 
alle Arbeiter-Miethwohnungen untersucht, im Ganzen 1946 
Wohnungen, die sich auf 10 „Gemeinden“, 13 Stadttheile und 24 Strassen 
vertheilten, ausserdem 464 Wohnungen, die sich in einzelnen der 
grösseren mehrstöckigen, von Consortien gegründeten „Arbeiter-Kasernen“ 
befanden. 

Frühere ähnliche Untersuchungen sind für Basel von Bücher, 
für Gothenburg von Wallquist, für Nürnberg von Hess 
ausgeführt 1 ). Welcher Luftraum als Minimum für den einzelnen 
Bewohner zu fordern sei, ist in den verschiedenen Städten verschieden 
aufgefasst worden. In England haben die Gesundheitsämter 
(local boards of health) das Recht, solche Miethwohnungen räumen zu 
lassen, die sowohl als Schlaf- wie Wohnräume dienen und nicht 
wenigstens 400 englische Kubikfuss = 11,33 cbm Luft für jeden Be¬ 
wohner über 10 Jahre und die Hälfte für jeden jüngeren enthalten. 
Die Grösse des erforderlichen „Luftkubus“ bestimmt die wissen¬ 
schaftliche Hygiene nach dem Grundsätze, dass dem Menschen 
stets trotz der Verunreinigung der Luft durch den Athemprocess eine 
noch nicht ungesunde Luft zur Verfügung stehen müsse. MitPetten- 
kofer wird eine Luft als noch nicht ungesund erachtet, wenn sie 
durch den Athemprocess mit nicht mehr als 1 °/oo Kohlensäure be¬ 
laden ist Da nun „frische Luft“ 0,4 °/oo Kohlensäure enthält und 
die vom Erwachsenen in der Stunde ausgeschiedene Kohlensäure 
0,02 cbm beträgt, so müssen in der Stunde etwa 30 cbm Luft zur 
Verfügung stehen, damit durch den Athemprocess eines Erwachsenen 

0 B., Die Wohnungsenquete der Stadt Basel, 1891. — W., Bostads- 
forhällendena i Göteborg, 1891 (Lordnska stiftelsens skrifter). — H., Die 
Wohnungsverhältnisse der Nürnberger Arbeiter-Bevölkerung, 1893. 

29* 


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410 


der Gehalt der Luft au Kohlensäure 1 °/oo nicht übersteige. Der 
Luftwechsel in den Wohnungen ist nun in den meisten Fällen so 
gering, dass er nur ausnahmsweise auf mehr denn einmal stündlich zu 
veranschlagen ist; und deshalb wäre eigentlich ein Luftkubus von 
30 chm als Minimum für den Ewachsenen zu fordern. Damit würden 
aber für die Wohnungen so hohe Kosten entstehen, dass es nöthig ist, 
die hygienischen Forderungen für gewöhnliche Verhältnisse herab¬ 
zusetzen. Flügge (in seinem Grundriss der Hygiene) fordert 16 cbm 
Wohnraum für jeden Menschen; und der Verfasser theilt mit, dass die 
Gesundheitscommission in Ghristiania das Gutachten abgab, dass Zimmer 
für einzelne Dienstmädchen in herrschaftlichen Wohnungen wenigstens 
15 cbm gross sein sollten. Was das Bedürfniss der Kinder anlangt, 
so sei nach dem Verfasser milgetheilt, dass man in den Volksschulen 
zu Christiania 6—8 cbm für jedes Kind zu schaffen gesucht hat; und 
dass auch dies nicht genüge, gehe aus den Luft-Untersuchungen her¬ 
vor, obgleich in jenen Schulen durch besondere Ventilations-Einrichtungen 
(meistens Centralluftheizung) ein erheblicherer Luftwechsel bewirkt 
werde. 

Gleichwohl legte der Verfasser seinen Untersuchungen die sehr 
geringe Forderung von nur 10 cbm Luft für jede über 10 Jahre alte 
und 5 cbm für jede jüngere Person zu Grunde; Wohnungen, die dieser 
Forderung nicht genügen, sind daher als „äusserst stark überfüllt u zu 
bezeichnen; sie stellen einen „Zustand sanitärer Noth u dar. Nun 
fanden sich unter den 1946 Arbeiter-Miethwohnungen 385 = rund 
20 %, die nicht diese niedrigste Forderung erfüllten; darunter eine 
nicht geringe Anzahl, in welchen weniger als 6 cbm auf jeden Be¬ 
wohner über 10 Jahre kommen. Die hohen Grade der UeberfÜllung 
zeigten sich am häufigsten in den kleinsten Wohnungen von einem 
Zimmer ohne eigene Küche; von diesen waren 43,8 °/o „excessiv 
übervölkert“; von den untersuchten Wohnungen von einem Zimmer 
mit eigener Küche 14 °/o, von den Wohnungen von 2 Zimmern 
und Küche 6 °/o. 

Prof. Holst berechnet, dass es in Christiania etwa 3000 Miet¬ 
wohnungen des Arbeiterstandes giebt, die so übervölkert sind, dass sie 
nicht einmal der erwähnten bescheidenen Forderung genügen. Eine 
Anzahl von 15 000 Menschen oder etwa 9 °/o der Bevölkerung wohnen 
in „stark übervölkerten“ Wohnungen und müssten zum Ausziehen in 
geräumigere Wohnungen gezwungen werden, wenn man ein Wohnungs¬ 
gesetz nach englischem Muster, wie vorgeschlagen war, durchführen 
wollte. 

Nur 12 °/o der untersuchten Arbeiter-Wohnungen entsprachen der 
weiter gehenden Forderung, für jeden über 15 Jahre alten Bewohner 
30 cbm, für jeden jüngeren doppelt so viel Kubikmeter Luft zu ent¬ 
halten, als er Jahre zählte. 


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411 


Die Uebervölkerung war übrigens in den neueren Häusern geringer 
als in den älteren, wo Zimmer von unter 30 cbm bis herunter zu 15 
oder 10 cbm Inhalt eher Kegel als Ausnahme sind. In den schon er¬ 
wähnten „Arbeiter-Kasernen“ wurden von 464 untersuchten Wohnungen 
nur etwa 5 % übervölkert gefunden. 

Unter den Ursachen der Uebervölkerung stellt der Ver¬ 
fasser die schlechte ökonomische Lage der Miether voran; 
für diese findet er einen Ausdruck in der Zahl der Kinder. Von 
allen Miethern ohne Kinder lebten in übervölkerten Wohnungen 
8,5 °/o, von Miethern mit 1 Kinde 10,5 °/o, von Miethern mit 2 Kindern 
17,4% u. s. w., von Miethern mit 7 und mehr Kindern 52,4%. 
Neben der Armuth macht sich als Ursache der Uebervölkerung die 
grosse Wohnungsnoth geltend; es fehlt an zugleich geräumigen 
und billigen Wohnungen, ja an Wohnungen überhaupt. Dieser Um¬ 
stand führt dazu, dass viele einzelne Personen als Schlafgänger in 
Arbeiterfamilien Aufnahme finden, in sittlicher Beziehung ein ernst¬ 
licher Uebelstand. 

Sind nun die Wohnungen des Arbeiterstandes in Christiania in 
hohem, beunruhigendem Grade übervölkert, so ist dies noch nicht 
ihr grösster Uebelstand. In grosser Zahl sind sie zugleich kalt, 
dunkel, feucht. Nicht nur die zahlreichen älteren Holz- und 
Fachwerkbauten, sondern auch die meisten der neueren Mauerhäuser 
werden schlecht in Stand gehalten; die letzteren vielfach von Grund 
auf unsolide aufgeführt („eine halbe Fuhre Kalk für ein Haus von 
drei Stockwerken“) — mit feuchtem Holz, mit ungenügender Füllung 
der Wände und Dichtung der Thtiren und Fenster. Die Höhe der 
Zimmer beträgt in den älteren Häusern oft kaum 2m; oft liegen 
die Fenster, zumal der Küchen, an sich zu klein, unter offenen 
Treppen und Gängen u. s. w., wodurch Belichtung und Lüftung un¬ 
genügend werden. — Fast alle Kellerwohnungen in Christiania 
sind theils wegen Feuchtigkeit, theils aus anderen Gründen gesund¬ 
heitsgefährlich. Feuchtigkeit fand sich auch in vielen anderen 
Wohnungen. 

Mit Rücksicht auf diese Uebelstände und die ganze Bauart wurden 
im Ganzen 408 Häuser untersucht; von diesen waren 88 = 21,5 % 
so äusserst schlecht, dass sie nicht mehr durch Reparaturen in Stand 
scu setzen schienen („3. Klasse“); 44,6 % der Häuser waren, wenigstens 
in ihrem jetzigen Zustande, als schlecht zu bezeichnen („2. Klasse“); 
nur ein Drittel konnte als einigermaassen und zwar nur verhältniss- 
mässig gut bezeichnet werden („1. Klasse). 20 % der Häuser bestehen 
aus Fachwerk mit Mauern von der Dicke eines halben Steines (!), 14 % 
waren nur Bretterhäuser! — Werden die einzelnen Wohnungen 
dieser Häuser klassificirt, so finden sich einzelne „unbewohnbare“ und 
„schlechte“ Wohnungen auch in den Häusern der sog. ersten Klasse. 


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Der Verfasser hat im Ganzen 1780 Wohnungen ausser auf Ueber- 
völkerung auch auf andere Uebelstände untersucht und findet 296 
(oder etwa 1 /e) so elend, dass er sie als unbewohnbar bezeichnet; 

462 (oder etwa 1 U) sind schlecht zu nennen. Verfasser giebt in 
einer Tabelle eine Auslese von Protokollen über diese Wohnungen, 
und man wird nach der Tabelle nur in wenigen Fällen einen Zweifel 
über die schlechte Beschaffenheit der Wohnungen haben. 

Als wesentliche Ursache dieser Uebelstände wird von dem Verfasser 
wieder die Wohnungsnoth, der Mangel an Concurrenz angeführt; die 
Hausbesitzer können Alles vermiethen, das Schlechteste wie das Beste. 

Was die Höhe der Miethen anlangt, so zahlen die meisten 
Arbeiter nicht mehr, als ihren Einnahmen etwa entspricht, also nicht 
mehr als etwa V# der Einnahmen. Wichtiger ist, dass die Miethe für 
eine einigermaassen gute und geräumige Wohnung für viele Arbeiter 
zu hoch ist. Es ist schwer, eine einigermaassen gute Wohnung von 
IStube nebst eigener Küche für weniger als 13 Kronen (1 Krone 
= 1 Mk. 11 Pfg.) monatlich zu bekommen, und eine solche Miethe 
ist für viele Arbeiter in Christiania schwer zu erschwingen. Wohnungen 
von 2 Stuben nebst Küche (für 18—22 Kronen) können nur die best- ** 
gestellten Arbeiter nehmen. Professor Holst nimmt aus mehreren 
Gründen an, dass die Miethen bedeutend niedriger sein könnten, wenn 
Häuser dieser Art von Kapitalisten aufgeführt würden, die sich mit 
billiger Verzinsung begnügten. 

Der Verfasser theilt mit, dass die Stadt Christiania wahrscheinlich 
versuchen wird, neue Consortien für den Bau von Arbeiterwohnhäusern 
in’s Leben zu rufen, sowie auch selbst solche Häuser zu bauen. Ver- 
muthlich sollen auch einige Häuser für einzelne Personen gebaut 
werden, um dem Schlafgänger-Wesen Einhalt zu thun. Sodann aber soll 
eine regelmässige Ueberwachung der Miethwohnungen eingerichtet werden. 

• Verfasser verspricht sich weniger davon, „überfüllte“ Wohnungen 
räumen zu lassen. Vielmehr soll die Ueberwachung im Besondern auf 
die Herbeiführung nöthiger Reparaturen und Abstellung hygienischer 
Schäden gerichtet sein. Auch die Verhältnisse zwischen Angebot und 
Nachfrage, die Ueberfüllung, die Miethpreise sollen hiedurch, auf dem 
Wege regelmässiger wohnungs-statistischer Berichte, in der Oeffentlich- 
keit bekannt werden. Gerade auf diese stetigen Bekanntmachungen 
legt der Verfasser grossen Werth; es werden dann die Versuche zur 
Abhülfe, die Fortschritte nicht ausbleiben. Wolffberg. 

Seraflni, Ueber die Appert’schen durchlöcherten Scheiben als Lüftnngs- 
mittel. (Archiv für Hygiene Bd. XXVI, 4. Heft, S. 329—369.) 

Von den vielen mehr oder minder unnützen und oft langwierigen, 
wenn nicht geradezu schädlichen Mitteln, die dazu erfunden wurden, 
um in geschlossenen und bewohnten Räumen den natürlichen Luft- 


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Wechsel zu begünstigen, in denen manchmal ans technischen und sehr 
oft ans ökonomischen Gründen die Anbringung guter künstlicher Ven¬ 
tilation svorrichtungen entweder nicht leicht oder unmöglich ist, beginnen 
die Appert* sehen durchlöcherten Scheiben auch bei uns einem gewissen 
Wohlwollen des Publicums und der Techniker zu begegnen. 

Diese nicht durchsichtigen, nur durchscheinenden Scheiben sind 
3,5 mm dick und haben 3000 oder 5000 Löcher per Quadratmeter 
je nachdem die Löcher einen Durchmesser von 3 oder 4 mm in der 
kleinen Oeffnung, resp. von 6 oder 8 in der grösseren besitzen. Die 
grössere Oeffnung muss immer gegen das Innere gewendet sein. — 
Die Scheibe muss am oberen Theile des Fensters bei einer Höhe von 
• wenigstens 2,50 m vom Fussboden angebracht sein. 

Der Schluss, den Verfasser aus seinen zahlreichen Untersuchungen 
zieht, lautet: Die Appert’sehen Scheiben können nur in jenen Localen 
ein wirksames Hülfsmittel der natürlichen Ventilation bieten, in welchen 
mittels einer Ofenröhre oder irgend eines anderen Weges die Aspiration 
gleichzeitig functionirt, und wo die Bewohner über einen grossen 
Kubikinhalt verfügen, was leicht in Privatwohnungen vorkommt; in 
Ermangelung etwas Besseren kann man in ähnlichen Fällen sie aller¬ 
dings in den oberen Theilen der Fenster anrathen, aber nur daun, 
wenn diese den grössten Theil des Lichtes direct vom Himmelsgewölbe 
empfangen. In den Fällen dicht belegter Wohnungen dagegen können 
dieselben nicht wirksam sein, weil sie in Folge der Luftströmungen 
unerträglich werden und gleichzeitig auch wegen ihrer grossen Ober¬ 
fläche zur Verminderung des Lichtes beitragen; sie müssen desshalb 
für solche Wohnungen bei Seite gestellt werden. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

The Ventilation of hospitals and the tre&tment of infeoted air. (The 
Lancet Nr. 3741.) 

Von allen Ventilationsmethoden ist das Propulsions-System weitaus 
am besten, da nur bei diesem System die Zuführung einer guten, 
reinen Luft gesichert werden kann. Die eintretende Luft muss ge¬ 
reinigt werden, bevor sie in die bewohnten Räume gelangt, und diese 
Reinigung wird zweckmässig durch feuchte Kokosnussfasern bewirkt, 
gleichzeitig wird hierdurch der Luft die nöthige Feuchtigkeit zugeführt. 
Die Fasern sind in der Luftkammer senkrecht ausgespannt, und zwar 
so dicht, dass sie sich gegenseitig berühren; durch horizontale Kupfer¬ 
drähte werden sie in ihrer Lage festgehalten. Auch die austretende 
Luft soll gereinigt werden und auch hierzu eignen sich Kokosnuss- 
fa8em, die mit einer schwachen Carbolsäurelösung befeuchtet werden, 
am besten. Hierdurch soll es möglich sein, alle infectiösen Keime aus 
der Luft zu entfernen, was auf andere Weise, z. B. durch Hitze, nicht 
gelingt Pröbsting. 


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F. Gillert, Welchen wissenschaftlichen Werth haben die Resultate der 
.Kohlensäure - Messungen nach der Methode von Dr. mecL Wolpert. 
(Zeitschr. für Hygiene und Infectionskrankheiten Bd. XXI, Heft 2, S. 282 
bis 287). 

Der Wolpert’sehe Apparat besteht aus einem Glascylinder mit 
doppelter Scala; eine derselben zeigt Kubikcentimeter, die andere Luft¬ 
reinheitsgrade an. In dem Cylinder lässt sich ein Kolben mit Dichtungs¬ 
ring aus grauem Gummi verschieben. 

Als Mangel des Apparates erscheint, dass durch seitliches Schütteln 
des Lösungsmittels Theile desselben zwischen Kolben und Cylinder- 
wand gelangen. Diese entfärben sich natürlich viel früher und be¬ 
schleunigen die Neutralisation. Wenn man diesen Vorgang nicht in # 
Rechnung zieht, so ist der Kohlensäuregehalt ein zu hoher. Ein fernerer 
Mangel ist zuweilen ungenügender Verschluss durch den Dichtungsring. 
Auch kann der Kautschuk etwas Kohlensäure absorbiren. 

Ein Mangel der Versuchsflüssigkeit ist ihre Entfärbbarkeit durch 
Licht. Die Methode der Untersuchung hat also Mängel, wodurch die 
Resultate an ihrem wissenschaftlichen Werthe Einbusse erleiden. Für 
wissenschaftliche Untersuchungen fordert man aber einwandfreie Me¬ 
thoden und Instrumente, die jederzeit sichere Resultate liefern. Gegen¬ 
über den Resultaten der Pettenkofer’sehen Untersuchungen ergaben die 
Wolpert’sehen nicht unbeträchtliche Differenzen. 

„Kommt es darauf an, dass der momentane Kohlensäuregehalt 
eines Versammlungsraumes rasch ermittelt werden soll, wird der Apparat 
gute Dienste leisten, wenn man von einer wissenschaftlichen Genauig¬ 
keit absieht; doch muss vorausgesetzt werden, dass der Apparat tadellos 
functionirt und die Versuchslösung gut ist. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

H. Charas, Ueber Krankentransport wesen in Städten und auf dem 
flachen Lande. Monatsschrift für Gesundheitspflege. Wien 1896. Nr. 5. 

Verfasser, Chefarzt der Wiener freiwilligen Rettungs-Gesellschaft, 
giebt eine kurze Uebersicht über die Entwicklung des Krankentrans¬ 
portwesens. Den Ausgangspunkt für die Fortschritte des Kranken¬ 
transportwesens in unserem Jahrhundert sowohl für den Krieg als für 
Friedenszeiten bilden die Ideen Percy’s und Larrey’s, zweier berühmter 
Chirurgen der napoleonischen Zeit. Die Percy’sche oder französische 
Tragbahre entspricht im Grossen und Ganzen auch jetzt noch den 
Forderungen, die man an ein derartiges Transportmittel stellt. Die¬ 
selbe bildet noch heute die normalmässige Tragbahre der französischen 
Armee. Unter den zahlreich neuerdings construirten Transportmitteln 
empfiehlt Charas besonders die „Scheerentragbahre“ und die „gedeckte 
Stadttragbahre“, die jedoch nur für den Transport auf kleinere Strecken 
anwendbar sind. Für grössere Distanzen ist vielfach noch ausschliess- 


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lieh die sogenannte „Räderbahre“, ein anf einem mit zwei Rädern 
versehenen Gestell ruhende, gedeckte Tragbahre, welche mit den 
Händen in Bewegung gesetzt wird, in Gebrauch. Charas bezeichnet 
mit Recht dieses Transportmittel nicht nur als vollkommen unzweck¬ 
mässig, sondern auch als geradezu grausam und inhuman. 

Er empfiehlt, um dieses Urtheil als gerecht zu bestätigen, sich als 
gesunder Mensch nur 100 Schritte weit in einer Räderbahre trans- 
portiren zu lassen. Für den Transport auf weitere Distanzen eignet 
sich nach seiner Ansicht vor Allem der Ambulanzwagen entweder mit 
sogenannter rückwärtiger Einlagerung oder, was noch praktischer ist, 
mit seitlicher Einlagerung. Hier liegt der Verletzte oder Kranke unter 
permanenter Bewachung auf einer mittelst vier Riemen suspendirten 
Tragbahre, und es kann dem Patienten während der Fahrt jede Pflege, 
deren er bedarf, zu Theil werden. Zum Transport von mit Infections- 
krankheiten behafteten Personen dienen besondere, leicht desinficirbare 
Tragbahren und Ambulanzwagen. Letztere sind ganz ähnlich construirt, 
wie die anderen Ambulanzwagen, nur ist der ganze Innenraum des 
Wagens mit Zinkblech ausgekleidet. 

Charas wünscht vor Allem, dass die Aerzte dem Krankentrans¬ 
portwesen ein grösseres Interesse entgegenbringen möchten und weist 
nachdrücklich auf die Gefahren hin, die durch einen ungeschickten 
Transport dem Kranken oder Verletzten gebracht werden können. 

Mit demselben Recht wie Esmarch den Satz aufstellt, der erste 
Verband entscheidet das Schicksal des Verletzten, kann man nach 
Charas behaupten, der erste Transport entscheidet das Schicksal des 
Verletzten. Allerdings muss zugegeben werden, dass in letzter Zeit 
in vielen Städten, besonders unter dem Eindruck der Hamburger 
Cholera-Epidemie, vieles für den Krankentransport geschehen ist und 
wenigstens einigermaassen genügende Einrichtungen getroffen worden 
sind. Für die Sanitätsbehörden sind für die Organisation des Kranken¬ 
transportwesens nach Charas vor Allem folgende Punkte ins Auge 
zu fassen: 

1. Abschaffung aller unzweckmässigen Transportmittel, insbesondere 
der Räderbahre. 

2. Acquirirung von zweckentsprechenden Tragbahren für den Trans¬ 
port auf kürzere Distanzen und von Ambulanzwagen für den 
Transport auf weitere Strecken, und zwar Beides in grösserer 
Anzahl als für den normalen Bedarf, da auch für Massenunglück 
Vorsorge getroffen werden muss. 

8. Vertheilung der Transportmittel an in verschiedenen Punkten 
der Stadt zu errichtende Krankentransport-Stationen, in welchen 
Bespannung bereit zu halten wäre. Je eine solche Station für 
zwei bis difei an einander grenzende Bezirke würde genügen. 


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4. Bereithaltung von gutgeschultem Sanitätspersonal in genügender 
Anzahl, und zwar im Permanenzdienst. 

5. Telegraphische, oder noch besser, telephonische Verbindung der 
Krankentransport-Stationen unter einander, einerseits damit sich 
dieselben nothwendigen Falles gegenseitig ergänzen, andererseits 
aber, um dem grossen Publicum den Verkehr mit diesen Stationen 
zu erleichtern. 

6. Strengster Ausschluss des Transportes von Infectionskrankheiten 
mit diesen Transportmitteln. 

7. Mit Ausnahme dringender, unaufschiebbarer Fälle dürften Kranken¬ 
transporte nur auf Grund einer beizuhringenden ärztlichen Be¬ 
scheinigung ausgeführt werden. Bei strenger Einhaltung dieses 
letzten Punktes kann die Desinficirung des Wagens nach jedem 
Transporte, wie dies in Berlin vorgeschlagen wurde, ohne Weiteres 
entfallen. 

Charas bespricht dann noch einige specielle Arten von Kranken¬ 
transporten, so den von Geisteskranken und den Transport von Ver¬ 
letzten auf Eisenbahnen. 

Ein höchst dringendes Bedürfniss ist ferner die Organisation des 
Krankentransportes auf dem flachen Lande, wo bisher in dieser Be¬ 
ziehung so gut wie Nichts geschehen ist. Es werden vielmehr nach 
wie vor die Verletzten auf dem ersten besten Transportmittel (Leiter¬ 
wagen etc.) in die Stadt befördert. 

Charas verlangt, dass jede, auch die kleinste Gemeinde eine 
gewöhnliche Feldtragbahre und eine Tragbahre für infectiös Erkrankte 
beschaffen soll. Ausserdem soll je ein Sanitätsbezirk noch einen Am¬ 
bulanzwagen bereit halten. Bleibtreu (Köln). 

E. Vallin, Les urinoirs ä l’huile. (Revue d’Hygi&ne T. XVIIL Nr. 3.) 

Statt der Wasserspülung empfiehlt Verf. die Tränkung der Wände 
und des Bodens der Pissoirs mit Oel. Der Urin kann dann nicht 
haften und einziehen, und das Entstehen von Urin-Inkrustation wird 
somit vermieden. Das Verfahren ist schon in zahlreichen Städten ein- 
geführt und soll sich überall durchaus bewährt haben. Es ist ganz er¬ 
heblich billiger, sauberer und gesunder, da schlechte Gerüche in 
solchen Pissoirs nicht zu bemerken sind. Verf. bespricht dann ein¬ 
gehend die Erfahrungen, die in Paris und einigen anderen französischen 
Städten mit diesem Verfahren gemacht worden sind, und die sehr zu 
weiteren Versuchen auffordern. Pröbsting. 

H. Napias, La protection de la femme dans l’industrie. (Revue d'Hygi&ne 
T. XVIIL Nr. 3.) 

Verf. bespricht ganz kurz die gesetzlichen Maassnahmen in Be¬ 
ziehung auf gewerbliche Beschäftigung der Mädchen, Frauen und Wöch- 


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nerinnen in den meisten Staaten Europas und Nordamerikas. Mit 
Ausnahme von Spanien, Italien und einigen Staaten von Nordamerika 
haben alle übrigen Staaten gesetzliche Bestimmungen erlassen, freilich 
in sehr verschiedenem Umfange. Während z. B. Deutschland der 
Arbeiterin einen sehr bedeutenden gesetzlichen Schutz gewährt (Novelle 
vom 1. Juli 1891), ist in Dänemark den Frauen nur das Reinigen 
und Schmieren von laufenden Maschinen, Transmissionen u. s. w. unter¬ 
sagt. Neun grosse europäische Staaten haben eine Ruhepause für Wöch¬ 
nerinnen vorgesehen. In Deutschland und Norwegen kann sich diese 
bis auf 6 Wochen nach der Entbindung erstrecken. In Deutschland 
4 Wochen nach der Niederkunft überhaupt nicht, während der folgen¬ 
den 14 Tage nur, wenn durch das Zeugniss eines Arztes die Arbeit 
fhr zulässig erklärt wird. Die Schweiz bestimmt 8 Wochen Ruhe, 
2 Wochen vor und 6 Wochen nach der Niederkunft, alle übrigen 
Staaten haben 4 Wochen festgesetzt. Pröbsting. 

G. v. Liebig, Die Bergkrankheit. Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Ge¬ 
sundheitspflege 1896, Heft 8. 

v. Liebig bespricht in diesem Aufsatze in eingehender Weise 
die Erscheinungen der Bergkrankheit und giebt einen interessanten 
geschichtlichen Ueberblick über die Versuche, die Ursachen der Berg¬ 
krankheit wissenschaftlich zu ergründen. 

Aus der Verdünnung des Sauerstoffs der Luft und dem ver¬ 
minderten Luftdruck allein lassen sich die Erscheinungen der Krank¬ 
heit nicht erklären. Liebig sieht nun eine wesentliche Ursache der 
Bergkrankheit in der elastischen Spannung des Lungengewebes, indem 
diese relativ an Stärke zunimmt im Verhältnis, wie sich der Luftdruck 
vermindert. Ihre Verstärkung bedingt Veränderungen in der Athem- 
weise und eine Verengung der Lungenstellung. Diese wieder beein¬ 
flusst die Circulation und bewirkt eine UeberfÜllung des Venensystems, 
welche bisweilen capillare Blutungen auf Schleimhäuten hervorruft. 
Nach Liebig veranlasst das Zusammenwirken dieser Veränderungen 
vorübergehend ein Unvermögen der Athemthätigkeit, dem Blute unter 
allen Umständen eine hinreichende Menge von Sauerstoff aus der ver¬ 
dünnten Atmosphäre zuzuftihren. Der Grund, warum Anfangs befallene 
Personen sich allmählich an den verminderten Luftdruck gewöhnen, 
liegt nahe: es tritt eine neue Uebung ein, indem der Zwang der Ver¬ 
hältnisse den Einzelnen lehrt, das Maass der für die Athembewegung 
einzusetzenden Kraft unbewusst den neuen Verhältnissen anzupassen, 
bis eine mühelos unwillkürliche Führung der Athembewegung ein¬ 
getreten ist. Bleibtreu (Köln). 

Mabille, Note nur l’ivresse petrolique. (Revue d’Hygiene T. XVITI. Nr. 3.) 

Beim Auspumpen eines mit Petroleum beladenen Tank-Schiffes in 
La Rochelle zeigten sich bei zwei Arbeitern Erscheinungen, welche die 


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grösste Aehnlichkeit mit solchen bei Betrunkenen hatten. Während 
aber bei dem einen Arbeiter schon am folgenden Tage ein normaler 
Zustand wieder eingetreten war, dauerte die Erkrankung des zweiten 
drei Wochen lang, und auch hinterher blieb ein langdauernder Schwäche¬ 
zustand zurück. Die Erkrankungen waren offenbar durch Petroleum¬ 
dämpfe verursacht, da eines Festes wegen der Schiffsraum 2 Tage lang 
nicht gelüftet worden war, und die Pumpe, an welcher die Leute 
arbeiteten, sich ganz in der Nähe der Lüftungsöffhung befand. 

Pröbsting. 

Jürgensen (Kopenhagen), Hygiene der Bäckereien und der Bäoker. Verh. 
der deutschen Gesellschaft für öffenti. Gesundheitspflege zu Berlin. Beil, 
z. Hygien. Rundschau 1896. Nr. 9. 

Der Vortragende, der sich auf Reisen angelegentlichst mit dem 
Studium der Bäckereiverhältnisse beschäftigt hat, weist auf die 
grossen Mängel hin, welche in hygienischer Beziehung dem Bäckerei¬ 
betriebe anhaften und hält durchgreifende Reformen auf dem Ge¬ 
biete der Bäckereihygiene ftlr durchaus erforderlich. Die Uebelstände 
liegen zunächst in der Anlage der Bäckereien. Was zunächst die 
Bäckereien als Ganzes angeht, so büssen dieselben bei der dichten 
Bebauung der Städte immer mehr an Ausdehnung ein. Sie befinden 
sich meistens entweder in engen, auch zu anderen Zwecken benutzten 
Hofräumen oder in Kellerräumen, wo ein grosser Mangel an Luft und 
Licht herrscht. Die hygienische Bäckerei dagegen hat sich einen ge¬ 
sunden, billigeren Platz an der Peripherie der Städte zu wählen, so 
geräumig, dass freie Lage für längere Zeit gesichert ist. Neben freier 
Lage mit guter Luft und viel Licht ist es nöthig, dass die Bäckerei 
parterre und nicht im Keller liegt und ferner, dass sie ein abgrenz- 
bares und verschliessbares Ganzes bildet, welches nur vermittelst eines 
Zuganges mit der Aussenwelt in Verbindung steht und unter gewissen 
Umständen (Epidemien) von der Aussenwalt abgeschlossen werden kann. 
Bevor Vortragender die Anlage des Gebäudes bespricht, stellt er als 
leitenden Grundsatz auf, dass die Bäckerei so schwer wie möglich 
schmutzig werden kann und so leicht wie möglich rein zu machen sei. 
Dies ist bei den jetzt meistens bestehenden Einrichtungen gar nicht 
möglich, da bei dem continuirlichen Betrieb ftlr das Reinmachen keine 
Zeit bleibt, und die Bäckereien ausserordentlich wenig darauf einge¬ 
richtet sind, rein gemacht zu werden. 

Wie sich Vortragender das Gebäude selbst denkt, soll hier kurz 
angedeutet werden. Zunächst ein Abkleidelocal ftlr die Arbeiter, daran 
anschliessend ein Baderaum mit Wannen- und Brausebädern, dann ein 
Ankleideraum mit Schränken ftlr die Arbeitskleider. Dann folgt die 
eigentliche Bäckerei. Dieselbe zerfällt in 2 Hauptabtheilungen. Erstens 
ein gemeinsames Teig- und Auswirklocal mit Teigknetmaschinen und 


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Wasserreservoirs etc. Von der Decke gehen auf die Teigtröge Mehl¬ 
röhren herab von dem oberhalb gelegenen Mehlmagazin. Im Anschluss 
an diesen Hauptraum befinden sich eigene Gähr- und Kühlräume. Die 
andere Hauptabtheilung ist wieder in mehrere Abtheilungen getheilt, 
einen eigenen Vorplatz vor den Oefen und einen hinteren Raum, wo 
die Oefen liegen, und um diese herum der ganz abgeschiedene eigene 
Heizraum; von da geht das ausgebackene und ausgenommene Brot in 
das Brotmagazin. Nachzutragen ist noch, dass in der Vorhalle ein 
eigenes Speisezimmer für die Arbeiter und ein Waschraum mit dahinter 
liegendem Abtritt und Pissoir gedacht ist. Derselbe ist von der Vor¬ 
halle durch eine durchsichtige Wand geschieden. Central ist in den 
Entwurf das Hauptcomptoir gelegt, welches durch Glas nach allen Seiten 
abgeschlossen ist. Von hier aus lässt sich der ganze Betrieb über¬ 
blicken, dasselbe dient also gleichzeitig als Beobachtungsraum. 

Was nun die innere Ausstattung angeht, so soll überall das Princip 
der Glätte oder Ausglättung durchgefUhrt werden. Ueberall sollen 
glatte, dichte Flächen sein, die rund in einander übergehen ohne 
Bildung von Ecken und Ritzen. Der Fussbelag wird am besten aus 
Terrazo hergestellt. 

Vortragender empfiehlt als Heizeinrichtung die modernen Oefen 
mit äusserer (indirecter) Hinterheizung. Bei diesen wird das Mauer¬ 
werk von einem Feuer erhitzt, das hinten an der äusseren Seite der 
Oefen angezündet wird und von wo die Flamme, die erhitzte Luft und 
der Rauch durch ein System von Canälen oder Zügen streicht, welche 
innerhalb des Mauerwerkes dicht um den inneren Ofenraum ange¬ 
legt sind. 

Was nun den hygienischen Betrieb anlangt, so muss bei der all¬ 
gemeinen Betriebsweise der Bäckereien leider gesagt werden, dass auf 
hygienische Ansprüche leider bis jetzt sehr wenig Rücksicht genommen 
wird. Die Arbeitsdauer steigt oft auf 14—16 Stunden pro Tag, dabei 
viel Nachtarbeit und Sonntagsarbeit. Zudem sind die Arbeiter profes¬ 
sionellen Krankheiten ausgesetzt. Die Einathmung von Mehlstaub dis- 
ponirt für Lungenleiden, die ausstrahlende Hitze für Hautleiden und 
Allgemeinleiden, der häufige Temperaturwechsel für sog. Erkältungs¬ 
krankheiten und rheumatische Leiden, das langdauernde Stehen für 
verschiedene Deformitäten, wie PlattfÜsse, Säbelbeine. Die Abhülfe 
dieser Leiden wird nun theilweise mit der Verbesserung der Bäckerei¬ 
anlage zusammenfallen. Die Arbeitsüberbürdung lässt sich nur durch 
die Einführung von zwei besonderen Arbeiterschichten, welche sich von 
Woche zu Woche in der Nachtarbeit ablösen, erreichen. Die Aufsicht 
Über die hygienischen Einrichtungen in den Bäckereien soll einem 
Bäckereiarzt übertragen werden, der auch eine dauernde Aufsicht über 
den Gesundheitszustand des Arbeitspersonals zu führen hat und dafür 
sorgt, dass Arbeiter, die an Krätze, Tripper, Syphilis etc. leiden, nicht 


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wie bisher ruhig weiter arbeiten, sondern bis zu ihrer definitiven Heilung 
aus der Bäckerei femgehalten werden. 

Was die ökonomische Seite angeht, so glaubt Jttrgensen, dass die 
Schwierigkeiten und Kosten der Reformen nicht so bedeutend sind, 
dass sie nicht doch mit der Zeit verwirklicht werden könnten. 

Bleibtreu, Köln. 

W. Silberschmidt, Rosshaarspinnerei und Milzbrandinfeotion. Ein Bei¬ 
trag zur Milzbrandätiologie. Zeitschr. für Hygiene und Infectionskrank- 
heiten. Bd. 21. 1896. Drittes Heft. S. 455 ff. 

Verfasser studirte die in einem kleinen Orte des Cantons Zürich 
unter dem Rindvieh vorgekommenen Fälle von Milzbrand und suchte 
die Infectionsquellen derselben festzustellen. Der Verdacht wurde sehr 
bald auf eine in dem Ort gelegene Rosshaarspinnerei gelenkt, welche 
ihr Rohmaterial meistens aus Russland und Südamerika bezieht. Es 
gelang dem Verfasser, durch zwei getrennte Versuche festzustellen, dass 
das zur Untersuchung in einem sterilisirten Glase aufgefangene Roh¬ 
material der Rosshaarspinnerei (Rosshaar und Staub des Staubganges) 
vollvirulente Milzbrandbacillen enthielt. Wenn auch der stricte Beweis 
für die Unschädlichkeit des amerikanischen Rohmaterials nicht erbracht 
werden konnte, so spricht doch Manches dafür, dass das aus Russland 
importirte Rosshaar das allein inficirte ist. Da man nun wegen der 
kostspieligen Anlage nicht jeden kleinen Fabrikanten zur Anschaffung 
eines Dampfsterilisationsapparates zwingen könne, so möchte Silber¬ 
schmidt entweder dem Vorschlag von Professor Roth, eine Desinfection 
sämmtlichen importirten Rosshaares an der Schweizer Grenze vorzu¬ 
nehmen, sich anschliessen oder ein internationales Abkommen befür¬ 
worten, wonach die Sterilisation in Leipzig und Hamburg, das heisst 
an den Orten, wo der Hauptmarkt für fremde Rosshaare stattfindet, 
angeordnet wird. Bleib treu (Köln). 

The prevalence of anthrax in London. (The Lancet No. 3700.) 

Seit 1873 kamen in London 118 Fälle von Milzbrand zur Be¬ 
obachtung. In 90 Fällen waren Personen, die in Fell- und Häute¬ 
handlungen beschäftigt waren, betroffen, 5 in Schlachthäusern, 7 hatten 
sich mit Pferdehaaren oder Bürstenfabrikation befasst, 1 war in einem 
bakteriologischen Institut angestellt, während in 15 Fällen die Infections- 
quelle nicht nachzuweisen war. Sehr bemerkenswerth ist die Abnahme 
des Anthrax bei den Gerbern; während von 1873—1883 unter 87 
Fällen 12 bei Gerbern vorkamen, waren von 1883 —1893 unter 
53 Milzbranderkrankten nur 3 Gerber. 

Fast in allen Fällen waren die infectiösen Häute trockene Häute, 
nur in zwei noch überdies zweifelhaften Fällen war die Infection durch 
nasse Häute hervorgerufen. Pröbsting. 


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Freiherr von Büngern, Ueber die Hemmung der Milzbr&nd-Infeotion 
durch Friedlander’sche Bakterien im Kaninchenorganismus. Zeitschr. 
für Hygiene und Infectionskrankheiten, XVIH. Bd., 1. Heft, S. 177—208. 

Die Untersuchungen des Verfassers, welche im Institut Pasteur in 
Paris unter Leitung von Metschnikoff angestellt wurden, bestätigten die 
schon früher öfters constatirte Hemmungswirkung, welche Friedländer’sehe 
Bakterien auf den Ablauf der Milzbrand-Infection im Kaninchenorganismus 
hervorrufen. 

Wenn die Milzbrand-Infection sich unter dem Einflüsse der Fried¬ 
länder 1 sehen Kapselbakterien nicht verallgemeinert, so werden die 
Milzbrandbacillen an der Inoculationsstelle von Phagocyten aufge¬ 
nommen und in denselben zerstört. • 

Die hemmende Wirkung von sterilisirten Kapselbacillenculturen 
auf Milzbrand ist eine geringere als die der lebenden Bakterien. Es 
ist wahrscheinlich, dass die Hemmnng der Milzbrand-Infection durch 
die Friedländer’sehen Bakterien auf die in denselben enthaltenen Sub¬ 
stanzen durch eine Einwirkung auf die Leukocyten zu Stande kommt. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

Dr. Wegner, Qesundheitspolizeiliohe Maassregeln gegen Bleivergiftung. 
Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1896, Heft 3. 

Der Verfasser hat als Knappschaftsarzt in Clausthal reichlich Ge¬ 
legenheit gehabt, sich mit der Frage der Blei-Indoxicationen zu be¬ 
schäftigen, und gelangt auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen 
und Literaturstudien zu folgenden gesundheitspolizeilich zu stellenden 
Forderungen: 

1. In Bleihütten muss grosses Gewicht auf das Vorhandensein von 
Luft und Licht gelegt werden. 

2. Ueber allen Oeflhungen der Oefen in Bleihütten müssen Blech¬ 
hauben angebracht werden, welche mit der Ofenesse oder dem 
Luftschachte in Verbindung stehen und als Aspiratoren für die 
aus den Oeflhungen der Oefen austretenden Bleidämpfe und Blei¬ 
staub dienen. 

3. Es darf nicht nur bei dem Gebote, bei allen stark staubenden 
Arbeiten Respiratoren zu tragen, bleiben, sondern es muss auch 
streng darauf gesehen werden, dass es auch wirklich geschieht. 

4. Ohne genügende Flugstaubkammern sollte jeder Bleihütte der 
Betrieb polizeilich untersagt werden. 

5. Die Ofenessen der Bleihütten sollen höher als 50 m, wobei die 
maximale Zugkraft bereits erreicht ist, gemacht werden, damit 
der Hüttenrauch möglichst diflundiren kann. 

6. Das Errichten von Badeanstalten soll für die Verwaltungen der 
Bleihütten obligatorisch gemacht werden. 

7. Das Rauchen und Kauen von Tabak ist zu verbieten, weil die 


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Arbeiter dabei verleitet werden, mit den schmutzigen Fingern 
an die tippen und in den Mund zu fahren. 

8. FUr die Bleischmelzhtitten muss ein ähnlicher Erlass gegeben 
werden, wie der für die Bleizucker- und Bleifarbenfabriken be¬ 
stehende vom 12. April 1886. 

9. Zu den Obliegenheiten des Kreisphysicus soll es gehören, die 
Bleifabriken zu inspiciren und den Gesundheitszustand der Ar¬ 
beiter zu beaufsichtigen. 

10. Kein Arbeiter soll in Bleifabriken angenommen werden, der 
nicht ein Attest seiner körperlichen Fähigkeit vom Kreisphysicus 
vorzeigt. 

11* Die gesetzlich vorgeschriebene monatliche Untersuchung der Ar¬ 
beiter in Bleifarben und Bleizuckerfabriken ist ohne Nutzen. 

12. Kinder bleikranker Eltern sollen als Arbeiter in Bleifabriken 
nicht aufgenommen werden. 

18. Es ist ungerechtfertigt, jugendliche Arbeiter und Frauen voll¬ 
ständig von der Bleiarbeit auszuschliessen. 

14. In allen Fällen der Einrichtung einer bleiernen Wasserleitung 
soll genau das Verhalten des Wassers zum Blei vorher geprüft 
und die Resultate dem consumirenden Publicum mitgetheilt werden. 

15. Die Arbeiter müssen über die Gefahren der Bleiarbeit aufgeklärt 
werden durch populär geschriebene Bücher, welche ihnen beim 
Eintritt in die Bleifabrik überreicht werden. 

16. Der Kassenarzt soll vielleicht zweimal im Jahre den Arbeitern 
eine Instructionsstunde geben und dieselben über die Gefahren 
und Prophylaxe der Bleivergiftungen belehren. 

Bleibtreu (Köln). 

Kobert, Ueber den jetzigen Stand der Frage nach den pharmako¬ 
logischen Wirkungen des Kupfers. Aus dem pharmakologischen Institut 

der Universität Dorpat. (Deutsche med. Wocheuschr. 1895, Nr. 1 u. 3.) 
Filehne, Beiträge zur Lehre von der acuten und chronischen Kupfer¬ 
vergiftung. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Breslau. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 19.) 

Die Kenntniss von der Wirksamkeit der Kupfersalze bei ver¬ 
schiedenen Krankheiten reicht sehr weit zurück. Kupfersalze wurden 
schon vor unserer Zeitrechnung als Aetzmittel und sogen. Adstringentien 
richtig angewandt, später auch als Desinfectionsmittel. Eine ans 
Märchenhafte grenzende Wirkung äussert das Kupfer auf gewisse 
Pflanzen. Es vernichtet nämlich in einer Verdünnung vön 
1:1000 000 000 das Wachsthum von Algen. Das Kupfer wirkt 
hierbei wohl nur als Reizmittel, welches einen zum Tode der Pflanzen 
ftlhrenden abnormen Stoffwechsel einleitet. 

In ähnlicher Weise wirksam zeigt zieh das Kupfer gegen Pilze, 
besonders Befallpilze der Nutzpflanzen, wie der Mehlthau der 


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Weinstöcke und der Pilz der Kartoffelkrankbeit. Dabei 
schädigt es nicht etwa die Nutzpflanzen, sondern ist für dieselben (be¬ 
sonders für Wein und Kartoffeln) geradezu ein Stärkungsmittel, 
bei einzelnen sogar ein normaler Bestandteil, wie z. B. bei Getreide¬ 
arten etc. Auch für gewisse Thier e gehört Kupfer zu den normalen 
Körperbestandtheilen, indem es hier in fester organischer farbiger 
Bindung, und zwar theils als Federfarbstoff, theils als Blut¬ 
farbstoff auftritt. Als ersterer hauptsächlich als scharlachrotes 
Turacin in den rothen Federn gewisser Vögel, als letzterer als 
Hämocyanin im Blute verschiedener Vertreter der Familien der 
Mollusken, Anneliden, Crustaceen und Tracheaten. 

Auch bei den höher stehenden Thieren, so z. B. bei vielen Haus¬ 
tieren, findet man nicht regelmässig, aber doch oft Spuren von Kupfer. 
Selbst in den Organen von Menschen, welche kein Kupfer arznei¬ 
lich eingenommen hatten, ist schon zu wiederholten Malen Kupfer 
gefunden worden, wofür der Kupfeigehalt der Nahrung als Ursache 
anzusprechen ist. 

Nach diesen Erwägungen fordert Kobert zur Verwendung der 
Kupferpräparate bei bestimmten Krankheiten auf, und zwar speciell 
zur Verwendung des Kupferhämol’s, einer Verbindung von Kupfer 
und Hämoglobin (Blutfarbstoff), welche vom Darmkanal, ohne irgend 
welche Verdauungsstörungen hervorzurufen, resorbirt wird. 

Die Mitteilung Filehne’s bezieht sich auf Experimente, welche 
angestellt wurden, um die Wirkung des durch den Verdauungskanal 
dem Körper einverleibten Kupfers festzustellen, resp. klarzulegen, ob 
in der mit Speisen und Genussmitteln in den Organismus eingeführten 
Kupfermenge eine Gefahr für den Menschen drohe. Die Versuche 
wurden angestellt mit weinsaurem Kupferkalium und Kupfer¬ 
natrium. 

Das Kaliumdoppelsalz wird entstehen, wo Traubensaft, Most oder 
ausgegohrener Wein mit Kupfer (Messing) oder Kupfersalzen in Be¬ 
rührung kommen. Es kann entstehen, wo „gekupferte“ Trauben (wie 
oben erwähnt) zur Mostgewinnung verarbeitet werden. Filehne 
stellte also mit diesem Doppelsalz und, da Air das Natriumdoppelsalz 
hierüber auch noch keine näheren Versuche vorliegen, auch mit diesem 
eine Reihe von Versuchen an, deren Einzelheiten ich hier übergehen 
muss. Die Resultate dieser Versuche waren folgende: 

Auch in noch nicht Erbrechen erregender Gabe (bei Geschöpfen, 
die des Erbrechens fähig sind) lange Zeit durch den Mund eingeführt, 
ist das Kupferkaliumtartrat von gesundheitsgefährlicher Wirkung. 

Zum Genuss für Menschen bestimmte Lösungen von weinsauren 
Salzen, z. B. Kalium tartrat, in specie Weine, müssen vor nachträglicher 
Berührung mit Kupfer (Messing) und Kupfersalzen bewahrt werden. 
Enthält ein Wein infolge solcher Berührung in Betracht kommende 
CeatraTblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 30 


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Mengen nicht maskirten Kupfers, so ist er zu beanstanden. 
(Das maskirte Kupfer ist unbedenklich.) Es gehen aber ans 
F i 1 e h n e ’ s Beobachtungen keine Bedenken hervor gegen die Kupfer¬ 
behandlung des Weines. Vorausgesetzt wird nur, dass die Trauben 
(Beeren) vor der Kelterung von mechanisch anhaftendem Kupfersalz- 
ttberzuge gereinigt seien. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Lembke, Beitrag zur Bakterienflora des Darms. (Archiv für Hygiene 
Bd. XXVI, 4. Heft, S. 293—329.) 

Bei genauer Untersuchung von 81 Faeces gelang es dem Verfasser, 
33 verschiedene Arten von Bakterien aufzufinden. Hiervon fanden sich: 
11 Arten bei gemischter Kost, 28 bei Brotkost, 14 bei Fleischkost, 
7 bei Fettkost. Nur eine einzige Art wurde bei jeder Kostform an¬ 
getroffen. Es ist dies das Bacterium coli. Die geringe Zahl von 
constant in den Faeces gefundenen Bakterienarten lehrt, dass es nur 
wenig obligate Darmbakterien geben kann. Die Reihe der facultativen 
Darmbakterien ist sehr gross. Es findet eine stetige Aenderung der 
Bakterienflora des Darmes statt, welche durch Aenderung der Nahrung 
hervorgerufen wird. Brotkost und Fleischkost haben die von einander 
abweichendste Bakterienflora. Dr. Mastbaum (Köln). 

Ueber Desinfection des Darmkanals. Untersuchungen von Dr. Paolo 
Casoiani. Annali dTgiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli. Vol. VT, 
fase. I. 1896. 

Die Flora des Darmes ist reich an Zahl; ihre Verschiedenheit der 
Species ist klein. Escherich stellte die constante Gegenwart des Bact. 
lactis aerogenes im oberen Darmtractus und des Bact. coli im unteren 
Theile desselben fest. Gessner (Arch. f. Hyg. vol. IX) fand im Dünn¬ 
darm 7 Arten; Macfadyen, Nencki und Sieber (Baumgarten 1891, 552) 
fanden 8 Arten bei Fleischnahrung und 7 bei einer Ernährung mit 
Erbsenpuree. Vignal beschreibt 10 Species von Mikroorganismen in 
den Faeces, von denen er 8 auch in der Mundhöhle vorfand. Zumpf 
(Arch. des Sciences biol. vol. I, 1892, p. 499) fand ausser dem Bact. 
coli commune Mischungen von Kokken und isolirte einen noch unbe¬ 
kannten Bacillus. Jakowski beschrieb ausser den bisher bekannten 
zwei neue, noch nicht dargestellte Arten: einen Diplococcus albus in- 
testinorum und einen Staphylococcus rosaceus. Brotzu fand bei Hunden 
ausser dem Bact. coli und einem dem Bact. typhi ähnlichen nur den 
Staphylococcus liqu. ilei und das Bact. liqu. ilei. Fermi ist der An¬ 
sicht, dass die ständige Flora des menschlichen Darmes fast ausschliess¬ 
lich von Arten des Coli commune und dessen Varietäten dargestellt 
werde. Andere Arten, die man häufig im Darm trifft, gehören nach 
ihm der fluctuirenden Flora an. 

In mehr als 300 angelegten Culturen erhielt nun Casciani bei 
gesunden Individuen, die eine unter physiologischen Verhältnissen be- 


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Endliche Darmschleimhaut besassen, von letzterer fast immer nur 
Culturen des Coli commune und eines dem Bact. typhi ähnlichen 
Bacillus. 

Aus seinen angestellten Untersuchungen zieht Casciani folgende 
Schlüsse: 

1. Bei gesunden Personen und derselben Lebensweise ergiebt der 
Bakteriengehalt des Darmes bei demselben Individuum in den 
Proben bedeutende Schwankungen. Diese Schwankungen sind 
noch stärker zwischen verschiedenen Personen (von 7600 auf 
32 400). 

2. Das Mittel des Bakteriengehaltes bei Gesunden schwankt zwischen 
12 200 und 23 400; in jedem Milligramm Kothes finden sich durch¬ 
schnittlich 16000 Mikroorganismen. 

3. Die Nahrung beeinflusst die Zahl der Darmbakterien. Die Zahl 
der Mikroorganismen der Faeces ist die geringste bei Milchdiät, 
die grösste bei der Maisnahrung. 

4. Die Zahl der Mikroorganismen der Fäkalien schwankt nach dem 
Zustande der Gesundheit und der Krankheit, auch in den ver¬ 
schiedenen Krankheiten. Am geringsten ist sie bei Verstopfung, 
am höchsten bei Diarrhöe. Die halbflüssigen Stuhle haben mehr 
Mikroorganismen, als die weichen oder festen. 

5. Salol, Benzonaphthol, Naphthol, Resorcin und Kohle sind nicht 
im Stande, eine Asepsis des Darmkanals herbeizuführen, doch 
vermindert sich unter der Einwirkung von Kohle, Salol und 
Naphthol der Mikrobengehalt des Darmkanals in merklicher 
Weise. 

6. Der Gebrauch eines abführenden Mineralwassers (Wasser von 
Montecatini) reducirt den Bakteriengehalt des Darmes und schwächt 
die Schädlichkeit der Zersetzungsprodukte von Harn und Fäkalien 
für den menschlichen Körper erheblich ab. 

Der Organismus, sagt der Verfasser zum Schlüsse, ist so sehr 
bedroht von den Giftproducten des Darmes, dass der natürliche Tod 
eintritt in Folge einer Reihe kleiner Fehler, die mit den Jahren sich 
summiren, und die in Processen der Putrefaction oder in Alterationen 
des thierischen Chemismus bestehen. Es genügt, diese Idee aus¬ 
zusprechen, um den vollen Werth der Hygiene der Ernährung zu ver¬ 
stehen, und danach zu streben, die schädlichen Ursachen fern zu halten 
oder die giftigen Zersetzungsprodukte weniger schädlich für den Orga¬ 
nismus werden zu lassen. Unser Leben wird um so weniger bedroht 
sein, je mehr wir es verstehen lernen, die Schädlichkeiten fern zu 
halten, welche ständig und unbemerkt dasselbe bedrohen. 

San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 


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O. Leichtenstern, Behandlung der DarmsohmarotBer. Handbuch der 
speciellen Therapie innerer Krankheiten von Penzoldt und Stintzing. Verl, 
von G. Fischer, Jena. IV. Bd. S. 618 f. 

In dem Penzöldt-Stintzing*sehen Handbuch für specielle Therapie 
innerer Krankheiten ist jüngst die „Behandlung der Dannschmarotzer" 
aus der Feder von Professor Leichtenstern erschienen. Dieser Aufsatz 
enthält viel Neues und von der gewöhnlichen Darstellungsweise Ab¬ 
weichendes. Abgesehen von den ausschliesslich Aerzte interessirenden, 
rein therapeutischen Angaben, auf welche in diesem Referate nicht 
näher eingegangen werden soll, bietet die Darstellung manches in 
hygienischer und prophylaktischer Hinsicht Wissens¬ 
werth e, wodurch eine Besprechung an dieser Stelle berechtigt er¬ 
scheinen muss. Die Wahl der Herausgeber des Handbuches, die 
Bearbeitung dieses Kapitels Professor Leichtenstern zu übertragen, 
muss mit Rücksicht auf die ausgedehnten Erfahrungen und bahn¬ 
brechenden Arbeiten dieses Forschers auf dem Gebiete der Helmin¬ 
thologie als eine Überaus glückliche betrachtet werden. In dem ersten 
Kapitel Über parasitäre Protozoen weist Leichtenstern, gestutzt auf 
Untersuchungen von Quincke und Roos, darauf hin, dass die In¬ 
fusorien und Flagellaten, die für gewöhnlich harmlose Darm¬ 
parasiten sind, besonders bei krankhaften Zuständen des Darmes sehr 
günstige Entwicklungsbedingungen finden und unter Umständen eine 
hartnäckige Enteritis (Infusoriendiarrhöe) veranlassen können. Den 
Beweis für die Pathogenität dieser Organismen hält er jedoch nicht 
für erbracht. Besser begründet dagegen erscheint ihm die Annahme 
der Pathogenität gewisser Amöbenarten bei ulcerösen Enteritiden 
(Amöbendiarrhöe, Colitis, endemischer, insbesondere tropischer Ruhr). 

In dem folgenden Abschnitt über die Bandwürmer hebt der 
Verfasser hervor, dass neben dem Abgang der charakteristischen Band¬ 
wurmglieder der mikroskopische Nachweis der Eier in den Faeces die 
Diagnose stellen lasse. Dieser mikroskopische Nachweis gelingt bei 
Taenia saginata und Bothriocephalus latus immer, meist schon im ersten 
Ausstrichpräparat; bei Taenia solium können die Eier dagegen einmal 
fehlen. Es hängt dies mit der Art der Abstossung der Glieder zu¬ 
sammen, die bei den ersteren einzeln und continuirlich erfolgt, dagegen 
bei der letzteren in grösseren Gliederketten und Zeitintervallen. Die 
Differentialdiagnose zwischen Taenia solium und Taenia saginata aus 
der Form der Eier lässt sich nur auf mikrometrischem Wege stellen 
und kommt praktisch nicht in Betracht; dagegen gelingt die Diagnose 
von Bothriocephalus aus der charakteristischen Gestalt der Eier auf den 
ersten Blick. Die praktisch oft wichtige Feststellung, ob Taenia solium 
oder saginata vorliegt, ist also nur und zwar sehr leicht aus den ab¬ 
gegangenen Gliedern zu ermöglichen. 

Nach einem kurzen Hinweis auf die verschiedenen und mannig- 


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fachen Krankheitserscheinungen, die durch Bandwürmer unter Umständen 
hervorgerufen werden können, geht Leichtenstern etwas näher auf die 
zuerst von Reyher nachgewiesenen, allerdings nur selten vorkommenden, 
durch Bothriocephalus latus veranlassten schweren progressiven, eventuell 
letalen Anämien ein, die nach Abtreibung des Wurmes zu überraschend 
schneller Abheilung gelangen. Unter den verschiedenen Hypothesen 
hat auch für Leichtenstern die von Reyher und besonders von Schapiro 
ausgesprochene Annahme, dass der Grubenkopf ein Gift producirt, 
welches vom Darm aus resorbirt, einen deletären Einfluss auf die Zu¬ 
sammensetzung des Blutes, insbesondere auf die Erythrocyten, vielleicht 
auch auf die blutbereitenden Organe ausübt, die meiste Wahrscheinlich¬ 
keit für sich. Die Hypothese, dass nur kranke Bothriocephalen das 
Gift bereiten, hält Leichtenstern ebensowenig wie die Annahme einer 
individuellen Disposition des erkrankten Individuums für haltbar und 
glaubt, dass sich die Thatsacbe, dass der Bothriocephalus latus nur in 
seltenen Fällen diese schweren Anämien hervorruft, während oft die 
Träger ausserordentlich zahlreicher Bothriocephalen ihr normales Befinden 
nnd Aussehen beibehalten, nur durch die Annahme erklären lasse, dass 
es unter .den Bothriocephalen einzelne giebt, welche giftig sind, d. h. 
ein Gift bereiten, das, in den Körper des Wirthes aufgenommen, eine 
schwere Anämie hervorruft, und führt als Analogon die Vergiftungen 
durch Miesmuscheln an. Dieselben sind auch zu gewissen Zeiten an 
gewissen Orten giftig aus bisher vollständig unaufgeklärten Gründen. 

Welchen Werth die mikroskopische Faecesuntersuchung ira Allge¬ 
meinen hat, davon hat sich Leichtenstern oft überzeugen können, indem 
durch dieselbe oft schwere Anämien als durch Helminthen bedingt er¬ 
kannt werden, die mit Abtreibung der Würmer schnell zur Heilung 
gelangten. 

Prophylaktisch schützt man sich vor Bandwurm: durch Vermeidung 
des Genusses von rohem Schweinefleisch und Schweinespeck, um der 
Taenia solium, des Genusses von rohem oder halbgekochtem Rindfleisch, 
um der Saginata, des Genusses von rohen oder zu schwach geräucherten 
Fischen (Lachs, Hecht, Quappe), um dem Bothriocephalus zu entgehen. 
Interessant ist der Hinweis, dass seit der staatlichen Beaufsichtigung 
der Schweineschlächtereien und der gesetzlichen Fleischschau die Häufig¬ 
keit der Taenia solium in ganz Deutschland bedeutend abgenommen 
hat. Aehnlich günstig lauten die Berichte aus einigen andern Ländern. 
Die Taenia saginata dagegen ist der „mikroskopischen Fleischschau“ 
sehr schwer zugänglich und ist deshalb die sanitätspolizeiliche Controle 
nicht so leicht zu ermöglichen. 

Was die eigentliche Bandwurmkur angeht, so steht Leichtenstern 
auf dem Standpunkt, dass alle zu strengen und eingreifenden Vorkuren 
zu verwerfen sind; dagegen unterliegt es für ihn keinem Zweifel, dass 
wir durch eine der Abtreibung vorhergehende kräftige Darmreinigung 
die Aussicht auf den Erfolg erheblich erhöhen. 


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Nach einer sehr eingehenden und für den Arzt überaus lesens- 
werthen Besprechung der wesentlichsten vermifugen Mittel und Methoden 
und der vorzunehmenden Nachkuren, folgt noch ein kurzer Anhang 
über die Taenia nana. Die Diagnose von Taenia nana, deren 
Vorkommen in Deutschland zuerst von Leichtenstem und Mertens nach¬ 
gewiesen wurde, wird ebenfalls aus dem mikroskopischen Nachweis der 
höchst charakteristischen Eier gestellt. 

Endschieden als irrig bezeichnet Leichtenstem die allgemein ver¬ 
breitete Meinung, dass ein zurückgebliebener, vereinzelter Bandwurm¬ 
kopf schwerer abzutreiben sei, als ein Kopf mit langer Proglottiden- 
kette, der Angriffspunkt für eine Bandwurmkur ist vielmehr ausschliess¬ 
lich der Kopf. 

In dem Kapitel über Ascaris lumbricoides, dessen Diagnose 
jeder Zeit leicht aus dem mikroskopischen Nachweis der Eier in den 
Faeces gestellt werden kann, stellt Leichtenstem gegenüber den oft ins 
Blaue hinein eingeleiteten Wurmkuren die Forderung auf, dass keine 
Wurmkur gemacht werden solle, wenn nicht vorher durch die mikro¬ 
skopische Untersuchung auf Eier das Vorhandensein von Würmern 
sichergestellt sei. 

Obwohl die Ascariden im Grossen und Ganzen gutartige und harm¬ 
lose Parasiten sind, so sind doch auch Fälle von progressiver Anämie 
bei Kindern auf Ascariden zurückzufUhren, ebenso war ein schwerer 
von Leichtenstem beobachteter Fall von Enteritis durch Ascariden ver¬ 
anlasst. 

Die Wege der Invasion sind jedenfalls mannigfache und kann 
durch beschmutzte Hände, den Genuss von ungekochten vegetabilischen 
Nahrungsmitteln und durch unreines Trinkwasser die Uebertragung 
vermittelt werden. Jedenfalls ist der schützende Einfluss der Reinlich- 
keit wohl zu beherzigen. Am Schlüsse des Abschnittes über Ascariden 
wird besonders darauf hingewiesen, dass es Grassi, Lutz und Epstein 
gelungen ist, durch Uebertragungsversuche reifer Ascarideneier den 
Beweis zu liefern, dass die Uebertragung eine directe ist und ohne 
Zwischenwirth erfolgt. 

Im Gegensatz zu allen anderen Darmentozoen stehen die Maden 
oder Springwürmer, indem die Diagnose der Oxyuriasis ausschliesslich 
, aus dem Abgang von Würmern gestellt wird, während die Untersuchung 
der Faeces auf Eier, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, vollständig 
im Stich lässt. Leichtenstem bezeichnet in Uebereinstimmung mit 
Heisig, Wunderlich, Szydlowsky und Grassi die off; in den Lehrbüchern 
angeführte Ansicht, dass es eine spielende Sache sei, Eier von Oxyuren 
in den Faeces nachzuweisen, als durchaus irrig. „Die Oxyurisweibchen 
legen, solange sie im Darmcanal weilen und leben, dortselbst keine 
Eier; die Entleerung des eierstrotzenden Inhalts der Fruchthälter findet 
erst statt, nachdem die Thiere ihren Wohnort, den Darm, verlassen 


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haben. Die Aaswanderung ist ein Act der Fortpflanzung. Findet man 
ausnahmsweise einmal Oxyureneier in den Faeces, so enthalten diese 
Faeces stets gleichzeitig auch abgestorbene Weibchen in mehr oder 
minder grosser Zahl. a 

Nach Zenkers Untersuchungen erfolgt die Ansteckung durch die 
directe Aufnahme der Eier per os. Die aus dem Mastdarm auswandemden 
Weibchen erregen Juckreiz, auf welchen die Kinder mit Kratzen 
reagiren. Dadurch werden die eierstrotzenden Fruchthalter zerdrückt 
und die Finger mit Eiern beladen. Bei der Unreinlichkeit der Kinder 
und der Neigung derselben, die Finger in den Mund zu führen, ist 
also die Möglichkeit der Infection leicht gegeben. Entschieden falsch 
ist die immer noch unter Aerzten verbreitete Meinung, dass in dem 
Darm hausende Oxyuren, Männchen und Weibchen, dortselbst fort¬ 
dauernd neue Nachkommen erzeugten. Die Eierlegung ausserhalb des 
Darmes, mit dem Tode des Weibchens verbunden, ist als ein gesetz- 
mässiger Lebensvorgang anzusehen. Sobald die Weibchen im Dünn¬ 
darm begattet sind, fangen sie zu wandern an, und es sind besonders 
zwei Sammelpunkte, das Coecum und der Mastdarm, wo sie bis zur voll¬ 
ständigen Eientwicklung Halt machen. Sie werden um so länger im 
Mastdarm verweilen, in je unentwickelterem Zustande sie dortselbst an¬ 
gekommen sind. 

Die Abtreibung der Oxyuren ist keine so leichte Sache, jedoch 
ist man denselben gegenüber keineswegs machtlos. Leichtenstern hält 
die Klystirbehandlung namentlich mit wurmtödtenden Mitteln auch 
prophylaktisch aus dem Grunde für ausserordentlich wichtig, weil wir 
auf diese Weise der spontanen unmerklichen Auswanderung der Thiere 
aus dem Mastdarme Vorbeugen, auf welcher die fortlaufende Neuinfec- 
tion des Wirthes und seiner Umgebung hauptsächlich beruht. 

Ausserdem empfiehlt er durch grösste Reinlichkeit, tägliches mehr¬ 
maliges Waschen der Hände, Reinigung der Nägel, Waschung der 
Aftergegend nach jeder DefÜcation die Neuinfection zu beschränken. 
Die Abtreibung der Jugendformen von Oxyuris aus dem Dünndarm ist 
weitaus schwieriger als die Auswaschung der auf der Auswanderung 
begriffenen Würmer aus dem Enddarm mittels Klystiren. Jedoch ge¬ 
lingt es bisweilen, grosse Mengen dieser Jugendformen durch geeignete 
Mittel abzutreiben. 

Der Nachweis des häufigsten aller Darmentozoen bei Erwachsenen, 
des Trichocephalusdispar ist aus dem mikroskopischen Nachweb 
der charakteristischen Eier leicht zu stellen. Nach Leichtenstern sind 
die Trichocephalen unter allen Darmparasiten am schwierigsten abzu¬ 
treiben, und räth er, besonders da dieselben meistens als vollkommen 
harmlose Schmarotzer aufzufassen sind, auf jegliche Abtreibungsversuche 
zu verzichten. Allerdings sind auch besonders von Moosbrugger Fälle 
von schwerer Enteritis und Kachexie beschrieben worden, welche 


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durch die Gegenwart vieler Hunderte von Peitschenwtirmem veranlasst 
waren. 

In dem Abschnitt Uber Ankylostoma duodenale wird zu- 
nftchst die oft angeführte Behauptung, dass die Diagnose „aus dem 
Abgang von Würmern“ gestellt wird, widerlegt. Dieser Abgang von 
Würmern findet, ganz enorm seltene Fälle abgesehen, nur auf Dar¬ 
reichung eines Vermifugums statt; auf den spontanen Abgang könnte 
man aber jahrelang warten. Zum Glück wird aber die Diagnose durch 
die höchst charakteristische Gestalt der Eier, die mit den Eiern von 
Ascariden, wie in einem weitverbreiteten Lehrbuch behauptet wird, 
auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit haben, überaus leicht gestellt. 
„Ein Blick in das Mikroskop, und die Diagnose ist fertig.“ 

Während die Ankylostomiasis in heissen Ländern weit verbreitet 
ist, sind es bei uns hauptsächlich die Ziegelarbeiter, Bergleute und 
Tunnelarbeiter, die befallen werden und sollten besonders anämische 
Patienten aus diesen Berufen als der Ankylostomiasis verdächtig unter¬ 
sucht werden. 

Durch Leichtenstern’s an Menschen angestellte Fütterungsversuche 
ist es zur Evidenz nachgewiesen, dass die in den Faeces enthaltenen 
Eier sich ausserhalb des menschlichen Körpers unter geeigneten Be¬ 
dingungen zu rhabditisförmigen Larven entwickeln, die heranwachsen und 
schliesslich sich encystiren. Gelangen diese Larven in diesem Stadium 
lebend in den menschlichen Darm, so entwickeln sie sich im Jejunum 
und obersten Heum zu fertigen, geschlechtsreifen Ankylostomen. „Die 
Uebertragung findet statt, indem die Larven, welche sich aus den im 
Freien abgesetzten Faeces entwickelt haben, von der Defäcationsstätte 
aus zunächst in SchmutzWässer, Tümpel, Wassergräben, Wasserläufe, 
Lehmwässer, feuchten Lehm, auf Graswuchs etc. gelangen. Von hier 
aus finden die Larven am häufigsten durch beschmutzte Hände oder 
direct durch umherspritzende Schmutzwässer . . . ihren Weg in den 
Mund und darauf in den Darm.“ Die von Schopf behauptete Ueber¬ 
tragung durch die Luft durch eingetrocknete und mit dem Staube auf¬ 
gewirbelte Larven wird von Leichtenstern in Abrede gestellt, da die 
eingetrockneten Larven sehr schnell zu Grunde gehen. Aus der Er¬ 
kenntnis der Lebens- und Entwicklungsgeschichte der Ankylostomen 
ergeben sich die Verhütungsmaassregeln von selbst. Als die wichtigsten 
werden angeführt, die persönliche Reinlichkeit der Arbeiter, das Ver¬ 
bot, mit schmutzigen Händen, besonders auf dem Arbeitsfelde, zu essen, 
Anlage von Abortanlagen auf den Arbeitsstätten, deren ausschliessliche 
Benutzung den Arbeitern zur strengsten Pflicht gemacht wird, um zu 
verhindern, dass Ankylostomalarven sich auf dem Arbeitsfelde einnisten, 
Beschaffung reinen und in reichlicher Menge vorhandenen Trinkwassers, 
Desinfection des Grubeninhaltes am besten mit Kalkmilch. Für den 
sichersten Weg, ein Arbeitsfeld vor der Invasion zu schützen, hält 


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Leichtenstera die Maassregel, nur allein ankylostomafreie Arbeiter an- 
-zustellen und glaubt, dass bei einigermaassen gutem Willen von Arbeit¬ 
geber und Arbeitnehmer sich diese Controle wohl durchführen Hesse. 
Allerdings ist bei dem heutigen Betriebe des Ziegeleihandwerks wenig 
Aussicht auf Realisirung dieses Vorschlags vorhanden. Jedenfalls hält 
er es auch in prophylaktischer Hinsicht für sehr wichtig, dass wir jeden 
Ankylostomakranken als solchen erkennen und die Würmer abtreiben. 

Bleibtreu (Köln). 

Kaensche, Zur Kenntniss der Krankheitserreger bei Fleischvergiftungen. 
Zeitschrift für Hygiene. Leipzig 1896. Heft 1. 

Dieser Aufsatz enthält die Beschreibung einer neuen Bacillenart, 
welche aus dem Fleische einer nothgeschlachteten Kuh in Reincultur 
gezüchtet worden war. Nach dem Genuss dieses Fleisches waren 
80 Personen nach einer Incubation von 3—10 Stunden an acutem 
Magendarmkatarrh zum Theil mit Fieber und Herpes mehr oder 
minder heftig erkrankt. Ein Todesfall kam nicht vor. Kaensche 
sieht auf Grund seiner Impf- und VerfÜtterungsversuche an Thieren 
in dem von ihm isolirten Bacillus den Erreger der erwähnten Krank¬ 
heitserscheinungen. Bleib treu (Köln). 

Rumpel, Ueber die Verwendung tuberkulösen Fleisches zu Qenuss- 
zwecken. (Archiv für Hygiene Bd. XXII, 4. Heft, S. 386—398.) 

Das Fleisch und die Organe perlsüchtiger Thiere zeigen nach 
einer grösseren Anzahl von Analysen keinen wesentlichen Unterschied 
in ihrer chemischen Zusammensetzung von dem Fleische gesunder 
Thiere. Auch die Ausnützung dieses Fleisches durch einen Hund war 
nicht verschieden. Der Nährwerth des Fleisches tuberkulöser Thiere 
ist demnach nicht schlechter als Fleisch von gesunden Thieren. Wenn 
also das Fleisch durch Abkochen unschädlich gemacht ist, könnte es 
für den menschlichen Consum als geeignet erklärt werden. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

Das Brot der italienischen Landleute. Chemische Untersuchungen von 
Dr. Romeo CastellanL Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo 
Celli Vol. VI, fase. L 1896. 

Der Weizen wird in Italien allgemein zur Brotbereitung da ver¬ 
wandt, wo das Klima seine Cultur gestattet, und wo die ländlichen 
Verhältnisse keine zu schlechten sind. 

Der türkische Weizen — der Mais — wird zur Bereitung der 
berühmten Polenta und mit Weizen vermischt zur Brotgewinnung be¬ 
nutzt. Man verwendet ihn im grössten Theile Italiens mit Ausnahme 
einiger Gebirgsgegenden von Turin und Cuneo, wo ausschliesslich 
Roggen im Gebrauch, ferner in den Landschaften von Caltanissetta, 
Girgenti, Syracus, Trapani und durch ganz Cagliari, wo man reines 


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Weizenbrot geniesst. — Die Polenta ist in Norditalien, speciell in 
Venetien, Aemilien, der Lombardei und Piemont, die einzig gebräuch¬ 
liche Zubereitungsform für den Mais; in Mittelitalien ist die Polenta 
nur mässig im Gebrauch, in Süditalien selten anzutreffen. 

Das Weizenbrot wird von den Landleuten schlecht bearbeitet, ist 
zu feucht und hält sich schlecht. 

Koggen allein oder gemischt mit Weizen kommt in vielen Ge¬ 
meinden Piemont’ s, in der Lombardei und in Aemilien zur Verwendung, 
in beschränktem Maasse in Toscana und in den Abbruzzen, sowie auf 
einigen Inseln. 

Gerste wird allein oder mit anderen Cerealien ebenso wie Hafer 
zur Brotbereitung verwandt. Während indess der Hafer nur auf die 
Umgegend von Vercelli und auf einen Theil Calabriens und Campaniens 
beschränkt bleibt, wird die Gerste fast in ganz Italien dem Brote zu¬ 
gesetzt. 

Die Hirse wurde früher, vor der Einführung des Mais, viel zur 
Brotbereitung verwandt, heutigen Tages aber wird sie nur in einem 
Theile Italiens und auch nur zur Zeit der Theuerung benutzt. 

Die Melica (eine Gebirgsgräserart) wird rein nur wenig, meist 
gemischt in Norditalien verwandt. 

Reis und die verschiedensten Leguminosen, wie Erbsen, Bohnen, 
Linsen, Lupinen und Wicken, werden mit Weizen gemischt vielfach 
zur Brotbereitung benutzt. 

Ferner werden die Kastanien in ganz Italien ausser bei der Be¬ 
reitung der Polenta oder zu Kuchen auch zum Brotbereiten (dem so 
beliebten Castagnaccio) verwandt. Auch mit Gerste, Bohnen, Lupinen 
und Eicheln werden die Kastanien zusammen zu Brot verbacken. 

Die Kartoffeln werden ebenfalls mit Cerealien zusammen in ein¬ 
zelnen Gegenden Italiens zu Brot verarbeitet, doch meist nur zur Zeit 
der Noth. 

Ebenso findet sich der Genuss von Eichelbrot nur bei den ärmsten 
Familien der Provinz Cagliari und des Südens zur Winterzeit. 

Die ländliche Bevölkerung Italiens, sagt Castellani, welche keine 
abwechselnde und kräftigende Ernährungsweise führt, müsste ein nahr¬ 
haftes, leicht verdauliches Brot besitzen; sie geniesst aber thatsächlich 
allgemein ein Brot, welches wenig nahrhaft und in einer Weise zu¬ 
bereitet ist, dass es die vielen ausnutzbaren Stoffe, die es enthält, ent¬ 
weder schwer oder gar nicht verdauen lässt. 

San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

£. Vallin, Le pain eomplet. (Revue d’Hygiöne T. XVHI. No. 1.) 

Wie in manchen anderen Ländern, so macht sich auch in Frank¬ 
reich eine lebhafte Bewegung geltend, die eine Aenderung in der Brot¬ 
bereitung herbeiftlhren will. 


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Hauptsächlich handelt es sich darum, Theile von den Abfällen, 
Kleien u. s. w., dem Mehl wieder zuzuführen. Diese Theile sind für 
die Ernährung nicht unwichtig, da sie viel stickstoffhaltigen Kleber und 
phosphorsaure Salze enthalten. So enthält ein Kilogramm Getreide 
10 g Salze, während gebeuteltes Mehl von guter Qualität nur 6 g be¬ 
sitzt. Die Salze, in erster Linie phosphorsaure Salze, sind aber für 
den Organismus ausserordentlich werthvoll, da sich aus ihnen zum 
grossen Theil die Knochen zusammensetzen, und ein Mangel an solchen 
Salzen in der Nahrung zu Störungen in der Knochenbildung führt. 

Pröbsting. 

Sagen Welte, Studien über Mehl und Brot. VIH. Ueber das Ver¬ 
schimmeln des Brotes. Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, Heft 1. 

Die Resultate seiner Untersuchungen fast Welte in folgenden 
Sätzen zusammen: 

1. Das Verschimmeln des Brotes ist immer auf eine Infection von 
Aussen zurückzuführen, die im Mehl und Sauerteig vorhandenen 
Schimmelpilze gehen beim Backen zu Grunde. 

2. Penicillium glaucum, Aspergillus nidulaus greifen das Eiweiss 
molekül des Brotes an und verwandeln es in im Wasser leicht 
lösliche N-Verbindungen, ohne jedoch den N des Brotes quanti¬ 
tativ zu verändern. Die Kohlehydrate erleiden durch das Ver¬ 
schimmeln eine erhebliche Einbusse und werden grossentheils 
in C0 9 übergeführt, woraus ein bedeutender Verlust des Brotes 
an Trockensubstanz und Nährwerth resultirt 

3. Die untersuchten drei Schimmelarten verursachten weder durch 
ihre Stoffwechselproducte noch durch ihre Sporen vom Ver¬ 
dauungskanal aus toxische Wirkung, machen aber wegen der 
widerlichen Geruchs - und Geschmacksveränderung die Brote 
unappetitlich und schwer geniessbar. 

Bleibtreu (Köln). 

33. Jungmann, Studien über Mehl und Brot. IX. Einfluss der m ensch¬ 
lichen Verdauungssäfte auf altbackenes und frisches Brot. 
Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, Heft 2. 

Jungmann untersuchte im Würzburger hygienischen Institut das 
Verhalten des frischen und altbackenen Brotes zu den Verdauungs¬ 
säften, um festzustellen, ob die Schwerverdaulichkeit des frischen Brotes 
für einige Personen veranlasst sei durch Alteration der Menge und 
Beschaffenheit der Verdauungssecrete. Es ist ihm nun nicht gelungen, 
in dem Verhalten von altem und frischem Brot zu den Verdauungs¬ 
säften Speichel, Salzsäure und Pepsin einen auffallenden Unterschied 
zu finden. Er glaubt daher die Beschwerden, die manche nach Genuss 
frischen Brotes empfinden, seien rein in mechanischen Momenten be¬ 
gründet. Frisches Brot kann, nach seiner Ansicht, rascher geschluckt 


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werden, d. h. nach kurzem Kauen, es bildet dann feste Klumpen, die, 
wenn sie auch ziemlich schnell Salzsäure annehmen und vielleicht in 
der gleichen Zeit ähnlich viel Pepton bilden wie altbackenes Brot, den¬ 
noch his zur Lösung mechanisch die Magenwände reizen, gerade wie 
halbgahre Kartoffeln etc. Bleibtreu (Köln). 

M. Grober, Die Methode des Nachweises von Mutterkorn in Mehl und 

Brot. Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, Heft 8—4. 

Während man bisher zum Nachweise des Mutterkorns im Mehl 
sich hauptsächlich chemischer Untersuchungsmethoden (Wittstein’sehe 
und Vogel & Hoffmann’sche Methode) bediente, empfiehlt Gruber den 
Nachweis auf mikroskopischem Wege, der ausserdem den Vortheil 
hat, nicht nur ftlr Mehl, sondern auch für Brot anwendbar zu sein. 
Gruber verfährt zum mikroskopischen Nachweis so, dass er einige 
Brotkrümelchen in einigen Tropfen Wasser auf dem Objectträger ver¬ 
theilt, ein Deckglas auflegt und über der Flamme bis zum Aufkochen 
erhitzt. Alsbald ist die Stärke genügend verquollen, um eine unge¬ 
störte Betrachtung der Formelemente zu gestatten. Die Trümmer des 
Mutterkorns sind so charakteristisch gebaut, dass sie mit keinem an¬ 
deren Gebilde, das sich im Roggenmehle findet, verwechselt werden 
können. Gruber hat in einer grösseren Anzahl von Mischungen mit 
bekanntem Gehalt an Mutterkorn mit Hülfe eines kleinen Löffelchens 
annähernd gleiche Mengen des Gemisches zur Herstellung der Präparate 
entnommen und bei einem Gehalte von 5, 4, 8 °/o in jedem Gesichts¬ 
felde zahlreiche Trümmer, bei einem Gehalte von 2 °/o in jedem Prä¬ 
parat 20—80 Mutterkornpartikelchen, bei 1 °/o 10—15, bei 0,5 °/o 
5—6, bei 0,2 °/o 3—4, bei 0,1 °/o 1—2 und erst bei 0,05 nicht mehr 
in jedem Präparat, sondern durchschnittlich erst in jedem zweiten 
Präparate sicher Bruchstücke des Mutterkorns gefunden. 

Bleib treu (Köln). 

J. Schöfer, Ueber Sandplattenfilter. Monatsschrift für Gesundheitspflege. 

Wien 1896. Nr. 3. 

Die Thatsache, dass bei der Sandfiltration nur die oberste Schicht 
des Feinsandes sammt den in eine Tiefe von 2—3 cm vordringenden 
Schmutzstoffen das filtrirende Element bilden und die tieferen 
Schichten nur als Stütze für die oberste dienen, brachte den Director 
der Gas- und Wasserwerke in Worms, F. Fischer, auf die Idee, die 
filtrirende Feinsandschicht zu verringern und in eine starre Form zu 
bringen. Es gelang ihm dies durch Zusammenschmelzen des Fein¬ 
sandes mit einem leicht schmelzbaren Silikate, und er erzeugte auf diese 
Weise quadratische Platten aus künstlichem Sandstein von 100 /ioo cm 
Umfang und 10 cm Dicke. Je zwei derselben verband er am Rande 
mittelst Verschraubungen und einer zwischengelagerten, 8 cm breiten 


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und 2 cm dicken Cementschicht, so dass zwischen ihnen ein Hohlranm 
entstand, der seinerseits durch ein an einer Schmalseite eingedichtetes 
kurzes Metallrohr nach aussen mttndete. Seit etwa einem Jahre ist 
es gelungen, die Filterelemente aus einem einzigen Stücke herzustellen 
und zu brennen; die bisherigen lästigen Verschraubungen und Ver¬ 
kittungen sind damit in Wegfall gekommen. Die Filterelemente werden 
mittelst ihres Ausflussrohres, eines neben dem anderen, in vertikaler 
Stellung mit dem Wassersammelrohre verbunden, und dadurch gelingt 
es, auf kleiner Grundfläche eine sehr viel grössere Filterfläche auf¬ 
zubauen, ja es ist möglich, je zwei Elemente auf einander aufzustellen 
und deren Hohlräume zu verbinden. 

Mit diesen Worten beschreibt Schöfer die wesentliche Einrich¬ 
tung der Sandplattenfilter. Er fasst sein Urtheil über dieselben in 
folgenden Schlusssätzen zusammen: 

1. Die Sandplattenfilter können nach den bisherigen Erfahrungen 
in Beziehung auf ihr bakterienreinigendes Vermögen den Sand- 
filtern gleichgestellt werden. Beide Systeme liefern kein keim¬ 
freies Filtrat; allein bei sorgfältigem Betriebe gelingt es, Wasser 
von geringer und hygienisch zulässiger Keimzahl zu erhalten. 

2. Das bakterienreinigende Vermögen des Sandplattenfilters ist ein 
gleichmässiges und von Dru ?kSchwankungen des Rohwassers kaum 
merklich abhängiges, auch wird die jedesmalige Reinigung nicht 
von einer nennenswerthen Steigerung des Bakteriengebaltes ge¬ 
folgt 

3. Die Anlage ist eine sehr stabile, der Betrieb sehr einfach und 
ermöglicht das leichte Auffinden von Fehlerquellen in den ein¬ 
zelnen Theilen der Anlage. 

4. Als bedeutsamen hygienischen Vorzug muss die Sterilisirbarkeit 

der ganzen Anlage mittelst strömenden Wasserdampfes betrachtet 
werden, ein Umstand, dem in Epidemiezeiten der grösste Werth 
zukommt. Bleibtreu (Köln). 

▼. Schoen, Die neuen Filteranlagen in Hamburg. Zeitschrift für Ge¬ 
sundheitspflege. Februar 1896. Nr. 2. 

v. Schoen zollt in diesem Aufsatze dem Hamburger Oberingenieur 
Andreas Meyer Worte warmer Anerkennung für die mit so grosser 
Energie zu Ende geführten Arbeiten der neuen Filteranlagen in Ham¬ 
burg. Lange hatte es gedauert, bis die Behörden die Genehmigung 
zu den Meyer’schen Plänen ertheilten. Wie schwer sich diese Ver¬ 
schleppung gerächt hat durch die plötzlich im August 1892 herein¬ 
brechende Cholera-Epidemie, deren Verbreitung ja unzweifelhaft mit 
der mangelhaften Beschaffenheit des Wassers in Zusammenhang stand, 
ist ja noch in Aller Gedächtniss. Dieses schwere Unglück war aber 
auch die Veranlassung, dass jetzt die im Herbst 1890 begonnenen 


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Arbeiten derart beschleunigt wurden, dass im Frühjahr 1893 die gross¬ 
artige und segensreiche Anlage dem Betrieb übergeben werden konnte. 

Bleibtreu (Köln). 

Drenkhahn t Heber den Verkehr mit Miloh vom sanitatopoliaeiliohen 
Standpunkt. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin etc. 1896. XI. Bd. 
Heft 1 u. 2. 

Verfasser stellt die Ergebnisse seiner sehr lesenswerthen Arbeit in 
einer Reihe von Schlusssätzen zusammen, deren wesentlicher Inhalt 
hier mitgetheilt werden soll. 

Weil die Zusammensetzung der Milch je nach den örtlichen Ver¬ 
hältnissen zu verschieden ist, so bedarf der Verkehr mit Milch für 
jeden Kreis umfangreicher Vorarbeiten; vor Allem hat sich die Behörde 
über die landwirthschaftlichen Verhältnisse des Kreises, den Nährwerth 
der bisher gelieferten Milch, sowie Über den Gesundheitszustand der 
Kühe durch einen Sachverständigen vor Erlass eines Regulativs ein¬ 
gehend in Kenntniss setzen zu lassen. Was die Fütterung angeht, so 
kann sowohl bei Weidegang als auch bei Schlempefütterung eine gute 
gehaltreiche Milch gewonnen werden. Die Forderung, nur gutes Trink¬ 
wasser in Ställen zu verwenden, hält Drenkhahn für überflüssig. Es 
folgen dann Vorschriften Über Stalleinrichtung und Reinhalten der 
Kühe. Ein grosses Gewicht wird auf die peinlichste Sauberkeit beim 
Melken gelegt, wodurch ein Durchsieben der Milch nach dem Melken 
überflüssig gemacht wird. 

Zum Auf bewahren und Transport der Milch empfehlen sich am 
meisten Gefftsse aus verzinntem Eisenblech, welche am leichtesten zu 
reinigen sind. Mit giftigen Metallen, wie Messing, Kupfer, blei¬ 
haltigen Metallen etc. darf die Milch nicht in Berührung gebracht 
werden. Eingehende Vorschriften werden sodann über die Reinigung 
der MilchgefÜsse gegeben, denen die grösste Aufmerksamkeit geschenkt 
werden muss. Der diätetische Werth der Milch kann nach Drenkhahn 
nur durch directe Beobachtung und statistische Erhebungen, nicht aber 
durch chemische Untersuchungen ermittelt werden; dagegen hält er es 
für unbedingt erforderlich, dass die Sanitätspolizei für die Marktmilch 
einen bestimmten Gehalt an Fetten, Eiweiss und Milchzucker fordert. 
Die Milchcontrole wird sehr erleichtert durch Einrichtung von Genossen¬ 
schaftsmeiereien. Milch von Kühen, welche arzneilich behandelt werden 
oder krank sind, darf nicht in den Handel gebracht werden. Sechs 
Wochen vor dem Kalben mindestens muss die Kuh trocken stehen, und 
frühestens sechs Tage nach dem Kalben darf die Milch erst wieder 
zum Verkauf gebracht werden. 

Milchproducenten, in deren Hause Diphtherie oder Blattern herr¬ 
schen, dürfen ihre Milch überhaupt nicht verkaufen; herrscht in den 
Häusern der Milcbproducenten Typhus oder Cholera, so soll die Milch 


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nur unter gewissen Vorsichtsmaassregeln zum Verkauf gebracht werden, 
derselbe soll aber auch hier bei grösserer Ausdehnung der Erkrankungen 
vollständig sistirt werden. Milch mit sogenannten Milchfehlern, blaue 
Milch und fadenziehende Milch, ist selbstverständlich vom Verkauf aus- 
zuschliessen. Das Schenken direct von der Kuh wird unverhältniss- 
mässig theuer bezahlt und kann, wenn die Kuh tuberkulös ist, auch 
gefährlich werden; es ist deshalb zu untersagen. 

Zur Milchuntersuchung auf dem Markte empfiehlt sich das Lak¬ 
todensimeter und das Laktoskop. 

Die Laktobutyrometrie ist eine durchaus unzuverlässige Fett¬ 
bestimmungsmethode und sollten zur Bestimmung des Gehaltes an Nähr¬ 
stoffen nur durchaus zuverlässige und exacte Untersuchungsmethoden 
zur Anwendung kommen. Es darf nur Voll- oder Magermilch, nicht 
aber Halbmilch verkauft werden. Conservirende Zusätze und Unsauber¬ 
keit der Milch können leichter von den Consumenten als von der 
Marktpolizei entdeckt werden; das Publikum ist daher über den Ge¬ 
schmack der Milch, welcher Salicylsäure, Borsäure oder Natrium bicar- 
bonicum zugesetzt ist, zu belehren und aufzufordern, solcher Fälschung 
verdächtige und schmutzige Milch der Behörde zur Untersuchung zu 
Überliefern. Für Reinheit und Unverfälschtheit der Milch muss immer 
derjenige haften, der sie zum Verkaufe bringt. 

Bleib treu (Köln). 

Boxall, Milk infection. (The Lancet 3747.) 

Verf. berichtet über eine Anzahl von Erkrankungen, die offenbar 
durch den Genuss von schlechter Milch hervorgerufen waren. Im 
Ganzen erkrankten 5 Wöchnerinnen und 6 Angestellte im allgemeinen 
Gebärhause zu London. Die Symptome waren bei allen sehr ähnlich: 
Schmerzen im Unterleib, Diarrhöe, Tenesmus, Appetitmangel, foetor 
ex ore, Schwellung und aphthöse Geschwürsbildung im Mund und bei 
den Wöchnerinnen an den verletzten Geschlechtstheilen. Die Milch, 
welche allein als veranlassende Ursache der Erkrankungen in Betracht 
kam, hatte einen erdigen Geschmack, üblen Geruch und war von tief¬ 
gelber Farbe; ausserdem wurde sie sehr rasch sauer. Als die Milch 
von einem anderen Lieferanten bezogen wurde, hörten die Erkrankungen 
auf. Ganz ähnliche Erkrankungsfälle wurden von Niven mitgetheilt. 
(An occurence of milk infection, The Lancet, 19. Jan. 1895.) 

Pröbsting. 

Sedgwiok: On an epidemio of typhoid fever in M&rlborough apparently 
due to infected skimmed milk. (Twenty-sixth annual report of the state 
board of health of Massachusetts.) 

Im August und September 1894 wurden in Marlborough zahlreiche 
Typhusfälle beobachtet — im Ganzen 50 Fälle — und Verf. wurde vom 
Staatsgesundheitsamt von Massachusetts hingeschickt, um die Ursachen 


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dieser Epidemie zu ergründen. Die ursprüngliche Annahme, dass die 
Erkrankungen durch verunreinigtes Leitungswasser verursacht sein 
könnten, erwies sich als unhaltbar, da sich die sämmtlichen Typhus¬ 
fälle auf einen bestimmten Stadttheil beschränkten, und gerade in der 
Nähe des Wasser-Reservoirs kein einziger Fall zur Beobachtung kam. 
Weitere Nachforschungen ergaben nun, dass höchstwahrscheinlich eine 
Meierei in der Stadt als Ausgangspunkt der Epidemie betrachtet werden 
musste. 

Die Meierei verkaufte die abgerahmte Milch in der Stadt, und 
der Fuhrmann des Milchwagens war an Typhus erkrankt, hatte aber 
trotzdem noch längere Zeit seinen Dienst versorgt. Alle Typhusfälle 
nun lagen an der gewöhnlichen Fahrroute des Milchwagens, und in den 
meisten Fällen (45) konnte nachgewiesen werden, dass abgerahmte 
Milch gekauft und ungekocht getrunken war. Es lag daher nahe, die 
entrahmte Milch dieser Meierei als die Infectionsquelle anzusehen. 

Verfasser erinnert an eine ganz ähnliche Typhus-Epidemie, welche 
August 1892 in Springfield beobachtet wurde. (The Lancet 21. April 
1894.) Von 61 Fällen waren 52 direkt auf eine Meierei zurückzu- 
ftthren, und auch hier waren die meisten durch den Genuss von un¬ 
gekochter, entrahmter Milch hervorgerufen. Pröbsting. 

Lehmann und Neumann, Atlas und Grundriss der Bakteriologie und 
Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik. München 1896. 
Verlag von J. F. Lehmann. 

Das vorliegende zweibändige Werk, welches 558 farbige Abbil¬ 
dungen auf 63 Tafeln und ungefähr 70 Bilder im Text enthält, ist 
als X. Band von Lehmann’s medicinischen Handatlanten erschienen. 

Wenn wir die Ausführung der im ersten Bande enthaltenen Ab¬ 
bildungen kritisch betrachten, so müssen wir den Herausgebern unbe¬ 
dingt darin beipflichten, dass für eine Reihe von Objecten (Stich-, 
Strich- und Kartoffelcultur) die gute farbige Abbildung auch dem 
besten Photogramm überlegen bleibt, dass für eine zweite Gruppe von 
Bildern (namentlich die Plattencolonien bei schwacher Vergrösserung) 
die Zeichnung, welche der Tiefe des Objectes allein gerecht werden 
kann, der Photographie wenigstens ebenbürtig ist. Es ist zuzugeben, 
dass für die Abbildung des Individuums bei lOOOfacher Vergrösserung 
dagegen die Photographie die beste Methode ist. 

Der den zweiten Band füllende Text gliedert sich in einen all¬ 
gemeinen und in einen speciellen Theil. Der erste bringt eine ge¬ 
drängte Uebersicht der Haupteigenschaften der Bakterien, soweit sie 
praktisch wichtig sind, und vor Allem, soweit sie zur Diagnose ver- 
werthbar sind. Beigefügt ist ein kurzes Verzeichniss der gebräuch¬ 
lichsten Nährboden und Färbe Vorschriften. Der specielle Theil ver¬ 
sucht in möglichst natürlicher botanischer Anordnung eine ausführliche 


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Beschreibung der wichtigen Arten zu geben, unter fortwährendem Hin¬ 
weis auf die weniger wichtigen Species. 

Wenn die Herausgeber ihr Vorwort mit folgenden Worten schliessen. 
„Wenn es uns gelungen ist, die Diagnose der Bakterien ein Stück zu 
fördern, dem Anfänger die Bestimmung zu erleichtern, den Vor¬ 
geschrittenen auf die zahlreichen, zum Theil noch unerledigten und 
zu wenig gewürdigten Schwierigkeiten dieser Arbeit hinzuweisen, so 
finden wir uns für die grosse Mühe, die wir aufgewendet, belohnt, a 
so glauben wir Bestimmtheit annehmen zu dürfen, dass diese Hoffnung 
sich im reichsten Maasse erfüllen wird. 

Mag auch Jeder, der das Buch mit Interesse durchsieht, an Kleinig¬ 
keiten auszusetzen haben, als Ganzes betrachtet aber muss dem Werke 
ein unbedingtes Lob zugetheilt werden« 

Für das Gebotene ist der Preis von 15 Mark als ein sehr geringer 
zu bezeichnen, und es sei Jedem, der bakteriologisch arbeiten will, das 
Werk als sicherer Führer hiermit auf's Wärmste empfohlen. 

Dr. Mastbaum (Köln). 

R. J. Petri, Das Mikroskop. Von seinen Anfängen bis zur jetzigen Ver¬ 
vollkommnung, für alle Freunde des Instruments. Berlin 1896. Verlag von 
Rieh. Schoetz. Preis 8 Mk. 

In der neueren Literatur fehlte es an einer geschichtlichen Zu¬ 
sammenfassung der Entwicklung des Mikroskopes, desjenigen Instru¬ 
mentes, dem die moderne Medicin und die Naturwissenschaften einen 
grossen Theil ihrer wichtigsten Entdeckungen zu verdanken haben. 
Diese Lücke wird nun durch das vorliegende Buch von Petri aus¬ 
gefüllt. Dem Freund dieses jetzt so vervollkommneten Instrumentes 
wird die Lectttre dieses Buches daher von grossem Interesse sein. Eine 
lückenlose, vollständige Geschichte des Mikroskopes, deren Anfänge mehr 
als drei Jahrhunderte zurückreichen, zu schreiben, lag allerdings dem 
Verfasser fern; er will vielmehr, wie er sich in der Vorrede ausdrückt, 
allen Freunden des Mikroskopes nur Wegweiser sein für das Studium 
der Entwicklungsgeschichte des Instrumentes. Das Buch enthält eine 
Fülle interessanter und wissenswerter Angaben, und das Verständniss 
wird durch eine grosse Anzahl trefflicher Abbildungen, die theils den 
alten Werken direct entlehnt sind, wesentlich gefördert. 

Gerade in der heutigen Zeit ist man oft, allerdings mit grossem 
Unrecht, sehr geneigt, in gewissen Gebieten die Vorarbeiten früherer 
Forscher zu unterschätzen und das Studium ihrer Arbeiten zu über¬ 
gehen. Verfasser glaubte daher eine Dankespflicht zu erfüllen, wenn 
er wieder einmal auf die grossen Verdienste deijenigen Männer hin weist, 
durch deren mühsame und scharfsinnige Arbeiten es ermöglicht wurde, 
das Instrument zu deijenigen Höhe zu entwickeln, die heute allgemein 
angestaunt werden muss. Dr. Bleibtreu (Köln). 

Owtnlblatt f. tilg. Oetnndhettapilege. XV. Jahrg. 81 


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Rabinowitech, Lydia, Untersuchungen über pathogene Hefearten. (Aus 

dem Institut für Iufectionskrankheiten zu Berlin.) Zeitschr. für Hygiene, 

Bd. XXI, S. 11-24. 

Entgegen den älteren Untersuchungen, nach welchen in der Gruppe 
der Sprosspilze keine Arten Vorkommen sollten, die aufThiere krank¬ 
heitserregend wirken können, haben neuere Untersuchungen ergeben, 
dass auch unter den Hefearten Krankheitserreger Vorkommen. Zur 
weiteren Klärung dieser Frage hat Verfasserin ca. 50 verschiedene 
Hefearten einer genauen Prüfung bezüglich ihrer pathogenen Eigen¬ 
schaften unterworfen und fand dabei, dass sieben dieser näher unter¬ 
suchten Hefearten auf Versuchsthiere pathogene Wirkung ausüben. 

Es waren dies: 

1. Monilia candida, die in der Natur als eine weisse Schicht 
auf frischem Kuhmiste und süssen saftigen Früchten auftritt. 
Dieselbe war pathogen ftlr Kaninchen und Mäuse, nicht aber für 
Meerschweinchen. 

2. Eine wilde, aus gährenden Feigen gewonnene Hefe- 
art, gegen welche sich weisse Mäuse als besonders empfindlich 
zeigten. 

3. Eine aus einer Brennereihefe der Berliner Versuchs¬ 
und Lehrbrauerei isolirte Hefeart, welche bei weissen 
Mäusen, unter die Haut gebracht, tödtlich wirkte. 

4. Eine aus Sauerteig gewonnene Hefe; für Mäuse und 
Kaninchen pathogen. 

5. Für dieselben Versuchsthiere tödtlich wirkend war eine auf 
Weintrauben vorkommende wilde Hefeart. 

6. Eine aus Malzmaische isolirte Art war für weisse Mäuse 
pathogen. 

7. Eine aus Ale-Bier stammende, von Amerika herttberge- 
brachte Hefeart wirkte auch bei Einspritzung unter die Haut 
von Kaninchen und Mäusen tödtlich. 

Diese Versuche beweisen also, dass es Hefearten giebt, die den 
Tod von Versuchsthieren, besonders Mäusen und theilweise auch 
Kaninchen, hervorrufen können. Geschwulstbildungen, wie sie von 
anderen Untersuchern beschrieben worden sind, konnte Verfasserin 
nicht beobachten. D r ä e r (Königsberg i. Pr.). 

Sanfelice, Ueber die pathogene Wirkung der Blastomyeeten. (Aus dem 

hygienischen Institut der K. Universität Cagliari.) Zeitschr. f. Hygiene, 

Bd. XXI, S. 32-58. 

An der Hand von zwei Tafeln mit zahlreichen farbigen Ab¬ 
bildungen giebt S. eine ausführliche Beschreibung eines Sprosspilzes, 
welcher nicht nur für Meerschweinchen, sondern auch für andere Thiere 
pathogen ist. Besonders wichtig ist er wegen der nach Angabe des 


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Verfassers vollkommenen morphologischen Uehereinstimmnng, welche 
er bei seinem Vorkommen in den Geweben mit den verschiedenen 
Gebilden zeigt, die von den Autoren bei den bösartigen Ge¬ 
schwülsten des Menschen als zu den Coccidien gehörig be¬ 
schrieben worden sind. 

Verfassser spricht in dieser Abhandlung über die Resultate, welche er 
durch Impfung von Meerschweinchen mit dem von ihm Saccharo¬ 
myces neoformans genannten Sprosspilz erhalten hat, und will 
später über die Beobachtungen berichten, die er an anderen Versuchs¬ 
tieren, wie Hunden, Katzen, Schafen, Eseln, Kaninchen, Ratten, 
Hühnern und Tauben gemacht hat. 

Eine genauere Besprechung der Arbeit Sanfelice’s würde uns zu 
weit führen; es sei daher hier nur erwähnt, dass nach seiner Angabe 
bei allen Meerschweinchen, welche eine Einspritzung dieses Spross¬ 
pilzes in das Unterhautbindegewebe erhielten, sich eine Geschwulst 
entwickelte, welche die Sprosspilze zahlreich enthielt, und dass die 
Versuchsthiere fast ausnahmslos nach ca. 30 Tagen zu Grunde gingen. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Sanfeliee, Ueber die pathogene Wirkung der Blastomyeeten. Aus dem 
hygien. Institut der K. Universität Cagliari. (Zeitschr. f. Hygiene 1896. 
Bd. 21.) 

Sanfelice beschreibt einen neuen krankheitserregenden Spross¬ 
pilz, welchen er aus den Lymphdrüsen eines Ochsen isolirt hatte, der 
in Folge eines primären Leberkrebses und Ausbreitung des Processes 
auf das gesammte Lymphsystem zu Grunde gegangen war. Da dieser 
Pilz in den Geweben der mit ihm geimpften Thiere kalkige Massen 
bildet, so benanntes, ihn „Saccharomyces litogenes“. Derselbe 
erwies sich als pathogen für Meerschweinchen, weisse Ratten, Schafe, 
Hunde, Rinder, Esel und Hühner. 

Er gedeiht auf den gebräuchlichen Nährböden. Meerschweinchen, 
denen die Culturen in das Unterhautbindegewebe eingeimpft wurden, 
starben durchschnittlich nach zwei Monaten, in die Bauchhöhle geimpfte 
gewöhnlich schon nach einem Monate. 

Die in den Organen der Versuchsthiere gebildetem Kalkmassen 
erwiesen sich nach den Untersuchungen S.’s als aus phosphorsaurem 
Kalk bestehend. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

A. Weiehßelbaum, Ueber Entstehung und Bekämpfung der Tuberkulose. 
Monatsschrift für Gesundheitspflege. Wien, April 1896. Nr. 4. 

Weichselbaum giebt in diesem Vortrage einen zusammen¬ 
fassenden Bericht über die Entstehung und Verbreitungsart der Tuber¬ 
kulose und führt die Mittel an, von denen man auf Grund der wissen¬ 
schaftlichen Forschungsergebnisse und der praktischen Erfahrung an¬ 
nehmen kann, dass sie in der Bekämpfung dieses schlimmen Feindes 

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der Menschheit wesentliche Dienste leisten. Er wünscht, dass wir 
endlich unsere Apathie dieser Krankheit gegenüber abstreifen und uns 
zur ernsthaften Bekämpfung eines Feindes aufraffen, welcher uns alle 
gleichmässig bedroht. Nicht nur die Behörden [haben den Kampf zu 
führen, sondern auch der Einzelne, Arzt oder Nichtarzt, hat sich daran 
zu betheiligen. Der Erfolg wird sicher nicht ausbleiben, wenn jeder 
in dem Kampfe seine Pflicht thut. Bleibtreu (Köln). 

Die experimentelle Tuberkulose nach endermatischen Einimpftmgen 
bei Kaninehen. Untersuchungen von Dr. Olimpio Cozzolino. Ann&li 
d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli. Vol. V, fase. I. 1895. 

Cozzolino gelangte zu folgenden Schlussfolgerungen: 

1. Die Impfung mit einer in Bouillon verdünnten Reincultur von 
Tuberkelbacillen in die Rückenhaut von Kaninchen hat eine Infiltration 
zur Folge an der betreffenden Stelle in Gestalt eines dem anatomischen 
Tuberkel ähnlichen Knotens. Zuerst von kleinem Umfang, nimmt 
letzterer innerhalb der ersten Tage nach der Impfung an Volumen zu; 
später bleibt er an der Impfstelle umschrieben und geht nur wenig in 
die benachbarte Haut hinüber. Meist ist er abwechselnd von ober¬ 
flächlichen Ulcerationen oder nachfolgender allmählicher Heilung be¬ 
gleitet. 

2. Die Tuberkelbacillen vermindern sich allmählich innerhalb der 
auf die Impfung folgenden Tage; nach 4—6 Monaten bleibt nur eine 
sehr minimale Zahl noch zurück. Gleichzeitig zeigen sie charak¬ 
teristische Veränderungen ihrer Form, die abhängen können von dem 
wenig zusagenden Nährboden, den sie im Hautgewebe des Kaninchens 
finden, sei es in Folge äusserer physikalischer Verhältnisse (niedrige 
Temperatur und Wechsel derselben in Folge äusserer athmosphärischer 
Einwirkungen), sei es durch innere Bedingungen (Fettgewebe, dichter 
Haarwuchs — Block — Reibungen und Bewegungen, denen die Haut 
fortwährend unterworfen ist — Villemin). 

3. Die tuberkulöse Infiltration besteht innerhalb der ersten Tage 
aus einer Anhäufung kleinzelliger Elemente. Vom 10. Tage ab ist 
eine Neigung zum Uebergang in käsige Degeneration und vom 30. Tage 
bis zum 4. Monat das Auftreten von Riesenzellen bemerkenswerte Die 
Tuberkelbacillen sind stets beschränkt auf das Infiltrationsgebiet und 
reichen sehr nahe an die Reactionszone am Rande des Knotens heran. 

4. Die Herausnahme der Knoten schützt die Haut nicht vor einer 
weiteren Neuproduction an der Stelle derselben mit den Charakter der 
ersteren. Bleibt die Neubildung der Knoten aus, so erscheinen öfter 
mehr oder weniger pigmentirte Narben. Auch diese bleiben gewöhn¬ 
lich nicht frei von einer diffusen Infiltration, in der es mehrmals 
möglich war, noch wirksame Tuberkelbacillen nachzuweisen. 

5. Die auf dem Rücken bei Kaninchen eingeimpfte Hauttuber- 


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kulose verbreitet sich fast constant innerhalb einer längeren Zeitperiode 
(von höchstens 4—9 Monaten) auf die inneren Organe, wobei mit Vor¬ 
liebe die Lungen befallen werden. Bei einigen Kaninchen war die 
Verbreitung der Tuberkulose auf innere Organe nicht so deutlich, doch 
musste bei diesen eine fortschreitende, mit dem Tode endigende Ab¬ 
magerung der toxischen Wirkung zugeschrieben werden, welche — 
wie die Experimente von Maffucci und De Michele beweisen — ein 
localisirter tuberkulöser Process auf den ganzen Organismus auszuüben 
vermag. San.-Bath Dr. Qensgen (Siegen). 

O. Bujwid, Erfahrungen über die Anwendung des Tuberkulins zur 
Diagnose der Rindertuberkulose. Monatsschrift für Gesundheitspflege. 
Wien, März 1896. Nr. 3. 

Bujwid hält es auf Grund seiner Erfahrungen, über die er in 
diesem Aufsatze berichtigt, an der Zeit, die Tuberkulinprobe zum 
Nachweise der Bindertuberkulose allgemein einzuführen, wie dies 
schon in Dänemark geschieht und in Kurzem auch in Frankreich ein- 
geftihrt werden soll. Insbesondere zur Constatirung des tuberkulose¬ 
freien Zustandes des Zuchtviehes und der Milchkühe wäre die Ein¬ 
führung der Tuberkulinprobe sehr wtinschenswerth. 

Bleib treu (Köln). 


Stati8ties of oertain causes of death. 

In ausführlicher Weise bespricht der Jahresbericht die Sterblich¬ 
keit an Lungenschwindsucht, die in Massachusetts in stetiger Abnahme 
begriffen ist, wie aus beistehendem Diagramm^ersichtlich ist. Dasselbe 
umfasst den Zeitraum von 1851—93 und giebt die Sterblichkeit an 
Lungenschwindsucht auf 10000 Einwohner an. 


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Diese ganz gewaltige Abnahme von 41,1 in der Zeit 1851—55 
auf 23,6 in der Zeit 1891—93 für 10000 der Bevölkerung ist wohl 
zum Theil auf die verbesserte ärztliche Diagnose, besonders Früh¬ 
diagnose, und dadurch ermöglichte frühzeitige Behandlung, dann aber 


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auch auf die verbesserte Lebensführung besonders in den Arbeitsräumen 
zurttckzuführen. 

Von Interesse ist auch die Sterblichkeit an Lungenschwindsucht 
nach Alter und Geschlecht, welche folgendes Diagramm zeigt. 


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Die Sterblichkeit an Lungenschwindsucht ist bei Frauen etwas 
grösser als bei Männern, nämlich 100 zu 95. 

Wenn bei der Phthisis-Sterblichkeit eine ganz erhebliche Abnahme 
zu konstatiren ist, so macht sich bei der Krebs-Sterblichkeit eine stetige 
Zunahme bemerklich. Die Sterblichkeit an Krebs ist von 3,6 im 
Jahre 1874 auf 6,8 im Jahre 1898 fftr 10000 Einwohner gestiegen. 
Frauen sind mit mehr als 70 °/o bei der Gesammtsterblichkeit an Krebs 
betheiligt. Pröbsting. 

Bndolf Abel, Die Aetiologie der Ozaena. Zeitschrift für Hygiene etc. 

Bd. XXI, 1. Heft. 

Der Gegenstand dieser Abhandlung ist der Aetiologie der Ozaena 
simplex (Ehinitis atrophicans fötida) gewidmet. Abel kommt zu dem 
Schluss, dass die Rhinitis atrophicans eine Infectionskrankheit ist. Der 
Krankheitsprocess tritt zuerst in isolirten Herden, die sich allmählich 
vergrössern und schliesslich ausgedehnte Partien der Schleimhaut ein¬ 
nehmen können, unter Bildung eines eitrig schleimigen Secrets, das 
schnell zu Borken eintrocknet, auf. Der Foetor entsteht durch Zer¬ 
setzung der Borken, ist aber ein inconstantes und nebensächliches Sym¬ 
ptom. Das schliessliche Resultat des Schleimhautprocesses ist die Atrophie 
der Nasenschleimhaut und auch der Nasenmuscheln. Auch ein Fort¬ 
schreiten des Processes auf den Nasenrachenraum, die Nebenhöhlen der 
Nase und das innere Ohr, Kehlkopf und Trachea ist beobachtet 
worden. Der Gedanke, dass die Affection auf einer Infection beruht, 
liegt nahe, da oft mehrere Mitglieder einer Familie an dem Uebel 
leiden, und auch experimentell ist es in einem Falle gelungen, die 
Eirankheit zu übertragen. Als Erreger des Ozaenaprocesses wird von 
Abel der Bacillus mucosus Ozaenae, welcher dem Pneumoniebacillus 
nahe steht, angesprochen. Der Bacillus findet sich nur in dem eigen¬ 
artigen Secret vor, und scheint in die Schleimhaut nicht einzudringen. 


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Abel bezeichnet die Affection Rhinitis atrophicns bacillaris. Die ffttide 
Zersetzung ist nicht durch den Bacillus mucosus bedingt, sondern auf 
die Thätigkeit anderer secundär sich ansiedelnder Mikroorganismen 
zurückzuführen. Aus der Erkenntniss der Affection als Infectionskrank- 
heit ergehen sich natürlich wichtige Fingerzeige für Diagnose, Therapie 
und besonders für die Prophylaxis des überaus lästigen Uehels. 

Bleihtreu (Köln). 

Kutscher, Zur Rotzdiagnose. (Aus dem hygienischen Institut der Uni¬ 
versität Giessen.) Zeitschr. f. Hygiene, Bd. XXI, S. 156—164. 

Verfasser konnte gelegentlich einiger Untersuchungen, die er unter¬ 
nahm, um an rotzverdächtigen Pferden die Diagnose sicherzustellen, 
aus dem Nasensecret eines an Rotz erkrankten Pferdes neben den 
typischen Rotzbacillen einen Bacillus isoliren, der in vielen Punkten, 
so namentlich in seinem morphologischen Verhalten dem Rotzbacillus 
glich, in vielen, zur Differentialdiagnose vollkommen ausreichenden 
Eigenschaften aber von ihm abwich. Da dieser Bacillus die Straus’sehe 
Reaction gab, d. h. Hodenschwellung bei einem in die Bauchhöhle ge¬ 
impften Meerschweinchen verursachte, so hat damit die Straus’sehe 
Methode der Rotzdiagnose ihre Specifität verloren (vgl. Centralbl. 1895, 
S. 48). Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Jager, Zur Aetiologie der Meningitis cerebrospinalis epidemica. (Zeit¬ 
schrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, XIX. Bd., 2. Heft, Seite 
351—370.) 

Im Verlaufe von 16 Monaten traten in Stuttgart und einigen 
benachbarten Orten eine Reihe von Erkrankungen an Meningitis 
cerebrospinalis epidemica auf, die zum Theil tödtlich verliefen. Die 
meisten dieser Fälle wurden von Kirchner genau untersucht, um den 
Erreger dieser stark infectiösen Krankheit zu finden. 

Es gelang ihm nachzuweisen, dass der specifische Erreger dieser 
Krankheit der schon 1887 in sechs Fällen gefundene, innerhalb der 
Eiterzellen des Meningealexsudates gelegene Diplococcus ist. 

Jäger hat dann diesen Diplococcus einer exacten bakteriologischen 
Untersuchung unterworfen und konnte feststellen, dass es sich um den 
specifischen, gegen andere Diplokokken genau differenzirbaren Coccus 
handelt. Er giebt ihm den Namen Diplococcus oder besser Tetracoccus 
intracelluloris. 

Das wichtigste Ergebniss aber, welches Jäger durch seine Unter¬ 
suchungen erzielte, ist der exacte Nachweis, dass dieser gefährliche 
Mikroorganismus hauptsächlich mittels des Nasensecretes übertragen 
wird und längere Zeit in getrocknetem Zustande haltbar ist. 

Das Studium dieser trefflichen Arbeit sei Jedem, der hygienisch¬ 
bakteriologische Untersuchungen anstellen will, auf das Eindringlichste 
empfohlen. Dr. Mastbaum (Köln). 


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Diphtheria ln London im Jahre 1894. (The Lancet Nr. 3745.) 

Im Jahre 1894 starben in London 2886 Personen an Diphtherie 
und Croup gleich 6,1 auf 10 000 der Bevölkerung, während in den 
neun vorhergehenden Jahren (1885—98) dieses Verhältnis im 
Jahresdurchschnitt nur 3,6 betrug. Die Aufnahme und Sterblichkeit 
von Diphtheriekranken in den Krankenhäusern war folgendermaassen: 


Jahr 

Aufnahmen 

Todesfälle 

In °/o der Aufnahmen 

1888 

111 

50 

45,0 

1889 

740 

278 

37,6 

1890 

965 

317 

32,8 

1891 

1330 

399 

30,0 

1892 

2021 

584 

28,9 

1893 

2853 

866 

30,4 

1894 

3691 

1041 

28,2 


Pröbsting. 

F. A. Dixey, Vital statistics of diphtheria in London 1891—1895. (The 
Lancet 3756.) 

Der wöchentliche Durchschnitt an Todesfällen in Folge von Diph¬ 
therie betrug 1891:26,2; 1892:36,2; 1893:62,8; 1894:51,4; 
1895 : 33,5. Der Einfluss der Jahreszeit macht sich dahin geltend, 
dass im September die Diptherie-Sterblichkeit über den Jahresdurch¬ 
schnitt ansteigt und bis März auf dieser Höhe bleibt, dann erfolgt ein 
langsamer Abfall. Der stärkere Abfall, der im Allgemeinen im August 
stattfindet, dürfte wohl auf die Schulferien zurückzuftlhren sein. Die 
erhebliche Abnahme der Diphtheriesterblichkeit seit Mitte 1894 glaubt 
Verf. auf die Serumbehandlung zurückführen zu dürfen. 

Pröbsting. 

Ueber die Lebensfähigkeit des Diphtheriebacillus ausserhalb des Orga¬ 
nismus und über die mögliche Verbreitung desselben durch die Luft. 
Untersuchungen von Dr. Carlo Reyes. Annali d’lgiene sperimentale, dir. 
dal Prof. Angelo Celli. Vol. V, fase. IV. 1895. 

Flügge spricht sich in einer Abhandlung über „Die Verbreitungs- 
weise der Diphtherie“ (Zeitschrift ftir Hygiene 1894, XVH, S. 403) 
dahin aus: „Ein Transport durch die Luft auf weitere Entfernungen 
hin, so dass die Berührungen nicht mehr in Concurrenz treten, und 
die Luft mithin eine specifisch gefährliche Infectionsquelle repräsentirt, 
scheint nicht stattzufinden, weil die Diphtheriebacillen bei dem Grade 
der Trockenheit, den Luftstäubchen haben müssen, wenn sie leicht 
transportirbar sein sollen, absterben.“ 

Reyes kam nun bei seinen Untersuchungen zu folgenden 
Resultaten: 


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1. Die Diphtheriebacillen werden, wenn sie der Austrocknung in 
Gegenwart von Schwefelsäure ausgesetzt wurden, in wenigen, 
spätestens nach 48 Stunden zerstört. 

2. Bei einem Austrocknungsverfahren, welches den gewöhnlichen 
Verhältnissen in Gegenwart der Luft entspricht, bleiben die 
Diphtheriekeime einige Tage hindurch lebensfähig, wenn sie in 
Leinwand, Seide oder Papier enthalten waren; ebenfalls mehr 
als 2 Wochen hindurch im Sande, bis zu 100 Tagen im Schlamm¬ 
staube. 

8. Vor Eintrocknung geschützt und in feuchter Luft gehalten, starben 
sie erst nach einer circa doppelt so langen Zeit ab. Im Sand 
und Schlamm bleiben sie noch weit länger erhalten. 

4. Dem diffusen Sonnenlichte der Luft ausgesetzt sterben die Bacillen 
rascher ab als im Dunkeln. 

5. Die gewöhnlichen Temperaturschwankungen haben keinen erkenn¬ 
baren Einfluss auf ihre Lebensfähigkeit. 

6. In allen Verhältnissen vollzieht sich die Vernichtung der Di¬ 
phtheriekeime allmählich und schrittweise und offenbart sich 
theils durch eine progressive Reduction der Zahl der lebenden 
Keime, theils durch einen Stillstand in der Entwicklung der¬ 
selben. 

7. In gleichem Schritte mit der Vernichtung der Löffler 1 sehen Bacillen 
findet eine allmähliche Abschwächung statt bezüglich der Infections- 
fähigkeit der von ihnen inficirten Stoffe. 

8. Ein kräftiges Mittel für die Verbreitung der Diphtherie ist die 
Luft, weil die Staubmassen der Zimmer die lebenden und wirkungs¬ 
fähigen Keime enthalten können gerade dann, wenn sie den nö- 
thigen Grad von Eintrocknung erhalten haben, um leicht erhoben 
und in die Luft mit fortgetragen zu werden. 

San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

SflnfLuss des Sonnenlichts auf das diphtheritisohe Gift. Von Gaet&no 

Piazza. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli. Vol. V, 

fesc. IV. 1895. 

Piazza fand: 

1. Dass das Licht an sich die Wirkung des diphtheritischen Giftes 
vermindert. 

2. Dass speciell das diffuse Licht in hermetisch verschlossenen Ge- 
fässen langsam fortschreitend wirkt, nach 20 Tagen anfängt be- 
merklich zu werden, und nach 100 Tagen vollständig wirksam 
wird. In directem Lichte ist die Wirkung eine raschere, doch 
ist letzteres weniger bemerkbar, wenn das directe Licht in seine 
verschiedenen Strahlen zerlegt ist. Ferner stellte er Folgendes fest: 

8. Die beeinträchtigende Wirkung des Sonnenlichts ist hauptsäch¬ 
lich auf die extremen Strahlen des Spectrums zurückzuführen. 


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4. Diese abschwächende Einwirkung findet statt, wenn die toxische 
Flüssigkeit in Berührung mit der Luft ist, und um so rascher 
und intensiver, je ausgedehnter die Berührung derselben mit der 
Luft ist. 

5. Bei Gegenwart der Luft nehmen in gewöhnlichen Verhältnissen 
an der Abschwächung der Toxine ausser dem Lichte andere 
Factoren nicht Antheil. San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

Ueber den Einfluss des directen Sonnenlichts auf Infeetion mit Cholera- 
und TyphU8baeillen bei Meerschweinchen. Untersuchungen von Dr. 
Salvatore Masella. Annali d’Igiene speriment&le, dir. dal Prof. Angelo 
CellL Vol. V, fase. I. 1895. 

Bekannt ist der günstige Einfluss, den das Licht auf chlorophyll- 
haltige Pflanzen ausübt; bei Bakterien wirkt das Sonnenlicht, wie zahl¬ 
reiche Forscher gezeigt haben, schädlich oder indifferent ein. Der am 
meisten hervortretende Effect der directen Sonnenbestrahlung beim 
Menschen ist die Braunfärbung der Haut, die unabhängig von den 
thermischen Strahlen, nur den chemischen zuzuschreiben ist. Anderer¬ 
seits ist bekannt, dass die Sonnenstrahlen häufig ein specielles 
Hauterythem erzeugen, besonders bei Personen, deren Haut eine eigen¬ 
tümliche Empfindlichkeit gegen das Licht zeigt (Pellagrakranke). Die 
violetten und ultravioletten Strahlen sind die wirksamsten. Weitere 
Versuche haben ergeben, dass man noch positive Wirkung erhält nach 
dem Durchleiten der Strahlen durch Wasser, und ferner, dass die Wir¬ 
kung von der Temperatur unabhängig ist. Die Einwirkung des Sonnen¬ 
lichts ist auch therapeutisch bemerkenswerth. Seit langen Zeiten 
curirten die Aerzte die verschiedensten Krankheiten vermittelst der 
Sonnenstrahlen. Auch jetzt noch preist man die erfolgreiche Heil¬ 
wirkung des Sonnenlichts, während man andererseits der Ansicht ist, 
dass letzteres eine schädliche Einwirkung auf den Verlauf einiger 
Krankheiten (wie Pocken) ausübe. 

Verfasser fand nun, dass die Wirkung des directen Sonnenlichts 
auch bei niedrigeren Temperaturen, als sie gewöhnlich im Sommer sind, 
eine deutliche bei Meerschweinchen ist, insofern, als es die Fähigkeit 
der Resistenz gegen die Infeetion mit Cholera- und Typhusbacillen 
vermindert. Einmal tritt bei Injectionen mit letalen Dosen der Tod 
bei ihnen in kürzerer Zeit ein, und ferner sind auch selbst geringere 
Dosen eher im Stande, den Tod des Versuchsthieres herbeizuführen. 

San.*Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

Ueber die Vibrionen salz wasserhaltiger Teiche. Untersuchungen von 
Alberto Cadeddu. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo 
Celli. Vol. V, fase. III. 1895. 

Cadeddu untersuchte das Wasser der zum Theil sehr ausgedehnten 
und mit dem Golf communicirenden, um Cagliari liegenden Teiche, in 


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449 


denen sich das Süsswasser der Zuflüsse mit dem Salzwasser des Meeres 
mischt. Er fand darin 10 verschiedene Arten von Vibrionen, welch 
letztere am südlichen Ufer, also da, wo Salzwasser mit Süsswasser 
sich mischt, am zahlreichsten vorkamen. Alle Vibrionen, welche nach 
der Heimischen Methode in peptonisirtem Wasser (dem 1 °/o CINa 
zugesetzt war), gezüchtet wurdeu, lieferten eine homogene Trübung und 
ein aus Vibrionen bestehendes Häutchen auf der Oberfläche; sie ent¬ 
wickelten sich auch sehr kräftig in stärkerem Salzwasser (bestehend 
aus 100 Wasser, 1 Pepton und 8 8alz). Nur ein Vibrio zeigte sich 
pathogen. Die mit letzterem angestellten Thierexperimente (an Mäusen, 
Meerschweinchen, Hunden, Hühnern und Tauben) ergaben Folgendes: 
Reinculturen der Vibrionen in den Magen-Darmkanal eingeführt, hatten 
keine Wirkung; erst nach vorheriger Neutralisation des Magensaftes 
traten vom 4. bis 6. Tage Diarrhöen und theilweise blut-, sowie vibrionen¬ 
haltige Stühle auf. Die Einspritzungen der Vibrionen unter die Haut 
vertrugen Tauben gut; wurden solche in die Bauchhöhle gemacht, so 
traten bei ihnen blutige Diarrhöen auf; die geimpften Kaninchen starben 
vom 8. — 6. Tage, Meerschweinchen schon nach 18—26 Stunden. Drei 
kleine Hunde starben in Folge von subcutanen Einimpfungen nach 
12 — 20 Stunden bereits. San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

Neumann und Orth, Versuche zum Nachweis choleraähnlioher Vibrionen 
in Flussläufen. Aus dem staatlichen hygienischen Institut zu Hamburg. 
(Zeitschr. f. Hygiene 1896. Bd. 21.) 

Seitdem durch Dunbar auf das zahlreiche Vorkommen cholera¬ 
ähnlicher Vibrionen in der Elbe in den Monaten Juli, August und 
September 1893 hingewiesen war, wurden von den Verfassern weitere 
derartige Untersuchungen in den beiden Jahren 1894 und 1895 an 
557 Wasserproben aus der Elbe und deren Zuflüssen in der Nähe von 
Hamburg in Bezug auf die Anwesenheit von derartigen Vibrionen 
angestellt. Unter den Wasserproben befanden sich eine Anzahl von 
Proben von Abwässern, von Schweine- und Kuhstalljauche und aus dem 
Inhalt von Düngergruben. 

Es ist hier nicht der Ort, auf die Methode der Untersuchung der 
verschiedenen Wasserproben einzugehen, die sich übrigens im Allge¬ 
meinen an die auch sonst üblichen Methoden anschliesst. Als besonders 
bemerkenswerth ist nur hervorzuheben, dass in beiden Jahren 1894 
und 1895 choleraähnliche Vibrionen erst im August und September 
gefunden wurden, während sie vom October an nicht mehr nachgewiesen 
werden konnten. Auch im Jahre 1893 waren gegen Ende September 
und später derartige Vibrionen nicht mehr gefunden. Es hat demnach 
den Anschein, als ob die Jahreszeit, in der die choleraähnlichen Vi¬ 
brionen in den Gewässern eine grosse Verbreitung finden, mit der 
Jahreszeit zusammenfällt, zu der in unseren Gegenden die Cholera- 


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450 


epidemien sich auszubreiten pflegen. Jedoch werden zur sicheren Be- 
urtheilung dieser Frage noch weitere Untersuchungen ttber mehrere 
Jahre hindurch stattzufinden haben. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Dunbar, Zur Differentialdiagnose zwischen den CholeraVibrionen und 
anderen denselben nahestehenden Vibrionen. (Zeitschr. f. Hygiene 1896, 
Bd. XXI, S. 295—362.) 

In der recht umfangreichen Arbeit betont Dunbar, dass, trotz¬ 
dem nunmehr bereits ausserordentlich zahlreiche choleraähnliche 
Vibrionen beschrieben sind, von denen einzelne sämmtliche Eigen¬ 
schaften der echten Choleravibrionen aufweisen, es dennoch ein Mittel 
giebt, welches uns die Differentialdiagnose zwischen Choleravibrionen 
und anderen diesen ähnlichen Vibrionen sicher stellen lässt, nämlich 
die Pfeiffer’sehe Reaction, welche er trotz der zahlreichen An¬ 
griffe als noch unerschüttert bezeichnet. 

Verfasser giebt sodann in Tabellenform eine Beschreibung der 
zahlreichen in den Jahren 1894—1895 aus der Elbe isolirten Wasser¬ 
vibrionen, sowie eine tabellarisch wiedergegebene Beschreibung des 
Ausfalls der Prüfung dieser Vibrionen mittels der Pfeiffer’sehen 
specifischen Immunitätsreaction. Hiernach erwiesen sich alle in den 
Jahren 1894 und 1885 isolirten Vibrionen als den Choleravibrionen 
nicht zugehörig. 

Auch bei der Prüfung dreier von auswärts eingesandter Culturen, 
von denen zwei von sicheren Cholerafällen, die dritte aus den Ex¬ 
crementen eines Mannes stammte, der an einem der Cholera etwas 
ähnlichen Symptomencomplex litt, welcher aber mit Sicherheit auf eine 
Vergiftung mit gekochtem, aber vorher zu lange gewässerten Stockfisch 
zurückgeftlhrt werden kann, zeigte sich die Zuverlässigkeit der 
Peiffer’schen Reaction, iudem dieselbe bei den beiden ersten 
Fällen positiv, beim dritten negativ ausfiel. 

Verfasser erörtert dann noch die Frage nach der Verwendbarkeit 
von Choleraziegenserum, das ausser der specifischeu noch eine all¬ 
gemeine nicht specifisch baktericide Wirkung ausübte, und kommt 
dabei zu dem Schluss, dass es rathsamer sei, vorläufig nur das Serum 
immunisirter Meerschweinchen zu den Versuchen zu benutzen. 

Jedenfalls stellt D u n b a r als Hauptergebniss seiner Untersuchungen 
die Thatsache hin, dass dieselben eine wesentliche weitere Stutze ent¬ 
halten ftlr die Pfeiffer’sche Theorie über die Specifität der 
haktericiden Stoffe, die sich in dem Blutserum mit Choleracultur 
immunisirter Thiere finden. Die Verwendbarkeit dieser specifischen 
haktericiden Eigenschaften ftlr differentialdiagnostische Zwecke steht 
nach Dunbar’s Erachten ausser Zweifel. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 


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451 


Rindfleisch, Die Pathogenität der Choleravibrionen für Tauben. (Zeit¬ 
schrift f. Hygiene 1896, Bd. XXI, S. 247—258.) 

Der von Gamaleia im Jahre 1888 gelegentlich einer unter 
den Hühnern in Odessa wüthenden Epidemie gefundene Vibrio 
Metschnikowi wurde von dem Entdecker zuerst mit dem Koch 1 sehen 
Choleravibrio identificirt. Diese später von Pfeiffer widerlegte An¬ 
sicht wurde neuerdings 1898 von Salus und Weibel wieder ver- 
theidigt. 

Auf Anregung Pfeiffer’s unternahm es nunmehr Rindfleisch, 
zu untersuchen, ob sichere Choleravibrionen durch wiederholte Passagen 
durch den Thierkörper sich soweit modificiren lassen, dass sie krankheit¬ 
erregend für Tauben werden, während ja sonst der Choleravibrio für 
Tauben nicht pathogen ist. 

Er steigerte zunächst die Virulenz einer im Institut vorhandenen 
Choler&cultur, die ursprünglich aus der Hamburger Epidemie stammte, 
später aber aus den diarrhöischen Entleerungen Prof. Pfeiffer’s, der 
sich mit der Cultur inficirt hatte, rein gezüchtet war, durch mehrfache 
Passagen durch Meerschweinchen. Mit dieser hoch virulenten Cultur 
machte er dann seine Impfversuche an Tauben. Die Resultate seiner 
Versuche sind folgende: 

1. Auch die virulentesten, frisch aus dem Choleradarm gezüchteten 
Cholerabakterien tödten die Tauben niemals bei einfacher Impfung, 
sondern nur, wenn sie mit grösseren Mengen Bouillon intramuskulär 
inficirt werden. Die Bouilloneinspritzung schädigt dabei das Muskel¬ 
gewebe und schafft so einen locus minoris resistentiae. 

2. Es ist nicht möglich, auch durch eine sehr hohe Zahl von 
Meerschweinchen- oder Taubenpassagen die Cholerabakterien so um¬ 
zuwandeln, dass sie wie der Vibrio Metschnikowi Tauben durch ein¬ 
fache Impffing tödten. 

3. Die intramuskuläre Impfung der Tauben bleibt daher ein sehr 
wesentlich differential-diagnostisches Merkmal zur Unterscheidung der 
Cholera- und der Metschnikoffvibrionen. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Behring und Ransom, Choleragift und Choleraantitoxin. Aus der wissen¬ 
schaftlichen Versuchsstation der Höchster Farbwerke. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1895, Nr. 29.) 

Ransom hat nach einem gemeinschaftlich mit Behring ent¬ 
worfenen Plane die in Halle im Kleinen begonnene Herstellung des 
löslichen Choleragiftes und des specifischen Choleraantitoxins an grossen 
Versuchsthieren in den Höchster Farbwerken fortgesetzt und ist dabei 
zu folgenden Resultaten gekommen: 

1. „Es ist möglich, eine von Bakterienleibern befreite Cholera- 
culturflüssigkeit zu bekommen, welche specifisch-giftige Eigenschaften 
besitzt. 


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452 


2. Die Krankheitserscheinungen, welche diese Flüssigkeit hervor¬ 
ruft, sind denjenigen ähnlich, welche der Einverleibung von lebenden 
Choleravibrionen folgen. 

3. Aus dieser Flüssigkeit kann man eine feste Substanz gewinnen, 
deren Wirkung identisch ist mit der der Originalflüssigkeit. 

4. Von choleraempfindlichen Thieren, welche mit dem Cholera¬ 
gift behandelt worden sind, kann man ein Serilm gewinnen, welches 
sowohl gegenüber dem Choleragift, wie gegenüber den lebenden Cholera¬ 
vibrionen sich als wirksam erweist.“ 

D r ä e r (Königsberg i. Pr.). 

Ueber Immunität gegen die Cholera. Von Dr. Claudio Fermi und Dr. 
Angelo Salto. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli 
Vol. VI, fase. I. 1896. 

Um die Ursachen kennen zu lernen, welche die Ansteckung mit 
Koch’sehen Choleravibrionen bei den sich refraetär zeigenden Thieren 
verhindern und umgekehrt die Entwicklung derselben im menschlichen 
Darme begünstigen, studirten die Experimentatoren folgende Verhält¬ 
nisse : Die Reaction des Darminhaltes, die letzteren zusammensetzenden 
Substanzen, die Athmosphäre des Darmes, die Bakterienflora des Darmes 
und die Schleimhaut des Darmes. 

Sie kamen zu den Resultaten, dass die chemische Reaction des 
Darminhaltes beim Menschen und Thiere nicht als Ursache der be¬ 
hinderten Entwicklung der Choleravibrionen anzunehmen sei. (Eine 
starke Acidität ist ausgeschlossen.) Weder die Darmgase noch der 
übrige aus den eingeführten Substanzen, den physiologischen Secreten 
und den Stoflwechselproducten resultirende Darminhalt trägt ferner 
zur Nichtentwicklung der Koch’sehen Vibrionen bei. Von der Darmflora 
scheint nur das letztere Bacterium coli einen geringen antagonistischen 
Einfluss auf letzteren auszuüben. Die Verfasser sind nicht der An¬ 
sicht, dass ein specifischer Pilz es sei (wie Metschnikoff annimmt), 
welcher die Entwicklung der Vibrionen verhindere, sondern schreiben 
der directen Einwirkung der Schleimhaut selbst einen entwicklungs¬ 
hemmenden Einfluss zu. — Als diese Ansicht unterstützend führen sie 
die erfahrungsgemäss die Cholera begünstigenden Momente an, welche 
«schwächend auf die Schleimhaut einwirken, wie bestimmte schwer ver¬ 
dauliche Speisen, Strapazen in heisser Jahreszeit, Erkältungen der 
Unterleibsgegend, künstlich erzeugte Blutstasen in den Unterleibs- 
gefässen, intraperitoneale Injectionen von Typhusgift etc. 

San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

Inoculations against Cholera in Indla. (The Lancet 3764.) 

Impfungen gegen Cholera sind in Indien in grossem Umfange von 
Haffkin oder nach dessen Methode ausgeführt worden; der Erfolg dieser 
Impfungen war ein verschiedener. In dem East Lancashire Regiment 


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453 


zu Lucknow erkrankten von 132 Geimpften 18 an Cholera, 13 von 
diesen starben, von 640 Nichtgeimpften erkrankten 120 und starben 
79, Die Impfungen waren von Haffkin 14 oder 15 Wochen vor Aus¬ 
bruch der Epidemie (Oct. 1894) vollzogen worden. Bei den Truppen 
zu Cawnpore kamen unter 797 Nichtgeimpften 19 Choleraflfiile vor, 
kein Fall dahingegen unter 75 Geimpften, und ähnlich war es beim 
Manchester - Regiment in Dinapore. Im Gya - Gefängnis« wurde die 
Hälfte der Gefangenen geimpft; von diesen erkrankten 8 und starben 
5, während von den Nichtgeimpften 20 erkrankten und 10 starben. 
36 Häuser in Calcutta mit 516 Einwohnern wurden von der Cholera 
heimgesucht, 181 von diesen Personen wurden geimpft und 335 nicht. 
Von ersteren erkrankten 4, die alle starben, von letzteren erkrankten 
45 mit 35 Todesfällen. In einigen Theegärten in Assam kamen unter 
5222 Nichtgeimpften 88 Erkrankungen mit 19 Todesfällen, unter 2741 
Geimpften 5 Erkrankungen mit 3 Todesfällen vor. Pröbsting. 

Reinoke (Hamburg), Zur Epidemiologie des Typhus in Hamburg und 

Altona. Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1896, Heft 3. 

Verfasser gelangt zu dem Resultat, dass der Typhus in Hamburg 
aus sehr verschiedenen Quellen herstammt. Die verschiedenen Wege, 
Auf denen die Möglichkeit einer Infection möglich ist, sind nach 
Reineke folgende: 

1. Einschleppung auf dem Seewege oder von der Oberelbe in den 
Hamburger Hafen und Infection des Elbwassers vor der Stadt 
durch die zugereisten Kranken. 

2. Infection des Elbwassers durch Kranke in der Stadt, deren 
Stuhlgänge undesinficirt durch die Siele dem Strome zugefflhrt 
werden. 

3. Infection von Schiffsinsassen auf dem Strome und von städtischen 
Hafenarbeitern und Badenden durch das Elbwasser. 

4. Infection der städtischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, welche 
mit Elbwasser in Berührung gekommen sind (Fische, Gemüse, 
Milch). 

5. Infection der städtischen Bevölkerung durch das mittels der 
Wasserkraft in die Stadt gepumpte unfiltrirte Elbwasser, bis zur 
Eröffnung der Sandfiltration im Mai 1893. 

6. Einschleppungen auf den verschiedenen Landwegen, sowohl durch 
Eiranke, wie durch Nahrungsmittel (Milch, Gemüse, Austern). 

7. Secundäre Herde verschiedener Generationen, innerhalb der Stadt 
entstanden durch directe Uebertragung oder durch Infection von 
Nahrungsmittel und Brunnen, besonders zahlreich in der zweiten 
Hälfte der grossen Epidemien. 

Reineke ist mit Pettenkofer vollkommen darin einig, dass das A 
und fl aller Typhus- und Cholerabekämpfung die Assanirung der 


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454 


Städte durch Kanalisation und Wasserversorgung ist, bevor die Ein¬ 
schleppung erfolgt. Daneben hält er selbstverständlich alle anderen 
Maassnahmen zur Verbesserung der Reinlichkeit in den Wohnungen 
und Arbeitsstätten, in den Häusern und auf den Strassen und Alles, 
was sonst individuelle Disposition abschwächen kann, als Theile der 
gesammten Assanirung von nicht zu unterschätzender Bedeutung. 

Bleibtreu (Köln). 

Typhoid fever in Michigan. Twenty-first annual report of the secretary 
of the state board of health of the state of Michigan. (Lansing, R. Schmith 
& Co. 95.) 

Der 21. Jahresbericht des Gesundheitsamtes von Michigan enthält 
eine interessante Zusammenstellung der Wechselbeziehungen zwischen 



Typhns-MorbidiUt 
Grundwaaaer - - - 


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455 


Typhuserkrankungen und Grundwasserstand in den 14 Jahren 1878 
und 1888 — 92. 

Wie aus beistehender Uebersicht und folgendem Diagramm hervor¬ 
geht, ist diese Beziehung eine sehr innige der Art, dass die Typhus¬ 
erkrankungen mit dem Steigen des Grundwassers ab- und mit dem 
Fallen desselben zunehmen. 



Januar 

Februar 

März 

April 

’5 
^ 35 

junp 

Juli 

00 

1 §• 

< 

September 

October 

November 

December 

Durchschn. Höhe d. 
Bodens über dem 
Grund wasser in Zoll 

214 

| 209 

205 

197 

197 

199 

214 

221 

226 

231 

228 

225 

Schwankungen in d. 
Tiefe des Grund¬ 
wassers vom Maxi¬ 
mum . 

1 17! 

12 

8 

0 

0 

21 

17 

24 

29 

34 

3i: 

28 

Morbidität an Typhus 
in °/o d. Gesammt- 
Wochenberichte . , 

10 1 

8 

6 

4 

5 

5 

7 

13 

19 

21 

18 

13 

Durchschn. Zahl der 
Todesfälle an Ty¬ 
phus . 

26 

22 

25 

26 

25 

28 

28 

59 

94 

103 

i 

76 

1 

55 


Noch deutlicher wird diese Beziehung durch nebenstehendes 
Diagramm illustrirt. 

In den Monaten April und Mai steht somit das Grundwasser am 
höchsten und die Typhus-Morbidität ist am niedrigsten; in den Monaten 
September, October und November ist es umgekehrt, das Grund wasser 
steht am tiefsten und die Morbidität an Typhus ist am höchsten. 

Pröbsting. 

A. E. Wright and D. Semple, On the presence of typhoid baoilli in 
the urine of patients suffering from typhoid fever. (The L&ncet 8752.) 

Unter 7 Fällen von Typhus fanden die Verf. sechsmal Typhus- 
Bacillen im Urin, während die Bacillen in den Faeces zumeist nicht 
gefunden werden konnten. Es ergiebt sich daraus die praktische 
Folgerung, dass in erster Linie der Urin von Typhuskranken aus¬ 
giebig zu desinficiren ist. Pröbsting. 

Max Müller, Ueber den Einfluss von Fiebertemperaturen auf die 
WaohsthumBgesohwindigkeit und die Virulens des TyphusbaciUus. 
Zeitschrift für Hygiene, 1895, Bd. XX, Heft 2. 

Seit langer Zeit ist schon in der Medicin die Anschauung ver¬ 
treten worden, dass das bei Infectionskrankheiten auftretende Fieber 

Centralblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 32 


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456 


einen für den Organismus heilsamen Vorgang darstellt, und auch heute 
noch hat diese Auffassung zahlreiche Anhänger, indem man sich vor¬ 
stellt, dass das Fieber den Organismus entweder widerstandsfähiger 
gegen den Infectionsprocess macht oder die Krankheitserreger direct 
schädige. Bekämpft werde diese Ansicht vom Fieber erst in neuerer 
Zeit und zwar vor Allen von Liebermeister, der sich dahin ausgesprochen 
hat, dass die fieberhafte Temperatursteigerung an sich in vielen Fällen 
eine grosse Gefahr für den Organismus darstellt und dass man durch 
die Antipyrese, sei es in Form der verschiedenen hydro-therapeutischen 
Proceduren oder durch medikamentöse Mittel, den Krankheitsprocess 
entschieden günstig beeinflussen kann. 

Nachdem der Verfasser nun an der Hand der umfangreichen 
Literatur gesucht hat, was sich für diese Auffassung des Fiebers als 
eines HeilungsVorgangs aus exacten wissenschaftlichen Untersuchungen 
beibringen lässt, stellt er sich als eigentliche Aufgabe die Entscheidung 
der bisher noch gar nicht bearbeiteten Frage, ob sich ausserhalb 
des Organismus ein schädigender Einfluss der Fiebertemperatur auf 
die Vermehrungsgeschwindigkeit oder die Virulenz pathogener Bak¬ 
terien nachweisen lässt und wählte zu seinen Versuchen speciell den 
Typhusbacillus. Aus seinen Versuchen ergiebt sich nun als durch¬ 
schnittliche Länge der Generationsdauer 

bei 37,5 bis 38,1° C. 32,02 Minuten, 
n 39,7 , 40,4» C. 37,02 

d. h. der Typhusbacillus braucht bei etwa 40° C. ca. 5 Minuten länger 
Zeit für die Entstehung einer neuen Generation, als bei 37,5 bis 
38,0 0 C., mit anderen Worten : eine ungehinderte Fortpflanzung vor¬ 
ausgesetzt, würden im Laufe eines Tages bei der menschlichen Normal¬ 
temperatur etwa 45, bei ca. 40° C. etwa 39 Generationen aus einem 
Bacillus hervorgehen. 

Eine Temperatur von 40 0 C. ist also nicht im Stande, den Typhus¬ 
bacillus zu vernichten oder wesentlich in seinem Wachsthum zu be¬ 
einträchtigen. 

Selbst die höchsten bei Menschen vorkommenden Temperaturen 
von 41,5 bis 42,0° C. vermögen selbst bei 62tägigem Aufenthalt der 
Culturen in den Thermostaten nicht die Typhusbacillen abzutödten, 
sondern es entwickeln sich durch Plattenculturen noch vollständig 
lebenskräftige und fortpflanzungsfähige Bacillen. 

Erst eine Temperatur von 44,5 0 C. ist im Stande, bei längerer 
Einwirkung eine grössere Menge von Typhusbacillen abzutödten. 

Es ist also durch diese Untersuchungen der Nachweis geliefert, 
dass der rein physikalische Charakter der erhöhten Temperatur in 
den Graden, wie sie bei Typhusfieber zur Beobachtung kommen, einen 
abtödtenden Einfluss auf den Typhusbacillus nicht ausüben kann. 

Durch besondere Versuche wurde ebenfalls nachgewiesen, dass sich 


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457 


kein sicherer Unterschied in der Virulenz der Typhusbacillen ergab, 
mochten auf dieselben Temperaturen von 40° oder von 37° C. ein¬ 
gewirkt haben. B1 e i b t r e u (Köln). 

Piorkowski, Ueber die Einwanderung des Typhusbacillus in das 
Hühnerei (Archiv für Hygiene, Band XXV, S. 145—153.) 

Nachdem von verschiedenen Untersuchern die Frage nach dem 
Einwanderungsvermögen von Choleravibrionen und verschiedenen sapro- 
phytischen Pilzen in das Hühnerei bejahend beantwortet war, unter¬ 
nahm es Piorkowski, diese Frage auch für Typhusbacillen zu be¬ 
antworten. Da die Versuche auf die hierfür allgemein übliche Weise 
angestellt wurden, unterlasse ich es, auf die Versuchsanordnung näher 
einzugehen und beschränke mich auf die Wiedergabe der Resultate. 

P. fand, dass auch dem Typhusbacillus — wie ja vorauszusehen 
war — die Fähigkeit zukommt, unter geeigneten Bedingungen die un¬ 
verletzte Schale des Hühnereies zu durchwandern und in das Innere 
des Eies einzudringen. Diese Durchwanderung ging am besten bei 
einer Temperatur von 28—37° vor sich, wenigstens besser als bei 
21° C. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Elsner, Untersuchungen über eleotives Wachs thum der Baoterium coli- 
Arten und des Typhusbacillua und dessen diagnostische Verwerth- 
barkeit. (Aus dem Institut für Infectionskrankheiten zu Berlin.) Zeitschr. 
für Hygiene Bd. XXI, S. 25—31. 

Die ganz ausserordentlichen Schwierigkeiten, welche die Unter¬ 
suchung von angeblich Typhusbacillen enthaltendem Material trotz 
der enormen Menge von Arbeiten über diesen Gegenstand noch immer 
darbietet, veranlassten den Verfasser, sich mit der Herstellung eines 
Nährbodens für Typhusbacillen zu beschäftigen, welcher die anderen 
Bakterien aus Bakteriengemischen, vor Allem die schnell wachsenden 
und die Gelatine verflüssigenden Bakterien und die Gruppe der 
Bacterium coli-Arten in ihrem Wachsthum hemmt, den Typhusbacillen 
dagegen günstige Bedingungen für das Wachsthum darbieten sollte. 

Verfasser giebt nun an, einen solchen Nährboden in einer säuern 
mit Jodkali versetzten Kartoffelgelatine gefunden zu haben. 
Auf dieser Gelatine sollen die meisten der in Schmutzwässern etc. 
vorkommenden, grossentheils verflüssigenden Bakterienarten nicht ge¬ 
deihen, dagegen die Bacterium coli-Arten und vor Allem der Typhus¬ 
bacillus, und zwar letzterer in einer von dem Bacterium coli 
äusserst leicht zu unterscheidenden Art und Weise. 

(Weitere Mittheilungen über diesen Gegenstand werden noch ab¬ 
zuwarten sein, bevor man die Zuverlässigkeit dieses vom Verf. übrigens 
sehr ungenau beschriebenen Nährbodens als sicher annehmen kann. Ref.) 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

32* 


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458 


Dr. A. Blaschko, Die Lepra im Kreise Memel. Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1896. Nr. 20. 

In früheren Jahrhunderten war die Lepra in Deutschland stark 
verbreitet, zumal im 13. und 14. Jahrhundert. Seit der Reformations¬ 
zeit aber war der Aussatz so gut wie erloschen. In neuerer Zeit sah 
man nur vereinzelte Fälle von Deutschen und Fremden, die mit dem 
Aussatz behaftet zu uns kamen. Da entdeckte im Jahre 1884 
Dr. Fürst einen Kranken in Memel, dessen Bruder später ebenfalls 
von Lepra befallen wurde. Im Jahre 1893 berichtete Dr. Pindikowski 
(Memel) *) über 9 Leprakranke aus dem dortigen Kreise; ausser diesen 
waren 4 Lepröse in den letzten Jahren bereits verstorben. In den 
russischen Ostseeprovinzen hatte die Krankheit in den letzten Jahr¬ 
zehnten beständig zugenommen; gleichwohl lehnten Pindikowski sowie 
spätere Berichterstatter die Annahme einer Einschleppung aus Russland 
ab, da ein Verkehr nicht nachgewiesen schien. 

Dr. A. Blaschko berichtet nun über die Ergebnisse seiner an 
Ort und Stelle mit Unterstützung der Behörden und der Aerzte aus¬ 
geführten Nachforschungen. 

Der Verfasser beschreibt (zutreffend. Ref.) die traurigen Lebens¬ 
verhältnisse der preussisch-litauisehen Landbevölkerung, ihre Armuth, 
die schlechten Wohnungen, die schlechte Nahrung, den Missbrauch 
des Alkohols (und des Aethers). „Krankheiten achtet der Litauer sehr 
wenig, und den Arzt konsultirt er nur im äussersten Nothfalle; die 
meisten sterben, ohne je in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein. 
Auch die Furcht vor ansteckenden Krankheiten scheint sehr gering zu 

sein. So herrscht sei Jahren das Trachom (ansteckende 

Bindehaut-Entzündungen) in erschreckendem Maasse. Auch die Mortalität 
der Kinder ist sehr erheblich.“ 

Seit Dr. F ti r s t ’ s erster Beobachtung waren im Ganzen 20 Lepra- 
Fälle bekannt geworden; 13 Kranke waren gestorben; 7 leben noch. 
Dr. Blaschko fand 2 neue Fälle auf; auch ist nicht auszuschliessen, 
dass noch mehr Kranke vorhanden sein mögen. 

Räumlich bilden diese 22 Aussatzfälle drei Hauptherde, von 
denen der eine nördlich und südlich von der Stadt Memel — an der 
Ostsee und am Haff, die beiden andern in der nordöstlichen und in 
der südöstlichen Ecke des Kreises — hart an der russischen Grenze 
liegen. 

Der erste Fall dieser Epidemie entwickelte sich wohl in der 
Mitte der 70er Jahre; kein Fall ist ganz frisch, d. h. in den letzten 
2 Jahren hinzugekommen. 

Unter den 22 Kranken waren 11 Männer, 11 Frauen, darunter 
ein Knabe von 13 Jahren, der seit längerer Zeit krank ist; ferner ein 

*) Mittheilungen über eine in Deutschland bestehende Lepra-Endemie. 
Deutsche medicin. Wochenschrift 1893. Nr. 40. 


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459 


Greis von 76 Jahren; dazwischen sind alle Altersstufen gleichmässig 
vertreten. 

Mehrfach kamen mehrere Fälle in je einer Familie vor. Dass 
die Ansteckung nicht in viel ausgedehnterem Grade stattgefunden, ist 
um so bemerkenswerther, als nicht die geringste Vorsicht beobachtet 
wird. Auch Blaschko nimmt an, dass die Mehrzahl der Menschen 
gegen den Leprabacillus offenbar völlig immun und nur eine kleine 
Minderheit von besonders Disponirten empfänglich ist. Daher die 
häufigere Uebertragung auf Blutsverwandte (Kinder, Geschwister) als 
auf den andern Ehegatten. Daher das überaus langsame Vorwärts¬ 
schreiten der Seuche. 

In klinischer Beziehung zeigten die Memeler Fälle die ganze 
Vielgestaltigkeit des Krankheitsbildes; die von Blaschko neu be¬ 
schriebenen Fälle gehören der schwerer zu erkennenden „anästhetischen“ 
Form an, während die bisher bekannten „tuberös“ waren. 

Verfasser nimmt an, dass die Lepra durch den Grenzverkehr aus 
Russland eingeschleppt wurde. Man hätte an den Verkehr zu Wasser 
— auf der Memel — denken können. Aber weder im Kreise Tilsit 
noch im Kreise Heydekrug sind je Lepra-Fälle vorgekommen. Dagegen 
konnte Verfasser bald feststellen, dass entgegen der bisherigen An¬ 
nahme die angrenzenden Teile von Russisch-Litauen und Kurland 
keineswegs frei von Lepra sind. Von andern dies beweisenden Mit¬ 
theilungen abgesehen, fand Dr. Blaschko in Russisch-Krottingen (hart 
an der Grenze) einen Leprakranken; und Dr. Aronsohn in Garsden 
(in Russland, hart an der preussischen Grenze) berichtete Uber vier 
Leprakranke, von denen einer schon aus 1870 stammt. Längs der 
Grenze besteht hier ein reger Verkehr zwischen den beiden Ländern, 
der als Ursache der Uebertragungen anzusehen ist, wenn sich dies im 
Einzelnen auch nicht feststellen liess; der Beginn der Krankheit zeigt 
sich hiefür zu unbestimmt und verräth sich oft erst viele Monate, selbst 
Jahre nach der eigentlichen Infection. Für Russland selbst ist durch 
v. Petersen überzeugend nachgewiesen, dass die Lepra von ihren 
beiden Hauptherden, Astrachan im Süden und Livland im Norden, 
allmählich immer weiter nach der Peripherie fortschreitet. Die 
Epidemie im Kreise Memel ist lediglich als der bisher 
letzte Ausläufer der russischen nördlichen Epidemie 
zu betrachten. 

Eine fernere Verbreitung im Kreise Memel wie in die Nachbar¬ 
kreise ist recht wohl möglich, sowie auch die gelegentliche Ver¬ 
schleppung der Krankheit nach dem übrigen Deutschland. 

Verfasser empfiehlt, die Gesammtbevölkerung des 
Kreises von einem hinlänglich vorbereiteten Arzte auf Lepra (gleich¬ 
zeitig auf Trachom) untersuchen, die verdächtig Befundenen auch 
später wiederholt besichtigen zu lassen. Alle aus Russland ein- 


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460 


wandernden Personen, sowie alle Deutsche, die sich mehr als vier 
Wochen in Russland aufgehalten, sollten auf ihren Gesundheitszustand 
geprüft werden. 

Die Kranken sollten in angemessenerWeise abgesondert werden« 
Die Ansteckung ist nach Verfasser zu verhüten, insofern es gelingt, 
die Entstehung offener Wunden bei den Kranken hintanzuhalten, jede 
absondernde Flüche mit einem Verbände abzuschliessen und das Nasen- 
und Rachensecret der Kranken auf eine geeignete Weise unschädlich 
zu machen. Leproserien nach Art der mittelalterlichen 
mit lebenslänglicher Abschliessung der Kranken von 
der Aussenwelt bezeichnet Dr. Blaschko als eine unnütze Grausam¬ 
keit. Er empfiehlt, in der Nähe der Stadt Memel eine kleine Kolonie 
anzulegen, in der die arbeitsfähigen Leprösen mit Acker- und Garten¬ 
bau beschäftigt werden könnten und für die Schwerkranken eine 
Krankenstation enthalten sein müsste. 

Das Beispiel der russischen Ostseeprovinzen sollte doch warnen. 
Schon zählt man in den Provinzen Livland und Kurland kaum weniger 
als 1000 Leprakranke, und es ist fraglich, ob es dort noch möglich 
ist, die Krankheit einzudämmen. Um so dringlicher sind zeitige Vor- 
sichtsmassregeln für Preussen. 

(Bekanntlich hat kürzlich im Aufträge der Staatsregierung Ge¬ 
heimrath Koch im Kreise Memel Nachforschungen angestellt, um 
Maassregeln gegen die Lepra zu empfehlen.) • W. 

J. Goldschmidt, An acute epizcotic and epldemic outbreak of hydro- 
phobia at Madeira. (The Lancet 3690.) 

Im Juni 1892 brach in Madera eine ausgedehnte Hundswuth- 
Epidemie aus, der auch neun Menschenleben zum Opfer fielen. Die 
durchschnittliche Incubationszeit betrug bei Menschen zwischen 40—60 
Tage. Die. ersten Gebissenen, welche an der Krankheit starben, zwei 
Kinder, erlagen etwa drei Monate nach dem Auftreten der Krankheit 
unter den Hunden. Die Incubation betrug bei diesen Beiden 38 und 
40 Tage, die Krankheitsdauer 3 und 4 Tage. Schon vorher waren 
zahlreiche Personen gebissen, ohne jedoch zu erkranken, wohl ein Beleg 
für die herrschende Ansicht, dafs das Hundswuthgift erst mehrere Hunde 
durchlaufen mufs, ehe es den Virulenzgrad erreicht, um den Menschen 
zu schädigen. Bei allen Hunden ergab die Section acute Gastroenteritis, 
Peritonitis und allgemeine Entzündung der Bauchorgane. 

Ein Hund mit deutlich ausgeprägten, unzweifelhaften Symptomen 
der Lyssa genas nach mehreren Monaten völlig von der Krankheit. 

Pröbsting. 

Chalmers, .Return“ oases of scarlet fever. (The Lancet 3474.) 

Unter return cases of scarlet fever versteht Verf. Scharlach¬ 
erkrankungen, die in einem Hause vorfallen, nachdem ein aus einem 


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461 


Spital entlassener Scharlach-Reconvalescent in das Haus zuriickgekehrt 
ist. Die Untersuchungen sind in Glasgow angestellt und beziehen sich 
auf 8700 Scharlachkranke, die als gesund aus den Krankenhäusern 
entlassen wurden. In 99 Fällen kam es zu einer neuen Scharlach¬ 
erkrankung in den Häusern, in welche die Entlassenen zurtickgekehrt 
waren. Ueber die zeitliche Folge der zweiten Scharlacherkrankung 
nach der Entlassung des ersten Kranken giebt folgende Tabelle Aus¬ 
kunft : 


Erste Woche 1 

Zweite Woche 1 

Dritte Woche 1 

Vierte Woche 

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— 

3 

13 

10 

9 

17 

1 

— 

— 

4 

15 

11 

3 

18 

2 

— 

— 

5 

10 

12 

1 

19 

1 

— 

— 

6 

10 

13 

4 

20 

1 

— 

— 

7 

7 

14 

j 

21 

— 

28 

1 

— 

61 

i - 

29 

— | 

8 


1 


Die Kranken blieben mindestens 7—8 Wochen nach Ausbruch 
der Krankheit in den Spitälern, sehr häufig aber auch länger. Bei der 
Entlassung wurden die Reconvalescenten gebadet und in desinficirte 
Kleider gekleidet. Pröbsting. 

A. La voran, De l’emploi preventif de la quinine oontre le paludisme. 

(Revue d’Hygi&ne T. XVIII. Nr. 8.) 

Nach Würdigung der umfangreichen Literatur kommt Verf. zu dem 
Schluss, dass kleine Chiningaben ein ausgezeichnetes Mittel zur Ver¬ 
hütung des Sumpffiebers sind. Man giebt entweder 0,2—0,3 gr schwefel¬ 
saures Chinin Jäglich oder 0,4—0,6 gr alle zwei Tage, letzteres dort, 
wo die endemische Malaria einen bösartigen Charakter hat. Am besten 
wird das Chinin in Wein aufgelöst genommen. Das Chininum sulfuricum 
ist im Allgemeinen den anderen Chininsalzen vorzuziehen; Arsenik, 
mit dem man in Italien umfangreiche Versuche anstellte, hat sich in 
der Prophylaxe des Sumpffiebers nicht bewährt. Pröbsting. 

J. Korösi f Die Pockenstatistik der österreichischen Staatsbahngesell¬ 
schaft. Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1896, Heft 3. 

Korösi weist in diesem auf der Wiener Versammlung des 
deutschen Naturforschertages im Jahre 1894 gehaltenen Vortrage unter 


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462 


Vorbringung überzeugenden Beweismaterials nach, dass die von den 
Impfgegnern so sehr geschätzte Pockenstatistik der österreichischen 
Staatseisenbahngesellschaft von Dr. Leander Keller in den Jahren 1872, 
1873 und 1874 in tendenziöserWeise gefälscht worden ist. Der Werth 
dieser Statistik wurde von den Impfgegnern besonders desshalb hoch 
angeschlagen, weil sie dieselbe für die erste nach Altersklassen ab¬ 
gestufte Pockenstatistik hielten, und weil sich ergeben hatte, dass 
in einigen Altersklassen die Geimpften sogar eine grössere Letalität 
als die Ungeimpften aufwiesen. Es hatte also nach dieser Statistik, 
die scheinbar auf das Sorgfältigste angefertigt war, den Anschein, dass 
die Impfung im besten Falle nichts nütze, die Revaccination aber ent¬ 
schieden schade. Korösi hat nun keine Mühe gescheut, sich in den 
Besitz von Duplicaten oder Originalberichten von den Streckenärzten 
zu setzen. Er wurde in diesen Bemühungen von dem Präsidenten der 
Staatseisenbahngesellschaft, Herrn v. Taussig, in der entgegenkommendsten 
Weise unterstützt. Besonders werthvoll war es für den Nachweis der 
Keller’sehen Fälschungen, dass das verloren geglaubte Actenmaterial 
des Jahren 1872 von dem gegenwärtigen Chefarzt der Staatseisenbahn¬ 
gesellschaft, Dr. Stöhr, im Staatsbahnarchiv entdeckt wurde, wodurch 
die Möglichkeit geboten wurde, die Art und Weise festzustellen, wie 
Keller seine Statistik herstellte und fälschte. Die von Stöhr auf Grund 
des Actenmaterials angefertigte amtliche Statistik gelangt nun ent¬ 
schieden zu impffreundlichen Ergebnissen, indem die Geimpften gegen 
die Gefahr, an Pocken zu sterben, zweimal stärker waren als die Un¬ 
geimpften. Bleibtreu (Köln). 

Small pox in Massachusetts. Twenty-sixth annual report of the state board 
of health of Massachusetts. (Boston, Wright & Potter Printing Co. 1895.) 

Massachusetts wurde in den Jahren 1893 und 1894 von einer 
Blättern-Epidemie heimgesucht, bei welcher im Ganzen 229 Erkrankungen 
beobachtet wurden. An diese Mittheilung werden einige Bemerkungen 
über Blattererkrankungen und Blatterimpfung geknüpft, die von allge¬ 
meinem Interesse sind. 

In den 20 Jahren von 1855—74 kamen in Massachusetts 4231 
Todesfälle an Blattern vor, gleich 0,83 °/o der Gesammtsterblichkeit 
und 1,6 auf 10 000 der Bevölkerung. In den folgenden 20 Jahren 
von 1875—94 wurden nur 317 Blattemtodesfälle beobachtet, gleich 
0,04 °/o der Gesammtsterblichkeit und 0,08 auf 10 000 der Be¬ 
völkerung. 

Ueber die Sterblichkeit an Blattern in den einzelnen Lebensaltern 
besitzen wir aus der Zeit vor Einführung der Impfung nur sehr spär¬ 
liche zuverlässige Aufzeichnungen. Die besten aus Genf für die Zeit 
von 1580—1760 und aus einer schottischen Stadt, Ealmarnock, für die 
Jahre 1728—64. Vergleichen wir diese Aufzeichnungen mit der Pocken - 
Statistik für Massachusetts (1861—93), so finden wir: 


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463 


Mortalität an Pocken nach Altersperioden. Auf 1000 Pockentodesfftlle 

kamen: 


Alter 

Genf 

Kilmarnock 

Massachusetts 

1580-1760 

1728 -64 

1861-93 

Unter 5 Jahren . . . 

805,5 

942 

327 

5-10 , ... 

155,5 

34 

69 

10—20 „ ... 

26,5 

5 

118 

20-30 „ ... 

10 

5 

265 

30-40 * ... 

!; 2,5 j 

— 

101 

40 und mehr. 

— 

107 

Unbekannt . 

I 

14 

13 


iooo ; 

; ' 1 

1000 

1000 


Seit Einführung der Impfung hat somit eine ganz erhebliche Ver¬ 
schiebung der Pockensterblichkeit zu Gunsten der Kinder unter zehn 
Jahren stattgefunden, die wohl nur durch die allgemeine Anwendung 
der Impfung zu erklären ist. 

Was die Sterblichkeit an Blattern unter den Geimpften und Nicht¬ 
geimpften angeht, so giebt uns darüber folgende Tabelle, die sich auf 
die 7 Jahre 1888—94 bezieht, Auskunft. 


Alter 

Geimpfte 

Ungeimpfte | 

Zweifelhaft 

Erkrankt 

Gestorben 

Erkrankt 

Gestorben 

Erkrankt 

Gestorben 

0—1 Jahr. 


_ 

17 

9 


_ 

1-5 „. 

4 


36 

6 


— 

5-10 „. 

1 

— 

17 


— 

— 

10-15 „. 

13 

— 

6 

— 

2 

_ 

15-20 „. 

17 

1 

18 

4 

6 

2 

20-30 „. 

51 

3 

33 

10 

12 

4 

30-40 „. 

16 

3 

15 

5 

1 

1 

40—50 .. 

16 

1 

3 

2 

3 

— 

Ueber 50 Jahre .... 

9 

— 

— 

— 

3 

1 

Alter unbekannt . . . 

! 3 

i 

— 

1 

1 — 

4 

— 


130 

1 8 

| 146 

36 | 

31 j 

i 8 


Bemerkenswerth ist an diesem Nachweis besonders die Thatsache, 
dass bei Kindern unter einem Jahre überhaupt keine Erkrankung, und 
bei solchen unter 15 Jahren kein Todesfall an Pocken beobachtet 
wurde. Pröbsting. 


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464 


Leeds urb&n sanitary district. (The Lancet. 8740 ) 

Im Jahre 1893 wurden im Pockenspital zu Leeds 586 Pockenfklle 
behandelt. Die Sterblichkeit war in Bezug auf die Zahl der Impf¬ 
narben folgendermaassen: 



Erkrankungen 

Todesfälle 

Mortalität 

6 Narben. . . 

3 

_ 

_ 

5 » • • - 

2 

— 

— 

4 „ . . . 

89 

— 

— 

3 „ ... 

144 

3 

2,0 % 

2 „ . . . 

184 

4 

2,1 °/o 

1 Narbe . . . 

78 

6 

7,8 °/o 

Keine Narben . 

88 

17 

19,3 °/o 


Pröbsting. 

Small-pox in Manchester in 1892—1894. (The Lancet 3765.) 

Der Bericht umfasst 99 Fälle. Die Sterblichkeit bei den Ge¬ 
impften betrug 4,04 °/o, bei den Nichtgeimpften 26,47 °/o und bei den 
Zweifelhaften 14,21 °/o. Von den Geimpften unter 15 Jahren starb 
keiner, unter den Nichtgeimpften betrug die Sterblichkeit von 0—5 
Jahren 32 °/o, von 5—15 Jahren 20 °/o. Von 15—25 Jahren war 
die Sterblichkeit bei den Geimpften 0,76 °/o, bei den Nichtgeimpften 
21,74 °/o; von 25—45 Jahren waren die Procentsätze 6,16 und 31,25 
und von 45—65 Jahren 9,23 und 100,0 (nur 2 Fälle). 

Pröbsting. 

Küttner, Ueber einen neuen, beim Menschen gefundenen Eitererreger. 
[Aus dem hygien. Institut zu Kiel.] (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. XIX, 
p. 263—290.) 

In dem Eiter eines Bauchdeckenabscesses, welcher in der Kieler 
Frauenklinik zur Beobachtung kam, wurde ein dem Bacterium coli 
(dem ständigen Bewohner des menschlichen Darmcanals) ähnlicher, 
lebhaft beweglicher Eitererreger gefunden, welchen Küttner des Ge¬ 
naueren in seinem morphologischen und kulturellen Verhalten und in 
seinem Verhalten gegenüber Versuchsthieren beschreibt. 

Der Mikroorganismus ist ein reiner Eitererreger und als solcher 
für Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen und Tauben von der Blut¬ 
bahn aus und von den serösen Höhlen des Körpers tödtlich. Bei Ein¬ 
verleibung des Bacillus unter die Haut oder in das Muskelgewebe 
kommt es zur Eiterung, welche auch meist mit dem Tode des Ver¬ 
suchstieres endet. 

Der Bacillus bildet giftige Stoffwechselprodncte, welche in grösseren 
Dosen Mäuse zu tödten vermögen. 


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465 


Von ähnlichen Bakterien, vornehmlich dem Bacterium coli 
commune, ist er durch die possitiv ausfallende Nitrosoindol- 
reaction, welche ausser dem Choleravibrio und einigen anderen 
Wasservibrionen nur noch sehr wenige Bacillen geben, leicht za 
unterscheiden. Dr. Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Petruschky, Untersuchungen über Infection mit pyogenen Kokken. 
Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, Bd. XVIII, Heft III, 
8. 418-441. 

Die Zusammenfassung der Ergebnisse der in dieser Arbeit ge¬ 
schilderten zahlreichen Versuche lautet: 

1. Es giebt reine Streptokokkeninfectionen, bei denen im directen 
Anschluss an einen primären Eiterungsprocess ein echtes Erysipel sich 
entwickelt; die Streptokokken des Erysipels zeigen dabei denselben 
Virulenzgrad wie die des Eiterherdes. 

2. Es giebt umgekehrt Eiterungsprocesse, welche im Anschluss an 
ein primäres Erysipel subcutan entstehen und von den gleichen Strepto¬ 
kokken verursacht werden. 

3. Erysipel am Kaninchenohr kann durch Streptokokken sehr 
verschiedener Herkunft (Abscesse, Puerperalfieber, Pleuritis) erzeugt 
werden, falls die Virulenz der Streptokokken eine geeignete ist. 

4. Alle durch Streptokokken bedingten Krankheitsprocesse haben 

die gemeinsame Neigung, eine stark remittirende (zackige) Temperatur- 
curve zu liefern. Mastbaum (Köln). 

Microbea on money. (The Lancet 3759.) 

Im Militär - Krankenhaus von Dey in Algier wurden von Dr. 
H. Vincent zahlreiche Untersuchungen über Mikroorganismen auf Geld¬ 
stücken angestellt. Die Zahl solcher Bakterien war eine sehr grosse, 
schwankte aber in weiten Grenzen, auf Gold- und Silbermünzen wurden 
von 460 bis 3500 und auf Kupfermünzen noch mehr gefunden. Von 
den Versuchsthieren, bei welchen Injectionen mit solchen Bakterien 
angestellt wurden, starb oder erkrankte heftig der zehnte Theil, in 
einem Falle entstand Tuberkulose. Weitere Experimente zeigten nun, 
dass die Münzen in sich eine gewisse antiseptische Kraft haben, indem 
pathologische Keime auf Münzen bald absterben. Die Zeit, in welcher 
das Absterben erfolgt, variirt nach der Temperatur und nach dem 
Metall. Bei einer Temperatur von etwa 36 0 C. gingen viele pathogene 
Mikroorganismen schon in weniger als 6 Stunden zu Grunde. Die 
Diphtherie-Bacillen gehören zu den widerstandsfähigsten; goldene Münzen 
haben eine geringere antiseptische Kraft als silberne und bronzene 
Münzen. Pröbsting. 


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466 


Ueber die Wirkung der putriden Gifte auf den thierisehen Organismus. 

Von Dr. Bernardo Frisco. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. 

Angelo Celli. Yol. Y, fase. IV. 1895. 

Putride organische thierische (Fleischinfus) und pflanzliche (Mais- 
infus) Gifte wurden den Versuchsthieren auf die verschiedenste Weise 
beigebracht. Aus den Versuchen ergaben sich folgende Schluss¬ 
folgerungen : 

1. Die Anwesenheit putrider Gifte im Organismus ist im Stande, 
folgende Verhältnisse zu erzeugen: Erhöhung der Temperatur, 
Verminderung des Gewichts, Veränderungen im Magen-Darmkanal, 
theilweise Zerstörung der rothen Blutkörperchen und Störungen 
des Stoffwechsels, sowie auch häufig ein Eindringen der Bakterien 
aus dem Darmkanal ins Blut. 

2. Auf welchem Wege auch immer die Stoffe in den Körper ge¬ 
langen, constant und vorzugsweise sind es Läsionen des Gastro- 
iutestinalsclilauches, die sie erzeugen. 

3. Nicht nur die organischen Infuse von thierisehen Stoffen sind im 
Stande, derartige Störungen zu erzeugen, sondern auch vegetabi¬ 
lische aus Mais. Letztere rufen auch wirkliche Convulsionen 
der Versuchsthiere hervor. 

4. Die wiederholte Beibringung der putriden Gifte in refracta dosi 
vermag sowohl die Versuchsthiere gegen dieselben Gifte zu 
immunisiren, als auch ihren Tod herbeizuführen unter allen 
Symptomen einer wahren Kachexie (auch nach Einführung kleiner 
Dosen). 

5. Bei mehr erhöhten Dosen und leerem Magen kann auch die 
Zuführung per os Intoxikationserscheinungen hervorrufen, die 
sich unter den oben genannten Symptomen offenbaren. 

6. Es ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die constant sich 
findende Läsion des Gastrointestinalkanals, welche durch die 
putriden Gifte erzeugt wird, einen Zustand veranlasst, welcher 
die Disposition abgiebt für die Entwicklung der specifischen In- 
fectionsprocesse, welche von da aus ihren Ausgang nehmen. 

San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen). 

Scheurlen, Zur Beurtheilung der antiseptisehen Salben. (Archiv f. 

Hygiene 1896, Bd. XXV, S. 373-391.) 

Koch hatte durch eingehende Untersuchungen festgestellt, dass 
dem Carbolöl keine antiseptische Kraft innewohne, und hatte daher 
auch alle andern antiseptischen Oele und Salben aus der chirurgischen 
Praxis verbannt. Da Scheurlen nun bei seinen Untersuchungen 
Über Saprol (Archiv f. Hygiene, Bd. 18 u. 19) die Erfahrung ge¬ 
macht hatte, dass phenolhaltige Oele einen sehr bemerkenswerthen 
Desinfectionseffect zu erzielen im Stande sind, dadurch, dass sie an 


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467 


ihre wässrige Umgebung Phenol in genügender Menge abgeben, unter¬ 
nahm er es, dieser Angelegenheit noch einmal näher zu treten, in der 
Voraussetzung, dass die verschiedenen Oele sich hierbei verschieden 
verhalten könnten. 

Scheurlen prüfte nun das Phenol-Abspaltungsvermögen ver¬ 
schiedener, mit Carbolsäure resp. o-Kresol und m-Kresol versetzter 
Oele und Salbenconstituentien, und zwar: Gelböl, Paraffmum liquidum, 
Harzöl, russisches Mineralöl, Mohnöl, Rüböl, Sesamöl, Olivenöl, Erd¬ 
nussöl, Ricinusöl, Cocosöl, Cacaobutter, Lanolin-Liebreich, Lanolinnm 
anhydricum und Vaselin. 

Er konnte dabei constatiren, dass die Carbolabgabe der einzelnen 
Oele eine ganz verschiedene ist. Während Gelböl 86°/o und Paraffinnm 
liquidum 50°/o ihres Carbolgehaltes in kurzer Zeit abgaben, gab 
Olivenöl in ungefähr derselben Zeit nur 86 %, die beiden Lanoline 
nur 14 und 11,2% ab und Vaselin gar nur 2,8%. 

Aehnlich waren die Resultate bei der Verwendung kresolhaltiger 
Oele und Salben. 

Scheurlen schliesst daraus: je geringer das specifische Gewicht 
eines Oeles, bezw. je grösser die Differenz zwischen seinem specifischen 
Gewicht und dem des Carbois ist, desto leichter giebt das Oel Carbol 
an Wasser ab. 

Nach seinem Dafürhalten soll man also ruhig wieder — besonders 
für die kleine ambulante Chirurgie — zur Verwendung von Salben 
schreiten, wenn man nur bei der Wahl des Constituens vorsichtig ist. 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Breslauer, Ueber die antibakterielle Wirkung der Salben mit besonderer 
Berücksichtigung des Einflusses der Constituentien auf den Des- 
infectionswerth. Aus der dermatologischen Klinik zu Breslau. (Zeitschr. 
f. Hygiene. XX, S. 165—197.) 

Da die gebräuchlichsten Desinfectionsmittel nach den Unter¬ 
suchungen R. Koch’s ihre desinficirenden Eigenschaften einbüssen, 
sobald sie in Oel gelöst sind, ihr Verhalten in Salbenconstituentien 
aber noch nicht einwandsfrei geprüft worden ist, trotzdem hier viel¬ 
leicht ähnliche Resultate zu erwarten waren, so unternahm Verfasser 
es, diese Aufgabe zu lösen. 

Er prüfte dabei — den Gang der Untersuchung hier zu be¬ 
schreiben, würde zu weit führen — die verschiedensten und gebräuch¬ 
lichsten Salbenconstituentien, welche mit den für Salben gebräuchlich¬ 
sten Desinfectionsmitteln versetzt waren, und kam zu dem Resultate, 
dass das gewöhnliche officinelle Lanolin (welches ca. 20% Wasser 
enthält) und Unguentum leniens, im Publicum unter dem Namen 
„Coldcream“ besser bekannt, in Verbindung mit Disinfections- 
mitteln bei Weitem den grössten Desinfeetionswerth besitzen, dass da- 


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468 


gegen Vaseline, Schweinefett und besonders 01 ivenö 1 die Des- 
infectionskraft einer Salbe auf ein Minimum herabdrücken« 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 

Walter, Zur Bedeutung des Formalins, bezw. Formaldehyds als Des- 
infectionsmittel. Aus der hygien. chem. Untersuchungsstation des X. Armee- 
Corps. (Zeitschr. f. Hygiene 1896. Bd. 21.) 

Verf. prüfte die Desinfectionskraft des Formalins in Lösung und 
Dampfform, sowie der Formaldehyddämpfe gegenüber verschiedenen 
Desinfectionsobjecten in der allgemein üblichen Weise und kam dabei 
zu folgenden Resultaten: 

1. Formalin macht in Concentrationen von 1 : 10 000 für Milz¬ 
brand, Cholera, Typhus, Staphylococcus pyogenes aureus und Diphtherie 
jedes Wachsthum unmöglich. 

2. Als Gas hemmt es bereits in starker Verdünnung das Wachs¬ 
thum. 

3. Fs tödtet in einprocentigen Lösungen Reinculturen pathogener 
Keime in einer Stunde ab. In verdünnten alkoholischen Lösungen 
wird die Wirkung intensiver. 

4. Mit dreiprocentigen Lösungen, eventuell unter Alkoholzusatz, 
gelingt es, die Hände sicher keimfrei zu machen. Inwieweit die Haut 
dabei angegriffen wird, werden ausgedehntere Versuche zu erweisen 
haben. 

5. Durch Besprengen mit Formalinlösungen und nachherigem 
luftdichten Abschluss kann man künstlich inficirte Stoffproben steri- 
lisiren. 

6. Durch Formalin bezw. Formaldehyd gelingt es, auch im Grossen 
Ledersachen, Uniformen u. s. w. sicher zu desinliciren, ohne die be¬ 
treffenden Objecte irgend zu beschädigen. Die dazu nöthige Zeit be¬ 
trägt vorläufig 24 Stunden. (Die Möglichkeit der Zimmerdesinfection 
ist durch die Arbeiten anderer Autoren als erwiesen anzusehen.) 

7. Fäces werden bereits in einprocentiger Lösung fast augen¬ 
blicklich desodorirt und binnen 10 Minuten in zehnprocentiger Lösung 
keimfrei. 

8. Formalin leistet als Aetzmittel gute Dienste. 

9. Es ist ein vorzügliches Conservirungsmittel. 

[Nach den Untersuchungen, die im hygienischen Institut zu Königs¬ 
berg von Dr. Hans Strehl (Centralbl. f. Bakteriologie, Bd. XIX, 
1896) ausgeführt wurden, kommt es bei der Anwendung des Formalins 
sehr darauf an, ob die Desinfectionsobjecte trocken oder feucht sind. 
Jedenfalls waren Formalindämpfe bedeutend wirksamer gegenüber 
feuchten Objecten, als gegenüber trockenen, und ferner war Formalin¬ 
flüssigkeit wirksamer als Formalindämpfe. Ref.j 

Dräer (Königsberg i. Pr.). 


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469 


Reports of medical offlcers of health, Manchester urban sanitary district. 

(The Lancet 3769.) 

Von Interesse ist in dem Bericht die Kindersterblichkeit für 1894, 
dieselbe betrug nur 158,5 auf 1000 Geburten gegen 191,7, 178,2, 
201,3 in den 3 vorhergehenden Jahren. Die Sterblichkeit der ehe¬ 
lichen und ausserehelichen Kinder unter 1 Jahre zeigt folgende 
Tabelle: 


Procentsatz der ausser- 

Es starben Kinder unter 1 Jahr auf 1000 Geburten 

ehelichen Geburten 

Im Ganzen 

Eheliche 

Aussereheliche 

1891 

4,23 

192 

184 

375 

1892 

4,10 

178 

170 

367 

1893 

3,72 

201 

190 

498 

1894 

4,42 

159 

150 

338* 


Pröbsting. 


Schanz, Wie sollen sich Kinder zu Hause beim Schreiben und Lesen 
setzen P und: Augenkrankheiten im Kindesalter. Vorträge, gehalten bei 
Gelegenheit der Ausstellung von Erzeugnissen für Kinderpflege, Ernährung 
und Erziehung in Dresden. Dresden, A. Köhler, 1895. 

In klarer, allgemeinverständlicher Darstellung bespricht Verfasser 
zwei wichtige Kapitel der Gesundheitspflege des Kindes. Wir können 
nur wünschen, dass die Winke und Ermahnungen, die Verfasser giebt, 
bei Eltern und Erziehern auf recht fruchtbaren Boden fallen. Gerade in 
der Pflege des kindlichen Auges thut Belehrung noch sehr noth, und 
gerade hier kann durch richtige Erkenntniss und zeitige Hülfe oft 
grosser Schaden verhütet werden. 

Den beiden trefflichen Vorträgen möchten wir daher die weiteste 
Verbreitung wünschen. Pröbsting. 

Perlia, Kroll’s stereoskopische Bilder. 26 farbige Tafeln. L. Voss, 
Hamburg und Leipzig, 1895. Preis 3 Mk. 

Die bekannten stereoskopischen Bilder von Kroll liegen in dritter, 
wesentlich verbesserter Auflage vor. Perlia hat 12 neue Tafeln 
hinzugefügt, welche den Impuls zur stereoskopischen Verschmelzung 
beider Bilder stärker wie bisher anregen sollen. Die Auswahl dieser 
neuen Bilder ist eine recht glückliche, und auch die Zugabe des einen 
Bildes mit verstellbaren Hälften halten wir für eine wesentliche Be¬ 
reicherung. 

Wir zweifeln nicht, dass die Bilder sich zu den vielen alten 
Freunden recht zahlreiche neue erwerben werden, und können die 


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470 


Sammlung nicht nur Aerzten, sondern auch Eltern, deren Kinder 
schielen oder zum Schielen neigen, bestens empfehlen. 

Lobende Erwähnung verdient auch noch die sehr hübsche Aus¬ 
stattung seitens der Verlagsbuchhandlung. Pröbsting. 

Ins&nity and mortality. (The Lancet 3760.) 

Bei den männlichen Insassen von Irrenhäusern war im Jahre 1898 
die Sterblichkeit am niedrigsten bei den Altersstufen von 25—85 Jahren, 
nämlich gleich 77,4 auf 1000 und stieg stetig auf 352,5 in den Alters¬ 
stufen 75—85. Vergleicht man jedoch die einzelnen Altersstufen hei 
Irren und Gesunden in Bezug auf die Sterblichkeit mit einander, so 
findet man, dass der Ueberschuss der Sterblichkeit bei den Irren haupt¬ 
sächlich auf die frühen Altersstufen fällt. Setzt man nämlich die 
Sterblichkeit unter der englischen männlichen Bevölkerung in den ein¬ 
zelnen Altersstufen gleich 100, so findet man unter den männlichen 
Geisteskranken von 15—20 Jahren eine Sterblichkeit gleich 2237, von 
20—25 Jahren gleich 1409, von 25—35 Jahren gleich 1046, von 35 
bis 45 Jahren gleich 867, von 45—55 Jahren gleich 519 und von 75 
bis 85 Jahren gleich 246. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den weiblichen Insassen, 
doch war das Sterblichkeitsverhältniss bei diesen am niedrigsten in den 
Altersstufen von 45—55 Jahren, nämlich 63,8 auf 1000 und stieg auf 
270,9 in den Jahren 75—85. Das Sterblichkeitsverhältniss war 
in allen Altersstufen niedriger als bei den männlichen Irren, nämlich 
gleich 1547 in den Jahren 15—20, 1254 in den Jahren 25—85, 
208 in den Jahren 75—85, das Sterblichkeitsverhältniss bei der 
Gesammtbevölkerung in den entsprechenden Altersklassen gleich 100 
gesetzt. Pröbsting. 

Forty-ninth report of the commissioners in lunacy to the Lord Chan¬ 
cellor. (The Lancet 3756.) 

Die Gesammtzahl der Geisteskranken betrug im Jahre 1894, dem 
Berichtsjahre, 94 081, was gegen das Vorjahr ein Zuwachs von 2014 
bedeutet. Der Zuwachs in den letzten 6 Jahren (1889—1894) betrug 
im Jahresdurchschnitt 1623 und ist niedriger als in der Decade 
1859—68 mit 1641 und in der Decade 1869—78 mit 1671 durch¬ 
schnittlicher Zunahme für das Jahr. Das Verhältnis der in Anstalten 
verpflegten Geisteskranken zur Gesammtbevölkerung betrug 5,88 zu 
10000, gegen 5,99 in den vorhergehenden Jahren. Die stetige Zu¬ 
nahme der Geisteskranken mit Ausnahme von 1894, hat ihren Grund 
theils in einer vermehrten Aufnahme von Alters-Geisteskranken, theils 
in einer Abnahme der Sterblichkeit von 10,31 °/o (1859—68) auf 
9,78 °/o in den letzten 6 Jahren. Pröbsting. 


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471 


Dr. Friedrich Scholz (Bremen), Ueber Reform der Irrenpflege. J. fl. 
Mayer, Leipzig 1896. 76 S. 

O. Binswanger, Zur Reform der Irrenfürsorge in Deutschland. Samm¬ 
lung kleiner Vorträge. Nr. 148. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1896. 34 S. 

Jene unerfreulichen Vorgänge, durch welche die Irrenanstalten 
eine Zeit lang in den Vordergrund der Beachtung gestellt wurden, 
haben wenigstens das Gute geschafft, dass sie neben einer ganzen Reihe 
von unberufenen Federn auch einige berufene in Bewegung setzten, 
und eine Anzahl von zweckmässigen Reformvorschlägen zu Tage 
förderten. 

Zu den berufenen, deren Verfasser wenigstens den Vortheil haben, 
dass sie Irrenärzte von Fach und daher mit dem von ihnen behandelten 
Gegenstände wohl vertraut sind, was sich noch lange nicht von allen 
behaupten lässt, die sich auf diesem Gebiete hervorgethan haben, zählen 
wir auch die beiden vorgenannten Brochtlren. 

Allerdings ist es nachgerade recht schwer geworden, etwas Neues 
zu sagen, aber auch eine Wiederholung des Alten ist nicht ohne Ver¬ 
dienst, vorausgesetzt, dass das Alte richtig ist. Gerade den vielen 
schiefen, fehlerhaften und sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft¬ 
lichkeit breitmachenden Ansichten gegenüber ist auf die Wiederholung 
des Besseren sogar ein besonderer Werth zu legen, damit das Bessere 
endlich zum Allgemeingut der gebildeten Klassen werde, was vor der 
Hand keineswegs der Fall ist. 

Die Razzia gegen die Irrenanstalten und ihre Leiter ist im Grunde 
genommen ein recht thörichtes Unternehmen. So lange es Geistes¬ 
kranke geben wird, und so lange diese Geisteskranken nicht in der 
Gesellschaft und in ihren bisherigen Verhältnissen verbleiben können, wird 
es auch Irrenanstalten geben müssen, wo man sie gegen ihren Willen 
unterbringt und zurückbehält. An dieser NothWendigkeit wird aller 
Unsinn nichts ändern, der gegen die Irrenanstalten und gegen die 
Verbringung von Geisteskranken in diese Anstalten vorgebracht wird, 
ebensowenig wie das Ansammeln von Fällen einer angeblich ungerecht¬ 
fertigten Freiheitsberaubung nichts an der Thatsache ändert, dass ein 
Nachweis bisher in keinem einzigen Falle erbracht worden ist. 

Wenn demnach Vieles und vielleicht das Meiste an diesen Hetzereien 
übertrieben und sogar unwahr ist, so soll doch keineswegs behauptet 
werden, dass nun auch alles in den Anstalten mustergiltig und keiner 
Verbesserung zugänglich sei. Das ist vielmehr nicht der Fall, und 
gerade in einer so jungen Wissenschaft, wie es die Psychiatrie ist, wird 
es den Anstalten nicht leicht, den Fortschritten der Wissenschaft: auf 
dem Fusse zu folgen, und manche Anstalt ist weiter zurückgeblieben, 
als es bei weiser Fürsorge und bei zeitigem Eingreifen der Fall ge¬ 
wesen wäre. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 33 


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472 


Zu bessern giebt es daher unbedingt, und Niemand wird für solche 
Vorschläge empfänglicher und dankbarer sein, als die Irrenärzte. 

Biswanger trägt seine Ansichten einer Zuhörerschaft vor, die 
grösstentheils aus Juristen bestand, und er wendet sich daher in erster 
Linie an das Verständniss der Laien, während Scholz mehr auf den 
inneren Dienst der Anstalten eingeht. Wenn er dabei seinen Ausgangs¬ 
punkt von der Brochllre „Die Reform des Irrenwesens von v. Kirchen¬ 
heim und Reinartz“ nimmt, so erweist er damit unserem Gefühle nach 
jenem Opus eine nicht verdiente Ehre. Gewisse Dinge tibergeht man 
am besten mit Schweigen. 

Beide, Binswanger und Scholz, stimmen darin tiberein, dass eine 
Erschwerung der Aufnahmen den Kranken nicht zum Vortheil gereichen 
werde. Erleichterung der Aufnahmen und Verschärfung der Aufsicht 
innerhalb der Anstalten, das ist die Forderung, die berechtigten Wünschen 
am meisten entspricht. Wer diese Aufsicht führen soll, eine Commission 
von Laien, oder besonders vom Staate dafür bestellte Inspectoren, 
darüber kann man verschiedener Ansicht sein; Uber die Sache selbst, 
die Nothwendigkeit einer nicht blos auf dem Wege des schriftlichen 
Berichtes geführten Aufsicht, wird eine Meinungsverschiedenheit nicht 
bestehen. 

Eine weitere Forderung bildet die Gewährung eines grösseren 
Maasses von Freiheit an die Kranken, als es jetzt wohl gemeiniglich 
gegeben wird. 

Auch darin, dass man dem Kranken so viel an Freiheit gewähren 
soll, wie er vertragen kann, besteht vielleicht Uebereinstimmung, Uber 
das Maass dessen aber, was er vertragen kann, gehen die Meinungen 
sehr auseinander. In der Gewährung von Freiheit an Geisteskranke, 
d. h. an Personen, welche ihrer freien Willensbestimmung beraubt 
sind, liegt an sich die Gefahr des Missbrauches, und diese Erfahrung 
wird Keinem erspart bleiben, am wenigsten natürlich dem, welcher 
den Kranken die meiste Freiheit giebt. 

Das Publikum müsste sich folgerichtig daran gewöhnen, dergleichen 
Freiheiten als die natürliche Folge einer modernen Irrenbehandlung 
mit in den Kauf zu nehmen. 

So lange aber die Intelligenzblätter des Ortes nichts Besseres zu 
thun haben, als jede kleine Ueberschreitung der Ordnung von Seiten 
eines Geisteskranken an die grosse Glocke zu hängen und über den 
armen Teufel von Director, der solchen Unfug zulässt und verschuldet 
hat, herzufallen, so lange kann man es diesem nicht verdenken, wenn 
er der Gewährung einer grösseren Freiheit keine rechte Herzensfreude 
entgegenträgt. 

Eine weitere Noth wendigkeit würde in der Femhaltung aller 
Elemente liegen, denen diese Freiheit überhaupt nicht gewährt werden 
kann und darf, der geisteskranken Verbrecher. Bisher müssen wir sie 


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473 


in den Irrenanstalten aufnehmen, und dass dies unter anderen Miss¬ 
helligkeiten auch den unläugbaren und unerträglichen Nachtheil hat, 
unbescholtene Leute unter Umständen mit dem Abhub der Menschheit 
in die allerengste Gemeinschaft zu bringen, ist unbestreitbar. 

Also Belassung der geisteskranken Verbrecher in den Strafanstalten 
oder Beschaffung besonderer Einrichtungen in denselben, das ist eine 
Forderung, die so lange nicht von der Tagesordnung der Irrenanstalten 
abgesetzt werden darf, bis sie ihre Erledigung gefunden hat. 

Dahin gehört auch das Verlangen nach einer besseren psychia¬ 
trischen Ausbildung der praktischen Aerzte, was wieder die Einstellung 
der Psychiatrie als Examenfavh zur Voraussetzung haben würde, und 
endlich eine ganz und gar veränderte Auffassung von der Stellung des 
Pflegepersonals, das bisher den Ansprüchen nicht entspricht, die man 
an das Pflegepersonal von Geisteskranken zu stellen berechtigt ist« 
Dass hier die erhöhten Ansprüche in einer Erhöhung des Lohnes ihren 
entsprechenden Ausgleich zu Anden haben, liegt auf der Hand, und die 
Verbesserung der Irrenpflege bedeutet daher in demselben Maasse eine 
Vermehrung der dafür aufzuwendenden Kosten. 

Das ist nun einmal nicht anders. 

Will man etwas Gutes, etwas Besseres, so muss man es auch ent¬ 
sprechend bezahlen, und wenn die Irrenfürsorge bisher nicht gerade 
billig gewesen ist, so wird sie fernerhin ein ganz Theil theurer werden. 

Die von mir namhaft gemachten Punkte bilden durchaus nicht den 
ganzen Inhalt der Reformvorschläge, aber sie heben doch das Wesent¬ 
lichste heraus. Die beiden Brochtiren bieten ein weiteres und will¬ 
kommenes Material, aus dem sich das Irrenwesen der Zukunft in einer 
hoffentlich vollendeteren Form herausbilden wird, als sie sich in den 
unklaren Köpfen so mancher psychiatrischen Dilettanten wiederspiegelt. 

Noch ist das "letzte Wort nicht gesprochen, noch ist die angefachte 
Bewegung nicht zur Ruhe gekommen, und darum sind derartige Bei¬ 
träge, wie die von Binswanger und von Scholz erwünscht und mit 
Dank entgegen zu nehmen. Pelm an. 


Verzeichntes der bei der Redaction eingegangenen nenen 

Bücher etc. 

Annalender städtischen allgemeinen Kr ankenh aus er zu 
München. Im Verein mit den Aerzten dieser Anstalten herausgegeben 
von Professor Dr. v. Ziemssen, 1894. Mit 16 Abbildungen im Text. 8°. 
IV, 867 S. München 1896. J. F. Lehmann. Preis 10 Mk. 

Berger, Dr. Heinrich, Die Hygiene in den Barbierstuben. 8°. 82 S. 
Basel und Leipzig 1896. Carl Sallmann. Preis 60 Pfg. 

33 * 


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474 


Bulletin de Taead^mie royale de m^decine deBelgique. IV<» särie, 
Tome X, No. 7. 8°. Ann6e 1896. Bruxelles 1896. Hayez, imprimeur. 

Cramer, Dr. E., Hygiene. Ein kurzes Lehrbuch für Studierende und 
Aerzte. Mit 61 Abbildungen. 8°. 836 S. Leipzig 1896. Joh. Ambr. 
Barth. 

Fortschritte der öffentlichen Gesundheitspflege. Jahrg.V. Heft 6. 
Frankfurt a. M. 1896. Johannes Alt. Preis pro Jahrg. 6,80 Mk. 

Frosch, Dr. P., Bericht über die Thätigkeit der von dem Herrn Minister 
der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten eingesetzten 
Kommission zur Prüfung der Impfstofffrage. Mit 2 Textfiguren, 8°. 
58 S. Berlin 1896. Julius Springer. Preis 1,20 Mk. 

flallervorden, Dr. E., Arbeit und Wille. Ein Kapitel klinischer Psycho¬ 
logie zur Grundlegung den Psychohygiene. (Abhandlungen zur Gesund¬ 
heitslehre der Seele und Nerven. Heft I.) 8°. 41 S. Würzburg 1896. 
A. Stuber’s Verlag. Preis 1,20 Mk. 

—, Der Zusammenhang chemischer und nervöser Vorgänge überhaupt und 
im Wochenbett. 8°. 58 S. Ebend. Preis 1,50 Mk. 

Hart mann, Franz M. D., Ueber die Anwendung und Heilerfolge von 
Lignosulfit-Inhalationen bei chronischen (tuberculösen) und acuten Er¬ 
krankungen der Athmungsorgane (insbesondere Keuchhusten). 8°. 48 S. 
München 1896. J. F. Lehmann. Preis 1 Mk. 

Hellwig, F., Die Unterleibsbrüche und die Bruchbänder. Ein Lehr- und 
Handbuch für Bandagisten und Bruchleidende. Mit 16 Abbildungen. 8°. 
VIII, und 90 S. Weimar 1897. Bemh. Friedr. Voigt. Preis 2 Mk. 

Herkner, Professor Dr. H., Alkoholismus und Arbeiterfrage. (Sonder- 
Abdruck aus der: „Neuen Deutschen Rundschau.) 8°. 16 S. München 
1896. J. F. Lehmann. Preis 30 Pfg. 

Hirschfeld, Dr., Der Alkohol vor Gericht. Angeklagt wegen Nicht¬ 
darreichung alkoholischer Getränke. Der Alkohol als Medicin. (Flug- 
schriften-Sammlung der Internationalen Monatsschrift zur Bekämpfung 
der Trinksitten. Nr. 6.) 8°. 11S. Bremerhaven, 1896. Chr. G. Tienken. 
Preis 30 Pfg. 

Ko epp e, Dr. med. Hans, Die Bedeutung der Salze als Nahrungsmittel. 
Ein Vortrag, gehalten zur 68. Versammlung deutsche Naturforscher und 
Aerzte in Frankfurt a. M. In erweiterter Form herausgegeben. 8°. 16 S. 
Giessen 1896. J. Ricker’sche Buchhandlung. Preis 50 Pfg. 

Kraschutzki, Dr. F., Die Versorgung von kleineren Städten, Land¬ 
gemeinden und einzelnen Grundstücken mit gesundem Wasser. Unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der östlichen Provinzen nach 
den neuesten hygienischen Gesichtspunkten bearbeitet für weitere Kreise, 
namentlich Verwaltungs- und Baubeamte, Techniker, Brunnenmacher und 
Aerzte. Mit 4 Figuren im Text. 8°. 40 S. Hamburg und Leipzig 1896. 
Leopold Voss. Preis 80 Pfg. 

Lange, Emil von, Die normale Körpergrösse des Menschen von der Geburt 
bis zum 25. Lebensjahre. Nebst Erläuterungen über Wesen und Zweck 
der Skala-Messtabelle zum Gebrauche in Familie, Schule und Erziehungs- 
Anstalten. 8°. 38 S. München 1896. J. F. Lehmann. Preis 1,80 Mk. 

—, Skala-Messtabelle. Mess-Apparat für Körpergrösse von Jung und Alt zum 
Gebrauche in Familien, Schulen und Erziehungs-Anstalten. Schul-Ausgabe. 
München 1896. Ebenda. Preis 4 Mk. 

—, Familien-Ausgabe. Ebend. Preis 3 Mk 

Liedtke, Sanitätsrath Dr., Bestimmungen über die ärztlichen Atteste und 


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475 


Gutachten in Preussen. Ein Hülfsbucli für Aerzte und Medicinalbe&mte. 
Kl. 8°. VI u. 62 S. Berlin 1896. Richard Schoetz. Preis 1,50 Mk. 
Mugdan, Dr. Otto, Die Ernährung des Kindes im ersten Lebensjahre. 
Vortrag gehalten im Chemiegebäude der Berliner Gewerbeausteilung 1896. 
8°. 19 S. Berlin 1896. S. Karger. Preis 50 Pfg. 

Rumpf, Prof. Dr., Krankenhaus und Krankenpflege. Vortrag, gehalten im 
Chemiegebäude der Berliner Gewerbeausstellung 1896. 8°. 27 S. Berlin 
1896. Ebenda. 

Siemens, Friedrich, Die Gasheizung für Wohnräume. Vortrag, gehalten 
im Chemiegebäude der Berliner Gewerbeausstellung 1896. 8°. 23 S, 

Ebenda. Preis 50 Pfg. 

Springfeld, Dr., Zur Entwicklungsgeschichte der Apothekenreform. 8°. 
83 S. Leipzig 1896. Georg Thieme. 

Vierteljahresschrift über die Fortschritte auf dem Gebiete der 
Chemie der Nahrungs- und Genussmittel, der Gebrauchs¬ 
gegenstände sowie der hierher gehörenden Industriezweige, 
XL Jahrgang 1896. Heft 2. 8°. Berlin 1896. Julius Springer. Preis 

3 Mk.) 

Winckler, Dr. Ernst, Ueber Gewerbekrankheiten der oberen Luftwege, 
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren- 
Mund- und Halskrankheiten. Band II, Heft 1.) 8°. 62 S. Halle a. S. 

1896. Karl Marhold. Preis 2 Mk. (Abonnementspreis für 1 Bd. = 12 Hefte: 
12 Mk. 

Ziehen, Dr. med. Th., Ueber den Einfluss des Alkohols auf das Nerven¬ 
system. Vortrag, gehalten vor der Ortsgruppe Jena des deutschen 
Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke. 8°. 16 S. München 
1896. J. F. Lehmann. Preis 30 Pfg. 


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— 1 — 

Nachweisun^ Aber Kranken Aufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 
58 Städten der Prorinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat März 1896« 




































































2 


Naohweisung über Kr&nkenaufnah me and Bestand in den Krankenhäusern ans 
53 Städten der Prorinzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat April 1896. 



Bielefeld.... 
Minden . . . . 

Paderborn . . . 
Münster . . . . 

Herford . . . . 

Dortmund . . . 
Hagen i. W. . . 
Witten . . . . 

Hamm. 

Iserlohn . . . . 

Siegen. 

Gelsenkirchen . 
Schwelm .... 

Düsseldorf . . . 

Elberfeld. . . . 

Barmen . . . . 

Crefeld . . . . 

Essen a. d. Ruhr 

M.-Gladbach . . 


Remscheid . . 
Mülheim a. d. R. 
Viersen . . . 
Wesel .... 
Rheydt . . . 
Neuss .... 
Solingen . . . 
Styrum . . . 
Ruhrort . . . 
Odenkirchen . 

Aachen . . . 

n ... 

Eschweiler . . 
Eupen .... 
Burtscheid . . 
Stolberg . . . 

Köln .... 
Köln-Deutz. . 
Köln-Ehrenfeld 
Mülheim a. Rh. 
Kalk .... 


Krankenhäuser 


städt. u. kath. Krankenhaus . 142 
städtisches Krankenhaus. . . 34 

Landeshospital.63 

Clem.-Franzk.-Hosp. u. Job.-St. 485 
städt Krankenhaus.65 

Louisen- und Johannishospital 449 

städtisches Hospital.106 

Diakonissenhaus u.Marienhosp. 214 
städtisches Krankenhaus. . . 38 
„ „ ... 133 

* » ... 75 

Marienstift u. evang. Hospital 262 
städtisches Krankenhaus . . 29 

evangelisches Hospital. . . .212 

Marienhospital.343 

St. Josephhospital.208 

städtische Krankenanstalten . 188 
städtisches Krankenhaus. . . 197 1 



Krankheitsformen der Aufgenommenen 


. 197 182 216 
. 242 239 202 


Trier . . . 
Saarbrücken 

Kreuznach . 
Neuwied . . 

Wiesbaden . 

Kassel. . . 
Fulda . . . 
Hanau. . . 
Eschwege . 
Rinteln . . 
Schmalkalden 


Huyssenstift und Kruppsches 

Krankenhaus. 252 229 

Bethesda-u.Mariahilf-Kranken- 

haus.140 

städt. Krankenhaus.114 104 

evangelisches Krankenhaus. . 120 118 
städtisches Krankenhaus. . . 28 

„ Hospital.50 

n Krankenhaus... 50 


o I = es 
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5 ~ * 


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. .. 3;.. 1 .. 

..; !.. 3 . 


5 .. .. 2 
.. 1 . 


450 .. 

.. 1 416i.. 

76 .. 

.. .. 1 2 .. 

203 .. 1 

.. .. .. 10 .. 

20 .. 1 

... 

62 .. 

.. 

57 .. 

.. .. i.. 

243 .. 

.. i».. 

21 .. 


189 .. 

.. .. 6 7.. 


7 14, 1 1 
• • • • i • • ^ 


1 51 1! 

2 7.. 


252 229 282 .4 


Hanielsstiftung.55 

städtisch. Krankenhaus ... 11 

Mariahilfhospital.308 

Louisenhospital.73 o» il .. 

St Antoniushospital .... 111 112 35 .. 

St. Nicolaushospital. 34 28 11 .. 

Maricnhospital. 104 92 69 .. 

Bethlehemhospital. 82 80 21 .. 

Bürger- u. Augustahospital. . 872 898 962 .. 
städtisches Krankenhaus ... 107 93 49 .. 

„ „ . . . 118 122 66 .. 
städt u. Dreikönigenhospital. 203 194 198 .. 
städtisches Krankenhaus. . . 91 89 58 .. 

städt. Hospital u. Stadtlazareth 122 109 27 .. 

Bürgerhospital. 98 95 68 .. 

städtisches Hospital. 44 59 66 .. 

„ „ 50 53 59 .. 

städtisches Krankenhaus. . . 102 132 168 19* 
Landkrankenhaus. 328 342 265 .. 


1 65 16 38 

:: -j: 

.. 2 ..33. 
. 9 . 




1 1 3 



1 1 15 


35 27 20 


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Kritie and Ungeziefer. 


Zahl der Geworbenen 








































































































































— 3 — 

Sterbliohkeito-Statistik yon 58 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat März 1896. 


Monat 

März 

1896 



fl I £ ~ -5 

lihi- 


Münster .... 
Bielefeld . . . 
Paderborn . . . 
Minden .... 

Dortmund . . . 
Bochum .... 

Hagen. 

Gelsenkirchen . 
Hamm .... 
Witten .... 
Iserlohn .... 
Siegen .... 
Schwelm. . . . 
Lippstadt . . . 

Düsseldorf. . . 
Elberfeld . . . 
Barmen .... 
Crefeld .... 
Essen a. d. Ruhr 
Duisburg . . . 
M.-Gladbach . . 
Remscheid. . . 
Solingen. . . . 
Mülheim a. d. R. 
Rheydt .... 
Oberhausen . . 
Styrum .... 
Viersen .... 

Neuss. 

Wesel. 

Wermelskirchen 
Ronsdorf . . . 
Ruhrort .... 
Lennep .... 
Süchteln. . . . 


Aachen . . 
Eschweiler. 
Eupen. . . 
Burtscheid. 
Stolberg. . 


Bonn *. 

44560 

151 

Mülheim a. Rh. . 

36000 

143 

Kalk. 

15569 

66 

Trier. 

36166 

81 

Malstatt-Burbach . 

23677 

97 

St. Johann. . . . 

16768 

44 

Saarbrücken . . . 

17081 

47 

Coblenz. 

39640 

128 

Kreuznach.... 

19500 

47 

Neuwied. 

11062 

32 

Wiesbaden. . . . 

74000 

188 

Kassel. 

82774 

204 



57000 156 32,8 r 
47460 128 32,4 I 
23158 56 29,0 J 

22315 66 35,5 ! 

113505 406 42,1 1! 
53901 202 44,9 1 
41828 149 42,8 ’ 

31582 154 58,5 i 
28542 92 38,7 

28000 79 33,9 

24625 78 38,0 

19571 68 41,7 

14700 47 38,4 

10504 35 40,0 


. 175861 647 44,1 2 

. 140000 427 36,6 1 

. 127000 432 40,8 1 

. 107460 334 37,3 1 

\ 96163 407 50,8 1 

. 70187 269 45,9 1 

. 53666 188 42,0 1 

. 47231 200 50,8 

. 40860 116 34,3 

. 31432 127 48,5 

. 30096 98 39,1 

. 30159 142 56,5 

. 26772 146 65,4 

. 22804 67 35,3 

. 25272 77 36,5 

. 22258 64 34,5 

. 13451 43 38,4 

. 12177 48 47,3 

. 11712 36 36,9 

. 10427 33 38,0 

. 8130 25 36,9 

. 110489 398 43,2 2 

. 19482 90 55,4 

. 15036 40 31,9 

. 15856 54 40,9 

. 13013 59 54,4 

. 324329 1081 40,4 6 


90 55,4 
40 31,9 
54 40,9 
59 54,4 


Todesursachen 

Infections-Krankheiten 


4 |..! 9 3 2 

5 L 1 1 •• 

.. 3! 2 .. .. 


23.7 ..43 4 11 7 
33,4 .. 2 .. 8 .. 

20.7 .. 1 .. 2 .. 

24.7 . 3 j.. 


14,4 ..I 1 


9 •. 6 


Gewaltsamer 
Tod durch 


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2 .. 21 . 

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* Bonn: darunter 12,1°/» Geburten, 10,8®/« Sterbef&Ue . 


)igitlzed by' 














































































































4 


8terbliohkeits-8tatistik tob 58 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat April 1896. 



Todesursachen 

Infections-Krankheiten 


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5 


Münster . 
Bielefeld. 
Paderborn 
Minden . 


Dortmund . 
Bochum . . 
Hagen. . . 
Gelsenkirche 
Ilamm. . . 
Witten . . 
Iserlohn . . 
Siegen . . 
Schwelm . 
Lippstadt . 

Düsseldorf. 
Elberfeld . 
Barmen . . 
Crefeld . . 
Essen a. d. 
Duisburg . 
M.-Gladbach 
Remscheid. 
Solingen. . 
Mülheim a.d, 
Rheydt . . 
Oberhausen 
Styrum . . 
Viersen . . 
Neuss. . . 
Wesel. . . 
Wermelskirc 
Ronsdorf . 
Ruhrort . . 
Lennep . . 
Süchteln. . 


Aachen . 
Eschweiler 
Eupen 
Burtscheid 
Stolberg. 

Köln . . 
Bonn * . 
Mülheim a. 
Kalk . . , 


Trier .... 
Malstatt-Burba» 
St Johann . 
Saarbrücken . 

Coblenz . . . 
Kreuznach . . 
Nemded. . . 


Wiesbaden. 


57800 

158 

32,8 

47000 

154 

39,3 

23158 

58 

30,1 

22315 

56 

30,1 

114905 

424 

44,9 

53901 

189 

42,1 

41828 

160 

48,3 

81582 

128 

48,6 

28542 

120 

42,9 

28000 

76 

32,6 

24720 

78 

37,9 

19571 

64 

39,2 

14000 

52 

44,6 

11118 

35 

37,8 

175861 

556 

37,9 

140000 

405 

34,7 

127000 

387 

36,6 

107816 

322 

35,8 

96 163 

345 

43,1 

70187 

253 

43,2 

53666 

168 

37,6 

47231 

155 

39,4 

40860 

134 

39,4 

31432 

125 

47.8 

30096 

94 

37,5 

30159 

133 

52,9 

26772 

127 

56,9 

22804 

63 

33,2 

25272 

78 

37,0 

22258 

59 

31,8 

13451 

62 

55,3 

12177 

36 

35,5 

11712 

38 

38,9 

10427 

20 

23,1 

8130 

19 

28,0 

110489 

304 

33,0 

19482 

64 

39,4 

15036 

29 

23,1 

15856 

46 

34,8 

13013 

58 

53,5 

325000 

1006 

37,1 

44560 

142 

38,2 

36000 

124 

41,3 

15569 

63 

48,6 

39993 

75 

22,5 

23677 

114 

58,0 

16768 

58 

41,5 

17081 

37 

25,9 

39640 

91 

27,5 

19800 

66 

40,0 

10593 

25 

28,3 

74000 

143 

23,2 


1 17 1 1 

2 1 ..! .. | 


1 l 1 1 


1 .. 1 . ..... 3 

.22111 1 
1 ... 1 ..I.. ... 5 


79 16,8 
64 17,2 
59 16,6 
44 19,1 


2 1 12 
.. 4»f 12 
.. 3 18 


35 17,2.! 2 

41 22,4 . 2 21 1I..I..I... 11 

27 21,9 .. •• 2 5 .. .. . 4 

17 19,1 .. 2 .. 1 .. 1 ... 

21 19,7 .. 1. 1 L. .. 1 2 

18 19,1. 1. 1 ... 3 

9 16,7. 3. 2 

18 19,5. 1. 5 

17 16,6. : . 

13 18,9 ........ 4. 

12 19,0. 1. 

4 15,1.. 3 

6 15,2., l't •• 

2 14,8 .. |. 1 .... 1. 

5 21.5 ..:. 1 .I.. ... 2 


•54 18,9 .. I 1 .. 1!.. 2 .. 1 ... 18 

10 18,5. 2. 1 

5 12,8.!. 1 

8 21,2.. 4 


82774 194 28,1 111 25 16,1 .. j 2 ..! 8|.. .. .. .. ... 2 


"Digitized by VjOÖQIC 

* Bonn: darunter 8,4%o Geburten, ll,ü°/oo Sterbefllle Auaw&rtiger in Anatalten. 


t Influenza. 




















































































































Nachweisun^ Uber Kranken auf nähme und Bestand in den Krankenhäusern ans 
53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Mai 1896. 



Bielefeld. . . 
Minden . . . 
Paderborn . . 
Münster . . . 
Herford . . . 

Dortmund . . 
Hagen i. W. . 
Witten. . . • 
Hamm .... 
Iserlohn . . . 
Siegen.... 
Gelsenkirchen 
Schwelm. . . 

Düsseldorf . . 
Elberfeld. . . 

T) « • • 

Barmen . . . 
Crefeld . . . 
Essen a. d. K.. 

M.-Gladbach . 

Remscheid . . 
Mülheim a. d. I 
Viersen . . . 
Wesel .... 
Rheydt . . . 
Neuss .... 
Solingen . . . 
Styrum . . . 
Kuhrort . . . 
Odenkirchen . 

Aachen . . . 

» ... 
Eschweiler . . 
Eupen.... 
Burtscheid . . 
Stolberg . . . 

Köln .... 
Köln-Deutz. . 
Köln-Ehrenfeld 
Mülheim a. Rh. 
Kalk .... 


Trier . . . 
Saarbrücken 

Kreuznach . 
Neuwied . . 

Wiesbaden . 

Cassel. . . 
Fulda . . . 
Hanau. . . 
Eschwege . 
Rinteln . . 
Schmalkalden 


Krankenhäuser 



Krankheitsformen der Aufgenommenen 


S =3 8 I * 

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— &£ ’s a 'S f 

2 £ Ja 
® ’S. ® % g & 

a MO £ £ £ 


städt u. kathol. Krankenhaus 128 117 109 .. ...... 1 .. 1 

städtisches Krankenhaus. . . 34 38 49 .. ..!. 

Landeshospital.48. 

Clem.-Franzk. llosp. u.Joh.-St. 4291. 

städtisches Krankenhaus. . . 60: 60 29 . 1.. .. 

Louisen- und .Johannishospital 440 405 460 .... 1 1 15 1 1 

städtisches Hospital.102 96 74 1 2.. .. 

Diakonissenhaus u.Marienhosp. 225 212 171 . 1 6.. 1 

städtisches Krankenhaus. . . 37j 35 15. 

» . • • • U0 95 77 . 1 .. .. 

« „ ... 62| 55 54 . 

Marienstift u. evang. Hospital 262 255 282 . 1 .. 7 

städtisches Krankenhaus. . . 21 34 33 .. ..I.. 3 

evangelisches Hospital. . . . 232 207 168 .. 1 .. 3 7 1 .. ..| 

Marienhospital. 316 311 267 7 8 .. 1 

St. Josephshospital. 176 167 150 . 1 .. .. 

städtische Krankenanstalten . 194 191 236 94* 1 .. .. 2.. 1 

städtisches Krankenhaus. . . 182 162 182 .. .. 2 1 5.. 2 

„ ... 239 240 211 .. .. 5 6 13 .. .. 

Huyssenstift und Kruppsches 

Krankenhaus. 229 253 352 .... 1 .. 2 1 1 

Bethesda u. Mariahilf-Kranken¬ 
haus . 151 148 90 ...... 8 3 .. .. 


städtisches Krankenhaus. . 
evangelisches Krankenhaus. 
städtisches Krankenhaus . 
„ Hospital .... 
„ Krankenhaus. . 


104 107 83 
118 102 56 
33| 24 12 
61 42 22 
521 42 24 
62, 70 43 
85 89 81 
48 56 30 
38 37 33 
13 9 4 


Hanielsstiftung.38 ! 37 33 . 

städtisches Krankenhaus. . . 13, 9 4. 

Mariahilfhospital. 338.342 316 .. 1 7 4 15 

St. Louisenhospital.69 ... 

St Antoniushospital. 112 112 34 . 2 

St. Nikolaushospital. 28 24 13 . 1 

Marienbospital. 92 93 59 . 1 

Bethlehemhospital. 80 74 16 .. ........ 

Bürger- u. Augustahospital . 898 826 912 .. .. 60 17 32 

städtisches Krankenhaus. . . 93 109 62 .. .. 1 .. 3 , 

„ „ ... 122 115 74 . 

städt. u. Dreikönigenhospital. 194 166 198 .. .. 3 1 29 

städtisches Krankenhaus. . . 89i 78 52 . 1 2 

städt. Hospital u. Stadtlazareth 109 112 33 . 4 

Bürgerhospital.95 ? 82. 1 

städtisches Hospital. 591 57 71 .. .. 1 .. 2 I. 




städtisches Krankenhaus. 
Landkrankenhaus.... 


59! 57 71 .. .. 1 .. 
53 38 38 .... 3 .. 

132 132 18712** 1 16 1 

342 338 281 .. .. 5 .. 
93 94 95 .. .. 2 .. 

114134 97 . 1 

39 36 35 . 

15 16 15. 

271 30 30 . 


* Kritxkrznlce. 


Krätze und Ungeziefer. 


Digitized by^ 










































































































IO 


Steiribliclilteits-’&ta.ti&tilc von 53 Städten der Prorinzen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat Mai 1890. 


Monat 
M a i 
1896 


Münster . . 
Bielefeld . 
Paderborn . 
Minden . . 

Dortmund . 
Bochum . . 
Hagen. . . 
Gelsenkirche 
Hamm . . 
Witten . . 
Iserlohn . . 
Siegen . . 
Schwelm. . 
Lippstadt . 

Düsseldorf. 
Elberfeld . 
Bannen . . 
Crefeld . . 
Essen a. d. 
Duisburg . 
M.-Gladbach 
Remscheid. 
Solingen. . 
Mülheim a. d 
Rheydt . . 
Oberhausen 
Styrum . . 
Viersen . . 
Neuss. . . 
Wesel. . . 
Wermelskircl 
Ronsdorf . 
Ruhrort . . 
Lennep . . 
Süchteln. . 

Aachen . . 
Eschweiler. 
Eupen. . . 
Burtscheid. 
Stolberg. . 

Köln . . . 
Bonn * . . 
Mülheim a. 1 
Kalk . . . 

Trier . . . 
Malstatt-Burl 
St Johann. 
Saarbrücken 

Coblenz . . 
Kreuznach. 
Neuwied. . 

Wiesbaden. 

Kassel . . 



Todesursachen 

Infections-Krankheiten 


Gewaltsamer 
Tod durch 


| E| | 'S 

■HäS Ilf’SLglfe-fi 

sa ria 53 « Ifi 


164 34.0 92 17 19,1 .i 2 2; 1 

139 33,1 43 11 12,2.1 .. 3 .. 

54 28,0 32 3 16,6 .1 .. .. .. 

63 33,9 30 4 16,1 . 1 .. .. 8 


79 38,3 35 7 17,0 .... 

57 34,9 21 5 12,9 .. 1 

45 36,9 18 6 14,7 

37 39,9 20 4 21,6 


16,9 .. I .. 5 5 1 1 1 

13,6 ..I 2 .. 1 2 3 

15.3 .. 2 .. 3 1 3 

18.4 .. 12 3 3 1 1 

18.8 ...... 3,7 1 

19.8 .. 4 .. .. 

22,1 .... 1 8 

18.8 ..111 

17,9 .. 1 .. .. 

21.4 .. 1 2 .. 

22,0 ...... 1 

21,1 .... 3 . • 

23.3 .. 1 .. .. 

122,1 ...... 3 

19.5 ... 

8,6 .. 

19.6 ... 

17.7 .. 1 .. 1 

13.3 .. 

11,5 ...... 1 

7,4 .. 


325886 
44 
36' 

15 


324 35,2 210 67 22,8 .. 2 .. 1 2 .. 

62 38,2 32 8 19,7 . 1 .. .. 

39 31,1 23 3 18,4 .. 

53 40,1 19 3 14,3 .. 

43 39,7 23 7 21,2 .. 

992 36,2 673 202 24,4 ..105 4 8 12 

135 36,3 85 13 22,8 ...... 4 .. 

98 32,6 57 16 18,9 .. 2 .. 5 .. 

79 60,9 32 8 24,7 ...... 1 .. 

100 30,0 62 12 18,6 . 

112 56,8 41 17 20,8 .. 1 .. 2 .. 

52 37,2 35 J2 25,0 . 1 .. 


2 .. 2 j 


50 35,1 34 15 23,9 ...... 1 .. i 1 

103 31,2 69 16 20,9 . 3 2 .. 

54 31,7 29 4 17,1 .. 5 .. 1 1 1 

23 26,1 14 1 15,9 .. 


. . 75240 192 30,6 138 33 22,0 .... 1 .. 2 . 

. . 82774 190 27,5 133 37 19,3 .. 3 1 1 . 1 ... 

Digitized by GjO051 2 

Bonn: darunter 9,7°/oo Geburten, 5,9%o Sterbi'falle Auswärtiger in Anstalten. 


404 41,0 226 60 22,9 ..9 2 9 3 . 1 

204 45,4 97 28 21,6 .. 1 .. 1 2 .. .. 2 ....... 

148 42,5 62 16 17,8 J 2 .. 3 1 1 .... ... 

141 53,6 54 20 20,5 . 3 .. 3 .. 1 ... 

90 37,8 38 13 16.0 ... 

94 40,3 38 8 16,3 .... 3 3.. 1 ..[ ... 

79 38,3 35 7 17,0 ...... 1 . 

57 34.9 21 5 12,9 .. 1 .. 1 .>.. ... 


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11 


I 


Naol^voLsiiiijr über KrAnkenanfiinhine und Bestand in den Krankenhäusern ans 
51 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juni 1896. 


Krankenhäuser 



ielefeld.. . 
erford . . 


rtmund . . . 
agen i. W. . . 
Fitten . . . . 

bamm. 

fcerlohn . . . . 

Siegen. 

ffclsenkirclien . 
ichwelm. . - . 

Düsseldorf . . . 

Elberfeld. . . . 

. 

farmen . . . . 
Jfrefeld . . . . 
5ssen a. d. Ruhr 



Zahl der Gestorbenen 













































































Nachweisiiiig; Uber Kranken Aufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans 
51 Stiidtcn der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juli 1896, 


























































































— 13 — 

Htei*bliclil£eits-&ta.tistil£ von 53 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juni 1896. 


Monat 

Juni 

1896 


Essen a. d. Ruhr 
Duisburg . . . 
M.-Gladbach . . 
Remscheid. . . 


Wermelskirchen 
Ronsdorf . . . 
Ruhrort. . . . 
Lennep . . . . 
Süchteln. . . f 

Aachen . . . . 
Eschweiler. . . 
Eupen . . . . 
Burtscheid. . . 
Stolberg. . . . 


Köln. 

Bonn* .... 
Mülheim a. Rh.. 

, Kalk. 

i : Trier. 

Malstatt-Burbach 
St Johann . . 

» Saarbrücken . . 

Coblenz .... 
Kreuznach. . . 
Neuwied. . . . 


Wiesbaden. 
Kassel . . 


N ® 

I Äg 

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— a 





57800 125 26,0 
45500 166 41,9 
23158 75 38,0 
22315 62 33,3 



116831 

53901 

41828 

31582 

28542 

28000 

24720 

19571 

14000 

11118 

175861 

140000 

127000 

107816 

96163 

70187 

53666 

47285 

40861 

31432 

30096 

30159 

26772 

22804 

25032 

22258 

13451 

12178 

11712 

10427 

8120 


364 37,9 
155 34,5 
121 34,8 
117 44,4 
88 37,0 
78 33,4 
80 38,8 
44 27,0 
46 39,4 
30 32,4 

613 41,8 
435 37,3 
378 35,7 
267 29,7 
349 43,6 
233 39,8 
168 37,6 
151 38,3 
123 36,1 
119 45,4 
90 35,9 
115 45,7 
115 51,6 
61 32,1 
58 27,8 
60 32,3 
41 36,6 
29 28,6 
28 28,8 
25 28,8 
19 28,1 


110489 313 34,0 
19482 58 35,7 
15036 39 31,1 
15856 52 39,4 
13013 52 48,0 

1325840 1028 37,9 
44650 121 32,5 
36000 135 45,0 
15569 63 48,6 

39993 90 27,0 
23675 83 42,1 
16768 47 33,6 
17081 42 29,5 


0 
® s 

3 

i i 

Todesursachen 

Gewaltsamer 

II 

cs 

0 

iS* 


Infections- 

Krankheiten 


Tod durch 

sk 

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Darunter Kinde 
1 Jahr 

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ä C 43 

ä 2*0 

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£3 

CD 

Pocken 

T3 

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El 

IS 

55 

Scharlach 

Diphtheritis 
und Croup 

Stickhusten 

Unterleibstyph., 
gastr. Fieber 

Ruhr 

Kindbettfieber 

Andere Infec- 
tionskrankh. 

Daimkatarrh u. 
Hrechdurchfall 

Verunglückung 
oder nicht n&ker 
constatirte Ein¬ 
wirkungen 

Selbstmord 

Todtschlag 


106 

50 
22 
26 

213 

91 

73 

54 

35 

44 

25 

20 

24 

17 

300 

187 

168 

158 

169 

137 

81 

72 

66 

51 

47 

54 
53 
33 

48 

18 
18 
15 
22 
12 

8 

182 

31 

15 

22 

13 

686 

82 

91 

38 

65 

23 

14 
20 

59 

55 

17 

123 

120 


32 
17 

3 

8 

85 

37 

22 

22 

15 
9 

7 
1 

5 
3 

135 

59 

48 

55 

64 

44 

33 

23 
32 
20 

16 

24 
21 

8 
19 

7 

6 
3 

12 

1 


64 

3 

5 
10 
3 

282 

20 

28 

20 

15 

12 

6 
6 

18 

17 

2 

41 

32 



















































— 14 — 

Sterblichkeits-Statistik von 58 Städten der Proyinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juli 1896. 


Monat 

Juli 

1896 


Münster . 
Bielefeld 
Paderborn 
Minden . 


Dortmund . 
Bochum . . 
Hagen. . . 
Gelsenkirche 
Hamm . . 
Witten . . 
Iserlohn . . 
Siegen . . 
Schwelm. . 
Lippstadt . 

Düsseldorf. 
Elberfeld . 
Barmen . . 
Crefeld . . 
Essen a. d. 
Duisburg . 
M.-Gladbach 
Remscheid. 
Solingen. . 
Mülheim a. d 
Rheydt . . 
Oberhausen 
Styrum . . 
Viersen . . 
Neuss. . . 
Wesel. . . 
Wermelskircl 
Ronsdorf . 
Ruhrort . . 
Lennep . . 
Süchteln. . 


Aachen . 
Eschweiler 
Eupen. . 
Burtscheid 
Stolberg. 

Köln . . 
Bonn * . 
Mülheim a. 
Kalk . . 


Trier . . . 
Malstatt-Bur 
St. Johann. 
Saarbrücken 


Coblenz . 
Kreuznach 
Neuwied. 


Wiesbaden 



367 36,8 
166 37,0 

149 42,8 
113 42,9 

9b 39,9 
82 35,1 
82 39,8 
49 30,0 
52 41,6 
30 32,4 

606 41,3 
406 34,3 
345 32,6 
297 33,0 
345 43,1 
281 48,1 
164 36,7 

150 38,1 
136 39,9 
100 38,2 

99 39,5 
131 52,5 
126 56,5 
61 32,1 
79 37,5 
57 30,7 
40 35,7 

32 31,5 
28 28,7 
18 20,7 

24 35,5 

297 32,2 
54 33,7 

33 26,3 
46 34,2 
52 47,9 

1045 38,3 
136 36,6 
123 41,0 
64 49,3 

84 25,2 
105 53,2 
38 27,2 
49 34,4 

89 26,9 
56 32,0 

25 28,3 

162 25,8 


82774 189 27,4 


117357 

53788 

41828 

31582 

28542 

28000 

24720 

19571 

15000 

11118 

175861 
142000 
127000 
107816 
96163 
70187 
53 666 
47231 
40865 
31432 
30096 
30159 
26772 
22804 
25272 
22258 
13451 
12178 
11712 
10427 
8120 

110489 

19182 

15036 

15856 

13013 


Todesursachen 
In fections-Krankheiten 


. 57800 147 30,5 108 42 22,4 

. 47500 142 35,9 49 13 12,4 

. 23158 68 35,2 13 1 6,7 

. 22315 53 28,5 26 7 14,0 


66 102 26,7 
09 39 24,3 
66 31 18,9 
86 41 32,7 
44 24 18,5 
48 22 20,6 
24 10 11,7 
22 7 13,5 

24 5 19,2 

13 2 14,0 





!58 153 28,0 . 
31 8 19,4 . 

25 13 20,0 . 
23 13 17,4 . 
21 6 19,4 . 

15 450 29,9 . 
90 30 24,2 . 
87 51 29,0 . 
37 19 28,5 . 


85 40 25,5 . 
34 18 17,2 . 
26 10 18,6 . 
19 8 13,3 . 

60 19 18,2 . 
42 17 24,0 . 
10 1 11,3 . 

09 40 17,4 . 

22 36 17,7 . 



Gewaltsamer 
Tod durch 


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2 1 1 


* Bonn: darunter 10,5%» Geburten, 8,3%» SterbefElle Auswärtiger in Anstalten. t Hinrichtung. 
















































































































— 15 — 


Naohweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenh&usern aus 
51 St&dten der Provinzen Westfalen. Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat August 1896« 


Städte 

Krankenhäuser 

Bestund 

am 

Schlüsse 

Summa der 
Aufgenommenen 

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Bielefeld .... 

städt u. kath. Krankenhaus . 

123 

111 

110 

Minden .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

34 

22 

27 

Münster .... 

Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St. 

398 

358 

264 

Herford .... 

städt. Krankenhaus. 

53 

50 

19 

Dortmund . . . 

Louisen- und Johannishospital 

399 

337 

452 

Hagen i. W. . . 

städtisches Hospital. 

91 

90 

81 

Witten . . . . 

Diakonissenhaus u.Marienhosp. 

221 

198 

160 

Hamm. 

städtisches Krankenhaus. . . 

34 

39 

18 

Iserlohn .... 


82 

80 

69 

Siegen . 

n n ... 

49 

53 

51 

Gelsenkirchen . 

Marienstift u. evang. Hospital 

277 

294 

36« 

Schwelm .... 

städtisches Krankenhaus . . 

25 

27 

19 

Düsseldorf . . . 

evangelisches Hospital. . . . 

209 

165 

150 

n ... 

Marienhospital. 

326 

309 

240 

Elberfeld. . . . 

St. Josephhospital . 

186 

173 

142 


städtische Krankenanstalten . 

197 

174 

205 

Barmen .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

184 

156 

188 

Crefeld .... 


204 

196 

178 

Essen a. d. Ruhr 

Iluyssenstift und Ivrupp’sches 





Krankenhaus . 

251 

209 

276 

M.-Gladbach . . 

Bethesda-u.Mariahilf-Kranken- 





haus. 

143 

146 


Remscheid . . . 

städt. Krankenhaus . 

87 

84 

63 

Mülheim a. d. R. . 

evangelisches Krankenhaus . . 

115 

90 

61 

Viersen .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

32 

28 

13 

Wesel . 

„ Hospital . 

57 

? 

43 

Rheydt .... 

„ Krankenhaus . . . 

52 

46 

37 

Neuss . 

Tf 7) ... 

541 

45 

27 

Solingen .... 

n Tt ... 

82 

75 

61 

Styrum .... 

n T) ... 

57 

48 

32 

Ruhrort .... 

Hanielsstiftung . 

40 

46 

37 

Odenkirchen . . 

städtisch. Krankenhaus . . . 

8 

9 

3 

Aachen . . . . 

Mariahilfhospital . 

300 

295 

288 

Eschweiler . . . 

St Antoniushospital . . . . 

96 

100 

32 

Eupen . 

St. Nicolaushospital . 

25 

| 26 

16 

Burtscheid . . . 

Marienhospital . 

104 

, 86 

58 

Stolberg .... 

Bethlehemhospital . 

79 

! 72 

12 

Köln . 

Bürger- u. Augustahospital. . 

844 

786 

849 

Köln-Deutz . . . 

städtisches Krankenhaus . . . 

102 

96 

54 

Köln-Ehrenfeld . 


118 

116 

72 

Mülheim a. Rh. . 

städt. u. Dreikönigenhospital. 

170 

165 

162 

Kalk . 

städtisches Krankenhaus. . . 

86 

; 80 

66 

Trier . 

städt. Hospital u. Stadtlazareth 

109 

105 

23 

Saarbrücken . . 

Bürgerhospital . 

71 

62 

72 

Kreuznach . . . 

städtisches Hospital . 

52 

45 

54 

Neuwied . . . . 

7t n . 

52 

36 

36 

Wiesbaden . . . 

städtisches Krankenhaus. . . 

117 

84 

147 

Kassel . 

Landkrankenhaus . 

328 

333 

278 

Fulda . 


92 

87 

89 

Hanau . 

• ■•••• 

137 

135 

85 

Eschwege . . . 

rt •••••• 

33| 32 

32 

Rinteln . . . . 


12 

g 

5 

Schmalkalden . . 

n . 

24 

19 

22 


Kranklieitsformen der Aufgenommenen I | 


Pocken 

Varicellen 

1 

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SJS 

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CM 
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53 

Scharlach 

Üiphtheritis, G'roupl 

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Unterleibstyphus 

Epidemische 

Genickstarre 

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Brechdurchfall 

Kindbettfleber 

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* Kr&tse und Ungeziefer. 





















































































































— 16 — 

Hterbliolilceits-Statistilc von 53 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat August 1896. 


Monat 

August 

1896 

3 

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Zahl der Lebend¬ 
geborenen 

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Münster. 

57800 

142 

29,5 

104 

45 

21,1 

Bielefeld. 

45500 

130 

32,8 

65 

29 

16,4 

Paderborn .... 

28158 

41 

21,2 

29 

11 

15,0 

Minden. 

22315 

63 

33,9 

29 

13 

15,6 

Dortmund .... 

118029 

417 

41,6 

262 

122 

26,1 

Bochum. 

53788 

203 

45,3 

108 

49 

24,1 

llagen. 

41828 

156 

44,8 

64 

24 

18,4 

Gelsenkirchen . . 

31582 

146 

55,5 

67 

26 

25,5 

Hamm. 

28542 

105 

44,1 

54 

32 

22,7 

Witten. 

28000 

86 

36,2 

48 

22 

20,6 

Iserlohn. 

24720 

68 

33,0 

42 

23 

20,4 

Siegen . 

19571 

54 

33,1 

20 

5 

12,3 

Schwelm .... 

15000 

35 

28,0 

17 

4 

13,6 

Lippstadt .... 

11118 

28 

30,2 

20 

8 

21,6 

Düsseldorf. . . . 

175861 

571 

39,2 

337 

199 

23,0 

Elberfeld .... 

142000 

370 

31,3 

199 

85 

16,8 

Barmen. 

127000 

318 

30,0 

178 

75 

16,8 

Crefeld. 

107816 

240 

26,7 

202 

97 

22,5 

Essen a. d. Ruhr. 

96163 

377 

47,0 

188 

86 

23,5 

Duisburg .... 

70187 

276 

47,2 

121 

67 

20,7 

M.-Gladbach . . . 

53666 

178 

39,8 

114 

59 

25,5 

Remscheid. . . . 

47231 

142 

36,1 

68 

26 

17,3 

Solingen. 

40864 

131 

38,5 

51 

22 

15,0 

Mülheim a. d. Ruhr 

31432 

89 

34,0 

56 

28 

21,4 

Rheydt. 

30096 

81 

32,3 

58 

30 

23,1 

Oberhausen . . . 

32000 

113 

42,4 

55 

32 

20,6 

Styrum * . . . . 

26772 

132 

59,2 

63 

27 

28,2 

Viersen. 

22804 

67 

35,3 

41 

16 

21,6 

Neuss. 

25272 

83 

39,4 

59 

30 

28,0 

Wesel. -. . . . . 

22258 

51 

27,5 

27 

9 

14,6 

Wermelskirchen . 

13451 

49 

43,7 

10 

3 

8,9 

Ronsdorf .... 

12178 

25 

24,6 

17 

5 

16,7 

Ruhrort . 

11712 

52 

53,3 

12 

7 

12,3 

Lennep . 

10427 

27 

32,1 

10 

3 

11,5 

Süchteln . 

8120 

12 

17,7 

7 

1 

10,3 

Aachen. 

110489 

329 

35,7 

248 

139 

26,9 

Eschweiler. . . . 

19482 

55 

33,9 

33 

9 

20,3 

Eupen . 

15036 

38 

30.3 

21 

11 

16,8 

Burtscheid .... 

15856 

42 

31,8 

33 

21 

25,0 

Stolberg. 

13013 

49 

45,2 

24 

12 

22,1 

Köln. 

327941 

1025 

36,8 

699 

406 

25,1 

Bonn *. 

44650 

124 

33,3 

103 

34 

27,7 

Mülheim a. Rh.. . 

36000 

141 

47,0 

56 

28 

18,7 

Kalk. 

15569 

55 j 

42,4 

45 

22 

34,7 

Trier. 

39993 

94 1 

28,2 

70 

25 

21,0 

Malstatt-Burbach . 

23675 

98 

49,8 

29 

15 

14,7 

St Johann . . . 

16768 

44 

31‘5 

29 

7 

20,8 

Saarbrücken . . . 

17081 

61 

42,8 

32 

11 

22,5 

Coblenz . 

39640 

84 

25,4 

56 

16 

17,0 

Kreuznach . . . . 

20800 

57 

32,9 

34 

19 

19,6 

Neuwied . 

10593 

16 

18,1 

24 

9 

27,3 

Wiesbaden. . . . 

75240 

176 

28,1 

124 

36 

19,8 

Kassel. 

82774 

212 

30,7 

103 

32 

14,9 


Todesursachen 

Infections-Krankheiten 


Pocken 

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Scharlach 

Diphtheritis 
und Croup 

Stickhusten 

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15 

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Gewaltsamer 
Tod durch 


Bonn: darunter 8,atyoo Geburten, 8,9%o Sterbefille Amw&rtiger in Anstalten. 




































































































































— 17 - 

NaohweiMung Uber Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 
51 St&dten der Proyinaen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat September 1890« 



Bielefeld. . 
Minden . . 
Münster . . 
Herford . . 

Dortmund . 
Hagen i. W. 
Witten. . . 
Hamm . . . 
Iserlohn . . 
Siegen. . . 
Gelsenkirche] 
Schwelm. . 

Düsseldorf . 


Elberfeld. 


Barmen . . 
Crefeld . . 
Essen a. d. R. 

M.-Gladbach 


Remscheid . . 
Mülheim a. d. 1 
Viersen . . . 
Wesel .... 
Rheydt . . . 
Neuss .... 
Solingen . . . 
Styrum . . . 
Ruhrort . . . 
Odenkirchen . 

Aachen . . . 
Eschweiler . . 
Eupen .... 
Burtscheid . . 
Stolberg . . . 

Köln .... 
Köln-Deutz. . 
Köln-Ehrenfeld 
Mülheim a. Rh. 
Kalk .... 


Trier . . . 
Saarbrücken 

Kreuznach . 
Neuwied . . 

Wiesbaden. 

Cassel. . . 
Fulda . . . 
Hanau. . . 
Eschwege . 
Rinteln . . 
Schmalkalden 


städt. u. kathol. Krankenhaus 
städtisches Krankenhaus. . . 
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St. 
städtisches Krankenhaus. . . 

Louisen- und Johannishospital 

städtisches Hospital. 

Diakonissenhaus u.Marienhosp. 
städtisches Krankenhaus. . . 


Marienstift u. evang. Hospital 
städtisches Krankenhaus. . . 

evangelisches Hospital. . . . 

Marienhospital. 

St. Josephshospital. 

städtische Krankenanstalten . 
städtisches Krankenhaus. . . 


Huyssenstift und krupp’sches 

Krankenhaus . 

Bethesda u. Mariahilf-Kranken¬ 
haus . 

städtisches Krankenhaus. . . 
evangelisches Krankenhaus. . 
städtisches Krankenhaus . . 

„ Hospital. 

„ Krankenhaus. . . 


Hanielsstiftung. 

städtisches Krankenhaus. 


Mariahilfhospital . . 
St. Antoniushospital. 
St. Nikolaushospital. 
Marienhospital . . . 
Bethlehemhospital. . 


Bürger- u. Augustahospital 
städtisches Krankenhaus. . 

n n • • 

städt. u. Dreikönigenhospital 
städtisches Krankenhaus. . 


111 108 

22 80 
358 349 
501 50 

387 389 
90 92 
198 201 
39 34 
80 84 
53 6G 
294 249 
27 29 

165 141 
309 316 

173 155 

174 194 
156 154 
196|221 

209 230 


146 154 

84' 

90 
28! 

57 
46 
45l 
75| 

48, 

46 
9 


786 773 809 
96 89 42 
116 126 781 
145 154 1541 
80 


städt. Hospital u. Stadtlazareth 105,1 
städtisches Krankenhaus. . . 62 

städtisches Hospital.45 


städtisches Krankenhaus. 
Landkrankenhaus. . . . 


333 317 
87 

135 110 
32 31 27 
8; 16 10 
19 15 14 


1 1 1 .. 


6 2 1 .. 


3 5 6 , 61 3 


4 531 

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# Kr&tse und Ungemiefer. 


Digitized by 


oSSSESoo * o CO tc CC Cn ‘ cd I Zahl der Gestorbenen 





















































































— 18 — 

Nachweisuug: Uber Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans 
51 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat Oktober 1896,« 


Städte 


Krankenhäuser 


Bestand 

am 

Schlosse 


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Krankheitsformen der Aufgenommenen 


Pocken 

Varicellen 

Masern nnd 
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Bielefeld. 
Minden . 
Münster . 
Herford . 


Dortmund 
Hagen i. W 
Witten 
Hamm. 
Iserlohn 
Siegen. 
Gelsenkirchen 
Schwelm . 


Düsseldorf 
Elberfeld. 


Barmen 
Crefeld 
Essen a. d. Ruhr 


M.-Gladbach 


Remscheid 
Mülheim a. d. R. 
Viersen . 
Wesel . . 
Rheydt . 

Neuss . . 
Solingen . 
Styrum . 
Ruhrort . 
Odenkirchen 


Aachen . 
Eschweiler 
Eupen . . 
Burtscheid 
Stolberg . 


Köln . . 
Köln-Deutz 
Köln-Ehrenfeld 
Mülheim a. Rh. 
Kalk . 


Trier . . . 
Saarbrücken 


Kreuznach . 
Neuwied . . 


Wiesbaden . 


Kassel. . . 
Fulda . . . 
Hanau. . . 
Eschwege . 
Rinteln . . 
Schmalkalden 


städt. u. kath. Krankenhaus 
städtisches Krankenhaus. . 
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St. 
städt. Krankenhaus .... 


103117 
30 29 
|349 355 
50 43 


Louisen- und Johannishospital 

städtisches Hospital. 

Diakonissenbaus u.Marienhosp. 
städtisches Krankenhaus. . 


Marienstift u. evang. Hospital 
städtisches Krankenhaus . 


1389 41öl 
92 84 
|201 234 
34.37 

84 85, 
. 66 78| 
|249 265 
29 381 


evangelisches Hospital. . . 

Marienhospital. 

St. Josephhospital .... 
städtische Krankenanstalten 
städtisches Krankenhaus. . 


Huyssenstift und Krupp’sches 

Krankenhaus . 

Bethesda-u.Mariahilf-Kranken-l 

haus. 

städt Krankenhaus .... 
evangelisches Krankenhaus, 
städtisches Krankenhaus. . 

„ Hospital.... 

„ Krankenhaus. . 


141 149 
16 350 
155 176 
194 186 
154 180 
1221 227 


230 226 


Hanielsstiftung .... 
städtisch. Krankenhaus 


154 164 
82 86 
91 92 
28 36 
55 62 
52 42 
59 67 
84 8- c 
46 54 
35 46 
8 8 


Mariahilfho8pital 


pll 

St Antoniushospital 
St. Nicolaushospital. 
Marienhospital . . . 
Bethlehemho 


hospital 


,293 329 
100 94 | 
21 
93 
70 


25| 

? 

791 


Bürger- u. Augustahospital. 
städtisches Krankenhaus. . 


städt u. Dreikönigenhospital. 
städtisches Krankenhaus. . 


[773 806 
89 91 
126 109 
154 153 
76 84 


städt Hospital u. Stadtlazareth 
Bürgerhospital. 


110 111 
94 91 


städtisches Hospital 


36 44 
51 56 


städtisches Krankenhaus. 
Landkrankenhaus.... 


98 107 


317 321 
82 82| 

110 112 


132 

36 

267 

14 


457 

60 

230 

23 

65 

61 

2731 

20 


122 

276 

139 

222 

196 

204 


315 


110 

70 

60 

16 

40 

35 

32 

57 

44 

43 

4 


281 

25 

13| 

61 

181 


803 

56 

72 

168 

60 


33 

70 


45 

53 


123 


262 

74 

93 

18 

8 

17 


Kritae und Ungeziefer. 


Digitized by 


Google 






































































































































— 19 - 


Sterbliohkeitis-Statistik ron 58 StAdten der ProTinEen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat September 1896. 


Monat 

September 

1896 

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Todesursachen 

Infections-Krankheiten 

Gewaltsamer 
Tod durch 

Zahl der Leb 
geborenen 

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Darunter Kinde 
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Scharlach 

Diphtheritis 
und G’roop 

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51 

Verunglhckung 
oder nicht näher 
constatirte Ein¬ 
wirkung 

Selbstmord 

Todtschlag 

Münster. 

57*00 

140 

138 

29 1 

78 

25 

16 2 


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2 • 

1 

1 




5 

2 



Bielefeld .... 

47500 

34,9 

77 

38 

19,5 


i 



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2 



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9 

2 

1 


Paderborn .... 

23158 

51 

5 

17 

6 

8,8 










3 




Minden. 

22315 

50 

26 9 

24 

8 

12*9 





1 





5 

2 

3 


Dortmund .... 

11*645 

379 

38 0 

16* 

67 

17,3 


.. 


5 

2 

2 




19 

7 

2 


Bochum. 

53 7** 

190 

42 4 

94 

34 

21 0 



10 

2 



* * 



9 

2 

1 


Hagen. 

42391 

143 

40 5 

73 

34 

20 7 




4 

3 

** 

1 


9 


i 

Gelsenkirchen . . 

31582 

172 

65,4 

67 

25 

25,5 

• • 

i 


3 



1 

1 


7 

2 

2 


Hamm. 

2*542 

10 ‘? 

42 9 

42 

18 

17 6 


.. 


1 






12 

1 



Witten. 

2*000 

89 

38 1 

47 

20 

20 1 


2 

3 



1 




4 

3 

1 


Iserlohn. 

24720 

*0 

38 8 

39 

12 

18 9 








1 


2 




Siegen. 

19571 

50 

30*7 

13 

3 

8 9 










1 


1 


Schwelm. 

15000 

39 

31 2 

19 


15 2 


i 



1 





2 

2 



Lippstadt .... 

1111 * 

29 

31 3 

12 

2 

130 










1 




Düsseldorf. . . . 

175*61 

60* 

41,5 

25! 1 

121 

17 7 


2 

1 

5 

1 

2 




43 

7 

1 


Elberfeld .... 

142000 

389 

32,9 

165 

67 

13,9 


2 


2 

3 




1 

30 

4 



Barmen. 

127000 

349 

33,0 

131 

El 

12,4 


.. 

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1 

4 

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1 

2 

23 

6 

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Oefeld. 

107816 

267 

29,7 

149 

65 

16,5 


2 

l 

5 

i 

2 


2 


17 

2 

.. 


Essen a. d. Ruhr. 

96163 

349 

43,6 

156 

67 

19,5 



2 

2 

2 

1 




29 

5 

i 


Duisburg .... 

70187 

251 

42,9 

89 

44 

15,2 


i 


1 

1 

1 




18 

3 



M.-Gladbach . . . 

53666 

163 

36,5 

75 

27 

16,8 



2 

2 






14 

1 

i 


Remscheid. . . . 

47231 

140 

35,6 

50 

17 

12,7 


i 


1 


i 




2 

1 

3 

2 

Solingen. 

40863 

129 

37,9 

63 

30 

18,5 


2 


2 





1 

3 




Mülheim a. d. R. . 

31432 

90 

34,4 

24 

10 

92 




1 


i 




5 


i 


Rheydt. 

30096 

90 

35,9 

51 

24 

20,3 



2 

4 






13 




Oberhausen . . . 

30159 

140 

55,7 

42 

21 

16,7 


i 



2 





10 

3 



Styrum. 

26772 

119 

53,0 

39 

16 

17,5 


l 








2 

i 


Viersen. 

22*04 

47 

24,7 

21 

7 

11,1 










4 




Neuss. 

25272 

76 

36,1 

51 

26 

24,2 


*i 



i 

i 




5 




Wesel. ..... 

22258 

54 

29,1 

13 

4 

7,0 




1 

I • • 





4 




Wermelskirchen . 

13451 

37 

33,0 

11 

2 

9,8 


*2 



l 



’i 






Ronsdorf .... 

12178 

17 

16,8 

15 

6 

14,8 


l 


i 






1 

i 



Ruhrort. 

11712 

31 

31,3 

14 

8 

14,3 





i 

i 




4 




Lennep . 

8896 

20 

27,0 

11 


14,8 









’i’ 


1 



Süchteln. 

8120 

16 

23,6 

8 

3 

11,8 




i 





2 




Aachen. 

1104*9 

365 

39,6 

171 

*6 

18,6 


2 


2 

2 

2 




37 


l 


Esch weder. . . . 

19482 

64 

39,4 

33 

16 

20,3 




1 





1 

i 


Eupen. 

15036 

35 

27,9 

24 

7 

19,2 


[. 


1 






1 




Burtscheid. . . . 

15856 

53 

40,1 

20 

10 

15,1 










6 




Stolberg. 

13013 

42 

38,7 

21 

10 

19,4 





1 





2 




Köln. 

328625 

980 

33,8 

552 

249 

19,4 


10 

1 

13 

14 

3 


1 

4 

122 

6 

2 


Bonn *. 

44650 

145 

39,0 

80 

29 

21,5 




1 




1 

1 • • 


6 

1 

1 


Mülheim a. Rh. . 

36001 

119 

39,7 

66 

37 

22,0 




1 

5 





Kalk. 

15576 

50 

38,5 j 

28 

16 

21,6 


i 


1 




! , . 


1 




Trier. 

39993 

98 

29,4 

53 

15 

15,9 


l 








7 

5 



Malstatt-Bur hach . 

23675 

104 

52,7 

45 

24 

22,8 




1 

6 





1 

1 



St Johann. . . . 

16768 

44 

31,5 

18 

6 

12,9 








i 





Saarbrücken . . . 

17081 

42 

29,5 

26 

9 

18,3 



i 

3 

4 




2 

2 

’i 


Coblenz. 

39640 

76 

23,0 

41 

12 

12,4 





2 





8 

1 

1 

Kreuznach.... 

20400 

40 

23,5 

31 

10 

18,2 




i 






3 


1 

Neuwied. 

10593 

26 

29,5 

13 

4 

13,6 


i 

.. 

! 








2 


Wiesbaden.... 

75240 

174 

27,8 

101 

35 

16,1 





3 

2 




6 

3 



Kassel. 

82774 

201 

29,1 

85 

20 

12,3 




i 


4 


2 


2 

3 

i 







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* Bonn: darunter 12,4%» Geburten, 6,7%» Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten. 



















































































































- 20 - 

HterbIiohkeiti9-8tatiatik von 58 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Oktober 1896. 


Monat 

Oktober 

1896 



Todesursachen 

Infeetions-Krankheiten 


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Münster. . 
Bielefeld. . 
Paderborn . 
Minden . . 

Dortmund . 
Bochum . . 
Hagen. . . 
Gelsenkirche 
Hamm. . . 
Witten . . 
Iserlohn . . 
Siegen . . 
Schwelm . 
Lippstadt . 

Düsseldorf. 
Elberfeld . 
Barmen . . 
Crefeld . . 
Essen a. d. ! 
Duisburg . 
M.-Gladbach 
Remscheid. 
Solingen. . 
Mülheim a.d. 
Rheydt . . 
Oberhausen 
Styrum . . 
Viersen . . 
Neuss. . . 
Wesel. . . 
Wermelskirc! 
Ronsdorf . 
Ruhrort . . 
Lennep . . 
Süchteln. . 

Aachen . . 
Eschwciler. 
Eupen . . 
Burtscheid . 
Stolberg. . 

Köln . . . 
Bonn * . . 

Mülheim a. I 
Kalk . . . 


Trier .... 
Malstatt-Burba 
St. Johann . 
Saarbrücken . 

Coblenz . . . 
Kreuznach. . 
Neuwied. . . 

Wiesbaden. . 


57800 143 29,7 87 24 18,1 .. 1 .. 1 1 1 .. 1 ... 

47900 146 36,6 58 21 14,5 .. .. .. 1 1 2 1 . 

23158 57 29,5 38 5 19,7 . 

22315 56 30,1 31 10 16,6 .... 1 .. 4 . 


5 4 

4 2 

1 

1 1 


119345 417 
53788 185 
42391 120 
31582 129 
28542 83 
28000 78 
24720 63 
19571 46 

15000 33 
11118 25 

175861 635 
142000 394 
127000 363 
107761 292 
96163 372 
70187 260 
53666 201 
47231 149 
40863 119 
31432 127 
30096 104 
30159 118 
26772 139 
22804 58 
25272 89 
22258 50 
13451 33 
12178 33 
11712 39 
8878 26 
8119 9 


41.1 188 

41.3 87 

34,0 49 

49,0 50 

34.9 28 

33.4 43 

30,6 36 

28.2 28 

26.4 10 
26,8 11 

43.3 223 

33.3 157 

34.3 131 

32.5 129 

46.4 184 

44.4 99 

44.9 94 

37.9 65 

34.9 42 

48.5 53 

41.5 43 

47,0 50 

62.3 50 

30.5 31 

42.3 65 

26.9 25 

29.9 15 

32.5 15 

39.9 22 

35,1 10 

13.3 13 


1 5 5 1 2 .. 1 ... 

6 3.. 4L. 1... 

" •• 2 1 |. 

.. .. 1 1 213. 


56 18,5 .. 1 5| 5 1 

27 19,4 .. .. | 6 3 .. 

20 13,9 .. .. .. .. 2 

16 19,0. 11 

8 11,7 .. 2'. 

12 18,4 .... 3 3.. I 1 

12 17,5 .. 1 .. 1 .. 1 

5 17,2. 

1 9,3 .. L ...... 

3 11,9 .. ...... 1 


.. 2 5 13... 

1 1 2! 2 5 1 .. 

.. 4 1 8 6 ...... 1 


12 2 1 1 L.l 2 ... 


14 9 

11 2 

13 3 

7 3 


161.. ....... 

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.. .. 31.. .. ........ 

1 .. 1 10 1 .. . 

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.. I.. 1 .. .. 


110489 337 36,6 185 76 20,1 


II.. 2 7 2 


19482 73 45,0 33 10 20,3 .. I .. 1 4 

15036 40 31,6 29 8 23,1 1 

15856 42 31,8 12 4 9,1 .. 

13013 45 41,5 24 12 22,1 1 


469 170 16,8 .. 1 1 13 12 3 .. 2 5 

70 28 18,8 .. .. .. 5 .. 

67 31 22,3 .. .. .. .. 4, 2 .. 1 .. 

20 6 15,4 ...... 1 .. ... 


47 11 14,1 ............ 

33 16 16,7 .. .. .. 1 6 ' 1 

20 7 14,3 ...... 3 I.... 

17 5 11,9 .. .. .. .. 1 .. 


34 8 10,3 


12 3 13,6 


85 12 13,5 .. j .. || 12 
100 23 14,5 4 .. 


Bonn: darunter 10,5%o Geburten, 8,.‘l°/<» Sterbef&lle Answ&rtiger in 





























































































— 21 — 

Nachweisung 1 über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 
53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Noyember 1895. 


Städte 

Krankenhäuser 

Bes 

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* 3 
■< 

Bielefeld.... 

städt. u. kathol. Krankenhaus 

115 

139 

151 

Minden .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

28 

40 

60 

Paderborn . . . 

Landeshospital. 

50 

58 

52 

Münster .... 

Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St. 

386 

407 

278 

Herford .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

53 

61 

24 

Dortmund . . . 

Louisen- und Johannishospital 

425 

428 

402 


städtisches Hospital. 

89 

103 

73 

Witten. 

Diakonissenhaus u.Marienhosp. 

215 

215 

180 

Hamm. 

städtisches Krankenhaus. . . 

39 

38 

23 

Iserlohn .... 

n n . . . 

97 

123 

66 

Siegen . 

n n ... 

73 

50 

50 

Gelsenkirclien . 

Marienstift u. evang. Hospital 

235 

213 

238 

Schwelm .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

37 

38 

27 

Düsseldorf. . . 

evangelisches Hospital. . . . 

225 

227 

183 

n ... 

Marienhospital. 

297 

318 

243 

Elberfeld.... 

8 t. Josephshospital. 

162 

190 

150 

... 

städtische Krankenanstalten . 

187 

195 

221 

Barmen .... 

städtisches Krankenhaus. . . 

200 

199 

184 

Crefeld .... 


219 

247 

193 

Essen a.d.lL. . 

lluyssenstift und Krupp’sches 





Krankenhaus . 

274 

253 

290 

M.-Gladbach . . 

Bethesda u. Mariahilf-Kranken- 





haus. 

138 

139 

105 

Remscheid . . . 

städtisches Krankenhaus. . . 

90 

93 

78 

Mülheim a. d. K. 

evangelisches Krankenhaus. . 

127 

119 

60 

Viersen .... 

städtisches Krankenhaus . . 

26 

27 

16 

Wesel. 

„ Hospital. 

43 

42 

32 

Rheydt .... 

„ Krankenhaus. . . 

44 

44 

29 

Neuss. 

y> n ... 

43 

57 

29 

Solingen .... 

n T) . . . 

80 

91 

59 

Styrum .... 

r> n • • • 

62 

71 

38 

Ruhrort .... 

Ilanielsstiftung. 

45 

39 

27 

Odenkirchen . . 

städtisches Krankenhaus. . . 

13 

10 

7 

Aachen .... 

Mariahilfhospital. 

324 

'324 

292 

Kschweiler. . . 

St Antoniushospital. 

114 

110 

19 

Kupon . 

St. Nikolaushospital. 

33 

35 

12 

Burtscheid . . . 

Marienhospital. 

90 

9s 

62 

Stolberg .... 

Bethlehemhospital. 

98 

i 95 

24 

Köln. 

Bürger- u. Augustahospital . 

799 

821 

794 

Köln-Deutz. . . 

städtisches Krankenhaus. . . 

97 

113 

63 

Köln-Ehrenfeld . 

rt n ... 

106 

103 

48 

Bonn. 

Friedr. Wilh.-Stift. 

31 

| 72 

m 

Mülheim a. Rh. 

städt. u. Dreikönigenhospital. 

180, 

175 

161 

Kalk. 

städtisches Krankenhaus. . . 

84 

87 

62 

Trier. 

städt. Hospital u. Stadtlazareth 

110 

124 

39 

Saarbrücken . . 

Bürgerhospital. 

86 

89 

73 

Kreuznach . . . 

städtisches Hospital. 

38* 

52 

56 

Neuwied .... 

n n . 

44 

43 

52 

Wiesbaden. . . 

städtisches Krankenhaus. . . 

134! 

125 

165 

Bettenhausen . . 

Landkrankenhaus. 

174 

289 

296 

Fulda. 

. 

771 

78 

80 

Hanau. 

•••••• 

100 

113 

86 

Escliwegc . . . 

n . 

40 

43 

40 

Rinteln .... 

„ . 

17 

31 

21 

Schmalkalden. . 

n . 

19 

21 

15 


| Krankheitsformen der Aufgenommenen 

Bocken 

Varicellen 

•- 

£ 

BÖ 

T3 

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0 

c 

t- 

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■ 

4 

Scharlach 

cs. 

3 

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0 

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i- 

’S. 

5 

Keuchhusten 

Unterleibstyphus 

Epidemische 

Genickstarre 

u 

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4 

4 
1 
1 

5 





















5 



2 



1 


1 

1 

2 

1 

6 

1 

1 




2 

12 


























1 





2 

5 








2 




1 







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1 

3 

11 

5 








2 

1 

2 

2 

1 



2 


2 

1 



2 




79* 

2 


4 

9 

7 

6 

1 

8 

















1 

i 

2 

20 














1 




4 









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2 

1 



























1 





5 













1 
















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1 

4 

1 

















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1 

18 

1 

1 














4 

3 


5 






















































1 

1 

1 

6 

29 

7 


5 

1 

1 


1 



14 



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2 


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1 

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1 

2 

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6 

1 


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1 

1 

14 

3 




















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3 

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2 

2 










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*7 

1 





























* Krätzkranke. t Krätze und Ungeziefer. 


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22 


IV&oliweifsiiiig: über Kr&nkenaufnnhme und Bestand in den Krankenhäusern ans 
49 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat December 1895. 


Krankheitsformen der Aufgenommenen I § 



Bielefeld. . . . 
Minden . . . . 
Paderborn . . . 
Münster . . . . 
Herford . . . . 

Dortmund . . . 
Ilagen i. W. . . 
Witten . . . . 

Hamm. 

Iserlohn . . . . 

Siegen. 

Gelsenkirchen . 
Schwelm . . . . 

Düsseldorf . . . 

Elberfeld. ! ! 

„ . . . . 
Barmen . . . . 
Crefcld . . . . 
Essen a. d. Ruhr 

M.-Gladbach . . 


Remscheid . . 
Mülheim a. d. R 
Viersen . . . 
Wesel .... 
Rheydt . . . 
Neuss .... 
Solingen . . . 
Styrum . . . 
Ruhrort . . . 
Odenkirchen . 

Aachen . . . 
Esch weder . . 
Eupen .... 
Burtscheid . . 
Stolberg . . . 

Köln .... 
Köln-Deutz. . 
Köln-Ehrenfeld 
Bonn .... 
Mülheim a. Rh. 
Kalk .... 


K rankenhunser 


.1 städtisches Krankenhaus. 



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städt Krankenhaus .... 

Louisen- und Johannishospitj 
städtisches Hospital.... 
Diakonissenhaus u. Marienhos 
städtisches Krankenhaus. . 


Trier . . . 
Saarbrücken 

Kreuznach . 
Neuwied . . 

Wiesbaden . 

Hettenhausen 
Fulda . . . 
Hanau. . . 
Eschwegc . 
Rinteln . . 
Schmalkalden 


städtisches Krankenhaus . 

evangelisches Hospital. . . 

Marienhospital. 

St. Josephhospital .... 
städtische Krankenanstalten 
städtisches Krankenhaus. . 

n n • 

Huyssenstift und Kruppsche 

Krankenhaus. 

Bethesda-u.Mariahilf-Krankt i 

haus. 

städt. Krankenhaus .... 
evangelisches Krankenhaus. 
städtisches Krankenhaus. . 

„ Hospital.... 
n Krankenhaus. . 


Hanielsstiftung. 

städtisch. Krankenhaus •. . 

Mariuhilfhospital. 

St. Antoniusnospital . . . 
St. Nicolaushospital. . . . 

Marienhospital. 

Bethlehemhospital . . . . 

Bürger- u. Augustahospital. 
städtisches Krankenhaus. . 

Fried*. Wilh.-Stift. 


städt u. Dreikönigenhospital 
städtisches Krankenhaus. . 

städt. Hospital u. Stadtlazuretli 
Bürgerhospital. 

städtisches Hospital . . . . 

n r> .... 

städtisches Krankenhaus. . 
Landkrankenhaus. 


821 822 
113 111 
103 108 
72 70 
175 183 
87 89 

1241113 
89 107 


289 274 
78 105 
113 127 
43i 32 
31 30 
21 23 


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141 

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56 


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58 

72 

68 


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2 

407 

451 

356 

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470 

457 

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215 

253 

188 

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38 

32 

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123 

120 

58 


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1 







1 

5 

50 

61 

68 









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4 

213 

260 

276 

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25 










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227 



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309 

215 

...... 2 

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30 

190 

196 

147 


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1 

9 

195 

196 

241 

76* 2 6 3 

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16 

199 

215 

189 

.... 1 .. 

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15 

247 

254 

187 


6 .. 

1 

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3 

15 

253 

245 

340 


7 .. 

17 






1 

11 

139 

155 

115 

...... 6 

7 .. 







1 

12 

93 

116 

89 

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10 .. 

5 







8 

119 

110 

68 

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5 

271 

31 

16 









1 

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42 

53 

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44 

37 

33 


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57 

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36 


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91 

105 

88 

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71 

63 

26 



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39 

46 

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10 

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324 

319 

317 

.... 6 5 

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2 

31 

110 

113 

25 


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32 

12 



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98 

87 

46 

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4 

95 

94 

27 


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1 





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... 

3 


* Krfctxe und Ungeziefer. 


f 3 Influenzatalle. 


Digitized by 


Google 



















































































































Htexrbliohlceits-Statlstilc von 53 Stfidton der Provinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat November 1895. 



Todesursachen 

Infeetions-Krankheiten 


Gewaltsamer 
Tod durch 


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Münster . . 
Bielefeld. . 
Paderborn . 
Minden . . 

Dortmund . 
Bochum . . 
Hagen. . . 
Gelsenkirchei 
Witten . . 
Hamm. . . 
Iserlohn . . 
Siegen . . 
Schwelm . 
Lippstadt . 

Düsseldorf. 
Elberfeld . 
Barmen . . 
Crefeld . . 
Essen a. d. ] 
Duisburg . 
M.-Gladbach 
Bemscheid. 
Solingen. . 
Mülheim a.d. 
Oberbausen 
Rheydt . . 
Neuss. . . 
Viersen . . 
Styrum . . 
Wesel. . . 
Wermelskirc 
Honsdorf . 
Ruhrort. . 
Lennep . . 
Süchteln. . 


Aachen . . . . 
Eschw r eiler. . . 
Eupen . . . . 
Burtscheid. . . 
Stolberg.... 

Köln (innerhalb d 
Umwallung) . 
Köln (ausserhalb 
Umwallung) . 
Bonn* . . . . 
Mülheim a. Rh.. 
Kalk. 


Trier. 

Malstatt-Burbach 
St Johann . . 
Saarbrücken . . 

Coblenz .... 
Kreuznach. . . 
Neuwied. . . . 

Wiesbaden. . . 
Kassel .... 


54000 127 28,2 96 

47000 117 29,9 55 

28158 46 28,9 181 

20208 86 21,4 20 


. 100000 388 
. 47501 181 
. 41353 128 
. 32000 136 
. 28000 78 
. 28335 87 
. 24000 79 
. 19185 60 

. 15000 29 
. 11095 24 


163071 

141000 

125000 

107353 

100000 

66009 

52418 

45000 

4865 

30716 

29436 

26830 

22635 

22140 
22000 

22141 
12700 
11800 
10702 
10421 

880S 


575 42,3 
316 26,9 
338 32,51 
269 30,0 
300 36,0 
1225 40,9 
1164 37,5 
138 36,8 
94 27,6 
100 39,1 
85 34,7 
75 33,5 
73 38,7 
52 28,2 
135 73,6 
42 22,7 
25 23,6 
25 25,4 
45 50,5 
25 28,8 
17 23,2 


113836 290 
18070 53 
15441 30 
14265 45 
13018 54 


104127 339 
42340 129 
34091 100 
13555 54 


79 13,3 


65 18,2 
15 17,6 
8 17,9 
18 38,9 


73117 162 26,6 90 27 14,8 
80172 154 23,1 112 25 16,8 


27 21,3 . 4| 

18 14,0 ..11.. 2 1 .. 

4 9,3 .. |.I 

2 11,9 . 4 

48 18,6 ..I 1 1 31 4 ..' .. 

21 n,4 .... ..; . 

11 11,0 .......... 1 

21 24,4 .. .. 2 8 3 1 

15 21,4 .... 2 3 ..I .. 

11 17,4 .. .. ..| 1 .. 4 


36166 73 24,2 69 19 22,9 .. .. .. 3 

18380 84 54,8 56 12 36,6 .. 7 .. 6 

14631 40 32,8 22 8 18,0 .. 3 .. .. 

15467 42 32,6 18 3 14,0 .. .. _ .. 

37409 91 29,2 42 9 13,5 ....!! 2 

19500 56 34,4 19 3 11,7 | 

11062 20 21,7 

73117 162 26,6 




Digitized t 

* Bonn: darunter 9,6%o Geburten, 6,5°;uu SterbeFMle Auswärtiger in Anstalten. 




















































































































24 


Naohweieiun^ über Krankenaufnahme nnd Bestand in den Kranken- 

Nassau während 


Städte 

Krankenhäuser 

Bestand 

am 

Schlüsse 

c 

tiUi 

* 

*o 

Summa der 
Angenommenen 


Krankheits- 



Pocken 

Varicellen 

Masern und 
Rötheln 

Scharlach 

Diphtheritis 
und Croup 

a 

1 

3 

r=3 

O 

0 

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u: 

Unterleibstyphus 

Bielefeld. 

städt. u. kath. Krankenhaus 

121 

141 

1611 



4 

6 

26 

1 

9 

Minden. 

städtisches Krankenhaus . . 

27 

33 

608 



2 


8 

.. 

32 

Paderborn .... 

Landeshospital. 

73 

72 

629 



1 

i, 

16 

.. 

14 

Münster. 

Clem.-, Franzisk.- u. ev. Hosp. 

333 

451 

4004 


i 

4 

22 

73 

1 

46 

Herford 


57 

64 

372 




1 

5 


15 

Dortmund. 

Louisen- u. Johannishospital 

427 

470 

5567 



12 

5 

146 

1 

56 

Hagen i. W. . . . 

städtisches Hospital .... 

90 

? 

952 



*' 


8 

.. 

10 

Witten. 

Diakonissen- u. Marienhosp. 

259 

253 

2410 



4 

9 

112 

.. 

15 



35 

32 

264 





1 


13 

Iserlohn . 


91 

120 

803 



6 


4 

m 9 

8 

Siegen . 

n n • • 

56 

61 

714 




... 

3 

1 

2 

Gelsenkirchen . . . 

Marienstift u. evang. Hospital 

243 

260 

3178 



i 

8 

34 .. 

83 



31 

39 

325 





4 .. 

2 

Düsseldorf .... 

evangelisches Hospital . . . 

189 

243 

20113 



9 

44 

60 

1 

2 


Marienhospital . 

359 309 

3108 



30 

66 

144 

6 

19 

Elberfeld . 

St. Josephs-Hospital .... 

173 

196 

1547 



2 

11 

18 .. 

5 

. 

städtische Krankenanstalten . 

246 

196 

28 i s 

155* 

2 

29 

14 

43 

1 

2 

Barmen . 

städtisches Krankenhaus . . 

194 

214 

2450 



1 


53 


41 

Crefeld . 


235 

254 

2539 



2 

6 

124 

8 

14 

Essen a. d. Ruhr . 

Huyssen-Stift u. Kruppsches 












Krankenhaus . 

187 

245 

3495 


2 


6 

62 

3 

141 



172 

175 

1190 




12 

26 .. 

10 

Remscheid .... 

städtisches Krankenhaus . . 

124 

116 

978 



1 

3 

62 .. 

9 

Mülheim a. d. Ruhr 

evangelisches Krankenhaus . 

113 

110 

904 



•• 

1 

34 

2 

12 

ViPrQPn 

Städtiqrhpq Ivrfinkpnliniic 

36 

31 

162 





1 

1 

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Wesel. 

O 1\ 1 illlALUliClUO • • 

„ Hospital .... 

49 

53 

510 



.. 

3 

16 


... 

Rheydt. 

„ Krankenhaus . . 

47 

37 

374 





18 

.. 

13 

Neuss. 

n n • • 

45 

56 

355 





4 


5 

Solingen. 

n n ’ • 

119 

105 

771 



3 


20 

3 

12 

Styrum. 

n n • • 

68 

63 

367 



1 


16;.. 

9 

Ruhrort. 

Hanielsstiftung. 

47 

46 

370 



1 


15 

•• 

7 

Od po Iri pti 

ctiHlKr niliPiiliüiiQ 

5 

9 

82 





6 



v/UClilill vUvii • • • • 

Aachen. 

oUIUtlot/LiLo iv l lUin vlllJii Uo • • 

Marienhospital. 

320 

319 

3515 


1 

15 

28 

152 

7 

82 

Eschweiler .... 

St. Antoniushospital .... 

120 

130 

287 





6 

,. 

2 

Eupen . 

St. Nicolaushospital .... 

31 

32 

153 





9 


2 

Burtscheid .... 

Marienhospital. 

113 

87 

748 


‘3 


“2 

3 

.. 

4 

Stolberg. 

Bethiehemhospital. 

100 

94 

325 





6 


3 

Köln. 

Bürgerhsp. u. Augustahospital 

871 

822 

10 391 

1 

5 

7 

119 

423 12 

47 

Köln-Deutz .... 

städtisches Krankenhaus . . 

93 

111 

670 



1 

8 

20 


7 

Köln-Ehrenfeld . . 


129 

108 

800 





11 


6 

Bonn. 

Fr.-Wilh.-Stift(ev. Krankenh.) 

75 

70 

590 



*i 

”i 

7 


7 

Mülheim a. Rhein . 

städt. u. Dreikönigenhospital 

192 

183 

2032 



2 

17 

327 


19 

Kalk. 

städtisches Krankenhaus . . 

97 

89 

694 





15 


3 

Trier. 

städt. Hosp. u. Stadtlazareth 

126 

113 

459 



4 


10 


2 

Saarbrücken.... 

Bürgerhospital. 

101 

107 

1044 




i 

4 


26 

Kreuznach .... 

städtisches Hospital .... 

56 


1 

661' 





8 


13 

Neuwied. 

v n .... 

36 

54 

566 



‘3 

“9 

34 


13 

Wiesbaden .... 

städtisches Krankenhaus . . 

124 

110 

2103 

305* 


7 

5 

90 


99 

Bettenhausen . . . 

Landkrankenhaus . 

219 

274 

2698 



.. 

5 

; 80 


32 

Fulda. 


97 

105 

1119 





1 25 


5 

Hanau. 

n . 

T) • • • • • 

138 

127 

1269 



io 

2 

22 


2 

Eschwege. 


45 

22 

518 




1 

40 


17 

Rinteln ...... 

n . 

12 

30 

190 





2 


8 

Schmalkalden . . . 

TI . 

» . 

31 

23 

272 



•• 

”i 

1 


5 


Kritse und Ungeziefer. 


Digitized by v^ooQle 
































































25 


Masers, aas 58 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland and Hessen¬ 
des Jahres 1895. 


formen der Aufgenommenen 



*£& !j.lf * .3 £ 1 % g 1,3 |cl 

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3.2 £ Ü c 'S 1 gpo £ Ö>ä C t l-s o 

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S ^ 2 fc22 *< 3? ^ 






































26 


SterbliohkeitB-Statistik Ton 5$_Sttdten der Provinzen 


Städte 


Einwohnerzahl 

i 

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31 
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Zahl der Sterbef&lle 
ausschl. Todtgeborenen 1 

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es a 

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Lebensalter d. Gestorbenen 

1 Jahr 

über 1 bis 5 Jahre 

über 5 bis 20 Jahro 

über 20 bis 40 Jahre 

über 40 bis 60 Jahre 

über GO Jahre alt 

Alter unbekannt 

Münster .... 


56000 

1690 

30,2 

47 

1322 

23,6 

447 I 

116 

68;175|l76 

340 


Bielefeld .... 


47000 

1583 

33,7 

42 

745 

15,9 

230 

99 

46 100 113 

157 

. . 

Paderborn.... 


2:3158 

675 

29,1 

ME 

369 

15,9 

99 

35! 

24 

52 

61 

98 

, . 

Minden. 


20208 

598 

29,6 

21 

327 

16,2 

91 

45 j 

20 

42 

54 

75 


Dortmund .... 


100000 

4420 

44.2 

112 

2072 

20,7 

738 

312 1 

157283319 

263 


Bochum. 


47501 

2293 

48,2 

64 

1211 

25,5 

422 

231 

77 159 207 

115 


Hagen . 


41:353 

1718 

41,5 

58 

719 

17,4 

270 

62 

44 

941122 

117!.. 

Gelsenkirchen . . 


31000 

1634 

52,7 

43 

865 

27,9 

307 

185 

74,111 

113 

75 

.. 

Witten. 


28000 

982 

35.1 

46 

549 

19,6 

180 

68 

43 

87 

91 

78 

2 

Hamm . 


28542 

1099 

38.5 

29 

552 

19,3 

202 

68 

33 

60 

80 

108 

1 

Iserlohn .... 


24694 

856 

34,7 

31 

419 

17,0 

125 

65 

24 

50 

64 

91 


Siegen . 


19571 

676 

34,2 

20 

242 

12,4 

59 

34 

12 

36 

44 

57 


Schwelm .... 


14725 

527 

35,6 

22 

242 

16,4 

86 

17 

19 

26 

34 

60 


Lippstadt .... 


11095 

368 

33,0 


218 

19,6 

73 


15 

20 

42 

43 


Düsseldorf . . . 


163071 

6645 

40,7 

214 

3908 

24,0 

1609 

685 

219386 

430 

582 

1 

Elberfeld .... 


141000 

4661 

33,1 

177 

2379 

16,9 

787 

379 

135 2681344 

466 


Bannen . 


125000 

4211 

33,7 

109 

2072 

16,6 

633 

221 

150 274*327 

438 


Crefeld . 


107266 

3385 

31,6 

130 

2008 

18,7 

699 

291 

139 172 301 

406 


Essen a. d. Ruhr . 


100000 

3992 

39,9 

133 

1957 

19,6 

720 

309 

108256297 

267 


Duisburg .... 


G6009 

3016 

45,7 

97 

1342 

20,3 

548 

151 

92 164 216 

171 


M.-Gladbach . . . 


54578 

2048 

37.5 


1276 

23,4 

580 

146 

66,135 

131 

218 


Remscheid . . . 


46224 

1727 

37,4 


781 

16,9 

269 

83 

48 

92 

131 

158 


Solingen .... 


40860 

1472 

36,1 

40 

772 

18,9 

311 

56 

38 110 

119 

138 


Mühlheim a. d. Ruhr 

30716 

1376 

44,8 

36 

617 

20,1 

279 

45 

28 

68 

87 

110 


Oberhausen . . . 


29436 

1395 

47,4 

30 

639 

21,7 

267 

90 

57 

76 

84 

65 


Rheydt . 


30600 

1082 

35,4 

23 

551 

18,0 

190 

63 

39 

71 

88 

100 


Neuss . 


22635 

954 

42,1 

32 

573 

25,3 

220 

91 

33 63 

66 

100 


Viersen . 


22804 

679 

29,8 

25 

448 

19,6 

120 

39 

32 

37 

77 

143 


Styrum . 


26772 

1424 

53,2 

42 

522 

19,5 

251 

109 

31 

55 

57 

49 


Wesel . 


22258 

627 

28.2 

24 

366 

16,4 

118 

31 

12 

45 66 

94 


Wermelskirchen . 


12692 

452 

35,4 

21 

195 

15,4 

58 

13 

15 

24 

25 

60 


Ronsdorf .... 


12177 

342 

28.1 

10 

145 

12,0 

28 

17 

8 

27 

31 

34 


Ruhrort . 


10702 

499 

46.8 

13 

250 

23,4 

112 

13 

22 

32 

26 

45 


Lennep . 


10427 

261 

25,0 

16 

165 

15,8 

39 

10 

13 23! 30 

50 


Süchteln . . . . 


8808 

216 

24,5 

7 

139 

15,8 

21 

11 

9 

22 27 

49 


Aachen . 


113836 

3809 

33,4 

88 

2631 

23,1 

1270 

174 

96:217 

968 

480 

26 

Eschweiler . . . 


18070 

739 

40,9 

22 

392 

21,1 

143 

50 

15 

28 

43 

113 


Eupen . 


15036 

423 

28,1 

13 

302 

20,1 

95 

24 

15 

1 20 

33 

115 


Burtscheid . . . 


14265 

536 

37,6 

12 

293 

20.5 

142 

22 

9 

25 

29 

66 


Stolherg . . . . 


13013 

589 

45,3 

18 

343 

26,4 

164 

39 

7 

22 

36 

75 


Köln innerhalb d. L’mwallimg 

215521 

7404 

34,4 

235 

4602 

21,4 

719 

565 

235 553 

674 

856 


„ ausserhalb d. „ 


105452 

4483 

42,5 

92 

2667 

25,3 

1277 

396 141 252 

276 

325 


Bonn * . 


44560 

1691 

37,9 

76 

1081 

24 3 

336 

115 

64 159 

178 

229 


Mühlheim a. Rhein 

34091 

1487 

43,6 

65 

783 

23,0 

291 

149 

871 88 

104 

114 


Kalk . 


13555 

739 

54,5 

33 

400 

29,5 

179 

79 

201 34 

44 

44 


Trier . 


36166 

1071 

29,6 

37 

826 

22,8 

213 

75 

44114 

153 

227 


Malstadt-Burbach 


18380 

1097 

59,7 

32 

505 

27,5 

232 

86 

31 

38 

62 

56 


St Johann . . . 


16768 

524 

31,2 

23 

260 

15,5 

95 

41 

16 

25 

27 

56 


Saarbrücken . . . 


15467 

524 

33,9 

20 

320 

20,7 

86 

34 

16 

55 

67 

62 


Coblenz . 


37409 

1059 

28,3 

26 

684 

18,3 

217 

75 

35 

86 

123 

145 

3 

Kreuznach . . . 


19500 

614 

31,5 

23 

381 

19,5 

74 

42 

25! 51 

67 

122 


Neuwied . . . . 


10593 

307 

29,0 

9 

202 

19,1 

38 

31 

1 22 

1 18 

29 

64 


Wiesbaden . . . 


74136 

1991 

26,9 

95 

1312 

17,7 

380 

109 

86160 

241 

m 


Kassel . 


80172 

2253 

21,3 

76 

1329 

16,6 

403 

141 

08 145 

225 

1 

347 



# Bonn: darunter 10,7%o Geburten, 7,8%u Sterbefällo Ausw&rtig^r in Anstalten. 

Digitized by VjOOQIC 






























































27 


Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau während des Jahres 1895. 


Todesursachen 



Infections- Krankheiten 


I Andere verschied. 

Krankheiten 

Alle übrigen 
Krankheiten 

Gewaltsamer 
Tod durch 

Pocken 

Masern 
und Rötheln 

Scharlach 

.2 o 

’S 2 

ja o 

!i 

Stickhusten 

Unterleibstyph. 
gastr. Fieber 

Ruhr 

Kindbet tfleber 

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! • | 

5 
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11 

ja 

s 

d 

t 

||l 

53z 

* g 

An dort* acute 
Erkrank, der 
Athm.-Organe 

Apoplexie 

Acuter Gelenk¬ 
rheumatismus 

Dannkatarrh 

Brechdurchfall 

Verunglückt 
od. nicht näher 
const. gewalts. 
Einwirkungen 

Selbstmord 

*0 

CS 

«s 

0 

E-* 


1 

5 

26 

4 

In 


1 4 

1 

199 

83 

1 

' 20 

4 

16 166 

769 

3 

6 

3t 


3 

1 

2C 

6 

3 

4 

4 


121 

121 

13 



47 

44 

338 

15 

4 

2 




£ 

3 

1 


2 


68 

23 

15 



10 

8 

13 

225 

4 

2 



2 

1 

9 


6 


1 

6* 

38 

25 

7 

9 


15 

187 

9 

3 

i 


6 

7 

57 

4 

17 

i t 

u 

3 

43 n 

173 

251 

140 

1 20 

1 

121 

61 

1097 

52 

13 

1 


14 


34 


13 




154 


184 



45 

15 

737 

13 

2 




2 

12 


7 




J30 

64 

57 

5 


1 

88 

329 

7 

5 

2 


3 

20 

48 

17 

10 

86 

4 

13 

88 

89 

13 

17 

1 

47 

27 

357 

22 

2 

1 


... 

11 

37 

... 

1 5 

1 • • 

1 


90 

56 

2 

31 

.. 

14 

15 

261 

21 

4 

1 



1 

27 

2 

8 




92 

26 

34 

; 2 

1 

14 

49 

288 

8 




8 


2 

2 

2 


1 

1 

66 

42 

19 

... 


23 

20 

227 

5 

i 

.. 


8 


3 

5 

i 1 




31 

34 

2 

9 


5 

6 

136 

7 




1 


4 


1 

1 

1 

2 

37 

25 


1... 


15 

4 

141 

5 

4 

1 


6 


1 

4 

9 

1 



3 

3 

21 

ii 


2 

11 

2 

149 

3 




27 

25 

58 

14 

7 


9 

30 

443 

407 

76 

76 

3 

315 

381 

lS(2(i 

78 

23 

10 


30 

5 

54 

22 

4 


5 

88 S1 

320 169 

137 

r. 9 

4 

221 

116 

1075 

36 

30 

4 


22 


69 

23 

14 


8 

68 58 

342 

262 

22 

75 

2 

218 

56 

833 

32 

22 

1 


2 

1 

52 

39 

14 


3 


248 

174 

61 

128 

3 

54 

140 

1054 

25 

10 

• • 


3 

2 

50 

. * • 

51 

i 

11 


259 

372 


9 # 

237 

55 

853 

49 

11 

3 


4 

5 

17 

3 

8 


7 

4 

172 

115 

60 

i7 

1 

158 

62 

658 

44 

7 

.. 


2 

3 

48 

2 

8 

.. 

2 


165 

169 

38 

97 

1 

66 

113 

548 

8 

6 

.. 


3 

7 

22 

4 

4 


2 

4 

132 

49 

24 

47 


17 

22 

415 

15 

12 

2 

.. 4 

6 

36 

18 

4 


2 

1 

155 

64 

34 

35 

4 

30 

12 

354 

10 

2 

1 



25 

9 

3 


1 


67 

57 

53 

7 

1 

71 

8 

284 

25 

2 

1 

.. 18 


12 

2 

i 


4 


82 

84 

17 

5 

1 

74 

36 

262 

34 

4 

3 




11 


4 


1 


101 

57 

6 

29 

1 

39 

32 

269 

1 




1 


13 

2 

4 


'2* 

81 

47 

7 

23 


1 

59 

321 

11 

i 




i 

! 11 

4 

i 


2 

... 

59 

40 

12 

12 

3 

3 

15 

282 

1 

2 



ii 

3 

I 12 

1 

1 


1 


58 

74 

18 


1 

40 

13 

309 

8 

2 





5 

5 

2 




51 

45 

22 

37 


4 

34 

150 

7 

4 



i 


2 

3 

1 



i 

32 

4 

1 

8 




133 

2 

7 





1 

3 

2 



38 

6 1 



3 

9 

79 

3 


’i 





3 



ii» 

28 

44 

10 

171 

1 

33 

2 

82 

14 

2 





i 





26 

18 

11 

1 

8 


4 

3 

88 

5 

1 


.. ... 


4 



2 



29 

8 

9 

8 


2 


75 

2 1 




2 

2 

43 

17 

16 

1 

:: 

21 

226 

326 

7 

66 

4 

213 

268 

1395 

16 

5 



3 


8 




2 

3 

29 

8 

26 




32 

274 

6 


’i 




9 

i 

’i 


1 


23 

24 

6 

12 

2 

iß 

10 

197 







1 

4 


1 


27 

18 

2 

15 

1 

70 

147 

4 

3 



1 


2 

7 

2 



37 

30 

1 


’ 8 

6 

247 

2 




6 

12 

77 

44 

20 


10 

53 

621 

544 


165 

9 

373 

255 

2302 

76 

33 

2 


8 

11 

92 

33 

6 


9 

18 

264 

296 


52 

9 

372 

153 

1280 

55 

8 

1 


2 

3 

31 


5 



2 

117 

100 

24 

51 

1 

42 

67 

617 

14 

1 

1 


4 

7 

27 

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4 


2 


121 

60 

26 

32 

1 

6 

14 

458 

17 

3 



11 

2 

7 

8 

4 




45 

33 

5 

10 


13 

14 

242 

6 




10 

3 

12 

3 

5 

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1 

10 

142 

83 

23 

38 


55 

11 

414 

10 

6 



41 

3 

30 

5 

5 


1 


33 

98 


... 


6 

10 

266 

6 

1 



10 

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9 


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21 

22 

3 

1 

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9 1 

15 

158 

4 

1 

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20 


8 




40 

36 

2 

8 


11 

17 

165 

7 

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1 

1 

17 

16 

5 


3 

3 3 

152 

98 

20 

19 

3 

67 1 

15 

241 

18 

5 






3 

5 




47 

54 

13 

39 

3 

8 

7 

188 

6 

5 

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4 

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1 



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30 

22 

7 

25 


2 

5 

89 

4 

2 



... 

2 

19 

6 

18 


1 


153 

136 ; 

... 

75 

1 

82 

22 

770 

14 

11 

2 


5 

5 

18 

6 

6 


5 


170 

177 

... 


133 

1 

769 

19 

22 



* Die neben den Zahlen stehenden kleinen Zahlen sind Influonza-Fälle. 
f Darunter 2 bezw. 1 Hinrichtungen. 


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28 


Stei*l>llolilceits-Sta.tiflstik Ton 53 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat December 1895. 


Monat 

December 

1895 

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Münster. 

56000 

111 

23 8 

87 

17 

18,6 



1 


1 

2 




1 



1 

Bielefeld . . . . 

47000 

115 

294 

59 

12 

15 1 


, 2 

I 

4 






3 

i 



Paderborn .... 

28158 

50 

25,9 

26 

5 

13 5 


1 




1 





1 



Minden. 

20208 

51 

30,3 

21 

6 

12,5 




1 


1 




1 




Dortmund .... 

10000C 

336 

40,3 

192 

53 

23,0 


5 

1 

1 

2 

Q 



1 

3 

5 

1 


Bochum. 

47501 

175 

44.2 

80 

23 

20,2 






2 




2 

1 

1 


Hagen. 

41853 

127 

36,9 


17 

16 0 




1 

• • 

2 




3 




Gelsenkirchen . . 

31000 

115 

44,5 

67 

20 

25,9 


1 

6 

5 

1 

2 

1 



1 

4 



Witten. 

28000 

74 

31,7 

35 

9 

15,0 



2 

2 







3 



Flamm .... 

28542 

97 

40,8 
30 1 

39 

7 

16 4 



1 

4 


1 




1 





24694 

62 

84 

15 

16 5 














Siegen. 

19571 

4s 

29,6 

20 

1 

12^3 





1 






*i 



Schwelm. 

14725 

51 

31,5 

21 

2 

17J 










1 




Lippstadt .... 

11095 

20 

21,6 

16 

5 

17,3 










3 

1 



Düsseldorf. . . . 

163071 

510 

37,6 

241 

76 

17,7 



2 

9 

2 

1 


1 

1 

16 

3 

2 


Elberfeld .... 

141000 

139 

37,4 

228 

69 

19,4 

4 

3 

3 

1 





3 a* 8 

4 

1 


Barmen. 

125000 

307 

29,5 

193 

56 

18,5 


15 


11 

5 

1 


1 

5 

14 

4 



Crefeld. 

107266 

288 

32.2 

153 

54 

17,1 



. . 

3 

4 

2 


1 


5 

3 

i 


Essen a. d. Ruhr. 

100000 

826 

38,6 

142 

• u \ 

17,1 




2 


11 




6 

4 

1 


Duisburg .... 

66009 

226 

41,1 

105 

36 

19.1 


3 


2 

.. 

2 


1 


5 

3 



M.-G lad hach . . . 

54578 

154 

33,9 

138 

58 

30,3 


1 

1 

13 






1 


1 


Remscheid.... 

46224 

144 

37,1 

74 

26 

19.6 




2 

1 

1 




1 

2 


1 

Solingen. 

40860 

185 

39 6 

61 

23 

17,9 






1 








Mülheim a. d. K. . 

30716 

1 IS 

46,1 

40 

16 

15,3 




1 






4 

3 



Oberhausen . . . 

29436 

110 

44^8 

41 

18 

16,8 




1 




1 


3 

3 

1 


Rheydt. 

30600 

82 

82,2 

47 

12 

18,4 




3 










Neuss. 

22635 

75 

39 8 

44 

18 

23,3 




5 


1 




3 

1 



Viersen. 

22804 

56 

29,5 

28 

9 

14,7 




1 










Styrum. 

26772 

105 

47,1 

42 

21 

18,8 







1 .. 



5 




Wesel. 

22258 

56 

30,2 

28 

13 

15,1 





1 



. . 






Wermelskirchen . 

12692 

32 

30,3 

23 

6 

21,8 


!! 










i 


Honsdorf .... 

12177 

15 

14,8 

f 

2 

6,9 









1 



* * 

Ruhrort. 

10702 

41 

46,0 

23 

7 

25,8 





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1 

*i 



Lennep . 

10427 

18 

20,7 

11 

1 

12,7 













Süchteln. 

8808 

21 

28,6 

J0 

1 

13,6 




i 



* * 1 







Aachen. 

113836 

311 

32,8 

206 

76 

21,7 


1 


8 

1 





13 

1 

1 


Eschweiler. . . . 

18070 


35,2 

23 

6 

15,3 




1 







1 



l^upen. 

15036 

33 

26,3 

27 

7 

21 5 










1 




Burtscheid. . . . 

14265 

41 

34,5 

17 

5 

14,3 














Stoib erg. 

13018 

44 

40,6 

03 

11 

21,9 














Köln (innerhalb der 


















Umwallung) . . 

215521 

611 

34,0 

881 

81 

18.6 


2 

0 

7 

2 

4 

" 

3 

3 

6 

8 

2 

, , 

Köln (ausserhalb 




















der Umwallung). 

105452 

855 

40,4 

197 

77 

22.4 


2 

1 

7 

2 

2 



1 

11 

2 

1 

. . 

Bonn** . 

44560 

189 

37,5 

88 

21 

23.7 


1 


0 

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1 

1 

3 

,, 

1 

Mülheim a. Rh. . 

84091 

121 

42,5 

76 

16 

26,8 




3 







2 



Kalk. 

13555 

70 

62,0 

32 

14 

28,3 


5 


1 

2 





2 




Trier. 

36166 

7*5 

24,7 

47 

3 

15,6 










2 

1 

1 


Malstatt-Burbach . 

18380 

103 

67.2 

41 

17 

26,8 


6 


2 


*i 







St. Johann. . . . 

16768 

44 

31,5 

37 

7 

26,5 


7 


1 










Saarbrücken . . . 

15467 

51 

39,6 

24 

4 

18,6 




,5 







i 



Coblenz. 

37409 

79 

25,3 

55 


17,6 






1 





1 



Kreuznach. . . . 

19500 

41 

25,2 

19 

1 

11,7 






1 




i 


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Neuwied. 

10593 

24 

27,1 

21 

2 

23,8 



2 











Wiesbaden... 

74136 

166 

26,8 

97 

22 

15,7 



1 

3 


1 




1 



1 

Kassel. 

80172 

204 

30,5 

107 

21 

16,0 


5 


2 


1 



... 

6 

2 

’ 2 



* Influenza. ** Bonn: darunter 10,1 °/oo Geburten, 7,5°/oo Sterbef&lle Auswärtiger in Anstalten, 

























































































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