Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin¬
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
•SS mS&ZZ. OfLIOWA
3 18
Digitized by
Google
Digitized by ^.ooQle
Centralblatt
für
allgemeine Gesundheitspflege
Organ
des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege.
Heiausgegeben
von
Dr. Lent, Dr. Stutzer, Stübben,
Geh. Sanit&tsrath in Cöln. Professor in Bonn. Baurath und Beigeordneter in COln.
Dr. Wolffberg,
KOnigl. Kreisphysikus in Tilsit.
Fünfzehnter Jahrgang.
Mit den Porträts von Edw. Jenner und Dr. Finkelnburg und 7 Abbildungen.
Bonn,
Verlag von Emil Strauss.
1896.
Digitized by CjOOQle
Pierer’sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel ä Co. in Altenburg.
Digitized by ^.ooQle
10 AP& I925
614.05
C 39
V .15
Inhalt.
Abhandlungen.
Seit«
Ueber die Verbreitung der ägyptischen Augenentzündung in der
Rheinebene und über die Mittel zur Bekämpfung derselben.
Von Dr. Pröbsting, Augenarzt in Köln. (Mit 1 Abbildung) 1
Bericht über die 20. Versammlung des Deutschen Vereins für
a öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart vom 11. bis 14. Sep¬
tember 1895. Von Lent, Stübben, Unna . . . . 11
Das Königliche Lymphe-Erzeugungs-Institut für die Rheinprovinz
im neuen städtischen Vieh- und Schlachthofe der Stadt Köln.
Von Sanitätsrath Dr. Vanselow, Director der Anstalt. (Mit
2 Abbildungen).$8
Bericht über die Ausstellung für Hygiene, verbunden mit der
XX. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Ge¬
sundheitspflege in Stuttgart. Von Ingenieur Unna in Köln 49
' ä Beiträge zur medicinischen Statistik des Kreises Tilsit. II. Von
(V9 Dr. Wolffberg, Kgl. Kreisphysikus in Tilsit .... 98
^ Kindersterblichkeit und ärztliche Hilfe, sowie zur Statistik der
Todesursachen. Von Dr. Wolffberg, Kgl. Kreisphysikus
in Tilsit. 102
Nachruf an den Geheimen Regierungsrath Prof. Dr. Finkeln¬
burg in Godesberg.. . . . 145
^Edward Jenner, Biographische Skizze. Von Dr. Pröbsting
in Köln.146
Ueber die Schutzwirkung der Impfung, sowie über die Erfolge
des deutschen Impfgesetzes vom 8. April 1874. Von Dr.
Wolffberg, Kreisphysikus in Tilsit.151
Nachruf an den Geheimen Regierungsrath Prof. Dr. Finkeln¬
burg in Godesberg.185
Rassenverbesserung und natürliche Auslese. Von Prof. Pelm an,
Bonn.190
239:181
Digitized by
Google
IV
Seite
Bericht über die Frage der Einführung der Müllverbrennung in
Elberfeld. Von Stadtbauinspector Höpfner. (Mit 2 Ab¬
bildungen) .205
Probeweise Verbrennung des Essener Kehrichts in den Verbren¬
nungsöfen zu Hamburg. Von Stadtbaurath Wiebe in Essen 222
Sanatorium Hohenhonnef im Siebengebirge. Entstehung, Ein¬
richtung, Heilverfahren. Von Dr. med. Ernst Meissen,
dirigirendem Arzte. Vortrag, gehalten auf der Generalver¬
sammlung des Vereins der Aerzte des Regierungsbezirks
Köln zu Hohenhonnef am 9. Mai 1896. (Mit 1 Abbildung) 267
Soldaten-Selbstmorde. Von Dr. med. A. Pröbsting in Köln . 308
Die Wohnungsverhältnisse der Liegnitzer Arbeiterbevölkerung
vom hygienischen Standpunkte. Von Dr. Solbrig, Kreis¬
wundarzt in Liegnitz.348
Die Barlow’sche Krankheit. Kurze Zusammenstellung der
bisher über diese Krankheit gesammelten Erfahrungen. Von
Dr. med. Arthur Dräer, I. Assistent am hygienischen
Universitätsinstitut zu Königsberg i. Pr.378
Kleinere Mittheilungen.
Die Priorität der zur Bakteriologie und namentlich zur Erkennt-
y niss des Wesens der Fäulniss führenden Entdeckungen . . 28
Neue Schulbank von W. Rettig, städtischem Oberbaurath zu
München a. D.30
The report of the royal Commission of tuberculosis.32
Entwurf zu einer Polizeiverordnung über Anlage, Bau und Ein¬
richtung von öffentlichen und Privatkranken-, Entbindungs¬
und Irrenanstalten in Preussen .... 57
Wegschaffung der Haus- und Tagewässer.62
Urtheil des Oberverwaltungsgerichts (IV. Senats) vom 10. Juli
1895, betreffend den allgemeinen Anschluss an eine städtische
Wasserleitung.64
Ausstellung von Kraft- und Arbeitsmaschinen in München im
Jahre 1898 . 05
Die beiden Berliner Heimstätten für Lungenkranke in Malchow
und Blankenfelde .120
Volksheilstätten für Schwindsüchtige in der Schweiz . . . . 121
Ueber die Berufskrankheiten der Buchdrucker.122
Ueber Petroleumöfen.123
Rede des Staatsministers Dr. von Bötticher zur Frage der Auf¬
hebung des Impfzwanges.174
Digitized by ^.ooQle
V
Seit«
Ein Fall von angeblicher Impfschädigung.177
Errichtung eines städtischen Gesundheitsamtes in Berlin . . . 226
Entwurf einer Dienstordnung für die Schulärzte der Stadt Nürnberg 228
Zur pädagogischen Pathologie und Therapie.280
Vereinigung zur Fürsorge für kranke Arbeiter.281
Geschichtliche Notiz Über Gährung und Fäulniss.231
Belehrung über die Gefahren bei Anwendung giftiger Ungeziefer¬
mittel .232
Uebersicht der Städte der Rheinprovinz, Westfalen und Hessen-
Nassau mit 20000 Einwohnern und mehr, der Regierungs¬
bezirke dieser Provinzen und der Staaten und Landestheile
des Deutschen Reiches, nach der vorläufigen Ermittelung der
Zählung vom 2. December 1895, verglichen mit der Be¬
völkerung von 1890 .812
Die 36. Jahresversammlung des Deutschen Vereins von Gas- und
Wasserfachmännern.^.314
Eine neue Kölner Polizei Verordnung über die Hausentwässerungs¬
anlagen . 815
Die Thätigkeit des Berliner Vereins für Volksbäder . . . . 817
Oeffentliche Badeanstalten in Köln.317
Kölner Verein für Ferien-Colonien 1894/95 318
Barmer Baugesellschaft für Arbeiterwohnungen.818
Barmer Badeanstalten.319
Städtische Brause-Badeanstalt von Duisburg vom 1. April 1894
bis 81. März 1895 819
Städtisches Schlachthaus zu Duisburg.320
Maria Apollonia-Krippe in Düren vom 1. April 1895 bis 81. März
1896 . 320
Laurenz Sonderegger. 321
A. Oldendorff. 822
Communale Wohnungspolitik in der Schweiz.388
Ueber die Bassinbäder Berlins.389
Beseitigung von Freibrunnen für Schiffer nach Ablauf der Cholera¬
gefahr ..891
Ueber Men sehen Verluste in Kriegen.891
Die Gesundheitspflege beim deutschen Heere während des Krieges
1870/71 . 893
Zweiter Congress für Volks- und Jugendspiele in München vom
11. bis 13. Juli 1896 . 397
f Eduard Angerstein.399
Bauhygienische Rundschau (J. St.).400
Digitized by v^ooQle
VI
Seite
Literaturberichte.
Aug. Gärtner, Leitfaden der Hygiene (Bleibtreu-Köln) . 38
S. F. Murphy, The study of epidemiology (Pröbsting) . . 83
S o 1 b r i g, Die hygienischen Anforderungen an ländliche Schulen.
(Bleibtreu - Köln). 34
Dr. H. Schuschny, Ueber die Nervosität der Schuljugend
(P e 1 m a n).85
Dr. Enrico Dal’Acqua, Findelhaus und Impfung (Dr. Kro¬
tt e n b e r g - Solingen).37
Small-Pox in Oldham in 1898 (Pröbsting).38
Clarke, The sporozoa of variola and vaccina (Pröbsting) . 88
Is infant mortality increasing? (Pröbsting) .88
The decrease of child mortality (Pröbsting) .88
The moist summer and its low death-rate (Pröbsting) . . . 89
W. Carr, The starting points of tuberculous disease in children
(Pröbsting).39
E. Squire, The influence of heredity in phthisis (Pröbsting) 40
Dr. Angelo Fiorentini, Die Eutertuberkulose und ihre Rolle
bei der Infection der Milch, nebst einigen Betrachtungen
über die in Mailand verzehrte Milch und praktischen Winken
(Dr. Kronenberg-Solingen) .41
G. C o r n e t, die Prophylaxis der Tuberkulose und ihre Resultate
(Bleibtreu - Köln).41
F. Clemow, The recent pandemic of influenza: its place of
origin and mode of spread (Pröbsting) . . . • . 42
F. Parsons, On the distribution of the mortality from influenza
in England and Wales during recent years (Pröbsting) . 43
Pielicke, Bakteriologische Untersuchungen in der Influenza-
Epidemie 1893/94 (Dr. Dräer-Königsberg i. Pr.) ... 48
V o g e s, Beobachtungen und Untersuchungen über Influenza und
den Erreger dieser Erkrankung (Dr. Dräer- Königsberg i. Pr.) 44
Huber, Ueber den Influenzabacillus (Dr. Mas t bäum - Köln) . 45
Caspar, Zur Prophylaxe der Masern (Heimlich) . . . . 46
Spottiswoode Cameron, Conditions of the dwelling as affect-
ing recovery frcon measles (Pröbsting).47
E. Vallin, L’arr6t6 sur la d£claration obligatoire des maladies
6pid6miques (Pröbsting).47
Schlockow, Der preussische Physikus (Dr. L o n g a r d - Köln) 65
Eduard Pfeiffer, Eigenes Heim und billige Wohnungen (Stadt¬
baurath Heuser- Aachen).67
Verein für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Lindenau
(Stadtbaurath Heuser-Aachen).73
Digitized by v^ooQle
— vn —
Seit«
P. Pollitz, Die Wasserversorgung und die Beseitigung der Ab¬
wässer grösserer Krankenanstalten unter besonderer Berück¬
sichtigung der Irrenanstalten (Bleib treu-Köln) .... 75
Oeorge E. Waring jr. M. J. C. E., Modem Methods of Se-
wage Disposal for Towns, Public Institutions and Isolated
Houses (Stadtbaurath Heuser-Aachen).77
Dannemann, Geisteskrankheit und Irrenseelsorge (Lieb-
mann-Köln).78
Oesterreichischer Ingenieur- und Architekten-Verein. Bericht des
Ausschusses über die Wasserversorgung Wiens (J. Stübben) 78
Prof. A. di Vesta, Statistische Bemerkungen Uber die sanitären
Bedingungen der kleinen Gemeinden (Dr. Kronenberg-
Solingen) .79
Fr. Müller, Die Schlammfieber-Epidemie in Schlesien vom Jahre
1891 (Bleibtreu-Köln).80
W. Pietrusky, Ueber das Auftreten des Fleckfiebers in Schlesien
und die zu dessen Verhütung geeigneten sanitätspolizeilichen
Maassregeln (Bleibtreu-Köln).82
Fugen io di Mattei, Beitrag zum Studium der experimentellen
malarischen Infection am Menschen und an Thieren (Bleib¬
treu-Köln) .88
Paul Guttmann (Ottendorf), Gesundheitspolizeiliche Maass¬
nahmen gegen Entstehung und Verbreitung von Malaria-
Erkrankungen (Bleibtreu-Köln) ..84
Diverneresse, Aseptitation des terres contamin6es avant leur
transport et leur mise en culture (Pröbsting) . . . . 86
Kruse und Pasquale, Untersuchungen über Dysenterie und
Leberabscess (Dr. D r ä e r - Königsberg i. Pr.).87
Kelsch, De la pneumonie au point de vue 6pid6miologique
(Pröbsting).88
Neuere Arbeiten über Diphtherie und Heilserum (Wolff-
berg).. . . . . 124
H. Schmieden, Ueber Fortschritte und Erfahrungen im Kranken¬
hausbau (Bleibtreu-Köln).129
Bubner, Ueber die nothwendigsten Reformen des Krankentrans¬
portes und der Kranken Verpflegung (Bleibtreu - Köln) . 180
Prof. Dr. M. v. Pettenkofer ’ s und Prof. Dr. H. v. Ziems-
sen’s Handbuch der Hygiene und der Gewerbekrankheiten
(Schultze-Bonn). DieWohnung.181
N. P. Schierbeck, Ueber die Bestimmung des Feuchtigkeits¬
grades der Luft für physiologische und hygienische Zwecke
(Bleibtreu-Köln).. 184
J. Stübben, Gesundheitliche Verbesserungen baulicher Art in
italienischen Städten (Pröbsting) ...185
»
Digitized by ^.ooQle
vin
Mt«
K. B. Lehm ann, Die Verunreinigung der Saale bei und in der
Stadt Hof, ihre Ursachen und die Mittel zur Abhülfe (Bleib¬
treu -Köln) .185
Davids, Untersuchungen über den Bakteriengehalt des Fluss¬
bodens in verschiedener Tiefe (D r Ä e r - Königsberg i. Pr.) . 186
Dr. Bruno Galli Valerio, Die Rabot’sche Desinfections-
methode mit Kalkmilch und Eisensulfat (Dr. Kronenberg-
Solingen) .186
A. Schuberg, Die parasitischen Amöben des menschlichen
Darmes (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).187
Ueber Desinfection des Darmkanals (Kreisphysikus Dr. Hens-
gen-Siegen).189
Cramer, Die Zusammensetzung der Cholerabacillen (Dr. Mast-
bäum- Köln).140
Sobernheim, Untersuchungen über die specifische Bedeutung
der Cholera-Immunität (Dr. M as tb aum - Köln) .... 141
Gotschlich, Choleraähnliche Vibrionen bei schweren einhei¬
mischen Brechdurchfällen (D r ä e r - Königsberg i. Pr.) . . 142
Dr. Butt er sack, Ueber Hosenträger (Dr. Mas tb aum - Köln) 142
Blattern und Schutzpockenimpfung (W.).178
Stübben, Hygiene des Städtebaues (Mäu r e r- Elberfeld) . . 284
Zeitschrift für sociale Medicin. Herausgegeben von Sanitäts-Rath
Dr. A. Oldendorff, Berlin. Heft 2, 3 und 4 (Busch-
Crefeld).239
Recueil des travaux du comit6 consultatif d’hygi&ne publique de
France et des actes officiels de Tadministration sanitaire
(C r e u t z - Eupen).240
P. v. Baumgarten und F. Roloff, Jahresbericht über Fort¬
schritte in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen
(Bleibtreu - Köln).241
Heinrich Berger, Die Infectionskrankheiten (Bleibtreu-
Köln) .241
Adolf Marcuse, Die atmosphärische Luft (Bleibtreu-Köln) 241
Däubler, Ueber den gegenwärtigen Stand der medicinischen
Tropenforschung (Acclimatisation und Physiologie des Tropen¬
bewohners (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).242
Gustav Woltersdorf, Ueber feuchte Wohnungen (Bleib¬
treu - Köln).242
Stabsarzt Dr. Gerd eck, Ueber Heizung und Ventilation in
Kasernen vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege
(Dr. Lent-Trier).... . 242
Stabsarzt Dr. Gerd eck, Ueber Heizung und Ventilation in
Kasernen vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege
(Dr. Le nt-Trier) ..244
m
- Digitized by ^.ooQle
IX
Seit«
6. Frank, Bemerkungen über die Systeme, städtische Abwässer
zu klären, und Vorschläge zu einem Verfahren, Kanalwasser
durch Torf zu filtriren (Bleibtreu - Köln).245
Weyl, Beeinflussen die Rieselfelder die öffentliche Gesundheit?
(D r ä e r - Königsberg i. Pr.).247
Holz, Das Wasser der Mosel und Seille bei Metz (Dräer-
Köuigsberg i. Pr.).. 247
Neumann, Ernährungsweise und Infectionskrankheiten im Säug¬
lingsalter (Dräer-Königsberg i. Pr.) ..248
Keilmann, Zur Diätetik der ersten Lebenswoche (Dräer-
Köuigsberg i. Pr.) ..249
Peter, Zur Aetiologie des Pemphigus neonatorum (Dräer-
Königsberg i. Pr.).250
Meyer, Ueber Barlow’sche Krankheit (Dräer-Königsberg i. Pr.) 251
Dr. C. Hochsinger, Gesundheitspflege des Kindes im Eltern¬
hause (L.).251
Peiper und Schnaase, Ueber Albuminurie nach der Schutz¬
pockenimpfung (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).252
Eulenburg, Zur „Schulüberbtirdung“. Derselbe, Noch ein¬
mal zur „SchulüberbUrdung“ (D r ä e r - Königsberg i. Pr.) . 252
Axenfeld, Ueber eine durch Pneumokokken hervorgerufene
Schulepidemie von Conjunctivitis (Dräer- Königsberg i. Pr.) 254
Dr. Viktor von Woikowsky-Lindau, Das Beweguugsspiel
in der deutschen Volkshygiene und Volkserziehung (Dr. Blum-
berger, Stadtschulrath in Köln).254
E. von Schenckendorff, die Ausgestaltung der Volksschule
nach den Bedürfnissen der Gegenwart (Dr. Blumberger,
Stadtschulrath in Köln).255
Basen au, Ueber die Ansscheidung von Bakterien durch die
thätige Milchdrüse und Uber die sogenannten baktericiden
Eigenschaften der Milch (Dr. Mastbaum-Köln) .... 256
Ebstein, Einige Mittheilungen Uber die durch das Maul- und
Klauenseuchengift beim Menschen veranlassten Krankheits¬
erscheinungen (Dräer-Königsberg i. Pr.).257
Carl Günther und Hans Thierfelder, Bakteriologische
und chemische Untersuchungen über spontane Milchgerinnung
(Bleibtreu-Köln).258
Milroy, Die Gerinnung der Albuminstoffe des Fleisches beim
Erhitzen (Bleibtreu-Köln).259
W. Hartenstein, Zur Behandlung finniger Thiere (Bleib¬
treu - Köln).260
Rissl ing, Nachweis von Finnen in gehacktem Fleisch und in
Wurst (Bleibt reu-Köln).261
Ostertag, Zum Nachweis des Finnentodes (Bleibtreu-Köln) 261
Digitized by ^.ooQle
X
Ostertag, Ueber die Verwerthung des Fleisches finniger Rinder
(Bleibtren - Köln).
Max Jolles und Ferdinand Winkler, Bakteriologische
Studien über Margarine und Margarinprodtrete (Bleibtreu-
Köln).
Wilhelm Bode, Das Wirthshaus im Kampfe geg6n den Trunk
(Liebmann-Köln).
Pi stör, Das Gesundheitswesen in Preussen nach Deutschem
Reichs- und Preussischera Landesrecht (Klussmann-
Köln).
E. v. Esmarch, Hygienisches Taschenbuch (Bleib treu-
Köln). # .
Dr. Wilhelm Bode, Kurze Geschichte der Trinksitten und
Mässigkeitsbestrebungen in Deutschland (Pelman) . . .
Dr. A. Jaquet, Die Stellungnahme des Arztes zur Abstinenz¬
frage (Pelm an).
Prof. Dr. H. Müller (Thurgau), Die Herstellung unvergorener
und alkoholfreier Obst- und Traubenweine (Pelman) . .
E. Arnould, Les alcools naturels et les alcools dIndustrie
(Pröbsting).
James Niven, On the prevention of phthisis (Pröbsting) .
Kirchner, Studien zur Lungentuberkulose (D r ä e r - Königs¬
berg i. Pr.).
Kl epp, Ueber angeborene Tuberkulose bei Kälbern (Bleib¬
treu-Köln) ...*. . .
F. Migneco, Azione della luce solare sulla virulenza del bacillo
tuberculare (Pröbsting).
Petruschky, Ueber die fragliche Einwirkung des Tuberculins
auf Streptokokken-Infectionen (Mas tb au m - Köln) . . .
Wolf, Die Wohnungsfrage als Gegenstand der Socialpolitik
(J. S t ti b b e n).
Jessen, Witterung und Krankheit (Dr. M as t bau m - Köln)
Dr. H. Albrecht und Architekt Prof. A. Messel, Das Arbeiter¬
wohnhaus (J. St.).
Handbuch der Hygiene von Dr. Theodor Weyl:
25. Lieferung: Das Wohnhaus.
26. Lieferung: Anlage und Bau der Krankenhäuser nach
hygienisch-technischen Grundsätzen von F. Ruppel,
' Bauinspector in Hamburg (J. St.).
Prof. Axel Holst (Christiania), Untersuchungen über die Woh¬
nungen des Arbeiterstandes in Christiania (Wolffberg) .
Serafini, Ueber die Appert’sehen durchlöcherten Scheiben als
Ltiftungsmittel (Dr. Mastbaum -Köln).
S#iU
262
268
264
322
824
325
825
825
334
334
335
836
336
836
387
839
407
407
408
409
412
Digitized by v^ooQle
XI
Seite
The Ventilation of hospitals and the treatment of infected air
(Pröbsting).413
F. Gillert, Welchen wissenschaftlichen Werth haben die Re¬
sultate der Kohlensäure-Messungen nach der Methode von
Dr. med. Wolpert? (Dr. Mastbaum-Köln).414
H. Charas, Ueber Krankentransportwesen in Städten und auf
dem flachen Lande (Bleibtreu*-Köln).414
E. Vallin, Les urinoirs k l’huile (Pröbsting).416
H. Napias, La protection de la femme dans r Industrie
(Pröbsting).416
G. v. Liebig, Die Bergkrankheit (Bl eib treu - Köln) . . . 417
Mabille, Note sur l'ivresse pßtrolique (Pröbsting). . . . 417
Jürgensen (Kopenhagen), Hygiene der Bäckereien und der
Bäcker (Bleibtreu-Köln).418
W. Silberschmidt, Rosshaarspinnerei und Milzbrandinfection
(Bleibtreu - Köln).420
The prevalence of anthrax in London (Pröbsting) . . . . 420
Freiherr von Düngern, Ueber die Hemmung der Milzbrand-
Infection durch Friedlttnder’sche Bakterien im Kaninchen¬
organismus (Dr. Mastb aum-Köln).421
Dr. W e g n e r, Gesundheitspolizeiliche Maassregeln gegen Blei¬
vergiftung (Bleibtreu* Köln).421
Kobert, Ueber den jetzigen Stand der Frage nach den phar¬
makologischen Wirkungen des Kupfers.422
Fi lehne, Beiträge zur Lehre von der acuten und chronischen
Kupfervergiftung (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).422
Lembke, Beitrag zur Bakterienflora des Darms (Dr. Mastbaum-
Köln) .424
Ueber Desinfection des Darmkanals. Untersuchungen von Dr.
Paolo Casciani (San.-Rath Dr. Hensgen -Siegen) . . 424
O. Leichtenstern, Behandlung der Darmschmarotzer (Bleib-
treu- Köln).426
Kaensche, Zur Kenntniss der Krankheitserreger bei Fleisch¬
vergiftungen (Bl eib tre u-Köln).431
Rumpel, Ueber die Verwendung tuberkulösen Fleisches zu
Genusszwecken (Dr. Mastba um-Köln).431
Das Brot der italienischen Landleute. Chemische Untersuchungen
von Dr. Romeo Castellani (San.-Rath Dr. Hensgen-
Siegen).431
E. Vallin, Le pain complet (Pröbsting).432
Eugen Welte, Studien Uber Mehl und Brot (Bleibtreu-
Köln) .433
E. Jungmann, Studien Uber Mehl und Brot (Bleibt reu-
Köln).433
Digitized by v^ooQle
XII
Seit«
M. Gruber, Die Methode des Nachweises von Mutterkorn in
Mehl und Brot (B1 e i b t r e u - Köln).484
J. Schöfer, Ueber Sandplattenfilter (Bleibtreu -Köln) . . 434
v. Schoen, Die neuen Filteranlagen in Hamburg (Bleibtreu-
Köln) .435
Drenkhahn, Ueber denVerkehr mit Milch vom sanitätspolizei¬
lichen Standpunkt (Bleibtjeu-Köln).486
Boxall, Milk infection (Pröbsting).437
Sedgwick: On an epidemic of typhoid fever in Marlborough
apparently due to infected skimmed milk.487
Lehmann und N e u m a n n, Atlas und Grundriss der Bakterio¬
logie und Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik
(Dr. Mas tba um-Köln).438
R. J. Petri, Das Mikroskop (Dr. Ble ib treu-Köln) . . . . 439
Rabinowitsch, Lydia, Untersuchungen über pathogene
Hefearten (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).440
Sanfelice, Ueber die pathogene Wirkung der Blastomyceten
(D r ä e r - Königsberg i. Pr.). 440. 441
A. Weichselbaum, Ueber Entstehung und Bekämpfung der
Tuberkulose (B1 e i b t r e u - Köln).441
Die experimentelle Tuberkulose nach endermatischen Einimpfungen
bei Kaninchen. Untersuchungen von Dr. Olimpio Cozzolino
(San.-Rath Dr. H e n sge n - Siegen).442
0. Bujwid, Erfahrungen über die Anwendung des Tuberkulins
zur Diagnose der Rindertuberkulose (Bleibtreu -Köln) . 448
Statistics of certain causes of death (Pröbsting).443
Rudolf Abel, Die Aetiologie der Ozaena (Bl eib treu-Köln) 444
Kutscher, Zur Rotzdiagnose (D r ä e r - Königsberg i. Pr.) . . 445
Jäger, Zur Aetiologie der Meningitis cerebrospinalis epidemica
(Dr. Mastbaum-Köln) .445
Diphtheria in London im Jahre 1894 (Pröbsting) . . . . 446
F. A. Dixey, Vital statistics of diphtheria in London 1891—1895
(Pröbsting) .446
Ueber die Lebensfähigkeit des Diphtheriebacillus ausserhalb des
Organismus und Uber die mögliche Verbreitung desselben
durch die Luft (San.-Rath Dr. He n sge n - Siegen) . . . 446
Einfluss des Sonnenlichts auf das diphtheritische Gift. Von Gaetano
Piazza (San.-Rath Dr. He n sgen - Siegen).447
Ueber den Einfluss des directen Sonnenlichts auf Infection mit
Cholera- und Typhusbacillen bei Meerschweinchen. Unter¬
suchungen von Dr. Salvatore Mase 11a (San.-Rath Dr.
H e n s g e n - Siegen).448
Ueber die Vibrionen salzwasserhaltiger Teiche. Untersuchungen
von Alberto Cadeddu (San.-Rath Dr. H e n s g e n - Siegen) 448
Digitized by ^.ooQle
XIII
Seit«
Neu mann und Orth, Versuche zum Nachweis choleraähnlicher
Vibrionen in Flussläufen (Dräer-Königsberg i. Pr.) . . 449
Dunbar, Zur Differentialdiagnose zwischen den Choleravibrionen
und anderen denselben nahestehenden Vibrionen (Dräer-
Königsberg i. Pr.).450
Bindfleisch, Die Pathogenität der Choleravibrionen für Tauben
(D r ä e r - Königsberg i. Pr.).451
Behring und R a n s o m , Choleragift und Choleraantitoxin
(D r ä e r - Königsberg i. Pr.).451
Ueber Immunität gegen die Cholerä. Von Dr. Claudio Fermi
und Dr. Angelo Salto (San.-Rath Dr. Hensgen-Siegen) 452
Inoculations against cholera in India (Pröbsting).452
Reineke (Hamburg), Zur Epidemiologie des Typhus in Hamburg
und Altona (Bleibtreu-Köln) .453
Typhoid fever in Michigan (Pröbsting). . ■.454
A. E. W r i g h t and D. S e m p 1 e, On the presence of typhoid
bacilli in the urine of patients suffering from typhoid fever
(Pröbsting).455
Max Müller, Ueber den Einfluss von Fiebertemperaturen auf
die Wachsthumsgeschwindigkeit und die Virulenz des Typhus¬
bacillus (Pröbsting).455
Piorkowski, Ueber die Einwanderung des Typhusbacillus in
das Hühnerei (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).457
Elsner, Untersuchungen über relatives Wachsthum der Bacterium
coli-Arten und des Typhusbacillus und dessen diagnostische
Verwerthbarkeit (Dräer-Königsberg i. Pr.).457
Dr. A. Blase hko, Die Lepra im Kreise Memel (W.) . . . 458
J. Goldschmidt, An acute epizootic and epidemic outbreak
of hydrophobia at Madeira (Pröbsting).460
Chalmers, „Return“ cases of scarlet fever (Pröbsting) . . 460
A. Laveran, De l’emploi pr^ventif de la quinine contre le
paludisme (Pröbsting) .461
J. K o r ö s i, Die Pockenstatistik der österreichischen Staatsbahn¬
gesellschaft (Bleibtreu - Köln).461
Small pox in Massachusetts (Pröbsting) .462
Leeds urban sanitary district (Pröbsting) .464
Small pox in Manchester in 1892—1894 (Pröbsting) . . . 464
Küttner, Ueber einen neuen, beim Menschen gefundenen Eiter¬
erreger (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).464
Petruschky, Untersuchungen über Infection mit pyogenen
Kokken (Mastbäum-Köln) .465
Microbes on money (Pröbsting) .465
Ueber die Wirkung der putriden Gifte auf den thierischen Or¬
ganismus. Von Dr. Bernardo Frisco (San.-Rath Dr.
He ns gen-Siegen).466
Digitized by ^.ooQle
XIV
Seite
Scheurlen, Zur Beurtheilung der antiseptischen Salben
(Dräer- Königsberg i. Pr.).466
Breslauer, Ueber die antibakterielle Wirkung der Salben mit
besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Constituentien
auf den Desinfectionswerth (Dräer- Königsberg i. Pr.) . . 467
Walter, Zur Bedeutung des Formalins, bezw. Formaldehyds als
Desinfectionsmittel (D r ä e r - Königsberg i. Pr.).468
Reports of medical offtcers of bealtb, Manchester urban sanitary
district (Pröbsting).469
Schanz, Wie sollen sich Kinder zu Hause heim Schreiben
und Lesen setzen? und: Augenkrankheiten im Kindesalter
(Pröbsting). . . 469
Perlia, Kroll’s stereoskopische Bilder (Pröbsting). . . . 469
Insanity and mortality (Pröbsting) .470
Forly-ninth report of the commissioners in lunacy to the Lord
Chancellor (Pröbsting).470
Dr. Friedrich Scholz (Bremen), Ueber Reform der Irrenpflege 471
O. Binswanger, Zur Reform der Irrenftirsorge in Deutschland
(Pelman) .471
Verzeichniss der bei der Redaction eingegangenen neuen Bücher etc. 90
148. 265. 340. 478
Digitized by v^ooQle
i
Ueber die Verbreitung der ägyptischen
Augenentzündung in der Rheinebene und
über die Mittel zur Bekämpfung derselben.
Nach einem Vortrag, gehalten im Niederrheinischen Verein
für öffentliche Gesundheitspflege.
Von
Dr. Pröbsting, Augenarzt in Köln.
(Mit 1 Abbildung.)
Manchen von Ihnen, meine Herren, mag wohl vor einigen
Monaten eine kurze Zeitungsnotiz unter die Augen gekommen
sein, in welcher berichtet wurde, dass in Düsseldorf eine Schule
geschlossen werden musste, weil unter den Schülern eine ansteckende
Augenkrankheit ausgebrochen war, und dann später noch eine
weitere Mittheilung, dass es sich bei dieser Augenkrankheit um die
sog. ägyptische Augenentzündung oder das Trachom handelte.
Die in Rede stehende Augenkrankheit kommt jetzt nur noch
selten in kleineren Epidemien vor, und dann hauptsächlich in
Internaten, Schulen, Waisenhäusern, Kasernen u. s. w., kurz überall
dort, wo auf einem kleinen Raum viele Menschen Zusammenleben.
Das war aber durchaus nicht immer so, die Zeit liegt noch gar
nicht so weit hinter uns, in welcher diese Erkrankung in grossen
Epidemien Europa heimsuchte und ganz ungeheuere Verwüstungen
anrichtete.
Als nämlich nach Beendigung der ägyptischen Expedition die
Truppen Bonaparte’s wieder nach Europa zurückkehrten, da brach
überall in den Ländern, durch welche diese Truppen ihren Weg
nahmen, und ganz besonders da, wo sie längere Zeit im Quartier
lagen, eine Augenkrankheit aus, die sich zunächst unter den Sol¬
daten, dann aber auch unter der übrigen Bevölkerung dieser Gegen-
Centralblatt f. »11g. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 1
Digitized by ^.ooQle
den verbreitete und nach den Zeugnissen der damaligen Autoren
die schwersten Schädigungen an den Augen der davon Befallenen
anrichtete.
In den folgenden 20—30 Jahren, also im ersten Viertel unseres
Jahrhunderts, zeigte sich die Krankheit in allen europäischen Armeen
und damit auch in allen europäischen Ländern. Die Krankheit
wurde sehr verschieden benannt, am meisten bezeichnete man sie
nach ihrer Ursprungsstätte als ägyptische Augenentzündung, in der
neueren Zeit ist hauptsächlich der Name Trachom üblich, nach dem
griechischen Worte TQaxvg rauh.
Was nun Deutschland und speciell die Rheinebene angeht, so
trat das Trachom zuerst in der preussischen Armee im Jahre 1813
auf, als die Soldaten des York’schen Corps mit den französischen
aus Russland fliehenden Truppen zusammenkamen. Noch im selben
Jahre breitete sich die Krankheit am Niederrhein bis nach Mainz
hin aus und wüthete ganz besonders stark in den Jahren 1818 und
1819 unter der preussischen Besatzung der letztgenannten Stadt. t>e n
Abschluss der grossen europäischen Epidemien bildete etwa die
schwere Epidemie mit zahlreichen Erblindungen, welche im Jahre
1834 in Belgien ausbrach. Jüngken, der damalige Professor der
Augenheilkunde in Berlin, berichtet uns, dass in den dreissiger
Jahren in Belgien etwa ein Sechstel der gesammten Bevölkerung
an Trachom litt.
Welche furchtbaren Verheerungen diese Krankheit angerichtet
haben muss, geht am besten aus den officiellen Armeeberichte
hervor. Danach gab es in der englischen Armee im Jahre 1818
mehr als 5000 Invaliden, die in Folge von Trachom erblindet waren,
und in einer einzigen englischen Garnison, Kilmanghame, erblindeten
im Jahre 1810 nicht weniger wie 2307 Individuen durch diese
Krankheit. Bei der eben erwähnten schweren Epidemie in Belgien
vom Jahre 1834 erblindeten 4000 Soldaten gänzlich und 10000 auf
einem Auge. In der preussischen Armee trat die Krankheit milder
auf, hier wurden von 1813—1817 20—25000 Mann befallen, von
welchen 150 ganz und 250 auf einem Auge erblindeten. Und ähn¬
liche Zahlen werden aus den anderen europäischen Heeren mit-
getheilt.
Nachdem sich nun die Krankheit über ganz Europa ausgebreitet
hatte, verlor sie allmählich ihren epidemischen Charakter, wurde
aber in vielen Gegenden eine endemische Landplage und eine wahre
Geissei, die auch jetzt noch unter der dort lebenden Bevölkerung
schwere Schäden anrichtet. Vorzugsweise sind es die Niederungen
längs der Flüsse und Küsten, sowie die sumpfigen Tiefebenen,
welche das hauptsächlichste Verbreitungsgebiet dieser Augenkrank¬
heit ausmachen. So kommt denn auch in einem Theil der Rhein-
Digitized by CjOOQle
3
ebene und in den angrenzenden Gebieten die Erkrankung endemisch
vor, zum Theil sogar in recht grosser Ausdehnung.
Bevor ich jedoch näher auf diesen letzten Punkt eingehe und die
Mittel bespreche, die uns für die Verhütung der Krankheit zu Ge¬
bote stehen, sei es mir gestattet, in ganz kurzen Zügen das Wesen
und die Folgen dieser so verderblichen Augenerkrankung zu skizziren.
Unter ägyptischer Augenentzündung oder Trachom verstehen
wir eine Erkrankung der Bindehaut des Auges, bei welcher es zur
Bildung von Körnern, sog. Follikeln, in dieser Haut kommt. Wir
unterscheiden im Verlauf der Krankheit drei Stadien: Das erste,
das Stadium der Entwicklung dieser Körner, das zweite, das des
Zerfalls der Körner und der Geschwürsbildung, und das dritte, das
der Narbenbildung in der Bindehaut.
Wenn die Krankheit auch sehr rasch und schnell unter heftigen
und stürmischen Entzündungserscheinungen entstehen kann — sog.
acutes Trachom —, so beginnt doch in der weitaus grössten Mehr¬
zahl der Fälle das Trachom von vornherein ganz allmählich, ganz
chronisch. Das Aussehen der Augen ist nur sehr wenig oder gar
nicht verändert, und zumeist haben die Patienten selbst keine
Ahnung von der Erkrankung ihrer Augen.
Im zweiten Stadium kommt es nun zum Zerfall der Körner
und zu stärkeren Reizerscheinungen. Das Auge ist geröthet, die
Bindehaut ist geschwollen, und es besteht eine mehr oder weniger
starke eitrige Absonderung. Die Hauptsache ist jedoch, dass in
dieser Krankheitsphase fast immer die Hornhaut mitergriffen ist
und zwar zumeist in der Form von ausgedehnten Trübungen, die
das Sehvermögen immer ganz erheblich herabsetzen.
Im dritten Stadium, welches sich dem zweiten meist in unmerk¬
lichem Uebergange anschliesst, kommt es nun zur Bildung von
Narben in der Bindehaut. Die Trübungen der Hornhaut werden
grösser und dichter, die Bindehaut verkleinert sich, schrumpft, und
es kommt in Folge dessen zu Einwärtswendung der Lidränder. In
den schwersten Fällen tritt völliger Schwund der Bindehaut ein, ein
Zustand, der immer gänzliche Erblindung herbeiführt.
Was nun die Folgen des Trachoms angeht, so habe ich schon
vorhin bemerkt, dass das Sehvermögen fast immer mehr oder
weniger stark geschädigt wird. Nach Rählmann, der in der Dor-
pater Universitäts-Augenklinik jährlich eine sehr grosse Anzahl von
Trachomkranken behandelt, in 96 °/o aller Fälle. In zahlreichen
Fällen, etwa in 69 °/o nach Rählmann, kommt es in Folge von
Trachom zu Liderkrankungen mit ihren für das Auge so verderb-
ichen Folgen.
Die Schädigung des Sehvermögens kann bis zur völligen Blind¬
heit gehen, und unter den Insassen der Blindenanstalten finden sich
1 *
Digitized by
Google
4
nicht wenige, die in Folge von Trachom ihr Augenlicht verloren
haben. Wenn dieses Letztere auch nicht so sehr für Deutschland
gilt, so trifft es doch in hohem Maasse für andere Staaten zu. Wird
doch allein für unseren Nachbarstaat Belgien die Zahl der an
Trachom Erblindeten auf über 9000 angegeben *).
Das Trachom ist eine Krankheit der ärmeren Bevölkerung; es
ist geradezu eine Seltenheit, wenn es bei äusserlich günstig ge¬
stellten Personen beobachtet wird. Am häufigsten beftUlt es Per¬
sonen im Alter von 10—30 Jahren; bis zum fünften und jenseits
der fünfziger Lebensjahre ist die Krankheit selten. Nachschübe
der Krankheit kommen aber zuweilen noch bei alten Leuten vor.
Unzweifelhaft ist das Trachom ansteckender Natur, die An¬
steckung vermittelt sich aber wohl ausschliesslich direct durch
Uebertragung fixer Ansteckungsstoffe, die in den Ausscheidungen
trachomkranker Augen enthalten sind. Eine Ansteckung durch die
Luft, wie man früher vielfach annahm, scheint nicht stattzufinden.
Die Uebertragung des Contagiums ist aber sehr wohl indirect durch
Sachen möglich, und die Erfahrung lehrt, dass gerade gemeinschaft¬
liche Utensilien, wie Waschschalen, Handtücher u. s. w., die ge¬
wöhnlichsten Vermittler der Ansteckung darstellen. Ueber die
Rolle, welche Handtücher bei der Uebertragung des Trachoms
spielen, äussert sich Lucanus 2 ) in einer sehr interessanten Unter¬
suchung, die er an den Trachomkranken der Marburger Augen¬
klinik anstellte, folgendermaassen: „Ueber die Art der Ansteckung
erfahren wir, dass dieselbe in weitaus den meisten Fällen durch
Benutzung desselben Handtuches sowohl bei Dienstboten wie Fabrik¬
arbeitern erfolgte. Die Regel scheint dies auch zu sein in Familien,
da es eben gang und gäbe ist in der hiesigen Gegend, dass sich
die ganze Familie, von der Grossmutter bis zu den Kindern, des¬
selben Handtuches, oft auch desselben Taschentuches bedienen,
falls die Cultur bereits bis zu diesem meist als unnöthig erachteten
Gegenstände vorgeschritten ist.“
Zahlreiche Untersuchungen, den specifischen Erreger dieser
Infection in Gestalt von Spaltpilzen aufzufinden, haben noch kein
absolut sicheres Resultat ergeben.
Wenn es nun auch wohl keinem Zweifel unterliegen kann, dass
das Trachom zu den ansteckenden Augenkrankheiten gehört, und
dass die Erkrankung lediglich durch unmittelbare oder mittelbare
Uebertragung von einer Person auf die andere zu Stande kommt,
so sind doch für den Ausbruch und die Weiterverbreitung dieser
*) Aeademie royale de Belgique, Sitzung vom 25. April 1891.
a ) Lucanus, Untersuchungen über Verbreitung und Ansteckungsfähigkeit
des Trachoms auf Grund des Materials der Marburger Augenklinik. Inaug.-
I )is8. Marburg 1890.
Digitized by ^.ooQle
5
Erkrankung noch andere Factoren thätig, die entweder klimatischer
oder allgemein terrestrischer Natur zu sein scheinen. Sonst wäre
wenigstens die höchst auffallende Thatsache gar nicht zu erklären,
warum einige Länder so schwer und andere so sehr viel weniger
oder gar nicht von dieser Krankheit heimgesucht werden. Und
dieses gilt auch für Länder, in denen die Lebensgewohnheiten und
die hygienischen Bedingungen, wie Reinlichkeit u. s. w., doch so
ungefähr dieselben sind, wie z. B. in den verschiedenen Theilen
Deutschlands. Und doch existiren ausserordentlich grosse Unter¬
schiede in der Häufigkeit des Trachoms zwischen den einzelnen
Gegenden Deutschlands.
Um nun auf die geographische Verbreitung des Trachoms ein¬
zugehen, so habe ich schon vorhin bemerkt, dass es in erster Linie
in den Niederungen längs der Flüsse und Küsten und in den
sumpfigen Tiefebenen vorkommt. In Europa ist daher das Trachom
hauptsächlich in den östlichen Theilen des Continents verbreitet.
Die europäische Türkei, die Donauuferstaaten, Griechenland und
Russland sind im hohen Grade heimgesucht. Von den südlichen
Theilen hat Frankreich im Allgemeinen wenig Trachom, häufiger
ist es in Spanien, noch mehr aber in Italien; von den nördlichen
Ländern ist Finnland sehr stark durchseucht, weniger Norwegen
und Dänemark, fast gar nicht Schweden; in Grossbritannien ist es
überall verbreitet, weitaus am stärksten in Irland. Im Gegensatz
hierzu sind hochgelegene Länder, wie die Schweiz, Tirol, Ober¬
bayern , die Plateaux von Frankreich fast ganz oder gänzlich
trachomfrei.
In Deutschland sind es vorwiegend die östlichen Provinzen
Preussens (Preussen, Posen, Schlesien), welche am meisten vom
Trachom zu leiden haben. In Mittel- und Süddeutsehland ist die
Krankheit im Allgemeinen recht selten. Sehr deutlich zeigt sich
die Abnahme des Trachoms von Osten nach Westen beim Militär.
So fanden sich im Jahre 1888 unter 1000 Soldaten in Tilsit 51,
in Graudenz 24, in Posen 7, in Breslau 2,6 und in Berlin 0,6
Trachomkranke.
Im Rheinthal nun treffen wir da« Trachom wieder häufiger an,
und hier ist es sehr auffallend, wie ungleichmässig die Zahl der an
Trachom Leidenden in den Länderstrichen, welche das Bett des
Rheins im weiteren Sinne bilden, vertheilt ist. Um mich über diese
Vertheilung eingehender zu unterrichten, habe ich mich brieflich
an eine grosse Anzahl von Augenärzten, die längs des Rheinstromes
ihre Praxis ausüben, gewandt und von allen in der liebenswürdigsten
Weise Zahlenmaterial und Auskunft erhalten.
Während in der Schweiz das Trachom, wie schon erwähnt,
wohl nur eingeschleppt vorkommt und unter der einheimischen
Digitized by
Google
6
Bevölkerung so gut wie unbekannt ist, treffen wir es im badischen
Oberlande zuweilen, aber noch äusserst selten an. Ganz ähnlich
sind die Verhältnisse im Eisass, auch hier ist, einzelne kleinere
Trachomherde abgerechnet, die Erkrankung sehr selten. Auch
weiterhin rheinabwärts bis zur Mainmündung findet sich das Trachom
im Allgemeinen noch selten vor. Erst an der Mainmündung wird
es etwas häufiger, wenngleich es auch dort noch zu den selteneren
Krankheiten gehört. Trachomfälle kommen hier nur vereinzelt
vor, schreibt mir ein College aus Mainz, ich schätze sie auf etwa
1 0/ o aller Augenerkrankungen. Annähernd dasselbe Verhältniss
gilt auch für Kreuznach und Wiesbaden, dagegen ist die Krankheit
in Frankfurt etwas häufiger. Gehen wir weiter abwärts, so treffen
wir in einem Seitenthale, nämlich im Lahnthal, ausserordentlich
viel Trachom an. So hatte die Universitäts-Augenklinik zu Giessen
in den Jahren 1890—1894 unter den sämmtlichen Augenkranken
5,86 °/o Trachomatöse, und die Universitäts-Augenklinik zu Marburg
hatte in den letzten vier Jahren durchschnittlich 6,8 0 o Trachom¬
kranke. In der schon vorhin erwähnten Untersuchung über die
Verbreitung des Trachoms auf Grund des Materials der Marburger
Augenklinik fand Lucanus, dass lediglich nach Ausweis des Kranken¬
jouraals dieser Klinik in zahlreichen Orten der Kreise Marburg,
Biedenkopf, Frankenberg, Kirchhain, Ziegenhain 0,1—20 °/o der
Einwohner an Trachom litten.
Wenn wir uns nun wieder dem Rhein zuwenden, so treffen
wir in der nächsten Umgebung von Koblenz das Trachom nur sehr
selten an. Dann aber folgt eine Gegend, die zu den trachom¬
reichsten des ganzen Rheinthals gehört, nämlich die Eifel und der
"Wester-Wald. Etwa 8 °/o aller Augenkranken leiden hier an dieser
Krankheit. Wir sehen also, dass die Höhe allein keinen wirksamen
Schutz gegen das Trachom bietet, wenn andere Factoren hinzu¬
kommen, welche für die Verbreitung und Entstehung der Krank¬
heit förderlich sind, nämlich die Armuth mit ihren schweren hygie¬
nischen Folgen, der Unreinlichkeit und der schlechten überfüllten
Wohnung. Auch die Universitäts-Augenklinik in Bonn hat jährlich
eine sehr grosse Anzahl von Trachomkranken, 11 °/o wurde mir
von dort mitgetheilt. Offenbar rührt diese sehr hohe Ziffer von
der Eifel, dem Wester-W r ald und dem Siegthal, das ebenfalls ziem¬
lich reich an Trachom ist, her. Unter den Augenkranken der
Kölner Augenheilanstalt für Arme befanden sich, nach einer freund¬
lichen Mittheilung des Leiters dieser Anstalt, Herrn Sanitätsrath
Dr. Samelsohn, in den Jahren 1880—1882 durchschnittlich 9,96 °/o,
in den Jahren 1891—93 dagegen nur noch 5,54 °/o Trachom kranke.
Es hat hier also eine wesentliche Abnahme stattgefunden. Für Düssel¬
dorf hat Mooren in einer grossen Zusammenstellung seines gesammten
Digitized by CjOOQle
7
25jährigen Krankenmaterials 7 °/o Trachomatöse angegeben, heute
dürfte das Procentverhältniss, wie ich einer Mittheilung von dort
entnehme, wohl wesentlich niedriger anzuschlagen sein. Gehen wir
weiter, so wird die Krankheit wieder seltener. Elberfeld und Barmen
haben sehr wenig Trachom, und auch für Crefeld wurde mir nur
1 °/o der sämmtlichen Augenkrankheiten angegeben; fast die gleiche
Zahl auch für Remscheid. Etwas häufiger tritt die Krankheit in
Essen und Mülheim a. d. Ruhr auf, hier machen die Trachom¬
kranken etwa 2 °/o von allen Augenkranken aus. Hauptsächlich
findet es sich jedoch bei eingewanderten polnischen Bergarbeitern,
und seitdem die Zechen auf Veranlassung des Knappschafts Vereins
keine Trachomkranken mehr einstellen, nimmt die Krankheit dort
immer mehr ab. Häufiger ist es dann wieder in Wesel, wo es
5,55 ° o aller Augenkrankheiten ausmacht, doch ist auch hier in
den letzten Jahren eine langsame Abnahme zu bemerken. Wenden
wir uns nun zur letzten Etappe des Stromes, so weit er deutsch
ist, nach Cleve und Umgegend, so ist hier die Anzahl der Trachom¬
kranken auffallend niedrig. Ich hatte erwartet, dass das Trachom
hier recht häufig Vorkommen würde, allein nach einer Mittheilung
aus Cleve macht es nur 2 °/o sämmtlicher Augenkrankheiten aus,
wobei sich der Wirkungsbezirk des dortigen Augenarztes auf die
Kreise Cleve, Geldern, die Maasgegend und die holländischen Grenz¬
bezirke erstreckt. Ganz besonders findet es sich hier in den feuchten
W T ie8engründen. So ist z. B. die von der Niers durchflossene wasser¬
reiche Gegend bei Kevelaer verhältnissmässig reich an Trachom,
ebenso der Landstrich in der Rheinniederung, während höher ge¬
legene Ortschaften beinahe ganz frei sind. In Holland tritt nun
das Trachom wieder wesentlich stärker auf, und zwar ganz beson¬
ders an der Küste. In erster Linie sind es hier die Juden, die
schwer von der Krankheit zu leiden haben, und wenn auch in den
letzten Jahren eine wesentliche Besserung eingetreten ist, so sind
die Zahlen doch noch ausserordentlich hoch, wie die Untersuchungen
der Judenschulen in Amsterdam beweisen. Nach dem 22. Jahres¬
bericht der Inrichting voor ooglijders te Amsterdam 1 ) fanden sich
im Jahre 1893 in d$n Schulen, die fast ausschliesslich von Juden
besucht werden, 18—50 °/o Trachomatöse. Das sind ganz enorm
hohe Ziffern, und in anderen Theilen Hollands findet sich die Krank¬
heit viel weniger häufig. Auch in Belgien ist das Trachom sehr
stark verbreitet.
Wenn wir nun fragen, wie viele Menschen leiden denn in einer
bestimmten Gegend oder in einer Stadt an Trachom, so geben uns
M Vereeniging tot oprichting en enstandhouding eener inrichting voor
ooglijders te Amsterdam. Twee en twentigste verslag.
Digitized by
Google
8
zur Beantwortung dieser Frage Schuluntersuchungen auf Trachom
einen einigermaassen sicheren Anhaltspunkt. Hier in Köln werden
diese Schuluntersuchungen seit dem Jahre 1890 regelmässig einmal
im Jahre von den Armen-Augenärzten vorgenommen. Wenn auch bis
jetzt erst sechs Untersuchungsresultate vorliegen, so gestatten diese
doch schon einen Schluss, da die Zahlen in den einzelnen Jahren
ganz ausserordentlich constant sind. Wir finden nämlich in drei
Jahren 1,33 °/o, in einem Jahre 1,2 °/o, in einem anderen Jahre
1,1 °/o und nur in einem Jahre etwas mehr, etwa 2 °/o Trachomatöse.
Wenn wir somit den Procentsatz der trachomkranken Kinder für
Köln auf etwa 1 °/o oder noch etwas höher veranschlagen, so dürften
wir wohl ziemlich das Richtige treffen.
Diese trachomkranken Kinder vertheilen sich nun aber sehr
ungleichmässig über die Stadt, wie aus nebenstehender Figur zu
ersehen ist. Am stärksten sind hiernach die Schulbezirke 15—24
belastet, und das sind die Südbezirke der Stadt (St. Pantaleon,
St. Severin, St. Johann-Jakob, St. Mauritius). Gerade diese Bezirke
sind ja von Arbeitern, besonders Fabrikarbeitern, be- und über¬
völkert und befinden sich dadurch hygienisch in einer sehr viel
schlechteren Lage wie die Nordbezirke.
Sie sehen, meine Herren, dass das Trachom im Rheinthale und
auch in unserer engeren Heimath am Niederrhein in ziemlicher
Ausdehnung vorkommt. Es verlohnt sich daher sicher wohl der
Mühe, auf Mittel zu sinnen, um diese so verderbliche Augenkrank¬
heit einzuschränken und wenn möglich gänzlich auszurotten. Welche
Mittel stehen uns nun hierfür zu Gebote.
Das Trachom ist, wie ich vorhin schon erwähnte, eine Krank¬
heit der Armen, die in schlechten, unsauberen und engen Wohnungen
leben. Der erste Punkt bei der Bekämpfung des Trachoms wird
daher die Verbesserung der allgemeinen hygienischen Verhältnisse,
insbesondere der WohnungsVerhältnisse der armen Bevölkerung sein.
Die Schaffung von hellen, gesunden, luftigen, geräumigen Wohnungen,
besonders für die Arbeiterbevölkerung, wie dies ja von zahlreichen
gemeinnützigen Baugesellschaften und Grossindustriellen angestrebt
wird, ist sicher eine der wichtigsten Maassregein bei der Bekämpfung
des Trachoms.
Einen weiteren Punkt bildet dann die Erziehung zur körperlichen
Reinlichkeit. Förster in Breslau, der in Bezug auf das Trachom
eine sehr grosse Erfahrung besitzt, ist sehr geneigt anzunehmen,
dass unreine Hände bei der Entstehung und Verbreitung des Trachoms
eine ganz hervorragende Rolle spielen. Hier kann die Schule ausser?
ordentlich viel Gutes wirken, sehr viel mehr wie sie jetzt thut.
Die Kinder sollen zur Reinlichkeit des Körpers, besonders zur Rein¬
haltung der Hände und Nägel strengstens angehalten werden. Alle
Digitized by ^.ooQle
9
Einrichtungen, welche für diesen Zweck förderlich sind, also in
erster Linie Schulbäder, sollen möglichst überall hergestellt werden.
Aber auch das Schulzimmer und die Geräthe sollen rein und sauber
sein, und auch hier ist noch Manches zu bessern. Dann ist auf
eine reine, möglichst staubfreie Luft in den Schulen zu achten.
Ein weiteres Mittel bei der Bekämpfung des Trachoms sind regel¬
mässige Schuluntersuchungen, die mindestens einmal im Jahre vor-
* * ä? ä? <£ a? 3?
Digitized by CjOOQle
SCHULBEZIRKE
10
zunehmen sind. Kranke Kinder sind dem Lehrer zu bezeichnen,
und die Eltern müssen von der Erkrankung informirt werden. Ist
die Krankheit weit fortgeschritten, ist besonders eine stärkere, eitrige
Absonderung vorhanden, so sind die Kinder aus der Schule zu ent¬
fernen und, wenn irgend möglich, in ärztliche Behandlung zu nehmen.
Für eine zwangsweise Behandlung solcher Kinder fehlt uns bis jetzt
leider noch die gesetzliche Handhabe, hoffentlich wird das zu er¬
wartende Seuchengesetz auch nach dieser Seite Wandel schaffen.
Denn auf dem Wege der ärztlichen Behandlung würde es sicher
möglich sein, die Weiterverbreitung des Trachoms zu verhüten und
damit allmählich eine verderbliche Volkskrankheit gänzlich aus¬
zurotten. Empfehlen würde sich auch eine eingehende Besichtigung
der Wohnräume und der übrigen Familienmitglieder solcher er¬
krankter Kinder. Kommen in einer Schule zahlreiche Erkrankungen
vor, besonders in acuter Form, so ist die betreffende Schulklasse
zu schliessen.
Bei passenden Gelegenheiten kann in den Schulen auf die Ge¬
fahren des Trachoms und auf die Mittel zur Verhütung hingewiesen
werden.
Für Waisenhäuser, Erziehungshäuser, kurz für alle Internate
wären folgende Regeln aufzustellen:
1. Die Anstalten müssen den allgemeinen hygienischen Anfor¬
derungen auf Reinlichkeit, Ventilation u. s. w. entsprechen.
Besonderes Gewicht ist wieder auf die Waschgeräthe zu legen.
2. Jeder Aufzunehmende muss untersucht werden.
3. Die Insassen sind häufig ärztlich zu untersuchen, besonders
in den Gegenden, wo Trachom heimisch ist. Die Erkrankten
müssen natürlich in ärztliche Behandlung genommen werden.
4. Die Trachomatösen sind von den Gesunden zu trennen.
5. Kein Trachomatöser darf in die Heimath entlassen werden.
Mit kleinen Modificationen gelten diese Regeln auch für Militär
und Kasernen.
Auf diese Weise dürfte es wohl sicher gelingen, der verderb¬
lichen Krankheit allmählich Herr zu werden. Dass dieses möglich
ist, beweisen die Trachom-Verhältnisse in der preussischen Armee,
in welcher im Jahre 1873 noch 6,9%, im Jahre 1888 nur noch
2,6 °/o der Mannschaften an Trachom litt, also in 15 Jahren eine
Abnahme auf den dritten Theil. Und während 1874 noch 128 Mann
in Folge von Trachom als Ganzinvalide entlassen wurden, belief
sich diese Zahl 1884 nur noch auf 17 *). Die Maassnahmen in der
preussischen Armee für die Bekämpfung des Trachoms sind aber
auch als mustergültig zu bezeichnen.
J ) H. Cohn, Lehrbuch der Hygiene des Auges. Wien und Leipzig 1892.
Digitized by
Google
11
In seiner bekannten preisgekrönten Arbeit: Die Ursachen und die
Verhütung der Blindheit, sagt Prof. Fuchs 1 ): Kein Mensch braucht
bei gehöriger Sorgfalt am Trachom zu erblinden; ich möchte noch
einen Schritt weiter gehen und sagen: bei gehöriger Vorsicht braucht
kein Mensch am Trachom zu erkranken.
Das ist freilich ein Ziel, welches augenblicklich noch in recht
weiter Feme liegt, allein die Lösung dieser Aufgabe ist eine so
segensreiche, dass sie wohl der allseitigen Beachtung und Mitarbeit
werth erscheint.
Bericht
über die 20. Versammlung des Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart vom 11. bis
14. September 1895.
Am Vorabende der Versammlung hatte die Stadt Stuttgart die
Theilnehmer zu einem Abendfeste in den Stadtgarten eingeladen,
woselbst der Oberbürgermeister Rümelin die Erschienenen herzlichst
begrüsste.
Am 11. September wurde die Versammlung, welche zu den
bestbesuchtesten gehörte, von dem z. Vorsitzenden Geh. Medicinal-
rath Dr. Pi stör in Berlin eröffnet. Nach den üblichen Begrüssungs-
reden Seitens der Vertreter der Königlichen Staatsregierung und
des Oberbürgermeisters, nach Verlesung des Geschäftsberichts durch
den ständigen Secretär, Geh. Sanitätsrath Dr. Spiess, erstattete zu¬
nächst Oberbaurath Prof. Baumeister einen Bericht über den
Erfolg der vom Vereine veranstalteten Enquete auf dem Gebiete
der Baupolizei. Im Anschluss an diesen Bericht sprach sodann
Baurath Stübben-Köln über „Maassnahmen zur Herbei¬
führung eines gesundheitlich zweckmässigen Aus¬
baues der Städte u (Bebauungsplan, Umlegung und Zusammen¬
legung, Enteignungsrecht, abgestufte Bauordnung). Von den beiden
Referenten Oberbürgermeister Küchler (Worms) und Baurath
Stübben (Köln) sprach letzterer über die gesundheitlichen Grund¬
lagen des Stadtbauplanes, die Nothwendigkeit der gesetzlichen Um¬
legung ungeregelter Grundstücke, die Zonenenteignung in alten
Stadttheilen und die Bauordnung, während Küchler sich über
besondere süddeutsche Verhältnisse und die genossenschaftliche Zu-
*) Fuchs, Die Ursachen und die Verhütung der Blindheit. Wiesbaden 1885.
Digitized by ^.ooQle
12
sammenlegung von Grundstücken im Stadterweiterungsgelände ver¬
breitete. Von Interesse waren namentlich die durch Pläne erläu¬
terten Umlegungen in Mainz und Zürich, sowie die ebenfalls auf
ausgehängten Plänen dargestellten Sanirungsmaasaregeln, welche in
London, Brüssel, Neapel und Budapest auf Grund der dort be¬
stehenden gesetzlichen Zonenenteignung ausgeführt worden sind.
Abgestufte Bauordnungen besitzen gegenwärtig bereits sieben deutsche
Städte: Berlin, Altona, Hannover, Hildesheim, Bochum, Barmen
und Frankfurt a. M. In Köln, Düsseldorf, Magdeburg, Halle und
Rheydt ist die Abstufung der Bauordnung im Sinne grösserer Weit¬
räumigkeit für die Bebauung der äusseren Bezirke in Vorbereitung.
In der Discussion sprachen Baumeister Hartwig (Dresden)
zu Gunsten der Zonenenteignung, aber gegen die Umlegung von
Grundstücken und die Abstufung der Bauordnung; die Ober¬
bürgermeister Westerburg (Kassel), Schneider (Magdeburg),
Adickes (Frankfurt) und Strauss (Rheydt) zu Gunsten aller
aufgestellten Forderungen mit Ausnahme der genossenschaftlichen
Zusammenlegung; ausser ihnen bekämpften noch Oberbaurath
Baumeister und die beiden Referenten die Bedenken Hartwig's;
Dr. Usteri (Zürich) berichtete über die günstigen Erfolge des in
Zürich in Anwendung stehenden Umlegungsgesetzes. Schliesslich
wurde ein Antrag Adickes und Dr. Lent fast einstimmig ange¬
nommen, welcher die Schlusssätze der Referenten nach Richtung
und allgemeinem Inhalte billigt, jedoch mit Ausnahme der Sätze
über Zusammenlegung, welche einer weiteren Behandlung durch
den Ausschuss unterzogen werden sollen; die Drucklegung der
heutigen Verhandlungen soll den deutschen Staatsregierungen als
Material für die nothwendige Gesetzgebung überwiesen werden.
Die angenommenen Leitsätze der Referenten lauten:
I. Bebauungsplan.
a. Das Gesundheitsinteresse verlangt Reinheit und Trockenheit des Unter¬
grundes, rasche und gründliche Beseitigung der Schmutzstoffe, Rein¬
haltung der Wasserläufe; ausreichende Versorgung der Stadt mit Wasser,
Licht, Luft und Pflanzungen; Schutz gegen nachtheilige Gewerbebetrieb?,
erhebliche Ausdehnung des Bebauungsplanes, zweckentsprechende Ab¬
messung der Strassenbreiten und Baublöcke.
b. Insbesondere ist bei Abmessung der Strassenbreiten und Baublöcke
dahin zu streben, dass für die verschiedenen Baubedürfnisse geeignete
Strassen und Bauplätze gewonnen, Hintergebäude nach Möglichkeit
vermieden, kleinere Wohnhäuser begünstigt werden. Es sind vorzu¬
sehen: Breite Verkehrsstrassen, mittlere und schmale Wohnstrassen;
grosse Blöcke für Fabrikbauten und Landhäuser, mittlere für bürger¬
liche Wohn- und Geschäftshäuser, kleine für die Wohnungen der minder
begüterten Volksklassen.
c. Bestehende Stadtbaupläne sind zu prüfen und im vorstehenden Sinne,
soweit möglich, zu verbessern.
Digitized by ^.ooQle
13
d. Wo die Gesetzgebung die Feststellung ausgedehnter und sachgemässer
Bebauungspläne noch behindert oder erschwert, sind diese Schwierig¬
keiten durch Erlass eines geeigneten Fluchtliniengesetzes zu beseitigen.
II. Umlegung.
a. Die Strassenlinieu des Stadtbauplanes können an die vorhandenen
Grundstücksgrenzen der Feldflur nur in der Minderzahl der Fälle so
angepasst werden, dass die Grundstücke in der bisherigen Lage und
Gestalt zur Eintheilung und Benutzung als städtische Bauplätze brauch¬
bar sind. Es ist vorher die Grenzregelung oder Umlegung der Grund¬
stücke erforderlich. Diese wird zwar in manchen Fällen nach vieler
Mühe und grossem Zeitverlust durch Uebereinkommen aller Betheiligten
erreicht; bei dem oft vorkommenden Widerstreben Einzelner bedarf es
dagegen eines Umlegungsgesetzes, d. h. der Verleihung des Rechtes auf
zweckentsprechende Umlegung ihrer Grundstücke an die Betheiligten,
auch ohne die Zustimmung jedes einzelnen Eigentümers. Dieses Um-
legungsrecht ist notwendig,
«. um eine gesundheitlich und wirtschaftlich unzweckmässige Be¬
bauung zu verhindern, eine zweckmässige Bebauung aber zu
ermöglichen;
ß. um die Gesammtheit der Besitzer einer Grundstücksgruppe gegen
die Böswilligkeit eines Einzelnen, sowie um die kleineren Be¬
sitzer gegen die grösseren zu schützen;
y. um die am Markt befindlichen Baugrundstücke zu vermehren
und dadurch der übertriebenen Preissteigerung entgegenzuwirken;
tf. um den geordneten, zusammenhängenden Ausbau der Stadt auf
einem Gelände, dessen Grundstücke im Gemenge liegen, durch¬
führen zu können, sowohl zu Gunsten der Besitzer selbst und
der zukünftigen Bewohner, als im Interesse der Nachbarschaft
und der Gemeinde.
b. Die Grundlage der Umlegung bildet der vorher festzustellende Be¬
bauungsplan.
c. Zur Erleichterung der Umlegung empfiehlt es sich, die umzulegende
Grundstücksgruppe auf einem Block des Bebauungsplanes zu beschränken.
d. Das Recht auf Umlegung steht der Mehrzahl der betheiligten Eigen-
thümer, insofern sie zugleich die grössere Hälfte der Grundflächen be¬
sitzt, unbedingt zu; der Minderzahl und der nicht über die Hälfte des
Besitzes verfügenden Mehrzahl nur dann, wenn durch einen zustimmen¬
den Gemeindebeschluss die Dringlichkeit anerkannt wird.
e. Der Umlegungsplan ist vom Gemeindevorstande zu entwerfen oder gut¬
zuheissen; dabei ist, damit kein Besitzer benachtheiligt werde, nicht
bloss die Flächengrösse, sondern auch Lage und Werth der Grundstücke
zu berücksichtigen. Den Betheiligten steht das Recht des Einspruchs
zu, dessen Erledigung im Wege des Verwaltungsstreitverfahrens erfolgt.
f. Die Errichtung von Bauten auf ungeregeltem Gelände, welche die Um¬
legung erschweren, ist zu untersagen.
III. Enteignung.
Das Enteignungsrecht der Gemeinde soll sich erstrecken
a. auf die Erwerbung des Landes für die Anlage neuer, im gesetzlich ge¬
ordneten Verfahren der Fluchtlinienfeststellungen als nöthig anerkannter
Strassen, freier Plätze und öffentlicher Pflanzungen;
Digitized by ^.ooQle
14
b. auf die Erwerbung solcher neben den neuen Strassen und Plätzen liegen¬
bleibenden Grundstückstheile, welche gemäss der im gesetzlich geord¬
neten Umlegungsverfahren getroffenen Festsetzung wegen ihrer Klein¬
heit zur selbständigen Bebauung ungeeignet sind;
c. auf die Erwerbung solcher in älteren Stadttheilen liegenden Grundstücke,
welche gemäss einem gesetzlich geordneten Verfahren (Gesetz über
Zonenenteignung) nöthig sind, um eine den Zwecken der ölfentlichen
Gesundheitspflege und des Verkehrs entsprechende Bebauung herbei¬
zuführen.
IV. Bauordnung.
a. Die Einheitlichkeit der baupolizeilichen Vorschriften für die Innenstadt
und alle Theile der Aussenstadt hat in vielen Stadterweiterungeu Bau-
und Wohnzustände entstehen lassen, welche vom gesundheitlichen Stand¬
punkte aufs lebhafteste zu beklagen sind. Insbesondere hat sich von
Jahr zu Jahr die Wohndichtigkeit gesteigert, die Wohnräumlichkeit
vermindert.
b. Die Uebertragung der den altstädtischen Verhältnissen angepassten
Bauordnung auf das ganze Stadterweiterungsgelände hat dort an zahl¬
reichen Orten eine ausgedehnte, auf die äusserste polizeilich erlaubte
Ausnutzung sich stützende und diese nothwendig veranlassende Boden-
und Bauspeculation zwar nicht hervorgerufen, aber ermöglicht, welche
das Wohnen zugleich verschlechtert und vertheuert und nicht bloss auf
gesundheitlichem, sondern auch auf allgemein socialem Gebiete zu den
beklagenswertesten Erscheinungen unserer Zeit gehört.
c. Zu den Maassregeln, welche geeignet sind, diesen Missständen in Zu¬
kunft entgegenzutreten, gehört die baupolizeiliche Anordnung, dass in
den äusseren Theilen der Stadt weniger hoch und weniger dicht gebaut
werde, als in der Innenstadt. Es empfiehlt sich, zu diesem Zwecke das
Stadtgebiet (nach Bedarf unter Einbeziehung von Vororten) in Bezirke
einzutheilen, für welche die Bauordnungsvorschriften sich unter Berück¬
sichtigung der bereits vorhandenen Bodenwerthe im Sinne der zunehmen¬
den Weiträumigkeit und der Bevorzugung des Einfamilienhauses bezw.
Bekämpfung des Massenmiethhauses abstufeu.
Die in dieser Richtung in Budapest, Wien, Berlin, Altona, Frank¬
furt a. M., Köln und anderen Städten hervorgetretenen Bestrebungen
verdienen Anerkennung und Nachahmung.
d. Bei der Abstufung der Bauordnung sind nach Maassgabe des voraus¬
sichtlichen Bedarfs und der örtlichen Verhältnisse auch solche Bezirke
abzusondern, in welcheu
«. nur die offene Bauweise gestattet wird;
ß. der Bau und Betrieb von Fabriken und anderen lästigen gewerb¬
lichen Anstalten untersagt ist;
y . der Bau und Betrieb von Fabriken begünstigt wird.
Die an den Ausschuss zurückverwiesenen Sätze über Zusammen¬
legung lauten:
Zusammenlegung.
a. Anstatt der Umlegung unbebauter Grundstücke, die in der Regel sich
auf einen Block zu beschränken hat und mit der Zutheilung der Ersatz¬
grundstücke absehliesst, empfiehlt sich an manchen Orten die Zu¬
sammenlegung grösserer Stadterweiterungsgebiete unter
Erhaltung des ungetheilten Besitzes bis zur Verwerthung als Bau¬
gelände, und zwar:
Digitized by Cnoooie
15
«. um, unabhängig von der Böswilligkeit oder dem Unverstände
Einzelner, das zur Bebauung bereit gestellte Stadtgelände zu
vermehren und der künstlichen Preistreibung zu begegnen,
ß. um den Schwachen vor dem Auskauf durch den Starken zu
unterwerthigen Preisen zu schützen und ihm die Möglichkeit zu
geben, an der allmählichen und naturgemässen Werthsteigerung
Antheil zu nehmen;
y. um den einzelnen Grundbesitzer vor der Zersplitterung seines
Besitzes in verschiedenen Blöcken und vor der Enteignung der
bebauungsfähigen Theile zu bewahren (vgl. IV b);
tf. um in grösseren Stadterweiteruugsgebieten ein den verschieden¬
artigen Baubedürfnissen (vgl. Ib) dienendes, der Entwässerung
wegen alsbald im Ganzen bereit zu stellendes Strassennetz ohne
Enteignungsverfahren durchführen zu können.
b. Die Zusammenlegung geschieht auf Antrag der Eigenthümer von mehr
als der Hälfte der betheiligten Fläche mit Zustimmung der Gemeinde¬
vertretung, oder auf Beschluss der letzteren, wenn nicht die Eigen¬
thümer von mehr als der Hälfte der betheiligten Fläche widersprechen.
c. Der Antheil der bei der Zusammenlegung Betheiligten ist durch Ab¬
schätzung in Geld zu ermitteln, wobei Flächengrösse, Lage und Werth
der eingebrachten Grundstücke zu berücksichtigen sind. Beschwerden
werden im Verwaltungsstreitverfahren erledigt.
d. Die Verwaltung erfolgt durch einen gewählten Vorstand, der die Ge¬
nossenschaft nach Maassgabe eines zu errichtenden Genossenschafts¬
statuts vertritt.
e. Etwaige in dem Zusammenlegungsgebiet befindliche Gebäude unterliegen,
insoweit sie die Aufstellung des Bebauungsplanes hindern, der Enteignung
durch die Genossenschaft.
f. Jedem Genossenschafter steht der Austritt frei. Die Genossenschaft hat
ihm den Schätzungs werth seines Antheils zu ersetzen. Lehnt dies die
Genossenschaft ab, so erfolgt die Liquidation derselben.
Das erste Thema des zweiten Tages war die Erbauung von
Heilstätten für Lungenkranke durch Invaliditäts¬
und Alters-Versicherungsanstalten, Krankenkasse
und Communalverbände, über welche Frage der Director
der Hanseatischen Alters-Versicherungsanstalt Gebhard-Lübeck
und Sanitätsrath Dr. Hampe-Helmstedt Bericht erstatteten. Nach¬
stehende Leitsätze waren aufgestellt:
1. Die Einschränkung der Verheerungen, welche die Lungenschwind¬
sucht in allen Volkskreisen hervorruft, ist von grössester Bedeutung für die
Wohlfahrt des ganzen Volkes. Zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht
haben desshalb alle staatlichen und communalen Organisationen, zu deren Ob¬
liegenheiten die Minderung der aus Krankheit und Siechthum entspringenden
Leiden gehört, mitzuwirken.
2. Es ist insbesondere auch Aufgabe der Invaliditäts- und Alters-Ver¬
sicherungsanstalten, in Anwendung des § 12 des Invaliditäts- und Alters-
Versicherungsgesetzes, zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht die Hand
anzulegen und je nach den Umständen allein oder in Verbindung mit Kranken¬
kassen und zuständigen communalen Organen die hierzu geeigneten Maass¬
regeln zu ergreifen.
Digitized by
Google
16
3. Da unter den verschiedenen, für die Bekämpfung der Lungenschwind¬
sucht bis jetzt empfohlenen Maassregeln die hygienisch-diätetische Behand¬
lung in klimatisch günstig gelegenen Heilstätten allein Erfolge von grösserem
Umfange aufzuweisen hat, sind zur Zeit die Bestrebungen der bezeichneten
staatlichen und communalen Organisationen auf dem in Rede stehenden Ge¬
biete in erster Linie dahin zu lenken, dass eine dementsprechende Behand¬
lung in Heilstätten den dafür geeigneten Lungenkranken derjenigen Volks¬
kreise, auf deren Wohlfahrt sich ihre amtliche Thätigkeit zu erstrecken hat,
zu Theil wird.
4. Es fehlt bislang an der genügenden Zahl von Heilstätten für Lungen¬
kranke aus den unbemittelten und den wenig bemittelten Bevölkerungskreisen.
Die Bemühungen der zuständigen staatlichen und communalen Organisationen
sind desshalh auf Beschaffung solcher Heilstätten zu richten. Von der Be-
urtheilung der besonderen Verhältnisse der einzelnen Bezirke hängt es ah,
von welcher der verschiedenen zur Mitarbeit berufenen Stellen die Errichtung
der Heilstätten unter angemessener Mitwirkung anderer dazu berufener Or¬
gane vorzunehmen ist, insbesondere auch, ob die Invaliditäts- und Alters-
Versicherungsanstalten selbst Heilstätten für Lungenkranke errichten und
Krankenkassen und communale Organisationen sich an der Tragung der
Kosten für die dort unterzubringenden Kranken betheiligen, oder ob sich die
Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten beschränken, zur Deckung
der Kosten, welche durch die Behandlung der Kranken entstehen, die in
vorhandenen oder zu errichtenden Heilstätten gemeinnütziger Vereine, Privat¬
unternehmer, Krankenkassen und communaler Organisationen unterzubringen
sind, in dem nach Lage der Umstände zu bemessenden Umfange Theil zu
nehmen.
5. Sache der Aerzte ist es, darauf hinzuwirken, dass die Lungenkranken
von der Benutzung des ihnen zu bietenden Heilverfahrens, solange Erfolg
von diesem mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, also möglichst
bald, nachdem die Erkrankung eingetreten ist, Gebrauch machen. Es ist von
grosser Bedeutung, dass die Erfahrungen darüber, unter welchen Voraus¬
setzungen Erfolg von dem Heilverfahren in Aussicht steht, zu immer allge¬
meinerer Kenntniss gebracht werden.
6. Die auf die Errichtung und den Betrieb von Heilstätten für Lungen¬
kranke gerichtete Thätigkeit gemeinnütziger Vereine bleibt, auch nachdem
von Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten, Krankenkassen und com¬
munalen Organisationen Maassregeln der weitestgehenden Art zur Bekämpfung
Lungenschwindsucht auf dem ihnen zukommenden Thätigkeitsgebiete ergriffen
sein werden, unentbehrlich.
7. Allen zuständigen staatlichen Behörden liegt die grösstmögliche
Förderung aller auf die Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke ge¬
richteten Bestrebungen ob.
Schlusssätze des Correferenten.
1. Nachdem weder die Vernichtung der specifischen Krankheitserreger,
noch die Tuberkulinbehandlung der Kranken eine nachweisbare Verminderung
der Lungenschwindsucht herbeigeführt haben, greift die öffentliche Gesund¬
heitspflege auf die schon seit Jahrzehnten mit zweifellosem Erfolge geübte
„hygienisch-diätetische“ Behandlung der Kranken zurück, welche um so
sicherer ist, wenn sie in besonderen Anstalten — „Sanatorien“, „Heilstätten“
— stattfindet.
2. Eine Einschränkung der Lungenschwindsucht werden diese Sanatorien
jedoch nur dann und allmählich bewirken können, wenn sie in grösserer
Digitized by
Google
17
Zahl errichtet und auch den weniger begüterten Volksschichten zugänglich
gemacht werden.
3. Die Aufgabe, diese hochwichtige humane und hygienische Aufgabe
der Lösung entgegenzuführen, ist durch unsere Gesetzgebung vor allen den
Invaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten zu Theil geworden; sie haben
das Recht, sich ihrer kranken Mitglieder schon vor Eintritt der Invalidität
anzunehmen, um diese durch eine zweckmässige Behandlung möglichst zu
verhüten. In dem Streben, von dieser Berechtigung Gebrauch zu machen,
werden sie zunächst darauf hinwirken müssen, die an Lungentuberkulose
Leidenden möglichst früh in Obhut nehmen und den specifischen Heilanstalten
zuführen zu können, denn nur in ersten Stadien der Krankheit gelingt es,
ohne allzu grosse Opfer ihren Stillstand zu veranlassen und die Arbeitsfähig¬
keit der Kranken wiederherzustellen, bezw. zu erhalten. Vor Allem aber
werden bei dem gegenwärtigen Mangel an Sanatorien die Versicherungs¬
anstalten dahin wirken müssen, solche zu gründen oder gründen zu helfen.
4. Die Sanatorien für Lungenkranke müssen nach den hygienischen
Grundsätzen eingerichtet und verwaltet werden, welche in den für Angehörige
der begüterten Bevölkerungskreise in Deutschland bestehenden Musteranstalten
zur Geltung gebracht sind. Wenn auch einfach ausgestattet, müssen sie doch
Alles enthalten, was erfahrungsgemäss zur Erreichung einer grösseren Wider¬
standsfähigkeit des menschlichen Körpers gegen die deletären Einwirkungen
der Tuberkelbacillen als nothwendig oder zweckmässig erscheint.
5. Die Sanatorien dürfen nicht ohne Vorkehrungen und Einrichtungen
bleiben, welche nothwendig sind, die specifischen Krankheits-, insbesondere
die Auswurfsstoffe zu vernichten und für die Nachbarschaft unschädlich zu
machen.
6. Ohne einen ständigen, sachkundigen Arzt wird der Erfolg der An¬
staltsbehandlung stets ein zweifelhafter bleiben. Ihm liegt es ob, durch stete
persönliche Einwirkung den Muth der Kranken zu beleben und ihnen die für
ihre Genesung erforderliche Lebensweise so fest und sicher einzuüben und
anzugewöhnen, dass sie dieselbe auch in ihrem Familienkreise nach ihrer
Heilung ohne Zwang fortsetzen werden.
Der Referent gab eine statistische Uebersicht der Sterbeßllle
an Tuberkulose in Deutschland, suchte das nur zu verbreitete Miss¬
trauen gegen die Heilbarkeit der Schwindsucht zu zerstreuen und
begründete die Pflicht aller Behörden und Verbände, für die Er¬
richtung der Heilstätten thatkräftig einzutreten. Für die Invaliditäts¬
und Alters-Versicherungsanstalten sei diese Pflicht um so mehr zu
erfüllen, damit eine zu frühe und starke Belastung der Anstalten
möglichst verhütet werde. Der zweite Referent vertrat seine Leit¬
sätze vom medicinischen Standpunkte aus. In der Discussion sprach
der Director des Kaiserl. Gesundheitsamtes Köhler seine Freude
darüber aus, dass der Deutsche Verein für Gesundheitspflege sich
mit dieser Frage beschäftige, welcher auch von Seiten des Reiches
grosses Interesse entgegengebracht würde; die von dem Gesund¬
heitsamte zusammengestellte Statistik der Todesursachen ergebe
das erschreckende Resultat, dass der dritte Theil der in Deutsch¬
land von der im erwerbsfähigen Alter stehenden Bevölkerung Sterben-
Centnlblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 2
Digitized by
Google
18
den an Tuberkulose zu Grunde gehen. Geheimer Rath Prof. Dr.
von Ziemssen (München) trat sehr warm für die Leitsätze der
Referenten ein. Ausser den Leitsätzen, welchen man allseitig zu¬
stimmte, wurde noch folgende Resolution (Küchler- Worms) ange¬
nommen: „Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege
erklärt die Einführung einer auf gleichen Grundsätzen geordneten
Statistik über die Ergebnisse der Heilpflege in den Anstalten für
unbemittelte Lungenkranke für wünschenswerth, die sich womöglich
auf die Dauer von mindestens 5 Jahre nach Verlassen der Heilstätte
zu erstrecken hätte.“
Sodann folgte das Thema: „Die Schädlichkeit der
Kanalgase und Sicherung unserer Wohnräume gegen
dieselben“.
Dieses Thema war bereits auf der vorjährigen Versammlung
des Vereins in Magdeburg auf der Tagesordnung gewesen und
durch Ingenieur A. Rö c h 1 i n g - Leicester (England) als Haupt¬
referent behandelt worden, jedoch nur vom Standpunkte des eng¬
lischen Disconnecting- Systems aus, welche Anschauungen bereits
auf der vorjährigen Versammlung lebhaften Widerspruch fanden.
Auf der diesjährigen Versammlung traten als Referenten Privat-
docent Dr. Kirchner-Hannover und Stadtbaurath Lindley-
Frankfurt a. M. auf.
Der erste Referent Dr. Kirchner verbreitete sich hauptsäch¬
lich über die Schädlichkeit der Kanalgase und kam zu dem Schluss,
dass die Annahme der englischen Hygieniker, welche dieselben als
Erreger von Krankheiten, wie Lungenentzündung, Diphtherie, Typhus
und Malaria betrachteten, nicht aufrecht erhalten werden könne,
indem er nachwies, dass auf Grund der Bacillentheorie und unserer
heutigen Kenntnisse vom Wesen der Krankheitserreger die Ver¬
breitung dieser Krankheiten mit der Ausdehnung der Städte-
kanalisirung und der hierdurch ermöglichten Einathmung von
Kanalgasen in reciprokem Verhältniss steht Gerade in unkana-
lisirten Städten resp. Stadttheilen sei erfahrungsmässig häufig ein
schweres Auftreten dieser Krankheiten beobachtet. Sehr anschau¬
lich wurde diese Behauptung erläutert durch zwei Tafeln graphischer
Darstellungen, in denen für Frankfurt a. M. und Warschau die
jährliche Zunahme der Wasserversorgung und Kanalisation und die
correspondirende Abnahme der Typhuserkrankungen aufgezeichnet
war. Referent führte weiter aus, dass jedoch unter allen Umständen
die Einathmung der Kanalgase als schädlich auf den menschlichen
Organismus einwirkend angesehen werden müsse und das Eindringen
der Kanalgase in unsere Wohnungen mit allen uns zu Gebote stehen¬
den technischen Mitteln zu verhindern ist.
Digitized by ^.ooQle
19
Diese technischen Mittel erläuterte hieran anschliessend der
Correferent zum Thema, Stadtbaurath Lin dl ey-Frankfurt a. M.,
an der Hand eines umfangreichen Kartenmaterials, welches im
Saale zur Ausstellung gelangt war, und auf welchem die Haus¬
entwässerungseinrichtungen in schematischer Form in höchst an¬
schaulicher Weise dargestellt waren. In erster Linie sei darauf
Bedacht zu nehmen, die Entstehung der Gase nach Möglichkeit zu
verhindern und dann die trotzdem sich entwickelnden Gase durch
möglichst starke Verdünnung und Ausschluss dieser verdünnten
Gase aus den Wohnräumen durch zweckentsprechende Mittel un¬
schädlich zu machen.
Diese Mittel wurden vom Redner in ausführlicher Weise an
den bereits erwähnten Plänen erläutert und mit ganz besonderem
Nachdruck das englische Disconnecting-System (Abtrennungssystem),
welches einen Abschluss der Hausleitung gegen den Strassenkanal
durch Einschaltung eines Hauptwasserverschlusses fordert, bekämpft
und als unrationell verworfen; da dasselbe die Lüftung und Spü¬
lung erschwert, complicirte Lüftungseinrichtungen erforderlich macht
und die Anhäufung von Schmutzstoffen in unmittelbarer Nähe der
Wohnungen mit sich bringt. Nur durch eine directe Verbindung
der Hausleitung mit dem Strassenkanal kann eine ausreichende
Durchlüftung zum Vortheil beider Anlagen geschaffen werden.
Ferner trat derselbe der weitverbreiteten irrigen Ansicht ent¬
gegen, dass die in den Strassenkanälen befindliche Luft eine schlechte
sei. Im Gegentheil sei die in abgeschlossenen Hausleitungen be¬
findliche Luft im Allgemeinen eine bedeutend schlechtere, als die
in gut angelegten Strassenkanälen befindliche Luft, da die an den
feuchten Wandungen der Hausleitungen und im Hauptwasserver¬
schluss festgehaltenen Rückstände in noch höherem Maasse in Fäul-
niss übergehen, als die in stetem Abfluss befindlichen Abwässer
der Strassenkanäle.
Der Hauptwasserverschluss sei daher zu ver¬
werfen.
Beide Redner ernteten für ihre Ausführungen lebhaften Beifall.
Die Ausführungen derselben gipfelten in den nachstehenden, der
Verammlung unterbreiteten Thesen:
1. Die Annahme der Verbreitung epidemischer Krankheiten, namentlich
von Typhus, Cholera, Diphtherie, durch Kanalgase ist mit unseren heutigen
Kenntnissen vom Wesen der Krankheitserreger nicht vereinbar.
2. Dagegen sind die in den Kanal- und Hausleitungen entstehenden
Fäulnissgase, wenn auch nicht direct, so doch indirect, namentlich bei
dauernder Einrichtung schädlich, indem sie ekelerregend wirken und das
allgemeine Wohlbefinden und damit die Widerstandsfähigkeit des Körpers
gegen Krankheiten herabsetzen.
2 *
Digitized by ^.ooQle
20
3. Die Bildung derartiger Gase und ihre Anhäufung in den Leitungen
lässt sich durch entsprechende Anlage, regelmässige Spülung und Reinigung,
sowie durch ausgiebige Lüftung auf ein sehr geringes Maass beschränken.
4. Es dürfen daher in den öffentlichen, sowie in den Privatleitungen
guter Kanalisationsanlagen weder Schmutzwasser noch Luft stagniren, noch
Sinkstoffe sich ansammeln.
5. Um das Eindringen schädlicher Gase an Kanälen und Leitungen in
die Luft des Bodens und der Wohnräume zu verhindern, müssen sämmtliche
Leitungen in, unter und neben den Häusern vollkommen luft- und wasser¬
dicht hergestellt und alle Eingussstellen mit wirksamen gegen Aussaugen
und gegen Austrocknen gesicherten Geruchsverschlüssen versehen werden.
6. Eine dauernd 'gute Wirksamkeit der Hauskanäle wird nur bei Ein¬
fachheit und Uebersichtlichkeit der Anlage gesichert.
7. Die durchgängige Verbindung der Hauslei^ngen mit dem Strassen-
kanal ist dementsprechend der Abtrennung durch einen Hauptverschluss in
der Hausleitung (dem sog. Disconnecting-System) vorzuziehen, weil letzteres
die Lüftung und Spülung erschwert, complicirte Lüftungseinrichtungen er¬
forderlich macht und die Anhäufung von Schmutzstoffen in unmittelbarer
Nähe der Wohnungen mit sich bringt.
In der Discussion sprach zunächst Ingenieur Röchling-
Leicester seine lebhafte Befriedigung darüber aus, dass der Verein
für öffentliche Gesundheitspflege der Frage der Schädlichkeit der
Kanalgase fortgesetzt seine Aufmerksamkeit zu wende. In seinen
weiteren Ausführungen versuchte derselbe die Versammlung, soweit
ihm dies die bewilligte Zeit gestattete, von den Vorth eilen des Dis-
connecting-Systems zu überzeugen, fand jedoch nur geringe Zu¬
stimmung.
Es sprachen dann noch Sanitätsrath Dr. Göpel (Frankfurt a. O.),
Privatdocent Stabsarzt Dr. Heinr. Jäger (Stuttgart), Oberbaurath
Prof. R. Baumeister (Karlsruhe), Ingenieur Unna (Köln), Stadt¬
baurath Brix (Altona), Dr. Ficker (Breslau), Stadtbaurath
Heuser (Aachen) und Bürgermeister Tettenborn (Bad Hom¬
burg). Diese Redner äusserten sich sämmtlich, mit Ausnahme des
Stadtbauraths Heuser (Aachen) zustimmend zu den Thesen, zum
Theil dieselben noch im Sinne des Verbindungssystems verschärft
wünschend. Die Ausführungen des Dr. Ficker (Breslau) waren
dadurch hochinteressant, dass derselbe gerade den Theil des Be¬
weismaterials von Röchling, welcher die Verbreitung der epi¬
demischen Krankheiten durch Kanalgase nachweisen sollte, durch
die Mittheilung der Resultate der von ihm selbst auf Grund der
Röchling'schen Quellen ausgeführten Versuche vollständig entkräftete.
Auch die Mittheilungen des Bürgermeister Tettenborn, dass sich
das Verbindungssystem, welches in Bad Homburg in der von Bau¬
rath Lindley vorgetragenen Form zur Ausführung gekommen sei,
in vorzüglichster Weise zur vollen Zufriedenheit der Einwohner¬
schaft und der Behörden bewährt habe, war von grossem Interesse.
Digitized by
Google
— 21 —
Jedenfalls ist es als ein äusserst danken swerther, glücklicher
Griff zu bezeichnen, dass der Vorstand des Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege der Versammlung in Stuttgart noch
einmal die Gelegenheit gegeben hat, dass ein Meinungsaustausch
über diese hochwichtige Frage der städtischen Hygiene stattfinden
konnte, wodurch verhindert wurde, dass die einseitigen englischen
Anschauungen, welche auf der vorjährigen Versammlung in Magde¬
burg durch Herrn Röchling zum Vortrag gebracht wurden, bei
Männern, welche keine Gelegenheit haben, dieser Frage durch ein¬
gehendes Studium näher zu treten, jedoch in der Verwaltung unserer
Städte bei Aufstellung von hierauf bezüglichen Polizeivorschriften
von maassgebendem Einfluss sind, feste Wurzel fassen. Da die
Thesen nicht zur Abstimmung bestimmt waren, wurde ein Beschluss
nicht gefasst.
Es folgte der Vortrag von Hofrath Professor Dr. M eiding er-
Karlsruhe über das Thema: Die Gasheizung im Vergleich
zu anderen Einzel-Heizsystemen.
Der Redner gab der Ansicht Ausdruck, dass die Gasheizung
alle anderen Heizarten überflügele und schliesslich Allgemeingut
werden würde. Wenn auch die Wärmeentwicklung des Steinkohlen¬
gases verglichen mit der der Steinkohlen und des Coaks bedeutend
geringer sei, so können diese Mehrkosten durch die Raschheit der
Wirkung und der Regulirbarkeit der Gasheizung wieder aus¬
geglichen werden. Besonders eingehend verbreitete sich Redner
über die Behauptung, dass glühende Heizwände bei Oefen jeder
Art als hygienisch durchaus unbedenklich anzusehen seien. Der¬
selbe legte der Versammlung schliesslich folgende Schluss¬
sätze vor:
1. Das Steinkohlengas ist bei uns für gleiche Wärmeentwicklung fünf¬
biß siebenmal so theuer wie Steinkohlen oder Coaks und doppelt so theuer
wie Holz. Guten eisernen Oefen mit Dauerbrand gegenüber kommt die Gas¬
heizung in entsprechendem Yerhältniss theurer.
2. Ein Gasofen kann nicht mehr Wärme entwickeln als frei brennende
Flammen; bei nicht abziehenden Verbrenn ungsproducten kann der Ofen somit
nur die Bedeutung der Decoration oder Garnitur zum Schutz gegen Brand
haben. Der Ofen kann jedoch die Verth ei lung der Wärme in Bezug auf
Decke und Fussboden modificiren.
3. Bei vollständiger Verbrennung des Gases kann das Ausströmen
seiner Verbrennungsproducte aus dem Ofen in die Wohnräume an sich als
ebenso unbedenklich angesehen werden, wie das offene Brennen der Leucht¬
flammen. Für deren Abführung in das Kamin sollte gleichwohl Vorsorge
getroffen sein, namentlich für die Fälle, wo längere Zeit hindurch geheizt
wird und grössere Mengen Gas gebrannt werden.
4. Die schätzenswerthen Eigenschaften '-der Gasheizung bestellen i\äcks£ ';' \ ,
ihrer Reinlichkeit insbesondere in der fiabchhbfr ihrer Wirkung.und injlntej ; ;
vorzüglichen Regulirbarkeit; ihre Mehrkosten ge^evüber der Heizung mit
Digitized by
Google
22
den festen Brennstoffen können sich dadurch bedeutend mindern, in gewissen
Fällen fast verschwinden, namentlich im Vergleich mit Holzheizung.
5. Einem Gasofen kann nur, ganz aus Eisen hergestellt, innere Berech¬
tigung zugestanden werden.
6. Glühende Heiz wände sind bei Oefen jeder Art als hygienisch durch¬
aus unbedenklich anzusehen.
7. Es ist bei Oefen irgend welcher Art unstatthaft, Vorzüge einer be¬
sonderen Art der Wärmeabgabe allgemein geltend zu machen: grosse wie
geringe Strahlung, grosse wie geringe Luftheizung können je nach Umständen
angenehm bezw. vortheilhaft, wie das Gegentheil sein. Von einer günstigen
Circulation der Luft in Wohnräumen bei der Heizung kann man nicht
sprechen.
In der sich hieran schliessenden Discussion wurden einzelne
Ausführungen des Redners scharf angegriffen, besonders der Schluss¬
satz 6, welcher glühende Heizwände als hygienisch unbedenklich
bezeichnet Durch den Gemeindebevollmächtigten Director Krell
(Nürnberg) und Ingenieur Mährlin (Stuttgart), deren Gegen¬
äusserung Referent im Laufe der Discussion nicht in der Weise
entkräften konnte, dass der Schlusserfolg auf seiner Seite zu be¬
trachten sein dürfte.
Da die Schlusssätze nicht zur Abstimmung bestimmt waren,
wurde ein Beschluss nicht gefasst.
Den letzten Vortrag auf der diesjährigen Versammlung hielt
Geheimer Rath Prof. Dr. Flügge-Breslau über die Hygienische
Beurtheilung von Trink- und Nutzwasser.
Der Redner hatte folgende Schlusssätze aufgestellt:
1. Die bis jetzt übliche hygienische Begutachtung der Wässer lediglich
auf Grund der chemischen, bakteriologischen und mikroskopischen Unter¬
suchung eingesandter Proben ist fast in allen Fällen verwerflich.
2. Die einmalige Prüfung eines Wassers auf seine hygienische Zu¬
lässigkeit als Trink- oder Brauchwasser muss vor Allem durch Besichtigung
und sachverständige Untersuchung der Entnahmestelle und der Betriebsanlage
erfolgen. In manchen Fällen liefert diese Prüfung allein bereits eine Ent¬
scheidung. Meistens ist eine Ergänzung durch grobsinnige Prüfung des
Wassers, sowie durch die Eisen- und Härtebestimmung wünschenswerth;
selten ist eine weitergehende chemische, bakteriologische oder mikroskopische
Untersuchung zur Sicherung der Resultate erforderlich. — Bei Neuanlagen
von centralen Grundwasserversorgungen muss man sich mit besonderer Sorg¬
falt von der Keimfreiheit des betreffenden Grundwassers vergewissern.
3. Zur fortlaufenden Controle von Wasserversorgungen, deren An¬
lage und Betrieb bekannt ist, eignet sich die bakteriologische, zuweilen auch
die chemische Analyse einwandfrei entnommener Proben. Die hygienische
Bedeutung auffälliger Resultate der Analyse ist meist nur aus einer wieder¬
holten Besichtigung und Untersuchung der Versorgungsanlage zu entnehmen.
Diese in den Schlusssätzen niedergelegten Ansichten begründete
F c lttg&e f .in r 3ehr« interessanter Weise; dieselben weichen von den
bis jotzt. rjr" D^ütechlaiid ; in- d$r? JPraxis vertretenen Anschauungen
über dep Wpctb der.jcjipmischen und auch bakteriologischen Unter-
Digitized by ^.ooQle
23
8uchung des Wassers sehr wesentlich ab. Diese Frage ist für die
Handhabung der Gesundheitspolizei mit Hinsicht auf die Entschei¬
dung über gesundheitgefehrdendes Wasser so wichtig, dass auf
den demnächst erscheinenden ausführlichen Bericht über die Ver¬
sammlung in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege
verwiesen werden muss.
Ausser an dem sehr gelungenen Empfangsabend im Stadtgarten
vereinigten sich die Mitglieder mit ihren Damen am ersten Ver¬
sammlungstage zu einem Festessen im Fürstenbau; am zweiten
Abende nach einer langen Rundfahrt zum Zwecke der Besichtigung
hygienischer Anlagen (Wasserleitung, Baucolonie Ostheim, Armen¬
bauten) im Jägerhofe auf dem Hasenberge. Am dritten Tage folgte
die Versammlung einer Einladung Sr. Majestät des Königs auf dem
Sommerschlosse Wilhelma, und brachte sodann den Abend im Kur¬
hause in Cannstadt zu. Am 14. September fand ein Ausflug nach
Tübingen und Bebenhausen statt; an letzterem Orte wurde das Jagd¬
schloss des Königs von Württemberg besichtigt, in Tübingen dieu
neuen klinischen Anstalten.
Die Versammlung in Stuttgart hat nach jeder Hinsicht hin in
hohem Maasse befriedigt; der wissenschaftliche Theil zeichnet sich
durch vorzügliche Referate und sachgemässe Discussion aus; zur
Erholung der Gäste hatte die Stadt Stuttgart, sowohl die städtische
Verwaltung als auch die Bürgerschaft, in der liebenswürdigsten
Weise gewetteifert.
Ueber die mit der Versammlung verbundenen hygienischen
Ausstellung folgt ein besonderer Bericht.
Lent. Stübben. Unna.
Das Königliche Lymphe-Erzeugungs-Institut
für die Eheinprovinz im neuen städtischen
Vieh- und Schlachthofe der Stadt Köln.
Von
Sanitätsrath Dr. Vanselow, Director der Anstalt.
(Mit 2 Abbildungen.)
Die staatliche Anstalt zur Bereitung thierischen Impfstoffes für
den Bedarf der Rheinprovinz und der hohenzollerischen Lande
wurde zu Köln im Jahre 1889 errichtet Die Räume auf dem alten
Schlachthofe, welche bis zum Jahre 1895 benutzt werden mussten,
Digitized by v^ooole
24
waren äusserst mangelhaft, eng, feucht und dunkel und Hessen eine
praktische, einheitliche Anordnung vermissen. Beim Bau des neuen
Vieh- und Schlachthofes wurde von vornherein eine zweckmässige
Anlage für die Lymphe-Erzeugung in's Auge gefasst und so ent¬
stand das jetzige Institut, welches allen Anforderungen der Hygiene
entspricht und mit Recht als Prototyp einer derartigen Anstalt be¬
trachtet wird.
Die Anlage befindet sich an dem einen Ende eines grossen
Rinderstalles, so dass beide eine gemeinsame Wand haben und die
Anstalt eine Kopfstation dieses Stalles bildet. Die Hauptfront sieht
nach Norden, so dass sämmtliche Räume, da nur an der Frontseite
Fenster sich befinden, gleichmässig vertheiltes Licht von Norden
erhalten. Das Gebäude ist völlig massiv erbaut, mit Pappe ge¬
deckt, aber nur zum geringsten Theil an der östlichen Seite unter¬
kellert. Da jedoch das ganze Terrain angeschüttet ist und nur
absolut trockenes und durchlässiges Material zur Anschüttung ver¬
wendet wurde, ist ein Feuchtwerden der Räume nicht zu befürchten.
Ip dem Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich der Corridor,
das Impfzimmer, der Kälberstall, der Schlachtraum, das Aerzte-
zimmer, das Schreibzimmer und das Closet.
Im ersten Stockwerk, zu welchem vom Impfzimmer aus eine
bequeme Wendeltreppe führt, liegt das Laboratorium, an welches
sich zu beiden Seiten je eine grosse Bodenkammer anschliesst. Der
Eingang zum Gebäude liegt an der Strasse und gestattet den Ein¬
tritt, ohne dass man den Viehhof zu betreten braucht, da die dem
Eingang zugehörige Wand continuirlich in die Umschliessungsmauer
des Viehhofes übergeht. Die Kälber werden durch die Thüre des
Sch lach traumes, welche an der entgegengesetzten Seite liegt, der
Anstalt zugeführt.
Während die Fussböden des Schlachtraumes, des Kälberstalles,
des Impfraumes und des Laboratoriums cementirt sind, ist das
Aerztezimmer und die Schreibstube parquetirt, der Corridor und das
Closet mit Mettlacher Fliessen ausgelegt, endlich die Dachkammern
mit hölzernen Dielen versehen. Im Schlachtraum, Kälberstall und
im Impfraum ist der Fussböden nach einer bestimmten Richtung
hin leicht geneigt; am tiefsten Punkte befindet sich eine Abfluss¬
öffnung, welche durch einen Geruchsverschluss abgeschlossen wird.
Die Höhe der Erdgeschossräume ist 3V2 in, nur der Impfraum
hat eine solche von 4 V 2 m, die Höhe des Laboratoriums 3 V 2 m.
Sämmtliche Räume des Erdgeschosses sind mit flachen massiven
Tonnengewölben überwölbt Laboratorium und Boden haben Balken¬
lage und Holzdeckung. Der Impfsaal, der Kälberstall und das
Closet sind in einer Höhe von IV2 m vom Fussböden an allen vier
Seiten mit einer Bekleidung von weissen Milchglasplatten umgeben,
Digitized by v^ooQle
25
Digitized by <^.ooQLe
26
'V\'C
A4,
der Schlachtraum an drei
Seiten (der Thürraum ist
ausgeschlossen) in eben
Bolcher Höhe von weissen
Thonplatten. Der Rest der
Wände in diesen Räumen
ist mit weisser (Emaille-)
Porzellanfarbe gestrichen.
Das Aerzte- und das
Schreibzimmer haben mit
Tapeten bekleidete Wän¬
de. Im Laboratorium und
Corridor sind die Wände
mit Oelfarbe gestrichen.
Das Impfzimmer ist mit
einem 4 m breiten und
3 m hohen Fenster tag¬
hell erleuchtet. Das ein¬
fallende Licht wird von
den glänzend weissen
Wänden stark reflectirt.
Das Laboratorium hat 3,
der Kälberstall 2, Arzt-
und Schreibstube je 1
grosses Fenster, Closet
und Schlachtraum haben
kleinere Fenster. Sämmt-
liche Räume sind aber
ausreichend hell.
Der Kälberstall ent¬
hält 11 Stände, welche
zur Aufnahme der Kälber
bestimmt sind, 6 resp. 5
zu den Seiten des Mittel¬
ganges. Die Stände stehen
frei im Raume, so dass
nirgends die Wand zur
Begrenzung dient und
man frei um alle Stände
herumgehen kann; sie
sind je 70 cm breit und
150 cm lang. Die Um¬
grenzung und gegen-
Digitized by ^.ooQle
27
seitige Abgrenzung wird durch Eisengitter gebildet; an den beiden
Schmalseiten eines jeden Standes befindet sich je eine Thüre, so
dass die Kälber nach beliebiger Seite hinein- und hinausgeführt
werden können. Die Gitter sind mit hellgrauer Oelfarbe gestrichen,
so dass jeder Schmutzfleck sofort erkannt und entfernt werden
kann. Auf dem Boden der Stände liegen Holzroste. An der Stelle
welche dem 12. Kälberstande entsprechen würde, befindet sich eine
versenkte Brückenwaage mit dem oben geschilderten Gitter um¬
geben; diese Waage gestattet die Wägung des Kalbes, während
dasselbe hindurchgeführt wird. Der ausgehöhlte Raum, in welchem
sie steht, hat ebenfalls einen Geruchsverschluss. Die Ventilation
des Stalles wird durch einen grossen, durch den entsprechenden
Bodenraum geführten Sauger vermittelt. Der Impfsaal hat Klappen¬
ventilation im Fenster, wie auf dem Plan ersichtlich ist. Zwischen
Kälberstall und Impfraum befindet sich ein doppeltes Thüren-
system, von welchem das eine stark gepolstert ist Thtiren,
Polsterung und die Zwischenluftschicht isoliren den Impfraum gegen
Geruch und Geräusch. Das Closet ist ein sog. „Unitas tt -Closet. Die
Wasserversorgung geschieht durch die städtische Leitung und ist in
jedem Raume eine Wasserentnahmestelle vorgesehen. Die Beleuch¬
tung ist elektrisch, nur im Laboratorium ist Auer’sches Glühlicht
vorgezogen worden.
Die Heizung wird durch amerikanische Oefen bewirkt; für das
Aerztezimmer ist aus Zweckmässigkeitsgründen ein Gasofen be¬
stimmt. Für die Erwärmung des Wassers und der Milch dienen
grosse Gaskocher. Für die Aufbewahrung grösserer Lymphe¬
mengen ist der Anstalt ein genügend grosser Raum in dem zum
städtischen Schlachthofe gehörenden Kühlhause reservirt.
Das Mobiliar der Anstalt ist den schönen Räumen entsprechend
in würdiger Ausstattung beschafft worden und besteht durchweg aus
eichenem Material. Das Laboratorium ist vollständig zu eingehenden
bakteriologischen Untersuchungen eingerichtet, besitzt sämmtliche
Sterilisationsapparate, Thermostaten, ausgezeichnete Mikrotome,
Mikroskop, Centrifuge u. s. w.
Den Umfang der Leistungen kann man aus der Menge des
versandten Impfstoffs entnehmen; es wurden im Jahre 1894 circa
356 000 Portionen Lymphe versandt, in diesem Jahre wird die Zahl
400000 fast erreicht werden.
Digitized by
Google
28
Kleinere Mittheilnngen.
Herr Prof. Dr. Stamm er meint in der Chemiker-Zeitung 1895,
19, 1899, in den verschiedenen
Lebensbeschreibungen Pasteur's
schienen ihm dessen grundlegende Entdeckungen, die zur Bakterio¬
logie und namentlich zur Erkenntniss des Wesens der Fäulniss führten,
nicht hinreichend hervorgehoben zu sein. Wahrscheinlich sei es das
Jahr 1858 gewesen, in welchem Pasteur entdeckt habe, dass Fleisch,
Fleischbrühe etc. nicht faulten, wenn die Luft, die man dazu gelangen
lässt, vorher durch Baumwolle filtrirt wird. Und dadurch sei (von
Pasteur) bewiesen worden, dass die Fäulniss durch feste, in der
Luft schwebende Körperchen erregt werde.
Die Entdeckung, dass Fäulniss von diesen lebenden Körperchen
erregt wird, stammt keineswegs aus dem Jahre 1858, sondern aus
1837; sie gehört auch nicht Pasteur an, sondern dem deutschen
Physiologen Th. Schwann (geb. zu Neuss 1810, gest. zu Cöln als
Professor in Lüttich 1882). Hier der Beleg dafür; er steht unter der
Ueberschrift: „Vorläufige Mittheilung über die Weingährung und Fäul¬
niss“ in den „Annalen der Physik nnd Chemie 1837, 41, 184“. Da
heisst es aus Schwan n’s Feder wörtlich, und zwar auf Grund von
exacten Versuchen:
„Ich bemerke hier nur, dass die Versuche, wenn man sie vom
Standpunkte der Gegner der Gen. aequivoca betrachtet, sich so er¬
klären lassen, dass die Keime des Schimmels und der Infusorien, die
nach dieser Ansicht in der atmosphärischen Luft enthalten sind, beim
Ausglühen zerstört werden. Alsdann muss die Fäulniss so
erklärt werden, dass diese Keime, indem sie sich ent¬
wickeln und auf Kosten der organischen Substanz er¬
nähren, eine solche Zersetzung in dieser hervorrufen, wodurch die
Phänomene der Fäulniss entstehen. Es kann natürlich hier nur die
Rede sein von der gewöhnlichen, bald nach dem Tode eintretenden
Fäulniss.nicht Von all den mannigfaltigen Processen, die man
unter dem Namen Fäulniss zusammengefasst hat, z. B. Moderbildung,
Braun- und Steinkohlenbildung etc.“
Die Abbildung des Apparates, worin die geglühte Luft zur Ver¬
wendung kam, um so alle niedersten Organismen auszuschliessen, ist
beigegeben.
Im Jahre 1836 hatte Th. Schwann entdeckt und auf der Natur¬
forscherversammlung in Jena (September desselben Jahres) demonstrirt,
dass der von ihm beschriebene Hefepilz die Ursache der Alkohol-
Digitized by v^ooQle
29
gährung sei. Zwei Monate nachher erschien aus Frankreich die Mit-
theilung, dass ungeföhr gleichzeitig mit Schwann dasselbe Cagniard-
Latour gefunden habe. Ebenfalls 1886 beschrieb Fr. Schulze (gest.
als Professor der Chemie in Rostock) und illustrirte es durch Abhilden
seines Apparates, dass leicht fäulnissfähige Flüssigkeiten absolut ge¬
schützt blieben durch Erhitzen und dann folgendes Einsaugen von Luft,
die durch Schwefelsäure und Kalilauge hindurch gegangen war 1 ). Er
schloss daraus, das geschehe so, dass „alle in der Luft befindlichen
lebendigen oder lebensfähigen Theilchen von der Schwefelsäure auf¬
genommen und sofort zerstört werden“.
Diese grundlegenden Versuche der beiden Forscher wurden bald
von einer Reihe anderer, mit wesentlich demselben Erfolg, in Deutsch¬
land wiederholt und weiter entwickelt Ich nenne nur H. Schröder
und Th. v. Dusch in Heidelberg. Ihre erste Abhandlung vom Jahre
1854 sagt uns schon in ihrem Titel, was wir von den landläufigen
Behauptungen hinsichtlich der französischen Priorität dieser schönen
und hochwichtigen Entdeckung zu halten haben. Er heisst: „Ueber
Filtration der Luft in Beziehung auf Fäulniss und Gährung.“ Die
Abhandlung steht in den „Ann. Chem. Pharm. 1854. 89. 232“. Und
wenn wir nach dem Filtrationsmittel sehen, so finden wir, dass
Schröder und v. Dusch, nicht Pasteur, es waren, die zuerst
von der Baumvolle Gebrauch machten. Hier einige Belege:
„Wir wählten als Fitrationsmittel zunächst Baumwolle, weil
von ihr bekannt ist, dass sie ansteckende Krankheitsmiasmen auf ihrer
Oberfläche zurtickzuhalten und weithin zu verschleppen im Stande ist.“
„Mit Wasser frisch abgekochtes Fleisch fault nicht und frisch
abgekochte Fleischbrühe bleibt während mehrerer Wochen völlig un¬
verändert, wenn nur solche Luft Zutritt hat, welche vorher durch
Baumwolle filtrirt worden ist.“
„Frisch gekochte süsse Malzwürze, mit etwas Hopfen versetzt,
welche nur sehr schwach sauer reagirte, erhielt sich im Filtrirapparat
28 Tage lang ganz unverändert. Die Flüssigkeit war wie von Anfang
vollkommen klar . . . von süssem Geschmack und von schwach saurer
Reaction wie vor dem Versuche. . . . Durch diesen Versuch glauben
wir festgestellt zu haben, dass eine süsse gährungsfähige Malzwttrze
durch Wochen völlig unverändert bleibt, wenn nur solche Luft Zutritt
hat, welche vorher durch Baumwolle filtrirt worden ist.“
Diese paar Proben, die ich leicht vermehren könnte, dürften ge¬
nügen, um uns auch betreffs Anwendung der Baumwolle als Filtrir-
mittel ftlr die Luft ins Klare zu setzen und festzustellen, wer das
„entdeckt“ hat. Wer die ganze Sachlage zusammengefasst lesen will,
dem empfehle ich die aus meinem Institut hervorgegangene Doctor-
i) Ann. Phys. Chem. 1836. 39, 487.
Digitized by v^ooQle
30
dUsertation, die nach den Quellen bearbeitet ist und diese citirt:
„C. Ingenkamp, Die geschichtliche Entwicklung unserer Kenntniss
von Fäulniss und Gährung. Bonn 1885“ 1 ). Sie enthält auch eine
Tafel Abbildungen der Apparate von 1886. Jeder Leser wird ihrem
Schlusssätze zustimmen: „Die grundlegenden Entdecker davon, dass
Fäulniss und Gährung von lebenden, niedersten Organismen erzeugt
werden, sind Fr. Schulze, Th. Schwann und Cagniard-Latour,
1886—1837; der erfolgreichste Vertheidiger und Förderer des Ent¬
deckten ist L. Pasteur von 1857 an.“
Mit der Bitte um gefälligen Abdruck in der „Chemiker-Zeitung“
Bonn, 30. October 1895.
Pharmakolog. Institut der Universität.
Ihr sehr ergebener
Prof. Dr. C. Binz.
(Chemiker-Zeitung 1895, Nr. 89.)
Neue Schulbank von W. Rettig , städtischem Oberbaurath
zu München a. D.
Den vielen Banksystemen, welche in den Schulen zur Verwendung
gelangen, und bei welchen bekanntermaassen Vorzüge und Nachtheile
mehr oder weniger zu Tage treten, schliesst sich ein ganz neues an,
welches den Oberbaurath a. D. Rettig zu München zum Erfinder
hat, und was in mancher Beziehung wohl Beachtung verdienen dürfte,
da es bezüglich der praktischen Handhabung sowie in sanitärer Hin¬
sicht einen Fortschritt zeigt.
Das neue System kennt nur eine Anordnung von je zwei Sitzen
bei einer Gangbreite von 40 cm. Sie ist getroffen, einestheils um dem
Lehrer zu ermöglichen, an jeden seiner Schüler herantreten zu können,
andemtheils um Ein- und Austritt der letzteren auf die einfachste
Weise sich vollziehen zu lassen; schliesslich noch aus constructiven
Gründen, da die Bänke auf eine besondere Art am Fussboden befestigt
sind, so zwar, dass sie bei einem Gewichte von nur 35 kg pro Bank
leicht umzulegen sind, und dadurch die Möglichkeit geboten wird, den
Saalboden auf dieselbe gründliche Weise zu reinigen, wie dies bei den
Räumen einer Privat wohnung üblich. Auch werden die aufsichtführen-
den Lehrer dadurch jederzeit in der Lage sein, eine Controle über
die Arbeit der mit der Reinigung betrauten Personen auszuüben. Die
Befestigung der Bänke wird mittelst durchlaufender Schienen und
zweier Gelenkstücke bewerkstelligt, in denen sie sich nach der den
Fenstern abgewendeten Seite drehen, wobei eine sinnreiche Klemm¬
vorrichtung den Unfug hindert, welcher von den Schülern mit diesen
*) Ztschr. klin. Med. 1885. 10, 50—107.
Digitized by ^.ooQle
31
Einrichtungen verübt werden könnte, und nur das Umlegen einer
ganzen Reihe von hintereinanderstehenden Bänken zulässt.
Eine weitere Neuerung besteht darin, dass die Ftisse der Schüler
beim Sitzen den Boden des Schulzimmers nicht mehr berühren, sondern *
auf einem 19,5 cm über demselben befindlichen durchbrochenen Holz¬
roste ausruhen; der Ansammlung des von den Schulhöfen eingebrachten
Schmutzes und der Bildung von Feuchtigkeit am Boden des Schul¬
zimmers bei nassem Wetter wird dadurch entgegengetreten, das Aus-
trocknen des Schuhwerkes durch allseitige Luftcirculation befördert.
Die gewählte Construction bedingt damit eine auffallende Höhe des
Sitzes für die Kinder, allein es wird gleichzeitig erreicht, dass die¬
selben ohne Biegung des Standbeines und ohne Krümmung des Körpers
ihren Platz einnehmen und verlassen können, nicht nur bei Beginn
und Schluss des Unterrichts, sondern auch während desselben, beim
Aufruf durch den Lehrer. Wollte der Schüler sich in der Bank auf
dem Roste erheben, so würde er durch die Pultkante behindert sein,
und den hinter ihm Sitzenden die Aussicht nach der Tafel hin be¬
nehmen. So tritt er frei seitlich in den Gang ein, und belässt dem
Lehrer die vollständige Uebersicht der Klasse; soll letztere insgesammt
auf kurze Zeit aufstehen, so treten beim Erheben von den Sitzen die
Schüler mit einem Fusse in den Gang, während der andere auf dem
Roste verbleibt. Einen weiteren Vortheil gewährt die erhöhte An¬
ordnung der Sitze insofern, als der Lehrer der Unbequemlichkeit des
Niederbeugens zu den kleineren Kindern in etwa enthoben ist.
Die Construction der Bänke selbst bei + 0 Distanz ist eine ein¬
fache, solide, ohne allen Mechanismus. Enger Lehnenabstand und
schmaler Sitz zwingen den Schüler zu gerader Haltung, ohne dass
eine Ermüdung eintreten kann; Ausbauschung der Lehne und Aus¬
höhlung des Sitzbrettes, der Rücken- und Gefässbildung entsprechend,
tragen hierzu wesentlich bei.
Zur weiteren Erläuterung mögen die Maassangaben der neun ver¬
schiedenen Bankgrössen dienen: Sitzhöhe (über Rost) 28,7—52,5 cm,
Pulthöhe (desgl.) 52,8—90,0 cm, Sitzbreite 18,4—80,8 cm, Pultplatten¬
breite 31,0—40,0 cm, Gesammttiefe der Bänke 61—82,3 cm bei einer
durchgehenden Breite von 116 cm. Der Preis stellt sich auf durch¬
schnittlich 11 Mark für den Sitzplatz (frei Berlin W., Behrenstrasse 54,
bei Bezug durch Architekt S. Johs. Müller).
Was der Einführung der Rettig 7 sehen Bänke wohl hinderlich sein
könnte, ist der Umstand, dass die Anordnung der Zwischengänge ein
grösseres Breitenmaass der Klassenzimmer erheischt (7,20 m) als das
gewöhnlich zur Anwendung gebrachte, damit im Zusammenhang stehend
schwerere Constructionen zur Bildung von Fussboden und Decke, sowie
vermehrte Fensterfläche. In neu zu erbauenden Gebäuden ist das
Alles zu erreichen, bei bestehenden von geringeren Abmessungen wird
Digitized by
Google
32
es nicht möglich sein, nach dem neuen System so viel Sitzplätze zu
schaffen, dass sie die bereits vorhandene Zahl der Kinder aufnehmeii
können, zumal wenn es sich um Ersatz von vier- oder fünfsitzigen
Bänken handeln sollte.
Ob das neue System den Anforderungen der Schule — nament¬
lich auch der Mädchenschule — in weitgehendstem Maasse entspricht,*
ob die Erwartungen des Erfinders sich verwirklichen werden, vermag
allein die Praxis zu bestätigen. Jedenfalls lässt sich nicht verkennen,
dass seine Arbeit auf langjährige Studien, allerwärts gesammelte An¬
gaben und Erfahrungen sich gründet, die Mängel der bisherigen Bank¬
systeme zu vermeiden, anerkannte Vorzüge zu verwerthen erstrebt, und
somit als ein sehr schätzbarer Beitrag zur Lösung der „Schulbank¬
frage“ sich darstellt. Stadtbaurath Hei mann.
The report of the royal oommission of tuberculosis. (The Lancet 3739.)
Für das Studium der Tuberkulose wurde im Jahre 1890 eine
königliche Commission eingesetzt, die nach dem Tode des Präsidenten
derselben, Lord Basing, im Jahre 1894 neu gebildet wurde und aus
den Mitgliedern G. Buchanan, Professor Browne, Dr. Payne und
Professor Burdon Sanderson bestand. Der Bericht dieser Commission
wurde im April 1895 dem Parlament übergeben und behandelt folgende
Punkte:
1. Einfluss tuberkulöser Nahrung auf Thiere und auf den Menschen.
Durch zahlreiche Experimente ist festgestellt, dass Thiere durch tuberku¬
löse Nahrung inficirt werden können, und es ist wegen der Gleich¬
artigkeit des pathologischen Prozesses zweifellos, dass auch Menschen
auf diesem Wege sich Tuberkulose zuziehen können. Die Eingeweide-
Tuberkulose der Kinder ist wahrscheinlich in sehr vielen Fällen auf
den Genuss von Milch tuberkulöser Kühe zurtickzuführen.
2. Vorkommen der Tuberkulose bei Thieren, die zur Nahrung
dienen, und Mittel, dieselbe zu erkennen. Hier sind in erster Linie
die statistischen Aufstellungen der Schlachthäuser von Kopenhagen und
Berlin zu beachten. Nach diesen Aufstellungen fand sich Tuberkulose
in Kopenhagen (1890—93) und in Berlin (1892—93) bei Ochsen und
Kühen in 17,7 und 15,1 °/o, bei Schweinen in 15,3 und 1,5 °/o, bei
Kälbern in 0,2 und 0,23 °/o, bei Schafen in 0,0003 und 0,003 °/o.
Unter den diagnostischen Mitteln ist in erster Linie das Koch’sehe
Tuberkulin zu nennen, das, richtig angewandt, nur sehr selten im
Stiche lässt.
3. Unter welchen Umständen können durch das Fleisch und die
Milch tuberkulöser Thiere Gefahren für den Menschen entstehen?
Im Fleisch findet sich nur selten tuberkulöse Materie, sondern zu¬
meist in den Eingeweiden, Drüsen und Membranen. Das Fleisch kann
aber durch schmutzige Hände, Messer u. s. w. inficirt und dadurch
Digitized by
Google
83
gefährlich werden. Es ist daher vorsichtiges Entfernen der tuberkulösen
Theile nothwendig und bei fortgeschrittener, allgemeiner Tuberkulose
muss das ganze Thier vernichtet werden.
Die Milch ist nur dann gefährlich, wenn sie von Thieren mit
tuberkulösen Eutern herstammt, ebenso Butter die von solcher Milch
hergestellt wird.
Während durch Kochen die Tuberkel-Bacillen in der Milch sicher
vernichtet werden, ist dies beim Fleisch nicht so sicher, hier dringt die
Hitze oft nicht tief genug in das Innere des Stückes ein, um alle
.Bacillen zu zerstören. Pröbsting.
Literaturbericht.
Aug. Gärtner, Leitfaden der Hygiene. Berlin, S. Karger, 1896.
Gärtner’s Leitfaden für Hygiene liegt jetzt in der zweiten Auf¬
lage vor. Bei gleicher Anordnung des Stoffes hat eine ausgiebige
Durcharbeitung stattgefunden. Eine gründliche Umarbeitung haben
besonders die Abschnitte über Wärmeregulation, Wasserversorgung,
Wohnungen und Städteanlagen, Gewerbehygiene und über Infections-
krankheiten erfahren. Dem letzten Kapitel ist als Anhang ein neuer
Abschnitt „über Hospitäler“ beigefügt, in welchem die verschiedenen
Bausy8teme von Krankenanstalten, sowie die wesentlichen Anforderungen
an Betrieb und Verwaltung derselben erörtert werden.
Die Ausstattung des Buches ist vorzüglich. Die Zahl der Abbil¬
dungen ist um 40 gegen die erste Auflage vermehrt worden.
Bleib treu (Köln).
8. P. Murphy, The study of epidemiology. (The Lancet 8720.)
Nach einigen einleitenden Bemerkungen bespricht M. zunächst
den Einfluss des Wetters auf einige zymotische Krankheiten. So hat
Körösi für Diphtherie, Scharlach und Masern gefunden, dass die
meisten Diphtheriefälle bei mittlerer Temperatur Vorkommen, grosse
Kälte und grosse Hitze scheinen die Ausbreitung der Krankheit zu
verhindern. Auch beim Scharlach war eine mittlere Temperatur für
die Ausbreitung am günstigsten, während Kälte hindernd wirkte. Ueber
den Einfluss der Luftfeuchtigkeit konnte bei beiden Krankheiten kein
sicheres Urtheil gewonnen werden. In Betreff der Masern ergab die
Untersuchung kein bestimmtes Resultat über den Einfluss von Temperatur
und Feuchtigkeit.
Oentralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 8
Digitized by
Google
34
M. erwähnt dann weiterhin die Untersuchungen von Ransome und
Del öp ine, welche fanden, dass 1. feinzertheilte, tuberkulöse Materie wie
Reinkulturen des Tuberkelbacillus in Tageslicht und in freien Licht-
Strömen rasch die Virulenz verlieren, dass 2. auch im Dunkeln die
frische Luft noch einige desinficirende Kraft hat, wenngleich auch die
Wirkung verlangsamt ist, und dass 3. hei Luftmangel oder in einge¬
schlossener Luft der Bacillus für lange Zeit seine Wirksamkeit behält.
Zum Schluss bespricht dann M. die wichtige Frage, welche Rolle
die Schule bei der Uebertragung und Ausbreitung von ansteckenden
Krankheiten spiele. Hier ist zu erwähnen, dass die Zunahme der
Diphtherie-Sterblichkeit ganz besonders das Alter von 3—10 Jahren
betrifft. Whitelegge fand für Nothingham, dass am Mittwoch Er¬
krankungen an Scharlach seltener Vorkommen wie an den anderen
Tagen und glaubt, dass dies durch die verringerte Infectionsmöglichkeit
am Sonntag zu erklären sei. Scharlach und Diphtherie zeigen für
London eine erhebliche Abnahme in den Sommerferien. In Betreff der
Masern fand Körösi, dass in 9 Jahren mit Beginn der Schule ent¬
weder eine Epidemie oder doch eine erhebliche Vermehrung der Fälle
eintrat. Pröbsting.
Solbrig, Die hygienischen Anforderungen an ländliche Schulen. Nebst
einem Anhang über die hygienischen Verhältnisse der ländlichen Schulen
aus vier Kreisen des Regierungsbezirks Liegnitz. Frankfurt a. M. 1895.
Verlag von Joh. Alt.
Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, die hygienischen An¬
forderungen speciell an ländliche Schulen einer eingehenderen Be¬
sprechung zu unterziehen. Dieselben decken sich ja selbstverständlich
in vielen Punkten mit solcheu für andere Schulen, dagegen hat
manches, was in den Lehrbüchern gemeinsam unter dem Capitel
„Schulhygiene“ behandelt wird, nur Giltigkeit entweder für ländliche
oder für städtische Schulen und ist in Folge dessen eine getrennte
Besprechung der ländlichen Schulhygiene wohl gerechtfertigt.
Das Material zu seinen Aufzeichnungen hat Verfasser aus vier
Kreisen des Regierungsbezirks Liegnitz: Liegnitz, Hirschberg, Hoyers¬
werda und Grünberg, entnommen. Es ergab sich, wie wohl zu erwarten
war, dass manche Mängel in der ländlichen Schulhygiene vorhanden
sind, deren Abstellung ja wohl nicht auf einmal, hauptsächlich wegen
pecuniärer Gründe, möglich ist; jedoch glaubt Verfasser, dass bei einem
consequenten schrittweisen Vorgehen sich manches in der Hygiene
der Dorfschulen erreichen lässt, und wünscht, dass seine Arbeit das
Interesse in bezeichneter Richtung fördern möchte.
Bleibtreu (Köln).
Digitized by
Google
35
Dr. H. Schuschny, Ueber die Nervosität der Schuljugend. Jena, G. Fischer,
1895. 31 S.
In diesen Blättern ist von jeher eine aufmerksame Beachtung den
Bestrebungen zu Theil geworden, die auf eine Verbesserung des Unter¬
richtes und eine Vermeidung der Schäden gerichtet waren, denen unsere
Schuljugend nun einmal ausgesetzt ist. Zunächst waren es die Aerzte,
welche auf die Nachtheile einer gar zu intensiven Betreibung des
Unterrichtes für das Nervensystem der Kinder aufmerksam machten,
und sie haben sich dadurch den Zorn der Herren Pädagogen nicht
wenig auf den Hals gezogen, bis endlich auch aus den Reihen der
letzteren immer mehr Stimmen laut wurden, die einzelne Fehler und
Mängel zugaben und das Gewicht ihres Einflusses für eine zweck¬
entsprechendere Einrichtung des Unterrichtes einsetzten.
Diesmal ist es wieder ein Arzt, der Schularzt und Professor der
Hygiene an der Königl. Ungarischen Staats-Oberrealschule zu Budapest,
der den alten Kampf auf's Neue aufnimmt, und neues Material zur
Stütze der alten Forderungen herbeiträgt.
Gilt es doch bisher noch immer, feste Grundlagen zu beschaffen,
um den Behauptungen, dass man übertreibe und die Schäden mehr
in den Köpfen und dem Nervensysteme der Ankläger als der Schüler
gelegen seien, mit dem sicheren Beweise der Zahlen entgegenzutreten.
Das hat Schuschny gethan, und er versucht seine vier Fragen:
1. Bringt der Schüler seine nervöse Disposition mit in die Schule?
2. Bringt der Schüler Symptome von Nervosität mit in die Schule?
3. Wodurch werden Disposition und Symptome erzeugt?
4. Wodurch wird die Nervosität der Schuljugend verhindert?
an der Hand zahlenmässig belegter Thatsachen zu beantworten.
Zu diesem Zwecke hat er bei 205 Schülern der Königl. Ober¬
realschule zu Budapest den Schädel, das Gesicht in Bezug auf Form
und Asymmetrien, Pupillendifferenz und Form der Pupillen, Strabismus,
Jochbein, Nasenrücken, Form, Winkel und Stellung des Unterkiefers,
Grösse und Form der Ohrmuscheln, Angewachsensein des Ohrläppchens,
die Lippen, Convexität des harten Gaumens, Grösse der Zunge, Form,
Beschaffenheit und Zahl der Zähne, Skoliose, der Gang und schliess¬
lich die Ernährung zum Gegenstände der Untersuchung gemacht, und
er konnte bei 49,5 °/o der Schüler sogenannte Entartungszeichen con-
statiren, d. h. körperliche Abweichungen von der normalen Bildung,
aus denen man den Schluss auf eine erbliche Entartung zu ziehen be¬
rechtigt ist.
Man kann daher dieseu Procentsatz als belastet annehmen und
sagen, dass nahezu 50 °/o der Schüler die nervöse Disposition mit in
die Schule bringen. Noch bedeutender war die Zahl der Schüler, bei
denen Schuschny in der Lage war, Symptome der Nervosität nach¬
zuweisen, wobei er übrigens die erklärende Bemerkung hinzufügt, dass
3*
Digitized by
Google
36
ein grosser Theil aller Schüler, nnd zwar 69,7 °/o, der israelitischen
Religion angehörten nnd daher als besonders erblich belastet anzn-
sehen seien.
Nicht weniger nämlich als 51,7 °/o aller Schüler litten an nervösen
Symptomen, nnd zwar stieg dieser Procentsatz in den vier oberen
Klassen anf 57 °/o, während er in den vier unteren Klassen nur 46,4 °l$
betrug, ein Verhältnis, das direct dem schädlichen Einflüsse der Schule
zuzuschreiben ist.
Die Ursachen der Schulnervosität liegen zum allergrössten Theile
in der Erziehung, und hier wieder vorzugsweise iü dem Genüsse
geistiger Getränke. Nicht oft, nicht laut genug kann von ärztlicher
Seite darauf hingewiesen werden, dass die geistigen Getränke für die
Kinder geradezu ein Gift sind, und ihr Genuss von den verderblichsten
Folgen begleitet ist Wenn auch die Pester Verhältnisse, wo 49,7 °/o
der Kinder alkoholische Getränke geniessen, nicht ohne weiteres auf
uns zu übertragen sind, so geschieht doch auch bei uns in dieser Be¬
ziehung, sei es aus Unverstand oder aus ^Schwäche, mehr als genug,
während für Anderes und Besseres, wie z. B. für Bewegung und frische
Luft, nicht die gleiche Sorge getragen wird.
Neben dieser Hauptschädlichkeit tritt alles andere mehr zurück,
obwohl für die Hausarbeiten und die Ueberbtirdung des modernen
Lehrplanes noch Einiges übrig bleibt. In der Vermeidung dieser
Schädlichkeiten findet die vierte Frage: Wodurch wird die Nervosität
der Schuljugend verhindert? ihre Beantwortung.
Ein grosser Theil der Schüler kommt mit nervöser Disposition in
die Schule, eine Grundlage, auf der nervöse Symptome entstehen. Je
länger der Schulbesuch dauert, um so mehr nimmt die Zahl jener
Schüler zu, die an nervösen Symptomen leiden. Nervöse Erscheinungen
stellen sich aber auch bei solchen Schülern ein, die ohne nervöse Dis¬
position in die Schule kommen.
Da aber die Schule unentbehrlich ist, so müssen wir danach
trachten, dass nervöse Erscheinungen durch sie nicht hervorgerufen
werden, dass die Factoren beseitigt werden, welche sie zeitigen.
Der Kampf gegen die Nervosität muss im Elternhause begonnen
werden durch rationelle Erziehung und Ernährung. Pflicht der Schule
ist es, mitzukämpfen und alles aufzubieten zur Pflege und Erhaltung
der Gesundheit und Lernfähigkeit der Jugend (S. 25). Dies könnte
sie erreichen durch Abschaffung des Fachlehrersystems, Verminderung
der Hausarbeit, grössere Sorgfalt für Turnunterricht, Jugendspiele,
Schwimmen und Ausflüge, Förderung der schulärztlichen Institution,
Verbreitung hygienischer Kenntnisse und insbesondere solcher über die
Gesundheitslehre des Schülers.
Das sind die Ziele, und wenn sie auch zum Theil noch weit¬
gesteckt sind, so ist für den Gewinn, für die Gesundheit der heran-
Digitized by
Google
87
wachsenden Generation, kein Ziel zu hoch oder zu weit, dass es nicht
zu erreichen wäre.
Die vorliegende Schrift schliesst sich einer Reihe von anderen an,
die Merksteine auf dem Wege zu diesem Ziele bedeuten, wir können
sie daher nur mit Freuden begrüssen und zur ernsten Erwägung an¬
empfehlen. P e 1 m a n.
Dr. Enrico Dall’Acqua, Findelhaus und Impfung. Giornale della reale
societä italiana d’igiene. November 1894.
Verfasser geht kurz auf den Werth der Impfung überhaupt und
die Wichtigkeit der Einwände der Impfgegner ein, insbesondere unter
den heutigen Verhältnissen, bei Benutzung animaler Lymphe und Be¬
folgung aller antiseptischen Cautelen auch bei der kleinen Operation
der Impfung. Er betont die Gefahr, welche das Hinausschieben der
Impfung der Säuglinge bis zum 6. oder 7. Lebensmonat sowohl für
diese selbst, wie für die Umgebung darstellt. Die Neugeborenen der
ersten Lebenstage vertragen diesen Eingriff ebenso gut — nach Max
Wolf sogar besser — wie in den späteren Monaten, wenn nur die
nöthigen Vorsichtsmaassregeln nicht ausser Acht gelassen werden. Es
ist zu verlangen, dass
1. sowohl in Instituten wie in der Privatpraxis nicht geimpft wird,
wenn Erysipelfälle in der Umgebung des zu impfenden Säug¬
lings vorgekommen sind;
2. die Nachbehandlung der Impfwunde nicht unwissenden Ammen
und Pflegerinnen überlassen wird;
3. in jeder Jahreszeit und nicht nur ein- oder zweimal im Jahre
geimpft wird.
Der wichtigste Punkt bei der Impfung ist die strengste Asepsis,
insbesondere der Instrumente; ferner ist der Entwickelung der Pustel
Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn in Folge starker Schwellung zu
reichliche Resorption pyrogener Substanzen stattfindet, soll man die
Pusteln durch kleine Stiche öffnen, worauf diese Beschwerden schnell
verschwinden. Die Impflinge soll man sich alle 2—3 Tage zur Unter¬
suchung vorstellen lassen. Dall’Acqua hat unter diesen Vorsichts¬
maassregeln viele hundert Kinder in den ersten Lebenstagen
sowohl in dem ihm unterstellten Institute wie auch in der Stadt (Pavia)
geimpft, ohne jemals nachtheilige Folgen zu beobachten. Er tritt
daher mit Wärme dafür ein, dass dieser Modus allgemein Eingang
finden möge, damit wir dem Ideal eines absoluten Schutzes vor den
Pocken möglichst nahe kommen, während wir heute von diesem Ideal
doch noch recht weit entfernt sind.
Dr. Kronenberg (Solingen).
Digitized by v^ooQle
38
Small-Pox in Oldham in 1803. (The L&ncet 8726.)
Im Ganzen wurden in dem Pocken-Hospital 638 Fälle behandelt,
64 von diesen starben, was eine Sterblichkeit von 10 °/o ausmacht.
Ueber das Verhältniss der Geimpften und Ungeimpften zu den Ge¬
storbenen giebt folgende Tabelle Auskunft.
Aufgenommen
Gestorben
Mortalität
Alter
Geimpfte
Nicht
Geimpfte
Geimpfte J
1
Nicht
Geimpfte
Geimpfte
Nicht
Geimpfte
0- 5
5—15
3 *
561
>115
59)
:}■
i
1 181
»r
>
Sh*
15-25
152
16
3
5
3,0
31,2
25-35
155
21
4
7
2,6
33,3
35-45
79
3
3
6,3
100,0
45 u. höher
37
1
■
1
10,8
100,0
Summe:
472
; 156
17
48
3,6
27,6
10 Fälle waren in Bezug auf Impfung zweifelhaft, von diesen
starben 4 Erkrankte. Den Einfluss des Pockenspitals auf die Umgebung
illustrirt folgende Beobachtung. Im Umkreis von 1 U Meile vom Spital
kamen 12,9 Fälle auf 100 Häuser, 1 U — 1 l 2 Meile 6,6 Fälle, 1 /a—
Meile 2,0, 8 U —1 Meile 1,5 und ausserhalb des 1 Meile-Radius 0,8
Fälle auf je 100 Häuser. Wird diese letztere Zahl (0,8) als Einheit
angenommen, so wächst die Morbidität mit jeder 1 U Meile zum Spital
hin auf 1,9; 2,5; 5,2; 16,1. Pröbsting.
Clarke, The sporozoa of variola and vacoina. (The Lancet 3725.)
Wenn man mit der Spitze eines sterilisirten Messers die Cornea
eines Kaninchens oberflächlich verwundet und auf diese Kratzwunde
etwas Impflymphe bringt, so kommt es zu einer Infection der an¬
liegenden Zellen. 24 Stunden nach der Impfung findet man in den
tieferen Epithelzellen Einlagerungen, die stark lichtbrechend sind und
sich mit einer Reihe von Farben (Hämatoxylin, Carmin, Eosin u. s. w.)
leicht färben lassen.
An diesen Körperchen hat Verf. amöboide Bewegungen wahrge¬
nommen und hält sie daher für intracelluläre Parasiten und zwar fhr
Sporozoen. Pröbsting.
1s infant mortality increasing? (The Lancet 3717.)
The decrease of child mortality. (The Lancet 3718.)
In den letzten 30 Jahren hat die Kindersterblichkeit in England
langsam, aber stetig abgenommen und zwar sowohl der Kinder unter
Digitized by
Google
39
1 Jahr als auch der unter 5 Jahren. In der Deeade 61—70 betrug
die mittlere Jahressterblichkeit bei Kindern unter einem Jahre 154
auf 1000 lebendgeborene Kinder, bei Kindern unter 5 Jahren 68,6 auf
1000. In den folgenden 10 Jahren waren die bezüglichen Zahlen 149
auf 1000 und 63,3 auf 1000, und im letzten Decenium 81—90 war
die mittlere Jahressterblichkeit 142 auf 1000 und 56,8 auf 1000.
In den einzelnen Jahren fanden freilich ganz erhebliche Schwan¬
kungen statt, 1893 war die Sterblichkeit weit über dem Durchschnitt,
1894 dahingegen ganz erheblich unter dem Durchschnitt der letzten
10 Jahre. Bedingt werden diese Schwankungen von dem Stand der
Durchfallserkrankungen, die wieder in hohem Grade von der Temperatur
abhängen. Pröbsting.
The moist summer and its low death-rate. (The Lancet 3716.)
Der Sommer des vorigen Jahres (1894) zeichnete sich durch niedrige
Temperatur, häufige Niederschläge und spärliche Sonnentage aus.
Trotzdem war gerade in den 3 Sommermonaten die Mortalität in Eng¬
land ganz ausserordentlich niedrig und zwar nicht weniger wie 3 auf
1000 unter dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre. Die Sterblichkeit
war zum ersten Mal seit 1837 (der Einführung der Standesregister)
unter 15 auf 1000, sie betrug nämlich nur 14,2 auf 1000. Am Auf¬
fallendsten war die Herabsetzung der Mortalität bei den Kindern, welche
sich durch die niedrige Sterblichkeit an Diarrhoe erklärt. Dabei zeigt
die Diarrhoe-Sterblichkeit in den verschiedenen Gegenden ganz ausser¬
ordentliche Differenzen, so betrug sie z. B. in Halifax nur 0,05, während
sie in Leicester 3,32 und in Preston 4,46 auf 1000 betrug.
Pröbsting.
W. Carr, The starting points of tuberculous disease in children.
(Lancet 3689.)
Die Tuberkulose der Erwachsenen unterscheidet sich von der bei
Kindern hauptsächlich in drei Punkten: erstens in dem Vorwiegen der
Lungentuberkulose, zweitens in der Tendenz, sich zu localisiren, und
drittens in dem sehr geringen Antheil, den die Lymphfollikel an der
Erkrankung nehmen.
Verfasser bespricht an der Hand von 120 Sectionsberichten von
tuberkulösen Kindern diese drei Punkte, besonders den letzteren.
Bei 82 Kindern war die Krankheit mehr oder weniger allgemein
im Körper verbreitet.
Was nun den Ausgangspunkt der Erkrankung betrifft, so konnte
nur bei vier ein Centrum nicht gefunden werden; in elf Fällen be¬
standen in verschiedenen, von einander getrennten Körpertheilen käsige
Herde, bei 13 Kindern waren nur die Drüsen erkrankt, und zwar
7mal die Bronchial-, 5mal die Mesenterialdrüse, lmal beide Drüsen-
Digitized by
Google
40
arten. Von den 92 übrigen Fällen begannen 7 in den Knochen and
Gelenken, 47 in den Brustlymphdrtisen, 18 in den Lungen, 8 in den
Lungen- oder den Brustlymphdrtisen, 6 in den Eingeweiden, 7 in den
Mesenterialdrüsen, 2 in den Halsdrüsen und 2 in der Niere.
In 70 von den 120 Fällen waren somit die Drüsen sicher der
primäre Erkrankungsherd, in 17 weiteren wahrscheinlich. In 79 Fällen
begann die Krankheit wahrscheinlich in den Lungen oder den Bronchial¬
drüsen, in 20 Fällen in den Eingeweiden oder den Mesenterialdrüsen.
Die Erkrankung der Drüsen geschieht zumeist in der Weise, dass die.
Bacillen durch die Lunge oder die Darmwandungen in die Drüse ein-
dringen, sehr viel seltener auf dem Wege der Blutbahnen.
Pröbsting.
E. Squire, The influence of heredity in phthisis.
Um den Einfluss der Erblichkeit bei phthisischen Erkrankungen
genauer zu studiren, hat S. über 474 Familien genaue Untersuchungen
angestellt mit folgendem Resultat:
Kinder
Es starben im
Kindesalter
phthisich
474 Familien.
Totalsumme.
Auf jede Familie.
Totalsumme.
in °/o auf alle
Kinder.
Totalsumme.
in °/o auf alle Kinder
ausgenommen der
im Kindesalter
gestorbenen.
A. 275 Familien, Eltern
nicht phthisisch . .
1745
6,34
193
11,06
386
24,87
B. 84 Familien, Vater
phthisisch.
511
6,08
67
13,11
138
31,8
C. 82 Familien, Mutter
phthisisch.
506
6,17
56
1 11.06
155
34,4
D. 33 Familien, beide
Eltern phthisisch . .
165
5,0
18
10,09
58
39,45
B, C u. D. 199 Familien,
ein oder beide Eltern
phthisisch.
1182
5,93
141
11,92
351
33,71
Auch aus dieser Tabelle ergiebt sich, dass der Einfluss der Erb¬
lichkeit auf die Erkrankung an Phthisis nicht so gross ist, wie man
früher angenommen hat. Pröbsting.
Digitized by
Google
41
Dr. Angelo Floren tini, Die Eutertuberkulose und ihre Bolle bei der
Infection der Milch, nebst einigen Betrachtungen über die in Mailand
Versehrte Milch und praktischen Winken. Giornale della reale societk
italiana d’igiene. Januar 1895.
Verfasser kommt zu folgenden Resultaten: Die tuberkulöse Er¬
krankung der Milchdrüse des Rindviehs tritt in zwei Formen auf:
3. Diffuse Infiltration ganzer Drüsenlappen. Diese Form ist klinisch
und anatomisch nachweisbar.
2. Häufiger ist die Anwesenheit miliarer Tuberkelknötchen in den
Drüsengängen. Diese Form ist in der Regel nur anatomisch
nachweisbar.
Ist die Milchdrüse tuberkulöser Thiere nicht gleichfalls nachweis¬
lich erkrankt, so gelingt es nicht, mit Bestandtheilen dieser Drüse
(Milch, Blut, Gewebstheilen) Meerschweinchen zu inficiren, immer da¬
gegen gelingt es, wenn der tuberkulöse Process die Drüse in Mit¬
leidenschaft gezogen hat.
Verfasser schliesst daraus:
1. Der Koch’sehe Bacillus geht nicht in die Milch über, ohne dass
die Milchdrüse selbst erkrankt ist.
2. Die tuberkulöse Erkrankung der Milchdrüse ist fast immer
secundär, und in der Regel nicht klinisch nachweisbar.
Die praktischen Betrachtungen gipfeln in der Empfehlung des
Tuberkulins zur Diagnose der latenten Tuberkulose des Rindviehs und
in Rathschlägen zur Erlangung einer gesundheitlich zuverlässigen Markt¬
milch. In dieser Beziehung stellt Verfasser als erstrebenswerthes Ziel
hin: Gesundheitspolizeiliche Ueberwachung der Gehöfte, welche Milch
produciren, äusserste Reinlichkeit bei der Melkung und beim Milch¬
transport, strenge Controle der Milchverkaufsstände in den Städten.
Dr. Kronenberg (Solingen).
G. Cornet, Die Prophylaxis der Tuberkulose und ihre Resultate. Berl.
klm. Wochenschrift, 1895, Nr. 20.
Verfasser weist in diesem in der Berliner medicinischen Gesell¬
schaft gehaltenen Vortrag, gestützt auf seine früheren bekannten Ar¬
beiten über die Verbreitungsart der Tuberkulose, nochmals darauf hin,
dass die antibacilläre Prophylaxis keineswegs aussichtslos ist. sondern
dass wir relativ einfache Mittel an der Hand haben, der Verbreitung
der Tuberkulose mit einem gewissen Erfolge entgegenzutreten. Da,
wie Cornet nachgewiesen hat, im Sputum, und zwar im getrockneten
Sputum, die fast einzige Ursache für die Verbreitung der Lungen¬
tuberkulose zu finden ist, so hat unser Bestreben dahin zu gehen, das
Sputum Tuberkulöser unschädlich zu machen. Es bedarf dazu nicht
tief in die socialen Verhältnisse einschneidender Maassregeln, wie sie
von manchen Seiten empfohlen worden sind, sondern das Mittel ist
Digitized by
Google
42
relativ einfach und besteht darin, in der nächsten Umgebung des
Menschen das Sputum an der Vertrocknung zu hindern. So wurde
von Seiten der Directoren von Gefängnissen und Irrenanstalten seit
den Cornet’sehen Veröffentlichungen geeignete, dahin zielende Maass¬
regeln, wenigstens in Preussen, getroffen, und der Erfolg war, dass
die Gefängnisstuberkulose in Preussen seit dieser Zeit auf die Hälfte
gesunken ist und in den Irrenanstalten ebenfalls eine beträchtliche
Abnahme der Seuche sich bemerklich gemacht hat.
Der Einfluss der grösseren Vorsicht in der Behandlung des Aus¬
wurfs Tuberkulöser lässt sich auch deutlich an der Tuberkulose-Sterb¬
lichkeit der katholischen Krankenpflegerinnen nachweisen. Ja, Cornet
geht in seinen Schlüssen noch weiter und behauptet, dass die That-
sache, dass in Preussen r allein vom Jahre 1887—1893 um ca. 70 000
Menschen weniger an Tuberkulose gestorben sind, als nach dem Durch¬
schnitt der früheren Jahre zu erwarten war, mit den seit dieser Zeit
getroffenen prophylaktischen Maassnahmen in ursächlichem Zusammen¬
hänge stehe. B1 e i b t r e u (Köln).
F. Clemow, The recent pandemic of influenza: its plaee of origin and
mode of spread. (The Lancet No. 3673, 3676.)
China, der nördliche Theil der Mongolei und Russland sind als
Ursprungsstätten der letzten Influenzaepidemie angesprochen worden.
Verfasser glaubt, dass die Krankheit von Russland ihren Ausgang ge¬
nommen habe, und weist nach, dass diese dort endemisch sei, wenn
auch nicht in Form von grösseren Epidemien. Besonders in den Gou¬
vernements, welche am Finnischen Meerbusen liegen, kamen im Jahre
1888, also im Jahre vor dem Ausbruch der Pandemie, zahlreiche Fälle
von Grippe vor. So in Esthland 34,1, in Livland 27,4, in Kurland
22,2, in Petersburg 30,6 Fälle von Grippe auf 10 000 der Bevölke¬
rung. Aber auch in den übrigen Theilen Russlands wurden Erkran¬
kungen an Grippe beobachtet.
In epidemischer Form trat jedoch die Influenza zuerst in West-
Sibirien auf und zwar Ende September 1889; von hier aus breitete
sie sich in östlicher, westlicher und südlicher Richtung aus. Verfasser
glaubt, dass die Epidemie bei den Nomadenstämmen, welche die kirgi¬
sischen Steppen bewohnen, ihren Ursprung nahm; positive Beweise
kann er freilich für diese Annahme nicht beibringen.
Was nun die Art der Ausbreitung anlangt, so folgte die Influenza
immer den Verkehrswegen; je besser die Verbindungen waren, um so
schneller reiste auch die Krankheit. Von Petropavlowsk (Provinz
Tobolsk), wo sie zuerst Ende September auftrat, bis nach Petersburg
gebrauchte sie nur einen Monat, während sie in Wladiwostok am Stillen
Ocean erst im Mai auftrat. Daraus geht wohl mit Sicherheit hervor,
dass sich die Krankheit durch Contagien und nicht durch Miasma ver-
Digitized by
Google
43
breitete. Für die erste Art der Verbreitung führt Verfasser dann noch
zahlreiche Beispiele an. Aus dem Umstande, dass sehr häufig zuerst
die Postbeamten erkrankten, glaubt Verfasser den Schluss ziehen zu
dürfen, dass auch durch Briefe und Packete die Krankheit übertragen
werden kann. Pröbsting.
F. Parsons, On the distribution of the mortaiity from infiuenza in
England and Wales during reeent years. (The Lancet 3691.)
Von 1889—94 wurde England von fünf Influenza-Epidemien heim-
gesucht, nämlich Winter 1889—90, Frühjahr und Sommer 1891,
Winter 1891—92, Frühjahr 1893 und Winter 1893—94.
Die erste Epidemie zeichnete sich durch grosse Ausdehnung, rasches
Ansteigen und raschen Abfall aus; die Sterblichkeit war jedoch geringer
wie in den anderen Epidemien. Die zweite Epidemie begann, an¬
scheinend ganz unabhängig von einander, an mehreren Punkten Eng¬
lands. Die Sterblichkeit war eine sehr hohe durch die häufige Com-
plication mit Pneumonie. Die dritte Epidemie brach ebenfalls gleich¬
zeitig an mehreren Punkten Englands aus; auch in dieser Epidemie
war die Sterblichkeit eine ausserordentlich hohe. In London herrschte
sie 6 Wochen, die Sterblichkeit während dieser Zeit tibertraf die zehn¬
jährige Durchschnittssterblichkeit der gleichen Wochen um 5921. Die
vierte Epidemie war milde, die fünfte hatte eine hohe Sterblichkeits¬
ziffer, doch nicht so hoch wie die zweite und dritte. Die Influenza-
Sterblichkeit in London war ftir 1890 = 152, für 1891 = 554, für
1892 = 532 und für 1893 = 347 auf 1 000 000 Einw.; die Influenza-
Sterblichkeitszahlen für ganz England waren fast die gleichen wie für
London. Im Allgemeinen kann man sagen, dafs die Influenza-Sterblich¬
keit in den Bergbau- und Industrie-Bezirken unter dem Durchschnitt,
in den Ackerbau- und den Berg-Bezirken über dem Durchschnitt war.
Was das Alter angeht, so war das erste Lebensalter zunächst in
ziemlich hohem Maasse betheiligt, dann sinkt das Sterblichkeitsverhältniss
und erreicht zwischen 10 bis 15 Jahren das Minimum, steigt darauf
langsam bis zur Lebensmitte an, um nach dieser Zeit eine rasche und
stetige Zunahme zu erfahren. Das weibliche Geschlecht war in ge¬
ringerem Grade bei der Sterblichkeit betheiligt wie das männliche,
nur in den Jahren von 2—3 und von 5—10 überwog das weibliche
Geschlecht in geringem Grade. Pröbsting.
Pielicke, Bakteriologische Untersuchungen in der Influenza-Epidemie
1893 / 94 . Berliner klin. Wochenschr. 1894, Nr. 23.
Während der Influenza-Epidemie 1893/94 wurden im städtischen
Krankenhause Moabit 35 klinisch als Influenza diagnosticirte Krank¬
heitsfälle beobachtet. Verfasser versuchte es, in diesen Fällen mikro¬
skopisch und bakteriologisch Influenzabacillen nachzuweisen. Es gelang
Digitized by
Google
44
ihm aber der mikroskopische Nachweis derselben nur in 15 und der
bakteriologische durch Reinzüchtung auf Blutagar nur in 5 Fällen.
In 20 Fällen, die klinisch das Bild der Influenza darboten, konnten
weder mikroskopisch noch bakteriologisch Influenzabacillen nachgewiesen
werden, wohl aber verschiedene andere Mikroorganismen. So fand sich
in den Fällen, die von einer typischen Lungenentzündung begleitet
waren, der Fränkel’sche Diplococcus pneumoniae; in den von atypischer
Lungenentzündung begleiteten, oft zu schweren Complicationen führen¬
den Fällen wurden dagegen meistens Streptokokken gefunden.
Ein Fall war insofern interessant, als bei der bakteriologischen
Untersuchung des Auswürfs auf Blutagar das Wachsthum von Colonien
beobachtet wurde, welche in ihrem durchsichtigen Aussehen und in
dem alleinigen Wachsthum auf Blutagar vollkommen den Colonien von
Influenzabacillen glichen. Bei der mikroskopischen Untersuchung er¬
gaben sich jedoch Bacillen, die viel länger und dicker waren, als In¬
fluenzabacillen, und ziemlich lange Scheinfäden bildeten, also den
Pfeiffer’sehen Pseudo-Influenzabacillen vollkommen glichen.
Nach dreiwöchentlichem Fortztichten nahmen diese Bacillen aber
so an Grösse ab, dass sie den echten Influenzabacillen gleich waren.
Verfasser kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu folgenden
Schlüssen:
1. Der Influenzabacillus und der P s e u d o - In f 1 ue nza-
bacillus sind identisch.
2. Das klinische Bild der Influenza kann auch durch
andere Bakterien als gerade Influenzabacillen
hervorgerufen werden.
3. Auf der Basis eines Inf 1 u en za- Anf all es kann eine
Streptokokken-Infection eintreten und eine tödt-
liche Lungenentzündung veranlassen.
Dr. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Voges, Beobachtungen und Untersuchungen über Influenza und der
Erreger dieser Erkrankung. Aus dem Stadtlazareth Olivaerthor Danzig.
(Berl. klin. Wochenschr. 1894, Nr. 38.)
Während des Winters 1893/94 konnte Voges im Danziger Stadt¬
lazareth 25 Fälle von Influenza beobachten und sie bakteriologisch
verarbeiten. Da von dem Anstaltspersonal 9 Personen erkrankten,
und zwar nur solche, die mit der Aufnahme der Kranken und Ver¬
waltung der Kleidungsstücke betraut waren, oder denen die Besorgung
der Kleider resp. der Wäsche überwiesen war, während von dem
Warte- und Pflegepersonal auf den Stationen Niemand erkrankte, so
spricht Voges die (wohl etwas zu weitgehende Ref.) Forderung aus,
dass der Wäsche und den Kleidungsstücken der Influenzakranken die-
Digitized by
Google
45
selbe Behandlung zu Theil werden müsse, wie den Kleidungsstücken
der Cholerakranken.
In 15 auf Influenzabacillen untersuchten Fällen konnte der
Influenzabacillus mikroskopisch und bakteriologisch nachgewiesen wer¬
den. Im Blute der Kranken konnte er entgegen Canons Mittheilung
nie gefunden werden.
Die Cultur gelang stets auf Blutagar, niemals auf den andern
üblichen Nährböden und auch nicht im Hühnerei, wo sich die Influenza¬
bacillen wohl 4 Tage lang lebend erhielten, aber nicht vermehrten.
Bei Injection von Influenzabacillen-Aufschwemmungen in die Bauch¬
höhle von Kaninchen und weissen Mäusen wurden profuse Diarrhöen
bei den Versuchsthieren erzeugt, in Folge deren sie schliesslich erlagen,
ohne dass im Blute oder in irgend einem Organe der Thiere die
Influenzabacillen nachzuweisen gewesen wären. Es ist der Tod der
Ver8uchsthiere also als Folge einer Intoxication (Giftwirkung durch
Bakterien -Stoffwechselproducte) und nicht einer Infection (mecha¬
nische Wirkung der Bakterien selbst) aufzufassen.
Dr. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Huber, IJeber den Influenzabaeillus. Zeitschrift für Hygiene und Infections-
krankheiten Bd. XV, Heft 3, S. 453—460.
Die Resultate dieser Arbeit bestätigen vollkommen die bisherigen
Angaben Pfeiffer’s über den Influenzabacillus.
Der Auswurf ist charakteristisch, gelb - grünlich, zäh und ge¬
ballt. In den meisten klinisch als Influenza anzusprechenden Fällen
gelang der Nachweis der Bacillen sowohl mikroskopisch, als auch durch
das Cultur verfahren. Zum Culturverfahren bediente sich H. zunächst
immer des von Pfeiffer angegebenen Blutagars. Uebertragungen auf
Glycerinagar, Gelatine und Bouillon blieben steril.
Im Blute konnte der Bacillus niemals nachgewiesen werden.
Da das Culturverfahren mittels Blutagar oft dadurch unbrauchbar
wird, dass sich dem Blute Verunreinigungen beigesellen, so versuchte
H. ein im Handel vorkommendes Haemoglobinpräparat, das Haematogen-
Hommel. Setzt man dem Agar unter angegebenen Cautelen sterilisirtes
Haematogen zu, so erhält man einen Nährboden, auf welchem die
Influenzabacillen gedeihen. Das Wachsthum ist aber erheblich lang¬
samer als auf Blutagar; dagegen besitzen sie eine erheblich grössere
Lebensdauer. In diesem Nährboden lassen sich auch Stichculturen
erzielen.
Wahrscheinlich wirkt das Haemoglobin nicht als Sauerstoffträger,
sondern in Folge seines Eisengehaltes fördernd auf das Gedeihen der
Influenzacolonien. Dr. Mastbaum (Köln).
Digitized by
Google
46
Caspar, Zur Prophylaxe der Masern (Wernich’s Vierteljahrsschr. für ge¬
richtliche Medizin u. öff. Sanit. 1895, 2, S. 395).
Verfasser stellt die sämmtlichen amtlich zur Kenntniss gelangten
Masernfälle des Regierungsbezirks Stettin vom Jahre 1882 — 1893 zu¬
sammen. Dieselben ergeben 36 990 Masernerkrankungen mit 1090
Todesfällen, also 2,94 °/o. Dieser Procentsatz der Todesfälle war aber
nicht in allen Ortschaften des Regierungsbezirkes gleich, in manchen
stieg er bis 40 °/o. Eine Masernepidemie, in welcher 7 °/o sterben,
will Verfasser nicht mehr als eine gutartige bezeichnen. Bemerkens¬
werth ist es, dass nach dem reichhaltigen Material, welches Verf. zu
Gebote stand, Todesfälle erst zahlreicher ein treten, wenn die Epidemie
ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ganz verwerflich ist, als Prophylaxe
gegen schwerere Erkrankungen absichtlich bei anscheinend leichtem
Auftreten einer Epidemie bei gesunden Kindern eine Ansteckung
durch kranke herbeizuführen, indem man jene zu diesen ins Bett
legt, wie es in alten Zeiten und noch jetzt auf dem Lande geschieht.
Abgesehen davon, dass man niemals mit Sicherheit die Schwere oder
Leichtigkeit der künstlich erzeugten Erkrankung voraussehen kann,
ist auch eine abermalige Erkrankung an Masern bei derselben Person
nach 10, 7, 5 ja sogar nach 3 Jahren wieder möglich. Als Träger
des Ansteckungsstoffes sind zunächst immer Personen, namentlich
Kinder, anzusehen und geschieht diese Ansteckung von Person zu
Person. Im Stettiner Regierungsbezirk war in den 12 Jahren der
Weiterträger der Epidemie häufig in einem erkrankten Kinde nach¬
zuweisen. Ein Fall aus dieser Zeit beweist aber, dass auch Sachen
den Ansteckungsstoff weiterverbreiten können. Ein Fräulein in der
Stadt Greiffenberg erhielt einen Brief von einer Familie in Berlin, in
welcher mehrere Mitglieder derselben an Masern krank waren, ohne
dass in Greiffenberg ein Masernfall vorhanden war. Zwölf Tage nach
Empfang des Briefes erkrankte das Fräulein an Masern. Die Masern¬
epidemien, welche zu jeder Jahreszeit auftreten können, verbreiten sich
sehr langsam von einem Orte (Dorf) zum anderen und folgen nicht
den Eisenbahnlinien. So brauchte eine Epidemie im Stettiner Bezirk,
um von einem Dorfe zu dem 3 Meilen entfernten zu gelangen,
4 Wochen, wozu die lange Incubatiouszeit der Masern viel beiträgt.
Wenn nun auch die Weiterverbreitung der Masern durch Gegenstände,
wie Briefe, erfolgen kann, so ist es doch vornehmlich die Ansteckung
von Person zu Person, welche die Verbreitung begünstigt. Es sind
Hochzeitsfeierlichkeiten, weniger Begräbnisse, Märkte, Schulen und
Confirmandenunterricht, bei welchen diese Ansteckungen erfolgen
können. Alle diese Gelegenheitsursachen treffen Ostern zusammen,
zu welcher Zeit auch die Landleute ihre Einkäufe in der Stadt be¬
sorgen und dort Zusammenkommen. In der That waren gewöhnlich
in den 12 Jahren in dem Stettiner Bezirk die zahlreichsten Er-
Digitized by
Google
47
krankungen an Masern 4 bis 6 Wochen nach Ostern. Dass dies nicht
10 Tage (Incubationsdauer) nach Ostern stattfand, hat seinen Grund
wohl darin, dass'erst von einem Kinde 4 bis 6 und 10 Tage darauf
von jedem dieser wieder 4 bis 6 angesteckt waren und so fort, so
dass schliesslich nach 4 bis 6 Wochen fast alle Kinder erkrankt
waren. So ist es auf dem Lande. In den Städten tritt der Höhepunkt
der Epidemie später ein. Nach diesen Beobachtungen ergiebt sich
nach Yerf. die Prophylaxe gegen die Weiterverbreitung der Masern¬
epidemien leicht. Es ist anzunehmen, dafs der noch unbekannte An¬
steckungsstoff durch Niesen und Husten der Luft mitgetheilt wird. Schon
im Vorläuferstadium kann ein Kind mit Masernschnupfen und Husten
eine ganze Klasse inficiren. Viel weniger ansteckend als die Ab¬
sonderung der Nasenschleimhaut und der Luftröhren sind die Aus¬
schläge und Hautschuppen nach Verfasser. Derselbe will nun beim
ersten Masernerkrankungsfalle die Schule schliessen und desinficiren.
14 Tage darauf, mit Rücksicht auf die Incubationsdauer von 9 bis 11
Tagen, wird sie wieder eröffnet, und die inzwischen an Masern er¬
krankten Kinder fehlen. Alsdann kann durch den Umgang der ge¬
sunden Kinder aus gesunden Familien in der Schule keine An¬
steckung erfolgen. Der Schulschluss auf der Höhe der Epidemie ist
nicht als prophylaktische Maassregel zu bezeichnen. Um die durch
Niesen und Husten inficirte Luft zu desinficiren, empfiehlt Verf.
Formalm in hinreichender Verdünnung oder Lysol oder Essig mit
einem Spray in der Luft vertheilt. Heimlich.
Spottiswoode Cameron, Conditio ns of the d welling as affeoting recovery
from measles. (The Lancet 3726.)
In den 3 Jahren 1891, 92, 93 kamen in Leeds 1770 Masemftllle
zur Beobachtung, 657 von diesen starben in 627 Häusern, die Ge¬
nesungen fanden in 547 Häusern statt. In den ersteren Häusern kamen
2,7 Personen, in den letzteren 2,1 Personen auf den Wohnraum. Von
den Häusern, in welchen Todesf&lle vorkamen, waren 19°/o in hygienisch
gutem, 81 °/o in nicht gutem Zustande, von den anderen Häusern waren
24 °/o in gutem, 76 °/o in nicht gutem Zustande.
Pröbsting.
E. Vallin, I/arröte sur la d£elaration obligatoire des maladies öpide-
miques. Revue d’Hygtene Tom. XVI, Nr. 1.
Der Minister des Inneren, Dupuy, hat unter dem 23. November
1893 eine Verfügung, betreffend die Anzeigepflicht übertragbarer Krank¬
heiten, erlassen, die wir dem Texte nach wiedergeben:
Art. 1. Die Anzeigepflicht erstreckt sich auf folgende Krankheiten:
1. Typhus abdominalis.
2. Typhus exanthematicus.
Digitized by
Google
48
8. Variola und Variolofs.
4. Scarlatina.
5. Diphtherie (Croup und angina membranacea).
6. Schweissfriesel (suette miliaire).
7. Cholera und choleraartige Erkrankungen.
8. Pest.
9. Gelbes Fieber.
10. Ruhr.
11. Wochenbettfieber, sofern nicht Stillschweigen in Betreff der
Schwangerschaft verlangt wird.
12. Blennorrhoe der Neugeborenen.
Art. 2. Die Anzeige muss dem Unterpräfect und dem Bürger¬
meister gemacht werden. Zur Anzeige sind nach Art. 15 des Gesetzes
vom 80. November 1892 verpflichtet: die Aerzte, Gesundheitsbeamten
und Hebammen.
Art. 8. Die Anzeige wird mittelst Karten, die aus einem Notiz¬
buch ausgerissen werden, gemacht Die Anzeige muss enthalten:
Datum, die inficirte Wohnung, die Art der Krankheit, bezeichnet durch
eine Ziffer gemäss der Nomenclatur auf der ersten Seite des Buches.
Ausserdem kann sie Angaben über eventuell vorzunehmende prophy¬
laktische Maassregeln enthalten.
Die Notizbücher werden unentgeltlich abgegeben.
Pröbsting.
Lanolinum puriss. Liebreich
einzige antiseptische, nie dem Ranzigwerden unterworfene Salbenbasis.
Vollkommen mit Wasser und wässerigen Salzlösungen mischbar.
Benno Jaffi & Darmstaedter,
Martinikenfelde bei Berlin.
Eine Zusammenstellung der Literatur über Lanolin wird auf Wunsch
firanoo zugesandt.
Sanatorium Dr. Aug. Meyer,
Eitorf a. d. Sieg.
Ernährungsstörungen. — Nervenleiden. — Krankheitsanlagen. — Hydro- und
Elektrotherapie. — Fluss-, medicinische und elektrische Bäder. — Diät-, Be-
wegungs- u. Massagekuren. — Das ganze Jahr geöffnet. — Näh. d. d. Prospect.
Digitized by
Google
Bericht über die Ausstellung für Hygiene,
verbunden
mit der XX. Versammlung des Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart.
Von
Ingenieur Unna in Köln.
Der Vorstand dieser Ausstellung, Herr Präsident v. Leibbrand,
hat es gemeinsam mit den übrigen Ausstellern in vorzüglicher Weise
verstanden, den Besuchern der Versammlung ein Bild der muster-
giltigen hygienischen Einrichtungen der Stadt Stuttgart und des
Württemberger Landes vorzufiihren. Diesen Eindruck erhielt jeder
Besucher schon nach einem kurzen oberflächlichen Rundgang durch
die im Museumsaale ausgestellten Modelle und Zeichnungen. Den
bei weitem grössten Beitrag hierzu hatte das Städtische Bauamt ge¬
liefert, und zwar das Tiefbauamt, vertreten durch Herrn Stadtbau¬
rath Kölle, das Hochbauamt vertreten durch Herrn Stadtbaurath
Maier, und die Directoren der Städtischen Wasserwerke, vertreten
durch Herrn Baurath Zobel.
I. Abtheilung. Tiefbauamt Stuttgart.
Die Stadterweiterung der Stadt Stuttgart war in einem mit
grossen Geschick ausgearbeiteten Gypsrelief zur Anschauung ge¬
bracht. Der doppelte Höhenmaassstab im Vergleich zum Längen¬
maassstab zeigte die muldenförmige Bodengestaltung der Stadt
Stuttgart in höchst anschaulicher Weise und gleichzeitig die
schwierige Lösung der Stadterweiterung an theilweise recht steil
abfallenden Hängen dieser Mulde. Die bisher üblichen, fast recht¬
winklig sich schneidenden Strassenzüge, welche nur mit starken
Gefällen senkrecht zur Thallinie hergestellt werden konnten, sind
nicht mehr angewandt. In den neuprojectirten Stadttheilen sehen
CentralblaM f. tilg. Getundheitepfleg®. XV. Jahrg. 4
Digitized by v^ooQle
50
wir anstatt dessen fast nur gewundene Strassen, welche sich dem
Terrain anschmiegen und als eine Reihe schöner Panoramastrassen
sich an den Abhängen hinziehend.
Die drei Bebauungsweisen machen sich durch verschiedenartige
Färbung auf dem Modell sehr übersichtlich kenntlich.
Es wird unterschieden:
1. eine Innere Zone nach geschlossener Bebauung;
2. eine Mittlere Zone mit Abständen von 2,90 m;
3. eine Aeussere Zone mit landhausartiger Bebauung mit
4 m Abstand und nicht über 16 m Höhe.
Eine eingehende Begleitschrift des Herrn Stadtbaurath Kölle
erläuterte dieses hoch interessante lehrreiche Project.
Ein weiteres, sehr fein ausgeführtes Modell zeigte in grösserem
Maassstab den Schwabstrassen tunnel, der zwei durch einen
Bergrücken getrennte Hauptstrassen verbindet. Derselbe ist bereits
in der Ausführung begriffen.
Sehr schöne Pläne zeigten die Anlagen der Kanalisation,
welche in Stuttgart als gemischtes System ausgebildet sind. Die
Entwässerungskanäle führen die Fäcalien nicht ab, sondern nur
die Brauch- und Tagewasser, und zwar bildet der das Thal durch-
fliessende Nasenbach, der in ein festes Profil gefasst und zum Theil
überwölbt ist, den Strassenkanal, in den die fünf getrennten Ent¬
wässerungssysteme sich ergiessen und dann dem Neckar, begünstigt
durch sehr starke natürliche Gefälle, zueilen.
Eigenartig ist die Organisation der Städtischen Latrinen-
inspection, deren Arbeitsthätigkeit in einer grossen Anzahl sehr
schön ausgearbeiteter Pläne veranschaulicht wurde. Die Fäcalien
werden in Gruben, welche gewöhnlich in den Durchfahrten der
Häuser angebracht sind und auf ihre Wasserdichtigkeit geprüft
werden, gesammelt und nach Bedürfniss, längstens alle vier Wochen,
geleert. Diese Latrinenleerung geschieht in städtischer Regie mittelst
Dampfluftpumpen. Die Hausbesitzer haben eine Gebühr von 3 Mk.
30 Pf. (!) für das Cubikmeter entleerte Masse zu zahlen, wobei die
Stadt natürlich auch in finanzieller Beziehung ihre Rechnung findet
und vorläufig mit einem Ueberseliuss von 100000 Mk. paradirt.
Es gelangen zur Zeit im Jahre ca. 75000 cbm Fäcalien zur Ab¬
fuhr, so dass es äusserst schwierig werde, ein Absatzgebiet für
diese grossen Mengen zu schaffen. Dies wurde erreicht durch den
Ferntransport mit der Eisenbahn bis zu Entfernungen von 88 km,
was durch eine Uebersichtskarte der Bahn verfrachtungskarte ver¬
anschaulicht wurde. Der Transport geschieht auf Eisenbahnwagen,
welche eigens hierzu mit je drei grossen Holzfässern von zusammen
90 hl Inhalt ausgerüstet sind. In den letzten Jahren wurden ca.
50000 cbm nach ca. 90 Stationen befördert. Auf ca. 15 Stationen
Digitized by
Google
51
sind Sammelgruben angelegt und werden dieselben benützt, wenn
die unmittelbare Verwendung der Fäcalstoffe zur Düngung nicht
möglich ist, gleichzeitig wird aber auch den kleinen Bauern hier¬
durch Gelegenheit gegeben, kleine Mengen Fäcalien zu beziehen.
Da aber einerseits das Absatzgebiet als erschöpft zu betrachten
ist, andererseits bei der rapiden Zunahme der Bevölkerung ein
Anwachsen der Fäcalmassen bis zum Jahre 1900 auf ca. 100000 cbm
zu erwarten ist; ferner aber bei Ausbruch einer Epidemie der
Absatz womöglich regierungsseitig verboten werden könnte, so
führten diese Umstände zu dem Gedanken, der Verarbeitung der
flüssigen Fäcalstoffe zur Trockensubstanz, der sog. Poudrette, näher
zu treten. Ein solches Project ist von Herrn Stadtbaurath Kölle
ausgearbeitet in Anlehnung an die Erfahrungen der Fabrik von
Podewils in Augsburg, und ist dasselbe in verschiedenen Plänen
ausgestellt worden. Es ist die Verbringung der Fäcalien von
den Gruben in sieben in der Stadt vertheilte Füllstationen vor¬
gesehen, von wo aus dieselben in Rohrleitung pneumatisch in die
Poudrettefabrik befördert werden. Die Rohrleitungen sollen zum
Theil in den bestehenden Entwässerungskanälen aufgehängt werden.
Die Anlage soll sich der Rentabilitätsberechnung nach mit 5 bis
8 °/o verzinsen, welche Ansicht als recht angenehm, jedoch als nicht
sehr wahrscheinlich und auch nicht nothwendig zu betrachten ist,
da es doch in erster Linie darauf ankommt, der weitgehendsten
sanitären Anforderungen bezüglich der Beseitigung der menschlichen
Abfallstoffe zu entsprechen.
Weitere Pläne zeigten in übersichtlicher Weise die Organisation
der Hauskanalreinigung, der Strassenreinigung, der
Kehrichtabfuhr und Strassenbesprengung.
Die Hauskanalreinigung ist noch nicht obligatorisch ein¬
geführt, wird dieses jedoch voraussichtlich in kurzer Zeit. Es
werden jedoch bereits zwei Drittel der bestehenden Hauskanäle
nach einem jährlich festzusetzenden Tarif von der Stadt gereinigt.
Die Strassenreinigung geschieht durch das Strassen-
reinigungsamt gegen eine jährliche Gebühr von 25 Pfg. auf den
Quadratmeter Strassenfläche. Die Verpflichtung zur Beseitigung
von Schnee und Eis von den Gehwegen verbleibt dabei den Haus¬
besitzern bezw. den Miethern. Die Stadtkasse wird hierdurch mit
32000 Mk. jährlich belastet, um welche Summe die Ausgaben die
Einnahmen über treffen.
Die Kehrichtabfuhr von den Strassen, sowie von den
Häusern und gewerblichen Anlagen wird durch einen besonderen
städtischen Fahrpark besorgt und kostet der Stadt bei täglicher
Abfuhr von ca. 100 cbm Masse jährlich ca. 130000 Mk.
4*
Digitized by
Google
52
Die Besprengung der Strassen geschieht mittelst Spreng¬
wagen von 1,5 cbm Inhalt, welche in ebenen Strassen mit einem
Pferde, in steileren Strassen mit zwei Pferden bespannt sind. Der
Sprengbezirk umfasst ca. 63 ha, welcher mit einem Aufwand von
16000 Alk., also ca. 3 Pfg. pro Quadratmeter, besprengt wurde.
II. Abtheilung. Hochbauamt Stuttgart.
In zahlreichen, hübsch ausgeführten Zeichnungen sind verschie¬
dene Hochbauten dargestellt, welche seitens der Städtischen Ver¬
waltung in den letzten 20 Jahren zur Ausführung gebracht wurden.
Den Hauptbestandtheil bilden die Schulen, und zwar sowohl Volks¬
schulen als höhere Bildungsanstalten. Wir sahen dort:
1. Die Alädchenmittelschule und Bürgerschule, zwei
ca. 50 m von einander entfernte Gebäude. Zwischen beiden
liegt zur gemeinschaftlichen Benutzung eine geräumige Turn¬
halle. Entwurf und Ausführung Professor Walter.
2. Die Johannesschule (Volksschule) für Knaben und Aläd-
chen von Stadtbaurath Wolf erbaut.
3. Die neue Realanstalt von Baudirector v. Tritschler, mit
grossem Lehrsaal für Chemie und Physik nebst Laboratorium.
4. Das neue Volksschulgebäude in der Vorstadt
Heslach von Stadtbaurath Wolf erbaut.
5. Die Stöckachschule (Volksschule).
Im Kellergeschoss ist ein Feuerwehrmagazin und eine
Feuerwache, im Souterrain sind Wohnungen für Schuldiener
und Polizeiinspector, sowie eine Volksküche untergebracht.
6. Das Realgymnasium durch Oberbaurath von Santer auf
Staatskosten in edelster Renaissance ganz massiv aus Quadern
erbaut. An den auf drei Seiten hufeisenförmig vom Schul¬
gebäude umschlossenen Hof stösst an der vierten Seite die
Turnhalle. Die Schulabtritte sind an der Längsseite der letz¬
teren angebaut.
7. Die Jacobsschule von Stadtbaurath Wolf erbaut in den
durch farbigen Ziegelrohbau belebten Formen der nieder¬
ländischen Renaissance.
8. Das Karlsgymnasium von Stadtbaurath Wolf in italie¬
nischer Renaissance entworfen.
9. Die Römerschule (Volksschule) nach dem Plane und unter
Leitung von Stadtbaurath Alayer erbaut; benannt nach der
an derselben vorbeiführenden Römerstrasse.
10. Das Schulhaus im Vorort Gablenberg,
11. ein Schul- und Spritzenhaus im Vorort Berg in Fachwerk,
und schliesslich
Digitized by v^ooQle
53
12. ein neues Realschulgebäude, welches noch im Bau be¬
griffen ist; sämmtlich von Stadtbaurath Mayer entworfen und
ausgeführt.
Bezüglich der hygienischen Gesichtspunkte, unter
denen diese Bauten errichtet sind, lässt sich im Allgemeinen Fol¬
gendes mittheilen:
Es sind für jeden Schüler nicht weniger als 3 cbm Luftraum,
fiir ältere Schüler 3,5—5 cbm Luftraum gewährt, welcher sogar in
der neuen Realanstalt 6,63 cbm beträgt.
Die unter Ziffer 1, 2, 4, 5 und 8 aufgezählten Schulen zeigen
doppelseitig angebaute Korridore; bei 3, 6, 7, 9 und 12 sind die
Korridore nur einseitig angebaut. Die Gänge und Treppen zeigen
feuersichere Herstellungsart.
Die Heizungsanlagen. Die unter 4, 5, 10 und 11 ge¬
nannten Schulen haben Zimmerofenheizung, und zwar theilweise
mit Mantelöfen, zum Theil mit irischen Oefen, zum Theil mit
Reguliröfen. Zum Schutze gegen strahlende Wärme sind doppel¬
wandige Ofenschirme aus Blech in Verwendung. Die übrigen
Schulgebäude sind mit Centralheizungs-Einrichtungen ausgestattet,
und zwar 1—3 und 7 mit Luftheizung, 6 und 8 mit combinirter
Dampf- und Luftheizung mit Hochdruck, 9 mit Niederdruckdampf¬
heizung.
Neuerdings sind Versuche mit Gasheizung angestellt, über deren
Resultate jedoch noch nichts zu erfahren ist.
Die Ventilation wird durch einen Ventilationsschlot in jedem
Schullocal bewirkt mit zwei Oeffnungen, eine in der Nähe des Bo¬
dens, die andere an der Decke des Raumes.
Die Abtrittsanlagen sind in den Hofräumen, mit dem
Schulhaus durch bedeckte Gänge verbunden, angeordnet, und zwar
unter Anwendung des Grubensystems mit pneumatischer Leerung.
Die Pissoirs haben Wasserberieselung.
In der Jacobs- und Römerschule sind Brausebäder mit 13
resp. 17 Brausen angelegt.
Ferner sind eine Anzahl hübscher Zeichnungen und Photo¬
graphien von dem unter Leitung des Stadtbauraths Maier und des
Bauinspectors Pantle ausgeführten Bürgerhospitals ausgestellt.
Dasselbe umfasst ausser dem Bürgerhospital die Armenhaus¬
bauten.
Das Bürgerhospital umfasst Gesundbau, Kranken bau, Irren¬
bau, Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude.
Die Armenhausbauten umfassen das Armenhaus, die Armen¬
beschäftigungsanstalt und das Asyl für Obdachlose.
Ferner sind die Gebäude auf dem Pragfriedhof nach Ent¬
würfen von Prof. Dr. v. Beyer ausgestellt.
Digitized by CnOOQle
54
Schliesslich zwei Feuerwehrgebäude und eine Perspective der
Gewerbehalle, welche den glanzvollen Schluss dieser reichen Aus¬
stellung des städtischen Hochbauamtes bildet.
III. Abtheilung. Das Bauamt der städtischen Wasser¬
werke unter Leitung des Stadtbauraths Zobel.
Auch in dieser Abtheilung waren auf mehreren Tischen und
Wänden zahlreiche, auf das sorgfältigste ausgeführte Zeichnungen
und Photographien zu sehen, welche die umfassenden Anlagen
Stuttgarts in klarer und übersichtlicher Weise veranschaulichen.
Bei der Art der geognostischen Verhältnisse innerhalb und in
der Umgebung der Stadt war es wohl möglich, eine Anzahl Quellen
zu erschliessen, jedoch nicht möglich, Quellwasser in der Menge zu
beschaffen, dass bei dem rapiden Anwachsen der Stadt der ge-
sammte Wasserbedarf gedeckt werden konnte.
Man hat daher mit der Zeit weitere Wassermengen durch Her¬
stellung von Sammelteichen (Seewasserwerk) und mittelst Wasser¬
entnahme aus dem Neckarflusse gedeckt. Auf diese Weise bildeten
sich zwei getrennte Leitungssysteme, die Quellenwasserleitung
und die sog. Nutz Wasserleitung, aus. Für die erstere sind
90 Quellsauger hergestellt, die meist tief in das Terrain eingreifen,
theils als Stollen ausgeführt sind und ihr Wasser zum grossen Theil
der Keuperformation, einen geringen Theil dem Stubensandstein
entnehmen. Die Temperatur desselben beträgt 6—15° C. Das
Gesammtquantum beläuft sich auf 1900 cbm täglich, und werden
hiervon 38 laufende Brunnen und 166 Ventilbrunnen gespeist.
Die Nutzwasserversorgung dient zur Bewässerung der
Privatgrundstücke und Hydranten etc., und wird der nordwestliche
Stadttheil und die Karlsvorstadt vom See Wasserwerk gespeist,
das übrige weit grössere Areal vom Neckarwasserwerk. Die
gesammte Wasserbewegung geschieht beim Seewasserwerk durch
natürliche Gefälle, und misst das Regengebiet der Seen ca. 1600 ha
mit einem nutzbaren Inhalt von 700 000 cbm. Die Wasserlieferung
erfolgt in drei verschiedenen Höhenzonen, und beträgt die Leitungs¬
fähigkeit ca. 5000 cbm täglich.
Das Neckarwasserwerk versorgt ein Gebiet von ca. 200 m
Höhendifferenz, und ist dieser Höhenunterschied wiederum in drei
Zonen getheilt. Zur Hebung resp. Förderung dienen zwei Werk¬
anlagen. Die erste, am Mühlkanal bei Berg liegend, hebt das
ganze Wasser nach Passiren der Sandfilteranlage auf das Reservoir
am Kanonenwege zur Speisung der ersten Zone mit 76 m Hub.
Von hier aus wird das für die beiden oberen Zonen benöthigte Wasser
durch getrennte Pumpwerke und Leitungen nach den zugehörigen
Hochbehältern gefördert. Dies Wasserwerk liefert im Maximum
Digitized by CjOOQle
- 55 f —
15000 cbm täglich. Es beträgt der gesammte Nutzwasserverbrauch
bei einer Einwohnerzahl von 145000 Einwohnern im Durchschnitt
75 Liter, im Maximum 130 Liter pro Tag und Kopf. Die Anlage¬
kosten für die städtische Nutzwasserversorgung betragen ca. 4600000
Mark, und reicht der Wasserzins aus für Deckung der Betriebs¬
und Unterhaltungskosten, Verzinsung und Amortisation des Anlage¬
kapitals.
Die Filter und Pumpwerksanlagen mit Wasserkraft- und Dampf¬
betrieb waren mit allen maschinellen Einrichtungen bis in’s Ein¬
zelne dargestellt, desgleichen die Hochreservoirbauten. Die Pläne
bekundeten eine sachgemässe Anordnung aller Einrichtungen bis in
das kleinste Detail, welche dem Leiter und Erbauer dieser Anlage,
Stadtbaurath Zobel, zur hohen Ehre gereicht.
Die Retriebsresultate der letzten zehn Jahre waren in über¬
sichtlichen graphischen Darstellungen veranschaulicht. Ferner dürfte
in dieser Abtheilung noch ein Apparat vom städtischen Chemiker
Dr. Bujard zu erwähnen sein, der zur Entnahme von Wasser¬
proben in beliebiger Tiefe der Reservoire zwecks bakteriologischer
Untersuchung dient.
Von der Ausstellung verschiedener staatlicher Verwal¬
tungen sind in erster Linie zwei grosse und vorzüglich ausge¬
führte Tafeln der Königlichen Domänendirection zu erwähnen, von
denen die eine das Königl. Karlsbad in Wildbad, erbaut
von Oberbaurath Berner, und die andere die psychiatrische
Klinik in Tübingen, erbaut von Baudirector v. Bock, darstellt.
Es würde zu weit führen, diese hervorragenden hygienischen In¬
stitute hier näher zu beschreiben.
In demselben Saale war ein grosses Relief der berühmten
württembergischen Albwasserversorgung ausgestellt mit den Längen-
protilen der einzelnen Druckleitungen, sowie zahlreiche Pläne ein¬
zelner Gruppen der Albwasserversorgung. Welch ein Segen die
Ausführung dieses genialen, von dem verstorbenen Baudirector
von Ehmann entworfenen und zum grossen Theile ausgeführten
Werkes für die schwäbische Alb geworden ist, ist allgemein be¬
kannt.
Die Königliche Eisenbahn Verwaltung hat das sog.
„Eisenbahndörfle“ auf der Prag, einem Gebäudecomplex für Beamten¬
wohnungen der Eisenbahnverwaltung, in Entwurfs- und Ausführungs¬
zeichnungen zur Anschauung gebracht. Dem Bedürfnisse nach ge¬
sunden und billigen Wohnungen für Unterbedienstete wird durch
diese Anlage in mustergültiger Weise Rechnung getragen.
Das Arbeiterheim, erbaut von den Architekten Wittmann
und Stahl, ist ebenfalls in mehreren Plänen veranschaulicht. Diese
Anstalt wurde im Jahre 1890 von dem Verein für das Wohl der
Digitized by CnOOQle
56
arbeitenden Klassen in Gemeinschaft mit dem Arbeiterbildungs¬
verein in's Leben gerufen. Der Bau enthält die Wohnräume für
240 alleinstehende Männer, ein Lesezimmer, Bibliothek, Räume für
Unterrichtszwecke, einen geräumigen Saal zu Versammlungen,
Wirthschaftsräume etc. Dasselbe ist zum grossen Theil durch eine
Stiftung in’s Leben gerufen. Die Bewohner sind zum überwiegenden
Theil gewerbliche Arbeiter.
Der Wohnungsverein hat seine billigen Familien Wohnungen
(Etagengebüude) in zahlreichen Plänen ausgestellt, welche nach
Entwürfen des Architekten Frey ausgeführt sind. Dieser Verein
verfolgt den Zweck, kleine Wohnungen für fleissige und geordnete
unbemittelte Familien zu erbauen und gegen Bezahlung eines billigen
Miethzinses zu vermiethen.
Die Kolonie Ostheim war in zahlreichen Plänen, darunter
sehr hübschen Perspectiven, durch die Architekten Heim und Sipple
zur Anschauung gebracht und dabei eine sehr lesenswerthe Schrift
von Geh. Hofrath Pfeiffer: „Eigenes Heim und billige
Wohnungen“ betitelt, aufgelegt, welche die näheren Erläu¬
terungen über das Zustandekommen und die Ausführung dieser
Wohlfahrtsanlage enthält.
Einen würdigen Schlusspunkt bildete das in zahlreichen Plänen
und Photographien ausgestellte Stuttgarter Schwimmbad.
Dasselbe ist auf der Grundlage der Gemeinnützigkeit unter Leitung
des Commerzienrath Vetter von der Actiengesellschaft der Stutt¬
garter Badegesellschaft nach den Plänen <Jer Architekten Wittmann
und Stahl in theilweise maurischem Stile gebaut. Es trägt den
Bedürfnissen aller Kreise, aller Stände, auch den verwöhntesten
Ansprüchen Rechnung, um durch den Erlös der besser bezahlten
Bäder die Abgabe billiger, einfacher Bäder zu ermöglichen. Das¬
selbe enthält zwei Schwimmbäder für Männer und Frauen, ein
russisch-römisches Bad mit Kaltwasserkur, römische Volksschwitz¬
bäder, Kaltwasserkur, Volks - Douchebad, Sonnen- und Sandbad,
Nobel-, Bassin- und Wannenbäder, Hundebad mit Schwimmbassin
und Dampftrockenraum für dieselben und eine Wäscherei.
• Nicht Alles, was die so umfangreiche und lehrreiche Ausstellung
bietet, kann hier aufgezählt werden, es war des Guten zu viel.
Wie bereits Eingangs gesagt, hat sich das Ausstellungscomit^
durch das von ihm geschaffene Werk einen bleibenden Denkstein
in der Erinnerung der Besucher der diesjährigen Versammlung des
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gesetzt und den
Beweis geliefert, dass Stuttgart als leuchtendes Beispiel an der
Spitze der grossen Städte Deutschlands auf sanitärem Gebiete
marsch irt.
Digitized by
Google
57
Kleinere Mittheilungen.
Aus den „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes“,
XIX. Jahrgang, Nr. 50.
Preüssen. Mittels Runderlasses vom 19. August 1895 haben die
Minister für Handel und Gewerbe, der öffentlichen Arbeiten, der etc.
Medicinalangelegenhciten und des Innern den Oberpräsidenten nach¬
stehenden Entwurf zu einer Polizeiverordnung über Anlage, Bau
und Einrichtung von öffentlichen und Privatkranken-, Entbin-
dungs- und Irrenanstalten behufs Erlasses entsprechender Vorschriften
für die einzelnen Provinzen mitgetheilt:
Polizeiverordnung.
Auf Grund der §§ 6, 12 und 15 des Gesetzes über die Polizei¬
verwaltung vom 11. März 1850*(G.-S. S. 265) — §§ 6, 12 und 13 der
Verordnung vom 20. September 1867 (G.-S. S. 1529) und des Lauen-
burgischen Gesetzes vom 7. Januar 1870 (Officielles Wochenblatt S. 13)
— und des § 137 des Gesetzes Uber die allgemeine Landesverwaltung
vom 30. Juli 1883 (G.-S. S. 195) wird hiermit unter Zustimmung des
Provinzialrathes für den Umfang der Provinz.nachstehende
Polizeiverordnung erlassen.
Im Sinne dieser Verordnung werden die Krankenanstalten unter¬
schieden: als grosse Anstalten mit mehr als 150 Betten, mittlere
mit 150 bis 50 Betten, kleine mit weniger als 50 Betten.
Für die Anlage, den Bau und die Einrichtung von öffentlichen
und Privatkranken-, Entbindungs- und Irrenanstalten, sowie ftir den
Umbau und die Erweiterung bestehender Anstalten dieser Art gelten
folgende Vorschriften.
I. Anlage und Bau.
§ 1. Die Krankenanstalt muss tkunlichst frei und entfernt von
Betrieben liegen, welche geeignet sind, den Zweck der Anstalt zu be¬
einträchtigen. Der Baugrund muss in gesundheitlicher Beziehung ein¬
wandfrei sein.
Die Frontwände der Krankengebäude müssen untereinander min¬
destens 20 m und von anderen Gebäuden mindestens 10 m entfernt
bleiben.
Vor den Fenstern der Krankenzimmer muss mindestens ein solcher
Freiraum verbleiben, dass die Umfassungswände und Dächer gegen¬
überliegender Gebäude nicht über eine Luftlinie hinausgehen, welche
Digitized by VjOOQle
58
in der Fussbodenhöhe der Krankenzimmer von der Frontwand aus
unter einem Neigungswinkel von 30 Grad gezogen wird. Wenn diese
Fenster benachbarten, nicht zur Anstalt gehörigen Grundstücken gegen¬
überliegen, so sind an der Grenze dieser Grundstücke Gebäude von
der grössten, nach den örtlichen Bauordnungen zulässigen Höhe auch
dann als vorhanden anzunehmen, wenn die Grenzen unbebaut oder
nicht bis zur zulässigen Höhe bebaut sind.
Für kleine Krankenanstalten im Innern grosser Städte kann ein
grösserer Neigungswinkel zugelassen werden, welcher jedoch nicht über
45 Grad hinausgehen darf.
Bei Einheitsbauten (sogenanntes Corridorsystem) sind rings¬
umschlossene Höfe unzulässig.
§ 2. Flure und Gänge müssen mindestens 1,80 m breit sein; die
Gänge sollen in der Regel einseitig angelegt werden. Mittelgänge sind
nur unter der Bedingung zulässig, dass sie reichliches Licht unmittelbar
von aussen erhalten und gut lüftbar sind.
§ 3. Die ftir die Aufnahme von Kranken bestimmten Räume
müssen mindestens 1 m über dem höchsten bekannten Grundwasser¬
stande liegen und in der ganzen Grundfläche gegen das Eindringen
von Bodenfeuchtigkeit gesichert sein.
Räume, deren Fussboden unter der anschliessenden Erdoberfläche
liegt, dürfen mit Kranken nicht belegt werden.
Krankenzimmer, welche das Tageslicht nur von einer Seite er¬
halten, dürfen nicht nach Norden liegen.
Die Wände in Operations- und Entbindungszimmern, sowie in
solchen Räumen, in welchen Personen mit ansteckenden Krankheiten
untergebracht werden, sind zur Erleichterung der Desinfection glatt
und mit ausgerundeten Ecken herzustellen.
§ 4. Die Treppen sollen feuersicher und mindestens 1,30 m breit
sein, die Stufen mindestens 28 cm Auftrittsbreite und höchstens 16 cm
Steigung haben. Die Treppenhäuser müssen Licht und Luft unmittel¬
bar von aussen erhalten.
Die Fussbödeu aller von Kranken benutzten Räume sind möglichst
wasserdicht herzustellen.
§ 5. Die Krankenzimmer, alle von den Kranken benutzten Neben¬
räume, Flure, Gänge und Treppen müssen mit Fenstern versehen werden;
die Fensterfläche soll in Krankenzimmern mindestens 1,5 qm auf jedes
Bett einschliesslich der Lagerstellen für Wärter betragen.
§ 6. Für jedes Bett (Lagerstelle) ist in Zimmern ftir mehrere
Kranke ein Luftraum von mindestens 35 cbm bei 7,5 qm Bodenfläche
und in Einzelzimmern von mindestens 45 cbm bei 10 qm Bodenfläche
zu fordern.
Mehr als 30 Betten (Lagerstellen) dürfen in einem Kranken¬
zimmer nicht aufgestellt werden.
Digitized by
Google
59
II. Innere Einrichtung.
§ 7. In jeder Krankenanstalt muss fiir jede Abtheilung oder flir
jedes Geschoss mindestens ein geeigneter Tageraum für zeitweise nicht
bettlägerige, in gemeinsamer Pflege befindliche Kranke eingerichtet
werden, dessen Grösse auf mindestens 2 qm für das Krankenbett zu
bemessen ist.
Ausserdem muss ein mit Gartenanlagen versehener Erholungsplatz
von mindestens 10 qm Fläche für jedes Krankenbett vorgesehen werden.
§ 8. Für Irrenanstalten gilt anstatt der Bestimmungen in
dem § 6 Abs. 1 und § 7 Folgendes:
1. In Anstalten mit mehr als 10 Betten müssen ausnahmslos Tage¬
räume und Erholungsplätze vorgesehen werden.
2. Bei Anstalten, welche Tageräume haben, darf die Grösse des
Luftraumes in den Schlafzimmern für den Kopf nicht unter
20 cbm bei 3 bis 4,50 m lichter Höhe betragen; ausserdem
müssen in den Tageräuraen bei gleicher Höhe mindestens 4 qm
Grundfläche für den Kopf vorhanden sein. Bei Kranken unter
14 Jahren genügen für den Kopf in den Schlafzimmern 15 cbm
Luftraum, in den Tageräumen 3 qm Grundfläche.
3. Anstalten, welche keine Tageräume haben, müssen für jeden
Kranken 35 cbm Luftraum, bei Personen unter 14 Jahren je
27 cbm Luftraum darbieten.
4. Befinden sich in der Anstalt bettlägerige, laute, sich vernach¬
lässigende oder nicht saubere Kranke, so muss für jeden der¬
selben in den Schlafzimmern mindestens 35 cbm Luftraum, für
jeden nicht Bettlägerigen 5 qm Grundfläche in den Tageräumen
vorhanden sein. Bei Kranken solcher Art unter 14 Jahren ge¬
nügen für den Kopf in den Schlafzimmern 27 cbm Luftraum
und für jeden nicht Bettlägerigen in den Tageräumen 4 qm
Grundfläche.
5. Zur Absonderung störender Kranker muss mindestens ein Einzel¬
raum vorhanden sein, dessen Luftraum nicht unter 40 cbm be¬
tragen darf.
6. Der Erholungsplatz muss schattig sein und mindestens 30 qm
Fläche für den Kopf enthalten.
§ 9. Allen Krankenzimmern und von Kranken benutzten Neben¬
räumen ist während der Heizperiode frische vorgewärmte Luft aus dem
Freien zuzuführen. Die verbrauchte Luft muss in geeigneter Weise
abgeführt werden. Als Mindestmaas der Lufterneuerung sind 40 cbm
für jedes Bett (Lagerstelle) in der Stunde zu fordern.
§ 10. Der obere Theil der Fenster der Krankenzimmer, der von
den Kranken benutzten Nebenräume, der Flure, Gänge und Treppen
Digitized by
Google
60
muss leicht zu öffnen sein und mit Lüftungseinrichtungen versehen
werden.
§ 11. Für alle Krankenzimmer, von Kranken benutzten Neben¬
räume, Flure und Gänge muss in genügender Weise gleichmässige Er¬
wärmung vorgesehen werden. Hierbei ist jeder Belästigung durch
strahlende Wärme vorzubeugen und jede Staubentwicklung bei der
Bedienung der Heizeinrichtung, jede Ueberhitzung der Luft an den
Heizflächen und jede Beimengung von Rauchgasen auszuschliessen.
§ 12. Für jedes Krankenbett müssen mindestens 300 Liter ge¬
sundheitlich einwandfreies Wasser täglich geliefert werden können.
Sollte die Beschaffung dieser Menge mit besonderen Schwierigkeiten
verbunden sein, so kann das Maass bis auf 150 Liter verringert werden.
Die Wasserbezugsquelle, sowie die dazu gehörige Leitung sind
nach Lage und Fassung gegen jede Verunreinigung durch Krankheits¬
oder Abfallstoffe zu sichern.
§ 13. Die Entwässerung und die Entfernung der Abfallstoffe muss
in gesundheitlich unschädlicher Weise erfolgen.
Die Fäkalien sind durch Abfallrohre entweder mittels Abfuhr oder
mittels Schwemmung unter Wahrung der Reinheit der Luft in den
Gebäuden und unter Verhütung jeder Bodenverunreinigung zu beseitigen.
Abtrittsgruben sind unzulässig.
Trockene Abfälle und Kehricht sind in dichten verschliessbaren
Gruben oder Behältern zu sammeln und so oft abzufahren, dass keine
UeberfÜllung der Behälter eintritt.
Ansteckungsverdächtige Auswurfsstoffe müssen sofort unschädlich
beseitigt werden.
§ 14. Die Aborte sind von den Krankenzimmern durch einen
Vorraum zu trennen, welcher, wie der Abort selbst, hell, lüftbar und
heizbar sein muss.
§ 15. In jeder Krankenanstalt ist bei einer Belegzahl bis zu
30 Betten mindestens e i n Baderaum für ein Vollbad, bei einer grösseren
Belegzahl für mindestens je 30 Betten ein Baderaum zu beschaffen.
§ 16. In Krankenanstalten, in welchen chirurgische Operationen
ausgefülirt zu werden pflegen, ist bei einer Belegzahl von mehr als
50 Betten mindestens ein besonderes Operationszimmer einzurichten.
Ein solches kann auch bei kleineren Anstalten nach Lage der
Verhältnisse verlangt werden.
§ 17. In Entbindungsanstalten mit mehr als vier Betten ist ein •
besonderes Entbindungszimmer einzurichten.
HI. Nebengebäude.
§ 18. Für grosse und mittlere Anstalten sind die Wirthschafts-
räume in einem besonderen Gebäude unterzubringen.
Digitized by ^.ooQle
61
§ 19. Jede Krankenanstalt muss eine eigene, ausschliesslich für
deren Insassen bestimmte Waschküche haben.
Inficirte Wäsche darf ohne vorherige Desinfection nicht ausserhalb
der Anstalt gereinigt werden.
§ 20. Für grosse und mittlere Anstalten ist in einem besonderen,
nur für diesen Zweck bestimmten Gebäude eine geeignete Desinfections-
einrichtung vorzusehen, sofern nicht am Orte oder in dessen Nachbar¬
schaft eine öffentliche Desinfectionsanstalt zur Verfügung steht.
§ 21. Zur Unterbringung von Leichen ist in allen Anstalten ein
besonderer Raum herzustellen, welcher lediglich diesem Zwecke dient
und dem Anblick der Kranken möglichst entzogen ist. Für grosse und
mittlere Anstalten ist ein besonderes Leichenhaus mit Sectionszimmer
erforderlich.
Leichenhaus und Desinfectionshaus dürfen unter einem Dach unter
der Voraussetzung angeordnet werden, dass beide Anlagen durch eine
vom Erdboden bis zur Dachfirst reichende massive, undurchbrochene
Wand getrennt werden.
IV. Unterbringung der Kranken.
§ 22. In allen Anstalten müssen männliche und weibliche Kranke,
abgesehen von Kindern bis zu zehn Jahren, in getrennten Räumen, in
grossen und mittleren Anstalten in getrennten Abtheilungen unter¬
gebracht werden
§ 23. Für Kranke, welche an ansteckenden, insbesondere akuten
Eirankheiten leiden, sind in grossen und mittleren Kranken anstalten
ein oder mehrere Absonderungshäuser, in kleineren Anstalten mindestens
abgesonderte Räume, wenn möglich in besonderen Stockwerken vor¬
zusehen.
In Irrenanstalten muss mindestens ein Zimmer für ansteckende
Erkrankungen zu Gebote stehen.
§ 24. In öffentlichen, sowie in grossen und mittleren Privat-
Krankenanstalten muss für die vorübergehende Unterbringung eines
Geisteskranken ein geeigneter Raum mit der erforderlichen Einrichtung
vorhanden sein.
§ 25. Zur Feststellung von ansteckenden Krankheiten ist in grossen
und mittleren öffentlichen Anstalten eine eigene Beobachtungsstation
einzurichten.
V. Schluss- und Strafbestimmungen.
§ 26. Die Vorschriften der örtlichen Baupolizeiordnung bleiben
insoweit in Kraft, als sie nicht durch die vorstehenden Bestimmungen
abgeändert werden.
§ 27. Von den Bestimmungen des § 1 Abs. 1 bis 3, der §§ 2,
4, 7, 9, 12 Abs. 1, §§ 16, 19 Abs. 1, §§ 20, 21 Abs. 2 kann der
Digitized by
Google
62
Regierungspräsident (für Berlin und Charlottenburg der Polizeipräsident
von Berlin) in besonderen Fällen Ausnahmen zulassen.
§ 28. Zuwiderhandlungen gegen diese Polizeiverordnung werden,
sofern nach den bestehenden Gesetzen keine höhere Strafe verwirkt
ist, mit Geldstrafe bis zu 00 Mark, eventuell verhältnissmässiger Haft
geahndet.
Daneben bleibt die Polizeibehörde befugt, die Herstellung vor-
schriftsraässiger Zustände herbeizuführen.
*** Wegsohaffung der Haus* und Tagewftsser. Wenn durch
mangelhafte Entwässerung eines Grundstücks sanitäre
Missstände entstehen, ist die Polizei befugt, Anlagen
zur Wegschaffung der Haus- und Tagewässer vorzu¬
schreiben. Einrichtung und regelmässige Entleerung
von Sammelgruben. Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
(1. Senats) vom 5. März 1895.
Mittelst Verfügung vom 28. April 1894 forderte die Polizeiver¬
waltung zu D. den Bäckermeister G. auf, im sanitätspolizeilichen In¬
teresse die Jauchenpfütze auf einem Theil des Hofes und im Garten
seines Grundstücks zu beseitigen, zur Aufnahme der Tages- und Wirth-
schaftswässer eine massiv gemauerte und mit Cement verputzte Sammel¬
grube anzulegen und zu deren Anlage vorher die baupolizeiliche Er¬
laubnis nachzusuchen. G. erhob hiergegen Klage mit dem Anträge,
den angefochtenen Theil der polizeilichen Anordnung aufzuheben, und
mit der Ausführung: das Grundstück des Klägers liege auf der einen
Seite tiefer als das nachbarliche und habe auf der andern Seite ein
noch tiefer liegendes Grundstück. Der Eigenthümer des letzteren habe
neuerdings auf der Grenze eine massive Mauer gezogen, das Wasser
habe folgedessen keinen Abfluss, sammle sich auf dem Gruudstück des
Klägers, und es entstehe mit der Zeit eine stinkende Pfütze; die Polizei¬
verwaltung müsse im sanitären Interesse für die Aufnahme und Ab¬
leitung des Wassers über das Nachbargrundstück nach der Weichsel
Sorge tragen. Durch Anlage einer Sammelgrube und Entleerung der¬
selben würden sanitäre Uebelstäude — üble Gerüche in Folge der ver¬
dorbenen Abwässer — entstehen; auch habe die Polizei einen Platz nicht
dafür bestimmt, wohin das stinkende Wasser gebracht werden soll. Im
Winter werde die Grube zufrieren, nicht benutzt und der sich bildende
Eisklumpen nicht entfernt werden können. Hierauf sei es dem Kläger
unmöglich, der polizeilichen Verfügung Folge zu leisten. — Die Be¬
klagte hält die Klage, den Bestimmungen des § 127 des Landesver¬
waltungsgesetzes entsprechend, überhaupt nicht für begründet und be¬
streitet, dass die Polizei für Verschaffung der Vorfluth bei Hausgrund¬
stücken Sorge zu tragen habe, und dass die Entleerung der Sammel-
gruben unmöglich sei. Die Grundbesitzer in D. stellten Abfuhrwagen
Digitized by
Google
63
gegen Entschädigung und nähmen den Inhalt der Dünger- und Jauche¬
gruben gern zur Verbesserungen ihrer Ländereien. Auf dem eng be¬
bauten, von acht Familien bewohnten Grundstücke des Klägers würden
drei Schweine und ein Pferd gehalten, die Jauche sickere aus der nicht
wasserdichten Jauchengrube in den Rinnstein des Hofes und fliesse in
den Garten, ebenso das ganze Wirthschaftswasser der acht Familien;
aus dem tiefer als die Nachbargrundstücke liegenden Garten habe das
Wasser gar keinen Abfluss, hierdurch entständen üble Gerüche, was
sanitätspolizeilich nicht geduldet werden könne.
Der Bezirksausschuss zu D. wies durch Vorbescheid vom 15. August
1894 die Klage mit der Ausführung zurück, dass die Nothwendigkeit
und Angemessenheit der auf Grund des § 10, Titel 17, Theil II des
Allgemeinen Landreclites an sich gerechtfertigten polizeilichen Anordnung
nicht zu prüfen und die Unmöglichkeit der Ausführung der letzteren
nicht dargethan sei. — Gegen diese Entscheidung hat Kläger noch
Berufung eingelegt und lediglich unter Bezugnahme auf die Aus¬
führungen der Klage die Aufhebung der angefochtenen Anordnung
wiederholt beantragt, während die Beklagte auf Abgabe einer Gegen¬
erklärung verzichtet hat.
Die Bestätigung der Vorentscheidung unterlag keinem Bedenken.
Die Polizeibehörde ist auf Grund des § 10, Titel 17, Theil II des
Allgemeinen Landrechts und § 6 zu f des Polizeiverwaltungsgesetzes
vom 11. März 1850 befugt, gegen den Grundstücksbesitzer einzu¬
schreiten, wenn durch mangelhafte Entwässerung seines Grundstücks
sanitäre Missstände entstehen; insbesondere kann sie auch die Auf¬
sammlung von Jauche und anderen übelriechende und schädliche Aus¬
dünstungen verursachenden Flüssigkeiten in nicht vorschriftsmässigen
Behältern oder das Verbleiben solcher auf dem Gehöfte ohne Behälter
verbieten.
Dass die Entwässerung der Gebäude lediglich Sache der Eigen¬
tümer ist und nicht etwa von der Polizeibehörde dafür nach den
Grundsätzen des Vorfluthedicts vom 15. November 1811 Sorge zu
tragen ist, hat die Rechtsprechung gleichmässig angenommen. Endlich
ist die Polizeibehörde auch wohlbefugt, Anlagen zur Wegschaffung der
Haus- und Tagewässer vorzuschreiben, wobei es dem von der Anord¬
nung Betroffenen überlassen bleiben muss, seinerseits nachzuweisen,
dass er auf andere Art den von der Behörde wahrzunehmenden In¬
teressen zu genügen vermag. Zu jenen Anlagen gehören auch die
Einrichtung und die regelmässige Entleerung von Sammelgruben auf
den Grundstücken der Hauseigenthümer; solche Anordnungen sind da¬
her auch Gegenstand zahlreicher Polizeiverordnungen. Im vorliegenden
Falle handelt es sich nach den unbestrittenen Ausführungen der Be¬
klagten und den Zugeständnissen des Klägers selbst um sehr erhebliche
polizeiliche Missstände, da die Wirtlischaftswässer des stark bewohnten
Digitized by
Google
64
klägerischen Grundstücks aus diesem keinen ordnungsmässigen Abfluss
haben und ausserdem die aus der Dunggrube austretende Jauche durch
die vorhandene Rinne in den Hof und Garten fliesst und hier eine
stinkende Pfütze bildet Zur Abstellung beider Uebelstände ist die
Beklagte den Kläger anzuhalten ganz zweifellos berechtigt und ver¬
pflichtet. Die Einwendungen des Klägers sind vom Vorderrichter mit
Recht für unzutreffend erachtet. Die Abfuhr des Inhalts der so oft
als erforderlich zu entleerenden Saramelgrube lässt sich nach den un¬
widersprochenen Angaben der Beklagten sehr wohl bewerkstelligen.
Auch kann die Grube so angelegt und die Art der Entleerung so ein¬
gerichtet werden, dass die vom Kläger befürchteten Missstände thun-
lichst vermieden werden. Die Unmöglichkeit, den von der beklagten
Polizeibehörde an ihn gestellten Anforderungen zu entsprechen, hat der
Kläger in keiner Weise nachgewiesen. Im Uebrigen ist die Nothwen-
digkeit und Angemessenheit jener Anforderungen im Verwaltungsstreit¬
verfahren nicht zu prüfen.
(Vgl. Zeitschr. für Medicinalbeamte 1895, No. 19, Beilage.) W.
*** Von erheblicher Bedeutung für alle Gemeinden mit centraler
Wasserversorgung ist das nachfolgende Urtheil des Oberver¬
waltungsgerichts (IV. Senats) vom 10. Juli 1895; hiernach
kann der allgemeine Anschluss an eine städtische Wasserleitung
durch Polizeiverordnung, aber nicht durch Ortsstatut erzwungen
werden.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Polizeiverordnung den
Zweck verfolgt, durch den Zwang zum Anschluss an die städtische
Wasserleitung dem Publikum grössere Sicherheit vor Feuersgefahr und
vor Gefährdung der Gesundheit durch Genuss verseuchten Brunnen¬
wassers und unzureichende Verwendung von Wasser zu Reinigungs¬
zwecken zu gewähren. Diese Aufgaben entsprechen recht eigentlich
dem § 10, Tit. 17, Th. II Allg. L. R., sowie dem § t> pos. f und g
des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850. Das dem¬
entsprechende Gebot des Anschlusses an die städtische Wasserleitung
überschreitet auch nicht die der Polizei dem Einzelnen gegenüber zu¬
stehenden Machtvollkommenheiten. Der Kläger hat selbst in seinem
Schriftsätze vom 7. Juli 1895 erklärt, dass man die Befugniss der Poli¬
zeibehörde zum Anschluss an die städtischen Abzugscanäle anerkennen
müsse. Auch das Oberverwaltungsgericht hat ausgesprochen, dass der
mit einer Canalisation erstrebte Zweck vollständig und sicher nur bei
einer allgemeinen Durchführung der Maassregel erreicht werden
könne, und dass deshalb die Polizeibehörde befugt sei, einen all¬
gemeinen Zwang einzuführen und alle bebauten Grundstücke der An¬
schlusspflicht zu unterwerfen, gleichviel, ob bei einem oder dem andern
vielleicht die Entwässerung ohne Gefährdung der Gesundheit in anderer
Digitized by
Google
65
Weise bisher bewirkt worden sei oder fernerhin bewirkt werden
könnte. Das in dem genannten Schriftsatz des Klägers angeführte Er¬
kenntnis des O.-V.-G. vom 9. Januar 1894 stellt nur in Abrede, dass
ein solcher Zwang mittelst Ortsstatuts eingeführt werden könne,
weist aber gleichfalls darauf hin, dass eine entsprechende Maassregel
zu den Befugnissen der Polizei gehöre, wonach in Berlin, und in weit¬
verbreiteter Uebung auch anderweit, verfahren sei. Die Gründe, aus
denen ein polizeilicher Zwang zum allgemeinen Anschluss an eine
Canalisationsanlage rechtlich zulässig erscheint, treffen aber im Wesent¬
lichen auch bei der Wasserleitung in C. zu. Es gilt auch hier, dass
der mit einer solchen Einrichtung erstrebte Zweck vollständig und
sicher nur bei einer allgemeinen Durchführung der Maassregel erreicht
werden kann.
(Vgl. Zeitschr. für Medicinalbeamte 1895, No. 22, Beilage.) W.
Der allgemeine Gewerbeverein in München wird im Jahre 1898, in
welchem der Verein sein 50 jähriges Bestehen feiert, eine Ausstellung
von Kraft- und Arbeitsmasohinen in München veranstalten, deren
Zweck in erster Linie ist, den Handwerkern Belehrung zu schaffen,
das Kleingewerbe zu heben und zu fördern und so mit beizutragen
zur Lösung der socialen Frage, zur Lösung des Widerstreites zwischen
Klein- und Grossgewerbe.
Literatnrbericht.
Schlockow, Der preussische Physikus. Vierte vermehrte Auflage. Be¬
arbeitet von Dr. E. Roth und Dr. A. Leppmann. Berlin, Verlag von
Richard Schoetz, 1895.
In dem verhältnissmässig kurzen Zeitraum von neun Jahren erlebt
das Buch die vierte Auflage, ein Beweis, dass dasselbe viele Freunde
gefunden hat; vielen ist dasselbe ein unentbehrlicher Rathgeber ge¬
worden, besonders unter denjenigen Aerzten, welche viel mit sanitäts¬
polizeilichen und gerichtlich medicinischen Begutachtungen sich be¬
schäftigen.
Das Buch zerfällt in zwei Bände; der erste behandelt die gesammte
Medicinal- und Sanitätspolizei, der zweite die gerichtliche Medicin.
Die erste Abtheilung des ersten Bandes gibt uns einen vollständigen
Ueberblick über die Organisation der Medicinalbehörden und deren dienst¬
lichen Obliegenheiten, wobei auch die ärztliche Standesvertretung eine
ausführliche Berücksichtigung gefunden hat. Dabei ist auch das Attest-
Centnüblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 5
Digitized by ^.ooQle
66
wesen eingehend behandelt. Die zweite Abtheilung führt uns ein in
das Apothekenwesen und deren Beaufsichtigung, wobei auch die jüngsten
gesetzlichen Veränderungen in demselben, ebenso die neuen gesetzlichen
Bestimmungen über den Handel mit Giften aufgeführt sind; ferner die
Drogenhandlungen, das Hebammenwesen und das Heildienerwesen.
In ganz knapper Form sind in einem ferneren Capitel die Kranken¬
häuser und deren Beaufsichtigung behandelt; sodann die Schulen, die
Schulhygiene, die Maassregeln zur Verhütung der Uebertragung an¬
steckender Krankheiten durch die Schule, Schliessung derselben etc.
In dem viel umfassenden Capitel Nahrungs- und Genussmittel sind zu¬
erst die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen über den Verkehr mit
Nahrungsmitteln, über den Gebrauch gesundheitsschädlicher Farben und
Metalle bei Herstellung von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen
aufgeführt, wonach tibergegangen wird auf die einzelnen Nahrungs¬
mittel, unter welchen besonders eingehend das Fleisch, das Schlacht¬
hauswesen, die Fleischschau und die entsprechenden gesetzlichen Be¬
stimmungen Berücksichtigung finden. Im Capitel Desinfectionskrank-
heiten sind hauptsächlich die vielen im Laufe der Zeit ergangenen gesetz¬
lichen Bestimmungen, Erlasse und Verordnungen etc. aufgeführt, wobei
die Pocken mit dem Impfwesen, die Tuberkulose, besonders aber die auch
von den Behörden mit besonderer Liebe behandelte Cholera naturge-
mäss den grössten Raum einnehmen. Es folgen das Leichen- und Be-
erdigungsweseu, sodann die gewerblichen und industriellen Anlagen mit
den auf das Wohl und den Schutz der arbeitenden Classen gerichteten
gesetzlichen Bestimmungen der letzten Jahre; ferner in kurzer Form
Wohnungen, Gastwirthschaften und Gefängnisse und endlich das
Irren wesen.
Es ist sicherlich keine leichte Aufgabe, das ungeheure zu be¬
handelnde Gebiet in ein kurzes Compendium so hineinzuzwängen, dass
dasselbe dem Inhaber wirklich Nutzen bringt. Letzteres ist aber ohne
Zweifel dem verstorbenen Verfasser und dem ihm folgenden Bearbeiter
vollständig gelungen, zumal der Verfasser selbst ja nicht beabsichtigte,
ausführliche Abhandlungen über die einzelnen Theile des grossen Ge¬
bietes zu schreiben; der Hauptwerth des Buches liegt ja besonders
darin, bei den an uns herantretenden Aufgaben uns ein Führer zu
sein, ganz besonders hinsichtlich der gesetzlichen etc. Bestimmungen,
was bei dem Chaos der Gesetze, Erlasse und Verordnungen etc. ohne
eine derartige Handhabe sehr schwer sein dürfte; es ist hier klar und
übersichtlich zusammengetragen, was wir uns sonst mit grosser und
zeitraubender Mühe zusammensuchen müssten.
Der zweite Band behandelt die gerichtliche Medicin; in seiner
ersten Abtheilung die gerichtliche Medicin im Specielleu. Knapp und
zusammengedrängt, dabei klar und präcise und das Wesentliche voll
berücksichtigend, gibt uns der Verfasser, Dr. Leppmann, in trefflicher
Digitized by
Google
67
Weise eine Abhandlung der gerichtlichen Medicin. In derselben Weise
gibt uns der auch nach dieser Richtung bekannte Verfasser einen
Ueberblick über die gerichtliche Psychiatrie, schildert kurz die Formen
des Irreseins, gibt eine Anleitung zur Untersuchung des Geisteszu¬
standes und dessen Beurtheilung in civil- und strafrechtlicher Beziehung.
In der Bücherei des Arztes wird sich das vorliegende Buch sicher¬
lich als nützlich erweisen. Dr. Longard (Köln).
Eduard Pfeiffer, Eigenes Heim und billige Wohnungen. Ein Beitrag
zur Lösung der Wohnungsfrage, mit besonderem Hinweis auf die Erstellung
der Colonie Ostheim-Stuttgart. Mit 8 lithographirten Tafeln. 1896.
Das vorliegende Werk gelangte bei Gelegenheit der in den Tagen
vom 11. bis 14. September 1895 in Stuttgart abgehaltenen Versamm¬
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zur ersten
Ausgabe und bildet einen hervorragenden Beitrag zur Lösung der
Wohnungsfrage insofern, als darin alle den in Rede stehenden Gegen¬
stand betreffenden Umstünde in einer Vollständigkeit und Ausführlich¬
keit und mit soviel auf praktischen Erfahrungen beruhender Sach¬
kenntnis besprochen werden, wie man sonst nicht findet. Alle Fragen
werden sowohl im Allgemeinen, als auch an der Hand der wirklichen
Vorgänge bei Gründung und Ausführung der Colonie Ostheim bei
Stuttgart aufs gründlichste erörtert.
Nachdem zunächst die Ursachen und Folgen der Wohnungsnoth
besprochen worden sind, wird auf die Wichtigkeit von Erhebungen
über die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Classen hingewiesen, wo¬
durch allein ein richtiges Bild über die herrschenden Zustände und
den Umfang des Bedürfnisses an neuen billigen Wohnungen gewonnen
werden kann. Das was diese Erhebungen in Stuttgart zu Tage ge¬
fördert haben, war mehr als genügend, um den dortigen Verein für
das Wohl der arbeitenden Classen zu veranlassen, sich mit aller Kraft
der Schaffung einer grösseren Zahl von guten und billigen Familien¬
wohnungen zuzuwenden. Aehnliche Erhebungen in anderen, nament¬
lich Fabrikstädten, würden ohne Zweifel das Vorhandensein eines noch
viel grösseren Bedürfnisses ergeben.
Es wird sodann die Frage erörtert, durch wen die Wohnungen
hergestellt werden sollen, und dabei des Antheils gedacht, welchen die
Grossindustriellen, die Gemeinden, der Staat, die Baugenossenschaften,
die bauenden Actiengesellschaften und die gemeinnützigen Baugesell¬
schaften bisher in dieser Richtung genommen haben oder zweckmässig
in Zukunft nehmen werden. Der Verein für das Wohl der arbeiten¬
den Klassen in Stuttgart hatte schon früher mit grossem Erfolg eine
Herberge für Fabrikarbeiterinnen mit Raum für 200 Frauen und
Mädchen, sowie ein Arbeiterheim für 240 alleinstehende Männer ge-
5 *
Digitized by
Google
68
gründet und konnte daher mit gutem Vertrauen sich nunmehr auch
der Schaffung von billigen Familienwohnungen zuwenden.
Sollen die Wohnungen billig werden, so ist vor allen Dingen er¬
forderlich, billiges Geld für ihre Herstellung zur Verfügung zu haben.
Die Quellen, aus denen dasselbe fliessen kann, und die einschlägige
Gesetzgebung in verschiedenen Ländern werden besprochen.
Die folgenden Capitel behandeln die Frage, nach welchem System
gebaut werden soll, ob Familienhäuser oder Miethkasemen; ferner die
Wahl der Baugrund stücke, die Baupläne der Häuser, die Bauausführung
und die Baukosten. Diese Capitel enthalten eine grosse Menge werth¬
voller Bemerkungen über technische Einzelheiten; gegebenen Falles
wird auf örtliche Gewohnheiten hingewiesen, welche für die eine oder
andere Anordnung von Einfluss sind und vielleicht in anderen Orten
nicht bestehen, so z. B. die Einrichtung einer besonderen Küche für
jede Wohnung, die Anbringung von Baikonen an den Küchen in jedem
Geschoss u. dergl.
Die Gründe, welche zur Erbauung von Einfamilienhäusern oder
Miethkasemen führen, insbesondere der Einfluss des Preises des Grund
und Bodens werden eingehend dargelegt. Allerdings werden nach
unserer Meinung an verschiedenen Stellen des Buches die Miethkasemen
allzusehr verurtheilt. Wir halten mit dem Herrn Verfasser im Innern
der Grossstädte die Miethkasemen, draussen vor den Thoren das Ein¬
familienhaus und zwischen diesen Grenzfüllen auch Zwischenstufen in
der Bauart der Häuser am Platz, sind aber nicht der Meinung, dass
die Miethkasemen gewissermaassen nur als ein nothwendiges Uebel
und an und für sich überhaupt zu verwerfen seien. In Deutschland
sind freilich die weitaus meisten Miethkasemen in den Händen von
Leuten, welche, unbekümmert um das Wohl ihrer Miether, lediglich
darauf ausgehen, möglichst hohe Miethen zu erzielen, für Verbesserung
in den Wohnungseinrichtungen daher wenig zugänglich sind. In London
und anderen englischen Städten dagegen giebt es zahlreiche, meist von
gemeinnützigen Gesellschaften, die den Zweck verfolgen, für ihre Mit¬
glieder eine gute und sichere Capitalanlage und zugleich für die
unteren Classen der Bevölkerung gute und billige Wohnungen zu be¬
schaffen, erbaute Miethkasemen, die an Vortrefflichkeit der Einrich¬
tungen nichts zu wünschen übrig lassen. Die Treppenhäuser dienen
dabei meist nur einer beschränkten Zahl von Wohnungen und sind
oft unmittelbar der Aussenluft zugänglich. Jede Wohnung ist für sich
abgeschlossen und enthält innerhalb des Abschlusses ihren besonderen
Abort und häufig auch einen Einwurf in den Müllschacht. Die Tren¬
nung der Wohnungen von einander ist hierbei fast ebenso vollständig
wie bei Einfamilienhäusern, bei denen an der Strasse Hausthür neben
Hausthür liegt. Obgleich diese Baugesellschaften in ihre Miethkasemen
mit Vorliebe kinderreiche Familien aufnehmen, ist doch die Gesund-
Digitized by
Google
69
heit der Bewohner eine ausserordentlich günstige. Die Sterblichkeit
beträgt nämlich durchschnittlich nur 14 vom Tausend, das ist ungefähr
soviel wie in den allerbesten Stadtvierteln von London, während der
Durchschnitt für ganz London etwa 20 und für die ungesunderen Viertel
im Osten der Stadt 30 bis 40 und mehr beträgt.
Der Verein für das Wohl der arbeitenden Classen in Stuttgart
hat in Berücksichtigung der dort vorliegenden Verhältnisse einen Mittel¬
weg zwischen Miethkaserne und Einfamilienhaus gewählt, indem er
Häuser erbaute, die ausser dem Erdgeschoss nur noch ein Obergeschoss
und ein zu Wohnungen ausgebautes Dachgeschoss haben, wobei aber
jede Wohnung für sich abgeschlossen ist. Dadurch wurde erreicht,
dass die Kosten des Grund und Bodens die einzelnen Wohnungen nur
mässig belasten, dass die Nachtheile der Miethkaserne zum grössten
Theil vermieden wurden und dass die Möglichkeit erhalten blieb, die
Häuser in das Eigenthum ihrer Bewohner übergehen zu lassen. Auf
diesen letzteren Punkt wurde mit Recht aus socialpolitischen Gründen
grosses Gewicht gelegt; man wollte den Trieb zum Sparen anregen
und eine sesshafte und besitzende Bevölkerung heranziehen. Der neue
Besitzer des Hauses wird allerdings, da sein Haus mehrere Wohnungen
enthält, nun auch Vermiether, und es liegt die Gefahr vor, dass er die
Miethen nach Möglichkeit hinauftreibt und dadurch dem gemein¬
nützigen Zweck des Vereins entgegenwirkt. Um dies zu verhindern,
ist für ausreichendes Angebot an zu vermiethenden Wohnungen zu
sorgen, was zum Theil schon durch die Besitzer der anderen Häuser,
zum Theil aber auch dadurch geschieht, dass der Verein eine Anzahl
der Häuser dauernd in seinem Besitz behält, so namentlich die Eck¬
häuser, welche im Erdgeschoss Verkaufsläden und nur in den oberen
Geschossen zu vermiethende Wohnungen haben.
Sollen ferner die Wohnungen dauernd billig bleiben, so ist es
nöthig zu verhindern, dass durch Speculationsverkäufe der Werth der
Häuser künstlich in die Höhe getrieben wird. Aus diesem Grunde
behält sich der Verein ein Vorrecht des Rückkaufes zu einem Preise
vor, welcher dem ersten Verkaufspreis nach Abzug eines angemessenen
Betrages für Abnutzung u. s. w. entspricht.
Wie die hieraus sich ergebenden rechtlichen Verhältnisse, wie
ferner die Rückstellungen zu Abschreibungen und Reserven, die
Sicherung gegen Verluste durch Miethausfälle geregelt wurden, wie
sich das Verhältniss des Vereins zu den Hausanwärtern und zu den
Miethern gestaltete und wie überhaupt die gesammte Verwaltung ein¬
gerichtet wurde und welche finanziellen Ergebnisse erzielt wurden, ist
in den weiteren Capiteln des Buches ganz ausführlich dargelegt. Der
ganze Inhalt des Buches, aber unseres Erachtens ganz besonders auch
dieser letzterwähnte Theil desselben, ist allen denen eindringlichst zuni
Digitized by
Google
70
Studium zu empfehlen, welche sich mit der praktischen Lösung der
Frage der Beschaffung billiger Wohnungen befassen wollen.
Bei Gelegenheit der Tagung des Deutschen Vereins ftlr öffentliche
Gesundheitspflege in Stuttgart fand auch eine Besichtigung der Colonie
Ostheim statt, und es mag wohl mancher der Theilnehmer an diesem
Ausflug den Eindruck gewonnen haben, dass die dortigen Häuser doch
eigentlich nicht Arbeiterwohnungen, weil hierfür zu aufwandreich er¬
baut und daher zu theuer seien.
Der Verein für das Wohl der arbeitenden Classen hat sich von
Anfang an dagegen verwahrt, dass er nur Wohnungen für Arbeiter in
dem landläufigen Sinne des Wortes, nämlich nur für Fabrikarbeiter
und andere Arbeiter der alleruntersten Classen, bauen wolle; er ist
der Ansicht, dass nicht bloss diese, sondern auch die besser gestellten
Arbeiter und sogenannten kleinen Leute aller Berufsarten unter der
herrschenden Wohnungsnoth zu leiden und daher ebensowohl Anspruch
auf Berücksichtigung haben.
Von dieser Voraussetzung ausgehend wollte der Verein vor allen
Dingen gute, gesunde und billige Wohnungen für alle unteren Klassen
schaffen, und es muss ihm die Anerkennung gezollt werden, dass er
dies auf zum Theil ganz neuen Wegen und trotz vieler Anfeindungen
in der vortrefflichsten W'eise erreicht hat. Wenngleich es möglich
gewesen wäre, bei dem Bau der Häuser vielleicht hier und da noch zu
sparen, so sind doch auch jetzt schon die Miethpreise der Wohnungen
so niedrig, dass sie auch für den gewöhnlichen Arbeiter erschwinglich
sind. Eine Wohnung von drei Zimmern kostet 252—312 Mark, eine
solche von zwei Zimmern 204—252 Mark, eine Dachwohnung von zwei
Zimmern 138—180 Mark jährlich.
Dabei gehört zu jeder dieser Wohnungen ein abgeschlossener Vor¬
platz und innerhalb desselben Küche und Abort, ferner ein Kellerraum
und ein Platz zum Lagern von Brennmaterial, sowie ein bis zwei ab¬
geschlossene Räume auf dem Speicher, wovon einer meist auch noch
als Schlaf- oder Wohn raum benutzt werden kann. Ausserdem ist jede
Wohnung mit Wasserleitung versehen, und der Wasserpreis ist dem
Miethpreis bereits eingerechnet. Thatsächlich befinden sich unter den
537 Miethem der Colonie Ostheim weit überwiegend Lohnarbeiter im
engeren Sinne, nämlich 420 dem Arbeiterstand angehörige Miether,
ferner 35 Unterbedienstete von Staat und Gemeinde, 47 Beamte und
Privatangestellte, 1 Arzt, 1 Geistlicher, 1 Schriftsteller, sowie 32 Kauf¬
leute, Wirthe und sonstige Geschäftsleute.
Die Lösung der Wohnungsfrage ist nicht nur für weite Kreise
der Bevölkerung, sondern auch für Staat und Gemeinde und ganz be¬
sonders für grosse Fabrikstädte von der äussersten Wichtigkeit. Wenn¬
gleich in neuerer Zeit vieles in dieser Richtung geschehen ist, wovon
die Colonie Ostheim in Stuttgart ein hervorragendes Beispiel abgiebt,
Digitized by
Google
71
so ist doch an manchen Orten der Nothstand von so ausserordentlichem
Umfange, dass dagegen alles, was bisher geschehen ist, geringfügig
erscheinen muss, und dies hat seinen Grund wohl wesentlich darin,
dass man in dem löblichen Bestreben, möglichst billige Wohnungen
herzustellen, den grössten Werth auf möglichst billige Geldbeschaffung
legt; so billiges Geld in so grossen Summen ist aber nur durch Ver¬
mittelung des Staates, der Gemeinden oder öffentlichen Institute auf
oft sehr umständliche, schwerfällige Weise zu erlangen. Ganz wesent¬
lich leichter wird die Capitalbeschaffung sein, wenn man zwar die
vorerwähnten Quellen nach Möglichkeit benutzt, ausserdem aber auch
das Privatcapital dadurch wesentlich mit heranzieht, dass man ihm
einen höheren Zinssatz, z. B. 5 0/ o bewilligt, wonach sich dann wohl
bald die Ueberzeugung Bahn brechen wttrde, dass die Herstellung
billiger Wohnungen eine sehr gute, sichere und dabei ergiebigere
Capitalanlage bildet, als die Anschaffung von Werthpapieren von gleicher
Sicherheit. Dies ist in England thatsächlich der Fall. Allerdings sind
in England die Löhne der arbeitenden Classen meist nicht unbedeutend
höher als bei uns, die Miether der Wohnungen daher auch in der
Lage, höhere Miethen zu zahlen. Dagegen sind bei uns wiederum die
Baupreise niedriger als in England, das auf die einzelnen Wohnungen
entfallende Anlagecapital daher kleiner. Der Einfluss dieser beiden
Umstände gleicht sich daher einigermaassen aus.
Der vorher angedeutete Weg ist in grossartigem Maassstab von
verschiedenen englischen Gesellschaften beschritten worden, so z. B.
von der Improved Industrial Dwellings Company in London.
Dieselbe hat eine grosse Anzahl sehr gut eingerichtete Mieth-
kasernen in den verschiedensten Stadttheilen von London errichtet.
Die einzelnen Wohnungen haben meist zwei oder drei Zimmer. Jede
Wohnung ist vollständig abgeschlossen und hat innerhalb des Ab¬
schlusses ihren Abort. Die Treppenhäuser sind dem Eintritt der
Aussenluft frei zugänglich; jedes derselben dient für je vier Woh¬
nungen in jedem Geschoss. An jedem Treppenhaus befindet sich ein
Müllschacht. Die Häuser der Gesellschaft enthielten vor einigen Jahren
insgesammt 5848 Wohnungen, in welchen rund 26 000 Menschen
wohnten, so dass auf jede Wohnung durchschnittlich rund 4,85 Be¬
wohner kamen.
Das gesammte Anlagecapital, betrug damals rund 19,4 Millionen
Mark. Die Anlagekosten der Wohnungen betrugen durchschnittlich
für den Kopf der Bewohner 812 Mark. Die Miethe der Wohnungen
beträgt durchschnittlich 2,05 Mark für ein Zimmer wöchentlich oder rund
218 Mark für eine Wohnung von zwei und 820 Mark für eine Wohnung
von drei Zimmern; in diesen Preis sind Steuern und Abgaben, Reparaturen,
Wasserbezug u. s. w. einbegriffen. Die Sterblichkeitsziffer stellte sich für
die Bewohner dieser Häuser im Durchschnitt einer Reihe von Jahren auf
Digitized by
Google
72
13,7 pro 1000, während sie für ganz London durchschnittlich rund 20
betrug. Eine Uebertragung ansteckender Krankheiten zwischen den
Bewohnern verschiedener Geschosse wurde niemals beobachtet, dagegen
wohl zwischen Bewohnern desselben Geschosses. Diese Fälle konnten
meist leicht darauf zurückgeführt werden, dass den von der Krankheit
befallenen Familien von ihren Flurnachbarn Hülfe geleistet worden war.
Annähernd die Hälfte des gesammten Anlagecapitals ist von der Staats¬
regierung hergeliehen, welche auf Grund gesetzlicher Bestimmungen
bis zu 50 °/o des Bauwerthes der Häuser Capital zu 3 Vs bis 3 8 /s °/o
Zinsen, je nachdem die Rückzahlung in 20 bis 40 Jahren stattfindet,
unter der Bedingung beisteuert, dass die Gesellschaft für ihr eigenes
Capital nicht mehr als 5 °/o Dividende beansprucht. Die andere Hälfte
ist von den Mitgliedern der Gesellschaft beigesteuert. Diesem letz¬
teren Capital ist seit dem Bestehen der Gesellschaft, das ist seit dem
Jahre 1859, regelmässig eine Dividende von jährlich 5 °/o zugeflossen.
Der hierüber hinaus sich ergebende Ueberschuss wurde statutengemäss
zur Erbauung weiterer Wohnungen verwendet.
Eine andere Gesellschaft, die Artizans, Labourers and General
Dwellings Company in London befasst sich hauptsächlich mit der Er¬
bauung von Einfamilienhäusern. Sie besass vor einigen Jahren in
London vier grosse Ansiedelungen mit zusammen über 6000 solcher
Häuser. Die letzteren sind in Reihen nach fünf verschiedenen Grund¬
risstypen, aber in wechselnder äusserer Ausbildung erbaut und haben
vier bis sieben Zimmer. Die Grundstücke haben 4 bis 4,9 Meter Front
und 18 bis 26 Meter Tiefe. Die Miethpreise betragen 318 Mark für
den kleinsten und 610 Mark für den grössten Typus jährlich. Diese
Ausgabe ermässigt sich unter Umständen erheblich durch Unterver-
miethung einzelner Zimmer an Unverheirathete.
Die von der letzterwähnten Gesellschaft geschaffenen Wohnungen
sind schon so hoch im Preise, dass sie meist nur besser gestellten
Arbeitern, Vorarbeitern, Werkführern u. s. w., sowie kleinen Beamten,
Privatangestellten und Geschäftsleuten erreichbar sind. Dagegen werden
die von der ersterwähnten Gesellschaft erbauten Wohnungen fast aus¬
schliesslich von gewöhnlichen Lohnarbeitern benutzt, sind aber freilich
für die alleruntersten Classen der Arbeiter auch noch zu theuer. Diese
werden wohl immer darauf angewiesen bleiben, sich durch Unter-
miethung ein nothdürftiges Unterkommen zu suchen. Mittelbar haben
aber auch sie einen Vortheil, denn wenn die besseren Arbeiterfamilien
aus diesen schlechten Wohnungen in die ihnen von den Baugesell¬
schaften gebotenen bedeutend besseren und nicht oder nur unwesent¬
lich theuereren Wohnungen übersiedeln, so werden dadurch zahlreiche
Wohnungen der ersteren Art frei, es entsteht mehr Angebot, die Be¬
sitzer der betreffenden Häuser werden gezwungen, auch diese schlechten
Wohnungen einigermaassen zu verbessern und die Miethpreise herab-
Digitized by ^.ooQle
73
zusetzen, was dann den untersten Schichten der Ajbeiterbevölkerung
zu gute kommt.
Es ist bekannt, dass in allen grossen und namentlich Fabrik*
Städten aus den Wohnungen der allerschlechtesten Art die verhältniss-
mässig höchsten Mietherträge von den Besitzern erzielt werden und
von den letzteren daher auch die Schaffung guter und billiger Woh¬
nungen durch Vereine und Gesellschaften sehr ungern gesehen wird.
Von den grauenerregenden Zuständen, welche in den Wohnungen der
untersten Classen vielfach herrschen, kann sich niemand eine Vor¬
stellung machen, der nicht Gelegenheit gehabt hat, solche mit eigenen
Augen zu schauen. Wer aber dieses Elend kennen gelernt hat, kann
nur den lebhaftesten Wunsch haben, dass in noch viel grösserem Um¬
fange als bisher neue gute und billige Wohnungen geschaffen werden.
Denjenigen, welche sich mit dieser Aufgabe befassen wollen, wird das
vorliegende Buch ein ausserordentlich nützlicher und zuverlässiger Weg¬
weiser sein. Stadtbaurath Heuser (Aachen).
Verein für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Iiindenau. General¬
bericht für die Zeit vom April 1891 bis Juli 1895.
Als Zweck der Veröffentlichung des Berichtes wird im Eingang
desselben lediglich die Absicht bezeichnet, „weitere capitalistische Kreise
von der praktischen Ausführbarkeit einer dringenden socialwirthschaft-
lichen Aufgabe zu überzeugen, ohne dass ihnen capitalistische Opfer
zugemuthet werden“.
In der Besprechung des Werkes „Eigenes Heim und billige Woh¬
nungen“ wurde bemerkt, dass alle die bisherigen Bestrebungen, gute
und billige Wohnungen für die unteren Classen zu schaffen, unseres
Erachtens bei Weitem noch nicht genügten, um dem in grossen, nament¬
lich in Fabrikstädten herrschenden Bedürfnisse zu begegnen, und dass
dieses nur dadurch zu ermöglichen sein würde, dass das Privatcapital
sich mehr als bisher diesen Unternehmungen zuwende und darin eine
gute und sichere Capitalanlage mit ausreichender Verzinsung finde, wie
dies in englischen Städten vielfach der Fall sei.
Die vorliegende kleine Schrift giebt Aufschluss über ein erfolg¬
reiches und nachahmenswerthes Beispiel in dieser Richtung.
Der Verein für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Lindenau
ist von diesem Grundsatz ausgegangen. Er beansprucht für Verzinsung
des Anlagecapitals für den Baugrund und die Strassenzüge, sowie des
Baucapitals 3 °/o Zinsen, ausserdem für den Aufwand für bauliche
Unterhaltung V 2 °/o und für den Aufwand für Verwaltung und die
übrigen Ausgaben IV 2 °/o, also im Ganzen 5 0 0 des gesammten Anlage¬
capitals. Hiernach sind die Miethen berechnet und wie folgt fest¬
gesetzt: Für eine Wohnung, bestehend aus einer zweifenstrigen Stube,
einer einfenstrigen Stube, Küche und Vorraum, im Erdgeschoss 150 Mark,
Digitized by
Google
74
im ersten Stock 1(J0 Mark, im zweiten Stock 145 Mark und im dritten
Stock 130 Mark, also im Durchschnitt 146,25 Mark jährlich; ferner
für eine Wohnung, bestehend aus einer zweifenstrigen und zwei ein-
fenstrigen Stuben, sowie Küche und Vorraum, im Erdgeschoss 200 Mark,
im ersten Stock 200 Mark, im zweiten Stock 180 Mark, im dritten
Stock 155 Mark, also im Durchschnitt 184 Mark jährlich. Der Preis
einer einfenstrigen Stube beträgt je nach den Geschossen 60, bezw. 50
und 40 Mark, im Durchschnitt 52,25 Mark jährlich. Für einen Garten
sind wöchentlich 15 Pfennige zu entrichten. Die Preise der Wohnungen
stellen sich hiernach ein Sechstel bis ein Fünftel billiger als die orts¬
üblichen.
Der Verein hat zwei Baublöcke von durchschnittlich etwa 87 m
Tiefe erworben und dieselben rundum mit Miethkasernen bebaut, den
zwischen den Häusern verbleibenden inneren Raum der Blöcke aber
in eine grosse Anzahl von kleinen Gärtchen eingetheilt, welche eben¬
falls an die Hausbewohner vermiethet werden.
An dem Kopfende des einen Blockes ist ein Kinderhort und eine
Wasch- und Badeanstalt errichtet. Die Eckhäuser sind im Erdgeschoss
mit Kaufläden versehen. Die Gesammtanlage umfasst 39 Wohnhäuser
und bietet Unterkunft für 400 Familien; bebaut sind im Ganzen
6956 qm; der zwischen den Gebäuden verbleibende Raum für Höfe,
Wege und Gärten beträgt rund 15 000 qm; es sind 202 gleich grosse,
mit Fruchtbäumen bestandene Gärtchen von je 40 qm Fläche vor¬
handen, welche viel begehrt und daher leicht vermiethbar sind.
Die in fortlaufender Reihe erbauten Häuser haben eine Front¬
länge an der Strasse von je 14 m und eine Tiefe von 9,70 m; das
an der Rückseite um 1,82 m vorspringende Treppenhaus, welches zu¬
gleich, von den Podesten aus zugänglich, die Aborte enthält, bildet
den Zugang für je zwei Wohnungen in jedem Stockwerk. Jede Woh¬
nung ist gegen das Treppenhaus abgeschlossen. In jedem Stockwerk
ist ein Zimmer unmittelbar vom Treppenhaus aus zugänglich und
daher für sich allein vermiethbar; dadurch erhält die eine der beiden
Familienwohnungen eines Stockwerkes ein Zimmer weniger als die
andere.
Von den vorhandenen 400 Wohnungen einschliesslich der 38 ein¬
zelnen Stuben war zur Zeit des Herausgebens des Berichtes nur eine
unbewohnt. Die übrigen waren bewohnt von 710 Erwachsenen und
1082 Kindern, zusammen 1792 Personen. Der Wohnungswechsel hat
stetig abgenommen; im letzten Jahre sind 36 Miether aus- und 35
Miether eingezogen. Der gesammte Miethausfall betrug innerhalb des
letzten Jahres 213 Miethwochen, entsprechend einem Einnahmeverlust
von 689,75 Mark, das ist ein kleiner Bruchtheil über 1 °/o der Ge-
sammteinnahme. Dazu kommen aber noch rund 6 °/o an uneinbring¬
lichen Miethschulden. Die Miethen werden wöchentlich einkassirt.
Digitized by
Google
75
Die Reinhaltung und die Beleuchtung der Häuser sammt deren Zubehör,
das Reinigen der Strassen und der Höfe, die Beleuchtung der Treppen¬
häuser, das Schliessen und Oeflhen der Hausthüren etc. ist einer An¬
zahl sogenannter Hausmänner, welche Mitbewohner der Ansiedelung
sind, gegen eine mässige Vergütung übertragen worden.
Der Anhang der kleinen Schrift enthält das Formular eines Miet¬
vertrages nebst Verzeichniss der vermieteten Räume und Gegenstände,
die Hausordnung, die Gartenordnung, den Dienstvertrag mit den Haus¬
männern und die Satzungen der Kinderbewahranstalt.
Stadtbaurath Heuser (Aachen).
F. Pollitz, Die Wasserversorgung und die Beseitigung der Abwässer
grösserer Krankenanstalten unter besonderer Berücksichtigung der
Irrenanstalten. Vierteljahresschrift für gerichtliche Medicin etc. 1895
Supplementheft, und 1896, 1. Heft.
Während in grösseren sowohl als auch in kleineren Städten die
Krankenhäuser an den im Orte jeweils vorhandenen Einrichtungen für
Wasserversorgung und Abwässerabfuhr participiren, liegen in den
grossen Krankenanstalten die .— von einem 'grösseren Gemeinwesen
mehr oder weniger entfernt gelegen — einen geschlossenen Betrieb in
sich bilden und auf die Zufuhr von Wasser und die Unterbringung
ihrer Abwässer selbst bedacht sein müssen, die Verhältnisse wesentlich
anders und schwieriger.
Was zunächst für derartige Krankenhäuser die Wasserversorgung
im Allgemeinen angeht, so lassen sich nach den Ausführungen von
Pollitz die Forderungen, die zu stellen sind, kurz nach drei Richtungen
formuliren: man verlangt ein physikalisch, chemisch und medicinisch,
d. i. bacteriologisch untadelhaftes Wasser, und nur Methoden, die diesen
Forderungen entsprechen, können bei der Wasserversorgung einer
Krankenanstalt in Frage kommen. Was zunächst die physikalische
Beschaffenheit eines Wassers angeht, so hat man kurz zusammengefasst
folgende Forderungen zu stellen: Das Wasser muss in einer dem Be¬
darf der Anstalt genügenden Menge vorhanden sein, es muss klar, von
angenehmem, nicht fadem Geschmack und geruchlos sein, es darf nur
geringen, um 10° sich bewegenden Temperaturschwankungen während
des Jahres unterliegen.
Ist das Wasser in physikalischer Hinsicht als geeignet anzusehen,
so kommt weiterhin die chemische Untersuchung in Betracht. Vorzüg¬
lich kommen von chemischen Körpern folgende in Frage:
1. Der Kalk- und Magnesiagehalt, dem Wasser seine Härte verdankt.
Dieselbe soll 18 deutsche Härtegrade nicht übersteigen.
2. Die organische Substanz, nachweisbar durch die Chamäleonprobe.
3. Chlor mittelst Silbernitratlösung als Kochsalz nachgewiesen; die
Digitized by
Google
76
zulässige Menge ist nach Schulz 5 mg, nach Roth 20—30 mg pro
Liter, nach Niederstädt 3 — 5 Theile auf 100000.
4. Salpetersäure durch die Brucinreaction und andere nachzuweisen,
falls keine salpetrige Säure vorhanden ist, soll 2,5 Theile auf
100000 nicht überschreiten (Niederstädt), 3—4 mg pro Liter
(Roth).
5. Von den übrigen chemischen Körpern hat die Phosphorsäure —
durch ihre Reaction auf Ammonium molybdaenicum nachzuweisen
— einen besonderen Werth, insofern ihr Vorhandensein mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf unreine Zuflüsse schliessen lässt.
Besonders die drei letztgenannten Beimengungen bedeuten, falls
sie in wechselnder Menge, oder in die Durchschnittzahlen wesentlich
überschreitender Concentration auftreten, auf Verunreinigung durch
menschliche Ausscheidungen, besonders durchsickernden Harn hin.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist nach der heutigen Auffassung
ftir die Beurtheilung der Zulässigkeit eines Wassers die medicinisch-
bakteriologische Untersuchung. Schon eine einfache mikroskopische
Untersuchung des Wassers lässt Verunreinigungen aus den menschlichen
Haushalte, wie Fäkalpartikel, Fleischfasern und dergl., aber auch
ernstere und bedenklichere Beimengungen, wie tbierisclie Parasiten,
theils in ausgebildetem, theils im Larvenzustand oder deren Eier er¬
kennen. Es kommen da Ascaris, Oxyuris, Taenia solium, Tricho-
cephalus dispar und Distoma hepaticum und hämatobium in Betracht.
Ausschlaggebend ist jedoch der Nachweis etwa vorhandener pathogener
Mikroorganismen, wie sie durch die bakteriologische Technik nachge¬
wiesen werden können. In Betracht werden vor Allem die Typhus-
und Cholerabacillen gezogen werden müssen.
Was den Keimgehalt des Wassers im Allgemeinen angeht, so soll
derselbe je nach der Entnahmestelle und den äusseren Bedingungen
möglichst gering und keinen Schwankungen ausgesetzt sein, es darf keine
Gelegenheit zum Eindringen von Keimen vorhanden sein.
Die Frage der Wasserversorgung im Speciellen hängt von ver¬
schiedenen Umständen, besonders von der geographischen Lage der
Krankenanstalt ab. Im Allgemeinen soll eine sorgfältig angelegte, vor
jeglicher Verunreinigung geschützte Grundwasserleitung zur Wasser¬
versorgung einer grossen Krankenanstalt vom Standpunkt der Hygiene
in erster Linie erstrebt werden. Wo dies absolut unmöglich ist, kann
eine Versorgung durch filtrirtes Oberflächenwasser, das einer stetigen
sanitätspolizeilichen Controle zu unterwerfen ist, zugelassen werden.
Im zweiten Abschnitte seiner Abhandlung fasst Pollitz die An¬
forderungen, die man an eine hygienisch und sanitätspolizeilich empfehleus-
werthe und zulässige Beseitigung der Abwässer einer Krankenanstalt
stellen muss, in folgenden Sätzen zusammen:
Digitized by
Google
77
1. Die Abwässer dürfen weder innerhalb noch ausserhalb der An¬
stalt zu einer Quelle von Infection werden.
2. Dieselben sollen weder Luft, noch Wasser, noch Boden ver¬
unreinigen.
3. Es ist jede Flussverunreinigung zu vermeiden.
4. Das Anstaltsterrain muss gleichzeitig drainirt werden.
5. Die in dem Abwasser vorhandenen verwerthbaren Stoffe sind
unter Bewahrung aller sänitärer Vorschriften, wenn möglich, aus¬
zunutzen.
Von den speciellen Methoden genügt diesen Anforderungen am
besten die Beseitigung durch eine Canalisation, die alle Abwässer auf¬
nimmt. Die Reinigung des Abwassers wird am vollständigsten und
billigsten durch Rieselfelder erzielt. Wo diese aus localen Gründen nicht
angelegt werden können, sind die Methoden der künstlichen Reinigung
heranzuziehen, deren Ergebnisse bei den einfacheren vom sanitäts¬
polizeilichen Standpunkte aus nicht einwandsfrei sind. Gruben und
Tonnensystem sind für Krankenanstalten zu verwerfen.
Bleibtreu (Köln).
Ctoorge E. Waring jr., M. J. C. E., Modern Methode of 8ewage Disposal
for Towns, Public InstitutionB and Isolated Houees. New York und
London.
Der Verfasser verfolgte die Absicht, in bequemer Form und inner¬
halb mässigen Umfanges die wichtigeren Ergebnisse der neueren For¬
schungen und Erfahrungen auf dem Gebiete der Beseitigung und der
Reinigung städtischer Schmutzwasser zusammenzufassen.
Dem Fachtechniker wollte er nicht etwas besonders Neues, son¬
dern nur einen gedrängten Ueberblick über den augenblicklichen Stand
der bezüglichen Fragen bieten. Dagegen war es insbesondere seine
Absicht, denjenigen Laien einen zuverlässigen Wegweiser in die Hand
zu geben, welche in Folge ihrer Mitwirkung bei der städtischen Ver¬
waltung berufen sind, über die zur Beseitigung und Reinigung der
städtischen Schmutzwasser einzuschlagenden Wege zu entscheiden. Ihnen
vornehmlich soll dieser Wegweiser in gedrängter Kürze eine Ueber-
sicht über das ganze fragliche Gebiet geben und sie befähigen, unter
bestimmten vorliegenden Verhältnissen den für den gegebenen Fall
zweckmässigsten Weg zu wählen. Der Verfasser ist der hauptsäch¬
lichste Vertreter des Trennungssystems in seiner vollen Strenge. Er
hat es jedoch mit Recht vermieden, in dem vorliegenden Wqrkchen
seine bezüglichen Ansichten besonders hervorzukehren, behandelt viel¬
mehr den Stoff durchaus vorurteilsfrei, rein sachlich und zugleich sehr
klar und übersichtlich. Ausser den verschiedenen Verfahrungsarten
zur Beseitigung und Reinigung der Schmutzwasser wird insbesondere
auch der erforderliche Grad der Reinigung, sowie die durch die höchst
Digitized by
Google
78
bemerkenswerthen und umfassenden Untersuchungen des Massachusetts
State Board of Health in neuerer Zeit gewonnene Erkenntniss tiber die
Vorgänge bei der Reinigung des Wassers mittelst Filtration durch den
Erdboden besprochen.
Am Schlüsse werden dann noch die für Landhäuser und vereinzelt
gelegene, von vielen Menschen bewohnte Anstalten, wie Krankenhäuser,
Irrenanstalten u. dergl. zur Beseitigung und Reinigung der Schmutz¬
wasser zu treffenden Einrichtungen erörtert.
Das kleine Werk kann bestens empfohlen werden.
Stadtbaurath Heuser (Aachen).
Dannemann, Geisteskrankheit und Irrenaeelsorge. Ein Wort zur Auf¬
klärung und Warnung. Bremen 1895.
Gegen die Bestrebungen gewisser theologischer Kreise, bei der
Behandlung von Geisteskrankheiten der Geistlichkeit auf Kosten des
ärztlichen Einflusses die führende Stellung zu erobern, wendet sich
das vorliegende Schriftchen Dannemann’s in eindrucksvoller Weise.
Es ist an das gesammte gebildete Publicum gerichtet, und in der
That ist es gut, dass die mittelalterlichen Anschauungen, aus denen
jene Herren ihre Forderungen ableiten, einmal in ihren eigenen
Worten niedriger gehängt werden. Einer weiteren Polemik bedarf es
dann wohl nicht mehr. Lieb mann (Köln).
Oesterreiohi8cher Ingenieur- und Architekten-Verein. Bericht des
Ausschusses über die Wasserversorgung Wiens. Wien 1895. Verlag
des Österreich. Ingenieur- u. Architekten-Vereins.
Mehr als irgend ein anderer technischer Verein greift der Verein,
dem wir dieses stattliche und sehr umfangreiche Werk über die Er¬
gänzung und weitere Ausgestaltung der Wiener Wasserversorgung ver¬
danken, durch thätige Mithilfe in die Lösung der grossen, in Wien
und Oesterreich schwebenden Fragen technischen Inhaltes ein. Der aus
17 Mitgliedern bestehende Ausschuss hat in 22 Sitzungen den Gegen¬
stand berathen, 20 andere Sachverständige in seiner Mitte begrüsst
und vernommen und dann die Redaction des Berathungs-Ergebnisses
einem aus den Herren Pollack, Witz, Schurz, Wilhelm und Freund
bestehenden Unterausschuss übertragen. Das Werk besteht aus den
Sitzungsprotokollen nebst deren Beilagen und dem eigentlichen Aus-
schussberichte. Letzterer gliedert sich in die allgemeine Darstellung
der Aufgabe, die Ergänzung der Hochquellenleitung, die allgemeinen
Maassnahmen zur Wasserbeschaffung, die Untersuchung der Gewinnungs¬
gebiete und in ein klares Schluss-ResumA Der Schrift sind 8 Tafeln
mit zahlreichen Abbildungen beigegebeu. Zwar ist es hier nicht möglich,
auf die Wiener Wasserversorgung, ihre Vorzüge und Schattenseiten,
sowie die Vorschläge des Vereins-Ausschusses sachlich näher einzugehen.
Digitized by CjOOQle
79
Wohl aber kann das bedeutungsvolle Werk des Wiener Ingenieur- und
Architekten-Vereins nicht bloss zum aufmerksamen Studium empfohlen
werden, sondern verdient zugleich wegen seiner Uneigenntttzigkeit und
seines Eifers fUr das Wohl der Bevölkerung unumschränktes Loh. Es
möge ein Vorbild sein für alle ähnlichen Bestrebungen auf gesund¬
heitlichem Gebiete in den technischen und hygienischen Vereinen
Deutschlands. J. S t ti b h e n.
Prof. A. di Vesta, Statistische Bemerkungen über die sanitären Be¬
dingungen der kleinen Gemeinden. Giornale della reale societä italiana
d’igiene. October 1894.
Aus den Veröffentlichungen des italienischen statistischen Amtes
geht hervor, dass in dem Zeiträume von 1887—90 die Sterblichkeit
an Masern, Scharlach, Typhus, Diphtherie und Erkrankungen im
Puerperium auf dem Lande und in den kleinen Städten erheblicher
war als in den Mittel- und grossen Städten, dagegen kehrte sich bei
der Pneumonie und der Tuberkulose das Verhältnis um, so dass
schliesslich die grossen Städte ungünstiger dastehen als die kleinen
Gemeinden. (274,2:265,1 auf 10 000 Einwohner in den vier Jahren.)
Um diese auffallende Thatsache näher zu ergründen, untersuchte
Verfasser speciell das Verhältnis der Todesfälle an Typhus und die
Kindersterblichkeit. Er theilt zu diesem Zwecke die Gemeinden in
drei Kategorien: 1) Solche mit über 70 000 Einwohnern. 2) Mittel¬
städte. 3) Kleine Gemeinden im eigentlichen Sinne des Wortes. Es
stellte sich hierbei heraus, dass trotz der grösseren Dichtigkeit der
Bevölkerung, trotzdem viele Kranke von draussen in die Hospitäler
der Städte hineingebracht werden, und obgleich die grössere Zahl der
unehelichen Geburten in den Städten ein ungünstiger Factor für die
Kindersterblichkeit ist, dennoch fast durchweg die grossen Städte die
beste Ziffer haben. Dann folgen die Mittelstädte; am schlechtesten steht
das platte Land. Auf das ganze Königreich berechnet, verhielt sich in
der Berichtszeit die Typhussterblichkeit wie 1 : 1,04 : 1,81, die Kinder¬
sterblichkeit wie 1 : 1,38 :1,38 in diesen drei Kategorien.
Verfasser zieht den Schluss, dass demnach in den grösseren Ge¬
meindeverbänden mehr für die öffentliche Gesundheitspflege geschieht,
so dass hier die vermeidbaren Erkrankungen gegenüber den kleinen
Ortschaften erheblich sinken. Er verlangt, dass auch für diese Ge¬
meinden mehr als es bisher der Fall gewesen, die staatliche Fürsorge
in hygienischer Beziehung Platz greifen müsse und glaubt, dass mit
der Verbesserung der sanitären Verhältnisse auf dem Lande ein wich¬
tiges Moment für die Entvölkerung der Landgemeinden und das
Ueberwuchern der Städte wegfallen würde.
Dr. Kronenberg (Solingen).
Digitized by ^.ooQle
80
Fr. Müller, Die Schlammfieber-Epidemie in Schlesien vom Jahre 1891.
Münchener med. Wochenschrift 1894, Nr. 40 u. 41.
Der Verfasser lenkt in diesem Aufsatz die Aufmerksamkeit der
Aerzte auf eine im Sommer 1891 in mehreren Orten Schlesiens
beobachtete, eigentümliche epidemische Erkrankung. Die von der¬
selben befallenen Gegenden gehörten sämmtlich dem Stromgebiet der
Oder und deren Nebenflüssen an. Ergriffen waren hauptsächlich die
Ortschaften um Ratibor, Cosel, Oppeln, Brieg, Ohlau, Breslau und
Glogau, und zwar fast ausschliesslich die ländliche Bevölkerung. Das
Ausdehnungsgebiet der Epidemie ist auf einer beigefügten Karte von
Schlesien kenntlich gemacht. Die Epidemie begann Ende Juni, er¬
reichte Ende Juli und im August ihren Höhepunkt, um im October
zu erlöschen. Es zeichnete sich das Jahr 1891 dadurch aus, dass im
Odergebiet im März und später während des Sommers der Boden
durch zahlreiche Ueberschwemmungen sehr durchfeuchtet war, und steht
wohl hiermit die Epidemie jedenfalls in ursächlichem Zusammenhang.
Hauptsächlich befallen wurden die im landwirthschaftlichen Betriebe
beschäftigten jungen, kräftigen Knechte und Mägde, sowie die Drainage¬
arbeiter. Kinder und ältere Leute blieben verschont. Unter dem
Militär wurden nur die Gemeinen und Gefreiten befallen, während
die Officiere und Unterofficiere frei blieben. Da bei der Gutartigkeit
der Erkrankung meistens ärztliche Hülfe nicht in Anspruch genommen
wurde, so ist eine auch nur annähernde Angabe der Erkrankungsfölle
nicht möglich. Beide Geschlechter waren anscheinend gleichmässig
befallen, nur in einzelnen Gegenden, wo die Feldarbeit hauptsächlich
den Frauen obliegt, überwog die Zahl der erkrankten weiblichen Per¬
sonen die der männlichen bedeutend, so dass man in einzelnen
Gegenden die Krankheit sogar als „Weiberkrankheit“ bezeichnete.
Der typische Krankheitsverlauf war folgender: Plötzlicher Anfang ohne
Vorboten mit Schüttelfrost, Fieber bis zu 40 und 41 0 C., starke Kopf-,
Nacken-, Kreuz- und Gliederschmerzen und fast constant heftige
Schmerzen in der Magengegend und zuweilen Erbrechen. Starke Be¬
nommenheit, Delirien, Ohnmachtsanwandlungen, starke Röthe des Ge¬
sichts, injicirte Conjunctiven, Pharyngitis mit fleckiger Röthe der
Tonsillen, Laryngitis, Lymphdrüsenschwellungen am Halse sind mehr oder
weniger vorhanden, Stuhlgang theils angehalten, theils leicht diarrhoisch.
Die Milz oft, aber durchaus nicht immer, vergrössert, häufig auch
Leberschwellung geringen Grades. Das Fieber hielt sich 3—7 Tage
auf gleicher Höhe. Am 4. — 7. Tage entwickelt sich ein von der
Schlüsselbeingegend sich über den Rumpf und die Extremitäten ver¬
breitendes, das Gesicht oft freilassendes, masern-, bisweilen auch
scharlachähnliches Exanthem. Herpes bisweilen beobachtet. Nach
Eintritt des Exanthems verminderten sich mit dem Fieber die Be¬
schwerden. Gewöhnlich geschah die Entfieberung lytisch in 2 bis
Digitized by v^ooQle
81
4 Tagen, beobachtet wurde aber auch kritischer Temperaturabfall mit
Schweissausbruch. 1—3 Tage nach der Entfieberung wurde bisweilen
ein rasch wieder verschwindendes Nachfieber beobachtet. In der Regel
ist die Reconvalescenz eine langsame gewesen. Nachdem Verfasser
zum Beleg für den typischen Verlauf einige Krankheitsgeschichten
nebst den Fiebercurven mitgetheilt hat, geht er zu den Verlaufs¬
anomalien über und erwähnt hierbei, dass neben den leichten und
abortiven Fällen als Seltenheit auch schwere Fälle vorkamen. Als
wichtigste Abweichung erwähnt er das Fehlen des Exanthems bei
sonst gleichen Krankheitserscheinungen. Er glaubt, dass die grossen
Verschiedenheiten in den Angaben über die Häufigkeit des Exanthems
unmöglich auf Zufälligkeiten in der Beobachtung zurtickzuführen sind,
dass vielmehr locale Unterschiede vorhanden waren, die sich eventuell
durch Annahme eines exogenen Parasiten als Krankheitserregers er¬
klären lassen, welcher im Boden und Wasser lebend unter verschiedenen
Lebensbedingungen verschiedene Eigenschaften annehmen kann. Unter
den Complicationen und Nachkrankheiten werden vereinzelt Nieren¬
entzündungen mit hydropischen Anschwellungen, Menstruationsstörungen,
Hodenanschwellung, profuses Nasenbluten erwähnt Während Compli¬
cationen von Seiten der Respirationsorgane selten beobachtet wurden,
waren gastrointestinale Störungen sehr häufig. Die beobachteten Leber¬
schwellungen verliefen meistens ohne Icterus, jedoch wurden vereinzelte
Fälle von hepatogenem Icterus immerhin beobachtet. Es ergab sich
ferner eine eigentümliche Beziehung zum Abdominaltyphus, indem
häufig im Anschluss an das Schlammfieber ein typischer Abdominal¬
typhus auftrat. Der Verlauf der Krankheit war in der überaus grossen
Mehrheit der Fälle ein gutartiger. Was die Aetiologie angeht, so ist
es nicht gelungen, den eigentlichen Erreger der Krankheit zu finden,
jedoch hat man es, nach Müller, wahrscheinlich mit einem im Ursprungs¬
gebiet der Oder und deren Nebenflüssen weitverbreiteten exogenen
Parasiten, etwa einem Fäulnissbacterium, zu thun. Allgemein aber war
man davon überzeugt, dass die Krankheit mit den Feuchtigkeitsver-
hältnissen in den überschwemmten Gegenden in Zusammenhang stehen
müsse; auf welchem Wege jedoch die Infection stattgefunden, ist trotz
mancher interessanter Beobachtung mit Sicherheit nicht zu eruiren ge¬
wesen. Eine directe Contagion von Mensch zu Mensch scheint nach
den mitgetheilten Beobachtungen wahrscheinlich nur höchst selten statt¬
gefunden zu haben.
Der Verfasser kommt, nachdem er die Identität der Erkrankung
mit dem exantemathischen Typhus, der Influenza, sowie der Malaria
durch Anführung gewichtiger Gründe ausgeschlossen hat, zu dem
Resultat, dass wir es mit keiner der bei uns häufiger vorkommenden
Infectionskrankheiten zu thun haben; jedoch hat nach seiner Ansicht
die Krankheit mit dem im Orient einheimischen Denguefieber trotz
CentmlblaU f. aUg. Geaundheitspflege. XV. Jtüurg. 6
Digitized by ^.ooQle
82
einiger Abweichungen manches Verwandte, und ist eine Identificirung
mit demselben nicht ganz von der Hand zu weisen. Ferner wirft Müller
die Frage auf, ob wir es nicht mit einer milden Form der unter dem
Namen Weil’sehe Krankheit bezeichneten Gruppe von Infections-
krankheiten zu thun haben, indem er sich vorstellt, dass der Icterus
in der epidemisch auftretenden Weil’sehen Krankheit nicht ein unum¬
gänglich nöthiges Symptom darstellt, sondern dass in leichten Fällen
resp. Epidemien die Krankheit ohne Icterus verlaufen könne.
Bleibtreu (Köln).-
W. Pietrueky, Ueber das Auftreten des Fleckfiebers in Schlesien und
die zu dessen Verhütung geeigneten sänitätspolizeilichen Maassregeln.
Vierteljahresschrift für gerichtl. Medicin- und öffentliches Sänitätswesen,
1895, X. Bd., Heft 2, und XI. Bd., Heft 1.
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung lassen sich folgender-
maassen zusammenfassen: „Das Fleckfieber, welches seit dem Anfang
dieses Jahrhunderts in Schlesien in mehreren grossen Epidemien auf¬
getreten ist und besonders den Regierungsbezirk Oppeln, wo dasselbe
bis in die jüngste Zeit endemisch geblieben ist, befallen hat, während
der Regierungsbezirk Liegnitz von der Krankheit stets verschont ge¬
blieben ist, wird fast immer durch den nicht sesshaften Theil der Be¬
völkerung (Landstreicher, Vagabunden, Bettler etc.) eingeschleppt und
ist in hohem Grade contagiös. Die Weiterverbreitung der Krankheit
wird begünstigt durch das Zusammendrängen von vielen Menschen in
engen, schlecht ventilirten, unsauberen Räumen, eine unzweckmässige
oder mangelhafte Ernährung, Durchfeuchtung des Bodens. Als Vor¬
beugungsmaassregeln empfiehlt Pietrusky Sorge für genügende Anzahl
von Wohnungen, speciell bei der Arbeiterbevölkerung, sanitätspolizei¬
liche Controle der vorhandenen Wohnungen, namentlich bei nicht
sesshaften Arbeitern, Hebung der Bildung im Allgemeinen (in den
Schulen und durch die Presse), Beaufsichtigung des Schlafs teilen wesens
im Kleinen wie im Grossen (Nachtherbergen, Pennen), ebenso der
Asyle und Gefängnisse, Bekämpfung des Vagabundenthums auf gesetz¬
lichem Wege, Sorge für genügende Ernährung der Bevölkerung in
Zeiten der Noth und bei Arbeitsmangel, Trockenlegung nassen Terrains,
Verhütung von Ueberschwemmungen, Ueberwachuug des Eisenbahnver¬
kehrs, namentlich bei Epidemien in den angrenzenden Landestheilen,
Errichtung von Krankenhäusern, Sorge für Krankentransportmittel und
Räume zur Unterbringung von Leichen. Beim Auftreten einzelner Fälle
sollen folgende Maassnahmen getroffen werden: Schleunige Anzeige
jedes auch nur verdächtigen Krankheitsfalles, Isolirung des Kranken,
am besten in einem Krankenhause, Vermeidung öffentlicher Fuhrwerke
zum Krankentransport; beim Verbleiben des Kranken in der Behausung:
Anbringung einer Warnungstafel, nach Ablauf der Krankheit strenge
Digitized by
Google
83
Desinfection des Krankenraumes und der darin befindlichen Sachen,
schleunige Fortschaffung der Leichen aus dem Hause, Sorge für
möglichst rasche Beerdigung; im Hause keine Trauerversammlung;
Verbot des Leichentransports mittelst Eisenbahn. Beim Ausbruch einer
Epidemie kommen noch folgende Maassnahmen hinzu: Bildung von
Sänitätscommissionen und energisches Vorgehen der schon bestehenden,
Sorge für Reinlichkeit des Ortes mit besonderer Berücksichtigung der
Herbergen, Gefängnisse etc., Durchsuchung der Wohnungen nach
Kranken, Belehrung der Bevölkerung über die Krankheit und Angabe
von Verhaltungsmaassregeln, Schliessung der Schulen, Verlegung der
Impftermine, Verbot grösserer Menschenansammlungen an dem befallenen
Ort (Jahrmärkte, öffentliche Feste etc.), Sorge für genügende ärztliche
Hülfe, Berichterstattung Uber den Gang der Epidemie seitens der Orts¬
behörde, strenge Beaufsichtigung der Trödler und Lumpengeschäfte,
gute Ernährung der Kranken und Gesunden, strenge Durchführung
aller beim Auftreten einzelner Fälle erwähnten Maassnahmen, Regelung
derselben in einem „Reichsseuchengesetz“, Controle der getroffenen
Maassregeln durch die Medicinalämter. Bleib treu (Köln).
Bugenio Di Mattei, Beitrag aum Studium der experimentellen mala¬
rischen Infeetion am Menschen und an Thieren. Archiv f. Hygiene,
22. Bd., 3 Heft, 1895.
In dem ersten Theil der vorliegenden, sehr interessanten Abhand¬
lung behandelt der Verfasser, gestutzt auf die in ätiologischer Be¬
ziehung so sehr wichtigen Arbeiten von Laveran, Marchiafava, Celli und
Guarnieri, die Frage der experimentellen Malaria-Infection am Menschen.
Neben der Möglichkeit der Malaria-Infection durch subcutane Injection
von Malariakranken, die Di Mattei an mehreren Fällen experimentell
feststellte, sucht der Verfasser besonders die Ansicht Golgi’s experi¬
mentell zu erhärten, „dass man nicht von einer Einheit der Malaria¬
parasiten sprechen kann, sondern dass die verschiedenen Malaria¬
formen durch verschiedene Malariaparasiten veranlasst sind, und dass man
nicht eine Umgestaltung oder Wandlung einer Form in eine andere
annehmen dürfe. Er ist der Ansicht, „dass die Malariaparasiten sich in
verschiedene Species scheiden, obwohl in einigen Stadien sich die¬
selben in morphologischer Hinsicht nähern, dass jede Species für sich
einen eigenen biologischen Kreis hat, und dass niemals eine Art über¬
geht oder sich wandelt in eine andere.“
„Dass zwischen den verschiedenen Arten der Malariaparasiten und
den Fiebertypen ein unverwischbares Abhängigkeitsverhältniss besteht,
da die einen als Ursache, die anderen als Effect anzusehen sind; dass
sich somit auch ein Fiebertypus nicht in einen anderen wandelt, da er
ja doch von einer Parasitenart, die für sich besteht, verursacht wird.“
6 *
Digitized by ^.ooQle
84
„Dass bei den Malariafieberformen, wo ein Grund typus fehlt, man
<>. r t mit so zu sagen unreinen Fällen, mit Mischfällen rechnen muss,
mit Individuen, deren Organismus zu gleicher Zeit von verschiedenen
Arten von Malariaparasiten durchdrungen ist.“
Im zweiten Theil spricht Verfasser über experimentelle Malaria-
infection an Thieren und Blutparasiten der Vögel und sucht haupt¬
sächlich die Anschauungen Danielewsky’s, welcher von einer voll¬
kommenen Identität zwischen den malariaähnlichen Parasiten der Vögel
und den malarischen des Menschen überzeugt ist, zu widerlegen. Er
zeigt experimentell, dass im Gegensatz zur Malaria beim Menschen bei
inficirten Tauben keine Temperaturerhöhung, keine Beziehung zwischen
Cyclus von Parasiten und Temperatur besteht, dass Chinin und Arsenik
keine Wirksamkeit zeigen, dass es keinen örtlichen Einfluss giebt.
Ebenso stellt er fest, dass die erbliche Infection nicht vorkommt und
dass die künstliche Infection auf dem Wege des Blutes von inficirter
Taube auf gesunde Taube nicht erreichbar ist.
Bleib treu (Köln).
Paul Guttmann (Ottendorf), Gesundheitspolizeiliche Maassnahmen gegen
Entstehung und Verbreitung von Malaria-Erkrankungen. (Viertel¬
jahrsschrift für gerichtl. Medicin und öffentl. Sanitätswesen, Bd. X, 1. Heft.)
Auf Grund umfangreicher Literaturstudien bespricht Guttmann
unter besonderer Berücksichtigung der Aetiologie, sowie der geogra¬
phischen Ausbreitung der Malaria die Maassnahmen, die gegen die
Entstehung und Verbreitung dieser Krankheit schützen können. Auf
die ausführlichen Auseinandersetzungen des Verfassers kann hier nicht
näher eingegangen werden, sondern es sollen nur die Schlusssätze der
Arbeit im Wortlaut mitgetheilt werden.
1. Die Malaria-Infection wird durch die Gegenwart eines bestimmten
Parasiten im Blutkreisläufe verursacht, welcher zur Classe der
Protozoen gehört, das Plasmodium malariae.
2. In Erwartung der definitiven Entscheidung ist es nach dem
heutigen Stande unseres Wissens noch gestattet, anzunehmen,
dass dem einheitlichen klinischen und epidemiologischen Bilde
der Malaria-Erkrankungen auch ein einheitlicher Parasit zu
Grunde liegt.
8. Die Malaria-Erkrankungen gehören zu den nicht contagiösen
(miasmatischen) Infectionskrankheiten, als deren einzige in Be¬
tracht kommende Infectionsquelle ein Boden von gewisser Be¬
schaffenheit anzusehen ist; doch scheint die Verbreitung durch
Malariaboden entnommene Erde oder andere Gegenstände, an
denen die Malariaparasiten zu haften vermögen, nicht ausge¬
schlossen zu sein.
Digitized by
Google
85
4. Relativ hohe Feuchtigkeit, zeitweise grosse Wärme und ein ge¬
wisser Gehalt an organischen, besonders vegetabilischen Stoffen
igelten als die hauptsächlichsten, der Entstehung und Verbreitung
der Malariakrankheiten günstigen Bedingungen des Bodens.
5. Hindernd wirkt auf die Malariagenese ein: Entwässerung des
Bodens und dauernde Cultur desselben, desgleichen dauernde
Ueberfluthung oder Ueberschtittung mit gesunder Erde.
6. Ueber die Art des Transportes der Malariaerreger aus dem Boden
in den menschlichen Körper ist Definitives noch nicht bekannt.
Als wesentlichstes Transportmittel wird die Luft angesehen, auch
dem Malariaboden entnommenen Trinkwasser wird diese Rolle
zugeschrieben; die Möglichkeit, dass stechende Insecten die Ver¬
mittler bilden, ist nicht ausgeschlossen.
7. Die Maassnahmen gegen die Entstehung und Verbreitung der
Malaria-Erkrankungen haben sich gegen alle Momente zu richten,
die sich von Einfluss auf Entstehung und Verbreitung dieser
Krankheit erwiesen haben, und bestehen in allgemeinen hygie¬
nischen und in persönlichen Schutzmaassregeln.
A. Die allgemeinen Maassregeln bestehen in
a) Sanirung des Bodens durch Entwässerung, dauernde Bebauung,
Erhöhung und Ueberschtittung mit gesunder Erde oder durch
Ueberfluthung;
b) Wohnungs- und Schiffshygiene;
c) Beschaffung gesunden Trinkwassers.
B. Die persönlichen Schutzmaassregeln umfassen eine Reihe einzelner
Vorschriften, die sich allgemein etwa folgendermaassen zusammen¬
fassen lassen:
a) Meiden der Malariaherde oder möglichst kurzen Aufenthalt da¬
selbst; ist längerer oder dauernder Aufenthalt nicht zu umgehen:
b) Uebersiedelung in gesunder Jahreszeit.
c) Möglichste Beseitigung der individuell disponirenden Momente
durch baldige und möglichst vollkommene Anpassung an die
Lebensgewohnheiten der Landeseinwohner, besonders in Bezug
auf Kleidung, Nahrung, Wohnung, Arbeitszeit.
d) Vermehrung der Widerstandsfähigkeit des Körpers durch allge¬
meine Maassnahmen, event. durch medicamentöse (Arsengenuss).
e) Verhütung des Transports der Malariaerreger in den mensch¬
lichen Organismus durch Vermeidung unreinen Wassers, Schlafens
auf blosser Erde, Aufenthalt im Freien bei Nacht etc.
f) Prophylactischer Chiningebrauch in Dosen von 1—2 g und in
grösseren Zeiträumen (6—8 Tagen), aber nur bei vorübergehen¬
dem Aufenthalt in Malariagegenden. Der prophylactische, habi¬
tuelle Chiningenuss ist als gesundheitsschädlich zu verwerfen.
Bleib treu (Köln).
Digitized by
Google
86
Diverneresse, Aseptitation des terres con* aminees avant lenr transport
et leur mise en culture. Revue d’Hygi&ie Tom. XVI, No. 2.
Die Frage: welche Mittel giebt es, um bei Arbeiten in sumpfigem
oder inficirtem Terrain sowohl die Arbeiter als auch die Anwohner vor
der Malaria zu schützen, wurde in Frankreich zuerst 1881, als der
Kanal Tancarville gegraben werden sollte, gestellt. Die Soci6t6 de
m6dicine publique und die Academie de m6dicine gaben eine ganze
Reihe von Schutzvorschriften ftir die Arbeiter; ftir die Anwohner
empfahlen sie, die fortgeschaffte Erde mit schnellwachsenden Pflanzen
zu besäen. Die Frage wurde von Neuem angeregt, als im Jahre 1892
der grosse Kanal des Parks von Versailles und zugleich der See von
Saint-Mand6 im Bois ausgebaggert werden sollten. Der Kanal war seit
100 Jahren nicht mehr, ausgeschlemmt worden und verbreitete einen
sehr starken unangenehmen Geruch. Bei einer Gesammtoberfiäche von
28 Hectar waren etwa 85 000 cbm Schlamm zu entfernen.
Zunächst wurde vorgeschlagen, den Kanal trocken zu legen und
den Schlamm mit Karren fortzuschaffen. Dieses Project wurde jedoch
als gefährlich verworfen. Auf Grund mehrerer Versuche machte dann
Dr. Rahot den Vorschlag, den Schlamm durch Lösungen von Eisen¬
vitriol und Kalk aseptisch zu machen. Nach diesem Vorschlag wurde
nun gearbeitet, und zwar derart, dass der Schlamm bei vollem Kanal
mit einem Saugbagger gehoben wurde. In dem Saugrohr wurde die
Mischung mit dem Eisensulfat, und zwar 500 gr auf 1 chm Schlamm,
vorgenommen und später Kalkmilch, 1 kg auf 1 cbm, zugesetzt. Die
Arbeit wurde im Winter vorgenommen, dauerte 4 Monate und kostete
200 000 Francs. In dem ganzen Verlauf kam kein Krankheitsfall vor,
weder bei den Arbeitern noch bei den Anwohnern, nur gingen, wohl
in Folge der grossen Schlammanschüttung, zahlreiche Bäume längs des
Kanals ein.
Der See von St.-Mand& ist ein künstlicher See, der 1860 ge¬
graben wurde, eine Oberfläche von 15 000 qm und eine mittlere Tiefe
von 1 m hat. Seit 1860 war er nicht mehr gereinigt worden, und
man schätzte die zu entfernende Schlammmasse auf 2449 cbm. Auch
hier wurde die Desinfection des Schlammes durch Eisenvitriol und
Kalkmilch vorgenommen, doch war die Methode etwas von der beim
Kanal von Versailles angewandten verschieden. Zunächst wurde der
See bis auf 0,15 cm Wasser über dem Schlamm abgelassen und diesem
Wasser 300 kg Eisenvitriol in gesättigter Lösung und später 600 kg
ungelöschter Kalk zugesetzt. Nach zwei Tagen wurde das Wasser
ganz abgelassen, der Schlamm, um ihn zu trocknen, mit Gräben durch¬
setzt und gleichzeitig mit Lösungen von Eisenvitriol und Kalk ausgiebig
begossen. 17 Tage liess man den Schlamm trocknen, dann wurde er
700 m weit fortgeschafft, ausgebreitet, nachdem vorher noch ein Mal
Kalk zugesetzt war, und mit einer 5 cm dicken Erdschicht be-
Digitized by ^.ooQle
87
deckt. Im Frühjahr 1893 wurde diese mit Wicke und Hafer besäet.
Die Arbeit dauerte 89 Tage und kostete 10 383 Francs. Fieber¬
erkrankungen kamen weder bei den Arbeitern noch bei den Anwohnern
des Sees yor, auch hatten letztere sich niemals über irgend welche
schlechten Gerüche zu beklagen. Pröbsting.
Kruse und Pasquale, Untersuchungen über Dysenterie und Leberabsceas.
Zeitschr. f. Hygiene XVI, Heft 1.
In ihrer sehr umfangreichen Arbeit theilen die beiden Verfasser
die Resultate ihrer auf einer Forschungsreise nach Egypten angestellten
Untersuchungen über die Erreger der Ruhr und der Leberabscesse
mit. Nachdem sie in der Einleitung in umfassender Weise die ein¬
schlägige Literatur wiedergegeben haben, machen sie Mittheilung über
die Resultate einer grossen Reihe von ihnen ausgeftihrter Unter¬
suchungen des Darm in halte s gesunder Menschen, wobei sie
recht oft Amöben fanden, ohne dass dieselben den geringsten schä¬
digenden Einfluss auf ihren Wirth ausübten.
Nach Analogie der recht oft zu beobachtenden Thatsache, wonach
der nämliche Krankheitserreger — z. ß. der Choleravibrio — bei dem
einen Wirth schwere Krankheitserscheinungen hervorruft, während ein
anderer Wirth in keiner Weise geschädigt wird, schliessen die Ver¬
fasser, dass entweder eine verschiedenartige Disposition der be¬
treffenden Individuen oder ein verschiedener Grad der Infections-
kraft der Parasiten vorkomme. Das Aussehen der verschiedenen
Amöben, sowohl der infectionstüchtigen bei Ruhrkranken, als auch der
harmlosen Darmschmarotzer gesunder Menschen, ist nämlich ein voll¬
kommen gleiches.
Sodann berichten die Verfasser über 24 Fälle von Ruhr resp.
Leberabscessen, bei welchen Amöben theilweise gefunden, theil-
weise nicht gefunden wurden. Daneben konnten in den Leberabscessen
häufig verschiedene Bakterienarten nachgewiesen werden.
Diese bei Ruhr und Leberabscessen isolirten Bakterien werden
auch eingehend beschrieben, doch sprechen die Verfasser keines der¬
selben als Erreger der Ruhr an.
Es folgt sodann eine Schilderung der anatomischen Darm Verän¬
derungen bei Dysenterie und eine Beschreibung der Leberabscesse.
Züchtungsversuche der Darmamöbfen fielen stets negativ aus;
die von Kartulis in Strohinfus gezüchteten Amöben waren, wie vor¬
auszusehen war und wie auch die Nachprüfungen der Verfasser er¬
gaben, keine Darmamöben, sondern Strohamöben. Durch In-
jection amöbenhaltigen Materials von Ruhrkranken in den
Mastdarm von Katzen, mit nachfolgendem Verschluss des Afters für
ca. 24 Stunden durch die Naht, gelang es, typische Ruhr hervor¬
zurufen, dagegen nicht bei Verwendung von Amöben aus dem Darm
Digitized by
Google
88
gesunder Menschen, und ebenso wenig durch Injection von Reinculturen
der aus dem Darminhalt Ruhrkranker gezüchteten Bakterien.
Nach allen diesen hier kurz angeführten Resultaten kommen die
Verfasser zu dem Schluss, dass die Amöben für die Ent¬
stehung der Ruhr verantwortlich sind, dass jedoch die
tiefer greifenden Zerstörungen in der Darmwand nur
mit Hilfe verschiedener nicht specifischer Bakterien
zu Stande kommen.
Am Ende ihrer Arbeit stellen die Verfasser dann noch die Be¬
hauptung auf, dass man drei Formen von Ruhr unterscheiden müsse:
1. Die Amöbendysenterie, ein Kind des heissen Klimas, wo
sie endemisch ist, die aber auch sporadisch in Gegenden der
gemässigten Zone vorkommt.
2. Die japanische Dysenterie, bis jetzt nach den allein¬
stehenden Mittheilungen Ogata’s als auf Infection mit einem
specifischen Bacillus beruhend anzusehen.
3. Die eigentliche Ruhr des gemässigten Klimas mit
ihren beiden durch Uebergänge verbundenen Formen der d i -
phtherischen und der katarrhalisch en Ruhr, deren Ent¬
stehungsursache bisher noch nicht genügend studirt ist, um klar¬
gelegt werden zu können. Vielleicht hat man es bei dieser Ruhr
mit verschiedenen Krankheitserregern zu thun.
Dr. D r ä e r (Königsberg i. Pr.).
Reisch, De la pneulnonie au point de vue epidemiologique. Revue
d’Hygi£ne Tom. XV, Nr. 10.
Wenngleich die croupöse Pneumonie auch auf allen Punkten der
Erde vorkommt, so ist sie doch am häufigsten in den mittleren und
nördlichen Breitegraden Europas und Nord-Amerikas. Nach Ziemssen
ist ihre Häufigkeit in den Staaten Mittel-Europas 6 und 7 °/o der
inneren Krankheiten und 3 °/o der Krankheiten der ganzen Erde.
Am häufigsten kommt sie in Frankreich, Deutschland, Italien und der
Schweiz vor. In Betreff der Jahreszeit kommen nach Hirsch von
100 Fällen von Pneumonie 34,7 auf den Frühling, 29 auf den Winter,
18,3 auf den Herbst, 18 auf den Sommer. Zahlreiche Versuche, die
Häufigkeit der Pneumonie von meteorologischen Einflüssen abhängig
zu machen, haben zu den verschiedensten, zum Theil ganz wider¬
sprechenden Resultaten geführt. Ausser diesen jährlichen Schwan¬
kungen zeigt die Pneumonie durch eine lange Reihe von Jahren und
für einen bestimmten Ort verfolgt, ganz erhebliche Frequenzschwan¬
kungen, wie solche nur bei ansteckenden Krankheiten Vorkommen.
Aus diesem Grunde ist es durchaus gestattet, von Pneumonie-Epidemien
zu sprechen. Ein charakteristisches Merkmal dieser Epidemien ist ihre
ausserordentlich geringe Neigung, sich über weite Gebiete auszudehnen;
Digitized by v^ooQle
89
Verfasser führt hierfür zahlreiche interessante Beispiele an. Oertliche
Bedingungen werden daher in der Entstehung solcher Epidemien eine
hervorragende Rolle spielen. Grosse Schwankungen des Grundwassers,
schlechter, mit faulender organischer Materie beladener Boden,
schmutzige Wohnräume können zu grösseren oder kleineren Epidemien
Anlass geben. Bekannt und oft beobachtet und beschrieben sind die
Pneumonie-Epidemien in Gefängnissen, von denen Verfasser eine ganze
Anzahl mittheilt, und die zumeist durch starke Ueberfüllung herbei¬
geführt waren.
Allein ausser diesen mehr oder weniger allgemeinen Bedingungen
spielen in der Aetiologie der Pneumonie auch rein persönliche
Factoren eine wichtige Rolle. Solche sind zunächst Erkältungs-
einflüsse, deren ätiologische Bedeutung in vielen Fällen nicht von der
Hand zu weisen ist. Ferner hat die Lebensweise insofern einen wich¬
tigen Einfluss, als die Pneumonie besonders häufig bei der ärmeren,
unter schlechten hygienischen Bedingungen lebenden Bevölkerung vor¬
kommt. Was das Alter anlangt, so ist das Kindes- und Greisenalter
am stärksten belastet. Von 503 Fällen kamen nach Jürgensen
313 = 62 °/o auf das Alter unter 14 Jahren, von den übrigen 190
Fällen kamen 2 /s auf das vorgeschrittene Alter und das Greisenalter.
Nach Wolffberg liegt das Minimum zwischen 15 und 40 Jahren. Das
Geschlecht spielt eine geringe Rolle; nach Keller kommen auf 100
Fälle 54 Männer und 46 Frauen. Durch Traumen der verschiedensten
Art kann eine Pneumonie hervorgerufen werden, unter 320 Fällen von
Pneumonie konnte Litten 14 mal ein Trauma als veranlassende Ursache
constatiren.
Als letztes ätiologisches Moment fährt Verfasser dann die Contagion
an. Erst in der allerneuesten Zeit ist die Ansteckungsfähigkeit der
Pneumonie durch sichere Beobachtungen erwiesen, und Verfasser bringt
zahlreiche Belege hierfür bei. So die bekannte Epidemie in der
Moringer Strafanstalt, wo die Pneumonie durch Wärter, die selbst von
der Krankheit verschont blieben, auf Familienmitglieder, die nie einen
Fuss in das Gefängniss gesetzt hatten, übertragen wurde.
Die vielfachen Versuche, den specifischen Erreger der Pneumonie
aufzufinden, sind bis jetzt noch nicht von einem sicheren Erfolge ge¬
krönt worden. Verschiedene Mikroorganismen sind als Erreger ange¬
sprochen worden, aber keiner hat alle Bedingungen, die ein solcher
erfüllen muss, wirklich erfüllt. Pröbsting.
Digitized by
Google
90
Verzeichntes der bei der Redaction eingegangenen neuen
Rächer etc.
Bokelmann, Dr., Der gegenwärtige Stand der prophylaktischen Antisepsis
in der Geburtshilfe und ihre Durchführbarkeit in der ärztlichen Privat¬
praxis. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Frauen¬
heilkunde und Geburtshilfe; herausgegeben von Dr. Max Gräfe. H. I.)
Halle a./S. 1896. Karl Marhold. 8°. 35 S. Abonnementspreis für 1 Bd. =
8 Hefte 8 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 1,50 Mk.
Celli, Prof. Angelo, Annali d’igiene sperimentale. Vol. V. (Nuova Serie.)
Fase. IV. 1895. 8°. Roma, Loescher & Co.
Fla tau, Dr. Theodor S., Sprachgebrechen des jugendlichen Alters in ihren
Beziehungen zu Krankheiten der oberen Luftwege. (Sammlung zwang¬
loser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Hals¬
krankheiten; herausgegeben von Dr. Maximilian Bresgen. H. VIII.)
Halle a./S. 1896. Karl Marhold. 8°. 59 S. Abonnementspreis für 1 Band
12 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 1,80 Mk.
Handbuch der praktischen Gewerbehygiene mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Unfallverhütung. Herausgegeben von Dr.
H. Albrecht. Mit 756 Figuren. Lfg. V. 8°. Berlin 1896. Robert
Oppenheim (Gustav Schmidt). Subscriptionspreis 7 Mk. Das vollständige
Werk 27 Mk., geb. 30 Mk.
Index-Catalogue of the library of the Surgeon-GeneraTs Office,
United States army. Autors and subjects. Vol. XVI. W—Zythus.
8°. XIV u. 822 S. Washington 1895. Government Printing Office.
Isolani, Wider den Schmutz. Eine Aufforderung zum Kampfe gegen die
unserer Gesundheit drohenden Gefahren. 8°. 40 S. Zürich 1896. Cäsar
Schmidt Preis 60 Pf.
Kalender für Heizungs-, Lüftungs- und Badetechniker. Bearbeitet
von J. H. Klinger. L Jahrgang 1896. Kl. 8°. München und Leipzig
1896. R. Oldenbourg. Preis 4 Mk.
Kroll’s stereoskopische Bilder. 26 farbige Tafeln. Dritte verbesserte Auf¬
lage von Dr. R. Perlia, Augenarzt in Crefeld. Hamburg, Leopold Voss.
Preis 3 Mk.
Müller, Dr. Aug., Ein rüstiges Alter. Willst Du es erstreben, so musst Du
nach folgenden Rathschlägen leben. 8°. 150 S. Berlin 1896. Wilhelm
Möller. Preis 3 Mk.
Ploetz, Dr. Alfred, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der
Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältniss zu den
humanen Idealen, besonders zum Socialismus. 8°. 240 S. Berlin 1895.
S. Fischer.
Schanz, Dr. med. F., Augenkrankheiten im Kindesalter. Vortrag gehalten
bei Gelegenheit der Ausstellung von Erzeugnissen für Kinderpflege, Er¬
nährung und Erziehung in Dresden Sommer 1895. 8°. 13 S. Dresden,
Alex. Köhler.
—, Wie sollen sich Kinder zu Hause beim Schreiben und Lesen setzen.
Vortrag gehalten bei Gelegenheit der Ausstellung von Erzeugnissen für
Kinderpflege, Ernährung und Erziehung in Dresden Sommer 1895. 8°.
17 S. Dresden, Alex. Köhler.
State Board of Health of Massachusetts. 26. annual report. 8°.
892 S. Boston 1895. Wright & Potter Printing Co.
Digitized by v^ooQle
91
Vossius, Prof. Dr. A., Die croupöse Conjunctivitis und ihre Beziehungen
zur Diphtherie. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete
der Augenheilkunde; herausgegeben von Prof. Dr. A. Vossius. Heft I.)
Halle a./S. 1896. Karl Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte
8 Mk. Einzelpreis dieses Heftes 1 Mk.
Zeitschrift für sociale Medicin. Organ zur Vertretung und Förderung
der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes. Herausgegeben von Dr.
A. Oldendorff. I. Band, 4. Heft. 8°. Leipzig 1895. Georg Thieme.
Preis des vollständigen Bandes 6 Mk., des einzelnen Heftes 1,20 Mk.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaction zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der be¬
schrankte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprec ung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen.
Die Verlagshandlung.
Digitized by
Google
Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege, XV. Band, 2. Heft 1196.
Appetitlich — wirksam — wohlschmeckend sind:
Abführende Frucht-Konfitüren, Tamarinden-Konserven.
Original - Präparat von angenehmem Geschmack und prompter Wirkung!
Für Kinder genügt V*—Va \ Stück zur ausgiebigen, durchaus schmerz«
„ Erwachsene „ Va—1 | losen Stnhlentleerong binnen 3 —i Stun¬
den, wenn nüchtern gegessen; als Digestivum in nur halb so grosser Dosis.
Voriflgs: Beschleunigung der peristaltischen Bewegrung der Eingeweide
ohne Jede aoffallende Absonderung von Flüssigkeit; keine Beizung und
Erschlaffung des Darmkanals, kein Kneifen, keinerlei nachteilige Folgen,
In fast allen Apotheken k Schachtel 80 Pf., einzeln k Stück 15 Pf.
Proben und Prospecte gratis-ohne Jede Reklame-Absicht.
Hur eoht, wenn von Apotheker Kanoldt Nachfolger in Gotha.
Sanatorium Lindenhof, Wiesbaden.
Wasserheilanstalt, Wiesbadener Thermal-, Dampf-, Moor- und elek¬
trische Bäder, Massage, Heilgymnastik, Elektricität. Diät.- und Ent-
ziehnngs-Curen. Das ganze Jahr geöffnet Prospecte gratis.
Dr. P. Brauns, Dr. 0. Hezel,
Besitzer. ehern. I. Assist, d. Nervenklinik d. Universität
Leipzig, dirig. Arzt.
Hämalbumin Dr. Dahmen.
Tom Kultusministerium in die officielle Arzneitaxe anfgenommen.
Hümatin (-Eisen) und Hftmoglobulin (als Albuminat) 49,17 % Serumalbumin und
Paraglobulin (als Albuminat) 46,23%, sämmtliche Blutsalze 4,6%, einige Tropfen
Ol. Cassiae als indiff. Aromat. — Absolut löslich dureh Kochen ln Wasser.
Das Spektrum des Hänutlbumins ist identisch mit dem
Spektrum von künstlich (Pepsin, Salzsäure etc.) verdautem Blut*
Vollkommener Blutersatz .
Dm Himalbnmln enthalt 95,4% wasserfreies Etweiss ln verdautem Zustande
und sämmtliche Mineralsalze des Blutes.
Hämalbnmin ist ein trockenes, nicht hygroskopisches Pulver, trocken auf
die Zunge gelegt leicht mit Wasser zu nehmen, durch Kochen in Wasser leicht in
einen liqnor Haemalbamlnl mit beliebigen Corrigentien zu verwandeln — es wird
von Jedem Nagen, auch bei Mangel an verdannngsAften, resorbflrt.
Das Hämalbnmin resorbflrt per Klystier vollständig (3- bis 4mal
täglich 1 Theelöffel voll bei Kindern, 1 Esslöffel voll bei Erwachsenen in Wasser
oder Haferschleim gelöst, 5% = klare Flüssigkeit, 10% = Gallerte.
1 g Hitmalhumln = den festen Bestandteilen von 6 g Blut und = 0 g
Hühnerei weis». — Dosis durchschnittlich nur 3—6 g pro die. 1 g = 1 Messer¬
spitze voll.
Sichere Wirkung bei Chlorose, Phthisls, Rhachitis, Skrofulöse, Infektionskrank¬
heiten, Sehwächezuständen, besonders auch Nervenschwäche, geistiger Ueber-
anstrenining, angeregelter Menstruation plus oder minus, bei Blutverlusten s. B.
nach Wochenbett, Operationen etc., Kekonvalescens, verdauunssschwachen Säug¬
lingen etc. — Unfehlbarer Appetiterreger. — Koncentrirtestes Nahrungsmittel. —
Dm Mlligttte eller Eisen -Elweisspraparate! — Gewichtszunahme oft
8 Pfund and mehr ln 14 Tagen. 20 g = 500 g eines resorblrbaren Liqnor
ferrl albumlnatl. — Kurkosten pro die 7—15 D. durchschnittlich. — Preis JC 28 per
Kilo incl. Packung, o—Proben und Litteratur gratis. Q>—o
Chemische Fabrik F. W. Klever, Köln.
Digitized by knOOQle
Beiträge zur medicinischen Statistik des
Kreises Tilsit.
Von
Dr. Wolfberg, Kgl. Kreisphysikus in Tilsit.
II. Die ländlichen Gemeinden des Kreises.
(Vgl Centralblatt 1895, S. 205 ff.)
1. Grösse der Bevölkerung.
Nach der Volkszählung vom 1. December 1885 betrug die Be¬
völkerung der ländlichen Gemeinden des Kreises Tilsit:
22321 männl. Personen
24876 weibl. „
47197.
Die Bevölkerung des ganzen Kreises betrug 69619.
Von den Bewohnern der ländlichen Gemeinden waren somit
47,3 % männlichen und 52,7 °/o weiblichen Geschlechts.
Am 1. December 1890 bestand die ländliche Bevölkerung aus
21994 = 47,2 °/o männlichen Personen
24649 = 52,8 °/o weiblichen „
46643.
Die Bevölkerung des ganzen Kreises betrug 71193; die der
ländlichen Gemeinden hatte sich nur wenig verändert, sie hatte sich
in 5 Jahren um 554 Personen vermindert, d. i. jährlich um 111.
Für die späteren relativen Berechnungen sind die nachfolgenden
Bevölkerungszahlen angenommen worden:
Tabelle 1.
Einwohner der ländlichen Gemeinden des Kreises:
am 1. Juli 1886 in Summa 47133 22283 m. 24850 w.
„ 1. Juli 1887 „ „ 47023 22218 „ 24805 „
CentralMatt f. tilg. Oesnndheitspflege. XV. Jabrg. 7
Digitized by ^.ooQle
94
p
am 1. Juli 1888 in Summa 46913
„ 1. Juli 1889 „ „ 46803
„ 1. Juli 1890 „ „ 46693
„ 1. Juli 1891 „ „ 46643
„ 1. Juli 1892 „ „ 46643
B 1. Juli 1893 „ B 46643
22153 m. 24760 w.
22088 B 24715 „
22023 B 24670 „
21994 „ 24649 „
21994 „ 24649 B
21994 B 24649 „
Nach den hier eingegangenen Berichten der etwa 20 ländlichen
Standesämter berechnete ich die nachfolgenden Zahlen für die Ge¬
burten und die Sterbefälle.
2. Die Geburten.
Tabelle 2. Die Geburten in den ländlichen Gemeinden
in den Jahren 1886 —1893.
im
Jahre
Summe
männ¬
liche
weib¬
liche
eheliche
unehe¬
liche
Lebend¬
geburten
Todtge-
burten*)
1886
2037
1077
960
1820
214
1966
71
1887
2197
1122
1057
1942
229
2117
80
1888
2059
1000
1052
1848
204
1994
65
1889 2 )
2008
972
1022
1798
196
1936
72
1890
1997
1022
966
1758
230
1936
61
1891
2052
1055
988
1857
186
1987
65
1892
1977
1047
913
1789
176
1927
50
1893
2006
1073
928
1791
210
1937
69
a. Somit betrug die Geburtenhäufigkeit:
Tabelle 3.
im Jahre 1886
J»
V
n
r>
V
J)
n
; 1887
„ 1888
„ 1889
„ 1890
7i 1891
„ 1892
„ 1893
mit Einschluss unter Ausschluss
der Todtgeborenen
43.2 °/oo E.
46.7 B
43,9 B
45.2 B
42.8 „
44,0 B
42,4 B
43,0 B
41,7 °/oo E.
44,9 B
42.5 B
43.6 B
41.5 B
42.6 „
41,3 B
41,5 „
Auch in den ländlichen Gemeinden sind die Schwankungen in
der Natalität nur unbeträchtlich gewesen. Die durchschnitt-
*) Die Summen sind nicht völlig gleich, da in allen Jahren für einzelne
Geburten nähere Angaben fehlten.
2 ) In diesem Jahre gelten die Zahlen für eine Einwohnerzahl von 44403;
8. die Anmerkung auf S. 208 des vorigen Jahrgangs.
Digitized by ^.ooQle
95
liehe Geburtenhäufigkeit belief sich unter Einrechnung der
Todtgeborenen auf 43,9 °/oo, unter Ausschluss der Todtgeburten auf
42,4 °/oo E.
Bemerkenswerth ist diese hohe Geburtenziffer, welche die
städtische um 11,9 °/oo übertrifft; letztere verhält sich zu dieser wie
100:137.
b. Unter 100 Geborenen gab es auf dem Lande:
Tabelle 4.
im Jahre
männliche
weibliche
Todt¬
geburten
uneheliche
Geburten
1886
52,9
47,1
3,5
10,5
1887
51,5
48,5
3,6
10,5
1888
48,7
51,3
3,1
9,9
1889
48,7
51,3
3,6
9,8
1890
51,4
48,6
3,1
11,5
1891
51,6
48,4
3,2
9,1
1892
53,4
46,6
2,5
9,0
1893
53,6
46,4
3,4
10,5
Demgemäss waren im Durchschnitt der 8 Jahre von 100 Ge¬
borenen 51,5 männlichen, 48,5 weiblichen Geschlechts. Auf dem
Lande überwiegt die Zahl der männlichen Geburten noch um ein
Geringes mehr als in der Stadt. Es kamen auf 100 Mädchen- 106,3
Enabengeburten. Die Zahl der Todtgeburten schwankte zwischen
2,5 und 8,6 °/o der Geburten und betrug durchschnittlich 3,25 °/o.
Die unehelichen Geburten betrugen zwischen 9,0 und 11,5 °/o, im
Durchschnitt 10,1 °/o. Die Zahl der Todtgeburten ist auf dem Lande
kleiner, die Zahl der unehelichen Geburten grösser als in der Stadt.
c. Zahl der Geburten in den einzelnen Monaten.
Tabelle 5.
Die Zahl der Geburten (einschl. der Todtgeburten)
betrug:
im Jahre
. ■ ■ a
Januar
Februar
N
«-
JÄ
S
April
03
s
s
Juli
August
September
October
November
December
1887
209
146
205
202
180
148
172
161
166
216
179
194
1888
172
177
190
169
177
161
171
166
157
180
171
161
1890
174
163
172
162
183
163;
159
145
151
161
177
178
1891
197
152
178
167
177
174 |
177
163
141
152
178
187
1892
184
166
168
137
172
154
163
174
162
142
156
182
1893
172
142
167
140
182
175
185
165
167
175
169
162
in 6 Jahren
1108
946
o
00
o
977
1071
1 975
1027
974 |
944 |
10261
1030 |
1064
7*
Digitized by
Google
96
Somit wurden durchschnittlich an je 100 Tagen geboren:
Tabelle 6. Geburtenhäufigkeit nach Monaten.
im
Januar .
. 596
im
Juli . .
552
Februar .
. 556
n
August .
524
»
März . .
. 581
n
September
524
n
April . .
. 543
%
October .
552
w
Mai . .
. 570
n
November
572
Juni . .
. 542
»
December
574
In gleicher Zeitdauer fanden sonach die meisten Geburten im
Januar, März, December, November, Mai statt. Es folgen die Mo¬
nate Februar, October, Juli, April, Juni; die wenigsten Geburten
erfolgten im August und September.
3. Die Sterblichkeit.
Tabelle 7. Sterbefälle, ausschliesslich der Todt-
geburten.
im Jahre
Summe
männlich
weiblich
Kinder unter 1 Jahre
ehelich
unehelich
1886
1785
906
879
479
71
1887
1440
771
669
521
93
1888
1315
672
643
475
85
1889 0
1278
647
631
493
96
1890
1314
693
621
415
83
1891
1312
696
616
490
68
1892
1372
726
646
504
73
1893
1358
688
670
509
81
Demgemäss betrug die Mortalität:
Tabelle 8.
überhaupt für das männliche
Geschlecht
für das weibliche
Geschlecht
im Jahre 1886
37,9 °/oo
40,7 °/oo
35,4 °/oo
1887
30,6 „
34,7 .
26,9 „
n »
1888
28,0 „
30,3 „
26,0 „
7) n
1889
28,1 „
30,8 ,
27,0 „
» »
1890
28,1 „
31,5 „
25,2 „
v »
1891
28,1 „
31,7 „
25,0 „
5) 1i
1892
29,2 „
33,0 „
26,2 „
r» n
1893
29,1 „
31,3 „
27,2 ,
i) S. die Anmerkung auf S. 94. Die Zahl der männlichen Einwohner
ist für 1889 zum Zwecke der Mortalitäts-Berechnung hier gleich 21003, die der
weiblichen gleich 23 400 anzunehmen.
Digitized by L.ooQle
97
Die Mortalität schwankte zwischen 28,0 und 37,9 °/ 00 und be¬
trug durchschnittlich 29,9 °/oo.
Die Sterblichkeit der männlichen Einwohner schwankte zwischen
30,3 und 40,7 °/oo und war durchschnittlich gleich 33,0 °/oo; die der
weiblichen Einwohner zwischen 25,0 und 35,4 °/oo und belief sich
durchschnittlich auf 27,4 °/oo.
Wie ein Blick auf diese Tabelle zeigt, tritt das Jahr 1886 durch
besonders ungünstige Verhältnisse hervor und erhöht die durch¬
schnittliche Sterblichkeit beträchtlich, mehr noch, als dies für die
städtische Bevölkerung galt; auch in der Stadt war das Jahr 1886
das ungünstigste.
Tabelle 9. Häufigkeit der Sterbefälle in den
einzelnen Monaten.
DieZahl der Sterbefälle (ausschliesslich derTodt-
geburten) betrug:
im Jahre
Januar
u
cft
=
u
rn
0 )
Marz
'u
<
Mai
Juni
Juli
August
September
October
November
December
1887
132 |
1 118
128
103
127 106 155
117
1 121
1 107
1 114
112
1888
124
1 111
120
101
104 115 114
108
98
1 120
98
102
1890
i54;
106 i
121
98
109 117 119
80
92
120
92
106
1891
126 ,
94
93
106
107 119 115
100
140
109
88
115
1892
151
117
94
108
100 112 1 103
118 1
122
124
1 115
108
1893
120
104
123
81 1
92 86 111
167
151
120
106
97
in 6 Jahren
807
650
679
597 |
639 655 717
690 |
724
| 700
1 613
640
Durch hohe Sterblichkeit zeichnete sich im Jahre 1887 der
Monat Juli aus; da eine eigentliche epidemische Krankheit
nicht verantwortlich zu machen ist, so wird man nicht fehl gehen,
wenn man als Ursache vorzüglich Brechdurchfälle, insbesondere
kleiner Bänder, annimmt; worauf wir noch zurückkommen werden.
Dann treten wieder wie in der Stadt die Januar-Monate der Jahre
1890 und 1892 hervor, in welchen die Influenza viele Todesfülle
verursachte. Und ebenso wie in der Stadt brachten uns auf dem
Lande August und September 1893 zahlreiche Todesfälle (Ruhr-
Epidemie und Brechdurchfälle).
In den 6 angeführten Jahren starben an je 100 Tagen der ein¬
zelnen Monate:
Digitized by ^.ooQle
Tabelle 10.
im Januar .
. 434
im Juli . .
885
„ Februar .
. 382
„ August .
371
„ März . .
. 365
„ September
402
» April . .
. 332
„ October .
376
„ Mai . .
. 349
„ November
841
„ Juni . .
. 364
„ December
344
Somit zeigte der
Januar die höchste Sterblichkeit;
es folgt der
September; dann Juli, Februar, October, August; sodann März und
Juni; am günstigsten verliefen Mai, December, November und zu»
mal der April.
4. Die Kindersterblichkeit.
Tabelle 11. Die Säuglingssterblichkeit als
Procentsatz
der allgemeinen der Lebend-
Mortalität
gebürten
im
Jahre
1886
30,8
28,0
r>
77
1887
42,6
29,0
n
Ti
1888
42,6
28,1
»
7)
1889
46.1
30,4
7?
77
1890
37,9
25,7
77
77
1891
42,5
28,1
7)
77
1892
42,1
29,9
77
77
1893
43,5
30,5
Die Kindersterblichkeit ist erheblich; insbesondere stellt sie auf
dem Lande einen sehr beträchtlichen Bruchtheil der allgemeinen
Mortalität dar. Dies dürfte hauptsächlich darin begründet sein, dass
die Zahl der Säuglinge in der ländlichen Bevölkerung verhältniss-
mässig grösser ist als in der Stadt Dies ist wiederum erstlich auf
grössere Fruchtbarkeit der ländlichen Bevölkerung, d. i. die grössere
Zahl der Geburten, zurückzuführen; es mag ferner auch zu erwägen
sein, ob nicht auf dem Lande die Personen mittleren Alters durch
Wegzug an Zahl zurücktreten; trotz dieses letzteren Umstandes
könnte die höhere Zahl der Geburten erklärlich bleiben.
Indem wir die Kindersterblichkeit auf die Zahl der in der
gleichen Zeit Lebendgeborenen beziehen, wird der Einfluss der
Natalitäts-Schwankungen auf die Kindersterblichkeit ausgeschaltet.
Unsere obigen Zahlen zeigen eine bemerkenswerthe Gleichheit, da
sie nur zwischen 25,7 und 30,5 schwanken. Im Durchschnitt der
acht Berichtsjahre belief sich die Kindersterblichkeit auf 28,7 °/o.
Wenn wir nun die Sterblichkeit der ehelichen und der un¬
ehelichen Kinder unter einem Jahre berechnen wollen, werden
Digitized by v^ooQle
99
wir von unsera Zahlen einigermaassen im Stiche gelassen, da die
ländlichen Standesämter erstlich für eine kleine Zahl von Geburten
keine näheren Angaben brachten. So ist im Jahre 1886 die Zahl
der Geburten auf 2037 berechnet; wir wissen aber nur von 2034
Geburten, dass sie aus 1820 ehelichen und 214 unehelichen Geburten
bestanden. Angesichts der hier meist sehr geringen Differenzen ent¬
steht kein wesentlicher Fehler, wenn wir nach dem Verhältnisse
von 1820 zu 214 die fehlenden 3 Fälle vertheilen. Ln Jahre 1887
sind es 26; 1888 — 7; 1889 — 14; 1890 — 9; 1891 — 9; 1892 - 12;
1893 — 5 Fälle, welche in entsprechender Weise auf die ehelichen
und die unehelichen Geburten zu vertheilen waren.
Nach Tabelle 4, welche die relative Zahl der unehelichen Ge¬
burten für jedes Jahr angibt, berechnen wir somit die rectificirte
Zahl der ehelichen und unehelichen Geburten, wie folgt:
Tabelle 12.
Die Geburten.
im Jahre
eheliche
uneheliche
Summe
1886
1823
214
2037
1887
1965
232
2197
1888
1854
205
2059
1889
1811
197
2008
1890
1766
231
1997
1891
1865
187
2052
1892
1800
177
1977
1893
1795
211
2006
Nunmehr fehlt uns eine genauere Angabe darüber, wie viele
von den ehelichen, bezw. den unehelichen Kindern lebend oder
todt zur Welt kamen. Da wir aber die Zahl der Todtgeburten
unter der Gesammtzahl der Geborenen kennen, so erhalten wir
durch eine hiernach (s. Tabelle 4) berechnete Aufteilung der ehe¬
lichen und der unehelichen Geburten wenigstens annähernd
richtige Werthe. Zweifellos ist die relative Zahl der Todtgeburten
unter den ehelichen Geborenen nicht so gross wie unter den Un¬
ehelichen. Die von uns nach dem für die einzelnen Jahre be¬
kannten durchschnittlichen Procentsatz der Todtgeburten be¬
rechneten Zahlen werden demgemäss für die ehelichen Geburten zu
gross, für die unehelichen zu klein sein — und umgekehrt die so
berechneten Lebendgeburten.
Digitized by
Google
100
So erhalten wir
Tabelle 13.
Die Geburten.
im Jahre
eheliche
uneheliche
Lebendgeburten
Todtgeburten
Lebendgeburten
Todtgeburten
1886
1759
64
207
7
1887
1894
71
224
8
1888
1797
57
199
6
1889
1746
65
190
7
1890
1711
55
224
7
1891
1805
60
181
6
1892
1755
45
173
4
1893
1734
61
204
7
Berechnen wir nunmehr die Sterblichkeit der ehelichen und der
unehelichen Kinder bis zu einem Jahre, indem wir die Gestorbenen
dieses Alters (Tabelle 7) in Beziehung setzen zu den ehelichen und
den unehelichen Lebendgeburten, so ergibt sich folgende
Tabelle 14. Kindersterblichkeit
Sterblichkeit der
ehelichen
unehelichen
Säuglinge
im
Jahre 1886
27,2 °/o
34,3 °/o
»
»
1887
27,5 „
41,5 „
n
j?
1888
26,4 „
42,7 „
r
n
1889
28,2 „
50,5 „
7}
n
1890
24,3 „
37,1 „
n
n
1891
27,1 „
37,6 „
»
V
1892
28,7 „
42,2 „
V
i)
1893
29,4 „
39,7 „
Somit schwankte die Sterblichkeit der ehelichen Kinder des
ersten Lebensjahres zwischen 24,3 und 29,4 °/o, die der unehe¬
lichen Kinder zwischen 34,3 und 50,5 °/o. Die Sterblichkeit der
ehelichen Kinder betrug im Durchschnitt weniger als 27,3 °/o, die
der unehelichen mehr als 40,7 °/o.
Digitized by v^ooQle
101
Die Kindersterblichkeit in den einzelnen Monaten.
Tabelle 15.
Die Zahl der gestorbenen Kinder unter 1 Jahre (aus¬
schliesslich der Todtgeburten) betrug:
im Jahre
Januar
Februar
März
April
*5
■ S
Juni
•“3
August
September
October
November
December
1887
47
47
48
38
54
39
89
61
59 ,
46
38
48
1888
41
46
1 41
39
37
46
67
61
49 !
50
39
44
1890
53
34
38
32
36
56
66
38
39 '
45
29
32
1&91
48
39
35 ;
43 1
43
47
73
59
66
44
30
! 31
1892
46
45 !
28 i
45
40
44
54
62 |
68 j
63
44
38
1893
33
45 i
1 49 !
27
31
35
63
114 1
73
47
42
31
in 6 Jahren
268
256
239
1 224 J
241
267 !
412
395
354 |
295 |
222
224
Hier finden wir bestätigt, dass die hohe allgemeine Sterb¬
lichkeit, durch welche der Juli 1887 auffiel, bedingt ist durch die
hohe Kindersterblichkeit dieses Monats. Sodann tritt der August
des Jahres 1893 durch sehr hohe Kindersterblichkeit aus der Reihe
heraus. Es war die Zeit, in welcher im Kreise Tilsit viele Fälle von
Ruhr und Brechdurchfällen tödtlich endeten; diese werden auch
noch durch die Septemberzahl des Jahres 1893 kenntlich. Weniger
bemerklich machen sich die Influenza-Epidemien, wenngleich in
der Stadt wie auf dem Lande in keinem Jahre der Januar mehr
Kinder-Todesfklle aufweist, als in unserem bisher schwersten In¬
fluenza-Monat Januar 1890.
An je 100 Tagen der einzelnen Monate starben:
Tabelle 16. Kindersterblichkeit nach Monaten.
im Januar . 144
„ Februar . 151
„ März . . 128
„ April . . 124
„Mai . . 130
„ Juni . . 147
im Juli. . . 221
„ August . 212
„ September 197
„ October . 159
„ November 123
„ December 120
Nach der Höhe der Todeszahlen geordnet, folgen sich die
Monate also:
Juli, August, September, October, Februar, Juni, Januar, Mai,
März, April, November, December.
Scheiden wir wegen der besonderen epidemischen Ereignisse
das Jahr 1893 aus, so ergeben sich nachfolgende Zahlen:
Digitized by ^.ooQle
102
Tabelle 16a. Kindersterblichkeit nach Monaten.
Es starben an je 100 Tagen:
im Januar . 152
„ Februar . 149
„ März . . 123
„ April . . 131
„ Mai . . 135
„ Juni . . 155
im Juli. . . 225
„ August . 181
„ September 187
„ October . 160
„ November 120
„ December 125
Die Kin der s terbli chkei t war am geringsten im November und
annähernd ebenso gering im December; auf ebenso niedriger Stufe
steht sie im März, steigt im April, Mai und Juni an, um im Juli
einen sehr hohen Stand zu erreichen; sehr beträchtlich ist sie noch
im August und im September, im October noch etwas höher als im
Juni. In den kältesten Monaten — im Januar und Februar —
ist die Sterblichkeit wesentlich geringer als in den heissen, aber
doch weniger günstig als in den milden Jahreszeiten.
Verwerthbare Mittheilungen über die Todesursachen können
nicht gegeben werden. —
Die Verhältnisse der Jahre 1894 und 1895 sollen unter Be¬
rücksichtigung der Ergebnisse der letzten Volkszählung in einem
späteren Berichte besprochen und ein Vergleich zwischen der Stadt
und den ländlichen Gemeinden hinzugefügt werden.
Kindersterblichkeit und ärztliche Hilfe, sowie
zur Statistik der Todesursachen 1 ).
Von
Dr. Wolffberg, Kgl. Kreisphysikus in Tilsit.
Die Frage, ob wir eine wissenschaftlich verwerthbare Stati¬
stik der Todesursachen für Preussen, bezw. für Deutschland
besitzen, muss m. E. verneint werden. Auch die Statistik, welche
die „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheits¬
amtes“ in ihren wöchentlichen, bezw. monatlichen Nach Weisungen
bieten, darf nur mit Vorsicht benutzt werden. Die Städte, aus
*) Zugleich dritter Theil der Beiträge zur medicinischen
Statistik des Kreises Tilsit; vgl. Ceutralblatt für allgemeine Gesund¬
heitspflege. 1895, S. 205; 1896, S. 93.
Digitized by ^.ooQle
103
denen die Sterblichkeitsvorgänge hier berichtet werden, geben ihre
Mittheilungen überwiegend zwar „auf Grund ärztlicher Todtenscheine
oder lassen die Nachweisungen wenigstens von einem Arzte zu-
sammenstellen oder prüfen“. In wie vielen Städten die Angaben
der Standesämter auf ärztlichen Todtenscheinen beruhen, weiss ich
nicht Jedenfalls sind die ärztlichen Todtenscheine das sicherste
Hülfsmittel, um einige Zuverlässigkeit für die standesamtlichen
Nachrichten zu gewinnen. Sofern aber die Nachweisungen durch
einen Arzt nur zusammengestellt oder geprüft werden, ist hierin
nur ein geringer Fortschritt anzuerkennen. Wie in Tilsit werden
die Verhältnisse wohl auch in vielen anderen preussischen Orten
derart liegen, dass nur in den seltensten Fällen dem Standesamte
ein ärztlicher Todtenschein eingereicht wird. Es sind dann lediglich
die Angaben der Angehörigen, aus denen der Sekretär des Standes¬
amts mit grösserer oder geringerer Findigkeit, mit mehr oder
minder Vorliebe für diese oder jene Todesursache die Sterbefälle
in die Spalten des gegebenen Schemas einträgt. Wenn die also
gefertigten Nachweise nunmehr dem Arzte (wohl meist dem Medi-
cinalbeamten) zur Kenntnissnahme vorgelegt werden, bevor sie
dem Kaiserlichen Gesundheitsamte einzusenden sind, so ist der
Arzt nur selten in der Lage, die Zuverlässigkeit des standesamt¬
lichen Berichts zu prüfen. Ob jene unter Masern, Scharlach u. s. w.
gezählten Todesfälle wirklich den Masern u. s. w. zuzuschreiben
sind, kann der Arzt jetzt nicht feststellen. Alle diese Zahlen werden
um so unzuverlässiger, wenn nicht nur keine ärztlichen Todten¬
scheine Vorlagen, sondern dem Tode nicht einmal ärztliche Behand¬
lung vorherging.
Eine grelle Beleuchtung erfuhr unsere Todesursachenstatistik
u. A. dadurch, dass nach den Zusammenstellungen des Standesamts
in der Stadt Tilsit im Jahre 1894 fünfzig Todesfälle durch
Diphtherie vorgekommen sein sollten. Auf Grund der durch die
Stadt-Polizei-Verwaltung angeordneten unbedingten Anzeigepflicht
waren in demselben Jahre überhaupt nur elf Erkrankungsfälle
gemeldet worden. Obgleich ich nun keineswegs annehme, dass
die für die Familienvorstände, Aerzte u. s. w. bestehende Anzeige¬
pflicht überall Beachtung findet, ist mir von vornherein zweifellos
gewesen, dass jene Zahl von 50 Diphtherie-Todesfällen falsch war.
Die von mir befragten Aerzte theilten mir mit, dass die Diphtherie
im Jahre 1894 nicht anders als früher nur vereinzelt, gelegentlich
auch in mehreren Fällen in einer Familie aufgetreten sei. Der
Sekretär des Standesamts sagte mir mit Recht, dass er ausser Stande
sei, die Angaben der anzeigenden Personen immer richtig zu be-
urtheilen. In manchen Fällen sei ja wohl auch keine ärztliche Be¬
handlung vorhergegangen. Er hat im besten Glauben Krankheits-
Digitized by v^ooQle
104
fälle bei Kindern, die mit Halsbeschwerden oder mit Athemnoth zum
Tode führten, zur Diphtherie gerechnet, unter andern Krankheiten
z. B. Fälle von Scharlach, oft auch die hier sogen. „Brust¬
bräune“, welche selbst wieder, medicinisch betrachtet, kein ein¬
heitlicher Begriff ist (Bronchitis capillaris, Pneumonia cruposa,
catarrhalis, Pleuritis).
Aber nicht bloss die Zahlen für Diphtherie, sondern ebenso
die für Masern und Scharlach und Brechdurchfall und Kindbett¬
fieber u. s. w. sind unsicher. Nicht einmal die Angaben über die
Häufigkeit des gewaltsamen Todes verdienen unbedingtes Vertrauen.
Mir ist ein Fall mitgetheilt, in welchem als Todesursache Herz¬
lähmung angegeben war, obgleich demnächst Tod durch Selbster¬
hängen festgestellt wurde. In einem andern Falle wurde Herzschlag
verzeichnet, obgleich der Tod durch Körperverletzung erfolgt war;
Unterleibsleiden statt Verblutung in der Geburt, statt Kindbettfieber;
Unterleibsentztindung statt Typhus. Wie können die Zahlen für
Lungenschwindsucht richtig sein, Wenn die Angehörigen oft die
Krankheit als Lungenleiden, Brustleiden bezeichnen ? u. s. w. u. s. w.
In der Erwägung, dass ärztliche Todtenscheine die Zuverlässig¬
keit der Statistik erhöhen müssen, schien es mir erst erforderlich,
festzustellen, in wie vielen Fällen etwa eine ärztliche
Behandlung dem Tode nicht vorhergegangen war. Es
ist völlig notorisch, dass in unsern ländlichen Gegenden zu der
Mehrzahl der Krankheitsfälle ein Arzt nicht zugezogen wird. Aber
wie mochte es in der Stadt sein? Diese hat drei Aerzte für die
armen Kranken der drei armenärztlichen Bezirke angestellt: für
den südlichen Theil, zu welchem auch das Dorf Kalkappen zählt,
für den mittleren und für den östlichen Theil, zu welchem letzteren
das Dorf Tilsit-Preussen gehört. Die Stadt Tilsit hat die Armen¬
pflege für die beiden eben genannten, angrenzenden Dörfer über¬
nommen, wie auch für die Stadt und diese beiden Dörfer (mit jetzt
insgesammt etwa 29 000 Einwohnern) ein gemeinschaftliches Standes¬
amt eingerichtet ist.
Auf meinen Antrag genehmigte der Magistrat, dass der Sekretär
des Standesamts zu jedem in die Sterberegister einzutragenden
Todesfall kurz vermerke, ob ärztliche Behandlung stattgefunden
habe oder nicht Ausserdem wurden wie bisher die Angaben der
Angehörigen über die Todesursachen aufgenommen.
Diese Vermerke haben mit dem 14. Mai 1895 begonnen. In
Folgendem berichte ich über die Ergebnisse bis zum 8. Februar
1896, d. i. über einen Zeitraum von annähernd neun Monaten
(271 Tagen), in welchem 580 Todesfälle angemeldet wurden.
Digitized by ^.ooQle
105
Hauptübersicht.
Mal 1805
(vom 14. ab).
Todesfälle nach ärztlicher Behandlung 1 ).
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
32 J. . . .
Herzschlag
66 J. . . .
Herzschlag
53 J. . . .
Wassersucht
3 J. 7 M. .
Brustbräune
47 J. . . .
Lungenentzündung
40 J. . . .
Herzschlag
41 J. . . .
Herzschlag
63 J. . . .
Herzschwäche
58 J. . . .
Herzfehler
16 J. . . .
Starrkrampf
4 J. 5 M. .
Gehirnentzündung
81 J. . . .
Schlaganfall
22 J. . . .
Herzfehler
20 J. . . .
Lungenentzündung
35 J. . . .
Herzlähmung
IVa M. . .
Brechdurchfall
83 J. . . .
Altersschwäche
74 J. . . .
Herzschlag
13 5
Ohne ärztliche Behandlung.
6 T. ...
Lebensschwäche
53 J. . . .
Herzschlag
6 T. ...
rt
1 J. 4 M. .
Brustleiden
23 T. . . .
Krämpfe *
8 M. ...
Zahnen
38 J. . . .
Magenkrebs
l'/s M. . .
Krämpfe
5 T. ...
Krämpfe
4 V* M. . .
Brechdurchfall
79 J. . . .
Altersschwäche
2V» M. . .
Krämpfe
1 J. 9 M. .
Brechdurchfall
13 T. . . .
n
7 7
Jul.
Nach ärztlicher Behandlung.
50 J. . . .
Brust- und Kopfleiden
27 J. . . .
Lungenschwindsucht
3 1 /* M. . .
Brechdurchfall
64 J. . . .
Herzfehler
66 J. . . .
Wassersucht
31 J. . . .
Lungenleiden
69 J. . . .
Nierenentzündung
44 J. . . .
Unterleibskrebs
66 J. . . .
Speiseröhrenkrebs
41 J. . . .
Tuberkulose
39 J. . . .
Gehirnlähmung
39 J. . . .
Lungenschwindsucht
1 M. 4 T..
Krämpfe
85 J. . . .
Altersschwäche
J ) Uneheliche Kinder unter 1 Jahre sind durch Fettdruck hervor¬
gehoben.
Digitized by ^.ooQle
106
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
5 M. 21 T.
Magendarmkatarrh
53 J. . . .
Brustleiden
11 M. 25 T.
Lungenentzündung
4 M. 9 T. .
Keuchhusten
18 J. . . .
Herzschwäche u. Nieren-
1 J. 15 T..
Abzehrung und Krämpfe
entzündung
1 J. 6 M. .
Gehirnleiden
68 J. . . .
Altersschwäche
80 J. . . .
Schlaganfall
20 J. . . .
Lungenschwindsucht
82 J. . . .
Altersschwäche
67 J. . . .
Bückenmarksleiden
1 J .
Keuchhusten
4Va M. . .
Brechdurchfall
70 J. . . .
Brustleiden
2 J .
Darmverschliessung
30 J. . . .
Lungenschwindsucht
7 J .
Halsbräune
18
14
Ohne ärztliche Behandlung. j
>/4 St. . . .
Lebensschwäche
71 J. . . .
Altersschwäche
2 M. 6 T. .
Brechdurchfall
83 J. . . .
n
1 M. 17 T.
n
Vs St. . . .
Lebensschwäche
3 M. 13 T.
Krämpfe
75 J. . . .
Altersschwäche
4 M. 26 T.
Brustleiden
80 J. . . .
7?
10 M. 18 T.
Krämpfe
1 M. 9 T. .
Lebensschwäche
22 T.. . .
Krämpfe
2 M. 12 T.
Diarrhöe
63 J. . . .
unbekannt
1 J. 3 M. .
Brustbräune
4 M. 18 T.
Krämpfe
60 J. . . .
Wassersucht
3 M. 24 T.
Brechdurchfall
8 M. 22 T.
«»
11 »
JTali.
Nach ärztlicher Behandlung.
57 J. . . .
Magenleiden
11 M. 10 T.
Zahndurchbruch
60 J. . . .
Gehirnschlag
10 M. 1 T.
Brechdurchfall
8 M. 4 T. .
Krämpfe
64 J. . . .
Magenleiden
41 J. . . .
Leberkrebs
6 M. 24 T.
Brechdurchfall
13 J. . . .
Diphtherie
74 J. . . .
Gehirnerweichung
2 M. 26 T.
Brechdurchfall
77 J. . . .
Schlaganfallsfolgen
2 M. 26 T.
Lebensschwäche
31 J. . . .
Magengeschwür
86 J. . . .
Schädelbruch
53 J. . . .
Herzleiden
2 M. 19 T.
Brechdurchfall
7 M. 26 T.
Krämpfe
33 J. . . .
Lungenentzündung
7 J.
Gehirnentzündung
78 J. . . .
Altersschwäche
6 M. 2 T..
Zahndurchbruch
54 J. . . .
Brustleiden
67 J. . . .
Gelenkrheumatismus
38 J. . . .
Krebs
1 M. 16 T.
Lebensschwäche
1 J. 7 M. .
Gehirnentzündung
65 J. . . .
Herzschlag
Digitized by ^.ooQle
107
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
72 J. . . .
Herzleiden
65 J. . . .
Herzschlag
2 M. 2 T..
Brechdurchfall
7 M. 26 T.
Auszehrung
5 J. 9 M. .
Folgen von Scharlach
62 J. . . .
Herzleiden
und Diphtherie
35 J. . . .
Darmverschliessung
18 J. . . .
Gehirnentzündung
9 M. 17 T.
Magendarmkatarrh
8 M. 8 T. .
Zahndurchbruch
46 J. . . .
Lungenschwindsucht
19 J. . . .
Unterl eibsentz ündung
20 J. . . .
Lungenleiden
16 J. . . .
Lungenleiden
72 J. . . .
Herzschlag
£1 fcfc
Ohne ärztliche Behandlung.
40 J. . . .
Schlaganfall
25 T.. . .
Brechdurchfall
11 St.. . .
Lebensschwäche
2 M. 28 T.
Brechdurchfall
3 M. 22 T.
Keuchhusten
1 M. 12 T.
Krämpfe
6 M. 1 T. .
Brechdurchfall
16 T. . . .
n
3 M. 9 T. .
»
3 J. 6 M. .
Brechdurchfall
1 M. 26 T.
Keuchhusten
17 T. . . .
Lebensschwäche
3 M. 16 T.
Brechdurchfall
10 M. 14 T.
Brechdurchfall
8 J.
ertrunken
5 M. 13 T.
Brechdurchfall
ii j. . . .
n
1 M. 1. T..
Lebensschwäche
7 M. 5 T. .
Brechdurchfall
1 M. 24 T.
Brechdurchfall
2 M. 2 T. .
n
5 M. 28 T.
Brechdurchfall
13 T. . . .
Lebensschwäche
67 J. . . .
Brustleiden
17 T. . . .
Krämpfe
1 J. 9 M. .
Abzehrung
55 J. . . .
Rückenmarksschwind¬
79 J. . . .
Altersschwäche
sucht
2 M. 10 T.
Brechdurchfall
6 T. ...
Krämpfe
2 M. 14 T.
7)
86 J. . . .
Altersschwäche'
1 J. 20 T..
XI
81 J. . . .
jj
2 J. 2 M. .
Krämpfe
8 M. 4 T..
Brechdurchfall
13 J. 9 M..
Kopfleiden und innere
14 T. . . .
26 St.. . .
Lebensschwäche
n
Hitze
2 M. 27 T.
1 St. . . .
4 M. 28 T.
3 M. 19 T.
8 M. 18 T.
Auszehrung
Lebensschwäche
Krämpfe
Brechdurchfall
Brustleiden
£5 19
Ancut.
Nach ärztlicher Behandlung.
11 J. 7 M..
Lungen- u. Nierenkrank¬
heit
3 M. 15 T.
55 J. . . .
Hirnschlag
32 J. . . .
Darmkatarrh und Nieren¬
entzündung
Lungenschwindsucht
Digitized by
Google
108
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
4 M. 25 T.
Brechdurchfall
62 J. . . .
Lungenschlag
1 J. 6 M. .
Kopfgeschwulst
4M. ...
Brechdurchfall
64 J. . . .
Lungenentzündung
45 «J. . . .
Lungenentzündung
42 J. . . .
Darmkatarrh
60 J. . . .
Wassersucht
5 M. 22 T.
Brechdurchfall
27 J. . . .
Unterleibsleiden
33 J. . . .
Tuberkulose
68 J. . . .
Gehiraschlag
67 J. . . .
Speiseröhrenkrebs
8 M. 22 T.
Scharlach
79 J. . . .
Entkräftung
73 J. . . .
Leberleiden
29 J. . . .
Gehirnentzündung
3 M. 20 T.
Krämpfe
8 M. 21 T.
Scharlach
30 J. . . .
Tuberkulose
2 J. 1 M. .
Gehirn entz ündung
82 J. . . .
Altersschwäche
50 J. . . .
Magen- u. Nervenleiden
57 J. . . .
Brustleiden
4 J. 2 M. .
Krämpfe
76 J. . . .
Bauchfellentzündung
3 J. 10 M..
Nierenwassersucht
75 J. . . .
Altersschwäche
6 M. . . .
Darmentzündung
65 J. . . .
Mundstarrkrampf
80 J. . . .
Lungenentzündung
6 J.
Halsbräune
68 J. . . .
Herzschlag
*0 17
Ohne ärztliche Behandlung.
15 T. . . .
Brechdurchfall
7 M. 17 T.
Brechdurchfall
2 M. 22 T.
rt
6 M. 3 T. .
n
16 T. . . .
Krämpfe
27 T. . . .
r>
1 Ä. 7 T..
Brechdurchfall
14 T. . . .
Brechdurchfall
16 T. . . .
Krämpfe
75 J. . . .
Schlaganfall
4 M. 18 T.
n
7 T. ...
Lebensschwäche
4 M. 19 T.
V
V» St. . . .
n
1 J. 8 T. .
Brechdurchfall
26 T. . . .
Krämpfe
2 M. 7 T. .
7 M. 2 T. .
83 J. . . .
11 M. 3 t;
6 M. 8 T. .
35 J. . . .
6 T .
1 M. 3 T. .
rt
Brechdurchfall
Altersschwäche
Abzehrung
Brechdurchfall
ertrunken
Lebensschwäche
Krämpfe
8 M. 1 T. .
Brechdurchfall
16 9
September.
Nach ärztlicher Behandlung.
4 M. 24 T.
Brechdurchfall
4 M. 28 T.
71 J. . . .
Leberleiden
74 J. . . .
39 J. . . .
Lungenschwindsucht
1 J. 8 M. .
Abzehrung
Bruchleiden
Scharlach und Diphtherie
Digitized by v^ooQle
109
m annliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
6 M. 9 T..
Krämpfe
1 M. 17 T.
Darmkatarrh
59 J. . . .
Herzfehler
5 J. 10 M..
Diphtherie
1 J. 8 M. .
Magenleiden
45 J. . . .
Unterleibsgeschwulst
43 J. . . .
Lungenschwindsucht
76 J. . . .
Altersschwäche
59 J. . . .
Brustleiden
4 M. 2 T..
Brechdurchfall
15 J. 6 M..
Tuberkulose
61 J. . . .
Herzschlag
3 J. 6 M. .
Nierenwassersucht
28 J. . . .
Schwindsucht
30 J. . . .
Blutsturz
81 J. . . .
Altersschwäche
67 J. . . .
Herzfehler
15 St.. . .
Lebensschwäche
37 J. . . .
Gehirnentzündung
3 J. 1 M. .
Brustbräune
1 J. 5 M. .
Brustbräune
1 J. 6 M. .
Nervenfieber
5 M. 5 T. .
Magen- u. Darmkatarrh
20 J. . . .
42 J. . . .
Lungenschwindsucht
Brustkrebs
15
16
Ohne ärztliche Behandlung.
42 J. . . .
Herzschlag
70 J. . . .
Herzschlag
3 T. ...
Krämpfe
24 T. . . .
Krämpfe
9 J. 9 M. .
ertrunken
80 J. . . .
Altersschwäche
5 M. 12 T.
Scharlach u. Diphtherie
75 J. . . .
77
1 M. 3 T. .
Brechdurchfall
2 M. 8 T. .
Brechdurchfall
1 M. 3 T..
77
1 M. 4 T..
Krämpfe
1 J. 29 T..
Zahndurchbruch
5 M. 11 T.
77
1 J. 12 T..
77
1 M. 16 T.
7 M. 14 T.
Brechdurchfall
Zahndurchbruch
8 9
Oetofeer.
Nach ärztlicher Behandlung.
57 J. . . .
Herzschlag
21 J. . . .
Lungenleiden
37 J. . . .
Schwindsucht
58 J. . . .
Herzschlag
50 J. . . -
Schlaganfall
60 J. . . .
Unterleibsleiden
67 J. . . .
Herzfehler
79 J. . . .
Altersschwäche
54 J. . . .
Darmverschlingung
6 M. 25 T.
Brechdurchfall
35 J. . . .
Brustleiden
40 J. . . .
Todtschlag
7 T. ...
Krämpfe
16 J. . . .
Blutvergiftung
38 J. . . .
Lungenentzündung
74 J. . . .
Wassersucht
49 J. . . .
77
50 J. . . .
Schlaganfall
81 J. . . .
Altersschwäche
76 J. . . .
Unterleibsleiden
62 J. . . .
Gehirnkrankheit
8 M. 26 T.
Masern
3 M. 17 T.
Magenleiden
24 J. . . .
Lungenschlag
32 J. . . .
Bauchfel 1 entzündung
17 T. . . .
Darmkatarrh
58 J. . . .
Herz- und Leberleiden
70 J. . . .
Asthma
72 J. . . . !
Asthma
i
66 J. . . .
Herzschlag
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. S
Digitized by ^.ooQle
110
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
60 J. . . .
Gehirnleiden
56 J. . . .
Blutarmuth
15 J. . . .
Unterleibstyphus
73 J. . . .
Altersschwäche
39 J. . . .
Leberleiden
11.4 T..
Krämpfe
21 J. . . .
Lungensch win dsucht
33 J. . . .
Schlaganfall
73 J. . . .
Altersschwäche
2 M. 8 T..
Lebensschwäche
10 21
Ohne ärztliche Behandlung.
2 M. 1 T.
Brechdurchfall
90 J. . . .
Altersschwäche
68 J. . . .
Brustleiden
9 M. 29 T.
Brechdurchfall
4 J. 3 M. .
Krämpfe
69 J. . . .
Schlaganfall
25 T. . . .
Brechdurchfall
13 T. . . .
Hrämpfe
1 M. 19 T.
n
7 M. 5 T. .
Zahndurchbruch
3 M. 1 T. .
Magendarmkatarrh
51 J. . . .
Geschwulst
42 J. . . .
Schlaganfall
70 J. . . .
Altersschwäche
38 J. . . .
Brustleiden
16 T. . . .
Krämpfe
2 J. 6 M. .
Brechdurchfall
1 M. 17 T.
Brechdurchfall
0 0
üeTeHfeer.
Nach ärztlicher Behandlung.
23 J. . . .
Herzschlag
6 T. ...
Starrkrampf
72 J. . . .
Gehimschlag
72 J. . . .
Gehirnleiden
10 M. 21 T.
Kolik
26 J. . . .
Lungenschwindsucht
2 J.
Lungenkatarrh
45 J. . . .
Gehirnentzündung
54 J. . . .
Herzlähmung
73 J. . . .
Herz- und Nierenleiden
62 J. . . .
Magenkrebs
58 J. . . .
Nierenleiden
59 J. . . .
Leberschrumpfung
1 M. 10 T.
Krämpfe
69 J. . . .
Lungenschlag
50 J. . . .
Gehirnentzündung
40 J. . . .
Herz- und Nierenleiden
73 J. . . .
Wassersucht
44 J. . . .
Entkräftung
60 J. . . .
Lungen- und Brustleiden
37 J. . . .
Gehirnlähmung
71 J. . . .
Altersschwäche
29 J. . . .
Lungenschwindsucht
1 J. 2 M. .
Brechdurchfall
60 J. . . .
phl egmon. Handentzündg.
3 J. 8 M. .
»
8 J. 9 M. .
Lungenentzündung
4M....
Geschwulst
60 J. . . .
Folgen der Trunksucht
32 J. . . .
Entbindungsfolgen
9 M. 28 T.
Krämpfe
10 St.. . .
Lebensschwäche
8 M. 14 St
Abzehrung
18 15
Digitized by ^.ooQle
111
Ohne ärztliche Behandlung.
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
35 J. . . .
Lungenentzündung
86 J. . . .
Entkräftung
2 T. ...
Lebensschwäche
29 T. . . .
Krämpfe
68 J. . . .
Entkräftung
1 M. 19 T.
Brechdurchfall
1 M. 10 T.
Brustbräune
16 T. . . .
Krämpfe
V* St. . .
Lebensschwäche
1 M. 16 T.
Keuchhusten
8 T. ...
Krämpfe
2 St. ...
Lebensschwäche
62 J. . . .
Lungenleiden
83 J. . . .
Altersschwäche
74 J. . . .
Altersschwäche
67 J. . . .
Brustleiden
56 J. . . .
ertrunken
2 M. 19 T.
Brechdurchfall
9 9
Decenfeer.
Nach ärztlicher Behandlung.
83 J. . . .
Altersschwäche
45 J. . . .
Lungenentzündung
70 J. . . •
Lungenlähmung
41 J. . . .
Lungenschwindsucht
26 J. . . .
Schlaganfall
4 M. 3 T. .
Schlaganfall (!)
61 J. . . •
Herz- und Nierenleiden
77 J. . . .
Altersschwäche
58 J. . . .
Lungen- u. Brustleiden
32 J. . . .
Kopfgeschwulst
7 T. ...
Kinnbackenkrampf
62 J. . . .
Kopfentzündung
18 J. . • •
Blutvergiftung
74 J. . . .
Altersschwäche
69 J. . . .
Influenza
39 J. . . .
Nierenleiden
38 J. . . •
Herzlähmung
88 J. . . .
Altersschwäche
3 J. 6 M. .
Nierenleiden
10 J. . . .
Nieren Wassersucht
30 J. . . •
Bauchfellentzündung
18 J. . . .
Lungenschwindsucht
44 J. . . •
Herzlähmung
76 J. . . .
Lungenkatarrh
51 J. . . •
Herz- und Nierenleiden
13 J. . . .
Gehirnentzündung
72 J. . . .
Altersschwäche
31 J. . . .
Herzschwäche
79 J. . . .
Darmleiden
55 J. . . .
Lungenentzündung
17 18
Ohne ärztliche Behandlung.
2 M. 21 T.
Lebensschwäche
2 M. 25 T.
Halsbräune
40 J. . . .
Lungenleiden
71 J. . . .
Brustleiden
1 M. 19 T.
Brustleiden
65 J. . . .
Lungenleiden
3 T. ...
Krämpfe
2 M. 21 T.
Brechdurchfall
1 M. 14 T.
n
12 J. . . .
Magenleiden
1 M. 18 T.
n
9 T. ...
Krämpfe
12 T. . . .
»
1 M. 16 T.
n
1 M. 22 T.
Lehensschwäche
11 M. 14 T.
Zahndurchbruch
3 M. 18 T.
Krämpfe
80 J. . . .
Altersschwäche
7 M. 5 T. .
Krämpfe
85 J. . . .
Altersschwäche
3 M. 17 T.
Krämpfe
9 12
8 *
Digitized by ^.ooQle
112
Jmar 1896.
Nach ärztlicher Behandlung.
männliche
weih 1 iche
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
11 M. 28 T.
Verschleimung
44 J. . . .
unbekannt
22 J. . . .
Meningitis
76 J. . . .
Altersschwäche
3 J .
Diphtherie
89 J. . . .
n
27 J. . . .
Lungenleiden
72 J. . . .
Entkräftung
51 J. . . .
Herzschlag
28 J. . . .
Gehirnentzündung
9 M. 25 T.
Luftröhrenkatarrh
27 J. . . .
Lungen- u. Magenkatarrh
69 J. . . .
Schlaganfall
73 J. . . .
Altersschwäche
8 M. 22 T.
Brustleiden
80 J. . . .
n
25 J. . . .
Lungenentzündung
80 J. . . .
n
43 J. . . .
Lungenschwindsucht
70 J. . . .
Lungenentzündung
10 J. . . .
Brandwunden
43 J. . . .
Herz- und Nierenleiden
50 J. . . .
Lungenkatarrh
67 J. . . .
Entkräftung
72 J. . . .
Altersschwäche
3 M. 17 T.
Gehirnkrämpfe
39 J. . . .
Herz- und Nierenleiden
77 J. . . .
Altersschwäche
28 J. . . .
Unfall
22 J. . . .
Schwindsucht
39 J. . . .
Herz- und Nierenleiden
64 J. . . .
Tuberkulose
30 J. . . .
Herzschlag
7 J. 6 M. .
Brustbräune
68 J. . . .
64 J. . . . 1
43 J. . . . j
34 J. . . .
17 T. . . . 1
42 J. . . . !
4 M. 25 T.
53 J. . . .
Leberleiden
Altersschwäche
Leberleiden
Schädelbruch
Brechdurchfall
Darmverschliessung
Lungenkatarrh
Lungenentzündung
88 J. . . .
j
Altersschwäche
25 18
Ohne ärztliche Behandlung.
4 T. ...
Krämpfe
11 M. 21 T.
Keuchhusten
5 T. ...
n
3 T. ...
Lebensschwäche
14 T. . . .
n
27 T. . . .
Brechdurchfall
11M. 7 T.
Brechdurchfall
69 J. . . .
Entkräftung
1 2 St.. . .
Lebensschwäche
2 M. . . .
Krämpfe
4 M. 22 T.
Krämpfe
79 J. . . .
Altersschwäche
3 M. 13 T.
71
1 M. 19 T.
Krämpfe
71 J. . . .
Brustleiden
1 J. 1 M. .
Krämpfe
27 T. . . .
Brechdurchfall und
Krämpfe
52 J. . . .
Lungenschwindsucht
9 M. 17 T.
Abzehrung
Digitized by ^.ooQle
113
männliche
weibliche
Alter
Todesursache
Alter
i
Todesursache
11 J. . . .
20 T. . . .
8 M. 17 T.
11 M. 25 T.
ertrunken
Krämpfe
. Keuchhusten
Zahndurchbruch
17
6
Fefenar.
Nach ärztlicher Behandlung.
6 M. 11 T.
Brechdurchfall
61 J. . . .
Herzleiden
52 J. . . .
Leberleiden
24 J. . . .
Lungenschwindsucht
40 J. . . .
Lungenkatarrh
15 J. 10 M.
Lungenentzündung
2 M. 16 T.
Lungenentzündung
1 J. 2 M. .
Diphtherie
1 J. 9 M. .
Luftröhrenkatarrh
34 J. . . .
Blutsturz
10 J. . . .
Halsbräune
59 J. . . .
Influenza und Herz¬
schwäche
37 J. . . .
Schwindsucht
30 J. . . .
Altersschwäche
10 4
Ohne ärztliche Behandlung.
41 J. . . .
ertrunken
47 J. . . .
ertrunken
27 J. . . .
9 J.
rt
5 M. 18 T.
Keuchhusten
67 J. . . .
Brustleiden
77 J. . . .
Altersschwäche
!
4 M. 20 T.
7 M. 1 T. .
Krämpfe
n
J_!_L
4 5
Das ist nun die Grundlage für eine Sterblichkeits-Statistik! Es
bedarf keiner Erörterung, dass die Angaben der Todesursachen
beinahe ganz unbrauchbar sind für die über Erwarten grosse Zahl
der ärztlich nicht Behandelten. Unter den letzteren überwiegen
der Brechdurchfall, die Krämpfe. Aber es genügt auch ein Blick
in die Abtheilung der ärztlich Behandelten, um zu zeigen, dass die
Angaben selbst für die schon vorsichtig sich auf wenige Krankheiten
und Krankheitsgruppen einschränkende officielle Statistik eine
wenig zuverlässige Grundlage bietet. Da machen die Bezeich¬
nungen „Brustleiden“, „Lungenleiden“ die Rubrik der Schwindsucht,
der acuten Erkrankungen der Athemorgane, unsicher; auch hier
sind „Krämpfe“ und „Zahndurchbruch“ häufig; die Angabe „Diphthe¬
rie“ ist mit Rücksicht auf das gleichzeitig herrschende Scharlach-
Digitized by
Google
114
fieber zweifelhaft: so bleibt es in vielen Fällen ungewiss, in welche
Spalte der officiellen Todesursachen-Statistik die Eintragung erfolgen
soll. Dazu kommt, dass die anmeldenden Personen oft genug so¬
wohl aus böser Absicht, wie mehr noch aus Unwissenheit oder
Gleichgültigkeit falsche Angaben machen und den Standesbeamten
irre führen.
Unerwartet gross ist die Zahl derjenigen, welche ohne ärztliche
Behandlung starben, obgleich armenärztliche, unentgeltliche Hülfe
zur Verfügung stand 1 ). Eine sofortige Uebersicht gewährt die
nachfolgende Tabelle.
Tabelle 1.
Uebersicht der in S U Jahr auf dem Standesamte
angemeldeten Stcrbefälle.
Zeit
Von den Verst
ärztlich behandelt
männliche | weibliche
orbenen waren
ärztlich nicht behandelt
männliche | weibliche
1895 Mai (18 Tage) .
13
5
7
7
Juni.
18
14
11
9
Juli.
21
22
25
19
August ....
20
17
16
9
September. . .
15
16
8
9
October ....
19
21
9
9
November . . .
18
15
9
9
December . . .
17
13
9
12
1896 Januar ....
25
18
17
6
Februar (8 Tage)
10
4
4
5
in 271 Tagen ....
176
145
115
94
Von den angemeldeten 580 Verstorbenen waren
209 = 39,4 °/o ärztlich nicht behandelt worden!
Ein Blick auf unsere Hauptübersicht lehrt, dass unter diesen
Nichtbehandelten sich überwiegend Kinder unter einem Jahre be¬
finden, während diese Altersklasse unter den Behandelten stark
zurücktritt.
Die nachfolgende Tabelle 2 giebt eine Auftheilung derjenigen
angemeldeten Sterbeftllle, welche Kinder unter einem Jahre be-
! ) Die Zuverlässigkeit unserer Zahlen stützt sich erstens auf die dankens-
wertlie Sorgfalt unseres Standesamts-Sekretärs Peterssohn. Sodann liegt kein
Grund vor für die Annahme, dass in häufigeren Fällen wahrheitswiarig die
vorhergegangene ärztliche Behandlung abgeleugnet wäre; eher könnte man
das Gegentheil vermuthen.
Digitized by
Google
115
treffen, je nachdem ärztliche Behandlung vorhergegangen war oder
nicht. Die Zahl der darunter befindlichen unehelichen Kinder ist
in Klammer beigefügt.
Tabelle 2.
Von den verstorbenen Kindern unter 1 Jahre waren
Zeit
ärztlich behandelt
1 ärztlich nicht behandelt
männliche
weibliche
männliche
weibliche
1895 Mai.
i (i)
_
4
5
Juni.
5
1
10 (1)
3
Juli.
6
8
19
13 (3)
August ....
4
4
1 13 (2)
8 (1)
September . . .
3
4
4
6
October ....
2
5(1)
4 (1)
5
November . . .
4
3 (1)
4
6 (1)
December . . .
1
1
8(3)
7
1896 Januar ....
5
1
13 (2)
4
Februar ....
2
—
1
2
33 (1)
27 (2)
j 80 (9)
59 (5)
,
Somit waren unter den 209 ärztlich nicht Behandelten 139 =
66,5 °/o Kinder unter einem Jahre.
Es waren überhaupt 199 Todesfälle von Kindern unter einem
Jahre gemeldet worden; von diesen waren 189 = 70°/o von keinem
Arzte gesehen!!
Unter diesen verstorbenen Säuglingen gab es 182 von ehe¬
licher, 17 von unehelicher Abkunft; von jenen waren 125 =
69,2 °/o, von diesen 14 = 82,4 °/o ärztlich nicht behandelt worden.
Es - offenbart sich aus diesen Zahlen eine unerwartete, ja un¬
erhörte Gleichgültigkeit der hiesigen Bevölkerung gegenüber Krank¬
heiten und Tod der Säuglinge.
Wie ich früher gezeigt 1 ), stirbt in Tilsit von den in der Ehe
geborenen Kindern beinahe der vierte Theil, von den unehelich
geborenen Kindern beinahe die Hälfte vor Vollendung des ersten
Lebensjahres. Diese Zahlen erfahren nun dadurch eine gewisse
Beleuchtung, dass unter den verstorbenen ehelichen Kin¬
dern über zwei Drittel, unter den verstorbenen un¬
ehelichen Kindern über vier Fünftel ärztlicher Be¬
handlung nicht unterworfen waren.
Ausser den 139 Säuglingen sind nur wenig Kinder der ärzt¬
lichen Behandlung entzogen worden.
*) Beiträge zur medicinischen Statistik des Kreises Tilsit. L
Centralblatt f. allg. Gesundheitspfl. 1895, S. 213.
Digitized by
Google
Tabelle 3.
Gemeldete Sterbefälle von Kindern über 1 Jahr (bis zu 15 Jahren).
116
Digitized by ^.ooQle
Krämpfe
Halsbräune
Lungen- und Nierenleiden
117
Digitized by ^.ooQle
118
Während von den verstorbenen Säuglingen 70°/o äiztlich
nicht behandelt waren, ist dieser Procentsatz für die Kinder von
einem bis unter 15 Jahren auf fl = 28 °/o gesunken. Und
von diesen 14 Nichtbehandelten waren neun jünger als zwei Jahre,
so dass wir lediglich bestätigt sehen, dass es gerade die jüngsten
Kinder sind, die auf das Gröblichste vernachlässigt werden.
Von den übrigen Nichtbehandelten waren angeblich 22
(im Alter von 68, 69, 70, 71, 74, 75, 75, 77, 79, 79, 79, 80, 80,
80, 81, 83, 83, 83, 85, 86, 86, 90 Jahren) an Altersschwäche
gestorben, darunter 15 Frauen. Ertrunken waren 10 Personen,
darunter 2 weiblichen Geschlechts. Bleiben 24 Erwachsene, 13
männlichen, 11 weiblichen Geschlechts, von denen 7 an Schlag¬
anfall oder Herzschlag, 11 an Schwindsucht, Brust- bezw. Lungen¬
leiden gestorben sein sollen.
Für die ohne ärztliche Behandlung gebliebenen 139 Säuglinge
und 9 Kinder von 1—2 Jahren finden wir als Todesursachen an¬
gegeben :
Lebensschwäche in 22 Fällen, darunter 5 Kinder, die älter
als 1 Woche, bis zu 2 2 /s Monate alt wurden.
Krämpfe 48 mal für Kinder im Alter von 3 Tagen bis 1 Jahr
1 Monat.
Es ist bekannt, dass sub titulo Krämpfe („innerliche“ oder
„äusserliche“) alle denkbaren Krankheiten verstanden werden.
Brechdurchfall ist in 51 Fällen angegeben; 1 mal Diarrhöe,
lmal Magen- und Darmkatarrh.
Auszehrung in 4 Fällen; Halsbräune 1 mal; Scharlach
und Diphtherie lmal. (Vermuthlich war hier vorher zu einem
von gleicher Krankheit ergriffenen grösseren Kinde der Arzt zu¬
gezogen worden, später zu dem Säugling nicht.)
Keuchhusten soll in 6 Fällen die Todesursache gewesen
sein, Brustleiden 4mal, Brustbräune 2mal.
Zahndurchbruch war in 7 Fällen angegeben.
Das Ergebniss dieser Untersuchung ist, dass in unserer Be¬
völkerung die jüngsten Kinder, insbesondere die des ersten Lebens¬
jahres in Krankheitsfällen mit einer kaum glaublichen Gleichgültig¬
keit behandelt werden. Denn der ärztlichen Fürsorge waren in
dem untersuchten Zeitraum 69 °/o der ehelichen, 82 °/o der unehe¬
lichen Kinder, die durch Krankheit starben, entzogen geblieben.
Und doch sind die Armenärzte für die unentgeltliche Behandlung
der Armen vorhanden! Aus dem hohen Procentsatz der Nichtbe¬
handelten ist übrigens zu schliessen, dass nicht nur, vielleicht nicht
einmal überwiegend diejenigen Bevölkerungskreise, welche an der
Digitized by
Google
119
Armenpflege theilhaben, ihre kleinen Kinder ohne ärztliche Hülfe
lassen, sondern auch solche Familien, welche nicht arm genug sind,
um den Armenarzt zuziehen zu dürfen, aber sich zu arm fühlen,
um einen Arzt, Heil- und Pflegemittel zu bezahlen. Da wird dann
des Säuglings nicht geachtet, wenn man auch den grösseren Kindern
und den Erwachsenen Sorge und Aufwendungen zu widmen bereit ist.
Gleiche Untersuchungen bleiben für andere Theile unserer
Provinz, unseres Vaterlandes ein dringendes Bedürfhiss.
Wer wollte sagen, wie viele Kinder nicht durch ärztliche Für¬
sorge, bessere sachgemässe Pflege erhalten bleiben könnten!
Um Ablitilfe zu schaffen, sollte das Recht auf freie ärztliche
und medicamentöse Hülfe weitherziger, weniger eingeschränkt als
bisher gewährt werden; aber auch durch Belehrung (von der Kanzel,
in den Volksschulen, in den Volksabenden) ist die Nothwendigkeit,
ja die sittliche Verpflichtung, bei den Erkrankungen auch der
kleinsten Kinder den Arzt zu Rathe zu ziehen, einzuschärfen.
Und welch ein schönes, breites Feld werkthätiger Nächsten¬
liebe eröffnet sich hier den wohlthätigen Frauen-Vereinen! Wenn
unsere Frauen und Töchter die ihnen vom Vorstande zugewiesenen
armen Familien öfter aufsuchen, so werden sie auf Schritt und
Tritt vernachlässigte Kranke finden und zu besserer Fürsorge Ver¬
anlassung geben. Ihnen wird es vermuthlich nicht schwer werdeü,
auch ärztliche Hülfe zu verschaffen. Es ist dies eine Frage der
Organisation*).
Ein zweites Ergebniss dieser Untersuchung ist die Bestätigung
der erheblichen Unsicherheit unserer officiellen Statistik der Todes¬
ursachen. Es mag in andern Gegenden unseres Vaterlandes manches
auch auf diesem Gebiete besser bestellt sein. Fortschritte aber in
der Sicherheit der Statistik werden überall nur durch ärztliche
Todtenscheine zu erzielen sein. Hierüber vielleicht ein andermal.
Denken zu müssen, dass hier von 100 Verstorbenen 40 in den
Sarg gelegt werden — in der Stadt und den beiden benachbarten
Dörfern; viel mehr, vielleicht 80—90°/o, auf dem flachen Lande! —
Aus diesem Gesichtspunkte ist eine sich unentgeltlich darbietende
ärztliche Hülfe (Poliklinik, Ambulatorium) fast immer und überall mit Freuden
zu begrüssen; zumal in armen Gegenden. Die Hülfe der angestellten Armen¬
ärzte reicht fast überall nicht aus. Möchten doch die den Polikliniken vielfach
abhold gesinnten Collegen vor einem Unmuth sich bewahren, der gelegentlich,
wann durch die Poliklinik lediglich die privaten Interessen des Leiters ge¬
fördert werden sollen, berechtigt ist, gelegentlich aber auch den Eindruck
zünftlerischer Engherzigkeit gewährt. Icn möchte lieber einmal eine Poliklinik
zu viel fördern, da das allgemeine Interesse, die Sorge um das Wohl vieler
Armen uns unbedingt leiten und höher stehen soll als das Bedenken, ob nicht
auf solchem Wege einmal ein Arzt schneller als andere zu dem doch allgemein
angestrebten Ziele grosser praktischer Wirksamkeit gelange.
Digitized by ^.ooQle
120
ohne dass ein Arzt sie gesehen, kann den Menschenfreund nur mit
Trauer erfüllen. Der Arzt soll die Lebenden und soll die Todten
sehen! Viele Gründe verlangen gebieterisch die obligatorische
ärztliche Leichenschau; und wir sollten nicht müde werden,
sie zu fordern, zumindest für alle Orte, in denen Aerzte wohnen.
Kleinere Mittheilungen.
*** Die beiden Berliner Heimstätten für Lungenkranke in
Malchow und Blankenfelde haben nach den letzten Jahresbe¬
richten einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Zu Anfang fanden
die Heimstätten nur wenig Zuspruch. Allmählich hingegen hat man
die Anstalten schätzen gelernt. Die Aerzte und Hospitäler nehmen
mehr Interesse an ihnen. Und vor allem haben die Kranken die Be¬
denken gegen die Sonderheimstätten aufgegeben. Dieser Wandel in
der Anschauung kommt in der Statistik der Heimstätten deutlich zum
Ausdruck. Die ältere Heimstätte für Lungenkranke zu Malchow, die
1892 ins Leben trat, hatte im Jahre 1892/93 nur 90 Pfleglinge (79
männliche und 11 weibliche). Im Jahre 1893/94 stieg die Zahl der
Aufnahmen bereits auf 409 (382 Männer und 27 Frauen), und im Jahre
1894/95 wurden 674 Pfleglinge, durchweg Männer, aufgenommen. Die
Zahl der Verpflegungstage betrug 1892/93 4 339, und 1894/95 25 870.
Die Heimstätte für Lungenkranke in Blankenfelde ist ausschliesslich
für Lungenkranke weiblichen Geschlechtes bestimmt; sie wurde im
Juli 1893 eröffnet. 16 damals in der Heimstätte in Malchow in Pflege
befindliche lungenkranke Frauen waren die ersten Insassen der neuen
Heilanstalt. Insgesammt wurden 1893/94 nur 64 lungenkranke Frauen
aufgenommen. 1894/95 stieg die Zahl der Aufgenommenen auf 192.
Weit ausgiebigeren Gebrauch als früher machen von den Heimstätten
die Krankenkassen. Von den 674 Pfleglingen der Malchower Anstalt
wurden 237 von Kassenärzten in die Heimstätte geschickt. Sicher
waren auch unter den 263 Kranken, die aus den städtischen Kranken¬
häusern und der Charitee in die Heimstätte übertraten, beträchtlich
viele Mitglieder von Krankenkassen. Gering hingegen ist die Zahl
der Ueberweisungen nach Malchow durch die Armenärzte. Sie beläuft
sich auf nur 27. Im Gegensätze dazu hat die Armenverwaltung die
Heimstätte zu Blankenfelde beträchtlich viel mehr ausgenutzt. Von den
192 Insassen der Anstalt waren 44 von den Armenärzten in die Heim¬
stätte geschickt worden; aus städtischen und andern Krankenhäusern
Digitized by v^ooQle
121
kamen 87; aus der Praxis der Kassenärzte 36. Früher wurde sehr
darüber geklagt, dass den Heimstätten Kranke zugewiesen würden, die
für die Beimstättenpflege gar nicht geeignet seien. Jetzt wird diese
Klage auch noch laut; diese Ueberweisungen aber sind ganz vereinzelt.
Man hat offenbar allmählich gelernt, eine Auswahl unter den Kranken
zu treffen. Die Aerzte der Heimstätten Dr. Ellerhorst und Dr. Reuter
sind in der Beurtheilung der erzielten Erfolge sehr vorsichtig. Unbe¬
streitbar sind die Ergebnisse nach den Tabellen günstig. Berück¬
sichtigen muss man freilich, dass die Zeit, die der einzelne verpflegt
wird, im Verhältniss nur gering ist. In Malchow betrug sie im Durch¬
schnitt 44,3 Tage, in Blankenfelde 7,43 Wochen. Die Beobachtungen
in den Heimstätten sprechen eindringlich für den Nutzen einer be¬
sonderen Fürsorge für die Lungenkranken. (Nach der V. Z.) W.
*** Volksheilstfitten für Schwindsüchtige in der Schweiz. Eine
Arbeit von Dr. F. Schmid „Die Bedeutung der Volkssana¬
torien im Kampfe gegen die Tuberkulose, mit besonderer
Berücksichtigung schweizerischer Verhältnisse* 4 (Schwei¬
zerische Blätter für Wirthschafts- und Socialpolitik, 1895, Heft 12)
enthält folgende Angaben:
In wenigen Wochen wird das erste Volkssanatorium in der Schweiz,
die „bernische Heilstätte für unbemittelte Tuberkulöse in Heilige n-
schwendi“ (1800 Fusb über dem Thunersee) mit vorläufig 40 Betten
eröffnet werden; die fertige Anstalt soll Raum für 80 Kranke bieten.
Baselstadt hat mit dem Bau eines Sanatoriums für 60 Betten in
Davos begonnen und gedenkt ausserdem eine gleich grosse Anstalt in
der Nähe von Basel, in Bruderholz, zu errichten. Baselland be¬
theiligt sich an den Kosten der Erstellung des Basler Sanatoriums in
Davos (mit einer Summe von 60 000 Fr.) und erhält dafür das Recht
der Mitbenutzung desselben (VerfUgungsrecht über mindestens 10 Betten).
Die Glarner haben auf der sonnigen Höhe des Braunwaldberges eine
Liegenschaft (untere Niederschlacht) erworben, auf der sie im kom¬
menden Jahre eine Heilstätte für unbemittelte Brustkranke zu erstellen
gedenken, und die Züricher suchen nach einem geeigneten Bauplatz
zur Errichtung eines Sanatoriums mit 100 Betten. Die romanische
Schweiz (Waadt, Neuenburg und Genf) sammelt Gaben, um neben
dem Sanatorium für Wohlhabende in Leysin ein solches für unbe¬
mittelte Kranke zu bauen. Auch in den Kantonen Aargau, Solo¬
thurn, Graubünden, St. Gallen, Thurgau und in den Ur-
kantonen beschäftigen sich Aerzte und gemeinnützige Gesellschaften
mit den Vorarbeiten zur Gründung derartiger Heilstätten. Ferner hat
der bekannte Philanthrop Pfarrer W. Bion in Zürich, der Schöpfer
der Ferienkolonieen, unterstützt durch ein Initiativkomit6, die Gründung
eines grossen schweizerischen Vereins zur Errichtung und Unterstützung
Digitized by
Google
122
von Sanatorien für unbemittelte Lungenkranke in die Hand genommen.
(Vgl. Deutsche medic. Wochenschr. 1895, Nr. 41.) W.
*** Nach einer in Conrad’s Jahrbüchern für Nationalökonomie
und Statistik, 3. Folge, Bd.X, 1895, veröffentlichten Arbeit berichtet
Dr. GeorgHeimann über die Berufskrankheiten der Buchdrucker
in der deutschen medic. Wochenschrift, 1895, No. 39. Wir entnehmen
dem Artikel Folgendes:
Die Lebensdauer der Berliner Buchdrucker ist wesentlich geringer
als die durchschnittliche gleicher Altersklassen der Berliner männlichen
Bevölkerung. Die Sterblichkeitsziffer nähert sich in bedenklicher Weise
der der Solinger Schleifer, bekanntlich einer der ungünstigsten
der verschiedenen Berufsklassen, für die statistische Feststellungen ge¬
macht sind. Die häufigste Todesursache (über 49 °/o der Sterbefälle)
ist die Lungenschwindsucht, weit häufiger als in der übrigen gleich-
alterigen männlichen Berliner Bevölkerung. So kamen z. B. von 100
Sterbefällen überhaupt an Schwindsucht auf die Buchdrucker im Jahre
1891: 46,03, auf die Übrigen männlichen Berliner gleicher Alters¬
klassen: 34,41; im Jahre 1892 war das Verhältnis 43,93:33,23;
1893: 46,37 : 30,75.
Unter den Erkrankungen bilden die der Athmungsorgane ein
Viertel der Gesammtsumme.
Ausserordentlich häufig treten Rheumatismen auf, vielleicht manch¬
mal die Diagnose „Bleivergiftung“ verschleiernd.
Die Bleikrankheit befällt die Buchdrucker bei weitem nicht so
häufig, als man gemeinhin annimmt; immerhin öft genug, um energische
Vorsichtsmassregeln gegen die Gefahr der Vergiftung zu rechtfertigen.
Es sind hierher ausser den unter Diagnose „Bleivergiftung“ be-
zeichneten Fällen noch eine Reihe von Erkrankungen zu rechnen,
welche als „Nervenleiden“, „Magenleiden“, „Rheumatismus“ u. a. m.
bezeichnet sind.
Es finden sich unverliältnissmässig häufig unter dem Bilde der
Neurasthenie einhergehende Erkrankungen, die zuweilen auf Bleiver¬
giftung zu beruhen scheinen. Die Differentialdiagnose zwischen Alko¬
holismus und Bleivergiftung ist in manchen Fällen schwierig. Die von
Levy (Berufskrankheiten der Bleiarbeiter, Wien 1873)
erwähnte Caries und Nekrose infolge von Bleivergiftung ist hier in
keinem Falle beobachtet worden. Relativ häufig sind Augenerkran¬
kungen und Verminderungen des Sehvermögens beobachtet. Sehr häufig
ist das Vorkommen von Krampfadern und daraus resultirenden Unter¬
schenkelgeschwüren, eine Folge des stundenlangen ununterbrochenen
Stehens bei der Arbeit. Seitdem die Handpresse mehr und mehr durch
die Schnellpresse ersetzt ist, scheint eine Abnahme der Häufigkeit der
Unterleibsbrüche zu constatiren zu sein.
Digitized by
Google
123
Die Häufigkeit der Lungenschwindsucht unter den Buchdruckern
findet ihre Erklärung in der ungesunden Luft, die in den Druckereien
herrscht, zum Theil auch in der langen anstrengenden Arbeitszeit, in y
der beständig gestanden werden muss. Die Schriftsetzer sind durch¬
schnittlich kräftige Leute, deren im allgemeinen verhältnissmässig nicht
unbedeutendes Einkommen eine ausreichende kräftige Ernährung und
nicht ungesunde Wohnungsverhältnisse ermöglicht, also im grossen und
ganzen sind für die Entwickelung der Schwindsucht keine allzu gün¬
stigen Vorbedingungen vorhanden. Diese Disposition wird aber
durch den in der Luft enthaltenen Bleistaub hervorgerufen, der
reizend auf die Respirationsorgane einwirkt und leicht Veranlassung
zu chronischen Katarrhen giebt, wofür die Betreffenden um so em¬
pfänglicher sind, als sie bei der meist schwülen Temperatur der Werk¬
räume sich leicht erkälten. Diese Wärme lässt die Erreger der Schwind¬
sucht, die Tuberkelbacillen, welche sich in dem in die Spucknäpfe,
resp. auf den Fussboden entleerten Auswurf schwindsüchtiger Drucker
befinden, desto besser gedeihen und sich vermehren, und so können
diese Krankheitserreger die für die Erkrankung von Tuberkulose in
geeignetster Weise vorbereiteten, häufig im Zustand chronischer Ent¬
zündung befindlichen Organe leicht inficiren. Dem Bleistaub kommt
also eine vorbereitende, die Disposition zur Erkrankung schaffende
resp. vermehrende Rolle zu.
Bezüglich der Bleivergiftung ist die Haupteingangspforte in den
Körper das Respirationssystem. Der in so reichlichem Masse (vergl.
die bekannten Untersuchungen von Stumpf, Archiv für Heilkunde,
1875) in der Luft der Werkräume suspendirto Bleistaub wird einge-
athmet und verbreitet sich so weiter im Organismus. In zweiter Linie
vermitteln die Verdauungsorgane die Aufnahme des Bleies. An den
Händen bleibt bei der Arbeit leicht etwas Metall zurück; die Hände
kommen dann beim Rauchen, Essen oder Trinken u. s. w. mit dem
Munde in Berührung, und so dringt das ßift in den Körper ein.
Durch geeignete hygienische Massregeln, besonders durch Fürsorge
für bessere Luft in den Arbeitsräumen und Vorsichtsmassregeln gegen
die Bleivergiftung Hessen sich ohne grosse Schwierigkeiten die Gefahren
dieses Berufes bedeutend vermindern, und es ist auch unsere, der
Aerzte, Pflicht, mit aller Energie dieses Ziel zu erstreben. W.
lieber Petroleumöfen.
Nach einem in der Berliner militärärztlichen Gesellschaft am 20. December
1895 gehaltenen Vortrage von Oberstabsarzt Dr. Krocker. Deutsche militär¬
ärztliche Zeitschrift 1896, Heft 2.
Verfasser empfiehlt in dem in Rede stehenden Aufsatze eine neue
Construction von Petroleumöfen zu Heizzwecken. Dieselben werden
unter dem Namen „Universal“ von einer Berliner Fabrik (J. Hirsch-
Digitized by
Google
124
horn) in den Handel gebracht. Als Vorzüge rühmt Verfasser die
völlige Geruch- und Gefahrlosigkeit heim Brennen, leichte Bedienung
und Instandhaltung, schnelle Erwärmung der zu beheizenden Räume
durch Ausströmen der heissen Luft aus den oberen Oefihungen des
Ofens, geringe Erwärmung des Mantels. Die Betriebskosten sind im
Vergleich zu Gasöfen verhältnissmässig gering, dieselben stellen sich
für mittelgrosse Oefen bei dem jetzigen Petroleumpreise auf 50 Pfg.
fitr den Tag. Ein weiterer Vortheil sei die leichte Transportffthigkeit
der Oefen; da dieselben leicht sind und kein Abzugsrohr besitzen,
könnten sie ohne Mühe von einer Person von einem Raum zum andern
gebracht werden. Das Fehlen eines Abzugsrohres gebe zu hygienischen
Bedenken keine Veranlassung, da die Verbrennung eine vollständige
sei. Verfasser glaubt die Oefen für die Fälle warm empfehlen zu
können, in welchen aus irgend einem Grunde die vorhandenen Heiz¬
anlagen bei grösserer Kälte nicht zur genügenden Erwärmung aus¬
reichten oder fhr Räume, die nur vorübergehend in Benutzung wären.
Für die Heeresverwaltung könnten die Oefen insofern von Bedeutung
werden, als man mit ihnen im Felde Lazarethbaracken bezw. Zelte
leicht beheizen könnte. Die Oefen würden bei den Lazarethreserve-
depots mitzuführen sein. Dr. Leut (Trier).
Literaturbericht.
Neuere Arbeiten über Diphtherie und Heilserum.
i.
Die durch Behring eingeführte Behandlung der Diphtherie
mittels Einspritzungen von Serum immunisirter Pferde, über deren Er¬
folge Überwiegend günstige Berichte vorliegen, legt es nahe, zu prüfen,
welche Wirkungen die Einspritzung von Serum gesunder, aber nicht
gegen Diphtherie künstlich immunisirter Pferde hervorruft. Da ferner
die Einspritzung des Beh ring 1 sehen Diphtherie-Heilserums auch zur
Vorbeugung, zur Immunisirung bedrohter, aber noch nicht kranker
Menschen empfohlen wird, so ist erforderlich, zu prüfen, welche
Wirkungen das Diphtherie-Heilserum auf Gesunde ausübt. Wie wir
noch sehen werden, entfaltet auch das nicht - specifische Serum er¬
hebliche Wirkungen im Menschen, und es ist daher die Meinung ge-
äussert worden, dass der Einfluss, welchen die Behring’sehe Behandlungs¬
methode auf diphtheriekranke Menschen ausübt, nicht specifisch sei,
sondern eben lediglich auf der Einspritzung des Serums, d. h. einer
Digitized by ^.ooQle
125
eiweiss- und salzreichen, aus dem Blute einer fremden Thierart stammen¬
den Flüssigkeit beruhe.
Versuche, Diphtheriekranke mit nichtspecifischem Pferdeserum zu
behandeln, liegen in sehr beschränkter Zahl vor. B e r t i n *) sah in
fünf Fällen dieselben Wirkungen wie nach dem „antidiphtherischen“
Serum (von immunisirten Pferden).
Prof. A. Johannessen 2 ) (von der Kinderklinik in Christiania)
berichtet, dass er — unter allen Vorsichtsmassregeln — reines, nicht-
specifisches Pferdeserum 22 Individuen unter die Haut spritzte (einer
Erwachsenen und 21 Kindern von 7 /12 bis 12 Jahren). Die Gaben
betrugen einmal 2 ccm, einmal 15 ccm, sonst 5—10 ccm. — Niemand
von den 22 ist später an Diphtherie erkrankt. — Ein Kind wurde
nach vier Tagen entlassen, ohne Krankheitssymptome gezeigt zu haben.
Von den übrigen zeigten sich bei acht (in etwa 40 °/o der Fälle)
Temperaturerhöhungen bis 38,7 0 C., die meist bald kamen und bald
wieder schwanden. Zwölfmal (in 60 °^o der Fälle) traten Hautaus¬
schläge auf, meist drei bis elf Tage nach der Einspritzung, die nach
wenigen Tagen schwanden, übrigens aber in wenigen Fällen fünf bis
sieben Tage später noch einmal sich zeigten. Die Erwachsene
erkrankte unter Gelenkschmerzen, Mattigkeit und Uebelbefinden. Ein
tuberkulöses Kind erkrankte schwerer mit Hautausschlag und Eiweiss-
harnen. Urinuntersuchungen ergaben, dass der Stickstoffgehalt, also
der Eiweissumsatz bei den Meisten in Folge der Serumeinspritzung
abnahm. Wurde unfiltrirtes Serum benutzt, so zeigten sich ernstere
Symptome; die Menge der eingespritzten Flüssigkeit schien dagegen
von keiner wesentlichen Bedeutung.
Dies sind im Ganzen dieselben Folgen, wie sie auch als „Neben¬
wirkungen“ nach der Injection des specifischen, antidiphtherischen
Pferdeserums beobachtet sind. Dr. Johannessen machte mit anti-
diphtherischem Serum, das in jedem Cubikcentimeter mindestens 60
Behring’sehe Immunisirungseinheiten enthielt, an 41 Individuen In-
jectionen von je 5—20 ccm, — davon waren acht erwachsen, die
übrigen Kinder von drei Monaten bis zwölf Jahren. Nur bei drei
Behandelten trat keine Reaction ein. Mehrmals zeigten sich kurz
dauernde, mässige Fieberbewegungen, sehr häufig (2—16 Tage nach
der Einspritzung) Hautausschläge, die vereinzelt mit ernsthafteren Er¬
scheinungen einhergingen. Bei allen Erwachsenen und bei mehreren
Kindern fanden sich schmerzhafte Gelenkschwellungen, dazu Kopfweh,
Uebelkeit, langdauernde Mattigkeit und Schwäche; in einem Falle bot
J ) Referat in Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 13, S. 285.
9 ) Ueber Injectionen mit antidiphtherischem Serum und reinem
Pferdeserum bei nichtdiphtheriekranken Individuen. Deutsche
medic. Wochenschrift 1895, Nr. 51.
CentralbUtt f. allg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 9
Digitized by
Google
126
sich ein ernsthaftes Krankheitsbild und Eiweisshamen von vierzehn¬
tägiger Dauer.
Der Verfasser theilt einen bemerkenswerthen Fall mit, in welchem
nach der Injection eine auffallende Besserung einer älteren, mit Eiter-
abscheidung einhergegangenen Rippenfellentzündung eintrat.
Bei einer der 41 regelmässig untersuchten Personen fanden sich
bald nach der Injection — zehn Tage lang — Diphtheriebacillen;
hier war während zweier Tage auf beiden Mandeln ein unbedeutender
Belag vorhanden; sonst war und blieb dieses Individuum völlig gesund.
Wenn in beiden Versuchsreihen die Wirkungen des Serums auch
gleichartig waren, so ist doch noch fraglich, ob nach Anwendung des
antidiphtherischen Serums nicht einzelne Symptome intensiver auftreten.
Verfasser räth, möglichst kleine Dosen von Serum, also das
Antitoxin möglichst stark concentrirt anzuwenden, und sehr vorsichtig
in der Benutzung des Mittels zu sein, wo Diphtherie nicht vorliegt.
Zu dem gleichen Schlüsse gelangt Geheimrath Dr. Pistor, der
an seiner sieben Jahre alten Tochter, welche an diphtherieverdächtiger,
aber — wie später erwiesen — nicht diphtherischer Mandelentzündung
litt, nach der Injection von Serum mit 900 Immunitäts-Einheiten (in
wieviel ccm?) eine nicht unerhebliche, mehrmals recidivirende Krank¬
heit beobachtete 1 ). Pistor bekämpft keineswegs die Behandlung er¬
wiesener Diphtherie durch B e r i n g ’ s Serum, fordert aber noch grössere
Garantien für die prophylaktische Anwendung desselben. Der
Pistor’sehe Fall ist auch deshalb bemerkenswerth, weil er zu erweisen
scheint, dass das Serum sehr lange Zeit — hier fast drei Monate —
im Körper verbleiben könne. Vielleicht darf man gerade hieran
Hoflhungen für eine gedeihliche Anwendung zur Vorbeuge der Diphtherie
anknüpfen.
Inzwischen wird amtlich mitgetheilt, dass die „Farbwerke vorm.
Meister, Lucius und Brüning“ zu Höchst a. M. ein Diphtherieserum
hergestellt haben, welches mehr als 200 und selbst mehr als 500 Im-
munisirungs-Einheiten in 1 ccm enthält.
Man könnte den oben erwähnten Fall, in welchem Diphtherie-
Bacillen im Munde sich fanden, ohne dass allgemeine Krankheits¬
symptome folgten, als einen Beweis für die prophylaktische Wirksam¬
keit des eingespritzten Serums ansehen. Denn das Serum kann wohl
die von den Bacillen erzeugten Gifte, nicht aber die Bacillen selbst
vernichten. Allein die Löffler ’ sehen Diphtheriebacillen sind in
neuerer Zeit auch bei unbehandelten gesunden Menschen öfters im
Munde gefunden worden, zumal zur Zeit herrschender Diphtherie. So
*) Erkrankung nach prophylaktischer Anwendung von
Behring’s Diphtherie-Heilserum. Deutsche Aerzte-Zeitung, 1895,
Nr. 24.
Digitized by
Google
127
berichtet Dr. P. Aaser (Christiania) *) von einer Epidemie, die in
einer Cavalleriekaserne herrschte und trotz sorgfältigster Desinfection
der Zimmer, der Kleider u. s. w. nicht zu unterdrücken war. Es lag
daher der Schluss nahe, dass der Ansteckungsstoff an den Personen
selbst haftete. Als nun von 89 Bewohnern der Kaserne Schleim aus
der Mundhöhle (von den Rachengebilden) bakteriologisch untersucht
wurde, fanden sich in 17 Fällen (= 19 °/o) Diphtheriebacillen von
hoher Giftkraft. (Es genügten 0,5 ccm einer zweitägigen Bouillon-
cultur dieser Bacillen, um mittelgrosse Meerschweinchen unter charakte¬
ristischen Symptomen zu töten.) Von diesen 17 erkrankte demnächst
ein Soldat an schwerer Diphtherie; zwei andere bekamen Halsaffectionen
mit etwas Unwohlsein, Fieber und stecknadelkopfgrossen Belägen der
Mandeln; bei den übrigen 14 Soldaten war die Rachenschleimhaut
stark geröthet und blieb so bis zum Verschwinden der Bacillen, ohne
dass die Gesundheit sonst gestört war.
Man lernt aus dieser Beobachtung, dass die Ansiedelung der
Diphtheriebacillen nicht immer eine schwere Krankheit, sondern in
vielen Fällen kaum merkbare örtliche Erscheinungen hervorruft. Nach
Dr. Aaser’ s Bericht hat einer jener Soldaten später an einer ganz
leichten Lähmung im Accommodationsapparat der Augen gelitten, wie
solche als Folgezustand der Diphtherie, öfters in hartnäckiger schwerer
Form, bekannt ist. Man muss also annehmen, dass die Bacillen, die
keine Beläge erzeugten, doch soviel Toxin bildeten, um, in die Säfte¬
masse aufgenommen, zu jener Lähmung, d. i. zur partiellen Vergiftung
nervöser Apparate zu führen. Ganz analoge Beobachtungen wie an
den Soldaten machte Dr. Aaser auch an Kindern. Von 29 Kindern
(Scharlach - Reconvalescenten), die keinerlei subjective Krankheits¬
symptome zeigten, hatten neun (= 31 °/o) giftkräftige Löffler’sche
Bacillen im Schleim der Mandeln; es fand sich objectiv nur eine ab¬
norme Röthe der Schleimhaut. Nur bei einem dieser Kinder fanden
sich später ganz leichte diphtherische Beläge; alle übrigen blieben ganz
gesund (die einen mit, die andern ohne B e h r i n g ’ s Serum).
Für die Aetiologie der Epidemien ist ein Fall bemerkenswerth, in
welchem ein gesundes (nur mit Rachenrötlie behaftetes) Kind wochen¬
lang Diphtheriebacillen im Munde hatte, dann (mit noch spärlichen
Bacillen) nach Hause entlassen wurde. Wenige Tage darnach er¬
krankten hier zwei jüngere Schwestern an Diphtherie.
(Prophylaktisch folgt hieraus, dass man, soweit durchführbar,
alle Personen, welche mit einem Diphtheriekranken in nähere Be¬
rührung gekommen waren, so lange isoliren sollte, bis durch die
*)Zur Frage der Bedeutung des Auftretens der Löffler’schen
Diphtheriebacillen bei scheinbar gesunden Menschen. Deutsche
medic. Wochenschrift 1895, Nr. 22.
9*
- Digitized by ^.ooQle
128
bakteriologische Untersuchung die Abwesenheit der Bacillen nachge¬
wiesen ist. Dass zu diesem Behufe zahlreiche bakteriologische Unter¬
suchungsstationen einzurichten sind, liegt auf der Hand. Die hygieni¬
schen Universitäts-Institute werden diese Aufgabe auf die Dauer vor¬
aussichtlich um so weniger durchführen können, als nach der heutigen
Entwicklung der Epidemiologie und Gesundheitspflege die bakterio¬
logischen Stationen noch manche andere Untersuchungen werden aus-
zuflihren haben.)
Die Thatsache, dass die Diphtheriebacillen auch bei Gesunden
Vorkommen, wird von Einigen benutzt, um hieraus Zweifel gegen die
ätiologische Bedeutung der Löffler’sehen Bacillen für die Diphtherie
abzuleiten. Solche und andere Bedenken hat insbesondere Hanse¬
mann entwickelt; mit ihrer Widerlegung beschäftigt sich ein Artikel
von C. F r ä n k e 1 (Marburg), auf welchen einzugehen hier der Ort ist*)*
Die neuesten Erfahrungen haben Gleiches — das Vorkommen bei Ge¬
sunden — auch für andere unzweifelhafte Krankheitserreger dargethan.
So finden sich die Choleravibrionen in epidemischer Zeit auch im Darm¬
kanal Gesunder. Fränkel führt ferner an, dass u. A. auch der
„Pneumokokkus“, der Erreger der Lungenentzündung und zahlreicher
anderer krankhafter Vorgänge, im vollgiftigen Zustande häufig in der
Mundhöhle gesunder Menschen vorkommt; dass (nach Mittheilung von
Straus) in der Nase völlig gesunder und kräftiger Menschen der
Tuberkelbacillus keineswegs selten angetroffeu werden kann. Hieraus
folgt eben nur, dass die Anwesenheit des Krankheitserregers allein
noch nicht genügt, um die specifische Krankheit hervorzurufen, sondern
dass hierzu noch andere Bedingungen erfüllt sein müssen, die an die
Organisation des Menschen gebunden sind, und welche wir als indi¬
viduelle Disposition bezeichnen. Auch ist zu erwägen, dass die
specifischen Bacillen von wechselnder Virulenz sind, und dass
sie ihre Virulenz für den Menschen verloren haben können, wenn sie
selbst — experimentell — sich für Thiere (Meerschweinchen) giftkräftig
erweisen. So lässt sich gewissen Kokkenformen durch ein bestimmtes
Verfahren eine für Mäuse immer mehr gesteigerte Giftkraft geben,
während sie hierdurch zugleich für Kaninchen harmlos werden. (Unter¬
suchungen von Knorr und von Petruschky) 2 ). Diese Erfahrung
ist auch zu berücksichtigen, wenn man gegen die Bedeutung der
Lö ffl e r’schen Bacillen ins Feld führen will, dass auch bei einer ge¬
wissen Art von Entzündung der Nasenschleimhaut (Rhinitis fibrinosa)
die Löffler’sehen Bacillen sich finden und doch diese Krankheit niemals
erheblichere Erscheinungen hervorruft. (Man darf wohl auch vermuthen,
J ) Die ätiologische Bedeutung des Löffler’sehen Bacillus*
Deutsche medicinische Wochenschrift 1895, Nr. 11.
2 ) Zeitschrift für Hygiene, Bd. XIII, Bd. XVII.
Digitized by
Google
129
dass hier, auf anderem Nährboden, andere, weniger giftige Toxine,
Stoffwechsel - Producte, sich bilden. Ref.) F r ä n k e 1 verweist aber
auch auf andere Krankheitserreger, die gleichfalls je nach dem Sitze
verschiedenartige Krankheitszustände erzeugen. Ein einfacher Furunkel
oder eine eiterige Lymphgefässentzündung haben gewiss keine Aehnlicli-
keit mit geschwüriger Entzündung des innern Herzüberzuges (Endo-
carditis ulcerosa), und doch werden diese Leiden durch die nämliche
Kokkenart hervorgerufen.
Andere Bedenken leitete Hansemann von der angeblichen That-
sache ab, dass nur in etwa 75 °/o der Fälle klinischer Diphtherie die
Löffler’schen Bacillen gefunden würden, und dass sie stets von einer
Reihe anderer Bakterien begleitet wären. Das letztere bestreitet
Fränkel; in frischen Fällen sei es keineswegs eine Seltenheit, die
Löffler’schen Bacillen allein zu finden. Auch fehlten sie viel seltener,
als Hansemann angebe. So vermisste sie Baginsky in 333 Fällen
nur einmal. Aber Fränkel bestreitet keineswegs, dass es diphtherie¬
ähnliche Fälle giebt, die eben nicht eigentliche Diphtherie sind, sondern
durch andere Bakterien, insonderheit Kokken, hervorgerufen werden
und als „Kokkendiphtherie“ von der „Stäbchendiphtherie“ unterschieden
werden könnten. So kennt man auch verschiedene Formen von Rippen¬
fellentzündung , die als Streptokokken- und Pneumokokken - Pleuritis
ätiologisch getrennt werden.
Auch die Thierversuche sind lediglich geeignet, die ätiologische
Bedeutung der Löffler’schen Bacillen zu erhärten. Thatsächlich kann
man durch Uebertragung der Bacillen an der Luftröhren-Schleimhaut
von Kaninchen fortschreitende häutige Entzündungen und schwere all¬
gemeine Krankheit hervorrufen.
Die Frage des Heilserums bespricht Fränkel hier nicht;
über diese Angelegenheit habe nur die praktische Erfahrung zu ent¬
scheiden. Wolffberg.
H. Schmieden, Ueber Fortschritte und Erfahrungen im Eirankenhausbau.
Zeitschrift für Krankenpflege 1895. Nr. 10, 11 und 12.
Baurath Schmieden giebt in diesem Aufsatze einen Ueberblick über
die wichtigsten Fortschritte auf dem Gebiete des Krankenhausbaues in
den letzten 25 Jahren. Seitdem mit der Erbauung des Berliner
Krankenhauses Friedrichshain mit dem bis dahin üblichen Princip der
Hospitalbauten nach dem Corridorsystem gebrochen wurde und nach¬
dem allgemein in allen Culturländern seitdem das Princip der Massen-
bauten verlassen worden ist und ein Uebergang zu dem sogenannten
Decentralisationsystem stattgefunden hat, treten neuerdings mit dem
Fortschreiten der Technik wie auch der Wundbehandlung mehr und
mehr auch die Anforderungen hinsichtlich der Decentralisation zurück.
So gilt der einstöckige, massive Pavillon nicht mehr als das in hygie-
Digitized by
Google
130
nischer Beziehung allein zulässige Gebäude. In England und Amerika
findet man z. B. Hospitäler mit Krankenpavillons von 2, 3, meist sogar 4,
selbst 5 Stockwerken, wodurch ja natürlich eine viel ausgiebigere Aus¬
nutzung des Bauterrains möglich ist. Dadurch ist die Aufführung von
Hospital bauten auch innerhalb grosser Städte, die ja jedenfalls auch
ihre grossen Vortheile hat, jetzt nicht mit zu grossem Kostenaufwande
verbunden.
Die kreisrunden Pavillons, wie man solche in England und Belgien
antrifft, werden wohl keine grössere Ausbreitung finden, da die Nach¬
theile grösser sind als die Vortheile.
Der Aufsatz enthält kurze Besprechungen des Hamburger Kranken¬
hauses in Eppendorf, des Kreiskrankenhauses zu Bernburg, die Anlage
des Diphtheriepavillons im Kaiser- und Kaiserin Friedrich-Kranken¬
hause, des Infectionshospitals zu Stockholm und des Presbyterian-
hospitals in NewYork, sowie des Hospitals Umberto I. in Rom.
Während in Deutschland gewisse Einrichtungen in Kranken¬
häusern durchweg mit der grössten Sparsamkeit ausgeführt werden,
herrscht in England und überhaupt im Ausland ein viel grösserer Luxus
vor, besonders findet derselbe sich auf die Wohnräume des Pflege¬
personals und die technischen Einrichtungen (Wasserleitung, Bäder,
Beleuchtung, Heizung, Fernsprechleitung und elektrische Klingelan¬
lage etc.) ausgedehnt und kann in dieser Beziehung in Deutschland
noch viel geschehen.
Für die Fussbodenanlage empfiehlt Schmieden Terazzo bezw.
Mettlacher Fliessen mit Fnssbodenheizung.
Die Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Pavillons sollen,
wenn sie angelegt werden, was noch immer eine vielumstrittene Frage
ist ? jedenfalls nicht ganz geschlossen sein.
Die richtige Orientirung der Pavillons ist nach Schmieden be¬
sonders für unser Klima von weittragender Bedeutung und sollte man
der Sonne möglichst Zutritt verschaffen, wobei allerdings zweckmässige
Vorkehrungen getroffen werden müssten, um die Sonnenstrahlen be¬
sonders im Sommer zeitweise abzuhalten.
Von zweckmässigen Einrichtungen der Operationssäle erwähnt
Schmieden besonders das grosse Operationshaus des Eppendorfer
Krankenhauses und des städtischen Krankenhauses in Frankfurt a. M.
Für die Polikliniken verlangt der Verfasser eine luxuriösere Einrichtung,
wie sie beispielsweise in einzelnen Krankenhäusern Englands und
Amerikas besteht. B1 e i b t r e u (Köln).
Rubner, Ueber die nothwendigBten Reformen des Krankentransportes
und der Krankenverpflegung. Zeitschrift für Krankenpflege, Januar 1896.
Rubner verlangt eine gründliche Reorganisation des Krankentrans¬
portwesens, Die jetzt meist bestehende Organisation ist nicht nur eine
Digitized by
Google
131
beständige Quelle für die Verschleppung von Krankheitsstoffen, sondern
sie birgt auch grosse Gefahren für den zu Befördernden selbst, be¬
sonders wenn es sich um Verletzte handelt, in sich. Die wesentlichen For¬
derungen fasst Rubner in folgenden Sätzen zusammen: „Die Kranken¬
wagen müssen in allen Fällen schnell zu erlangen sein, müssen also
durch telephonische oder telegraphische Bestellung — wenigstens in den
Gressstädten — zu erreichen sein. Die Stellung der Krankenwagen
darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Patient zahlungs¬
fähig ist oder nicht, sondern nur von der Frage, ob der Transport
nöthig ist Sieht man von den plötzlichen Unfällen ab, so wird immer
ein Arzt zur Hand sein können, der die Nothwendigkeit des Trans¬
portes ohne Weiteres entscheidet. Die Transportwagen müssen an ge¬
eigneten Stellen der Stadt, ähnlich wie die Feuerwehr, zur raschen
Anspannung bereit stehen. Die Wagen sollen möglichst unauffällig
sein, die bequeme Lagerung des Kranken gestatten und zugleich die
Aufnahme von Krankenwärtern (bei Schwer kranken) erlauben. Die
Wagen müssen im Winter beheizbar, ferner lüftbar sein und Beleuch¬
tung besitzen. Medicamente für die Fälle der Noth und bei. Eintritt
von Schwächezuständen sind rasch zur Hand und befinden sich im
Wagen. Die Construction der Wagen vermeidet durch Federauf hängen
und Gummiräder alle stärkeren Stösse. Die Wagen für ansteckende
Kranke müssen so gebaut sein, dass dieselben leicht desinficirbar sind.“
Ferner empfiehlt Rubner in diesem Aufsatz die Einrichtung von
Meldestationen für Kranke, besonders in jenen Stadtgegenden von
Grossstädten, welche am weitesten, beziehungsweise weit von Kranken¬
anstalten abliegen. Dadurch Hesse sich der jetzt häufig vorkommende
Uebelstand beseitigen, dass Kranke nach einem langen Transport wegen
Raummangels in einem Hospital nicht aufgenommen werden können.
Eine solche Meldestation, aus wenigen Zimmern bestehend, würde
ständig mit einem Arzt besetzt sein. Bei geordnetem, centralisirtem
Krankentransport Hessen sich zugleich ein paar Krankenträger hier
stationiren. Die Meldestation steht in telephonischer Verbindung mit
allen Krankenanstalten der Stadt und erfährt sonach, wo und wieviel
Betten frei sind.
Wenn die Städte sich dazu entschliessen, den Krankentransport¬
dienst nach den modernen Anforderungen einzurichten und ausserdem
in der eben angedeuteten Weise Meldestationen ein richten, so wird
auch die von hygienischer Seite gewünschte Verlegung der Hospitäler
nach ausserhalb der Städte viel eher durchführbar sein.
Bleib treu (Köln).
Prof. Dr. M. v. Pettenkofer’s und Prof. Dr. H. v. Ziemssen’s Handbuch
der Hygiene und der Gewerbekrankheiten. I. Theil, 2. Abtheilung,
4. Heft. Die Wohnung von Prof. Dr. R. Emmerich und Prof. Dr.
G. Recknagel, Leipzig, F. C. W. Vogel, 1894.
Digitized by
Google
132
Von der Erwägung ausgehend, dass die Beschaffung gesunder
Wohnungen ebenso wie die Regelung der Schmutzbeseitigung, der
Wasserversorgung und der Lebensmittelpolizei zu denjenigen Aufgaben
gehöre, deren Lösung von den zur Förderung des Gemeinwohls be¬
stellten Organen anzustreben sei, erläutern die Verfasser die wissen¬
schaftlichen Erfahrungen und die daraus abgeleiteten hygienischen
Grundsätze, welche bei Herstellung und Benutzung der Wohnung mass¬
gebend sein sollen, in der Art, dass sie unmittelbar als Richtschnur
der praktischen Ausführung dienen können, und führen den Nachweis,
dass die wichtigsten der angeregten Verbesserungen gegenüber dem
althergebrachten Unzulänglichen einen erheblichen Mehraufwand von
Kosten nicht verursachen.
In den zwölf Capiteln, in welchen Prof. Dr. Emmerich den Bau
des Wohnhauses bespricht, weist er zuerst nach, von welcher
Wichtigkeit für die Gesundheit der Wohnung die Wahl des Bauplatzes,
und zwar sowohl mit Rücksicht auf die Terraingestaltung, also die
Lage der Häuser in Vertiefungen, an Gehängen oder in stufenförmigem
Terrain, als auch mit Bezug auf die Tektonik und die Grundwasser¬
verhältnisse des Baugrundes ist. Zweifellos bieten die verschieden¬
artigen Boden- und Oberflächengestaltungen eine Reihe von Fällen, in
welchen die Bebauung des Geländes vom hygienischen Standpunkte
aus bedenklich erscheint; da der Mensch jedoch in der Wahl seines
Ansiedlungsplatzes sich keiner Beschränkung unterwirft, ist es eine der
Aufgaben der modernen Gesundheitspflege, Maassnahmen zu treffen,
um auch einen verdächtigen oder thatsächlich verseuchten Untergrund
zum Baugrunde geeignet zu machen. Diesem Zwecke dienen die im
Einzelnen dargestellten Arbeiten der Trockenlegung des Baugrundes
und der Umgebung des Hauses, die zweckmässige Anlage der Grund¬
mauern, besonders bei einer Lage derselben im Wasser und in Sümpfen.
Bei der Besprechung der Baumaterialien wird besonders auf die grosse
Wichtigkeit der Verwendung solcher Stoffe hingewiesen, welche eine
gewisse Porosität besitzen, die im Grossen und Ganzen in engem Zu¬
sammenhänge mit der Wärmecapacität des betreffenden Stoffes steht,
und es wird die Bestimmung der Permeabilität von Baumaterialien
nebst dem Einflüsse, welchen Luftdruck, Wandstärke und Befeuchtung
auf dieselbe hat, näher dargelegt. Eingehend werden die verschiedenen
Arten der Errichtung von Umfassungsmauern, insbesondere solcher mit
Luftisolirschichten geschildert. Die grosse Gefahr, welche die Zwischen¬
decken für die Gesundheit der Bewohner durch ungeeignete Con-
struction und Verwendung unreinen Füllmaterials bieten, sowie die
Herstellung gesundheitlich unschädlicher Zwischendecken und Fuss-
böden werden ausführlich behandelt. Das sechste Capitel giebt die
Darstellung der Zersetzungserscheinungen und Pilzkrankheiten des Bau¬
holzes und des Einflusses derselben auf die menschliche Gesundheit;
Digitized by ^.ooQle
133
es folgen die Abschnitte über das Dach, die Treppen und die Aborte.
Hinsichtlich der Abortlüftung stellt der Verfasser den noch keineswegs
genügend gewürdigten Leitsatz auf, dass dieselbe in zuverlässiger Weise
nur mit Hülfe eines Motors zu erzielen sei, welcher in bestimmter Zeit
eine bestimmte Menge von Luft auf dem beabsichtigten Wege fördert,
wofür der Nachweis zu erbringen ist. Das Schlusscapitel beschäftigt
sich mit dem wichtigen Gegenstände der Feuchtigkeit der Neubauten
und deren Austrocknung. Im Gegensatz zu den bisherigen, unzweifel¬
haft höchst trügerischen und unsicheren Methoden zur Beurtheilung der
Mauerfeuchtigkeit durch Beschauen und Betasten ermittelte Glässgen
die wichtige Thatsache, dass der innere Mörtelbewurf einer Wand um
so feuchter ist, je feuchter die Wand selbst ist, und dass es daher zur
Beurtheilung der Wandfeuchtigkeit genügt, den Wassergehalt des
inneren Mörtelbewurfs zu bestimmen. Diese Bestimmung kann auf
mehrfache Weise nach verschiedenen, genau angegebenen Methoden
erfolgen. Glässgen nahm auf Grund zahlreicher Untersuchungen von
Neubauten als Norm an, dass jeder Neubau als trocken und beziehbar
erklärt werden könne, wenn der innere Wandputz nicht mehr als 1 °/o
Wasser im Feinputz enthält; Emmerich erscheint diese Forderung
jedoch zu streng und er schlägt vor, einen Wassergehalt des Gesammt-
mörtels von 2 °/o (mit dem Vakuumapparat bestimmt) als Norm der
Trockenheit zu fordern. Weiter werden noch der Schutz der Neu¬
bauten gegen Durchnässung durch Regen, das Austrocknen der Bauten
und die Mittel zur Herstellung rasch trocknender Neubauten besprochen.
Angeschlossen ist eine Abhandlung über Lüftung des Hauses
von Prof. Dr. G. Recknagel. Der Verfasser giebt eine auf genauen
Berechnungen gegründete, eingehende wissenschaftliche Darstellung aller
die Lüftung des Hauses betreffenden Verhältnisse und erläutert im
ersten Theile die Wirkung des Athmungsprocesses auf eine begrenzte
Luftmasse, die Factoren, welche bei der Bestimmung der Verunreinigung
der Luft als maassgebend zu erachten sind, sowie die Ermittlungen
der Grösse des erforderlichen Luftwechsels für verschiedene Verhält¬
nisse. Der zweite Theil bespricht die Kräfte, welche die Luft in den
Gebäuden bewegen und die Geschwindigkeiten, welche sie hervorbringen.
Die Lüftung des Hauses durch capillare Luftkanäle (natürlicher Luft¬
wechsel) wird im dritten Abschnitt erörtert und zum Schlüsse werden
die besonderen Vorrichtungen zur Erzielung eines auf Ausnutzung von
Temperaturdifferenzen berechneten ausgiebigeren Luftwechsels (Zu- und
Abflusskanäle, Fensterschieber, Centrallüftung), sowie Mittel zur künst¬
lichen Steigerung des Luftwechsels einer gegebenen Ltiftungsanlage
(Heizen des Abluftkamines, Vorwärmen der Zuluft, Anwendung des
Ventilators zum Einblasen von Luft in die Frischluftkanäle oder zum
Absaugen derselben durch Abluftkanäle erwähnt.
Für die behaupteten Uebelstände der Lüftung des Hauses und für
Digitized by
Google
134
die Leistungsfähigkeit der vorgeschlagenen Einrichtungen hat der Ver¬
fasser den zahlenmässigen Nachweis und die naturgesetzliche Begrün¬
dung beigebracht.
Es ist dringend zu wünschen, dass diesen überzeugenden Dar¬
legungen in den Kreisen der Bautechniker, der Bauherren und der
Behörden die grösste Aufmerksamkeit entgegengebracht, und dass den
Forderungen der Gesundheitspflege bei Errichtung unserer Wohnhäuser
ein viel weiter gehender Einfluss eingeräumt wird, als dies zur Zeit
der Fall ist. Schultze (Bonn).
N. P. Schierbeck, Ueber die Bestimmung des Feuchtigkeitsgrades der
Luft für physiologische und hygienische Zwecke. Archiv für Hygiene,
1895, 25. Bd., 2. Heft.
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung fasst Schierbeck
in folgenden Sätzen zusammen:
1. Bei der Beurtheilung des Einflusses eines Klima’s auf die
Wärmeregulirung des Organismus und bei der Beurtheilung der aus¬
trocknenden Wirkung desselben sowohl auf den Organismus als auf
leblose Gegenstände ist das Hauptgewicht auf die Geschwindigkeit der
Verdampfung zu legen.
2. Das Spannungsdeficit giebt keinen Maassstab der Geschwindig¬
keit der Verdampfung ab, wie allgemein angenommen wird.
3. Das Stefan’sche Gesetz dagegen ist der genaueste Ausdruck,
den wir bisher besitzen, für die Abhängigkeit der Verdampfungsge¬
schwindigkeit von den atmosphärischen Verhältnissen, wenn die Luft
in völliger Ruhe ist, jedoch muss noch eine Correction der Lufttempe¬
ratur in die ursprüngliche Stefan’sehe Formel aufgenommen werden,
da die Verdampfung zugleich der absoluten Temperatur proportional ist.
Das Dalton’sche Gesetz ist unter gewöhnlichen Verhältnissen der
natürlichen Atmosphäre ein zwar nicht völlig so genauer, zu praktischen
Zwecken jedoch brauchbarer Ausdruck der Verdampfungsgeschwindig¬
keit; bei höheren Dampftensionen ist es dagegen nicht anwendbar.
4. Die Verdampfungsgeschwindigkeit ist der Quadratwurzel der
Geschwindigkeit des Windes proportional.
5. Die austrocknende Wirkung eines Klima’s ist also folgendem
Ausdruck proportional
log O H- « 0 V w
wo f| durch die Temperatur gemessen wird, welche ein feuchtes Thermo¬
meter angiebt, das vor dem directen Einfluss des Windes geschützt an¬
gebracht ist, also gerade so, wie es auf den meteorologischen Stationen
der Fall ist. Es wäre deshalb wünschenswert, dass die Temperaturen
des feuchten Thermometers künftig in den meteorologischen Tabellen
direct angeführt würden. Bleibtreu (Köln).
Digitized by v^ooQle
135
J. Stubben, Gesundheitliche Verbesserungen baulicher Art in italieni¬
schen Städten. (Bonn, E. Strauss 1895. 30 S.)
An der Hand zahlreicher Skizzen schildert der Verf. in kurzen
Zügen die baulichen Veränderungen in Rom, Neapel, Palermo und
Florenz. Wir in Deutschland können aus dieser Darstellung sehr viel
lernen. Wir sehen, mit welchen enormen pecuniären Opfern die
italienischen Städte für die Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse
sorgen, wie der Staat gewaltige Summen für denselben Zweck zur Ver¬
fügung stellt. So berechnen sich die Gesammtkosten dieser Ver¬
besserungen in Palermo auf 43 900 000 Lire bei einem Staatszuschuss
von 5 687 000 Lire, für die baulichen Verbesserungen in Neapel hat
der Staat sogar einen Zuschuss von 100 Millionen Lire bewilligt.
Und nicht allein in den 4 angeführten Städten sind diese Umge¬
staltungen im Gang, sondern auch zahlreiche andere Städte sind in
derselben Richtung thätig. Wenn auch zugegeben werdeu muss, dass
bei diesen grossartigen Verbesserungen manches Malerische in den
italienischen Städten vernichtet wird, so ist anderseits doch wieder zu
bedenken, dass die Gesundheit und das Leben der Bewohner in aller¬
erster Linie in Erwägung kommen und den Werth des Malerischen weit
Überragen.
Für uns bilden aber diese Schilderungen eine ernste Mahnung,
nach dieser Seite hin mehr zu thun, als bisher geschehen ist, denn es
ist fraglos, dass wir in der Verbesserung und Beseitigung alter unge¬
sunder Stadttheile hinter anderen Nationen zurückgeblieben sind.
Pröbsting.
K. B. Lehmann, Die Verunreinigung der Saale bei und in der Stadt
Hof, ihre Ursachen und die Mittel zur Abhülfe. Hof 1895, Verlag
der Münzel’schen Buchdruckerei.
Dieses Gutachten ist im Aufträge des Stadtmagistrates von Hof
erstattet worden aus Veranlassung der Folgen der Verunreinigung der
Saale durch die Abwässer zahlreicher, zum Theil bedeutender Industrie¬
anlagen, wozu noch die Spülwässer der Haushaltungen, die AbfÜlle
des Schlachthauses etc. kommen. Nicht nur die Stadt, sondern auch
einige unterhalb Hof gelegene Landgemeinden führten lebhafte Klage
Über die stets zunehmende Verschlechterung des Saalewassers. Wenn
nun auch dieses Gutachten, welches in der gewissenhaftesten Weise
speciell auf Grund zahlreicher Wasseranalysen die Ursachen der Ver¬
unreinigung zu erforschen sucht und zum Schluss die Mittel angiebt,
welche die Uebelstände am besten zu beseitigen im Stande sind, zu¬
nächst nur locales Interesse hat, so soll hier doch auf dasselbe ver¬
wiesen werden, weil dasselbe als mustergiltig für alle derartigen Gut¬
achten, welche bei der immer mehr sich ausdehnenden Industrie wohl
in Zukunft immer häufiger eingeholt werden, bezeichnet werden muss.
Bleib treu (Köln).
Digitized by ^.ooole
136
Davids, Untersuchungen über den Bakteriengehalt des Flussbodens in
verschiedener Tiefe. (Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, S. 213—227.)
Verf. hat im Aufträge Rubner’s mittelst eines neu construirten,
wasserdicht schliessenden Ventilbohrers Erd proben aus verschiedener
Tiefe des Flussbodens, und zwar des kleinen, am östlichen Ufer des
Kieler Hafens mündenden Flüsschens Schwentine entnommen und die¬
selben auf ihren Bakteriengehalt untersucht. Der Keimgehalt wurde so
bestimmt, dass abgemessene Mengen der erbohrten Erdproben in verflüs¬
sigte Gelatine gebracht wurden, welche zu Esmarch’sehen Rollröhrchen
ausgerollt wurden.
Die Proben wurden an drei verschiedenen Stellen des Flussbodens
entnommen und zum Vergleich jedesmal eine 4—5 m vom Flusse ent¬
fernte Uferstelle herangezogen.
Aus diesen Untersuchungen ging hervor, dass der Flussboden in
Bezug auf den Bakteriengehalt in verschiedener Tiefe sich ähnlich verhält,
wie der nicht vom Wasser bedeckte Uferboden. Die Zahl der Keime
nimmt mit zunehmender Tiefe ab. Nach dieser Seite hin stimmen die Re¬
sultate David’s mit den Untersuchungen Fränkel’s, Reimer’s,
Eberbach ’ s. u. s. w. überein. Sie unterscheiden sich jedoch von
diesen dadurch, dass auch bis zur Tiefe von 7 m eine absolute
Keimfreiheit nicht gefunden wurde.
Man kann also entgegen den Behauptungen, die von vielen Seiten
aufgestellt werden, nicht mit Sicherheit darauf rechnen, schon in einer
Tiefe von 4 m — was für die Anlage von Trinkwasserbrunnen von
Bedeutung ist — einen keimfreien gewachsenen Boden zu finden.
Abhängig ist die Bakterienzahl übrigens nicht von der Bodentiefe,
sondern auch von der Bodenart, da diejenigen Bodenschichten einen
höheren Keimgehalt haben, die ein grösseres Nährmaterial besitzen.
Was die verschiedenen Bakterienarten betrifft, so teilt D. über die¬
selben nur mit, dass mit zunehmender Tiefe die die Gelatine verflüssigen¬
den Keime besonders abnehmen. Anärobe Keime kamen nicht zur Ent¬
wicklung, Schimmelpilze kamen in den Proben aus grösserer Tiefe nur
ganz vereinzelt vor. Hauptsächlich wurden in den Bodenproben aus
einer Tiefe von 5—7 m nicht verflüssigende farbstoffbildende Bak¬
terien gefunden. Besonders langsam wachsende Keime kamen in den
untersuchten Erd proben nicht vor.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Dr. Bruno Galli Valerio, Die Rabot’sche Desinfectionsmethode mit
Kalkmilch und Eisensulfat. Giomale della reale societä italiana d’igiene.
December 1894.
Ein noch nicht genügend gewürdigter Theil der Desinfection ist
die der menschlichen und thierischen Abfallstoffe, der Kanäle, stagniren-
den Wässer u. ä. Hier bedarf es vor allem solcher Desinfectionsmittel,
Digitized by ^.ooQle
137
welche neben kräftiger Wirkung sich durch billigen Preis und geringe
Giftigkeit für Mensch und Thier auszeichnen. • Diese Vorzüge ver¬
bindet die Rabot’sche Methode, nach welcher ein Cubikmeter der zu
desinficirenden Massen mit 1 kg Kalkmilch und 500 g Eisensulfat in
gesättiger Lösung vermischt wird.
Die Wirkung der Kalkmilch, welche eine chemische und durch
Bildung eines Niederschlages auch eine mechanische ist, wurde schon
lange durch die Versuche von Koch, Kitasato, Pfuhl u. a. sichergestellt.
Rabot fügte Eisensulfat hinzu, hierbei bildet sich nach der Formel
Ca(OH) 2 + FeS0 4 — Fe(OH) 2 + CaS0 4 Calciumsulfat und Ferrohydrat,
welch letzteres bei Gegenwart von 0 in Ferrihydrat übergeht, das
leicht wieder zu Ferrohydrat reducirt werden kann. Darin liegt der
besondere Werth dieser Combination.
Verfasser hat sich durch zahlreiche Versuche an Meerschweinchen,
welche er mit faulenden Stoffen, die durch obige Mischung desinficirt
waren, impfte, von der Wirksamkeit des Mittels überzeugt. Alle diese
Thiere blieben am Leben, während sämmtliche Controlthiere zu Grunde
gingen.
Zum Schluss tritt Verfasser nochmals lebhaft für die Bedeutung
obiger Mischung in der Städtehygiene ein.
Dr. Kronenberg (Solingen).
A. Schuberg, Die parasitischen Amöben des menschlichen Darmes.
Kritische Uebersicht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand
unserer Kenntnisse. (Centralbl. für Bakteriologie und Parasitenkunde 1893,
Bd. XIII, Nr. 18/19, S. 598-609; Nr. 20, S. 654-665 u. Nr. 21/22, S. 701—714.)
Man kann die Protozoen, welche den thierischen Organismus be¬
wohnen, in zwei Gruppen scheiden, nämlich in solche, welche den
grössten Theil ihres Lebens innerhalb der Zellen des von ihnen
befallenen Organismus zubringen, wie z. B. die Malariaparasiten,
und in solche, welche ausserhalb der Zellen gefunden werden^
wie die im Darm des Menschen gefundene Amoeba coli.
Es ist nun aus dem häufigen Vorkommen dieser Darmamöbe
speciell bei Ruhrkranken und in Leberabscessen von vielen Autoren
der Schluss gezogen worden, dass dieselbe die Erregerin der Ruhr
sei. Als besonders beweisfähig führen einzelne Autoren dabei die
Thatsache an, dass es gelungen sei, durch Einfuhren amöbenhaltigen
Materials in den Dickdarm von Katzen bei diesen eine ruhrähnliche
Erkrankung zu erzielen.
Schuberg stellt nun in umfassender Weise die recht reichliche
Literatur über diesen Gegenstand zusammen und übt dabei eine sach¬
liche Kritik derselben. Es ergiebt sich zunächst, dass die meisten
Beobachtungen bei Kranken angestellt wurden, so zwar, dass Amöben
am meisten bei Ruhrkranken und in Leberabscessen gefunden wurden,
Digitized by ^.ooQle
138
die im Gefolge der Ruhr auftreten; doch wurden auch bei anderen
Darmkrankheiten, wie Typhus, Cholera, chronischem Darmkatarrh u. s.w.
Amöben gefunden, so dass ohne Zweifel der Satz Gültigkeit hat, dass
Amöben auch bei verschiedenen anderen Krankheiten
als Ruhr beobachtet worden sind.
Da Beobachtungen Uber das Vorkommen von Amöben im Darm
gesunder Menschen bisher nur sehr spärlich vorhanden waren, so ver¬
suchte Schuberg durch Abführmittel (Karlsbader Salz) den Inhalt der
oberen Darmpartien herauszuschaffen, um denselben auf Amöben zu
untersuchen. Es gelang ihm denn auch, unter etwa zwanzig Stühlen
in der Hälfte der Fälle Amöben nachzuweisen, die in jeder Beziehung
den von verschiedenen Autoren als Erreger der Ruhr angesprochenen
Amöben glichen.
Schuberg war zu diesen Untersuchungen durch folgende Erwägung
gekommen. Die Amöben gehen in der Regel, wie festgestellt werden
konnte, in dem normalen Kothe durch die Umwandlungen zu Grunde,
welche derselbe in den unteren Darmabschnitten erfährt, so dass sie
in dem normal entleerten Stuhl nicht zu finden sind. Uebrigens werden
sie auch durch Ricinusöl vernichtet. Es ist aber leicht erklärlich, dass
die Amöben unter geeigneten Bedingungen, d. h. bei Erkrankungen
des Darmes, also z. B. bei der Ruhr, wobei die Fäces nicht die eben
erwähnten Umwandlungen durchmachen, leicht in denselben nach¬
gewiesen werden können.
Dass es sich bei den Amöben von Ruhrkranken und von ge¬
sunden Menschen wohl nicht um zwei verschiedene Arten handelt,
sondern vielmehr um eine und dieselbe, nämlich die Amoeba coli
(Lösch), geht wohl daraus hervor, dass Schuberg mit den von gesunden
Menschen stammenden Amöben die nämlichen Erscheinungen bei Ver-
suchsthieren auslösen konnte, wie mit den von Ruhrkranken stammen¬
den. Ob übrigens die bei Versuchstieren angeblich von den Amöben
hervorgerufenen Krankheitserscheinungen (Kartulis) wirklich auf die
Amöben zurtickzuführen sind, ist zum mindesten sehr zweifelhaft, da
diese Experimente nicht mit Reinculturen von Amöben, die bisher
noch nicht dargestellt werden konnten, angestellt wurden, sondern mit
Gemischen aus Amöben und Bakterien.
Auch der Einwand, es möchten vielleicht beim Menschen ver¬
schiedene Arten, pathogene und nicht pathogene, Vorkommen, ist hin¬
fällig, da alle Beschreibungen der Amöben, so mangelhaft sie im All¬
gemeinen auch sind, doch ziemlich genau Ubereinstimmen.
Aus allem diesem geht hervor, dass ein ursächlicher Zusammen¬
hang zwischen Ruhr und Darmamöben bisher noch nicht sichergestellt
ist und auch nicht einmal sehr wahrscheinlich ist. Jedenfalls wird
man weitere Untersuchungen über die Ursache der Ruhr, resp. über
die Wirkungen der Darmamöben auf den Organismus nicht früher mit
Digitized by
Google
139
Erfolg betreiben können, bevor man nicht dazu gelangt ist, diese
Amöben in Reincultur zu züchten. Dies ist also auf diesem Gebiete,
auf dem noch recht viel zu thun ist, die nächstliegende Aufgabe *).
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Ueber Desinfection des Darmkanals. Untersuchungen von Dr. Luigi Brotzu
(Annali dell’ Istituto d’Igiene sperimentale della R. Universiti di Roma.
Vol. IV. Fase. IV).
Das Interesse, welches von Tag zu Tag das bacterium coli com¬
mune angenommen, obgleich experimentell die Bedingungen noch nicht
festgestellt sind, welche seine Virulenz vermehren können, hat neue
und zahlreiche Beobachtungen zur Folge gehabt. Ohne die Theorie
der Identität mit dem Ebert’schen Bacillus, welche von Rodet,
Roux und Anderen angenommen, von Einigen, wie Chantemesse
und Widal bekämpft worden, discutiren zu wollen, bestätigt der
Verfasser die pathogenen Eigenschaften des bacterium coli in den Pro¬
cessen der eiterigen Peritonitis, der Pyelonephritis, der eiterigen
Meningitis, bei Leberabcessen und Puerperalinfectionen, bei welchen
fast ständig der Bacill in Reinkultur gefunden wurde. Diese Be¬
obachtungen berechtigen dazu, ihn zu den stärksten pathogenen Mikroben
zu rechnen.
Ausserdem wurde das bacterium coli von Gilbert und Giro de
in drei Fällen von Cholera nostras, von Lion und Marfan in zwei
Fällen von Enteritis dysenteriformis mit Ulcerationen des Dickdarmes
gefunden. Maggiora fand ihn bei einer Epidemie von Enteritis
dysenteria und Rossi Doria in den Sommerdiarrböen der Kinder, wo
er die Symptome einer Enterocolitis acuta gab und eine Allgemein-
infection erzeugte ähnlich der typhösen, sowohl was die klinischen Er¬
scheinungen, als die pathologisch-anatomischen Veränderungen und den
epidemischen Charakter anbetrifft.
Nachdem Verfasser zunächst bei Hunden den Einfluss der ver¬
schiedenen Ernährungsformen (Mehldiät, Fleischdiät, gemischte Diät)
auf die Entwickelung der Organismen des Darmes studirt, und nachdem
er gefunden, dass eine Hungerkur die Zahl der Organismen nicht ver¬
mindert, beschreibt er die Bakterien des Darmcanals beim Hunde als
zwei grosse Familien, deren Hauptgruppen sind das bacterium coli
commune von Escherich und ein typhusähnlicher Bacillus. Von den
verschieden ernährten Hunden wurde ein Gramm Kot entnommen, in
10 ccm sterilisirtem Wasser gelöst und davon 2 ccm Meerschweinchen
in das Unterhautbindegewebe eingespritzt. Die letzteren starben ge¬
wöhnlich in 2—3 Tagen und zeigten bei der Section meist serosanguino-
lentes Oedem des Unterhautzellgewebes. Nim wurden die verschieden
J ) Vgl. hierzu dieses Centralblatt 1894, S. 276.
Digitized by
Google
140
schweren Hunde mit antiseptischen Medicamenten behandelt, die man
theils der Nahrung zufügte, theils in Klystierform den Thieren bei¬
brachte. Bei ihnen wurde die Keimzahl bestimmt und die Kothemulsion
hierauf, wie oben beschrieben, Meerschweinchen eingespritzt.
Die Resultate dieser Untersuchungen entsprachen nicht den Er¬
wartungen von einer wirklichen Desinfection und Antisepsis des Darm¬
kanals. Fast negativ fiel die antiseptische Wirkung aus bei den lös-
ichen Mitteln, die in dem oberen Tractus des Ernährungsschlauches
liecht resorbirbar waren. Resorcin, Gerbsäure, Salicylsäure, überman¬
gansaures Kali, die Chininsalze übten nur dann eine geringe antisep¬
tische Wirkung aus, wenn sie in Form von Rectalinjectionen angewandt
wurden. Doch zeigten weitere Controlversuche, dass Einspritzungen von
sterilisirtem Wasser denselben Effect hatten.
Etwas bessere Resultate lieferten die per os eingeführten unlöslichen
Desinfectionsmittel, wenn sie, sehr fein gepulvert, in kleinen, öfters
wiederholten Dosen gegeben wurden. Unter ihnen gebührte der Vorzug
dem Salol und dem Benzonaphtol, die im Darmcanal sich zersetzen,
und von denen das erstere seine Abstammung von der Salicyl- und
Phenylsäure bewies und das zweite als ß Naphtol in statu nascendi
am wirksamsten war. Das Thymol verminderte beträchtlich die Zahl
der Keime im Darmcanal und zeigte die meiste antiseptische Wirkung
bei Rectalinjectionen. Nicht geringere Wirkung zeigte das Cresol, welches
von Hi Iler für die Behandlung des Typhus vorgeschlagen wurde;
bei sechstägiger Anwendung war die Zahl der Keime auf die Hälfte
reducirt.
Verfasser schliesst aus seinen Untersuchungen, dass eine wirksame
Desinfection des Darmcanales mit beiden gleichzeitig anzuwendenden
Methoden erzielt werden könne; nämlich mit Anwendung eines der
besseren, unlöslichen, antiseptischen Mittel per os und mit Rectalirriga¬
tionen mittels Lösungen von Substanzen, deren antiseptische Wirkung
nicht zweifelhaft ist. Kreisphysikus Dr. Hensgen (Siegen).
Cramer, Die Zusammensetzung der Cholerabacillen. (Archiv für Hygiene
XXH. Bd., II. Heft, S. 167-190.)
Die Resultate der Cramer’sehen Arbeit sind folgende:
1. Es existirt bei den Bacterien eine directe Gasathmung; der
directe Contact mit dem atmosphärischen Sauerstoff befähigt die
Cholerabacillen, den Nährboden besser auszunutzen, als wenn selbst
bei reichlichster Luftzufuhr kein solcher Contact stattfindet.
2. Die Zusammensetzung der Cholerasorten verschiedener Pro¬
venienz auf Sodabouillon ist eine nahezu gleichmässige. Die Trocken¬
substanz der Commabacillen enthält im Mittel 65 °/o Eiweiss und
31 °/o Asche.
Digitized by
Google
141
3. Ganz anders verhalten sich die Commabacillen auf eiweissfreier
Uschinskylösung. Sie enthalten hier in der Trockensubstanz weit
weniger Eiweiss und Asche und zeigen eine von einander deutlich ver¬
schiedene Zusammensetzung.
4. Auf gutem Nährboden verhalten sich die Commabacillen rück¬
sichtlich ihrer Zusammensetzung fast völlig gleich; auf weniger günstigem
eiweisfreien Nährboden treten Differenzen auf, und zwar können die
am unmittelbarsten aus menschlichen Dejectionen gezüchteten Comma¬
bacillen die geringste Tendenz zu saprophtyischem Wachstum zeigen.
5. Bei dem Wachsthum auf Sodabouillon kommt fast aller von den
Bakterien in Angriff genommene Stickstoff als Eiweissstickstoff. Die
Sauerstoffzufuhr ist dabei innerhalb gewisser Grenzen ohne Belang.
Dr. Mastbaum (Köln).
Sobernheim, Untersuchungen über die speoifisehe Bedeutung der
Cholera-Immunität. (Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten,
Bd. XX, Heft 3, S. 438 -489.)
Ueber die früheren, dieses Thema betreffenden Arbeiten des Ver¬
fassers ist in früheren Heften von uns ausführlich berichtet worden.
Es genüge daher jetzt die Angabe der Resultate:
Nur bei Vorbehandlung mit Choleraculturen gelingt es, eine
dauernde, über Wochen und Monate sich erstreckende Immunität gegen
die intraperitonale Cholera-Infection zu erzielen und den Thierkörper
zur Production von Choleraschutzstoffen (Antitoxinen) zu befähigen.
Der Impfschutz, welcher vermittels anderer Bakterienarten gegen
Cholera geschaffen wird, erlischt nach relativ kurzer Zeit (nach circa
14 Tagen) und lässt eine Schutzwirkung des Blutes gegenüber der
Cholera-Infection nur in dem gleichen Maasse hervortreten, wie sie
auch dem Blute unbehandelter Thiere eigen ist.
In diesem Sinne ist neben einem allgemein, auf verschiedene Weise
zu erzeugenden Impfschutz auch eine echte, durch ganz specifische
Eigenschaften charakterisirte Cholera-Immunität zu unterscheiden.
Die Immunisirung — sowohl mit Choleraculturen wie mit Cholera¬
serum — bewirkt die Entstehung baktericider Substanzen, deren ganz
specifischer Charakter durch die von Pfeiffer angegebene Methode
innerhalb des Thierkörpers festzustellen ist.
Die auf dem Princip der specifischen Serumwirkung beruhende
„Pfeiffer* sehe Reaction“ scheint sich in der That als ein vorzügliches
differential-diagnostisches Mittel zur Trennung der Koch’sehen Vibrionen
von choleraähnlichen Arten zu bewähren.
Dr. Mastbaum (Köln).
%
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 10
Digitized by
Google
142
Gotschlioh, Cholera&hnliehe Vibrionen bei schweren einheimischen
Brechdurchfällen. (Zeitschrift für Hygiene, Bd. XX, S. 489—501.)
Während der letzten Choleraepidemie sind in den Jahren 1893,
1894 und 1895 in Schlesien eine grosse Anzahl schwerer Brechdurch¬
fälle vorgekommen, mit einer Mortalität von 40 °/o im Jahre 1893, 43,3 °/o
im Jahre 1894 und 31,9 °/o im Jahre 1895. Alle diese Fälle wurden
im hygienischen Institut der Universität Breslau auf Cholerabacillen
untersucht, und zwar mit negativem Resultate.
Eine deutliche Zunahme dieser Erkrankungsfälle war im Hoch-
und Spätsommer zu constatiren. Das klinische Bild derselben war
häufig von dem der Cholera asiatica nicht zu unterscheiden; die nähere
Diagnose ermöglichte immer erst die bakteriologische Unter¬
suchung. In den meisten Fällen war die bakteriologische Diagnose
leicht zu stellen, da nur eine Art von Colonien auf den von der
Pep tonwasser-Vorcultur angelegten Gelatineplatten eine gewisse Aehn-
lichkeit mit Cholera-Colonien aufwies, deren Bakterien sich aber bei
der Untersuchung als kurze Stäbchen ohne Krümmung erwiesen.
Nur in zwei Fällen gestaltete sich die bakteriologische Unter¬
suchung schwierig, da in dem einen Fall sowohl aus dem Pepton¬
wasser als auch von den Gelatineplatten zwei Vibrionen-Arten sich
isoliren Hessen, die mehr oder weniger grosse Aehnlichkeit mit
Choleravibrionen aufwiesen. Bei dem zweiten Fall konnte ebenso ein
dem Choleravibrio ähnlicher Vibrio rein gezüchtet werden.
G. giebt in seiner Arbeit eine umfassende Beschreibung dieser
beiden Fälle, sowie der drei isolirten Vibrionen, aus welcher hervor¬
geht, dass das morphologische Verhalten der drei Vibrionen wohl
viele Aehnlichkeit mit dem Choleravibrio aufwies, nach einigen
Richtungen auch das biologische, dass aber doch so viel Ver¬
schiedenheiten vom Koch’sehen Vibrio vorhanden waren — z. B. fehlte
bei allen dreien die Nitroso-Indolreaction, ferner waren zwei nach
Uebertragung in die Bauchhöhle von Meerschweinchen ungiftig u. s. w. —
dass eine Verwechslung mit Choleravibrionen für den einigermaassen
geübten Untersucher direct unmöglich war.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Dr. Butteraack, Ueber Hosenträger. Archiv für Hygiene Bd. XVI, Heft 1
S. 73—78.
B. erklärt die bisherige Art der Hosenbefestigung für unzweck¬
mässig und in gewissem Grade für gesundheitsschädlich. Als zweck¬
mässig und empfehlenswerth erklärt er, dass künftig die Beinkleider
nicht an den Schultern, sondern am Becken aufgehängt werden.
^ Dr. Mastbaum (Köln).
Digitized by ^.ooQle
143
Verzeichntes der bei der Redaction eingegangenen neuen
Bücher ete.
Annali d’igiene sperimentale, diretti dal Prof. Angelo Celli.
Volume VI. (Nuova Serie.) Fase. I. 1896. Roma 1896. Societä editrice
Dante Alighieri. 8°. 181 S.
Berger, Dr. Heinrich, Die Infectionskrankheiten. Ihre Abwehr und Unter¬
drückung. 8°. 810 S. Braunschweig 1896. Fr. View eg & Sohn. Preis
4 Mk.
Dornblüth, Dr. med. Otto, Gesunde Nerven. Aerztliche Belehrungen für
Nervenkranke und Nervenschwache. 8°. 189 S. Rostock 1896. Wilh.
Werther. Preis 2,50 Mk.
Hess, Professor C., Ueber Linsentrübungen in ihren Beziehungen zu Allge¬
meinerkrankungen. 8°. 39 S. Halle a./S. 1896. Karl Marhold. (Sammlung
zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheilkunde. Bd. I,
Heft 2. Abonnementspreis für 1 Band =-■ 8 Hefte 8 Mk.) Einzelpreis
1,20 Mk.
Jacobson, Dr. G., Leitfaden für die Revisionen der Drogen-, Gift- und
Farbenhandlungen nach den Vorschriften vom 1. Februar 1894 zum Ge¬
brauch für Medicinalbeamte, Apotheker, Drogisten und Behörden. 8°.
167 S. Salzwedel 1896. Gustav Klingenstein.
The Journal of experimental medicine, edited by William H. Welch.
Vol. I, Nr. 1. 8°. 210 S. New-York 1896. D. Appleton & Co.
J u r i s c h, Dr. Konrad W., Ueber Gefahren für Arbeiter in chemischen
Fabriken. Eine Vertheidigung. 8°. 19 S. Berlin 1896. M. Krayn.
Keller, Dr. C., Die Wanderniere der Frauen, insbesondere ihre Diagnose
und Therapie. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete
der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Bd. I, Heft 2.) 8°. 44 S. Halle ajS.
1896. Carl Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk.
Einzelpreis dieses Heftes 1,20 Mk.
Lahs, Professor, Zur Reform der Kreisphysikate. Zur Heilserumfrage. 8°.
27 S. Marburg 1896. N. G. Elwert'sche Verlagshandlung. Preis 50 Pf.
Marcuse, Dr. Adolf, Die atmosphärische Luft Eine allgemeine Darstellung
ihres Wesens, ihrer Eigenschaften und ihrer Bedeutung. 8°. 76 S. Berlin
1896. Friedländer & Sohn. Preis 2 Mk.
Müller, Dr. Franz C., Ueber Schüler-Verbindungen. 4. Auflage. 8°. 16 S.
München 1896. Seitz & Schauer. Preis 50 Pf.
Rethi, Dr. L., Die Verbildungen der Nasenscheidewand in ihren örtlichen
und allgemeinen Beziehungen. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus
dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Halskrankheiten. Bd. I,
Heft 9.) 8°. 44 S. Halle a./S. 1896. Karl Marhold. Abonnementspreis
für 1 Band = 12 Hefte 12 Mk. Einzelpreis 1,40 Mk.
8chörg, Johann, So verhütet und heilt man die Diphtherie. Eine ernste
Mahnung in jedes Elternhaus. 8°. 40 S. Röthenbach bei Lauf (Bayern).
Selbstverlag. Preis 1 Mk.
Schulgesundhei tslehre. Das Schulhaus und das Unterrichts wesen vom
hygienischen Standpunkte, für Aerzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte und
Architekten bearbeitet von Dr. H. Eulenberg und Dr. Theod. Bach.
Zweite umgearb. Auflage. Lfg. 1. 8°. 80 S. Berlin 1896. J. J. Heiners
Verlag. Preis 1 Mk.
10 *
Digitized by ^.ooQle
144
21. annual report of the secretary of the State Board of Health of the State
of Michigan. CXXIY u. 444 S. Lansing 1895. Smith & Co.
Thiele, Dr. med. Adolf, Vorbeugungs- und Verhaltungsmaassregeln bei
Diphtheritis. Ein Vorschlag zur praktischen Prophylaxe der Diphtherie.
8°. 14 S. München 1896. Seitz & Schauer. Preis 50 Pf.
Zeitschrift für sociale Medicin. Organ zur Vertretung und Förderung
der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes. Herausgegeben von Dr.
A. Oldendorff. Band I, Heft 5. 8°. Leipzig 1896. Georg Thieme.
Preis des vollständigen Bandes 6 Mk., einzelne Hefte ä 1,20 Mk.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaction zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. D|e Ver|aBahand|unfl .
Soeben erschienen:
Archiv für Unfallheilkunde, Gewerbehygiene
Digitized by
(Nach dem in Dr. Baron’s Werke: Life of Jenner, London 1838,
enthaltenen Stiche.)
Digitized by Google
Am Abend des 11. Mai d. J. starb in Godesberg
plötzlich an einem Herzschlage der Mitherausgeber und
Mitbegründer des Centralblattes für allgemeine Gesund¬
heitspflege, der
Geh. Regierung8rath Prof. Dr.
Carl Maria Finkelnburg,
Generalarzt der Reserve, Ritter des Eisernen Kreuzes,
im Alter von 63 Jahren.
Seit dem Bestehen des Centralblattes hat er sich in
hervorragender Weise an den Arbeiten für dasselbe be¬
theiligt; seit Gründung des Niederrheinischen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege gehörte er, mit Aus¬
nahme der Zeit seiner Thätigkeit im Kaiserl. Deutschen
Gesundheitsamte, dem Vorstande des Vereins an. Eine
Reihe inhaltreicher Vorträge und Aufsätze sind die Ge¬
denksteine seiner rastlosen Arbeitsfreudigkeit auf dem
Gebiete der Gesundheitspflege.
Mit herzlicher Trauer zeigen wir den Tod unseres
bis zum letzten Augenblicke thätigen Mitarbeiters an.
Das Centralblatt und der Niederrheinische Verein für
Öffentliche Gesundheitspflege werden dem Heimgegangenen
ein treues Andenken bewahren.
Bonn, Köln, Tilsit, den 12. Mai 1896.
Die Herausgeber und der Der Vorstand des
Verleger des Centralblattes fflr Niederrheinischen Vereins fOr
allgemeine Gesundheitspflege. Öffentliche Gesundheitspflege.
CentralbUtt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg.
11
Digitized by
Google
Edward Jenner.
Biographische Skizze 1 ).
Von
Dr. Pröbsting in Köln.
Zu Berkeley, einem kleinen Städtchen in der Grafschaft
Gloucester, wurde am 17. Mai 1749 ein Knabe geboren, der
berufen war, eine der segensreichsten Entdeckungen für die Mensch¬
heit zu machen und der Medicin die nachhaltigste Anregung zu
geben. Das war Eduard Jenner. Sein Vater, Stephan
Jenner, war Rector von Rockhampton und Vicar von Berkeley,
seine Mutter war die Tochter eines Geistlichen Namens Henry Head.
Schon in frühester Jugend traf den Knaben ein harter Schlag-, im
Jahre 1754 starb nämlich der Vater, erst 52 Jahre alt, und nun
übernahm der älteste Bruder Vaterstelle bei dem kleinen Eduard.
Mit inniger Liebe und rührender Anhänglichkeit hat dieser seinem
Bruder zeitlebens dafür gedankt. Im Alter von 8 Jahren wurde
der Kleine nach Wotton-under-Edge auf die Schule geschickt,
später nach Cirencester, und schon hier zeigte sich seine Liebe
zur Natur und zu den Naturwissenschaften. Während andere
Knaben spielten, benutzte er seine Erholungsstunden, um natur¬
wissenschaftliche Sammlungen anzulegen; besonders eifrig suchte er
Fossile, die in der Umgegend von Cirencester sehr häufig gefunden
werden.
Nachdem seine Schulbildung vollendet war, kam er, damaliger
englischer Sitte gemäss, nach Sodbury zu einem Arzt Namens
Ludlow in die Lehre, um die Elemente der Chirurgie und Phar-
macie zu erlernen. Als die festgesetzte Lehrzeit beendigt war,
Nachfolgende Angaben entstammen dem Werke von John Baron,
M. D., The life of Edward Jenner witli illustrations of his doctrines and
selections from his correspondenee, in two volumes, London, H. Colbum, 1838.
Digitized by ^.ooQle
147
ging er nach London, um seine Fachstudien fortzusetzen. Zwei
Jahre lang arbeitete er hier unter der Leitung des berühmten John
Hunter, dessen Lieblingsschüler er war, und in dessen Familie
er lebte. Der Verkehr mit diesem hervorragenden Manne war von
bestimmendem Einfluss auf Jenner’s Entwicklung. Durch ihn
wurde Jenner zur genauen Beobachtung der umgebenden Natur
angeleitet, durch ihn wurde er immer wieder zu neuen Unter¬
suchungen angeregt. Treue Freundschaft, wovon noch ein erhaltener,
umfangreicher Briefwechsel beredtes Zeugniss giebt, verband die
beiden ausgezeichneten Männer auf das Innigste mit einander.
Während Jenner in London studirte, kam Capitain Cook von
seiner ersten grossen Entdeckungsreise zurück (1771), und Jenner
wurde beauftragt, die reichhaltigen Sammlungen desselben zu ordnen
und zu präpariren. Er löste diese Aufgabe so vorzüglich, dass
Cook ihm für seine zweite Reise, welche 1772 stattfand, eine Stelle
als Naturforscher anbot. Aber die Liebe zu seinem ältesten Bruder
und die Anhänglichkeit an seinen Geburtsort bewogen Jenner,
dieses und ähnliche Anerbieten auszuschlagen. Er liess sich,
23 Jahre alt, in seiner Vaterstadt Berkeley als Arzt nieder und
erlangte sehr bald eine grosse, ausgedehnte Praxis. Die Mühen
und Beschwerden, welche die Landpraxis mit sich bringt, musste
er im reichsten Maasse durchkosten; so wäre er z. B. an einem
kalten Wintermorgen beinahe erfroren. Trotz der vielen und
grossen Anstrengungen seines Berufes fand er jedoch immer noch
Zeit, sich mit naturwissenschaftlichen Studien zu beschäftigen; seine
Beobachtungen über die Wandervögel, seine vortreffliche Unter¬
suchung über die Lebensweise des Kuckucks legen hierüber Zeugniss
ab. Mit Hunter zusammen und hauptsächlich auf Anregung des¬
selben studirte er den Winterschlaf der Thiere, besonders am Igel.
Aber auch auf die Erweiterung seiner medicinischen Kenntnisse
war er eifrigst bedacht; so gründete er eine ärztliche Gesellschaft
zur Förderung von Wissenschaft und Collegialität, und er selbst
hielt zahlreiche Vorträge in dieser Vereinigung. Noch von einer
anderen ärztlichen Gesellschaft war Jenner Mitglied; sie tagte zu¬
meist in Alveston, und hier brachte er zuerst seine Gedanken
über die prophylaktische Wirkung der Kuhpockenimpfung in die
Oeffentlichkeit. Bei seinen Kollegen fand er jedoch sehr wenig
Glauben, ja, da er immer und immer wieder auf diesen Gegenstand
zurtickkam, so wollte man ihn sogar aus der Gesellschaft aus-
schliessen.
Aber nicht allein als tüchtiger Arzt, sondern auch als heiterer,
liebenswürdiger Gesellschafter war er bekannt und beliebt. Neben
seinem fröhlichen Humor waren Bescheidenheit und eine tiefe Reli¬
giosität die Hauptzüge seines Charakters. In seinen Erholungs-
11 *
Digitized by v^ooQle
148
stunden beschäftigte er sich gern mit der schönen Literatur und
mit der Dichtkunst. Wir besitzen von ihm noch eine grosse An¬
zahl von Gedichten, die zum Theil ein mehr wie gewöhnliches Talent
verrathen. Nur sein Ruf als hervorragender Arzt, sagt Ed. Gardner,
verhinderte es, dass Jenner sich als Dichter einen Namen machte.
Ganz besonders aber liebte er die Musik, und er selbst spielte
Violine und Flöte.
Ueber seine äussere Erscheinung in dieser Zeit hat Gardner
uns eine Beschreibung hinterlassen, die ich ganz kurz hier anftihren
möchte. Darnach war Jenner unter mittlerer Grösse, von kräftiger
aber wohlproportionirter Gestalt. In seiner Kleidung war er ausser¬
ordentlich sauber und wählerisch, und alles an ihm verrieth den
ernsten, gesetzten Mann.
Bis dahin hatte Jenner bei seinem ältesten Bruder Stephan
gewohnt, am 6. März 1788 gründete er aber seinen eigenen Haus¬
stand, indem er sich mit Kath. Kingscote verheirathete. Wie
aus Jenner’s Briefen hervorgeht, war die Ehe eine ausserordentlich
glückliche; seine Frau stand ihm in Leid und Freud’ treu zur Seite,
und als sie durch den Tod von ihm gerissen wurde, trauerte er tief
und lange um sie. Im Jahre 1789 wurde ihm ein Sohn geboren,
der den Namen Eduard empfing.
Das Leben J e n n e r 7 s verlief nun still und ruhig, ohne grosse,
bemerkenswerthe Ereignisse. Das änderte sich aber völlig, als er
im Juni des Jahres 1798 mit seinem berühmten Werk „Inquiry
into the causes and effects of the Variolae vaccinae,
or the Cowpox“ vor die Oeffentlichkeit trat Aus dem einfachen,
schlichten und bescheidenen Landarzt war mit einem Schlage ein
hochberühmter Mann geworden.
Die erste Anregung auf dem Gebiete der Schutzimpfung
bekam Jenner schon während seiner Lehrzeit in Sodbury.
Eine junge Frau kam zu seinem Lehrmeister, Dr. Ludlow, um
sich Raths zu holen. In ihrer Gegenwart wurde auch von
Pocken gesprochen, und die Frau bemerkte, dass sie diese nicht
bekommen könne, da sie die Kuhpocken gehabt habe. Das war
das erste Mal, dass Jenner von dieser unter den Landleuten
der dortigen Gegend verbreiteten Meinung über die Schutzkraft
der Kuhpocken hörte. Seither verliess ihn der Gedanke nie mehr;
immer und immer wieder kam er in Gesprächen mit Freunden auf
diesen Gegenstand zurück, oft, wie schon erwähnt, zum Ueberdruss
seiner Zuhörer. Immer wieder suchte er die Aerzte anzuregen, die
Sache mit ihm weiter zu verfolgen, jedoch vergebens, sie verhielten
sich ablehnend. Aber Jenner’s Eifer erlahmte nicht; er studirte
und forschte weiter und stellte mit verschiedenen Arten von Thier¬
pocken Experimente an; so impfte er z. B. 1789 seinem Sohn Eduard
Digitized by
Google
149
die sog. Schweinepocken ein. In erster Linie aber suchte er das
Wesen der Kuhpocken zu ergründen. Da zweifellos in einigen Fällen
die Kuhpocken durch Uebertragung des Giftes der Mauke, einer
bekannten Pferdekrankheit, entstanden waren, so glaubte Jenner,
dass die Kuhpocken überhaupt von den Pferden herstammen, und
dass das Gift der Mauke durch den Kuhkörper gehen müsse, um
in den Kuhpocken seine Schutzkraft für den Menschen zu be¬
kommen. Die Menschenpocken und die Kuhpocken hielt Jenner
für dieselbe Krankheit, letztere nur für die mildeste Form. Diese
Erwägung legte den Gedanken nahe, durch die Ueberimpfung der
Kuhpocken auf den Menschen einen Schutz gegen die eigentlichen
Pocken zu schaffen. Denn schon im Anfänge des Jahrhunderts
hatte man versucht, durch Ueberimpfen von Sekret der menschlichen
Pocken auf andere Menschen den letzteren eine mildere Krankheits¬
form zu sichern. Aber die Methode war im Allgemeinen bald wieder
verlassen worden, da eine immerhin grosse Anzahl der Geimpften
an den Pocken gestorben war.
Am 14. Mai 1796 impfte Jenner zum ersten Male
die Kuhpocken von einem Menschen auf den anderen
über. Das Impfmaterial entnahm er einer Pockenpustel an der
Hand eines Mädchens Namens Sara Nelines und übertrug es mit
zwei oberflächlichen Einschnitten am Arm auf den achtjährigen
Knaben James Phipps. Die Impfung war von t Erfolg, und
als zur Probe im Juli der Kleine mit Eiter aus einer menschlichen
Pockenpustel geimpft wurde, erkrankte er nicht. Nach einigen
weiteren Versuchen veröffentlichte er seine oben angeführte Arbeit
Inquiry into the causes and effects of the Variolae vaccinae, in
welcher er seine Ansichten über die Pocken, über die Schutzkraft
der Kuhpocken und die Resultate seiner Ueberimpfungen (im
Ganzen sieben) niederlegte. Die Arbeit machte, wie leicht erklärlich,
ganz ausserordentliches Aufsehen, und es konnte nicht ausbleiben,
dass neben begeisterten Freunden und Anhängern auch Widersacher
und Feinde auftraten. Aber die Sache der Schutzimpfung gewann
immer mehr an Boden, und in verhältnissmässig kurzer Zeit wurde
sie in allen civilisirten Staaten angewandt. Im Mittelpunkte dieser
grossen Bewegung stand natürlich Jenner, und an Stelle des
ruhigen, stillen Landlebens traten jetzt Arbeit, Unruhe und Sorgen.
Doch auch wohl kein Forscher ist zu Lebzeiten so geehrt worden,
wie Jenner. Von der königlichen Familie wurde er empfangen,
bei welcher Gelegenheit er dem Könige sein Werk Inquiry über¬
reichen durfte. Als nach Beendigung des Krieges gegen Napoleon
der Kaiser von Russland und der König von Preussen in London
anwesend waren (Juni 1814), wurde er beiden Herrschern vor¬
gestellt, ebenso anderen hervorragenden Personen, z. B. Blücher,
Digitized by ^.ooQle
150
und von Allen mit Auszeichnungen überhäuft. Es mag vielleicht
wohl von Interesse sein, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die
preussische Königsfamilie die erste Herrscherfamilie war, welche
ihre Kinder impfen liess (1799), ein Beispiel, welches für die Ein¬
führung und Verbreitung der Impfung in Preussen von ganz ausser¬
ordentlicher Bedeutung war. Zweimal stattete das englische Volk
ihm den Dank der Nation für seine grosse Entdeckung durch das
Parlament ab, indem es ihm zuerst 10 000 (1802) und später noch¬
mals 20 000 Pfund Sterling bewilligte (1807)-, über 40 gelehrte
Gesellschaften und Korporationen ernannten ihn zum Ehrenmitglied,
darunter die französische Akademie der Wissenschaften, die Aka¬
demien in Göttingen und München. Die Universität Oxford er¬
nannte ihn zum Ehrendoctor, London und Edinburg zum Ehren¬
bürger. Ihm und seiner Entdeckung zu Ehren wurden acht ver¬
schiedene Medaillen geschlagen, davon zwei in Preussen.
Aus dem späteren Leben Jenner’s ist nur noch wenig mit-
zutheilen. Er lebte zumeist in oder bei Berkeley in stetem Ver¬
kehr mit seinen Freunden. Doch sonst war sein Leben einsam,
nachdem seine Frau ihm durch den Tod geraubt war (1815), und
seine einzige Tochter sich verheirathet hatte. Wissenschaftliche
Untersuchungen und Berufsarbeiten füllten seine Tage aus.
Am 6. August 1820 kam die erste Todesmahnung; beim Spazier¬
gang im Garten bekam er einen Schlaganfall. Er erholte sich nach
und nach, doch hatten seine Geisteskräfte in der ersten Zeit schwer
gelitten. Aber auch hierin trat bald eine wesentliche Besserung
ein, so dass er nach einigen Monaten wieder völlig hergestellt war
und seine früheren Arbeiten wieder aufnehmen konnte. Am
25. Januar 1823 erlitt er einen zweiten Schlaganfall. Er wurde
am Morgen dieses Tages von seinem Diener in seiner Bibliothek be¬
wusstlos aufgefunden, und er starb am folgenden Morgen um 3 Uhr,
ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Unter grosser Be¬
theiligung seiner Freunde wurde er am 3. Februar zu Berkeley
in einem Grabgewölbe zur Seite seiner Frau beigesetzt.
So endete das Leben eines der grössten Wohlthäter der Mensch¬
heit, der durch seine Entdeckung unzählige Menschenleben vor dem
Tode gerettet hat. Und noch ein weiteres Verdienst müssen wir
ihm beimessen. Er war der Erste, welcher eine künstliche Immunität
gegen eine bestimmte Krankheit schuf, der in dieses weite, dunkle
Gebiet das erste Licht brachte. Und wenn später Pasteur und seine
Schüler und in der jüngsten Zeit die deutsche Schule unter Koch
so Grosses auf diesem Felde geleistet haben und sicher noch leisten
werden, so dürfen wir nicht vergessen, dass Jenner es war, der
den ersten Anstoss zu diesen Forschungen gab.
Digitized by
Google
151
In der Kathedrale zu Gloucester haben seine Freunde ihm ein
Denkmal gesetzt, und ein weiteres hat das dankbare englische Volk
ihm zu London errichtet, aber ein viel schöneres und dauerhafteres
Denkmal hat er sich in der Geschichte der Medicin und in den
Herzen und dem Gedenken seiner Mitmenschen errrichtet, ein
Denkmal aere perennius.
Ueber die Schutzwirkung der Impfung, sowie
über die Erfolge des deutschen Impfgesetzes
vom 8. April 1874.
Von
Dr. WolfFberg, Kreisphysikus in Tilsit.
Die nachfolgende Abhandlung ist im Aufträge des Herrn
Regierungs-Präsidenten Hegel verfasst worden. Die statistischen
Nachweise aus neuerer Zeit entstammen überwiegend amtlichen
Quellen, insbesondere den aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte
hervorgegangenen Veröffentlichungen. Im Uebrigen verwerthete ich
vorzüglich ältere eigene Studien zur Pocken- und Impflehre.
Von einer „Impffrage“ zu sprechen, ist man eigentlich nicht
mehr berechtigt. Es kann eben nicht mehr als fraglich bezeichnet
werden, dass die Impfung Schutz gewährt gegenüber den Menschen¬
pocken. Lediglich der Impfung ist es zu verdanken, dass wir im
Deutschen Reiche beinahe frei von Pocken sind, die nur selten
noch und nur in vereinzelten Fällen oder auf kleinen Gebieten in
kurz dauernden Epidemien auftreten. Aber gerade dieser günstige
Zustand hat bei Manchen, welche die Ursachen desselben ver¬
kennen, Zweifel erweckt, ob es wirklich die Impfung sei, welche
vor den Pocken schütze. Man kann jetzt selbst von einigen Aerzten,
zumal jüngeren, welche die Schrecken der Pockenseuchen nicht
erlebt haben, die Ansicht berichtet hören, dass die Zunahme unserer
Kultur, unsere Fortschritte auf dem Gebiete der allgemeinen Ge¬
sundheitspflege die Herrschaft der Pocken eingedämmt hätten; die
Impfung* sei nutzlos, sagen die Einen, — von so geringer Wirkung,
die Andern, dass von diesem künstlichen Verfahren ein wesentlicher
Fortschritt nicht erwartet werden könne. Manche wollen es auch
nur als Zufall erklären, dass jetzt die Pocken seltener auftreten;
und sie sprechen die Befürchtung aus, dass über kurz oder lang
trotz der Impfungen neue verheerende Epidemien zur Herrschaft
gelangen werden.
Digitized by CjOOQle
152
Dem gegenüber ist zunächst anzuführen, dass gerade die
neuesten Fortschritte der Wissenschaft neues Licht auf die Jenner’-
sche Entdeckung der Schutzimpfung geworfen haben. Neue
Forschungen zeigten, dass die Gifte, bezw. die Erreger mehrerer
Krankheiten rein dargestellt werden können. So wurde der Erreger
des allgemein bekannten Milzbrands, welche Krankheit Rinder,
Pferde und andere Thiere bedroht und oft genug schon auf Menschen,
z. B. beim Schlachten, übertragen wurde, in einer bestimmten Art
eines stäbchenförmigen Spaltpilzes nachgewiesen. Dieser Milzbrand-
Bacillus liess sich in Reinkulturen züchten und auf Thiere über¬
tragen, die hiernach an typischem Milzbrand erkrankten und starben.
Durch gewisse Eingriffe, z. B. bestimmte höhere Temparaturen,
lassen sich nun die so giftigen Milzbrand-Bacillen abschwächen, so
dass sie nur noch kleinere, aber nicht mehr grössere Thiere zu
tödten vermögen; und schliesslich lässt sich diesen Bacillen selbst
jegliche Giftkraft nehmen. Wurden nun schwachgiftige Milzbrand-
Bacillen auf grössere Thiere übertragen, so wurden diese zwar
krank, aber sie erholten sich wieder, und nach ihrer Genesung
waren sie unempfänglich, immun, gegen die giftigeren Bacillen.
So können Schafe und Rinder gegen das heftigste Milzbrandgift
immunisirt werden.
* Nicht anders haben wir die Wirkung des Kuhpockengiftes uns
vorzustellen. Wenn heute auch die Erreger der Pockenkrankheit
noch nicht bekannt sind, so haben wir allen Grund zu der An¬
nahme, dass die Kuhpockenlymphe ein lebendiges, vervielföltigungB-
föhiges Gift, ein Lebewesen enthält, welches demjenigen Gifte, das
die Menschenpocken erregt, gleichartig, in seiner Giftkraft aber
ungemein abgeschwächt ist. Wie nach den Masern die Genesenen
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle unempfänglich geworden
sind gegen ein nochmaliges Erkranken an Masern, so auch nach
den Menschenpocken gegen diese; und eben dieselbe Immunität,
die der Mensch nach einmaligem Ueberstehen der Pocken gewonnen
hat, wird ihm, wenn auch in geringerem Grade, durch die einmalige
Impfung ertheilt: in geringerm Grade; denn man kann nicht
erwarten, dass die Impfung mit dem abgeschwächten Pockengifte
im Körper dieselben Wirkungen hervorruft und zurücklässt wie
das Pockengift selbst.
Welchen Segen und Gewinn an Menschenleben die Impfungen bis¬
her gewährt haben, kann man nur würdigen, wenn man von den Ver¬
heerungen Kenntniss hat, welche die Menschenpocken vor der Ent¬
deckung der Schutzimpfung bewirkten. Heute freilich ist die Pocken-
noth des vorigen Jahrhunderts vergessen. Damals herrschten die
Pocken allgemein, wie heute die Masern. Sie waren wie diese eine
Kinderkrankheit, weil die Menschen schon im jugendlichen Alter der
Digitized by CnOOQle
153
beinahe immer gegenwärtigen Ansteckungsgefahr ausgesetzt und
die Ueberlebenden in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle gegen
eine zweite Erkrankung geschützt waren. Unter den Todten eines
Jahres gab es in allen europäischen Ländern stets etwa 10 °/o, die
den Pocken zum Opfer gefallen waren. Dies gilt u. a. auch für
die deutschen Lande. In Berlin waren nach zeitgenössischen
Aufzeichnungen in den Jahren 1758—1774 unter insgesammt
81134 Todesfällen 6705 = 8,3 °/o Pockentodte; in den Jahren
1783—1808 8,5 °/o. In der Churmark und Neumark Bran¬
denburg (den Regierungsbezirken Potsdam und Frankfurt a. O.
entsprechend) gab es in den Jahren 1789—1798 9,32, bez. 9,64 °/°
Pockentodte. Nach von mir eingesehenen Quellen sind in Halle
in der Zeit von 1776—1796 7,2 °/o; in der Grafschaft Schaum¬
burg 1771—1796 11 °/o; in Züllichau in dem Zeitraum von
1766—1796 9,1t °/o; in der Inspection Rathenow 1775—1796
11,2 °/o; in der Kirchengemeine Gröben (in 28 Jahren)
10,4 °/o; in Neustadt a. d. Haidte (1760—1797) 13 °/o aller
Todten den Pocken erlegen (Nr. 1).
Jährlich starben 250—300 Personen (meist kindlichen Alters)
auf je 100000 Einwohner.
In dem „Reglement“, welches der König von Preussen am
81* October 1803 betreffs der Schutzimpfung erliess, wird an¬
gegeben, dass das menschliche Pockentibel im Durchschnitt jährlich
mehr als 40000 Menschen in den preussischen Landen weggerafft
habe (Nr. 2).
Das social-statistische Bild, welches die Pocken boten und u n -
bekämpft zweifellos im grossen Ganzen auch heute bieten würden,
lässt sich folgendermaassen zeichnen:
Wie heute die Masern, wiederholten sich die Pockenseuchen
alle 4 bis 6 Jahre; in grösseren Gemeinden herrschten sie ohne
Unterbrechung.
Von je 100 Kranken mögen etwa 12 an den schwersten Formen
der schwarzen, blutigen und zusammenfliessenden Blattern gelitten
haben; von diesen starben 75 °/o.
Fernere 25 Kranke litten an den schweren Arten der Variola,
und von ihnen starben 10 °/o.
Häufiger noch waren die leichteren Arten — bei etwa 33 von
100 Kranken — mit einer Letalität von 1—2 °/o.
30 Kranke schliesslich litten an der leichtesten Art, welche oft
selbst das Umherwandeln gestattete und in der Regel keinen tödtete.
Durchschnittlich — und in den meisten Einzelepidemien —
starben 11—12 °/o der Kranken.
Den jüngsten Kindern bis zum dritten Jahre waren die Pocken
sehr gefährlich; es starben 20 —35 °.'o der Erkrankten; weniger
Digitized by ^.ooQle
154
schon den 4—7jährigen und viel weniger den 7—10jährigen; wer
das seltene Glück hatte, erst zwischen dem 10. und 15. Lebens¬
jahre zu erkranken, lief meistens nur geringe Gefahr. Erwachsene
erkrankten selten, weil die meisten schon als Kinder gepockt
waren. Nur ausnahmsweise wurden Geblätterte später noch einmal
heftig ergriffen. Häufig dagegen waren rein örtliche Zweit¬
erkrankungen (Blattern ohne Fieber), und nicht seltener mögen auch
leichteste Zweiterkrankungen ohne Blattern gewesen sein.
Für Ungeschützte verschlechtert sich die Vorhersage der
Pockenkrankheit nach dem 15. Lebensjahre beträchtlich, und für
solche, welche das 25. Lebensjahr überschritten haben, sind die
Pocken nicht weniger gefährlich als die Pest oder die Cholera
(Letalität von 30—70 °/o).
So war das Bild der Krankheit gestaltet, bevor Edward
Jenner nach langjährigen Untersuchungen seine Erfahrungen über
die Schutzkraft der Kuhpockenimpfung veröffentlichte. Von be¬
sonderer Bedeutung wurde die am 14. Mai 1796 ausgeführte erste
öffentliche Impfung, deren Hundertjahrfeier wir demnächst dankbar
zu begehen Gelegenheit haben. Ati dem genannten Tage be¬
nutzte Jenner zur Abimpfung ein Kind, welches sich eine Woche
zuvor mit Kuhpockenlymphe (beim Melken einer kranken Kuh) an¬
gesteckt, unabsichtlich geimpft hatte. Erst diese Benutzung der
„humanisirten“ Lymphe hatte die allgemeine Durchführung der
Impfung bis vor Kurzem allein ermöglicht.
In ungemein zahlreichen Fällen wurden die bald überall in
grosser Zahl geimpften Kinder einige Zeit nach Ablauf des Impf-
processes der Ansteckung mit Pockengift, meist der künstlichen
Einimpfung des Pockengiftes unterworfen; und stets blieben die
Geimpften frei von Pocken. Andere ungeimpfte Kinder aber er¬
krankten. Dieses Verfahren war damals erlaubt; ja die künstliche
Einimpfung der Menschenpocken - Lymphe wurde gegen das Ende
des vorigen Jahrhunderts — vor der Jenner’schen Entdeckung —
vielfach empfohlen und geübt, weil die Pocken doch unvermeidlich
waren und die Beobachtungen gelehrt hatten, dass die also künst¬
lich Inficirten die Menschenpocken in meist milderer Form als die
natürlichen Menschenpocken überstanden.
Dies ist das sogen. Jenner’sche Experiment: die erfolg¬
lose künstliche Uebertragung von Pockengift auf Geimpfte; die
Durchführung der Impfungen hat also, was heute oft vergessen
wird, eine experimentelle Grundlage.
Nur die „Pockennoth“ um die Wende des Jahrhunderts macht
es begreiflich, dass, von Begeisterung getragen, in fast allen Ländern
die Impfung alsbald zahllosen Kindern zu Theil wurde.
Digitized by ^.ooQle
155
Die Berichte zeitgenössischer Schriftsteller kann man nicht
ohne Rührung lesen. In dem Dr. Faust' sehen Gesundheits-
Katechismus (Neunte Auflage 1802) werden die jährlichen Blattern¬
opfer in deutschen Landen auf durchschnittlich 70000 bis 75000 an¬
gegeben (auf 25000 für die preussischen Staaten). Es heisst dann:
„Dieses Elend wird bald ein Ende haben“, und nach einer ein¬
gehenden geschichtlichen und populär-medicinischen Darlegung der
Kuhpockenimpfung wird schliesslich gefordert, dass alle Völker den
14. Mai heilig halten und feiern sollten (Nr. 3).
Zur Zeit der ersten Impfungen bestand die Bevölkerung zu
mehr als 80 °/o aus den bereits früher Gepockten, die überwiegend
immun waren. Auch vön den Kindern war ein nicht geringer
Theil bereits durchseucht; ein anderer wurde geimpft; was Wunder,
dass nun an vielen Orten eine Zeit von 10 bis 15 Jahren folgte,
in welcher auf eine früher ungeahnte Weise Blatternpatienten zu den
Seltenheiten gehörten.
Auch Tilsit kann hier angeführt werden. In dem historischen
Tagebuche des Stadtsekretärs Salchow finden wir eine Sterblich¬
keitsstatistik für das Jahr 1813, aus welcher hervorgeht, dass in
Tilsit (einschl. Tilsit-Preussen und Kallkappen) — also auf etwa
10000 Einwohner — 520 Menschen gestorben waren, eine ausser¬
ordentliche Sterblichkeit, welche durch eine schwere Typhus-Epidemie
im Anfänge des Jahres bedingt war. „Eine tröstliche Bemerkung
ist es,“ sagt Salchow, „dass das ganze Jahr hindurch nur ein ein¬
ziges Kind an den Pocken gestorben ist.“ Salchow lobt dann die
Aerzte, besonders den Stadtchirurgus Morgen, wegen ihrer
fleissigen und uneigennützigen Impfungen und theilt mit, dass der
Staat Morgen's Verdienste durch Belobigungsschreiben und Ehren¬
zeichen anerkannt habe (Nr. 4).
Ueberall war man beglückt überden Zuwachs der jugendlichen
Bevölkerung, welcher im Königreich Preussen in jenen Jahren —
nach 1809 — wenigstens 10 bis 15000 Kinder jährlich betrug,
welche leben blieben,, da sie doch ehedem unzweifelhaft den Blattern
erlegen wären. Wie zu Festen drängten sich die Mütter zu den
Aerzten, um ihren Kindern die Wohlthat der Impfung zu ver¬
schaffen (Nr. 5). Die zeitgenössischen Schriftsteller melden, dass
die Schulstuben auf dem Lande zu klein werden, und hoffen eine
neue Aera für das befreite Menschengeschlecht. In Berlin kamen
die Aerzte alljährlich am 14. Mai zusammen, um durch die Samm¬
lung von Nachrichten über den Fortgang der Impfungen und über
etwaige Blatternepidemien das Andenken und den Jahrestag der
ersten öffentlichen Vaccination durch Jenner zu feiern.
Doch schon bald wurden vereinzelte Blatternfülle bei Geimpften
beobachtet. Anfänglich bestritten und falsch gedeutet, wurden sie
Digitized by
Google
156
bald als leichteste Fälle wahrer Blattern erkannt. Unter manchen
Schwierigkeiten, welche insbesondere durch die unächten Kuh¬
pocken bereitet waren, gelangte man allmählich zu der Erkenntnis^
dass, um einen genügenden Schutz zu erzielen, eine genügende
Zahl von Impfpusteln hervorgerufen werden muss; und lang¬
sam überzeugen sich die Aerzte, dass der sichere Schutz nur eine
beschränkte Zeit andauert (Nr. 6).
Ich will hier gleich hinzufügen, dass meines Erachtens alle bis
in die neueste Zeit gesammelten Erfahrungen lehren, dass durch
die Impfungen die natürliche Disposition zu den Blattern bis zu
einem gewissen Grade getilgt wird, kaum jemals so vollständig
wie durch die ächten Menschenpocken selbst und in verschiedenem
Grade je nach der ursprünglichen Anlage und je nach der Intensität
des Eingriffs, insbesondere nach der Zahl der eingeimpften Schutz¬
pocken. Nach einer sorgfältigen Impfung ist meist nur eine ge¬
ringe, nach schlechter Impfung meist eine grössere Pockenempfäng¬
lichkeit zurückgeblieben. Ein schlecht geimpftes Kind kann daher
sehr leicht schon gleich nach Ablauf der Impfkrankheit, sobald eine
stärkere Ansteckungsgefahr vorhanden ist, an den Pocken erkranken.
Man hat nicht nöthig anzunehmen, dass der Impfschutz als solcher
allmählich schwinde. In die Impflehre hat es eine nicht unerheb¬
liche Verwirrung gebracht, dass (noch jetzt) behauptet wird, dass
der durchschnittliche Impfschutz etwa 10 Jahre oder 15 Jahre oder
6 Jahre andauere. Die Veränderung, welche die Impfung im Körper
hervorruft, ist meines Erachtens als solche bleibend; sie besteht, wie
ich annehme, in der Ausmerzung zahlreicher, gegenüber dem Pocken¬
gift widerstandsschwacher Zellen und Zellentheile (Nr. 7). Viele
schlechter geimpfte oder von vornherein stärker empfängliche Kinder
haben auch nach der Impfung noch einen bestimmten Grad von
Krankheitsdisposition bewahrt, hinreichend, um einer in bestimmter
Höhe entwickelten Ansteckungsgefahr zu erliegen; man beobachtet
nicht, dass in späteren Kinderjahren mehr Geimpfte erkranken als
in den ersten Jahren nach der Impfung. Für alle Geimpfte aber
gilt dasselbe wie für die Ungeimpften, dass die natürliche
Pockenempfänglichkeit um das 15. Lebensjahr, d. i. um die Zeit
der geschlechtlichen Entwicklung, für Mädchen früher als für Knaben,
erheblich zunimmt und dann mit zunehmendem Lebensalter immer
stärker an wächst; wie dies auch fiir viele andere Krankheiten er¬
wiesen ist.
Daher die Nothwendigkeit der Wiederimpfung vor dem
15. Lebensjahre, welche lediglich als eine Verstärkung des
Schutzes, den die Jugendimpfung gewährte, aufzufassen ist.
Im Anfänge des Jahrhunderts, solange die Impfungen ziemlich
gleichmässig durchgefährt wurden, blieben zuvörderst die Pocken-
Digitized by
Google
157
Epidemien noch immerhin selten und örtlich beschränkt. So
herrschte 1818 in Edinburg eine Epidemie, in welcher nach dem
Berichte des Prof. Thomson von den Ungeimpften, die zum
grössten Theile aus jüngsten Kindern bestanden, 25 °/o starben.
Thomson beobachtete im Ganzen 810 Blatternfelle bei Vaccinirten;
diese zeichneten sich in ihrem Verlauf durch eine ausserordentliche
Milde aus, so dass er sie nicht Variolen, sondern Varioloiden
nannte; die Kranken hatten ein Alter von 10 Wochen bis zu 15
Jahren; von den 810 Fällen endete ein einziger tödtlich. Von Per¬
sonen über 15 Jahren erkrankten nur sehr wenige. — Einen ähn¬
lichen Charakter haben alle hier und da folgenden Epidemien.
Beispielsweise erkrankten im Jahre 1819 im Ruppin'sehen Kreise
250 Personen, darunter waren 30 geimpft, und von diesen starb
niemand; von den Ungeimpften sind 15 erlegen. Je weiter nun
das Jahrhundert vorschreitet, um so mehr ändert sich der Charakter
der Epidemien. Sie erscheinen seltener als vordem, und nur aus¬
nahmsweise erreicht die Zahl der Blatterntodten eines Jahres den
zehnten Theil der ehemaligen durchschnittlichen Todtenzahl. Aber
es wächst die Summe der erkrankten Erwachsenen — aus be¬
greiflichen Gründen. Die seit dem Anfänge des Jahrhunderts da-
tirenden glücklicheren Zeiten bewirkten, dass die meisten der in
diesem Säculum Geborenen undurchseucht blieben; die Impfung
aber (meist mit einer geringen Zahl von Stichen ausgeführt) gab
manchen Kindern nur einen geringen Schutz, der bei einem
kleineren oder grösseren Theile von ihnen nur eine bald mehr,
bald minder kurze Zeit über das 15. Lebensjahr hinausreichte. Als
daher am Ende des dritten Jahrzehnts neue Epidemien durch Europa
zogen, erwiesen sich anders als früher alle Lebensalter bis zum
80. Jahre disponirt; viele Geimpfte und fast alle über 30 Jahre
Alten waren immun; diese Letzteren hatten noch die Epidemien des
achtzehnten Jahrhunderts durchgemacht und waren früher schon
einmal pockenkrank gewesen. So lesen wir von Marseille, dass
dort im Jahre 1828 fast niemand nach dem 30. Lebensjahre er¬
krankte. Unter Jüngeren aber erkrankten viele Geimpfte, noch
mehr Ungeimpfte; es starben 45 von den Ersteren und über 1400
von den Letzteren; es lässt sich berechnen, dass auf 25 Ungeimpfte,
aber erst auf 1500 Geimpfte ein Todesfall vorkam. Wer schon
die Pocken gehabt hatte, war ziemlich sicher, denn es kam erst
ein Todesfall auf 12000 Geblätterte. —
Je älter das Jahrhundert wird, um so mehr häuft sich die Zahl
der Erwachsenen, welche, in der Jugend geimpft, ihre Empfänglich¬
keit für die Pocken wiedergewonnen haben. In den Epidemien der
vierziger Jahre erwiesen sich alle Altersstufen bis zum fünfzigsten
Jahre empfänglich; wenige erkrankten, welche älter waren; und
Digitized by
Google
158
in den siebenziger Jahren war die Empfänglichkeit in
allen Altersklassen verbreitet, da (abgesehen von den
ältesten Jahrgängen) in allen die früher schon Geblätterten in der
Minderzahl sich befanden.
Da unsere Kinder nicht mehr den einst gleichmässig wieder¬
kehrenden Seuchenzügen unterliegen, so sind wir heute, um Schutz
vor den Pocken zu besitzen, einzig und allein auf die Impfung an¬
gewiesen, auf Impfung und Wiederimpfung.
Niemand, dem diese Verhältnisse klar geworden, wird sich
wundern, dass die Pocken in diesem Jahrhundert von Epidemie zu
Epidemie mehr Todesfälle verschuldet, und dass stets mehr Erwachsene
unter den Erkrankten sich befanden. Man vertraute, soweit über¬
haupt geimpft wurde, überwiegend der einmaligen Impfung. Daher
war nicht zu erwarten, dass dieselben glücklichen Zustände beharrten,
wie jene des ersten Drittels dieses Jahrhunderts, als noch der grösste
Theil der Bevölkerung durchseucht war. So nahmen nach und
nach die Blattern ihre alte Bösartigkeit wieder an, und während in
den dreissiger Jahren von den Geimpften 1—3 °/o der Erkrankten
starben und noch bis 1864, als in Berlin beinahe 2 °/o aller Todes¬
fälle von den Blattern veranlasst waren, nur 4—5 Todesfälle auf 100
erkrankte Geimpfte gerechnet wurden, — starben in den Jahren
1870—1874 von den Geimpften 10, 15, hie und da selbst 20 °/o.
In dieser letzten heftigen Epidemie ist also die durchschnitt¬
liche und häufigste Höhe der Tödtlichkeit, welche ehemals die
Kinderpocken in Europa besessen, weit überschritten. Analysirt
man die einzelnen Seuchenausbrüche dieser letzten Pandemie, so
erwachsen zunächst für die Statistik grosse Schwierigkeiten, welche
wesentlich in der Unvollständigkeit des Materials bestehen. Für die
Ungeimpften ergibt sich fast überall in jeder Altersstufe eine ganz unge¬
wöhnliche Sterbehäufigkeit. Da angeblich von den erkrankten Unge¬
impften 30—70 °/o starben, so wird hierdurch die auch sonst be¬
gründete Annahme bestätigt, dass viele leichter erkrankte Ungeimpfte
nicht zur Kenntniss gelangten. Die einzige, aufs Genaueste so ausge¬
zählte Epidemie, dass alle Ansprüche der Statistik befriedigt sind, die¬
jenige der Stadt Chemnitz, ergibt für die Ungeimpften eine sehr viel
beträchtlichere Krankenzahl als für die Geimpften; sie ergibt ferner,
dass in Chemnitz, wo seit lange eine rührige gegnerische Agi¬
tation das Volk bethört hatte, verhältnissmässig sehr viel mehr
Kinder als anderwärts erkrankten. Von den ungeimpften Kindern
bis zu 10 Jahren, welche an den Pocken erkrankt waren, starben
nur 9 °/o, im Alter von 10—15 Jahren etwa 2 °/o; Verhältnisse,
welche denjenigen älterer Epidemien auffallend analog sind. Von
den erwachsenen Ungeimpften sind nach einer minimalen Be¬
rechnung 30 °/o der Erkrankten gestorben.
Digitized by
Google
159
Unter den geimpften Kindern bis zu zehn Jahren starb keines;
von den Erwachsenen wenige (Nr. 8).
Von besonderem statistischem Werthe aus jener Zeit sind La-
zarethberichte, weil in diesen die Pockenfklle, welche in einem
abgeschlossenen Ganzen ziemlich gleichaltriger und ziemlich gleich¬
artiger Individuen beobachtet werden, zur Verwerthung kommen.
Nach der Mittheilung des Abgeordneten von Puttkamer (Lyck),
für deren objective Richtigkeit derselbe bürgte, starben in den
Pockenlazarethen (Nr. 9):
Ungeimpfte
Geimpfte
Revaccinirte
in Münster
80 °/o
18 °/o
0 °/o
„ Posen
70 „
12 „
2 ,
„ Berlin,
Lazareth in der Paiissadenstr.
54 „
13 „
0 n
„ „ „ Eisenbahnstr.
70 „
16 „
4 „
„ im Zellengefängniss
66 „
15 ,
4 „
„ am Tempelhofer Ufer
81 „
14 „
9 „
Nach einem Berichte, welchen wir Dr. Thalmann über die
Erkrankungen von 536 Soldaten (Coblenz) verdanken (Nr. 10),
hatten
63 Geimpfte ohne Narben 1 ) eine Letalität von 17,8 °/o
338 „ mit „ „ „ „ 1,2 „
11 Wiedergeimpfte ohne Narben 1 ) eine Letalität von 18,2 °/o
39 » mit „ „ * » 0 „
Von 25 Ungeimpften starben 17; „ „ „ 68 „
In Bayern, wo die Impfung der einjährigen Kinder seit 1830
in rühmlicher Konsequenz durchgeführt war, gehörten in jener
grossen Epidemie der ersten 70 er Jahre unter 100 Todten der ersten
10 Lebensjahre 82 dem Säuglingsalter, also den Ungeimpften an;
von geimpften Kindern starben nur sehr wenige. Vom zwanzigsten
Jahre ab nahm daselbst die Zahl der Todten zu und stieg, auf die
gleiche Zahl der in jeder Altersklasse Lebenden berechnet, vom
zwanzigsten Jahre an bis zu der höchsten Altersklasse, welche
letztere überwiegend reich an Durchseuchten war.
Es starben (in Bayern) vom October 1870 bis Ende 1875 jähr¬
lich an Pocken von je 100000 in den einzelnen Altersklassen
Lebenden (Nr. 11):
von
0-1
Jahr
232
n
1-5
V
10
7 ?
5-10
r>
3
1)
10—20
r>
6
V
20-30
n
25
0 Also schlecht Geimpfte!
Digitized by ^.ooQle
160
von
30—40 Jahr
35
40—50 „
54
rt
50—60 ,
69
?>
60—70 ,
82
»
70 Jahren und darüber
50
Ausserordentlich viel höher waren in derselben Pandemie die
Blattern-Todeszahlen in Berlin. Während in ganz Bayern mit
fünf Millionen Einwohnern in den Jahren 1871 bis einschliesslich
1874 9167 Menschen an den Pocken starben, betrug in demselben
Zeiträume die Todeszahl allein in Berlin mit 900000 Einwohnern 6538.
In den vier Epidemiejahren starben somit in Berlin, auf die gleiche
Einwohnerzahl berechnet, viermal soviel Menschen als in Bayern.
Bekanntlich war — anders als in Bayern — in Preussen die
Impfung in starken Verfall gerathen, und selbst nach der Schulzeit
blieben nicht wenige ungeschützt. In Berlin starben an den
Pocken (von Januar 1871 bis Juli 1872), auf den Zeitraum eines
Jahres und auf 100000 Lebende der einzelnen Altersklassen be¬
rechnet (Nr. 12):
von
0-1
Jahr
4414
»
1—2
2032
n
2—3
1484
ff
3-4
1122
»
4-5
ff
737
ff
5—10
276
ff
10—15
59
»
15-20
124
»
20—30
233
ff
30-40
ff
362
»
40—50
ff
485
ff
50-60
769
ff
60—70
»
597
»
70 Jahren und darüber
206
In Berlin nahm die relative Zahl der Todten jenseits des
60. Lebensjahres wieder ab, in Bayern jenseits des 70. Jahres, weil
in diesen höheren Altersstufen aus den früheren (in Berlin zahl¬
reicheren) Epidemien Geblätterte in verhältnissmässiger Ueberzahl
vorhanden waren.
Aber nicht bloss die Mortalität wuchs vom 15. Lebensjahre ab,
sondern auch die Letalität, die Gefährlichkeit der Blattern; d. h. es
starben vom 15. oder 20. Jahre ab von 100 Erkrankten in jeder
einzelnen Altersstufe mehr und mehr, bis in der höchsten das
Maximum erreicht war. Während unter den jüngeren, erfolgreich
Geimpften nur verhältnissmässig wenige der Erkrankten den Blattern
erlagen, wurden für Dreissigjährige an vielen Orten schon 4—6, für
Digitized by
Google
161
Vierzigjährige 6—10 und für Aeltere selbst 15 und darüber bis zu
20—25 Todten auf 100 erkrankte Geimpfte gezählt.
Wie man sieht, waren für viele ältere Geimpfte die Blattern
wieder zu einer deletären Krankheit geworden, und dennoch wurden
nirgendwo die enormen Sterbeziffern erreicht, welche den unge¬
schützten Erwachsenen eigen sind. So zahlreich daher auch
unter den älteren Geimpften Todesfälle vorkamen, so war dennoch
für viele der Erkrankten ein beträchtlicher Rest von Impfschutz
zurückgeblieben, welcher ihnen wenigstens das Leben erhielt und
vielen die Krankheit relativ leichter gestaltete.
Die Zahlen lehren uns, was davon zu halten ist, wenn un¬
wissende Impfgegner meinen und dem Volke erzählen, die Pocken
wären bei der modernen Behandlung eine leichte Erkrankung.
Sie zeigen uns zugleich, dass die einmalige Jugendimpfung,
wie sie z. B. in Bayern seit 1830 geübt wurde, nicht ausreicht, um
den Erwachsenen einen hinlänglichen Schutz zu gewähren. Um
auch diese mehr zu schützen, ist die Wiederimpfung erforder¬
lich. Das deutsche Impfgesetz, welches seit dem Jahre 1875,
also zwei Jahrzehnte, in Kraft ist, schreibt bekanntlich für alle
Kinder die Erstimpfung vor Ablauf des auf die Geburt folgenden
Kalendeijahres, die Wiederimpfung aber nur für Schulkinder in
dem Jahre vor, in welchem sie das zwölfte Lebensjahr vollenden.
Dieses Gesetz ist für die deutschen Bevölkerungen zu einem bei¬
nahe unerwarteten Segen geworden. Das deutsche Reich tritt durch
die Seltenheit der Pocken seit 1875 auffallend aus dem Rahmen der
europäischen Länder heraus.
Der bedeutende Einfluss, den dieRevaccination ausübt, war
übrigens gerade für Preussen schon völlig erwiesen durch die
günstigen Erfolge der Allerhöchsten Cabinets ordre vom
16. Juni 1834, durch welche die Impfung, bez. Wiederimpfung
aller Rekruten der preussischen Armee, die die Blattern nicht ge¬
habt und in den letzten zwei Jahren nicht geimpft waren, ange¬
ordnet wurde.
Nachdem bis zum Jahre 1834 (von 1825 ab) jährlich 10 bis
75 auf 100000 Soldaten an den Pocken gestorben waren, sank schon
in den Jahren 1835 und 1836 die Mortalität auf 3,7 und 6,9 von
je 100000 Mann. In den folgenden Jahren starben nur Vereinzelte,
selbst in dem Kriegs- und Epidemiejahre 1866 nur acht Mann.
Während des französischen Feldzuges — unter den so besonders
schwierigen Verhältnissen —starben (von Juli 1870 bis Juni 1871)
nur 164 preussische Soldaten an den Pocken. „Mitten in dem
Seuchenherde“, so äussert sich der officielle Bericht, „stand die
deutsche Armee nur wenig berührt von der ringsum wüthenden
Krankheit, wehrhaft auch diesem Feinde gegenüber, welchem das
Centralblatt f. allg. Oeenndbeitepfiege. IV. Jabrg. 12
Digitized by ^.ooQle
162
Heimathland leider ebenso wie Frankreich und dessen Heer unter¬
lag“ (Nr. 13).
In der französischen Armee hatte es schon in den vier
Friedensjahren 1866—1869 380 Pockentodte gegeben. Während des
Krieges sollen die Franzosen über 23000 Mann an den Pocken ver¬
loren haben. Dagegen waren die deutschen Opfer an Ruhr und
Typhus sehr erheblich, nicht weniger zahlreich als die der
Franzosen.
Seit dem Feldzuge sind in der deutschen Armee nur noch ganz
vereinzelte Todesfälle durch Pocken vorgekommen.
Dagegen starben in der französischen Armee von 1872 bis
1881 jährlich 14 bis 127 (d. i. 3,3 bis 28,2 auf je 100000 Mann);
in der österreichischen Armee nach der im Jahre 1874 abge¬
laufenen Epidemie von 1875 bis 1886 jährlich 20 bis 77 Mann, d. i.
7,7 bis 27,7 auf je 100000 Soldaten.
Diese Unterschiede lassen sich nur durch die Verschiedenheiten
im Impfzustande der Armeen erklären.
Untersuchen wir nun, welche Vortheile die gesammte Be¬
völkerung dem deutschen Reichs-Impfgesetze vom 8. April 1874
verdankt, so ist Folgendes zunächst zu erwägen. Da die Impfungen
in der Regel in den Monaten Mai bis September ausgeführt werden,
so sind stets alle Kinder unter vier, meist auch alle unter sechs
Monaten ungeimpft; in den ersten Monaten jedes Jahres sind auch
von den 6—16 Monate alten Kindern fast alle ungeimpft; im
weiteren Verlauf des Jahres sind die in dem letzteren Geborenen
ungeimpft. Viele Kinder werden auch wegen Schwächlichkeit oder
aus sonstigen Veranlassungen erst in einem späteren Alter, im
zweiten oder dritten Lebensjahre geimpft. Alle diese Kinder bilden
jetzt die Hauptmasse der Ungeimpften in den deutschen Bevölke¬
rungen, und eben diese stellten die Ungeimpften in denjenigen
Ländern und Bezirken dar, in welchen schon vor 1875 eine obli¬
gatorische Jugendimpfung stattfand. Die Wiederimpfung der elf-
bi8 zwölfjährigen Schulkinder gewährt vor allem den grossen Vor¬
theil, dass viele früher mit weniger gutem Erfolge geimpften, viel¬
leicht auch aus irgend welchen Gründen der Impfung entzogenen
Kinder jetzt eines neuen Schutzes theilhaftig werden. Inwieweit
Erst- und Zweitimpfung zusammen Schutz gewähren gegen die nach
dem 15. Lebensjahre schrittweise immer mehr sich steigernde Pocken-
Empfänglichkeit, diese Frage konnte nur durch die Erfahrung ent¬
schieden werden, und wir werden gleich die in den letzten zwanzig
Jahren gewonnenen Erfahrungen darzulegen haben. Nicht minder
ist es lediglich Sache der Erfahrung, zu entscheiden, ob die jetzt
beinahe allgemein durchgeführte Impfung mit animalem, d. i. vom
Digitized by
Google
163
Thiere (Kalbe) gewonnenem Impfstoffe die gleichen günstigen Erfolge
gewährleistet, wie die Impfung mit Menschenlymphe.
Wir werfen nun einen Blick auf die Pockenereignisse eines
Landes, welches — wie Bayern — schon vor Erlass des deutschen
Impfgesetzes durch die obligatorische Durchführung einer einmaligen
Impfung sich auszeichnete (Nr. 14).
Im Königreich Bayern
pocken:
in den Jahren: I
1857/58
316
1858/59
193
1859/60
131
1860/61
73
1861/62
121
1862/63
111
1863/64
108
1864/65
221
1865/66
557
1866/67
1210
1868
917
1869
487
1870
164
1871
5070
1872
2992
1873
869
1874
236
starben an Menschen-
in den Jahren nach Erlass des
deutschen Impfgesetzes:
1875
87
1876
67
1877
88
1878
69
1879
26
1880
62
1881
77
1882
67
1883
35
1884
8
1885
17
1886
7
1887
10
1888
21
1889
29
1890
8
1891
4
1892
3
In den 18 Jahren vor Einführung des deutschen Impfgesetzes
blieb in Bayern kein Regierungsbezirk von der meist aus Oester¬
reich gekommenen Seuche verschont. „Ein besonderes schlimmes Ver-
hängniss waltete über den Bezirken, die solchen Ländern angrenzen,
in welchen der staatliche Impfzwang nicht besteht. Stets von aussen
bedroht und immer wieder von den Pocken heimgesucht, forderte
und fand dort beständig diese verderbliche Krankheit ihren Tribut“
— zumal unter Ungeimpften und älteren Geimpften.
Berechnet man die Blattern-Sterbefklle in Bayern auf je 100000
Einwohner, so erhalten wir folgende Tabelle:
Auf je 100000 Einwohner starben in den Jahren
vor Einführung nach Einführung
des deutschen Impfgesetzes:
1857/58
6,8
1875
1,7
1858/59
4,1
1876
1,3
1859/60
2,8
1877
1,7
12*
Digitized by
Google
164
vor Einführung nach Einführung
des deutschen Impfgesetzes:
1860/61
1,5
1878
1,3
1861/62
2,5
1879
0,5
1862/63
2,3
1880
1,2
1863/64
2,3
1881
1,4
1864/65
4,6
1882
1,2
1865/66
12,0
1883
0,6
1866/67
25,0
1884
0,1
1868
18,8
1885
0,3
1869
10,9
1886
0,1
1870
3,4
1887
0,1
1871
104
1888
0,3
1872
62
1889
0,5
1873
18
1890
0,1
1874
5
1891
0,07
1892
0,05
Durchschnittlich starben in Bayern an den Pocken in den
letzten 18 Jahren vor Einführung des deutschen Impfgesetzes jähr-
lieh 159 auf eine Million Einwohner, in den 18 Jahren nach der
Einführung jährlich 7.
Dieser ausgezeichnete Erfolg zeigte sich in einem Lande, wel¬
ches die Vortheile der einmaligen Zwangsimpfung schon längere
Zeit zu eigen hatte.
In Preussen dagegen war das Impfwesen bis zum Jahre 1874
durch die Allerhöchste Cabinetsordre vom 8. August 1835 geregelt,
durch welche im Allgemeinen vortreffliche „sanitätspolizeiliche Vor-
Schriften (Regulativ) bei ansteckenden Krankheiten“ gegeben waren.
Hiernach war in pockenfreien Zeiten Niemand gezwungen, sich oder
seine Kinder impfen zu lassen. Die Impfung wurde nur dringend
empfohlen; die zuständigen Beamten werden angewiesen, die Im¬
pfungen so viel als möglich zu fördern. Hierzu sollten alljährlich
oder öfters öffentliche Gesammtimpfungen vorgenommen werden.
Zur Aufnahme in die Schulen oder in andere private und öffentliche
Anstalten wurde vielfach der Nachweis der stattgehabten Impfung
erforderlich gemacht. Polizeiliche Strafe sollte Diejenigen treffen,
deren Kinder bis zum Ablauf des ersten Lebensjahres ungeimpft
geblieben und demnächst von den Pocken befallen waren.
Dem Impfzwange unterlagen die ungeimpften Individuen eines
Hauses, in welchem ein Fall von Pocken vorgekommen war.
Die nach diesem Regulativ jährlich für die jüngsten Kinder
veranstalteten öffentlichen Impftermine wurden in den verschiedenen
Gegenden des Königreichs und zu verschiedenen Zeiten mit sehr
ungleichmässiger Regelmässigkeit wahrgenommen.
Digitized by ^.ooQle
165
Für den hiesigen Kreis erweisen die Akten, dass die Behörde
ihre volle Aufmerksamkeit und Fürsorge dem Impfwesen zuwandte.
Doch gibt es auch hier Ortschaften, die gelegentlich durch ihr ge¬
ringes Interesse am Impfwesen besonders auffielen, deren Ortsvor¬
steher die Termine nicht gehörig bekannt machten, und öfters wird
über die noch immer herrschende Intoleranz gegen die Impfung
geklagt
Wesentlich schlimmer lagen die Dinge in anderen Regierungs¬
bezirken. So wurde noch im Jahre 1871 gerügt, dass in den
Qeneralimpftabellen mehrerer Regierungen eine grosse Zahl von
ungeimpften Kindern sich fand, welche seit einer langen Reihe von
Jahren fortgeführt war. Der Minister forderte eine unausgesetzte
strenge Beförderung der Impfungen, indem er zugleich anordnete, dass
die bis zum Ablauf ihres dritten Lebensjahres ungeimpft gebliebenen
Kinder endgültig aus den Listen zu löschen wären (Nr. 15).
Eine allgemeine gesetzliche Grundlage erhielt der Impfzwang
in Preussen erst durch das deutsche Impfgesetz.
Sehen wir nun, wieviel Opfer die Pocken in den letzten vierzig
Jahren im Königreich Preussen forderten, so erhalten wir folgende
Zahlen (Nr. 16):
Es starben an den Pocken, auf,je 100000 Einwohner
berechnet:
im
Jahre 1855
9,7
im
Jahre 1875
3,6
V
n
1856
7,3
rt
rt
1876
3,1
7)
rt
1857
13,3
rt
rt
1877
0,8
1)
V
1858
26,4
rt
rt
1878
0,7
rt
rt
1859
19,6
rt
V
1879
1,3
r >
rt
1860
18,9
rt
rt
1880
2,6
rt
rt
1861
30,2
V
rt
1881
3,6
V
V
1862
21,1
V
rt
1882
3,6
rt
rt
1863
33,8
rt
rt
1883
2,0
rt
rt
1864
46,2
rt
rt
1884
1,4
n
rt
1865
43,8
rt
rt
1885
1,4
rt
rt
1866
62,0
rt
n
1886
0,5
rt
rt
1867
43,2
V
rt
1887
0,5
n
rt
1868
18,8
rt
rt
1888
0,3
rt
V
1869
19,4
tt
V
1889
0,5
rt
rt
1870
17,5
tt
V
1890
0,1
rt
rt
1871
243,2
rt
rt
1891
0,09
rt
rt
1872
262,4
V
V
1892
0,3
rt
rt
1878
35,6
tt
rr
1893
0,4
rt
rt
1874
9,5
Digitized by CnOOQle
166
Uns in Preussen ist, wie man sieht, aus dem Impfgesetz ein
um so grösserer Segen erwachsen, als (theilweise in Folge des
Verfalls der Impfungen) die Pockensterblichkeit bis 1874 wieder
erheblich angestiegen war. In den letzten 20 Jahren vor 1875
waren jährlich im Durchschnitt etwa 491 Menschen (also sehr viel
mehr als in Bayern) auf je 1 Million Einwohner an den Pocken
gestorben; in den letzten 19 Jahren starben im Durchschnitt nur
14 auf 1 Million Einwohner jährlich. Seit 1875 hat in Preussen
die Pockensterblichkeit einen so niedrigen Stand wie niemals vorher*
Es ist zwar richtig, dass nach jeder grossen Epidemie, wie solche in
Preussen in den Jahren 1871 und 1872 geherrscht hat, in Folge
starker Durchseuchung der Bevölkerung ruhigere Zeiten kommen,
und man hat hierauf die geringeren Todtenzahlen für das Jahr 1874
zurückzuführen. Gleichwohl lehrt die obige Tabelle, dass gerade in
den letzten zehn Jahren dauernd Wenige den Blattern erlagen,
weniger als in den ersten zehn Jahren nach jener grossen Epidemie:
hierin ist unzweideutig eine Wirkung der Zwangsimpfung und
-Wiederimpfung zu erkennen.
Nach den uns vorliegenden Zahlen sei noch angeführt, dass im
ganzen Deutschen Reiche in den letzten acht Jahren (bis einschL
1893) auf je eine Million Einwohner durchschnittlich jährlich 2,68
Todesfälle an den Pocken sich ereigneten, das sind auf 50 Millionen
Einwohner 134 Pockentodte (Nr. 17).
Seit dem Jahre 1886 werden zufolge der Beschlüsse des
deutschen Bundesrathes vom 18. Juni 1885 aus sämmtlichen deutschen
Bundesstaaten und aus Eisass - Lothringen Meldekarten über die
Pocken-Todesfälle — und zwar nach einem vom Bundesrathe fest¬
gesetzten Schema — an das Kaiserliche Gesundheitsamt eingesandt
Hierdurch ist eine statistische Uebersicht gewonnen, welche bisher
u. A. gelehrt hat, dass es im Deutschen Reiche nur ausnahmsweise
zu einer grösseren Verbreitung der Seuche an einem Orte kam, und
dass überwiegend die meisten Todesfälle in den Grenzbezirken
des Reiches sich ereignen.
Obwohl auch in den Nachbarländern nach der grossen
Pandemie der ersten siebziger Jahre zuvörderst ein gewisser
Nachlass in der Verbreitung der Pocken folgte, erlitten hier die
mangelhaft geimpften Bevölkerungen doch seit langem wieder hohe
Verluste. So starben in den österreichischen Ländern seit
1875 bis 1884 jährlich 402 bis 984 Personen auf eine Million
Einwohner, und sehr verbreitet blieben die Pocken dauernd im
russischen Reiche.
Während in Berlin von 1876—1886 jährlich nur 0,7 bis
höchstens 47 auf je eine Million Einwohner an den Pocken starben,
erlagen ihnen in Paris in keinem dieser Jahre weniger als 36, in
Digitized by
Google
167
dem höchst belasteten 1035; und es betrugen in Wien die Opfer
jährlich zwischen 97 und 1796, in Petersburg (von 1878—1886)
jährlich 116 bis 1449, in Prag von 555 bis 3958 — immer auf je
eine Million Einwohner. Und auch in der neuesten Zeit blieben
die deutschen Grossstädte dauernd fast frei von den Pocken, während
die des Auslandes häufige Verwüstungen erfuhren.
Nur in denjenigen fremden Ländern, die sich ebenfalls eines
(einmaligen) Impfzwanges erfreuen, wie Schweden, England und
Dänemark, verharren die Pockenzahlen auf einer verhältnissmässig
niedrigeren Stufe. So starben in England in den Jahren von
1873—1884 in keinem Jahre mehr als 188, meist sehr viel weniger
— bis 25 und 24, in Schweden (von 1876—1883) jährlich 27 bis
136 auf je 1 Million Einwohner (Nr. 18).
Nach den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge¬
sundheitsamtes, welchem aus allen (über 200) deutschen Städten
mit 15000 und mehr Einwohnern wöchentliche, bez. monatliche
Nachweise über die Sterblichkeitsvorgänge zugehen, starben in diesen
Städten (mit etwa 12V2—lS 1 /^ Millionen Einwohnern):
im
Jahre 1887
50
»
n
1888
46
n
71
1889
54
n
T»
1890
34
n
J!
1891
28
71
n
1892
45
r>
r*
1893
38
1 »
71
1894
6
Personen an den Pocken.
Vergleicht man mit diesen günstigen Zahlen die Pockentodes-
fhlle für solche ausländische Städtegruppen, in denen anscheinend
eine besonders genaue Registrirung der Todesursachen stattfindet
und regelmässig veröffentlicht wird, so ergibt sich folgende Tabelle:
Es starben an den Pocken auf je 1 Million Einwohner:
in den Jahren
1886—1889
in den mehr als 200 grösseren Städten des
DeutschenReichs 4,6
„ den 28 grössten Städten Englands 27,2
„ 66 grossen Städten Belgiens 152,4
„ den grössten Städten Frankreichs 367,7
„ 57 grösseren Städten Oesterreichs 419,3
„ 69 grossen Städten Italiens 558,1
„ 12 grösseren Städten Ungarns 1016
Aehnlich lauten die Nachrichten aus den folgenden Jahren.
Während im Jahre 1894 in allen deutschen Städten mit mehr als
Digitized by
Google
168
15000 Einwohnern (auf 13V2 Millionen) überhaupt nur 6 Personen
an den Pocken starben, entfielen auch im Jahre 1893 auf die
Städte
Ungarns etwa 4 mal
der Schweiz „ 8 „
Italiens „ 15 „
Englands „ 24 „
Frankreichs „ 34 „
Oesterreichs „ 67 „
Belgiens „ 158 „
so viel Todesfälle als auf die deutschen Städte.
Im Jahre 1893 starben an den Pocken in Bordeaux 74, in
Brüssel 19, in Genua 11, in London 206, in Krakau.161, in Madrid
274, in Moskau 120, in Odessa 89, in Paris 256, in Prag 126, in
Triest 203, in Warschau 455, in Wien 36 Menschen.
Dagegen starben zu derselben Zeit: in Danzig 5, in Düsseldorf 1,
in Frankfurt a. M. 5, in Leipzig 1, in Hamburg 3; in allen anderen
Grossstädten des Deutschen Reiches mit 50000 und mehr Ein¬
wohnern Niemand (Nr. 19).
Diesen Zahlen gegenüber kann Niemand sich vor der Aner¬
kennung des hygienischen Triumphes, den das Impfgesetz im
Deutschen Reiche errungen hat, verschliessen. Noch günstiger als
bisher würden die Verhältnisse sich gestalten, wenn auch unsere
Nachbarländer zur Einführung des Impf- und Wiederimpfzwangs
sich aufrafften. Da es niemals gelingen kann, eine vollständige und
absolute Pocken-Immunität unserer gesammten Bevölkerung herzu¬
stellen, so bleiben wir, zumal an den Grenzen, immerhin beständig
bedroht. So starben in den 15 Regierungsbezirken an der östlichen
Grenze des Reiches in den 4 Jahren von 1886 bis 1889 zusammen
554 (= jährlich 10 auf 1 Million Einwohner), zur selben Zeit in
allen übrigen Theilen des Deutschen Reiches 128 (= jährlich 0,9
auf 1 Million Einwohner). In derselben Zeit starben allein in
Warschau mehr als doppelt so viel Personen an den Pocken als
im ganzen Deutschen Reiche, nämlich 1876, d. i. durchschnittlich
jährlich 469. Auf je 1 Million Einwohner starben jährlich an
den Pocken in den meist betroffenen östlichen Grenzbezirken des
Deutschen Reiches 10, dagegen in der benachbarten russischen Stadt
Warschau 1050. Wir erkennen hieraus die hundertfach geringere
Gefahr, die uns selbst im deutschen Osten im Vergleich zur
russischen Bevölkerung durch die Pocken droht; wir ersehen aber
zugleich, wie in Folge des ungehinderten Verkehrs für unsere Gegen¬
den eine hohe Gefahr der Einschleppung beständig vorhanden ist
(Nr. 20).
Digitized by ^.ooQle
169
Da die Erfahrungen auch der letzten Jahre immer wieder be¬
stätigten, dass dem deutschen Osten aus den jenseits der russischen
und österreichisch-ungarischen Grenze andauernden Epidemien die
Pocken häufig zugetragen werden, so ordnete der Herr Minister der
Medicinalangelegenheiten im Juni 1894 an, dass die in den östlichen
Bezirken beschäftigten oder neu eintreffenden russisch-polnischen,
•bez. galizischen Arbeiter hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes
polizeilich überwacht und eventuell sofort der Impfung unterworfen
werden. — Naturgemäss ist oft genug durch die Pocken des Aus¬
landes auch das deutsche Binnenland bedroht. So war eine Pocken¬
epidemie, die im Jahre 1893 in Frankfurt a. M. und‘Umgebung
herrschte und fünf Todesfälle verursachte, nachweislich durch rus¬
sisch-polnische Arbeiter eingeschleppt, von denen einer schon am
Tage nach der Ankunft an den schwarzen Blattern erkrankte
(Nr. 21). Wenn es bisher noch immer gelang, die weitere Pocken¬
verbreitung ziemlich bald zu verhindern, so verdanken wir dies
wesentlich der Impfung, sowohl den vorhergegangenen Impfungen,
welche eine im Allgemeinen herabgesetzte Empfänglichkeit der Be¬
völkerung für die Pocken schafften, wie auch den stets dringend
sofort zu empfehlenden neuen Impfungen, denen zumindest die un¬
mittelbar bedrohten Personen zu unterwerfen sind. Dass hierneben
weder die Isolirung der Kranken noch die Desinfection vernachlässigt
werden dürfen, sei nur angedeutet.
Der Verfasser dieser Zeilen hat sowohl im Kreise Tilsit, wie
mehr noch im Kreise Heydekrug eine Anzahl von Pockener¬
krankungen beobachtet, die stets ihre ursprüngliche Quelle in Russ¬
land hatten. Mehrfach blieben solche Fälle vereinzelt Der durch
die gute Impfung gewährte Schutz leuchtete immer wieder aufs Neue
hervor. Die ungeimpften Kinder waren hart bedroht, die ge¬
impften erkrankten selten und leicht. Aber auch Personen, die an¬
geblich revaccinirt waren, erkrankten gelegentlich und zumal ein¬
zelne ältere Personen schwer. — Wie grossen Schutz die Impfung
gewährt, lehrte u. A. folgende Beobachtung. In einem Dorfe R. er¬
krankte in einem abgelegenen Hause ein etwa 18 Jahre altes Dienst¬
mädchen, dessen Irapfzustand nicht sicher festzustellen war, schwer
an den Pocken; die andern Hausbewohner blieben gesund; das
Mädchen ist später genesen. Die Nachforschung nach dem Ur¬
sprung dieses zuerst gemeldeten Falles ergab, dass kurz vorher in
einem Hause an der Dorfstrasse — gegenüber der Schule — ein
acht Jahre alter, als Säugling geimpfter Knabe an den Pocken leicht
erkrankt war. Als ich ihn sah, fanden sich an der Körperober¬
fläche zahlreiche frische oberflächliche Pockennarben. Die Mutter
dieses Knaben verrichtete Hofarbeit in jenem Hause, dessen Dienst¬
mädchen, wie erwähnt, erkrankt war: ein Fall zweifelloser Ver-
Digitized by
Google
170
Schleppung durch einen Gesunden. Woher die Krankheit des
Knaben stammte, war nicht festzustellen; das Dorf R. liegt an der
Hauptkunststrasse, die von der russischen Grenze nach Tilsit ftlhrt;
wir hatten sonst in unserer Gegend keine Pocken. Das Bemerkens-
werthe des Falles liegt darin, dass der Knabe ohne jede Abson¬
derung, an einer verschleppbaren Krankheit leidend, in einem Hause
krank lag, das von mehreren kinderreichen Familien bewohnt war.
Keines dieser Kinder war ungeimpft, wie auch die Erwachsenen
theils einmal, theils mehrmals geimpft waren. Hier wäre ohne den
Impfschutz nach allen sonstigen Erfahrungen zumindest eine Haus¬
epidemie zu befürchten gewesen. Es sei hinzugefügt, dass wir
ausser andern Maassregeln sogleich einen öffentlichen Impftermin
veranstalteten und dessen Benutzung empfahlen; allgemeine Zwangs¬
impfungen waren vorgesehen, falls eine weitere Pockenverbreitung
erfolgen sollte. In dem Termin meldeten sich, wie nebenbei be¬
merkt sei, fast nur weibliche Personen jüngeren Alters zur Impfung.
Es ereignete sich kein neuer Fall. —
Fassen wir alles Obige zusammen, so fanden wir die Wirkung der
Impfung als eines Schutzmittels gegen die Menschenpocken erwiesen
durch das Experiment und bestätigt durch die besonderen Eigentüm¬
lichkeiten der Pockenverbreitung in diesem Jahrhundert. Die Wir¬
kungen des Impfzwanges sahen wir u. A. durch die verhältniss-
mässig günstigere Lage erwiesen, in welcher beispielsweise Bayern
gegenüber den andern Ländern sich befunden hat. In besonders
günstigem, beinahe pockenfreiem Zustande erweist sich seit etwa
20 Jahren das Deutsche Reich, in welchem seit ebenso langer Zeit
ein gesetzlicher Zwang zur Impfung und Wiederimpfung besteht
Die Erfahrungen lehren, dass, um die Empfänglichkeit der Be¬
völkerung dauernd auf einem möglichst niedrigen Stande zu erhalten,
jede Einzelimpfung und jede Wiederimpfung mit besonderer Sorg¬
falt, mit möglichst ausgiebigem Erfolge zu bewirken sind. Tritt
ein Pockenfall auf, so sind alle der Ansteckungsgefahr ausgesetzt
gewesenen Personen alsbald zu impfen, bez. wiederzuimpfen. Wir
müssen ja immer daran festhalten, dass nicht erwartet werden kann,
dass alle Geimpfte einen absoluten Schutz gegen die Pocken be¬
sitzen; die Impfung vermag immer nur einen bald grösseren, bald
geringeren Antheil der Empfänglichkeit zu löschen; jede neue
Impfung wird aber sehr oft voraussichtlich den bereits vorhandenen
Schutzgrad erhöhen. Besonders sollten in der Zeit der Gefahr die
Erwachsenen die Wiederimpfung nicht versäumen; denn die Er¬
wachsenen sind durch die Pocken vermöge ihrer hohen natürlichen
Empfänglichkeit fast immer besonders heftig bedroht, und je älter
wir werden, um so dringender ist dies zu beherzigen.
Digitized by
Google
171
Nachdem durch die beständige Fürsorge, welche die Behörden
der Regelung des Impfwesens zugewandt haben, die Gefahren der
Impfung auf ein Minimum geschwunden sind, ist der Widerspruch,
wie solcher, wenn auch vereinzelt, doch immer wieder aufs Neue
dem Impfgesetze entgegengesetzt wird, als thöricht, als kurzsichtig
oder doctrinär zu bezeichnen. Zumal die Agitation gegen das
Impfgesetz, welche die segensreichste, wirkungskräftigste Maassregel
der neueren Gesundheitspflege in Frage zu stellen geeignet ist, kann
der Einsichtige nur als ein frevelhaftes Aufsspielsetzen zahlreicher
Menschenleben beurtheilen.
Litteratur.
Nr. 1. Dr. S. Wolffberg, Privatdocent in Bonn, Ueber
den Einfluss des Lebensalters auf die Prognose der
Blattern, sowie über die Andauer des Impfschutzes.
Ergänzungshefte zum Centralblatt für allgemeine Gesund¬
heitspflege. Bd. I, S. 1 ff., 15, 16. 1883.
Zu den im Texte angeführten Zahlen vergl. Juncker's
(Prof, zu Halle) Archiv der Seelsorger und Aerzte
wider die Pockennoth. Erstes bis sechstes Stück. 1796 ff.
Nr. 2. Beiträge zur Beurtheilung des Nutzens der
Schutzpockenimpfung. Bearbeitet im Kaiserlichen Gesund¬
heitsamte. Berlin, Julius Springer, 1888. S. 102.
Nr. 3. Bernhard Christoph Faust, Dr., Gräfl. Schaumburg-
Lippischer Hofrath und Leibarzt u. s. w., Gesundheits-
Katechismus zum Gebrauch in den Schulen und beim häus¬
lichen Unterrichte. Preis 2 g. Gr. und in Lateinischer Sprache
3 g. Gr. Neunte Auflage. Leipzig, P. G. Kummer, 1802.
S. S. 142: 419. Frage: „Welches war der unvergessliche Tag, an
welchem Eduard Jenner die ersten Kuhpocken einimpfte?“
„Der vierzehnte Mai im Jahre 1796.“
420. „Sollten alle Völker diesen Tag feiern?“
„Ja, alle Völker sollen den vierzehnten Mai heilig halten,
feiern und Gott für die Kuhpocken und die Errettung von den
Blattern danken.“
Nr. 4. Historisches Tagebuch der Stadt Tilse vom
17. December 1812 bis zum 3. August 1814 geführt von dem
Stadtsekretär Salchow. Zum Druck befördert von Dr. Ru¬
dolph Thimm. Beiträge zur Geschichte von Tilsit, n. Tilsit,
1893. Kommissionsverlag von Wilh. Lohauss. — S 27. —
Nr. 5. Dr. Adolph Friedrich Lliders, Versuch einer
kritischen Geschichte der bei Vaccinirten beob-
Digitized by
Google
172
achteten Menschenblattern. Altona, Hammerich, 1824.
S. S. 183:
„ . . Diese Impffeste auf dem Lande . . . wenn nicht die
Mütter sich, wenigstens hier zu Lande, mit Begierde hinzudrängten,
ihren Kindern die Wohlthat der Vaccination zu verschaffen.“
Nr. 6 . Dr. S. Wolffberg, Ueber die Impfung. Berlin SW.,
1884, Verlag von Carl Habel. — S. 29. —
Nr. 7. Dr. S. Wolffberg, Untersuchungen zur Theorie
des Impfschutzes, sowie über die Regeneration der
Pocken an läge. Ergänzungshefte zum Centralblatt für allge¬
meine Gesundheitspflege. Bd. I, S. 183 ff.
Nr. 8. S. Nr. 6. S. 29 ff.
Zu der Edinburger Epidemie vergl. John Thomson, An
account of the varioloid epidemic etc., London 1820;
zu der Epidemie im Ruppin'schen Kreise und zu der von Mar¬
seille Nr. 1, S. 29, 30; zu der Epidemie von Chemnitz 1870/71
die mu8tergiltige Arbeit von Max Flinzer in: Mittheilungen
des statistischen Bureaus der Stadt Chemnitz. Erstes Heft.
Chemnitz, Focke, 1873.
Nr. 9. Das Reichs-lmpfgesetz. Dargestellt von Dr. C. Ja-
cobi und Dr. A. Guttstadt. 2. Ausgabe. Berlin 1876, Kort-
kampf. S. 45.
Nr. 10. Thalmann, Ueber den Werth der Impfung.
Inaugural-Dissertation. Greifswald, 1871.
Nr. 11. Dr. Th. Lotz, Physikus in Basel. Pocken und Vac¬
cination. Zweite Auflage. Basel, Schwabe, 1880. — S. 136.
— Die Quelle ist die Zeitschrift des k. bayrischen statistischen
Bureaus. —
Nr. 12. S. Nr. 11. S. 91.
Nr. 13. S. Nr. 2, S. 23, 24, 119. Der hier citirte Bericht ist
der VI. Band des Sanitätsberichts über die deutschen
Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/71 (Die
Pocken bei den deutschen Heeren u. s. w.); Berlin 1885.
Nr. 14. Vergl. die statistisch-hygienische, auf amtlichen Quellen
beruhende Studie von Dr. Friedrich Böhm (Neu-Ulm), Die
Pockensterblichkeit in Bayern in den Jahren 1857/58
bis 1892. Münchener medicinische Wochenschrift, 1895, Nr. 37, 38.
Nr. 15. S. Nr. 2, S. 114.
Nr. 16. Bis zum Jahre 1886 entstammen die Zahlen den unter
Nr. 2 genannten „Beiträgen“; für die späteren Jahre den
„Arbeiten“ und den „Medicinal-statistischen Mitthei¬
lungen“ aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Die absoluten
Zahlen für die Pockentodesfälle in Preussen lauten für die Jahre
1887—1893: 145, 80, 157, 36, 26, 91, 136.
Digitized by ^.ooQle
173
Nr. 17. Dr. Kübler, Ergebnisse der amtlichen Pocken¬
todesfallstatistik im Deutschen Reiche vom Jahre
1893. Medicinal«statistische Mittheilungen aus dem Kaiserlichen
Gesundheitsamte, II. Band, 2. Heft, Berlin, Springer, 1895. S. 205.
Von besonderem Interesse sind die nachstehenden, der
„ Preussis chen Statistik“ entnommenen jährlichen Zahlen
der Todesfälle an Blattern bei Kindern von 5—10 Jahren,
die wir nach Dr. Kübler (Statistisches zur Wirkung
des Impfgesetzes, Deutsche mediz. Wochenschrift, 1896,
Nr. 4) anführen. Dieselben betrugen in den Jahren:
1875
95
1885
40
1876
66
1886
9
1877
8
1887
7
1878
19
1888
3
1879
34
1889
11
1880
85
1890
1
1881
103
1891
1
1882
112
1892
7
1883
32
1893
8
1884
35
Bis zum Jahre 1884 waren in der Klasse der Fünf- bis Zehn¬
jährigen solche Kinder enthalten, welche der Erstimpfung nach
dem Impfgesetze noch nicht unterworfen waren. Man darf an¬
nehmen, dass erst von 1885 ab die Klasse der Fünf- bis Zehn¬
jährigen fast nur aus Geimpften bestanden hat. Um so be-
merkenswerther ist die erst seitdem und andauernd bestehende
minimale Todtenzahl.
Ferner sind im Deutschen Reiche bis zum Jahre 1885 die
Zahlen für diejenigen 11—12 Jahre alten Kinder, welche von
der Wiederimpfung befreit blieben, weil sie in den vorher¬
gegangenen 5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden hatten,
verhältnissmässig beträchtlich gewesen und haben seitdem erheblich
abgenommen.
Die Zahlen sind für die Jahre
1879
1605
1886
280
1880
1432
1887
248
1881
1335
1888 ,
178
1882
1203
1889
218
1883
1024
1890
139
1884
629
1891
230
1885
349 1
1892
229
Erst nach 1885 kamen zur Wiederimpfung nur solche Kinder,
welche nach Einführung des Impfgesetzes geboren, bez. diesem
Gesetze schon unterworfen waren. (Vgl. Kübler a. a. O.)
Digitized by ^.ooQle
174
Nr. 18. „Beiträge“ (Nr. 2). S. 11 ff., S. 88.
Nr. 19. S. „Veröffentlichungen“ 1893, S. 316; 1895, S. 282;
„Arbeiten“, VII, 41; „Medicinal-statistische Mit¬
theilungen“, II, 209.
Nr. 20. „Arbeiten“ VII, 42.
Nr. 21. Dr. Grandhomme, Eine Pockenepidemie des
Jahres 1893 zu Frankfurt a. M. und Umgebung. Dr.
A. Wernich’s Vierteljahrsschrift fiir gerichtliche Medicin und
öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge. VII. Band. Jahrgang
1894. S. 365.
Die eben (während diese Abhandlung mir zur Revision vor¬
liegt) erschienene „Denkschrift“ des Kaiserlichen Gesundheitsamts
„Blattern und Schutzpockenimpfung“ konnte nicht mehr benutzt
werden.
Kleinere Mittheilungen.
*** Hede des Staatsministers Dr. von Bötticher zur Frage
der Aufhebung des Impfzwanges. Am 12. März d. J. verhandelte
der deutsche Reichstag über die Anträge der Abgeordneten Förster
und Metzner, sowie Bios und Genossen auf Aufhebung des Impfgesetzes.
Bei dieser Gelegenheit äusserte sich der Herr Staatssekretär des Innern
wie folgt:
„Nach der mir bekannten Auffassung, wie sie aus früheren
Correspondenzen entgegeugetreten ist, glaube ich nicht in Aussicht
stellen zu können, dass für die vorliegenden Anträge eine Majorität
im Bundesrath zu haben sein wird. Ich bin vielmehr der Meinung,
dass die überwiegende Mehrheit der Bundesregierungen, wenn nicht
sogar alle, gegen die Aufhebung des Impfgesetzes sich erklären werden.
Und, meine Herren, das hat seinen guten Grund. Die bisherigen Er¬
fahrungen, die mit der Zwangsimpfung gemacht worden sind, lassen es
keineswegs als wohlgethan erscheinen, dieses werthvolle Schutzmittel
gegen eine verderbliche Krankheit aufzugeben. Die Herren Antrag¬
steller, welche heute ihre Anträge begründet haben, haben die vom
Gesundheitsamt beigebrachte Statistik und die vom Gesundheitsamt für
die Aufrechterhaltung des Impfzwanges herangezogenen Gründe mit
Gegengründen und mit dem Hinweis auf andere statistische Auf¬
nahmen zu bemängeln gesucht. Meine Herren, ich glaube, dass die
Statistik, die das Gesundheitsamt aufgenommen hat, und welche Ihnen
Digitized by
Google
175
Allen zugänglich gemacht ist in dem TBüchlein, welches den Titel:
„Blattern- und Schutzpockenimpfung“ trägt, um deswillen vor jeder
anderen Statistik den Vorzug verdient, weil sie sich stützt auf amt¬
liche Erfahrungen und auf amtliche Erhebungen. Nun, meine Herren,
woraus erklärt sich denn die wachsende Zunahme der Impfgegner?
Ganz einfach daraus — und das hat Herr Dr. Langerhans schon mit
grossem Recht hervorgehoben —, dass das gegenwärtig lebende Ge¬
schlecht gar keine Vorstellung mehr hat von dem Elend, das durch
eine Blatternepidemie hervorgerufen werden kann. Und, meine Herren,
woraus erklärt sich die Zunahme der Impfgegner weiter? Sie erklärt
sich daraus, dass es ja für das menschliche Gefühl — das wird jeder
fühlende Mensch zugeben — ausserordentlich empfindlich ist, wenn
man, obwohl man die Ueberzeugung hat, sein Kind, seinen Liebling,
durch die Impfung einer gewissen Gefahr auszusetzen, trotzdem vom
Staate gezwungen wird, gegen die eigene Ueberzeugung die Impfung
vornehmen zu lassen. Aber daraus folgt noch lange nicht, dass, wie
die Herren Impfgegner heute behauptet haben, es nicht die Aufgabe
des Staates sei, und dass der Staat kein Recht habe, zur Impfung zu
zwingen. Der Staat hat das Wohl der Gesammtheit dem Wohle des
Individuums voranzustellen, und wenn der Staat zu der Ueberzeugung
kommt, dass nur unter Opfern, die von Seiten des Einzelindividuums
gebracht werden müssen, das Wohl des Ganzen sicherzustellen ist, so
hat er allerdings das Recht, auch, wie der Herr Abgeordnete Dr. Förster
sich ausdrtickt, über den Leib des Individuums zu verfügen. Meine
Herren, zum Schutze des Vaterlandes thun wir ja nichts Anderes: wir
haben die allgemeine Militärpflicht, da wird auch über den Leib des
Soldaten verfügt. Andererseits aber hat auch der Staat die Aufgabe,
wenn wirklich mit den Opfern, die er von dem Individuum verlangt,
Schädigungen verbunden sind, Alles zu thun, um diese Schädigungen,
soweit sie nicht völlig beseitigt werden können, auf ein Minimum
zurückzuführen. Und, meine Herren, in dieser Beziehung ist die
deutsche Regierung nicht lässig gewesen und hat bereits schöne Er¬
folge durch ihre Bemühungen erzielt. Ich erinnere einfach daran,
dass, seitdem der Bundesrath dazu übergegangen ist, die Anwendung
der Thierlymphe bei den Zwangsimpfungen zu empfehlen, die Zahl
der Impfschädigungen sehr erheblich abgenommen hat. Das ist auch
ganz natürlich: wird unverfälschte reine Thierlymphe zur Impfung
verwendet, so kann von einer Uebertragung von Menschenkrankheiten
auf den Impfling nicht die Rede sein. Und wenn Sie sich die Ziffern
ansehen, die auch in diesem Büchlein enthalten sind, so hat die An¬
wendung der Thierlymphe constant zugenommen, und im Jahre 1898
waren es z. B. nur noch 1,45 °/o der Erstimpfungen und 0,65% der
Wiederimpfungen, bei denen menschliche Lymphe zur Anwendung ge¬
kommen oder die Art der angewendeten Lymphe nicht ermittelt ist.
Digitized by
Google
176
Uebrigens werden wir auch in diesem Punkt noch zu besseren Zu¬
ständen kommen müssen. Auch hier müssen wir bestrebt sein, dafs
überall nur unverfälschte und gute Thierlymphe Verwendung findet
Meine Herren, was die Beschaffenheit der Thierlymphe anbelangt, so
sind die Regierungen dazu übergegangen, die grösstmöglichsten Vorsichts¬
maassregeln zu ergreifen. Jedes Kalb, von dem die Lymphe ge¬
nommen wird, wird geschlachtet; es wird untersucht, und wenn sich
irgend ein Krankheitsstoff in dem Cadaver vorfindet, so wird die
Lymphe nicht zur Anwendung gebracht. Weiter sprach der Herr Vor¬
redner davon, dass eine grosse Unzufriedenheit bestehe rücksichtlich
der Unterwerfung unter die Zwangsimpfung um deswillen, weil die
Kinder von Wohlhabenden vom Hausarzt geimpft werden, während die
der armen Leute sich zum Impftermin einfinden müssen. Er sprach
weiter davon, dass es sich vielleicht empfehle, die Unzufriedenheit
dadurch zu beseitigen, dass man die Lymphe den Aerzten unentgelt¬
lich giebt, und dass man den armen Leuten, die ihre Kinder impfen
lassen müssen, die Wahl des Arztes anheimgiebt. In dieser Beziehung
ist bereits, wie mir gesagt wird, der Anfang in einem Bundesstaat ge¬
macht; in Hessen wird die Lymphe unentgeltlich verabfolgt. Ich bin
gern bereit, in Erwägung zu nehmen, ob nicht auch in anderen
Theilen des Reiches auf demselben Wege* vorgegangen werden kann.
Eine weitere Maassregel zur Verringerung der Unannehmlichkeiten der
Zwangsimpfung habe ich mir noch in neuerer Zeit bei den Regierungen
anzuregen erlaubt. Es wird darüber geklagt, dass die Kinder an
beiden Armen geimpft werden, dass namentlich, wenn die Pocken auf¬
gehen, Fieber eintritt, und dass dann das Betten der Kinder schwierig
ist. Wir haben die Ueberzeugung gewonnen: es genügt auch die
Impfung an einem Arm, und zwar soll das künftig, wenn möglich,
der linke sein, damit das Kind nicht behindert ist, von seinem rechten
Arm Gebrauch zu machen — natürlich nur zu Zwecken des Schul¬
unterrichts. So werden wir jede Anregung, die auf diesem Gebiet
gegeben wird, gern verfolgen; wir werden uns sehr freuen, wenn es
möglich ist, die unangenehmen Seiten der Zwangsimpfung und die un¬
angenehmen Eindrücke, welche die Vorschrift der Zwangsimpfung auf
einen grossen Theil des Publicums ausübt, hintanzuhalten. Jedenfalls
steht soviel fest, dass, wenn auch der gegenwärtige Zustand nicht mehr
als verbesserungsfähig anzusehen wäre, wenn wir ihn beibehalten
müssten, und wenn es uns — das will ich noch hinzufügen — nicht
gelänge, eine noch sorgfältigere Behandlung der Impflinge zu er¬
möglichen — aus dem Mangel ausreichender Sorgfalt resultiren nämlich
die meisten Schädigungen, es werden die Impfstellen nicht gehörig ver¬
bunden, nicht reingehalten, nicht sorgfältig genug beobachtet —, ich
sage: selbst wenn alles dies nicht zu bessern wäre, so würde ich doch
der Meinung sein, dass der gegenwärtige Zustand noch weitaus den
Digitized by
Google
177
Vorzug verdient vor dem Zustande, in den wir verfallen würden, wenn
wir unser Impfgesetz auf höben. Sehen Sie sich die graphische Dar¬
stellung in diesem Büchlein an, betrachten Sie z. B. die Karte über
die Häufigkeit der Pockentodesfälle, auf welcher die dunkelste Farbe
die grösste Häufigkeit der Pockentodesfälle bezeichnet und die hellste
Schraffirung die geringste Blatternsterblichkeit darstellt, so finden Sie,
dass Deutschland neben Schweden und Schottland in Bezug auf die
Pockentodesfälle das am besten bestellte Land ist, dass Spanien und
Russland die grössten Ziffern für Pockentodesfälle zeigen, und dass auch
andere Länder, wie Italien, England, Oesterreich, die Balkanländer,
weit hinter uns zurückstehen. Wenn man nun die interessante That-
sache aus allen diesen statistischen Aufnahmen sich ergeben sieht, dass
ein colossaler Umschwung in Bezug auf die Pockenerkrankungen und
Pockentodesfälle seit 1874 bei uns eingetreten ist, so bedeutend, dass
man sagen kann: die Erkrankungen und Todesfälle an Pocken sind
auf ein Minimum seit jener Zeit reducirt — dann frage ich: wer will
die Verantwortung übernehmen, jetzt ein Gesetz aufzuheben, welches
diese Schutzwehr gegen die Pocken aufgerichtet hat, welches zum
Segen der Bevölkerung bestanden hat, und welches, wenn es aufgehoben
wird, die Bevölkerung zum grossen Theil wieder dem Elend und der
Gefahr preisgiebt?“ — W.
*** Ein Fall von angeblicher Impfschfidigung, mitgetheilt von
Dr. Wolffberg.
„Ich selbst habe,“ so sagte mir kürzlich Herr Prediger X., einer
unserer beredtesten Geistlichen, „einer Petition um Aufhebung des
Impfzwang-Gesetze8 vor einiger Zeit mich angeschlossen. “ Auf meine Frage,
wie dies möglich sei, erfuhr ich, dass Herr X. vor Jahren seiner
Meinung nach ein Kind infolge der Impfung durch den Tod verloren
habe. Ich forderte Aufklärung und erfuhr:
Das Kind war reconvalescent von den Masern, als es geimpft
wurde. Es erkrankte, abgesehen von den Impfpocken, die normal
verlaufen zu sein scheinen, an einem allgemeinen Ausschlag, der
Herrn X. als Prurigo bezeichnet wurde. Hierbei war das Kind er¬
heblich krank. Kein Mittel konnte den Ausschlag beseitigen, bis
Herr X. von einem befreundeten Apotheker, der zugleich Medicin
studirt hatte (? !), eine Arznei erhielt, welche Heilung brachte. Es
traten Durchfälle auf, und das Kind genas. Aber diese Freude dauerte
nicht lange. Es war bald darauf nöthig gewesen, mit dem Kinde nach
einem anderen Orte überzusiedeln, und hier, unter dem Einflüsse ver¬
änderter Diät, zeigte der allgemeine Ausschlag sich wieder schlimmer
als früher. Allerdings verschwand die Prurigo bald, sie hatte sich
aber nach innen geworfen; es trat eine Lungenentzündung auf, und
das sonst so prächtige Kind starb. —
Centralblatt f. allg. Geenndheita pflege. XV. Jahrg. 13
Digitized by v^ooQle
178
Diese Erzählung ist ganz typisch für eine grosse Anzahl von
Berichten über angebliche Impf-Schädigungen. Auch dass ein Mann
auf hoher Bildungsstufe, getroffen durch den Verlust eines geliebten
Kindes, an einen derartigen Zusammenhang zwischen der Impfung und
der zum Tode führenden Lungenentzündung fest glaubt, wird den Er¬
fahrenen nicht überraschen. Um so weniger darf es auffallen, dass
die grosse Masse des Volkes durch solche Nachrichten beunruhigt wird.
Da sollte es denn die Aufgabe der Aerzte sein, immer wieder die
ihnen mitgetheilten Fälle kritisch zu beleuchten und Irrthtimer auf¬
zuklären. Jeder Arzt sieht sofort, wie irrig die Auffassung ist, in
welcher Herr Prediger X. sich befindet. Die Prurigo ist eine mit
heftigem Jucken einhergehende Hautkrankheit, bei welcher hirse- bis
hanfkorngrosse Knötchen sich finden; durch das Jucken und die
folgenden Kratzeffecte leiden die Kranken sehr. Sie ist niemals
tödtlich, aber ungemein hartnäckig und schwer zu behandeln. In der
Kegel entsteht sie in frühester Kindheit und kann bei Kindern in der
Mehrzahl der Fälle zur Heilung gebracht werden. Bei Erwachsenen
ist die Krankheit meist als ein aus dem Kindesalter überkommenes
Leiden anzusehen. Man hat Grund, anzunehmen, dass die Prurigo
auf einer vom Nervensystem abhängigen Ernährungsstörung der Haut
beruht. Von der Impfung ist ihr Auftreten ganz unabhängig; nie ist
ein solcher Zusammenhang angenommen worden. Im vorliegenden
Falle könnte man mit nicht geringerem Rechte die vorhergegangenen
Masern als Ursache anschuldigen. Aber sicher waren weder Masern
noch Impfung die Ursache. — Vollends ein „Zurückschlagen“ der
Prurigo und eine dadurch veranlasste Entstehung der tödtlichen
Lungenentzündung sind unverständlich und ein solcher Zusammenhang
unmöglich. W.
Literaturbericht.
Blattern und Schutzpockenimpfung.
Beurtheilung des Nutzens des Impfgesetzes vom 8. April 1874 und zur
Würdigung der dagegen gerichteten Angriffe. Bearbeitet im Kaiser-
liehen Gesundheitsamte. Mit 1 Abbildung im Text und 7 Tafeln.
Berlin, Verlag von Julius Springer, 1896. — 192 Seiten.
Gerade zu rechter Zeit, vor der Jahrhundertfeier des 14. Mai 1796
und vor den im Deutschen Reichstage stattgehabten Verhandlungen der
antisemitischen und socialdemokratischen Anträge auf Aufhebung des
Impfgesetzes, ist diese Denkschrift erschienen. Sie beleuchtet den
Digitized by v^ooQle
179
Nutzen, den das deutsche Impfgesetz der Bevölkerung des Deutschen
Reiches gebracht hat, widerlegt die Angriffe der Gegner und wird
Viele, welche ohne genaue Kenntniss des Gegenstandes durch Agitatoren
sich beunruhigen Hessen, die aber ihre Augen nicht absichtlich vor den
objectiven Thatsachen verschliessen wollen, für das Gesetz gewinnen.
Hier eine Angabe des Inhalts.
Das erste Kapitel schildert diePockennoth früherer Zeiten,
das zweite die Versuche zur Verminderung der Pockennoth
im achtzehnten Jahrhundert (Seltenheit wiederholter Pocken¬
erkrankungen bei denselben Menschen; das „Pockenkaufen“; die
Inoculation der Menschenpocken).
Der Verfasser der Denkschrift erwähnt, dafs Jenner über einen
tödtlichen Pall von zweiten Pocken berichtet, der einen 50 Jahre alten,
als Kind bereits geblätterten Mann betraf. „Der Fall,“ sagt Jenner,
„war so merkwürdig, dass er in dem Kirchenbuche aufgezeichnet ward.“
Referent erlaubt sich hinzuzufügen, dass in unserem Jahrhundert
die Fälle von zweiten Pocken zweifellos sehr viel häufiger geworden
sind. Namhafte Forscher haben diesen Zweiterkrankungen eine be¬
sonders schlechte Vorhersage zuschreiben wollen. Die Seltenheit
heftigerer Zweiterkrankungen im vorigen Jahrhundert hängt innig mit
der beständigen Herrschaft der Pocken, ihre grössere Häufigkeit in
unserem Jahrhundert gerade mit der Seltenheit der Epidemien unseres
Jahrhunderts zusammen: worauf ich in den Ergänzungsheften zur
diesem Centralblatt, Bd. I, 1883, S. 38, hingewiesen habe.
Das dritte Kapitel behandelt die Entdeckung und Ein¬
führung der Kuhpockenimpfung.
Hier sei nur der Schluss des Kapitels angeführt, aus welchem
hervorgeht, wie bald nach Veröffentlichung der ersten Jenner’sehen
Schrift auch die preussische Regierung sich bemühte, der
Impfung Eingang zu verschaffen. Die Anfangssätze eines Reglements,
das am 31. October 1803 vom Könige Friedrich Wilhelm IH.
erlassen wurde, lauten:
„Wir F. W. thun kund und zu wissen: In der festen Ueber-
zeugung, dass neue Entdeckungen in dem Gebiete der medicinischen
Wissenschaften nicht gleich einen Gegenstand der Regierung abgeben
müssen, haben Wir bisher die Impfung der Schutzblattern .... blofs
der Leitung Unserer Medicinalbehörde überlassen und nur insofern
mitgewirkt, dass Wir, um stets echten Impfstoff vorräthig zu haben, in
Berlin, Königsberg und anderen grossen Städten Unserer Monarchie
besondere Impfungsinstitute haben etabliren lassen. Nachdem aber ....
sich die Fragen:
1. schützet der echte Kuhpockenstoff vor der Ansteckung der natür¬
lichen Pocken?
13*
Digitized by
Google
180
2. ist die Impfung des ersteren mit anderen gefährlichen Folgen
für die Gesundheit verbunden?
zum überwiegenden Ausschlag für die Vaccine entschieden haben,
indem Unserem Ober-Coll. med. et Sanitatis innerhalb Jahr und Tag
von praktischen Aerzten und Regimentschirurgen 17 741 veranstaltete
und sorgfältig beobachtete Impfungen einberichtet und dabei die erste
Frage durch 8000 Ansteckungsversuche bestätigt, die zweite aber
durch eine seit drei Jahren fortgesetzte pflichtmässige Controlle zum
Vortheil der Schutzblattern beseitigt worden, so finden Wir aus väter¬
licher Fürsorge ftir das Leben und die Gesundheit Unserer getreuen
Unterthanen Uns veranlasst, die Beförderung der Schutzblattemimpfung
nunmehr zu einem besonderen Augenmerk Unserer Staatsverwaltung
in der Absicht zu machen, damit das menschliche Pockenübel, welches
im Durchschnitt jährlich mehr als 40 000 Menschen in Unsern Landen
wegrafft, sobald als möglich vertilgt und ausgerottet werde.“
Im vierten Kapitel bespricht die Denkschrift die Verbreitung
der Kuhpockenimpfung und Abnahme der Pocken¬
sterblichkeit im Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts.
Der Verfasser berichtet u. A., wie es im Anfänge des Jahrhunderts
gelang, an vielen Orten herrschende Pocken-Epidemien durch gehäufte
Impflingen zu unterdrücken. So impfte Dr. Schütz in dem Dorfe
Untergrambach (im Bisthum Speyer) 49 Kinder mit Kuhpocken;
von diesen starb keins. Von 59 nicht geimpften, welche alle die
Blattern bekamen, starben 13. „Was habe ich,“ so schreibt der ge¬
nannte Arzt, „in dem Dorfe Untergrambach für traurige und reuevolle
Auftritte gesehen! Besonders in jenen Häusern, woraus man das
einzige Kind zu Grabe trug! Der eine Theil schrie schmähend:
Hätte ich mich doch nicht von der Impfung abwendig machen lassen!
Der andere Theil beweinte seine Unwissenheit. Die ärmere Klasse
schrie: Warum wussten wir nicht, dass man uns unentgeltlich impfen
wollte!“
Das fünfte Kapitel erörtert das Wiederauftreten von
Pockenepidemien und die Wiederimpfung, das sechste
Impfung und Pocken im zweiten Drittel des neunzehnten
Jahrhunderts, das siebente die allgemeine Pockenepidemie
der Jahre 1870 bis 1875.
Es folgt dann im achten Kapitel eine Darstellung des deutschen
Impfgesetzes vom 8. April 1874 nebst den Beschlüssen des
Bundesraths vom 18. Juni 1885. (Vgl. dieses Centralblatt 1885, S. 200.)
Im neunten Kapitel werden die Einwände gegen das Impf¬
gesetz besprochen. (Erwähnt werden die Verhandlungen des Reichs¬
tages über impfgegnerische Petitionen; die Beschwerden der Impfung;
die impfgegnerische Agitation, der angeblich unzulässige Eingriff in die
persönliche Freiheit; das Bestreiten des Impfschutzes; das Ver-
Digitized by
Google
181
schwinden der Pocken soll andere Gründe haben; die Impf¬
schädigungen).
Die Frage der Impfschädigungen wird mit Recht ausführlich er¬
örtert. Die Seltenheit der Impfschäden, die Irrthümlichkeit und Un¬
wahrheit der Angaben von Impfgegnern werden dargethan. Das
Minimum von noch vorhandener Gefahr darf nicht bestritten
werden. Im Besonderen können, wie zu jeder Wunde, auch zu den
kleinen Impfwunden, zumal bei unvorsichtigem Verhalten der Impf¬
linge, bezw. ihrer Pfleger, sog. accidenteile Krankheitserreger sich ge¬
sellen und Krankheit und selbst den Tod herbeiflihren. Die Be¬
mühungen bleiben fortgesetzt auf immer vollständigere Beseitigung aller
denkbaren Uebelstände, die mit der allgemeinen Zwangsimpfung und
-Wiederimpfung verbunden sind, gerichtet. Wer wollte wegen der
geringen Gefahren auf das Gesetz bezw. auf die Impfungen verzichten,
ohne welche wir im Deutschen Reiche jährlich, wie mit Sicherheit an¬
zunehmen ist, nicht weniger als 100 000 Kinder durch die Pocken
verlieren würden? Wer wollte, fragt der Verfasser mit Recht, auf
Grund der Verunglückungen beim Turnen die Aufhebung des Turn¬
unterrichts, wegen der durch den Schulunterricht gelegentlich Über¬
tragenen Krankheiten die Beseitigung des Schulzwanges fordern? Für
viel geringere Dinge setzen wir uns täglich, z. B. bei Benutzung der
Eisenbahnen, grösseren Gefahren aus.
Das zehnte Capitel bespricht schliesslich die Erfolge des
Impfgesetzes.
Zur Ergänzung unserer obigen Mittheilungen entnehmen wir der
Denkschrift die nachfolgenden, auf amtlichen Ermittelungen beruhenden
Angaben:
„Von 1551 in den deutschen Bundesstaaten (ausschl. Preussen)
während der Jahre 1886 —1894 festgestellten Blatternerkrankungsfällen
sind für 1278 Angaben über das Alter und für 1233 auch über den
Impfzustand vorhanden. Es standen nur 288 Kranke im Alter bis zu
10 Jahren, 990 in höheren Altersklassen. Von ersteren waren nur
85 erfolgreich geimpft, 87 waren ungeimpfte Kinder des ersten Lebens¬
jahres; von den 990 Erkrankten höheren Alters waren G80 einmal,
189 wiedergeimpft. Insgesammt waren von den Erkrankten bekannten
Impfzustandes 215 niemals geimpft, das ist mehr als der sechste Theil;
von diesen standen 92 in der Altersklasse von 2—20 Jahren, eine
Zahl, die mit Rücksicht darauf, dass in Folge des Gesetzes die Zahl
der Ungeimpften in diesen Jahrgängen in Deutschland sehr gering ist,
auffallend hoch erscheint und somit erweist, wie der Pockenansteckungs-
stoff die wenigen Ungeimpften der Bevölkerung herausfindet. Aber
auch an dem Verlaufe der Krankheit in den ermittelten Fällen hat
sich aufs Neue gezeigt, dass der Impfschutz, wenn er unter besonderen
Umständen die Erkrankung nicht verhütet, doch deren Ausgang günstiger
Digitized by
Google
382
zu gestalten vermag, denn von 189 Erkrankten, die wiedergeimpft
waren, starben nur 10, also 5,3 °/o. Von diesen aber waren 5 ohne
Erfolg wiedergeimpft worden; ein sechster Todesfall betraf einen
Scharlachkranken, zu dessen ursprünglicher Erkrankung die Pocken
hinzugetreten waren. Von 815 einmal mit Erfolg geimpften Kranken
starben 74 = 9,1 °/o. Hiervon aber standen 56 bereits im Alter über
40 Jahre, und nur 2, bei denen der tödtliche Ausgang durch Bronchial¬
katarrh bezw. Hirnhautentzündung herbeigeftlhrt wurde, waren Kinder
unter 10 Jahren. Dagegen erlagen den Pocken von den 215 Un-
geimpften 68 = 31,6 °/o. Unter 3 Fällen wiederholter Erkrankung an
Pocken endete einer tödtlich. Der Einwand, dass unter den ge¬
storbenen Ungeimpften sich hauptsächlich Kinder des frühesten Lebens¬
alters, die der Krankheit wenig Widerstand zu leisten vermögen, be¬
fanden, trifft nicht zu, da auch in den höheren Altersklassen die Sterblich¬
keit gross war. Von 92 Ungeimpften des 2. bis 20. Lebensjahres starben
19 = 20,7 °/o, von 36 noch höherer Lebensjahre 9 = 25 °/o.
Ein ähnliches Ergebniss wie die Erkrankungsstatistik liefert die
das ganze Deutsche Reich umfassende Todesfallstatistik ....
Von 1137 im Deutschen Reiche während der Jahre 1886 bis
1894 an Pocken Verstorbenen standen 490 im Alter unter 2 Jahren:
d. i. im Jahresdurchschnitt 54,4 oder 2 von 100 000 Lebenden dieser
Altersklasse. Nur 13 davon waren nachweislich geimpft (3 ohne Er¬
folg), 126 ungeimpft, und von den übrigen 351, deren Impfzustand
nicht ermittelt ist, wird dem Lebensalter entsprechend die überwiegende
Mehrzahl des Impfschutzes entbehrt haben. Im Alter von 3 bis zu
20 Jahren starben 178 Personen, im Jahresdurchschnitt 19,8 oder 0,1
von 100 000 Lebenden der Altersklasse. Die Impfverhältnisse sind ftir
41 bekannt; unter diesen waren 20 geimpft, 21 nicht geimpft; 10 der
Geimpften hatten aber bereits das 10. Lebensjahr überschritten, und
von ihnen waren 6 nicht wiedergeimpft. Es zeigt sich also auch an
diesen Zahlen, dass die nicht geimpften Angehörigen des Alters von
2 bis zu 20 Jahren zu den Opfern der Pockenseuche einen Antheil
stellen, welcher im Hinblick auf die dank dem Impfgesetz verschwindend
geringe Zahl solcher Personen in Deutschland sehr bedeutend ist.
Endlich aber bestätigt sich aus der Todesfallstatistik die Erfahrung,
dass in einer gut geimpften Bevölkerung die sonst erheblich von der
Seuche heimgesuchten Jahrgänge im Allgemeinen wenige Blattem-
todesfälle aufzuweisen haben; 465 Verstorbenen höheren Alters stehen
nur 178 Todesfälle des 3. bis 20. Lebensjahres gegenüber. Während
im Jahresdurchschnitt von je 100 000 Personen jenes Alters rund 0,2
starben, betrug diese Ziffer ftir die Altersklasse vom 3. bis 20. Jahre,
wie erwähnt, nur 0,1.
Eine kleine örtliche Epidemie hat erst kürzlich wieder gezeigt,
dass der Schutz der Bevölkerung gegen die Pocken nur so lange von
Digitized by
Google
183
sicherem Bestand ist, als die impfpflichtigen Altersklassen thatsächlich
erfolgreich geimpft werden, dagegen leicht verloren geht, sobald in der
regelmässigen Durchimpfung jener Jahrgänge eine Störung erfolgt. Im
Jahre 1894 entfielen von 88 Pockentodesfällen im Reiche 58 allein
auf den Kreis Ratibor. Die für deutsche Verhältnisse auffallend
hohe Ziffer gab die Veranlassung zu amtlichen Ermittelungen. Es er¬
gab sich, dass im vorausgegangenen Jahre bei den Impfungen un¬
genügend wirksamer Impfstoff zur Verwendung gelangt und dass daher
eine gröfsere Zahl von Impfungen erfolglos geblieben war. Die Mehr¬
zahl der Todesfälle fiel in die Zeit vor Beginn des Impfgeschäftes im
Jahre 1894. Die Bevölkerung jenes Grenzkreises hatte Jahre lang
der von Oesterreich ständig drohenden Seuchengefahr dank dem Impf¬
schutze Widerstand geleistet. In den Jahren 1886—1892 waren nur
6 Todesfälle an der Krankheit vorgekommen. Mit dem Jahre 1893
dagegen, in das die unbefriedigenden Impfergebnisse fielen, begann auch
die Seuche die nun ungenügend geschützte kindliche Bevölkerung heim¬
zusuchen. Von 17 Todesfällen in diesem Jahre betrafen 13 Kinder
der ersten beiden Lebensjahre. Von den 58 Verstorbenen des Jahres
1894 standen 37 in den ersten beiden, weitere 15 im 3. bis 10. Lebens¬
jahre und 6 im Alter über 10 Jahren.
Die kleine Epidemie im Kreise Ratibor vergegenwärtigt, was
Deutschland zu erwarten hat, sobald seiner Bevölkerung der Impf¬
schutz genommen wird .... Eine Aufhebung des Impfzwanges
würde schnell die Empfänglichkeit des ganzen Volkes für die Seuche
wiederherstellen. Zweifellos würde alsbald die Zahl der Impfungen
erheblich zurückgehen, und die Verhältnisse würden allmählich denen
ähnlich werden, die vor dem Jahre 1870 in Preussen bestanden.
Vielleicht bedürfte es einiger Jahre, bis die Pocken dann wieder
Uberhandnehmen könnten, denn zunächst würden ja nur die untersten
Altersklassen weniger gut geimpft sein, allmählich aber müsste sich
die Zahl der schlecht geimpften Jahrgänge vermehren; gleichzeitig
würde die Seuche Anfangs langsam und gering, später aber schneller
und heftiger wieder zunehmen, bis eine Epidemie von ähnlichem
Umfange wie im Jahre 1870 jeden Zweifel über den begangenen
Fehler beheben dürfte.
Solche nachtheiligen Folgen würde unser Vaterland um so mehr
zu gewärtigen haben, als Deutschland in Folge seiner geographischen
Lage in besonders hohem Grade der Einschleppungsgefahr ausgesetzt
ist. Von 1137 Todesfällen an Blattern während der Jahre 1866 bis
1894 trafen 905, d. i. rund 4 /ß auf die den Landgrenzen nahe
liegenden Kreise und auf die Seestädte, wo der Verkehr mit dem
Auslande eine erhöhte Ansteckungsgefahr für die Bevölkerung bedingt,
und nicht selten unmittelbar vom Auslande her eintreffende Personen
erkranken oder sterben. Auch an den übrigen Pockentodesiällen in
Digitized by ^.ooQle
184
Deutschland sind Ausländer, namentlich Arbeiter, die hier vorüber¬
gehend beschäftigt wurden, vielfach betheiligt.
Als ein schöner Erfolg des Impfgesetzes ist es zu bezeichnen, dass
alle jene Einschleppungen nicht grösseren Schaden angerichtet haben,
dass vielmehr die Keime erstarben, wie ein Funke erlischt, der auf ein
feuersicher eingedecktes Haus fällt.
Um die Grösse des Nutzens, welchen wir der Bekämpfung der
Pocken durch die allgemeine Impfung und Wiederimpfung verdanken^
voll würdigen zu können, muss man einen Blick auf die Verhältnisse
im Ausland werfen. Es ergiebt sich dabei, dass das Deutsche Reich
in dem fünfjährigen Zeitraum von 1889 bis 1898 572 Menschen an
Blattern verlor, während daran in den französischen Städten 5670, in
Belgien 7779, in Oesterreich 87 037 und im Russischen Reiche (in
den 8 Jahren von 1891 bis 1898, für welche hier allein vergleichs¬
fähige Nachrichten vorliegen) 288 120 Personen starben. Von 1 Million
Einwohner erlagen den Blattern in Deutschland jährlich 2,3, dagegen
in den 4 genannten Nachbarländern unseres Reiches:
in
den französischen Städten .
148
in
Belgien.
253
iu
Oesterreich.
313
in
Russland.
836.
Wäre die Blatternsterblichkeit bei uns so gross wie in den französischen
Städten, Belgien, Oesterreich oder Russland, so hätte unser Vaterland
einen jährlichen Verlust von 7321, 12 584, 15 558 oder gar 41 584
Menschenleben zu beklagen gehabt. Thatsächlich starben im Jahres¬
durchschnitt nur 115 Personen an den Pocken.“
Im Anhang enthält die Denkschrift A. die von Reichswegen über
das Impfwesen erlassenen Vorschriften; B. Erläuterungen zu den Tafeln.
Die Tafeln stellen übersichtlich dar:
1. Pockensterblichkeit in Preussen und Oesterreich in den Jahren
1816—1893.
2. Pockensterblichkeit in einer Anzahl grösserer Städte des In- und
Auslandes;
3. in Bayern und Belgien.
4. Erkrankungen und Todesfälle an Pocken in verschiedenen Armeen
in den Jahren 1867—1893.
5. Pockeusterblichkeit der Civil- und Militärbevölkerung in Preussen
in den Jahren 1825 —1893.
6. Darstellung der mit Menschenlymphe ausgeftihrten Impfungen im
Deutschen Reiche im Jahre 1893.
7. Die Häufigkeit der Pockentodesfälle in europäischen Staaten
während der Jahre 1889—1893. W.
Digitized by ^.ooQle
Digitized by
Digitized by ^.ooQle
Dr. Ferd. Carl Maria Finkelnburg.
Am 11. Mai d. J. verschied plötzlich in seinem
Wohnsitze Godesberg bei Bonn Dr. Ferd. Carl Maria
Finkelnburg, Professor an der Universität Bonn, Ge¬
heimer Regierungsrath. Für seine ihm nicht sehr nahe
stehenden Bekannten kam die Todesnachricht gänzlich
unerwartet: wohl wussten wir, dass Finkelnburg^ Con¬
stitution zu den zarteren gehörte, und dass einige
schwere Krankheiten den Körper geschwächt hatten,
aber er war doch immer wieder zu Kräften gekommen,
und noch jüngst hatte er einen Erholungsaufenthalt im
südlichen Klima genommen. Jetzt war er vor kurzer
Frist heimgekehrt und hatte seine ärztliche und schrift¬
stellerische Thätigkeit wieder aufgenommen. Stetige Ar¬
beit und ärztliches Streben hat das Leben des hoch-
begabten Mannes erfüllt; auf verschiedenen Gebieten der
medicinischen Wissenschaft und Praxis suchte er etwas
Besonderes zu leisten, und diese geistigen, nach ver¬
schiedenen Richtungen sich bewegenden Anstrengungen
mögen die Kräfte des Verstorbenen vielleicht zu früh
aufgerieben haben. Die Psychiatrie und die Hygiene
waren seine Lieblingsf&cher, und was an dieser Stelle
ausgesprochen werden soll und muss, ist die Anerkennung
und Dankbarkeit für seine vielfachen Arbeiten und Be¬
mühungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege.
Finkelnburg war am 16. Juni 1832 in dem kleinen
Dorfe Marialinden im Regierungsbezirk Köln, Kreis
Mülheim, geboren. Nach seinen Universitätsstudien in
Centralblatt f. allg. Gerondheitapflege. XV. Jahrg.
14
Digitized by
Google
Digitized by ^.ooQle
Dr. Ferd. Carl Maria Finkelnburg.
Am 11. Mai d. J. verschied plötzlich in seinem
Wohnsitze Godesberg bei Bonn Dr. Ferd. Carl Maria
Finkelnburg, Professor an der Universität Bonn, Ge¬
heimer Regierungsrath. Für seine ihm nicht sehr nahe
stehenden Bekannten kam die Todesnachricht gänzlich
unerwartet: wohl wussten wir, dass Finkelnburg’s Con¬
stitution zu den zarteren gehörte, und dass einige
schwere Krankheiten den Körper geschwächt hatten,
aber er war doch immer wieder zu Kräften gekommen,
und noch jüngst hatte er einen Erholungsaufenthalt im
südlichen Klima genommen. Jetzt war er vor kurzer
Frist heimgekehrt und hatte seine ärztliche und schrift¬
stellerische Thätigkeit wieder aufgenommen. Stetige Ar¬
beit und ärztliches Streben hat das Leben des hoch-
begabten Mannes erfüllt; auf verschiedenen Gebieten der
medicinischen Wissenschaft und Praxis suchte er etwas
Besonderes zu leisten, und diese geistigen, nach ver¬
schiedenen Richtungen sich bewegenden Anstrengungen
mögen die Kräfte des Verstorbenen vielleicht zu früh
aufgerieben haben. Die Psychiatrie und die Hygiene
waren seine Lieblingsfkcher, und was an dieser Stelle
ausgesprochen werden soll und muss, ist die Anerkennung
und Dankbarkeit für seine vielfachen Arbeiten und Be¬
mühungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege.
Finkelnburg war am 16. Juni 1832 in dem kleinen
Dorfe Marialinden im Regierungsbezirk Köln, Kreis
Mülheim, geboren. Nach seinen Universitätsstudien in
CentraJbUtt f. allg. GeenndheiUpflege. XV. Jahrg.
Digitized by v^ooQle
186
Bonn, Würzburg und Berlin wurde er bei der letzteren Universi¬
tät am 16. August 1853 zum Doctor promovirt, legte in Berlin
1853/54 die Staatsprüfung ab, bestand auch während seiner Dienst¬
zeit als einjährig-freiwilliger Arzt das Physikatsexamen. Nach
kurzer Thätigkeit als Assistenzarzt am Hedwigs-Krankenhaus trat
er als Arzt in die englische Armee, welche damals wegen des
Krimkrieges junger Aerzte benöthigte. Da aber bald darauf der
Krieg beendet war, trat er nach sechsmonatlicher Thätigkeit in
einem stehenden Armeelager in London wieder aus dem Armee-
verbande aus und verblieb noch längere Zeit als Assistent im
Thomas-Hospital in London. Von dort besuchte er Paris, wo er
noch ein Jahr studirte. Nach kurzer Thätigkeit im Kölner Bürger¬
hospital unter Fischer wurde er Assistenzarzt in der Provinzial¬
irrenanstalt in Siegburg unter Jacobi (1857—61). Vom Februar
1861 bis März 1862 versah er das Kreisphysikat in Kochern a. d.
Mosel. Von dort aus nahm er die Stelle als ärztlicher Leiter der
Kaltwasseranstalt in Godesberg an und habilitirte sich am 25. No¬
vember 1862 bei der medicinischen Facultät in Bonn für das Fach
der gerichtlichen Arzneikunde und der Psychiatrie. Nach einem
Probevortrage über „die pathologische Anatomie des Gehirns bei
Geisteskranken“ hielt er in der Aula seine Antrittsvorlesung über
„die Entwicklung der Staatsarzneikunde zu einer Wissenschaft“. Im
ersten Semester 1862/63 las er gerichtliche Medicin und dann später
fast in jedem Semester eine öffentliche und eine Privatvorlesung
über Psychiatrie, öffentliche Gesundheitspflege und gerichtliche Me¬
dicin. 1870/71 machte er den Krieg mit, aus welchem er mit dem
Eisernen Kreuze geschmückt heimkehrte. Im Jahre 1872 erfolgte
seine Ernennung zum ausserordentlichen Professor. Die Bemühungen
Finkelnburg's um Errichtung eines hygienischen Instituts blieben
erfolglos. Im October 1874 wurde er Mitglied des Rheinischen
Medicinal-Collegiums. Nachdem Finkelnburg^ angegriffene Gesund¬
heit eine Beurlaubung im Winter 1875/76 nothwendig gemacht, trat
er nach seiner Rückkehr im Jahre 1876 als Vortragender Rath mit
dem Titel eines Geheimen Regierungsrathes in das Kaiserliche
Gesundheitsamt. In angestrengtester, nicht immer angenehmer
Thätigkeit hat er diese Stellung vier Jahre bekleidet, bis ver¬
schiedene Misshelligkeiten ihm sein Verbleiben verleideten; aus
seiner Thätigkeit seien hier nur die Bearbeitung des Nahrungsmittel¬
gesetzes, die Prüfungsordnung für Aerzte im Deutschen Reiche,
Vorschläge zur Organisation des Gesundheitswesens erwähnt. Er
kehrte im April 1880 nach Godesberg zurück, wurde wieder zum a. o.
Professor in Bonn mit dem Aufträge ernannt, neben der Vertretung
der Hygiene, die ihm hauptsächlich obliege, im Falle des Bedürf¬
nisses noch Vorträge über Staatsarzneikunde und theoretische Vor-
Digitized by CjOOQle
187
lesungen über Psychiatrie in seinen Wirkungskreis zu ziehen.
Während des Aufenthalts in Berlin war Finkelnburg auch Mit¬
glied der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinalwesen in
Preussen. Mit Aufnahme seiner Thätigkeit in Bonn trat er immer
wieder für die Einrichtung eines hygienischen Laboratoriums ein,
doch trotz Unterstützung der Facultät — der hohen Kosten wegen —
ohne Erfolg. Finkelnburg's Thätigkeit wird von jetzt ab nicht
selten durch Beurlaubungen unterbrochen, welche wohl meisten-
theils in Störungen seines Gesundheitszustandes ihren Grund ge¬
habt haben mögen. Im Jahre 1893 zog er sich vom Lehramte ganz
zurück.
Als der wissenschaftliche Vertreter der Hygiene an der Uni¬
versität Bonn lag es nahe, dass Finkelnburg sich auch an der Be¬
wegung zu Gunsten der öffentlichen Gesundheitspflege betheiligte,
welche seit 1865 in den niederrheinischen Städten begann, und
welche zur Gründung des Niederrheinischen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege führte. Finkelnburg trat in den Vorstand des
Vereins ein und hat die Bestrebungen des Vereins auf das Eifrigste
unterstützt Im Correspondenzblatt des Vereins, welches 1871—1881
Lent herausgab, finden sich drei grosse Artikel von ihm: Ein Beitrag
zur Naturgeschichte der städtischen Brunnenwasser im Rheinthale
(Bd.II); Ueber den Einfluss der Volkserziehung auf die Volksgesund¬
heit (Bd. H); Ueber den Schutz der geistigen Gesundheit (Bd. VIII).
Das Correspondenzblatt, als Organ des Niederrheinischen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege, wurde 1881 in das Centralblatt für
allgemeine Gesundheitspflege im Verlag von E. Strauss in Bonn um¬
gewandelt und von Finkelnburg und Lent herausgegeben; 1884 trat
Wolffberg der Redaction bei. Im Jahr 1880 war Finkelnburg den
Herausgeber der deutschen Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege
beigetreten. Unter Finkelnburg's Mitredaction ist das Centralblatt
bis zum 15. Bande gediehen. Von grösseren Artikeln Finkelnburg's
im Centralblatt nennen wir: Der hygienische Gegensatz von Stadt
und Land, insbesondere in der Rheinprovinz; Das Filter Pasteur-
Chamberland ; Bericht über den internationalen Congress für Hygiene
in Wien 1887; Das Victoria-Hospital in Godesberg; Ueber die
Errichtung von Volkssanatorien für Lungenschwindsüchtige; Pasteur
und seine Verdienste (1895). Sodann enthielt das Centralblatt eine
grosse Zahl grösserer und kleinerer Berichte; besonders entstammen
die Choleraberichte seiner Feder. Auch seine anderweitigen hygie¬
nischen Aufsätze mögen hier Erwähnung finden:
Die öffentliche Gesundheitspflege in England nach ihrer ge¬
schichtlichen Entwicklung. Bonn 1874. (Fortsetzung dazu in der
Deutschen Vierteljahrsschrift.)
14*
Digitized by v^ooQle
188
Einfluss der heutigen Unterrichtsgrundsätze in den Schulen auf
die Gesundheit des heran wachsenden Geschlechts. (Deutsche Viertel¬
jahrsschrift X.)
Commentar zum Gesetz betr. den Verkehr mit Nahrungs- und
Genussmitteln, in Gemeinschaft mit Meyer. Berlin 1885.
Socialer Seucheboden. Bonn 1894.
Ueber Errichtung und Organisation ländlicher Krankenhäuser.
Bonn 1888.
Ueber bodenständige Verbreitungs-Verhältnisse der Tuberkulose
in Deutschland. (VIII. Congress für innere Medicin.) Wiesbaden 1888.
Ueber die Aufgabe des Staates zur Bekämpfung der Trunk¬
sucht. Magdeburg 1882.
Entwicklungsgang und heutiger Stand der internationalen Ge¬
sundheitspflege. (Deutsche Vierteljahrsschrift XXV.)
Geschichtliche Entwicklung und Organisation der öffentlichen
Gesundheitspflege in den Culturstaaten (in Weyl's Handbuch, Jena
1893).
Von bakteriologischen Arbeiten, denen Finkelnburg gern oblag,
ist der Aufsatz zur Frage der Variabilität der Cholerabacillen zu
erwähnen.
Es ist hier nicht der Ort, die psychiatrische Thätigkeit Finkeln-
burg’s einer Besprechung zu unterziehen; dass mag von anderer, sach¬
verständiger Seite geschehen; doch mag hier zunächst erwähnt sein,
dass mehrere literarische Arbeiten von ihm in der Zeitschrift für
Psychiatrie Veröffentlichung gefunden, auch seine preisgekrönte
Abhandlung über Willensstörungen ohne Störungen der Intelligenz
und deren gerichtliche Beurtheilung im Archiv der Deutschen Ge¬
sellschaft für Psychiatrie V, 1863.
Die psychiatrische Thätigkeit scheint, wenn man Finkelnburg’s
ärztliches Leben überschaut, in der That seine Lieblingsbeschäftigung
gewesen zu sein, und es sollen besonders die Erkrankungsformen
seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben, welche nach
seiner Anschauung ausserhalb der geschlossenen Anstalten Heilung
finden sollten. Diese seine persönliche Auffassung scheint die an¬
fängliche Ursache des Gegensatzes gewesen zu sein, in welchen er
zu den Vertretern der deutschen Psychiatrie gerathen, welcher
Gegensatz dann in der Frage der Zurechnungsfähigkeit besonders
in dem bekannten Prozesse Feldmann zu scharfem Ausdrucke ge¬
kommen. Wenn Finkelnburg's Thätigkeit in dem Alexianer-
Prozesse in Aachen mit dazu beigetragen hat, auf mannigfache
Mängel in unserem Irrenwesen die Aufmerksamkeit zu lenken, so
befindet er sich hierbei in Uebereinstimmung mit den deutschen
Irrenärzten, die schon seit Jahren diese Mängel klargelegt haben,
Mängel, die zum grossen Teile in den unheilvollen Bestimmungen
Digitized by ^.ooQle
189
der deutschen Gewerbeordnung wurzeln, nach welchen die Aus¬
übung der Heilkunde, also auch die Irrenbehandlung, vollständig
freigegeben, von jedem Befähigungsnachweise befreit ist.
In seiner psychiatrischen ärztlichen Praxis hat sich Finkeln¬
burg viel Vertrauen, Zuneigung und Liebe erworben, und manche
seiner Patienten werden ihm tief nachtrauern.
lieber Finkelnburg^ sonstiges Leben ist wenig in die Oeffent-
lichkeit gedrungen; er war ein ernster, stets mit Geistesarbeit be¬
schäftigter Charakter; im Kreise von Collegen, in Vereinen, denen
er vielfach angehörte, erschien er selten; er mied offenbar gesellige
Zusammenkunft, wahrscheinlich aus Gesundheitsrücksichten. Er¬
holung und Erquickung suchte und fand er im Schosse der Familie;
ihr widmete er seine ganze Zeit, die nicht von Arbeit erfüllt war.
Ob Finkelnburg auf politischem Boden oder sonst im öffentlichen
Leben hervorgetreten, ist uns nicht bekannt geworden; er war in
politischen und religiösen Fragen ein freisinniger Mann.
Am 15. Mai fand unter grosser Betheiligung die Beerdigung
Finkelnburg’s auf dem schönen Friedhofe Godesbergs statt. Mit
der Familie trauern um den Heimgegangenen Viele, die ihm im
Leben nahe gestanden und die ihm Dank schulden. Auch der
Niederrheinische Verein für öffentliche Gesundheitspflege schliesst
sich dieser Trauer an; Finkelnburg’s Name wird mit unserem heimath-
lichem Vereine verbunden bleiben. Als ein äusseres Zeichen der
Anerkennung und Dankbarkeit legten wir einen Kranz auf sein
Grab. Aber auch über die Grenzen unserer Heimathprovinz hinaus
wird in den Reihen der Männer, welche die Pflege der öffentlichen
Gesundheit sich zur Aufgabe gestellt, sein Name mit Anerkennung
und Dank genannt werden, denn er hat sich seinen Namen durch
ernste Arbeit, durch eigene Kraft verdient.
Köln, Juni 1896. Lent.
Digitized by CjOOQle
190
Rassenverbesserung und natürliche Auslese 1 ).
Von
Professor Pelman, Bonn.
In diesen Heften ist so viel, oder richtiger bemerkt, so aus¬
schliesslich von dem Wohle des Einzelnen die Rede gewesen, dass
es kaum etwas verschlagen wird, wenn zur Abwechslung einmal
auf die Gefahren aufmerksam gemacht wird, welche der Gesammt-
heit aus dem allzu einseitigen Schutze des Einzelnen erwachsen.
Gewiss sind auch die Völker und Nationen organische Lebewesen,
die zu ihrem Gedeihen ebenso wie das einzelne Individuum günstige
Bedingungen, Regen und Sonnenschein zur gegebenen Zeit erfordern,
die wie jenes wachsen und gedeihen, altern und vergehen. Während
aber das einzelne Individuum und ebenso die politische Nation ein
Auf- und Abgehen zeigt, kann sich die Rasse im ganzen Verlaufe
ihrer Geschichte von diesem Verfalle frei erhalten. Was dort orga¬
nisch bedingt ist, das Altern des Individuums, ist es hier nicht,
und so sehen wir u. A., wie die Juden als Nation zu Grunde ge¬
gangen, als Rasse aber bis auf den heutigen Tag eine der be¬
gabtesten geblieben sind.
Immerhin aber wird es auch für die Rasse nöthig sein, gewisse
Gefahren zu erkennen und zu vermeiden, wenn sie nicht endlich
den Schädlichkeiten unterliegen und zu Grunde gehen will.
Der Natur der Sache nach war es im Verlaufe der Zeiten zu¬
nächst die Kenntniss des Individuums, die in Angriff genommen
und zu einer gewissen Ausbildung gebracht wurde, und aus dieser
Kenntniss hat sich alsdann eine Reihe von Grundsätzen entwickelt,
denen wir als den Lehren der Hygiene mehr oder weniger nach-
*) Dr. A. Ploetz, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der
Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältniss zu den
humanen Idealen, besonders zum Socialismus. Berlin, S. Fischer, 1895. 239 S.
John B. Haycraft, Natürliche Auslese und Rassenverbesserung. Ueber-
setzt von Dr. H. Kurella. Leipzig, G. Wigand, 1895. 216 S.
Digitized by ^.ooQle
191
zuleben und in unsern socialen Einrichtungen gerecht zu werden
suchen.
Dass diese, dem Wohle des Einzelnen förderlichen Maassregeln,
die Hygiene des Einzelnen, sich allmählich zu der Rassenhygiene
in einen immer schrofferen Gegensatz gestellt haben, und dies
sogar in einem solchen Maasse, dass sich die moderne Civilisation
auf die Dauer für die Erhaltung der Rasse verderblich erweisen
muss, ist längst kein Geheimniss mehr, und es muss daher die Auf¬
gabe der Zukunft sein, diese Gegensätze, wenn irgend möglich, aus¬
zugleichen, und Mittel und Wege aufzufinden, wodurch es der
Natur ermöglicht wird, ihrem Bestreben nach einer Verbesserung
der Rasse gerecht zu werden, ohne hierin auf Schritt und Tritt
durch die Sorge um das einzelne Individuum behindert zu werden.
Zu diesem Zwecke aber ist es nothwendig, uns die allgemeinen
Faktoren der Erhaltung und Entwickelung etwas näher anzusehen,
sowie die Gesetze der Rassenveränderung und den Einfluss der
modernen Philanthropie auf das Wohl des Individuums und der
Rasse klarzulegen.
Das, was uns unsere Stellung in der Natur sichert, unsere beste
Waffe und Werkzeug für ein besseres Erkennen und leichteres Be¬
herrschen unserer Umgebung ist das Gehirn, und eine Steigerung
seiner Anlagen von Geschlecht zu Geschlecht kann der Menschheit
allein die nöthige Kraft verleihen, sich der umklammernden Arme
des Elendes zu erwehren.
Nun wissen wir aber, dass man wohl das einzelne Individuum
beeinflussen kann, in sehr geringem Maasse aber die Nachkommen.
Die von den Eltern erworbenen Fähigkeiten und Eigenschaften
vererben sifth, wenn überhaupt, so doch nur in einem sehr geringen
Grade auf die Kinder. Der Sohn muss dort anfangen, wo auch
der Vater begann, und der Vater kann dem Sohne wohl sein
Portemonnaie, nicht aber seine anderen erworbenen Eigenschaften
vermachen. Dass es sich so und nicht anders verhält, ergiebt sich
ausser vielem Andern aus der einen Erwägung, wohin wir es nämlich
in unserer Entwicklung gebracht haben müssten, wenn es eben
anders wäre.
Ginge das Ganze der von den Eltern erworbenen Fähigkeiten
und Eigenschaften von den Eltern auf die Kinder über, brauchte
die Arbeit des individuellen Fortschrittes in jeder Generation nicht
von Neuem zu beginnen, dann müsste der Fortschritt ein un¬
ermesslicher sein, und das goldene Zeitalter wäre in der That er¬
reicht.
Allerdings haben sich unter dem Einflüsse der neuesten
Forschungen die Verhältnisse in der letzten Zeit wesentlich ge¬
ändert.
Digitized by
Google
192
Während die Vortheile früherer Civilisation nur einer kleinen
Minderzahl zu Gute kamen, werden die Vortheile der modernen
Cultur Allen zu Theil, ja noch mehr, sie werden Allen mehr oder
weniger aufgezwungen. Ich brauche hier nur auf die Zwangs¬
impfung, die Isolirung ansteckender Kranken u. A. zu verweisen.
Das hat nun die weitere Folge, dass der Conflict zwischen den
humanitären und socialistisehen Forderungen des Tages und dem
Rassenwohle um so unverhüllter zu Tage tritt. Denn wenn die
Rassen Veränderung ausschliesslich auf dem Wege der Auslese zu
Stande kommt, das heisst durch den Tod oder die Kinderlosigkeit
gewisser Individuen der Rasse, während die anderen überleben und
Kinder erzeugen, und wenn sich ferner die Natur bemüht, die
minderwerthigen Individuen einer Rasse auszumerzen und auf diese
Weise unschädlich zu machen, und wenn sich die heutige Phil-
antropie dagegen ihrerseits die grösste Mühe giebt, sie am Leben zu
erhalten, so sind das offenbare Widersprüche, die im Interesse des
Ganzen eines Ausgleiches bedürfen.
Die Gesammtheit erfordert die Ausscheidung der Minder¬
werthigen, wenn sie gedeihen soll, und sie geht in ihrem Streben
zielbewusst und unbarmherzig vor.
Der grosse Dichter des Pessimismus, Leopardi, giebt diesem
Bemühen der Natur in den Versen Ausdruck:
Ich weiss es, taub ist die Natur,
Sie kennt nichts von Erbarmen.
Sie sorgt für unser Dasein nur,
Nicht wie es geht uns Armen 1 ).
Das wissen wir ganz gut, und trotzdem geben wir uns alle er¬
denkliche Mühe, auf dem Wege der Entdeckungen, Heilmittel und
Einrichtungen den Erfolgen der Auslese entgegenzutreten und ihre
Wirkung zu vereiteln.
So lange man der Ansicht sein konnte, dass neben der Aus¬
wahl noch die Vererbung, d. h. die Uebertragung erworbener Eigen¬
schaften auf die Nachkommen eine Rolle spiele, so lange Hess sich
diese Erhaltung des Individuums um jeden Preis einigermaassen
vertheidigen. Man verbesserte an dem Individuum, was zu ver¬
bessern war, und hoffte, dass es diese Verbesserungen auf seine
Nachkommen übertragen werde.
Wie schon früher bemerkt, ist man nach und nach von dieser
Ansicht Lamarke's zurückgekommen, und an die Stelle der Ver¬
erbung erworbener Eigenschaften ist das Gesetz der natürlichen
*) So che natura 6 sorda
Che miserar non sa.
Che non del bei sollecito
Fu, ma del esser solo.
Digitized by ^.ooQle
193
Auslese getreten. Wenn wir die für eine Vererbung angeführten
Beweise einer eingehenden Untersuchung unterziehen, so finden
wir, dass für weitaus die meisten Erscheinungen die Naturzüchtung
ausreicht, und auf der anderen Seite zeigt uns die Erfahrung, wie
sich die experimentell verursachten Veränderungen auf dem Wege
der Vererbung nicht fortpflanzen.
Jahrtausende lang werden die Völker semitischer Rasse einer
gewissen Verstümmelung unterzogen, und trotzdem muss die Operation
immer wieder vorgenommen werden, da der entfernte Theil an dem
Neugeborenen von heute ganz ebenso erscheint, wie in den frühesten
Zeiten der Geschichte dieser Rasse.
Die chinesischen Frauen haben seit unvordenklicher Zeit ihre
Füsse verunstaltet, indianische Stämme die Köpfe ihrer Kinder künst¬
lich abgeflacht, und doch werden die Kinder der Chinesen mit
grossen Füssen, die der Indianer mit runden Köpfen geboren; die
Verunstaltung wird nicht vererbt.
Aus diesen und anderen Erwägungen heraus neigen wir all¬
gemein zu der Ansicht Weismann's von der Continuität des Keim¬
plasmas, d. h. dass die Keimsubstanz in ununterbrochenem Zu¬
sammenhänge von einer Generation auf die andere übergehe, ohne
in ihrem Gange von den Veränderungen des Organismus in Mit¬
leidenschaft gezogen zu werden. Wie sollten die Sexualzellen auch,
da sie jeder nervösen Einwirkung entzogen sind, durch eine Ver¬
änderung der Muskeln oder Nervenzellen bei den Eltern betroffen
werden ?
Sie können die Vorgänge im Körper unter Umständen, wie
z. B. unter dem Einflüsse von Alkohol oder Hunger, bei konsti¬
tutionellen Krankheiten u. dergl. mehr, wohl in Mitleidenschaft
ziehen und ihre Lebenskraft herabsetzen, im übrigen aber stellt das
Keimplasma eine ununterbrochene Kette lebender Substanz dar,
welche jedes lebende Wesen an Ahnen der entferntesten Vorzeit
knüpft. Der Mensch ähnelt seinen Eltern, weil er sich aus gleichem
Keimplasma entwickelt wie sie, nicht aber, weil sie ihre Aehnlich-
keit auf ihn übertragen. Und da diese Continuität des Keimplasmas
eine Thatsache und keine Theorie ist, so ist die Auslese auch der
wichtigste, wenn nicht der einzigste Factor in der Entstehung der
Rassen Veränderungen.
Zur dauernden Erhaltung der Rasse gehört zu allererst die
Erhaltung der Zahl ihrer Individuen. Je kleiner eine Rasse ist,
um so gefährdeter ist ihr Bestand, und es ist deshalb von der
elementarsten Bedeutung für ihr Bestehen, dass sich ihre Zahl wo¬
möglich vermehrt, oder zum mindesten doch auf ihrer Höhe verbleibt
Dies kann nur dadurch geschehen, dass im Durchschnitt der Gene¬
ration die Geburtenziffer der Sterbeziffer zum mindesten gleich-
Digitized by
Google
194
kommt. Das beste Verhältniss wäre in dieser Beziehung eine mög¬
lichst hohe Geburten- und eine möglichst niedrige Sterbeziffer.
Die niedrigste der bis jetzt bekannten Sterbeziffern ist 17 von
1000 der Bevölkerung, und diese Zahl muss die Geburtenziffer er¬
reichen, und ebenso darf die Sterbeziffer die höchste der bekannten
Geburtsziffern von 58 auf 1000 nicht überschreiten.
Da indess eine starke Geburtsziffer meist durch schlechte Er¬
nährung der Kinder zu einer vermehrten Sterbeziffer derselben
führt, so bedeuten für gewöhnlich viele Kinder auch viele Todes¬
fälle, mithin einen ökonomischen Verlust und eine Einbusse von
Widerstandskraft anderen Rassen gegenüber, die weniger Geburten
und weniger Tbdesfälle haben. Möglichst wenig Geburten bei noch
geringerer Sterblichkeit ist demgemäss hier das anzustrebende Ziel.
Zwei weitere Bedingungen der Vermehrung einer Rasse liegen
in der Verminderung von Schädlichkeiten, und in der Vermehrung
der Constitutionskraft ihrer Individuen.
Für die erstere Bedingung können wir die bessere Kranken-
und Gesundheitspflege heranziehen, für die letztere war es früher
u. A. der Krieg.
In den früheren Kämpfen blieben bei dem Mangel an Feuer¬
waffen die Stärksten, Gewandtesten und Schlausten am Leben, der
Schwache, Ungewandte und Dumme ging zu Grunde. In der
Neuzeit dagegen, dem Zeitalter der weittragenden Schusswaffen, ist
das Verhältniss ein wesentlich anderes, und jedenfalls ist es nicht
mehr der Bessere, der am Leben bleibt Im letzten Kriege stellte
sich nach Haushofer die Mortalität auf deutscher Seite für die
Generäle auf
46 # /oo
Stabsoffiziere
105 „
Hauptleute, Rittmeister
86 „
Lieutenants
89 ,
Unteroffiziere und Mannschaften 45 „
Der moderne Krieg kann daher nicht mehr als eine Auslese
im Sinne der Natur angesehen werden.
Wenn wir nun die verschiedenen Rassen in ihrem Verhältniss
des Ueberschusses der Geburten über die Todesfälle mit einander
vergleichen, so eilen auf der ganzen Erde die Westarier, d. h. die
Angehörigen der weissen Rassen voran, die Germanen der Gesammt-
heit der nicht germanischen Westarier, und die Engländer den
anderen Germanen. In Europa allein dagegen überflügeln die
Slaven die anderen Westarier, dann kommen in bedeutend ge¬
ringerem Grade die Germanen, unter denen die Engländer auch
hier am raschesten anwachsen.
Während Grossbritannien und Irland in den letzten 25 Jahren
um 25° o zugenommen hat, ist Frankreich stehen geblieben. Der
Digitized by CjOOQle
195
Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle betrug dort 50%,
während er in Frankreich kaum merklich ist. Aus denselben
Gründen ist die Colonialpolitik für England ein Bedürfnisse für die
Franzosen eine Sache des Ehrgeizes, ein Ideal, aber keine Noth-
wendigkeit Dass das vitale Bedürfnis der Engländer sich bei
weitem stärker wirksam erweist, als der Ehrgeiz der Franzosen,
ist gewiss nicht wunderbar und ist u. A. aus der Thatsache er¬
sichtlich, dass in der Welt von den grossen europäischen Sprachen
das Englische von 12,7 °/o im Jahre 1801, im Jahre 1890 dagegen
von 27,7 °/o gesprochen wurde und das Französische in der gleichen
Zeit von 19 auf 12,7 herabgesunken ist. Das Deutsche ist mit
18,7% stehen geblieben. Wir können daraus entnehmen, welche
Folgen eintreten, wenn eine Gruppe von Individuen an Fruchtbar¬
keit zurückgeht und fernerhin, wie das Englische zur Welt¬
sprache wird.
Ob man die Engländer deshalb und aus anderen Gründen für
die beste Rasse anzusehen hat, wie dies ohne allen Zweifel ihre
eigene Ansicht ist; ob die Amerikaner das Recht haben, sich den
Vorzug zu geben, dafür steht die Entscheidung zur Zeit noch und
für so lange aus, als wir nicht eine Messeinheit besitzen. So nöthig
hierfür die Gewinnung einer psychophysischen Messeinheit wäre, so
werden wir doch bis auf Weiteres darauf verzichten müssen, da zu¬
nächst die Vorarbeiten für ein solches Ziel noch nicht weit genug
gediehen sind, ja vielfach noch in den Kinderschuhen stecken.
Ein besonderes Interesse beansprucht in dieser Beziehung die Ge¬
schichte der jüdischen Rasse, und wenn wir daraus erfahren, dass
in ihr kaum 5 % an reinem semitischen Blut stecken und im Laufe
der Jahrtausende 95% fremde Bestandteile hinzugekommen sind,
die vorzugsweise arischem Blute entstammen, dann wird man dem
Antisemitismus doch etwas misstrauisch gegenüberstehen.
Wenn vorher die Rede war, dass die Ueberlegenheit der Rasse
in ihrer Zahl beruhe, so thut es die Zahl allein freilich nicht.
Ausser der Zahl müssen auch die Güte und die Vollkommenheit
grösser sein. Diese grössere Vollkommenheit liegt vorzugsweise in
der grösseren Adaptionsfähigkeit an die verschiedenen Bedingungen,
welche die Umgebung an den Menschen stellt.
Die Adaptionsfähigkeit verleiht der Rasse die Möglichkeit, sich
weiter auszubreiten und eine grössere Anzahl von Individuen
zu liefern.
So sehen wir, dass der grosse und starke Gorilla nur in der
heissen Zone leben kann. Auch der Neger ist seiner Natur nach
an bestimmte Theile der Erde gebunden, und er geht zu Grunde,
wenn er sich in andere Länder verpflanzen wollte, die seiner Natur
und Anlage nicht entsprechen. Nur der Kaukasier allein beherrscht
Digitized by
Google
196
die Erde in fast allen ihren Theilen, und nur er kann vermöge seiner
Intelligenz und Arbeitskraft so viel aus dem Boden herausziehen,
dass seiner Vermehrung weit weniger enge Schranken gesetzt sind,
als dem Neger.
Diese Ueberlegenheit des Kaukasiers beruht auf der Feinheit
seiner Organisation, und nicht zum wenigsten auf der Feinheit
seines Gehirns. Von dem Augenblicke an, wo das Gehirn die
Führung der anderen Organe übernahm, bildete es sich nämlich
unter allen am meisten aus, und dies sogar auf Kosten einer Reihe
von anderen Organen, welche durch die Herrschaft des Gehirns
überflüssig wurden und zurückgegangen sind. Um nur ein Beispiel
anzufiihren, so sind unsere Zähne kleiner und ihre Zahl geringer
geworden, sogar die sogen. Weisheitszähne schwinden mehr und
mehr, weil unser Gehirn die Speisen besser herzustellen lehrt und
wir den Mund mehr zum Reden als zum Essen benutzen.
Immerhin aber muss die Frage offen bleiben, ob sich in
historischer Zeit wesentliche Veränderungen nach dieser Richtung
hin nach weisen lassen, und ob eine Verbesserung des Menschen¬
geschlechts stattgefunden habe. Hier steht Meinung gegen Meinung,
und wenn Galton, ein englischer Forscher, nach eingehender Be¬
trachtung der Staatsmänner, Philosophen, Feldherren und Künstler
zur Zeit des Perikies die Durchschnittsfähigkeit der Athener jener
Zeit um 2 Grade höher veranschlagt, als unsere heutige Rasse, also
etwa um so viel höher, als unsere Rasse über der des afrikanischen
Negers steht, so ist dies nicht gerade ermuthigend.
Wir haben hier vor Allem in Betracht zu ziehen, dass ein
Unterschied besteht zwischen der angeborenen intellektuellen
Leistungsfähigkeit und unserem intellektuellen Besitze. Der
materielle Fortschritt bedingt noch lange keinen geistigen, und
wenn der erstere unbestritten in ungeheurem Maasse zugenommen
hat, so folgt daraus keineswegs, dass wir mehr wissen und können
als unsere Vorfahren, dass wir an ihre geistige Grösse heranreichen
oder sie gar übertreffen. Dabei kann das Durchschnittsniveau der
ganzen Erde ganz gut ein höheres geworden sein, indem einmal
die niederen Rassen ganz zu Grunde gehen, und in den höheren
Rassen die besseren Elemente den Wettbetrieb über die anderen
davontragen.
Aber auch hier sind die Thiere im Grunde genommen besser
daran, als wir. Bei den Thieren ist es der Kampf ums Dasein, ein
unerbittlicher Kampf aufs Messer, der stets mit dem Untergange
des schwächeren Individuums endet, beim Menschen dagegen handelt
es sich weniger um einen Kampf um das Ueberleben, sondern um
erreichbaren Ueberfluss an Gütern und Besitz. Trotz allem Kampfe
bleibt bei den Menschen ein Theil der Minderwerthigen am Leben
Digitized by v^ooQle
197
und pflanzt sich fort, und auf diese Weise haben wir uns den ge¬
ringen Fortschritt zu erklären, der sich unter Anderem in der sich
gleichgebliebenen Grösse des Schädels ausspricht.
Zudem hat die Gesellschaft von jeher gewaltsam in diesen
Fortschritt eingegriffen. Jahrhunderte lang gingen die Besten des
Volkes verzweifelnd an der Welt und den Menschen ins Kloster
und überliessen die Sorge der Fortpflanzung ihren weniger empfind¬
samen und ihren roheren Genossen, und wieder lange Jahrhunderte
hindurch hat die Kirche in selbstmörderischer Politik einen er¬
bitterten Krieg gegen Alles geführt, was an geistiger Grösse über das
gemeine Maass hervorragte.
In den 3 Jahrhunderten von 1471—1781 sind in Spanien allein
an 1000 Menschen jährlich der Ketzerverfolgung und der Inquisition
zum Opfer gefallen, und was das für das Wohl des Landes und die
spanische Rasse überhaupt zu besagen hatte, steht nur allzudeutlich
in den Annalen der Geschichte zu lesen.
Nicht viel anders wirken Erbgesetz und die Erhaltung der
schwächlichen Kinder. Auch die besten Klassen sind in der Wahl
ihrer Ehehälften nichts weniger als verständig. Nicht Gesundheit
und Kraft geben den Ausschlag der Wahl, sondern meist sind es
andere Gründe, die mit der körperlichen oder geistigen Vollkommen¬
heit nichts zu thun haben.
Bisher haben wir eine ganze Reihe zerstörender Kräfte kennen
gelernt, die auch ohne ein directes Eingreifen der Gesellschaft dem
Bestreben der Natur nach der Ausschaltung der Minderwerthigen
entgegenarbeiten.
Aber auch an einem directen Eingreifen lässt es die heutige
Gesellschaft nicht fehlen.
Mit der zunehmenden Ueberzeugung, dass es mit unserer
Heilkunst gegen bereits bestehende Krankheiten nicht weit her sei,
musste natürlicher Weise die Neigung wachsen, der Entstehung der
Krankheiten entgegenzutreften, und wir stehen zur Zeit unter dem
Zeichen der Hygiene.
Das Merkzeichen unseres Jahrhunderts ist die übertriebene
Werthschätzung des Individuums, und die moderne Herrschaft der
Humanität drängt mehr und mehr zu einer Individualhygiene.
Erhaltung des einzelnen Individuums um jeden Preis, das ist
das Ziel und Streben, das heute seine Anerkennung findet, und
kaum denkt Jemand daran, wie arg das Wohl des Ganzen dadurch
geschädigt und wie sehr die Zukunft der Rasse in Frage ge¬
stellt wird.
Nirgends hat die medizinische Prophylaxe unserer Tage einen
grösseren Triumph gefeiert, als in der Ausrottung gewisser Orga¬
nismen, die in den menschlichen Körper eindringen und dort fieber-
Digitized by v^ooQle
198
hafte Prozesse hervorrufen können, wie z. B. Pocken, Masern,
Typhus, Cholera und vieles Andere.
Mit den Pocken sind wir dank der Impfung so gut wie fertig
geworden, den Typhus, die Malaria drängen wir Schritt für Schritt
zurück, und auch der Cholera soll es, wie wir wenigstens hoffen,
schlecht ergehen, sollte sie es sich beikommen lassen, einen Einfall
zu wagen.
Sicherlich ist es verdienstvoll und schön, die Sterblichkeit
eines Volkes herabzusetzen. Wenn wir aber von anderer Seite er¬
fahren, wie Rassen, welche Epidemien einer bestimmten acuten
Infectionskrankheit ausgesetzt sind, unter dem Einflüsse der be¬
treffenden Mikroorganismen einer Auslese unterliegen, und wie die
Ueberlebenden aus besonders widerstandsfähigem Stoffe gemacht
sind, so gewinnt jener anscheinende Fortschritt eine andere und
weit weniger günstige Beleuchtung.
Nach dieser Art der Auffassung dürfte man die Tuberkulose
geradezu als einen Freund der Rasse bezeichnen, da sie mit Vor¬
liebe Individuen einer ganz bestimmten Art befällt, die, von
zarterer Organisation, von vornherein weniger widerstandsfähig und
daher als minderwerthig anzusehen sind. So bedeutet fast jede
Verbesserung der öffentlichen hygienischen Verhältnisse einen Vor¬
theil für die Schwächlichen, und wenn die wahrscheinliche Lebens¬
dauer des modernen Menschen, wie uns mit Stolz entgegengehalten
wird, eine grössere geworden ist, so bedeutet das in Wirklichkeit
nichts Anderes, als dass dies nur auf Kosten der Durchschnitts¬
stärke der Constitution oder der angeborenen Gesundheit der Rasse
geschieht. Denn heute lebt eine grössere Zahl schwächlicher und
kränklicher Individuen unter uns, leidet eine grössere Zahl von
ersteren an tuberkulösen, skrophulösen und anderen Anlagen als in
früherer Zeit, und diese und andere Anlagen gehen auf unsere
Kinder über.
Neben der Abnahme der constitutioneilen Krankheiten ist die
Kindersterblichkeit eine geringere geworden, und wir würden dies
gewiss freudig begrüssen, wenn hiermit nicht wiederum eine Zu¬
nahme der erblichen Krankheiten, ein Ueberhandnehmen der an¬
geborenen Anlagen Hand in Hand ginge.
Wenn dementsprechend die wahrscheinliche Lebensdauer für
die Jahre 0—15 zugenommen hat, so hat sie für die Zeit nach dem
15. Lebensjahre abgenommen, und eben so gewiss ist eine Zunahme
des sogenannten neuropathischen Temperamentes und damit der
Nervenkrankheiten überhaupt.
Wie sich hier die Ansichten so ganz anders gestalten können,
wie wir sie dem gewohnten Gange nachbetend gemeiniglich flir
richtig halten, beweist u. A. ein kurzes Eingehen auf den Trunk.
Digitized by v^ooQle
199
Dass die Trunksucht schädlich und mit allen Mitteln zu be¬
kämpfen sei, das ist Gemeingut aller ordentlichen Leute geworden
und hat zu den bekannten Mässigkeitsvereinen oder doch zu den
Vereinen gegen den Missbrauch geistiger Getränke geführt
Und doch erweist sich jene allgemeine Annahme nur in be¬
schränktem Maasse als richtig. Sicherlich da, wo es sich um all¬
gemeine Trunksitten handelt, die an dem Marke eines ganzes Volkes
zehren. Ganz anders aber dort, wo die Trunksucht den Ausdruck
eines individuellen Hanges darstellt. Die Statistik der Staaten von
Maine, Kansas und Jowa, wo die Production und der Handel mit
Alkohol verboten ist, ergiebt anstatt der erhofften Abnahme eine
verblüffende Zunahme an Verbrechern und Geisteskranken, und an
Stelle der verpönten Schenken sind Opiumhöhlen getreten. Hier
ist der Missbrauch des Alkohols das Symptom einer Minderwertig¬
keit, die durch den Missbrauch zu Grunde geht, und die sich in
einer anderen und weit schlimmeren Richtung Luft machen wird,
wenn man sie daran hindert, sich zu Tode zu saufen.
Es wird deshalb Niemand im Ernste daran denken, Tuberkulose
und Alkohol zu diesem Zwecke einzuführen oder auch nur den
anderen Bestrebungen entgegenzutreten, die der Erhaltung des
Individuums gewidmet sind. Andererseits geben uns diese Er¬
fahrungen zu denken, und sie fordern uns geradezu zu der Er¬
wägung auf, wie wir auf eine andere Weise der Gefährdung der
Rasse entgegenwirken können.
Das Rezept hierfür ist keineswegs neu, und schon Schopenhauer
hat es in einer recht derben Weise dahin formulirt: „Könnten wir
alle Schurken unschädlich machen und alle dummen Gänse ins
Kloster stecken, den Leuten von edlem Charakter ein ganzes
Harem beigeben und allen Mädchen von Geist und Verstand
Männer und zwar ganze Männer verschaffen, so würde bald eine
Generation entstehen, die ein mehr als Perikleisches Zeitalter dar¬
stellt.“ Man kann mit dieser Auffassung des Frankfurter Philo¬
sophen völlig einverstanden sein, ohne deshalb ein besonderes Ver¬
trauen auf die nahe Durchführbarkeit der von ihm in Vorschlag
gebrachten Maassregeln zu setzen.
Das Gleiche gilt von dem Vorschläge Wallace’s, der die Wahl
den Frauen überlassen will, die sich dann schon den besten Mann
aussuchen würden. Alles das ist ganz schön geplant, in der Aus¬
führung aber etwas schwierig, und wenn wir selbst den besten
Frauen die Verpflichtung auferlegen wollten, möglichst viele Kinder
zu gebären, so fragt es sich noch sehr, ob die besten Frauen gewillt
wären, auf diesen Vorschlag zur Güte einzugehen.
So viel aber ergiebt sich aus allen diesen Vorschlägen, dass
nur auf dem Wege der Ehe eine Verbesserung der Schäden zu
Digitized by
Google
200
erreichen ist. Nicht mehr die Zahl der Kinder, sondern deren
gute Beschaffenheit muss das Ziel sein, und wie der Staat den
Vater zwingen kann, sein Kind in die Schule zu schicken, so
muss er auch das Recht haben, ihm die Ehe mit einer minder-
werthigen Frau zu verbieten.
Dass der Staat das Recht haben muss, seine extra- und anti¬
socialen Elemente an der Fortpflanzung überhaupt zu hindern, kann
nach unserer bisherigen Ausführung keinem Zweifel unterliegen.
Dem geborenen Verbrecher, dem die verbrecherische Neigung zur
zweiten Natur geworden ist, die er nicht mehr lassen kann, musa
jede Möglichkeit, diese Neigung auf andere Generationen zu über¬
tragen, gründlich abgeschnitten werden.
Dass der Armenpflege und der strafenden Gerechtigkeit hiermit
ganz andere Aufgaben erwachsen, wie sie zur Zeit gang und gäbe
sind, ist eine Forderung, die mit der zunehmenden Erkenntniss von
der Natur der Verbrecher ohnehin gestellt werden muss.
Mögen wir danach streben, diesen Auswurf der Menschheit zu
bessern, gut, so lange sie aber ungebessert sind, sollen sie die
Folgen ihrer Lebensführung ungemildert tragen.
Welchen Anspruch hat der träge und gefährliche Vagabund,
die Vortheile einer Civilisation zu gemessen, die auf die mühevolle
Arbeit der ehrlichen Leute aufgebaut ist, wenn er an dieser nicht
theilnehmen will?
Dass wir mit diesen Extrasocialen auf die eine oder andere
Weise fertig werden müssen, ist ausser aller Frage. Die Behand¬
lung dieses Gegenstandes hat bisher gar zu sehr dem Gebahren dea
Vogels Strauss geglichen, der bekanntermaassen seinen Kopf in den
Sand steckt, wenn er anders nicht weiss, wohin er damit soll und
ihm Gefahr droht.
Noch ist diese Gefahr nicht so drohend, noch und bis auf
Weiteres hat die Welt Platz genug, und eine Beschränkung der
Zunahme ist vorläufig nicht geboten. Aber diese Zunahme sollte
von Gott und Rechts wegen von den besseren Elementen aus¬
gehen, nicht von den schlechteren, und diese besseren Elemente
haben sich ihrer Aufgabe besser bewusst zu werden.
Wir schulden unseren Vorfahren so unendlich viel, dass es
nichts als unsere verfluchte Pflicht und Schuldigkeit wäre, für
unsere Nachkommen gleiche Sorge zu tragen. Je mehr wir die
Bedingungen kennen lernen, um so mehr werden wir zur Erfüllung
der Aufgaben bereit sein.
Man hat vielfach in der Concurrenz der Individuen eine dieser
Bedingungen gesehen, indem man voraussetzte, es werde sich durch
diese Concurrenz in der menschlichen Gesellschaft ein ähnlicher
Kampf abspielen, wie dies in der Thierwelt geschieht.
Digitized by CjOOQle
201
Insofern als ganze Rassen in blutigem Kampfe mit einander
ringen, der Erfolg der stärkeren zufällt und die schwächere zu Grunde
geht, hat diese Annahme eine gewisse Berechtigung. Allein das
Verhältniss wird sofort ein anderes, so wie es sich um die Con-
currenz der Individuen unserer Gesellschaft handelt. Hier steht
mehr die Hirnkraft gegen Hirnkraft, als Muskelkraft gegen
Muskelkraft, und der Preis des Siegers ist keineswegs der Unter¬
gang des Gegners.
Zudem fehlt es hier an der Grundbedingung eines auslesenden
Kampfes, an der gleichen Vertheilung der Chancen, und nicht
immer kommt der als Erster an das Ziel, der auch der Tüch¬
tigste ist.
Durch die Anhäufung und Vererbung von Eigenthum ist es
einzelnen Individuen möglich geworden, grosse Mengen von Werth¬
gegenständen anzusammeln und zu erwerben, oder in ein Mittel
umzusetzen, das dafür eingetauscht werden kann, Geld. Die
reicheren Klassen besitzen Kapital genug, um ihre Kinder bei
völligem Nichtsthun zu unterhalten und in bessere Stellung zu
bringen; die Kinder solcher Familien, die wenig Geld besitzen, sind
dadurch von vornherein im Nachtheil und in der Gefahr, bei einer
Concurrenz zu unterliegen, mögen sie ihre begüterteren Gegner noch
so sehr an Kraft und Wissen übertreffen.
Das Kapital der Wohlhabenderen verleiht an sich ihren Kindern,
die durchaus nicht immer die begabtesten sind, einen ungeheuren
Vortheil in der Concurrenz mit den Söhnen der Armen, und wenn
auch die moderne Kultur hierin nach den verschiedensten Seiten
ausgleichend gewirkt, Standesunterschiede ausgeglichen, Vorurtheile
aufgehoben und den nicht besitzenden Klassen auf diese Art ein
Eintreten in die Concurrenz erleichtert hat, so fehlt doch in unserer
civilisirten Gemeinschaft noch viel an einer gleichen Vertheilung
der Chancen und Vortheile für jedes in ihr geborene Kind. Ohne
diese gleiche Vertheilung von Luft und Licht wird nach wie vor
ein grosser Theil von individueller Kraft unterdrückt, so manche
Impotenz künstlich aufgestutzt, und die Concurrenz muss ihre Auf¬
gabe in grossem Umfange verfehlen, die fähigsten Bewerber an
die Spitze zu bringen. Bekanntlich glauben die Anhänger socialer
Zukunftspläne mit der Forträumung der künstlichen Schranken
zwischen den verschiedenen Klassen und mit der gleichmässigen
Vertheilung von Rang und Reichthum die grosse Frage zu lösen
und das goldene Zeitalter herbeizuführen.
Dem gegenüber kann nicht genug darauf hingewiesen werden,
wie gewisse Unterschiede nie verschwinden und die arbeitenden
Massen im Vergleich mit anderen Producenten stets relativ arm
bleiben werden.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. IV. Jahrg. 15
Digiti ■ Dy ^.ooQle
202
Wenn alle Welt sich in Seide kleiden, von jungen Hähnen und
Schoten leben würde, dann werden diese Genüsse nicht mehr als
ein Vorzug gelten, da der Mensch nun einmal so geschaffen ist,
dass er nicht das schätzt, was er besitzt, sondern nur das, was er
entbehrt. Wenn aber die Tendenzen unserer Zeit weiter wirken und
die Tüchtigsten in Folge ihres geistigen Bemühens zu einer höheren
gesellschaftlichen Stellung gelangen, dann kann es dahin kommen,
dass die arbeitenden Klassen immer ärmer an angeborenen Talenten
werden. Es müssen sich alsdann unter den verschiedenen Klassen
merkliche organische Unterschiede herausbilden, die vorläufig nicht
vorhanden sind.
Und sind jene Tüchtigsten wirklich stets die besten? Werden
es nicht vielfach die Schmiegsamsten und Rücksichtslosesten sein,
die sich auf den Schultern der andern in die Höhe schwingen, und
von denen somit eine Veredelung der Rasse nicht zu erwarten ist?
Aber selbst dann, wenn man in jener „Oberklasse“ eine wirkliche
Aufbesserung der Rasse erblicken würde, dann wäre es noch sehr
die Frage, ob die Zukunft einen Vortheil davon zu erwarten hätte.
Dass sie mehr Nachkommen erzeugen, als die minderwerthigen
arbeitenden Klassen und so auch für die Zukunft Sorge tragen
werde, muss ftiglich bezweifelt werden. Die Statistik wenigstens
beantwortet diese Frage mit „Nein“, und nach Gründen für diese
Verneinung brauchen wir nicht weit zu suchen.
Während im Thierreich die verbesserte Anpassung zum Ueber-
leben und zur Fortpflanzung führt, führt sie den Menschen zur
Ehre und zum Reichthum, neljenbei aber auch zur Sterilität.
Der Ackerknecht hat seine Ausbildung mit dem zwanzigsten
Jahre vollendet. Er kann es kaum weiter bringen, und er schreitet
in diesem Alter unbesorgt zur Ehe und zur Kindererzeugung. Der
Kaufmann, der Gelehrte und Beamte dagegen brauchen eine viel¬
seitige allgemeine Bildung und eine langdauernde praktische Aus¬
bildung, und wenn sie überhaupt heirathen, thun sie das in einem
weit späteren Lebensabschnitte.
In der arbeitenden Klasse dagegen bringen nicht nur die ein¬
zelnen Frauen mehr Kinder zur Welt, als in den höher gebildeten
Ständen, sondern dank dem früheren Heirathen folgen sich die
Generationen auch schneller.
Haycraft führt dies an einem Beispiele näher aus. Eine
Arbeitersfrau A ist seit dem 23. Jahre, eine Rechtsanwaltsfrau B
seit dem 26. Jahre verheirathet, und jede von ihnen hat vier Kinder.
In dem Falle A wird die Familie etwa alle 27 Jahre auf die
doppelte Zahl anwachsen, im Falle B alle 30 Jahre, angenommen,
dass in beiden Fällen die Geburten in den Zeitraum von 4 Jahren
fallen. Die Nachkommenschaft der Frau A wird in 270 Jahren
Digitized by ^.ooQle
203
2048 Köpfe zählen, die der Advokatenfrau nur die Hälfte, nämlich
1024 in derselben Zeit.
Wir können daraus ersehen, wie schon in den natürlichen Ver¬
hältnissen unserer modernen Civilisation die Gründe fUr ein lang¬
sameres Anwachsen der bevorzugteren Klassen gelegen sind, und
dass wir nicht nöthig haben, sie in anderen zu suchen, die
mehr künstlicher Natur sind und auf einem anderen Gebiete liegen,
obwohl deren Einfluss keineswegs geleugnet werden soll.
Haben wir aber bisher kein Mittel in der Hand, die Besseren
der Nation zum Heirathen und zum Kindererzeugen zu zwingen,
so müssen wir immer auf den Punkt zurückkehren, dass wenigstens
die Fortpflanzung der antisocialen Elemente so viel als möglich zu
verhindern sei.
Wenn unser Mitgefühl dem Leiden gehört, so muss es in erster
Linie dahin wirken, zu hindern, dass überhaupt Menschen entstehen,
die zum Leiden bestimmt sind. Alle, die sich nicht selbst erhalten
können, sei es in Folge von Kranksein, Schwächlichkeit, Irresein
oder Charakterdefecten, werden trotzdem von der Gemeinschaft
nicht gehindert, die Function der Elternschaft auszuüben, und doch
setzt diese Function ihrem Wesen nach einen Ueberschuss von Kraft
über dasjenige Maass hinaus voraus, das für die Selbsterhaltung
des Individuums erforderlich ist.
„Die oberflächlichste Betrachtung der Frage wird uns lehren,
dass in der Flucht der Dinge allein der organische Quell des
Lebens Dauer besitzt. Wir vergessen zu leicht, wie vergänglich
Rang und Reichthum im Grunde doch sind, dass Gold und Silber
beständig ihre Besitzer wechseln, dass Häuser neu gebaut werden
müssen, dass alter Grundbesitz seine Grenzen verliert. Unsere per¬
sönlichen Ideen und Leidenschaften tauchen nur auf, um bald für
immer zu verschwinden; ganze Familien und Rassen gehen dahin
und hinterlassen keine Spur. Und doch ist die Menschheit noch
da, seit unvordenklicher Vorzeit bis heute fortdauernd, und Manche
von uns werden im Blute der Menschheit, wie sie nach Aeonen
sein wird, fortleben. In diesem Lebensquell zählt der Schäfer und
sein gesundes, munteres Weib mehr als der Kaiser, der eine kränk¬
liche Prinzessin neben sich auf dem Throne hat und so das Glück
seiner Nachkommen zerstört. Gehirn und Muskeln sind Leben,
Besitz und Rang nur Beiwerk. Der Ehe gegenüber müssen wir
nicht ihr Ziel und ihren Zweck vergessen, denn das Individuum
führt sein Sonderleben nur so lange, bis es sich selbst reproducirt
hat; jede Generation lebt nur, um die nächste hervorzubringen.
Wenn die Menschen das nur erst allein recht verstehen werden,
wird diese Einsicht gewiss einen grossen Einfluss auf ihre Stellung
zur Ehe haben, und mit dem wachsenden Gefühle für die damit
15 *
Digitized by CjOOQle
204
verbundene Verpflichtung und Verantwortung muss auch die Zahl
körperlich und geistig minderwerthiger Kinder abnehmen.
Auf dem Boden einer verständigen Auslese der Eltern des
künftigen Geschlechtes werden wir auch nichts mehr von der Pflege
zu fürchten haben, welche die moderne Kultur und die Hygiene
dem Individuum gewähren.
Wenn die Gemeinschaft die Auslese selbst ausübt, wird der
auslesende. Einfluss der Mikroorganismen von Scharlach, Keuchhusten
und Tuberkulose entbehrlich; unsere Heil- und Diätmittel können
dann nur mit Vortheil verwendet werden, um den Menschen eines
kräftigen und energischen Geschlechtes über die Gefahren weg¬
zuhelfen, die auch ihnen einmal drohen können.“ Ich glaube, meine
Ausführungen nicht besser beschliessen zu können, als indem ich
den Schlusssatz des Haycraft'schen Werkes wörtlich anführte.
Und nun zum Schlüsse noch ein kurzes Wort über die beiden
Bücher selbst, welche den Anlass zu der vorstehenden Ausführung
gegeben haben.
Das Buch von Ploetz bildet den ersten Theil eines Werkes,
das der Verfasser selbst als einen Versuch bezeichnet, aus zwie¬
spältigen Gedanken und Empfindungen zur Klarheit zu gelangen.
Indem er sich bemühte, zunächst das Material flir eine umfassende
Bearbeitung des Gegenstandes zu sammeln, ergeht es ihm, wie es
so manchem Anderen unter ähnlichen Umständen ergangen ist, dass
er nämlich manches minder Werth volle mit in den Kauf nehmen musste,
und dass sein Versuch hin und wieder einer einheitlichen Durch¬
arbeitung und Abrundung entbehrt. In dem zweiten Theile will
er die Mittel besprechen, den rassenhygienischen Anforderungen
gerecht zu werden, und nach einer Besprechung des Schutzes der
guten Variationen im Wesen eine Untersuchung über die Mittel
und Wege zur Erzeugung tüchtiger Nachkommen geben.
Das andere Buch stellt die Wiedergabe von Vorlesungen dar,
die der Verfasser im Royal College of Physicians zu London ge¬
halten hat, und zwar in einer Bearbeitung, welche dem Bedürfnisse
eines nicht ausschliesslich aus Aerzten bestehenden Publikums an¬
gepasst ist, ein Standpunkt, der übrigens auch von Ploetz ein¬
genommen wird. Das Buch ist vorzüglich geschrieben und ebenso
vorzüglich übersetzt. Es hilft uns in klarer Uebersicht und oft
wie spielend über die schwierigsten Probleme hinweg, und eignet
sich daher vorzugsweise zur Einführung in diesen recht schwierigen
Wissenszweig, während uns Ploetz durch ein reichhaltiges Material
weiter hineinführen und zur Bildung eines selbständigen Urtheils
die Hand bieten will.
Digitized by ^.ooQle
205
Bericht über die Frage der Einführung der
Müllverbrennung in Elberfeld 1 ).
Von
Stadtbauinspector Hopfner.
(Mit 2 Abbildungen.)
Auf Vorschlag der städtischen Baucommission hat die Stadt-
verordneten-Versammlung in ihrer Sitzung vom 3. December 1895
die Kosten (2500 Mk.) für die Vornahme von Verbrennungsversuchen
mit Elberfelder Müll in der von der Strassenreinigungs-Deputation
der Stadt Berlin in dankenswerther Weise zur Verfügung gestellten
dortigen Versuchsanlage bewilligt.
Diese Versuche haben in der Zeit vom 4. bis 9. Januar d. Js.
stattgefunden und ich habe denselben, dem mir ertheilten Auftrag
entsprechend, beigewohnt.
Ueber den Verlauf der Versuche und über die Frage der Be¬
seitigung der städtischen Abfälle durch Verbrennung gestatte ich
mir, unter besonderer Berücksichtigung der hiesigen Verhältnisse,
Folgendes zu berichten.
Die Frage der Beseitigung der festen städtischen Abfälle durch
Verbrennung ist vom Stadtbauamt stets mit besonderer Aufmerk¬
samkeit verfolgt und die Vornahme von diesbezüglichen Versuchen
bereits im Sommer vorigen Jahres durch mündliche Besprechung
mit dem die Berliner Versuchsanlage leitenden Herrn Regierungs¬
baumeister Grohn vorbereitet worden.
Der erste officielle Bericht über den Gang der Verbrennungs¬
versuche mit Berliner Müll, welcher vom 9. Mai 1895 datirt ist,
lautete nicht sehr ermuthigend für den Erfolg der Sache in Deutsch¬
land; es konnte aber doch bei den hier in Elberfeld vorliegenden
Verhältnissen auf ein besseres Ergebniss mit unserem Müll von vorn¬
herein gerechnet werden.
Im Gegensatz zu Berlin, wo in grossem Umfange mit Braun-
kohlenbriquettes geheizt wird, die eine sehr feine, das Feuer ein¬
dämmende Asche zurücklassen, findet nämlich hier fast ausschliesslich,
ähnlich wie in England und Hamburg, die Steinkohle zu diesem
Zwecke Verwendung. Ausserdem ist zu beachten, dass die in
Berlin üblichen, in der Wohnung feststehenden und zu dieser ge¬
hörigen Oefen das Feuerungsmaterial durchschnittlich besser aus-
*) Der Bericht wurde im Februar 1896 an die Stadtverordnetenversamm¬
lung erstattet.
Digitized by v^ooQle
206
nutzen, wie die hier gebräuchlichen, zu den Möbeln zu rechnenden,
oft recht mangelhaften Heizanlagen.
Um indessen über die Zusammensetzung des hiesigen Mülls
ein genaues Urtheil zu erhalten, wurden in der Zeit vom 17. October
bis 18. November und Ende December v. Js. mechanische Mtill-
analysen durch Absieben und Aussortiren des aus allen Stadt¬
gegenden entnommenen Kehrichts vorgenommen, und zwar nach
den in Berlin hierfür geltenden Vorschriften nach 14 Kategorien.
Es wurden auf diese Weise bei der ersten Sortirung 22282 kg,
bei der zweiten 7823 kg, also im Ganzen 30105 kg, sortirt und
die in Gewichtsprocenten ausgedrückten Resultate sind in nach¬
folgender Tabelle verzeichnet:
Tabelle I.
Ermittelter Inhalt.
Elberfelder Müll
Englisches
sortirt
Oct./Nov.
sortirt
December
Müll
1. Kohlentheile.
0,29
0,17
0,150
2. Halbverbrannte Kohle (Koks). .
3,29
4,90
28,800
8. Papier.
1,85
0,36
—
4. Lumpen.
1,12
0,31
0,425
5. Knochen.1.
0,51
0,19
0,250
6. Holz.
0,35
0,14
1
7. Sonstige pflanzliche und thierische
Theile.
36,62
26,18
\ 14,200
8. Feiner Siebdurchfall.
47,03
57,25
52,600
9. Schlacken . . . ..
3,12
6,45
—
10. Weisses Glas.
0,97
0,65
0,075
11. Buntes Glas.
0,63
0,41
| 0,225
12. Eisen.
0,36
0,27
0,350
13. Anderes Metall, einschl. Blech¬
büchsen .
0,39
0,24
0,025
14. Scherben, einschl. Steine ....
3,47
2,48
2,900
100,00%
100,00%
Ü 100,000%
| r
Die so gewonnenen Resultate können natürlich ein vollkommen
richtiges Bild über die Zusammensetzung des Elberfelder Mülls nicht
geben, da diese sich mit der Jahreszeit wesentlich ändert. Ich er¬
wähne in dieser Beziehung nur, dass in dem Müll im Sommer sehr
viele GemüseabfÜlle, im Winter mehr Kohlenreste und Asche als im
Sommer, enthalten sind.
Ohne nun auf eine weitere Discussion dieser Resultate einzugehen,
sei nur bemerkt, dass nach deren Feststellung die Hoffnung auf ein
günstiges Ergebniss der Verbrennungsversuche erheblich sank, da der
gegen die Berliner Zahlen erwartete höhere Prozentsatz an nicht und
nur halbverbrannten Kohlen sich nur in sehr geringem Umfange zeigte
Digitized by ^.ooQle
207
und hinter einer englischen Analyse, die zum Vergleich mit an¬
gegeben ist und die 28,8 °/o halbverbrannte Kohlen gegen 3,29 bezw.
4,90°/o der Elberfelder Analyse aufweist, so erheblich zurückblieb.
Doch schon das Aussehen des Elberfelder Mülls im Vergleich
zum Berliner — ersteres ist grauschwarz, letzteres hellgraubraun —
liess erkennen, dass das Elberfelder Müll noch eine erhebliche
Menge unverbrannte Kohle — Grus — in so feiner Vertheilung
enthält, dass dieselbe durch die mechanische Analyse nicht fest¬
gestellt werden kann. Dieser Umstand ist offenbar darauf zurück¬
zuführen, dass die hier zur Heizung verwendeten Steinkohlen einen
beträchtlichen Procentsatz von Grus enthalten, welcher zum Theil
unverbrannt durch den Ofenrost in die Asche fällt, was bei den in
Berlin zu Heizzwecken benutzten Braunkohlen nicht der Fall ist
Der zur Verbrennung bestimmte Haus- und Strassenkehricht,
welcher ja bekanntlich hier zusammen abgefahren wird, wurde am
18. December v. Js. verladen. Das Quantum von 61445 kg, welches
45 einspännige Karrenladungen und 1 zweispännige Wagenladung
ausmachte, stellt die Gesammtproduction des 18. Decembers dar,
so dass also in dieser Hinsicht auf Durchschnittsresultate gerechnet
werden konnte.
Nicht ganz normal war vielleicht der Procentsatz an Strassen¬
kehricht, welchen das Müll an diesem Tage enthielt. Es hatte
nämlich in der Nacht vom 17. bis 18. December bei 1° Kälte
schwach gefroren und in Folge dessen war am 18. früh Strassen¬
kehricht nicht in demselben Maasse zusammengefegt worden, als
dies sonst wohl der Fall gewesen wäre. Die Temperatur am Tage
vorher hatte aber 4° Wärme betragen, so dass eine Beeinflussung
der Zusammensetzung des Mülls, etwa durch zum Bestreuen der
Strassen benutzte Asche und dergl., ausgeschlossen ist.
Dies geht auch aus dem Vergleich der Decemberanalyse mit
der aus dem October bezw. November hervor. Erstere wurde
nämlich mit am 19. December gesammeltem Kehricht vorgenommen,
um über die Zusammensetzung des in Berlin verbrannten Mülls ein
Urtheil zu gewinnen.
Die Verwiegung des Elberfelder Mülls auf der Berliner V ersuchs-
anlage ergab ein Gewicht von 60 786 kg, die Differenz von 659 kg
ist beim Umladen, durch Verstäuben und dergl. verloren gegangen.
Ehe ich nun zur Mittheilung der Versuchsresultate übergehe,
möchte ich einige allgemeine Bemerkungen über das Verbrennungs¬
verfahren selbst einflechten.
Die weiteste Verbreitung hat dasselbe bis jetzt in England,
welches auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege überhaupt
bahnbrechend vorangegangen ist, gefunden.
Es waren daselbst bis Anfang vorigen Jahres in etwa 60 Städten,
deren Einwohnerzahl von 10 000 bis 700 000 schwankt, rund 600
Digitized by ^.ooQle
208
Zellen im Betriebe und die rapide Vermehrung, die diese Anlagen
besonders in den neunziger Jahren erfahren haben, lässt erkennen,
dass man in England auf dem Punkte steht, die Müllverbrennungs¬
anlagen ebenso für eine nothwendige städtische Einrichtung zu halten,
wie z. B. eine Schlachthausanlage.
Die einzige definitive Müllverbrennungsanlage auf dem Continent
besteht z. Z. in Hamburg. Dort hatte man sich mit der für die
Gesundheitsverhältnisse einer Stadt so überaus wichtigen Frage der
Müllverbrennung schon seit längerer Zeit beschäftigt, als die ver¬
hängnisvolle 1892er Choleraepidemie den Anstoss dazu gab, die¬
selbe in mustergültiger Weise zu lösen. Die Anlage umfasst
86 Zellen und hat 480000 Mk. gekostet, ist aber noch nicht lange
genug im Betriebe, um die Angabe bestimmter Resultate zu gestatten.
Ausserdem besteht noch die auch von der Stadt Elberfeld be¬
nutzte Versuchsanlage in Berlin, für deren Herstellung und Betrieb
die dortige Stadtverwaltung bis jetzt 130Ö00 Mk. bewilligt hat,
ferner eine solche in Brüssel. Eine grosse Anzahl von Städten ist
jedoch dieser Frage, die auch in der Magdeburger Versammlung
des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege im Jahre 1894 ihrer
Bedeutung gemäss gewürdigt worden ist, näher getreten.
Wenn ich jetzt dazu komme, eine derartige Verbrennungs¬
anlage in allgemeinen Zügen zu beschreiben, so wird dies am
zweckmässigsten geschehen können, wenn ich den Weg des Mülls
verfolge von seiner Sammelstelle an bis zur definitiven und un¬
schädlichen Unterbringung. (S. Abbildung auf nebenstehender Seite.)
Das Müll wird also zunächst in Wagen irgend welcher Con-
struction, die hier nicht weiter in Frage kommt, verladen und
mittelst derselben nach der Verbrennungsanlage abgefahren.
Dort angekommen, passiren die Fahrzeuge eine Brückenwaage,
um das Gewicht des zu verarbeitenden Kehrichts festzustellen.
Hierauf gelangen dieselben an die Oefen, die theils von oben,
theils durch seitliche Oeffnungen beschickt werden. Jedenfalls
ist eine Hebung des Kehrichts auf eine gewisse Höhe erforder¬
lich, und diese geschieht, wenn es nicht möglich ist, durch
Rampenanlagen die Fahrzeuge direkt auf diese Höhe zu befördern,
auf maschinellem Wege. In Hamburg z. B. werden die ganzen
Wagenkasten von den Untergestellen abgehoben, durch einen Lauf-
krahn an die gewünschte Stelle gebracht, daselbst entleert und
wieder auf die Wagengestelle zurückgeführt.
Nun gelangt der Kehricht in die Verbrennungsräume, Zellen
genannt, und wird daselbst verbrannt. Auf diesen Vorgang werde
ich noch speciell zurückkommen.
Die Rückstände, welche sich als vollständig durchgeglühte
Schlacken und seine Asche darstellen, werden durch die Feuerungs-
Digitized by ^.ooQle
«mH*
210
thür bezw. den Aschefall herausbefbrdert und gelangen entweder
auf Abschütteplätze oder werden zur weiteren Verwendung ver¬
arbeitet. In letzterer Hinsicht kommt besonders die Schlacke in
Frage, und diese wird, wenn eine nutzbringende Verwendung
möglich ist, in einem Schlackenbrecher zerkleinert und durch ein
Sortirwerk nach verschiedenen Korngrössen getrennt.
Ein weiteres, sehr schätzbares Product der Verbrennung ist die
dabei erzeugte Hitze. Die Rauchgase gelangen, ähnlich wie bei
einer gewöhnlichen Kesselfeuerung, in den Rauchkanal, den sog.
Fuchs, und werden durch diesen dem Schornsteine zugeführt Ist
die erzeugte Hitze so gross, dass es möglich ist, Dampfkessel mit
derselben zu heizen, so wird ein solcher in den Rauchkanal ein¬
gebaut und diese Anlage dient alsdann zum Betriebe der erforder.
liehen Maschinen, als welche wir bereits die Hebekrahne, den
Schlackenbrecher und die Sortirmaschine kennen gelernt haben.
Hierzu kommen noch die Maschinen für die elektrischen Licht¬
anlagen, und ich brauche wohl nicht besonders hervorzuheben, dass
auch zum Betriebe aller anderen Maschinen die Elektricität be¬
nutzt wird.
Rechnet man hierzu noch die Räume für den Aufenthalt der
Arbeiter, zu welchen auch eine Badeeinrichtung gehört, ferner das
Gebäude für die Beamten der Anlage und beachtet schliesslich;
dass die Ofenanlage, um die Nachbarschaft vor dem Anblick der
lagernden Kehrichtmassen und dem beim Betriebe entstehenden
Staub zu schützen, umbaut und überdacht ist, so wird man ein,
wenn auch nur in flüchtigen Strichen gezeichnetes, dennoch ziemlich
vollständiges Bild einer derartigen Anlage vor sich sehen.
Das Hauptinteresse von den einzelnen Theilen einer Ver¬
brennungsanlage, als welche wir
1. eine Brückenwaage,
2. die Verbrennungsöfen,
3. den Rauchkanal (sog. Fuchs),
4. den Schornstein,
5. die Maschinen verschiedener Art nebst Dampfkesselanlage und
6. die der Verwaltung und den Arbeitern dienenden Räume
kennen lernten, nehmen natürlich die Verbrennungsöfen für sich in
Anspruch, und auf diese will ich jetzt etwas näher eingehen, wobei
sich gleichzeitig Gelegenheit finden wird, die Verbrennung selbst
zu besprechen.
Ich wähle zur Beschreibung der Oefen einen solchen nach dem
System Horsfall, welcher u. A. in Hamburg und bei einem Theil
der Berliner Versuchsanlage angewendet worden ist, da es zu weit
führen würde, auch nur einige der vielen in England gebräuchlichen
Systeme hier vorzuführen.
Digitized by ^.ooQle
211
Ein jeder Ofen besteht aus einer Anzahl einzelner Verbrennungs¬
räume, Zellen genannt, und zwar sind gewöhnlich deren drei zu
einer Gruppe vereinigt. Dies hat seinen Grund in der Erfahrung,
dass ein Heizer bei achtstündigem Schichtwechsel 8 Zellen be¬
dienen kann. Hier sei eingeschaltet, dass der Betrieb einer Ver¬
brennungsanlage, Ähnlich wie derjenige eines Hochofens, ein con-
tinuirlicher ist.
Jede Zelle, die, je nach den örtlichen Verhältnissen, neben¬
einander oder Rücken an Rücken angeordnet werden, hat ihre ge¬
sonderte Einwurfsöflnüng, die, wie schon erwähnt, entweder seitlich
oder auf der Oberfläche des Ofens sich befindet, ohne dass hierin
ein principieller Unterschied liegt. Durch diese, nehmen wir an,
oben liegende Einwurfsöffnung, gelangt der Kehricht in die Zelle
und wird in deren oberem Theile zunächst vorgetrocknet. Je nach
Bedarf wird nun von der, ähnlich wie die Feuerungsthür einer
Kesselanlage, am unteren Ende der Zelle liegenden Thür aus mit
langen Haken Müll auf den Rost herabgezogen und hier zur voll¬
ständigen Verbrennung gebracht. Der Rost ist als Schtittelrost
ausgebildet, um gleichmässigere Luftzuführung zu dem Feuer und
hierdurch eine intensivere Verbrennung mit grösserer Wärme¬
entwickelung zu erzielen. Auch wird durch die Bewegung der
Roststäbe das Festsetzen der Schlacken zwischen denselben ver¬
mindert und das Durchfallen der Asche erleichtert.
Die Asche fällt in den Ascheraum, aus welchem sie von Zeit
zu Zeit entfernt wird, die Schlacken werden zur vorderen Feuer¬
thür herausbefördert, und zwar wiederholt sich der letztere Vorgang
in Zeiträumen von IV2 bis 2 Stunden, welche genügen, um eine
völlige Verbrennung aller organischen Bestandteile des Mülls herbei¬
zuführen.
Die Rauchgase gelangen durch einen Schacht in den gemein¬
samen , nach dem Schornsteine führenden Rauchkanal. Als be¬
sonderer Vortheil des Horsfall-Ofens ist nun hervorzuheben, dass
die Rauchgase und die Trockengase, durch deren üblen Geruch
Belästigungen der Nachbarschaft entstanden, die heisseste Stelle der
Zelle — über dem Rost — passiren müssen und durch das durch¬
brochene Gewölbe erst in eine über der Zelle gelegene Kammer
kommen, in welcher sie vollständig verbrennen, ehe sie in den
Rauchkanal gelangen.
Eine weitere charakteristische Verbesserung HorsfalFs ist die
Anbringung eines Dampfgebläses zur Verstärkung des Zuges unter
dem Feuer. Letzteres ist indessen in Hamburg neuerdings durch
einen Ventilator ersetzt worden, durch welchen Luft direkt unter
die Feuerung gedrückt wird, und es ist zu hoffen, dass es durch
diese Verbesserung gelingen wird, auch weniger „reiches“ Müll zu
Digitized by
Google
212
verbrennen, wie das englische. Während der Verbrennungsdauer
ist die Einwurfsöffnung durch aufgehäufte Müllmassen so fest ver¬
schlossen, dass ein Austreten von Gasen in das Gebäude in ge¬
nügender Weise verhindert wird.
Namentlich durch die von Horsfall eingeführten Verbesserungen
hinsichtlich einer vollkommeneren Verbrennung ist es gelungen, die
Anstalten jetzt so herzustellen, dass eine Belästigung der Nachbar¬
schaft vollständig ausgeschlossen erscheint, was wohl am Besten
daraus erhellt, dass man in einer englischen Stadt eine Schule
direkt neben der Verbrennungsanstalt erbaut hat.
Ich wende mich nunmehr zu den mit der Verbrennung von
Elberfelder Müll in Berlin angestellten Versuchen.
Auf welche Punkte sich Verbrennungsversuche erstrecken
müssen, geht aus vorstehenden allgemeinen Bemerkungen hervor.
Wir sahen, dass die Anlage aus einzelnen Verbrennungsräumen,
Zellen genannt, besteht, und es wird sich bei der Projectirung einer
jeden Neuanlage dieser Art zuerst fragen, wieviel derartiger Zellen
muss ich bauen, um einen regelmässigen Betrieb zu erzielen. Die
Kenntniss der Mengen der producirten Abfälle vorausgesetzt, muss
also durch Versuche festgestellt werden, wieviel Kilogramm Kehricht
ich in jeder Zelle pro Tag zu verbrennen vermag.
Geht man alsdann zur finanziellen Betrachtung des Betriebes
einer derartigen Anlage über, so wird es von Wichtigkeit sein, zu
wissen, ob die Verbrennung des Kehrichts ohne Kohlenzusatz möglich
ist, oder nicht. Ferner wird es sich fragen, ist die erzeugte Hitze
gross genug, um Dampfkessel damit heizen zu können, oder muss
ich zum Betriebe der erforderlichen Maschinen eine Kesselanlage
mit Kohlenfeuerung zu Hülfe nehmen. Ich muss also zu erfahren
suchen, welche Temperatur bei der Verbrennung des in Frage
stehenden Unrathes erzeugt wird. Und endlich muss man darüber
Klarheit haben, welche Mengen Rückstände übrig bleiben, um über¬
schlagen zu können, was durch deren Beseitigung eventuell noch
für Ausgaben erwachsen.
Nach der hygienischen Seite hin werden sich die Versuche
darauf zu erstrecken haben, ob durch die Verbrennung des Unrathes
die Nachbarschaft geschädigt oder belästigt wird. Letzteres ist, bei
gut ausgeführten Anlagen, wie schon erwähnt, nicht der Fall, ersteres
muss durch eine Analyse der Abgase festgestellt werden, wobei be¬
sonders zu beachten ist, ob eine vollkommene Verbrennung eintritt
und das sehr giftige Kohlenoxydgas nicht durch den Schornstein
entweicht.
Ich gebe nachstehend die nach obigen Gesichtspunkten zu¬
sammengestellten Resulate der Berliner Versuche, welche genügen,
um deren Erfolg beurtheilen zu können.
Digitized by v^ooQle
Tabelle II.
213
Bemerkungen
Mit Ventilator,
keine Kohle im
Ofen.
desgl.
Ohne Ventilator,
keine Kohle im
Ofen.
Mit Ventilator,
keine Kohle im
Ofen.
desgl.
desgl
Gasanalyse
§*=
3S I 7 l ’SI
S^.goO g^B
Temperatur
Mittel aus
131 Beobacht.
275° C.
Mittel aus
131 Beobacht.
301° C.
im 'Fuchs ge¬
messen.
Mittel aus
79 Beobacht.
279° C.
Min. 190°,
Max. 520°
%
zusammen
59,4
58,9
50,1
53.8
51.8
57.8
ö
i •£
1 «
£
^ oo co^ iq co^ co
OS OS CO ^4 OS ^
»— 1 *—• r-4 OQ C<|
Rü(
Schlacken
40,0
39.1
36.5
32,3
32.2
33.5
Auf
24 h be¬
rechnet
kg
4558
4941
1763
3 916
4 455
3847
Brenn¬
dauer
£ 'i 'i 1 'l '1
M A M M JS M
CO 0Q CO OS OS OS
co co
Gewicht
des ver¬
brannten
Mulls
kg
12 629
13 999
4112
9 628
10956
9462
Zelle
Nr.
I.
II.
in.
I.
II.
in.
Ofen¬
system
IT'BJSIOJJ
Digitized by ^.ooQle
214
Kurz gefasst lautet das Ergebniss: Es sind pro Tag und Zelle
8913 kg oder, wenn man die ohne Ventilator betriebene Horsfall-
Zelle Nr. HI ausscheidet, 4 343 kg Kehricht ohne Zusatz von Kohlen
verbrannt worden, wobei eine durchschnittliche Temperatur von
beinahe 300° C. erzeugt wurde. An Rückständen verblieben im
Durchschnitt 35,6 0 o Schlacken und 19,7 °/o Asche, also im Ganzen
55,3 °/o des Gewichtes, und Kohlenoxydgas ist nicht entstanden, ein
Beweis, dass die Verbrennung der organischen Substanzen eine
vollkommene war.
Zum Vergleich sei bemerkt, dass nach englischen Angaben in
dortigen Anlagen 5000 bis 10 000 kg, im Durchschnitt 7000 kg,
pro Tag und Zelle verbrannt werden und hierbei 25 bis 30°/o
Rückstand verbleiben. Die erzeugte Hitze wird für Horsfall-Oefen
im Mittel auf 1100° C. angegeben.
Wenn nun auch die mit dem Elberfelder Müll erzielten Resultate
hinter den englischen weit zurück bleiben, was an dem grösseren
Kohlenreichthum des letzteren liegt, so sind die Ergebnisse doch in¬
sofern als günstige zu bezeichnen, als konstatiert ist, dass unser
Kehricht anstandslos ohne Kohlenzusatz brennt.
Nach dem Urtheil des Leiters der Berliner Anlage wird es
möglich sein, in definitiven, nach den neuesten Erfahrungen gebauten
Oefen täglich 5—6 Tonnen Elberfelder Müll zu verbrennen und
hierbei eine Hitze zu entwickeln, die ausreicht, um einen Dampf¬
kessel für den Betrieb der Anlage zu heizen, was man in Hamburg
ebenfalls zu erreichen hofft.
Die gegen diese Annahme geringeren Resultate sind zurück-
zufUhren auf den provisorischen Charakter der Berliner Versuchs¬
anlage und auf die UnVertrautheit der dortigen Heizer mit dem
Elberfelder Müll.
Es wird daher sehr empfehlenswerth sein, um weitere Klarheit
in dieser Frage zu gewinnen, etwa für nächsten Sommer einen
Brennversuch in der definitiven Hamburger Anlage in Aussicht zu
nehmen.
Von Interesse dürfte es sein, an der Hand der gewonnenen Er¬
gebnisse einen Ausblick in die Zukunft der Verbrennung des Mülls
in Elberfeld zu thun.
Um dies zu können, muss eine kurze Schilderung des jetzigen
Abfuhrbetriebes vorausgeschickt werden:
Derselbe umfasst gegenwärtig die Beseitigung
1. der Haus- und Marktabfklle,
2. des Strassenkehrichts und
3. des Kanalunrathes,
und zwar werden die unter 1. und 2. genannten Abfälle zusammen
abgefahren, wobei zu bemerken ist, dass die Strassenreinigung von
Digitized by v^ooQle
215
den Anwohnern in den Morgenstunden besorgt wird und die Abfuhr
sich über den ganzen Tag erstreckt.
Zur Bewältigung der Aufgabe sind z. Zt. täglich für die Ab¬
fuhr des Haus- und Strassenkehrichts 23 einspännige, zweiräderige
Kippkarren und 1 zweispänniger Wagen, für diejenige der Schlamm¬
abfuhr 5 einspännige, zweiräderige Karren und 3 zweispännige
Wagen im Gebrauch, die von 36 Pferden und ca. 50 Mann bedient
werden. Seit dem 1. Juni 1893 stellt die Stadt zu diesem Betriebe
die erforderlichen Fahrzeuge und Hülfsarbeiter, während die Ge¬
stellung von Pferden und Fuhrleuten einem Unternehmer über¬
tragen ist.
Die nachstehend angegebenen Gewichte werden in der W'eise
ermittelt, dass jedes Fahrzeug in jedem Monat einmal leer und be¬
laden gewogen wird; sie sind daher nicht absolut genau, fUr unsern
Zweck aber ausreichend. Die Massen werden nach dem cubischen
Inhalt der Fahrzeuge ermittelt.
In den 31 Monaten, die der Abfuhrbetrieb in der jetzigen
Weise umfasst, sind folgende Unrathmassen aus der Stadt hinaus
befördert worden:
Tabelle UI.
Zeit
Haus- und Strassenkehricht
Kanalschlamm
von
bis
4 |
J J
cbm
kg
1 £
a. ' C3
1 *
t-g
cbm
kg
,3
£ Ui
z £
1. Juni 1893
81. M&rz 1894
11 914
1060
28161
17 462 430
1 707
1 440
5 478
5 271 460
1. April 1894
31. M&rz 1895
15 015
1041
34 108
20 283 045
2 270
1 702
5 714
5 999 352
1. April 1895
81. Dec. 1895
11 718
758
26 966
17 050 602
2 161
1 548
4 912
I
5239 068
Summen
38 677
2 859
89 235
54 796 077
6 138
I
4 685
16 104
16 509 875
Diese Massen sind zum überwiegend grössten Theil auf den
städtischen Abschütteplätzen in der Varresbeck und im Uellendahl
untergebracht worden.
Aus der Vergleichung der Massen und Gewichte ergiebt sich,
dass ein Kubikmeter Haus- und Strassenkehricht durchschnittlich
614 kg, ein Kubikmeter Kanalunrath durchschnittlich 1025 kg wiegt.
Von Wichtigkeit ist es ferner, zu wissen, wieviel Procent
Strassenkehricht in der oben erwähnten Masse des Haus- und
Strassenunraths enthalten ist, und es wurde aus den Ergebnissen
der sich nur auf diesen erstreckenden Abfuhr an Sonn- und Feier¬
tagen ermittelt, dass die Menge 37 °/o der ganzen Masse beträgt.
Weiter ist es für die Beurtheilung der Grösse einer eventuell
anzulegenden Verbrennungsanlage erforderlich, festzustellen, wieviel
Kilogramm bez. Liter der einzelnen Unrathsarten auf den Kopf
Digitized by v^ooQle
216
der Bevölkerung und das Jahr entfallen, und endlich interessiren
uns die Kosten, welche die Beseitigung eines Kubikmeters oder einer
Tonne derselben erfordert, und die, welche sich auf den Kopf der
Bevölkerung und das Jahr hiernach ergeben.
Diese Resultate sind in nachstehender Tabelle vereinigt], und
es sei bemerkt, dass der Ermittelung derselben die Einwohnerzahl
deijenigen Stadtbezirke zu Grunde gelegt wurde, in welchen die
regelmässige Abfuhr stattfindet, nämlich 127 000 bei einer Gesammt-
zahl von 140 000, und dass ferner angenommen wurde, dass die
Beseitigung eines Kubikmeters Strassenunrath dieselben, die eines
Kubikmeters Kanalunrath die doppelten Kosten verursacht, wie die
Beseitigung eines Kubikmeters Hausunrath.
Tabelle LY.
Bezeichnung
der
Abfälle
Menge
pro Kopf
und Jahr
Kosten
der Beseitigung
Mk.
Kosten
der
Beseitigung
pro Kopf
und Jahr
Der im Etatsjahr
1894/95
ausgegebene
Betrag
vertheilt sich
Liter
k g
pro
cbm
pro Tonne
= 1000 kg
Hauskehricht
175
108
2,62
4,40
1 0,475
56 249,88 Mk.
Strassenkehricht
102
63
2,62
4,40
j 0,255
33035,23 „
Kanalunrath
50
51
5,24
5,00
0,230
29918,61 „
Summen
827 '
222 1
—
—
0,960
1 119203,72 Mk.
Auf Grund dieser Zahlen wird es möglich sein, sich ein Bild
über die Einführung der Mtillverbrennung in Elberfeld in finanzieller
Beziehung zu machen.
Vorher müssen indessen noch zwei Fragen kurz berührt werden,
nämlich:
„wann ist für eine Stadt der geeignete Zeitpunkt gekommen,
um zur Beseitigung der Abfülle durch Verbrennung über¬
zugehen, und was soll verbrannt werden?“
Die Beantwortung der ersten Frage kann allgemein nicht er¬
folgen; sie hängt vielmehr von den lokalen Verhältnissen ab.
So lange eine Stadt in der Lage ist, die Abfülle landwirthschaft-
lich zu benutzen, oder dieselben an hierzu geeigneten Stellen
abzulagern, deren Bebauung ähnlich wie die der Friedhöfe, auf
eine längere Reihe von Jahren hinaus ausgeschlossen ist,%wird sich
hiergegen in hygienischer Beziehung wenig ein wenden lassen, zumal
wenn verhindert werden kann, dass aus dem Unrath die noch für
brauchbar gehaltenen Stoffe herausgelesen und wieder nach der
Stadt zurückgebracht werden.
Kann man auf diese Weise die Abfälle nicht mehr unschädlich
unterbringen oder sind geeignete Abschütteplätze nur' in so weiter
Digitized by v^ooQle
217
Entfernung von der Stadt zu erlangen, dass die Transportkosten
unverhältnissmässig gross werden, so wird der Zeitpunkt gekommen
sein, der Frage der Verbrennung ernstlich näher zu treten. Hierbei
ist zu beachten, dass der Besitz einer Verbrennungsanlage die Stadt
unabhängig von den Abnehmern des Kehrichts macht, die z. B. in
Hamburg während der 1892er Choleraepideraie das Ablagern des
Unrathes mit Gewalt verhindert haben. In diesem Umstande ist
für jede Stadt eine grosse Beruhigung für den Fall des Ausbruchs
einer Seuche zu erblicken.
Hier in Elberfeld liegen nun die Verhältnisse derart, dass die
Abschütteplätze 4—5 km weit von der Stadt entfernt sind und es
möglich ist, mit jedem Fuhrwerk zwei Ladungen Unrath pro Tag
hinaus zu befördern. Die oben angegebenen Kosten für den Kopf
der Bevölkerung und das Jahr werden nun im Allgemeinen relativ
unverändert bleiben, so lange es möglich ist, Abschütteplätze in
dieser Entfernung zu erlangen. Mit der grösseren Entfernung der
Plätze verringern sich die Leistungen der Fuhrwerke und wachsen
die Kosten; will man dies vermeiden, so würde also für Elberfeld
die Müllverbrennung, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, so
lange nicht angestrebt zu werden brauchen, als es möglich ist, ge¬
eignete Plätze in der oben genannten Entfernung zu erhalten.
Anlangend die zweite Frage, was überhaupt verbrannt werden
soll, so ist über dieselbe Folgendes zu bemerken:
Für Elberfeld handelt es sich in erster Linie um die Beseitigung
der Haus- und Marktabfälle, des Strassenkehrichts und des Kanal¬
unraths, da diejenige der etwa sonst in Frage kommenden Abfall¬
stoffe, wie Stalldünger, gewerbliche Abgänge, die Abgänge des
Schlachthofes und die Fäkalien entweder z. Zt. ohne irgend welche
Nachtheile geschieht, oder für die Zukunft auf andere Weise bereits
in Aussicht genommen ist.
Letzteres gilt von den Fäkalien, die nach vollständiger Durch¬
führung der Kanalisation durch dieselbe beseitigt werden. Es liegt
nun nahe, den Kanalunrath in derselben Weise weiter zu behandeln,
wie die Rückstände, welche sich in der auf Gut Buchenhofen zu
errichtenden Reinigungsanlage ergeben werden und dieselben zu
diesem Zwecke nach genanntem Orte zu befördern. Dies ist aus¬
führbar, ohne dass sich hierdurch die für die Kanalreinigung auf¬
zuwendenden Kosten relativ erhöhen, da, wie durch eine Probe
dargethan worden ist, die Fuhren gerade so oft in einem Tage
nach Gut Buchenhofen fahren können, wie nach einem der Ab¬
schütteplätze.
Nehmen wir also an, dass der Kanalunrath von der Verbrennung
auszuscheiden sei.
Centralblatt f. »11g. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 16
Digitized by
Google
218
Es kommt weiter der Strassenkehricht in Frage. Dieser wird
im Allgemeinen für hygienisch unbedenklich gehalten und eignet
sich zur Düngung der Felder weit besser, wie der Hauskehricht,
da er frei von den lästigen Scherben, Blechgefässen und dergl. ist.
Wenngleich nun dieses Düngemittel jetzt von den Landwirthen
wenig begehrt wird, da denselben der bequem zu benutzende
Latrinendünger in fast unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht,
so wird doch hierin eine Wandlung eintreten, wenn Letzteres nach
Durchführung der Kanalisation nicht mehr in demselben Maasse der
Fall ist, wie jetzt.
Hierzu kommt noch, dass, soll der Strassenkehricht mit ver¬
brannt werden, dadurch von vornherein eine Unsicherheit in den
regelmässigen Betrieb der Anlage gebracht werden würde. Denn
in demselben Maasse, wie der Strassendünger bei anhaltender
Trockenheit den Verbrennungsprozess befördern würde, würde er
ihn bei anhaltender Nässe, wo der Strassenkehricht eine schlamm¬
artige Beschaffenheit hat, in der ungünstigsten Weise beeinflussen.
Es wird also anzunehmen sein, dass, wie z. B. auch in Hamburg,
der Strassenkehricht nicht mit verbrannt, sondern für denselben
eine landwirtschaftliche Verwertung gesucht wird.
Beiläufig sei hier darauf hingewiesen, dass dies eine Trennung
des Abfuhrbetriebes in der Weise zur Folge haben müsste, dass
alsdann die Haus- und Marktabfälle und der Strassenkehricht ge¬
sondert abzufahren wären, ein Fall, der aber ohnedies eintreten
wird, sobald die Stadt dazu übergeht, die Strassenreinigung in
Regie zu übernehmen.
Demnach wird die Verbrennung meiner Ansicht nach auf die
in hygienischer Beziehung bedenklichen Haus- und Marktabfälle zu
beschränken sein.
Um sich nun ein Bild über die finanzielle Seite der Müll¬
verbrennung zu machen, soll angenommen werden, die Stadt Elber¬
feld wolle oder müsse nach Verlauf von fünf Jahren zu derselben
übergehen.
Dann werden die Bezirke, aus denen der Unrath abgefahren
wird, ein Wachstum der Bevölkerungsziffer um 2,2 °/o vorausgesetzt,
142 000 Einwohner haben und es würden, da auf den Kopf der
Bevölkerung 108 kg Hauskehricht entfallen, 15 336 oder rund
15 500 Tonnen (zu 1000 kg) Kehricht zu beseitigen sein.
An Kosten würden hierfür nach dem jetzigen Modus und nach
dem Einheitssätze von 0,475 Mk. pro Kopf und Jahr berechnet,
67 450 oder rund 67 500 Mk. entstehen.
Die Frage ist nun, wie würde sich hiergegen der Aufwand für
Beseitigung des Mülls durch Verbrennung stellen.
Digitized by CnOOQle
219
Sollen im Allgemeinen die nach dem jetzigen Modus entstehen¬
den Kosten als Norm angesehen werden, die womöglich nicht zu
überschreiten ist, so muss zur Deckung der durch den Betrieb der
Verbrennungsanlage entstehenden Kosten an anderer Stelle eine
Ersparniss eintreten. Diese zu erzielen, wird nur möglich sein durch
Abkürzung der von den Fuhrwerken zurückzulegenden Wege, also
durch die Wahl eines günstigen Platzes für die Anlage.
Hier muss auch darauf hingewiesen werden, dass es, um die
Leistung der Fuhrwerke zu erhöhen, im Allgemeinen zweckmässiger
sein wird, mehrere kleinere, als eine grosse Anlage zu bauen.
Wir nehmen also an, dass es gelinge, Plätze etwa 2,5 km vom
Mittelpunkt der Stadt entfernt zu gewinnen. Hierdurch würde die
Leistung der Fuhrwerke um 50 °/o erhöht werden, d. h. anstatt dass
dieselben jetzt zweimal pro Tag fahren, würden sie alsdann drei
Fuhren leisten können. Die oben angegebene Summe von 67 500 Mk.
würde sich demnach zerlegen in 45 000 Mk. für die eigentliche
Abfuhr und 22 500 Mk. als Rest für den Betrieb der Verbrennungs¬
anlage.
Wie oben angegeben, werden pro Jahr 15 500 Tonnen Kehricht
zu verbrennen sein, dies ergiebt eine Tagesleistung von rot.
42,5 Tonnen.
Rechnet man nun, um sicher zu gehen, pro Zelle nur eine
Tagesleistung von 5 Tonnen, so müssten also für den regelmässigen
Betrieb 9 Zellen, oder mit genügender Reserve 12 Zellen (2 Anlagen
ä 6 Zellen) zur Verfügung stehen.
Die Kosten für die Zelle, einschliesslich Schornstein, Maschinen etc.,
giebt Herr Oberingenieur Andreas Meyer in seinem auf der
Magdeburger Versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheits¬
pflege gehaltenen Vortrag zu 14 000 Mk. an, die Anlage würde
also einen Aufwand erfordern von . 12X 14 000 = 168 000 Mk.,
hierzu für den Erwerb von Bauplätzen (geschätzt) . 52 000 „
• giebt in Summa Anlagekosten 220 000 Mk.
Nach vorgenannter Quelle sind die Betriebskosten einer Ver¬
brennungsanlage, einschliesslich derjenigen für Verzinsung und
Amortisation der Baulichkeiten^ mit 1 Mk. pro Tonne anzunehmen,
d. h., sie würden für unseren Fall 15 500 Mk. betragen und der
verbleibende Rest von 22 500— 15 500 = 7000 Mk. könnte zur
Tilgung des für den Bauplatz aufgewendeten Kapitals, zur Abfuhr
von Rückständen etc. in Rechnung gestellt werden.
Sollte es aus irgend einem Grunde erforderlich werden, die
Veibrennungsanlage für Hausmüll mit der Kläranlage für die
Kanalwässer zusammenzulegen, so würden, da, wie erwähnt, die
Leistungen der einzelnen Fuhrwerke in diesem Falle ebenso gross
16 *
Digitized by
Google
220
sind, wie jetzt, die für den Betrieb der Anlage erwachsenden Kosten
zu denjenigen hinzukommen, welche die Beseitigung der Abfälle
nach dem jetzigen Modus kostet Die Kosten der Beseitigung des
Hausabfalles würden also dann nicht nur 67 500 Mk., sondern
ca. 90 000 Mk. betragen.
Aus dieser generellen Rechnung geht klar hervor, dass die
Beseitigung der Haus- und Marktabfälle durch Verbrennung nicht
oder doch nur unwesentlich theurer werden wird, als die jetzige
f Abfuhr.
Bei Aufstellung der vorstehenden Rechnung ist auf die ver¬
bleibenden Rückstände noch keine Rücksicht genommen worden.
Dieselben setzen sich, wie oben ausgeführt, zusammen aus rund
20 °/o Asche und 36 0/ o Schlacken; d. h. es würden in unserem
Falle rund 3000 Tonnen Asche und 5600 Tonnen Schlacke bei der
Verbrennung übrig bleiben.
Für letztere eine Verwendung zu finden, dürfte hier, wo man
vielfach schon Kesselasche zur Mörtelbereitung und zur Fussweg-
befestigung benutzt, wo die Anwendung von Schlackenbeton immer
an Verbreitung gewinnt, nicht schwer sein. Die Schlacken eignen
sich ferner zur Ausfüllung von Zwischendecken, zur Herstellung
von Cementplatten und dergl., so dass bei günstiger Lage der Ver¬
brennungsanstalten wenn auch auf keinen Gewinn, so doch auf
kostenlose Beseitigung der Schlacken gerechnet werden darf.
Die feine Asche kann, wenn sich keine nutzbare Verwendung
für dieselbe findet, was indessen durchaus nicht ausgeschlossen er¬
scheint, unbedenklich zur Aufhöhung von Plätzen, Anschüttung von
Strassen und dergl. benutzt werden.
Das Schlussergebniss ist also folgendes: Für die Stadt Elberfeld
liegt augenblicklich noch keine zwingende Nothwendigkeit vor, zur
Müllverbrennung überzugehen; erscheint dies jedoch später durch
die Verhältnisse geboten, so werden die hierdurch entstehenden
Kosten voraussichtlich nicht grösser sein, als die für die Beseitigung
der Haus- und Marktabfälle nach dem jetzigen Modul aufzu¬
wendenden.
Der Vortheil, der in hygienischer Hinsicht unzweifelhaft in
dem Vorhandensein einer derartigen Anlage, besonders beim Herr¬
schen von Epidemien liegt, ist also ohne besonderen Kostenaufwand
zu erreichen.
Wie gross dieser aus Besserung der gesundheitlichen Zustände
hervorgehende Nutzen sich eventuell ziffernmässig stellen kann, ist
aus nachstehender, nach den Angaben von v. Pettenkofer und Praus-
nitz angestellten Berechnung zu ersehen.
Nimmt man an, es gelänge durch irgend eine Einrichtung die
Sterblichkeit auch nur um Va °/oo herabzudrücken, so würde das
Digitized by CjOOQle
221
unter Zugrundelegung der jetzigen Bevölkerungsziffer von 140 000
den Erfolg haben, dass pro Jahr 70 Personen weniger als früher
sterben. Nach statistischen Erhebungen entfallen auf einen Todes¬
fall 34 Erkrankungsfölle, so dass die Zahl derselben um 70 X 34 = 2380
sinken würde. Die Dauer eines Krankheitsfalles bis zum Wieder¬
eintritt der Genesung zu 20 Tagen angenommen, würde eine Ver¬
minderung der Krankentage um 2380 X 20 = 47 600 ergeben, und
rechnet man schliesslich pro Tag einen durch entgangenen Verdienst,
Beschaffung von Medikamenten, Kosten der ärztlichen Behandlung
entstehenden Ausfall von 4 Mk., so würde dem Nationalvermögen
jährlich eine Summe von 190 400 Mk. erhalten bleiben.
222
Wie sich, unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, die in den
letzten 30 Jahren in unserer Stadt ausgegebenen Summen für die
Wasserleitung, Kanalisation, die Schlachthausanlage, die Badeanstalt,
die Krankenanstalten, Sanirung der Wupper, Verbesserung der Ver¬
kehrs- und Wohnverhältnisse und dergl. verzinsen, kann aus nach¬
stehender graphischer Darstellung ermessen werden, nach welcher
seit dem Jahre 1866 ein Sinken der Sterblichkeit um 17 °/oo ein¬
getreten ist, und es steht zu erwarten, dass auch die zukünftige
Müllverbrennungsanlage sich als ein neues Glied in der Kette der
dem Wohle der Bürger gewidmeten sanitären Einrichtungen ebenso
segensreich für diese erweisen wird, wie die bereits bestehenden.
Probeweise Verbrennung des Essener
Kehrichts in den Verbrennungsöfen zu
Hamburg.
Von
Stadtbaurath Wiebe in Essen.
In der 19. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege, welche im Jahre 1894 zu Magdeburg tagte, hielten
die Herren Medicinalrath Dr. Reineke und Oberingenieur An¬
dreas Meyer aus Hamburg Vorträge über die Beseitigung des
Kehrichts und anderer städtischer Abfälle, besonders durch Ver¬
brennung. Dabei wurde mitgetheilt, dass für Hamburg eine grössere
Verbrennungsanstalt für Hausunrath mit einem Kostenaufwande von
480000 Mk. in der Ausführung begriffen sei und voraussichtlich
noch im Laufe des Jahres 1894 vollendet werden würde. In freund¬
licher Weise wurde den Mitgliedern des Deutschen Vereins anheim¬
gestellt, nach der Eröffnung des Betriebes die Anlage zu besichtigen.
Die für viele Städte so schwierige Frage der dauernden Keh-
richtbeseitigung bedarf auch in Essen immer dringender der Lösung.
Die Abfuhr des'Hausunrathes von den Gebäuden besorgt der städtische
Fuhrpark. Die Massen wurden bisher in verlassene Steinbrüche
oder in tiefe Thäler des hügeligen Geländes geschüttet; die An¬
schüttung neuer Strassen durch Kehricht ist jedoch nicht gestattet
worden. Ist ein Thal oder ein Steinbruch angefüllt, so wird mit
einer dicken Schicht Lehm und Mutterboden das Ganze abgedeckt,
Digitized by ^.ooQle
223
Bäume und Büsche werden gepflanzt, und Gras wird gesäet, um
schädliche Ausdünstungen der eingeschütteten Massen zu verhindern.
Es wird nun aber immer schwieriger, geeignete Ablagerungs¬
plätze zu erwerben. In der Nähe der Stadt sind solche nur mit
sehr hohem Kostenaufwand zu kaufen; weit abgelegene Plätze ver¬
teuern aber den Transport in aussergewöhnlicher Weise. Auch
die jetzt benutzten Ablagerungsplätze liegen so weit entfernt, dass
die städtische Verwaltung schon seit längerer Zeit der Kehricht-
Verbrennung, welche bei theuren Ablagerungsplätzen oder bei be¬
deutendem Transport der Massen billiger als die Ablagerung sich
gestaltet und in hygienischer Beziehung letzterer unbedingt vor¬
zuziehen ist, nähertreten musste.
Der Bau der Hamburger Kehrichtöfen erregte daher das leb¬
hafteste Interesse der städtischen Verwaltung, und als die ersten
Verbrennungszellen vollendet waren und im Betriebe sich befanden,
besichtigten der Oberbürgermeister Zweigert und Verfasser im Mai
1895 die Hamburger Anlage.
Bei der kurzen Zeit des bisherigen Betriebes konnten zuver¬
lässige Angaben über die Betriebskosten noch nicht gemacht werden,
die Verbrennung der Kehriclitmassen machte aber einen so günstigen
Eindruck, dass auf den der Essener Baudeputation erstatteten
Bericht dieselbe beschloss, den Hamburger Senat um die Erlaubniss
zu bitten, probeweise einen Doppelwagen Essener Kehricht nach
Hamburg zu schicken und den letzteren in den dortigen Oefen zu
verbrennen, um festzustellen, ob der hiesige Kehricht überhaupt
zur Verbrennung geeignet ist. Durch freundliche Vermittelung des
Herrn Andreas Meyer wurde die Erlaubniss ertheilt, und am
81. Juli 1895 wurde ein Wagen von 12Va Tons oder 250 Centnern
Tragfähigkeit mit Kehricht beladen. Der Eisenbahnwagen nahm
den Kehricht von 8 städtischen Abfuhrkarren auf. Das Brutto¬
gewicht des beladenen Wagens wurde zu 19090 kg ermittelt, das
Wagengewicht betrug 6730 kg, also betrug das Gewicht des Keh¬
richts 12360 kg. Die Masse des verladenen Kehrichts wurde zu
18 cbm festgestellt. Der Kehricht enthielt eine grosse Zahl von
zerbrochenen Glaspfannen, Dachpfannen, Schieferplatten und Glas¬
scherben, welche von dem am 26. Juli stattgehabten heftigen Hagel¬
schlage herrührten. Diese Theile wurden bei der Beladung grössten-
theils entfernt, so dass der zur Absendung gelangte Kehricht an¬
nähernd der normalen Beschaffenheit des Essener Hauskehrichts
entsprach. Am 3. August kam der Wagen in Hamburg an, und
am 5. August Vormittags sollte mit der Verbrennung begonnen
werden. Verfasser begab sich nach Hamburg, um der Kehricht-
Verbrennung beizu wohnen.
Digitized by
Google
224
Die Verbrennungsanstalt befindet sich zu Bullerdeich bei Ham¬
burg. Der Essener Kehricht lagerte vor der Verbrennung oben
auf dem Mauerwerk der Oefen in unmittelbarer Nähe der beiden
Zellen, welche für die Verbrennung bereit gehalten wurden. Durch
die Hamburger Beamten war das Gewicht des Kehrichts zu 12260 kg
ermittelt. Der Unterschied mit dem in Essen festgestellten Ge¬
wicht muss Verlusten, welche durch die Ueberführung des Kehrichts
veranlasst sind, zugeschrieben werden. Dagegen ist in Hamburg
der Rauminhalt des Kehrichts zu 20 cbm gemessen und berechnet,
also um 2 cbm grösser als auf dem Bahnhofe zu Essen. Diese
grössere Masse ist zweifellos durch die Auflockerung des Kehrichts
entstanden, welche beim Umladen aus dem Eisenbahnwagen in die
Abfuhrwagen für den Transport nach Bullerdeich eingetreten ist.
Die Hamburger Verbrennungsöfen sind nach dem Horsfall-
System construirt, wie sie von der Firma Horsfall Refuse Furnace Co.
in Leeds ausgeführt werden. Nach eingehenden Prüfungen ver¬
schiedener englischer Systeme ist für Hamburg dies als das zweck-
mässigste befunden worden.
Um 11 Uhr Vormittags begann die Verbrennung des Essener
Kehrichts. Nachdem auf den Rosten der beiden Zellen einige
Scheite Holz in Brand gesteckt waren, wurde ein Theil des oben
lagernden Kehrichts durch die gemeinsame Schüttöffnung in die
beiden Zellen auf das Holzfeuer befördert. Gleichzeitig trieb ein
Gebläse Luft von unten durch die Roste, und sofort geriethen die
eingeschütteten Massen in lebhaften Brand. Das Gebläse wurde
elektrisch betrieben, und es erforderte jede Zelle eine Arbeit von
B U bis 1 Pferdestärke. Allmählich wurden nun die beiden Zellen
vollständig mit Kehricht angefüllt, so dass derselbe auch die Schütt¬
öffnung theilweise ausfüllte. Der kleinere Theil des verbrannten
Kehrichts fiel als Asche von brauner und schwarzer Farbe durch
die Roste; aus dem grösseren Theile bildete sich Schlacke, welche
in bestimmten Zeitabschnitten von den Rosten abgezogen werden
musste. Die entfernten Schlacken- und Aschenmassen wurden be¬
ständig durch neu eingeschütteten Kehricht ersetzt, so dass die
Zellen dauernd gefüllt blieben. Es hatten die Zellen einige Tage
vor der Kehricht-Verbrennung kalt gestanden; das war für den
Betrieb ungünstig, weil nun das Ofenmauerwerk zunächst einen
grossen Theil der entwickelten Hitze aufhehmen musste, bevor die
gewünschte Temperatur im Ofen erreicht wurde. Diese Temperatur
trat erst nach 12 Stunden ein; die höchste Temperatur der Abgase
über dem Gewölbe wurde zu 600° C. ermittelt.
Am Dienstag, den 6. August, nach Verlauf von 24 Stunden,
war der Kehricht nahezu verbrannt. Die letzten Schlackenreate
konnten jedoch erst Nachmittags von den Rosten gezogen werden.
Digitized by
Google
225
Die vollständige Verbrennung würde zweifellos in 24 Stunden er¬
folgt sein, wenn die beiden Zellen nicht erst hätten angeheizt werden
müssen. Es kann also angenommen werden, dass eine Zelle im
12 26
Stande ist, in 24 Stunden —= 6,13 Tons Essener Kehricht zu
Ci
verbrennen, und es muss dies Ergebniss als ein günstiges bezeichnet
werden. Täglich werden in Essen 40 Karren Kehricht durch den
städtischen Fuhrpark abgefahren. Der gesammte Kehricht ist das
nicht; einen Theil lässt die Firma Friedr. Krupp abfahren, und im
äusseren Stadtgebiete wird er theils auch zu landwirtschaftlichen
Zwecken verwendet. Da 8 Karren Kehricht nach Hamburg ge¬
schickt waren, so würden zur Verbrennung von 40 Karren Keh-
40
rieht in 24 Stunden -q-- 2= 10 Zellen erforderlich sein.
o
Die nackte Zelle, also ohne das zugehörige Gebäude, kostete
3000 Mk.; daher würden die erforderlichen 10 Zellen allein 30000 Mk.
Kostenaufwand verursachen.
Die Rückstände vom Essener Kehricht wurden gewogen und
gemessen. Dieselben ergaben an Gewicht der Schlacken 5,103 Tons,
der Asche 2,022 Tons.
Das Gewichtsverhältniss der Schlacken zum Kehricht betrug also
: = 41,6 °/o, dasjenige der Asche zum Kehricht
- = 16,5 °/o;
12 260 — ? ' v 5 «.vuiivui 12 260 — > i
das Gewicht der ganzen Rückstände betrug daher rund 58 °/o vom
Kehrichtgewicht.
Dieser Procentsatz erscheint, verglichen mit den Ergebnissen
der Kehrichtverbrennung in englischen Städten, hoch; in einzelnen
Fällen soll dort eine Gewichtsverminderung bis auf 30 °/o erzielt
werden. Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass bei dauern¬
dem Betriebe, also ohne gleichzeitige Anheizung der Zellen, die
Rückstände des Essener Kehrichts ein geringeres Gewicht als das
festgestellte ergeben haben würden.
Die Messung ergab an Rauminhalt
der Schlacken 7,5 cbm lose geschüttet,
„ Asche 2,3 „ » r>
Das Raumverhältniss Schlacke + Asche zum Kehricht war
9 8
also oder 49 °/o. Wenn jedoch Schlacke und Asche vermengt
gemessen wären, so würde ein grosser Theil der letzteren die Hohl¬
räume der ersteren ausgefüllt haben, und man kann annehmen, dass
das Verhältniss dann nur etwa 42 °/o betragen hätte.
Das specifische Gewicht des Kehrichts war ermittelt zu 0,68,
das der Schlacke ergab ebenfalls 0,68, dagegen das der Asche 0,88.
Die Asche war zum Theil feine Flugasche von brauner Farbe und
Digitized by v^ooQle
226
zum Theil gewöhnliche schwarze Asche. Die Schlacke war porös und
hart und enthielt kleine Glaskügelchen, welche von geschmolzenen
Glastheilen herrührten. In Hamburg wird die Schlacke durch
elektrisch betriebene Brechmaschinen zerkleinert und soll in Zu¬
kunft zu Wegebefestigungen benutzt werden. Jetzt dient sie zur
Anschüttung einer Niederung.
In England benutzt man die Verbrennungsrückstände ausser¬
dem zur Herstellung von Mörtel und Beton. Hier in Essen würden
Schlacken und Asche zur Befestigung der nicht gepflasterten Strassen
zweckmässig Verwendung finden können.
Man ist in Hamburg mit den Erfolgen der Kehricht-Verbrennung
sehr zufrieden und entschlossen, die Anlage so zu erweitern, dass
der Kehricht des ganzen inneren Stadtgebietes verbrannt werden
kann.
Während in England schon seit Jahren in vielen Städten die
Kehricht-Verbrennung mit Erfolg durchgeführt ist, hat in Deutsch¬
land die Stadt Hamburg zur Lösung dieser Frage zum ersten Male
praktische Versuche in grossem Maassstabe angestellt, und dankbar
muss es anerkannt werden, dass die Vertreter dieser Stadt in ent¬
gegenkommendster Weise ihre Erfahrungen und Einrichtungen an¬
deren Städten zur Verfügung stellen.
Kleinere Mittheilnngen.
*** Die vor Kurzem in der Stadtverordneten-Versammlung zu
Berlin erörterte Frage, ob die Errichtung eines städtischen Gesund¬
heitsamtes in Berlin nothwendig sei oder nicht, wird auch weitere
Kreise interessiren. Nach der „Vossischen Zeitung 4 vom 9. Mai war
in der Versammlung nicht viel Stimmung dafür. „Dr. Langerbans
meinte, man solle erst abwarten, ob nicht die neue Deputation flir die
Krankenanstalten, der auch die Ueberwachung der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege anheimgegeben ist, die Aufgabe der öffentlichen Hygiene
ganz erfüllen werde. Und Dr. Strassmann verwies darauf, dass man
an die Schaffung eines städtischen Gesundheitsamtes so lange nicht
werde denken können, als sich die Ausübung der Sanitätspolizei in den
Händen der Polizei befinde. Dr. Langerhans gegenüber ist eines vor
Allem einzuwenden. Die Aufgaben der Deputation und die eines Ge¬
sundheitsamtes sind durchaus verschieden. Die Deputation hat wesent¬
lich Aufgaben der Verwaltung zu besorgen. Ihr liegt es ob, die Ein-
Digitized by
Google
227
richtungen der öffentlichen Gesundheitspflege und der Krankenpflege
auf ihr ordnungsmässiges Wirken zu überwachen und so oft notwendig
ihre Ausgestaltung in die Wege zu leiten. Das Gesundheitsamt hin¬
gegen ist wesentlich eine technische Anstalt. Sie hat die Laboratoriums¬
arbeit im Dienste der Hygiene zu thun. Die Hauptaufgabe des Ge¬
sundheitsamtes wäre chemische, bakteriologische und mikroskopische
Arbeit im Dienste der Berliner Hygiene. Die Thätigkeit des Gesundheits¬
amtes würde durchaus nicht die Kreise der Deputation stören. Das
Gesundheitsamt würde vielmehr die Leistungen der Deputation fördern.
Das Amt müsste auf die Weisung der Deputation in seiner Weise,
durch die hygienische Prüfung und durch Versuche bei der Klärung
hygienisch wichtiger Fragen, so oft dies der Deputation geboten er¬
scheint, mitwirken. Dr. Strassmann ist zuzugeben, dass bei dem Ueber-
gange der Wohlfahrtspolizei auf die Stadt einem städtischen Gesundheits¬
amte reichliche Arbeit zu Theil werden wird. Aber ohne dies würde
schon jetzt ein städtisches Gesundheitsamt über Mangel an Beschäftigung
nicht zu klagen haben. Die gewaltigen hygienischen Einrichtungen
Berlins erheischen seit geraumer Zeit eine grosse Summe von Unter¬
suchungen chemischer, bakteriologischer, hygienischer Art. Da ist zu¬
nächst die chemische Nahrungsmitteicontrole, für die die Kosten die
Stadtverwaltung zu tragen hat. Dazu kommt die in regelmässigen
Zwischenräumen vorgenommene chemische Prüfung der Rieselwässer,
weiterhin die bakteriologische Prüfung dieser. Weiterhin ist hier die
chemische und bakteriologische Ueberwachung der Wasserwerke an¬
zuführen. Alle diese Arbeiten lässt die Stadtverwaltung seit Jahren,
eine jede für sich, von einzelnen Universitätsanstalten, wie dem chemischen
Laboratorium des pathologischen Instituts, dem hygienischen Institut
der Universität, oder von Privatlaboratorien und schliesslich von einigen
Aerzten ausführen. Verlegte man alle diese Untersuchungen in ein
städtisches Gesundheitsamt, so würde dieses schon einen Stamm von
wissenschaftlichen Arbeitern beschäftigen können. Aber auch ein Theil
der Kosten für das Gesundheitsamt würde durch die Summe der Ge¬
bühren, die jetzt gezahlt werden, gedeckt werden. Wichtiger ist, dass
dem Gesundheitsamte in kurzer Frist noch eine Reihe neuer Aufgaben
zufallen würden, wie die Schulhygiene, die bakteriologische Diagnose
der Diphtherie u. A. m. Auch daran ist zu denken, dass die Berliner
Vororte sich veranlasst sehen würden, dem Berliner Gesundheitsamte
hygienische Arbeiten zu überweisen, die sie jetzt von Privatlaboratorien
ausführen lassen. Wenn andere Grossstädte und selbst Mittelstädte
hygienische Stadtlaboratorien unterhalten, so wird die Stadt Berlin
sicher ihre Rechnung dabei finden.“ W.
Digitized by
Google
228
Entwurf einer Dienstordnung für die Schulärzte der Stadt
Nürnberg.
1. Die Schulärzte haben im Allgemeinen die Aufgabe, den könig¬
lichen Bezirksarzt in der gesundheitspolizeilichen Beaufsichtigung der
städtischen Schulen wie auch der seiner Aufsicht unterstellten privaten
Erziehungs- und Unterrichtsanstalten zu unterstützen.
2. Sie haben die ihnen zugewiesenen Schulen allmonatlich min¬
destens einmal und im Bedarfsfälle auf Antrag der Inspection einzelne
Classen wiederholt zu besuchen und hierbei auf die richtige Hand¬
habung aller für die Gesundheit der Kinder und Lehrer getroffenen
Einrichtungen zu achten, vor Allem auf Erwärmung, Lüftung, Beleuch¬
tung und Reinigung der Räume, auf Schulbänke, Aborte, Turnsäle und
Schulbäder.
Allenfallsige Beschwerden und Wünsche der Lehrer und Haus¬
meister haben sie dabei entgegenzunehmen.
Ueber ihre Wahrnehmungen bei diesen Besuchen wie über die
ihnen vorgetragenen Wünsche und Beschwerden haben sie unter Be¬
nutzung eines gleichmässigen Formulars einen kurzen Vermerk auf¬
zunehmen , von welchem sie eine Abschrift dem königlichen Bezirks¬
arzt übermitteln, während sie das Original zu ihren Acten nehmen.
3. Ebenso haben die Schulärzte die in ihrem Bezirke liegenden
Kinderbewahranstalten oder Kindergärten mindestens viermal jährlich
zu besuchen und über den Befund an den Königlichen Bezirksarzt
zu berichten.
4. Bei ihren Besuchen in den Schulen haben die Schulärzte die¬
jenigen Kinder zu untersuchen, deren Untersuchung im Interesse des
Unterrichts wtinschenswerth ist. Diese Untersuchungen sind, soweit
nöthig, in der Wohnung des Hausmeisters vorzunehmen.
Ueber das Ergebniss derselben ist ein kurzer Vermerk aufzunehmen,
welcher mit der Censurliste des betreffenden Kindes aufbewahrt wird.
5. Die Untersuchung und Begutachtung eines Kindes ist vorzu¬
nehmen,
a. wenn für ein Kind vor vollendetem 6. Lebensjahre die Aufnahme
in die Werktagsschule gewünscht oder wenn für Schüler der
Werktags- und Fortbildungsschule, für Schülerinnen der Werk¬
tags- oder der Mädchensonntagsschule mit Rücksicht auf deren
Gesundheitsverhältnisse die Entlassung vor vollendeter Schul¬
pflicht beantragt wird;
b. wenn für einzelne Kinder die Zurückstellung vom Schulbesuche
auf ein Jahr oder die Befreiung von der Theilnahme an einzelnen
Unterrichtsgegenständen verlangt wird;
Digitized by
Google
229
c. wenn für Kinder, welche an ansteckenden Krankheiten gelitten
haben, der Nachweis zu erbringen ist, dass sie ohne Gefährdung
der Mitschüler zum Schulbesuche wieder zugelassen werden
können;
d. wenn Zweifel darüber bestehen, ob Schulversäumnisse wegen
Krankheit gerechtfertigt sind.
Diese Untersuchungen haben nur dann einzutreten, wenn haus¬
ärztliche Zeugnisse nicht vorgelegt werden können, oder wenn sie von
dem zuständigen Schulinspector besonders gefordert werden. Auf Ver¬
langen der Behörde müssen diese Untersuchungen im Hause des Arztes
oder des Kindes vorgenommen werden.
Das vom Schulärzte ausgestellte Zeugniss wird mit
der Censurliste des betreffenden Kindes aufbewahrt.
6. Ausser ihren regelmässigen Aufgaben haben die Schulärzte
auch die besonderen Aufträge zu erledigen, welche ihnen vom König¬
lichen Bezirksarzte oder vom Magistrate ertheilt werden.
Vor Allem haben sie bei dem Auftreten von Infectionskrankheiten
unter den Schulkindern den Weisungen des königlichen Bezirksarztes
zur Untersuchung der Schulkinder in den Schulen sofortige Folge zu
leisten und die ihnen aufgetragenen Berichte schleunigst an denselben
zu erstatten. Den regelmässigen jährlichen Umgängen der Pfleger in
den Schulhäusern haben sie auf Einladung beizuwohnen.
7. Es ist die Aufgabe der Schulärzte, die Beseitigung Vorgefundener
Mängel im Einvernehmen mit den Inspectoren, Lehrern oder Haus¬
verwaltern zu veranlassen; ein Recht derselben, selbstständig Weisungen
zu ertheilen oder Anordnungen zu treffen, ist ihnen nicht eingeräumt.
Anträge oder Beschwerden ihrerseits haben sie an den könig¬
lichen Bezirksarzt zu richten, der dieselben dem Magistrate zur Ver-
bescheidung und Mittheilung an die Schulbehörde übermittelt.
8. Masserfuntersuchungen von Schulkindern zum Zwecke der
Lösung hygienischer oder anderer wissenschaftlicher Fragen dürfen sie
nur dann vornehmen, wenn die königliche Localschulcommission auf
besonderes, durch den königlichen Bezirksarzt an dieselbe zu bringendes
Ersuchen die Erlaubnis dazu ertheilt hat.
9. Mindestens einmal in jedem Vierteljahre wird der Königliche
Bezirksarzt mit den Schulärzten eine Besprechung abhalten, bei welcher
Angelegenheiten und Fragen der Schulgesundheitspflege, insbesondere
auch die von den Schulärzten im letzten Vierteljahre gemachten Wahr¬
nehmungen, zur Sprache kommen.
Ueber die Gegenstände dieser Besprechung, zu welcher sämmt-
liche Schulärzte zu erscheinen haben, wird ein Vermerk aufgenommen.
10. Ueber ihre Thätigkeit haben die Schulärzte jeweils am Ende
des Schuljahres an den königlichen Bezirksarzt einen Bericht zu er¬
statten, den dieser dem Magistrate zur Kenntnissnahme übermittelt.
Digitized by
Google
230
11. Ferner haben die Schulärzte über die amtlichen Vorkomm¬
nisse ein Tagebuch zu führen, welches sie sammt allen amtlichen
Schriftstücken aufzubewahren haben. Sämmtliche Aktenstücke sind als
amtliche zu erachten und daher Eigenthum des Magistrats; sie gehen
im Falle des Rücktritts eines Schularztes auf dessen Nachfolger über.
12. Ist ein Schularzt während des Schuljahres veranlasst, seine
Thätigkeit vorübergehend zu unterbrechen, so bedarf es hierzu eines
Urlaubs von Seiten des Magistrats. Das Urlaubsgesuch ist rechtzeitig
bei dem königlichen Bezirksarzte einzureichen und wird von diesem
mit gutachtlicher Aeusserung dem Magistrate vorgelegt.
13. In dem Urlaubsgesuche muss angegeben sein, welcher von
den anderen Schulärzten für die Dauer des Urlaubs die Stellvertretung
übernimmt.
14. Für ihre Mühewaltung erhalten die Schulärzte einen be¬
stimmten Jahresgehalt, der jeweils in den vom Magistrate bestimmten
Fristen ausbezahlt wird.
15. Die Schulärzte werden von dem Magistrate je auf 3 Jahre
angestellt, unbeschadet der beiden Theilen jeder Zeit zustehenden drei¬
monatlichen Kündigung, sind jedoch nach Ablauf dieser Frist wieder
wählbar.
16. Der Magistrat behält sich vor, vorstehende Bestimmungen ab¬
zuändern oder zu erweitern.
Zur pädagogischen Pathologie und Therapie.
Ich habe in diesen Blättern schon mehrfach auf Bestrebungen auf¬
merksam gemacht, die Ergebnisse der Psychiatrie für die Ziele der
Pädagogik zu verwerthen, um auf dem Wege der wissenschaftlichen
Forschung zu einer besseren Erkenntniss abnormer Vorgänge in der
Seele des Kindes zu gelangen. Wie sehr derartige Versuche unser
Interesse in Anspruch nehmen, bedarf keiner weiteren Bestätigung,
und ich will daher früher Gesagtes nicht nochmals wiederholen.
Zweck dieser Zeilen ist, auf ein literarisches Unternehmen hinzu¬
weisen, welches diesen Bestrebungen gewidmet ist und in erster Linie
das bisher vernachlässigte Gebiet der Psychologie des Physiologischen
wie Pathologischen im Kindesleben bebauen soll.
Der Schwerpunkt des Arbeitsgebietes soll in den Formen der Ab¬
normität liegen, die sich zwischen ausgesprochener Krankheit (Psychose,
Idiotie, Taubstummheit, Blindheit u. s. w.) und geistiger Gesundheit
bewegen, und es soll die innigste Fühlung angestrebt werden mit der
Medicin und der Heilpädagogik auf der einen, wie mit der wissen¬
schaftlichen Pädagogik des Normalen auf der anderen Seite.
Die neue Zeitschrift trägt den Titel: Die pädagogische Pa¬
thologie. Beiträge zur Heilerziehung in Haus, Schule und socialem
Digitized by
Google
231
Leben. Herausgegeben von J. Trüper, Director der Erziehungs- und
Heilanstalt auf der Sophienhöhe bei Jena, Dr. med. J. L. A. Koch,
Director der königl. Württembergischen Staatsirrenanstalt in Zwiefalten,
Chr. Ufer, Rector der Reichenbachschulen in Altenburg, und Prof. Dr.
theol. et phil. Zimmer, Director des Prediger-Seminars und Vorstand
des ev. Diakonievereins in Herborn. Langensalza, H. Beyer & Söhne.
P elman.
** In Leipzig hat sich im vorigen Jahre eine Vereinigung zur
Fürsorge für kranke Arbeiter gebildet, welche den Zweck hat, die in
dem Krankenversicherungsgesetze enthaltenen Härten und Lücken durch
Vereinsuntersttttzungen möglichst auszugleichen, z. B. beim Aufhören
der gesetzlichen Unterstützung oder fortdauernder Krankheit, bei noth-
wendiger UeberfÜhrung des Kranken in das Krankenhaus, bei Wöch¬
nerinnen etc. zu unterstützen. Der Verein ist für das Jahr 1895 schon
in voller Thätigkeit gewesen, über welche er einen Rechenschafts¬
bericht ausgegeben hat. Jetzt hat derselbe eine Denkschrift über die
Nutzbarmachung des § 12 des Invaliditäts- und Altersversicherungs-
gesetzes, in welchem die Grundsätze bei Uebemahme des Heilverfahrens
Seitens der Versicherungsanstalt, die Errichtung von Sanatorien, sowohl
Heimstätten ftir Genesende, als solche für Lungenkranke, abgehandelt
werden. Von grossem Interesse ist auch die Zusammenstellung des¬
jenigen, was von den deutschen Versicherungsanstalten bisher in dieser
Hinsicht geschehen ist. Sodann hat der Verein zwei sehr empfehlens-
werthe Flugblätter herausgegeben, welche von der hanseatischen Ver¬
sicherungsanstalt in Lübeck zusammengestellt sind, nämlich Rathschläge
für Lungenkranke und Belehrung über die ersten Anzeichen beginnender
Lungenschwindsucht und Mahnung zu deren Beachtung. Diese Flug¬
blätter können zur Verbreitung in allen Volksschichten, besonders in
Arbeiterkreisen, nicht warm genug empfohlen werden. L.
Geschichtliche Notiz über Gfthrung und Fäulniss. Aus einer
im 1 . Hefte dieses Centralblattes 1896 befindlichen Notiz von Prof.
C. Binz ergiebt sich, dass schon vor Pasteur (1858) verschiedene
Autoren, wie Schwann (1836), Cagniard-Latour, Schulze, v. Dusch u. A.
richtige Vorstellungen über die Ursachen der Gährung gehabt, ja zur
Fernhaltung einer solchen sogar schon exacte Experimente, Filtriren
der Luft mittelst Baumwolle u. A. augewendet haben. Doch geht auch
diese Frage, wie so Vieles in den Naturwissenschaften, sehr viel weiter
zurück, als man sich wohl gewöhnlich vorstellt: wenigstens finde ich
in W. Whiston’s kürzlich mir zur Hand gekommenen Übersetzung des
Flavius Josephus, des hochgebildeten und sehr gelehrten Geschichts¬
schreibers und Theilnehmers am jüdischen Kriege unter Vespasian und
Titus, bei Schilderung der nach Jerusalem von den Römern gleichfalls
Digitized by v^ooQle
232
eingenommenen und zerstörten Bergfestung Masada (VII, 8, 4) die
folgende, hierher gehörige Stelle: „As for the fumiture that was within
this fortress, it was still more wonderful, on account of its splendour
and long continuance; for here was laid up corn in large quantities,
and such as would subsist men for a long time; here was also wine
and oil in abundance, with all kinds of pulse and dates heated up
together. These fruits were also fresh and full ripe, no way
inferior to such fruits newly laid in, although they were little short of
a hundred years from the laying in these provisions by Herod, tili
the place was token by the Romans; nay, indeed, when the Romans
got possession of those fruits that were left, they found them not cor-
rupted all that while: nor should we be mistaken, if we supposed that
the air was here the cause of their enduring so long, — this fortress
beeing so high, and so free from the mixture of all terrene
and muddy particles of matter. Nach einer von Whiston hier
hinzugefügten Notiz hat auch Plinius ähnliche Beobachtungen über lange
Conservirung mancher Nahrungsmittel gemacht.
Im Anschluss hieran sei noch auf eine ähnliche, gleichfalls bei
Josephus befindliche Notiz, und zwar über die präservirende Einwir¬
kung des Honigs, hingewieseu, indem es nämlich dort (I, 9, 1) bezüg¬
lich eines jüdischen Parteigängers des Pompejus heisst, er habe, nach¬
dem er vergiftet worden, for a long while, had not so much as a burial
vouchsafed him in bis own country; but his dead body lay above ground,
preserved in honey, until it was sent to the Jews by Antony, in
order to be buried in the royal sepulchres.“ Die hier in so inter¬
essanter Weise benutzte, eonservirendei Wirkung des Honigs beruht
ausser auf der Gegenwart gewisser aromatischer, durchaus nicht belang¬
loser Bestandtheile, z. Th. natürlich auch auf der Anwesenheit der
Ameisensäure, deren Derivat, das Formalin, ja jetzt hochmodern ge¬
worden ist.
Diese Beispiele fordern uns abermals auf, der weithin rückwärts
wie vorwärts schauenden Worte eines Leibnitz: „quand lesLatins, les
Grecs, les Hebreux et les Arabes seront ßpuises un jour, les Chinois,
pourvus encore d’anciens livres, se mettront sur les rangs, et fourniront
de la matiere ä la curiosit6 de nos critiques; sans parier de quelques
livres des Persans, des Armeniens, des Coptes et des Bramines, qu’on
deterrera avec le temps, pour ne n^gliger aucune lumi&re que l’anti-
quit6 pourrait donner par la tradition des doctrines et par l'histoire
des faits“ — eingedenk zu bleiben. Dr. Ziem (Danzig).
*** Der Polizei-Präsident von Berlin veröffentlicht auf
Gruud des § 18 der Polizei-Verordnung, betreffend den Handel mit
Giften vom 24. August 1895, den Wortlaut der Belehrung über
die Gefahren bei Anwendung giftiger Ungeziefermittel:
Digitized by v^ooQle
283
„1. Für Arsen und arsenhaltige Präparate, insbesondere
Schweinfurter Grün: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Auf b ewahrang:
Man kaufe nur geringe Mengen auf einmal und bewahre sie unter
Verschluss fern von Nahrungs* und Genussmitteln, nie in der Küche
auf. Gebrauch: In Schlaf- und Kinderstuben nicht verwendbar.
Beim Ausstreuen hüte man sich vor Einathmen des Pulvers, wasche
die Hände nach dem Gebrauch und vernichte die Reste im Behälter
durch Feuer. Vergiftungszeichen: Choleraähnlich, Durst, Leib¬
schmerz, Erbrechen, Durchfall. Gegengift: 1. Brechmittel aller Art,
Reizung des Schlundes. 2. Kalkwasser in Verbindung mit Milch und
Eiweiss. 3. Das in jeder Apotheke vorräthige Arsengegengift. — Aerzt-
liche Hilfe! —
2. Für Phosp h orpillen: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Auf¬
bewahrung: Man kaufe nur geringe Mengen auf einmal und bewahre
sie unter Verschluss fern von Nahrungs- und Genussmitteln, nie in der
Küche auf. Gebrauch: Zur Vertilgung von Ratten und Mäusen lege
man die Pillen in die Löcher. Muss man sie offen auslegen, so wähle
man Stellen, die thunlichst für Kinder unzugänglich sind, lege nur
Nachts aus und sammle Morgens die Reste. Nach jedem Gebrauch
wasche man die Hände. Reste und Behälter sind in den Abort zu
werfen. Vergiftungszeichen: Erbrechen, Durst, Leibschmerz,
Durchfall, Ohnmacht. Das Erbrochene leuchtet im Dunkeln, und riecht
Athemluft und Stuhl nach Knoblauch. Gegengifte: 1. Brechmittel
aller Art, Reizung des Schlundes. 2. Altes Terpentinöl vom nächsten
Apotheker nach dessen Vorschrift. — Aerztliche Hilfe! — Zu vermeiden :
Ricinusöl, Milch, Oele, Fette.
3. Für Phosphorpaste, Phosphorlatwerge, Pho sphor -
brei: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Aufbewahrung: Man kaufe
nur geringe Mengen auf einmal und bewahre sie unter Verschluss,
fern von Nahrungs- und Genussmitteln, nie in der Küche auf. Ge¬
brauch: Der Brei ist auf Brot oder Schinkenschwarte gestrichen zur
Vertilgung von Ratten und Mäusen in die Löcher einzubringen. Muss
man das Gift frei auslegen, so beschränke man den Gebrauch auf die
Nachtstunden und auf Stellen, welche für Kinder unzugänglich sind,
und sammle am Morgen die Reste. Holzspäne, Behälter und Reste
werfe man in den Abort. Nach jeder Hantirung mit dem Gift wasche
man die Hände. Vergiftungszeichen: Erbrechen, Durst, Leib¬
schmerz, Durchfall, Ohnmacht. Das Erbrochene leuchtet im Dunkeln,
und riecht Athemluft und Stuhl nach Knoblauch. Gegengifte:
1. Brechmittel aller Art, Reizung des Schlundes. 2. Altes Terpentinöl
vom nächsten Apotheker nach dessen Vorschrift. — Aerztliche Hilfe!
— Zu vermeiden: Ricinusöl, Milch, Oele, Fette.
4. Strychnin weizen: „Vorsicht!! Starkes Gift!!“ Auf¬
bewahrung: Man kaufe nur geringe Mengen auf einmal und bewahre
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 17
Digitized by
Google
234
sie sorgfältig unter Verschluss, fern von Nahrungs- und Genussmitteln,
nie in der Küche auf. Gebrauch: Der Weizen ist in die Mause¬
löcher zu schütten. Müssen die Körner frei ausgelegt werden, so wähle
man Stellen, welche Kindern unzugänglich sind, lege nur Nachts aus
und sammle am Morgen die Reste. Reste und Schachteln sind zu ver¬
brennen. Vergiftungszeichen: Unruhe, Ameisenkriechen, Kurz-
athmigkeit, Schlingbeschwerden, Zucken in Armen und Beinen, Steif¬
heit der Glieder, Starrkrampf. Gegengifte: 1. Fortwährendes Her¬
umführen. 2. Der Patient soll nicht ruhen. 3. Bei Starrkrampf künst¬
liche Athmung. — Aerztliche Hilfe! —
Diese Belehrung ist auf feuerrothem Papier gedruckt den Packungen
beizugeben.“ W.
Literaturbericht.
Stübben, Hygiene des Städtebaues. Abdruck aus dem Handbuch der
Hygiene, herausgegeben von Dr. Theodor Weyl.
Vorstehendes Werk Stübben’s kann als eine hervorragende Arbeit
auf dem Gebiet der Hygiene bezeichnet werden, welche eine vor¬
handene Lücke ausfüllt. Dasselbe verdient mit Rücksicht auf die hier
behandelten, für alle Gemeinden und namentlich die grösseren Städte
höchst wichtigen Fragen eine ausführlichere Behandlung, umsomehr,
als die Aufgaben, welche der Verfasser dem Städtebau stellt, in den
meisten Städten noch nicht in genügender Weise gelöst sind. Es soll
deshalb über den Inhalt etwas eingehender berichtet werden. Die an¬
geregten Fragen werden in vier Abschnitten besprochen, und zwar be¬
trifft der erste Abschnitt den Entwurf des Städtebebauungsplanes, der
zweite die Ausführung desselben, der dritte die Bauordnung, und der
vierte bringt eine Zusammenstellung der für diese Fragen wichtigen
gesetzlichen Bestimmungen und Vereinsbeschltisse.
Im 1. Abschnitt werden die Anforderungen an den Entwurf
des Bebauungsplanes festgelegt. Der Plan muss ausser den Bau-
und Verkehrsbedürfnissen namentlich auch den hygienischen Rück¬
sichten angepasst sein und sich im Wesentlichen auf folgende Punkte
erstrecken. Das zu bebauende Gelände muss, wenn irgend möglich,
vollständig vor Ueberschwemmungen geschützt sein. Für solche
Fälle, wo dies nicht möglich ist, sind bestimmte Vorschriften nach
stattgehabter Ueberschwemmung einzelner Gebäudetheile zu erfüllen.
Der Untergrund muss trocken und rein gehalten werden; deshalb sind
die Strassen und Baugründe so hoch anzulegen, dass die Kellerräume
Digitized by
Google
235
dem Einfluss des Grundwassers entzogen, bezw. der Grundwasser¬
spiegel durch unterirdische Kanalisation gesenkt wird und durch
letztere ebenfalls die flüssigen Abgänge und die Fäcalstoffe abgefUhrt
werden. Die vom Stadtbauplane berührten und umschlossenen Wasser¬
läufe sind vor der Verunreinigung durch den städtischen Anbau zu
schützen, zu welchem Zwecke die Anlage von Uferstrassen oder öffent¬
lichen Anpflanzungen sich empfiehlt. Die Herstellung von Wasser¬
läufen im Innern von Baublöcken ist zu verwerfen, und Bachläufe sind
nur in öffentlichen Strassen oder öffentlichen Pflanzungen durchzuftihren.
Schmutzwässer sind erst ausserhalb der Städte dem Flusse zu über¬
geben, und zwar in möglichst geklärtem Zustande. Eine Versorgung der
Stadt mit gutem Wasser in ausreichender Menge zu Trink-, Koch-
und Nutzzwecken ist unentbehrlich. Genügendes Licht muss be¬
schafft werden durch ausreichende Breite der Strassen und zweck¬
mässige Führung derselben zu den Himmelsrichtungen, sowie durch
entsprechende Grösse und Gestalt der Baublöcke. Am besten wird
die Gebäudehöhe nicht grösser als die Breite der Strassen angenommen;
jedenfalls sollte die Höhe des gegenüber liegenden Gebäudes durch
einen Winkel von 45 Grad begrenzt werden, welcher durch die
Fenstersohlbank des Erdgeschosses des auf der anderen Seite liegenden
Gebäudes gezogen wird. Besser ist es ja, wenn die Breite der Strassen
grösser als die Gebäudehöhe ist. Auch eine abendliche Beleuchtung
durch eine centrale Beschaffung des Lichtes durch Leuchtgas oder
elektrischen Strom ist vorzusehen. Den Strassen, Baublöcken und den
Gebäuden muss Luft in ausreichender Menge zugeführt werden, und
muss ein genügender Luftwechsel stattfinden. Zur Erreichung dieser
Anforderung müssen die Strassen genügend breit und nicht zu winkelig
sein und müssen durch öffentliche Plätze und Gartenanlagen unter¬
brochen werden. Die Tiefe der Baublöcke muss hinsichtlich ihrer
Zweckbestimmung richtig angeordnet und die Errichtung von Quer¬
oder Hintergebäuden möglichst vermieden werden. Ein nicht zu kleiner
Theil der Baustelle soll unbebaut bleiben und die Schaffung eines
Bauwichs neben den Gebäuden in einzelnen Stadttheilen angestrebt
werden. Baum- und Gartenp fl an zungen sollen auf jede Weise be¬
günstigt und erstrebt werden. Dieselben finden Anwendung bei
Strassen, öffentlichen Plätzen und Parkanlagen. Die Strassenbepflanzung
kann in zwei oder mehr Baumreihen, mitunter verbunden mit Rasen¬
beeten, mit oder ohne Strauchgruppen oder Vorgärten, geschehen. Als
bester, zähester Strassenbaum wird besonders die kleinblätterige Ulme
empfohlen. Bei Verkehrs-, Architektur- und Marktplätzen tritt die
Bepflanzung nur in bescheidenem Maasse auf, während dieselbe bei
Gartenplätzen die Hauptsache bildet und entweder eine geschlossene
oder offene ist. Die Parkanlagen sind entweder Parkgärten, Park¬
wälder oder Parkpromenaden. Erstere sollten nicht unter 5 ha Grösse
17*
Digitized by ^.ooQle
236
angelegt werden, und sollten eigentlich auf den Kopf der Bevölkerung
2 qm Parkgarten kommen. Von 100 ha Stadtgelände sollten etwa
35 ha auf unbepflanzte Strassen und Plätze, 10 ha auf Pflanzungen
und 55 ha auf Baublöcke entfallen. Endlich sollten die bewohnten
Stadtviertel vor gesundheitlich nachtheiligen und störenden Betrieben
geschützt und in bestimmten, genau umgrenzten reinen Wohngegenden
gewerbliche Anlagen lästiger Art überhaupt nicht zugelassen, sondern
hierfür im Stadtbebauungsplan besondere Viertel und Gegenden vor¬
gesehen werden.
Im 2. Abschnitt behandelt der Verfasser die Ausführung
des Stadtbauplanes. Hierbei müssen thätig eingreifen der
Staat, die Gemeinde und die Privaten. Der erstere kann vorzugs¬
weise durch seine gesetzgeberische, sodann aber auch durch anregende,
unterstützende und vermittelnde Thätigkeit viel zur gedeihlichen Ge¬
staltung des Städtebebauungsplanes beitragen. Die Hauptaufgabe Mit
der Gemeindeverwaltung zu, welche die gute Ausführung durch
zweckentsprechende ortsstatutarische und polizeiliche Bestimmungen,
Wahrung der Verkehrs-, der hygienischen und ästhetischen Interessen
und dergl. zu sichern bat. Dem Staat und der Gemeinde fällt die
gemeinsame Aufgabe zu, die Gemeindebezirke entsprechend abzugrenzen
und durch Einverleibung von Vororten zu erweitern. Die Privat¬
personen endlich, welche als Bauherren, Bauunternehmer, Grundbesitzer
und Stadterweiterungsunternehmer bei der Ausführung des Stadtbau¬
planes thätig sein können, müssen ihre Unternehmungen in einem dem
Bedürfnisse entsprechenden Umfange in solider und rationeller Weise
zur Ausführung bringen. Eine Beschränkung der Baufreiheit
ist zur sachgemässen Durchführung eines solchen Planes unentbehrlich.
Der Zeit nach darf an einer Strasse erst gebaut werden, wenn die¬
selbe vollendet ist. Oertlich ist jede bauliche Ausführung vor der fest¬
gesetzten Baufluchtlinie zu verbieten und anzustreben, dass der städtische
Anbau nur innerhalb des vom Stadtbauplane vorgesehenen Bereichs
gestattet wird. Hinsichtlich der Bauart sind Beschränkungen zu
treffen, welche zum Schutze der Nachbarn, Miether und Besitzer, der
Landesverteidigung, Feuersicherheit, Gesundheit und dergl. erforder¬
lich sind. Die Herstellung der Strassen und ihres Zubehörs,
namentlich aber einer geregelten Kanalisation, muss so zeitig geschehen,
dass das Baubedürfniss befriedigt werden kann, wobei Strassenkehricht
oder andere faulende oder fäulnissfähige Massen zur Anschüttung des
Strassenkörpers nicht verwendet werden dürfen. Gas-, Wasser- oder
ähnliche Leitungen sollen möglichst in die Bürgersteige verlegt werden.
Bei der Wahl des Materials der Stra6sendecke können gesundheitliche
Rücksichten nicht allein maassgebend sein. Verbesserungen in
der Altstadt sind in den meisten Städten mit Rücksicht auf das
Anwachsen derselben und den Umstand, dass die alten Anlagen den
Digitized by
Google
237
modernen Anforderungen des Verkehrs und der Gesundheit nur in
geringem Grade entsprechen, unumgänglich und stellen grosse Anfor¬
derungen an den Stadtsäckel. Strassenverbreiterung durch neue Flucht-
linienfestsetzungen, in manchen Fällen Durchführung geänderter
Höhenlinien und selbst Strassendurchbrtiche und Beseitigung gesund¬
heitswidriger Wohnungen und Stadtviertel, wobei die Gemeinde mit¬
unter selbst als Unternehmer auftreten muss, sind unvermeidlich. Eine
weitere Forderung, die zur erfolgreichen Ausführung des Stadtbau¬
planes gestellt werden muss, ist die Ausdehnung des Enteig-
nungsrechtes auch auf die Anlage öffentlicher Pflanzungen, auf die
Umlegung, welche eine anderweitige zweckmässige Zusammenlegung
von Grundstücken bezweckt, die von Strassenzttgen schiefwinklig oder so
geschnitten werden, dass sie sich zur Bebauung nicht mehr eignen, und
endlich auf die sogenannten Grundstückszonen, wodurch es er¬
möglicht wird, auch ausser dem für Strassen erforderlichen Terrain
Grundstücke, Grundstückreste und Baulichkeiten behufs Verbesserung
gesundheitlicher und öffentlicher Interessen zu enteignen. Die Be¬
theiligung der Anlieger an den Kosten findet in der Regel
nur bezüglich der eigentlichen Strassenbaukosten statt, während die
Kosten aller Verbesserungen im Innern der Stadt und die Kosten der¬
jenigen Anlagen, welche nöthig sind, um das Erweiterungsgelände dem
städtischen Anbau zu erschliessen, als Bau von Brücken, Festungs¬
werken, Vorfluthanlagen für die Entwässerungsanlagen und dergl., von
der Gemeinde getragen werden. Billiger Weise müsste aber wenigstens
ein Theil solcher Kosten von Denen übernommen werden, welche den
Hauptvortheil gemessen.
Der 3. Abschnitt bespricht die Bauordnung, welche, wenn
der Stadtbauplan festgestellt ist und stückweise ausgeführt wird, die
Art der Bebauung innerhalb der Blockgrenzen regelt. Die Bauord¬
nungen sind sehr verschiedenartig. Dies erklärt sich schon daher, dass
dieselben z. Th. von den Gemeinden erlassen werden. Eine deutsche
Reichsbauordnung wäre jedenfalls als ein Unding zu betrachten, während
eine gewisse Vereinheitlichung der Hauptgesichtspunkte doch anzu¬
streben ist. Die Bauordnung ist eine verschiedene, je nachdem es sich
um Bauten auf dem flachen Lande oder in Städten handelt, ebenso
für kleinere und grosse Städte und für alte und neue Stadttheile.
Nach aussen hin ist eine Abstufung der Vorschriften geboten, und soll
bei der Aussenbebauung eine weiträumigere Bebauung angestrebt
werden. Es ist deshalb eine Zonenbauordnung ein gesundheit¬
liches und wirtschaftliches Bedürfniss. Es werden nun solche Zonen¬
bauordnungen, welche für die Städte Berlin, Frankfurt a. M., Köln
und Wien erlassen sind, unter Beifügung von Plänen, in welche die
Bauzonen eingezeichnet sind, vom Verfasser speciell besprochen. Es
handelt sich hier gewöhnlich ufn Eintheilung in 3 oder mehr Bau-
Digitized by
Google
238
zonen. Besondere Bauzonen bilden gewöhnlich die alte Stadt mit ge¬
schlossener Bauweise, die neuen Stadtviertel mit geschlossener und
offener Bebauung und die ländliche Bauweise. Vielfach werden auch
besondere Viertel für Fabriken angestrebt. Einen wesentlichen Punkt
in der Bauordnung bildet die Sicherung des Lichtes für die Bauten.
Dasselbe müsste den Wohnungen auch im Innern der Baublöcke nach
denselben Grundsätzen zugeführt werden, welche schon im 1. Abschnitt
bezüglich der Lichteinführung von der Strasse besprochen sind, was
aber an der praktischen Ausführbarkeit scheitert. Zunächst ist eine
Grösse der Fensterflächen für die zum Aufenthalt von Menschen be¬
stimmten Räume vorzuschreiben, als deren Mindestmaass V 12 der
Grundfläche des betreffenden Raumes anzunehmen ist. Sodann ist aber
auch die Grösse des vor den Fenstern liegenden unbebauten Raumes
festzustellen. Die meisten Bauordnungen entsprechen wohl den An¬
forderungen , welche hier zu stellen sind, nicht. Dieselben schreiben
in der Regel nur die kleinste zulässige Hofgrösse bezw. den Theil des
Grundstücks, welcher bebaut werden darf, und den kleinsten Abstand
des Gebäudes von der Nachbargrenze oder anderen Gebäuden vor.
Bezüglich der abendlichen Beleuchtung sind nur insoweit Bestimmungen
aufzunehmen, als Gesundheitsgefahren durch die Zuleitungen von einer
Centralstelle entstehen können. Auch die Bauordnung muss für ge¬
nügende Luftversorgung der Häuser von den Strassen und aus dem
Innern der Baublöcke sorgen, wie dies schon im 1. Abschnitt von dem
Bebauungsplan gefordert wurde, und namentlich die zu dichte Be¬
bauung verhindern. Es muss eine ausreichende Höhe der Wohnräume,
ferner eine reichliche Flächengrösse und eine genügende Anzahl der¬
selben vorgeschrieben und einer zu grossen Anhäufung von Wohnungen
in demselben Gebäude, also auch namentlich einer zu grossen Anzahl
von Wohngeschossen, entgegengetreten werden. Es decken sich die
Vorschriften für die Lichtbeschaffung zum Theil mit denen über Luft¬
versorgung. Eine Ursache der Luftverderbniss ist ferner vielfach in
der Verlegung von Wohnungen in Kellergeschosse, in der Anwendung
schlechter Zwischendecken, sowie in der Feuchtigkeit der Wände und
Decken zu suchen. Die Gebäude müssen deshalb unter Umständen
so construirt werden, dass die Feuchtigkeit von aussen in dieselben
nicht eindringen kann; ausserdem dürfen dieselben nicht zu früh be¬
zogen werden. Gas- und Entwässerungsleitungen, sowie Abortanlagen
müssen geruchlos hergestellt werden. Sodann hat die Bauordnung sich
auch mit dem Wasser zu befassen. Die Wohnungen müssen dem
Einfluss des Grund- und Flusswassers entzogen und mit gutem Trink-
und Wirthschaftswasser versorgt werden. Eine nicht weniger wichtige
Frage ist die Beseitigung der Abfallstoffe. Die festen Ab¬
fallstoffe, wie Kehricht und dergl., werden am besten durch städtische
Abfuhr beseitigt. Wenn eine Kanalisation noch nicht vorhanden oder
Digitized by v^ooQle
239
das städtische Kanalnetz zur Aufnahme der Fäcalstoffe nicht geeignet
ist, so werden letztere in wasserdichten Abortgruben anzusammeln und
zeitweise in geruchloser Weise abzufahren oder durch Tonnensystem
oder ähnliche Einrichtungen zu beseitigen sein. Senk- oder Versitz¬
gruben sind zu verwerfen. Anzustreben ist in Städten die Beseitigung
sämmtlicher flüssigen Abgänge einschliesslich Fäcalien durch eine Kanali¬
sation. Es ist eine tadellose Ausführung der Hausentwässerungsanlagen zu
verlangen. Hierbei ist bei guter Ausführung dieser Anlagen das in
Deutschland allgemein übliche offene Lüftungssystem ohne Hauptent¬
wässerungsverschluss zu empfehlen bezw. vorzuschreiben, während der
hauptsächlich in England bevorzugte Hauptentwässerungsverschluss nur
als Nothbehelf bei mangelhaften Anlagen zu betrachten ist. Für ge¬
werbliche Anlagen und Ställe werden besondere Vorschriften
nothwendig, welche Belästigungen und gesundheitliche Schädigungen
von den Arbeitern fernhalten sollen. Auch die gesundheitliche
Benutzung von Wohnungen und anderen Räumen bedarf der polizei¬
lichen Regelung durch eine Wohnordnung, welche sich nicht nur
auf die neuen, sondern auch auf die Verbesserung bestehender älterer
Wohnungen erstrecken soll. Es muss eine zeitweise Unbewohnbarkeit
der Wohnungen oder einzelner Räume ausgesprochen und den Be¬
wohnern das fernere Bewohnen gesetzlich untersagt werden, bezw. die
Enteignung schlechter Baulichkeiten Platz greifen können.
Zum Schluss ist ein tabellarischer Auszug aus den Bauordnungen
38 verschiedener Städte bezw. aus den wichtigsten Bestimmungen der¬
selben in übersichtlicher Weise beigefügt.
Der 4. Abschnitt endlich bringt noch eine Zusammenstellung
von gesetzlichen und ortsstatutarisdhen Bestimmungen und Verordnungen,
welche in Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Frankreich, Belgien, Italien
und der Schweiz im Interesse der Hygiene des Städtebaues erlassen
sind, sowie von Thesen, welche nach dieser Richtung und zum Schutze
des gesunden Wohnens von Vereinen, namentlich vom Deutschen Verein
für öffentliche Gesundheitspflege, aufgestellt sind.
Mäurer (Elberfeld).
Von der Zeitschrift für soei&le Medioin, Organ zur Vertretung und För¬
derung der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes, herausgegeben von
San.-Rath Dr. A. Oldendorff, Berlin, Verlag von G. Thieme-Leipzig, liegen
uns Heft 2, 3 und 4 vor.
Der Inhalt dieser Hefte zeigt, wie die Zeitschrift ihrem im ersten
Prospect gegebenen Versprechen treu geblieben ist; in grösseren Ab¬
handlungen, in umfangreichen Schilderungen bestehender Zustände, in
statistischen Untersuchungen hat sie eine grosse Reihe socialer Fragen
erörtert, Zustände in den verschiedenen Culturstaaten einer ver¬
gleichenden Beobachtung unterzogen und das Verständniss vieler ärzt-
Digitized by
Google
240
lich-socialer Fragen vielseitig gefördert. Fragen des medicinischen
Unterrichtes, des Krankenhauswesens, der socialen Stellung der Aerzte,
der Rechten und Pflichten der Aerzte, der Mithülfe der praktischen
Aerzte an den Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege u. s. w.
finden hier von hervorragenden Autoren eingehende Erörterung. Eis
kann hier nicht unsere Aufgabe sein, auf den Inhalt der einzelnen
Artikel kritisirend einzugehen; eine kurze Inhaltsangabe möge an dieser
Stelle genügen. Heft 2 bringt Naturheilkunde und Schulmedicin von
Prof. Dr. F. Hüppe-Prag; die deutsche Medicinalreform von Geh. Med.-
Rath Dr. 0. Schwartz-Köln; die gesellschaftliche Stellung der Aerzte
in Frankreich von Dr. Max Nordau-Paris; Heft 3: Entwurf eines Ge¬
setzes, betreffend das Irrenwesen, von Landgerichtsrath Prof. Dr. Medem-
Greifswald; Psychiatrie als Examensfach von Prof. Dr. Sommer-Giessen;
Enspricht der deutsche Samariterverein nach bisheriger Erfahrung einem
socialen Bedürfniss unserer Zeit? von Geh. Med.-Rath Dr. 0. Schwartz-
Köln; ein statistisches Bild der medicinischen Facultät von Prof. Dr.
A. Petersilie-Berlin; Heft 4: Zum Jubiläum des Kgl. medicinisch-
chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts vom Herausgeber; die Rechts¬
verhältnisse der Curpfuscherei in Deutschland und die Bekämpfung
ihrer Gefahren für die Gesundheit von Rechtsanwalt A. Joachim-Berlin;
zur Vereinfachung des Reichsversicherungswesens von Dr. Ascher-Bomst.
Alle Hefte bringen dann Kritiken und Referate verschiedener neuerer
Werke auf dem Gebiete der Gesammtinteressen des ärztlichen Standes,
Besprechungen und Correspondenzen über die verschiedensten Tages¬
fragen, wie Medicinaltaxe, Kassenarztfrage, Impffrage, Apothekerwesen,
Irrenfrage, Sanitätsdienst bei den Staatsbahnen, Reclamen, ärztliche
Unterstützungskassen u. s. w. In besonderen Abschnitten ist der Gesetz¬
gebung und Rechtsprechung für alle obigen Fragen Rechnung getragen.
Kleinere Mittheilungen, Nekrologe auf Ed. Graf, Adolf von Bardeleben
ergänzen den reichhaltigen Inhalt. Wir wünschen der neuen Zeitschrift
eine Verbreitung, die in verdienter Weise ihrem reichen Inhalte ent¬
spricht. Busch (Crefeld).
Hecueil des travaux du oomite consultatif d’hygiene publique de
France et des actes offlciels de l’administration sanitaire. Tome
vingt-quatri&me, ann6e 1894.
Der vierundzwanzigste Band dieser Jahrbücher schliesst sich so¬
wohl bezüglich seines Inhaltes als in Hinsicht auf Ausstattung seinen
Vorgängern in würdiger Weise an. Das Buch bringt Vieles und Allen
etwas. Was an dem Jahrbuch am meisten gefällt und es zu einem
der nützlichsten macht, ist der Umstand, dass es zum grösseren Theile
praktische Fragen und ihre Lösung bringt, hauptsächlich die Be¬
schreibung von Epidemieen und deren gründliche Bekämpfung, ferner
die zweckmässigen Anlagen von Wasserleitungen u. s. w. Der Inhalt
ist ein ebenso reichhaltiger als belehrender. Creutz (Eupen).
Digitized by ^.ooQle
241
P. v. Baumgarten u. F. Boloff, Jahresbericht über Fortschritte in der
Lehre von den pathogenen Mikroorganismen. 9. Jahrgang 1893. 1. u.
2, Abtheilung. Braunschweig, Harald Bruhn.
Mit dem Erscheinen der zweiten Abtheilung des Jahrgangs 1893
ist Herr F. Roloff, der sich auch früher schon au den Berichten in
hervorragender Weise betheiligt hat, als Mitredacteur auf dem Titelblatt
genannt. Die Verzögerung des Abschlusses der Berichte für 1893 soll
durch eine möglichst beschleunigte Herausgabe der Berichte für 1894
u. 1895 wieder gut gemacht werden. Die wohlwollende Aufnahme,
die die Jahresberichte seit ihrem Bestehen Seitens des medicinischen
Publicums gefunden haben, dürfte dem verdienstvollen Werke auch
fernerhin gesichert sein. Bleib treu (Köln).
Heinrich Berger, Die Infeotionskrankheiten. Braunschweig, Vieweg
& Sohn, 1896.
Nachdem in einem allgemeinen Theil die bei jder Abwehr und
Unterdrückung von Infectionskrankheiten im Allgemeinen in Betracht
kommenden Maassnahmen in eingehender Weise erörtert worden sind,
unterzieht im zweiten Theil der Verfasser die einzelnen Infections¬
krankheiten einer näheren Besprechung. Es werden hier 1) die Art
und Weise der Ansteckung, 2) die Symptome der beginnenden und
bestehenden Krankheit, 3) die Art und Weise der Verbreitung, 4) die
Dauer der Ansteckungsmöglichkeit im Einzelfall kurz erörtert. Es
folgt dann am Schluss der Besprechung der einzelnen Kapitel eine
kurze allgemeinverständliche Belehrung über die betreffenden Infections¬
krankheiten. B1 e i b t r e u (Köln).
Adolf Marcuse, Die atmosphärische Luft. Berlin, Friedländer & Sohn, 1896.
Dieses Schriftchen enthält eine knapp gehaltene, allgemeine ver¬
ständliche Darstellung des Wesens und der Eigenschaften der atmo¬
sphärischen Luft, sowie einen Versuch, dieselbe in ihren mannigfachen
Beziehungen zu fast allen Gebieten der Naturwissenschaften darzu¬
stellen. Die Arbeit behandelt in drei Abschnitten die statische, die
dynamische und die angewandte Atmosphärologie in klarer, populärer
Weise. Vor Allem wird gezeigt, wie eng das Wohl der Menschheit
mit den Fortschritten der Atmosphärologie verknüpft ist. Es liegt in
dem Fortschreiten der Atmosphärologie, wie der Verfasser in den
Schlusssätzen sich ausdrückt, eines jener erhabenen und erhebenden
Beispiele vor, wie Naturwissenschaft und Humanität Hand in Hand
gehen, wie die Fortschritte der einen auch den Fortschritt der anderen
bedeuten. B1 e i b t r e u (Köln).
Digitized by ^.ooQle
242
Däubler, Ueber den gegenwärtigen Stand der medicinischen Tropen-
forsohung (Acclimatiflation nnd Physiologie des Tropenbewohners).
Deutsche med. Wochenschr. 1896, Nr. 8 u. 9.
Verfasser versucht es, in diesem Aufsatz durch Herausgreifen der
hauptsächlich für die Acclimatisationsfrage in Betracht kommenden That-
sachen und deren Besprechung an der Hand der umfangreichen
Literatur über diesen Gegenstand die ausserordentlich grosse Ver¬
wirrung zu beseitigen, welche durch die vielen einander theilweise
vollkommen widersprechenden Arbeiten zahlreicher Tropenärzte in
diese Angelegenheit hineingekommen ist. Er bespricht eingehend die
Orte, an welchen scheinbar eine vollständige Acclimatisation von
Europäern an’s Tropenklima gelungen ist, und die Gründe für dieses
scheinbare Gelingen, kommt aber auf Grund eigener Studien zu
folgenden Schlüssen:
1. Die Acclimatisation der weissen Rasse in Tropenländern er¬
scheint zufolge des gegenwärtigen Standes der Tropenforschung im
allgemeinen nicht möglich.
2. Die sogenannte Tropenacclimatisation wird durch die Fragen
der Tropenhygiene verdrängt.
3. Die Colonisation hochgelegener, geeigneter Tropengebiete durch
weisse Ansiedler gelingt bei allmählich eintretender Vermischung der
europäischen Bevölkerung mit Eingeborenen, frischem Nachschub aus
Europa und unter Zuhtilfenahme einer auf das Praktische gerichteten
Tropenhygiene. Dräer (Königsberg i. Pr.)
Gustav Woltersdorf, Ueber feuchte Wohnungen. Greifswald, Julius
Abel, 1896.
Verfasser bespricht in dieser hygienisch-sanitätspolizeilichen Studie,
wie |er seine Schrift bezeichnet, zunächst die gesundheitsschädlichen
Einflüsse feuchter Wohnungen, die sich einmal durch die Luftverderbniss,
sodann durch Störungen im normalen Wärmehaushalte des Organismus
und durch Beförderung des Wachsthums pflanzlicher, gesundheitsschäd¬
licher Organismen offenbaren. Die folgenden Abschnitte behandeln
dann die Ursache der Wohnungsfeuchtigkeit und ihre Verhütung, die
Angaben, wann eine Wohnung feucht zu nennen ist, die Methoden zur
Bestimmung der Wohnungsfähigkeit und zum Schluss die Aufgabe der
Sanitätspolizei feuchten Wohnungen gegenüber.
Bleibtreu (Köln).
Stabsarzt Dr. Gerdeck, Ueber Heizung und Ventilation in Kasernen
vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege. Deutsche militär¬
ärztliche Zeitschrift 1896, Heft 2 u. 3.
Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht hat der Staat die
Verpflichtung übernommen, dafür Sorge zu tragen, dass die Wohnungen,
Digitized by
Google
243
die er den ihm Dienenden als Aufenthaltsort anweist, allen hygienischen
Forderungen soweit entsprechen, dass eine Schädigung der Gesundheit
ausgeschlossen. Eine der schwierigsten Aufgaben in dieser Beziehung
ist es, den Soldaten in den Kasernen stets eine gute und einwandsfreie
Luft zur Verfügung zu stellen. Allerdings kann man durch Venti¬
lationseinrichtungen der Luft in einem bewohnten Baume annähernd
die Zusammensetzung der Aussenluft geben, aber für Kasernen würde
diese Art der Luftversorgung eine zu kostspielige werden. Die
Schwierigkeit der Lösung dieser Aufgabe liege daher darin, einerseits
genau abzuwägen, was unter den obwaltenden Verhältnissen Luftbe-
dürfniss, was Luftvergeudung sei, andererseits den wirklich noth-
wendigen Bedarf an hygienisch einwandfreier Luft möglichst wohlfeil
zu beschaffen. Verf. giebt zunächst eine Uebersicht der einzelnen be¬
kannten Factoren, welche die Luft bewohnter Räume im allgemeinen
verderben und wie diese Factoren auf die Gesundheit nachtheilig ein¬
wirken können. Sodann wird die natürliche Ventilation besprochen,
indem klargelegt wird, was dieselbe zu leisten vermag und, da man
ihr einen gewissen günstigen Einfluss nicht absprechen könne, der nur
an Werth sehr viel verliere, da man ihre Grösse nie genau bestimmen
könne, die Frage erwogen, ob die natürliche Ventilation für Kasernen
ausreiche. Zu dem Behufe werden die Forderungen, welche die Gar-
nisongebäudeordnung für Kasernenbauten aufstellt, mitgetheilt und die
für deutsche Kasernenbauten zur Anwendung kommenden Systeme be¬
schrieben. Diese sind, geringe Ausnahmen abgerechnet, nach dem
Corridorsystem gebaut und regulirt sich die natürliche Lufterneuerung
folgendermaassen: 1. Eintreten der Aussenluft durch die freie Aussen-
wand. 2. Eintreten verbrauchter Luft durch die Fussbödeu aus den
unteren Stockwerken (das Undurchlässigmachen der Fussböden ist
nicht vorgeschrieben). 3. Eintreten der Corridorluft durch die den
Corridor begrenzende Wand, sowie durch die Corridorthtir. 4. Aus¬
tausch der Luft zwischen den durch Scheidewände getrennten Neben-
wohnräumen. 5. Hereinströmen von Corridorluft durch Fugen und
Bitzen der Thür. Die natürliche Ventilation ist also zu einem grossen
Theil auf den Luftbezug von den Corridoren angewiesen, und diese
Luft ist, wie Verf. nachweist, in Kasernen nicht als eine reine Luft
zu betrachten. Verf. kommt zu dem Schlüsse, dass, selbst wenn man
annähme, eine Kasernenstube brauche zur Beschaffung einer einwand¬
freien Luft nicht mehr als ein anderes Wohnzimmer, die natürliche
Ventilation in den Kasernen nicht ausreiche, und ferner auch, dass die
künstliche Ventilation, wie sie in den Kasernen angebracht würde,
ihren Zweck nicht erfüllen könne. Verf. stellt die Forderung auf,
durch feste Vorrichtungen bei einem Luftkubus von 16 cbm eine zwei¬
malige Lufterneuerung in der Stunde sicher zu stellen. Dies sei auf
zwei Wegen möglich, der eine führt unter Beibehaltung der früher
Digitized by
Google
244
üblichen Systeme des Kasernenbaues zur Verzichtleistung auf den An-
theil dßr natürlichen Ventilation, der andere erstrebt die grösstmög-
lichste Steigerung der natürlichen Ventilationscoöfficienten; der letzte
Weg führe zum Bruch mit den bisherigen Systemen des Kasernen-
baues — zur Decentralisation, zum Pavillon- oder Barackensystem.
Im Weiteren werden die Erfahrungen besprochen, die man in England
mit dem Blocksystem und in Frankreich mit dem Tollat’sehen Baracken¬
system gemacht hat. Wolle man bei dem System grosser centraler
Bauten beharren, so müsse man auf die Mitwirkung der natürlichen
Ventilation verzichten. Sodann werden die Ansprüche, die man an
eine künstliche Ventilation stellen müsse, wie folgt, normirt: 1. Sie
soll möglichst reine Aussenluft zuführeu. 2. Im Zusammenhang mit
der natürlichen Ventilation die Zimmerluft zweimal in der Stunde er¬
neuern. 3. Sie soll die Luft mit relativer Feuchtigkeit von 50 °/o in
Verbindung mit der Heizung liefern. 4. Sie soll gleichmässig arbeiten.
5. Die Luftbewegung muss von der Decke gegen den Fussboden ge¬
richtet sein. 6. Die Bewohner dürfen durch die Anlage nicht soweit
belästigt werden, dass sie ein stetes Unbehagen fühlen. 7. Die Anlage
soll dem Willen des Einzelnen unzugänglich sein. Mit Recht fordert
Verf. dazu noch die Anlage von Putzstuhen, denn was könne die beste
Ventilation nützen, wenn durch beständiges Staubaufwirbeln die Luft
doch nicht frei von Keimen bleibe. (Fortsetzung folgt.)
Dr. L e n t (Trier).
Stabsarzt Dr. Gerdeck, Ueber Heizung und Ventilation in Kasernen
vom Standpunkt der öffentlichan Gesundheitspflege. Deutsche militär-
ärztliche Zeitschrift 1896, Heft 4 (Fortsetzung u. Schluss).
Im Folgenden bespricht Verfasser die Anforderungen, die an die
Heizung in Kasernen bauten zu stellen und wie dieselben mit der
Ventilation zu verbinden sei. Es wird eine Kaserne skizzirt, wie sie
gebaut werden müsste, wenn man den Anforderungen der Gesundheits¬
pflege und dem ökonomischen Standpunkte gerecht werden wolle. Für
den Fall, dass der Grunderwerb es zuliesse, sei das Pavillonssystem vorzu¬
ziehen ; es werden zweistöckige Pavillons vorgeschlagen mit zwei
Mannschaftsstuben für je 12 Mann; Wirtschaftsgebäude, Wohnungen
für verheiratete Unterofficiere u. s. w. müssten abgesondert werden.
Eine centrale Heizung und Ventilation würde mit zu grossen Kosten
in Anlage und Unterhaltung verknüpft sein, daher wird eine locale
Ventilation und Heizung empfohlen, in der Weise, dass die verbrauchte
Luft durch eine Ausflussöffnung dicht über dem Fussboden abge¬
führt, die Aussenluft durch eine Oeffnung zugeftthrt würde, die in
einer Höhe von 2,5 m vom Fussboden anzulegen sei; diese Oeffnung
sei so zu teilen, dass ein Theil der Luft in schräger Richtung gegen
die Decke geleitet würde, die andere Hälfte durch ein Blechrohr
Digitized by
Google
245
unter dem Fussboden des Pavillons hin zum Ofen geführt werde, von
wo die Luft erwärmt gegen die Zimmerdecke anstiege, um von hier
aus gleichsam als Regen sich dem Zimmer mitzutheilen. Die Regu¬
lirung des Lufteintrittes durch dieses Blechrohr bei starken Temperatur-
differenzen sei einfach. Als brauchbare Oefen werden einfache eiserne
Regulierten empfohlen. Der obere Theil der Fenster sei als Kipp¬
fenster einzurichten, um in der Zeit, wo nicht geheizt werde, eine
ausreichende Lufterneuerung ermöglichen zu können. Auch ftir die
grossen centralen Kasernenbauten nach Corridorsystem empfiehlt Ver¬
fasser als das Einfachste und Billigste, natürlich vorausgesetzt, dass die
Wände und Böden für Luft undurchlässlich gemacht werden, eine
locale Heizung und locale Ventilation, die in entsprechender Weise,
wie oben skizzirt, anzulegen sei. Centrale Heizungs- und Ventilations¬
anlagen wären für Kasernen aus verschiedenen Gründen nicht em-
pfehlenswerth. Dr. Lent (Trier).
Gh Frank, Bemerkungen über die Systeme, städtische Abwässer zu
klären, und Vorschläge zu einem Verfahren, Kanalwasser durch Torf
zu flltriren. Hygienische Rundschau 1896, No. 8.
Verfasser weist zunächst auf die Eigenschaften von Abwässern
städtischer Kanalanlagen hin, die im Einzelnen genau gekannt und
berücksichtigt werden müssen, wenn es sich um die Beurtheilung
hygienisch zweckentsprechender Kanal- resp. Kläranlagen handelt.
Von den Eigenschaften ist zunächst die anzuführen, dass die Abwässer
sehr zahlreiche Bakterien mitführen, unter ihnen zweifelsohne auch
pathogene Keime, welche also Infectionskrankheiten weiter verbreiten
können. Sodann sind die Abwässer reich an organischen Substanzen,
welche durch Bakterien in faulige Zersetzung übergeführt und durch
höchst üble Gerüche zu einer unerträglichen Belästigung werden können.
Dazu kommt, dass die organischen Stoffe meist in suspendirtem Zu¬
stande in den Abwässern enthalten sind, wodurch Veranlassung zum
Absetzen und zur Verschlammung der Wasserläufe gegeben werden
kann. Als vierte Eigenschaft ist zu beachten, dass die Abwässer ftir
die Landwirthschaft werthvolle Bestandteile enthalten, die nicht ohne
Noth weggeschwemmt werden sollten. Diese Eigenschaften müssen
nun bei der Frage, wie man die Kanalwässer unterbringen soll, in Be¬
tracht gezogen werden. Es ist klar, dass das Verfahren, das meistens
noch geübt wird, dass die Kanäle direct in die Wasserläufe geleitet
werden, das allerschlechteste ist, da es keinen aus den obigen Eigen¬
schaften sich ergebenden hygienischen Anforderungen gerecht wird.
Sehr zu empfehlen ist dagegen das Rieselsystem, wie dasselbe z. B. in
Berlin besteht. Dasselbe hat aber den Nachtheil, dass es ausserordent¬
lich kostspielig ist; dasselbe kann daher nur sehr kapitalkräftigen
Gemeinwesen zugemuthet werden. Ausserdem kommt noch hinzu, dass
Digitized by
Google
246
nicht jeder Boden zu Rieselzwecken so geeignet ist, wie der in der
Umgebung von Berlin. Das dritte Verfahren besteht darin, dass den
Abwässern Chemikalien zugesetzt werden, erstens, um dieselben zu
desinficiren, und zweitens um Niederschläge zu bilden. Auf diese Weise
soll angeblich eine vollständige Klärung der Abwässer erzielt werden,
so dass sie unbeanstandet in die Flussläufe eingelassen werden können.
Die gebildeten Niederschläge sollen als Düngmittel Verwendung finden.
Eine derartige Anlage bespricht der Verfasser an dem Beispiel der
Wiesbadener Kläranlagen, denen zum Zweck der Desinfection und
Klärung Kalkmilch zugesetzt wird. Er kommt zu dem Schluss, dass
die Wiesbadener Anstalt, deren hauptsächlichste Mängel des Näheren
angeführt werden, viel zu klein ist und auch nicht im Entferntesten
die Aufgabe erfüllt, welche durch dieselbe gelöst werden soll. Sie
beseitigt weder die Schäden der Abwässer, noch vermag sie den
Nutzen, welchen die Abwässer besitzen (Düngwerth), wieder aus den¬
selben herauszuziehen. Vor Allem ist der Kalkzusatz viel zu niedrig,
um eine wirksame Desinfection zu gewährleisten. Aehnlich fällt das
Urtheil Uber die anderen derartigen Systeme, von denen das beste
noch das von Roeckner-Rothe ist, aus.
Weil nun keines der bisher bekannten Systeme genügt, so tauchen
immer wieder neue Projecte auf. So empfiehlt Verfasser ein neues
Verfahren der Klärung der Abwässer. Dasselbe besteht in der Fil¬
tration der Abwässer durch angefeuchteten, vorher vollständig
lu ft befreiten Torf. Verfasser konnte durch Versuche im Labora¬
torium zeigen, dass der präparirte Torf sehr gut und gleichmässig fil-
trirt, und dass er Bakterien in reichlicher Weise zurückhält. Die
Versuche, in etwas grösserem Maassstabe auf der Wiesbadener Klär¬
anlage angestellt, haben des Weiteren ergeben:
1. dass die Filtrationsfähigkeit des Torfes beständig genug ist,
um einen gleichmässigen Betrieb, auch während längerer Zeit, zu er¬
möglichen ;
2. dass auf dem Torf eine Masse zurückbleibt, welche einen
hervorragenden Werth als Düngmittel besitzt. Diese Masse kann
während mehrerer Monate im Laboratorium in offenem Gefässe auf¬
bewahrt werden, ohne durch Entwicklung übler Gerüche lästig zu
werden;
3. dass das Ablaufwasser bedeutend weniger suspendirte Bestand¬
teile enthält, als das Zulaufwasser, nicht mehr in stinkende Fäulniss
übergeht, also unbeanstandet in öffentliche Wasserläufe eingelassen
werden kann.
Ob die Versuche sich nun in grossen Anlagen in der Praxis be¬
währen werden, diese Frage lässt Verfasser offen, bis die Resultate
derartiger Versuche vorliegen. Bleibtreu (Köln).
Digitized by
Google
247
Weyl, Beeinflussen die Rieselfelder die öffentliche Gesundheit P (Berl.
klin. Wochenschr. 1896, Nr. 2.)
In den letzten Jahren sind den Rieselfeldern mehrere Vorwürfe
gemacht worden:
1. Die Rieselfelder sollen einen unerträglichen Geruch verbreiten.
2. Eine kurze Benutzung des Bodens als Rieselfeld führe zur Ver¬
sumpfung desselben.
3. Die Rieselfelder stehen im dringenden Verdacht, Infectionskrank-
heiten zu verbreiten.
Weyl versucht nun, diese Vorwürfe einzeln zu entkräften, indem
er auf die in der Nähe verschiedener Grossstädte schon bestehenden
Rieselfelder hinweist, bei welchen sich ein übler Geruch in stärkerem
Maasse nur sehr selten wahrnehmen lässt.
Auch gegen den zweiten Vorwurf erhebt er Widerspruch, indem
er an Bunzlau mit seinem Rieselfeld von 1559 und an Edinburg mit
seinem nunmehr auch schon 150 Jahre alten Rieselfeld erinnert.
Auch die in Danzig und Berlin gemachten Erfahrungen sprechen durch¬
aus nicht für die Annahme, dass eine Versumpfung der Rieselfelder
eintreten müsse, wenn diese drainirt sind.
Was nun den letzten Punkt betrifft, so ergeben statistische Er¬
hebungen in Frankreich und in den wenigen Städten Deutschlands,
welche Rieselfelder besitzen, dass eine Zunahme der Sterblichkeits¬
ziffer bei den Bewohnern der Rieselfelder nirgend zu beobachten ist,
ebensowenig ein stärkeres Auftreten einzelner Krankheiten, wie Typhus,
Diphtherie, Kinderdiarrhöen u. s. w.
Für Berlin mit seinen grossen Rieselfeldern gestalten sich die
Verhältnisse so, dass in allen 10 Jahren von 1884 bis 1894 die
Sterblichkeitsziffer in Berlin eine bedeutend höhere gewesen ist, als
auf den Rieselfeldern.
Im Verlaufe dieser 10 Jahre kamen 15 Erkrankungen und
1 Todesfall an Typhus abdominalis auf den Rieselfeldern vor, während
in Berlin gerade in dieser Zeit mehrfach recht umfangreiche Typhus¬
epidemien beobachtet wurden.
Weyl hält demnach — und zwar mit vollem Recht (Ref.) — die
Rieselfelder, so lange wir nicht bessere Methoden kennen, für bei
weitem die beste Methode zur Beseitigung städtischer Abwässer.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Holz, Das Warner der Mosel und Seille bei Metz. (Archiv f. Hygiene,
Bd. XXV, S. 309—320.)
Metz mit einer Einwohnerzahl von rund 47 300 (ausgenommen
die kasernirten Garnisonangehörigen) besitzt für die Beseitigung der
flüssigen Abfallstoffe von Küche, Haus und gewerblichen Anlagen eine
Digitized by
Google
248
Kanalisation, welche an verschiedenen Stellen in die Mosel und die
Seille, einen kleinen Nebenfluss der Mosel, mündet.
Die Fäkalien werden in Gruben gesammelt, die gut cementirt sein
sollen, und deren Inhalt auf pneumatischem Wege entleert und auf
die Felder der Umgegend von Metz gefahren oder mit anderen Ab¬
fällen zu Poudrette verarbeitet wird.
Es gelangt aber auch ein Theil der Fäkalien, und zwar mindestens
von Ve der sämmtlichen Häuser, in die genannten Flussläufe.
Da nun das Abfuhrsystem ein recht mangelhaftes ist, so ist schon
seit mehreren Jahren die Anlage einer Kanalisation beschlossen; man
ist sich nur noch nicht darüber klar, wo man mit den Abfällen bleiben
soll. In Frage könnte nun event. die Einleitung der Abwässer in
die Mosel unterhalb Metz kommen, aber wohl nach vorausgegangener
Reinigung in Klärbassins.
Da nun mit Rücksicht auf den Stand dieser Angelegenheit eine
vorherige Untersuchung des Moselwassers an verschiedenen Stellen
längere Zeit hindurch recht erwünscht war, unternahm Holz es, diese
Aufgabe zu lösen.
Er entnahm der Mosel oberhalb, innerhalb und unterhalb Metz
an im Ganzen 7 Stellen Proben an jedem Ersten des Monats ein Jahr
hindurch und untersuchte dieselben regelmässig auf die suspendirten
Stoffe, Trockenrückstand bei 180 °, Gltihrückstand, Chlor, Ammoniak,
Salpetersäure, salpetrige Säure und organische Substanz. Viermal wurde
noch Kalk, Magnesia und Schwefelsäure bestimmt, dreimal ausserdem
auch die bakteriologische Untersuchung ausgeführt.
Die in mehreren Tabellen wiedergegebenen Untersuchungsresultate
ergaben, dass der Mosel durch die Seille nicht unbedeutende Ver¬
unreinigungen erwachsen, dass aber die Verunreinigungen des Wassers
der Mosel nach dem Verlassen der Stadt Metz schon in kurzer Zeit
sich bedeutend verringern. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Neumann, Ernährungsweise und Infectionskrankheiten im Säuglings¬
alter. (Vortrag, gehalten in der Section für Kinderheilkunde der 67. Ver¬
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Lübeck.) Deutsche med.
Wochenschr. 1895, Nr. 50.
Die Bedeutung der Ernährungsweise der Säuglinge für gewisse
Krankheiten, im Wesentlichen für Darmkrankheiten und Rhachitis, ist
bekannt. Für andere Krankheiten, insbesondere für Infectionskrank¬
heiten bestehen bezüglich des Einflusses der Ernährungsweise nur Ver¬
muthungen. N e u m a n n unternahm es daher auf Anregung Ehrliches,
diese Frage einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen, und be¬
nutzte dazu das Material seiner Poliklinik. Es handelt sich dabei um
eine Bevölkerungsklasse Berlins, welche Wohnungen von 1—2 Zimmern
bewohnt, also annähernd in gleichen socialen Verhältnissen lebt.
Digitized by
Google
249
Die Untersuchungen wurden über Kinder im 1. und 2. Lebensjahre
ausgedehnt. Aus der umfangreichen, durch zahlreiche Tabellen er¬
läuterten Arbeit seien folgende Punkte als die wichtigsten hervor¬
gehoben :
1. Für den Keuchhusten lässt sich eine wesentlich geringere
Disposition der Brustkinder gegenüber den Päppelkindern
— wenigstens in Berlin — nicht verkennen.
2. Bei den Masern sind die Brustkinder weniger betheiligt;
jedoch ist auch bei ihnen der Procentsatz der Brustkinder noch
erheblich.
Ist diese geringere Empfänglichkeit von Brustkindern für Masern
etwa auf eine durch die Muttermilch erworbene Immunität zurück-
znführen? Nach den diesbezüglichen Erhebungen Neumann’s nicht,
da gerade die Brustkinder von Müttern, welche selbst die Masern durch¬
gemacht haben, häufiger an Masern erkranken, als die Brustkinder
nicht inficirt gewesener Mütter. N e u m a n n schliesst hieraus, dass
bei Masern eine Säugungsimmunität nicht besteht.
Ganz anders verhält es sich mit dem Keuchhusten! Hier
findet Neumann, dass Mütter, welche keinen Keuchhusten
durchgemacht haben, ungefähr doppelt so oft unter
ihren keuchhustenkranken Kindern Brustkinder haben
als solche, welche Keuchhusten tiberstanden haben. Es
besteht also eine Keuchhusten-Säugungsimmunität.
Was die Bedeutung der Ernährungsweise für die Prognose
der Masern und des Keuchhustens betrifft, so konnte Neumann mit
Hülfe des Berliner statistischen Amtes feststellen, dass die Prognose
bei Masern und Keuchhusten für künstlich genährte Kinder eine be¬
deutend schlechtere ist, als für Brustkinder. Es liegt das zum Theil
wohl an der bei Päppelkindern häufigeren Rhachitis, welche die Kinder
aus verschiedenen Gründen widerstandsloser macht.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Keilmann, Zur Diätetik der ersten Lebenswoche. (Aus der Königl.
Universitäts-Frauenklinik in Breslau. Deutsche med. Wochenschr. 1895,
Nr. 21.)
Eine grosse Zahl von Untersuchungen hat sich mit dem Körper¬
gewicht der Kinder in der ersten Lebenswoche beschäftigt, und mit
Berücksichtigung der gesetzmässigen Gewichtsschwankungen lässt sich
durch tägliche Wägungen wohl controliren, wie günstig oder un¬
günstig das neugeborene Kind sich dem Leben unter den neuen Ver¬
hältnissen anpasst, wie es nach der Geburt gedeiht. Es liegen also
die Darmfunctionen und Emährungsverhältnisse des Kindes dem
Interesse des Beobachters am nächsten.
Centralblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 18
Digitized by
Google
250
Nachdem nun aber mehrere Untersucher ihre Beobachtungen über
die Häufigkeit des Fiebers bei Neugeborenen mitgetheilt und die
Beziehungen desselben zur Nabelheilung und deren Störungen
untersucht haben, musste man diesen und noch anderen Verhältnissen
in der ersten Lebenswoche des Neugeborenen mehr Beachtung schenken.
Verfasser machte es sich daher zur Aufgabe, diesen Verhältnissen
näher zu treten und kam dabei an der Hand des grossen Materials
der Breslauer Universitäts-Frauenklinik zu folgenden Resultaten:
Er fand, dass das Wohlbefinden der Kinder namentlich davon
abhängig sei, wie der Nabelschnurrest behandelt werde, so dass er
nicht dringend genug rathen kann, alles das fortzulassen, was die
trockene Mumifikation des Nabelschnurrestes hindern oder verzögern
kann; und hierzu gehört vor Allem das Bad in der ersten Lebens¬
woche, weil bei dem täglichen Baden leicht an dem Nabelschnurrest
gezerrt und derselbe so zum vorzeitigen Abfall gebracht werden kann;
ausserdem aber, weil durch die tägliche Durchfeuchtung desselben der
Eintrocknungsprozess nur gestört wird.
Die Kinder können auch ohne das tägliche Bad sauber gehalten
werden, ja es kommen nach Einführung dieses Regime in der Breslauer
Klinik — abgesehen, dass niemals Fieber auftritt und die Kinder
mehr und schneller zunehmen, als die gebadeten — jetzt weniger
häufig die beim Säugling so häufig zu beobachtenden Reizerscheinungen
der Haut (Intertrigo und Ekzeme) auf. Verfasser empfiehlt also durch¬
aus den Fortfall des Bades in der ersten Lebenswoche.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Peter, Zur Aetiologie des Pemphigus neonatorum. (Nach einer Mit¬
theilung im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg.) Berl.
klin. Wochenschr. 1896, Nr. 6.
Peter konnte bei einem Fall von Pemphigus eines Neugeborenen,
der sich bei einem Kinde entwickelt hatte, das von einer nach der
Geburt septisch inficirten Frau gestillt war, aus dem Inhalt des
Blasenausschlags den Staphylococcus aureus und albus sowie einen
Diplococcus rein züchten.
Die Untersuchung geschah im hiesigen hygienischen Institut unter
Beihülfe des Unterzeichneten Referenten.
Dieselben Mikroorganismen fanden sich auch im Blute des Kindes
und ebenso in der Milch der Mutter. Peter schliesst daraus — und wohl
mit vollem Recht —, dass die genannten Bakterien von der Mutter, wo
sie zur Blutvergiftung geführt hatten, auf das von ihr gesäugte Kind
übertragen worden waren, und dass dieselben bei dem Kinde den
Blasenausschlag hervorgerufen hatten. Ferner schliesst er daraus, dass
als Erreger des Pemphigus nicht specifische Mikroorganismen fungiren,
Digitized by
Google
251
sondern, dass die verschiedensten Arten im Stande sind, diese Krank¬
heit gelegentlich zu erzeugen, wenn sie in den Blut- und Lymphstrom
des Kindes gelangen. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Meyer, Ueber Barlow’sche Krankheit. Sitzung der Berliner med. Ge¬
sellschaft am 15 Jan. 1896. (Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 4.)
M. beschreibt vier Fälle von Barlow’scher Krankheit, die er im
Laufe des letzten Winters zu beobachten Gelegenheit hatte. Er nimmt
an, dass die blutbereitenden Organe zuerst erkranken, und dass durch
die Veränderungen des Blutes die übrigen Symptome der Krankheit aus¬
gelöst werden. Da alle vier Fälle in der wohlhabenden Praxis unter
günstigen äusseren Bedingungen auftraten, glaubt M. die Nahrung als
ätiologisches Moment heranziehen zu sollen, zumal alle 4 Kinder mit
Rieth’scher AJbumosemilch genährt wurden.
Bei der Behandlung versagten sowohl antirhachitische wie anti¬
skorbutische Mittel, es dürfte nach M. wohl das beste Mittel gegen die
Krankheit in diätetisch-hygienischen Maassnahmen bestehen.
Die Beobachtungen Meyer’s sollen in extenso im Archiv für
Kinderheilkunde niedergelegt werden. In diesem Centralblatt wird
über die Barlow’sche Krankheit demnächst eine umfassendere Ueber-
sicht vom Unterzeichneten erscheinen.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Dr. C. Hoohsinger, Gesundheitspflege dea Kindes im Elternhause.
Leipzig und Wien 1896, bei F. Dentike.
Verfasser giebt in seinem Werke eingehende Anleitung zu ver-
nunftgemässer Pflege des Kindes, vornehmlich in den ersten Lebens¬
jahren. Er wendet sich an Eltern und Pflegerinnen, warnt vor ver¬
alteten Anschauungen und Vorurtheilen und schildert die mannigfachen
Gefahren, die in Sonderheit dem Säuglingsalter drohen.
Geeignete Ernährung, peinliche Sauberkeit und pünktliche Regel¬
mässigkeit bezeichnet er als Grundzüge rationeller Kinderpflege. Falls
zu künstlicher Ernährung übergegangen werden muss, so empfiehlt er
als einzig richtige Methode die Soxhlet’sche Milchsterilisirung. (Verfasser
selber gründete im Jahre 1890 in Wien die erste Milchsterilisirungs-
anstalt zum Zwecke künstlicher Kinderernährung.)
Die Schrift giebt in ausführlicher Weise Mittel und Wege an, die
dem ersten Lebensalter drohenden Gefahren thunlichst zu vermeiden,
ertheilt in vielen vorkommenden Fällen praktischen Rath, verweist aber
im Uebrigen bei Krankheitserscheinungen auf den Arzt.
Mit Bezug auf das spätere Lebensalter des Kindes begründet der
Verfasser die körperliche Entwicklung und Kräftigung des kindlichen
Organismus, und ertheilt Rathschläge in Betreff der Kleidung, körper¬
lichen Bewegung, Wohnungsverhältnisse u. s. w. Den Infectionskrank-
18*
Digitized by
Google
252
beiten und deren Verhütung widmet er eingehende Betrachtung und
schliesst mit einem kurzen Ueberblick, die Hygiene in der Schule und
im Hause betreffend. L.
Peiper und Schnaase, lieber Albuminurie nach der Schutzpocken¬
impfung. (Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 4.)
In der Berl. klin. Wochenschr. 1898, Seite 674, beschrieb Perl
einen Fall von acuter Nierenentzündung nach Schutzpockenimpfung.
Da nun bisher über eine derartige Folgeerscheinung der Impfung
nichts bekannt war, wohl weil dieselbe stets nur äusserst geringfügig
war, stellte Falkenheim im Jahre 1894 ausgedehnte Urinunter¬
suchungen bei Erstimpflingen an, und zwar bei 187 Knaben. Von
diesen konnte er bei 35 im Urin zeitweilig Eiweiss nachweisen. Es
handelte sich dabei aber fast immer nur um Spuren. Diese Unter¬
suchungen gaben den Verfassern Veranlassung zu den ihrigen. Sie
untersuchten den Urin von 122 Erstimpflingen, 54 Wieder¬
impflingen im Alter von 12—18 Jahren und 127 Militär-
Wied erimpflingen.
Die Kesultate der Untersuchungen sind folgende: Bei 122 Erst¬
impflingen mit 474 Urinproben konnte neunmal eine leichte Opalescenz
des Urins beobachtet werden, welche als minimale Albuminurie ge¬
deutet wurde. In keinem Falle konnte das Bestehen einer Nieren¬
entzündung constatirt werden.
Es ist nach den Verfassern keine auffällige Erscheinung, dass bei
einem derartigen Process, wie die Schutzpockenimpfung es ist, ge¬
legentlich Albuminurien auftreten. Handelt es sich doch um eine,
wenn auch leichte, Infectionskrankheit von mehrtägiger Dauer.
Bei den Kevaccinanden waren die Albuminurien etwas häufiger
als bei den Vaccinanden. Unter 54 Wiederimpflingen wurden 10 Fälle
von geringer Albuminurie constatirt, also in 16,6 °/o.
Bei den Militär-Wiederimpflingen wurde in 10,80 °/ 0 Albuminurie
beobachtet.
Es liegt jedenfalls nach den bisherigen Beobachtungen kein Grund
vor, der vaccinalen Albuminurie eine besondere Bedeutung beizulegen.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Eulenburg, Zur „Schulüberbürdung“. (Deutsche med. Wochenschr. 1895,
Nr. 43.)
Derselbe, Noeh einmal zur „Sehulüberbürdung“. (Deutsche med. Wochen¬
schrift 1895, Nr. 48.)
Eulenburg wendet sich in beiden Aufsätzen gegen die Ueber-
bürdung der Schüler, und indem er darauf hinweist, dass noch immer
die Mehrzahl unserer Schulpädagogen sich von den vortrefflichen
schulhygienischen Schriften (Kraepelin, Schuschny, Griesbach)
Digitized by ^.ooQle
253
in keiner Weise beeinflussen lässt, führt er als ein Beispiel ftlr seine
Behauptung die mangelhafte Zusammenstellung vieler Stundenpläne an.
So z. B. ist die Stundenzahl im Ganzen oft eine zu grosse, die Pausen
sind vielfach zu kurz bemessen, der allgemein verurtheilte Nachmittags*
unterricht ist oft noch beibehalten, Turnstunden sind gleichsam als
Erholungsstunden dicht hinter mehrstündigen geistigen Unterricht ge¬
setzt u. s. w. Verfasser bespricht dann noch eingehend eine treffliche
Arbeit des Gymnasialdirectors Dr. Gustav Richter in Jena: „Unter¬
richt und geistige Ermüdung, eine schulm änni sch e
Würdigung der Schrift Kraepelin’s über ge i stige Arbei t u
(Sonderabdruck aus Lehrproben und Lehrgängen, Jahrgang 1895,
Heft 45), in welchen Richter im Grossen und Ganzen die Ansichten
Eulenburg’s und die der oben genannten Autoren theilt.
Des Weiteren erörtert Eulenburg noch einen Uebelstand, der
daraus resultirt, dass die Kinder den Weg zur Schule und zurück nach
Hause mit einem ihre Körperkräfte oft übermässig belastenden Gepäck
zurücklegen müssen. Verfasser hat das Gewicht der gefüllten Schul¬
mappe eines Gymnasialquartaners im Alter von 11—12 Jahren eine
Woche hindurch festgestellt und dabei folgende Zahlen erhalten:
Montag
4200 g
Dienstag
4700 ,
Mittwoch
3200 „
Donnerstag
5200 „
Freitag
3500 „
Sonnabend
4250 „
Es ergiebt sich daraus ein Durchschnittsgewicht von 41 759 = 8 7 /so
Pfund, an einzelnen Tagen aber ein Gewicht von nahezu IO 1 /« Pfund,
also fast den fünften Theil des Körpergewichtes, das
Kinder dieser Altersstufe durchschnittlich besitzen.
Auf diesen Missbrauch, um den der Ordinarius jeder Klasse sich
zu kümmern und nötigenfalls energisch einzuschreiten hätte, dürfte
mit die erschreckend häufige Rückgratsverkrümmung zurückzuführen
sein, sei es, dass die Kinder die Büchertasche auf dem Rücken, sei
es, dass sie dieselbe — was noch schlimmer ist — unter dem einen
Arme tragen.
Zum Schlüsse wird noch eine andere recht wichtige schul-
hygienische Frage berührt, nämlich die einer zweckmässigeren
Gestaltung unserer Ferienordnung, namentlich einer zweck¬
mässigeren Festsetzung und Dauer der Sommerferien. Eulenburg
empfiehlt dabei die Anlehnung an die in unsern deutsch-österreichischen
Nachbarländern üblichen Einrichtungen, welche sich dort durchaus be¬
währt haben. Es fallen dort die grossen Sommerferien mit dem Schluss
des Schuljahres zusammen und dauern volle zwei Monate (in der
Digitized by v^ooQle
254
Regel vom 1. Juli bis 1. September), wobei durch Regulirung der
übrigen Ferien die gesammte Feriendauer doch nicht grösser ist.
Die Vortheile einer derartigen Umgestaltung sind so in die Augen
springende, dass wir hier von einer weiteren Besprechung derselben
absehen können. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Axenfeld, Ueber eine durch Pneumokokken hervorgerufene Schul¬
epidemie von Conjunctivitis. (Sitzungs-Protokoll des Aerztl. Vereins zu
Marburg vom 6. November 1895.) Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 6.
Axenfeld hatte Gelegenheit, in Nieder-Weimar eine sog. Schul¬
epidemie bakteriologisch zu untersuchen, an der 25 Kinder von einer
Gesammtzahl von 94 erkrankten.
Bei der Untersuchung des von der Bindehaut secemirten Eiters
konnte A. massenhaft den Fränkel* sehen Pneumokokkus nachweisen.
Trotzdem die Thierversuche negatv ausfielen, spricht der klinische
Verlauf der ganzen Epidemie doch für Weiterverbreitung durch
Contact. Verfasser schliesst aber aus seinen Beobachtungen,
1. dass Erwachsene sehr wenig empfänglich sind, die Pneumokokken-
Conjunctivitis also in erster Linie eine Kinderkrankheit ist,
2. dass vielleicht der bei den meisten Kindern vor der Erkrankung
bestehende Schnupfen bei der Uebertragung von Einfluss ge¬
wesen ist.
Jedenfalls befällt die Pneumokokken-Conjunctivitis nur dazu dis-
ponirte Individuen.
Der Verlauf der Krankheit war ein meist sehr milder.
Die Differentialdiagnose gegenüber der Granulöse ist leicht und
wegen der erheblich besseren Prognose von praktischer Wichtigkeit.
Verfasser wünscht, dass in den amtlichen Listen unter der all¬
gemeinen Rubrik „contagiöse Augenentzündung“ eine Anzahl Unter¬
abtheilungen eingefügt werden möchten, mit den ihrer Entstehungs¬
ursache nach bekannten Formen von Bindehautentzündungen.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Dr. Viktor von Woikowsky-Lindau, Das Bewegungsspiel in der deut¬
schen Volkshygiene und Volkserziehung. Leipzig bei R. Voigtländer.
Die Schrift ist ein Sonderabdruck aus dem Jahrgang 1895 der Zeit¬
schrift des Königl. preussischen statistischen Büreaus. Sie enthält neben
den eingehenden, alle Theile der Bewegung zur Förderung der Jugend-
und Volksspiele berücksichtigenden statistischen Aufnahmen der Jahre
1891 bis 1898 eine erschöpfende Darstellung über die Bedeutung und
die Geschichte des Bewegungsspieles, sowie eine Zusammenfassung der
Erfahrungen, welche auf diesem Gebiete bisher gemacht sind, und die
Bezeichnung der Richtung, in welcher sich die weiteren Bestrebungen
bewegen müssen. Die Ausführungen sind im Ganzen wie im Einzelnen
Digitized by
Google
255
ohne Einseitigkeit and dabei streng sachlich und wissenschaftlich ge¬
schrieben und verleihen der Schrift daher ein Anrecht auf eine wohl¬
wollende Beachtung bei allen gebildeten Kreisen.
Dr. Blumberger, Stadtschulrath in Köln.
JB. von SchenckendorfF (Mitglied des Hauses der Abgeordneten), Die Aus¬
gestaltung der Volksschule nach den Bedürfnissen der Gegenwart.
Görlitz, bei P. W. Saattig.
Das 21 Octavseiten umfassende Schriftchen ist vom Verfasser vor
Kurzem den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses überreicht worden.
Es soll als weiteres Begründungsmaterial für einen im Mai v. J. mit
grosser Majorität angenommenen Antrag dienen, durch welchen der
Unterrichtsverwaltung die Erwartung ausgesprochen wurde, dass sie der
körperlichen und werkthätigen Ausbildung der Jugend ihre unausge¬
setzte und volle Aufmerksamkeit zuwenden und derselben auch durch
vermehrte Aufwendung von Staatsmitteln eine kräftige Förderung und
Unterstützung angedeihen lassen werde. Weiterhin soll die Abhand¬
lung aber auch diejenigen Gesammtforderungen an die. Volksschule um¬
fassen, welche sich aus dem Bedürfnisse der Gegenwart ergeben und
vom Standpunkte der allgemeinen Interessen als begründet erscheinen.
Ausgehend von der als allgemein zugestanden angenommenen Auf¬
fassung, dass die Volksschule der Gegenwart vom Leben überholt sei,
dass sie heute das nicht mehr leiste, was unsere rasch fortgeschrittenen
volkswirtschaftlichen und socialen Verhältnisse von ihr fordern müssten,
verlangt der Verfasser zunächst eine Verstärkung des erziehlichen Ein¬
flusses der Volksschule durch kräftigere Weckung des idealen, vater¬
ländischen und religiösen Sinnes und durch Erziehung zu einem
strengeren sittlichen Charakter. Durch zweckmässige Ausgestaltung des
Unterrichts soll die Schule ferner der Jugend mehr bewahrende Kräfte
mit ins Leben geben, was dyrch die Pflege des Jugendspieles, des
Haushaltungs- und des Handfertigkeitsunterrichtes zu erreichen sei.
Endlich aber soll die Schule ihre Zöglinge mit den Verhältnissen des
socialen Lebens, wenn auch in elementarster Form, vertraut machen
und durch diesen Gesammtausbau den heutzutage ganz unvermittelten
Uebergang ins praktische bürgerliche Leben nicht nur vorbereiten,
sondern gewissermaassen selbst vollziehen.
Man sieht hieraus, dass von SchenckendorfF sein früheres Programm
wieder um ein ganz neues Gebiet erweitert hat. Neben der Körper¬
pflege und Werkthätigkeit verlangt er allgemein eine reichhaltigere Er¬
ziehung und ausserdem Belehrung über staatliche und volkswirtschaft¬
liche Einrichtungen und Verhältnisse. Dem gegenüber fragt der
Pädagoge nicht mit Unrecht: Was soll denn an dem alten Lehrstoff
gestrichen werden, um Raum für alle diese neuen Dinge zu gewinnen?
Oder soll die oft genug beklagte Ueberbtirdung der Jugend, deren
Digitized by
Google
256
Milderung zu Gunsten der körperlichen Gesundheit ja gerade den Aus¬
gangspunkt der von SchenckendorfP sehen Bestrebungen gebildet hat,
jetzt sogar noch vermehrt werden? Zwar erklärt der Verfasser selbst
seine Forderungen, soweit sie Uber den Kähmen des erwähnten Be¬
schlusses des Abgeordnetenhauses hinausgehen, noch nicht für spruch¬
reif. Allein die Gedanken sind in so schlichter und ansprechender und
daher für den Laien überzeugender Form dargestellt, dass besonders
vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aller Grund vorhanden ist,
der Sache eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, damit nicht
neben dem wirklich Guten der Volksschule ein Ballast aufgenöthigt
werde, der die geistige Ueberbürdung nur noch erhöht.
Dr. Blumberger, Stadtschulrath zu Köln.
Basenau, üeber die Ausscheidung von Bakterien durch die thatige
Milchdrüse und über die sogen, baktericiden Eigenschaften der Milch.
(Archiv für Hygiene XXIII. Bd., 1. Heft, S. 44—86.)
Zur experimentellen Erforschung dieser ungemein wichtigen Frage
stellte B. Thierversuche an. Er benutzte zur Infection den von ihm
entdeckten Bacillus bovis morbificans (cf. Archiv für Hyg. XX. Bd.,
Referat im vorigen Jahrgang). Er gelangte zu folgenden Resultaten:
1) Der Bacillus bovis morbificans lässt sich bei Meerschweinchen
nach intraperitonealer Injection innerhalb 45 Minuten und nach sub-
cutaner Injection in einer Stunde im Blute in grösseren Mengen nach-
weisen. Bei der Ziege und der Kuh war seine Anwesenheit im Blute
innerhalb der ersten 24 Stunden nach intraperitonealer Injection festzu¬
stellen. Die Anzahl der Bakterien im Blute nimmt mit der Schwere
der Erkrankung zu.
2) Der Bacillus bovis morbificans wird durch die thätige Milch¬
drüse in bedeutenden Mengen ausgeschieden, die grösser sind, als die
zu gleicher Zeit in einem gleich grossen Volumen Blut enthaltenen.
Die Ausscheidung der Bakterien erfolgt aber erst längere Zeit nach
ihrem ersten Erscheinen im Blute und erst dann, wenn bereits schwere
Krankheitssymptome sich offenbaren. Die Menge der ausgeschiedenen
Bakterien wird grösser, je mehr das Ende des Thieres herannaht.
3) Die Milchdrüse ist nicht als ein Organ aufzufassen, dessen
sich der Körper als ein Abwehrmittel bedient, um in den Säftestrom
gerathene, pathogene Keime so schnell wie möglich zu entfernen.
4) Frische, steril aufgefangene Kuhmilch besitzt gegenüber dem
Bacillus bovis morbificans keine baktericiden Eigenschaften, und ver¬
halten sich die Bakterien in ihr nicht wesentlich anders als in Löffler¬
scher Bouillon.
Vom hygienischen Standpunkt aus erscheint die Thatsache einer
massenhaften Ausscheidung pathogener Bakterien mit der Milch von
grosser Bedeutung. Allerdings wird die Gefahr der Uebertragbarkeit
Digitized by v^ooQle
257
/
der infectiösen Keime durch die Milch derartig erkrankter Kühe auf
Mensch und Thier dadurch mehr oder weniger eingeschränkt, dass
wohl in vielen Fällen die Milch solcher Kühe nicht in den Handel
gebracht wird, besonders, dass die Milchsecretion bei schwerer Er¬
krankung stark abnimmt. Jedenfalls ist aber die Möglichkeit der
Uebertragung vorhanden, und die Gefahr wird grösser, wenn derartig
inficirte Milch bei grösseren Viehständen mit anderer guter Milch zu¬
sammengegossen und diese Mischmilch dann in den Handel gebracht
wird. Neben der grösseren Verbreitung der Krankheitserreger fällt
hier nämlich vor Allem schwer ins Gewicht, dass diese Bakterien sich
noch bei einer Temperatur von 8—9° vermehren können.
Um die von Seiten dieser Bakterien drohenden Gesundheits¬
schädigungen zu vermeiden, muss die Milch vor dem Consum gekocht
werden. Dr. Mastbaum (Köln).
Ebstein, Einige Mittheilungen über die durch das Maul- und Klauen¬
seuchengift beim Menschen veranlassten Krankheitserscheinungen.
(Nach einem in der Göttinger medicinischen Gesellschaft am 9. Januar 1896
gehaltenen Vortrage.) Deutsche med. Wochenschr. 1896» Nr. 9 u. 10.
Während eine Reihe von Krankheiten, welche durch contagiöse
Thiergifte hervorgerufen werden, schon seit langer Zeit ein lebhaftes
Interesse erregte, welches sich unter dem Einflüsse der Bakteriologie
wesentlich vertieft hat, ist die Lehre von den durch das Maul- und
Klauenseuchengift veranlassten Krankheitserscheinungen im allgemeinen
immer stiefmütterlich behandelt worden, und zwar mit Unrecht, da
gerade hier die in Betracht kommenden theoretischen Fragen noch
lange nicht beantwortet sind. Verfasser theilt daher seine Wahr¬
nehmungen über diese auf den Menschen übertragene Thierkrankheit
an der Hand einer Reihe von Krankengeschichten mit.
Eine Beschreibung derselben gehört nicht hierher; wir wollen uns
daher mit der kurzen Wiedergabe der vom Verfasser aus seinen Be¬
obachtungen gezogenen Schlüsse begnügen.
Durch die Maul- und Klauenseuche der Hausthiere können nach
einer gewissen (8—4tägigen) Incubationsdauer nach der Infection mit
dem betreffenden Gift gewisse Krankheitserscheinungen von grösserer
oder geringerer Schwere veranlasst werden, indem — abgesehen von all¬
gemeinen — in der Mund- und Rachenhöhle sowie auf der Haut
localisirte Störungen auftreteij.
Da der Krankheitserreger'der Maul- und Klauenseuche der Haus¬
thiere unbekannt ist, so können bei der Vielgestaltigkeit der Krankheits¬
symptome beim Menschen leicht diagnostische Schwierigkeiten ent¬
stehen, wenn man es unterlässt, der Entstehungsursache (Verkehr mit
kranken Thieren, Genuss der von ihnen gelieferten Milch in un-
Digitized by v^ooQle
258
gekochtem Zustande und der aus ihrer Milch gewonnenen Produkte —
Butter und Käse) nachzugehen.
Obwohl die Krankheitserscheinungen im allgemeinen keine sehr
schweren und langdauernden zu sein pflegen und der Ausgang in Ge¬
nesung der gewöhnliche ist, so verdienen die durch das Maul- und
Klauenseuchengift hervorgerufenen Krankheiten doch die volle Be¬
achtung, und abgesehen von dem Verbot des Verkaufs der von kranken
Thieren gewonnenen Milch, Hesse sich wohl auch der Infection mit
Milchprodukten aus der Milch dieser Thiere begegnen.
Die Uebertragungsgefahr ist dann am grössten, wenn der Euter
der Kühe mit erkrankte. Die Milch solcher Kühe dürfte nicht zum
Verkauf und nicht zur Production von Butter und Käse gelangen.
Die Milch leichter kranker Thiere müsste wenigstens vor dem
Genuss gut abgekocht werden, was zur Unschädlichmachung des Giftes
genügt. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Carl Günther und Hans Thierfelder, Bakteriologieehe und chemische
Untersuchungen über die spontane Milchgerinnung. Archiv für Hygiene,
1895, Bd. XXV, Heft 2.
Aus den Resultaten vorliegender Arbeit seien hier folgende mit-
getheilt:
In den untersuchten Proben spontan sauer gewordener Milch fand
sich constant eine, und zwar nur eine bestimmte Bakterienart, welche,
in sterile Milch geimpft, dieselbe unter starker Säuerung zur Ge¬
rinnung bringt. «
Die Bakterienart stellt kleine (1,0 /u. lange, 0,5—0,6 dicke), an
den Enden meist lanzettförmig zugespitzte Stäbchen ohne Eigenbewegung
dar, die meist zu zweien verbunden sind, aber auch in kleinen Ketten
angeordnet Vorkommen, hie und da auch haufenartige Conglomerate
bilden.
Sporenbildung wurde nicht beobachtet. Die Stäbchen färben sich
nach der Gram’sehen Methode.
Die Stäbchen lassen sich auf künstlichem Nährboden, und zwar
unter aäroben Bedingungen ebenso wie unter anaöroben, züchten; sie
wachsen am besten bei ca. 28° C., bei 37° C. etwas weniger gut, bei
21—24° C. noch weniger gut.
Auf dem gewöhnlichen, zuckerfreien Nährboden ist das Wachs¬
thum weniger gut als auf zuckerhaltigem.
Die Nährgelatine wird nicht verflüssigt. Auf der gewöhnlichen,
zuckerfreien Nährgelatine entstehen weisse, mikroskopisch punktförmig
erscheinende, bei oberflächlichem Wachsthum über die Gelatineober¬
fläche prominirende Colonien, deren Durchmesser 0,5 mm fast nie
überschreitet. Auf Traubenzucker- oder Milchzucker - Gelatineplatten
werden die Colonien gewöhnlich etwas grösser. —
Digitized by
Google
259
Auf der Agaroberfläche bilden sich zarte, durchsichtige Beläge,
welche wie aus feinsten Thautröpfchen gebildet erscheinen.
Gewöhnliche, zuckerfreie Nährbouillon wird nur ganz mässig durch
die Entwicklung der eingesäten Bakterien getrübt; die chemische
Reaction wird nicht verändert. In traubenzucker- oder milchzucker¬
haltiger Bouillon ist das Wachsthum dagegen ein sehr rapides; es
findet hier intensive Trübung der Culturflüssigkeit unter starker
Säuerung statt.
Bei der Cultur in Gährungskölbchen mit Traubenzuckerbouillon
oder mit Milchzuckerbouillon findet keine Gasentwicklung statt.
In eiweissfreier (zuckerhaltiger) Nährlösung scheint sich die Bak¬
terienart nicht entwickeln zu können.
Eine 8 Minuten dauernde Erhitzung auf 60° C. scheint diejenige
Beeinflussung durch Hitze zu sein, bei der die Bakterien ernstlich ge¬
schädigt zu werden beginnen, die in den Culturen in Milch producirte
Säure ist in allen Fällen reine Rechtsmilchsäure, während bei spontan
geronnener Milch gewöhnlich inactive Milchsäure oder eine Mischung
von inactiver und Rechtsmilchsäure, und nur in sehr seltenen Fällen
reine Rechtsmilchsäure sich findet.
Der charakterisirte Organismus ist höchst wahrscheinlich mit dem
Lister’ sehen Bacterium lactis und dem Hüppe 1 sehen Bacillus acidi lactici
identisch. Bleib treu (Köln).
Milroy, Die Gerinnung der AlbuminetofFe des Fleisches beim Erhitsen.
Archiv für Hygiene, Bd. 25, 2. Heft
Milroy hat in dieser Arbeit die Menge der coagulirten und nicht
coagulirten Albuminstoffe in Feischsorten, welche in verschiedener
Weise zubereitet resp. auf bestimmte Temperaturen erhitzt wurden,
quantitativ zu bestimmen versucht. Er suchte zu ermitteln, wie viel
von den gesammten Albuminstoffen in einigen Fleischsorten uncoagulirt
bleiben, nachdem das Fleisch eine bestimmte Zeit auf bestimmte Tem¬
peraturen erhitzt worden ist.
Er wandte dabei folgendes Verfahren an:
Von ungefähr einem halben Pfund fettfreien und fein zerhackten
Fleisch werden ca. 100 g auf zehn Portionen vertheilt und in kleine
Bechergläser gebracht. Neun dieser kleinen Bechergläser werden in
grösseren, halb mit Wasser gefällten Gefässen auf dem Wasserbade
eine Stunde auf die bestimmten Temperaturen (50 °—100°) erhitzt.
Das zehnte Becherglas wurde in der gleichen Weise im Autoclaven
bi6 auf 120 0 erwärmt. Nach dem Abktihlen wurde das Fleisch mit
50 ccm löproc. NHiCl-Lösung digerirt, hierauf filtrirt und das ge¬
messene Filtrat bis zum Sieden erhitzt. Nach dem Abkühlen wurde
durch ein gewogenes Filter filtrirt, der Niederschlag zur Entfernung
des NH 4 CI mit Wasser und zum Schlüsse mit Alkohol und Aether ge-
Digitized by
Google
260
waschen. Hierauf wird Filter und Niederschlag zuerst bei niedriger
Temperatur, später bei 115 0 bis zur Gewichtsconstanz getrocknet.
Durch dieses Verfahren erhält man die Menge der nicht coagulirten,
in NH 4 CI löslichen Albuminstoffe.
Ein Theil von dem frischen Fleisch wurde ohne vorhergehendes
Erhitzen mit NHiCl extrahirt und, wie oben angegeben, weiter be¬
handelt, um festzustellen, wie viel aus demselben von dem HN 4 CI
extrahirt werden konnte.
Bei drei verschiedenen Sorten von Rindfleisch ergab sich z. B.
als Resultat:
1. bei 50° sind 40—50 °/o der durch NH 4 CI extrahirbaren Eiweiss¬
stoffe coagulirt;
2. bei 60° sind 65—70% derselben Eiweissstoffe coagulirt;
3. bei 70° ca. 90°/o;
4. bei 80° ca. 98—99°/o;
5. bei 90 0 und 100 0 sind alle durch NH 4 CI extrahirbaren Eiweiss¬
stoffe coagulirt;
6. bei 120° sind auch 100% derselben coagulirt.
Beim Erhitzen unter Druck wurden die coagulirten Eiweissstoffe
nicht wieder gelöst.
Die Untersuchungen erstrecken sich ferner auf Schinken, ein¬
gesalzenes Rindfleisch, gebratenes Rindfleisch (auf deutsche und englische
Weise), essigsaures Rindfleisch und Kalbshirn.
Bleibtreu (Köln).
W. Hartenstein, Zur Behandlung finnige^ Thiere. Zeitschrift für Fleisch-
und Milchhygiene, 1896, Heft 4.
Durch eine Verordnung des sächsischen Ministeriums ist es in
Sachsen neuerdings gestattet worden, dass in Fällen, wo lediglich das Vor¬
handensein einer Finne nachgewiesen ist, das Fleisch solcher Schlacht-
thiere auf der Freibank in rohem Zustande, aber unter Angabe des Be¬
fundes und mit dem Hinweise, dass dasselbe vor dem Genüsse gut zu
durchkochen sei, verkauft werden darf. Voraussetzung ist natürlich, dass
bei genauer Durchmusterung von Schnitten durch die inneren und äusseren
Kaumuskeln bei Rindern, nach sorgfältiger Untersuchung des Herzens
und der Muskelschnittflächen, welche bei der Theilung des Thieres in
vier Viertel entstehen, sowie bei Schweinen bei genauester Besichtigung
ausser der einen weitere Finnen nicht gefunden werden. Dieses weniger
rigoröse Verfahren hält Hartenstein auch vom hygienischen Standpunkte
fllr hinreichend unter der Voraussetzung, dass bei Errichtung der Frei¬
bank folgende Bestimmungen getroffen werden:
1. Personen, welche gewerbsmässig Fleischwaaren gegen Bezahlung
an andere Leute abgeben (Fleischer, Restaurateure, Inhaber von
Pensionaten etc.) dürfen kein Fleisch auf der Freibank kaufen.
Digitized by
Google
261
Dieses Verbot wird um so besser wirken, je kleiner der be¬
treffende Ort ist. Dasselbe wird wesentlich unterstützt durch die
weitere Bestimmung,
2. dass das Fleisch nur in kleinen Portionen (nicht über 2 kg) ver¬
kauft werden darf, und
8 . dass der Verkauf genügend controlirt wird.
Bleibtreu (Köln).
Rissling, Nachweis von Finnen in gehacktem Fleisch und in Wurst.
Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene, Heft 4, 1896.
Auf Grund der Eigenschaft der Finnen, schwerer zu sein als
magerstes Fleisch, führt Rissling die Isolirung der Finnen durch folgen¬
des Verfahren herbei: Man bereitet aus Aetznatron, Pottasche oder
einem anderen leicht löslichen Alkali eine Lauge von ca. 1,15 spec.
Gew. = 19° Beaum6e. Dieselbe wird, nachdem sie sich möglichst
wasserhell geklärt hat, in ein genügend breites und, wenn es sein kann,
nach unten zugespitztes GlasgefÜss (von 1 — 4 Liter Inhalt) gegossen.
Hierauf wird die zu untersuchende, fein gehackte Fleisch- oder
Wurstmasse, unter Beigabe einer geringen Menge Lauge, möglichst ohne
Quetschen, zu einem gleichmässigen dünnen Brei verrührt und dann der
bereiteten Lauge zugefügt
Nach einigem Umrühren sondern sich die vorhandenen Finnen so¬
fort nach unten ab.
Der Nachweis, dass die Finnen einer dem Menschen schädlichen
Tänienart angehören, ist hierauf durch das Mikroskop ohne Mühe zu
erbringen. Bleibtreu (Köln).
Oatertag, Zum Nachweis des Finnentodes. Zeitschrift für Fleisch- und
Milchhygiene, 1896, Heft 4.
Zur Feststellung, ob Finnen unverkennbare Lebenserscheinungen
zeigen oder abgestorben sind, bedient sich Ostertag des von Perroncito
angegebenen thermo-mikroskopischen Untersuchungsverfahrens. Perron¬
cito bediente sich nämlich zur Demonstration von Bewegungen der Finne
des Schulze’sehen Wärmetischchens. Ostertag empfiehlt als noch zweck-
mässigeren Apparat den für jedes Mikroskop passenden Thermostaten
nach Nuttal (vorräthig bei der Firma Altmann, Berlin, Luisenstr. 52).
Ostertag wünscht, dass in Schlachthäusern mit Kühlanlage möglichst
zahlreiche thermo-mikroskopische Untersuchungen von Finnen aus
Fleisch, welches im Kühlhause mindestens 14 Tage aufbewahrt war,
angestellt werden, damit die volkswirthschaftlich ungemein wichtige
Frage der Abtödtung der Rinderfinnen durch Aufbewahrung des Fleisches
im Kühlhause schnell vollends zur Entscheidung gebracht werde.
Bleibtreu (Köln).
Digitized by
Google
262
Oatert&g, Ueber die Verwerthung des Fleisches finniger Rinder. Zeit¬
schrift für Fleisch- und Milchhygiene, 1896, Heft 4.
Uebereinstimraend wird in den letzten Jahren der Kochzwang ftlr
das finnige Rindfleisch als eine sehr harte Maassregel bezeichnet, weil
gekochtes finniges Rindfleisch — im Gegensatz zu Schweinefleisch —
nur schwer und an manchen Orten gar keine Abnahme findet, sondern
auf der Freibank verfault. Der Kochzwang bedeutet stets eine starke Ent-
werthung des finnigen Rindfleisches, zum Theil kommt er der völligen
Vernichtung gleich. Da nun die Verbreitung der Rinderfinne eine sehr
ausgedehnte ist und trotz unregelmässiger Untersuchung die Statistik
schon eine sehr beträchtliche Höhe erreicht, so ist die Frage be¬
rechtigt, ob nicht ein weniger rigoröses Verfahren möglich ist, zumal
da in sanitätspolizeilicher Beurtheilung zwischen Rinder- und Schweine¬
finne ein fundamentaler Unterschied besteht, indem nur die letztere
durch Uebertragung auf den Menschen indirect Finnen im Gehirn und
Auge zur Entwicklung bringen kann, während die Rinderfinne nur eine
reparable Belästigung des Consumenten hervorruft. Jedenfalls müsste
für das sogenannte einfinnige Fleisch von Rindern eine Milderung der
gesetzlichen Bestimmungen eintreten.
Es fragt sich nun, gibt es Mittel, das finnige Rindfleisch in einer
den Anforderungen der Gesundheitspflege und den wirthschaftlichen
Interessen gleichmässig genügenden Weise zu verwerthen.
Ausser der Anwendung höherer Temparaturen hat sich nun ergeben,
dass zunächst auch die Pökelung praktisch zur Unschädlichmachung
finnigen Rindfleisches benutzt werden kann, unter Beachtung:
1. der Zerlegung des Fleisches in nicht zu dicke Stücke (1 bis zu 6 cm
Dicke) und des Uebergiessens mit der gewöhnlichen Salzlake, oder
der Verwendung beliebig dicker Stücke und Einspritzen der Lake
in das Innere der Fleischstücke vermittelst der sog. Lakespritze,
und Aufbewahrung in Lake;
2. des Verkaufs des Fleisches, nachdem es 14 Tage unter behörd¬
lichem Verschluss in der Pökellake gelegen hat.
Da gepökeltes Rindfleisch nun fast nur gekocht genossen wird, so
schliesst die vorgängige Pökelung den privaten Kochzwang ein. Ein
ferneres Mittel zur Abtödtung der Finnen glaubt nun Ostertag ferner in
der Einwirkung der niedrigen Temperaturen im Kühlhause gefunden
zu haben. Nach seinen bisherigen Versuchen, die sich auf Be¬
obachtungen Perroncito’s stützen, genügt 14 tägige Aufbewahrung finnigen
Fleisches im Kühlhause, um den Finnentod herbeizuführen und das
finnige Fleisch unschädlich zu machen. Damit wäre allerdings ein
ideales Mittel zur unschädlichen und möglichst nutzbringenden Ver-
werthuug des Fleisches finniger Rinder gegeben.
Bleib treu (Köln).
Digitized by
Google
268
Max Jo lies und Ferdinand Winkler, Bakteriologische Studien über
Margarine und Margarinproduote. Zeitschrift für Hygiene, 1895, Bd. XX,
Heft 1.
Lafar hatte in einer Abhandlung über das bakteriologische Ver¬
halten der Naturbutter nachgewiesen, dass der Bakteriengehalt der¬
selben ein ausserordentlich hoher ist, indem 1 g Natur butter im Mittel
10—20 Millionen Keime enthält. Jolles und Winkler dehnten diese
Untersuchungen nun auch auf die Surrogate der Naturbutter, vor Allem
auf die Kunstbutter, bezw. auf den Grundbestandtheil derselben, das
Oleomargarin, aus. Neben den Resultaten der bakteriologischen Unter¬
suchung enthält die Arbeit als Einleitung eine kurze Uebersicht über
die Fabrikation von Margarin, Margarinbutter und Margarinschmalz.
Die Verfasser gelangen zu folgenden Schlusssätzen:
1. Im Vergleiche zur Naturbutter ist der Bakteriengehalt des Mar-
garins und der Margarinproducte ziemlich gering.
2. Der Keimgehalt der Margarinproducte ist viel grösser als der
Keimgehalt des Margarins,
3. Während der Fabrikation des Margarins nimmt der Bakterien¬
gehalt ab ^ im Premier jus ist er höher als im Oleomargarin.
4. Der Bakteriengehalt des Margarinschmalzes ist niedriger als der
Keimgehalt der Margarinbutter.
5. Der Keimgehalt des Margarins nimmt mit dem Alter des Mar¬
garins stetig zu, und zwar an der Oberfläche in höherem Grade
als im Innern.
6 . Der Vertalgungsprocess des Margarins steht mit der Vermehrung
der Bakterien im Zusammenhänge. Das Ansteigen des Bakterien¬
gehaltes ist dem Fortschritte des Vertalgungsprocesses proportional.
7. Bei den Margarineproducten kommt der Kälte ein wesentlich
bakterientödtender Einfluss zu, der sich bei dem Margarinschmalze
in noch grösserem Maassstabe äussert als bei der Margarinbutter.
8 . Die Aussenpartien des Margarins erweisen sich bakterienreicher,
die Aussfenpartien der Margarinproducte bakterienärmer als die
entsprechenden Innenpartien.
9. Mit der relativen Bakterienarmuth an den Aussenpartien der
Margarinproducte geht ein Reichthum an Schimmelpilzen einher.
10. Von kranken Thieren herstammendes oder auf andere Weise
verdorbenes Rohfett darf bei der Margarinfabrikation keine Ver¬
wendung Anden.
11. Die Verwendung centrifugirter Milch und möglichst keimfreien
Wassers als Zusatz zum Oleomargarin vor der Verbutterung sind
geeignet, den Keimgehalt in der Margarinbutter herabzudrücken.
12« Pathogene Bakterien sind weder in dem Margarin noch in den
Margar inproducten nach zuweisen; die besonders auf den Nach-
Digitized by ^.ooQle
264
weis von Tuberkelbacillen gerichteten Untersuchungen sind
sämmtlich negativ ausgefallen.
13. Die Vorgefundenen Bakterienarten gehören sämmtlich den Sapro-
phyten an; sie stammen theilweise aus der Luft und dem Wasser,
theilweise aus der zugesetzten Milch oder der zugesetzten Natur¬
butter.
14. In dem Margarin finden sich zwei als Margarinbacillus a und ß
bezeichnete, bisher noch nicht identificirte, nicht pathogene Bak¬
terienarten vor, welche bei der Zunahme des Vertalgungsprocesses
in grösserer Menge angetroffen werden; sie stehen wahrscheinlich
mit diesem Processe in causalem Zusammenhänge.
15. Unter den aus der Margarinbutter isolirten Organismen sind vier
bisher nicht beschrieben; sie haben die Bezeichnungen Diplo-
coccus capsulatus margarineus, Bacillus viscosus margarineus, Ba¬
cillus rhizopodicus margarineus und Bacillus rosaceus margarineus
erhalten. Bleibtreu (Köln).
Wilhelm Bode, Das Wirthshaus im Kampfe gegen den Trunk. Hildes¬
heim 1895.
Dr. Bode, der Geschäftsführer des Deutschen Vereins gegen den
Missbrauch geistiger Getränke, wendet sich in erster Linie an die
Wirthe, und weist mit Nachdruck auf die bedeutsame Rolle hin, die
grade sie im Kampfe gegen den Trunk zu spielen im Stande seien,
und zwar bei vollkommener Wahrung ihrer eigenen berechtigten Inter¬
essen. Vorbedingung hierzu sei freilich das Aufhören der bisherigen, viel¬
fach ganz systemlosen, jedenfalls viel zu weitgehenden Concessionirung
und des daraus hervorgehenden wilden Concurrenzkampfes. Es würde
dann den Wirthen gelingen können, sich von der Abhängigkeit von den
Grossbrauereien zu befreien und aufzuhören, wie häufig jetzt, blosse
Agenten des Bier- und Spirituosengeschäftes zu sein. Der Ausfall
werde durch grösseren Consum der nichtalkoholischen Getränke — die
natürlich weit sorgfältiger als bisher zu behandeln seien —, vor allem
aber durch Einführung eines Platzgeldes für Gäste, die überhaupt
nichts zu verzehren wünschten, zu decken sein. Auf diese Weise wird
es, wie Code hofft, selbst wenn die Einführung des Gothenburger
Systems sich einstweilen nicht ermöglichen lässt, gelingen, unsere
Wirthshäuser aus blossen Trinkstuben zu Erholungsstätten im weitesten
und besten Sinne des Wortes allmählich umzubilden.
Liebmann (Köln).
Digitized by
Google
265
Verzeichntes der hei der Redaction eingegangenen nenen
Bücher etc.
Ambrosius, Dr. W., Die Aufgaben der Flussreinhaltung und deren Erfüllung
vom hygienischen und sanitätspolizeilichen Standpunkte. (Sonderabdruck
aus der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege,
XXVIII. Band, 2. Heft.) Braunschweig 1896. Friedrich Vieweg & Sohn.
Baas, Dr. med. Karl, Die semiotische Bedeutung der Pupillenstörungen.
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheil¬
kunde. I. Band, 3. Heft.) 8°. 32 S. Halle a./S. 1896. Karl Marhold.
Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. Einzelpreis dieses Heftes
1 Mk.
Beschreibung der Nordseebäder Sylt, Westerland und Wenning¬
stedt, herausgegeben von der Seebade-Direction. Kl. 8°. 95 S. Wester¬
land, Fr. Bossberg.
Flaischlen, Dr. N., Der gegenwärtige Stand der Betroflexionstherapie.
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Frauenheil¬
kunde und Geburtshilfe, I. Band, 3. Heft.) 8°. 35 S. Halle aJS. 1896.
Karl Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. Einzel¬
preis dieses Heftes 1,20 Mk.
Förster, Dr. A., Die preussische Gebührenordnung für approbirte Aerzte
und Zahnärzte vom 15. Mai 1896. Mit Einleitung, Anmerkungen und
Sachregister. Nebst einem Anhang: Der ärztliche Gebührenanspruch und
seine gerichtliche Geltendmachung. Kl. 8°. 80 S. Berlin 1896. Bichard
Schoetz. Preis 1,50 Mk.
Hagedorn, Dr. Max, Ueber Beziehungen von Allgemein-Krankheiten, sowie
von Nasen- und Halsleiden zum Gehörorgane. (Sammlung zwangloser
Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Hals-
krankheiten. I. Band, 10. Heft.) 8°. 32 S. Halle a./S. 1896. Karl
Marhold. Abonnementspreis für 1 Band — 12 Hefte 12 Mark. Einzelpreis
dieses Heftes 1 Mk.
Heinrich, Fr. Aug., Homöopath Dr. med. Volbeding und die Seinen. Ein
Beitrag zur Cultur- und Sittengeschichte unserer Zeit 8°. 80 S. Leipzig
1896. Commissionsverlag von E. O. Jahn. Preis 50 Pf.
Hess, J. und Mehl er, Dr. med., Anleitung zur ersten Hilfeleistung bei
plötzlichen Unfällen. Für Jedermann verständlich und von Jedermann
ausführbar. 26 Abbildungen. Kl. 8°. 93 S. Frankfurt a./M. H. Bechhold.
Preis 1 Mk.
H o c h e , Privatdocent Dr., Die Frühdiagnose der progressiven Paralyse.
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und
Geisteskrankheiten, I. Band, Heft 1.) 8°. 44 S. Halle a./S. 1896. Karl
Marhold. Abonnementspreis für 1 Band = 8 Hefte 8 Mk. Einzelpreis
dieses Heftes 1,50 Mk.
Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. V. Jahrg. 1896* Herausgeg.
von E. v. Schenckendorff und Dr. med. F. A. Schmidt 8°. 314 S.
Leipzig 1896. B. Voigtländer’s Verlag.
Jaquet, Dr. A., Die Stellungnahme des Arztes zur Abstinenzfrage. Nach
einer von der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft des Cantons Bern
mit einem Preise bedachten Arbeit. 8°. 67 S. Basel 1896. Benno
Schwabe. Preis 1,20 Mk.
Cantralblatt f. allg. Gwundheitspflage. XV. Jahrg« 19
Digitized by tjooole
266
Müll er-Thurgau, Prof. Dr. H., Die Herstellung unvergorener und alkohol¬
freier Obst- und Traubenweine. Kl. 8°. 31 S. Frauenfeld 1896. J. Huber.
Preis 65 Pf.
Pi stör, Dr. M., Das Gesundheitswesen- in Preussen nach deutschem Reichs¬
und preussischem Landrecht. Bd. I, Abth. 2/3. 8°. Berlin 1896. Richard
Schoetz. Preis 24 Mk.
Rumpel, Dr. Theodor, Pathologisch-anatomische Tafeln nach frischen Prä¬
paraten mit erläuterndem anatomisch-klinischen Text. Unter Mitwirkung
von Prof. Dr. Alfred Käst. (Aus den Hamburger Staatskrankenhäusem.)
Gross-Folio. Lieferung XHL Wandsbeck-Hamburg, Kunstanstalt (vorm.
Gustav W. Seitz), Act.-Ges. Im Abonnement 4 Mk. pro Lieferung. Ein¬
zelne Tafeln 1,50 Mk.
Schmidt-Monnard, Dr., Ueber die zweckmässige Ernährung junger Kinder.
8 °. 18 S. Berlin 1896. Elwin Staude. Preis 30 Pf.
Scholz, Dr. Friedrich, Ueber Reform der Irrenpflege. 8°. 77 S. Leipzig
1896. Eduard Heinrich Mayer. Preis 1,50 Mk.
Sch ul gesundheitslehre. Das Schulhaus und das Unterrichtswesen vom
hygienischen Standpunkte für Aerzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte und
Architekten. Bearbeitet von Dr. H. Eulenberg und Dr. Theod. Bach.
Liefg. 2. Zweite, umgearbeitete und erweiterte Auflage. 8°. Berlin 1896.
J. J. Heine’s Verlag. Preis 1 Mk.
Sitzungsberichte der physikalisch-medicinischen Gesellschaft
zu Würzburg. Herausgegeben von der Redactions-Commission der Ge¬
sellschaft: Prof. Dr. O. Schultze, Prof. Dr. W. Reubold, Privatdocent
Dr. Paul Reichel. Jahrgang 1895. Würzburg 1896. Stahersche Hof-
und Universitäts-Buchhandlung. Preis pro Jahrgang 4 Mk.
The Journal of experimental medicine. Voi. I, No. 2. April 1896.
New-York, D. Appleton and Company.
Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft
zu Würzburg. Herausgegeben von der Redactions-Commission der Ge¬
sellschaft: Prof. Dr. O. Schultze, Prof. Dr. W. Reubold, Privatdocent
Dr. P. Reichel. Neue Folge. XXIX. Band 1895. Mit 5 Tafeln und
8 Textabbildungen. Würzburg 1896. Stahel’sche Hof- und Universitäts-
Buchhandlung. Preis pro Band (Jahrgang) 14 Mk.
Woltersdorf, Dr. Gerhard, Ueber feuchte Wohnungen. Eine hygienisch-
sanitäcspolizeiliche Studie. 8°. 79 S. Greifewald 1896. Julius Abel.
Preis 2 Mk.
Die Verlagshandlung.
Berichtigung.
Bchloekow, Der preussisehe Physikus.
In der Besprechung des Buches ist der Irrthum unterlaufen, dass der
2. Band „Gerichtliche Medicin“ von Dr. Leppmann bearbeitet sei. Es ist
nur die II. Abtheilung „Gerichtliche Psychiatrie“ von Dr. Leppmann be¬
arbeitet, während die I. Abtheilung „Gerichtliche Medicin“ im Speciellen von
Dr. Roth verfasst ist. Dr. Longard (Köln).
Digitized by
Google
Sanatorium Hohenhonnef im Siebengebirge.
Entstehung, Einrichtung, Heilverfahren.
Von
Dr. med. Ernst Meissen, dirigirendem Arzte.
(Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Vereins der Aerzte des
Regierungsbezirks Köln zu Hohenhonnef am 9. Mai 1896.)
(Mit 1 Abbildung.)
I. Entstehung.
Die wirksame Anregung zur Begründung einer Heilanstalt für
Lungenkranke im Siebengebirge bei Honnef ging von dem im
Frühjahr 1895 an den Folgen der Grippe verstorbenen Herrn
Geheimen Regierungsrath August Bredt und dessen Familie aus.
Honnef und seine Umgebung, das „rheinische Nizza“, erfreut sich
seit Jahrzehnten eines gewissen Rufes als Kurort und entsprechenden
Besuches von Brustkranken und Erholungsbedürftigen. Auch ist
die Wahl dieses Ortes für ein Sanatorium beispielsweise bereits von
dem verstorbenen Geheimrath Professor Dr. med. Rühle in Bonn
ausdrücklich befürwortet worden. Es bestand sogar der phan¬
tastische Plan eines Deutsch-Amerikaners, der für viele Millionen
ein ungeheures Glashaus mit künstlicher Lüftung und Heizung, mit
Gartenanlagen und allem Zubehör erbauen wollte, in der Meinung,
damit etwas besonders Zweckentsprechendes zu schaffen. Der Ge¬
danke der Errichtung eines Sanatoriums im modernen Sinne gehört
aber unbedingt Herrn Geheimrath Bredt, dem früheren Ober¬
bürgermeister von Barmen, der sich nach Niederlegung seines
Amtes in Honnef angekauft und dort eine neue Heimath begründet
hatte. Er war ein edler Mann von seltenem Gemeinsinne, der sich
um viele gemeinnützige Zwecke grosse Verdienste erworben hat,
und nicht nur in seiner bergisch-rheinischen Heimath, sondern als
Mitglied des Herrenhauses auch in weiteren Kreisen einen wohl-
Centrmlblfttt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jafcrg. 20
Digitized by v^ooQle
268
bekannten, hochgeachteten Namen besass. Die Familie hatte das
Unglück, einen erwachsenen Sohn, den Dr. jur. Adolf Bredt, an
einem schweren Lungenleiden erkranken zu sehen. Herrn Dr. Bredt
lernte ich als Patienten in Falkenstein kennen, wo ich damals-als
H. Arzt neben Herrn Geheimrath Dr. med. Dettweiler angestellt
war. Auch er interessirte sich mit grossem Verständnisse für die
Frage der Sanatorien, und da ich selbst den lebhaften Wunsch
hatte, meine Erfahrungen als Anstaltsarzt in einer selbständigen
Stellung zu verwerthen, so trat ich bald zu der Familie Bredt in
nähere Beziehungen mit der ausgesprochenen Absicht, nach dem
Vorbilde von Falkenstein und mit Benutzung der Erfahrungen an
den älteren Anstalten bei Honnef eine neue Heilanstalt für Lungen¬
leidende zu begründen, welche alle Einrichtungen für den Kur¬
gebrauch während des ganzen Jahres in möglichst vollkommener
Weise darbieten sollte.
Im Sommer 1889 brachte das Centralblatt für Allgemeine
Gesundheitspflege eine Abhandlung von mir: „Betrachtungen über
eine neue Heilanstalt für Lungenleidende“, in welcher die Grund¬
erfordernisse und die Aussichten einer solchen Anlage erörtert
wurden. Die Durchführung der gestellten Aufgabe zeigte sich weit
schwieriger als es anfänglich schien, und ohne die unermüdliche,
hingebende Thätigkeit des Herrn Geheimraths Bredt wäre sie
schwerlich gelöst worden. Derselbe hat trotz hohen Alters weder
Mühe noch Opfer gescheut, um unsere Pläne der Verwirklichung
näher zu bringen, und war mir und allen anderen Mitarbeitern bis
zuletzt ein Vorbild und Ansporn selbstlosen, arbeitsfreudigen Schaffens.
Die Vollendung und den beginnenden Betrieb des Unternehmens
hat er noch erlebt ; das Aufblühen des grossen Werkes zu sehen,
dem er den Abend seines Lebens in rastlosem Bemühen gewidmet
hat, war ihm leider nicht mehr vergönnt. Sein Andenken wird
uns Allen unvergesslich sein.
Wir gewannen zu einem „Aufrufe“, welcher die Ausführung der
Anstalt in weiten Kreisen befürworten sollte, eine Reihe von Unter¬
schriften namhafter Aerzte, darunter unsere ersten Autoritäten, sowie
sonstiger hervorrragender Persönlichkeiten, und gingen dann an die
Beschaffung der erforderlichen Geldmittel, welche in Form von
Actienzeichnungen aufgebracht wurden. Ausdauernder, zum Theil
recht mühevoller und nicht immer angenehmer Arbeit gelang es,
in verhältnissmässig kurzer Zeit ein Actienkapital bis zur Höhe von
800 000 Mk. aufzubringen. Nicht nur unser Rheinland, sondern
ganz Deutschland und sogar das Ausland haben beigesteuert; über¬
all fanden sich dank ausgedehnter Beziehungen Freunde und Gönner
des ideal gedachten Unternehmens. Es wurden gezeichnet aus
Barmen 86 000 Mk., aus Bonn 59 000 Mk., aus Elberfeld 47 000 Mk.,
Digitized by
Google
269
aus Düsseldorf 31 000 Mk., aus Honnef 67 000 Mk., aus Koblenz
7000 Mk., aus Köln 99 000 Mk., aus Königswinter 10 000 Mk.,
aus Krefeld 32 000 Mk., aus Trier 6000 Mk., aus kleineren rheinisch-
westfelischen Städten 132 000 Mk., ferner aus Berlin 114 000 Mk.,
aus Frankfurt a. M. 19 000 Mk., aus Hamburg 22 000 Mk., aus
Leipzig 64000 Mk., aus dem übrigen Deutschland 40 000 Mk.,
endlich aus dem Ausland (Amsterdam, Antwerpen, London, Paris)
12 000 Mk. Die Gesammtzahl der Zeichner beträgt über 200. Zu
diesem Actienkapital von 801000 Mk. treten noch 400 000 Mk.
hypothekarisches Darlehen der Rheinischen Provinzialbank, so dass
wir für den Bau eine Summe von 1 200 000 Mk. zur Verfügung
hatten.
Gleichzeitig gewannen wir in der Person des Architekten
F. Pfeiffer aus Leipzig einen tüchtigen Baumeister, der die Er¬
fordernisse einer Lungenheilanstalt als ehemaliger Patient in Falken¬
stein aus eigener Erfahrung genau kennen gelernt hatte und sich
dem Werke mit hingebender Schaffensfreude widmete. Unter den
übrigen Mitarbeitern bei der Schöpfung von Hohenhonnef sind
ausserdem zu nennen die Herren A. de Boischevalier aus Düssel¬
dorf, Carl Cahn aus Bonn, Jul. Haarhaus aus Honnef, Dr. jun
K. Mayer aus Köln, A. vom Rath aus Köln, Reg.-Rath P. Schubart
aus Berlin, Herrn. Seyd aus Elberfeld, W. v. Siemens aus Berlin,
später W. Weyermann aus Hagerhof bei Honnef und C. Steinmüller
aus Gummersbach. Die Mehrzahl dieser Herren gehört auch zur
Zeit noch dem Aufsichtsrathe des Unternehmens an.
Durch das Zusammenwirken so vieler Kräfte kam die Ent¬
wickelung des Unternehmens in raschen Fluss. Wir konnten bereits
im Mai 1891 den Grundstein legen, und im October 1892 die fer¬
tige Anstalt beziehen. Während der Bauzeit hatten wir in Honnef
in einer dazu geeigneten Villa — es ist dieselbe, welche in diesem
Frühjahr die Königin von Schweden bewohnte — im April 1891
eine provisorische kleine Anstalt eröffnet, welche sich von Anfang
an sehr guten Gedeihens zu erfreuen hatte und uns manche nütz¬
liche Erfahrung für den Betrieb der grossen Anstalt einbrachte.
Ganz glatt ging die Entwickelung von Hohenhonnef nach der
Eröffnung freilich nicht. Es war gerade eine Zeit weniger gün¬
stiger Stimmung für die Sanatorien, da die Entdeckung des Tuber¬
kulins Hoffnungen auf raschere Bekämpfung der Krankheit in ganz
ausserordentlicher Weise erweckt hatte. Wenn auch der Misserfolg
des Mittels bald klar wurde, so glaubten doch manche Aerzte, dass
es verbessert werden könne, und dass dann alle übrigen Massnahmen,
die bisher gegen die Tuberkulose in Anwendung gebracht wurden,
so gut wie überflüssig sein würden. Bei einer noch grösseren Zahl
machte sich nach dem Tuberkulinrausche eine pessimistische
20 *
Digitized by ^.ooQle
270
Stimmung geltend, welche die Möglichkeit eines wirksamen Ein¬
greifens bei der Tuberkulose überhaupt leugnete. Ausserdem hatten
wir manches Vorurtheil zu überwinden, wie es allem Neuen ent¬
gegentritt. Namentlich heftete man uns die Behauptung fast un¬
erschwinglich hoher Kosten des Aufenthaltes in Hohenhonnef an,
ganz ohne Grund, da die Preise in Hohenhonnef sogar absolut
billiger sind, als diejenigen mancher ähnlicher Anstalten, welche
die Vollkommenheit der Einrichtungen unseres Sanatoriums keines¬
wegs erreichen. Endlich blieben auch uns die Anfangsschwierig¬
keiten, die Kinderkrankheiten jedes grossen Unternehmens nicht
erspart, die aus Unerfahrenheit in der Handhabung eines so aus¬
gedehnten Betriebes hervorgehenden und nicht zu vermeidenden
Missgriffe namentlich in wirthschaftlicher Hinsicht, die erst durch
die Erfahrung ausgeglichen werden können.
Aber alle diese Schwierigkeiten sind glücklich überwunden
worden und haben nicht gehindert, dass Hohenhonnef sich ver-
hältnissmässig sehr rasch entwickelt hat und bereits jetzt nach
kaum dreijährigem Bestehen sich so lebhaften Besuches erfreut,
dass Erweiterungsbauten in Aussicht genommen werden mussten
und zum Theil bereits ausgefithrt sind. Nicht nur aus dem In¬
lande, sondern auch aus dem Auslande sind immer zahlreichere
Gäste zu uns gekommen, besonders aus den Nachbarländern Belgien
und Holland, desgleichen aus Dänemark und Schweden, Russland,
selbst aus Frankreich, England, Amerika, so dass wir ständig eine
sehr beträchtliche ausländische Kolonie haben, die oft über ein
Viertel unserer Gäste beträgt.
II. Einrichtung.
Wir wollten in Hohenhonnef eine Heilstätte für Lungenleidende
schaffen, welche allen Anforderungen der Wissenschaft wie der
Bequemlichkeit der Patienten für den Aufenthalt während des
ganzen Jahres nach Möglichkeit entsprechen sollte, ohne den immer¬
hin unerfreulichen Eindruck eines Krankenhauses hervorzurufen.
Nach den bisherigen Erfahrungen glauben wir annehmen zu dürfen,
dass dieses Ziel in allem Wesentlichen erreicht ist. Jeder Besucher,
darunter eine grosse Anzahl von Ärzten und Sachverständigen aus
dem In- und Auslande, lobt die prächtige Lage und die schönen
Einrichtungen des rheinischen Sanatoriums. Unsere Gäste fühlen
sich wohl in dem für sie geschaffenen behaglichen Comfort. Dies
weist der steigende Besuch und die Thatsache, dass viele Patienten
wiederholt nach Hohenhonnef kommen, sei es, dass die Krankheit
eine Fortsetzung oder Wiederaufnahme der Kur nöthig macht, sei
es zu vorübergehender Erholung. Ueberhaupt gestaltet sich das
Digitized by CjOOQle
271
• Anst<sleben, das Zusammensein vieler Kranker unter bestimmt
geregelter Lebensweise wesentlich anders wie der Aussen stehende
meist geneigt ist anzunehmen. Die feste Ordnung im Thun und
Lassen legt doch nur solche Beschränkungen auf, deren Nothwendig-
keit für den Kurzweck und Kurerfolg leicht einzusehen ist. Es bleibt
immer auch Raum für gesellige Fröhlichkeit, welche in richtigem
Maasse recht wohl geeignet ist, auch ftir die Gesundheit nützlich
zu wirken. So gestaltet sich das Anstaltsleben für die Kranken so
angenehm wie es unter ähnlichen Verhältnissen nur möglich ist.
Einwendungen wegen angeblicher Infectionsgefahr in Folge des
Zusammenseins vieler Kranken in einer Anstalt sind wissenschaftlich
gänzlich hinfällig. Die hygienische Ueberwachung des Verhaltens
der Patienten im Allgemeinen und die Beseitigung bezw. Unschädlich¬
machung der Auswurfstoffe, welche doch allein die Träger des
Krankheitsgiftes sind, im Besonderen kann nirgend leichter und
sicherer geschehen als in einer geschlossenen Anstalt. Darüber ist
ebenso wenig Zweifel, wie dass solchen grundsätzlichen Forderungen
in einem Sanatorium, welches diesen Namen verdient, in jeder
Hinsicht genügt wird. An einem Orte mit den Einrichtungen und der
hygienischen Sorgfalt wie in Hohenhonnef ist Ansteckung nicht wohl
denkbar, sicher aber niemals beobachtet worden. Es wäre nur zu
wünschen, dass diese hygienische Sorgfalt auf diejenigen Oertlich-
keiten ausgedehnt und übertragen würde, wo am ehesten eine An¬
steckungsmöglichkeit gegeben ist, wo sie aber meist gar nicht be¬
achtet wird: Wartesäle, Eisenbahn, Pferdebahn, Wirthshaus, Concert-
säle, Theater u. dgl.
Hohenhonnef liegt am Südwestabhange des Siebengebirges
ganz ftir sich inmitten eines an 40 Hektar oder 160 Morgen grossen
eigenen Waldgebietes, Nadel- und Laubholz in meist gemischtem
Bestände. In Folge der landesüblichen, forstmässig abscheulichen
Behandlung ist verhältnissmässig wenig Hochwald vorhanden, zumal
das Gebiet von einer sehr grossen Zahl einzelner kleiner Besitzer
erworben werden musste. Aber gerade durch den gemischten
Bestand der verschiedenen Bäume wirkt unser Wald ungemein
freundlich durch sein mannigfaches Grün und hat auch keinen
Mangel an prächtigen schattigen Plätzen. Sorgfältiger Pflege und
richtiger Behandlung wird er sich dankbar erweisen, so dass wir
im Laufe der Jahre zeigen werden, dass auch auf unserem Berge
schöner Hochwald gedeiht.
Das gesammte Areal ist durch eigens für die Kurzwecke mit
Rücksicht auf bequeme Steigung, Windschutz und Schatten an¬
gelegte, bereits viele Kilometer lange Wege überall zugänglich
gemacht. Die Wege schliessen überall unmittelbar an die Anstalt
an und eröffnen die mannigfaltigsten Ausblicke in die durch den
Digitized by CjOOQle
272
Wechsel von Thal und Gebirge besonders reizvolle Landschaft* ^
Sie verbinden sich gleich mit den Wegen des romantischen Sieben¬
gebirges, das mit seinen lieblichen Thälern und Höhen wie über¬
haupt die ganze herrliche Gegend auf beiden Ufern des Rheins für
den Kräftigem eine Mannigfaltigkeit von Spazierwegen und Aus¬
flügen bietet, die kaum irgendwo erreicht wird. Die vom Ver¬
schönerungsverein ftir das Siebengebirge neuerbaute prächtige
Fahrstrasse zur Löwenburg, der zweithöchsten Kuppe des
Gebirges, in der Anregung und in der Beschaffung der erforder¬
lichen Geldmittel hauptsächlich ein Werk des verstorbenen Dr. jur.
Ad. Bredt, schliesst gleich von der Anstalt aus das gesammte Strassen-
netz des Gebirges auch für Wagen und Schlitten auf.
Die Baufläche der Anstalt liegt 236 m über Meer, 158 m über
dem Rhein bei Honnef. Nach dem Gebirge zu steigt das Gelände
rasch auf und erreicht Höhen von 4 — 500 m. Den Baugrund
bilden Felsbildungen der unterdevonischen Formation, die auf dem
Anstaltsgebiete stellenweise basaltische Durchbrüche zeigt. Die
steile Schichtung des Gesteins bietet den Vortheil eines raschen
Verschwindens der Tage Wässer, so dass unsere Wege stets trocken
bleiben. Der Baugrund ist überhaupt durchaus trocken, und um
so gesunder, als er niemals vorher menschliche Wohnungen ge¬
tragen hat.
Das Klima unserer Gegend ist im Allgemeinen ein mildes zu
nennen, ohne indessen kräftiger Frische zu entbehren. Der Winter
ist meist gelinde und von kurzer Dauer, der Sommer in Folge der
freien Höhenlage, welche drückende Schwüle nicht aufkommen
lässt, selten heiss. Besonders schöne Jahreszeiten sind Frühling
und Herbst, wo die rheinische Landschaft ihren eigenartigen Reiz
in besonderer Weise entfaltet. Alle Jahreszeiten eignen sich, wie
die Erfahrung längst gelehrt hat, gleich gut für die Durchführung
der Kur.
Grössere, empfindliche Tagesschwankungen der Temperatur
sind sehr selten. Namentlich fehlen Dank der trockenen Boden¬
beschaffenheit, stärkere Abkühlungen um die Zeit des Sonnen¬
unterganges; die Abende sind vielmehr stets ein sehr angenehmer
Theil des Tages, und erlauben selbst empfindlichen Kranken den
Aufenthalt im Freien, da weder allzu grosse Kühle der Luft noch
aufsteigende Feuchtigkeit störend wirkt.
Das durchweg bewaldete Gebiet von Hohenhonnef, hoch über
demRheinthale gelegen, fernab von allen rauch- oderstauberzeugenden
Anlagen, erfreut sich einer ungewöhnlich reinen und anregenden,
von schädlichem Staube durchaus freien Luft. Die grossen Be¬
stände von Nadelholz geben ihr eine besonders duftige und er¬
frischende Beschaffenheit, zumal während der warmen Jahreszeit.
Digitized by
Google
273
Ausreichender Schutz gegen rauhe Winde ist vorhanden, namentlich
gegen Nord und Ost; die westliche und südwestliche Richtung ist
offen und gewährt einen überraschend schönen Ausblick ins Rhein¬
thal über Honnef, mit seinen Villen und Gärten, auf den breiten
Strom mit den Inseln Grafenwerth und Nonnenwerth, gegenüber
Rolandseck, zur Rechten der Drachenfels und die zerklüfteten
Felsen der Wolkenburg, zur Linken die Berge an der Ahr und
die Höhen des Westerwaldes, über den Fluss hinaus die blauen
Gipfel des Eifelgebirges. Es ist hier einer der schönsten Punkte
am ganzen Strome.
Eines aber fehlte auf unserer Höhe zu Anfang gänzlich, nämlich
das Wasser, an welchem, wahrscheinlich in Folge der steilen
Gesteinschichtung, der Südabhang des Gebirges überhaupt sehr arm
ist. Da der Anschluss an das Honnefer Wasserwerk technischen
und auch finanziellen Schwierigkeiten begegnete, so entschlossen
wir uns, im Asbachthale, dem tiefen Einschnitte, welcher das eigent¬
liche Siebengebirge vom Westerwalde trennt, auf eigenem Gebiete
einen Quellbrunnen zu graben. W T ir fanden denn auch in der ver-
hältnissmässig geringen Tiefe von 9 m reichliches und nach den
Untersuchungen von Professor Stutzer in Bonn sehr gutes Wasser.
Der Brunnenschacht wurde von der Sohle aus durch Stollen¬
anlagen von zusammen 50 m Länge nach drei verschiedenen
Richtungen erweitert und stellt uns nun täglich über 70 Cubik-
meter Wasser zur Verfügung. Dasselbe wird durch ein starkes
Pumpwerk 180 m höher in einen unterirdischen Cementbehälter
auf der Anhöhe gleich hinter der Anstalt gepumpt, von wo es mit
einem Drucke von ungefähr 3 Atmosphären dem Hause zuströmt
Hierdurch ist unser Bedarf für alle Zwecke, auch für die Maschinen¬
anlagen und die eigene Waschanstalt, reichlich gedeckt, und wir
würden auch für den Fall einer erheblichen Vergrösserung der
Anstalt nicht in Verlegenheit kommen, da der bisherige tägliche
Verbrauch nur 30—40 Cubikmeter beträgt.
Grössere Schwierigkeiten bereitete die Entwässerung der
Anstalt Es war von Anfang an eine einheitliche und gemeinsame
Kanalisation sämmtlicher Abwässer der Anstalt aus den Closets,
welche durchweg als Spülclosets, System Unitas, eingerichtet sind,
aus den Bädern, Duschen und der Küche geplant. Die Abwässer
sollten geklärt und dann den Kanälen der Stadt Honnef zugeführt
werden, welche in den Unterlauf des Asbachs und mit diesem in
den Rhein einmünden. Die Stadt Honnef verweigerte indessen die
Einleitung, und wir waren nunmehr gezwungen, mit grossen Kosten
eine eigene Rohrleitung — theils Thon-, theils Cementrohre —
von über drei Kilometer Länge von unserem Berge bis an den
Rhein unterhalb Honnefs zu legen. Sie endigt dort in einem Senk-
Digitized by
Google
274
brunnen, welcher die geklärten Abwässer im Grundwasser versinken
lässt, was bei der grobkiesigen Beschaffenheit des Bodens an der
gewählten Stelle, regelmässige und genaue Beaufsichtigung voraus¬
gesetzt, keine Schwierigkeit hat. Bei Hochwasser lassen wir die
Abwässer nicht ins Thal fliessen, sondern berieseln mit ihnen eine
etwa ein Hektar grosse, mit Obstbäumen bestandene Wiese. Die
Klärung und Reinigung der Abwässer geschieht in zwei hinter
einander geschalteten Klärbecken mit Schlammf&ngen und Filter¬
körben, die mit Torf und Coaks gefüllt und täglich gereinigt werden.
Der Schlamm, welcher sich in den Klärbecken absetzt, kann in
einen besonderen Behälter unterhalb abgelassen werden, wird dort
mit Torfmull gemengt und dann als Compostdünger verwendet.
Diese Art der Beseitigung der Abwässer, deren Gesammtmenge
etwa 30 Cubikmeter täglich beträgt, hat sich im Allgemeinen gut
bewährt; es wird rasche und vollständige Entfernung, auch eine
gewisse Ausnutzung des Dungwerthes erreicht. Für den Fall, dass
sie versagen sollte, haben wir bei der Strombau-Verwaltung die
Erlaubniss zur Einleitung der Abwässer in den Rhein selbst erwirkt.
Die Kanalisation nimmt auch den Auswurf der Kranken auf.
Genaue Vorschriften über die Behandlung desselben werden sorg¬
fältig durchgeführt: Es ist aufs Strengste verboten, auf den Fuss-
boden oder in’s Taschentuch zu spucken; ausschliesslich sind die
meist aus blauem Glase verfertigten Spucknäpfe zu benutzen, welche
des besseren Aussehens, auch der leichteren Benutzung wegen
vielfach in Wandarmen aufgehängt sind. Dieselben sind mit einer
Lösung von Kresolseife gefüllt, welche etwa 5°/o schwarze Seife
und 1 °/o Kresol enthält und sich aus manchen Gründen ästhetischer
und sanitärer Natur empfiehlt; namentlich wird nach Möglichkeit
eine Desinfection des Auswurfs erreicht. Jeder Kranke hat ausser¬
dem seinen Spucknapf im Zimmer und in den Liegehallen. Bei
Spaziergängen wird das Dettweiler’sche Taschenfläschchen in
Gebrauch gezogen; denn auch im Freien darf nicht auf den Boden
gespuckt werden.
Die Leibwäsche unserer Gäste wird obligatorisch der sicheren
Reinigung und Desinfection wegen in der Dampfwaschanstalt des
Sanatoriums besorgt. Soweit nothwendig, passirt sie vorher den
Dampfdesinfectionsapparat, und wird deshalb gleich nach dem
Gebrauch in dichtschliessende Leinwandbeutel gesteckt. Das ge-
sammte Bettzeug und auf Wunsch auch die Leibwäsche und die
Kleidungsstücke jedes abreisenden Patienten werden gleichfalls
regelmässig im Desinfectionsapparate gereinigt, so wie überhaupt
das verlassene Zimmer eine gründliche, den Forderungen der
Wissenschaft entsprechende Säuberung erfährt.
Die Küchenabfälle werden theils im Walde vergraben und
Digitized by
Google
SANATORIUM HOHENHONNEF
Siebengebirge.
Digitized by CjOO^Ic
276
werden dort als Dünger nützlich, theils werden sie weit abseits in
eine Waldschlucht gebracht und dort nach Bedarf mit Asche oder
Sand bedeckt —
Dank dem ausgedehnten eigenen Grundbesitze haben die
Anstaltsbauten sehr zweckmässig vertheilt werden können. Die
Maschinen-Anlagen, nämlich Kesselhaus, Dampf- und Dynamo¬
maschinen, Accumulatoren, Pumpwerk, Dampfwaschanstalt, Des-
infectionsapparat für überhitzten Dampf, Schlosserwerkstätte u. s. w.,
liegen in dem erwähnten Asbachthale etwa 150 m tiefer als das
Plateau der Anstalt und bilden dort gewissermassen ein Reich
für sich. Hierdurch wird alle Belästigung durch Rauch, Staub und
Geräusch, Unbequemlichkeiten, welche mit einem so ausgedehnten
Maschinenbetriebe unweigerlich verbunden sind, der eigentlichen
Anstalt vollständig fern gehalten.
Auf der Höhe liegen nur das grosse schlossartige Kurhaus
und der mit diesem vom ersten Obergeschosse aus durch einen ge¬
deckten Vorsaal verbundene, aber im Uebrigen ganz getrennt
liegende Speisesaal nebst Küche und Kellern, sowie einige Ge¬
bäulichkeiten für den wirtschaftlichen Betrieb, namentlich die
kürzlich bedeutend vergrösserten Personalwohnungen. Die Gebäude
auf der Höhe sind mit denen im Thale durch eine Drahtseilbahn
mit elektrischem Antriebe verbunden. Dieselbe wurde beim Baue
der Anstalt zur Beförderung des Baumaterials angelegt, aber
dauernd im Betriebe erhalten, weil zur Beförderung der Lebens¬
mittel und sonstigen Bedürfnisse die etwas steil geratene Fahr¬
strasse von Honnef aus nicht genügt.
Die vom Haupthause gesonderte Lage des Speisesaals nebst
Küche und Kellern hält alle Belästigung durch Koch- und Speise¬
gerüche fern. Auch der Speisesaal selbst, ein architektonisch be¬
sonders schöner Raum, bleibt durch die Wirkung besonderer, mehr¬
facher Lüftungsvorrichtungen stets ein luftiger, gleichmässig tempe-
rirter Aufentalt. Für die Verpflegung der Kranken, welche das
Zimmer hüten müssen, ist ein unterirdischer Verbindungsgang von
der Küche zum Haupthause angelegt. Derselbe führt zu einem
Speiseaufzuge, welche die benötigten Speisen in jedem Stockwerke
einem Anrichteraume abliefert.
Das Hauptaus, welches seine Vorderfront nach Südwesten
richtet, ist ebenso wie der Speisesaal durchaus massiv gebaut. An
der Hinterfront unter dem Vorsaal, welcher Haupthaus und Speise¬
saal verbindet, befindet sich die Anfahrt vor der mit Beihülfe der
Stadt Honnef erbauten Fahrstrasse, welche Abends vom Ausgange
der Stadt ab elektrisch beleuchtet ist. Das Haupt- oder Kurhaus
besteht aus einem Mittelbau mit zwei stumpfwinklig ansetzenden
Flügeln, durch welche ein besonders geschützter Theil der grossen
Digitized by
Google
277
Terrasse vor dem Hause eingeschlossen wird. Nur die Flügel
haben einen Mittelcorridor mit Zimmern zu beiden Seiten; der
lange Mittelbau hat einen seitlichen Corridor und nur eine Flucht
Zimmer, der gegenüber nach der Nordwestseite im 1. und 2. Ober¬
geschosse grosse Baikone liegen; dieselben gewähren einen sehr
angenehmen und bequemen Aufenthalt während der warmen Jahres¬
zeit. Die beschriebene, recht kostspielige Bauart des Hauses wurde
aus hygienischen Gründen gewählt, namentlich um eine stets gründ¬
liche Lüftung zu sichern.
Die Anordnung von Haupthaus und Speisesaal und die Ver-
theilung der Räumlichkeiten ist aus den umstehenden Grundriss-
Zeichnungen — Untergeschoss, Erdgeschoss, I. Obergeschoss —
leicht zu ersehen.
Das Haus hat ein nach der Terrasse hin freiliegendes Unter¬
geschoss , ein Erdgeschoss und drei Obergeschosse. Sämmtliche
Stockwerke sind durch eine grosse eiserne Haupttreppe und zwei
Seiten treppen, ausserdem durch einen Personen-Aufzug mit
elektrischem Antriebe verbunden.
Dem Untergeschoss ist nach der Terrasse hinaus in fast ge-
sammter Ausdehnung nach Westen, Süden und Osten eine Hallen-
anlage für die Freiluftcur vorgebaut. Dieselbe ist als ein
Hauptcurmittel mit besonderer Berücksichtigung des Schutzes gegen
Wind, Regen und Sonne ausgeführt und mit allen Bequemlichkeiten
ausgestattet; namentlich enthält sie besonders construirte Liege¬
sessel mit beweglicher breiter Rückenlehne. Abends ist sie elektrisch
beleuchtet. Sie ermöglicht den dauernden Aufenthalt im Freien
von früh bis spät bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Eine
ähnliche Halle befindet sich gleich unterhalb der Terrasse im Walde;
weitere sind geplant, soweit die Vergrösserung der Anstalt sie nöthig
macht Der östliche Theil der Halle am Hause ist für künstliche
Kühlung durch Wasserberieselung eingerichtet, und gewährt deshalb
auch im Hochsommer einen sehr angenehmen, kühlen Aufenthalt
unmittelbar am Hause für solche Kranke, denen der Weg in den
schattigen Wald zu weit ist
Im Erdgeschoss befinden sich die Gesellschaftsräume —
Gartensaal, Empfangssaal, Lesezimmer, Damenzimmer, Musikzimmer,
Billardzimmer —, welche in der ganzen Mitte des Hauses auf eine
grosse Veranda hinausgehen, ferner die ärztlichen Sprech¬
zimmer nebst Hausapotheke und Laboratorium für
bakteriologische und chemische Untersuchungen, die Büreaux für
den wirtschaftlichen Betrieb, sowie das Post- und Telegraphen¬
amt, dessen Einrichtung wir der gütigen Vermittelung Sr. Excellenz
des Herrn Unterstaatssekretärs Dr. Fischer verdanken.
Digitized by v^ooQle
278
In jedem Stockwerke befinden sich comfortable Baderäume,
in welchen nach Bedarf auch Soolbäder, Kiefernadelbäder u. dgl.
verabreicht werden können; die Badewannen sind englische Por-
cellanwannen aus einem Stück, und erlauben unbedingte Rein¬
haltung in Folge des glatten, lückenlosen, unveränderlichen Materials,
welches von keinen Badezusätzen angegriffen wird. Die Vertheilung
der Baderäume auf die einzelnen Stockwerke erleichtert den Ge¬
brauch für die Kranken sehr und machte die Anlage eines besonderen
Badehauses überflüssig.
Im Untergeschosse befindet sich die Dusche mit allen in
Betracht kommenden Formen von Staub-, Regen-, Stachel- und
Strahldouchen. Sie ist temperirbar, wird aber gewöhnlich kalt mit
einer Temperatur von 8—10 0 R angewendet. Ebenfalls im Unter¬
geschoss befindet sich ein Inhalatorium mit allen Einrichtungen
zur Unterstützung der Behandlung von Hals-, Nasen- und Rachen¬
leiden.
Die Zahl der vorhandenen Patientenzimmer beträgt 75
mit etwa 85 Betten, da eine grössere Anzahl zweibettiger Zimmer
vorhanden ist. Diese Zimmer sind auf das Erdgeschoss und die
drei Obergeschosse vertheilt, so dass eine grosse Mannigfaltigkeit vor¬
handen ist; jedoch ist die Einrichtung derselben überall fast gleich¬
artig. Bei den Möbeln ist auf möglichste Glätte und Einfachheit
der Form unter Vermeidung von Kanten und Vorsprüngen Rück¬
sicht genommen, um die Reinigung zu erleichtern. Die meisten
Zimmer liegen nach Süden und Südwesten; nur auf den Flügeln
liegt eine Anzahl nach Südosten und nach Westen; keine entbehren
des freien Zutritts des Sonnenlichtes, das zum mindesten Morgens
und Abends hineingelangt; viele Zimmer haben Baikone oder
Veranden.
Die durchschnittliche Grösse der Patientenzimmer beträgt
3,5 x 5,5 m Bodenfläche bei 3,85 m Höhe. Nur wenige bleiben
etwas unter dieser Grösse; dagegen haben die salonartigen zwei-
bettigen Zimmer erheblich grössere Ausmessungen der Bodenfläche.
Bei den Fussböden, auch bei den Zwischenwänden des Hauses
ist in ausgiebiger Weise von Gipsdielen-Cons truktion
Gebrauch gemacht worden. Gipsdielen sind Planken von 7—8 und
mehr Centimeter Dicke, die aus Gipsguss mit Einlage von Rohr
und ähnlichen leichten Stoffen gebildet sind, so dass ein fester und
doch verhältnissmässig leichter und poröser Körper entsteht. Sie
stellen ein vollkommen feuersicheres und sehr bequem zu ver¬
arbeitendes Baumaterial dar. Die Fussböden enthalten auf und
zwischen den Tragbalken drei Lagen solcher Gypsdielen, welche
also zwei Luftschichten zwischen sich einschliessen, dagegen keine
weitere Füllung von Sand, Asche u. dergl. enthalten. Auf die
Digitized by ^.ooQle
279
oberste Schicht der Dielen ist ein Gips-Estrich aufgetragen und auf
diesen Linoleum oder Riemenparket aufgelegt. Letzteres ist
hauptsächlich in den grossen gemeinsamen Räumen angewendet
(Gesellschaftszimmer, Speisesaal u. s. w.). Bei weitem die meisten
Zimmer, namentlich sämmtliche Patientenzimmer haben einen Fuss-
bodenbelag von gemustertem Linoleum. Dieser Stoff ermöglicht
bekanntlich sichere Reinhaltung und sogar, wenn es nöthig ist, eine
chemische Desinfection; es sieht sauber und freundlich aus und
erweist sich als sehr haltbar, wenn er ab und zu mit einer Mischung
von Wachs und Terpentinöl gebohnt wird. Von Wollteppichen und
dergleichen haben wir natürlich fast ganz Abstand genommen. Die
Krankenzimmer haben nur eine kleine Bettvorlage von glattem
Wollstoff. Die Corridore haben keinen Läufer und dürfen einen
solchen Stauberzeuger nicht haben. Freilich waren wir nun ge¬
zwungen, allmählich im ganzen Hause an den Patienten zimmern
Doppelthüren anzubringen, weil die hygienischen Corridore akustische
Unannehmlichkeiten im Gefolge hatten; die Doppelthüren beseitigen
dieselben vollkommen.
Die Zimmerwände durchweg mit waschbarem Oelanstrich zu
versehen, haben wir uns nicht entschliessen können. Bei der sehr
günstigen Lage des Hauses in Bezug auf Durchlüftung und Be¬
lichtung ist die Nothwendigkeit nicht recht einzusehen. Die Tuber¬
kulose ist ja keine Infectionskrankheit wie Masern, Scharlach,
Diphtherie u. dergl., sondern bei ihr lässt sich die Infectionsgefahr
durch strenge Reinlichkeit und peinliche Sorgfalt in der Beseitigung
des Auswurfs mit grosser Sicherheit und verhältnissmässig einfach
vermeiden und ausschliessen. Oelgestrichene Wände haben immer
etwas Kahles, Unfreundliches, und gegenüber den unbestreitbaren
hygienischen Vortheilen ist doch auch der Nachtheil zu erwägen, dass
die Wände ihre Porosität verlieren, gewissermaassen nicht mehr
athmen, leichter feucht bleiben, und die natürliche Lüftung des
Hauses erschweren. Wir haben also Tapetenbekleidung gewählt,
die im Bedarfsfälle, d. h. bei der jedesmaligen Abreise eines Patienten
durch Abreiben mit Brotkrume gereinigt werden, falls nicht die
Erneuerung vorgezogen wird.
Dank seiner freien Lage und wohlüberlegten Bauart erfreut
sich das Sanatorium einer sehr wirksamen natürlichen Lüftung.
Eine genau vorgeschriebene und durchgeführte Lüftungsordnung
sorgt, dass die Lufterneuerung im ganzen Hause, namentlich auch
in den Corridoren und Treppenhäusern systematisch befördert wird.
Jedes Fenster hat ein bewegliches und in verschiedenen Ab¬
stufungen feststellbares Oberlicht. Ebenso ist jeder Fensterflügel
für sich festzustellen. Jedes Zimmer hat ausserdem einen bis zum
Dache geführten Entltiftungsschacht mit zwei Klappen, für den
Digitized by
Google
280
Sommer oben an der Decke, für den Winter unten am Fussboden.
Die Gesellschaftsräume und der Speisesaal haben ausserdem noch
active Zufuhr vorgewärmter und durch Flanell gefilterter Aussen-
luft. Blendläden, welche ohne Oeffnung des Fensters vom Zimmer
aus vor- und zurtickgeschoben werden können, oder Rollblenden
sorgen ausser für Milderung des Lichtes im Verein mit der ange¬
gebenen Fenstereinrichtung für beliebige Abstufung der Lüftung in
den Zimmern, sodass auch der Empfindlichste ohne den gefürchteten
Zug bei Tag und Nacht für reinste Luft in seinem Zimmer sorgen
kann. So lässt sich das zur Kurmethode gehörige „Schlafen bei
offenem Fenster“, ein manchmal missverstandenes Schlagwort für
die Nothwendigkeit gründlicher Lüftung gerade während der Nacht¬
ruhe, mit Leichtigkeit allgemein durchführen. Die Lüftungsein¬
richtungen im Hause arbeiten so gut, dass der Arzt bei der Morgen¬
visite der Zimmerkranken nicht merken darf, dass er in ein
Krankenzimmer tritt, und sofort rügen kann, wenn es doch der
Fall ist, weil er dann weiss, dass die Vorrichtungen nicht richtig
angewandt wurden.
Man hat Hohenhonnef wohl gelegentlich den Vorwurf gemacht,
dass es etwas zu wenig Windschutz habe. Dem gegenüber muss
betont werden, dass es doch wohl kein richtiges Princip ist, ein
Sanatorium für Tuberkulöse, welches jahraus, jahrein von Kranken
bewohnt ist, mit Rücksicht auf möglichsten Windschutz nach allen
Richtungen zu bauen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir damit
das Haus einem der mächtigsten natürlichen reinigenden und des-
inficirenden Factoren, der freien Luftbewegung, entziehen. Die
Rücksicht auf gesunde und durchlässige Beschaffenheit des Bau¬
grundes wird stets einen Gebirgsabhang dem Thalgrunde vorziehen
lassen, und dann kann der Windschutz kein vollständiger sein.
Der Wind, welchem Hohenhonnef mit einer gewissen Absichtlichkeit
ausgesetzt ist, ist übrigens nur der Südwest- und Westwind, während
die rauhen und am meisten gefürchteten Winde, der Nord- und
Ostwind, durch vorgelagerte Bergzüge so gut wie vollständig ab¬
gehalten und abgelenkt werden. Man sieht die eigentliche Lage
des Sanatoriums am besten von dem im Parke der Anstalt be¬
findlichen Aussichtsthurm.
Hingegen muss für örtlichen Windschutz in jeder Weise Sorge
getragen werden, damit auch der empfindliche Kranke behaglich
im Freien weilen kann. Dies ist in Hohenhonnef in ausgiebiger
Weise durch die Hallenanlagen geschehen, und wird ergänzt durch
die rasch heranwachsenden Baumpflanzungen auf der Terrasse und
sonst in der unmittelbaren Umgebung des Hauses. Die stark
coupirte Beschaffenheit des ausgedehnten Anstaltsgebietes hat über¬
dies die Anlage von Spazierwegen in solcher Mannigfaltigkeit er-
Digitized by
Google
281
möglicht, dass für jede Windrichtung besondere windgeschützte
Wege zur Auswahl sind.. So kann allen Ansprüchen in Bezug auf
den Aufenthalt im Freien genügt werden.
Die ängstliche Furcht vor jeder Luftbewegung bei den Lungen¬
kranken ist übrigens ein Rückstand aus den Anschauungen früherer
Zeiten, wo man den Patienten nicht besser behandeln zu können
meinte, als wenn man ihn hübsch warm hinter dem Ofen hielt und
vor jedem Zuglüftchen ängstlich bewahrte. Die Erfahrung hat uns
längst eines anderen belehrt. Gewöhnung an die freie Luft, Aus¬
nutzung ihrer erfrischenden und kräftigenden Eigenschaften, metho¬
dische Abhärtung ist doch ein Hauptziel der modernen Phthisis-
therapie, welches an einem Orte nicht erreicht werden kann, wo
die klimatischen Verhältnisse bloss schonend, nicht übend ein¬
wirken. Nicht das Wetter macht gesund, auch das schönste Wetter
nicht, sondern nur die Gewöhnung an das Wetter, die nur durch
möglichst dauernden Aufenthalt im Freien erreicht wird; es ist
eine schlechte Gesundheit, die bei jedem Wetterwechsel versagt
In Hohenhonnef fällt übrigens die verhältnissmässig geringe Zahl
von sogenannten Erkältungskrankheiten auf, was zum Theil damit
zusammenhängt, dass die Kranken mit Vorsicht an den Auf¬
enthalt im Freien gewöhnt werden, anderseits aber wohl der un¬
gewöhnlichen Reinheit und Staubfreiheit der Luft zuzuschreiben ist.
Die Heizung geschieht im ganzen Hause, auch auf den
Corridoren durch eine centrale Niederdruck-Warmwasser¬
heizung. Da das Röhrensystem derselben eine Verbindung mit
der freien Luft hat, so kann das Wasser in demselben höchstens
seinen Siedepunkt erreichen. Derselbe wird indessen bei Weitem
nicht in Anspruch genommen; es genügt eine Erwärmung auf
50—60 °, selten 70 0 R. Es sind drei centrale Heizkessel im Unter¬
geschoss vorhanden, zwei für das Haupthaus, einer für den Speise¬
saal. Aus ihnen gelangt das erwärmte Wasser zunächst durch ein
Steigrohr bis auf den Speicher und geht dort in ein horizontales
Vertheilungsrohr; aus diesem strömt es den einzelnen Heizkörpern
zu und gelangt dann in den Kessel zurück. Da an jedem Heiz¬
körper sowohl der Zufluss wie der Abfluss geöffnet und gesperrt
werden kann, so ist die Heizung vollkommen regulirbar, und kann
nach Belieben in jedem Zimmer abgestuft oder ganz ausgeschaltet
werden. Je nach ihrer Grösse haben die Zimmer einen oder
mehrere Heizkörper in verschiedenen Abmessungen; dieselben sind
aus freistehenden, leicht zugänglichen, glatten doppelwandigen Eisen¬
rohren gebildet, in deren ringförmigem Zwischenraum das warme
Wasser circulirt. In Folge der sehr grossen Oberfläche, welche in
Folge dieser Construction entsteht, genügt eine Wärme von 50 bis
60 0 R vollkommen, um eine sehr angenehme behagliche Wärme
Digitized by
Google
282
zu erzeugen, welche niemals durch unangenehme Gerüche gestört
ist, weil so niedere Temperaturen keine Zersetzungen hervorrufen.
Da das Haus fast überall Doppelfenster hat, so wird die von der
Firma Schäffer & Walcker in Berlin garantirte Leistung einer
Innentemperatur bis zu 20 0 C selbst bei einer Aussentemperatur
von — 20 0 C in der That erreicht. Die Heizung arbeitet bei
sorgfältiger Behandlung zu unserer vollen Zufriedenheit, und ist
auch im Betriebe nicht allzu kostspielig, obwohl die Heizperiode
vom October bis in den Mai dauert.
Im ganzen Hause ist ausschliesslich elektrische Be¬
leuchtung durchgeführt. Die Kraft liefert unsere Maschinen¬
anlage im Asbachthale. Die Beleuchtung ist kostspielig im Be¬
triebe, bietet dafür aber auch Vortheile in Bezug auf Bequemlichkeit
und Feuersicherheit, welche sie jedes Andere weit überlegen macht.
In einem Sanatorium für Lungenleidende ist sie fast unentbehrlich,
da sie den hygienischen Forderungen an eine Beleuchtung ohne
Frage am besten entspricht. Abgesehen von der Annehmlichkeit
jeder Zeit bei Tag und Nacht durch einen Fingerdruck Licht
haben zu können, ist die elektrische Beleuchtung die einzige, welche
keinerlei Verbrennungsprodukte an den bewohnten Raum abgiebt.
Bogenlicht ist in Hohenhonnef nur im Freien und im Speisesaal in
Anwendung.
Es erübrigt nun noch ein kurzes Wort über die innere
Organisation der Anstalt. Dieselbe ist Besitz der Aktien¬
gesellschaft Heilanstalt Hohenhonnef. Ihre Organe sind in Ge-
mäösheit des Aktiengesetzes der Aufsichtsrath, an dessen Spitze
zur Zeit Gr. C. Steinmüller aus Gummersbach steht, und der Vor¬
stand oder die Direction. Letzteres ist das eigentliche geschäfts¬
führende Organ, und besteht aus dem dirigirenden Arzte (Dr. med.
E. Meissen) und dem wirthschaftlichen Director (A. Pitschel). Der
Vorstand ist in financieller Hinsicht dem Aufsichtsrath bezw. der
Generalversammlung der Actionäre verantwortlich. In der Anstalt
ist der dirigirende Arzt die oberste Instanz und hat die oberste
Leitung in allen Fragen sanitärer Natur. Ausser ihm ist noch
ein Assistenzarzt angestellt. Ferner sind sechs ausgebildete Wärter,
je drei männliche und drei weibliche, vorhanden. Die Bedienung
der Patienten sowie überhaupt der sehr verwickelte Betrieb des
Sanatoriums erfordert ausserdem ein ungewöhnlich grosses Personal.
Die Gesammtkopfzahl desselben — Bureaubeamte, Wärter und
Wärterinnen, Zimmermädchen, Köche und Küchenleute, Servir-
mädchen, Heizer, Maschinisten, Wäscher und Wäscherinnen, Garten¬
arbeiter, Handwerker — beträgt durchweg etwa 70, obwohl es
naturgemäss nicht Princip ist, überflüssige Leute anzustellen. Die
Digitized by
Google
283
Anforderungen eines regelmässigen und geordneten Betriebes macht
eben erfahrungsmässig in allen ähnlichen Anlagen einen grossen
Aufwand an Personal nothwendig.
HI. Heilverfahren.
Die Darlegung der Kurmethode, als deren Werk- und Rüst¬
zeug Hohenhonnef von seinen Begründern geschaffen wurde, er¬
fordert einige einleitenden Ausführungen.
Seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus durch Robert Koch
kann ernsthafter Zweifel darüber nicht mehr bestehen, dass die
Tuberkulose eine Infectionskrankheit ist, in dem Sinne, dass die ihr
eigenthümlichen anatomischen Veränderungen nur dann entstehen,
wenn das genannte Mikroparasit, früher oder später bei der Lungen¬
tuberkulose höchst wahrscheinlich vergesellschaftet mit andern
Mikroben — Streptokokken u. a. — im menschlichen Organismus sich
ansiedelt und weiter entwickelt. Dass mit dieser Thatsache, welche
uns den oder die Erreger der Tuberkulose kennen lehrt, das Wesen
dieser trotz ihrer Alltäglichkeit merkwürdigen und wunderlichen
Krankheit nicht erschöpft ist, bedarf für den Arzt, der gewohnt ist,
seine Beobachtungen am kranken Menschen zu machen und deren
Ergebnissen die entscheidende Bedeutung beizulegen, kaum einer
Erörterung. Jahrhunderte alte, alltäglich erneute Erfahrung hat
von jeher bewiesen, dass gerade bei der Tuberkulose Verhältnisse
in der Eigenart des erkrankenden Organismus aufs Bestimmteste
hervortreten, welche das Entstehen und den Verlauf der Erkrankung
erst erklären. Die sicherlich vorhandene wechselnde, d. h. grössere
oder geringere Giftigkeit, „Virulenz“ des Krankheiterregers genügt
hier nicht. Wir sehen alltäglich Menschen tuberkulös werden,
während andere, auf welche der Tuberkelpilz ganz sicher ebenso
eingewirkt hatte, gesund bleiben. Wäre die Tuberkulose eine In¬
fectionskrankheit in dem mit diesem Begriffe gewöhnlich ver¬
bundenen Sinne, etwa wie Diphtherie oder auch nur wie Typhus,
so müsste bei der ungeheuren Verbreitung der Krankheit und bei
der sorglosen Nichtbeachtung aller Vorsicht gegenüber den Trägern
des Tuberkelbacillus — Auswurf der Kranken, Milch und Fleisch
tuberkulöser Thiere —, wie sie vor der Entdeckung des Mikroben
allgemein geübt wurde, und nachher noch keineswegs entscheidende
Veränderungen erfahren hat, das Menschengeschlecht längst an der
Tuberkulose zu Grunde gegangen sein. Nun mag die inficirende
Kraft des Parasiten grösser sein als man gelegentlich annimmt, und
es ist gewiss unser Aller ernste Pflicht, seiner Weiterverbreitung,
wo und wie wir können, entgegenzuarbeiten. Die pathologische
CentralMatt f. all g. Gwundheitopflege. XV. Jahrg. 21
Digitized by CnOOQle
284
Anatomie zeigt uns, dass tuberkulöse Veränderungen in den Drüsen,
in den Lungen und in andern Organen ganz ausserordentlich häufig
sind, so dass schliesslich in gewissem Sinne fast jeder Culturmensch
ein bischen „tuberkulös“ sein mag. Allein hier handelt es sich doch
ganz vorwiegend um rasch wieder erloschene kleine örtliche Herde,
die noch keine Erkrankung des Organismus vorstellen. Derselbe
wurde eben mit seinem Feinde fertig, und es kam nicht zur Ent¬
wicklung der Krankheit. Die erwähnten pathologisch-anatomischen
Beobachtungen sind aber deshalb von so grosser Wichtigkeit, weil
sie uns die Heilbarkeit der Tuberkulose und das Wie der Heilung
aufs Bestimmteste darthun, und noch mehr, weil wir durch sie
einige Klarheit über den oft überraschenden und sonderbaren Aus¬
bruch der Krankheit gewinnen. Höchst wahrscheinlich nämlich
folgt bei der Tuberkulose nicht allzu häufig der Aufnahme des
Krankheitserregers, der „Infection“ alsbald, d. h. in kurzer oder
doch absehbarer Zeit das Hervortreten der Krankheit, wie wir es
bei den gewöhnlichen Infectionskrankheiten sehen. Vielmehr kommt
es sehr oft, falls der eingedrungene Mikrob nicht überhaupt un¬
schädlich gemacht, vernichtet wurde, zunächst zur Bildung kleiner
örtlicher Herde, die abgeschlossen werden und erlöschen, allmählich
wohl auch gänzlich heilen können. Da nun aber die in ihnen ent¬
haltenen Bacillen noch lange Zeit lebensfähig bleiben, so hängt es
von den Verhältnissen des betroffenen Organismus ab, ob von diesen
Herden aus früher oder später der Ausbruch der Krankheit stattfindet
Aus diesem Zusammenhang erklärt sich dann ziemlich ungezwungen das
scheinbar plötzliche Auftreten der Tuberkulose nach andern Krank¬
heiten, beispielsweise nach Influenza, welche hier das auslösende
Moment abgeben. Jedenfalls ist zu beachten, dass bei der Tuber¬
kulose die erste Ansiedlung des Krankheitserregers und der Aus¬
bruch der Krankheit zeitlich weit auseinander liegen können.
Mit einer Infectionskrankheit im gewöhnlichen Sinne des Wortes
hat die Tuberkulose überhaupt sehr wenig Aehnlichkeit. Weit
eher vergleicht sie sich im Entstehen und im Verlauf mit dem Er¬
kranken und Absterben von Pflanzen und Bäumen, die von
schlechtem Samen stammen oder auf ungünstigem Boden stehen.
Dieser Vergleich giebt freilich keine volle Erklärung, aber er drängt
sich dem Beobachter unwillkürlich auf. In der That sind wir ent¬
sprechend gewöhnt, in einer Schwächung des Organismus, vielfach
schon von seiner Abstammung, oder in einer Verschlechterung
seiner natürlichen Widerstandskraft durch Mängel oder Fehler in
der Lebensweise, kurz in einer ererbten oder erworbenen
Anlage, deren Wesen eine Depotenzirung im Vergleich zu einem
vollkräftigen Organismus ist, die Ursache der Ansiedlung des
Tuberkelpilzes und damit der Tuberkulose zu erblicken. Diese als
Digitized by
Google
285
solche vererbt sich nicht, wohl aber bekanntermassen in ausge¬
sprochener Weise die Anlage.
Je länger man sich mit der Krankheit beschäftigt, desto mehr
wird diese Auffassung zur festen Ueberzeugung, und man gelangt
ohne Zweifel durch sie zu einem befriedigenden Verständniss der
Tuberkulose, wie es auch einem bewussten und zielstrebigen Heil¬
verfahren zu Grunde liegen muss. In der That ist sie auch fast all¬
gemein angenommen worden. Wir gelangen damit auf die etwas dunklen
Begriffe der Constitution und Disposition, welche der alten Medicin
angehören und zur Zeit einen etwas unmodernen Klang haben,
weil sie sich nicht gleich in chemische Formeln bringen lassen.
Gleichwohl aber sind sie unzweifelhaft, und zwar nicht bloss für die
Tuberkulose, sondern für alle Krankheiten greifbare Realitäten,
und nicht blosse Schemen. Nur ist dringend zu wünschen und
auch zu erreichen, dass ihnen allmählich ein etwas exacterer Inhalt
für die einzelnen Krankheiten gegeben werde, d. h. dass wir die¬
jenige Beschaffenheit des Organismus in exacter Weise ergründen,
welche dem Krankheitserreger erst den Boden bereitet, ohne den
er nicht haften und weiter wachsen kann. Denn hier liegt gerade
für die Tuberkulose offenbar der eigentliche Grund, die.Ursache,
und es genügt nicht, dass wir seit alter Zeit ihren wechselvollen
klinischen Verlauf kennen, dass wir hernach auch die anatomischen
Veränderungen kennen lernten, welche ihn begleiten, dass wir
zuletzt auch den oder die Krankheitserreger gefunden haben,
welche die Eigenart dieser anatomischen Bedingungen bedingen und
hervorrufen. Der Schlussstein fehlt noch, und es wird noch viel
Arbeit erfordern, ihn einzufügen, Arbeit in einer Richtung, der
unsere gegenwärtige Zeit wenig günstig ist. Die ältere Medicin
hat manchen Beitrag zur Erforschung der zur Tuberkulose führen¬
den constitutioneilen Anlage geliefert, freilich ohne zu einer all¬
gemein befriedigenden Lösung der Frage zu gelangen. Für den
Zweck unserer Darlegungen genügt übrigens vollkommen die Kenn¬
zeichnung dieser Anlage in ihrem allgemeinen Wesen als eine Ver¬
minderung der natürlichen Widerstandskraft, die sich in der Lunge
noch besonders geltend macht.
Um die Anlage oder Disposition zu beseitigen, hat man an ihre
Stelle die angeborene Infection zu setzen gesucht. Die Vertreter
dieser Meinung vergessen aber, dass es unzweifelhaft auch eine er¬
worbene Disposition giebt, die wir in der Tuberkulose nach Staub¬
inhalationskrankheiten, nach traumatischen Einwirkungen und be¬
sonders klar beim Diabetiker sehen. Ausserdem ist es mit der
exacten Begründung der angeborenen Infection schlecht bestellt.
Die bisher sehr wenigen erwiesenen Fälle beziehen sich auf die
Möglichkeit einer Uebertragung von der Mutter her, während Er-
21 *
Digitized by ^.ooQle
286
fahrung und experimenteller Beweis für eine Uebertragung vom
Vater her gänzlich fehlen. Man kommt aber noch mehr in Ver¬
legenheit, wenn man das in tuberkulösen Familien vorkommende
Ueberspringen einer Generation, oder auch nur die so häufig erst
im erwachsenen Alter erfolgende Erkrankung der Nachkommen
tuberkulöser Eltern mit einer angeborenen Infection erklären will.
Wir werden immer wieder zur Disposition zurtickgeführt, deren
hohe Bedeutung bei der Tuberkulose übrigens auch von Robert
Koch selbst gebührend anerkannt wird.
Zur Bekämpfung der Tuberkulose sehen wir auf Grund dieser
Darlegungen zwei Wege vor uns, deren einer sich gegen die Krank¬
heit selbst, bezw. den Krankheitserreger wendet, während der
andere sich mit der Krankheitsanlage, bezw. mit dem Boden,
auf welchem der Erreger wachsen will, beschäftigt.
Der erstere Weg erscheint zunächst als der viel einfachere und
kürzere; er erschien namentlich nach der Entdeckung des Tuberkel¬
bacillus als sofort gangbar und sollte unmittelbar dem Ziele rascher
Heilung zuführen. Allein die Erfahrung hat diesen Erwartungen
in keiner Weise Recht gegeben, und gerade das aus dem Tuberkel¬
pilz bereitete Tuberculin, für welches die überschwänglichsten
Hoffnungen gemacht wurden, hat die schmerzlichste Enttäuschung
gebracht, und dem Ansehen unserer Wissenschaft sehr geschadet.
Hier hat sich schwer gerächt, dass der sichere Weg, den Robert
Koch sich selbst klar vorgezeichnet hatte, verlassen wurde. Die
Echtheit eines Krankheitserregers sollte zunächst durch seine
Züchtung auf künstlichen Nährböden, und durch die experimentelle
Erzeugung der betreffenden Krankheit bei Thieren, mindestens in
ihrer anatomischen Eigenart, erwiesen werden. Dann sollte er¬
probt werden, was gegen den Erreger zunächst auf todtem Nähr¬
boden, dann im Thierkörper wirksam wäre, bis man dahin gelangt
wäre, die experimentell im Thiere erzeugte Krankheit durch die
angewandten Mittel auch wieder zu heilen, und zwar in regel¬
mässiger, unzweideutiger Weise. Erst dann sollte zur Anwendung
am Menschen übergegangen werden, und zwar immer in dem Ge¬
fühl, dass, was für’s Thier erwiesen war, beim Menschen sich doch
noch wesentlich anders verhalten könnte. Wollte man diesen Weg
stets im Auge behalten, so würden wenigstens Irrungen, wie sie in
einer exacten Wissenschaft nicht Vorkommen dürfen, vermieden
werden. Das Tuberculin ist das Toxin des Tuberkelpilzes, und
die weitere Entwickelung der Bakteriologie selbst hat die seiner
Anwendung zu Grunde liegende homöopathische Auffassung, dass
das Krankheitsgift in gewissen Sinne sein eigenes Gegengift sei,
verlassen und sich den Antitoxinen der Serumtherapie zugewendet,
hoffentlich mit besserem Erfolge.
Digitized by
Google
287
Ganz sicher besitzen wir bis jetzt keinerlei Arzneimittel,
mit welchen wir den Krankheitsvorgang bei der Tuberkulose
direct und specifisch in der Richtung der Heilung beeinflussen
könnten, und zwar weder im Tuberkulin und ähnlichen Prä¬
paraten, noch in andern Substanzen. Was davon berichtet wurde
und alltäglich wieder berichtet wird, hat nüchterner Prüfung
noch niemals Stand gehalten. Es ist geradezu erstaunlich, was
Alles im Laufe der Zeit als wirksam empfohlen und mit den
schönsten Theorien gestützt wurde, so dass es schliesslich am Er¬
staunlichsten erscheint, dass die Krankheit überhaupt noch besteht.
Die Arzneimittel gegen die Tuberkulose haben etwas an sich wie
die Mode, die jeder meint mitmachen zu müssen; aber sie sind
auch kurzlebig wie die Mode und wechseln wie diese. Ihre Ge¬
schichte ist ein merkwürdiger Beitrag zur Geschichte mensch¬
licher Täuschung und menschlichen Irrthums und bietet vielfach
unerfreuliche Seiten. Nach allen bisherigen Erfahrungen hat
strengste Skeptik diesen Mitteln gegenüber nicht nur ihre gute
Berechtigung, sondern wird zur Verpflichtung. „Die arzneiliche
Behandlung der Schwindsucht hat vollständig Bankerott gemacht,“
und diesem harten Urtheile C. Gerhardts muss man sich leider
anschliessen, da man sich ihm nicht entziehen kann. Man braucht
eine Anzahl dieser Mittel nicht über Bord zu werfen, aber man
wird gut thun, namentlich in der Deutung ihrer Wirkung recht
vorsichtig zu sein. Das gilt besonders von dem Kreosot, oder da
dasselbe bereits aus der Mode ist, von seinen Bestandteilen und
Abkömmlingen, dem Guajacol und Kresol bezw. deren kohlensauren
Verbindungen. Die sorgfältigsten toxikologischen Untersuchungen
und Thierexperimente, beispielsweise Friedländer's in Leipzig, er¬
geben auch nicht den Schimmer einer Einwirkung auf den tuber¬
kulösen Process, dagegen erweisen sie klar und bestimmt die Be¬
denken und Gefahren grösserer Gaben des Mittels, die seinen Com-
ponenten und Verbindungen jedenfalls auch anhaften, da sie doch
das Guajacol und Kresol im Organismus wieder frei lassen sollen.
Gleichwohl träumen manche Schwärmer von einer „innern Des-
infection“, von einer „Zerstörung der Toxine“ im kranken Organis¬
mus durch diese Mittel, ohne auch nur den Schatten eines Beweises
beizubringen. Der Wunsch ist hier zu sehr des Gedankens Vater,
und so wird denn schon nach wenigen Monaten von den erstaun¬
lichsten, tausendfältigen Heilungserfolgen berichtet, und zwar von
dem neuesten Mittel immer die allerbesten. Schon Brehmer pflegte
zu höhnen, „dass er nicht das Glück habe, die Erfolge sehen zu
können, welche die Collegen von ihren Mitteln rühmten.“ Dieser
Hohn ist begreiflich und berechtigt. Man bedenkt zu wenig die
Eigenart des langwierigen und wechselvollen Verlaufes der Tuber-
Digitized by
Google
288
kulose, der überraschende Wendungen zum Guten und Schlechten
in sich schliesst. Kein Arzt giebt doch seinem Tuberkulösen
bl 0 8 das Kreosot o. dergl., sondern giebt ihm eine Reihe von
anderen Anordnungen, namentlich in Bezug auf Lebensweise,
Ernährung u. s. f., und wenn er es nicht thäte, würde es der
Kranke aus sich thun. Wenn man nun jede Veränderung im
Krankheitsbilde dem Arzneimittel zuschreibt, so kann man vieles
sehen, dass man aber richtig sieht, ist mehr wie zweifelhaft Dem
Kreosot und seinen Genossen scheint in gewissen Fällen eine günstige
Wirkung auf die Nahrungsaufnahme, die Assimilation zuzukommen,
was nach seiner chemischen Natur auch begreiflich erscheint.
Vielleicht bewirkt es auch gelegentlich in bereits stationären Fällen
eine Verminderung des Auswurfs, eine Beschränkung der Secretion
auf den kranken Stellen der Lunge, obwohl das schon zweifelhafter
ist. Mehr wird, wer nüchtern prüft, von diesen Mitteln nicht sehen,
eher noch weniger, und das Geld für die meist recht theuren
Drogen von recht bescheidener Wirkung kann gewiss meist besser
und nützlicher verwendet werden.
Mit dem unermüdlichen Suchen und vermeintlichen Finden von
Mitteln gegen die Schwindsucht ist es ungefähr so gegangen wie
mit dem Stein der Weisen oder dem Perpetuum Mobile. Vielleicht
gelangen wir einmal zu der klaren Einsicht, dass dieser Vergleich
in Wahrheit stimmt, d. h. dass wir in allen diesen Fällen nach
etwas logisch Unmöglichem suchen. Wir werden die Tuberkulose
zu heilen verstehen, wenn wir ihre Ursache beseitigen können.
Wo ist nun die Ursache der Tuberkulose zu suchen? Nach den
vorstehenden Darlegungen kann darüber kein Zweifel sein. Ihre
wirkliche und eigentliche Ursache sind gewisse Verhältnisse und
Veränderungen im Organismus, die dem Tuberkelpilz erst er¬
möglichen, zu haften und die Krankheit zu erregen. Ohne diese
Voraussetzung ist der Tuberkelbacillus ein gleichgültiger oder doch
harmloser Gesell, mit welchem der ungeschwächte, vollkräftige
menschliche Organismus leicht fertig wird, sei es, dass er ihn durch
seine Schutzeinrichtungen ganz vernichtet oder durch Absperrung
imschädlich macht. Wir gelangen damit zu Vorstellungen, wie sie
besonders von F. Hueppe ausgesprochen und vertreten werden.
Wenn im Hochgebirge der leise Flügelschlag eines Vogels eine
Lawine löst, die donnernd ins Thal stürzt und gewaltige Zer¬
störungen anrichtet, oder wenn ein kleiner elektrischer Funke ein
grosses Fass Pulver zur Explosion bringt, welche ganze Felsen
sprengen kann, so kann man den leisen Schlag und den kleinen
Funken nicht Ursache so grossartiger Wirkungen nennen. Wir
brauchen hier den Ausdruck Anstoss oder Auslösung, und
finden die Ursache in der labilen Anordnung grosser Schneemassen
Digitized by
Google
289
auf geneigter Bahn und in der labilen Anhäufung chemischer
Spannkräfte. Die Wirkung der Ursache hängt offenbar nicht von
dem Anstosse, sondern in dem einen Falle von der Masse und
Anordnung des Schnees, und in dem andern von Menge und Art
des Pulvers ab. Ganz unabhängig vom Anstoss würde sie grösser
werde«, wenn noch mehr Schnee auf stärker geneigter Bahn vor¬
handen wäre, oder wenn man das Pulver etwa durch Dynamit er¬
setzen würde.
In ähnlicher Weise ist auch bei der Tuberkulose Entstehung
und Verlauf von der Eigenart des betroffenen Organismus abhängig,
und in dieser sehen wir die Ursache, die zu bekämpfen und zu
beseitigen ist. Wie es scheint, entsteht die Tuberkulose allerdings
nur auf den bestimmten Anstoss, wie ihn der Tuberkelbacillus aus¬
übt. Allein es ist doch eine lange Verkettung von Verhältnissen
vor ihm vorhanden, und es ist sehr fraglich, ob wir durch das
Herausreissen des letzten Gliedes, d. h. eben des Tuberkelpilzes,
selbst wenn es uns möglich wäre, etwas Wesentliches erreichen
würden.
Nach den bisherigen Darlegungen scheint es mit unserm ärzt¬
lichen Können; gegen die Tuberkulose nicht weit her zu sein.
Gleichwohl besteht der für den Lungenkranken wie für den Lungen¬
arzt gleich tröstliche Satz zu vollem Recht, dass die Lungentuber¬
kulose heilen kann. Die pathologische Anatomie erweist ihn in
exacter Weise, indem sie zeigt, dass die Tuberkulose zwar noch
weit häufiger ist, als wir annahmen, aber auch viel häufiger heilt
als wir dachten. Die tuberkulösen Vorgänge zeigen eine deutliche
Heilungstendenz, und daraus folgt die bestimmte Zuversicht, dass
wir die Krankheit auch durch unser Zuthun beeinflussen, bessern
und heilen können müssen. Die Frage, ob die Heilung der Tuber¬
kulose eine absolute im Sinne einer vollständigen anatomischen
„restitutio in integrum“ sei, oder anders erfolge, ist praktisch
ziemlich müssig. Wenn es sich auch nur um ein Erlöschen des
tuberkulösen Processes handelt, wenigstens in den meisten Fällen, mit
der Bildung von narbigen Schwielen, bindegewebigen Verhäutungen,
Verkalkungen u. dgl., so ist doch das Wesentliche und Entscheidende,
dass dies Erlöschen ein möglichst dauerndes sei, so dass der Er¬
krankte nachher nicht mehr wesentlich in seiner Lebenshaltung ge¬
stört ist. In diesem Sinne gewinnt auch die relative Heilung den
Werth einer absoluten. Viele Tuberkulöse erleben es nicht, dass sie
an ihrer Tuberkulose zu Grunde gehen, weil sie andern Krank¬
heiten erliegen, und es sterben wahrscheinlich mehr Menschen m i t
einer Phthise als an der Phthise.
Ziffernmä8sig zu belegende, wissenschaftlich vollständig sicher
gestellte und über eine Reihe von Jahren verfolgte Heilungen der
Digitized by
Google
290
Lungentuberkulose sind bisher nur durch ein Verfahren erreicht
worden, welches den zweiten oben dargelegten, anscheinend umständ¬
lichen und weitschweifigen Weg einhielt, welches sich also gegen
die Krankheitsanlage wendet. Dies ist nun das in den geschlossenen
Anstalten zuerst durch Brehmer in Görbersdorf, dann unter Dett-
weiler in Falkenstein nicht etwa erfundene, wohl aber systematisch
ausgebildete und methodisch durchgeführte Heilverfahren, welches
zum Ziele die Verbesserung der organischen Widerstandskraft im
Allgemeinen und der gestörten Thätigkeit in den Athmungs- und
Kreislauforganen im Besondern hinstellt. Es sollen Spannkräfte
im Organismus frei gemacht werden, welche geeignet sind, den von
dem Krankheitserreger in Bewegung gesetzten Kräften entgegen¬
zuwirken, und die natürliche Heilkraft, deren Vorhandensein uns
die pathologische Anatomie der Tuberkulose zeigt, zu unterstützen.
Um modern zu sprechen, handelt es sich hier um ein „Immuni-
siren“ des Organismus, da wir den Zustand von Unempfitnglich-
keit oder doch Ausgleichsfähigkeit gegenüber den Wirkungen des
Tuberkelpilzes herstellen wollen, den wir bei wirklich gesunden,
vollkräftigen Menschen beobachten. Da die Krankheitsvorgänge,
d. h. der Kampf zwischen den Bacillen und den menschlichen Zellen,
mit chemischen Waffen ausgefochten werden, so wollen wir die
Waffen des Organismus verstärken und vermehren, etwa in dem
Sinne, dass wir die Thätigkeit derjenigen Zellen, welche activ in
den Kampf eintreten, der Phagocyten MetschnikofFs, befördern, oder
die Bildung der Schutzstoffe im Blute, der Alexine Buchner’s be¬
günstigen. Hierzu benutzen wir als unentbehrliche Grundlage
hygienische und diätetische Heilfactoren, indem wir den Lungen¬
kranken unter gerade für ihn geeigneten gesundheitsmässigen Be¬
dingungen eine bestimmt geregelte Lebensweise einhalten lassen,
welche durch richtige Schonung neue Störungen fern halten, zu¬
gleich aber durch Gewöhnung und Uebung neue Kräfte zuführen
soll. Wir kommen damit auf den oben angeführten Vergleich aus
dem Pflanzenreiche zurück, aus dem ein Hinweis auf unsere Heil¬
bestrebungen unwillkürlich sich ergiebt: „Gleichwie ein Baum nur
dann gedeihen und Früchte tragen kann, wenn er aus gesunder
Erde reichlich Nahrung erhält, freie Luft hat und von der. Sonne
beschienen wird, also kann auch der Lungenkranke nur dann
voran kommen und genesen, wenn ihm Luft und Licht in ver¬
schwenderischer Weise zu Gebote stehen und wenn sein Körper
zweckmässig und reichlich ernährt wird.“
In seiner praktischen Durchführung hat dies Heilverfahren zu¬
nächst sich entwickelt aus uralter, gewissermassen volkstümlicher
Erfahrung und der Beobachtung derjenigen Verhältnisse, unter
denen man noch am ehesten Lungenkranke besser werden und ge-
Digitized by
Google
291
nesen sah, nämlich durch Aufenthaltswechsel und besondere Er¬
nährung bei reichlichem Verweilen in freier Luft. In diesem Sinne
hatte man bereits im klassischen Alterthume eine ziemlich aus¬
gebildete Klimatotherapie der Tuberkulose, wie beispielsweise die
Auffassung von dem besondern Nutzen der harzigen Luft der Nadel¬
holzwälder bis auf Plinius zurückgeht, während andere wieder die
Seeluft für besonders heilsam hielten. Auch die moderne Klimato¬
therapie hat sich erst sehr langsam losgemacht von der auf Grund
irgend welcher Theorien vorgefassten, und deshalb sehr exclusiven
Werthschätzung einzelner klimatischer Factoren. Betrachtet man
in dieser Hinsicht, welche Verschiedenheiten und Gegensätze, wie
die warme theils feuchte, theils trockne Luft des Südens — Madeira
und Aegypten sind die Extreme —, die kühle und trockne, dünne
und frische Luft des Hochgebirges, die wassergesättigte, dichte Luft
am Meere und auf Inseln, die je nach ihrer Lage sehr verschiedene
Luft der sommerlichen Badeorte u. s. w. als besonders heilkräftig
angepriesen wurden und werden, und erwägt man ferner, dass unter
allen diesen so verschiedenen klimatischen Bedingungen Erfolge
sich ergaben, so muss sich doch der Gedanke aufdrängen, dass
nicht diese klimatischen Besonderheiten, sondern etwas Gemein¬
sames das eigentlich Wirksame ist. Dies Gemeinsame liegt nun
eben in den hygienisch-diätetischen Maximen, die an allen diesen
Orten mehr oder minder bewusst durchgeführt werden, und denen
gegenüber die Verschiedenheit der einzelnen klimatischen Factoren
wenn auch nicht verschwindet, so doch an Bedeutung sehr verliert.
Auch den an manchen Badeorten verordneten und von Alters her
üblichen Genuss der betreffenden Quelle kann man, ohne zu weit
zu gehen, unter die diätetischen Maassnahmen rechnen. Dass den
Natronsalzen und der Kohlensäure oder dem Kalk und dem Stick-
ßtoff dieser Heilquellen eine unmittelbare Wirkung auf die kranke
Lunge zukäme, wird heutzutage wohl Niemand mehr ernstlich be¬
haupten, da wir nicht mehr glauben, dass diese einfachen Stoffe,
wenn sie in einer natürlichen Quelle enthalten sind, mehr leisten
als wenn sie anderswoher stammen.
Mehr und mehr dringt denn auch der Gedanke durch, dass
hauptsächlich und entscheidend nicht der Ort w o, sondern die Art
wie der Lungenkranke lebt und behandelt wird, für sein Wohl
und Wehe, für Erfolg oder Nichterfolg von Bedeutung ist. Es
giebt auch keine klimatischen Specifica gegen die Tuberkulose, trotz
aller gegentheiligen Spekulationen und Phantasien alter und neuer
Zeit. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass nun jeder Kranke
an beliebigem Orte mit gleicher Aussicht auf Erfolg behandelt
werden könne. Das würde nicht zutreffen. Vielmehr ist kein
Zweifel, dass an den Ort und noch mehr an seine Einrichtungen
Digitized by
Google
292
eine Reihe von Anforderungen gestellt werden müssen, falls er für
die Behandlung von Lungenkranken geeignet sein soll, und ebenso,
dass einzelne Kranke sich unter besondem klimatischen Bedingungen
wohler fühlen und besser gedeihen. Dem empfindlichem Kranken
wird man ein behaglicheres und gleichmässigeres Klima anrathen,
während man den Robustem schon mehr zumuthen kann. Im All¬
gemeinen wird man mit mitdern klimatischen Verhältnissen, wie
sie auch Hohenhonnef darbietet, am Weitesten kommen, weil sie
für die ganz überwiegende Mehrzahl der Kranken am besten passen.
Jedenfalls aber muss hier betont werden, dass wir nach den Er¬
fahrungen an den bestehenden Anstalten durchaus keinen Anlass
mehr haben, unsere Lungenkranken in die ferne Fremde zu schicken.
Namentlich der Süden richtet recht häufig mehr Schaden als Nutzen
an. Die Winterkuren in den deutschen Anstalten bieten weit
bessere Aussichten auf Erfolg. Der deutsche Winter ist gar nicht
so schlimm, wie man meint, wenn man ihn nur vom Zimmer und
hinterm Ofen her ansieht; es ist nicht schwer, sich an ihn zu ge¬
wöhnen. Die Erfolge sind vielfach noch günstiger als im Sommer.
Das im eigenen Lande, im heimischen Klima Erreichte erweist sich
erfahrungsmässig meist auch dauerhafter als ein in der Fremde
gewonnener Erfolg, der häufig schon auf der Rückreise ins Wanken
^geräth.
Orte, wo die Tuberkulose heilen müsste, schon durch das
Verweilen daselbst, giebt es nirgends, und auch die Meinung, dass
es für jeden Fall zur Heilung vor Allem des rechten Ortes bedürfe,
ist falsch und nur geeignet, den Kranken unruhig und unstät zu
machen. Der Tuberkulöse heilt, wenn sein Fall heilbar ist, d. h.
wenn er keine zu ausgedehnten Veränderungen in den Lungen und
keine schweren Complicationen in andern Organen darbietet, und
wenn seine natürliche Widerstandskraft, von welcher wir Ent¬
stehung und Verlauf der Infection mit dem Koch’schen Pilz ab¬
hängig sahen, noch nicht allzu sehr erschüttert ist. Er heilt als¬
dann verhältnissmässig leicht, wenn er an geeignetem Orte in ge¬
eigneter Weise behandelt wird und sich auch behandeln lässt, d. h.
ein einsichtiger, gewissenhafter und geduldiger Patient ist. Dies
letztere ist Hauptsache und den Kranken dazu zu erziehen Haupt¬
aufgabe des Arztes. Das gilt überall, denn ganz sicher fand sich
bislang auf der ganzen Erde noch kein Ort, wo der Verlauf der
Tuberkulose an sich und grundsätzlich anders wäre als es überall
beobachtet wird; es ist auch keine Aussicht, solche Orte zu finden.
Orte dagegen, die sich zu erfolgreicher Behandlung der Tuberkulose
recht gut eignen, braucht man meist nicht allzu weit zu suchen.
Wenn nur die nöthigen Einrichtungen geschaffen werden, braucht
man jedenfalls das eigene Land nicht zu verlassen, obwohl gerade
Digitized by
Google
293
der Deutsche geneigt ist, gering zu achten, „was nicht weit her ist“.
Das Gute liegt auch hier so nahe.
Das Bestehen einer immunen Zone in einer gewissen Gebirgs-
höhe oder überhaupt immuner Gegenden im Sinne Brehmer’s ist
eine unhaltbare Annahme. Der Erreger der Tuberkulose ist nach
Allem, was wir wissen, ein exquisiter, echter Parasit, der nur inner¬
halb des menschlichen oder thierischen Organismus gedeiht. Ob er
in anderer Form auch in der freien Natur wächst, ist unerwiesen;
jedenfalls wissen wir nichts Sicheres davon. Immune Gegenden
giebt es bei Krankheiten wie die Malaria, deren Erreger im Freien
lebt und an eine gewisse Bodenbeschaffenheit gebunden ist Gegen¬
über der Tuberkulose kann nur von immunen Menschen die Rede
sein, und diese finden wir im dicht bewohnten Flachlande mitten
unter den Tuberkulösen eher als im Gebirge, dessen Bewohner be¬
kanntlich leicht an Tuberkulose erkranken, wenn sie ins Flach¬
land ziehen. Die vermeintliche Schwindsuchtfreiheit hoher Gebirgs-
zonen, sagt Finkelnburg, dem ich hier folge, beschränkt sich bei
näherm Studium immer mehr auf die Thatsache, dass in solchen
Gegenden meist nur wenig oder gar nicht industriell beschäftigte,
sondern mehr im Freien arbeitende Bevölkerung lebt, welche auch
im Uebrigen von der Schädlichkeit des Stadtlebens und der Stadt¬
nähe verschont bleibt, und dass ferner im Gebirge meist gesunde
Boden- und Grundwasser-Verhältnisse bestehen. Wo diese beiden
Voraussetzungen nicht zutreffen, da ist auch in beliebiger Gebirgs-
höhe in Deutschland die Tuberkulose ebenso stark, wenn nicht noch
stärker verbreitet als in der Niederung. Aehnliches wissen wir aus
der Schweiz, wo in den Uhrmachergegenden von Joux und Chaux-
de-fonds die Tuberkulose ebenso häufig ist als in irgend einer
Grossstadt. Es steht also sehr schlecht mit den Beweisen, dass
irgendwo das Gebirgsklima eine solche Einwirkung auf den Menschen
habe, dass er immun würde gegen die Wirkung des Tuberkel¬
bacillus. Eine wirkliche Immunität gegen denselben, wie er im
menschlichen Verkehr auf uns einwirkt, scheint sich erst allmählich
und im Laufe von Generationen im Kampfe mit ihm zu entwickeln
und wird dann eine Art von Rasseneigenschaft. Einige Beobach¬
tungen sprechen ziemlich deutlich hierfür.
Sicher also giebt es keine Gegenden, die man bloss aufzusuchen
brauchte, um immun gegen die Tuberkulose zu werden. Wohl aber
scheint eine gewisse Bodenbeschaffenheit begünstigend auf das Auf¬
treten dieser Krankheit zu wirken. Die Untersuchungen Finkeln¬
burg’s decken sich hier mit denjenigen englischer und amerikanischer
Forscher — Buchanan, Bowditch —, und laufen darauf hinaus, dass
das Wesen dieser Bodenbeschaffenheit Undurchlässigkeit, stauender
Wassergehalt, oft moorige Art des Untergrundes sei. Auf Grund
Digitized by
Google
294
umfassender statistischer Vergleiche, die sich über ganz Deutschland
erstrecken, kommt Finkelnburg zu dem Schlüsse, dass eine mässig
hohe Hügellandschaft mit nördlich oder nordwestlich vorliegendem
Gebirgsschütz und mit durchlässiger Bodenformation die günstigsten
Bedingungen gegen endemische Disposition zur Tuberkulose gewähre,
dass also derartige Oertlichkeiten sich auch am besten zur Anlage
von Heilstätten eignen würden, wenn man von der deutschen See-
ktiste, deren Vortheilen viele Nachtheile entgegenstehen, absieht.
Jedenfalls ist die Beschaffenheit des Untergrundes von weit grösserer
Bedeutung als die gewöhnlichen klimatischen Factoren, die doch,
wie z. B. der Feuchtigkeitsgehalt der Luft, auch sehr von ihr ab-
hängen. Gegenden mit nassem Boden haben meist unbehagliche
Abkühlung gegen Abend, oft mit Nebelbildung aus dem Boden, und
bieten manche Unzuträgliclrkeiten sogar für den Gesunden. Dem
Lungenkranken muss das ferngehalten werden, und Hohenhonnef
besitzt einen seiner besten klimatischen Vortheile darin, dass es
dank seiner stets trockenen Bodenbeschaffenheit sehr gleichmässige
Tagestemperatur und besonders schöne, niemals feuchte Abende
hat, wie seine Lage überhaupt den Finkelnburg’schen Anforderungen
durchaus entspricht.
Auch die neuerdings viel beredete Veränderlichkeit der Zahl
der rothen Blutkörperchen mit der Meereshöhe — zunehmende Höhe
zunehmende Zahl und umgekehrt, ergiebt keinen Anhalt für die
Annahme specifisch wirkender klimatischer Kräfte, die der Heilung
der Tuberkulose zu Gute kämen. Fast scheint es, als ob selbst die
Richtigkeit der Beobachtung zweifelhaft sei. Grawitz beispielsweise
bestreitet die Neubildung von rothen Blutkörperchen im Gebirge,
weil die mit ihrer Vermehrung, beispielsweise durch Reizung des
Knochenmarks, sonst stets verbundene Leukocytose, Vermehrung
auch der weissen Blutkörperchen fehlt. Ebenso unmöglich sei das
rasche Verschwinden der vermehrten rothen Blutscheiben beim
Uebergang in die Ebene, weil bei massenhaftem Untergange von
rothen Blutkörperchen Anhäufung von Galle in der Leber, Icterus
und Hämoglobinurie eintritt. Hiervon zeigt sich aber nichts, sonst
müsste jede rasche Rückreise aus dem Hochgebirge schwere Krank¬
heitserscheinungen hervorrufen! Geben wir aber einmal die Richtig¬
keit der Beobachtung zu, so handelt es sich um ein Zunehmen der
Zahl der rothen Blutkörperchen, dem nach einigen Autoren allerdings
auch eine Vermehrung des Hämoglobingehaltes entspricht, während
andere — F. Wolff und Koeppe — ausdrücklich die Verminderung
des Hämoglobins betonen. Die nächstliegende Deutung würde dann
dahin gehen, dass es sich um einen Anpassungsvorgang handele,
durch den die Natur das Leben in höheren Regionen erst zu er¬
möglichen sucht. Die Vermehrung der Zahl und damit der Ober-
Digitized by v^ooQle
295
fläche der rothen Blutscheiben würde die Sauerstoff-Aufaahme aus
der dünnem Luft erleichtern, bis in sehr beträchtlichen Höhen die
Einrichtung versagt und der von Jourdanet beschriebene Zustand
der Anoxyhämie auftritt, d. h. ein an schwere Chlorose erinnern¬
der Vorgang; auch die sogen. Bergkrankheit fände hier eine Er¬
klärung. Wie so das nun dem gesunden, oder gar dem tuber¬
kulösen Menschen einen Nutzen bringen soll, ist ganz unerfindlich.
Weit eher könnte man aus diesen Beobachtungen, stets ihre Richtig¬
keit vorausgesetzt, einen schädlichen Einfluss des Gebirgsklimas
ableiten. Denn das Entscheidende im Blute ist nicht Zahl und
Oberfläche der rothen Blutkörperchen, sondern Menge und Güte
des Hämoglobins, welches im Gebirge, wenigstens nach F. Wolff,
sich vermindert. Die Schlussfolgerung wird denn auch in der That
gezogen, dass jeder Gebirgsbewohner, Gesunder oder Kranker,
eigentlich chlorotisch sein oder werden müsste! Nach allen bis¬
herigen Erfahrungen kann eine solche Blutverschlechterung dem
Lungenkranken nur Schaden und Gefahr bringen!
Alle derartige Theorien tragen schon in ihrer Einseitigkeit
den Keim der Schwäche und Unhaltbarkeit. Die blosse Erhebung
über den Meeresspiegel kann doch unmöglich für die hygienisch¬
klimatische Bedeutung eines Ortes in erster Linie entscheiden,
am wenigsten bei Höhenunterschieden von wenigen 100 Metern.
Die geographische Breite, die Art der Erhebung — ob breite Hoch¬
fläche, ob rasch ansteigender Berg, die Lage nach den Himmels¬
richtungen, das Verhältniss zu den herrschenden Winden, die
Bodenbeschaffenheit in ihrer bereits erwähnten hohen Wichtigkeit,
der Pflanzenwuchs, besonders der Wald, die Lage inmitten oder
fern von menschlichen Ansiedelungen und noch viele andere Dinge
wirken in so mannigfacher und entscheidender Weise zusammen,
so dass es geradezu unsinnig erscheint, wenn einer einzelnen Beob¬
achtung, von deren besonderer Wirkung bisher Niemand etwas ge¬
sehen hat, nun gleich die entscheidende Bedeutung beigemessen
wird.
Diese Schwärmer vergessen ganz die aus den Versuchen Paul
Bert’s bekannte Thatsache, dass die Wirkung der Druckvermin¬
derung auf Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung erst
dann physiologisch bemerkbar wird, wenn der Partiardruck des
Sauerstoffs um ein Viertel, also der Luftdruck von 760 mm
auf 570 mm sich vermindert hat, was einer Seehöhe von etwa
2000 m entspricht. Neuere Untersuchungen von A. Loewy erweisen
sogar, dass selbst Verdichtung der Luft bis auf den doppelten
Atmosphärendruck und Verdünnung bis auf den halben Atmosphären¬
druck Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung nicht zu
ändern vermögen! Auch das Verhältniss beider, der respiratorische
Digitized by
Google
296
Quotient, bleibt desshalb constant. Entsprechend berichtet Disird
Charnay, dass er die Indianer am Popocatepetl in der Höhe von
4—5000 m gesund und stark fand, trotzdem die meisten schon seit
20—30 Jahren in diesen Höhen zum Zwecke des Schwefeltransportes
aus dem Gipfelkrater des Berges lebten! Was wollen gegenüber
solchen Thatsachen, die eine Anpassung in ganz überraschend weiten
Grenzen erweisen, die geringfügigen Erhebungen unserer deutschen
Mittelgebirge besagen, und was soll man von Theorien über die
Unterschiede von wenigen hundert Metern in diesen kleinen Ge¬
birgen halten, die auf einseitigen, durchaus nicht einwandfreien
Beobachtungen fussen, und durch die Erfahrung auch nicht die
mindeste Bestätigung finden! Der hygienisch-klimatische Werth
dieser prächtigen und gerade für die Behandlung der Tuberkulose
so werthvollen Landschaften wird doch sicherlich dadurch nicht
gesteigert, dass man ihm Eigenschaften andichtet, die selbst das
Hochgebirge in den in Betracht kommenden Höhen nicht besitzt!
Niemand wird nun behaupten wollen, dass unsere Mittelgebirge
überall gleichwertig als Aufenthalt für den Lungenkranken seien.
Nichts würde unrichtiger sein! Uns fehlen leider bisher eingehende
Beobachtungen und vergleichende Untersuchungen über die Wir¬
kung der Veränderung des Aufenthaltes überhaupt, deren
hohe Wichtigkeit ausser Zweifel ist. Jeder von uns kann das an
sich beobachten, wenn er aus der ermüdenden Berufstätigkeit, aus
dem Einerlei der Arbeit einmal ausspannt Alle Functionen ge¬
winnen bald neue Spannkraft, da sie irgendwie eine mächtige An¬
regung erfahren. Was bei der Veränderung des Aufenthalts wirkt,
gehört, wie so manches andere bei klimatischen und Badekuren,
noch zu den Imponderabilien. Wir können es nicht wägen, nicht
messen, nicht in exacte Formeln bringen, und doch ist die bedeut¬
same Wirkung da. Ein wirksames Heilverfahren gegen die Tuber¬
kulose darf desshalb niemals auf den gewaltigen Vortheil verzichten,
der in dem Herauslösen des Kranken aus den Verhältnissen, unter
denen er krank wurde, liegt. Er soll allen aufregenden, störenden,
ermüdenden Einflüssen seiner gewohnten Umgebung und Lebens¬
weise in Beruf und Familie entzogen, und dafür an einen ruhigen,
behaglichen, mit allen gesundheitlichen Einrichtungen versehenen
Ort versetzt werden. Was das allein zu bedeuten hat, fühlt und
weiss am besten der Kranke; es ist oft rührend, wie er es schildert.
Desshalb bleibt zu Hause trotz anscheinend günstiger Umstände
der Erfolg eine Ausnahme. In den heimischen Verhältnissen ist
eine wirkliche und dauernde Durchführung der nothwendigen
Maximen trotz ihrer scheinbaren Einfachheit fast unmöglich, und
zwar besonders für den Kranken, der dieselben noch nicht aus
eigener Erfahrung kennt, der noch „ungeschult“ ist. Die Anfor-
Digitized by
Google
297
derungen des Berufes, der Familie, der Geselligkeit machen un¬
weigerlich ihren Einfluss geltend, so lange der Kranke ihnen nicht
gänzlich entrückt ist. Es fehlt desshalb die zielbewusste Consequenz
des Thuns und Lassens, die allein den Erfolg gewährleistet und
die fast von selbst sich ergiebt, sobald ein Kurort aufgesucht wird,
wo alle Einrichtungen und Vorkehrungen dem Nutzen und dem Be¬
dürfhiss des Kranken angepasst sind, wo eine feste Tagesordnung
ihn unwillkürlich auf dem richtigen Wege hält.
Das Heilverfahren, wie es in Hohenhonnef durchgeführt wird,
ist schon in diesem Sinne eine klimatische Kur. Es stellt aber
auch ausserdem an die klimatischen Verhältnisse des Ortes, wo der
Lungenleidende behandelt werden soll, eine Reihe von Anforderungen.
Welcher Art dieselben sind, ergiebt sich im Wesentlichen aus den
vorhergehenden Ausführungen. Schon die allgemeine landschaft¬
liche Lage ist nicht gleichgültig. Der Lungenkranke soll monate¬
lang an einem und demselben Orte leben, getrennt von der Heimat
und mit Verzicht auf manche gewohnten Genüsse und Anregungen.
Da hat er wohl ein Recht auf den landschaftlichen Reiz des Ortes,
wo er Genesung sucht. Es gesundet sich angenehmer und leichter
in einer schönen Gegend. Wir haben hier wieder ein Imponderabile,
dessen Werth nicht gering anzuschlagen ist. Auf den grossen
Vortheil einer freien Lage, eines freien Ausblicks in die offene
Landschaft darf und soll man desshalb nicht verzichten.
Man kommt damit fast von selbst auf die Wahl des bewaldeten
Gebirges, welches alle Vorbedingungen am ehesten vereinigt, und
aus mancherlei Gründen der Meeresküste, wenigstens bei uns, vor¬
zuziehen ist. Im Gebirge lassen sich beispielsweise Windschutz,
Schatten, Wege in abgestuften Steigungen und vieles andere sehr
leicht erreichen. Auf die ausschlaggebende Wichtigkeit einer rich¬
tigen Bodenbeschaffenheit ist nochmals hinzuweisen. Der Boden,
auf dem wir leben, bedingt in hohem Maasse auch die Beschaffen¬
heit der Luft, in der wir leben. Dagegen hat es keinen Sinn, in
unseren Mittelgebirgen, zumal in den nördlicher gelegenen, mög¬
lichst hoch hinaufzugehen, weil die dort herrschende Rauhheit und
Unwirthlichkeit des Klimas die Benutzung während des ganzen
Jahres unnöthig erschwert, 'ein Nachtheil, der durch keinen Vor¬
theil ersetzt wird. Die klimatischen Annehmlichkeiten und Vorzüge,
die das Hochgebirge zumal im Winter bietet, werden dort nirgends
erreicht, und auch im Hochgebirge giebt es keine besonderen Heil¬
kräfte gegen die Tuberkulose.
Dagegen erblicken wir in dem Vorhandensein reiner, von
schädlichem Staube freier, gesunder und anregender Luft einen
Heilfactor von solcher Bedeutung, dass er allein an Gewicht alle
andern aufwiegt. Solche Luft muss also in reichlichster Menge
Digitized by
Google
298
vorhanden und ihre reine Beschaffenheit auch dauernd gesichert
sein, nicht bloss für die Gegenwart, sondern auch für absehbare
Zukunft, so dass nicht durch unliebsame Nachbarschaft, die sich
später ansiedelt, verdorben und gestört wird, was Anfangs gut war.
Wie günstig Hohenhonnef in dieser Hinsicht durch Lage und Ein¬
richtung dasteht, ergiebt sich aus der vorstehenden Beschreibung
des Sanatoriums. Die unausgesetzte Einwirkung reiner, stetig er¬
neuerter Luft bei Tag und Nacht, der möglichst ausgedehnte Aufent¬
halt im Freien, je nach Maassgabe der Kräfte des Kranken in Ruhe
oder in Bewegung, also eine vernünftige, dem Zustande des Ein¬
zelnen sorgsam angepasste Freiluftkur erscheint in der That als
ausschlaggebendes Hauptkurmittel. Dass dabei Ueberanstrengungen
jeder Art und Erkältungseinflüsse, rauher Wind, schroffer Tem¬
peraturwechsel, grosse Feuchtigkeit, zu meiden sind, ist selbst¬
redend.
Alle Einrichtungen im und am Hause, sowie in der Umgebung
unserer Anstalt zielen darauf hin, eine solche Dauerluftkur bei
Tag und bei Nacht, im Sommer und im Winter, für den ver¬
schiedensten Kräftezustand unserer Patienten durchzuführen, und
es gelingt vorzüglich. Wesentlich erleichtert wird es durch die
Hallenanlagen mit den Liegesesseln. Nach dem Vorgänge und den
guten Erfahrungen in Falkenstein lassen wir nämlich mit Vorliebe
die Kranken im Freien auf diesen eigens zu dem Zwecke gebauten
Sesseln mit beweglicher Rücklehne liegen — Ruheluftkur.
Diese Art der Kur, welche im Hochsommer ihre Ergänzung durch
Liegen ganz im Freien, im Walde in bequemen Hängematten oder
leicht transportabel Klappstühlen findet, ist für den Kräftezustand
mancher Patienten, sowie überhaupt bei regnerischem oder win¬
digem Wetter die einzige Möglichkeit, mit Behagen dauernd im
Freien zu verweilen, und bewährt sich auch im Winter vorzüglich.
Wir sind mit ihrer Hülfe in der Lage, die meisten Patienten von
früh Morgens bis Abends 10 Uhr unabhängig von Wetter und
Jahreszeit draussen leben zu lassen. Jeder Kranke hat seinen be¬
sonderen Liegesessel, der ihm ausschliesslich zur Verfügung steht.
Auch die Kräftigeren benutzen ihn, namentlich auch zum Aus¬
ruhen nach Spaziergängen. Findige Patienten lernen leicht mit
Benutzung kleiner Vorrichtungen in liegender Lage schreiben,
zeichnen, malen u. dergl.; die Beschäftigung mit Lesen, leichten
Handarbeiten u. dergl. ist natürlich ohne Weiteres bequem möglich.
Die ausgezeichnete Lüftung unserer Patientenzimmer hat die
Einrichtung besonderer Schlafstätten im Walde niemals als wünschens¬
wert nahe gelegt, obwohl es in Hohenhonnef leicht zu machen
wäre. Der- Gedanke ist an sich rationell und fand auch bereits
Ausführung. Solche Schlafstätten eignen sich aber nur fUr den
Digitized by
Google
299
Sommer, also eine kurze Zeit des Jahres, und haben auch manches
Missliche, das gern von ihnen absehen lässt, wenn der Zweck auf
andere Weise ebenso gut erreicht wird.
Der Liegekur schreiben wir auch eine direct therapeutische,
heilende Wirkung zu. In demjenigen Stadium der Krankheit, wo
noch active Reizzustände in der erkrankten Lunge, Fieber oder
Neigung zu Fieber vorhanden sind, bedarf das kranke Organ un¬
bedingt der Ruhe und Schonung. Dazu kommt die Rücksicht auf
das Herz, dessen Kraft und Leistung bei der Tuberkulose, häufig
schon vor ihrem Ausbruche, so sehr oft erheblich herabgemindert
ist, dem namentlich Fieberzustände sehr zusetzen. Mit unüber¬
legter Verordnung von Bergsteigen und Athemübungen ist
in vielen Fällen in bester Absicht oft rechter Schaden angerichtet
worden. Dieser Schaden ist fast unvermeidlich, wenn unerfahrene
Lungenkranke in einen offenen Kurort geschickt werden, wo die
neuen Eindrücke zu Ueberschätzung der eigenen Leistungsfähig¬
keit und entsprechend zu Ueberanstrengungen mit ihren Folgen
geradezu verleiten.
Die Verordnung von Bergsteigen und Athemübungen passt für
ein anderes Stadium der Krankheit, wenn durch Ruhe, Pflege und
Schonung der Kräftezustand gehoben und gleichmässiges Besser¬
befinden eingetreten ist, wenn gleichzeitig der Arzt durch Beob¬
achtung die Eigenart des Patienten besser erkannt hat. Dann
sind sie von hohem Werthe, können durch gewisse lungen¬
gymnastische Uebungen ergänzt werden, und sollen fleissig
und methodisch, aber immer vorsichtig geübt werden, um diejenige
Leistungsfähigkeit wieder zu erreichen, welche zur wirklichen Ge¬
sundheit, zum Wiedereintritt in das Leben, in den Beruf erforder¬
lich ist.
Es ist sonderbar, wie die medicinische Wissenschaft auch auf
dem Specialgebiet der Tuberkulose in Extremen sich bewegt. Als
man anfing sich loszumachen von der Watte- und Flanelltherapie
alter Zeit und einsah, dass der Lungenkranke viel besser gedieh,
wenn er der freien Luft nicht entzogen wurde, konnte man sich
nicht genug thun mit der Empfehlung von Bergsteigen und reich¬
licher Bewegung „Abkilometern der Gegend“. Diese unterschied¬
lose Uebertreibung, welche natürlich mehr schadete als nützte, ist
durch die Erfahrung eigentlich längst auf das richtige Maass zurtick-
geführt. Gleichwohl müssen wir es nun erleben, dass neuerdings
ebenso unterschiedslos ausschliessliche Ruhe, Bewegung höchstens
auf ebenem Wege, als das einzig Richtige angerathen wird! Aber
das Wahre und Richtige hat stets in der Mitte gelegen, und es
für den einzelnen Fall zu finden, ist Sache der individualisirenden
CentraTblatt f. »11g. Geroudheitqpflege. XY. J»brg. 22
Digitized by CnOOQle
300
ärztlichen Kunst, die in solchen Dingen allgemein gültige Regeln,
Schablonen nicht kennt und nicht kennen darf, ohne sich selbst
aufzugeben.
Nun tritt die Frage an uns heran, warum verordnen wir den
Lungenkranken möglichst reichlichen Genuss reiner, frischer Luft,
warum sehen wir Erfolg von dieser Verordnung, ist solche Luft
nun nicht ein Heilmittel gegen die Tuberkulose? Es wird der
Versuch angeführt, dass tuberkulös inficirte Kaninchen ebenso
schnell zu Grunde gingen, wenn sie nach Davos verbracht wurden,
als wenn sie in Berlin blieben, wo man die Infection mit dem
Tuberkelpilz vorgenommen hatte; die Thiere wurden beidemal im
Stalle gehalten. Der Versuch beweist, dass auch in Davos die
Luft nichts enthält, was direct auf den tuberkulösen Process ein¬
wirkt, und da das auch anderswo nach unserer Darlegung nicht
der Fall ist, so kann man in der That die reine Luft ein Heil¬
mittel gegen die Tuberkulose nicht nennen. Aber so ist auch die
Wirkung nicht zu deuten! Andere Versuche werden die Erklärung
geben. Bereits Brown-S4quard impfte Kaninchen mit Tuberkulose,
hielt sie aber dann nicht im engen Stalle, sondern unter möglichst
günstigen äusseren Bedingungen in einem geräumigen Gewahrsam
bei reinlicher, häufig gewechselter Streu, reichlicher Nahrung und
freier Luft: angeblich starb keins. Noch chrakteristischer sind
Versuche, welche ein amerikanischer Specialist Trudeau in Saranac-
Lake, N.-Y. anstellte. Er impfte eine Anzahl gesunder Kaninchen
in gleicher Weise durch Injection einer gleichen Menge einer Auf¬
schwemmung von Tuberkelbacillen in Wasser unter die Haut. Die
Hälfte der Thiere wurde in einem engen Käfig bei schlechter
Nahrung in einem Keller gehalten, die andere Hälfte aber auf
einer Sandinsel im benachbarten See in Freiheit gesetzt. Sie lebten
dort in frischer Luft und Sonnenschein, hatten reichlichstes Futter
und überhaupt alle Bedingungen, welche ein Kaninchenherz freuen
können. Die erste Hälfte der Thiere starben in der gewöhnlichen
Zeit sämmtlich, und zeigten sich durch und durch tuberkulös. Von
der zweiten Hälfte starb dagegen nur eines an Tuberkulose, wäh¬
rend die andern durchaus gesund blieben, und, als sie getödtet
wurden, nirgends irgendwelche Zeichen von Tuberkulose darboten;
sogar der Stich der Injectionsnadel konnte nicht gefunden werden.
Dieser lehrreiche Versuch ist fast in jeder Hinsicht ein Para¬
digma unserer Heilbestrebungen gegen die Tuberkulose. Die ein¬
zelnen Factoren dieser Bestrebungen sind nicht an sich Heilmittel,
also auch die Luft nicht, aber sie alle wirken zusammen, um mög¬
lichst günstige äussere und innere Bedingungen für den Organismus
zu schaffen, die vitale Energie seines Zellenlebens anzuregen, und
ihm dadurch den Sieg über seine Feinde zuzuwenden.
Digitized by
Google
301
So wird auch klar, warum wir auf der unausgesetzten Ein¬
wirkung möglichst reiner, anregender Luft bestehen, und die
dunstige, staubige Luft der Städte für schädlich ansehen. Wie das
klare frische Wasser eines Baches auf den Fisch wirkt, der aus
einer abgestandenen trüben Pfütze sich rettet, so wirkt auch die
reine Luft eines guten Kurortes auf die leidende Lunge, für die
sie nach alter Sprache das „pabulum vitae“ vorstellt.
Der dauernde Aufenthalt im Freien erzweckt gleichzeitig die
Gewöhnung an die Witterungseinfltisse. Unabhängigkeit
wenigstens gegenüber dem gewöhnlichen Wechsel des Wetters —
bei extremem Wetter bleibt man am besten zu Hause — ist für
den Lungenkranken eine hochwichtige Angelegenheit, und als solche
von jeher allgemein anerkannt. Ist auch die Tuberkulose keines¬
wegs eine Erkältungskrankheit, wie man früher wohl annahm,
sondern eine Infectionskrankheit auf Grund einer eigenartig ge¬
schwächten Gesundheitsbreite, so können doch Erkältungseinfltisse
unzweifelhaft Anlass zum Ausbruch und zur Weiterverbreitung des
Krankheitsvorganges werden. Der dauernde Aufenthalt im Freien,
die allmähliche Gewöhnung an den Wetterwechsel ist das unerläss¬
liche Mittel, um zu einer wirklichen Abhärtung zu gelangen,
die wir ja am deutlichsten bei denjenigen Menschen sehen, welche
die Art ihres Berufes reichlich in’s Freie bringt.
Wesentlich unterstützt wird die Abhärtung durch gleichzeitig
angewandte hydrotherapeutische Anwendungen auf die
Haut, Abreibungen, Duschen, Bäder, von welchen regelmässiger,
dem Einzelfall angepasster Gebrauch gemacht wird.
Hier ist auch ein Wort zu sagen über die Bekleidung des
Lungenkranken. Bei diesem muss das oberste Gesetz gesundheifc-
mässiger Bekleidung „genügend warm und doch genügend durch¬
lässig für die Hautausdünstung und den Luftzutritt“ besonders sorg¬
sam durchgeführt werden. Im Allgemeinen soll sich der Lungen¬
kranke nicht zu leicht kleiden, beispielsweise immer Unterzeug
tragen, weil die Energie der Blutbildung bei ihm gewöhnlich herab¬
gemindert ist, und die Wärmeregulirung entsprechend mangelhaft
geschieht. Es werden heutzutage geeignete Stoffe für Unter- und
Oberzeug in reichlicher Auswahl in den Handel gebracht, von
Wolle, Baumwolle, Leinen und Seide. Eine bestimmte, allgemein¬
gültige Regel lässt sich nicht angeben; auch die Frage der Be¬
kleidung enthält ein individuelles Moment. Wenn nach- und neben¬
einander Wolle, Baumwolle und Leinen als alleiniger Heiland an¬
gepriesen werden, so folgt daraus schon, dass man auf verschiedene
Weise zum Ziele gelangen kann. Wer Wolle wählt, ist nicht immer
weise. Ihren Vortheilen stehen ebenso schwere Missstände entgegen,
die Schwierigkeit der Reinigung, das leichte Verfilzen. Man muss
22 *
Digitized by ^.ooQle
302
eine sehr grosse Auswahl an wollenen Sachen haben, und sich ent¬
schlossen, dieselben nur chemisch waschen zu lassen. Da das recht
kostspielig und umständlich ist, so kann man oft genug Unglaubliches
von der Wolle sehen; sie wird leicht das schlechteste Unterzeug,
so dass ihr Baumwolle oder Leinen, oder gemischte Stoffe weit
vorzuziehen sind.
Luftkur und Abhärtung sind die Mittel zur Anregung der
Bluterneuerung. Zur eigentlichen Blutbildung bedürfen sie
als Grundlage und nothwendige Ergänzung der Zufuhr passender
reichlicher Nahrung. Steigerung der Ernährung, und zwar
nicht etwa im Sinne einer blossen Mastkur, ist naturgemäss Grund-
erforderniss eines auf die Hebung der organischen Widerstands¬
fähigkeit hinzielenden Heilverfahrens. Wenn man den Lungen¬
kranken nicht ernähren, seine Stoffwechselvorgänge nicht mit
positiver Bilanz arbeiten lassen kann, vermag man nicht, ihn zu
heilen. Die Zufuhr geeigneter Nahrung muss desshalb ebenso um¬
sichtig und sorgsam systematisch durchgeführt werden wie die Luft¬
kur, die hier in gewissem Sinne nur Mittel zum Zweck ist Wir
kommen beim Lungenkranken am weitesten und erreichen das
Ziel am sichersten, wenn wir möglichst wenig künsteln, von den
hundertfältig erfundenen und angepriesenen künstlichen Nährprä¬
paraten nur im wirklichen Bedarfsfälle Gebrauch machen, dagegen
dem Patienten recht sorgfältig zubereitete, leicht verdauliche Speisen
vorsetzen, wie sie erfahrungsmässig auch dem Gesunden am zu¬
träglichsten sind. Es sollen häufige Mahlzeiten, fünf am Tage, ge¬
reicht werden, und zu Mittag und Abend soll eine gewisse Aus¬
wahl von Speisen vorhanden sein, damit leichter gefunden wird,
was dem Geschmacke des Einzelnen zusagt. Es braucht nicht bei
jeder Mahlzeit oder gar von jedem Gerichte viel gegessen zu werden,
aber es muss regelmässig gegessen werden, keine Mahlzeit darf
überschlagen werden. Die Gewöhnung thut sehr viel. Besonders
werthvoll sind, abgesehen von Fleischspeisen, gewisse Suppen und
Breispeisen, namentlich Reisbrei, den unsere Patienten jeden Abend
erhalten. Richtig gewählte, gemischte Kost bringt den Lungen¬
kranken am besten voran; ihren Nährwerth erst in Calorien um¬
zurechnen, ist überflüssig; regelmässig vorgenommene Wägungen
des Kranken sagen uns in einfachster Weise, ob alles in Ordnung
ist. Natürlich giebt es auch Fälle, wo alle diätetischen Künste
herangezogen werden müssen, um vorwärts zu kommen; auch hierauf
muss man eingerichtet sein.
Kurmässiger Milchgenuss ist in die Ernährungsmethode
regelmässig eingeschlossen, in der Weise, dass namentlich zu den
Zwischenmahlzeiten, Vormittags und Nachmittags, zum zweiten Früh¬
stück und zum Vesperbrod Milch gereicht wird. Selten verordne
Digitized by
Google
303
ich mehr als ein bis höchstens anderthalb Liter Milch täglich, die, da
unser Kuhstall thierärztlich genau überwacht ist, roh oder gekocht,
kalt oder gewärmt getrunken wird, oft mit gewissen Zusätzen, wie
Kalkwasser, Mineralwasser, Cognac, je nachdem sie lieber genommen
oder besser vertragen wird. Mit der Verordnung sehr grosser Mengen
Milch, oder auch schon mit dem Anrathen, möglichst viel Milch
zu trinken, wird häufig Schaden angerichtet, und selbst wenn die
Milch literweise vertragen wird, wie es vorkommt, bleibt diese
immerhin einseitige Ernährung, welche Lust und Fähigkeit zur
Aufnahme anderer Nahrung herabmindert, bezüglich ihrer Zweck¬
mässigkeit zweifelhaft Es ist viel besser, ein massiges Quantum
Milch, das gut vertragen wird, dauernd trinken zu lassen, als durch
grosse Mengen, die fast stets nur zeitweilig verdaut werden, unan¬
genehme Magen- und Darmstörungen zu riskiren.
Für den Lungenkranken ist die Küche die beste Apotheke.
Bei ihm soll man desshalb von Arzneien recht sparsamen Gebrauch
machen. Nicht als ob das Heilverfahren sie ausschlösse oder ihnen
ablehnend gegenüberstände. Im Gegentheil, die gleichzeitige An¬
wendung von unmittelbar auf die KrankheitsVorgänge oder die
Krankheitserreger wirkenden Arzneien würde gewissermaassen das
Ideal der Behandlung der Tuberkulose vorstellen, da man auf
beiden Wegen vereint zum Ziele streben würde. Aber solche Mittel
besitzen wir eben nicht. Es handelt sich also um symptomatische
Arzneien, Fieber-, Husten-, Schlafmittel u. s. w., deren man nicht
entrathen kann, bei denen aber weise Sparsamkeit ein guter Lehr¬
meister ist. Leitsatz sollte sein, alle Arzneien fortlassen, welche
die Magen- und Darmthätigkeit stören.
Eine Zeitlang erfreute sich der Alkohol in Form von Cognac
und Wein einer ganz besonderen Werthschätzung bei der Behand¬
lung der Tuberkulose, die vielfach zu Uebertreibung und Missbrauch
geführt hat. Seine anregende und stärkende Wirkung wird man
in der That immer hochschätzen, auch als Sparmittel bei fieber¬
haftem Verbrauch der Organsubstanz ihn gern anerkennen. Von
einer unmittelbar fieberwidrigen Wirkung dagegen wird nüchterne
Beobachtung nicht viel sehen können. Man muss sich mit der
Thatsache begnügen, dass geistige Getränke in richtigem Maasse
genossen keinesfalls die Blutwärme des fiebernden Kranken erhöhen,
und dass überhaupt ihr mässiger Gebrauch für den Lungen¬
leidenden erfahrungsmässig sehr nützlich ist Wir lassen in Hohen-
honnef regelmässig zum Mittagessen einige Glas nicht zu schweren
Wein trinken — weissen oder rothen Rheinwein, Bordeaux —, zum
Abendessen ebenso oder auch wohl eine halbe Flasche gutes Bier.
Cognac, auch in der gegenwärtig beliebten Form des Eiercognacs,
und starke Weine sind für manche Fälle von fieberhafter Anämie
Digitized by
Google
304
sehr zweckmässig, oft unentbehrlich. Man muss nach Dettweiler’s
Vorgang kleine Mengen vertheilt und wiederholt am Tage nehmen
lassen, jede berauschende Wirkung sorgfältig fernhalten. Zusatz
von einigen Theelöffeln Cognac macht bekanntlich für manche
Kranken die Milch verdaulicher. Neben den gewöhnlichen Süd¬
weinen und Ungarweinen verdient der neuerdings in den Handel
gebrachte Malzwein, unnützerweise „Maltonwein tt genannt, eine
Erwähnung. Leider ist er meist zu süss, weil man ihn, anstatt ein
originelles Product daraus zu machen, surrogatartig dem Tokeyer
oder Sherry annäherte. Er wird aus sehr stark eingekochter Malz¬
maische durch ein besonderes Gährungsverfahren mittels Reincultur
von südlicher Weinhefe dargestellt, und ist also seinem Ursprünge
nach reinlich und zweifelsohne mehr jedenfalls als viele Südweine,
die Stärke und Feuer allzuhäufig nordischem Sprit verdanken.
Wenn die Hersteller des Malzweines auf dauernd zuverlässige
Waare halten, wird er schon seines billigen Preises halber sich ein¬
führen.
Es würde viel zu weit führen, hier und in vielen andern
Punkten, die noch in Betracht kämen, auf Einzelheiten einzugehen.
Mit einigen Worten ist aber noch der Stellung und Thätigkeit des
Arztes in der Anstalt zu gedenken. Sie ist keine leichte. Denn
er muss die Seele des ganzen Getriebes sein, dem seine Persönlich¬
keit das Gepräge giebt. Seine Aufgabe ist, den für den Einzelfall
passenden Heilplan nicht bloss anzurathen, sondern auch praktisch
durchzuführen. Dazu bedarf es milden und geduldigen Eingehens
auf die Eigenart des Kranken, und auch wieder umsichtiger, un¬
beugsamer Energie. Beides zusammen nur führt zum Ziele. So
gewinnt seine Thätigkeit zu der rein ärztlichen auch eine er¬
zieherische Seite, und so sollen die Anstalten die Orte sein, wo der
Kranke nicht nur nach Möglichkeit gesund wird, sondern auch
lernt, wie er gesund bleibt. Die Erfolge einer wirksamen Methode
werden um so schneller, zahlreicher und sicherer eintreten, je inten¬
siver und consequenter sie durchgeführt wird. Desshalb muss die
Stellung des Anstaltsarztes eine solche sein, dass er sämmtliche
den Kranken umgebenden und betreffenden Verhältnisse gleichmässig
und vollständig beherrschen und gestalten kann. Kommt hierzu
Lust und Liebe zur Sache und die nöthige Erfahrung, so wird es
an gedeihlichem Erfolge nicht fehlen. Bloss auf die Heilmethode,
deren Grundzüge im Vorherigen dargelegt wurden, wird sich eine
Heilanstalt fUr Lungenkranke nicht begründen lassen; sie verlangt
als Leiter jemanden, der mit Herz und Kopf sich ihr hingiebt.
Hieraus erklärt sich, warum zwar die einzelnen Anstalten sich
Anerkennung errungen haben, warum aber die Grundidee doch nur
Digitized by
Google
305
sehr langsam durchdringt. Es würde sonst anders aussehen in der
Behandlung der Tuberkulose!
Hohenhonnef als das jüngste Sanatorium für Lungenkranke
muss auch über seine bisherigen Leistungen Auskunft geben.
Dies kann freilich nur mit gewissen Einschränkungen geschehen,
da die Anstalt noch sehr jung an Jahren ist Nimmt man aber die
Zeit der provisorischen Anstalt hinzu, so stehen immerhin die Er¬
fahrungen von fast genau fünf Jahren zu Gebote. In dieser Zeit
wurden im Ganzen aufgenommen 725 Kranke. Von denselben sind
zunächst abzuzählen 72 Patienten, welche noch in Behandlung sind,
und ferner 11, welche entweder nur zur Beobachtung hier waren
oder an anderartigen Krankheiten litten. Die übrigen 642 aber
litten an Lungentuberkulose verschiedener Grade mit und ohne
Complicationen in anderen Organen. Die Diagnose war klinisch
und in den allermeisten Fällen auch bakteriologisch festgestellt.
Jeder meiner Patienten bekommt bei der Entlassung im Kranken¬
buche eine „Censur“, und zwar in der Reihenfolge: Bester Erfolg,
recht guter Erfolg, befriedigender Erfolg, Nichterfolg, Tod. Ich
spreche also zunächst nicht von Heilung, weil hierzu der Verlauf
nach der Heimkehr, die Dauer des Erfolges gehört. Indessen ent¬
sprechen die drei ersten Rubriken den gewöhnlich angewandten
Bezeichnungen Heilung, annähernde Heilung, Besserung. Von den
642 Patienten wurden in diesem Sinne 90 oder 15°/o als „geheilt“,
174 oder ca. 27°/o als „annähernd geheilt“, 176 oder ebenfalls ca.
27 °/o als „gebessert“ entlassen. Bei den übrigen blieb der Erfolg
aus, und zwar fast durchweg, weil das Leiden zu weit vorgeschritten
war, als dass man überhaupt noch Besserung oder Heilung er¬
warten durfte. Diese Ergebnisse, welche insgesammt etwa 69°/o
erfolgreiche Kuren aufweisen, mit einer verhältnissmässig be¬
deutenden Zahl vollständiger, zum Theil überraschender Heil¬
resultate sind sehr erfreulich. Ihre Aufstellung ist möglichst streng
und ohne Voreingenommenheit geschehen; sie stehen den besten
bisher veröffentlichten Statistiken mindestens gleich, und zeigen aufs
Bestimmteste, dass zu einer wirksamen Behandlung der Tuber¬
kulose weder das ferne Hochgebirge, noch der sonnige, freilich
noch mehr staubige Süden nöthig sind, sondern dass das ebenso gut
und viel bequemer auf unsern heimischen Bergen, jedenfalls an den
schönen Ufern des Rheines geschehen kann. Das ist ungemein
tröstlich, wenn wir an die Lungenkranken der armen Klassen
denken, die wir weder ins Hochgebirge noch in den Süden schicken
können, und die wir doch nicht zu Kranken stempeln wollen, denen
das Mindergute immer noch gut genug ist. Alles was aus den
Orten, welchen manche immer noch eine besondere Wirkung auf
die Tuberkulose zuweisen möchten, über starke Anregung des
Digitized by
Google
306
Appetits und entsprechende Gewichtszunahme, rasches Verschwinden
des Fiebers u. s. w. berichten, kann man ganz regelmässig auch
in Hohenhonnef beobachten. Gewichtzunahme bis zu 10 Pfund in
den ersten 14 Tagen sind nicht selten; sehr viele Kranke erreichen
am Schlüsse ihrer Kur ein Gewichtplus von 20, 30 und sogar
40 Pfund. Das rasche Verschwinden des Fiebers, welches zu
Hause oder auch an anderen Kurorten wochen- und monatelang
gedauert hatte, ist sehr häufig, oft ganz überraschend.
Da ich mit den meisten meiner Kranken in Beziehung bleibe,
viele später wiedersehe und zu untersuchen Gelegenheit habe, so
kann ich auch, soweit es die Kürze der verflossenen Zeit erlaubt,
über die Dauer des Erfolgs nach der Rückkehr in die Heimath
ein Urtheil abgeben. Zahlenmässig ist das freilich erst nach längerer
Zeit möglich. Die Dauererfolge sind naturgemäss ganz vorwiegend
aus den beiden ersten erwähnten Rubriken zu suchen. Ich kenne
aber bereits eine erkleckliche Anzahl Hohenhonnefer Patienten,
welche schon seit mehreren Jahren voll und ganz wieder in ihrem
Berufe leben, als Kaufleute, Beamte, Officiere in zum Theil recht
anstrengender Thätigkeit, auch Frauen und Mädchen, welche
durchaus gesund blieben. Es macht immer den Eindruck, dass
die Erfolge, welche in Uebung und Gewöhnung an die wechselnden
Wettereinflüsse des heimischen Klimas erreicht wurden, dauernder
bestehen, als die in fremdartigem Klima gewonnenen, die so häufig
bereits auf der Heimreise durch Rückfälle beeinträchtigt oder zer¬
stört werden.
Der Anstaltsarzt muss alle Kranken aufnehmen, welche zu ihm
kommen oder welche das Vertrauen der Collegen ihm zuweist.
Wählen kann er nur in bescheidenen Grenzen. Eine Statistik,
welche nur die heilbaren Fälle umfasst, ergiebt noch weit günstigere
Resultate. Ich muss die Darlegung derselben einer späteren Zeit
Vorbehalten, kann aber nicht unterlassen zu erwähnen, dass nach
meiner Ueberzeugung der weitaus grösste Theil der frischen und
leichteren Fälle geheilt, wirklich und dauernd geheilt werden kann!
Allein man soll nicht als Schönredner erscheinen, und desshalb
muss in die Freude Uber so erfreuliche Erfolge bei der bösesten
Krankheit der Kulturmenschheit ein Tröpfchen Bitterniss fallen.
Seit wir wissen, dass die Tuberkulose heilbar ist — die Heilung
ist, wie wir sahen, nur ein Erlöschen des Krankheitsprocesses, nicht
eine völlige restitutio in integrum, ist sie durchaus keine leicht
heilbare Krankheit geworden. Dies kann nicht genug betont
werden! Man darf von dem hygienisch-diätetischen Heilverfahren
nicht zu viel, nicht das Unmögliche erwarten. Die Tuberkulose
ist auch in den leichtesten und einfachsten Fällen ein ernst und
schwer zu nehmendes Leiden, dessen Beseitigung unermüdliche
Digitized by
Google
307
Geduld und Ausdauer vom Kranken und auch vom Arzte erfordert
Gerade weil constitutioneile Vorbedingungen die hochwichtige Vor¬
aussetzung für die Infection bilden, trotzt die Krankheit oftmals in
scheinbar gutartigen Fällen allen Bemühungen, und in schweren,
verschleppten Fällen ist die Einsicht in den Zusammenhang dann
ein übler Trost für den Kranken. Wir müssen die Tuber¬
kulose im frühesten Beginne so behandeln, wie es
bisher meist nur im späteren Verlaufe oder am trau¬
rigen Ende geschieht! Und gerade die Anfänge der Krank¬
heit sollten stets den Anstalten überwiesen werden! Für sie sind
die Sanatorien, die Heilanstalten gebaut, die Orte, wo man in
ernster und gründlicher Kur am sichersten gesund wird, und zu¬
gleich lernt, wie man gesund bleibt Denn nicht immer aus Leicht¬
sinn, sondern ebenso oft aus Unerfahrenheit versäumt der be¬
ginnende Lungenkranke das richtige Verfahren und damit die
Heilung. Gerade diese Kranken bedürfen am meisten der An¬
leitung und Erziehung, des unmittelbaren Anhaltes am Arzte, der
über den Ernst der Sache wie über die Aussicht der Heilung be¬
lehrt, stets aber die Nothwendigkeit der eigenen Mitwirkung betont,
das Gefühl der eigenen Verantwortlichkeit beim Patienten wachhält.
Auf dem Gebiete der möglichst frühzeitigen Erkennung der
Tuberkulose ist noch sehr viel zu arbeiten und zu erreichen, und
zwar nicht nur durch den Nachweis des Tuberkelpilzes, der
immer schon sehr deutliche Veränderungen voraussetzen lässt. Es
giebt leider immer noch Aerzte, welche von Tuberkulose erst
sprechen, wenn sämmtliclie klinische Nachweise zu führen sind.
Dann aber ist es vielfach schon zu spät für die Heilung, und in
mancher Hinsicht hat die Entdeckung des Tuberkelbacillus nicht
segensreich gewirkt. Man muss nicht immer auf handgreifliche
Thatsachen warten, um eine sichere Diagnose zu stellen! Wenn
man den Pilz nicht findet, darf man durchaus noch nicht schliessen,
dass nun keine Tuberkulose vorhanden wäre. Man lese nur nach,
was ein so erfahrener Kenner wie Penzoldt in seinem vortrefflichen
Werke darüber sagt. Vielleicht gelangen wir durch die Vermitt¬
lung von Röntgend neuen Strahlen zu einem neuen Hülfsmittel
früher Erkennung dieser Krankheit. Gründliche Versuche sollten
gemacht werden.
In der möglichst frühzeitig eingeleiteten, und gründlich, d. h.
monatelang durchgeführten Anwendung des einzigen, bei der Tuber¬
kulose bisher bewährten Heilverfahrens liegt die nächste Zukunft einer
wirklich erfolgreichen Behandlung dieses Leidens ausschliesslich.
Auch schwere Fälle können ja heilen, und heilen oft wider Erwarten.
Aber im Allgemeinen werden wir auch mit diesem Heilverfahren in
rascher Stufenfolge um so ohnmächtiger, je länger das Lungenleiden
Digitized by
Google
308
gedauert hat, je weiter es sich ausgebreitet hat. Wenn die modernste
Medicin bei einer verhältnissmässig einfachen, acuten Krankheit,
der Diphtherie, die Anwendung eines als specifisch angesprochenen
Heilmittels möglichst am ersten Tage mit Recht verlangt, so kann
es nicht unbillig erscheinen, wenn wir für eine sehr verwickelte,
chronische Krankheit mit Nachdruck Entsprechendes fordern. Die
möglichst frühzeitige Anwendung unseres Heilverfahrens wird sicher¬
lich niemals schaden, sondern nur nützen und eine strenggenommen
vielleicht einmal unnötigerweise unternommene Kur wird immer
noch lehrreiche Erinnerungen hinterlassen. Wenn dieser Forderung
Genüge geschehen ist, werden wir über die Heilbarkeit der Tuber¬
kulose anders denken lernen, und der in der Tiefe der Geister
schlummernde Unglaube, das Haupthinderniss des Fortschritts, wird
endlich überwunden sein. Nur dann werden die Volksheilstätten,
deren Errichtung man jetzt endlich allerorts ins Werk setzt, den
Erwartungen, die man an sie knüpft, entsprechen und die Hoffnung
erfüllen, dass wir durch sie in geduldigem, zielbewusstem Kampfe
die Geissei der modernen Menschheit, die Tuberkulose, allmählich
besiegen werden.
Soldaten - Selbstmorde.
Von
Dr. med. A. Pröbsting in Köln.
Durch eine grosse Anzahl von Zeitungen ging vor Kurzem
die hocherfreuliche Mittheilung, dass in der preussischen Armee
die Zahl der Selbstmorde in den letzten Jahren ganz erheblich ab¬
genommen habe. Da diese Abnahme sich hauptsächlich seit Ein¬
führung der zweijährigen Dienstzeit bemerklich macht, so gehen
wir sicher wohl nicht fehl, wenn wir die Verminderung der Soldaten¬
selbstmorde zum guten Theil auf die Erleichterung der Wehrpflicht,
wie sie durch die zweijährige Dienstzeit bedingt ist, zurückführen.
In den letzten Tagen ist das Capitel der Soldaten-Selbstmorde
auch wieder im Reichstage erörtert worden, und so mag es wohl
von Interesse sein, einen kurzen Blick auf die Häufigkeit und die
Gründe der Selbstmorde in den einzelnen europäischen Armeen zu
werfen.
Obenan in der Häufigkeitsskala der Soldaten-Selbstmorde steht
die österreichische Armee. Von 1870 — 74 kamen hier 89,
Digitized by v^ooQle
309
von 1875—80 112 und von 1881—87 131 Selbstmorde auf 100000
Mann; ausserdem kommen noch durchschnittlich 40 Selbstmord¬
versuche auf 100000 Mann. Die Selbstmorde machen etwa V§ der
Gesammtsterblichkeit des österreichischen Heeres aus!
An zweiter Stelle steht leider die deutsche Armee. Von
1867—75 kamen 57, von 1875—78 61, von 1878-88 67 und 1890
64 Selbstmorde auf 100 000 Mann. Von Seldstmordversuchen
kommen etwa 10 auf 100 000 bei den deutschen Soldaten vor.
In der preussischen Armee kamen von 1876—90 im Durch¬
schnitt 60,7 Selbstmorde auf 100 000 Mann. Seither ist nun eine
ganz erhebliche und dauernde Abnahme zu constatiren. Die Durch¬
schnittszahlen betrugen nämlich für 1891 53,3, 1892 52,8, 1893 47,6,
1894 43,9 und 1895 42,2 auf 100 000 Mann.
Auch im französischen Heere macht sich eine erhebliche
Abnahme der Selbstmorde bemerklich. Von 1862—69 zählte man 47,
von 1872—89 nur 29 Selbstmorde auf 100 000 Mann. Sehr viel
zahlreicher sind dagegen die Selbstentleibungen bei den französischen
Truppen in Algier; dort kamen von 1872—79 63 Selbstmorde auf
100 000 Mann.
Ganz ähnlich steht es bei den englischen Truppen. Während
in England selbst von 1882—1888 23 Selbstmorde auf 100000 Mann
gezählt wurden, war die Häufigkeit derselben bei den englischen
Soldaten in Indien mehr als doppelt so gross, nämlich 48 auf
100 000 Mann.
Die belgische Armee zählte von 1875—88 24, die russische
von 1873—1889 20, die spanische 14, die italienische 40
Selbstmorde auf 100000 Mann.
In den früheren Heereskörpern, die sich durch Werbung
recrutirten, waren es die alten Soldaten, die das Hauptcontingent
der Selbstmörder ausmachten, und im englischen Heere ist es auch
heute noch so. In Frankreich, Italien, Deutschland und ganz be¬
sonders in Oesterreich sind es dahingegen hauptsächlich die Re¬
kruten in den ersten Monaten, welche die meisten Selbstmorde
begehen. Bei den Unterofficieren kommen verhältnissmässig viel
mehr Selbstmorde vor, als bei den Gemeinen, und zwar etwa drei¬
mal so viel. Auch die einzelnen Waffengattungen zeigen grosse
Unterschiede in der Häufigkeit der Selbstmorde; die meisten er¬
eignen sich bei der Cavallerie und dem Train, die wenigsten bei
den Pionieren. Unter den militärischen Sträflingen in Festungen
u. s. w. ist der Selbstmord selten, sehr zahlreich sind dahingegen
die Selbstendeibungen bei den Soldaten im Arrest und in Unter¬
suchungshaft.
Was die Art der Selbsttödtung angeht, so entleiben sich die
meisten militärischen Selbstmörder, etwa die Hälfte, durch einen
Digitized by
Google
310
Schuss, und zwar fast immer durch einen Schuss in den Kopf.
Nur bei den eingeborenen algerischen Soldaten ist der Schuss in
die Brust weitaus am häufigsten, da sich bei den Arabern an die
Verstümmelung des Kopfes eine entehrende Vorstellung knüpft
Nach dem Erschiessen sind Aufhängen und Ertränken die häufigsten
Todesarten.
Wenn wir nun die veranlassenden Ursachen der Selbstmorde
betrachten, so ist an allererster Stelle die Furcht vor Strafe zu
nennen, die in Oesterreich und Deutschland etwa Vs, in Frank¬
reich Vs und in Italien Vt der Selbstmorde veranlasst. Leidenschaft
ist in Frankreich (Vs) und in Italien (V7) viel häufiger Grund zum
Selbstmord wie in Oesterreich und Deutschland. Geistesstörungen
bilden fiir V5—V12 der Soldaten-Selbstmorde das veranlassende
Motiv. Bei der österreichischen Armee ist der Widerwille gegen
den militärischen Dienst eine der Hauptursachen des Selbstmordes
bei den Soldaten; etwa 1 la der Selbstentleibungen ist auf diesen
Grund zurtickzufehren, in den anderen Armeen und ganz besonders
in Deutschland spielt dieser Grund eine viel geringere Rolle. Wenn
man auch zugeben muss, dass Quälereien und schlechte Behandlung
seitens der Vorgesetzten zuweilen einen Soldaten zum Selbstmorde
treiben, so ist dies doch sicherlich viel seltener der Fall, als viel¬
fach angenommen und behauptet wird. Das geht schon aus der
ungleich höheren Selbstmordziffer der Unterofficiere hervor, denn
gerade diese letzteren werden vorzugsweise für die Soldaten¬
schindereien und für die dadurch hervorgerufenen Selbstmorde der
Untergebenen verantwortlich gemacht. Auch Misshandlungen der
Rekruten von Seiten der älteren Soldaten dürften wohl nur in ganz
seltenen Fällen zum Selbstmord der Misshandelten führen.
Eine höchst auffallende Erscheinung ist die, dass die Zahl der
Selbstmorde in gewisser Weise von der Jahreszeit abhängt; das
Maximum feilt auf den Sommer, das Minimum auf den Winter;
dieselbe Erscheinung zeigt sich jedoch auch bei der Civilbevölkerung.
Von ganz hervorragender Bedeutung ist das Beispiel: der Selbst¬
mord wirkt ansteckend, und es ist durchaus nicht selten, dass in
einem Regiment mehrere Selbstmorde rasch auf einander folgen.
So kamen in einem österreichischen Regiment 9 Selbstmorde und
1 Selbstmordversuch in einem Jahre vor.
Man hört und liest sehr oft die Behauptung, dass die Zahl der
Selbstmorde bei den Soldaten sehr viel höher sei, als die bei der
übrigen Bevölkerung, und man hat hieraus die schwersten Anklagen
gegen die Heeresverwaltung, ja gegen unser ganzes Wehrsystem
erhoben. Diese Behauptung ist indessen im Allgemeinen nicht
richtig. Vergleichen wir dieselben Altersstufen beim Militär und
bei der Civilbevölkerung, so finden wir in den meisten Staaten an-
Digitized by
Google
311
nähernd die gleichen Zahlen. Nur in Italien sind die Selbstmorde
bei den Soldaten sehr viel zahlreicher wie bei der gleichaltrigen
Civilbevölkerung. Ein gleiches Verhältniss bestand früher auch in
Frankreich; jetzt ist dort der Unterschied nur ein ganz geringer.
Für Preussen stellte sich nach Hegar im Jahre 1885 die Zahl der
Selbstmörder in den einzelnen Lebensaltern folgendermaassen:
15—20 Jahren
18,1
Männer und
8,2 Weiber,
20—30 „
33,7
9
n
10,4
n
30-40 „
41,6
n
n
10,9
n
40-50 „
68,3
9
9
11,8
»
50-60 „
92,1
9
9
17,2
9
60—70 „
97,5
n
n
24,3
9
70-80 ,
90,1
n
»
14,3
9
80 u. mehr „
92,4
T)
9
17,6
I, auf 100000.
Der Unterschied ist also,
wie
man sieht, für Preussen in den
bezüglichen Altersclassen
bei
der
Militär-
■ und
Civilbevölkerung
nur unbedeutend. Dazu kommt noch, dass im Allgemeinen die Un¬
verheirateten, und mit solchen haben wir es ja bei den Soldaten
fast ausschliesslich zu thun, erheblich mehr zum Selbstmord neigen,
als die Verheiratheten. Setzen wir die Verhältnisszahl der ver-
heiratheten männlichen Selbstmörder = 100, so ist die Zahl für
die Ledigen in Frankreich 111, in Italien 120, in Württemberg
etwa 150. (Morselli.)
Digitized by ^.ooQle
312
Kleinere Mittheilungen.
Uebersicht
der Städte der Rheinproyinz, Westfalen und Hessen-Nassau mit
20 000 Einwohnern und mehr, der Regierungsbezirke dieser Pro¬
vinzen und der Staaten und Landestheile des Deutschen Reiches,
nach der vorläufigen Ermittelung der Zählung vom 2. Deoember
1895, verglichen mit der Bevölkerung von 1890.
Namen der
a) Städte.
Ortsan?
1895 |
resende
1890
Fünfjährige
Zunahme,
Personen
m
ijli
S|Js
a) Städte.
Köln.
321548
281 681
39 867
2,64
Bonn.
44 560
89 805
4 755
2,25
Mülheim &. Rhein ....
36000
30 996
5004
2,99
Düsseldorf.
176024
144642
31382
3,91
Elberfeld.
139168
125899
13 269
2,0
Barmen.
127 002
116 144
10 858
1,79
Crefeld.
107 278
105 376
1902
0,36
Essen.
96163
78 706
17 457
3,99
Duisburg.
70287
59 285
11002
3,40
München-Gladbach ....
53666
49 628
4038
1,56
Remscheid.
47285
41715
5 570
2,50
Solingen.
40 843
36540
4303
2,22
Mülheim a. d. Ruhr ....
31431
27 903
3 528
2,38
Oberhausen.
30 099
26830
8269
2,30
Rheydt.
30161
25 249
4912
3,55
Neuss.
25 032
22 635
2397
2,01
Viersen..
22 803
22198
605
0,54
Wesel..
22 258
20 724
1534
1,43
Coblenz.
39 642
37 273
2 369
1,23
Trier.
39 993
36166
3827
2,01
Malstatt-Burbach.
23 675
18 378
5 297
5,04
Aachen.
110489
103470
7 019
1,31
Düren.. .
24 536
21731
2 805
2,43
Münster.
57 018
49340
7 678
2,89
Recklinghausen.
20638
14 041
6 597
7,61
Bielefeld.
47 461
39 950
7 511
3,44
Minden.
22321
20223
2098
1,97
Herford.
21572
19255
2 317
2,27
Dortmund.
111285
89663
21572
4,30
Bochum.
53788
47 618
6170
2,44
Hagen i. W.
41826
35 428
6 398
3,31
Geilenkirchen.
31582
28 057
3 525
2,36
Witten.
28 773
26 310
2463
1,79
Hamm.
28 592
24 969
3 623
2,71
Iserlohn.
24 720
22117
2 603
2,22
Lüdenscheid .
21264
19 457
1807
1,78
Digitized by
Google
313
Namen der
b) Regierungsbezirke,
c) Staaten und Landestheile.
Ortsanwesende
1895 I 1890
Fünfjährige
Zunahme,
Personen
lif
«H
»ul
b) Regierungsbezirke.
Köln.
905 506
827 074
78432
1,81
Düsseldorf.
2 191462
1973115
218 347
2,10
Coblenz.
650 536
633 638
16898
0,53
Trier.
768 537
711998
56 539
1,53
Aachen.
590 038
564 566
25 472
0,88
Münster.
594469
536 241
58 228
2,06
Minden.
586 011
549 709
36 302
1,28
Arnsberg.
1 519 770
1342 711
177 059
2,47
Wiesbaden.
906176
893438
62 738
1,43
Kassel.
850370
821001
29 377
0,70
c) Staaten und Landes¬
theile.
Königreich Preussen . . .
31849 795
29 957 367
1892 428
1,22
„ Bayern ....
5 797 414
5 594982
„ Sachsen ....
3 783 014
3 502 682
1,54
„ Württemberg . .
2080 898
2 036 522
44376
Gr.-Hzth. Baden.
1725 470
1657 867
„ Hessen.
1039 388
992883
46 505
„ Mecklenburg-
Schwerin . . .
596 883
578 342
18 541
0,68
„ Sachsen-Weimar .
338 887
326 091
12796
0,77
„ Mecklenburg-
Strelitz ....
101513
97 978
3 535
0,71
„ Oldenburg . . .
373 739
354 968
18771
1,03
Herzogth. Braunschweig . .
433986
403 773
1,44
„ Sachsen-Meiningen
234 005
223 832
Bult ll
„ Sachsen-Altenburg
180 012
170 864
9148
„ Sachsen-Coburg-
Gotha ....
216 624
206 513
„ Anhalt.
293 123
271 963
21160
1,50
Fürstenth. Schwarzburg-
Sondershausen .
78 248
75 510
2 738
0,71
„ Schwarzburg-
Rudolstadt . .
88 590
85 863
2727
„ Waldeck ....
57 782
57 281
501
Hü
„ Reuss altere Linie
67 454
62 754
4 700
1,44
„ Reuss jüngere Linie
131469
119 811
11658
1,86
„ Schaumburg-Lippe
41224
39 163
2061
„ Lippe-Detmold
134617
128 495
6122
BiBjfej
Lübeck.
83324
76 485
6 839
1,71
Bremen.
196 278
180443
15 835
1,68
Hamburg.
681 632
622530
59102
1,81
Reichsland Elsass-Lothringen
1641222
1603 506
37 716
0,46
Zusammen Deutsches Reich
52 246589
49 428470
2818119
Digitized by
Google
314
Die 36. Jahresversammlung des Deutschen Vereins von Gas-
und Wasserfachmännern fand vom 16. bis 19. Juni d. J. in Berlin
statt. Von hygienischem Interesse waren Vorträge der Herren Grahn,
Smreker, Lindley und Giebeler. Ingenieur E. Grahn sprach über
Deutschlands Wasserversorgung und deren Entwickelung seit
1870. Während damals nur wenige deutsche Städte mit centraler
Wasserversorgung ausgestattet waren, betrug die Zahl dieser Städte und
Städtchen im Jahre 1893 bereits 621. Auch in den jüngsten Jahren
vermehrt sich diese Zahl, oft in Verbindung mit Elektricitätswerken,
beständig. Mit der Vergrösserung der Anzahl hielt die Verbesserung
der technischen Mittel gleichen Schritt, so dass die deutschen Wasser¬
werkanlagen jeden Vergleich mit ausländischen bestehen können. Be¬
sonders bedeutsame Anlagen weist die Wasserversorgung des rheinisch¬
westfälischen Industriegebietes auf, welche der Redner näher beschrieb.
O. Smreker theilt Versuche und Erfahrungen mit über den Einfluss
von Wassergewinnungsanlagen auf die Bodenfeuchtig¬
keit. Nach Erörterung der Vorgänge im Boden in Folge der Wasser¬
entnahme, der Einwirkung des Grundwassers auf den Pflanzenwuchs,
sowie der Verfahren zur Bestimmung der Bodenfeuchtigkeit und ihrer
Ergebnisse gelangte der Vortragende zu dem Schlüsse, dass ein nach¬
theiliger Einfluss der Absenkung des Grundwasserspiegels auf den
Pflanzenwuchs nicht nachweisbar sei. Demgegenüber glaubt Herr
W. Lindley doch auch Fälle feststellen zu können, wo unter bestimmten
Verhältnissen eine Schädigung der Vegetation abgeleitet werden müsse.
Die'Frage erschien nicht spruchreif; weitere Erfahrungen und Beobach¬
tungen sind zur Klärung derselben nöthig. Oberingenieur W. Lindley
berichtete über die Arbeiten der Commission für Wassermesser-Nor¬
malien. Die Arbeiten beziehen sich auf die Eintheilung der Wasser¬
messer nach ihrer Durchlassfähigkeit, die Feststellung von Normal¬
abmessungen und die Aichung. Die Commission macht bestimmte Vor¬
schläge für Normal Vorschriften über Baulänge, Verschraubung, lichte
Rohrweite, Zifferblätter u. s. w.; sie empfiehlt, von einer amtlichen
Aichung der Wassermesser abzusehen, vielmehr dieselben in bisheriger
Weise mittels eigener, unter der Verwaltung des Wasserwerkes stehen¬
der Station zu prüfen. Die Anträge der Commission wurden zum Be¬
schluss erhoben. Ingenieur G iebe 1 er sprach über einige älteste
Wasserleitungen und deren Beziehung zu neuesten. Von
den Alten haben nicht nur die Römer und Griechen Wasserleitungen
besessen; der Redner beschrieb eine noch im Betriebe befindliche
70 Kilometer lange Wasserleitung im Kaukasus, welche nach den In¬
schriften etwa 700 vor Chr. Geb. angelegt wurde, sowie eine antike
Wasserleitung in Syrien. Er erwähnte ferner die Leitungen, Rohr¬
verbindungen und Wassermesseinrichtungen der Römer und Mauren.
Die Verwandtschaft römischer und arabischer Wassermesser mit einigen
Digitized by
Google
315
modernen Einrichtungen, welche neu erfunden worden sind, ist auf¬
fallend. Vielleicht werden auch in Zukunft wiederum Rohre aus Thon
Verwendung finden, allerdings nicht in der antiken Art, sondern in
der Form des modernen Aluminiums. J. St.
Eine neue Kölner Polizei Verordnung über die Hausentwftsserungs-
anlagen. Eine unterm 11. April d. J. von der städtischen Polizei¬
verwaltung zu Köln erlassene neue Polizeiverordnung über die Ent¬
wässerung der behauten Grundstücke enthält verschiedene Vorschriften,
die auch über den Geltungsbereich der Polizeiverordnung hinaus von
Interesse sein werden. Als Material der Leitungen sind nur innen
und aussen mit Asphaltfirniss überzogene Eisen-, hartgebrannte, innen
und aussen glasirte Thonrohre, Blei- und Zinkrohre zugelassen, Zink¬
rohre jedoch nur zur oberirdischen Ableitung von Hegenwasser und zu
Entlüftungsleitungen, in beiden Fällen aber nur ausserhalb der Gebäude;
die Polizeiverwaltung ist aber berechtigt, den Fortschritten der Technik
entsprechend auch anderes Material zuzulassen. Während die meisten
neueren Polizeivorschriften der Verwendung von Thonrohren nicht günstig
gegenüberstehen und namentlich im Innern der Gebäude vielfach nur
Eisen- und bei geringeren Weiten Bleirohre zulassen, lässt die Kölner
Verordnung Eisen- und Thonrohre im Allgemeinen gleichmässig zu,
namentlich auch im Innern der Gebäude. Nur in einzelnen Fällen,
wo eine ganz besondere Widerstandsfähigkeit gegen Druck oder Stoss
gefordert werden musste, sind Eisenrohre vorgeschrieben (bei Sohl¬
leitungen, die frei aufgehängt sind oder an den Wänden frei oder
flach unter der Oberfläche mit weniger als 50 cm Deckung oder in
aufgefülltem Boden liegen, der Senkungen befürchten lässt, ferner bei
den Theilen der Leitung, die z. B. bei Hochwasser, aus dem Canal unter
Rückstau kommen können. Den, wie oft in anderen Städten, so auch
bislang in Köln für das Tiefgebiet geforderten selbstthätig wirkenden
Rückstauverschluss hat man fallen lassen. Bei mangelhafter
Reinhaltung erfüllt er seinen Zweck bekanntlich oft nicht, und man
hielt durch die Verwendung von Eisenrohren, durch Vorschriften
über eine besonders sorgfältige Dichtung derselben, endlich durch das
Verbot von Einläufen im Gebiete des Rückstaues eine genügende
Sicherheit gegen das Eindringen des Hochwassers aus dem Canal für
gegeben. Nach dem Vorgänge anderer Städte ist ferner der Haupt-
geruchverschluss jetzt auch für Köln aufgegeben worden.
Zum Theil neue Bestimmungen finden sich über die Lüftung
der Leitungen. Die Vorschrift, dass jedes Fallrohr in gleicher Weite
Über Dach emporgeführt werden muss, ist auch für Köln wiederholt;
aber es ist eine Ausnahme zugelassen. Befindet sich an einem Fall¬
rohr nur ein Einlauf, so kann, wenn der Emporführung des Fallrohres
Centralblatt f. »Hg. Gesundheitspflege. XV. J»hrg. 23
Digitized by ^.ooQle
316
besondere bauliche Schwierigkeiten entgegenstehen, davon Abstand ge¬
nommen werden, sofern der Einlauf in geeigneter Weise verschlossen
werden kann. Diese Ausnahme erschien unbedenklich und im Interesse
namentlich der vielen kleineren Hausbesitzer geboten, denen die Empor¬
führung des Fallrohres unter solchen Umständen oft erhebliche, in
keinem Verhältnisse zu dem etwaigen Vortheile stehende Ausgaben machen
würde. Wohl alle neueren Verordnungen schreiben noch ein beson¬
deres Entlüftungsrohr ftir die Geruchverschlüsse ftir den Fall vor, dass
in ein Fallrohr Anschlüsse von mehr als zwei Geschossen münden.
Auch für Köln bestand eine solche Vorschrift, war aber dort ver¬
schiedentlich als auf rein theoretischen Erwägungen beruhend und
praktisch zwecklos bezeichnet, weil ein Leersaugen und Brechen der
Geruchverschlüsse, zu deren Verhütung das besondere Entlüftungsrohr
bestimmt ist, auch ohne dasselbe nicht einträte. Umfangreiche, an der
Wirklichkeit entsprechenden Modellen von der städtischen Polizeiver¬
waltung angestellte Versuche ergaben nun allerdings, dass, wenn die
Anlage gewissen Bedingungen entspricht, das besondere Entlüftungsrohr
in der That überflüssig ist, und führten zu einer Bestimmung, wonach,
wenn das Fallrohr senkrecht geführt ist und es ausserdem in dem
Falle, dass es zur Ableitung auch von Regenwasser bestimmt ist, eine
lichte Weite von mindestens 100 mm hat, das besondere Entlüftungs¬
rohr — vorbehaltlich besonderer Bestimmungen bei Abführung von
Wasser, das in kurzer Zeit in besonders grossen Mengen abfliesst,
z. B. aus Badeeinrichtungen, hydraulischen Betrieben — für diejenigen
Geruchverschlüsse fortfällt, die den sämmtlichen nachfolgenden Be¬
dingungen entsprechen, nämlich wenn:
a) der Geruchverschluss unmittelbar unter dem Einlauf angebracht
und ohne Zwischenstück an die Abzweige der Fallrohre an¬
gebracht ist;
b) die Tiefe des Wasserverschlusses in dem Geruch Verschluss min¬
destens 100 mm beträgt;
c) die lichte Weite des Fallrohres grösser ist als die des Geruchver¬
schlusses und bei einem Geruchverschluss von 40 mm lichter
Weite mindestens 50 mm, bei einem Geruchverschluss von 50 mm
lichter Weite mindestens 65 mm beträgt;
d) die Oeflnungen des Siebes in dem Einlauf über dem Geruch¬
verschluss zusammen nicht mehr als die Hälfte des freien Quer¬
schnittes des Geruchverschlusses betragen. —
Gegenüber anderen Polizeiverordnungen, welche eine Anzeige
an die Polizeibehörde von dem Beginn der Ansführung und von
der Vollendung der Entwässerungsanlagen verlangen, kennt die neue
Kölner Verordnung nur eine Anzeige und verlangt sie in einem anderen
Zeitpunkt, den der bevorstehenden Verdeckung der nicht frei liegenden
Theile der Anlage. Zwischen dem Eingänge der Anzeige und dem
Digitized by
Google
317
Beginne der Verdeckungsarbeiten müssen mindestens zwei Arbeitstage
liegen. Diese Vorschrift will eine der Polizeibehörde sonst so gut wie
ganz unmögliche Prüfung dieser Theile der Anlage möglich machen,
da diese Theile erfahrungsgemäss oft in höchst ungenügender Weise
ausgeführt werden.
Die Thfitigkeit des Berliner Vereins für Volksbäder (Berlin
bei Julius Springer, 1896) ist Gegenstand einer Veröffentlichung bei
Gelegenheit der diesjährigen Berliner Gewerbe-Ausstellung. Die Ver¬
öffentlichung enthält zunächst einen Vortrag des Prof. Dr. Lassar über
das Volksbad und seine hygienische Bedeutung, insbesondere über das
Volksbrausebad auf der genannten Ausstellung. „Jedem Deutschen
wöchentlich ein Bad“ ist der Leitsatz des Vortragenden. Es folgen
die technischen Erläuterungen des durch Zeichnungen dargestellten
Brausebades der Ausstellung, verfasst von den Erbauern, nämlich den
Regierungsbaumeistern Solf und Wichards und den Ingenieuren Börner
und Herzberg. Geheimrath Dr. Adolf Abraham berichtet dann über
das Brausebad in den Berliner Gemeindeschulen, der Schatzmeister
V. Weisbach endlich über die Leistungen des Berliner Vereins für
Volksbäder in der Stadt Berlin. Bis jetzt sind zwei grössere Bade¬
anstalten errichtet, zu welchen der Magistrat ausser den Baustellen
eine namhafte Summe als Baukapital hergegeben hat. Die Verträge,
die Verwaltungs- und Rechnungsformulare werden mit den bisherigen,
auch wirtschaftlich befriedigenden Ergebnissen mitgetheilt. Möge die
Schrift ihren Zweck, zur Nachahmung anzuregen und besonders auch
in kleineren Orten die Erfüllung des Badebedürfnisses zu verallgemeinern,
in vollem Umfange erreichen, J. St.
Oeffentliche Badeanstalten in Köln. 1. April 1894 bis 31. März
1895.
a) Das Hohenstaufenbad wurde frequentirt:
Schwimmbad für Herren 114 278 gegen 116 554 im Vorjahre,
* * » 38162 „ 39 689 „
Volksbadehallen 72 295 „ 71116 „ „
Wannen- und sonstige Bäder 80 796 „ 87 533 „ „
Zusammen 305 531 gegen 314892 im Voijahre.
Im Durchschnitt täglich 849 gegen 875 im Voijahre.
Die Einnahmen betrugen 128 168 Mk.
Die Angaben betrugen 119 759 „
Der schwächere Besuch der Anstalt gegen das Voijahr wird auf
die Ungunst des nassen Sommers und des strengen Winters zurück¬
geführt.
23*
Digitized by ^.ooQle
318
b) Im Volksbad ist nachstehender Besuch nachgewiesen:
Die Wannenbäder I. CI. 7 754 (5 728 im Vorjahre),
• » n. „ 38883 (32513 „ * ),
„ Brausebäder I. „ 3 555 (3 004 „ „ ),
. - H. , 31966 (81847 „ „ ),
Zusammen 77158 (73122 im Voijahre).
Täglicher Durchschnitt 214 (203 im Vorjahre).
Die Einnahmen betrugen 18 903 Mk.
„ Ausgaben „ 13 381 „
c) Rheinbadeanstalt (offene Badestelle):
Dieselbe konnte wegen des niedrigen Wasserstandes erst am 28. Mai
in Benutzung gegeben werden.
Der Besuch bezifferte sich auf 13 266 Erwachsene,
15 286 Kinder.
Zusammen 28552,
gegen 26 697 im Voijahre.
Die Benutzung ist unentgeltlich; die Ausgaben betrugen 688 Mk.
Th.
Kölner Verein für Ferien-Colonien 1804/05. Wie im Vorjahre,
so wurden auch im Berichtsjahre sieben Colonien, und zwar drei für
Knaben und vier für Mädchen mit 92 Knaben und 106 Mädchen
(gegen 89 bezw. 102 im Vorjahre) in mehreren schön gelegenen Ort¬
schaften des Siegkreises drei Wochen lang untergebracht.
Der Gesundheitszustand war ein guter. Die Zunahme an Körper¬
gewicht bewegte sich wie im Vorjahre zwischen 0,5 und 5,5 Kilogramm.
Ausserdem wurden 768 Kinder (gegen 913 im Vorjahre) in Milch¬
stationen mit günstigem Erfolg verpflegt; diese Kinder wurden, wie
früher, täglich in Gruppen nach den ländlichen Ortschaften von Köln
ausgeftihrt und neben den regelmässigen Spaziergängen mit Spielen
beschäftigt. Das städtische Waisenamt hatte 54 Kinder auf drei Wochen
den Colonien zugesandt; die Hospital-Verwaltung schickte 40 Kinder
auf die Dauer von 30 Tagen zu einer Badekur in das Victoriastift nach
Kreuznach.
Die Kosten der Verpflegung in den Feriencolonien betrugen
33,82 Mk. und die der Milchstation 4,89 Mk. pro Kind und Ver¬
pflegungsdauer. Gesammtkosten 10 893 Mk. Th.
Barmer Baugesellaehaft für Arbeiterwohnungen. Im Berichts¬
jahre 1894/95 wurde nur ein Doppelhaus gebaut und fand sofort
Miether mit Kaufrecht unter entsprechender Anzahlung. Von den
früher mit Kaufrecht begebenen Häusern gingen 16 durch notariellen
Akt in den Besitz der Anmiether über, eine Anzahl, die bis dahin
Digitized by ^.ooQle
319
noch nicht erreicht wurde; weitere 23 Miether mit K&ufrecht haben
ein Drittel des Kaufpreises oder mehr erlegt und können mithin den
definitiven Kauf beanspruchen.
Gebaut sind bis jetzt von der Gesellschaft 296 Häuser; von diesen
sind notariell verkauft 88, mit Kaufrecht begeben 164, einfach ver¬
miedet 44. Baustellen sind noch 142 vorhanden.
Der Gesammtwerth der 296 Häuser beziffert sich auf 1422 225,72 Mk. f
durchschnittlich pro Haus 4805 Mk.
Die Dividende fhr 1894/95 ist wieder auf 4 °/o festgesetzt.
Th.
Barmer Badeanstalten. Im Berichtsjahre 1. April 1894 bis
31. März 1895 sind nachgewiesen:
Schwimmhallen-Abonnements 608,
Schwimmschüler 182,
Zehner- und Einzelbillets-Bassin 66 534 Stück,
Volksbäder 50601 „
Wannenbäder 26355 „
Andere Bäder 7 071 „
Die Einnahme einschliesslich eines Saldovortrags
von 1529,26 Mk. betrug
Die Ausgaben
so dass sich ein Bruttogewinn (ca. 9Vi °/o des Actien-
capitals) von
ergiebt. Hiervon sind verwandt
Zu Abschreibungen
Dem Reservefonds überwiesen
Zur Vertheilung einer Dividende von 4 °/o
Zur Ausloosung von 20 Actien
Als Vortrag auf neue Rechnung
61420,46 Mk.
88 988,40 „
22 487,06 „
8 014,62 *
647,16 „
9592,00 „
8000,00 „
1233,28 „
Th.
Städtische Brause-Badeanstalt zu Duisburg vom 1. April 1894
bis 8L Kftrs 1895.
Es wurden Bäder genommen:
1894/95 1893/94
6609 Bäder k 10 Pf., 6 797 Bäder k 10 Pf.,
11665 „ ä 15 „ 7002 , k 15 ,
Zusammen 18274 Bäder, 13 799 Bäder.
Davon entfallen auf
a) Männer 5 205 Bäder k 10 Pf., 4573 Bäder k 10 Pf.,
11541 „ k 15 „ 6759 „ k 15 „
zusammen 16 746 Bäder, 13 382 Bäder.
Digitized by ^.ooQle
320
1894/95 1893/94
b) Frauen 1404 Bäder k 10 Pf., 2 224 Bäder k 10 Pf.,
124 , k 15 , 243 , k 15 ,
zusammen 1528 Bäder, 2467 Bäder.
Die Abnahme der Zahl der Frauenbäder dürfte auf die Maass¬
regel zurückzuführen sein, dass die Badeanstalt von Sonnabend Abends
6 Uhr ab und an den Sonntagen überhaupt nur von Männern benutzt
werden darf.
Die Verhandlungen wegen Errichtung eines Schwimmbassins mit
Einzelbädern der verschiedensten Art haben noch zu keinem Abschluss
geführt werden können. Th.
Städtisches Schlachthaus zu Duisburg. Im Berichtsjahre 1894/95
sind geschlachtet 198 Ochsen, 382 Stiere, 3552 Kühe, 424 Rinder,
56 schwere, 3989 leiche Kälber, 16150 Schweine, 1123 Schafe, 167
Ziegen, 264 Pferde, 1 Esel, 14 Spanferkel, zusammen 26 320 Stück
gegen 27 244 Stück im Vorjahre.
Die grösste Abnahme weist die Pferdeschlachtung auf, 264 gegen
456 im Vorjahre.
Beanstandet wurden im Ganzen 340 Thiere, davon vernichtet 4,
auf die Freibank verwiesen nach Entfernung der erkrankten Th eile
16 Thiere. In 275 Fällen war das Leiden der Thiere nur ein locales
Und wurden die davon ergriffenen Theile (Lunge, Leber, Euter, Nieren,
Herz etc.) vernichtet und im Uebrigen die Thiere zum Verkauf frei-
gegeben. Von der Schlachtung zurtickgewiesen wurden 35 Thiere, und
zwar:
28 Kälber wegen zu geringen Alters und ungenügender Entwicklung,
2 Kühe wegen hochgradiger Knochenerweichung,
5 Pferde wegen allgemeiner Abmagerung.
Von auswärts wurde folgendes frische Fleisch zur Untersuchung
gebracht:
321 Stück Grossvieh, 123 Kälber, 276 Schweine, 179 Schafe,
zusammen 899 8tück;
davon wurden beanstandet und auf der Freibank als minderwerthig
verkauft:
2 Kühe wegen geringgradiger Tuberkulose,
1 Kuh wegen Milchfieber.
An gesalzenem und geräuchertem Fleisch wurden zur Untersuchung
gebracht: 253 geräucherte Schinken, 1852 Seiten Speck, davon wurden
12 Seiten trichinös befunden. Th.
Maria Apollonia-Krippe in Düren vom 1. April 1895 bis
81. März 1896. In das Berichtsjahr 1895/96 trat die Anstalt ein mit
50 Pfleglingen, während desselben wurden aufgenommen 52, von denen
Digitized by ^.ooQle
321
32 im ersten Lebensjahre standen. Es wurden demnach in dem Be¬
richtsjahre 102 Kinder mit 10464 Pflegetagen gegen 87 Kinder mit
11 744 Pflegetagen im Vorjahre versorgt.
Der Gesundheitszustand der Neuaufgenommenen wurde festgestellt
hei der Aufnahme der Kinder.
Es waren gesund 23 Kinder.
An Rhachitis litten 15 „
An Blutmangel „ 2 „
An allgemeiner Schwäche 12 „
Nabel- und Leistenbruch bedingten nicht die Bezeichnung unge¬
sund; ersterer kommt jedoch häufig vor, so dass bei 46 Kindern Ende
März 1896 noch sechs Fälle in Behandlung waren, was auf eine Nach¬
lässigkeit in der Besorgung des Nabels in den unteren Volksschichten
hindeutet. Die in der Krippe übliche Behandlung mit improvisirter
Pelotte und Heftpflasterverband lieferte rasche und gute Resultate.
Auffallend wird in dem Bericht der grosse Procentsatz der rhachi-
tischen Kinder mit fast 29 °/o hervorgehoben. Zieht man jedoch in
Betracht, dass die Kinder der armen Volksklasse angehören, die meist
dumpfe Wohnungen und mangelhafte Ernährung haben, so geht einer¬
seits die Zahl der rhachitischen Kinder kaum über das in anderen
Städten festgestellte Mittel hinaus, andererseits ist der günstige Ein¬
fluss der Krippenpflege auf die Krankheit erklärlich. Auch in diesem
Berichtsjahre ist der Soxhletsche Apparat ausser Gebrauch gelassen,
und besteht auch nicht die Absicht, zu demselben zurückzukehren,
ohne indess seine Vorzüge für gewisse Verhältnisse verkennen zu
wollen.
Die Einnahmen an Zinsen, Pflegegeldern, Geschenk der Frau
Commerzienrath Philipp Schöller (2000 Mk.) etc. betrug 12 466,45 Mk.,
die Ausgaben 10153,72 Mk.
Das Vermögen der Krippe an Mobiliar, Immobiliar und Capital
am Schluss des Geschäftsjahres bezifferte sich auf 331 306,01 Mk.
Th.
Am 20. Juni d. J. starb in seinem Wohnort St. Gallen in der
Schweiz Dr. med. Laurenz Sonderegger im 71. Lebensjahre, ein um
die öffentliche und private Gesundheitspflege der Schweiz hochverdienter
Mann, tief betrauert von den Aerzten, die in dem Verstorbenen das
Ideal eines Arztes und edlen Menschen verehrten. Sein gesprochenes
Wort hat die Aerzte stets zu treuem Gemeinsinn und echter Wissen¬
schaftlichkeit und Collegialität begeistert, sein geschriebenes Wort
wirkte weit Über die Grenzen der Schweiz hinaus bei Allen, die für
Gesundheitspflege und Volkswohlfahrt Interesse und Herz haben. Seine
„Vorposten der Gesundheitspflege“ ist ein Werk, welches dem Namen
des Verstorbenen besonders auch in Deutschland grosse Verbreitung
Digitized by ^.ooQle
322
und Anerkennung verschaffte. Die Aerzte und Volksfreunde der Schweiz,
ja alle Bürger der Schweiz blicken mit thränenumflortem Auge auf das
Grab dieses seltenen und trefflichen Mannes. Dieser Trauer schliessen
sich in aufrichtiger Verehrung des Verstorbenen alle Deutschen an,
die persönlich oder wissenschaftlich Sonderegger gekannt haben.
L.
Am 16. Juni starb Dr. A. Oldendorff (Berlin) zu
Karlsbad, wo er sich zur Kur auf hielt. Dr. Oldendorff,
Herausgeber der „Zeitschrift für sociale Medicin“, war ein
um die Medicinalstatistik verdienter Schriftsteller, welchem
auch unser Centralblatt werthvolle Beiträge verdankt. Wir
werden ihm ein treues Andenken bewahren.
Literatnrbericht.
Pistor, Das GtesuncLheitswesen in Preussen nach Deutschem Reichs¬
und Preussisohem Landesrecht. Band I, 2. und 3. Abtheilung. Berlin,
Richard Schoetz. Ladenpreis 24 Mark.
Der schon in der ersten Abtheilung begonnene Abdruck der gesetz¬
lichen und Verwaltungsbestimmungen über den beamteten Arzt wird
in dem jetzt vorliegenden Schlüsse des ersten Bandes durch Mit¬
theilung der Vorschriften über die gerichtsärztlichen Untersuchungen,
die amtsärztlichen Zeugnisse und Gutachten, die Annahme von Neben¬
ämtern und die Gebühren der Medicinalbeamten, sowie die Umzugs¬
kosten beendet. In einem Anhänge finden sich die Satzungen des
Preussischen Medicinalbeamten Vereins und der Centralhülfskasse für
die Aerzte Deutschlands. Der danu beginnende dritte Abschnitt ent¬
hält in dankenswerther Ausführlichkeit eine Wiedergabe der Vor¬
schriften über den Apotheker (seine Ausbildung, Prüfungsbestimmungen
für Apotheker und Apothekergehülfen, auch für Diakonissen und Ordens¬
schwestern) und das Apothekenwesen (Anlage und Berechtigung, Ein¬
richtung, Betrieb und Beaufsichtigung der Apotheken und Dispensiran-
stalten, die technische Commission für die pharmazeutischen Angelegen-
Digitized by ^.ooQle
323
heiten und den deutschen Apothekerverein). Wie richtig der Gedanke
des Verfassers war, durch Wiedergabe mancher älterer, jetzt nicht mehr
in Kraft befindlicher oder gegenstandslos gewordener Bestimmungen
das Werden des heutigen Rechtszustandes darzustellen und gerade da¬
durch ein volles Verständniss für ihn und für die Aufgaben der Zu¬
kunft zu erschliessen, zeigt sich an diesem wichtigen Abschnitt vielleicht
am deutlichsten. Unbeschadet dieses Zweckes wäre freilich ein stärkeres
Herausheben des heutigen Rechtszustandes an manchen Stellen möglich
und erwünscht gewesen. Am Schlüsse des Abschnitts und in einem
Anhänge dazu sind die Vorschriften Uber den Verkehr mit Giften und
Über den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken, über
Kurpfuscher, Geheimmittel und Heilquellen mitgetheilt. Ein vierter
Abschnitt behandelt das ärztliche Hülfspersonal (Hebammen und
Krankenpfleger), zu denen allerdings die Kammerjäger, über die hier
die (S. 866) mitgetheilte Verfügung handelt, wohl schwerlich gehören
werden, der fünfte und letzte die öffentlichen und privaten Heil¬
anstalten, den Krankentransport, die Rettung Verunglückter und
Scheintodter, sowie am Schluss die Armen kranke npflege und die ein¬
schlagenden Vorschriften der Gesetze über den UnterstützungsWohnsitz
und die Krankenversicherung nebst Ausführungsvorschriften. — Durch
Nachträge während des Druckes ist der erste Band überall auf dem
neuesten Stande erhalten. Für die praktische Brauchbarkeit wäre es
aber besser gewesen, alle Nachträge am Schlüsse des Werkes zusammen¬
zustellen, anstatt wie jetzt, zerstreut an verschiedenen Stellen (vgl.
S. 780 ff., 980 ff, auch S. 179).
Bei Bestimmungen, welche den Gegenstand des Werkes weniger
nahe berühren, ist einer weitläufigen wörtlichen Wiedergabe mit vollem
Rechte eine kurze Angabe des Inhaltes vorgezogen. Auch diese An¬
gaben sind im Allgemeinen correct. Ungenau heisst es freilich auf
S. 707, dass die Ehrenpflicht, als Geschworener thätig zu sein, auch
dem Apotheker obliege und Ausnahmen davon nur unter den allgemein
gültigen Bedingungen zulässig seien, dass er dagegen Gemeindeämter
dann ablehnen könne, wenn er sein Geschäft ohne Gehülfen betreibe.
Die Sache liegt eigentlich umgekehrt. Die Berufung zum Amte eines
Geschworenen (wie eines Schöffen) können nach §§ 35 und 85 des
Gerichtsverfassungsgesetzes gerade die Apotheker ablehnen, die keinen
Gehülfen haben, während weder die Städteordnung für die 6 östlichen
Provinzen, noch diejenigen für Westfalen und die Rheinprovinz einen
gerade aus dem Berufe eines Apothekers hergeleiteten besonderen Ab¬
lehnungsgrund haben, die Hannoversche Städteordnung aber wiederum
jedem Apotheker, er mag einen Gehülfen haben oder nicht, die Be-
fugniss zur Ablehnung giebt. Auch der Arzt darf die Berufung zum
Amte eines Geschworenen ablehnen (§§ 35, 85 a. a. 0.) und die ent¬
gegengesetzte Bemerkung auf S. 165 der ersten Abtheilung, welche
Digitized by ^.ooQle
324
sogar eine alte, auf Grund des früheren Gerichtsverfahrens ergangene
Verordnung vom 3. Januar 1849 als noch gültig behandelt, beruht
ebenfalls auf Irrthum.
Uebrigens will das Werk eine wirklich vollständige Darstellung
offenbar nur für die 6 östlichen (alten) preussischen Provinzen geben
und erreicht das auch in vollkommener Weise. Das Becht der 5 west¬
lichen (neuen) Provinzen hat zwar vielfach Darstellung gefunden,
aber eine Vollständigkeit besteht hier nicht; die Vielgestaltigkeit der
Vorschriften und die dadurch bedingte ausserordentliche Schwierigkeit
der Darstellung rechtfertigt das durchaus. Aber bei einzelnen wichtigeren
Materien wären, wenn auch kein Abdruck, so doch eine kurze vollständige
Aufzählung der in den neuen Provinzen gültigen Vorschriften noch er¬
wünscht gewesen. Dass z. B. die revidirte Apothekerordnung vom
11. October 1801 in den neuen Provinzen als Gesetz nicht publicirt
und deshalb dort keine Gesetzeskraft hat, findet sich auf S. 490 zwar
angegeben; ob aber und welche gesetzlichen Bestimmungen über diesen
Gegenstand in den neuen Provinzen Gesetzeskraft haben, ist, soweit
ich habe finden können, nirgends mitgetheilt; die Hannoversche Apo¬
thekerordnung vom 19. December 1820 ist nur gelegentlich (S. 711)
erwähnt worden. Solche einzelne Mängel, die wohl jedem derartigen
Sammelwerke anhaften werden, thun aber seiner Bedeutung für die
Praxis keinen Eintrag.
Der bei der früheren Besprechung zum Ausdruck gebrachte Wunsch,
es möge dem Werke auch ein Register der aufgenommenen Vorschriften
nach der Zeitfolge beigegeben werden, sei hiermit wiederholt.
Klussmann (Köln.)
E. von Esmarch, Hygienisches Taschenbuch. Berlin 1896. Julius Springer.
Dieses Taschenbuch verfolgt vor allem einen praktischen Zweck.
Es soll besonders dem Medicinal- oder Verwaltungsbeamten, sowie dem
praktischen Arzte, dem bauausführenden Techniker und dem Schul¬
manne kurze Fingerzeige geben, wie sie im speciellen Falle praktisch
zu verfahren haben. Dass das Buch hauptsächlich praktische Zwecke
verfolgt, geht schon daraus hervor, dass im Text zahlreiche Adressen
mit Preisangabe beigefügt sind, namentlich auch, wo es sich um hygie¬
nisch empfohlene, aber weniger bekannte Stoffe und dergleichen handelt.
Ein besonderes Gewicht ist sodann auf diejenigen Untersuchungs¬
methoden gelegt, die unabhängig von einem besonders eingerichteten
Laboratorium oder ohne eingehende chemische oder bakteriologische
Kenntnisse meist an Ort und Stelle ausgeführt werden können.
Bleib treu (Köln).
Digitized by
Google
325
Dr. Wilhelm Bode, Kurze Geschichte der Trinksitten und Mäsaigkeits-
bestrebungen in Deutschland. München, J. F. Lehmann, 1896. 227 S.
Dr. A. Jaquet, Die Stellungnahme des Arztes zur Abstinenzfrage. Nach
einer von der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft des Kantons Bern mit
einem Preise bedachten Arbeit. Basel, Benno Schwabe, 1896. 67 S.
Prof. Dr. H. Müller (Thurgau), Die Herstellung unvergohrener und
alkoholfreier Obst- und Trauben weine. Frauenfeld, J. Hube, 1896. 81 S.
Dass schon die alten Deutschen „auf beiden Ufern des Rheins"
mehr getrunken haben, als ihnen gerade dienlich war, erfahren wir durch
Tacitus. Obwohl es diesem römischen Schriftsteller vorzugsweise darum
zu thun war, seinen vielfach verkommenen Landsleuten in der Schilderung
eines naturfrischen und kräftigen Volkes einen Spiegel vorzuhalten,
kann er doch nicht umhin, in seiner „Germania" dieses Nationalfehlers
Erwähnung zu thun, und er thut dies mit folgenden Worten: „Um
den Hunger zu stillen, bedürfen die Deutschen keiner feinen Zubereitung
und keiner Leckereien. Dem Durste gegenüber zeigen sie nicht die¬
selbe Mässigung. Wenn man ihre Trinklust unterstützt und so viel
herbeischafft, wie sie begehren, so werden sie leichter durch ihr Laster
als durch die Waffen besiegt“.
Aber auch nach des grossen Geschichtsschreibers Zeiten ist in
unserem Vaterlande getrunken, und zwar schwer getrunken worden,
und wer sich darüber einigermaassen vergewissern will, der kann das
Nähere in dem flott geschriebenen Buche des rührigen Geschäftsführers
des Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke finden. Wir er¬
sehen ferner daraus, wie sich schon früh ebenfalls Bestrebungen geltend
machen, diesem Missbrauche entgegen zu treten, und Bode bezeichnet
sein Buch als den ersten Versuch, die ganze bisherige Entwicklung
dieses Kampfes darzustellen, und den Leser in die Geschichte des deut¬
schen Kampfes gegen die Trunksucht einzuführen. Wir sehen, wie unter
unsera Vorfahren die Unmässigkeit allerdings nichts Seltenes war, ja wie
um die Wende von Mittelalter und Neuzeit weite Kreise davon ergriffen
waren. Aber wir müssen annehmen, dass stets ein erheblicher Theil
des Volkes zu arm war und den Stätten des Trunkes zu entfernt
wohnte, um dem Trinklaster verfallen zu können. Erst gegen Aus¬
gang des Mittelalters wurde das Saufen zur Volksgefahr; es wurde erst
dann ein Laster weiterer Kreise, als die Städte emporblühten, als ihre
Bürger wohlhabend wurden und das Bierbrauen in Norddeutschland zu
einem wirklich kunstgerechten Gewerbe wurde.
Noch ungünstiger gestalteten sich die Verhältnisse durch den
80jährigen Krieg, und die allgemeine Verwilderung der Sitten, welche
er in seinem Gefolge hatte, zeigte sich nicht am wenigsten in der Zu¬
nahme und Verbreitung der Trunksucht, die von jetzt an um so brutaler
auftrat, je verbreiteter der Genuss des bis dahin wenig bekannten
Branntweins wurde.
Digitized by
Google
326
Allerdings war der Ruhm, ihn zu dem Range eines Volksgetränkes
zu erheben, unserem Jahrhundert Vorbehalten. Bis gegen Ende des
18. Jahrhunderts war das Branntweinsaufen mehr vereinzelt und der
Branntwein fand nur langsam seinen Weg in die Bier- und Weinstuben.
Man trank ihn bei festlichen Gelegenheiten, aber nicht täglich, man
hielt ihn namentlich nicht nöthig zur Arbeit. Erst mit der Vervoll¬
kommnung der Brennereien, als der Kartoffelbranntwein aufkam und
zu dem billigsten Getränke wurde, und unter dem Einflüsse der langen
Kriege zum Anfänge dieses Jahrhunderts wurde das Volksgift zum
Volksgetränk. Hand in Hand mit dieser Entwicklung des Trinkens
ging der Kampf gegen die zunehmende Trunksucht.
Schon Karl der Grosse hatte den Mönchen und Geistlichen ver¬
boten, eine Schenke zu betreten; die Aeltesten sollten mit einem guten
Beispiele der Nüchternheit vorangehen; wer im Heere betrunken ge¬
funden wurde, sollte nur Wasser bekommen, bis er sein Unrecht ein-
geselien; kein Trunkener sollte vor Gericht als Kläger zugelassen
werden. Kein Graf sollte zu Gericht sitzen, wenn er nicht nüch¬
tern sei.
Von da an bis zum Ausgange des Mittelalters und darüber hinaus
hatte man es von verschiedener Seite in Güte und mit Zwang ver¬
sucht, dem unmässigen Trinken entgegen zu treten, und mancher
Sermon, manche Vermahnung gegen Gotteslästerung und Völlerei geben
Zeugniss von dem guten Willen und dem regen Eifer der Mässigkeits-
prediger.
Auch Mässigkeitsvereine bildeten sich, aber sie hatten meist einen
komischen Beigeschmack, obwohl sie gewöhnlich von hohen Herren ge¬
gründet waren. Sie verlangten ein so geringes Maasshalten und ge¬
statteten so zahlreiche Ausnahmen, dass sie völlig erfolglos und von
kurzer Dauer waren. Kaum mehr Erfolg hatten die Gesetze und Ord¬
nungen, welche von verschiedenen weltlichen und geistlichen Behörden
gegen den Trunk erlassen wurden.
Grosse und andauernde Wirkungen hatten alle diese angeführten
Maassregeln nicht, und erst unter dem Drucke der zunehmenden
Branntweinpest, zu Anfang dieses Jahrhunderts, entwickelte sich gegen
das Ende der 30er Jahre eine kräftige Reaction gegen das am Marke
des Volkes zehrende Uebel.
Bei den Fürsten fing es an und bei der Geistlichkeit hallte es
wieder, bis sich ganz Deutschland mit Enthaltsamkeitsvereinen tiberzog,
und der Erfolg der Mässigkeitsbestrebungen in einer ausserordentlichen
Abnahme des Branntweinverbrauches zu Tage trat. Diese Erfolge
waren in erster Linie das Verdienst wahrhaft tüchtiger Führer, und
die Namen des Pastors Böttcher, eines Freiherrn von Seid, eines Seling
u. a. m. klingen aus jener Zeit zu uns herüber. Das tolle Jahr 1848
machte wie so mancher anderen Hoffnung, so auch dieser wohlthätigen
Digitized by
Google
327
Bewegung ein gründliches Ende. In dem aufgeregten politischen Treiben
jenes Jahres wollte man von Enthaltsamkeit und dergleichen nichts
mehr hören, und die Vereine, die von oben, herab begünstigt worden
waren, deren Leiter zumeist Geistliche waren, galten geradezu als
Werkzeuge der Reaction.
Gegen die wachsende Trunksucht geschah in den folgenden Jahr¬
zehnten ausserordentlich wenig. Man kümmerte sich kaum noch um
die verunglückte Mässigkeitsbewegung, und bewegte politische Zeiten,
Kriege und Eroberungen sind derartigen Bestrebungen überhaupt wenig
gewogen.
Erst Anfangs der achtziger Jahre vereinigten sich die zerstreuten
Trunkgegner zu gemeinsamem Handeln und zu grösseren Schaaren.
Anfangs 1883 erschien ein Aufruf an das deutsche Volk zur Begründung
eines deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke,
der sich alsdann unter der Leitung Nasse's immer weiter verbreitete.
Der neue Verein unterschied sich in drei Punkten von den früheren
Vereinen. Erstens, dass er ein Verein der Gebildeten war und seine
Kraft in den höheren und mittleren Ständen der Nation suchte; zweitens
fasste er die Alkoholfrage sofort wissenschaftlich an, deren Ursache man
zuerst ermitteln müsse, um ihr um so gründlicher entgegentreten zu
können, und drittens richtete der Verein seinen Kampf gegen die Un-
mässigkeit. Massigkeit, aber nicht Enthaltung war seine Devise.
Man kann das Programm des Vereins in drei Ideale zusammen¬
fassen: bessere Anschauungen, bessere Einrichtungen, bessere Gesetze,
und die Thätigkeit des Vereins äussert sich unermüdlich in Vorträgen,
in Schriften und Versammlungen.
Gleichzeitig mit diesem grossen deutschen Vereiue entstanden neue
Enthaltsamkeitsvereine. Sie waren eine Nothwendigkeit und sind für
viele ein Segen. Der Trinker bleibt viel leichter völlig enthaltsam
als mässig, und zu retten ist er einzig und allein durch Enthaltsamkeit.
Will man daher auf den einzelnen Trinker wirken und ihn dauernd
von seinem Laster befreien, so kann dies nur auf dem Wege der
völligen Enthaltsamkeit geschehen, und es ist leicht verständlich, dass
eine erfolgreiche Einwirkung nur von einer Seite her geschehen kann,
die selber auf einem enthaltsamen Standpunkt steht. In diesem Sinne
wird man derartige Bestrebungen aufzufassen haben und den ver¬
schiedenen Vereinen dieser Art, den Gut Templern, dem blauen Kreuze
und anderen ähnlicher Natur, welche nicht blosses Maasshalten, sondern
völlige Abstinenz auf ihre Fahnen geschrieben haben, den besten Er¬
folg wünschen.
Eine andere Frage allerdings ist die, ob wir deshalb gezwungen
sind, selbst zu Abstinenzlern zu werden und uns eines jeden Alkohol¬
genusses zu enthalten.
Digitized by
Google
328
Für die Aerzte beantwortet A. Jaquet diese Frage mit „Nein“,
und er begründet seinen Ausspruch in einer, unserer Meinung nach
unangreifbaren Weise.
Das ganz vorzüglich geschriebene kleine Buch verdient überhaupt
nach Inhalt und Form die wärmste Anerkennung und die weiteste Ver¬
breitung, und es bildet einen wahren Trost ftlr Jeden, welcher der Be¬
kämpfung des Missbrauches sympathisch gegenübersteht, ohne gerade
Lust zu haben, den grossen Sprung zur Enthaltsamkeit mitzumachen.
Jaquet geht von der Frage aus, ob denn der Alkohol unter allen
Umständen schädlich wirke, und ob selbst der mässige Wein oder Bier¬
genuss Gefahren für die Gesundheit nach sich ziehe. Zur Beantwortung
dieser Frage geht der Verfasser etwas näher auf die Wirkung des
Alkohols ein, und er scheidet auf Grund eigener Beobachtungen die
Wirkung des Alkohols auf den menschlichen Organismus in zwei von
einander verschiedene Wirkungsweisen.
In genügender Concentration gegeben, wirkt er zunächst als locales
Reizmittel, was auf reflectorischem Wege eine Hebung der Herzaction
zur Folge hat, während er nach stattgehabter Resorption lähmend auf
die 'Centralorgane wirkt, und somit bei genügend starker Dosis zu einer
Herabsetzung der Herzthätigkeit führt. Daneben lässt sich eine eiweiss-
ersparende Wirkung des Alkohols, ähnlich derjenigen der anderen stick¬
stofffreien Nahrungsmittel, nicht in Abrede steilen. Wenn wir aber
auch zugeben, dass der Alkohol nährende Eigenschaften besitzt, so folgt
daraus nicht, dass er unter normalen Umständen ein empfehlenswerthes
Nahrungsmittel sei.
Was den Kostenpunkt anbetrifft, so ist er das theuerste unserer
gewöhnlichen Nahrungsmittel, und wollte man ihn in Mengen geniessen,
wo seine nährenden Eigenschaften in Betracht kommen, so würde er
bereits schädlich auf den Organismus wirken. Grössere Schwierigkeiten
bietet die Beurtheilung der geistigen Functionen nach dem Genüsse
alkoholischer Getränke. Durch den Alkohol fühlen wir uns gestärkt
und belebt, wir werden gesprächiger, unternehmungslustiger, grosse
Anstrengungen erschrecken uns nicht mehr, das Gefühl von Abspannung
und Müdigkeit nach schwerer Arbeit schwindet, und an.dessen Stelle
tritt ein behagliches Gefühl der Erholung ein.
Das sind doch lauter Erscheinungen, welche deutlich iür eine er¬
regende Wirkung des Alkohols auf das centrale Nervensystem zu
sprechen scheinen.
Wenn die Anschauungen über die Wirkungen des Alkohols gerade
hier sehr auseinander gehen, und die zur Zeit vorliegenden Ermittelungen
nicht hinreichen, um die Wirkung des Alkohols auf die psychischen
Functionen in einer einwandfreien Weise zu erklären, so ist doch
Material genug vorhanden, um in eine Beantwortung der Frage ein-
treten zu können, ob es unter allen Umständen schädlich oder doch
Digitized by
Google
329
wenigstens nutzlos für den Menschen sei, wenn er von Zeit zu Zeit zu
Mitteln greift, die beruhigend auf seine überaus in Anspruch genommenen
geistigen Functionen einwirken!
Von Bibra äussert sich darüber iu seinem Werke „Genussmittel“
wie folgt: Jeder Mensch darf den Wunsch haben, sich zeitweise über
die Mühen und Sorgen des täglichen Lebens zu erheben; auf derjenigen
Bildungsstufe, wo dieses Ziel nicht durch irgend eine geistige Arbeit
zu erreichen ist, da dürfte es wohl entschuldbar erscheinen, zu einem
äusseren Mittel zu greifen, das durch seine physiologische Wirkung
den Menschen erhebt. Die Natur hat den Menschen darauf hingewiesen,
irgend ein sorgenbrechendes Mittel zu benutzen, um von Zeit zu Zeit
den Becher der Lethe zu trinken, um wenigstens auf Stunden die
Sorgen und den Kummer zu vergessen, welchen Jeder hat, welcher vom
Weibe geboren, der Fürst wie der Bettler, der intelligente Europäer
wie der affenähnliche Neuseeländer.
Dass die Pflege der Geselligkeit, wenn man will, auch ohne Alkohol
möglich ist, lässt sich nicht bestreiten; die gemüthliche Seite aber,
welche durch den Alkoholgenuss vorzugweise herausgefordert wird, trägt
viel dazu bei, den Verkehr unter Menschen zu erleichtern. Nur dürfen
die Rollen nicht umgekehrt und die Geselligkeit bloss ein Vorwand zu
übermässigem Kneipen werden.
Sogar ein so entschiedener Gegner des Alkoholgenusses, wie
Kraepelin es ist, sieht sich zu dem Zugeständnisse genöthigt, dass kleine
Gaben von Alkohol unter Umständen von Nutzen seien. Sei man ge¬
nöthigt, als ohnmächtiger Zuschauer schweres Leid über sich ergehen
zu lassen, dann sei seiner Ueberzeugung nach die Linderung des
traurigen Affectes durch kleine Gaben Alkohol aus psychischen Gründen
angezeigt.
Dass die Therapie einen ausgedehnten Gebrauch dieser schwach
narkotischen und beruhigenden Wirkuug des Alkohols macht, ist hin¬
länglich .bekannt. Wie oft hören wir Kranke über Schlaflosigkeit und
gesteigerte Erregbarkeit klagen, bei welchen diese Erscheinungen ein¬
fach die Folgen von übermässigen Geschäftssorgen sind oder von anderen
Momenten herrtthren, die das Gehirn in abnormer Weise in Anspruch
nehmen. Wer hat in solchen Fällen die wohlthätige Wirkung einer
Flasche Bier Abends kurz vor dem zu Bettegehn noch nicht beobachtet?
Bier ist unser mildestes und zugleich unschädlichstes Narkotikum, und
es wird uns in vielen Fällen die nie gleichgiltige Verordnung eines
der üblichen Schlafmittel entbehrlich machen.
Auch bei acuten fieberhaften Krankheiten können wir den be¬
ruhigenden Einfluss eines Glases Wein oder Grog beobachten.
Diese günstigen Wirkungen eines vereinzelten Alkoholgebrauches
könnte man zugeben, und in dem gewohnheitsmässigen Genüsse trotz¬
dem eine Gefahr erblicken. Auch hier beruhigt uns Jaquet durch die
Digitized by ^.ooQle
330
Behauptung, dass sich die Annahme, der Alkohol wirke auch in kleinen
Dosen und nicht zu häufig genossen eine schädliche Wirkung aus, zur
Zeit einfach nicht beweisen lasse. Verschiedene Bedenken, die man
dagegen geltend gemacht hat, so unter andern die statistischen Er¬
hebungen englischer Lebensversicherungen haben sich als nicht beweisend
her&usgestellt, und man kann daher die Ergebnisse der bisherigen Er¬
mittelungen dahin zusammenfassen, dass Alkohol in richtigen Mengen
genommen, keine nachweisbar schädliche Wirkung auf den Organismus
ausübt, dass er im Gegentheil in manchen Fällen von Nutzen sein kann
und als Medikament von hohem Werthe betrachtet werden muss.
Hiermit ist die Stellung des Arztes zur Alkoholfrage gegeben.
Niemand kann heutzutage bezweifeln, dass derjenige, der einmal ein
Sklave des Alkohols geworden, unrettbar verloren ist, wenn er nicht
vollständig und für alle Zeit seiner verderblichen Leidenschaft entsagt.
Dies ist so wahr, dass die Bestrebungen aller Gesellschaften, welche
den Trinkern bloss die Mässigkeit empfehlen, erfolglos geblieben sind.
Hier ist nur eine völlige Enthaltung am Platze, und Bestrebungen dieser
Art, wo dem Trinker neben der Geselligkeit noch die nöthige mora¬
lische und thatsächliche Unterstützung geboten werden, seinem Hange
zu entsagen, können von ärztlicher Seite daher nur sympathisch begrüsst
und unterstützt werden.
Ebenso werden wir den Abstinenten, welche zum Zwecke einer
wirksameren Einwirkung auf den Trinker selber dem Genüsse geistiger
Getränke entsagen, unsere vollste Anerkennung zu zollen haben.
Aber der Kampf gegen den Alkoholismus besteht nicht nur in der
Rettung der Trinker, sondern hauptsächlich in der Beseitigung der zur
Förderung der Trunksucht beitragenden Momente. Hier liegt der
Schwerpunkt der ganzen Frage; denn so lange es nicht gelingt, den
Alkoholmissbrauch wirksam zu bekämpfen, wird für die Gesellschaft
die Bekehrung der Opfer des Alkohols nur einen sehr bedingten Werth
haben.
Wir haben nun gesehen, dass ein mässiger Alkoholgenuss, solange
es sich um wirkliche und nicht nur um scheinbare Mässigkeit handelt^
für den Menschen keinen nachweisbaren Schaden mit sich bringt, dass
im Gegentheil eine mässige Alkoholdosis von Nutzen sein kann, und
dass in Krankheitsfällen die therapeutische Verwendung des Alkohols
von zahlreichen ärztlichen Autoritäten aufs wärmste befürwortet wird.
Dass wir uns demnach einer Bewegung anschliessen sollten, welche
den Alkoholgenuss als unbedingt schädlich verwirft, entbehrt eines zu¬
reichenden Grundes, und in dieser Ansicht können uns die bisherigen
geringen und zweifelhaften Erfolge der Enthaltsamkeitsbestrebungen
nur bestärken. Wenn wir somit keine Veranlassung haben, die An¬
sichten der Freunde eines unbedingten Verbotes zu theilen und uns
dafür zu begeistern, so erwächst für uns Aerzte doch die moralische
Digitized by ^.ooQle
331
Verpflichtung, uns nach besten Kräften an der Bekämpfung des Alkohol¬
missbrauches zu betheiligen. Auch ohne totale Enthaltsamkeit wird
dies dem Einzelnen durch den Einfluss seiner Persönlichkeit gelingen,
und besonders dadurch, dass er sich bei seinen Verordnungen in Acht
nimmt, nicht selber zum Ausgangspunkte eines Missbrauches geistiger
Getränke zu werden, wie dies leider gar zu oft geschieht. Die Ver¬
ordnung muss in Bezug auf Dosis und Dauer immer genau festgesetzt
sein; in chronischen Fällen muss man sich hüten, hohe Dosen regel¬
mässig zu verordnen, denn die Zahl der Trinker ist keine geringe, die
mit Bestimmtheit die Veranlassung zu ihrem Trinken auf eine ärzt¬
liche Verordnung zurtickführen. Ein zweiter, ungemein wichtiger Punkt,
wo der Arzt im Stande ist, manches Unglück zu verhüten, betrifft die
noch allgemein übliche Verabreichung an kleine Kinder. Wie schädlich
der Alkohol auf die Entwicklung des kindlichen Organismus wirkt, hat
in überzeugendster Weise Demme gezeigt. Kinder brauchen keinen
Alkohol und sollten bis zum 15. Jahre überhaupt weder Wein noch
Bier bekommen, einige seltene Gelegenheiten ausgenommen, und auch
dann nur in ganz kleinen Mengen.
Die eigentliche Aufgabe des Arztes in dem Kampfe gegen den
Alkohol liegt jedoch in der Aufklärung des Publikums und in der
Leitung der öffentlichen Meinung.
-Er ist ganz besonders dazu berufen, dem Publikum die Gefahren
und die Schäden des Alkohols vorzuführen, und er kann es um so mehr
thun, als er nicht im Verdacht steht, aus anderen Rücksichten als
allein aus Sorge für das Wohl seiner Mitmenschen zu handeln.
Bei der Behandlung des Trinkers gilt der Grundsatz, dass er als
Kranker betrachtet und folglich auch als solcher behandelt werde.
Mit Strafen und Gefängniss ist noch kein Trinker geheilt worden, und
die Frage der Trinkerheilanstalten ist eine der actuellsten der ganzen
Alkoholfrage, und Niemand ist mehr berufen, sich an der Gründung und
Unterstützung solcher Anstalten zu betheiligen, als gerade der Arzt.
Hier liegt für ihn ein schönes und grosses Arbeitsfeld vor, wo die
Erfolge seine Bemühungen reichlich belohnen werden, wie dies die bis¬
herigen Erfahrungen beweisen. Desgleichen werden die Fachkenntnisse
des Arztes überall nützliche Verwendung finden, wo es sich um Besserung
der Lebens Verhältnisse der ärmeren Klassen handeln wird, sei es in
der Frage der Volksernährung, sei es in der Wohnungsfrage. Alle
Einrichtungen, welche eine Hebung und Besserung der Lebensverhält¬
nisse der Arbeiterklasse zur Folge haben, können als wirksame Mittel
gegen die Trunksucht betrachtet werden. In dieser Hinsicht ist die
Aeusserung eines Londoner Arbeiters von der grössten Bedeutung.
Er sagt:
„Männer, die vom Morgen bis zum Abend in engen Werkstätten
eingepfercht sind, ermangeln deshalb — zu ihrer Ehre sei es gesagt
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 24
Digitized by
Google
332
— nicht des Geselligkeitstriebes. Sie verlangen danach, am Feier¬
abend mit Ihresgleichen zusammenzukommen, Gedanken auszutauschen,
Erfahrungen mitzutheilen, Ideen, welche ihnen bedeutungsvoll erscheinen,
eine gewisse Veröffentlichung zu geben. Dieses Verlangen nach ge¬
selligem Verkehr findet sich in allen Klassen der Bevölkerung; nur
sind Einige in der Leichtigkeit, es zu befriedigen, mehr begünstigt als
Andere. Der Reiche ladet sich Gesellschaft in sein Haus, geht in seinen
Club oder in andere Häuser in Gesellschaft. Der Arme in den grossen
Städten ist nicht so glücklich gestellt. Für die meisten Arbeiter ist
die eigene Häuslichkeit ein viel zu unbehaglicher Ort, um zu einem
freundschaftlichen Beisammensein mit einem Kameraden einzuladen.
Diese Häuslichkeit ist nur zu oft ein einziges kleines Zimmer in einem
mit üblen Gerüchen gefüllten Hause, kärglich möblirt, minus Behaglich¬
keit, plus Kindergeschrei. Und das einzige Wesen, welches sogar eine
so dürftige Heimstätte hell und wohnlich machen könnte, ist vielleicht
aus Mangel an geeigneter Vorbildung und sittlicher Erziehung für das
Amt der Hausfrau und Mutter gänzlich ungeeignet.
So lange die Vorkämpfer der Enthaltsamkeitsbewegung von der
vorgefassten Meinung ausgehen, dass nur und in erster Linie das
Verlangen nach Alkohol den Arbeiter in die Schenke treibt, werden
sie nicht viel dauernd Gutes wirken.
Eine Kette ist nicht stärker als ihr schwächstes Glied. Einige
tausend Männer, Frauen und Kinder mögen veranlasst werden, eine
Verpflichtung zu unterschreiben, sich ein blaues Bändchen anzuheften
und sich aller geistigen Getränke und des Tabaks obendrein zu ent¬
halten, aber diese Beispiele werden für die Massen wirkungslos bleiben,
solange der Grundstein des Volkslebens, die Häuslichkeit des Arbeiters,
so wenig Anziehungskraft besitzt, wie jetzt.
Ein wohlausgestattetes Kaffeehaus, ein Arbeiterviertel mit freund¬
lichen, bequemen, gesunden Wohnungen ist so viel werth, wie zehn¬
tausend Reden in Versammlungen und eine Million Zeugnisse von den
verderblichen Wirkungen des Alkohols. Wenn die jetzt auf die Ver¬
dammung von Bier und Tabak verwandte Energie dazu benutzt würde,
junge Mädchen aus dem Volke zu sparsamen, geschickten und ver¬
ständigen Hausfrauen zu erziehen, so würde das tausendjährige Reich
einer nüchternen Nation näher sein, und wir könnten es erleben, in
den Frauen der Arbeiter die dienenden Engel ihrer bescheidenen
Heimstätten, und nicht blosse Aschenbrödel zu sehen.
In eine durch das Walten einer solchen Mutter verschönerte Häus¬
lichkeit könnte der heranwachsende Sohn am Feierabend auch einen
oder den andern Genossen, der kein Elternhaus am Orte hat, einführen,
und es dürften wenig gutgeartete Jünglinge sein, die nicht lieber ihre
Freistunden so verbrächten, als in einer geräuschvollen Schänke. Wie
Digitized by
Google
333
es jetzt ist, führt der Vater seine Gäste in das Wirthshaus, und der
Sohn ahmt ihm nach.
Es wäre thöricht zu glauben, dass das einfache, zwangsweise
Schliessen der Schänken das Uebel abstellen würde. Die Beschaffung
von geistigen Getränken schwierig machen und ein Volk zur Gewohn¬
heit eines mässigen Lebens zu erziehen, das ist noch lange nicht das¬
selbe. Ehe nicht die socialen Schäden abgestellt sind, welche in den
meisten Fällen zur Branntweinflasche treiben, wird kein äusserer Zwang
den Branntwein aus der Welt verbannen.“
So äussert sich der Londoner Arbeiter, und seine Aeusserungen
enthalten das vollständige Programm der bereits von vielen Seiten zur
Hebung der Volkswohlfahrt vorgeschlagenen Maassnahmen: gesunde
Arbeiterwohnungen, Versammlungslokale und Lesesäle für Arbeiter,
Consumvereine, Volksküchen und Speisehallen für Arbeiter, die keine
eigene Haushaltung haben, Koch- und Haushaltungscurse für heran-
wachsende Hausfrauen u. dergl. mehr.
Wie wir daraus ersehen, steht dem Arzte ein weites Arbeitsfeld
offen und selbst ohne totale Enthaltsamkeit wird sich seine Mitwirkung
zu einer segensreichen gestalten, sobald er mit der erforderlichen
Energie und Ausdauer ans Werk geht.
Ein besonderer Theil der Bestrebungen hat sich die Aufgabe ge¬
stellt, den Alkohol durch ein anderes, unschädliches Getränk zu ersetzen.
Auch diesen Bemühungen werden wir unsere Aufmerksamkeit zuzu¬
wenden haben. Allerdings wird es gut sein, wenn wir nach dem, was
wir durch Jaquet über die Wirkungen des Alkohols erfahren haben,
unsere Hoffnungen nicht allzuhoch schrauben, denn es wird wohl für
immer ein aussichtsloses Unternehmen bleiben, kaltes Wasser auf die
Höhe eines Nationalgetränkes zu erheben, und den ungegohrenen und
alkoholfreien Obst- und Traubenweinen dürfte es kaum besser er¬
gehen.
Allerdings wird bei ihrem Genüsse, wie Müller-Thurgau hervor¬
hebt, jeder Anreiz zur Unmässigkeit fortfallen, und betrinken wird man
sich in ihnen nicht; ob sie aber auf der anderen Seite im Stande sind,
einen Ersatz für alles das zu bieten, was gerade den Alkohol zu einem
ebenso begehrten wie gefährlichen Genussmittel macht, das ist eine
andere Frage.
Müller-Thurgau erklärt die Gährung für einen Nothbehelf, solange
es nicht möglich war, die Fruchtsäfte auf eine andere Weise an der
auftretenden Zersetzung zu hindern.
Ob die Menschen ursprünglich des Alkohols* wegen vergohrene
Getränke herstellten oder vielmehr nur deshalb, weil es ihnen nicht
möglich war, die Gährung dieser Getränke zu verhindern, will er nicht
weiter untersuchen, wohl aber trete an unsere Generation, welcher
die Wissenschaft die nöthigen Hilfsmittel darbietet, die Pflicht heran,
24*
Digitized by ^.ooQle
334
zu prüfen, ob es nicht richtiger sei, die Fruchtsäfte in ungegohrenem
Zustande aufzubewahren und zu geniessen, in einem Zustande, in welchem
sie nicht nur reicher an wichtigen Nährstoffen, sondern auch, weil
alkoholfrei, der Gesundheit zuträglicher sind.
Von den Wegen, die uns zu diesem Zwecke offen stehen, ist es
eigentlich nur ein Verfahren, welches hier in Frage kommt, das so¬
genannte Pasteurisiren, das heisst, das Sterilisiren der Fruchtsäfte durch
Zerstören ihrer Gährungspilze vermittelst einer erhöhten Temperatur.
Der Verfasser beschreibt das Verfahren sowohl im Kleinbetrieb
der eigenen Haushaltung, als auch bei fabrikmässiger Herstellung genau,
und er behauptet, dass der Saft gut ausgereifter Obstfrüchte und
Trauben gewiss nicht nachtheilig wirke und auf die Dauer gerne ge¬
trunken werde.
Da zudem die Herstellungskosten gering und das Verfahren kein
besonders schwieriges ist, so kann die allgemein fasslich geschriebene
kleine Schrift nur empfohlen werden. Pelman.
33. Arnould, Le« alcools naturels et les alcools d’industrie. (Revue
d’Hygi&ne T. XVni No. 1.)
Als alcools naturels bezeichnet Verf. solche Producte, die durch
einfache Gährung von zuckerhaltigem Saft — in erster Linie Frucht¬
saft — erhalten werden, während der alcool d’industrie durch Fermen¬
tation von Kartoffeln, Getreide u. s. w. entsteht. Die alkoholischen
Getränke, die aus diesen beiden Producten hergestellt werden, sind in
Bezug auf die Verunreinigung und schädlichen Bestandteile nicht
wesentlich verschieden, ja die alcools d’industrie sind im Allgemeinen
noch reiner wie die alcools naturels, wie Verf. durch zahlreiche Analysen
erweist. Ein gleiches Resultat ergaben Injectionen an Kaninchen.
Verf. bespricht dann die ausserordentliche Zunahme des Spiritus-Ver¬
brauchs in Frankreich, der 1850 585 000 oder 1,45 1 auf den Kopf,
1869 Uber 1000 000 und 1890 etwa 1662 000 Hektoliter oder 4,5 1
auf den Kopf betrug.
Um nun die schweren Schädigungen, die aus dem Spiritus-Miss-
brauch entstehen, möglichst zu mildern, hat die französische Kammer
ein Gesetz angenommen, wonach die Reinigung des Spiritus dem Staat
als Monopol übergeben wird. Verf. verspricht sich von diesem Gesetze
nicht die gewünschten Resultate; nicht die Qualität, sondern die Quantität
des verbrauchten Spiritus sei zu bekämpfen, und es seien gesetzliche
Maassregeln zu ergreifen, um den Alkoholconsum einzuschränken.
Pröbsting.
James Niven, On the prevention of phthisis. (The Lancet 8754.)
Bei der Bekämpfung der Lungenschwindsucht sind folgende Punkte
zu berücksichtigen:
Digitized by
Google
335
1. Phthisis kann nur durch Eindringen von Tuberkelbacillen in
den Organismus entstehen. 2. Der Auswurf von Schwindsüchtigen
enthält solche Bacillen in grosser Anzahl; in trockenem, staubförmigem
Zustande kann daher solches Sputum die Krankheit weiter verbreiten.
3. Die übrigen Excrete der Schwindsüchtigen können auch Bacillen
enthalten und dadurch gefährlich werden. 4. Die infectiösen Aus¬
scheidungen der Phthisiker können durch chemische Agentien des-
inficirt werden. In der Form von Reinculturen und als Staub werden
die Infectionsstoffe durch directes Sonnenlicht sehr rasch vernichtet.
5. Die Tuberkulose ist unter den Thieren sehr verbreitet, ganz be¬
sonders unter den Milchkühen. Die Milch von letzteren kann Tuber¬
kulose beim Menschen erzeugen, das Fleisch von solchen Thieren ist
weniger gefährlich.
Als Mittel zur Bekämpfung der Phthise schlägt Verf. folgende
Maassnahmen vor:
1. Belehrung des Publicums und der Phthisiker über die Gefahren
der Uebertragung. Die Belehrungen sind in Form von gemeinverständ¬
lichen kurzen Abhandlungen, Plakaten u. s. w. zu verbreiten. Ver¬
fasser theilt eine solche Belehrung, der 15 kurze Artikel enthält, mit.
2. Die Tuberkulose muss gesetzlich zu denjenigen Krankheiten,
filr welche eine Anzeigepflicht besteht, gerechnet werden.
3. Für die tuberkulös Erkrankten sind besondere Spitäler und
Sanatorien zu errichten.
4. Strengste ärztliche Ueberwachung der Milchkühe und der
Schlachtthiere. Pröbsting.
Kirchner, Studien zur Lungentuberkulose. Aus der hygien.-chem. Unter¬
suchungsstation des X. Armee-Corps. (Zeitschr. f. Hygiene 1896. Bd. 21.)
In den Jahren 1893, 94 und 95 war in einer Kaserne je ein
Unterofficier an Lungentuberkulose erkrankt, der den Dienst als
Kammerunterofficier auf einer bestimmten Compagniekammer versehen
hatte. Daraufhin wurden acht verschiedene Staubproben aus dieser
Kammer in der üblichen Weise auf Tuberkelbacillen untersucht, indem
mit den Staubproben Meerschweinchen inficirt wurden.
Von diesen gingen drei an Tuberkulose ein, die mit folgenden
Staubproben geimpft waren:
1. Mit Staub von Tornistern.
2. Von Säbeltaschen.
3. Aus alten Röcken ausgeklopft.
Es handelte sich also zweimal um Staub, der sich aus der Luft
der Kammer zu Boden gesetzt hatte, und einmal um Staub aus alten
Kleidungsstücken.
Nach Untersuchungen, wie die vorliegende, ist daher an dem
Vorkommen von Tuberkelbacillen im Staube, und an der Möglichkeit
Digitized by
Google
336
der Infection mit Tuberkulose durch Einatbmen tuberkelbacillenhaltigen
Staubes wohl nicht mehr zu zweifeln.
Am Schlüsse seiner Arbeit betont Verf. noch die Nothwendigkeit
der Desinfection alter getragener Kleider und der Beseitigung des
Staubes aus denselben. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Klepp, Ueber angeborene Tuberkulose bei Kälbern. Zeitschr. für Fl eisch¬
und Milchhygiene, 1896, Heft 10.
Bei der Häufigkeit der tuberkulösen Erkrankung der Gebärmutter
von Kühen musste es auffallend erscheinen, dass nur eine so geringe
Zahl von tuberkulösen Kälbern gefunden werde. Klepp, dem dieses
Missverhältniss befremdend war, lenkte seine Aufmerksamkeit auf eine
genauere Untersuchung der portalen Lymphdrüsen. Hierbei stellte es
sich heraus, dass die Vererbung von Tuberkulose wenigstens von der
Mutter auf das Junge, höchstwahrscheinlich durch placentare Infection,
doch eine verhältnissmässig nicht geringe Rolle spielt und die angeborene
Tuberkulose viel öfter als bisher bekannt vorkommt. So fand Klepp
in Kiel innerhalb 5 Monaten 26 tuberkulöse nüchterne, d. h. neugeborene
Kälber. Diese 26 tuberkulösen Kälber machen 0,64 °/o der gesammten
Schlachtung aus. Auf Grund seiner Untersuchungen glaubt er, dass bei
sorgfältiger Nachforschung auch anderwärts höhere Procentzahlen für
die angeborene Tuberkulose von Kälbern gefunden werden müssten.
Bleibtreu (Köln).
F. Migneoo, Azione della luoe solare aulla virulenza del bacillo tuber-
culare. (Annali dTgiene sperimentale 1895, T. V, p. 215.)
Auf dem internationalen medicinischen Congress zu Berlin (1890)
machte R. Koch eine kurze Mittheilung, dass unter dem Einfluss des
Sonnenlichtes die Virulenz der Tuberkel-Bacillen rasch abnehme. Diese
Angaben wurden von einer Seite bestätigt, von anderer nicht.
Migneco hat nun neue Versuche nach dieser Richtung hin ange¬
stellt und kann die Behauptungen Kocb’s in vollem Umfange bestätigen.
Schon nach dreistündiger Einwirkung des directen Sonnenlichtes auf
bacillenhaltiges Sputum zeigte sich bei geeigneten Thierversuchen eine
deutliche Abschwächung der Virulenz, die mit der Dauer der Ein¬
wirkung progressiv zunahm. Pröbsting.
Fetruschky, Ueber die fragliche Hin Wirkung des Tuberoulins auf
Streptokokken-Infectionen. (Zeitschr. für Hygiene und Infectionskrank-
heiten, XIX. Bd. ? 3. Heft, S. 450-461.)
Die Untersuchungen Petruschky’s wenden sich hauptsächlich gegen
die Angaben von Arthur Klein, dass das Tuberculin Bedingungen
schaffe, welche vielleicht eine lebhaftere Proliferation, vielleicht eine
Steigerung der Virulenz bereits a priori vorhanden gewesener bak»
Digitized by v^ooQle
337
terieUer Entzündungserreger in den betroffenen Affectionen hervor¬
zurufen vermögen und dass dieser Vorgang als Ursache der Tuberculin-
reaction aufzufassen sei.
Die Untersuchungen Petruschky’s ergeben nun ganz andere Re¬
sultate, so dass auf Grund derselben Petruscliky zu dem Schlüsse ge¬
langt, dass Tuberculin in Dosen bis 10 mg auf Streptokokken -
infectionen bei Kaninchen irgend welchen, aus dem Krankheitsverlaufe
ersichtlichen Einfluss nicht ausübt. Damit wird selbstredend auch die
Verwendung dieser Versuche in dem Sinne hinfällig, als böten die¬
selben eine Stütze für die Annahme, dass die Einwirkung des Tuber-
culins auf secundäre Streptokokkeninfectionen bei tuberkulösen Menschen
als „Ursache der Tuberculinwirkung“ aufgefasst werden könne.
Dr. Mastbaum (Köln).
Die Wohnungsfrage als Gegenstand der 8oeia1politik. Vortrag von
Prof. Dr. Julius Wolf. Jena bei Gustav Fischer, 1896.
Zwar hat der Vortragende es sich nicht zur Aufgabe gestellt, der
vielbehandelten Frage neue Seiten abzugewinnen; aber er giebt einen
klaren und geistvollen Ueberblick über den ganzen Stoff und dadurch
den Berufenen eine vortreffliche Anregung. Die schlechte Wohnung
gefährdet die sittliche Existenz des Einzelnen wie der Familie, sie ge¬
fährdet zugleich das leibliche Dasein. Die Frage ist eine hygienische
und mehr noch eine sociale. Zwar ist die Wohnungsnotli keine neue
Erscheinung unserer Zeit. Von Diodor, Martial und Juvenal erfahren
wir, dass in den antiken Städten, besonders im alten Rom, die Wohn¬
verhältnisse nicht besser waren, als in den schlimmsten Theilen unserer
Grossstädte. Auch in den mittelalterlichen und nachmittelalterlichen
Städten sah es nicht besser aus. Die ältesten Theile unserer Städte
geben uns mit ihren engen, winkeligen Gassen, luftarmen und sonnen¬
leeren Häusern nicht selten noch heute ein Bild jener Zustände.
Aber unser Sinn ist geschärft zur Erkenntniss der Unzuträglich¬
keiten, und die Massenhaftigkeit ihrer Verbreitung ist gerade in unserer
Zeit gesteigert worden durch verschiedene Veranlassungen. Die erste
derselben ist das aus wirthschaftlichen Gründen sich vollziehende Ein¬
strömen der Bevölkerung in die Städte; der zweite Grund ist die starke
Bevölkerungszunahme an sich, hauptsächlich beruhend auf der sehr
herabgeminderten Sterblichkeit. Als dritten Grund führt der Vor¬
tragende die „Grundrente“ an, d. h. die Steigerung der Miethe zu
Gunsten der Hausgrundbesitzer in Folge des Anwachsens der städtischen
Bodenpreise, und schliesslich als vierten Grund die nicht seltene Un¬
tüchtigkeit der Hausfrau zur Wahrnehmung ihrer Haushaltsaufgaben,
namentlich zur Erfüllung der besonderen Aufgabe, auch einen ärmlichen
Raum möglichst wohnlich zu gestalten. So sind nach Webb in London
eine Million Menschen derart untergebracht, wie ein vernünftiger Mann
Digitized by
Google
338
seine Pferde nicht unterbringen würde. In Berlin wohnen 600000
Menschen zu sechs und mehr in einem heizbaren Zimmer, und die
Zahl der Schlafleute, d. h. derer, die nur ein Bett, kein Zimmer ge-
miethet haben, beträgt 100000. Selbst in Basel und Frankfurt a. M.
hat die Statistik erschreckende Ergebnisse geliefert. Die Noth beruht
auf der zu geringen Zahl, der zu hohen Miethe, der zu schlechten Be¬
schaffenheit der Wohnungen, sowie in dem zu häufigen Wechsel der¬
selben; diese Erscheinungen treten gemeinsam und vereinzelt auf.
Zur Abhtilfe sind in verschiedenster Weise, aber im Grossen und
Ganzen mit geringem Erfolge thätig gewesen: Arbeitgeber, einzelne
Philanthropen, manche Baugenossenschaften und einige Stadtgemeinden.
Die gemeinnützigen (Actien-)Gesellschaften vergisst der Vortragende.
Kirche und Staat haben sich an den Bestrebungen zur Hebung der
Wohnungsnoth kaum betheiligt. Die Gründe für die Geringfügigkeit
des Handelns auf diesem Gebiete liegen in der Schwerfälligkeit der
amtlich berufenen Organe, in ihrer Ueberbürdung und ihren mangel¬
haften Lebenskenntnissen, in der Ununterrichtetheit weiter bürgerlicher
Kreise, in dem Widerstreben interessirter städtischer Kollegien, und
endlich andrerseits in dem zu radikalen Vorgehen mancher Theoretiker.
Besonders auf dem Gebiete der Wohnungsreform ist das Bessere der
Feind des Guten. Nothwendig sind folgende Maassnahmen: 1. ein
Wohnungsgesetz, welches gesundheitswidrige Wohnungen verbietet, und
eine Wohnungscontrole, welche jenem Gesetze Nachachtung verschafft;
2. Verbesserung alter Häuser und, wenn dies nicht mehr angeht, Ent¬
eignung und Neubau derselben; 3. Begünstigung von Baugenossen¬
schaften (und gemeinnützigen Baugesellschaften); 4. Ausfüllung der
sodann noch verbleibenden Lücken durch Stadtgemeinden und sonstige
öffentliche Körperschaften.
Wie es Fabrikinspectoren giebt, so bedarf es auch „staatlicher oder
städtischer Wohnungsinspectoren und Wohnungscommissignen, in welche
letztere zum Theil ehrenamtlich Pfarrer, junge Aerzte und Baufachleute
zu wählen sind“. Die Baugenossenschaften haben in Deutschland nicht
die auf sie gesetzten Erwartungen erfüllt, ihre Zahl ist erheblich zurück-
gegangen, nicht weil die Idee verfehlt war, sondern weil die Ausführung
fehlging. Das Ziel, den städtischen Arbeiter zum Hauseigentümer
zu machen, ist schön, aber meistens nicht von dauerndem Erfolge. Das,
was städtische Baugenossenschaften für den Arbeiter vorzugsweise zu
erstreben haben, ist der Bau von Häusern, welche im Besitz der Ge¬
nossenschaft bleiben und an Arbeiter vermiethet werden. „Der erfolg¬
reichste Typus von Genossenschaften dieser Art ist der Bau- und Spar¬
verein Hannover.“ In grösseren Städten ist indess der Bau von Arbeiter¬
wohnhäusern am äusseren Umfang des Weichbildes nicht immer eine
Wohlthat, oft sogar ein Missstand. Desshalb ist das grössere Arbeiter-
miethhaus (wenn auch nicht gerade die Kaserne) im Innern der Städte
Digitized by
Google
339
unentbehrlich, und zwar nicht bloss für die Familien der Armen. Hier
handelt es sich mehr um den passenden Umbau alter Häuser als um
die Errichtung von Neubauten. Wo aber einzelne Menschenfreunde
oder Gesellschaften nicht in diesem Sinne eingreifen, da soll nach
Meinung des Vortragenden die Gemeinde der Aufgabe sich unterziehen
und, wo diese es nicht thut, der Staat. Octavia Hill in London ist
mit vortrefflichem Beispiel voraufgegangen, wie überhaupt England auf
dem Gebiete der Wohnungsfrage am meisten, wenn auch noch lange
nicht genug, geleistet hat. Ausser London sind besonders die Städte
Liverpool, Birmingham und Glasgow segensreich vorgegangen. Nachdem
Glasgow einen Umbau der alten Stadt vorgenommen hatte, sank die
Sterblichkeit von 32,4 pro Tausend auf 25,5, und zugleich sank die
Zahl der Verbrechen. Nach der letzten Cholera-Epidemie wurde in
Hamburg eine Wohnungsreform mit Wohnungsgesetz, Wohnungscontrole,
Inspectoren und Pflegern vorbereitet (aber nicht gründlich durch-
gef tthrt).
Die Stadt bietet niemals die gleich günstigen Bedingungen physi¬
schen Gedeihens, wie das Land, l^esto dringender ist die Pflicht,
nichts von dem zu versäumen, was die Städte zum Schutze der körper¬
lichen Entwickelung, zur Verhütung des körperlichen Verkommens ihrer
Bewohner thun können; das ist um so wichtiger, als es sich bei
der Wohnungsfrage zugleich um den Familiensinn und die Sittlichkeit
handelt. Möge die gewaltige Schaffenskraft unserer Zeit sich zum Theil
auch in den Dienst der Hebung oder Linderung der Wohnungsnoth
stellen! Mögen die Worte des Vortragenden weithin gehört und be¬
herzigt werden und zu kräftigem Eingreifen anregen!
J. Stubben.
Jessen, Witterung und Krankheit. (Zeitschr. für Hygiene und Infections-
krankheiten. XXI, Bd.: II. Heft, S. 287—294.)
Die Vorstellung, dass das Wetter einen Einfluss auf den Gesund¬
heitszustand der Menschen ausübe, ist so alt, wie die Beschäftigung
mit der Heilung der Krankheiten selbst. Immer mehr bricht sich die
Erkenntniss Bahn, dass ausser der Causa movens der Mikroorganismen
noch andere Vorgänge bei der Entstehung, namentlich aber bei der
weiteren Verbreitung vieler Krankheiten eine Rolle spielen.
Verfasser hat genaue Untersuchungen über einen Zeitraum von
14 Jahren in Hamburg angestellt.
Bei acuten Entzündungen der Athmungsorgane liegt das Minimum
der Curve im Spätsommer und Herbst, dann Ansteigen der Curve.
Zur Zeit des Maximums herrschten meist Östliche bezw. nördliche Winde,
des Minimums westliche Winde. Viel Regen scheint die Mortalität
herabzusetzen. Gleiche Verhältnisse zeigt die Mortalitätscurve der
Schwindsucht.
Digitized by
Google
340
Bei Durchfall und Brechdurchfall liegt da» Maximum stets in der
heissen Jahreszeit und auch fast immer bei der absolut höchsten Jahres¬
temperatur. Das SättigungsÄeficit der Luft ist zur Zeit der Maxima
sehr hoch.
Der Typhus trat in Hamburg vorzugweise in der kalten Jahres¬
zeit auf. Croup und Diphtherie kamen in grosser Zahl wesentlich zur
Zeit kalter, bezw. kühler Temperatur vor; das Minimum trifft fast
stets mit warmen Temperaturen zusammen. Das Maximum trifft mit
wenig Kegen zusammen, ferner mit geringen Sättigungsdeficiten.
Masern fallen hauptsächlich in die kalte Jahreszeit, die Nieder¬
schläge sind gross, Sättigungsdeficit niedrig.
Nach diesen Beobachtungen scheint die Lufttemperatur der wesent¬
liche meteorologische Factor zu sein.
Dr. Mastbaum (Köln).
Verzeichniss der hei der Redaction eingegangenen neuen
Bücher etc.
Albrecht, Dr. H., Das Arbeiterwohnhaus. Gesammelte Pläne von Arbeiter-
wohnhäusem und Rathschläge zum Entwerfen von solchen auf Grund
praktischer Erfahrungen. Mit Entwürfen von Prof. A. Messel. 66 Seiten
in Folio mit 4 Figuren im Text und 12 Doppeltafeln. Berlin 1896.
Robert Oppenheim (Gustav Schmidt). Preis in eleganter Mappe 10 Mk.
Annali d’ igiene sperimentale pubblicati e diretti dal Prof.
Angelo Celli. Vol. VI (nuova eerie), fascicolo II, 1896. 8°. Roma 1896.
Societä Editrice Dante Alighieri.
Bollettino della Societä d’ igiene di Palermo. Vol. IH, Fase. 1—2.
Anno 1896. 8°. Palermo 1896. Fratelli Marsala.
Borntraeger, Dr. J., Diät-Vorschriften für Gesunde und Kranke jeder Art.
Zweite verb. Auflage. Leipzig 1896. H. Hartung & Sohn. Preis 2 Mk.
—, Die neue preussische Gebührenordnung für Aerzte und Zahnärzte. Mit
eingehenden Erläuterungen und den für das Erwerbsleben der Medicinal-
personen gütigen Bestimmungen. Kl. 8°. 70 S. Ebenda. Preis 1 Mk.
Bulletin de l’acad^mie royale de m^decine deBelgique. IV« s6rie t
Tome X, No. 5. Ann4e 1896. 8°. Bruxelles 1896.
Die Thätigkeit des Berliner Vereins für Volksbäder. Mit 4 Tafeln.
8°. 72 S. Berlin 1896. Julius Springer.
Dietrich, Dr. E., Das Hebammenwesen in Preussen mit besonderer Berück¬
sichtigung seiner geschichtlichen Entwicklung und Vorschlägen zu seiner
Reform. 8°. VIII u. 128 S. Merseburg 1896. Friedrich Stollberg. Preis
2 Mk.
Dornblüth, Dr. Otto, Nervöse Anlage und Neurasthenie. (Klinik der
Neurosen I.) Kl. 8°. 150 S. Leipzig 1896. H. Hartung & Sohn. Preis
2,50 Mk.
Digitized by ^.ooQle
341
Düsing, Dr., Die Veijudung der Aerzte und das dadurch veranlasste Ein¬
dringen des Cynismus in die Medicin. Ein Beitrag zur: Frauenärztirinen-
frage. 8°. 84 S. Münster i. W. 1895. «Johs. Basch. Preis 1 Mk.
von Esmarch, Dr. Erwin, Hygienisches Taschenhuch für Medicinal- und
Verwaltungsbeamte, Aerzte, Techniker und Schulmänner. Kl. 8°. 240 S.
Berlin 1896. Julius Springer. Preis geh. 4 Mk.
Gerhardt, Dr. C., Edward Jenner und die Kuhpockenimpfung. Festrede
am 15. Mai 1896. Kl. 8°. 24 S. Berlin 1896. Schall & Grund.
Kaufmann, W. H., Ueber die Errichtung von Sanitätswachen in der Stadt
Hannover. Vertrag. 8°. 15 S. Hannover 1896. Carl Meyer (Gustav
Prior). Preis 50 Pfg.
Kneipp, Sebastian, Oeffentliche Vorträge gehalten vor seinen Kurgästen
in der Wandelbahn zu Wörishofen. Hl. Band: Die Vorträge der Jahre
1890 und 1891. Nach stenographischen Aufzeichnungen bearbeitet und
herausgegeben von Prior Fr. Bonifaz Beile & H. Hartmann. Mit einem
Titelbilde. Kl. 8°. 850 S. Kempten 1896. Jos. Kösel’sche Buchhandlung.
Preis 2,60 Mk.
Kobert, Dr. Rudolf, Ueber den Kwass und dessen Bereitung zur Ein¬
führung desselben in Westeuropa. Separatabdruck aus Band V (1896) der
Historischen Studien aus dem pharmakologischen Institute der Kaiser¬
lichen Universität Dorpat. 8°. 32 S. Halle a./S. 1896. Tausch & Grosse.
Preis 1 Mk.
Lange, Prof. C., Periodische Depressionszustände und ihre Pathogenesis auf
dem Boden der harnsauren Diathese. Autoris. deutsche Ausgabe nach
der 2. Auflage des Originals von Dr. Hans Kurelia. 8°. 55 S. Hamburg
und Leipzig 1896. Leopold Voss.
Lehmann, Prof. Dr. K. B. und Neumann, Dr. R., Atlas und Grundriss der
Bakteriologie und Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik.
Theil I: Atlas. Mit 558 farbigen Abbildungen auf 63 Tafeln und circa
70 Bildern im Text. Theil II: Text. (Lehmann’s medicinische Hand¬
atlanten Bd. X.) 8°. 448 S. München 1896. J. J. Lehmann. Preis
geh. 15 Mk.
Monatsschrift für Gesundheitspflege. Organ der Oesterreichischen
Gesellschaft für Gesundheitspflege. Bd. XIV, Nr. 1/5. In Commission bei
M. Perles, Wien.
Petri, Dr. med. R. J. (Regierungsrath), Das Mikroskop. Von seinen An¬
fängen bis zur jetzigen Vervollkommnung für alle Freunde dieses In¬
struments. Mit 191 Abbildungen im Text und 2 Facsimiledrucken. 8°.
248 8. Berlin 1896. Richard Schoetz. Preis 8 Mk.
Proksch, J. K., Dritter Protest gegen Professor Isidor Neumann’s Geschichts¬
schreiberei über Syphilis. 8°. 13 S. Bonn 1896. P. Hanstein’s Verlag.
Preis 60 Pfg.
Rabe, Josef, Abbazia als Winterkurort und Seebad. (Europäische Wander¬
bilder Nr. 243, 244.) Mit 16 Illustrationen und 1 Karte. 8°. 52 S. Zürich,
Art. Institut Orell Füssli. Preis 1 Mk.
Schulgesundheitslehre. Das Schulhaus und das Unterrichtswesen vom
hygienischen Standpunkte für Aerzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte und
Architekten bearbeitet von Dr. H. Eulenberg, Geh. Obermedicinalrath
in Bonn und Dr. Theod. Bach, Director des Falk-Realgymnasiums in
Berlin. Zweite umgearbeitete und erweiterte Auflage. 3. Lieferung. 8°.
S. 177—320. Berlin 1896. J. J. Heine’s Verlag. Preis 8 Mk.
Digitized by ^.ooQle
342
Sperling, Dr. Arthur, Medicinische Streiflichter. Kl. 8°. 224 S. 8. bifl
10. Tausend. Berlin, Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund. Preis
geh. 3 Mk.; geh. 4 Mk.
Vierteljahresschrift über die Fortschritte auf dem Gebiete der
Chemie der Nahrungs- und Ge nussmittel. XI. Jahrgang 1896.
Heft I. 8°. 160 S. Berlin 1896. Julius Springer. Preis 3 Mk.
Wolf, Dr. Julius, Die Wohnungsfrage als Gegenstand der Socialpolitik.
Vortrag gehalten im Rathhaus zu Zürich am 5. December 1895. 8°. 38 S.
Jena 1896. Gustav Fischer. Preis 1 Mk.
Zeitschrift für sociale Medicin. Organ zur Vertretung und Förderung
der Gesammt-Interessen des ärztlichen Standes. Herausgegeben von Dr.
A. Oldendorff. Bd. I, Heft 6. 8°. Leipzig 1896. Georg Thieme.
Preis des vollständigen Bandes 6 Mk. Einzelne Hefte ä 1,20 Mk.
Ziegelroth, Dr., A-B-0 für junge Frauen mit Anleitung zur Ernährung und
Pflege des Kindes bis zur Schulzeit. Nach Dr. Lahmann’s Grundsätzen.
Kl. 8°. 78 S. Stuttgart 1896. A. Zimmer’s Verlag (E. Mohrmann). Preis
geh. 1 Mk.; geb. 1,50 Mk.
Zimmer, D. Friedrich, Der evangelische Diakonieverein, Verein zur
Sicherstellung von Dienstleistungen der evang. Diakonie, eingetragene
Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. Seine Aufgaben und seine
Arbeit. Dritte durchgesehene Auflage. Kl. 8°. 136 S. Herborn 1896.
Evang. Diakonie-Verein. Preis 1 Mk.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaction zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. 0|e Ver laflShandlunfl.
Sanatorium Dr. Aug. Meyer,
Eitorf a. d. Sieg.
Ernährungsstörungen. — Nervenleiden. — Krankheitsanlagen. — Hydro- und
Elektrotherapie. — Fluss-, medicinische und elektrische Bäder. — Diät-, Be-
wegungs- u. Massagekuren. — Das ganze Jahr geöffnet. — Näh. d. d. Prospect.
inseibadpaderborn. Einzige Heil
anstaltl c 4U m Q*\ u. verwandte
für HöUlllla ) Zustände,
Haien* n. Halalelden. Prost, jr.
Spec.-Artt Dr. Brügelm&nn, Dir.
•) Vergl. Brügelmann „Ueber Asthma*
e^c. III. Aufl. Verl, von J. F. Bergmann,
Wiesbaden 1895.
Digitized by tjOOQle
Die Wohnungsverhältnisse der Liegnitzer
Arbeiterbevölkerung vom hygienischen
Standpunkte.
Von
Dr. Solbrifl, Kreiswundarzt in Liegnitz.
In der XX. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege im Jahre 1895 zu Stuttgart betonte der Ober¬
bürgermeister Küchler (Worms) in einigen einleitenden Sätzen zu
seinem Referat über „Maassnahmen zur Herbeiführung eines gesund¬
heitlich zweckmässigen Ausbaues der Städte“ die Wichtigkeit der
Wohnungsfrage der arbeitenden Classen vom allgemein-socialen und
besonderen gesundheitlichen Standpunkt. Er sagte: „Das Wohnungg¬
elend, es tritt uns in den armen Menschen entgegen, die meistens
gern zu Hause sein möchten, wenn sie eben ein Zuhause
hätten. Der Mangel des Familienheims drängt sie auf die Strasse,
verführt sie zum Schnapsgenuss, entfremdet sie dem Familienleben
und zerstört damit das Familienglück. Ja, der Mangel der für ein
Familienleben nöthigen Wohnräume zerstört die Grundlagen, jauf
denen Staat, Gemeinde und Familie gleichermaassen beruhen, —
die Wohnungsfrage ist der grössere Theil der socialen Frage. Wenn
es gelingen wird, der arbeitenden Bevölkerung nicht nur gesunde
Schlafstellen, sondern Wohnräume zu beschaffen, die ein Familien¬
leben ermöglichen, dann wird der schwierigere Theil der noch
zu lösenden socialpolitischen Aufgaben seine Lösung gefunden
haben.“ *)
Ueber den Einfluss des Wohnens auf die Gesundheit sind zahl-
J ) Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl. Bd. XXVHI, S. 28.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 25
Digitized by ^.ooQle
344
reiche statistische Erhebungen von namhaften Forschern angestellt.
Das Ueberwiegen gewisser Krankheiten — besonders solcher der
Säuglinge und bestimmter Infectionskrankheiten — in den Städten
gegenüber dem Lande weist darauf hin, dass, wenn auch nicht die
einzige, so doch eine Hauptursache für die höhere Sterblichkeit in
den Städten „in dem daselbst gedrängten Zusammenleben der
niederen socialen Schichten der Bevölkerung in unzureichenden,
mangelhaften Wohnungen und der damit gegebenen, bald grösseren,
bald geringeren Verunreinigung von Luft, Boden und Wasser“ zu
suchen ist*). Ein directer Einfluss überfüllter, schmutziger, feuchter,
lichtarmer Wohnungen auf die Sterblichkeit ist wiederholt nach¬
gewiesen , so bei Epidemieen von Cholera 2 ), Flecktyphus 8 ),
Diphtherie 4 ) u. a.
Hieraus geht die Bedeutung des gesunden Wohnens für die
Arbeiterclassen deutlich genug hervor; im Uebrigen ist dies ja ein
Gegenstand, der oft und mit Nachdruck von den verschiedensten
Seiten betont ist.
Soviel nun über die Wohnungsnoth und Mittel zu deren Ab¬
stellung gesagt und geschrieben ist, so verhältnissmässig vereinzelt
sind bisher genauere statistische Erhebungen über die thatsächlichen
hygienischen Zustände der Wohnungen der Arbeiter geblieben 6 ).
Solche Beschreibungen, welche sich mit detaillirten Verhältnissen
der Arbeiterwohnungen beschäftigen, sind aber nach Wernich 6 )
„offenbar geeignet, anregend für den fraglichen Gegenstand zu
wirken“.
Im Nachstehenden will ich nun versuchen, eine Schilderung
der hygienischen Zustände der Arbeiterwohnungen in der Stadt
Liegnitz auf Grund eigener Anschauungen und Untersuchungen zu
geben. Es ist mir zwar nicht möglich gewesen, alle oder annähernd
alle dahin gehörenden Wohnungen zu besichtigen — daran waren
äussere Gründe schuld: einmal nahmen die Untersuchungen, da ich
sie allein vornahm, viel Zeit in Anspruch, während andererseits,
um das Ergebniss nicht zu beeinträchtigen, in möglichst kurzer
1 ) Oldendorff, „Einfluss der Wohnung auf die Gesundheit“, i. Handbuch
d. Hygiene von Weyl, IV. Bd., S. 4.
2 ) Körösi s. Oldendorff op. cit. S. 7—8.
8 ) Virchow s. Oldendorff op. cit. S. 7—8.
4 ) Albrecht s. Oldendorff op. cit. S. 7—8.
ö ) Als „bis heute unerreichtes Muster einer Wohnungserhebung“ ist die
von Karl Bücher vorgenommene Bearbeitung einer behördlich angeordneten
Enquöte über die Wohnungsverhältnisse der Stadt Basel vom 1.—19. Februar
1889 an erster Stelle zu nennen. — Diese und eine kleine Broschüre von
H. Hess über die Wohnungsverhältnisse der Nürnberger Arbeiterbevölkerung
(Nürnberg 1893) haben nur manchen Fingerzeig bei aer Bearbeitung des vor¬
liegenden Stoffes gegeben.
6 ) Eulenburg, Kealencyklopädie, II. Auflage, Jahrbücher Nr. 4, Artikel
„Wohnungshygiene“. S. 613. •
Digitized by CjOOQle
345
Zeit die Erhebungen zu Ende zu führen waren, und zweitens er¬
fuhr ich, da ich ohne behördlichen Auftrag zu Werke ging, hin
und wieder Seitens der Hausbesitzer meinem Vorhaben gegenüber
Widerstand. Trotzdem glaube ich, da sich meine Untersuchungen
auf 780 in den verschiedensten Stadttheilen befindliche Wohnungen
beziehen, ein einigermaassen für die ganze Stadt zutreffendes Bild
der Arbeiterwohnungen geben zu können.
Die Besichtigungen, Messungen u. s. w. habe ich in der Zeit
von Ende Februar bis Ende April 1896 vorgenommen; dabei habe
ich solche Wohnungen berücksichtigt, die von den Arbeitern der
verschiedenen Kategorieen (Fabrik-, Bahn-, Tagarbeiter u. dgl.,
excl. aller Handwerker), und zwar nur von solchen, die verheirathet
sind, bewohnt werden.
Die 780 untersuchten Wohnungen vertheilen sich auf 240 Häuser
in 25 Strassen der Stadt und wurden zur Zeit der Untersuchung
von im Ganzen 3205 Personen (1795 Erwachsenen und 1410 Kindern)
bewohnt. Von den 25 Strassen liegen 7 — mit 109 Wohnungen in
48 Häusern — in dem ältesten Stadttheil des Centrums, während
die übrigen 18 Strassen, in denen 671 Wohnungen in 192 Häusern
zur Untersuchung kamen, mehr in der Peripherie der Stadt gelegen
sind. Beide, Centrum und Peripherie, unterscheiden sich in der
Hauptsache durch folgende Punkte: dort enge, dicht bebaute
Strassen, schmale, alte Häuser mit engen, oft dunklen Treppen¬
fluren, engen Höfen und Hinterhäusern, hier breitere, z. Th. recht
breite, freundliche Strassen, häufig mit Baumanlagen, mehrfach
offene Bauweise, Häuser mit Vorgärten, grossen Höfen, die Häuser
nicht selten klein und niedrig, aber auch grosse und hohe Miets¬
kasernen mit hellen Ein- und Aufgängen.
Bei Weitem die meisten Arbeiter wohnen in den an Ausdehnung
grösseren Stadttheilen der Peripherie, in denen sich auch die Fabrik¬
anlagen u. dgl. befinden. Als eigentliches Arbeitsviertel ist ein im
Osten der Stadt gelegener Theil anzusehen, in dem sich neben
älteren Strassen mehrere neuen Datums befinden, die sich durch
die oben genannten Vorzüge auszeichnen, in denen aber anderer¬
seits die Arbeiterkasemen vorherrschen. Die in diesem Viertel ge¬
legenen Arbeiterwohnungen habe ich annähernd vollständig unter¬
sucht; es sind 512 in 12 Strassen, die sich auf 145 Häuser ver¬
theilen. Die fehlenden 161 Wohnungen in 47 Häusern sind in der
Hauptsache in den gegen N, S und W lang sich hinstreckenden,
breiten, ziemlich weit bebauten Strassen (meist älteren Datums)
gelegen.
Die grösste Zahl der in einem Hause befindlichen Arbeiter¬
wohnungen betrug 13; Häuser mit 8 bis 10 solcher Wohnungen
fand ich eind ganze Reihe. Den Charakter von Miethskasernen, für
25*
Digitized by
Google
346
welche die Grundstücke mit über 20 Wohnungen gelten 1 ), trugen
im Ganzen nur 14 von den 240 Häusern.
Dies vorausgeschickt über die allgemeinen Verhältnisse der
Strassen und Häuser, in denen die untersuchten Wohnungen sich
befinden, wenden wir uns nun zu letzteren selbst. Zur Beurtheilung
der hygienischen Beschaffenheit derselben habe ich hauptsächlich
folgende Punkte in Betracht gezogen: Lage der Wohnung (Vorder¬
oder Hinterhaus, nach der Strasse oder dem Hof hinaus, Stock¬
werk, mit besonderer Berücksichtigung der Keller- und Dach¬
wohnungen), Höhe, Grösse nach Zahl der Wohnräume und nach
dem auf den Kopf fallenden Antheil an Flächen- und Luftraum,
Helligkeit, Feuchtigkeit, Sauberkeit, Zahl der Inwohner, mit be¬
sonderer Berücksichtigung der fremden Elemente, Wasserbezug,
Abortverhältnisse und schliesslich Miethspreis der Wohnung und
Arbeitsverdienst der Bewohner. Die letzteren beiden Punkte
schienen mir, obwohl sie nicht direct die Hygiene angehen, doch
wichtig genug, um berücksichtigt zu werden, um aus einem Ver¬
gleich zwischen dem Verdienst und der zu zahlenden Wohnungs-
miethe einen Rückschluss auf die Lebensbedingungen, unter denen
die Arbeiter stehen, machen zu können. Allerdings war ich bei
diesen Punkten, besonders der Frage des Verdienstes, auf die An¬
gaben der Inwohner selbst angewiesen, deren Glaubwürdigkeit nicht
ohne Weiteres zweifellos ist. Die vielfache Uebereinstimmung in
den Angaben — bei Arbeitern derselben Branche der gleiche Ver¬
dienst u. dgl. — unter Ausscheidung der unsicheren Angaben ge¬
stattet aber doch, auch über diesen Punkt ziemlich sichere Resultate
zu gewinnen.
Nach dem Vorbild von Hess habe ich, zugleich, um Vergleiche
zwischen den hiesigen und den von ihm beschriebenen Nürnberger
Verhältnissen anstellen zu können, die untersuchten Wohnungen
zunächst in vier Gruppen, nach der Grösse der Bodenfläche, die
sie einnehmen, geordnet. Die erste Gruppe enthält die Wohnungen,
deren Grundfläche kleiner als 20 qm ist, die zweite Gruppe jene
zwischen 20 und 29, die dritte Gruppe jene zwischen 30 und 39,
die vierte Gruppe jene zwischen 40 und 49 qm; es bleibt dann
noch eine einzige Wohnung übrig, deren Bodenfläche über 50,
nämlich 70 qm beträgt 2 ). Bei dieser Berechnung habe ich Wohn-,
Schlaf- und Küchenräume zusammengefasst. Die meisten Woh¬
nungen gehören der zweiten Gruppe, zwischen 20 und 29 qm, an;
es sind dies 445, also mehr als die Hälfte aller untersuchten
J ) Nach Albrecht, „Wohnungsstatistik und Wohnungsenqußte“, i. Handb.
d. Hygiene von Weyl, IV. Bd., S. 22.
*) Bei den weiteren Zusammenstellungen habe ich diese einzelne Woh¬
nung mit der Gruppe IV zusammengerechnet.
Digitized by
Google
42 japnpia^iVH
2 -
^ ajnaijtqqog
£ uaumreenz
iS u
T3 Q)
wpai 3
s«-
auasqo«Aug
•Mqoois ‘AI
•Anpo;g hx
•Aiqaoig 71
•Aqoojg 7
esoqosaSpig
japj°A
®q«jB»po8*o-«|9
wq«uuaiimpqjo|
ui aqQjf
mqo
um^ayn^
uib
aqogpuapog
oo o: ® qo h
CO g W r-t
»O ^ 03 -<* 03
i—I i—I ,—I 1 —« 6 >J
^ “i ‘'l ® oo
<m~ ©3 03 oi 03
CO CD 00
CG *0 iO ^
CO CO 00 rH cb
_ >H H
^ CO 05
2 SS 8 Sff g
OJ 40 i O O H
IO ^ u: IM
»H ^ H
s s e s s «
er 1 er 1 cp 1 er er ]g
S
uns i
2 SS gg I
-aa>;> g
x. ~ M N
_C 0 / <=>
o &D -
^ 5 ~
B ^
jaqunp uz
ifjdogojdiiHp Q| s|u
| jeStodtt) |||njj3qn
(® g‘g
J^jnn) Sijpdiu dz
£ | U^q9SJ91
x 1 snxnq s*Mp j|in
je sq9||iDjr sjapaosaq
I *0 I—--
^ -)i»qn»Min xjjpuos^q
' Avqoo^g suiap ui
j '^ijossbaV'O *ui(OAV
ftaoqy \ uz *uibj)
jjoqy *a -Szjnuog
o 0 ui aauiuioqurq’z
udsqjaij^ *a -qaaA
j uauiuioqui^j
* & i *
’S d-? »
co wi> .
»O O u? I
00 . 1 -H
ei JO 00 05 I
(M M KJ »O
—' CO ao t>-
KJ KJ IO CO
00 00
H i 1 H 00 t»
co” « ei of
J= tJD
ei G
2 s
roi
•n ui^j g *paa
l £-a
i£
aopuiAj
« CU
&4 0 ;
—* ’S
ouosqDBAug
1
£ Cm
vr G
S *
jdiiBqjaqn
CO CO CO ^ KJ I 00
O 00 <M
HM H H M
M M M CO ^ I 03
CO 03 03 I i—•
CO" '«f ^ ’if Cß I Tfi
£ £ £ £ £
er er er cp er
OJ OJ 05 o &
h m co co ^
l i
ms
58 | 39 | 19 | 68 |l36|l29 | 35 | 98 273 | 35 1 231
348
Wohnungen; dann kommen in fast gleicher Anzahl die Wohnungen
der ersten und dritten Gruppe, während die grössten (Gruppe TV)
nur in der bescheidenen Zahl von 20 vertreten sind.
Wir sehen schon hier einen auffallenden Unterschied zwischen
unseren und den Hess'schen Wohnungen; in Nürnberg fanden sich
nämlich unter 666 Arbeiterwohnungen 29: bis 20 qm, 135: zwischen
20 und 29, 204: zwischen 30 und 39, 172: zwischen 40 und 49,
87: zwischen 50 und 59, 39: über 60 qm gross. Es sind demnach
in Nürnberg sehr viel mehr grössere Wohnungen unter den Arbeitern
vorhanden, als hier; übrigens waren die kleinsten Wohnungen (unter
20 qm), wie Hess angiebt, häufiger vorhanden, als es den Anschein
hat, es kamen nur aus äusseren Gründen so wenige zur Unter¬
suchung. —
Es dürfte von Interesse sein, die Grössenverhältnisse der
kleinsten Wohnungen etwas genauer zu betrachten. Die beifolgende
kleine Tabelle zeigt uns, dass von den 159 Wohnungen der Gruppe I
43 kleiner als 15 qm sind, dass die kleinste Wohnung 10 qm Boden¬
fläche hat. Füge ich hinzu, dass die letztere von 5 Personen
(2 Erwachsenen, 3 Kindern) bewohnt wird, so ist daraus zu ermessen,
wie beengt die Familie wohnen muss.
Grösse der Wohnungen
in qm
10
11
Zusammen
Zahl der Wohnungen:
1
4
10
i
i 8
!
20
116
159
Im Ganzen befinden sich von den 780 Wohnungen 679 in
Vorder- und 101 in Hinter- oder Seitenhäusern. 297 Wohnungen
liegen nach der Strasse, 132 nach der Strasse und nach dem Hofe
und 351 nur nach dem Hofe hinaus; es sind also 45°/o reine Hof¬
wohnungen. Von letzteren sind die meisten bei den kleinsten
Wohnungen zu finden, während mit Grösserwerden der Wohnungen
die Lage nach dem Hofe hinaus seltener wird. Die Tab. I (S. 347)
erläutert dies genauer: in Gruppe I sind 66°/o, Gruppe II 43°/o,
Gruppe HI 30°/o und Gruppe IV 25°/o Hofwohnungen.
Ein sehr grosser Theil der untersuchten Wohnungen, nämlich
811 =40%, besteht aus je einem Zimmer; 103 Wohnungen haben
Stube und Küche, 300 zwei Stuben, 61 zwei Stuben und Küche,
und 5 haben drei Stuben. Naturgemäss überwiegen bei den kleinsten
Wohnungen die einzimmerigen (in Gruppe I 130 = 82%).
Vergleichsweise sei angeführt, dass unter den Nürnberger
Wohnungen nur im Ganzen 4 mit je einem Zimmer vorkamen.
In den 311 Stuben muss also jedesmal die ganze Familie
Digitized by
Google
349
wohnen und schlafen, ja, es muss auch darin gekocht werden. Dem
letzteren Uebelstande abzuhelfen, ist nun eine mir ganz zweckmässig
erscheinende Einrichtung bei den kleinen Wohnungen hier vielfach
getroffen, nämlich Kochöfen, die in die Wand eingemauert sind,
auf dem Flur anzulegen, die meist für je eine Familie, zuweilen
auch für zwei gemeinschaftlich, zur Benutzung stehen. Im Ganzen
habe ich 67 solcher Kochöfen bei den von mir untersuchten Woh¬
nungen gezählt. Wie ich durch vielfache Erkundigungen erfahren,
werden diese Oefen meist gern benutzt — natürlich müssen sie gut
im Stande sein, was nicht immer der Fall zu sein schien —, aller¬
dings nur im Sommer, denn im Winter wird, um nicht doppeltes
Brennmaterial zu verbrauchen, im Zimmer gekocht. Dieser Spar¬
samkeitsgrund bestimmt auch vielfach die Leute, die mehr als ein
Zimmer haben, im Winter nur eins derselben zu heizen und zu
bewohnen, auch zum Schlafen zu benutzen. In einer Reihe von
Fällen konnte ich mich von dieser vom gesundheitlichen Stand¬
punkte nicht gutzuheissenden Einrichtung überzeugen: in dem
kleineren, einfenstrigen von den beiden Wohnräumen wohnt die
ganze Familie, hier wird gekocht, hier schläft auch wenigstens ein
Theil der Familie, während das grössere, freundliche, helle Wohn¬
zimmer durch sein sauberes Aussehen, aber mangelnde Heizung
sofort zu erkennen gab, dass es als sogenannte „gute Stube“ nur
Sonntags benutzt wird. Diese Sitte oder richtiger gesagt Unsitte
ist leider auch in besser situirten Kreisen recht vielfach verbreitet!
Gewöhnlich sind nun die Wohnungen mit zwei Wohnräumen
so eingerichtet, dass der eine — der grössere — mit einem zum
Kochen zu benutzenden Ofen als Wohnzimmer und Küche, der
zweite — der kleinere, oft unheizbare — Raum als Schlafkammer
dient. Diese Kammern, auch Alkoven genannt, sind meist schmal,
oft mit schrägen Wänden und mit kleinen Fenstern versehen, bis¬
weilen auch ganz dunkel. Ich zählte bei den 366 Wohnungen mit
je zwei bis drei Räumen 36 schräge und 24 ganz dunkle Kammern.
Oft (bei kinderreichen Familien) war zwischen den aufgestellten
Betten kaum so viel Platz, um hindurch zu gehen.
Die Küchen, die sich im Ganzen bei 164 Wohnungen (103 mit
je einem Wohnzimmer, 61 mit deren je zwei) fanden, zeigen ein
ganz verschiedenes Aussehen. Ein grosser Theil ist nach Lage,
Grösse, Helligkeit einem Wohnzimmer gleich zu achten, dient auch
hin und wieder mit als Wohn- oder auch als Schlafraum; eine
ganze Anzahl Küchen sind nur kleine — bis zu 2 qm Fläche
herunter —, dürftige Räume, und nicht selten ist der Küchenraum
ohne jede Lichtzufuhr; das letztere findet sich 37 Mal.
Das Genauere mit Rücksicht auf die einzelnen Wohnungs¬
gruppen ist aus der Tab. I zu ersehen.
Digitized by
Google
350
Die Höhe der Wohnungen.
Dieselbe steht einmal mit der Grösse der Wohnungen in einem
gewissen Verhältniss, insofern als die Höhe mit der Gesammtgrösse
der Räume wächst. Die gleiche Erfahrung hat Hess bei den Nürn¬
berger Wohnungen gemacht Aus der Tab. I entnehmen wir, dass
die mittlere Zimmerhöhe von allen Wohnungen 2,5 m beträgt, dass
dieselbe von Gruppe I zu Gruppe IV von 2,46 zu 2,66 m ansteigt.
Die genaueren Höhenverhältnisse ergeben sich aus den folgenden
Tabellen.
Setzt man 2,5 m als das Mindestmaass an Zimmerhöhe an,
wie es der Reichsgesetzentwurf des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege*) fordert (übereinstimmend mit Baumeister’ s,
von Gruber’s 2 ) Forderungen, übereinstimmend auch mit der
„Bezirks-BaupolizeiVerordnung über die Bauten in den Städten
des Regierungsbezirks Liegnitz“ 8 ), so erreichen im Ganzen 285,
d. i. 36,6%, der Wohnungen diese Minimalhöhe nicht. Der Unter¬
schied in den einzelnen Wohnungsgruppen ist hierbei ein grosser:
bei den kleinsten Wohnungen sind 52%, bei den grössten 9,5%
niedriger als 2,5 m.
Höhe in m
unter
2
2
bis
2,09
1
2,1
bis
2,19
2,2
bis
2,29
2,3
j bis
2,39
^ 2,4
bis
j 2,49
2,5
bis
2,99
3
und
mehr
Zus.
unter 2,5
zus. %
© s
Gruppe I .
1
15
17
21
10 |
18
70 1
7
159
82
52
K\
. H .
6
18 |
12
22
43
53 |
274
17
445
154
35
® fcßi
y a
» III •
2
2
5
7
9 1
23
104
3
155
48
31
*S
NJ
. IVu.V
-
—
1
—
1
—
17
2
21
2
9,5
Zusammen
9
35
35
50
63
94
465
29
780
286
36,6
Unter 2,3 m Höhe, welches Mindestmaass Hess zu Grunde
legt, bleiben von unseren Wohnungen immer noch 129= 16,5%,
während in den Nürnberger Wohnungen 13,2 % in diesem Sinne
als zu niedrig gefunden wurden 4 ).
! ) S. unter HI, § 6, 1. „Räume, welche zu längerem Aufenthalt von
Menschen dienen, müssen eine lichte Höhe von mindesten 2,5 m haben.“
a ) Nach Stübben, „Hygiene des Städtebaues“, i. Handb. d. Hygiene von
Weyl, IV. Bd., S. 459.
8 ) S. § 27. „Wohnräume müssen bei Neubauten eine lichte Höhe von
mindestens 2,5 m erhalten.“
4 ) Hess 1. c. S. 10.
Digitized by v^ooQle
351
In welchem Zusammenhänge ferner die Zimmerhöhe mit der
Stockwerkslage der Wohnungen steht, darüber giebt die folgende
Tabelle Auskunft Wir sehen, dass die Kellerwohnungen auffallend
niedrig im Vergleich zu allen anderen Wohnungen sind (90°/o unter
2,5 und noch 64,5% unter 2,3 m). Dagegen sind deutliche Unter¬
schiede bei den Wohnungen im Erdgeschoss und in den vier Stock¬
werken nicht vorhanden; am günstigsten sind die Wohnungen des
ersten Stockwerkes, unter denen 32%, am ungünstigsten die des
vierten Stockwerkes, unter denen 40% niedriger als 2,5 m sind.
Höhe in m
unter
o
2
bis
24
bis
2,2
bis
2,3
bis
2,4
bis
2,5
bis
3
und
Zus.
unter 2,5
o
2,09
249
2,29
2,39
2,49
2,99
mehr
zus.
! °/o
.2
Keller. . .
2
7 :
6
5
3
3
—
31
28
90
w
tf.
Erdgeschoss.
1
5
2
7
14
23
81
7
140
52
37
J
I. Stockwerk
2
9
5
18
15
26
146
11
232
75
32
o
£
n. .
4
14
16
10
18
15
127
11
215
77
36
0)
in. „
' —
2
5
8
10
25
102
—
152
50
33
2
aö
N
iv. „
,j —
—
—
1 '
1
2
6
—
10
4
40
Unter 2 m Zimmerhöhe wurde im Ganzen 9 Mal gefunden
(darunter die niedrigste Höhe bei einer Wohnung mit 1,8 m); die
höchste Höhe betrug 3,4 m und fand sich in einer der ersten
Gruppe angehörenden, im Uebrigen manche Mängel aufweisenden
Wohnung.
Die Belichtung der Wohnungen.
Zur Beurtheilung der Helligkeit habe ich das Verhältniss der
lichtgebenden Fensterflftche (d..i. der reinen Glasfläche und nicht
des Fensters mit Holzrahmen) zur Bodenfläche der einzelnen Wohn-
räume zu Grunde gelegt.
Ohne dass man bisher wissenschaftlich ein für die menschliche
Gesundheit erforderliches Mindestmaass der lichtgebenden Fenster¬
fläche festgestellt hat — eine Aufgabe, die schwer zu lösen sein
dürfte —, hält man doch allgemein daran fest, ein solches Maass
zu fordern. Dasselbe wird von den verschiedenen Hygienikern
und Architekten vielfach verschieden angegeben*). Die be¬
scheidenste Forderung ist die des Deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege, der in dem schon genannten Entwürfe reichs-
*) Vgl. Stübben, „Hygiene d. Städtebaues" 1. c. S. 454/55.
Digitized by
Google
352
gesetzlicher Vorschriften zum Schutze gesunden Wohnens die
Mindestgrösse der lichtgebenden Fensterfläche auf Via der Grund¬
fläche des Raumes festsetzt
Nach dem Durchschnitt bei allen unseren Wohnungen berechnet
(vgl. Tab. I) ist das genannte Verhältniss 1:15; durchschnittlich
die schlechteste Helligkeit haben die kleinsten Wohnungen (Gruppe I
mit 1:15); dann folgen die Wohnungen der Gruppe II und IV
(mit 1 : 14), und am besten sind in diesem Punkte die Wohnungen
der Gruppe HI (mit 1 :12).
Die beiden folgenden Tabellen enthalten die genaueren Licht¬
verhältnisse der einzelnen Wohnungen, die einmal nach den vier
Gruppen, das andere Mal nach der Stockwerkslage geordnet sind,
und zwar habe ich dabei alle Wohnräume (excl. Küchen) der
780 Wohnungen, im Ganzen 1151, in Betracht gezogen. Von
letzteren sind 412, d. i. fast 36°/o, in dem oben erörterten Sinne
mehr oder weniger ungenügend belichtet.
In einer ganzen Reihe von Fällen sind höchst mangelhafte
Helligkeitsverhältnisse vorhanden: wir finden 17 Wohnräume, bei
denen das Verhältniss zwischen Glas- und Bodenfläche 1:50 bis
1 :100 beträgt, 5 1 , bei denen dasselbe geringer als 1:100 ist, und
schliesslich 24 Räume, die ohne jede Lichtzufuhr, ganz dunkel sind.
Wenn nun auch diese ganz schlechten Lichtverhältnisse nicht bei
einzimmerigen Wohnungen, sondern nur bei solchen mit zwei oder
drei Räumen und zwar dann in den zum Schlafen benutzten
Kammern (Alkoven) sich finden, so sind doch auch manche der
erstgenannten Wohnungen vorhanden, die viel an Helligkeit zu
wünschen übrig lassen.
Nach den vier Gruppen geordnet lassen die Wohnungen
folgende Unterschiede in der Helligkeit erkennen: Die allergrösste
Wohnung von 70 qm ist mangelhaft belichtet (das Verhältniss =
1:22 in jeder der beiden Stuben, während übrigens die dabei
befindliche Küche ganz dunkel ist); die nächstgrössten Wohnungen
zwischen 40 und 49 qm weisen 54°/o solcher Wohnräume auf, bei
denen das Verhältniss geringer als 1 :12 ist; dann folgen mit 42°/o
die kleinsten Wohnungen, mit 38°/o diejenigen zwischen 30 und
39 qm, und schliesslich sind die günstigsten die am meisten ver¬
tretenen Wohnungen zwischen 20 und 29 qm mit nur 32 °/o mangel¬
haft belichteter Wohnräume.
Unter Berücksichtigung der Stockwerlage zeigt sich, dass die
im vierten Stockwerk gelegenen Wohnungen die ungünstigsten
Lichtverhältnisse darbieten, denn 82°/o derselben haben ein ge¬
ringeres Verhältniss von Glas- zur Bodenfläche als 1:12. Aller¬
dings sind nur 10 derartige Wohnungen mit zusammen 11 Wohn-
räumen zur Untersuchung gekommen, so dass Zufälligkeiten nicht
Digitized by
Google
Digitized by
SHE
Zusammen 2 5 22 j 25 97 149 215 108 116 70 60'56 32 15 16 13 64 21 19 12 5 5 24 1151 412 35,8
354
ausgeschlossen werden können. Die nächstungünstigen sind die
Kellerwohnungen mit 70°/o mangelhaft belichteter Wohnräume; es
folgen mit 40°/o die Wohnungen des dritten, mit 37,5°/o die des
zweiten, mit 32% die des ersten Stockwerkes, und am besten
stehen die im Erdgeschoss gelegenen Wohnungen da, da nur 27%
derselben nicht ausreichend hell sind.
Der Grad der Helligkeit richtet sich nun auch noch nach der
Grösse des vor den Fenstern liegenden unbebauten Raumes, auch
nach der Himmelsrichtung (bei gleicher Fensterfläche sind die nach
der Sonnenseite zu gelegenen Räume heller als die nach N gelegenen).
Bezüglich des ersteren Punktes verlangt der Entwurf reichsgesetz¬
licher Bestimmungen des Deutschen Vereins flir öffentliche Gesund¬
heitspflege als Minimum einen mittleren Abstand der Gebäude von
% der Gebäudehöhe und eine geringste mittlere Hofbreite von
4 m. Unter Zugrundelegung dieser äusserst bescheidenen Forde¬
rungen, die von den meisten Hygienikern weit überschritten werden,
sind von unseren 780 Wohnungen etwa 30, die an zu schmalen
Strassen liegen, und 30 Hofwohnungen zu beanstanden. Fast alle
diese Wohnungen befinden sich im Centrum der Stadt; wie schon
oben gesagt, liegen die in der Peripherie befindlichen Wohnungen
fast stets an breiten Strassen bzw. nach grossen, luftigen Höfen
hinaus.
Sonstige Beschaffenheit der Wohnungen (Trocken¬
heit, Sauberkeit, Dürftigkeit, Luxus).
Zu einer guten Wohnung gehört vor Allem Trockenheit.
Es ist hier nicht der Ort, die Uebelstände einer feuchten Wohnung
auseinanderzusetzen; es sei nur darauf hingewiesen, wie wichtig
gerade flir die arbeitende Bevölkerung bei dem meist engen
Zusammen wohnen eine trockene Wohnung ist, da es feststeht, dass
die Feuchtigkeit den Krankheitserregern gute Existenzbedingungen
bietet, deshalb in feuchten Räumen gewisse Krankheiten häufiger
sind.
Ich habe bei jeder von mir besichtigten Wohnung ein Augen¬
merk auf die mehr oder weniger trockene Beschaffenheit gerichtet
und bei meiner Zusammenstellung unterschieden: 1) durchaus
trockene, 2) theilweise feuchte (z. B. feuchte Ecken, was ziemlich
häufig war, oder bei mehrzimmerigen Wohnungen eine mässige
Feuchtigkeit des einen Zimmers), 3) durchaus feuchte Wohnungen
(bei denen ganze Wände feucht waren). Das Resultat, das ich
hierbei gewonnen, ist folgendes: Durchaus trocken waren 474 =
61%, theilweise feucht 170 = 22% und durchaus feucht 136 =
17%. Die „theilweise bestehende Feuchtigkeit“ glaube ich als
Digitized by v^ooQle
355
nicht erheblich von Einfluss auf die Gesundheit ansehen zu dürfen,
denn einmal sind es doch nur umschriebene feuchte Flecke in den
Wänden, und dann ist diese Feuchtigkeit meist nur zu gewissen
Zeiten — im Winter, an nassen Tagen — vorhanden. Der Grund
ihrer Entstehung liegt wohl auch weniger in der schlechten Be¬
schaffenheit der Mauern resp. in dem Aufsteigen von Feuchtigkeit
aus dem Boden als in der Nachlässigkeit der Bewohner, besonders
in dem mangelhaften Lüften, bei gleichzeitiger UeberfÜllung der
Wohnräume mit Wasserdampf (durch Kochen und Waschen in den
Stuben). — Als durchaus feucht würden dann immer noch 17°/o
der Wohnungen zu beanstanden sein. Vergleichsweise sei bemerkt,
dass Hess bei den Nürnberger Wohnungen 22% feuchte fand.
Auf -die einzelnen Gruppen vertheilt, stellt sich das Verhältniss
so dar, dass die kleinsten Wohnungen relativ die feuchtesten sind
(23%), dass die Feuchtigkeit mit Grösserwerden der Wohnungen
abnimmt (vgl. die folgenden Tabellen), so dass wir unter den
grössten Wohnungen (über 40 qm) keine durchaus feuchte mehr
finden.
Beschaffenheit der Wohnungen
zus.
trocken
theilweise
feucht
durchau
zus.
iS feucht
°/o
Ja
o _
Gruppe I .
159
85
37
37
23
M
n II .
445
258
101
86
19
© £.
* fl
-tj A
, III .
155
114
28
13
8
•5 a j
N
„ IV und V. . .
21
17
4
en in |
Keller.
31
7
8
16
52
t£
§
Erdgeschoss ....
140
64
30
46
33
C
ja
©
I. Stockwerk . . .
232
159
41
32
14
£
n. , ...
215
141
51
23
10,7
©
IU. „ ...
152
98
38
16
10,5
1
N
IV. . ...
10
5
2
3
30
Zusammen
780
474
170
136
17°/o
Ferner sind unter den Kellerwohnungen die meisten feuchten
(über die Hälfte); dann folgen die Wohnungen des Erdgeschosses
und vierten Stockwerkes, die des ersten und schliesslich die des
Digitized by
Google
356
zweiten und dritten Stockwerkes, in welch letzteren nur zwischen
10 und ll°/o feuchte gefunden wurden.
Von grosser Wichtigkeit ist ferner die Ordnung und Sauber¬
keit in den Wohnungen, nicht blos vom ästhetischen, sondern
auch vom gesundheitlichen Standpunkt. Es ist selbstverständlich,
dass bei Beurtheilung einer Wohnung nach dieser Richtung hin bei
den arbeitenden Classen ein nicht allzu strenger Maassstab angelegt
werden darf; es fehlt hier oft an der Zeit — zumal die Frauen häufig
mit auf Arbeit gehen —, um die Wohnung immer peinlich sauber
halten zu können. Doch kann und müsste jede Arbeiterfrau darauf
halten, dass ihre Wohnung in nicht zu langen Zwischenräumen ge¬
scheuert wird, dass einigermaassen Ordnung herrscht, die Betten
täglich gemacht werden u. s. w. Bei meinen Besichtigungen habe
ich nun zwar oft, auch bei ärmeren, eng wohnenden, zudem kinder¬
reichen Familien, eine höchst befriedigende Ordnung und Sauber¬
keit vorgefunden, aber auch nicht selten hohe Grade von Vernach¬
lässigung jeder Ordnung und Sauberkeit: die Dielen von Schmutz
starrend, Gerätschaften, Kleider u. dgl. in allen Ecken und auf
Tischen und Stühlen herumliegend, überall Schmutz, selbst auf dem
Tisch, an dem gegessen wurde, die Betten ungeordnet u. dgl. m.
Natürlich ist in solch vernachlässigten Wohnungen auch die Körper¬
pflege der Insassen, zumal der kleinen Kinder, eine höchst mangel¬
hafte. Was Wunder, wenn da Krankheiten leichter sich einstellen
und Verbreitung finden, wenn beim Mangel jeder Wohnlichkeit
und Behaglichkeit der Mann nach der Arbeit lieber ins Wirthshaus
als nach Hause geht!
In höchst unsauberem Zustande habe ich im Ganzen 39, d. i.
5°/o, der Wohnungen vorgefunden. Es nimmt kein Wunder, dass,
je kleiner die Wohnungen sind, desto häufiger Unsauberkeit herrscht;
aus der folgenden Tabelle entnehmen wir, dass in Gruppe I 9%
und in Gruppe IV keine unsauberen Wohnungen vorhanden sind.
Ferner ergiebt sich, dass in den Kellerwohnungen verhältnissmässig
häufig (20° o) Unsauberkeit herrscht.
Einen besonders ärmlichenEindruck haben 36 Wohnungen
= 4,6 °/o auf mich gemacht; einige davon waren höchst dürftig aus¬
gestattet und entbehrten der nothwendigsten Möbel; so fand ich wieder¬
holt, dass die Betten in unzureichender Zahl und in recht dürftigem
Zustand waren, u. dgl. m. In 17 Eällen war sowohl hochgradige
Unsauberkeit als grosse Aermlichkeit vorhanden. Dass diese Woh¬
nungen, zumal bei anderweitigen Uebelständen (defecte Dielen,
mangelhafte Licht- und Luftverhältnisse u. s. w.) einen im hohen
Grade jammervollen Eindruck machten, bedarf keiner weiteren
-Ausführung. Zum Glück waren dies wenigstens nur ganz vereinzelte
Digitized by
Google
357
Fälle im Vergleich zu der grossen Zahl besser beschaffener Woh¬
nungen.
Dass mit Grösserwerden der Wohnungen die Aermlichkeit
seltener wird, zeigt die folgende Tabelle.
unsauber
besonders
mit etwas Luxus
Beschaffenheit der
ärmlich
versehen
Wohnungen
ges.
°/o
ges.
°/o
ges.
°/o
i a 1
Gruppe I . . . .
14
9
18
11
1
—
. n ... .
19
7
15
6
18
7
„in ... .
6
4
3
2
41
26
üc c
'S
„ IV und V .
—
—
—
—
9
43
M
Keller.
6
20
8
26
Erdgeschoss . . .
7
5
10
7
7
5
I. Stockwerk . .
16
7
11
5
18
8
fl
n.
5
2
5
2
23
10
s a
NI
in. .
4
2,6
2
1,3
20
13
iv.
1
10
—
—
—
—
Zus.
39
5
36
4,6
68
8,7
Im Gegensatz zu dieser Dürftigkeit waren eine Anzahl Woh¬
nungen in tadellos sauberem Zustande nicht nur, sondern zeigten
auch eine gewisse Wohlhabenheit (im Aussehen der Möbel, im
Vorhandensein kleiner Luxusgegenstände u. dgl.), wodurch sie einen
angenehmen, behaglichen Eindruck machten. Dergleichen beobachtete
ich selbst bei den einfachsten Tagarbeitern, im Uebrigen vielfach bei
den im Allgemeinen etwas besser gestellten Bahnarbeitern. Im
Ganzen zeigten etwa 68, d. i. fast 9°/o aller Wohnungen, dies Vor¬
handensein eines gewissen Luxus. Naturgemäss findet sich dies
häufiger in den grösseren als in den kleineren Wohnungen und
kommt in den Keller- und den im höchsten Stockwerk gelegenen
Wohnungen nicht vor. Auch darüber giebt die obige Tabelle ge¬
nauere Auskunft.
Grösse der Wohnungen (pro Kopf und nach der Zahl
der Wohnräume berechnet).
Um eine Ueberfüllung ,der Wohnungen zu vermeiden, bedarf
es eines hinreichenden Flächenraums resp. Luftraums; dieses Maass
wissenschaftlich festzustellen ist um so schwieriger, wie Sttibben
Digitized by ^.ooQle
358
ausführt 1 ), als andere Umstände, wie Luftwechsel, Besonnung u. A.
dabei in Betracht zu ziehen sind. Es ist jedoch ohne Weiteres ein¬
leuchtend, dass mit Zu- und Abnahme des auf die Person fallenden
Wohn- resp. Schlafraums die Reinheit der Luft und damit das
Wohlbefinden besser und schlechter wird. Abgesehen von viel zu
weit gehenden und deshalb unerfüllbaren Forderungen einiger
Autoren 2 ) wird im Allgemeinen für jeden Erwachsenen wenigstens
4 qm Fussbodenfläche und 10—12 cbm Luftraum gefordert 8 ).
Aehnliche Forderungen werden durch die Bestimmungen über
den Mindestschlafraum, welche sich in Gesetzen und Polizei¬
verordnungen u. dgl. finden, aufgestellt. So soll in Deutschland
in Kasernen an Luftraum in Schlafsälen auf den Mann mindestens
13 cbm kommen. Für Nachtherbergen und Schlafgängereien wird
in Deutschland meist ein Luftraum von mindestens 10 cbm auf den
Kopf vorgeschrieben, in Belgien und Frankreich von 14, in Genf
von 16 cbm. Als Mindestschlafraum wird in englischen Armen¬
wohnungen und in Auswanderer-Logirhäusern in Seestädten 10 cbm
verlangt 4 ).
In dem mehrfach schon genannten Entwurf des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege wird im § 10,2 bestimmt:
„Vermiethete, als Schlafraum benutzte Gelasse müssen für jedes
Kind unter 10 Jahren mindestens 5 cbm, für jede ältere Person
mindestens 10 cbm Luftraum enthalten. (Kinder unter einem Jahre
werden nicht mitberechnet.)“ Bücher trennt nun den Mindest¬
schlafraum von dem Mindestwohnraum und fordert für den ersteren
eine Grösse von mindestens 10 cbm, für den letzteren eine solche
von mindestens 20 cbm 6 ).
Dies vorausgeschickt, wollen wir daraufhin unsere Wohnungen
betrachten. Die nachfolgenden Tabellen erläutern den auf den
1) 1. c. S. 473.
2 ) Hirt verlangt für jeden Erwachsenen 240 cbm, Oesterlen 150—180 cbm
Schlafraum (nach Bücher 1. c. S. 125).
8 ) Die vom Oesterreichischen Ingenieur-und Architektenverein entworfenen
Grundlagen fordern, dass auf jede erwachsene Person oder auf je zwei Kinder
über 2 und unter 14 Jahren wenigstens 4 qm Fussbodenfläche und 10 cbm
Wohnraum entfallen; wird in einem Wohnraume ein Kohlenherd aufgestellt,
so sind für die Ermittelung des Belages 10 cbm Rauminhalt in Abzug zu
bringen (nach Stübben 1. c. S. 459). — Ifach einem Gesetzentwurf des Ham¬
burger Senates wird verlangt: Im Schlafzimmer müssen auf jedes Kind unter
10 Jahren mindestens 5, auf jede ältere Person mindestens 10 cbm Luftraum
bei mindestens 2 bezw. 4 qm Grundfläche pro Person vorhanden sein (Kinder
unter 1 Jahr werden ausser Betracht gelassen (nach Hygien. Rundschau 1893,
S. 1024). — Klasen meint: „Unter der Voraussetzung, dass Wohn- und Schlaf¬
zimmer getrennt seien, biete erfahrungsgemäss ein Zimmerraum von 10 —12 cbm
für jeden darin lebenden erwachsenen Menschen hinreichende Luft zu einem
normalen Athmungsprocess; rechne man für Arbeiterwohnungen eine Zimmer¬
höhe von 3 m, so ergebe sich die minimale Grundfläche für jede Person zu
etwa 4 qm.“ (nach Bücher 1. c. S. 125).
4 ) Nach Bücher 1. c. S. 126.
*) 1. c. S. 92 u. 127.
Digitized by ^.ooQle
Flächenraum in qm I Luftraum
CentrmIHfctt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg.
26
Digitized by v^ooQle
zusammen 3,21 47 93 110113 96 78 189127 3 24 3 1 4 9 13 9 29 24 34 34 42 212271 73 18 6 2 35 4,5 410 52,6
360
Kopf fallenden Flächen- und Luftraum. Bei diesen Berechnungen
habe ich die gesammten Wohnräume (incl. Küchen, da diese meist
mit zum Wohnen benutzt werden) in Betracht gezogen, zwei Kinder
unter 10 Jahren gleich einem Erwachsenen gerechnet und die Kinder
unter einem Jahr unberücksichtigt gelassen.
Legen wir nun die bescheidenen Vorschriften mit 4 qm
Flächenraum und 10 cbm Luftraum zu Grunde, so bleiben im
Ganzen nur 24, d. i. 3°/o der Wohnungen, unter dem Mindestmaass
von 4 qm Fläche pro Kopf, und 35, d. i. 4,5 % unter dem Mindest¬
maass von 10 cbm pro Kopf. Wir finden, wie dies natürlich ist,
dass solche Ueberfüilung fast nur in den kleinsten Wohnungen vor¬
kommt, und dass mit Zunahme der Grösse der Wohnungen auch
die Grösse des auf den Kopf fallenden Flächen- und Luftraums
steigt. Nach Tab. I (S. 347) wächst der durchschnittliche Flächen¬
raum von Gruppe I zu Gruppe IV von 5,4 bis 10 qm und der
durchschnittliche Luftraum von 13,2 bis 26,6 cbm.
Wenn wir dagegen mit Bücher als Mindestwohnraum 20 cbm
Luftraum pro Kopf verlangen, so würden von unseren 780 Woh¬
nungen über die Hälfte, nämlich 410 = 52,6%, dieses Maass nicht
erreichen; auf Gruppe I kommen hierbei 85%, auf Gruppe IV
4,8 %.
Nach den Stockwerken geordnet zeigen auch in diesem Punkte
die Kellerwohnungen die ungünstigsten Verhältnisse (9,7 % weniger
als 4 qm und 10 cbm pro Kopf), während die übrigen Wohnungen
wesentliche Unterschiede nicht erkennen lassen.
Vergleichsweise sei das Ergebniss von Hess bei den Nürnberger
Wohnungen angeführt. Hess bezeichnet als überfüllt solche Woh¬
nungen, bei denen auf den Kopf weniger als 12 cbm Wohn- und
Schlafraum treffen, und fand in diesem Sinne überfüllte Wohnungen
17%. Legen wir gleichfalls diesen Maassstab an, so würden von
unseren 780 Wohnungen 88 = 11 % als überfüllte zu bezeichnen sein.
Man hat ferner zur Beurtheilung des zulänglichen Wohnens
die Zahl der Bewohner mit der Zahl der Wohnräume in jeder
einzelnen Wohnung in Beziehungen gebracht. Bücher 1 ) hält alle
Wohnungen „schlechthin für unzulänglich“, in denen mehr als zwei
Personen ohne eigene Küche hausen müssen, solche mit zwei Per¬
sonen ohne Küche als bedingt zulänglich; er fordert für Familien,
die 4—5 Personen zählen, zwei Zimmer nebst Küche. Neefe 2 ) be¬
trachtet einzimmerige Wohnungen mit mehr als 5, zweizimmerige
Wohnungen mit mehr als 9 Bewohnern überhaupt als überfüllt.
Die oben erwähnten, vom Oesterreichischen Ingenieur- und
0 1. c. S. 92.
2 ) Stübben 1. c. S. 473.
Digitized by ^.ooQle
361
Architektenverein entworfenen Grundzüge bestimmen, dass Jede
selbstständige Wohnung in der Regel wenigstens aus zwei getrennten
Räumen bestehen muss“.
Sehen wir uns von diesem Gesichtspunkt unsere Wohnungen
an (vgl. die folgenden drei Tabellen), so finden wir, dass von den
im Ganzen vorhandenen 311 Wohnungen mit je einem Zimmer
67 von je zwei Personen bewohnt werden; die übrigen 244 sind
nach Bücher als unzulänglich (kulturwidrig) zu bezeichnen, während
nach Neefe im Ganzen 43 Wohnungen, in denen auf das Zimmer
mehr als fünf Personen kommen, schon deshalb überfüllt genannt
werden würden. In je zwei Fällen bewohnen acht Personen eine
einzimmerige Wohnung.
Von den 403 Wohnungen mit zwei Zimmern (bzw. ein Zimmer
und Küche — ich habe aus früher genannten Gründen diese dazu
gerechnet —) werden 48 von je zwei Personen bewohnt; in dem
Neefe’schen Sinne überfüllt (d. h. mehr als neun Personen auf eine
solche Wohnung) würde nur eine sein. Die Forderung Bücher's,
dass für Familien, die 4—5 Personen zählen, zwei Zimmer und
Küche vorhanden sind, erfüllen von den 323 hierher gehörigen
Haushaltungen nur 32 (= 10 °/o). Der weiteren Forderung, dass bei
zahlreicheren Haushaltungen (mehr als fünf Personen auf eine
Wohnung) nicht mehr als zwei Personen auf ein Zimmer entfallen,
würden von den 147 Haushaltungen nur neun entsprechen.
Die Anzahl der Personen wächst mit Grösserwerden der Woh¬
nungen *). ln Tab. I (S. 347) sind die mittleren Personenzahlen bei
den vier Gruppen der Wohnungen eingezeichnet; wir sehen daraus,
dass die durchschnittliche Zahl der Bewohner von Gruppe I zu
Gruppe IV allmählich von 8,6 zu 4,4 steigt, dass die Zunahme
mehr bei den Erwachsenen als bei den Kindern stattfindet.
Keller- und Dachwohnungen.
Wir haben bisher schon manche Eigenthümlichkeiten der Woh¬
nungen je nach der Höhenlage, in der sich dieselben befinden,
erörtert und im Besonderen das Ueberwiegen gewisser Uebelstände
in den Kellerwohnungen festgestellt. Trotzdem wird es nöthig sein,
im Zusammenhang noch einmal auf die Kellerwohnungen zurttck-
zukommen und dann die Dachwohnungen, die als solche bisher
noch keine Besprechung gefunden haben, einer Untersuchung zu
unterziehen. — Vielfach wird verlangt, Kellerwohnungen ganz zu
versagen; dies ist nach Gärtner nicht immer berechtigt, doch
müssen dieselben, um den gesundheitlichen Ansprüchen zu genügen,
vollkommen trocken, luftig und gut belichtet sein, ferner eine
*) Dasselbe stellt Hess für Nürnberg fest.
26 *
Digitized by
Google
362
Kellersohle haben, die nicht mehr als ca. 1 m unter der Erde liegt,
und dürfen dieselben nicht nach N liegen 1 ).
1. Einzimmerige Wohnungen.
Zahl der Bewohner
einer Wohnung
2
3
4
5
6
7
8
9
10
zusammen
Zahl der
Wohn, in
Gruppe I.
. n .
n HI .
38
29
36
45
3
21
48
6
17
25
12
18
1
6
4
1
1
__
130
170
11
zusammen
2. Zweizin
67 84 1 75
amerige
42
Wo
31 1 10 2
hnungen.
311
Zahl der Bewohner
einer Wohnung
2
3
4
5
6
7
8
9
10
zusammen
Zahl der Woh¬
nungen in
Gruppe I .
» ii.
. ui.
. IV .
8
26
14
7
55
28
1
7
62
20
5
7
51
18
4
►—* 4^ 1
O O 1
17
:
-
8
1
3
I 2
1
29
263
99
12
zusammen
3. Dreizir
48 1 91
1
nmeri
94
g e
1 80
Wo
51 24
1
hnung
9
;en
5
1
403
Zahl der Bewohner
einer Wohnung
2
3
4
5
6
7
8
9
10
zusammen
Zahl der
Wohn, in
Gruppe II.
. in.
„ IV und V . .
2
5
2
2
9
3
12
2
2
9
4
1
7
1
2
3
_
—
—
12
45
9
zusammen
9
11
17
15
Q
9
5
—
66
*) 1. c. S. 129. — Eine Polizeiverordnung für Liegnitz sagt: „Mit Rück¬
sich auf die örtlichen Verhältnisse in Liegnitz dürfen Räume, welche zu
dauerndem Aufenthalt von Menschen dienen, nirgends tiefer als 0,50 m unter
dem umgebenden Erdboden liegen. Dieses Maass kann auf 1 m erhöht werden,
wenn an der zu den betreffenden Räumen gehörigen Frontwand ein durch-
f ehender Lichtgraben hergestellt wird, dessen Breite mindestens nur 0,60 m
eträgt, und dessen gut zu entwässernde Sohle um 15 cm tiefer als der Fuss-
boden der anstossenaen Räume angeordnet ist. Zu dauerndem Aufenthalt
Digitized by ^.ooQle
363
Wie früher schon besprochen, sind von den zur Untersuchung
gekommenen 31 Kellerwohnungen (d. i. 4% der Gesammtzahl) 16
= 52% absolut feucht; bei manchen war dies so hochgradig, dass
die Wände vor Nässe trieften, oder Pilzwucherungen an den
Wänden stark ausgebreitet waren. Nicht genügende Helligkeit
(d. h. das Verhältniss von Glas- zur Bodenfläche kleiner als 1:12)
haben 70°/o der Kellerräume. Ferner beträgt der senkrechte Ab¬
stand der Kellersohle von dem Niveau der Strassenoberfläche bei
20 Kellerwohnungen (= 64°/o) mehr als 1 m. Wie die kleine Tabelle
zeigt, ist der geringste Abstand 0,6 m (in fünf Fällen), der höchste
2,2 m (in einem Fall). Schliesslich liegen 10 von den Kellerwohnungen
nach N hinaus.
Abstand der Kellersohle von
der Erdoberfläche in m
0,6
bis
0,69
0,7
bis
0,79
0,8
bis
0,89
0,9
bis
0,99
1
bis
1,50
1,50
bis
2
über
2
Zahl der Kellerwohnungen .
5
—
1
i
5
17
2
i
1
Berücksichtigt man diese besonderen Verhältnisse der Keller¬
wohnungen, so dürften nur drei derselben, da sie allenfalls hin¬
sichtlich der Trockenheit, Helligkeit und Tief läge genügen, als
einigermaassen befriedigend gelten können. Da nun aber auch hin¬
sichtlich der Höhe (90% sind niedriger als 2,5 m) und des auf den
Kopf fallenden Luftraums (10% sind überfüllt) vielfach Uebel-
stände herrschen, wie wir früher gezeigt haben, so würde von den
drei sonst zulässigen Kellerwohnungen nur eine einzige hygienisch
unbeanstandet bleiben können.
Dachwohnungen werden hier nach einer Polizeiverordnung
unter folgenden Bedingungen zugelassen:
„Dachwohnungen dürfen nur unmittelbar über dem obersten
Stockwerk und nicht über einander angelegt werden und müssen
massive Wände oder Wände mit gemauertem Bindewerk haben.
Im Uebrigen müssen sie den für Wohnräume allgemein gültigen
Bestimmungen entsprechen.“
Von den 780 Wohnungen sind 48 (=6%) Dachwohnungen;
davon befinden sich 8 eine Treppe, 28 zwei Treppen, 12 drei
Treppen hoch. Die Hälfte besteht aus je einem, die andere Hälfte
aus je zwei Wohnräumen. Das zweite Zimmer ist fast jedesmal
von Menschen bestimmte Räume, deren Fussboden in den Erdboden ein¬
gesenkt werden soll, dürfen an Höfen nur angelegt werden, wenn die Längen-
bezw. Breiten-Abmessung des Hofes nicht kleiner ist, als die zugehörigen
Fronten der umgebenden Gebäude hoch sind.
Digitized by v^ooQle
364
eine abgeschrägte Kammer , die zum Schlafen dient. 26 von den
Wohnungen sind Giebel- und 12 Erker- oder Mansardenwohnungen«
Was die Grösse betrifft, so haben
1 zwischen 10 und 14 qm Bodenfläche
20 „ 15 )> 19 „
25 „ 20 „ 29 „
2 „ 30 „ 39 „ „
Die Höhe der Wohnungen geht aus folgender Tabelle hervor.
Höhe in m.
unter
2
2
bis
2,09
2,1
bis
2,19
2,2
bis
2,29
2,3
bis
2,89
2,4
bis
2,49
2,5
und
mehr
Zahl der Dachwohnungen .
2
12
12
9
2
5
6
Danach bleiben 35 (= 73 °/o) unter 2,3 m Höhe (welches Mindest-
maass nach der bayerischen Bauordnung für Dachwohnungen vor¬
geschrieben ist), manche davon ganz erheblich darunter; die beiden
niedrigsten Dachwohnungen sind je 1,9 m hoch. 2,5 m hoch, und
höher sind überhaupt nur 6 (das höchste ist 2,6 in einem Falle).
Ueber die Helligkeit geben die beiden folgenden Tabellen Aus¬
kunft. Aus der ersten ersehen wir, dass bei den einzimmerigen
Dachwohnungen von 24 nur 4 genügend hell sind (d. h. dass bei ihnen
das Verhältniss von Glas zur Bodenfläche wenigstens 1:12 beträgt);
Verhältniss von Glas-
zur Bodenfläche = 1:
52
Zahl der
Dachwohnungen
1
3
1
4
1
2
1
3
1
1
2
i
1
1
1
1
1
manche sind höchst mangelhaft belichtet, bei zwei Wohnungen be¬
trägt das betreffende Verhältniss 1 : 42 bzw. 1:52. Bei den Dach¬
wohnungen, die je zwei Zimmer haben, zeigt das eine (das Wohn¬
zimmer) in elf Fällen günstige Lichtverhältnisse (Verhältniss =1:8
bis 1:12), während 1:20 bis 1 :30 im Ganzen sechsmal vorkommt;
dagegen ist das zweite Zimmer (die Schlafkammer) fast stets mangel¬
haft belichtet; nur einmal findet sich 1:10, dann gleich 1:80 und
mehr bis zu 1: 50, und drei von den Kammern sind überhaupt ohne
Fenster.
In diesen mehr oder minder dunklen Räumen schlafen gewöhn¬
lich die Insassen, und zwar meist recht eng, denn die durchschnitt¬
liche Grösse der Kammern beträgt 8 qm, die durchschnittliche Höhe
Digitized by CjOOQle
365
2,2 m, der mittlere Luftraum, da die Kammern meist ganz oder
theil weise abgeschrägt sind, nicht mehr als ca. 12 cbm. Zum Theil
können die Uebelstände dadurch gemildert werden, dass die Thüren
zu den Wohnzimmern während der Nacht offen gelassen werden.
Recht bedenklich ist es aber, wenn nur ein Raum vorhanden
ist, der zum Wohnen, Schlafen und zugleich zum Kochen dient.
Weniger als 4 qm Fussbodenfläche pro Kopf (wobei zwei Kinder
unter zehn Jahren = einem Erwachsenen gerechnet sind) kommt
in zwei, weniger als 10 cbm Luftraum pro Kopf dagegen in neun von
den Dachwohnungen vor. Ein Mindestwohnraum von 20 cbm findet
sich nur bei acht Wohnungen vor. Die genaueren diesbezüglichen
Zahlen ergeben sich aus den beifolgenden Tabellen.
Fläohenraum pro Kopf
in qm
2
3
4
5
6
7
i
8
9
10
bis
14
zu¬
sammen
3
einzimmerigen Wohnungen
1
1
5
6
5
2
1
2
1
24
i
zweizimmerigen „
—
3
3
4
4
1
5
_!
4
24
zusammen
Tj
1
8 i
1
9
9
6
2
7
5
48
Digitized by
Google
366
Luftraum pro Kopf
in cbm
6
7
8
9
10
11 ;
13
14
I 15
bis
! 19
20
bis
29
zusammen ||
u
©
2
einzimmerigen Wohnungen
1
1 1
3
2
1 4
i
3
1
_
24
c8
N
zweiziinmerigen „
—
' —
—
2
! 4
i
; i
2
2
24
zusammen
1
I 1
1 ^
4
'8
2
4
3
2
i 12
8
48
Von den 24 Wohnungen mit nur je einem Zimmer werden
22 von mehr als zwei Personen bewohnt; so viele würden also nach
Bücher als unzulässig zu bezeichnen sein. Die nächste Tabelle er¬
läutert die Zahl der auf die Dachwohnungen fallenden Inwohner.
Zahl der Bewohner einer
Wohnung
B
B
zusammen
©
2
einzimmerigen Wohnungen
2
5
6
7
2
2
_
24
08
N
zweizimmerigen „
4
7
2
6
4
1
—
24
zusammen
6
12
8
13
6
3
—
48
Ueber die sonstige Beschaffenheit der Dachwohnungen ist noch
zu bemerken, dass 15 derselben trocken, 19 theilweise feucht und
14 (=29°/o) als durchaus feiicht zu bezeichnen sind. 6 befanden
sich in höchst unsauberem Zustande, 7 machten einen besonders
ärmlichen Eindruck.
Unter Berücksichtigung aller besprochenen Verhältnisse dürften
nur zwei von den Dachwohnungen hygienisch ganz unbeanstandet
bleiben können, während als durchaus schlecht und ungesund 40
(== 83 °/o) ganz zu verwerfen sind.
Wasserversorgung und Abortverhältnisse.
Durch die hier vorhandene Wasserleitung erhalten die meisten
Häuser bis in die oberen Stockwerke hinauf ihr Wasser. Nur in
wenigen, abseits gelegenen Häusern ist keine Wasserleitung und
daher der Bezug des Wassers durch Brunnen oder die Wasser¬
leitung aus Nachbarhäusern geboten. Zuweilen sind die obersten
Stockwerke und manche Hinterhäuser nicht an die Wasserleitung
angeschlossen; in diesen Fällen sind die Bewohner darauf angewiesen,
ihr Wasser aus den tiefer gelegenen Stockwerken bzw. aus den
Vorderhäusern zu holen.
Digitized by
Google
367
Bei den 780 Wohnungen fand ich 21, die sich auf acht Häusei
vertheilten, deren Bewohner das Wasser aus den im Hof befind¬
lichen Brunnen entnehmen. 11 Haushaltungen in Hinterhäusern
sind auf den Bezug des Wassers aus der jedesmal im Vorderhaus
im Erdgeschoss befindlichen Wasserleitung angewiesen. Bei 26 Woh¬
nungen ist die Wasserleitung nicht in demselben Stockwerk, sondern
eine Treppe tiefer (ii* 23 Fällen) resp. zwei Treppen tiefer (in drei
Fällen).
Im Ganzen ist also die Wasserversorgung eine bequeme. Das¬
selbe gilt von der Ableitung der Abwässer aus den Küchen, denn
überall da, wo Wasserleitung ist, ist zugleich für die Abwässer ein
Ausgussbecken vorhanden, durch das dieselben dem Kanalisations¬
netz zugeführt, also schnell abgeleitet werden. Aus den wenigen
Wohnungen ohne Anschluss an die Kanalisation müssen die Ab¬
wässer nach aussen getragen oder in die Abborte geschüttet
werden.
Was die Abortverhältnisse betrifft, so sind dieselben insofern
günstige, als fast allgemein die Aborte an die Kanalisation an¬
geschlossen sind, deshalb Wasserspülung haben und geruchlos
sind; hingegen ergeben sich vielfach Uebelstände daraus, dass die
Zahl der Aborte im Vergleich zu den dieselben benutzenden Per¬
sonen meist eine zu geringe ist. Die Durchschnittszahl der auf
einen Abort angewiesenen Familien beträgt (vgl. Tab. S. I 347) in
Gruppe II am meisten, nämlich 6, dann in Gruppe I 5,6, Gruppe HI
5,3 und Gruppe IV immer noch 4,7 Familien.
Die folgende Tabelle giebt genauere Auskunft über die Zahl
der auf einen Abort angewiesenen Familien.
Zahl der auf einen
Abort kommenden
Familien
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
i 11
! 12
15
?
zusammen
Zahl der Woh¬
nungen in
Gruppe I . .
. II • •
„ III . .
„ IV und V
1
4
q !
'
6
2
11
25
16
6
28 35
74101
30 36
3 2
39
77
21
! 3
16
35
19
1 2
13
77 i
17
2
2
4
3
6
26
4
1
2
1
5
4
2
7
3
159
445
155
21
zusammen
1
I 21
: 58
I 135 I 174
jl40
72
109
9
1 37
2
6
4
1
1 12
780
Danach hat nur in einem Falle eine Familie ihren eigenen
Abort, und es kommen in 239 Fällen (d. h. mehr als 30%) mehr
als sechs Familien und noch in 49 Fällen zehn und mehr Familien
(höchste Zahl 15, viermal) auf einen einzigen Abort.
Digitized by ^.ooQle
368
Ein grosser Werth wird nun von den meisten Hygienikern
darauf gelegt, dass die Zahl der Aborte in jedem Hause eine aus«
reichende ist, und es bedarf wohl keiner weiteren Auseinander¬
setzung, dass es nicht nur höchst misslich, sondern auch wegen
eventueller Uebertragung von Krankheiten gefährlich ist, wenn
mehrere oder gar zahlreiche Familien auf einen Abort angewiesen
sind. So fordert Gärtner 1 ), dass jeder Abort von nur einer,
höchstens zwei Familien benutzt wird. Der Gesetzentwurf des
Hamburger Senates verlangt für jede Wohnung einen eigenen
Abort. Nach dem Entwürfe reichsgesetzlicher Vorschriften etc. ist
„in der Regel für jede Wohnung ein besonderer, umwandeter, be¬
deckter Abort anzulegen“.
Von solchem Standpunkt betrachtet, sind demnach die Abort¬
verhältnisse der Liegnitzer Arbeiterwohnungen durchgehends
mangelhafte. Bücher 2 ), der in Basel in dieser Beziehung „geradezu
skandalöse Zustände“ fand, glaubt eine Lücke in der bestehenden
Gesetzgebung zu sehen, wenn ein Hausbesitzer beliebig viele Woh¬
nungen zu dauerndem Aufenthalt für Menschen vermiethen darf,
ohne für genügende Abtrittseinrichtungen gesorgt zu haben.
Was die Lage der Aborte betrifft, so sind bei 551 Haus¬
haltungen (d. h. 70°/o) die betreffenden Aborte in den Höfen
befindlich, während in den übrigen Fällen die Aborte innerhalb
der Häuser gelegen sind, und zwar entweder mit der Wohnung
im gleichen Stockwerk oder in einem höheren oder tieferen
Stockwerk.
Wir sehen auch hierbei einen Unterschied bei den ver¬
schiedenen Wohnungsgruppen, insofern als bei den kleineren
Wohnungen die Aborte häufiger im Hofe sich befinden, als bei
den grösseren (Gruppe I 76%, Gruppe IV 50%), wie dies die
folgende Tabelle zeigt.
1
im Hof
, im Haus
g
Lage der Aborte
in demselben
Stockwerk
in einem anderen
Stockwerk
»9
M
*■-
I
Gruppe I. . .
121
16
22
159
M g
® 60
. ii . •
323
63
59
445
'Ö P
—1 p
„in . .
97
38
20
155
•8 =
N
„ IV und V
10
8
3
21
zusammen
551
125
104
780
’) Leitfäden der Hygiene, 1822, S. 242.
f ) L c. S. 244.
Digitized by
Google
369
Schlafgängerei und Haltekinderwesen in den
Wohnungen.
Von fremden Elementen in den Haushaltungen verdienen die
Schlafgänger und Haltekinder eine besondere Beachtung.
Im Ganzen habe ich bei meinen Untersuchungen 12 Haus¬
haltungen mit zusammen 19 Schlafgängem (14 männlichen, 5 weib¬
lichen) und 26 Haushaltungen mit zusammen 28 Zieh- oder Pflege¬
kindern angetroffen. Bei Weitem am häufigsten finden sich die
Schlafgänger in den grösseren Wohnungen (vgl. die Tabelle).
Schlafgänger
j Ziehkinder
Zahl der fremden
Personen
1
2 ,
1
3
zusammen
i j
2
zusammen
Gesammte
Zahl der
Schlaf- Zieh¬
gänger kinder
zusammen
w c
3.5
Ä
X g
Gruppe I . .
2
—
2
1
—
1
2
1
3
u tc
® c
. ii • •
3
—
3
17
2
19
3
21
24
TJ 2
, in • •
2
_
2
6
—
6
2
6
8
:
„ IV und V
1
1
3
5
—
J —
—
12
12
zusammen
8
1
1 3
12
24
2
26
19
28
47
Für die Unterbringung der Kost- oder Quartier-(Schlaf-)gänger
existirt in Liegnitz eine Polizeiverordnung, die ähnlich den sonst
hierüber erlassenen Vorschriften beschaffen und deren wesentlichster
Inhalt folgender ist:
„§ 3. Jeder an Kost- oder Quartiergänger vermiethete Schlaf¬
raum muss eine lichte Höhe von 2,30 m haben, durch eine Thür
verschliessbar, mit mindestens einem in der Aussenwand befind¬
lichen, zum Oeffnen eingerichteten Fenster versehen sein und
trockene, gegen Witterungseinflüsse vollkommen schützende Decke,
Fussboden und Wände haben. Kellerräume dürfen nur, nachdem
sie von der Ortspolizeibehörde nach Anhörung des Kreisphysikus
für geeignet erachtet sind, Bodenräume unter dem unverschalten
Dache überhaupt nicht als Schlafstellen vermiethet werden.
§ 5. Für jeden Quartiernehmer ist ein Luftraum von 10 cbm
bei 4 qm Grundfläche zu gewähren.“
Im Allgemeinen entsprechen die von mir untersuchten Räume,
in denen Schlafgängerei betrieben wird, den gestellten Anforde¬
rungen; der geforderte Flächen- und Luftraum war stets vorhanden;
bezüglich der Höhe blieben zwei Räume ein wenig unter dem
Digitized by
Google
370
Mindestmaass von 2,3 m (mit 2,2 bzw. 2,25 m); die sonstige Be¬
schaffenheit (Trockenheit, Helligkeit u. s. w.) war auch eine stets
zufriedenstellende; nur in einem Falle waren die Zustände höchst
mangelhafte. Es handelte sich um einen Bodenraum, der zwar
genügend gross und hoch war, der aber unverputzte Wände hatte,
unter dem unverschalten Dache sich befand und vor allem un¬
genügend durch ein kleines Fenster belichtet war (das Verhältnis«
von Glas- zur Bodenfläche = 1 : 60).
Was die Verhältnisse, unter denen die Zieh- und Pflegekinder
untergebracht sind, betrifft, so soll dies hier nicht genauer erörtert
werden, da ich diesen Gegenstand auf Grund eigener Beobachtungen
besonders behandelt habe 1 ). Im Allgemeinen sei nur erwähnt, dass
das Haltekinderwesen hier im Ganzen nicht unter ungünstigen
Wohnungsverhältnissen zu leiden hat.
Wohnungsmiethe.
Dass mit dem Grösserwerden der Wohnung der Preis für die
Miethe im Allgemeinen steigt, ist selbstverständlich. Der Gesammt-
miethspreis nimmt von Gruppe I bis zu Gruppe IV von 66,5 bis
zu 125 Mark zu, wie aus der Tab. I (S. 347) zu ersehen ist Doch
sind noch andere Momente für den Preis maassgebend: Lage der
Wohnung mit Bezug auf den Stadttheil, mit Bezug auf das Stock¬
werk, grösserer oder geringerer Zubehör zur Wohnung u. dgl. m.
Alles dies interessirt uns hier nicht so sehr, als zu ermitteln, wie¬
viel der Quadrat- bzw. Cubikmeter bei den verschiedenen Woh¬
nungen kostet. Es ergiebt sich nun hierbei die merkwürdige That*
Sache, dass, je kleiner die Wohnung, um so höher der Preis für
den einzelnen Quadrat- und Cubikmeter wird. Aus der Tab. I ent¬
nehmen wir, dass in den kleinsten Wohnungen der Quadratmeter
4,18 und der Cubikmeter 1,72 Mark kosten, dass die Preise sich
mit jeder einzelnen Gruppe verringern, so dass bei den grössten
Wohnungen der Quadratmeter nur noch 2,8 und der Cubikmeter
nur noch 1,08 Mark kosten (d. h. die kleinsten Wohnungen sind
um 67 bzw. 63°/o theurer als die grössten).
Mit Recht macht Hess, der bei den Nürnberger Wohnungen
dieselbe Beobachtung gemacht hat, darauf aufmerksam, dass „das
Preisverhältniss pro Cubikmeter in grossen und kleinen Wohnungen
für letztere noch weit ungünstiger ist, als es die Tabellen ersehen
lassen, wenn man in Betracht zieht, dass die Wohnungen um so
weniger an Bequemlichkeiten bieten, je kleiner sie sind“ 2 ).
*) Vgl. -Ueber das Kost- und Haltekinderwesen“ in Vierteljahrsschrift f.
gerichtl. Mea. und öffentl. San.-W. Dritte Folge XII. 2.
*) Hess 1. c. S. 7.
Digitized by
Google
371
Auch Bücher kommt bei seinem grossen Zahlenmaterial zu
dem Resultate, dass, „je kleiner die Wohnungen sind, um so grösser
die Zahl der Wohnungen mit hohen und sehr hohen Preisen ist;
dass der Aermere relativ erheblich theurer und schlechter wohnt,
als der Reiche“ *).
Zum Vergleiche möge erwähnt werden, dass die Miethspreise
absolut, d. h. pro Quadrat- resp. Cubikmeter, in Liegnitz erheblich
niedriger sind, als in Nürnberg. Nach Hess kostete hier der Quadrat-
resp. Cubikmeter bei den Gruppen:
qm
cbm
I
7,27
3,17 Mark
II
5,88
2,37 „
in
5,05
1,97 „
IV
4,58
1,74 ,,
Einkommen und Verhältniss von Wohnungsmiethe
zum Einkommen.
Das Einkommen der Arbeiterfamilien setzt sich zum grösseren
Theil aus dem Arbeitsverdienst der Familienväter, zum kleineren
Theil aus dem Verdienst der Frauen und erwachsenen Kinder
und schliesslich aus dem etwaigen Verdienst durch Halten von
Schlaf- und Kostleuten und Pflegekindern zusammen. Gerade die
Frauenarbeit ist hier gar nicht selten: eine ganze Zahl der Arbeiter¬
frauen hilft durch Arbeiten ausser dem Hause (in Fabriken, in der
Landwirtschaft u. A. m.) oder auch im Hause (Verfertigen von
Wollarbeiten für Fabriken hier besonders häufig) mit verdienen.
Nach meinen Erhebungen kommt dies im Ganzen bei 171 von den
780 Haushaltungen (=22°/o) vor.
Ohne hier näher auf die Höhe des Arbeitsverdienstes im
einzelnen Falle eingehen zu wollen, will ich nur angeben, dass das
durchschnittliche Gesammteinkommen in den Haushaltungen der
Gruppen I 512, Gruppe H 562, Gruppe IH 585, Gruppe IV
675 Mark etwa jährlich beträgt. Danach beläuft sich die Wohnungs-
miethe durchschnittlich auf 15,5°/o des Einkommens; günstiger sind
die Familien in kleineren Behausungen daran als die in grösseren
(bei Gruppe 1 12,8, II 15,1, III 18, IV 19°/o), wie dies aus der
Tab. I ersichtlich ist.
Vergleichsweise sei angeführt, dass Hess bei den Nürnberger
Wohnungen fand, dass durchschnittlich 13,2 °/o des Einkommens
für die Miethe ausgegeben wurde, dass die Familien in kleineren
Behausungen etwas ungünstiger daran waren, als die anderen;
denn während letztere zwischen 12,1 und 13,1 °/o der Einnahme
*) Bücher 1. c. S. 210.
Digitized by ^.ooQle
372
für Miethe zahlten, gaben erstere zwischen 13,4 und 14,1 °/o dafür
aus. Im Ganzen war die Wohnungsmiethe in Nürnberg, wie schon
bemerkt, höher, dafür aber auch der Verdienst entsprechend
grösser.
Damit der Arbeiter gesundheitlich entsprechend leben kann,
darf er für die Wohnung nicht mehr als ungeführ ein Sechstel des
Verdienstes ausgeben 1 ). Es würden also danach die Inwohner der
Wohnungen von Gruppe ID und IV etwas zu viel für ihre Woh¬
nung ausgeben, während für die an Zahl überwiegenden Haus¬
haltungen der Gruppe I und H Einkommen und Wohnungsmiethe
im richtigen Verhältnis stehen würden.
Gesammtresultat über die Güte der Wohnungen.
%
Nachdem wir die wichtigsten hygienischen Punkte einzeln be¬
sprochen haben, wollen wir nun das Gesammtresultat über die
sanitären Verhältnisse der untersuchten Wohnungen ziehen.
Wenn wir die bescheidensten Anforderungen gelten lassen, so
werden wir alle die Wohnungen als ungesund und unzulässig an-
sehen müssen, die
1) weniger als 10 cbm Luftraum pro Kopf (zwei Kinder unter
zehn Jahren = ein Erwachsener gerechnet) gewähren — überfüllt —,
2) eine Zimmerhöhe von weniger als 2,3 m haben — zu
niedrig —,
3) das Verhältnis von Glas- zur Bodenfläche kleiner als 1: 20
haben — zu dunkel —,
4) feucht sind.
Aus den folgenden Tabellen geht hervor, wie oft diese vier
Missstände entweder einzeln oder mehr oder weniger vereinigt bei den
780 Wohnungen Vorkommen. Wir finden, dass 75 von den Woh¬
nungen von den genannten Missständen je zwei, 14 deren drei und
drei alle vier aufzuweisen haben. Im Ganzen sind 273=85°/o
als unzulässig anzusehen; davon kommen 53°/o auf die kleinsten
Wohnungen (Gruppe I); mit Zunahme der Grösse nimmt die Zahl
der schlechten Wohnungen ab, so dass Gruppe H 33%, Gruppe IH
26% und Gruppe IV nur noch 14% unzulässiger Wohnungen auf¬
zuweisen hat.
Nach der Höhenlage geordnet, sind die schlechtesten die Keller¬
wohnungen (87 % resp. nach dem, was hierüber weiter oben gesagt
ist, noch mehr unzulässig); dann folgen die Wohnungen im vierten
Stockwerk (70%), die des Erdgeschosses (39%), und die besten
sind die des ersten, zweiten und dritten Stockwerks in ziemlich
gleichem Verhältniss (28—34% schlecht).
*) Gärtner 1. c. S. 242.
Digitized by
Google
26
14
iH
00
ja^nnp ^unjjaqn
‘Supaia nz ‘iqanaj
I I I
ja^anp oo oo co n
pijanp pan ^pyjaqn | ^ | ;
Wnpdqn 00 H | |
Wnjwqn « | - |
‘ja^unp ‘äupaia nz 1
ja^unp o oo o .
pan 3upara nz *"* 1
co | i
-iaqn pan dupaia nz 1 1
00 05
mw
-jaqn ‘ja^anp ‘jqanaj
Supaia nz
‘lllPJJraqn ‘jqonaj
Supaiu
nz ‘(a^anp ^qonaj
ja^anp pan ^qonaj
iipy-^qp p^ n w^aj
Supern nz pan ?qonaj g g
^qonaj 3 g
: a s
R R R
A P™ AI
374
Zum Vergleiche sei angeführt, dass Hess in Nürnberg bei ähn¬
lichen Anforderungen — er berücksichtigt den Helligkeitsgrad nicht
in der Weise, wie ich es gethan, verlangt dafür aber statt 10 cbm
Luftraum 12 cbm pro Person — im Ganzen nur 27°/o der Woh¬
nungen als unzulässig bezeichnen musste; es waren aber die
Gruppe I mit 66, H mit 36, HI mit 29 und IV mit 20% be¬
theiligt. Hiermit verglichen, würden also die Liegnitzer Verhält¬
nisse etwas günstiger sein, als die in Nürnberg.
Sind aber nun die übrig bleibenden 65% der Wohnungen
hygienisch tadellos? Das ist leider nicht der Fall. Uebelstände,
wenn auch nicht so krasser Natur, sind auch in gar manchen von
diesen Wohnungen zu finden. Bezeichnen wir nach den voran¬
gegangenen Erörterungen als mangelhaft alle solche Woh¬
nungen, die
1) weniger als 20 cbm Luftraum pro Kopf (Mindestwohnraum)
haben,
2) niedriger als 2,5 m sind,
3) bei nur einem Zimmer mehr als zwei Personen beherbergen,
4) unter zwei Wohnräumen einen dunklen besitzen (bei mehr
als zwei Inwohnern),
so würden incl. der bereits als unzulässig bezeichneten Wohnungen
im Ganzen 549 = 70% herauskommen, demnach nur 231=30%
gut und hygienisch nicht zu beanstanden genannt werden können.
Von letzteren entfallen auf Gruppe 1 10%, II 25%, HI 55%,
IV 76%.
Unterschied zwischen den Wohnungen der alten und
1 der neuen Stadtviertel.
Es ist nun von grossem Interesse, zu untersuchen, wie die
hygienischen Zustände der Wohnungen in den verschiedenen Stadt-
theilen sich gestalten. Von vornherein war anzunehmen, dass die
alten Stadttheile, besonders das Centrum, wesentlich ungünstigere
Verhältnisse darbieten würden, als die neueren Stadttheile in der
Peripherie.
Um hierüber Genaueres zu erfahren und dabei nicht allzu
weitläufig zu werden, habe ich die sämmtlichen 109 Wohnungen»
die im Centrum, in den alten Häusern, gelegen sind, 129 Woh¬
nungen in vier neueren Strassen der Peripherie der Stadt gegen¬
übergestellt Das Ergebniss ist in der folgenden Tabelle nieder¬
gelegt. Der Unterschied in beiden Gruppen ist fast in allen Punkten
ein ganz gewaltiger. Dort — in dem alten Stadttheil — sind 48 %
aller Wohnungen einzimmerig, hier — in dem neueren Stadttheil —
nur 37%; dort 11% überfüllt (d. h. weniger als 10 cbm Luft-
Digitized by v^ooQle
375
raum pro Kopf), hier nur 2,3%; dort 52°/o niedriger als 2,5 m,
hier nur 4%; dort 18% zu dunkel (d. h. Verhältniss von Glas-
zur Bodenfläche kleiner als 1 :20), hier 0°/o. Das Gesammtresultat
ist, dass als hygienisch unzulässig nach den oben angegebenen An¬
forderungen in der ersten Gruppe 54 Wohnungen = 50% und in
der zweiten Gruppe nur 7 =4,6%, als durchaus befriedigend vom
hygienischen Standpunkt von der ersten Gruppe 18%, von der
zweiten Gruppe 60% anzusehen sind. Dabei sind die Wohnungen
der ersteren Gruppe noch theurer als die der zweiten, denn der
durchschnittliche Miethspreis pro Cubikmeter beträgt dort 1,48,
hier 1,36 Mark. — Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich
nun die übrigen Wohnungen; ich habe davon abgesehen, die ge¬
naueren Verhältnisse der letzteren tabellarisch niederzulegen.
Ueberblicken wir die gewonnenen Resultate, so müssen wir
zugeben, dass auch für die hiesigen Arbeiterwohnungen, soweit die
Zustände der untersuchten Wohnungen eine Verallgemeinerung
zulassen, ein gewisser Nothstand besteht. Leider ist es bei dem
Mangel bisheriger zahlreicher Wohnungserhebungen aus Mittel¬
städten nicht möglich, zu sagen, ob die Verhältnisse in Liegnitz
günstiger oder ungünstiger sind ?/ als durchschnittlich in Städten
gleicher Ausdehnung.
Was kann nun geschehen, um bestehende Missstände zu be¬
seitigen? Die Thatsache, dass die Wohnungen in den alten Stadt-
theilen recht viele gesundheitliche Uebelstände zeigen, dagegen die
Wohnungen in den neueren Strassen und Stadtvierteln ausser ihrer
gesünderen Lage auch hinsichtlich der baulichen Verhältnisse ganz
erheblich besser beschaffen sind, lässt ja erfreulicher Weise hoffen,
dass mij der Zeit die Zahl der gesunden Wohnungen zunehmen
wird. Mit einem Schlage wird ja überhaupt die Wohnungscalamität
nicht zu beseitigen sein, denn das, was vom gesundheitlichen Stand¬
punkte wünschenswerth ist, dass die schlechten Wohnungen geräumt
bezw. bei Ueberfüllung der Wohnungen die betreffenden Insassen
veranlasst würden, in grössere Quartiere zu ziehen, scheitert an der
damit verbundenen Schädigung materieller Interessen.
Es wird daher vorzugsweise darauf ankommen, dass bei Neu¬
anlagen alle erforderlichen Bedingungen für eine gute Arbeiter¬
wohnung erfüllt werden, und in zweiter Linie darauf, dass nach
Möglichkeit solche Wohnungen, die in jeder Beziehung den gesund¬
heitlichen Anforderungen zuwider sind, geräumt werden. Zur
Centnffblfttt f. »11g. Gesundheitspflege. XV. Jshrg. 27
Digitized by ^.ooQle
376
I. Alter Stadttheil
(Centrum) ....
II. Neuer Stadttheil
(Peripherie). . .
Wohnungen nach der
Lage — alter und
neuer Stadttheil —
z usammengestell t
| CO
05
Zahl der Wohnungen, in denen auf
den Kopf entfallen cbm
1 ^
CO CO
oc
t—‘ CO
«p_
CO ^
©
CO
00 05
5
t—» Cn
co
Cn CO
£
8 3
£ 1 £
05 CO
CO to
Sl g
^4 o
s§ 1 8
f—‘
4^ | 4^
CO 1 O
CO
Cn 1 Cn
CO 1 o
H-» t— 1
*8 fe
Mittl.
Mieths-
preis der
Woh¬
nungen
pro cbm
Ji
00 Cn
feucht
Zahl der unzulässigen Wohnungen
1 *
feucht und zu niedrig
1 ^
feucht und überfüllt
1
feucht und zu dunkel
1
feucht, zu dunkel und
zu niedrig
1 1
feucht, überfüllt und
zu niedrig
1
feucht, z. dunk. u. überf.
*-1 CO
zu niedrig
1
zu niedrig u. überfüllt
1 ®
zu niedrig u. zu dunkel
1 N>
zu niedrig, zu dunkel
und überfüllt
co co
überfüllt
~ 1
überfüllt u. zu dunkel
1 5
zu dunkel
1 ■»
feucht, zu niedrig, über¬
füllt und zu dunkel
-3 S
Zahl | gl
Cn
05 O
-S '"O *5
© r*- '
-o co
-4 o
zusammen g ^
a ?
Zahl der
guten
1
09 j
81
33 g-
© » i
o- B
I. Alter Stadttheil
(Centrum) ....
II. Neuer Stadttheil
(Peripherie) . . .
“O“ -
neuer Stadttheile —
zusammengestellt
Wohnungen nach der
liiurß — Alter und
co S
An¬
zahl
ife 8
1 Zimmer
Wohnungen
bestehen aus
05
1 Zimmer n. Kftehe
Sä fe
2 Zimmern
00 co
2 Zimmerau. Köche
1 -
unter 2
Höhe der Wohnungen in m
1 £
2-2,09
1-1 Cn
2,1—2,19
| CO
2,2—2,29
1 So
2,3-2,39
00
2,4—2,49
•- 1 g*
Cn -4
2,5-2,99
co Cn
3 u. mehr
1
g»>
Cn
Verhältniss der Glasfläche zur Bodenfläche
in den Wohnzimmern = 1:
i_ ____:-
1 1
—«—
--
Cn CO
-4
M-*
00 cn
00
52 £
CO
fcO CO
5 •
52
44
i—» i—‘
<D 5* H*
1 £
20
bis
29
1 Cn
CO 2* 05
co s o
1 *
40
bis
49
1
50
bis
75
1 CO
Zimmer
Zahl der
Wohnungen
mit je
1 dunklen
-t—i co
Küche
Digitized by ^.ooQle
377
Durchführung solcher Maassnahmen sind meines Erachtens ärzt¬
liche Sachverständige nicht zu entbehren. Die geeigneten Per¬
sonen würden in erster Reihe die Medicinalbeamten (der Kreis-
physicus), dann auch die Communal- und Armenärzte sein, welche
letztere Gelegenheit haben, die Wohnungen der ärmeren Classen
häufiger zu sehen. |Es würde mich hier zu 'weit führen, näher
darauf einzugehen, wie solche Controle einzurichten ist — ob in
Form von Wohnungsaufsehern oder Wohnungsämtern u. dgl.*) —;
nur sei noch bemerkt, dass auch in diesem Punkte, wie in manchem
andern, was die Hygiene anlangt, vielfach das Ausland 2 ) uns
Deutschen voraus ist.
*) Vgl. Wernich, Wohnungsbetrieb, Wohnungsaufseher etc., in Handb.
d. Hygiene von Weyl, IV. Bd., 2. Abth., S. 519 ff.
*) Ders. S. 528 u. 29.
27*
Digitized by ^.ooQle
Die Barlow’sche Krankheit.
Kurze Zusammenstellung der bisher über diese Krankheit
gesammelten Erfahrungen.
Von
Dr. med. Arthur Dräer,
I. Assistent am hygienischen Universitätsinstitut zu Königsberg i. Pr.
Eine in den letzten Jahren immer mehr das Interesse der
Aerzte erregende Krankheit der Säuglinge ist die „Barlow*sehe
Krankheit“, benannt nach dem Engländer Barlow, dem ersten
gründlichen Beschreiber derselben. Wenngleich seit der Beschrei¬
bung der ersten Fälle dieser Krankheit durch Möller in Königs¬
berg im Jahre 1857 schon ca. 200—300 weitere Fälle, besonders
in der englischen und amerikanischen Literatur, bekannt gemacht
sind, so ist unsere Kenntniss von dem Wesen der Krankheit und
von ihren Ursachen noch eine recht unvollkommene, und es gehen
die Ansichten auch der neueren Autoren über die Barlow'sche
Krankheit vielfach noch recht weit auseinander.
Ich will es versuchen, in Folgendem an der Hand der wich¬
tigsten Literatur über die genannte Krankheit eine kurze Be¬
schreibung der Entwicklung der jetzt bestehenden Ansichten über
dieselbe, sowie der Krankheitssymptome und ihrer Bekämpfung zu
geben.
Was die Bezeichnung dieses Krankheitsbildes mit dem Namen
„Barlow'sche Krankheit“ betrifft, so führt dasselbe diesen
Namen — wenigstens bei uns in Deutschland — seit dem Jahre
1883, als Barlow 1 ) die bisherigen, vielfach von einander abwei¬
chenden Einzelbeobachtungen deutscher und englischer Forscher
*) Barlow, On cases described as „acute Rachitis“, which are probably
a combination of scurvy and rickets, the scurvy being an essential and the
rickets a variable element. (Med.-chir. Transact. London. Bd. 66. 1883.)
Digitized by ^.ooQle
379
sammelte und auf Grund derselben, sowie eigener Beobachtungen
ein einheitliches Bild der damals noch wenig beobachteten Krank¬
heit gab. Allerdings war schon vor Barlow von verschiedenen
-Autoren mehrfach auf die scorbutartige Natur des Leidens
hingewiesen worden, auf Symptome, deren Beschreibung in den
ersten Veröffentlichungen jjollkommen fehlte, und welche doch nach
den neueren und neuesten Untersuchungen als das wichtigste Moment
bei dieser Krankheit hingestellt werden.
Der erste Beobachter der Krankheit war, wie schon gesagt,
Möller 1 ), welcher im Jahre 1857 einzelne Fälle beschrieb, sie
aber für eine acut auftretende Modification der Rachitis hielt und
sie dementsprechend auch „acute Rachitis“ nannte, weil er an
seinen Kranken nur die rachitischen Erscheinungen beobachtete
und zunächst keine anatomischen Studien hatte machen können.
Aber auch einige Jahre später hielt Möller 2 ) noch an der von
ihm gewählten Krankheitsbezeichnung fest, trotzdem er inzwischen
Gelegenheit gehabt hatte, an einem Fall die anatomischen Verhältnisse
zu überschauen und an einem zweiten Falle deutliche scorbutartige
Erscheinungen, sowie den günstigen Einfluss einer antiscorbutischen
Behandlungsweise zu beobachten.
Uebrigens hat vor Möller vielleicht schon Monfalcon 8 ) diese
Krankheit gekannt, da er bei der Besprechung der Rachitis bereits
von Beziehungen spricht, welche zwischen der Rachitis und dem
Scorbut bestehen, und über einen Fall von „Rachitis scor-
butique“ berichtet, woselbst er an einer Stelle sagt: „Man hat
in einigen, allerdings sehr seltenen Fällen eine gewisse Complication
von Rachitis und Scorbut gesehen.“
Die auf die Veröffentlichungen Möller's folgenden Beobach¬
tungen über neue Fälle aus der Feder verschiedener Autoren, wie
Andersen 4 ), Bohn 5 )in Königsberg, Förster 6 ) u. A., schliessen
sich eng an Möller an und behalten die Bezeichnung „acute
Rachitis“ bei, bis endlich 1878 von Cheadle 7 ) die scorbutische
Natur des Leidens erkannt wurde. In Deutschland wies zuerst
l ) Möller, Acute Rachitis. (Königsberger med. Jahrbücher, Bd. I. 1859.)
8 ) Möller, Zwei Fälle von acuter Rachitis. (Königsberger med. Jahr¬
bücher, Bd. III. 1862.)
*)Monfalcon, Artikel „Rachitis“ im Dict. des Sciences mädicales,
Bd. XL VI. 1820. (Citirt nach Fürst, Arch. f. Kinderheilk., Bd. XVIII.)
4 ) Andersen, Studier over „Acut Rachitis“. (Aphandling for Doctor-
graden i Medicin 1866.)
B ) Bohn (Königsberg), Acute Rachitis. (Jahrb. für Kinderheilkunde,
Bd. I. 1868.)
Ä ) Förster, Ein Fall von acuter Rachitis. (Jahrb. für Kinderheilkunde
Bd. I. 1868.)
7 ) Cheadle, Clinical Lecture on three cases of scurvy supervening on
rickete in young children. (Lancet. 16. Nov. 1878.)
Digitized by
Google
380
Förster 1 ) auf die Erscheinungen von hämorrhagischer
Diathese (Blutkrankheit, d. h. krankhafte Veränderung in der
Zusammensetzung des Blutes) bei der Erkrankung hin, und nun
folgte eine grosse Reihe von Veröffentlichungen über diese Krank¬
heit, in welchen dieselbe theilweise direct als Scorbut, resp. infantiler
Scorbut u. 8. w. bezeichnet wird, wie es die Engländer und Ameri¬
kaner zum grössten Theil auch jetzt noch thun, theilweise aber —
und das ist wohl der richtigere Standpunkt — sehr viel vorsich¬
tigere und sich y nur an das Thatsächliche haltende Bezeichnungen
erhält.
Autoren der ersten Art sind unter Anderen z. B. R e h n 2 ) und
Pott 8 ) von deutschen Autoren, und Carr 4 ), Goss 5 ) und
Northrup 6 ) von amerikanischen.
Von Untersuchern der zweiten Art sind als die wichtigsten
Rehn, Rauchfuss und Hirschsprung 7 ) zu nennen, von
welchen Rehn es zunächst dahingestellt sein lässt, ob die Barlow'sche
Krankheit Scorbut oder irgend eine andere neue Krankheit sei,
später aber wieder bei seinen Publicationen die Bezeichnung Scorbut
wählt, während Rauchfuss und Hirschsprung es direct in
Abrede stellen oder zum Mindesten stark bezweifeln, dass die
Krankheit Scorbut sei.
Weitere Autoren dieser Art sind Heubner 8 ), welcher nur
von einer „scorbutartigen Erkrankung rachitischer
Säuglinge“ spricht, und Henoch 9 ), welcher annimmt, dass es
sich bei der Barlow’schen Krankheit nur um eine Form der
hämorrhagischen Diathese handelt, die zwar Manches mit dem
Scorbut gemein hat, aber doch nicht identisch mit diesem zu
sein scheint. Ihre häufige Combination mit Rachitis spricht
*) Förster, Zur Frage der sogenannten acuten Rachitis. (Veröffentl.
der Gesellsch. f. Heilk. in Berlin, Ba. IV. 1881.)
*) Rehn, Ein Fall von Scorbut bei einem Knaben von 15 Monaten, mit
ausgedehnter subperiostaler Blutung, Epiphysenlösung u. s. w., die sogenannte
-acute Rachitis“. (Berl. klin. Wocnenschr. 1889.) — Rehn, Ueber Scorbut.
(Verhandl. des 10. internst, med. Congresses zu Berlin 1890.) — Rehn, Ein
weiterer Fall von kindlichem Scorbut mit subperiostalen Blutungen, Cheadle-
Barlow’scher Krankeit. (Jahrb. für Kinderheilkunde Bd. XXX VII. 1894.)
8 ) Pott, Ueber Scorbut im Säuglingsalter. (Münchener med. Wochen¬
schrift 1891.)
4 ) Carr, A case of scorbuts in an infant. (Med. Rec. New York 1892.
Bd. UL)
5 ) Goss, A case of infantile scurvy. (Boston Med. and Surg. Joura.
1892. Bd. CXXVII.)
•) Northrup, Scorbutus in infants. (Transact. amer. Pediatr. Soc.
New York 1892Ö
7 ) Rehn, Rauchfuss und Hirsch sprung, Bericht über die Verhandl.
der pädiatr. Section auf dem intemat. med. Congress zu Kopenhagen 1884.
(Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. XXV. 1886.)
8 ) Heubner, Die scorbutartige Erkrankung rachitischer Säuglinge.
Nach einem Vortrag in der Med. Gesellsch. zu Leipzig. (Jahrb. für Kinder¬
heilkunde 1892. Bd. XXXIV.)
9 ) Henoch, Vorlesungen über Kinderkrankheiten. 8. Aufl. 1895.
Digitized by
Google
381
seiner Meinung nach für eine gemeinsame Ursache, die in fehler¬
hafter Ernährung zu suchen ist.
Auch Conitzer 1 ) ist hier zu nennen, welcher auf Grund
ähnlicher Erwägungen sogar eine Namensänderung der Krankheit
vorschlägt, nämlich in „Osteopathia haemorrhagica“, eine
Bezeichnung, die auch Henoch sehr passend erscheint.
Eine Namensänderung wird auch von Fürst 2 ) vorgeschlagen,
der eine Bezeichnung wählt, welche sich an das rein Thatsächliche
bei der Krankheit hält und alle Speculationen vermeidet, nämlich
„Rachitis haemorrhagica tt , weil sich das Krankheitsbild aus
einer leichten Rachitis und einer schweren hämorrhagischen Diathese
zusammensetzt
Von den meisten Autoren, die in den letzten Jahren casuistische
Beiträge zur Kenntniss der Barlow’sehen Krankheit gebracht haben,
wird jedoch eben die Bezeichnung „Barlow’sche Krankheit“
gewählt, besonders von den deutschen Autoren im Gegensatz zu
d^n Engländern und Amerikanern, die auch bis in die neueste Zeit
meistens die Bezeichnung „Scurvy“ (Scorbut) beibehalten. Es ist
also wohl zweckmässig, dass möglichst von allen Namensänderungen
abgesehen wird, damit die Unsicherheit, welche gerade bei dieser
Krankheit noch recht gross ist, nicht noch mehr zunimmt.
Was die Symptome der Krankheit betrifft, so sind dieselben,
von den meisten Autoren ziemlich übereinstimmend beschrieben,
kurz folgende:
Die Krankheit befällt ausschliesslich Kinder von der Mitte des
ersten bis zur Mitte des dritten Jahres; sie sucht sich also ziemlich
dasselbe Alter aus, in welchem die Rachitis vorzugsweise beobachtet
wird, und zwar beginnt sie meistens gegen Ende des Winters oder
im Frühling, also zu einer Zeit, in welcher das Kind vorher wochen¬
lang am Genuss frischer Luft behindert gewesen ist.
Der Beginn des Leidens ist oft acut, so dass das Kind schon
nach wenigen Tagen allgemeinen Unbehagens Empfindlichkeit, ja
oft ausserordentlich starke Schmerzhaftigkeit und Unbeweglichkeit
der befallenen Glieder zeigt, bei deren leisester Berührung oder
Bewegung es laut aufschreit. In vielen Fällen zeigt die Krankheit
aber nicht diesen acut einsetzenden Beginn, sondern das Kind verliert
anscheinend allmählich die Lust am Gehen und Stehen, bis schliess¬
lich Beides unmöglich wird, und dasselbe meistens ausgestreckt,
unbeweglich im Bett liegen bleibt, jede Betastung, jede active oder
passive Bewegung mit lauten Schmerzensäusserungen begleitend.
*) Conitzer, Zwei Fälle von Barlow’scher Krankheit. (Münch, med.
Wochenschr. 1894.)
*) Fürst, Die Barlow’sche Krankheit (Rachitis haemorrhagica). (Archiv
für Kinderheilk., Bd. XVIIL 1895.)
Digitized by
Google
382
Sehr bald tritt nun auch — und das ist der eigentliche Beginn
der Krankheit — eine diffuse Schwellung der Weichtheile einer
oder mehrerer Glieder auf, und zwar meistens der Ober¬
schenkel. Diese Schwellung ist gewöhnlich derart, dass sie in der
Mitte des befallenen Knochens am stärksten ist und nach den
Gelenkenden zu abnimmt, so dass das kranke Glied eine Spindel¬
form erhält. Diese Geschwulst ist meist prall-elastisch und so stark,
dass bald alle Falten der Haut verstrichen sind, dieselbe leicht
glänzend und gespannt erscheint. Dabei ist sie nicht geröthet,
sondern sogar sehr blass. Durch vorsichtige äussere Untersuchung
lässt sich annähernd feststellen, dass der Knochen selbst nicht die
directe Ursache der Schwellung ist, sondern dass dieselbe zwischen
Knochen und Weichtheilen ihren Sitz haben muss. Die Schwellung
wird durch ein grosses Blutgerinnsel bedingt, welches seinen Sitz
zwischen dem Knochen und der von ihm abgehobenen Knochen¬
haut hat.
Ein weiteres sehr bemerkenswerthes und fast constantes Symptom
ist eine schwammige Wulstung des ganzen Zahnfleisches mit üblem
Geruch und Neigung zu Blutungen wie beim Scorbut, mögen
nun schon Zähne vorhanden sein oder nicht. Ebenso wie beim
Scorbut treten auch hier oftmals Blutungen unter die Haut auf,
seltener in andere Organe, wie Nase, Darm, Nieren, Gehirn, Augen¬
höhlen.
Das Allgemeinbefinden bei derartig kranken, durch Blutungen
sehr geschwächten Kindern ist im Allgemeinen erheblich gestört,
besonders wenn die Blutungen umfangreicher sind. Der Schlaf ist
unruhig, oft durch Aufschrecken beeinträchtigt, und der Appetit
lässt mehr und mehr nach, so dass das Kind, zumal wenn zu der
Barlow'schen Krankheit sich noch andere Complicationen hinzu¬
gesellen, wie Magen- und Darmkatarrhe, Lungenentzündung, Bron¬
chialkatarrhe u. s. w., leicht der Krankheit erliegen kann.
ln manchen Fällen tritt spontan Heilung ein, besonders bei
Eintritt gleichmässig warmer Witterung. Die Schwellung der be¬
fallenen Glieder nimmt allmählich ab, ebenso die Schmerzhaftigkeit,
die Beweglichkeit nimmt zu, die Blutungen verschwinden, das Zahn¬
fleisch wird blasser und fester, die allgemeine Schwäche und Blut-
armuth verlieren sich, und schliesslich macht das Kind Versuche
aufzusitzen, zu stehen und gehen.
Zuweilen bleiben nach Ablauf der Krankheit, die meistens
2—6 Monate dauert, Verdickungen der vorher befallenen Knochen
zurück; auch Verkrümmungen und Knickungen der Knochen
kommen vor, besonders wenn neben der hämorrhagischen Diathese
ausgesprochene rachitische Erscheinungen vorhanden waren. Letz¬
teres braucht nicht immer der Fall zu sein, wie z. B. auch
Digitized by CjOOQle
383
Fürst 1 ) neuerdings von einem durch das Fehlen aller rachitischen
Erscheinungen sich auszeichnenden Krankheitsfall berichtet. Hier¬
aus ist zu ersehen, „dass Rachitis kein constanter Begleiter der
Barlow’schen Krankheit, die rachitische Ernährungsstörung keine
nothwendige Vorbedingung für hämorrhagische Diathese ist, die
ja bekanntlich auch nicht selten ohne jede Rachitis, ganz selbständig
auftritt, wie manche als »infantiler Scorbut« beschriebene
Fälle darthun“.
In dem erwähnten Fürst'schen Falle fehlten auch alle ohne
Weiteres wahrnehmbaren Zeichen von Scorbut, wie die entzündliche
Schwellung des Zahnfleisches und der Mundschleimhaut, Blutungen
unter die Haut u. s. w. Es bestand nur die oben beschriebene,
durch eine Blutung unter die Knochenhaut bedingte spindelförmige
Schwellung beider Oberschenkel neben der allgemeinen Blutarmuth
und Kraftlosigkeit. Dieser Fall lehrt also, dass Barlow’sche
Krankheit ohne rachitische und scorbutische Er¬
scheinungen auftreten kann, dass es sich bei dieser
Krankheit eben nur um hämorrhagische Diathese
handelt, welche mitunter deutliche scorbutartige Er¬
scheinungen darbietet, mitunter nicht, und welche
ausserdem in vielen Fällen von Rachitis begleitet ist.
Meyer 2 ), welcher auch mehrere Fälle von Barlow’scher
Krankheit in neuerer Zeit in Berlin beobachtete, ist der Meinung,
dass die Blutarmuth im Vordergründe des jeweiligen Krankheits¬
bildes steht und auch die anatomischen Befunde erklärt. Er nimmt
an, dass die blutbereitenden Organe zuerst erkranken, und dass
die Veränderungen des Blutes zur hämorrhagischen Diathese führen;
Rachitis, Blutarmuth und hämorrhagische Diathese werden durch
dieselbe unbekannte Ursache bedingt.
Was nun die Entstehungsursache der Krankheit betrifft,
so lässt sich darüber nur sagen, dass dieselbe noch gar nicht ge¬
nügend aufgeklärt ist, trotzdem — oder besser gesagt, weil von
den verschiedenen Autoren die verschiedensten Momente als diese
Krankheit erregende angeführt werden. Neben allgemein schädigen¬
den Einflüssen, wie kümmerlicher Ernährung, die den Grund
zu Rachitis und Skrophulose legt, engem Zusammenleben in
dicht bewohnten, schlecht ventilirten, sonnenarmen,
feuchten Wohnungen, vorangegangenen Krankheiten,
z. B. Rachitis, Keuchhusten etc., wird am meisten wohl einer un-
zweckmässigen Diät Schuld gegeben.
*) Fürst, Ein neuer Fall von Barlo w’scher Krankheit. In: „Die Barlow’sche
Krankheit.“ (Arch. f. Kinderheilk., Bd. XVIII. 1895.)
2 ) Meyer, Ueber Barlow’sche Krankheit. Sitzungsprotokoll der
Verhandl. der Berl. med. Gesellsch. Sitzung vom 15. Jan. 1896. (Berl. klin.
Wochenschr. 1896, Nr. 4.)
Digitized by
Google
384
Ich will hier nicht die ganze diesen Punkt berührende Literatur
über die Barlow’sche Krankheit anführen, sondern nur die An¬
sichten einzelner neuerer Forscher.
Baginsky 1 ) äussert sich über den Einfluss der Nahrung
folgendermaassen: „Was nun sehr beachtenswerth ist, das ist, dass
die Krankheit keineswegs Kinder*aus armen Familien befällt, die
etwa in besonders ungünstigen Lebensbedingungen sich befinden.
Im Gegentheil handelt es sich in der Regel um Kinder gut situirter
Familien, bei welchen, wenn ich so sagen darf, gewisse besondere
Künsteleien in der Ernährung vor sich gegangen sind. Fast alle
meine Beobachtungen sind aus der Privatpraxis. 2 Kinder sind mit
Rieth’scher Albumosemilch ernährt worden, 1 mit So-
matosemilch, 1 mit Lahmann’scher Pf 1 an z en m i 1 c h
neben verschiedenen Kindermehlen. Bei allen diesen Kin¬
dern ist der Hergang der gleiche, dass die Kinder eine Zeit lang
bei der gereichten Nahrung gut gediehen, dann plötzlich in der
Ernährung stehen blieben oder zurückgingen, unter gleichzeitigem
Auftreten der schmerzhaften Schwellungen. Diese Thatsache ist
immerhin sehr bemerkenswerth und bedarf wohl weiterer Aufmerk¬
samkeit der Aerzte. Freilich beabsichtige ich damit nicht, die ge¬
nannten Nährmittel in Verruf zu bringen, um so weniger, als die
Emährungsart nicht ohne Weiteres als Ursache hingestellt werden
kann, ist doch die Krankheit in England unter anderen Verhält¬
nissen beobachtet und beschrieben worden. Ich selbst habe einen
Fall gesehen, der sich an eine sichere Tussis convulsiva (Keuch¬
husten) anschloss. Das betreffende Kind hatte nur Kuhmilch er¬
halten. Es werden also noch andere Bedingungen als die ge¬
künstelte Nahrung ursächlich mit herangezogen werden dürfen.
Immerhin wird aber die Ernährungsfrage Berücksichtigung erfordern
müssen.“
Die vier von Meyer 2 ) beobachteten Fälle traten auch gerade
in der wohlhabenden Praxis unter günstigen äusseren Bedingungen
auf, und da alle vier Kinder mit Rieth’scher Albumosemilch
genährt waren, glaubt Meyer die Nahrung als ursächliches Mo¬
ment heranziehen zu müssen.
Auch Cassel 8 ) hat die Beobachtung gemacht, dass die Fälle
von Barlow’scher Krankheit, die er gesehen hat — es sind dieser
vier — sämmtlich künstlich ernährt waren. Ein Kind hatte Nestle-
Mehl, Eichelcacao und peptonisirte Milch erhalten, das
x ) Baginsky, Sitzungsprotokoll der Berl. med. Gesellsch. Sitzung vom
6. Febr. 1895. (Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 7.)
2 ) Meyer, Ueber Barlow’scbe Krankheit. (Berl. klin. Wochenschr. 1896.
Nr. 4.)
8 ) Cassel. Berl. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 4 (in: Meyer, Ueber
Barlow’sche Krankheit).
Digitized by
Google
385
zweite Hartmann’sche Säuglingsmileh, ein künstliches
Gemisch aus Milch, Wasser, Rahm und Milchzucker* das dritte
Kind war mit sterilisirter Kuhmilch und das vierte mit
Rieth’scher AlbumosemiIch ernährt worden.
Cassel zieht daher aus seinen Beobachtungen auch den
Schluss, dass die Kinder weder mit Surrogaten noch mit sterilisirter
Milch lange Zeit hindurch ernährt werden dürfen, um nicht in die
Gefahr zu kommen, die Barlow’sche Krankheit zu acquiriren.
Dieselbe Ansicht vertritt auch Baginsky 1 ), welcher das
neuerdings immer mehr hervortretende Bestreben, den Kindern
eine absolut steril gemachte Milch zu verabreichen, bezüglich der
Ernährung der Kinder für sehr gefährlich hält und vor dem
Weiterschreiten auf diesem Wege durchaus warnt, damit nicht die
Barlow’sche Krankheit immer mehr um sich greife.
Auch Fürst 8 ) spricht sich dahin aus, dass, wenn man die
der Barlow’schen Krankheit vorangegangene Ernährung überblickt,
zunächst auffhllt, dass dieselbe um so ungünstiger wirkt, je mehr
sie sich von der Natur und von dem vollkommensten Prototyp, der
Frauenmilch, entfernt. Je künstlicher die Zusammensetzung der
Nährmittel im Säuglingsalter ist, desto wahrscheinlicher wird die
Disposition zur Barlow'schen Krankheit, und da diese Künstelei in
den besser situirten Klassen grösser ist, als bei den unbemittelten,
die bei der einfacheren, billigeren Kost bleiben, so ist darin schon
der Schlüssel für die seltsame Wahrnehmung gegeben, dass Kinder
aus reichen Familien nicht verschont bleiben, ja procentual ziemlich
stark vertreten sind.
Northrup und Cranden 8 ), welche die Krankheit natür¬
lich — wie meistens in Amerika — Scorbut nennen, sehen auch
Mangel an frischer Nahrung und die Anwendung von Nähr¬
präparaten und condensirter Milch als die wichtigsten Ursachen
des Leidens an. Auch die bis zu einem unvernünftigen Grade
getriebene Sterilisation der Milch dürfte ähnlich schädigend
wirken und ebenso schliesslich noch eine zu starke Verdünnung
der verabreichten Milch.
Fruitnight 4 ), der, ebenso wie die eben genannten Autoren,
auch von Scorbut spricht, führt die Zunahme dieser Krankheit
darauf zurück, dass die natürliche Ernährung an der Mutterbrust
J ) Baginsky. Berl. klin. Wochensclir. 1896, Nr. 4 (in: Meyer, Ueber
Barlow’sche Krankheit).
a ) Fürst. Arch. f. Kinderheilk., Bd. XVIII. 1895.
8 ) Northrup und Cranden, Scorbut bei Kindern. (The New York
Med. Journ. 1894. — Ref. Arch. f. Kinderheilk., Bd. XX.)
4 ) Fruitnight, Scorbut bei Kindern nebst Bemerkungen über seine
Diagnose. (Archives of Pediatrics, 1894. — Ref. Arch. für Kinderheilkunde,
Bd. XX. 1896.)
Digitized by ^.ooQle
386
immer seltener gewährt wird. Daraus erklärt sich auch, dass die
vermögenderen Bevölkerungsklassen mehr Fälle von „kindlichem
Scorbut“ aufweisen als die ärmeren, denn erstere haben die
Mittel, allerlei künstliche Nährmittel zu kaufen, welche, fehlerhaft
zusammengesetzt, die Entwicklung der Krankheit verursachen.
Er berichtet in seiner Arbeit über sechs von ihm selbst beob¬
achtete Fälle, in denen allen die Ernährung fehlerhaft gewesen war,
indem sie meistens, wie er sich ausdrückt, allerlei „Patenthumbugs®
(„a whole lot of patent humbugs“) erhalten hatten.
Auch Marsh 1 ), welcher eine Reihe von Fällen Barlow'scher
Krankheit in England gesehen hat, betont die Wichtigkeit einer
richtigen Ernährung, wenn dieses Leiden vermieden werden soll.
Auf demselben Standpunkt wie die bisher genannten Autoren
stehen die meisten anderen der zahlreichen Untersucher bezüglich
der Bedeutung, welche die Ernährung der Kinder für diese Krank¬
heit hat. Alle andern Factoren, wie ungenügender Aufenthalt in
frischer Luft, nasskalte Witterung, vorausgegangene Krankheiten
etc., haben nur nebensächliche Bedeutung neben der fehlerhaften
Ernährung.
Man hat sich nun viele Mühe gegeben, die Quelle zu erforschen,
auf welche direct die krankhaften Veränderungen bei vorher ganz
gesunden Kindern zurückzufiihren seien, und ist dabei zu dem
Resultat gekommen, dass es der Mangel an Mineralsalzen
ist, der die hämorrhagische Diathese begünstigt, und dass dieser
Mangel hauptsächlich bei Anwendung einer nicht frischen Nahrung
sich geltend macht. Das Mineralsalz, auf welches es dabei am
meisten ankommt, ist das phosphorsaure Kali, welches für
die Blutkörperchen unentbehrlich ist. Fehlt dieses, so treten alle
die Erscheinungen des Scorbuts und der hämorrhagischen Diathese
ein. Am meisten verdient gemacht hat sich Cantani 2 ) bei der
Aufklärung dieser Frage.
Was nun die Bekämpfung der Barlow'schen Krank¬
heit betrifft, so müssen wir dabei unterscheiden zwischen der
Behandlung der entwickelten Krankheit und der An¬
wendung von Maassnahmen, welche die Entwicklung
der Krankheit verhindern.
Bezüglich beider Punkte ist nicht viel zu sagen. Was die
Behandlung der entwickelten Krankheit betrifft, so hat man zu¬
nächst für Reinlichkeit im weitesten Sinne des Wortes zu sorgen,
d. h. für genügende Hautpflege, frische Luft, saubere, warme Klei¬
dung u. s. w. Sodann muss die bisherige Ernährungsweise sofort
*) Marsh, Die Barlow’sche Krankheit bei Kindern. (The British Med.
Jonrn. Dec. 1894. — Ref. Arch. f. Kinderheilk., Bd. XX. 1896.)
2 ) Nach Fürst (1. c).
Digitized by
Google
887
eine Umwandlung erfahren. Alle künstlichen Milchpräparate und
Surrogate werden fortgelassen, und das Kind erhält Frauenmilch
oder, falls es diese nicht bekommen kann oder nicht mehr nimmt,
frische abgekochte (nicht sterilisirte, d. h. lange Zeit oder
bei hohen Temperaturen gekochte) Kuhmilch, die gar nicht oder
nur wenig mit Hafer- oder Gerstenschleim verdünnt wird. Täglich
erhält das Kind ausserdem einige Theelöffel frisch ausgepressten
Fleischsaft; auch Citronen- und Apfelsinensaft (8—4 Theelöffel
täglich, entsprechend versüsst) werden als sehr wirksam gerühmt.
Baginsky empfiehlt, täglich einige Theelöffel Bierhefe zu geben.
Ist das Kind bereits über 1 Jahr alt und hat Verlangen nach con-
sistenterer Nahrung, so giebt man etwas frisches Schabefleisch,
Spinat, geschabte Möhren oder Kartoffelbrei von guten Kartoffeln.
Medicamente sind am besten ganz fortzulassen. Gegen die
schmerzhaften Schwellungen sind höchstens noch die Maassnahmen
zu treffen, die man im Allgemeinen bei derartigen Affectionen wählt,
nämlich Ruhestellung der erkrankten Glieder, Kälte resp. hydropa-
thische Umschläge. Uebrigens gehen auch diese Erscheinungen
unter einer rein diätetischen Behandlung allmählich zurück.
Was nun den zweiten Punkt betrifft, nämlich die Verhütung
der Krankheit, so ergeben sich die hier zu befolgenden Maassregeln
aus dem bisher Gesagten von selbst, nämlich man hat für eine
längere Ernährung des Kindes, falls Frauenmilch nicht zugängig
ist, am liebsten frische, möglichst unverdünnte Kuh¬
milch zu verwenden, unter Fortlassung aller künstlichen Nahrungs¬
mittel. Höchstens ist der Gebrauch von Gersten- oder Haferschleim
zur Verdünnung der Milch zu gestatten. Abgesehen von einer
solchen, möglichst zweckmässigen Ernährung hat man natürlich
dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder überhaupt unter möglichst
günstigen hygienischen Verhältnissen leben, besonders was die Zu¬
führung frischer Luft betrifft. Es wird aus diesem Grunde auch
vor der weitgehenden Verweichlichung der Kinder gewarnt, welche
dadurch bedingt ist, dass dieselben während der Wintermonate,
vollständig von der frischen Luft abgeschnitten, fortwährend im —
womöglich noch schlecht gelüfteten — Zimmer gehalten werden.
Bei Befolgung dieser Rathschläge dürften die in den letzten
Jahren besonders in den grossen Städten immer mehr an Zahl zu¬
nehmenden Erkrankungen an Barlow’scher Krankheit wohl all¬
mählich wieder immer seltener werden.
Digitized by v^ooQle
388
Kleinere Mittheilungen.
Communale Wohnungspolitik in der Schwei*. Zahlreiche
schweizerische Städte haben nach dem durch Bücher’s Veröffent¬
lichung 1 ) gegebenen Beispiele Untersuchungen ihrer WohnungsVerhält¬
nisse angestellt und zum Gegenstände statistischer Zusammenstellungen
gemacht, dann aber auch thatkräftige Schritte unternommen oder vor¬
bereitet, um den Wohnungsübelständen abzuhelfen. So hat Bern als
Stadtgemeinde seit Ende der 1880er Jahre an verschiedenen Enden
der Stadt kleine Wohnungen gebaut und in Selbstverwaltung ge¬
nommen; Ende 1897 soll deren Zahl 200 und das von der Stadt¬
gemeinde aufgewendete Kapital annähernd 1 Million Franken betragen 2 ).
In Zürich hat die Gemeindevertretung den Ankauf eines 22 ha grossen
Geländes in der Nähe der Stadt genehmigt, um dasselbe für die Er¬
bauung kleiner Wohnungen zur Verfügung zu haben. Der Züricher
Stadtrath (die Verwaltungsbehörde der Stadtgemeinde) hat das folgende
Programm für die Behandlung der Wohnungsfrage den zuständigen
Behörden unterbreitet 3 ):
1. Es sind bei den für die Stadt Zürich in Frage kommenden
Eisenbahngesellschaften Schritte zu thun, damit es durch Ausgabe billiger
Abonnements und Einschaltung passender Localzüge Leuten mit ge¬
ringem Einkommen, welche in der Stadt beschäftigt sind, möglich ge¬
macht wird, auf dem Lande Wohnung zu nehmen. 2. Ueber die leer¬
stehenden Wohnungen in der Stadt Zürich sind periodische Erhebungen
zu veranstalten. 8. Der gelegentliche Ankauf billiger, geeigneter
Wohnungen ist ins Auge zu fassen. 4. Der Erlass gesetzlicher Be¬
stimmungen , welche den Bau billiger Wohnungen für Leute mit ge¬
ringem Einkommen erleichtern, ist anzustreben. 5. Die allmähliche
Erstellung billiger, gesunder Wohnungen für Gemeinde-Einwohner mit
geringem Einkommen ist in Aussicht zu nehmen. 6. In Ausführung
von Ziffer 5 übernimmt die Stadt die Erstellung derartiger Wohnungen
für städtische Arbeiter und ähnlich bezahlte städtische Angestellte.
Im Uebrigen ist die Ausführung von Ziffer 5, unter Mitwirkung der
Stadt und eventuell des Staates, auf dem Boden der Gemeinnützigkeit
und der Selbstbetheiligung der Wohnungsnehmer zu suchen. 7. Zur
Befriedigung des Einzelbedtirfnisses (soll wohl heissen: des Bedürfnisses
allein stehender Personen) sind Logishäuser in Aussicht zu nehmen.
8. Die Anlagen sollen nach Maassgabe der Vertheilung der Arbeits¬
plätze in verschiedenen Theilen der Stadt errichtet werden. Für die
*) K. Bücher, Die Wohnungs-Enquöte in der Stadt Basel, 1891.
*) Sociale Praxis, 1896, S. 1222.
8 ) Sociale Praxis a. a. 0.
Digitized by ^.ooQle
389
Aussengebiete ist das System der Ein- und Zweifamilienhäuser in Be*
tracht zu ziehen. 9. Die Miethzinse sind im Voraus zu zahlen; sie
haben für Kapitalzins, Abschreibung, Steuern und Gebühren, Ver¬
waltungskosten und Speisung des Reservefonds Deckung zu bieten.
10. Der Uebergang hergestellter Häuser ins Eigenthum Privater ist
unter Schaffung von Sicherheiten gegen speculative Verwerthung der
Häuser zu ermöglichen.
Ein ähnliches Programm hat der Regierungsrath zu Basel, die
Verwaltungsbehörde des Kantons Basel-Stadt, dem dortigen Grossen
Rathe zur Beschlussfassung unterbreitet. Dasselbe lautet:
I. Gesetzgeberische Maassregeln. 1. Erlass eines
Wohnungsgesetzes, in dem Bestimmungen Aufnahme finden sollen,
die der übermässigen und gesundheitswidrigen Ausnützung von Ge¬
bäuden zu Wohnzwecken entgegenwirken. Das Verhältniss zwischen
Vermiether und Miether soll über die Vertheilung der Obliegenheiten
präciser geregelt werden. Für den Vollzug eines solches Gesetzes ist
eine Wohnungsinspection vorzusehen. 2. Erlass eines neuen Gesetzes
über Anlage und Correction von Strassen im Sinne der Ausdehnung
der Enteignungsbefugnisse. 3. Aufstellung eines umfassenden
Planes für die Correctionen in der inneren Stadt.
H. Administrative Maassregeln. 1. Planmässige Durch¬
führung der Correctionen in der inneren Stadt. 2. Ankauf von Wohn¬
häusern in der inneren Stadt und deren Einrichtung nach den
Vorschriften des Wohnungsgesetzes behufs Vermiethung.
3. Ueberla8sung von Baugrund zu günstigen Bedingungen an gemein¬
nützige Baugesellschaften und an Baugenossenschaften behufs Errich¬
tung von billigen Wohnungen zum Zwecke des Verkaufs oder der
Vermiethung. 4. Erstellung billiger Wohnhäuser in den verschiedenen
Quartieren durch den Staat (d. h. den Kanton Basel-Stadt) zur Ver¬
miethung an die Angestellten und Arbeiter desselben. 5. Erleich¬
terung des Verkehrs mit den Aussenquartieren und der Umgebung
durch billige Bahnverbindungen.
Es scheint hiernach, als ob die sociale und gesundheitliche Woh¬
nungsreform in der Schweiz langsam, aber planmässig fortschreitet.
Von Deutschland dasselbe zu sagen, wäre trotz mancher guten An¬
fänge gewagt. J. St.
Ueber die Bassinbfider Berlins hat Prof. Dr. Adolf Baginsky
einen Vortrag in der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesund¬
heitspflege zu Berlin gehalten, welcher in Nr. 13 der Hygienischen
Rundschau von 1896 abgedruckt ist. Nach einer kurzen Darlegung
des gesundheitlichen Nutzens der offenen Fluss- und der geschlossenen
Bassin-Schwimmbäder theilt Redner eine Reihe von Erkrankungen
jugendlicher, gesunder Personen mit, beschreibt den Verlauf der
Digitized by
Google
390
Krankheitsfälle und führt dieselben mit grösserer oder geringerer Sicher¬
heit auf das Schwimmen in Berliner Bassinbädern zurück, deren
Sauberkeit zu wünschen übrig liess. Er unterzog sechs Badeanstalten
Berlins einer Besichtigung und Prüfung; die Ergebnisse, sowie die
Berichte der betreffenden Verwaltungen über Frequenz, Wasserinhalt,
Wasserverbrauch, Beckenreinigung und Wassererneuerung werden mit-
getheilt. Folgende Forderungen sind durchaus zu erfüllen:
Die Reinlichkeit und Reinhaltung der gesammten Anlage unter
dem Einflüsse einer intensiven, tageshellen Beleuchtung; kräftige Lüf¬
tung; Herstellung der Auskleideräume so, dass die Wände und das
Mobiliar mit Seife, Soda und Bürsten bearbeitet werden können, der
Fussboden am besten aus Linoleum auf Schellack, und tägliche Rei¬
nigung derselben; Anordnung und Ausrüstung der Abseifräume derart,
dass Körperschmutz und Abflusswasser nie in das Schwimmbad ge¬
langen können und reichliches Douchewasser zu Gebote steht; Einlass
in’s Schwimmbad nur für diejenigen Personen, welche vorher die Ab-
seifung hinlänglich vorgenommen haben; Auskleidung des Schwimm¬
beckens möglichst mit glasirten Kacheln oder Glasplatten, selbstredend
ohne scharfe Ecken; Wassertiefe des Schwimmbeckens von 0,8—2,5 m;
keine Circulation des Badewassers, sondern nur frischer Zu¬
lauf; Speirinne rings um die Wasserfläche mit gutem Abfluss; öftere
Reinigung des ganzen [Beckens durch Ausscheuern mittels Seife und
Bürsten, wohl auch unter Zusatz von Soda oder verdünnter Salzsäure,
da von der mangelhaften Reinhaltung der Bassinwände und deren
Umgebung in erster Reihe die Infection des Badewassers mit putriden
Stoffen sich herleiten lässt.
In der Darbietung reinen Badewassers concentrirt sich
für die Badenden das Wesentliche der Badehygiene. Es genügt nicht
die Wasseremeuerung „nach Bedürfniss“, oder Je nachdem das Wasser
schmutzig erscheint“, sondern es ist nöthig, feste Grundsätze aufzustellen.
Im Ganzen und Grossen sind an Badewasser hygienisch dieselben An¬
forderungen zu stellen wie an Trinkwasser, weil das Badewasser, wenn
auch in geringeren Mengen, verschluckt wird und mit der Nasen¬
schleimhaut und den Rachenorganen in Berührung tritt. Es ist indess
dem Vortragenden nicht gelungen, wissenschaftlich zuverlässige Grenzen
für die zulässige chemische oder bakteriologische Verunreinigung des
Bade wassers zu ermitteln. Dass eine gewisse Verunreinigung statthaft
ist, liegt in der Bestimmung des Badewassers, die Verunreinigungen
der Haut, insoweit sie nicht durch das vorherige Abseifen beseitigt
wurden, aufzunehmen. Die Grenze ist durchaus zweifelhaft und vor¬
läufig nur durch die „grobsinnliche Prüfung“ zu bestimmen, bis eine
exacte wissenschaftliche Methode gefunden sein wird. Kann der For¬
derung eines täglichen vollständigen Wechsels des Badewassers mit täg^
lieber gründlicher Beckenreinigung leider aus wirtschaftlichen Gründen
Digitized by
Google
391
nicht entsprochen werden, so wird man sich auf beschränktere For¬
derungen zurtickziehen müssen. Vielleicht ist eine tägliche Auffrischung
bis zu zwei Dritteln des Inhalts hei wöchentlich zweimaliger Reinigung
und Neufüllung, wie es in der städtischen Volksbadeanstalt zu Moabit
geschieht, ausreichend. Jedenfalls ist eine stete behördliche Controle
' der Reinhaltung, der Abseif- und Auskleide - Einrichtungen, der
Lüftung, der tadellosen Beschaffenheit des zugeführten Wassers, der
Zu- und Abflussmengen, der regelmässigen gründlichen Beckenreinigung
und Neufüllung, sowie der Zahl der täglich Badenden nothwendig.
J. St.
****) Beseitigung von Freibrunnen für Schiffer nach Ablauf der
CholeragefSahr. Innerhalb der zuständigen Behörden wird in Berlin
die Frage erörtert, ob die 18 Freibrunnen, welche für Schiffer, Lade¬
arbeiter, Fuhrleute zur Zeit der Choleragefahr an den Flussläufen der
Stadt errichtet wurden, erhalten werden sollen oder nicht. Diese
Angelegenheit hat ein allgemeineres Interesse. Man kann die Be¬
seitigung der Brunnen nur widerraten. Was hierüber eine Berliner
politische Zeitung anführt, erscheint ganz zutreffend. (Vgl. Vossische
Zeitung, 12. September.) Auch in cholerafreien Zeiten ist es nicht
rathsam, dauernd Berliner Flusswasser zu gemessen. Zum wenigsten
lehren dies einzelne Beobachtungen, die aus Berliner Krankenhäusern
veröffentlicht sind. So berichtete Prof. Pfuhl, Arzt am Institut für
Infectionskrankheiten, über einen Berliner Typhusfall, der nach Baden
in der Spree und reichlichem Wasserschlucken entstanden war. Die
Beobachtungen lehren, dass das rohe Berliner Flusswasser nicht immer
frei ist von krankmachenden Bakterien. Zu erinnern ist auch noch
daran, dass Typhusepidemien der letzten Jahre im Osten der Stadt
mit der Infection des Flusswassers in Verbindung gebracht wurden.
Dazu kommt noch Folgendes. Wenn man den Schiffern in den seuche-
freien Zeiten Gelegenheit giebt, sich leicht mit einwandfreiem Wasser
zu versehen; wenn ihnen so die Entnahme des Wassers aus den Frei¬
brunnen für die Zeit des Berliner Aufenthaltes zur Gewohnheit wird,
dann kann man in den Zeiten der Gefahr viel sicherer den Zweck
erreichen, dem die Freibrunnen dienen sollen. W.
*♦**) XJeber Mensohenverluste in Kriegen macht Generalarzt
Dr. Frölich (Leipzig) in der Zeitschrift für Krankenpflege 1896,
Nr. 9, bemerkenswerthe Mittheilungen. Eine vornehmlich den militäri¬
schen Gesundheitsdienst angehende Frage ist die, ob die Menschen¬
verluste in den Kriegen mehr auf Rechnung von Krankheiten, ins¬
besondere Seuchen, oder mehr auf Rechnung der Kriegsverletzungen
kommen. Für ältere Zeiten mangeln genauere Nachrichten. Aber
nach Dr. Frölich bedürfen selbst die aus diesem Jahrhundert
Cntr&TbUtt f. »11g. GMundheitspllege. XV. Jafcrg. 28
Digitized by ^.ooQle
392
stammenden Zahlen vorsichtiger Verwendung; „denn überall drängen
sich die zu den Gefechtsverlusten gehörigen Vermissten und die an
Seuchen erlegenen Verwundeten unbequem in die Rechnung“. Für
die neuere Zeit hatte Kolb bis 1865 ausgerechnet, dass sechsmal
so viel Feldsoldaten an Krankheiten wie an Waffen Verletzungen ge¬
storben sind. Dr. Frölich giebt nun über die Verluste aus den %
neueren Kriegen (aus der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts) folgende
Uebersicht:
Krieg
Heer
Heer¬
stärke
Tod
durch
Waffen
Tod
durch
andere
Ursachen
Einheits-
verhältn.
beider
Todes¬
ursachen
Franzosen
309 263
20 240
65 135
mm
1854—1856
Engländer
97 864
1761
16 297
mm
Summe
407 127
22 001
81432
IE9
Italienischer
Franzosen
149 690
3 664
5 002
1:1,4
1859- 1860
Nordamerikanischer
Nordheer
2 500 000
210038
224 586
1:2,0
1861—1865
Deutsch-Dänischer
Preussen
39 200
738
310
1:0,4
1864
Preussen
363 100
4450
6 427
■jHgfH
Deutsch-Oester-
Oesterreicher
350000
8 873
reichischer 1866
Sachsen
26 500
323
126
Summe
739 600
13 646
16623
Deutsch-Französischer
Deutsche
1146 355
28278
14 904
1:0,5
1870—1871
Russisch-Türkischer
Russen
933 726
34 742
82 879
1:2,4
1877—1878
Das Kolb’sche Verhältniss von 1 : 6 hat sich zufolge dieser Ueber¬
sicht geändert; es schwankt zwischen 1 : 0,4 und 1 : 4 und beträgt im
Mittel etwa 1:2. Im Krimkriege betrug es 1 : 3,7, — ein Viertel¬
jahrhundert später im russisch-türkischen Kriege 1 : 2,4, während in
den grossen Kriegen der Zwischenzeit die zweite Verhältnisszahl noch
kleiner ist.
Nur darf man nicht ohne Weiteres, wie es gewöhnlich geschieht,
diese relative Verminderung der Verluste durch Krankheiten auf
die bessere Gesundheitspflege beziehen;. das Verhältniss muss sich in
gleicher Weise durch Vermehrung der Kriegsverletzungen verändern.
Dr. Frölich schliesst:
Digitized by
Google
393
„1. Die Kriegssterblichkeit in Folge von Krankheiten hat in den
neueren Kriegen von rund 20 °/o bis unter 1 °/o der Heeresstärke ge¬
schwankt.
2. Die Sterblichkeit nach Kriegsverletzungen hat in mehreren
grösseren Kriegen übereinstimmend gegen 2 °/o betragen.
3. Die Sterblichkeit nach Krankheiten hat, in Ansehung nur
derjenigen bei den grossen Kriegen von 1854 und 1877, beträchtlicher
abgenommen, als diejenige nach Kriegsverletzungen; diese Abnahme
ist aber an sich zu unbedeutend und von den zwischenliegenden Kriegs¬
zeiten zu sehr unterbrochen worden, als dass sich zur Aufstellung eines
bezüglichen Sterblichkeits-Gesetzes genügender Anhalt böte.
Mit dieser Unthunlichkeit wird der Versuch hinfällig, dem Kriegs¬
gesundheitsdienste einen wesentlichen Einfluss auf jenes Verhältniss
zuschreiben zu wollen. Wenn man seinen Einfluss auch als wahrscheinlich
betrachten darf, muss man doch zugestehen, dass mächtigere Einflüsse
als menschliche Erkenntniss auf jenes Verhältnis einwirken, solche wie
sie in keinem Kriege fehlen und durch die Kriegsdauer, Jahreszeit,
Zahl der streitenden Massen, Eigenschaften (Klima, Bodenart, Boden¬
kultur, Bevölkerung) des Kriegsschauplatzes und Kriegführungsweise
gegeben sind — Einflüsse, an welchen die gewaltigsten Anstrengungen
des Kriegsgesundheitsdienstes scheitern.
So schmerzlich diese Wahrheit ist, so schützt uns doch ihre Be¬
achtung vor Trugschlüssen, tröstet über Nichterfolge und lässt die Auf¬
gaben der Zukunft in richtigem Lichte erscheinen.“
(Vgl. jedoch hiezu den folgenden, der Voss. Zeitg., 1896, 8. Mai,
entnommenen Artikel, welcher den Gesundheitsdienst und die prophy¬
laktische und kurative Wirksamkeit unserer Militärärzte während des
Krieges 1870/71 in ein helles Licht stellt.) W.
****) Die Gesundheitspflege beim deutschen Heere während
des Krieges 1870/71. „Die Gesammtstärke des deutschen Heeres
während des deutsch-französischen Krieges betrug 42 420 Officiere,
Aerzte und Beamte und 1 451 992 Mannschaften. Hiervon befanden
sich auf dem Kriegsschauplätze an Offieieren, Aerzten und Beamten
33 101 und an Mannschaften 1 113 254. Eine solche Armee, will man
mit ihr das erreichen, was wir uns zum Ziele gesetzt hatten, muss
vorbildlich in ihrer Mannszucht sein, künstlerisch geführt werden, darf
nicht Noth leiden und kann gesundheitlich nicht sorgfältig genug ge¬
pflegt werden.
Der Bedarf an ärztlichen Kräften war bedeutend. Die vorhandenen
Militärärzte des activen und Beurlaubtenstandes reichten bei Weitem
nicht aus. Ueber 2000 sich freiwillig meldende Civilärzte mussten heran¬
gezogen werden; ausserdem stellte man auch nicht approbirte Studirende
der Medicin, soweit deren Vorbildung genügte, als Unterärzte ein;
28 *
Digitized by v^ooQle
394
endlich fanden hervorragende Universitätslehrer und Chirurgen, wie
Bardeleben, Busch, Wagner, Langenbeck, Burow, Volkmann, Wilms,
Wegner, Kosen, Stromeyer, Nuss bäum, Kupprecht, Bruns als kon-
sultirende Chirurgen mit dem Kange von Generalärzten bei den einzelnen
Feldarmeen oder als chirurgische Consulenten ohne bestimmten Militär¬
rang Verwendung.
Mit Einschluss der im Laufe des Krieges für das XIII. und
XIV. Armeecorps sowie Bayern aufgestellten Neuformationen haben
bei der Feldarmee bestanden: 52 Sanitätsdetachements oder Sanitäts-
Compagnien und Sanitätszüge, 197 Feldlazarethe und Feldspitäler,
45 Abteilungen Lazareth-Reservepersonal und 17 Lazareth-Reserve-
depots. Im Sanitätsdienst waren beschäftigt bei der deutschen Armee
und den Reservelazarethen: 7022 Aerzte, 8336 Lazarethgehtilfen, 12 707
Krankenwärter, 7800 Krankenträger, ausschliesslich der Hülfskranken-
träger bei den Truppen, 606 Apotheker, 254 Apothekenhandarbeiter,
1309 Lazarethbeamte und ausserdem noch 523 Officiere, 8398 Train¬
soldaten. Wir dürfen an dieser Stelle auch der freiwilligen Kranken¬
pflege nicht vergessen; man widmete ihr auf Grund der schon 1866
gemachten Erfahrungen besondere Aufmerksamkeit. Sie und die Hülfs-
thätigkeit des ganzen Volkes hat während des Krieges die militärischen
Sanitätseinrichtungen, die, den Heereseinrichtungen entsprechend, zu¬
nächst die Gewährung des Nothwendigen sichern müssen, in wahrhaft
grossartiger Weise unterstützt. Die in allen Volkskreisen sich zur frei¬
willigen Hülfe, auch in ungezählten Summen darbietenden Kräfte zu
organisiren, in richtige Bahnen zu lenken und vor Zersplitterung zu
bewahren, war die Aufgabe des Commissars und Militär-Inspecteurs,
mit welcher Stellung Fürst Hans Heinrich XI. von Pless be¬
betraut wurde. Ihm unterstanden auf dem Kriegsschauplatz 363 Delegirte.
Das Verhältniss zur Militärverwaltung, der sie sich unterzuordnen hatten,
war fest geregelt. Erfrischungs- und Verbandsstationen erwiesen sich
äusserst wohlthätig. Vereins-, Haupt-, Reserve- und Zweigdepots ver¬
mittelten die Verausgabung der für die Krankenpflege erforderlichen
Httlfsmittel und Liebesgaben an die Truppentheile, Lazarethe und Ver¬
bandsstationen, und Vereinslazarethe bestanden zu Ende des Krieges
über 1500.
Dieses beträchtliche Vorhandensein an Aerzten und Sanitätsmaterial
befähigte die Heeresverwaltung zu ausgedehnten Lazaretherrichtungen.
Während der Heeresbewegungen bis zur Mosel und der Belagerung
von Strassburg waren deren 58, im Anschluss an die Schlachten um
Metz und in Folge der Einschliessungen von Metz, Diedenhofen und
Toul 168, während der Bewegungen der III. und Maasarmee in der
zweiten Augustliälfte und im Anschluss an die Schlachten von Beaumont
und Sedan 54, auf den rückwärtigen Verbindungen des deutschen
Heeres in dem Zeitraum bis zur Capitulation von Sedan 5, während
Digitized by
Google
395
des Vormarsches der III. und Maasarmee nach Paris 14, während der
Ereignisse auf dem südlichen Kriegsschauplatz bis zum Abschluss des
Präliminarfriedensvertrages 51, während des Vormarsches der I. Armee
nach der Champagne und der Ereignisse auf dem nördlichen Kriegs¬
schauplatz bis zum Abschluss der Friedenspräliminarien 35, während
der Ereignisse auf dem südwestlichen Kriegsschauplätze bis Ende
December 63, während derselben Ereignisse vou Anfang 1871 bis zum
Abschluss des Präliminarfriedensvertrages 24, während der Einschliessung
von Paris bis ebendahin 108, auf den rückwärtigen Verbindungen des
deutschen Heeres nach der Capitulation von Sedan und während der
Einschliessungen von Verdun, Mezi&res und Longwy 32, endlich nach
Abschluss der Friedenspräliminarien bis Ende December 1871 noch 86,
im Ganzen also 698 Lazarethe in fast 500 Ortschaften
in Thätigkeit.
Der ärztliche Dienst bei den Truppen liess sich am leichtesten
bewältigen; er beschränkte sich auf die Leicht- und Fusskranken, die,
wenn sie nach drei Tagen nicht wieder marschfähig waren, an die
Etappenl&zarethe abgegeben wurden. Bei längerem Ausbleiben grösserer
Truppentheile auf demselben Raum, wie bei Einschliessungeu, Be¬
lagerungen erwies sich die Einrichtung von Krankendepots, Revier¬
krankenstuben und Cantonnementslazarethen sehr zweckmässig, nament¬
lich während der rauhen Jahreszeit. Besonders schwierig aber gestaltete
sich die Gesundheitspflege bei der Armee vor Metz, deren Sanitäts¬
verhältnisse in Folge des anstrengenden Vorpostendienstes, des monate¬
langen Lageras auf einem durch Leichen und Abfallstofle verpesteten
Boden und des mangelhaften Schutzes gegen die Herbstwitterung
dauernd sehr ungünstige waren. Die hier allmählich errichteten
90 Lazarethe genügten für den Andrang kaum. Zahlen sprechen:
185 636 Kranke und Verwundete (zum Theil noch von den Schlachten
vor Metz her) kamen vom 20. September bis 31. October in Behandlung,
davon 22 070 an gastrischem Fieber und Typhus, 27 959
an Ruhr. Nach dem Falle der Festung mussten Stadt und Umgebung,
auf deren Schlachtfeldern fast 30 000 Menschenleichen begraben liegen,
sorgfältig desinficirt und gereinigt werden. Aehnlich ungünstig lagen
die Verhältnisse in und um Sedan, dessen Schlachtfeld die belgische
Regierung zu desinflciren übernommen hatte. Die Einschliessungsarmee
vor Paris erfreute sich hingegen eines im Allgemeinen günstigeren
Gesundheitszustandes; trotz Blattern, Gelbsucht und Ruhr überschritt
die Sterblichkeit im Grossen und Ganzeu den in Friedensverhältnissen
gewöhnlichen Grad nicht bedeutend. Während des sehr angestrengten
Bewegungskrieges in der kalten Jahreszeit minderte sich namentlich
bei der H. Armee und der Armeeabtheilung des Grossherzogs von
Mecklenburg die Streiterzahl bald in höherem Grade durch Er¬
krankungen, als durch Gefechtsverluste; die Unterbringung der Kranken
Digitized by
Google
396
war Überaus schwierig. Die angestrengte und segensreiche Thätigkeit
der Sanitätsdetachements, von denen manche über 400 Verwundete auf-
nahmen und verpflegten, ist rühmlichst hervorzuheben, zumal in den
grösseren Schlachten, wo die Aerzte ununterbrochen tagelang ihrem
schweren Berufe oblagen. Die Zahl der von sämmtlichen Feldlazaretten
behandelten Verwundeten und Kranken betrug 295 644. Es erübrigt
noch die Erwähnung der Etappenlazarethe, die nicht nur für den
Bedarf im Rücken der Armee bestimmt waren, sondern auch ein Netz
von Stützpunkten für die Krankenbeförderung nach rückwärts bildeten.
Am schwierigsten war ihre Arbeit da, wo es an einem regelmässigen
Eisenbahnbetriebe fehlte.
Mit dem Eintritt des Präliminarfriedens wurden die noch
bestehenden Lazarethe der II. und III. Armee grossentheils geräumt
und Ende März aufgehoben. Im Laufe desselben Monats wurden die
in den Lazarethen der I., Maas- und Südarmee noch verbliebenen
transportfähigen Verwundeten und Kranken nach Deutschland Über¬
geführt. Die weitere Entleerung und Auflösung der Lazarethe hielt
gleichen Schritt mit dem Rückmarsch der Truppen; die letzten grösseren
Krankentransporte nach der Heimath erfolgten im November 1872.
Die Evakuationslinien waren für diese Zwecke vorgeschrieben; 6500
Verwundete von Beaumont und Sedan wurden nach besonderer Ver¬
einbarung über Belgien zurückgeführt; an den betreffenden Verlade¬
stationen waren mit grosser Umsicht Baracken-Etappenlazarethe ein¬
gerichtet worden, von denen das in Nancy, das im Laufe von acht
Monaten fast 145 000 Kranke und Verwundete passirten, ganz be¬
sonders hervorzuheben ist. Ausser den für die Beförderung von Leicht¬
verwundeten und Kranken bestimmten Krankenzügen kamen für die
Schwerverwundeten die sogenannten Sanitätsztige in Anwendung, deren
Einführung sich als einer der wichtigsten Fortschritte auf dem Gebiete
der Verwundetenpflege erwies. Ihre innere Einrichtung war darauf
berechnet, eine Anzahl bequemer, den Erschütterungen nicht unmittel¬
bar ausgesetzter Lagerstätten herzustellen. Jeder Zug enthielt durch¬
schnittlich zehn Betten; die Wagen waren heizbar und mit dem Küchen-
und Arztwagen, der auch die Apotheke enthielt, so verbunden, dass
während der Fahrt ein ungehinderter Verkehr zwischen ihnen statt¬
finden konnte. Die Gesammtzahl der so in die Beimath beförderten
Verwundeten und Kranken betrug 240 426. Hier wurden sie in den
über ganz Deutschland verbreiteten Reservelazarethen untergebracht,
unter denen das mit 2500 Lagerstellen ausgestattete Barackenlazareth
auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin die umfangreichste Anlage war.
Um das Ergebniss unserer Gesundheitspflege im Felde in das
richtige Licht zu stellen, lassen wir wiederum Zahlen sprechen: Von
den fast 300 000 Kranken und Verwundeten, die in den verschiedenen
Kriegslazarethen behandelt wurden, sind nur 40 880 einschliesslich
Digitized by
Google
397
Marine* und Civilpersonen verstorben, und in dieser Summe kommt
der grösste Procentsatz auf die der Einwirkung äusserer Gewalt (ge*
fallen, an Wunden verstorben, verunglückt, Selbstmord) erlegenen mit
28 628. An inneren akuten, sowie chronischen Krankheiten haben nur
12 253 ihr Leben eingebüsst. So können wir an der Hand der vor¬
stehenden Skizze bestätigen, was im December vorigen Jahres bei
Gelegenheit des hundertjährigen Stiftungsfestes des Medicinisch-chirur-
gischen Friedrich Wilhelms*Instituts von namhaften Rednern nur an¬
gedeutet, und was bei der Kriegserinnerungsfeier unserer Militär- und
Civilärzte und Krankenpfleger noch einmal zum Ausdruck gebracht
wurde. Wir fügen dem hinzu, dass die vorbeugende und Hülfe
bringende Thätigkeit unserer Aerzte in hohem Grade zur Schlagfohig-
keit und dadurch mittelbar zu den Erfolgen der deutschen Waffen bei¬
getragen hat, und knüpfen daran die wärmste Anerkennung der selbst¬
verleugnenden Hingebung des gesammten deutschen Sanitätspersonals
während des Krieges 1870/71.“ W.
Zweiter Congress für Volks- und Jugendspiele in München
vom 11. bis 18. Juli 1896.
Der vom Central-Ausschuss zur Förderung der Volks¬
und Jugendspiele nach München berufene Congress fand vom
11. bis 18. Juli statt. Zahlreiche Behörden und Schulverwaltungen,
Städte, einzelne Schulanstalten, sowie Vereinigungen hatten Vertreter
zu der stattlichen Versammlung entsandt. Die erste öffentliche Ver¬
sammlung im Saale des alten Münchener Rathhauses brachte einen
Vortrag des Altmeisters der inneren Medicin, Geh. Rath. Prof. Dr.
von Ziemssen; „Ueber die Bedeutung der Bewegungs¬
spiele in freier Luft für das deutsche Volk. u Redner wies
in classischer Form den Werth der Bewegungsspiele im Freien für das
Wohl und Gedeihen unserer Jugend nach. Zunächst zur Erfrischung
und Erholung des Nervensystems, an welches in allen Altersclassen
zu grosse Anforderungen gestellt werden, während der Erholung zu
wenig Zeit gewidmet wird, oder besser, während diese Erholung nicht
in der richtigen Weise gehandhabt wird. Sodann wies Redner im
Einzelnen nach, dass in somatischer Beziehung vom regelmässigen
Jugendspiele in erster Linie profitire der Bewegungsapparat, das sind
die Muskeln und die Gelenke, dann der Athmungsapparat und der
Circulationsapparat, in zweiter Linie aber auch der Verdauungs¬
apparat. Die Functionen aller dieser Organe stehen in so reger
Digitized by ^.ooQle
398
Wechselwirkung zu einander, dass die Schädigung des einen ein
Deficit in der Function des andern nach sich zieht, und schliesslich
leidet unter dieser Minderwerthigkeit der einzelnen Functionsleistungen
der gesammte Organismus, seine Ernährung, sein Wachsthum, seine
Leistungsfähigkeit, seine Widerstandsfähigkeit gegen äussere Schädlich¬
keiten aller Art. Ein fertiger Körper kann ein Minus dieser Functions¬
leistungen eher vertragen, als ein wachsender, bei dem es sich nicht
allein um die Deckung des täglichen Stoffwechseldeficits handelt, son¬
dern bei dem neben dem Ersatz des täglichen Kraftverbrauchs noch
die Anbildung neuer Körpersubstanz erforderlich ist. Ziemssen betonte
namentlich in eingehender Weise die Wichtigkeit, den Reservefonds
an lebendiger Kraft für das Herz zu erhöhen und dauernd auf dieser
Höhe durch regelmässige starke Bewegung zu erhalten. Der Knabe,
der die grossen Ferien im Gebirge zubringt und fleissig geht und
steigt, erzielt eine erhebliche Steigerung der Leistungsfähigkeit seines
Herzens. In der winterlichen Unterrichtscampagne müsse aber der
grösste Theil der errungenen Herzkraft wieder verloren gehen. Ebenso
verhalte es sich mit den Athmungsorganen. Alles dies dränge dazu,
dass der heran wachsen den Jugend die Wohlthat regelmässiger Uebung
in Spiel und Turnen das ganze Jahr hindurch zu Theil werden müsse.
Der Redner schilderte schliesslich die günstige Einwirkung der Spiele
auf die psychische und intellectuelle Sphäre der Jugend.
Der bedeutsame Vortrag fand grossen Beifall und wird hoffent¬
lich durch den Druck noch weiteren Kreisen zur Anregung und Be¬
herzigung zugänglich gemacht werden.
Die zweite öffentliche und Hauptversammlung fand Sonntag, den
12. Juli, statt. Der Vorsitzende des Central-Ausschusses, Abgeordneter
von Schenckendorff, warf in seiner einleitenden Rede einen
Blick auf die Entwicklung und bisherigen Arbeiten des
Central-Ausschusses. Seit Beginn der Arbeit des Central -
Ausschusses vor 5 Jahren hat die Anlage von Spielplätzen in Deutsch¬
land und die Einrichtung regelmässigen Spielbetriebs im Freien an den
Mittel- und Volksschulen wie an den Universitäten und im Volke —
die Turn- und Spielvereine sind hier besonders zu nennen — eine
ganz ungeahnte Ausdehnung schon gewonnen. Das Spiel in freier
Luft ist auf bestem Wege, zur allgemeinen Volkssitte in Deutschland
zu werden. Der Central-Ausschuss hat nicht nur durch äusserst rege
Agitation in Schrift und Wort hierzu beigetragen — es seien nur an
die fünf bisher erschienenen, inhaltreichen Jahrbücher des Ausschusses,
die kleineren Schriften, die Musterspielregeln u. s. w. erinnert —,
sondern auch praktische Anleitung vermittelt. In den Spielcursen des
Central-Ausschusses waren bis Frühjahr 1896 an 4000 Lehrer und
Lehrerinnen aus allen Theilen Deutschlands ausgebildet worden, in
Digitized by
Google
399
den besonderen Universitäts-Spielcursen an 17 Universitäten über 1000
Studirende. Diese Ziffern werden sich in diesem Jahre noch wesent¬
lich erhöhen. Des Weiteren beschäftigte sich der Ausschuss mit der
Frage, unsere Volksfeste zu veredeln und an Stelle der leidigen Häu¬
fung von Trinkgelagen Veranstaltungen von Spielen und Leibesübungen
im Freien zu deren Mittelpunkt zu machen. Die auf ein bezügliches
Preisausschreiben eingegangene beste (unter 42) Schrift zur Lösung
dieser Frage, von Dr. E. Witte in Braunschweig, findet sich im
Jahrbuch 1896 abgedruckt. Den Fortgang gerade dieser Seite der
Thätigkeit diente auch die Hauptverhandlung des Congresses: „Ein¬
richtung von National tagen für deutsche Kampfspiele“.
Die Redner über diese Frage waren Dr. med. F. A. Schmidt in Bonn
und Realschuldirector Prof. Reydt in Hannover. An der Discussion
betheiligten sich besonders die Herren Stabsarzt Dr. Dedolph-Aachen,
Prof. Kessler aus Stuttgart, Prof. Dr. Hüppe-Prag, Hofrath Dr. Näher-
München, Prof. Dr. Jäger, früher in Stuttgart, städt. Tumwart SchrÖer-
Berlin u. A. Mit dieser allseitigen und eingehenden Besprechung ist
die Frage vor der Oeffentlichkeit im Fluss gekommen, und wird wohl
bald einer schönen Verwirklichung nahe gebracht sein. — Von den
sonstigen Ansprachen sei noch die von Prof. Dr. Büchner, als Ver¬
treter der Universität München, und die des Bürgermeisters v. Borscht
besonders hervorgehoben.
Endlich dürfen nicht unerwähnt bleiben die Spielvorfüh¬
rungen der Münchener Jugend: Freitag den 10. auf dem
königl. öffentlichen Turnplatz; Samstag den 11. und Sonntag den 12.
auf dem Hofe der Leihgrenadierkaserne im Hofgarten. Und zwar
spielten am Samstag erst Hunderte von Kindern der Münchener Volks-
Mädchen- und Volks-Knabenschulen, sodann die Gymnasiasten und
Realschüler, endlich eine Anzahl studentischer Vereine, am Sonntag
die Münchener Turnvereine. Schmidt (Bonn).
f Eduard Angerstein. — Am 23. Juli d. J. starb in Berlin Prof.
Dr. med. Eduard Angerstein, ein hervorragender Vertreter des
deutschen Turnens. Geboren 1830 in Berlin, studirte Angerstein seit
1850 Medicin, promovirte 1854 und war Assistent zuerst bei dem
Orthopäden und begeisterten Verfechter der schwedischen Heilgymnastik
Dr. Neu mann, später an der heilgymnastischen Anstalt von Dr.
Eulenburg. Als Arzt in Berlin war Angerstein sowohl schrift¬
stellerisch als praktisch lehrend auf dem Gebiete des Turnens thätig.
Er betheiligte sich lebhaft an dem Kampfe gegen den Versuch, das
schwedische Turnen an Stelle des deutschen an unseren Schulen ein-
zuführen. Der Vertreter der schwedischen Gymnastik und Leiter der
königlichen Central-Turnanstalt, Major Rothstein, unterlag in diesem
Kampfe, in den u. A. auch Du Bois-Reymond mit mehreren
Digitized by ^.ooQle
400
glänzenden Schriften, sowie Vircho w eingriffen. Rothstein
musste das Feld räumen. — Im Jahre 1864 wurde Angerstein, nach¬
dem er vorher schon in erfolgreicher Weise bei der Organisation des
Schulturnens in Berlin mitgewirkt hatte, zum städtischen Ober-Turawart
ernannt und stand als solcher bis zu seinem Tode an der Spitze des
städtischen Turnwesens. Berlin hat heute neben einer Reihe schöner
Tum- und Spielplätze 88 Turnhallen für Volksschulen, 3 für höhere
Töchterschulen, 6 für Realschulen und 18 für Gymnasien. Neben der
Einrichtung der Räume für den Turnunterricht war es auch Angerstein’g
Aufgabe, die Lehrer durch besondere Turncurse und Fachconferenzen
fortzubilden. 1871 erhielt Angerstein, der den Feldzug als Stabsarzt
mitgemacht, das Eiserne Kreuz; 1890 wurde er zum Professor ernannt«
Er betheiligte sich auch 1891 an den Bestrebungen des Central-
Ausschusses für Volks- und Jugendspiele. — Das grossartige Leichen¬
begängnis am 26. Juli legte Zeugniss ab von der ungemeinen Beliebt¬
heit, deren sich Angerstein in den weitesten Kreisen seiner Vaterstadt
erfreute. Schmidt (Bonn).
Bauhygienisohe Rundschau.
Hamm a. d. Lippe (29 000 Einwohner).
Kanalisation. Nach dem Ortsstatut vom 22. August 1892
müssen alle bebauten Grundstücke und alle diejenigen unbebauten
Grundstücke, deren Benutzungsweise den Ablauf von Flüssigkeiten mit
sich bringt, unterirdisch an den Strassenkanal angeschlossen werden,
sobald die Strasse kanalisirt wird (§ 2). Alle alten Entwässerungs¬
leitungen in den Strassen werden beseitigt (§ 3). Die Kosten der
Privatanschlüsse tragen die Grundstücksbesitzer mit Ausnahme des
Falles, wo die Aenderung eines unwiderruflich genehmigten An¬
schlusses durch die Stadt selbst veranlasst wird (§ 4). Die Polizei¬
ordnung vom 22. August 1892 setzt ebenfalls die Anschlusspflicht fest
und verlangt auf jedem Grundstück einen abgedeckten, wasserdichten,
leicht zugänglichen „Senkkasten u von 0,5 m Breite, 1 m Länge und
1 m Tiefe mit Wasserverschluss; bis zu diesem Senkkasten kann das
Abwasser oberirdisch geleitet werden. Die Abführung von Flüssig¬
keiten nach anderer Stelle als nach dem städtischen Strassenkanal ist
untersagt. Menschliche Auswurfstoffe dürfen nicht in den Kanal ein¬
geführt werden, gewerbliche Abwässer nur, nachdem sie unschädlich
gemacht sind.
Ortsstatut über die Bebauung. Ein neues Ortsstatut ist
am 7. Januar 1896 erlassen worden, welches die Beitragspflicht Der-
Digitized by
Google
401
jenigen, welche an neuen oder an alten unbebauten Strassenstrecken
Gebäude errichten, auf eine halbe Strassenbreite von höchstens 10 m
festsetzt und den Anbau an unfertige Strassen untersagt bezw. nur
unter bestimmten Ausnahmebedingungen zulässt. Die letzteren sichern
insbesondere die Zugänglichkeit und die Entwässerung.
Bauordnung. Eine neue Baupolizei-Verordnung ist am 10. Januar
1896 von der Polizeiverwaltung erlassen und am 3. Februar vom Re¬
gierungspräsidenten bestätigt worden. Die wichtigsten gesundheitlichen
Bestimmungen derselben sind folgende:
Gebäude, welche nicht mehr als ein Obergeschoss haben, ‘er¬
fordern einen Hofraum gleich einem Drittel des Grundstücks, jedoch
von mindestens 50 qm Grösse bei 5 m Mindestbreite. Für Eck¬
grundstücke genügen 30 qm bei 4 m Breite. Für jedes weitere
Obergeschoss wächst der erforderliche Mindest-Hofraum um 25 °/o der
vorstehenden Fläche und Breite (§ 13 c).
Für jede Familienwohnung muss mindestens ein getrennter und
verschliessbarer Abortsitz (soll wohl heissen: Abort) eingerichtet werden
(§ 15b).
Die Aborte müssen eine Grundfläche von mindestens 90 cm im
Quadrat und 2 m Höhe im Lichten, sowie ein ins Freie führendes
Fenster von mindestens 0,2 qm und ausserdem, „wenn nöthig“, ein
Ventilationsrohr von mindestens 250 qcm Querschnitt haben (§ 15 c).
Die Fallrohre der Aborte müssen mit Koth- oder Wasserver¬
schluss versehen, am oberen Ende über Dach geführt werden, leicht
zugänglich, mindestens 15 cm im Lichten weit, im Innern möglichst
glatt und ohne scharfe Biegungen und schwache Neigungen sein
(§ 15d).
Alle Sammelstätten von Abfallstoffen müssen.von Brunnen
mindestens 5 m und von Wegen mindestens 3 m entfernt bleiben
(§ 15 f). Ausnahmen werden jedoch bei besonders beschränkten Bau¬
stellen zugelassen.
Jedes bewohnte Grundstück muss entweder einen geeigneten
Brunnen haben oder an die städtische Wasserleitung angeschlossen
werden (§ 16).
Die zulässige Gebäudehöhe beträgt an Strassen von weniger als
8 m Breite 10 m, an Strassen von mehr als 8 m Breite 13 m; an
Strassen von mehr als 13 m Breite ist die zulässige Gebäudehöhe
gleich der Strassenbreite (§ 18 a).
Hintergebäude dürfen die zulässige Höhe der Vorderhäuser nur
insoweit übersteigen, als die betreffende Hofabmessung die Strassen¬
breite überschreitet (§ 18d).
Vor den Fenstern von Wohnräumen, welche an winkelig ge¬
stalteten Hofräumen liegen, muss in senkrechter Linie mindestens ein
freier Raum von 4 m sich befinden (§ 32 b).
Digitized by ^.ooQle
402
Die lichte Stockwerkshöhe von Wohnräumen muss in Neubauten
8 m, beim Umbau alter Bauten mindestens 2,80 m betragen.
Arnsberg, Regierungsbezirk.
Polizeiverordnung des Regierungspräsidenten vom 11. November
1894, betreffend das Kost- und Quartiergängerwesen.
Die Schlafräume der Kostgänger und Quartiergänger dürfen mit
den Wohn- und Schlafräumen des Kost- und Quartiergebers und seiner
Haushalt-Angehörigen weder in offener Verbindung stehen, noch durch
eine auischliessbare Thür verbunden sein (§ la).
Jeder Schlafraum für Kost- und Quartiergänger muss gedielt (aus¬
nahmsweise in anderer Art vom Erdboden getrennt) werden, verschliess-
bar und wenigstens mit einem Aussenfenster versehen sein und darf
keine Verbindung mit einem Abort haben (§ 1 b).
Der geringste Schlafraum für jede Person beträgt 10 cbm (§ lc).
Dies gilt sowohl für die Schlafgäste als für die Haushalt-Angehörigen
des Vermiethers (§ 4).
Für je zwei Schlafgänger muss mindestens ein Bett und ein Wasch¬
geschirr vorhanden sein (§ 1 d).
An der Thür des Schlafraumes muss auf der Innenseite eine Tafel
hangen, auf welcher die zulässige Zahl der Schlafenden angegeben ist
(§ le).
Niemand darf „ohne Erlaubniss der Ortspolizeibehörde“ gleich¬
zeitig Kost- oder Quartiergänger verschiedenen Geschlechts aufnehmen
oder bei sich behalten, ausser wenn dieselben zu einer Familie ge¬
hören (§ 2).
Die Zahl der aufzunehmenden Kost- oder Quartiergänger, sowie
die Veränderung dieser Zahl ist vorher der Polizeibehörde anzuzeigen.
Malstatt-Burbaeh (24 000 Elnw.).
Bauordnung. Eine neue Baupolizei-Verordnung ist am 11. April
d. J. vom Bürgermeister nach Anhörung der Stadtverordneten - Ver¬
sammlung erlassen worden. Die wichtigsten gesundheitlichen Be¬
stimmungen derselben sind nachstehend im Auszuge wiedergegeben.
Der Hofraum soll mindestens ein Viertel, bei Eckhäusern ein
Sechstel des Grundstücks betragen, jedoch nicht weniger als 40 qm
(§ 22 ).
Die Gebäudehölie an der Strasse darf die Strassenbreite nicht
übersteigen. Die lichte Stockwerkhöhe soll im Dachgeschoss wenigstens
2,5 m, sonst im Allgemeinen mindestens 2,8 m betragen* an neun be¬
sonders genannten Strassen wird indessen eine Erdgeschosshöhe von
3,50 m und eine Höhe der Obergeschosse von 3,20 m gefordert (§ 28).
Alle Räume, die zum dauernden Aufenthalt von Menschen be-
Digitized by
Google
403
stimmt sind, müssen mindestens 2,50 m in Lichten hoch sein und
dürfen nirgends tiefer als 0,5 m unter der Erdoberfläche liegen. Das
letztere Maass darf bei Anordnung von Lichtgräben auf 1 m wachsen.
Der Fussboden ist jedoch mindestens 0,40 m über den höchsten Grund¬
wasserstand zu legen und gehörig zu isoliren (§ 24).
Jedes bebaute Grundstück muss entweder einen einwandfreien
Brunnen besitzen oder an die städtische Wasserleitung angeschlossen
werden (§ 25).
So viel Stockwerke, so viel Aborte werden gefordert, und zwar
mit Fenstern nach aussen; die Fallrohre aus geeignetem Material, zu¬
gänglich und frostfrei, gelüftet über Dach; die Abtrittsgruben „wasser¬
dicht“, mit Entlüftungsrohr und wenigstens 1 m von der Grenze (§ 26).
Der Anschluss an die städtischen Strassenkanäle ist, wo solche
vorhanden, obligatorisch (§ 27).
Die nach den §§ 16 und 24 der Reichs-Gewerbeordnung con-
cessionspflichtigen Bauten (welche die Nachbarschaft durch starken
Abgang unreiner Stoffe, lautes Geräusch oder Rauch, Russ oder Dampf
belästigen oder gesundheitlich benachtheiligen) können „nach dem Er¬
messen der Polizeibehörde“ für bestimmte Strassen gänzlich untersagt
werden und sind im Uebrigen besonders vorzuschreibenden Bau¬
bestimmungen unterworfen (§ 36).
Gas- und Wasserleitungsrohre dürfen nicht eingemauert noch ver¬
putzt, die letzteren müssen zudem frostsicher angelegt werden (§ 37).
Haspe (10 200 Elnw.).
Nach dem Geschäftsbericht für 1895/96 ist die Eingemeindung
der 3234 Einwohner zählenden Gemeinde Westerbauer in Aussicht ge¬
nommen. Eine neue Schlachthofanlage ist im Bau begriffen. In zwei
Privathäusern wurden die Erdgeschosswohnungen in Folge Ueber-
schwemmung durch einen starken Regenguss Seitens der Sanitäts¬
commission für unbewohnbar erklärt, geräumt und die fernere Be¬
wohnung erst nach mehreren Monaten, nachdem die eingeschlemmte
Erde entfernt und eine gehörige Lüftung und Trocknung der Räume
stattgefunden hatte, wieder zugelassen. Ein Brunnen wurde wegen
gesundheitswidrigen Wassers geschlossen. An ansteckenden Krank¬
heiten traten auf: Masern 182, Scharlach 4, Diphtheritis 43, Typhus
8 Fälle.
Rees (4000 Einw.).
Die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Aussengelände ist
in Angriff genommen. Der Entwurf einer unterirdischen Kanalisation
mit Einlass in den Rheinstrom ist aufgestellt worden, um die noch
vorhandenen Theile der stagnirenden alten Stadtgräben, in welche die
meisten Abwässer der Stadt bisher abfliessen, verfüllen und dadurch
Digitized by
Google
404
hd schädlich machen za können; die Ausführung ist bis zur Fertig¬
stellung des Bebauungsplanes vertagt worden.
M.-Gladbach (54 000 Einw.).
Eine Reihe von Industriellen hat unter dem Namen „Wohnungs-
verein für M.-Gladbach, Gladbach-Land und Neuwerk* 4 ein Unter¬
nehmen in's Leben gerufen, welches auf sanitärem und socialem Ge¬
biete sich hoffentlich als segensreich erweisen wird. Zweck des Vereins
ist, durch Besserung der Beschaffenheit der Mietwoh¬
nungen die Lage der arbeitenden Klassen in gesundheitlicher und
sittlicher Hinsicht zu heben. Um es den Arbeitern zu erleichtern,
sich bessere Wohnungen zu beschaffen, wird der Verein zunächst eine
Nachweisstelle für leerstehende oder zu vermiethende Wohnungen ein¬
richten. Ausserdem aber wird er die Beschaffenheit der Wohnungen
durch geeignete Organe überwachen, namentlich in Bezug auf Luft
und Licht, sowie auf die der Zahl der Familienglieder entsprechende
Raumgrösse. Den Familien mit zahlreichen Kindern sollen die Mittel
gewährt werden, zu dem zweiten Zimmer noch ein drittes Zimmer an-
zumiethen und, wo es dringend nöthig ist, noch ein viertes. Beson¬
dere Fürsorge soll getroffen werden, dass die halberwachsenen und
erwachsenen Kinder nach Geschlechtern getrennte Schlaf räume er¬
halten, sowie dass die Kinder im rechtzeitigen Alter aus der Schlaf¬
stätte der Eltern entfernt werden. Durch den persönlichen Verkehr
der Vereinsorgane mit den Mietherfamilien soll der Sinn für Häus¬
lichkeit und Ordnung gehoben, zur Förderung des Sparsamkeitssinnes
die Errichtung einer Miethzinssparkasse veranlasst, das Kostgänger¬
wesen soll nach Möglichkeit bekämpft werden. Die an Arbeiter¬
familien überwiesenen Geldgaben sollen in der Regel als Darlehen
gelten, mit der moralischen Verpflichtung der Rückerstattung beim
Eintritt besserer Erwerbslagen. Man hofft, in Kurzem mindestens
9000 Mark Jahresbeiträge zu gewinnen. Für die Gesundung der
Arbeiterwohnungsverhältnisse scheint uns die Gladbacher Vereins -
gründung einen richtigen und segensreichen Weg gefunden zu haben,
dessen Betretung auch in anderen Städten dringend zu empfehlen ist.
(Nach der Köln. Ztg.)
Köln (824 000 Einw.).
Ueber Arbeiterwohnungen auf Ziegeleien hat unterm
14. März d. J. der Regierungspräsident eine Polizeiverordnung erlassen,
welche wohlgeeignet erscheint, auf diesem hygienisch vernachlässigten
Gebiete der Wohnungsfrage bessernd einzugreifen. Danach müssen
die dauernd oder vorübergehend benutzten Wohnungen auf den Ziegeleien
in Zukunft mindestens folgende getrennten Räume enthalten: einen Raum
zur Bereitung und Einnahme der Mahlzeiten, einen Raum zum Aufent-
Digitized by ^.ooQle
405
halt in den Freistunden, besondere, nach Geschlechtern abgesonderte
Schlafräume und eine Bedürfnisanstalt. Die Fussböden sind gut und
dauerhaft zu dielen, die Wände zu verputzen, die Decken und inneren
Dachflächen zu pliestern. Auf der Aussenseite der Thür eines jeden
Schlafraumes ist die zulässige Belegschaft deutlich zu vermerken; die¬
selbe wird so berechnet, dass auf jeden Schläfer wenigstens 8 qm
Fussböden und 10 cbm Luftraum entfallen. Für jede Person ist eine
Bettstelle aus Eisen oder gehobeltem Holze zu beschaffen und so auf¬
zustellen, dass der Fussböden zum Reinigen zugänglich ist. Das Bett¬
zeug muss mindestens aus einem Strohsack und einer wollenen Decke
bestehen. Das Bettstroh ist wenigstens alle 6 Wochen zu erneuern.
Geeignete Wascheinrichtungen sind zu beschaffen und zu unterhalten.
Zwischen Wohn- und Schlafräumen sind Leitern unzulässig, sind viel¬
mehr Treppen mit sicheren Handleisten anzuordnen. Arbeiter, welche
an ansteckenden Krankheiten leiden, dürfen nicht in denselben Räumen
mit andern Arbeitern untergebracht werden. Ein Abdruck dieser Polizei¬
verordnung ist in den Ess- und Aufenthaltsräumen an einer in die
Augen fallenden Stelle anzubringen. Ziegeleibesitzer und Betriebsleiter
werden wegen Uebertretungen in empfindliche Geldstrafen genommen.
Zonen-Bauordnung. Am 20. Februar d. J. ist für die ausser¬
halb der Stadtumwallung liegenden Theile des Stadtbezirks von Köln,
sowie für einige Theile der Innenstadt eine neue Baupolizei-Verordnung
erlassen worden, welche, entsprechend den wiederholten Empfehlungen
der Vereine für öffentliche Gesundheitspflege, die polizeilichen Bau¬
vorschriften zonenweise abstuft. Danach werden in der Aussenstadt
vier Bauzonen oder Bauklassen unterschieden. Die erste Klasse
umfasst zwei Hauptstrassen im Vororte Nippes und drei Hauptstrassen
im Vororte Ehrenfeld, für welche die Bauvorschriften der Innenstadt
Geltung behalten. Die zweite Klasse umfasst diejenigen Strassen
oder Strassenstrecken in den städtischen Vororten Nippes, Ehrenfeld,
Lindenthal, Bayenthal und Deutz, welche bereits hergebrachter Weise
im Anbau begriffen sind. Die dritte Klasse umfasst alle übrigen
Strassen und Strassenstrecken der städtischen und die ländlichen Vor«
orte (mit Ausnahme der Bezirke für offene Bebauung). Die vierte
Bauklasse, nämlich die offene Bebauung, erstreckt sich auf
drei Bezirke der Neustadt innerhalb der Umwallung (am Römerpark,
am Volksgarten und an der Riehlerstrasse) und auf vier Bezirke der
Aussenstadt (Riehler, Ossendorfer, Lindenthaler und Marienburger Be¬
zirk). Alle sieben Bezirke für offene Bauweise enthalten zusammen
rund 900 ha. Dazu kommen 17 ha ehemals städtischer Grundstücke
am Sachsenring, welche nach den Bedingungen des Verkaufes nur mit
Landhäusern (Villen) bebaut werden dürfen. Durch einfache Ver¬
fügung der städtischen Polizeibehörde können auf Antrag Strassen und
Strassenstrecken aus der dritten Klasse in die zweite übertreten, sofern
Digitized by
Google
406
die planmässige Herstellung dieser Strassen geschehen oder gesichert
ist. Die wichtigsten Baubestimmungen der verschiedenen Klassen sind
in der nachstehenden Tabelle enthalten.
Geringster Antheil des
Hofraumes an der
Grundstücksgrösse.
Mindestbreite des Hofes
3 m
Grösste
Gebäude¬
höhe
Stockwerkszahl.
Das Erdgeschoss, ein
Zwischengeschoss
und ein bewohntes
Kellergeschoss wer¬
den mitgerechnet
Klasse I
0,25
bei Eckgrundstücken 0,15.
Strassenbreite
+ 3,5 m; jedoch
höchstens 20 m.
4
Klasse II
* Bei nur einstöckiger
Bebauung 0,25 (Eckgrund¬
stücke 0,15); bei mehr¬
stöckiger Bebauung 0,35
(Eckgrund8tücke 0,25).
Höchstens
17 m.
3
Klasse III
Bei nur einstöckiger
Bebauung 0,35 (Eckgrund¬
stücke 0,25); bei mehr¬
stöckiger Bebauung 0,50
(Eckgrundstücke 0,40).
Höchstens
15 m.
2
Klasse IV
0,60
bei Eckgrundstücken 0,50.
Höchstens
15 m.
2
In allen Klassen sind ausnahmsweise kleinere Höfe zulässig bei
öffentlichen Gebäuden, bei Fabriken, bei sehr beschränkten Eckgrund¬
stücken und bei sonstigen Grundstücken von weniger als 100 qm
Flächeninhalt.
In allen Klassen darf ausserdem das halbe Dachgeschoss bewohnt
werden. Der Fussboden von Kellerwohnungen darf nicht tiefer als
0,5 m unter der Bürgersteigfläche liegen.
In den Bezirken der Klasse IV muss betragen der Abstand von
der seitlichen Grenze 5 m, vom Nachbarhause 10 m. Je zwei Gebäude
dürfen bis auf 40 m Frontlänge zusammengebaut werden. Gewisse
Vorbauten sind in den Zwischenräumen statthaft.
Belästigende gewerbliche Anlagen sind in den Bezirken der offenen
Bebauung uutersagt.
Diese neue Zonen-Bauordnung hat sich ohne jede Beschwerden
und Schwierigkeiten eingefllhrt. J. St.
Digitized by v^ooQle
407
Literatnrbericht.
Dr. H. Albrecht und Architekt Prof. A. Meißel, Das Arbeiterwohnhaus.
Gesammelte Pläne von Arbeiterwohnhäusern und Rathschläge zum Ent¬
werfen von solchen auf Grund praktischer Erfahrungen. Berlin 1896.
Verlag von Robert Oppenheim. Preis 10 Mk.
Nicht die erschöpfende Behandlung der Frage vom wirthschaftlichen
und socialen Standpunkte, sondern die Anleitung zu zweckmässigen
Neubauten ist die Absicht der Verfasser. Sie wollen sowohl hinsicht¬
lich der Grundrisse als der äusseren Erscheinung der Arbeiterwohn¬
häuser mustergültige Beispiele geben; sie betonen die gefällige äussere
Ansicht als ein Mittel, bei dem Arbeiter Freude an seiner Behausung,
Ordnungs- und Reinlichkeitssinn hervorzurufen und zu pflegen. In drei
Abschnitten wird zunächst die wirthschaftliche und sociale Seite der
Arbeiterwohnungsfrage skizzirt, dann der Bau von Arbeiterwohnungen
vom technischen Standpunkte, schliesslich die finanzielle Seite des
Baues behandelt. In die eigentliche Tiefe der Wohnungsfrage, welche
in den dunkelsten Gründen der Altbauten, in Grossstädten wie in
Mittelstädten, zu suchen ist, wollen die Verfasser nicht hinabsteigen;
ihr Bestreben beschränkt sich auf Neubauten durch die Wohnungs¬
fürsorge von Arbeitgebern, durch gemeinnützige Stiftungen und Bau¬
gesellschaften, sowie durch Selbsthülfe der Wohnungsbedürftigen, letz¬
teres hauptsächlich nach dem Vermiethungssystem. Muster werden
mitgetheilt für das freistehende Einfamilienhaus, das Doppelhaus mit
zwei getrennten Familienwohnungen, das Reihenhaus mit getrennten
Familien Wohnungen und für Häuser mit Wohnungen in verschiedenen
Stockwerken (vier und mehr Familien), endlich für Arbeitercolonien.
Die Grundrissanordnung, die Nebenräume und die baulichen Einrich¬
tungen werden sachgemäsg besprochen. Die Musterentwtirfe sind durch¬
weg vortrefflich; in der äusseren Architektur überschreiten sie indess
stellenweise den gemeiniglich gesteckten Rahmen. Von erheblichem
Werthe sind auch die finanziellen Mittheilungen, so der Kaufvertrag
des Stuttgarter Vereins, die Grundsätze und Bedingungen für die Be¬
leihung von Grundstücken, für Bau- und Handwerksdarlehen, endlich
die Baubedingungen, Lieferungs- und Mietverträge des Berliner Spar-
und| Bauvereins. — Dem sehr nützlichen und trefflich ausgestatteten
Werke ist die weiteste Verbreitung und Beachtung zu wünschen.
J. St.
Handbuch der Hygiene von Dr. Theodor Weyl. 25. Lieferung: Das
Wohnhaus. Bau und Einrichtung des Wohnhauses von Chr.
Nussbaum (Docent an der Techn. Hochschule zu Hannover). Gesetze,
Verordnungen u. s. w., betreffend billige Wohnungen, von Dr.
A. Wernich (Regierungs- und Medicinalrath in Berlin). Bakteriologie
und Biologie der Wohnung von Prof. Dr. F. Hüppe in Prag. Mit
190 Abbildungen im Texte. Jena, Gustav Fischer, 1896.
Centndblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 29
Digitized by ^.ooQle
408
Das vorliegende, 420 Seiten starke Heft bildet die Schlossliefernng
der Bau- und Wohnungshygiene des in rascher Folge erscheinenden
Weyl 1 sehen Handbuchs. Den Löwenan theil des Heftes bildet die Ab¬
handlung Nussbaun^s über den Bau und die Einrichtung des Wohn¬
hauses in 10 Abschnitten. Die ersten drei Abschnitte betreffen die
Lage des Wohnhauses, die Wahl der Bauweise und die Nachtheile der
übermässigen Grundausnutzung. Der vierte Abschnitt behandelt ein¬
gehender die verschiedenen Baustoffe nach ihrer hygienischen Bedeu¬
tung, während im ausgedehnten fünften Abschnitte die einzelnen Theile
des Gebäudes und deren Herstellungsarten sehr ausführlich besprochen
werden. Das Ausheizen der Neubauten und die Anlage der Neben¬
räume bilden den Inhalt der beiden folgenden Capitel, während der
achte, neunte und zehnte Abschnitt sich wieder eingehend mit der
Anlage von Landhäusern bezw. Einfamilienhäusern, der Häuser mit
MiethWohnungen und der Arbeiterwohnungen beschäftigen. Der Verf.
beherrscht den Stoff technisch und literarisch; er vermochte deshalb
die vollständigste praktische Bauhygiene des Wohnhauses zu liefern,
welche bisher geschrieben wurde. Von grossem Gebrauchswerte ist
auch die Zusammenstellung der Gesetze, Verordnungen, Statuten etc.
von A. Wernich. Hüppe erörtert die hygienischen Verhältnisse
der Zwischendecken und des Staubes im Hause: die Salpeterbildung,
die Kohlensäure-Entwicklung, die Fäulnissgase und deren Einfluss auf
die Krankheitsanlage, den Hausschwamm, die tierischen Holzzerstörer,
die Krankheitserreger im Füllmaterial der Zwischendecken, den Staub
als Begünstiger der Disposition und als Träger von Krankheitskeimen,
endlich den Staub in Turnhallen.
26. Lieferung: Anlage und Bau der Krankenhäuser nach hygienisch-
technischen Grundsätzen von F. Kuppel (Bauinspector in Hamburg).
Mit 304 Textfiguren. Jena, Gustav Fischer, 1896.
Gestützt auf grosse Sachkunde und Erfahrung behandelt der Verf.
mit Fleiss und Sorgfalt den Krankenhausbau in allen seinen Be¬
ziehungen. Der erste längere Theil seiner Schrift erstreckt sich auf
allgemeine Krankenhäuser, der zweite, kürzere Theil aufIsolir-
gebäude und Spitäler für ansteckende Krankheiten. Die 36 Capitel
des ersten Theiles beziehen sich auf die geschichtliche Entwicklung,
die ärztlichen Anforderungen, die Bausysteme und das Bauprogramm,
die allgemeine Anordnung, die bautechnische Herstellung der einzelnen
Bautheile und namentlich des Krankensaales, die Heizung und Lüf¬
tung, die Einzelzimmer, den Tageraum und die Nebenräume, die
Aborte, den Operationsraum, die Verwaltungsräume, die Küchen¬
einrichtungen, die Desinfection, das Eis-, Kessel-, Maschinen- und
Leichenhaus, das Mobiliar, die Wasserversorgung, Canalisation, Be¬
leuchtung und die Kosten. Im zweiten Abschnitte werden die Noth-
wendigkeit und die Arten der Isolirung besprochen, ferner die ärzt-
Digitized by ^.ooQle
409
liehen Anforderungen an Isolirspitäler, die allgemeine bauliche An¬
ordnung und die Raumdisposition derselben, sowie die bauliche Ge¬
staltung des Krankensaales. Eingehend behandelt Verf. schliesslich
die „temporären Kranken- und Unterkunftsräume“ in Gestalt von festen
und beweglichen Baracken von verschiedenster Herstellungsart nebst
ihren Einrichtungen. Die Ruppe lösche Schrift gehört zum Besten, was
auf dem vorliegenden Gebiete die Literatur aufzuweisen hat. J. S t.
Prof. Axel Holst (Christiania), Untersuchungen über die Wohnungen des
Arbeiterstandes ln Christiania. Archiv für Hygiene 1896, Band XXVI,
S. 109.
Diese auf Veranlassung der städtischen Gesundheitscommission
ausgeführten Untersuchungen erstreckten sich nicht auf alle Arbeiter¬
wohnungen in Christiania, sondern nur auf mehrere Strassen der ver¬
schiedensten Stadttheile, von denen anzunehmen war, dass sie die
Wohnungsverhältnisse jener Stadttheile durchschnittlich, gleichsam als
„repräsentative Strassen“ vertraten. Aus solchen Strassen wurden
alle Arbeiter-Miethwohnungen untersucht, im Ganzen 1946
Wohnungen, die sich auf 10 „Gemeinden“, 13 Stadttheile und 24 Strassen
vertheilten, ausserdem 464 Wohnungen, die sich in einzelnen der
grösseren mehrstöckigen, von Consortien gegründeten „Arbeiter-Kasernen“
befanden.
Frühere ähnliche Untersuchungen sind für Basel von Bücher,
für Gothenburg von Wallquist, für Nürnberg von Hess
ausgeführt 1 ). Welcher Luftraum als Minimum für den einzelnen
Bewohner zu fordern sei, ist in den verschiedenen Städten verschieden
aufgefasst worden. In England haben die Gesundheitsämter
(local boards of health) das Recht, solche Miethwohnungen räumen zu
lassen, die sowohl als Schlaf- wie Wohnräume dienen und nicht
wenigstens 400 englische Kubikfuss = 11,33 cbm Luft für jeden Be¬
wohner über 10 Jahre und die Hälfte für jeden jüngeren enthalten.
Die Grösse des erforderlichen „Luftkubus“ bestimmt die wissen¬
schaftliche Hygiene nach dem Grundsätze, dass dem Menschen
stets trotz der Verunreinigung der Luft durch den Athemprocess eine
noch nicht ungesunde Luft zur Verfügung stehen müsse. MitPetten-
kofer wird eine Luft als noch nicht ungesund erachtet, wenn sie
durch den Athemprocess mit nicht mehr als 1 °/oo Kohlensäure be¬
laden ist Da nun „frische Luft“ 0,4 °/oo Kohlensäure enthält und
die vom Erwachsenen in der Stunde ausgeschiedene Kohlensäure
0,02 cbm beträgt, so müssen in der Stunde etwa 30 cbm Luft zur
Verfügung stehen, damit durch den Athemprocess eines Erwachsenen
0 B., Die Wohnungsenquete der Stadt Basel, 1891. — W., Bostads-
forhällendena i Göteborg, 1891 (Lordnska stiftelsens skrifter). — H., Die
Wohnungsverhältnisse der Nürnberger Arbeiter-Bevölkerung, 1893.
29*
Digitized by v^ooQle
410
der Gehalt der Luft au Kohlensäure 1 °/oo nicht übersteige. Der
Luftwechsel in den Wohnungen ist nun in den meisten Fällen so
gering, dass er nur ausnahmsweise auf mehr denn einmal stündlich zu
veranschlagen ist; und deshalb wäre eigentlich ein Luftkubus von
30 chm als Minimum für den Ewachsenen zu fordern. Damit würden
aber für die Wohnungen so hohe Kosten entstehen, dass es nöthig ist,
die hygienischen Forderungen für gewöhnliche Verhältnisse herab¬
zusetzen. Flügge (in seinem Grundriss der Hygiene) fordert 16 cbm
Wohnraum für jeden Menschen; und der Verfasser theilt mit, dass die
Gesundheitscommission in Ghristiania das Gutachten abgab, dass Zimmer
für einzelne Dienstmädchen in herrschaftlichen Wohnungen wenigstens
15 cbm gross sein sollten. Was das Bedürfniss der Kinder anlangt,
so sei nach dem Verfasser milgetheilt, dass man in den Volksschulen
zu Christiania 6—8 cbm für jedes Kind zu schaffen gesucht hat; und
dass auch dies nicht genüge, gehe aus den Luft-Untersuchungen her¬
vor, obgleich in jenen Schulen durch besondere Ventilations-Einrichtungen
(meistens Centralluftheizung) ein erheblicherer Luftwechsel bewirkt
werde.
Gleichwohl legte der Verfasser seinen Untersuchungen die sehr
geringe Forderung von nur 10 cbm Luft für jede über 10 Jahre alte
und 5 cbm für jede jüngere Person zu Grunde; Wohnungen, die dieser
Forderung nicht genügen, sind daher als „äusserst stark überfüllt u zu
bezeichnen; sie stellen einen „Zustand sanitärer Noth u dar. Nun
fanden sich unter den 1946 Arbeiter-Miethwohnungen 385 = rund
20 %, die nicht diese niedrigste Forderung erfüllten; darunter eine
nicht geringe Anzahl, in welchen weniger als 6 cbm auf jeden Be¬
wohner über 10 Jahre kommen. Die hohen Grade der UeberfÜllung
zeigten sich am häufigsten in den kleinsten Wohnungen von einem
Zimmer ohne eigene Küche; von diesen waren 43,8 °/o „excessiv
übervölkert“; von den untersuchten Wohnungen von einem Zimmer
mit eigener Küche 14 °/o, von den Wohnungen von 2 Zimmern
und Küche 6 °/o.
Prof. Holst berechnet, dass es in Christiania etwa 3000 Miet¬
wohnungen des Arbeiterstandes giebt, die so übervölkert sind, dass sie
nicht einmal der erwähnten bescheidenen Forderung genügen. Eine
Anzahl von 15 000 Menschen oder etwa 9 °/o der Bevölkerung wohnen
in „stark übervölkerten“ Wohnungen und müssten zum Ausziehen in
geräumigere Wohnungen gezwungen werden, wenn man ein Wohnungs¬
gesetz nach englischem Muster, wie vorgeschlagen war, durchführen
wollte.
Nur 12 °/o der untersuchten Arbeiter-Wohnungen entsprachen der
weiter gehenden Forderung, für jeden über 15 Jahre alten Bewohner
30 cbm, für jeden jüngeren doppelt so viel Kubikmeter Luft zu ent¬
halten, als er Jahre zählte.
Digitized by
Google
411
Die Uebervölkerung war übrigens in den neueren Häusern geringer
als in den älteren, wo Zimmer von unter 30 cbm bis herunter zu 15
oder 10 cbm Inhalt eher Kegel als Ausnahme sind. In den schon er¬
wähnten „Arbeiter-Kasernen“ wurden von 464 untersuchten Wohnungen
nur etwa 5 % übervölkert gefunden.
Unter den Ursachen der Uebervölkerung stellt der Ver¬
fasser die schlechte ökonomische Lage der Miether voran;
für diese findet er einen Ausdruck in der Zahl der Kinder. Von
allen Miethern ohne Kinder lebten in übervölkerten Wohnungen
8,5 °/o, von Miethern mit 1 Kinde 10,5 °/o, von Miethern mit 2 Kindern
17,4% u. s. w., von Miethern mit 7 und mehr Kindern 52,4%.
Neben der Armuth macht sich als Ursache der Uebervölkerung die
grosse Wohnungsnoth geltend; es fehlt an zugleich geräumigen
und billigen Wohnungen, ja an Wohnungen überhaupt. Dieser Um¬
stand führt dazu, dass viele einzelne Personen als Schlafgänger in
Arbeiterfamilien Aufnahme finden, in sittlicher Beziehung ein ernst¬
licher Uebelstand.
Sind nun die Wohnungen des Arbeiterstandes in Christiania in
hohem, beunruhigendem Grade übervölkert, so ist dies noch nicht
ihr grösster Uebelstand. In grosser Zahl sind sie zugleich kalt,
dunkel, feucht. Nicht nur die zahlreichen älteren Holz- und
Fachwerkbauten, sondern auch die meisten der neueren Mauerhäuser
werden schlecht in Stand gehalten; die letzteren vielfach von Grund
auf unsolide aufgeführt („eine halbe Fuhre Kalk für ein Haus von
drei Stockwerken“) — mit feuchtem Holz, mit ungenügender Füllung
der Wände und Dichtung der Thtiren und Fenster. Die Höhe der
Zimmer beträgt in den älteren Häusern oft kaum 2m; oft liegen
die Fenster, zumal der Küchen, an sich zu klein, unter offenen
Treppen und Gängen u. s. w., wodurch Belichtung und Lüftung un¬
genügend werden. — Fast alle Kellerwohnungen in Christiania
sind theils wegen Feuchtigkeit, theils aus anderen Gründen gesund¬
heitsgefährlich. Feuchtigkeit fand sich auch in vielen anderen
Wohnungen.
Mit Rücksicht auf diese Uebelstände und die ganze Bauart wurden
im Ganzen 408 Häuser untersucht; von diesen waren 88 = 21,5 %
so äusserst schlecht, dass sie nicht mehr durch Reparaturen in Stand
scu setzen schienen („3. Klasse“); 44,6 % der Häuser waren, wenigstens
in ihrem jetzigen Zustande, als schlecht zu bezeichnen („2. Klasse“);
nur ein Drittel konnte als einigermaassen und zwar nur verhältniss-
mässig gut bezeichnet werden („1. Klasse). 20 % der Häuser bestehen
aus Fachwerk mit Mauern von der Dicke eines halben Steines (!), 14 %
waren nur Bretterhäuser! — Werden die einzelnen Wohnungen
dieser Häuser klassificirt, so finden sich einzelne „unbewohnbare“ und
„schlechte“ Wohnungen auch in den Häusern der sog. ersten Klasse.
Digitized by
Google
412
Der Verfasser hat im Ganzen 1780 Wohnungen ausser auf Ueber-
völkerung auch auf andere Uebelstände untersucht und findet 296
(oder etwa 1 /e) so elend, dass er sie als unbewohnbar bezeichnet;
462 (oder etwa 1 U) sind schlecht zu nennen. Verfasser giebt in
einer Tabelle eine Auslese von Protokollen über diese Wohnungen,
und man wird nach der Tabelle nur in wenigen Fällen einen Zweifel
über die schlechte Beschaffenheit der Wohnungen haben.
Als wesentliche Ursache dieser Uebelstände wird von dem Verfasser
wieder die Wohnungsnoth, der Mangel an Concurrenz angeführt; die
Hausbesitzer können Alles vermiethen, das Schlechteste wie das Beste.
Was die Höhe der Miethen anlangt, so zahlen die meisten
Arbeiter nicht mehr, als ihren Einnahmen etwa entspricht, also nicht
mehr als etwa V# der Einnahmen. Wichtiger ist, dass die Miethe für
eine einigermaassen gute und geräumige Wohnung für viele Arbeiter
zu hoch ist. Es ist schwer, eine einigermaassen gute Wohnung von
IStube nebst eigener Küche für weniger als 13 Kronen (1 Krone
= 1 Mk. 11 Pfg.) monatlich zu bekommen, und eine solche Miethe
ist für viele Arbeiter in Christiania schwer zu erschwingen. Wohnungen
von 2 Stuben nebst Küche (für 18—22 Kronen) können nur die best- **
gestellten Arbeiter nehmen. Professor Holst nimmt aus mehreren
Gründen an, dass die Miethen bedeutend niedriger sein könnten, wenn
Häuser dieser Art von Kapitalisten aufgeführt würden, die sich mit
billiger Verzinsung begnügten.
Der Verfasser theilt mit, dass die Stadt Christiania wahrscheinlich
versuchen wird, neue Consortien für den Bau von Arbeiterwohnhäusern
in’s Leben zu rufen, sowie auch selbst solche Häuser zu bauen. Ver-
muthlich sollen auch einige Häuser für einzelne Personen gebaut
werden, um dem Schlafgänger-Wesen Einhalt zu thun. Sodann aber soll
eine regelmässige Ueberwachung der Miethwohnungen eingerichtet werden.
• Verfasser verspricht sich weniger davon, „überfüllte“ Wohnungen
räumen zu lassen. Vielmehr soll die Ueberwachung im Besondern auf
die Herbeiführung nöthiger Reparaturen und Abstellung hygienischer
Schäden gerichtet sein. Auch die Verhältnisse zwischen Angebot und
Nachfrage, die Ueberfüllung, die Miethpreise sollen hiedurch, auf dem
Wege regelmässiger wohnungs-statistischer Berichte, in der Oeffentlich-
keit bekannt werden. Gerade auf diese stetigen Bekanntmachungen
legt der Verfasser grossen Werth; es werden dann die Versuche zur
Abhülfe, die Fortschritte nicht ausbleiben. Wolffberg.
Seraflni, Ueber die Appert’schen durchlöcherten Scheiben als Lüftnngs-
mittel. (Archiv für Hygiene Bd. XXVI, 4. Heft, S. 329—369.)
Von den vielen mehr oder minder unnützen und oft langwierigen,
wenn nicht geradezu schädlichen Mitteln, die dazu erfunden wurden,
um in geschlossenen und bewohnten Räumen den natürlichen Luft-
Digitized by v^ooQle
413
Wechsel zu begünstigen, in denen manchmal ans technischen und sehr
oft ans ökonomischen Gründen die Anbringung guter künstlicher Ven¬
tilation svorrichtungen entweder nicht leicht oder unmöglich ist, beginnen
die Appert* sehen durchlöcherten Scheiben auch bei uns einem gewissen
Wohlwollen des Publicums und der Techniker zu begegnen.
Diese nicht durchsichtigen, nur durchscheinenden Scheiben sind
3,5 mm dick und haben 3000 oder 5000 Löcher per Quadratmeter
je nachdem die Löcher einen Durchmesser von 3 oder 4 mm in der
kleinen Oeffnung, resp. von 6 oder 8 in der grösseren besitzen. Die
grössere Oeffnung muss immer gegen das Innere gewendet sein. —
Die Scheibe muss am oberen Theile des Fensters bei einer Höhe von
• wenigstens 2,50 m vom Fussboden angebracht sein.
Der Schluss, den Verfasser aus seinen zahlreichen Untersuchungen
zieht, lautet: Die Appert’sehen Scheiben können nur in jenen Localen
ein wirksames Hülfsmittel der natürlichen Ventilation bieten, in welchen
mittels einer Ofenröhre oder irgend eines anderen Weges die Aspiration
gleichzeitig functionirt, und wo die Bewohner über einen grossen
Kubikinhalt verfügen, was leicht in Privatwohnungen vorkommt; in
Ermangelung etwas Besseren kann man in ähnlichen Fällen sie aller¬
dings in den oberen Theilen der Fenster anrathen, aber nur daun,
wenn diese den grössten Theil des Lichtes direct vom Himmelsgewölbe
empfangen. In den Fällen dicht belegter Wohnungen dagegen können
dieselben nicht wirksam sein, weil sie in Folge der Luftströmungen
unerträglich werden und gleichzeitig auch wegen ihrer grossen Ober¬
fläche zur Verminderung des Lichtes beitragen; sie müssen desshalb
für solche Wohnungen bei Seite gestellt werden.
Dr. Mastbaum (Köln).
The Ventilation of hospitals and the tre&tment of infeoted air. (The
Lancet Nr. 3741.)
Von allen Ventilationsmethoden ist das Propulsions-System weitaus
am besten, da nur bei diesem System die Zuführung einer guten,
reinen Luft gesichert werden kann. Die eintretende Luft muss ge¬
reinigt werden, bevor sie in die bewohnten Räume gelangt, und diese
Reinigung wird zweckmässig durch feuchte Kokosnussfasern bewirkt,
gleichzeitig wird hierdurch der Luft die nöthige Feuchtigkeit zugeführt.
Die Fasern sind in der Luftkammer senkrecht ausgespannt, und zwar
so dicht, dass sie sich gegenseitig berühren; durch horizontale Kupfer¬
drähte werden sie in ihrer Lage festgehalten. Auch die austretende
Luft soll gereinigt werden und auch hierzu eignen sich Kokosnuss-
fa8em, die mit einer schwachen Carbolsäurelösung befeuchtet werden,
am besten. Hierdurch soll es möglich sein, alle infectiösen Keime aus
der Luft zu entfernen, was auf andere Weise, z. B. durch Hitze, nicht
gelingt Pröbsting.
Digitized by ^.ooQle
414
F. Gillert, Welchen wissenschaftlichen Werth haben die Resultate der
.Kohlensäure - Messungen nach der Methode von Dr. mecL Wolpert.
(Zeitschr. für Hygiene und Infectionskrankheiten Bd. XXI, Heft 2, S. 282
bis 287).
Der Wolpert’sehe Apparat besteht aus einem Glascylinder mit
doppelter Scala; eine derselben zeigt Kubikcentimeter, die andere Luft¬
reinheitsgrade an. In dem Cylinder lässt sich ein Kolben mit Dichtungs¬
ring aus grauem Gummi verschieben.
Als Mangel des Apparates erscheint, dass durch seitliches Schütteln
des Lösungsmittels Theile desselben zwischen Kolben und Cylinder-
wand gelangen. Diese entfärben sich natürlich viel früher und be¬
schleunigen die Neutralisation. Wenn man diesen Vorgang nicht in #
Rechnung zieht, so ist der Kohlensäuregehalt ein zu hoher. Ein fernerer
Mangel ist zuweilen ungenügender Verschluss durch den Dichtungsring.
Auch kann der Kautschuk etwas Kohlensäure absorbiren.
Ein Mangel der Versuchsflüssigkeit ist ihre Entfärbbarkeit durch
Licht. Die Methode der Untersuchung hat also Mängel, wodurch die
Resultate an ihrem wissenschaftlichen Werthe Einbusse erleiden. Für
wissenschaftliche Untersuchungen fordert man aber einwandfreie Me¬
thoden und Instrumente, die jederzeit sichere Resultate liefern. Gegen¬
über den Resultaten der Pettenkofer’sehen Untersuchungen ergaben die
Wolpert’sehen nicht unbeträchtliche Differenzen.
„Kommt es darauf an, dass der momentane Kohlensäuregehalt
eines Versammlungsraumes rasch ermittelt werden soll, wird der Apparat
gute Dienste leisten, wenn man von einer wissenschaftlichen Genauig¬
keit absieht; doch muss vorausgesetzt werden, dass der Apparat tadellos
functionirt und die Versuchslösung gut ist.
Dr. Mastbaum (Köln).
H. Charas, Ueber Krankentransport wesen in Städten und auf dem
flachen Lande. Monatsschrift für Gesundheitspflege. Wien 1896. Nr. 5.
Verfasser, Chefarzt der Wiener freiwilligen Rettungs-Gesellschaft,
giebt eine kurze Uebersicht über die Entwicklung des Krankentrans¬
portwesens. Den Ausgangspunkt für die Fortschritte des Kranken¬
transportwesens in unserem Jahrhundert sowohl für den Krieg als für
Friedenszeiten bilden die Ideen Percy’s und Larrey’s, zweier berühmter
Chirurgen der napoleonischen Zeit. Die Percy’sche oder französische
Tragbahre entspricht im Grossen und Ganzen auch jetzt noch den
Forderungen, die man an ein derartiges Transportmittel stellt. Die¬
selbe bildet noch heute die normalmässige Tragbahre der französischen
Armee. Unter den zahlreich neuerdings construirten Transportmitteln
empfiehlt Charas besonders die „Scheerentragbahre“ und die „gedeckte
Stadttragbahre“, die jedoch nur für den Transport auf kleinere Strecken
anwendbar sind. Für grössere Distanzen ist vielfach noch ausschliess-
Digitized by ^.ooQle
415
lieh die sogenannte „Räderbahre“, ein anf einem mit zwei Rädern
versehenen Gestell ruhende, gedeckte Tragbahre, welche mit den
Händen in Bewegung gesetzt wird, in Gebrauch. Charas bezeichnet
mit Recht dieses Transportmittel nicht nur als vollkommen unzweck¬
mässig, sondern auch als geradezu grausam und inhuman.
Er empfiehlt, um dieses Urtheil als gerecht zu bestätigen, sich als
gesunder Mensch nur 100 Schritte weit in einer Räderbahre trans-
portiren zu lassen. Für den Transport auf weitere Distanzen eignet
sich nach seiner Ansicht vor Allem der Ambulanzwagen entweder mit
sogenannter rückwärtiger Einlagerung oder, was noch praktischer ist,
mit seitlicher Einlagerung. Hier liegt der Verletzte oder Kranke unter
permanenter Bewachung auf einer mittelst vier Riemen suspendirten
Tragbahre, und es kann dem Patienten während der Fahrt jede Pflege,
deren er bedarf, zu Theil werden. Zum Transport von mit Infections-
krankheiten behafteten Personen dienen besondere, leicht desinficirbare
Tragbahren und Ambulanzwagen. Letztere sind ganz ähnlich construirt,
wie die anderen Ambulanzwagen, nur ist der ganze Innenraum des
Wagens mit Zinkblech ausgekleidet.
Charas wünscht vor Allem, dass die Aerzte dem Krankentrans¬
portwesen ein grösseres Interesse entgegenbringen möchten und weist
nachdrücklich auf die Gefahren hin, die durch einen ungeschickten
Transport dem Kranken oder Verletzten gebracht werden können.
Mit demselben Recht wie Esmarch den Satz aufstellt, der erste
Verband entscheidet das Schicksal des Verletzten, kann man nach
Charas behaupten, der erste Transport entscheidet das Schicksal des
Verletzten. Allerdings muss zugegeben werden, dass in letzter Zeit
in vielen Städten, besonders unter dem Eindruck der Hamburger
Cholera-Epidemie, vieles für den Krankentransport geschehen ist und
wenigstens einigermaassen genügende Einrichtungen getroffen worden
sind. Für die Sanitätsbehörden sind für die Organisation des Kranken¬
transportwesens nach Charas vor Allem folgende Punkte ins Auge
zu fassen:
1. Abschaffung aller unzweckmässigen Transportmittel, insbesondere
der Räderbahre.
2. Acquirirung von zweckentsprechenden Tragbahren für den Trans¬
port auf kürzere Distanzen und von Ambulanzwagen für den
Transport auf weitere Strecken, und zwar Beides in grösserer
Anzahl als für den normalen Bedarf, da auch für Massenunglück
Vorsorge getroffen werden muss.
8. Vertheilung der Transportmittel an in verschiedenen Punkten
der Stadt zu errichtende Krankentransport-Stationen, in welchen
Bespannung bereit zu halten wäre. Je eine solche Station für
zwei bis difei an einander grenzende Bezirke würde genügen.
Digitized by
Google
416
4. Bereithaltung von gutgeschultem Sanitätspersonal in genügender
Anzahl, und zwar im Permanenzdienst.
5. Telegraphische, oder noch besser, telephonische Verbindung der
Krankentransport-Stationen unter einander, einerseits damit sich
dieselben nothwendigen Falles gegenseitig ergänzen, andererseits
aber, um dem grossen Publicum den Verkehr mit diesen Stationen
zu erleichtern.
6. Strengster Ausschluss des Transportes von Infectionskrankheiten
mit diesen Transportmitteln.
7. Mit Ausnahme dringender, unaufschiebbarer Fälle dürften Kranken¬
transporte nur auf Grund einer beizuhringenden ärztlichen Be¬
scheinigung ausgeführt werden. Bei strenger Einhaltung dieses
letzten Punktes kann die Desinficirung des Wagens nach jedem
Transporte, wie dies in Berlin vorgeschlagen wurde, ohne Weiteres
entfallen.
Charas bespricht dann noch einige specielle Arten von Kranken¬
transporten, so den von Geisteskranken und den Transport von Ver¬
letzten auf Eisenbahnen.
Ein höchst dringendes Bedürfniss ist ferner die Organisation des
Krankentransportes auf dem flachen Lande, wo bisher in dieser Be¬
ziehung so gut wie Nichts geschehen ist. Es werden vielmehr nach
wie vor die Verletzten auf dem ersten besten Transportmittel (Leiter¬
wagen etc.) in die Stadt befördert.
Charas verlangt, dass jede, auch die kleinste Gemeinde eine
gewöhnliche Feldtragbahre und eine Tragbahre für infectiös Erkrankte
beschaffen soll. Ausserdem soll je ein Sanitätsbezirk noch einen Am¬
bulanzwagen bereit halten. Bleibtreu (Köln).
E. Vallin, Les urinoirs ä l’huile. (Revue d’Hygi&ne T. XVIIL Nr. 3.)
Statt der Wasserspülung empfiehlt Verf. die Tränkung der Wände
und des Bodens der Pissoirs mit Oel. Der Urin kann dann nicht
haften und einziehen, und das Entstehen von Urin-Inkrustation wird
somit vermieden. Das Verfahren ist schon in zahlreichen Städten ein-
geführt und soll sich überall durchaus bewährt haben. Es ist ganz er¬
heblich billiger, sauberer und gesunder, da schlechte Gerüche in
solchen Pissoirs nicht zu bemerken sind. Verf. bespricht dann ein¬
gehend die Erfahrungen, die in Paris und einigen anderen französischen
Städten mit diesem Verfahren gemacht worden sind, und die sehr zu
weiteren Versuchen auffordern. Pröbsting.
H. Napias, La protection de la femme dans l’industrie. (Revue d'Hygi&ne
T. XVIIL Nr. 3.)
Verf. bespricht ganz kurz die gesetzlichen Maassnahmen in Be¬
ziehung auf gewerbliche Beschäftigung der Mädchen, Frauen und Wöch-
Digitized by
Google
417
nerinnen in den meisten Staaten Europas und Nordamerikas. Mit
Ausnahme von Spanien, Italien und einigen Staaten von Nordamerika
haben alle übrigen Staaten gesetzliche Bestimmungen erlassen, freilich
in sehr verschiedenem Umfange. Während z. B. Deutschland der
Arbeiterin einen sehr bedeutenden gesetzlichen Schutz gewährt (Novelle
vom 1. Juli 1891), ist in Dänemark den Frauen nur das Reinigen
und Schmieren von laufenden Maschinen, Transmissionen u. s. w. unter¬
sagt. Neun grosse europäische Staaten haben eine Ruhepause für Wöch¬
nerinnen vorgesehen. In Deutschland und Norwegen kann sich diese
bis auf 6 Wochen nach der Entbindung erstrecken. In Deutschland
4 Wochen nach der Niederkunft überhaupt nicht, während der folgen¬
den 14 Tage nur, wenn durch das Zeugniss eines Arztes die Arbeit
fhr zulässig erklärt wird. Die Schweiz bestimmt 8 Wochen Ruhe,
2 Wochen vor und 6 Wochen nach der Niederkunft, alle übrigen
Staaten haben 4 Wochen festgesetzt. Pröbsting.
G. v. Liebig, Die Bergkrankheit. Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Ge¬
sundheitspflege 1896, Heft 8.
v. Liebig bespricht in diesem Aufsatze in eingehender Weise
die Erscheinungen der Bergkrankheit und giebt einen interessanten
geschichtlichen Ueberblick über die Versuche, die Ursachen der Berg¬
krankheit wissenschaftlich zu ergründen.
Aus der Verdünnung des Sauerstoffs der Luft und dem ver¬
minderten Luftdruck allein lassen sich die Erscheinungen der Krank¬
heit nicht erklären. Liebig sieht nun eine wesentliche Ursache der
Bergkrankheit in der elastischen Spannung des Lungengewebes, indem
diese relativ an Stärke zunimmt im Verhältnis, wie sich der Luftdruck
vermindert. Ihre Verstärkung bedingt Veränderungen in der Athem-
weise und eine Verengung der Lungenstellung. Diese wieder beein¬
flusst die Circulation und bewirkt eine UeberfÜllung des Venensystems,
welche bisweilen capillare Blutungen auf Schleimhäuten hervorruft.
Nach Liebig veranlasst das Zusammenwirken dieser Veränderungen
vorübergehend ein Unvermögen der Athemthätigkeit, dem Blute unter
allen Umständen eine hinreichende Menge von Sauerstoff aus der ver¬
dünnten Atmosphäre zuzuftihren. Der Grund, warum Anfangs befallene
Personen sich allmählich an den verminderten Luftdruck gewöhnen,
liegt nahe: es tritt eine neue Uebung ein, indem der Zwang der Ver¬
hältnisse den Einzelnen lehrt, das Maass der für die Athembewegung
einzusetzenden Kraft unbewusst den neuen Verhältnissen anzupassen,
bis eine mühelos unwillkürliche Führung der Athembewegung ein¬
getreten ist. Bleibtreu (Köln).
Mabille, Note nur l’ivresse petrolique. (Revue d’Hygiene T. XVITI. Nr. 3.)
Beim Auspumpen eines mit Petroleum beladenen Tank-Schiffes in
La Rochelle zeigten sich bei zwei Arbeitern Erscheinungen, welche die
Digitized by
Google
418
grösste Aehnlichkeit mit solchen bei Betrunkenen hatten. Während
aber bei dem einen Arbeiter schon am folgenden Tage ein normaler
Zustand wieder eingetreten war, dauerte die Erkrankung des zweiten
drei Wochen lang, und auch hinterher blieb ein langdauernder Schwäche¬
zustand zurück. Die Erkrankungen waren offenbar durch Petroleum¬
dämpfe verursacht, da eines Festes wegen der Schiffsraum 2 Tage lang
nicht gelüftet worden war, und die Pumpe, an welcher die Leute
arbeiteten, sich ganz in der Nähe der Lüftungsöffhung befand.
Pröbsting.
Jürgensen (Kopenhagen), Hygiene der Bäckereien und der Bäoker. Verh.
der deutschen Gesellschaft für öffenti. Gesundheitspflege zu Berlin. Beil,
z. Hygien. Rundschau 1896. Nr. 9.
Der Vortragende, der sich auf Reisen angelegentlichst mit dem
Studium der Bäckereiverhältnisse beschäftigt hat, weist auf die
grossen Mängel hin, welche in hygienischer Beziehung dem Bäckerei¬
betriebe anhaften und hält durchgreifende Reformen auf dem Ge¬
biete der Bäckereihygiene ftlr durchaus erforderlich. Die Uebelstände
liegen zunächst in der Anlage der Bäckereien. Was zunächst die
Bäckereien als Ganzes angeht, so büssen dieselben bei der dichten
Bebauung der Städte immer mehr an Ausdehnung ein. Sie befinden
sich meistens entweder in engen, auch zu anderen Zwecken benutzten
Hofräumen oder in Kellerräumen, wo ein grosser Mangel an Luft und
Licht herrscht. Die hygienische Bäckerei dagegen hat sich einen ge¬
sunden, billigeren Platz an der Peripherie der Städte zu wählen, so
geräumig, dass freie Lage für längere Zeit gesichert ist. Neben freier
Lage mit guter Luft und viel Licht ist es nöthig, dass die Bäckerei
parterre und nicht im Keller liegt und ferner, dass sie ein abgrenz-
bares und verschliessbares Ganzes bildet, welches nur vermittelst eines
Zuganges mit der Aussenwelt in Verbindung steht und unter gewissen
Umständen (Epidemien) von der Aussenwalt abgeschlossen werden kann.
Bevor Vortragender die Anlage des Gebäudes bespricht, stellt er als
leitenden Grundsatz auf, dass die Bäckerei so schwer wie möglich
schmutzig werden kann und so leicht wie möglich rein zu machen sei.
Dies ist bei den jetzt meistens bestehenden Einrichtungen gar nicht
möglich, da bei dem continuirlichen Betrieb ftlr das Reinmachen keine
Zeit bleibt, und die Bäckereien ausserordentlich wenig darauf einge¬
richtet sind, rein gemacht zu werden.
Wie sich Vortragender das Gebäude selbst denkt, soll hier kurz
angedeutet werden. Zunächst ein Abkleidelocal ftlr die Arbeiter, daran
anschliessend ein Baderaum mit Wannen- und Brausebädern, dann ein
Ankleideraum mit Schränken ftlr die Arbeitskleider. Dann folgt die
eigentliche Bäckerei. Dieselbe zerfällt in 2 Hauptabtheilungen. Erstens
ein gemeinsames Teig- und Auswirklocal mit Teigknetmaschinen und
Digitized by
Google
419
Wasserreservoirs etc. Von der Decke gehen auf die Teigtröge Mehl¬
röhren herab von dem oberhalb gelegenen Mehlmagazin. Im Anschluss
an diesen Hauptraum befinden sich eigene Gähr- und Kühlräume. Die
andere Hauptabtheilung ist wieder in mehrere Abtheilungen getheilt,
einen eigenen Vorplatz vor den Oefen und einen hinteren Raum, wo
die Oefen liegen, und um diese herum der ganz abgeschiedene eigene
Heizraum; von da geht das ausgebackene und ausgenommene Brot in
das Brotmagazin. Nachzutragen ist noch, dass in der Vorhalle ein
eigenes Speisezimmer für die Arbeiter und ein Waschraum mit dahinter
liegendem Abtritt und Pissoir gedacht ist. Derselbe ist von der Vor¬
halle durch eine durchsichtige Wand geschieden. Central ist in den
Entwurf das Hauptcomptoir gelegt, welches durch Glas nach allen Seiten
abgeschlossen ist. Von hier aus lässt sich der ganze Betrieb über¬
blicken, dasselbe dient also gleichzeitig als Beobachtungsraum.
Was nun die innere Ausstattung angeht, so soll überall das Princip
der Glätte oder Ausglättung durchgefUhrt werden. Ueberall sollen
glatte, dichte Flächen sein, die rund in einander übergehen ohne
Bildung von Ecken und Ritzen. Der Fussbelag wird am besten aus
Terrazo hergestellt.
Vortragender empfiehlt als Heizeinrichtung die modernen Oefen
mit äusserer (indirecter) Hinterheizung. Bei diesen wird das Mauer¬
werk von einem Feuer erhitzt, das hinten an der äusseren Seite der
Oefen angezündet wird und von wo die Flamme, die erhitzte Luft und
der Rauch durch ein System von Canälen oder Zügen streicht, welche
innerhalb des Mauerwerkes dicht um den inneren Ofenraum ange¬
legt sind.
Was nun den hygienischen Betrieb anlangt, so muss bei der all¬
gemeinen Betriebsweise der Bäckereien leider gesagt werden, dass auf
hygienische Ansprüche leider bis jetzt sehr wenig Rücksicht genommen
wird. Die Arbeitsdauer steigt oft auf 14—16 Stunden pro Tag, dabei
viel Nachtarbeit und Sonntagsarbeit. Zudem sind die Arbeiter profes¬
sionellen Krankheiten ausgesetzt. Die Einathmung von Mehlstaub dis-
ponirt für Lungenleiden, die ausstrahlende Hitze für Hautleiden und
Allgemeinleiden, der häufige Temperaturwechsel für sog. Erkältungs¬
krankheiten und rheumatische Leiden, das langdauernde Stehen für
verschiedene Deformitäten, wie PlattfÜsse, Säbelbeine. Die Abhülfe
dieser Leiden wird nun theilweise mit der Verbesserung der Bäckerei¬
anlage zusammenfallen. Die Arbeitsüberbürdung lässt sich nur durch
die Einführung von zwei besonderen Arbeiterschichten, welche sich von
Woche zu Woche in der Nachtarbeit ablösen, erreichen. Die Aufsicht
Über die hygienischen Einrichtungen in den Bäckereien soll einem
Bäckereiarzt übertragen werden, der auch eine dauernde Aufsicht über
den Gesundheitszustand des Arbeitspersonals zu führen hat und dafür
sorgt, dass Arbeiter, die an Krätze, Tripper, Syphilis etc. leiden, nicht
Digitized by
Google
420
wie bisher ruhig weiter arbeiten, sondern bis zu ihrer definitiven Heilung
aus der Bäckerei femgehalten werden.
Was die ökonomische Seite angeht, so glaubt Jttrgensen, dass die
Schwierigkeiten und Kosten der Reformen nicht so bedeutend sind,
dass sie nicht doch mit der Zeit verwirklicht werden könnten.
Bleibtreu, Köln.
W. Silberschmidt, Rosshaarspinnerei und Milzbrandinfeotion. Ein Bei¬
trag zur Milzbrandätiologie. Zeitschr. für Hygiene und Infectionskrank-
heiten. Bd. 21. 1896. Drittes Heft. S. 455 ff.
Verfasser studirte die in einem kleinen Orte des Cantons Zürich
unter dem Rindvieh vorgekommenen Fälle von Milzbrand und suchte
die Infectionsquellen derselben festzustellen. Der Verdacht wurde sehr
bald auf eine in dem Ort gelegene Rosshaarspinnerei gelenkt, welche
ihr Rohmaterial meistens aus Russland und Südamerika bezieht. Es
gelang dem Verfasser, durch zwei getrennte Versuche festzustellen, dass
das zur Untersuchung in einem sterilisirten Glase aufgefangene Roh¬
material der Rosshaarspinnerei (Rosshaar und Staub des Staubganges)
vollvirulente Milzbrandbacillen enthielt. Wenn auch der stricte Beweis
für die Unschädlichkeit des amerikanischen Rohmaterials nicht erbracht
werden konnte, so spricht doch Manches dafür, dass das aus Russland
importirte Rosshaar das allein inficirte ist. Da man nun wegen der
kostspieligen Anlage nicht jeden kleinen Fabrikanten zur Anschaffung
eines Dampfsterilisationsapparates zwingen könne, so möchte Silber¬
schmidt entweder dem Vorschlag von Professor Roth, eine Desinfection
sämmtlichen importirten Rosshaares an der Schweizer Grenze vorzu¬
nehmen, sich anschliessen oder ein internationales Abkommen befür¬
worten, wonach die Sterilisation in Leipzig und Hamburg, das heisst
an den Orten, wo der Hauptmarkt für fremde Rosshaare stattfindet,
angeordnet wird. Bleib treu (Köln).
The prevalence of anthrax in London. (The Lancet No. 3700.)
Seit 1873 kamen in London 118 Fälle von Milzbrand zur Be¬
obachtung. In 90 Fällen waren Personen, die in Fell- und Häute¬
handlungen beschäftigt waren, betroffen, 5 in Schlachthäusern, 7 hatten
sich mit Pferdehaaren oder Bürstenfabrikation befasst, 1 war in einem
bakteriologischen Institut angestellt, während in 15 Fällen die Infections-
quelle nicht nachzuweisen war. Sehr bemerkenswerth ist die Abnahme
des Anthrax bei den Gerbern; während von 1873—1883 unter 87
Fällen 12 bei Gerbern vorkamen, waren von 1883 —1893 unter
53 Milzbranderkrankten nur 3 Gerber.
Fast in allen Fällen waren die infectiösen Häute trockene Häute,
nur in zwei noch überdies zweifelhaften Fällen war die Infection durch
nasse Häute hervorgerufen. Pröbsting.
Digitized by ^.ooQle
421
Freiherr von Büngern, Ueber die Hemmung der Milzbr&nd-Infeotion
durch Friedlander’sche Bakterien im Kaninchenorganismus. Zeitschr.
für Hygiene und Infectionskrankheiten, XVIH. Bd., 1. Heft, S. 177—208.
Die Untersuchungen des Verfassers, welche im Institut Pasteur in
Paris unter Leitung von Metschnikoff angestellt wurden, bestätigten die
schon früher öfters constatirte Hemmungswirkung, welche Friedländer’sehe
Bakterien auf den Ablauf der Milzbrand-Infection im Kaninchenorganismus
hervorrufen.
Wenn die Milzbrand-Infection sich unter dem Einflüsse der Fried¬
länder 1 sehen Kapselbakterien nicht verallgemeinert, so werden die
Milzbrandbacillen an der Inoculationsstelle von Phagocyten aufge¬
nommen und in denselben zerstört. •
Die hemmende Wirkung von sterilisirten Kapselbacillenculturen
auf Milzbrand ist eine geringere als die der lebenden Bakterien. Es
ist wahrscheinlich, dass die Hemmnng der Milzbrand-Infection durch
die Friedländer’sehen Bakterien auf die in denselben enthaltenen Sub¬
stanzen durch eine Einwirkung auf die Leukocyten zu Stande kommt.
Dr. Mastbaum (Köln).
Dr. Wegner, Qesundheitspolizeiliohe Maassregeln gegen Bleivergiftung.
Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1896, Heft 3.
Der Verfasser hat als Knappschaftsarzt in Clausthal reichlich Ge¬
legenheit gehabt, sich mit der Frage der Blei-Indoxicationen zu be¬
schäftigen, und gelangt auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen
und Literaturstudien zu folgenden gesundheitspolizeilich zu stellenden
Forderungen:
1. In Bleihütten muss grosses Gewicht auf das Vorhandensein von
Luft und Licht gelegt werden.
2. Ueber allen Oeflhungen der Oefen in Bleihütten müssen Blech¬
hauben angebracht werden, welche mit der Ofenesse oder dem
Luftschachte in Verbindung stehen und als Aspiratoren für die
aus den Oeflhungen der Oefen austretenden Bleidämpfe und Blei¬
staub dienen.
3. Es darf nicht nur bei dem Gebote, bei allen stark staubenden
Arbeiten Respiratoren zu tragen, bleiben, sondern es muss auch
streng darauf gesehen werden, dass es auch wirklich geschieht.
4. Ohne genügende Flugstaubkammern sollte jeder Bleihütte der
Betrieb polizeilich untersagt werden.
5. Die Ofenessen der Bleihütten sollen höher als 50 m, wobei die
maximale Zugkraft bereits erreicht ist, gemacht werden, damit
der Hüttenrauch möglichst diflundiren kann.
6. Das Errichten von Badeanstalten soll für die Verwaltungen der
Bleihütten obligatorisch gemacht werden.
7. Das Rauchen und Kauen von Tabak ist zu verbieten, weil die
Digitized by
Google
422
Arbeiter dabei verleitet werden, mit den schmutzigen Fingern
an die tippen und in den Mund zu fahren.
8. FUr die Bleischmelzhtitten muss ein ähnlicher Erlass gegeben
werden, wie der für die Bleizucker- und Bleifarbenfabriken be¬
stehende vom 12. April 1886.
9. Zu den Obliegenheiten des Kreisphysicus soll es gehören, die
Bleifabriken zu inspiciren und den Gesundheitszustand der Ar¬
beiter zu beaufsichtigen.
10. Kein Arbeiter soll in Bleifabriken angenommen werden, der
nicht ein Attest seiner körperlichen Fähigkeit vom Kreisphysicus
vorzeigt.
11* Die gesetzlich vorgeschriebene monatliche Untersuchung der Ar¬
beiter in Bleifarben und Bleizuckerfabriken ist ohne Nutzen.
12. Kinder bleikranker Eltern sollen als Arbeiter in Bleifabriken
nicht aufgenommen werden.
18. Es ist ungerechtfertigt, jugendliche Arbeiter und Frauen voll¬
ständig von der Bleiarbeit auszuschliessen.
14. In allen Fällen der Einrichtung einer bleiernen Wasserleitung
soll genau das Verhalten des Wassers zum Blei vorher geprüft
und die Resultate dem consumirenden Publicum mitgetheilt werden.
15. Die Arbeiter müssen über die Gefahren der Bleiarbeit aufgeklärt
werden durch populär geschriebene Bücher, welche ihnen beim
Eintritt in die Bleifabrik überreicht werden.
16. Der Kassenarzt soll vielleicht zweimal im Jahre den Arbeitern
eine Instructionsstunde geben und dieselben über die Gefahren
und Prophylaxe der Bleivergiftungen belehren.
Bleibtreu (Köln).
Kobert, Ueber den jetzigen Stand der Frage nach den pharmako¬
logischen Wirkungen des Kupfers. Aus dem pharmakologischen Institut
der Universität Dorpat. (Deutsche med. Wocheuschr. 1895, Nr. 1 u. 3.)
Filehne, Beiträge zur Lehre von der acuten und chronischen Kupfer¬
vergiftung. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Breslau.
(Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 19.)
Die Kenntniss von der Wirksamkeit der Kupfersalze bei ver¬
schiedenen Krankheiten reicht sehr weit zurück. Kupfersalze wurden
schon vor unserer Zeitrechnung als Aetzmittel und sogen. Adstringentien
richtig angewandt, später auch als Desinfectionsmittel. Eine ans
Märchenhafte grenzende Wirkung äussert das Kupfer auf gewisse
Pflanzen. Es vernichtet nämlich in einer Verdünnung vön
1:1000 000 000 das Wachsthum von Algen. Das Kupfer wirkt
hierbei wohl nur als Reizmittel, welches einen zum Tode der Pflanzen
ftlhrenden abnormen Stoffwechsel einleitet.
In ähnlicher Weise wirksam zeigt zieh das Kupfer gegen Pilze,
besonders Befallpilze der Nutzpflanzen, wie der Mehlthau der
Digitized by
Google
423
Weinstöcke und der Pilz der Kartoffelkrankbeit. Dabei
schädigt es nicht etwa die Nutzpflanzen, sondern ist für dieselben (be¬
sonders für Wein und Kartoffeln) geradezu ein Stärkungsmittel,
bei einzelnen sogar ein normaler Bestandteil, wie z. B. bei Getreide¬
arten etc. Auch für gewisse Thier e gehört Kupfer zu den normalen
Körperbestandtheilen, indem es hier in fester organischer farbiger
Bindung, und zwar theils als Federfarbstoff, theils als Blut¬
farbstoff auftritt. Als ersterer hauptsächlich als scharlachrotes
Turacin in den rothen Federn gewisser Vögel, als letzterer als
Hämocyanin im Blute verschiedener Vertreter der Familien der
Mollusken, Anneliden, Crustaceen und Tracheaten.
Auch bei den höher stehenden Thieren, so z. B. bei vielen Haus¬
tieren, findet man nicht regelmässig, aber doch oft Spuren von Kupfer.
Selbst in den Organen von Menschen, welche kein Kupfer arznei¬
lich eingenommen hatten, ist schon zu wiederholten Malen Kupfer
gefunden worden, wofür der Kupfeigehalt der Nahrung als Ursache
anzusprechen ist.
Nach diesen Erwägungen fordert Kobert zur Verwendung der
Kupferpräparate bei bestimmten Krankheiten auf, und zwar speciell
zur Verwendung des Kupferhämol’s, einer Verbindung von Kupfer
und Hämoglobin (Blutfarbstoff), welche vom Darmkanal, ohne irgend
welche Verdauungsstörungen hervorzurufen, resorbirt wird.
Die Mitteilung Filehne’s bezieht sich auf Experimente, welche
angestellt wurden, um die Wirkung des durch den Verdauungskanal
dem Körper einverleibten Kupfers festzustellen, resp. klarzulegen, ob
in der mit Speisen und Genussmitteln in den Organismus eingeführten
Kupfermenge eine Gefahr für den Menschen drohe. Die Versuche
wurden angestellt mit weinsaurem Kupferkalium und Kupfer¬
natrium.
Das Kaliumdoppelsalz wird entstehen, wo Traubensaft, Most oder
ausgegohrener Wein mit Kupfer (Messing) oder Kupfersalzen in Be¬
rührung kommen. Es kann entstehen, wo „gekupferte“ Trauben (wie
oben erwähnt) zur Mostgewinnung verarbeitet werden. Filehne
stellte also mit diesem Doppelsalz und, da Air das Natriumdoppelsalz
hierüber auch noch keine näheren Versuche vorliegen, auch mit diesem
eine Reihe von Versuchen an, deren Einzelheiten ich hier übergehen
muss. Die Resultate dieser Versuche waren folgende:
Auch in noch nicht Erbrechen erregender Gabe (bei Geschöpfen,
die des Erbrechens fähig sind) lange Zeit durch den Mund eingeführt,
ist das Kupferkaliumtartrat von gesundheitsgefährlicher Wirkung.
Zum Genuss für Menschen bestimmte Lösungen von weinsauren
Salzen, z. B. Kalium tartrat, in specie Weine, müssen vor nachträglicher
Berührung mit Kupfer (Messing) und Kupfersalzen bewahrt werden.
Enthält ein Wein infolge solcher Berührung in Betracht kommende
CeatraTblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 30
Digitized by
Google
424
Mengen nicht maskirten Kupfers, so ist er zu beanstanden.
(Das maskirte Kupfer ist unbedenklich.) Es gehen aber ans
F i 1 e h n e ’ s Beobachtungen keine Bedenken hervor gegen die Kupfer¬
behandlung des Weines. Vorausgesetzt wird nur, dass die Trauben
(Beeren) vor der Kelterung von mechanisch anhaftendem Kupfersalz-
ttberzuge gereinigt seien. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Lembke, Beitrag zur Bakterienflora des Darms. (Archiv für Hygiene
Bd. XXVI, 4. Heft, S. 293—329.)
Bei genauer Untersuchung von 81 Faeces gelang es dem Verfasser,
33 verschiedene Arten von Bakterien aufzufinden. Hiervon fanden sich:
11 Arten bei gemischter Kost, 28 bei Brotkost, 14 bei Fleischkost,
7 bei Fettkost. Nur eine einzige Art wurde bei jeder Kostform an¬
getroffen. Es ist dies das Bacterium coli. Die geringe Zahl von
constant in den Faeces gefundenen Bakterienarten lehrt, dass es nur
wenig obligate Darmbakterien geben kann. Die Reihe der facultativen
Darmbakterien ist sehr gross. Es findet eine stetige Aenderung der
Bakterienflora des Darmes statt, welche durch Aenderung der Nahrung
hervorgerufen wird. Brotkost und Fleischkost haben die von einander
abweichendste Bakterienflora. Dr. Mastbaum (Köln).
Ueber Desinfection des Darmkanals. Untersuchungen von Dr. Paolo
Casoiani. Annali dTgiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli. Vol. VT,
fase. I. 1896.
Die Flora des Darmes ist reich an Zahl; ihre Verschiedenheit der
Species ist klein. Escherich stellte die constante Gegenwart des Bact.
lactis aerogenes im oberen Darmtractus und des Bact. coli im unteren
Theile desselben fest. Gessner (Arch. f. Hyg. vol. IX) fand im Dünn¬
darm 7 Arten; Macfadyen, Nencki und Sieber (Baumgarten 1891, 552)
fanden 8 Arten bei Fleischnahrung und 7 bei einer Ernährung mit
Erbsenpuree. Vignal beschreibt 10 Species von Mikroorganismen in
den Faeces, von denen er 8 auch in der Mundhöhle vorfand. Zumpf
(Arch. des Sciences biol. vol. I, 1892, p. 499) fand ausser dem Bact.
coli commune Mischungen von Kokken und isolirte einen noch unbe¬
kannten Bacillus. Jakowski beschrieb ausser den bisher bekannten
zwei neue, noch nicht dargestellte Arten: einen Diplococcus albus in-
testinorum und einen Staphylococcus rosaceus. Brotzu fand bei Hunden
ausser dem Bact. coli und einem dem Bact. typhi ähnlichen nur den
Staphylococcus liqu. ilei und das Bact. liqu. ilei. Fermi ist der An¬
sicht, dass die ständige Flora des menschlichen Darmes fast ausschliess¬
lich von Arten des Coli commune und dessen Varietäten dargestellt
werde. Andere Arten, die man häufig im Darm trifft, gehören nach
ihm der fluctuirenden Flora an.
In mehr als 300 angelegten Culturen erhielt nun Casciani bei
gesunden Individuen, die eine unter physiologischen Verhältnissen be-
Digitized by
Google
425
Endliche Darmschleimhaut besassen, von letzterer fast immer nur
Culturen des Coli commune und eines dem Bact. typhi ähnlichen
Bacillus.
Aus seinen angestellten Untersuchungen zieht Casciani folgende
Schlüsse:
1. Bei gesunden Personen und derselben Lebensweise ergiebt der
Bakteriengehalt des Darmes bei demselben Individuum in den
Proben bedeutende Schwankungen. Diese Schwankungen sind
noch stärker zwischen verschiedenen Personen (von 7600 auf
32 400).
2. Das Mittel des Bakteriengehaltes bei Gesunden schwankt zwischen
12 200 und 23 400; in jedem Milligramm Kothes finden sich durch¬
schnittlich 16000 Mikroorganismen.
3. Die Nahrung beeinflusst die Zahl der Darmbakterien. Die Zahl
der Mikroorganismen der Faeces ist die geringste bei Milchdiät,
die grösste bei der Maisnahrung.
4. Die Zahl der Mikroorganismen der Fäkalien schwankt nach dem
Zustande der Gesundheit und der Krankheit, auch in den ver¬
schiedenen Krankheiten. Am geringsten ist sie bei Verstopfung,
am höchsten bei Diarrhöe. Die halbflüssigen Stuhle haben mehr
Mikroorganismen, als die weichen oder festen.
5. Salol, Benzonaphthol, Naphthol, Resorcin und Kohle sind nicht
im Stande, eine Asepsis des Darmkanals herbeizuführen, doch
vermindert sich unter der Einwirkung von Kohle, Salol und
Naphthol der Mikrobengehalt des Darmkanals in merklicher
Weise.
6. Der Gebrauch eines abführenden Mineralwassers (Wasser von
Montecatini) reducirt den Bakteriengehalt des Darmes und schwächt
die Schädlichkeit der Zersetzungsprodukte von Harn und Fäkalien
für den menschlichen Körper erheblich ab.
Der Organismus, sagt der Verfasser zum Schlüsse, ist so sehr
bedroht von den Giftproducten des Darmes, dass der natürliche Tod
eintritt in Folge einer Reihe kleiner Fehler, die mit den Jahren sich
summiren, und die in Processen der Putrefaction oder in Alterationen
des thierischen Chemismus bestehen. Es genügt, diese Idee aus¬
zusprechen, um den vollen Werth der Hygiene der Ernährung zu ver¬
stehen, und danach zu streben, die schädlichen Ursachen fern zu halten
oder die giftigen Zersetzungsprodukte weniger schädlich für den Orga¬
nismus werden zu lassen. Unser Leben wird um so weniger bedroht
sein, je mehr wir es verstehen lernen, die Schädlichkeiten fern zu
halten, welche ständig und unbemerkt dasselbe bedrohen.
San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
30*
Digitized by
Google
426
O. Leichtenstern, Behandlung der DarmsohmarotBer. Handbuch der
speciellen Therapie innerer Krankheiten von Penzoldt und Stintzing. Verl,
von G. Fischer, Jena. IV. Bd. S. 618 f.
In dem Penzöldt-Stintzing*sehen Handbuch für specielle Therapie
innerer Krankheiten ist jüngst die „Behandlung der Dannschmarotzer"
aus der Feder von Professor Leichtenstern erschienen. Dieser Aufsatz
enthält viel Neues und von der gewöhnlichen Darstellungsweise Ab¬
weichendes. Abgesehen von den ausschliesslich Aerzte interessirenden,
rein therapeutischen Angaben, auf welche in diesem Referate nicht
näher eingegangen werden soll, bietet die Darstellung manches in
hygienischer und prophylaktischer Hinsicht Wissens¬
werth e, wodurch eine Besprechung an dieser Stelle berechtigt er¬
scheinen muss. Die Wahl der Herausgeber des Handbuches, die
Bearbeitung dieses Kapitels Professor Leichtenstern zu übertragen,
muss mit Rücksicht auf die ausgedehnten Erfahrungen und bahn¬
brechenden Arbeiten dieses Forschers auf dem Gebiete der Helmin¬
thologie als eine Überaus glückliche betrachtet werden. In dem ersten
Kapitel Über parasitäre Protozoen weist Leichtenstern, gestutzt auf
Untersuchungen von Quincke und Roos, darauf hin, dass die In¬
fusorien und Flagellaten, die für gewöhnlich harmlose Darm¬
parasiten sind, besonders bei krankhaften Zuständen des Darmes sehr
günstige Entwicklungsbedingungen finden und unter Umständen eine
hartnäckige Enteritis (Infusoriendiarrhöe) veranlassen können. Den
Beweis für die Pathogenität dieser Organismen hält er jedoch nicht
für erbracht. Besser begründet dagegen erscheint ihm die Annahme
der Pathogenität gewisser Amöbenarten bei ulcerösen Enteritiden
(Amöbendiarrhöe, Colitis, endemischer, insbesondere tropischer Ruhr).
In dem folgenden Abschnitt über die Bandwürmer hebt der
Verfasser hervor, dass neben dem Abgang der charakteristischen Band¬
wurmglieder der mikroskopische Nachweis der Eier in den Faeces die
Diagnose stellen lasse. Dieser mikroskopische Nachweis gelingt bei
Taenia saginata und Bothriocephalus latus immer, meist schon im ersten
Ausstrichpräparat; bei Taenia solium können die Eier dagegen einmal
fehlen. Es hängt dies mit der Art der Abstossung der Glieder zu¬
sammen, die bei den ersteren einzeln und continuirlich erfolgt, dagegen
bei der letzteren in grösseren Gliederketten und Zeitintervallen. Die
Differentialdiagnose zwischen Taenia solium und Taenia saginata aus
der Form der Eier lässt sich nur auf mikrometrischem Wege stellen
und kommt praktisch nicht in Betracht; dagegen gelingt die Diagnose
von Bothriocephalus aus der charakteristischen Gestalt der Eier auf den
ersten Blick. Die praktisch oft wichtige Feststellung, ob Taenia solium
oder saginata vorliegt, ist also nur und zwar sehr leicht aus den ab¬
gegangenen Gliedern zu ermöglichen.
Nach einem kurzen Hinweis auf die verschiedenen und mannig-
Digitized by
Google
427
fachen Krankheitserscheinungen, die durch Bandwürmer unter Umständen
hervorgerufen werden können, geht Leichtenstern etwas näher auf die
zuerst von Reyher nachgewiesenen, allerdings nur selten vorkommenden,
durch Bothriocephalus latus veranlassten schweren progressiven, eventuell
letalen Anämien ein, die nach Abtreibung des Wurmes zu überraschend
schneller Abheilung gelangen. Unter den verschiedenen Hypothesen
hat auch für Leichtenstern die von Reyher und besonders von Schapiro
ausgesprochene Annahme, dass der Grubenkopf ein Gift producirt,
welches vom Darm aus resorbirt, einen deletären Einfluss auf die Zu¬
sammensetzung des Blutes, insbesondere auf die Erythrocyten, vielleicht
auch auf die blutbereitenden Organe ausübt, die meiste Wahrscheinlich¬
keit für sich. Die Hypothese, dass nur kranke Bothriocephalen das
Gift bereiten, hält Leichtenstern ebensowenig wie die Annahme einer
individuellen Disposition des erkrankten Individuums für haltbar und
glaubt, dass sich die Thatsacbe, dass der Bothriocephalus latus nur in
seltenen Fällen diese schweren Anämien hervorruft, während oft die
Träger ausserordentlich zahlreicher Bothriocephalen ihr normales Befinden
nnd Aussehen beibehalten, nur durch die Annahme erklären lasse, dass
es unter .den Bothriocephalen einzelne giebt, welche giftig sind, d. h.
ein Gift bereiten, das, in den Körper des Wirthes aufgenommen, eine
schwere Anämie hervorruft, und führt als Analogon die Vergiftungen
durch Miesmuscheln an. Dieselben sind auch zu gewissen Zeiten an
gewissen Orten giftig aus bisher vollständig unaufgeklärten Gründen.
Welchen Werth die mikroskopische Faecesuntersuchung ira Allge¬
meinen hat, davon hat sich Leichtenstern oft überzeugen können, indem
durch dieselbe oft schwere Anämien als durch Helminthen bedingt er¬
kannt werden, die mit Abtreibung der Würmer schnell zur Heilung
gelangten.
Prophylaktisch schützt man sich vor Bandwurm: durch Vermeidung
des Genusses von rohem Schweinefleisch und Schweinespeck, um der
Taenia solium, des Genusses von rohem oder halbgekochtem Rindfleisch,
um der Saginata, des Genusses von rohen oder zu schwach geräucherten
Fischen (Lachs, Hecht, Quappe), um dem Bothriocephalus zu entgehen.
Interessant ist der Hinweis, dass seit der staatlichen Beaufsichtigung
der Schweineschlächtereien und der gesetzlichen Fleischschau die Häufig¬
keit der Taenia solium in ganz Deutschland bedeutend abgenommen
hat. Aehnlich günstig lauten die Berichte aus einigen andern Ländern.
Die Taenia saginata dagegen ist der „mikroskopischen Fleischschau“
sehr schwer zugänglich und ist deshalb die sanitätspolizeiliche Controle
nicht so leicht zu ermöglichen.
Was die eigentliche Bandwurmkur angeht, so steht Leichtenstern
auf dem Standpunkt, dass alle zu strengen und eingreifenden Vorkuren
zu verwerfen sind; dagegen unterliegt es für ihn keinem Zweifel, dass
wir durch eine der Abtreibung vorhergehende kräftige Darmreinigung
die Aussicht auf den Erfolg erheblich erhöhen.
Digitized by
Google
428
Nach einer sehr eingehenden und für den Arzt überaus lesens-
werthen Besprechung der wesentlichsten vermifugen Mittel und Methoden
und der vorzunehmenden Nachkuren, folgt noch ein kurzer Anhang
über die Taenia nana. Die Diagnose von Taenia nana, deren
Vorkommen in Deutschland zuerst von Leichtenstem und Mertens nach¬
gewiesen wurde, wird ebenfalls aus dem mikroskopischen Nachweis der
höchst charakteristischen Eier gestellt.
Endschieden als irrig bezeichnet Leichtenstem die allgemein ver¬
breitete Meinung, dass ein zurückgebliebener, vereinzelter Bandwurm¬
kopf schwerer abzutreiben sei, als ein Kopf mit langer Proglottiden-
kette, der Angriffspunkt für eine Bandwurmkur ist vielmehr ausschliess¬
lich der Kopf.
In dem Kapitel über Ascaris lumbricoides, dessen Diagnose
jeder Zeit leicht aus dem mikroskopischen Nachweis der Eier in den
Faeces gestellt werden kann, stellt Leichtenstem gegenüber den oft ins
Blaue hinein eingeleiteten Wurmkuren die Forderung auf, dass keine
Wurmkur gemacht werden solle, wenn nicht vorher durch die mikro¬
skopische Untersuchung auf Eier das Vorhandensein von Würmern
sichergestellt sei.
Obwohl die Ascariden im Grossen und Ganzen gutartige und harm¬
lose Parasiten sind, so sind doch auch Fälle von progressiver Anämie
bei Kindern auf Ascariden zurückzufUhren, ebenso war ein schwerer
von Leichtenstem beobachteter Fall von Enteritis durch Ascariden ver¬
anlasst.
Die Wege der Invasion sind jedenfalls mannigfache und kann
durch beschmutzte Hände, den Genuss von ungekochten vegetabilischen
Nahrungsmitteln und durch unreines Trinkwasser die Uebertragung
vermittelt werden. Jedenfalls ist der schützende Einfluss der Reinlich-
keit wohl zu beherzigen. Am Schlüsse des Abschnittes über Ascariden
wird besonders darauf hingewiesen, dass es Grassi, Lutz und Epstein
gelungen ist, durch Uebertragungsversuche reifer Ascarideneier den
Beweis zu liefern, dass die Uebertragung eine directe ist und ohne
Zwischenwirth erfolgt.
Im Gegensatz zu allen anderen Darmentozoen stehen die Maden
oder Springwürmer, indem die Diagnose der Oxyuriasis ausschliesslich
, aus dem Abgang von Würmern gestellt wird, während die Untersuchung
der Faeces auf Eier, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, vollständig
im Stich lässt. Leichtenstem bezeichnet in Uebereinstimmung mit
Heisig, Wunderlich, Szydlowsky und Grassi die off; in den Lehrbüchern
angeführte Ansicht, dass es eine spielende Sache sei, Eier von Oxyuren
in den Faeces nachzuweisen, als durchaus irrig. „Die Oxyurisweibchen
legen, solange sie im Darmcanal weilen und leben, dortselbst keine
Eier; die Entleerung des eierstrotzenden Inhalts der Fruchthälter findet
erst statt, nachdem die Thiere ihren Wohnort, den Darm, verlassen
Digitized by
Google
429
haben. Die Aaswanderung ist ein Act der Fortpflanzung. Findet man
ausnahmsweise einmal Oxyureneier in den Faeces, so enthalten diese
Faeces stets gleichzeitig auch abgestorbene Weibchen in mehr oder
minder grosser Zahl. a
Nach Zenkers Untersuchungen erfolgt die Ansteckung durch die
directe Aufnahme der Eier per os. Die aus dem Mastdarm auswandemden
Weibchen erregen Juckreiz, auf welchen die Kinder mit Kratzen
reagiren. Dadurch werden die eierstrotzenden Fruchthalter zerdrückt
und die Finger mit Eiern beladen. Bei der Unreinlichkeit der Kinder
und der Neigung derselben, die Finger in den Mund zu führen, ist
also die Möglichkeit der Infection leicht gegeben. Entschieden falsch
ist die immer noch unter Aerzten verbreitete Meinung, dass in dem
Darm hausende Oxyuren, Männchen und Weibchen, dortselbst fort¬
dauernd neue Nachkommen erzeugten. Die Eierlegung ausserhalb des
Darmes, mit dem Tode des Weibchens verbunden, ist als ein gesetz-
mässiger Lebensvorgang anzusehen. Sobald die Weibchen im Dünn¬
darm begattet sind, fangen sie zu wandern an, und es sind besonders
zwei Sammelpunkte, das Coecum und der Mastdarm, wo sie bis zur voll¬
ständigen Eientwicklung Halt machen. Sie werden um so länger im
Mastdarm verweilen, in je unentwickelterem Zustande sie dortselbst an¬
gekommen sind.
Die Abtreibung der Oxyuren ist keine so leichte Sache, jedoch
ist man denselben gegenüber keineswegs machtlos. Leichtenstern hält
die Klystirbehandlung namentlich mit wurmtödtenden Mitteln auch
prophylaktisch aus dem Grunde für ausserordentlich wichtig, weil wir
auf diese Weise der spontanen unmerklichen Auswanderung der Thiere
aus dem Mastdarme Vorbeugen, auf welcher die fortlaufende Neuinfec-
tion des Wirthes und seiner Umgebung hauptsächlich beruht.
Ausserdem empfiehlt er durch grösste Reinlichkeit, tägliches mehr¬
maliges Waschen der Hände, Reinigung der Nägel, Waschung der
Aftergegend nach jeder DefÜcation die Neuinfection zu beschränken.
Die Abtreibung der Jugendformen von Oxyuris aus dem Dünndarm ist
weitaus schwieriger als die Auswaschung der auf der Auswanderung
begriffenen Würmer aus dem Enddarm mittels Klystiren. Jedoch ge¬
lingt es bisweilen, grosse Mengen dieser Jugendformen durch geeignete
Mittel abzutreiben.
Der Nachweis des häufigsten aller Darmentozoen bei Erwachsenen,
des Trichocephalusdispar ist aus dem mikroskopischen Nachweb
der charakteristischen Eier leicht zu stellen. Nach Leichtenstern sind
die Trichocephalen unter allen Darmparasiten am schwierigsten abzu¬
treiben, und räth er, besonders da dieselben meistens als vollkommen
harmlose Schmarotzer aufzufassen sind, auf jegliche Abtreibungsversuche
zu verzichten. Allerdings sind auch besonders von Moosbrugger Fälle
von schwerer Enteritis und Kachexie beschrieben worden, welche
Digitized by
Google
430
durch die Gegenwart vieler Hunderte von Peitschenwtirmem veranlasst
waren.
In dem Abschnitt Uber Ankylostoma duodenale wird zu-
nftchst die oft angeführte Behauptung, dass die Diagnose „aus dem
Abgang von Würmern“ gestellt wird, widerlegt. Dieser Abgang von
Würmern findet, ganz enorm seltene Fälle abgesehen, nur auf Dar¬
reichung eines Vermifugums statt; auf den spontanen Abgang könnte
man aber jahrelang warten. Zum Glück wird aber die Diagnose durch
die höchst charakteristische Gestalt der Eier, die mit den Eiern von
Ascariden, wie in einem weitverbreiteten Lehrbuch behauptet wird,
auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit haben, überaus leicht gestellt.
„Ein Blick in das Mikroskop, und die Diagnose ist fertig.“
Während die Ankylostomiasis in heissen Ländern weit verbreitet
ist, sind es bei uns hauptsächlich die Ziegelarbeiter, Bergleute und
Tunnelarbeiter, die befallen werden und sollten besonders anämische
Patienten aus diesen Berufen als der Ankylostomiasis verdächtig unter¬
sucht werden.
Durch Leichtenstern’s an Menschen angestellte Fütterungsversuche
ist es zur Evidenz nachgewiesen, dass die in den Faeces enthaltenen
Eier sich ausserhalb des menschlichen Körpers unter geeigneten Be¬
dingungen zu rhabditisförmigen Larven entwickeln, die heranwachsen und
schliesslich sich encystiren. Gelangen diese Larven in diesem Stadium
lebend in den menschlichen Darm, so entwickeln sie sich im Jejunum
und obersten Heum zu fertigen, geschlechtsreifen Ankylostomen. „Die
Uebertragung findet statt, indem die Larven, welche sich aus den im
Freien abgesetzten Faeces entwickelt haben, von der Defäcationsstätte
aus zunächst in SchmutzWässer, Tümpel, Wassergräben, Wasserläufe,
Lehmwässer, feuchten Lehm, auf Graswuchs etc. gelangen. Von hier
aus finden die Larven am häufigsten durch beschmutzte Hände oder
direct durch umherspritzende Schmutzwässer . . . ihren Weg in den
Mund und darauf in den Darm.“ Die von Schopf behauptete Ueber¬
tragung durch die Luft durch eingetrocknete und mit dem Staube auf¬
gewirbelte Larven wird von Leichtenstern in Abrede gestellt, da die
eingetrockneten Larven sehr schnell zu Grunde gehen. Aus der Er¬
kenntnis der Lebens- und Entwicklungsgeschichte der Ankylostomen
ergeben sich die Verhütungsmaassregeln von selbst. Als die wichtigsten
werden angeführt, die persönliche Reinlichkeit der Arbeiter, das Ver¬
bot, mit schmutzigen Händen, besonders auf dem Arbeitsfelde, zu essen,
Anlage von Abortanlagen auf den Arbeitsstätten, deren ausschliessliche
Benutzung den Arbeitern zur strengsten Pflicht gemacht wird, um zu
verhindern, dass Ankylostomalarven sich auf dem Arbeitsfelde einnisten,
Beschaffung reinen und in reichlicher Menge vorhandenen Trinkwassers,
Desinfection des Grubeninhaltes am besten mit Kalkmilch. Für den
sichersten Weg, ein Arbeitsfeld vor der Invasion zu schützen, hält
Digitized by
Google
431
Leichtenstera die Maassregel, nur allein ankylostomafreie Arbeiter an-
-zustellen und glaubt, dass bei einigermaassen gutem Willen von Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer sich diese Controle wohl durchführen Hesse.
Allerdings ist bei dem heutigen Betriebe des Ziegeleihandwerks wenig
Aussicht auf Realisirung dieses Vorschlags vorhanden. Jedenfalls hält
er es auch in prophylaktischer Hinsicht für sehr wichtig, dass wir jeden
Ankylostomakranken als solchen erkennen und die Würmer abtreiben.
Bleibtreu (Köln).
Kaensche, Zur Kenntniss der Krankheitserreger bei Fleischvergiftungen.
Zeitschrift für Hygiene. Leipzig 1896. Heft 1.
Dieser Aufsatz enthält die Beschreibung einer neuen Bacillenart,
welche aus dem Fleische einer nothgeschlachteten Kuh in Reincultur
gezüchtet worden war. Nach dem Genuss dieses Fleisches waren
80 Personen nach einer Incubation von 3—10 Stunden an acutem
Magendarmkatarrh zum Theil mit Fieber und Herpes mehr oder
minder heftig erkrankt. Ein Todesfall kam nicht vor. Kaensche
sieht auf Grund seiner Impf- und VerfÜtterungsversuche an Thieren
in dem von ihm isolirten Bacillus den Erreger der erwähnten Krank¬
heitserscheinungen. Bleib treu (Köln).
Rumpel, Ueber die Verwendung tuberkulösen Fleisches zu Qenuss-
zwecken. (Archiv für Hygiene Bd. XXII, 4. Heft, S. 386—398.)
Das Fleisch und die Organe perlsüchtiger Thiere zeigen nach
einer grösseren Anzahl von Analysen keinen wesentlichen Unterschied
in ihrer chemischen Zusammensetzung von dem Fleische gesunder
Thiere. Auch die Ausnützung dieses Fleisches durch einen Hund war
nicht verschieden. Der Nährwerth des Fleisches tuberkulöser Thiere
ist demnach nicht schlechter als Fleisch von gesunden Thieren. Wenn
also das Fleisch durch Abkochen unschädlich gemacht ist, könnte es
für den menschlichen Consum als geeignet erklärt werden.
Dr. Mastbaum (Köln).
Das Brot der italienischen Landleute. Chemische Untersuchungen von
Dr. Romeo CastellanL Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo
Celli Vol. VI, fase. L 1896.
Der Weizen wird in Italien allgemein zur Brotbereitung da ver¬
wandt, wo das Klima seine Cultur gestattet, und wo die ländlichen
Verhältnisse keine zu schlechten sind.
Der türkische Weizen — der Mais — wird zur Bereitung der
berühmten Polenta und mit Weizen vermischt zur Brotgewinnung be¬
nutzt. Man verwendet ihn im grössten Theile Italiens mit Ausnahme
einiger Gebirgsgegenden von Turin und Cuneo, wo ausschliesslich
Roggen im Gebrauch, ferner in den Landschaften von Caltanissetta,
Girgenti, Syracus, Trapani und durch ganz Cagliari, wo man reines
Digitized by
Google
432
Weizenbrot geniesst. — Die Polenta ist in Norditalien, speciell in
Venetien, Aemilien, der Lombardei und Piemont, die einzig gebräuch¬
liche Zubereitungsform für den Mais; in Mittelitalien ist die Polenta
nur mässig im Gebrauch, in Süditalien selten anzutreffen.
Das Weizenbrot wird von den Landleuten schlecht bearbeitet, ist
zu feucht und hält sich schlecht.
Koggen allein oder gemischt mit Weizen kommt in vielen Ge¬
meinden Piemont’ s, in der Lombardei und in Aemilien zur Verwendung,
in beschränktem Maasse in Toscana und in den Abbruzzen, sowie auf
einigen Inseln.
Gerste wird allein oder mit anderen Cerealien ebenso wie Hafer
zur Brotbereitung verwandt. Während indess der Hafer nur auf die
Umgegend von Vercelli und auf einen Theil Calabriens und Campaniens
beschränkt bleibt, wird die Gerste fast in ganz Italien dem Brote zu¬
gesetzt.
Die Hirse wurde früher, vor der Einführung des Mais, viel zur
Brotbereitung verwandt, heutigen Tages aber wird sie nur in einem
Theile Italiens und auch nur zur Zeit der Theuerung benutzt.
Die Melica (eine Gebirgsgräserart) wird rein nur wenig, meist
gemischt in Norditalien verwandt.
Reis und die verschiedensten Leguminosen, wie Erbsen, Bohnen,
Linsen, Lupinen und Wicken, werden mit Weizen gemischt vielfach
zur Brotbereitung benutzt.
Ferner werden die Kastanien in ganz Italien ausser bei der Be¬
reitung der Polenta oder zu Kuchen auch zum Brotbereiten (dem so
beliebten Castagnaccio) verwandt. Auch mit Gerste, Bohnen, Lupinen
und Eicheln werden die Kastanien zusammen zu Brot verbacken.
Die Kartoffeln werden ebenfalls mit Cerealien zusammen in ein¬
zelnen Gegenden Italiens zu Brot verarbeitet, doch meist nur zur Zeit
der Noth.
Ebenso findet sich der Genuss von Eichelbrot nur bei den ärmsten
Familien der Provinz Cagliari und des Südens zur Winterzeit.
Die ländliche Bevölkerung Italiens, sagt Castellani, welche keine
abwechselnde und kräftigende Ernährungsweise führt, müsste ein nahr¬
haftes, leicht verdauliches Brot besitzen; sie geniesst aber thatsächlich
allgemein ein Brot, welches wenig nahrhaft und in einer Weise zu¬
bereitet ist, dass es die vielen ausnutzbaren Stoffe, die es enthält, ent¬
weder schwer oder gar nicht verdauen lässt.
San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
£. Vallin, Le pain eomplet. (Revue d’Hygiöne T. XVHI. No. 1.)
Wie in manchen anderen Ländern, so macht sich auch in Frank¬
reich eine lebhafte Bewegung geltend, die eine Aenderung in der Brot¬
bereitung herbeiftlhren will.
Digitized by
Google
483
Hauptsächlich handelt es sich darum, Theile von den Abfällen,
Kleien u. s. w., dem Mehl wieder zuzuführen. Diese Theile sind für
die Ernährung nicht unwichtig, da sie viel stickstoffhaltigen Kleber und
phosphorsaure Salze enthalten. So enthält ein Kilogramm Getreide
10 g Salze, während gebeuteltes Mehl von guter Qualität nur 6 g be¬
sitzt. Die Salze, in erster Linie phosphorsaure Salze, sind aber für
den Organismus ausserordentlich werthvoll, da sich aus ihnen zum
grossen Theil die Knochen zusammensetzen, und ein Mangel an solchen
Salzen in der Nahrung zu Störungen in der Knochenbildung führt.
Pröbsting.
Sagen Welte, Studien über Mehl und Brot. VIH. Ueber das Ver¬
schimmeln des Brotes. Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, Heft 1.
Die Resultate seiner Untersuchungen fast Welte in folgenden
Sätzen zusammen:
1. Das Verschimmeln des Brotes ist immer auf eine Infection von
Aussen zurückzuführen, die im Mehl und Sauerteig vorhandenen
Schimmelpilze gehen beim Backen zu Grunde.
2. Penicillium glaucum, Aspergillus nidulaus greifen das Eiweiss
molekül des Brotes an und verwandeln es in im Wasser leicht
lösliche N-Verbindungen, ohne jedoch den N des Brotes quanti¬
tativ zu verändern. Die Kohlehydrate erleiden durch das Ver¬
schimmeln eine erhebliche Einbusse und werden grossentheils
in C0 9 übergeführt, woraus ein bedeutender Verlust des Brotes
an Trockensubstanz und Nährwerth resultirt
3. Die untersuchten drei Schimmelarten verursachten weder durch
ihre Stoffwechselproducte noch durch ihre Sporen vom Ver¬
dauungskanal aus toxische Wirkung, machen aber wegen der
widerlichen Geruchs - und Geschmacksveränderung die Brote
unappetitlich und schwer geniessbar.
Bleibtreu (Köln).
33. Jungmann, Studien über Mehl und Brot. IX. Einfluss der m ensch¬
lichen Verdauungssäfte auf altbackenes und frisches Brot.
Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, Heft 2.
Jungmann untersuchte im Würzburger hygienischen Institut das
Verhalten des frischen und altbackenen Brotes zu den Verdauungs¬
säften, um festzustellen, ob die Schwerverdaulichkeit des frischen Brotes
für einige Personen veranlasst sei durch Alteration der Menge und
Beschaffenheit der Verdauungssecrete. Es ist ihm nun nicht gelungen,
in dem Verhalten von altem und frischem Brot zu den Verdauungs¬
säften Speichel, Salzsäure und Pepsin einen auffallenden Unterschied
zu finden. Er glaubt daher die Beschwerden, die manche nach Genuss
frischen Brotes empfinden, seien rein in mechanischen Momenten be¬
gründet. Frisches Brot kann, nach seiner Ansicht, rascher geschluckt
Digitized by
Google
434
werden, d. h. nach kurzem Kauen, es bildet dann feste Klumpen, die,
wenn sie auch ziemlich schnell Salzsäure annehmen und vielleicht in
der gleichen Zeit ähnlich viel Pepton bilden wie altbackenes Brot, den¬
noch his zur Lösung mechanisch die Magenwände reizen, gerade wie
halbgahre Kartoffeln etc. Bleibtreu (Köln).
M. Grober, Die Methode des Nachweises von Mutterkorn in Mehl und
Brot. Archiv für Hygiene, Bd. XXIV, Heft 8—4.
Während man bisher zum Nachweise des Mutterkorns im Mehl
sich hauptsächlich chemischer Untersuchungsmethoden (Wittstein’sehe
und Vogel & Hoffmann’sche Methode) bediente, empfiehlt Gruber den
Nachweis auf mikroskopischem Wege, der ausserdem den Vortheil
hat, nicht nur ftlr Mehl, sondern auch für Brot anwendbar zu sein.
Gruber verfährt zum mikroskopischen Nachweis so, dass er einige
Brotkrümelchen in einigen Tropfen Wasser auf dem Objectträger ver¬
theilt, ein Deckglas auflegt und über der Flamme bis zum Aufkochen
erhitzt. Alsbald ist die Stärke genügend verquollen, um eine unge¬
störte Betrachtung der Formelemente zu gestatten. Die Trümmer des
Mutterkorns sind so charakteristisch gebaut, dass sie mit keinem an¬
deren Gebilde, das sich im Roggenmehle findet, verwechselt werden
können. Gruber hat in einer grösseren Anzahl von Mischungen mit
bekanntem Gehalt an Mutterkorn mit Hülfe eines kleinen Löffelchens
annähernd gleiche Mengen des Gemisches zur Herstellung der Präparate
entnommen und bei einem Gehalte von 5, 4, 8 °/o in jedem Gesichts¬
felde zahlreiche Trümmer, bei einem Gehalte von 2 °/o in jedem Prä¬
parat 20—80 Mutterkornpartikelchen, bei 1 °/o 10—15, bei 0,5 °/o
5—6, bei 0,2 °/o 3—4, bei 0,1 °/o 1—2 und erst bei 0,05 nicht mehr
in jedem Präparat, sondern durchschnittlich erst in jedem zweiten
Präparate sicher Bruchstücke des Mutterkorns gefunden.
Bleib treu (Köln).
J. Schöfer, Ueber Sandplattenfilter. Monatsschrift für Gesundheitspflege.
Wien 1896. Nr. 3.
Die Thatsache, dass bei der Sandfiltration nur die oberste Schicht
des Feinsandes sammt den in eine Tiefe von 2—3 cm vordringenden
Schmutzstoffen das filtrirende Element bilden und die tieferen
Schichten nur als Stütze für die oberste dienen, brachte den Director
der Gas- und Wasserwerke in Worms, F. Fischer, auf die Idee, die
filtrirende Feinsandschicht zu verringern und in eine starre Form zu
bringen. Es gelang ihm dies durch Zusammenschmelzen des Fein¬
sandes mit einem leicht schmelzbaren Silikate, und er erzeugte auf diese
Weise quadratische Platten aus künstlichem Sandstein von 100 /ioo cm
Umfang und 10 cm Dicke. Je zwei derselben verband er am Rande
mittelst Verschraubungen und einer zwischengelagerten, 8 cm breiten
Digitized by v^ooQle
435
und 2 cm dicken Cementschicht, so dass zwischen ihnen ein Hohlranm
entstand, der seinerseits durch ein an einer Schmalseite eingedichtetes
kurzes Metallrohr nach aussen mttndete. Seit etwa einem Jahre ist
es gelungen, die Filterelemente aus einem einzigen Stücke herzustellen
und zu brennen; die bisherigen lästigen Verschraubungen und Ver¬
kittungen sind damit in Wegfall gekommen. Die Filterelemente werden
mittelst ihres Ausflussrohres, eines neben dem anderen, in vertikaler
Stellung mit dem Wassersammelrohre verbunden, und dadurch gelingt
es, auf kleiner Grundfläche eine sehr viel grössere Filterfläche auf¬
zubauen, ja es ist möglich, je zwei Elemente auf einander aufzustellen
und deren Hohlräume zu verbinden.
Mit diesen Worten beschreibt Schöfer die wesentliche Einrich¬
tung der Sandplattenfilter. Er fasst sein Urtheil über dieselben in
folgenden Schlusssätzen zusammen:
1. Die Sandplattenfilter können nach den bisherigen Erfahrungen
in Beziehung auf ihr bakterienreinigendes Vermögen den Sand-
filtern gleichgestellt werden. Beide Systeme liefern kein keim¬
freies Filtrat; allein bei sorgfältigem Betriebe gelingt es, Wasser
von geringer und hygienisch zulässiger Keimzahl zu erhalten.
2. Das bakterienreinigende Vermögen des Sandplattenfilters ist ein
gleichmässiges und von Dru ?kSchwankungen des Rohwassers kaum
merklich abhängiges, auch wird die jedesmalige Reinigung nicht
von einer nennenswerthen Steigerung des Bakteriengebaltes ge¬
folgt
3. Die Anlage ist eine sehr stabile, der Betrieb sehr einfach und
ermöglicht das leichte Auffinden von Fehlerquellen in den ein¬
zelnen Theilen der Anlage.
4. Als bedeutsamen hygienischen Vorzug muss die Sterilisirbarkeit
der ganzen Anlage mittelst strömenden Wasserdampfes betrachtet
werden, ein Umstand, dem in Epidemiezeiten der grösste Werth
zukommt. Bleibtreu (Köln).
▼. Schoen, Die neuen Filteranlagen in Hamburg. Zeitschrift für Ge¬
sundheitspflege. Februar 1896. Nr. 2.
v. Schoen zollt in diesem Aufsatze dem Hamburger Oberingenieur
Andreas Meyer Worte warmer Anerkennung für die mit so grosser
Energie zu Ende geführten Arbeiten der neuen Filteranlagen in Ham¬
burg. Lange hatte es gedauert, bis die Behörden die Genehmigung
zu den Meyer’schen Plänen ertheilten. Wie schwer sich diese Ver¬
schleppung gerächt hat durch die plötzlich im August 1892 herein¬
brechende Cholera-Epidemie, deren Verbreitung ja unzweifelhaft mit
der mangelhaften Beschaffenheit des Wassers in Zusammenhang stand,
ist ja noch in Aller Gedächtniss. Dieses schwere Unglück war aber
auch die Veranlassung, dass jetzt die im Herbst 1890 begonnenen
Digitized by
Google
436
Arbeiten derart beschleunigt wurden, dass im Frühjahr 1893 die gross¬
artige und segensreiche Anlage dem Betrieb übergeben werden konnte.
Bleibtreu (Köln).
Drenkhahn t Heber den Verkehr mit Miloh vom sanitatopoliaeiliohen
Standpunkt. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin etc. 1896. XI. Bd.
Heft 1 u. 2.
Verfasser stellt die Ergebnisse seiner sehr lesenswerthen Arbeit in
einer Reihe von Schlusssätzen zusammen, deren wesentlicher Inhalt
hier mitgetheilt werden soll.
Weil die Zusammensetzung der Milch je nach den örtlichen Ver¬
hältnissen zu verschieden ist, so bedarf der Verkehr mit Milch für
jeden Kreis umfangreicher Vorarbeiten; vor Allem hat sich die Behörde
über die landwirthschaftlichen Verhältnisse des Kreises, den Nährwerth
der bisher gelieferten Milch, sowie Über den Gesundheitszustand der
Kühe durch einen Sachverständigen vor Erlass eines Regulativs ein¬
gehend in Kenntniss setzen zu lassen. Was die Fütterung angeht, so
kann sowohl bei Weidegang als auch bei Schlempefütterung eine gute
gehaltreiche Milch gewonnen werden. Die Forderung, nur gutes Trink¬
wasser in Ställen zu verwenden, hält Drenkhahn für überflüssig. Es
folgen dann Vorschriften Über Stalleinrichtung und Reinhalten der
Kühe. Ein grosses Gewicht wird auf die peinlichste Sauberkeit beim
Melken gelegt, wodurch ein Durchsieben der Milch nach dem Melken
überflüssig gemacht wird.
Zum Auf bewahren und Transport der Milch empfehlen sich am
meisten Gefftsse aus verzinntem Eisenblech, welche am leichtesten zu
reinigen sind. Mit giftigen Metallen, wie Messing, Kupfer, blei¬
haltigen Metallen etc. darf die Milch nicht in Berührung gebracht
werden. Eingehende Vorschriften werden sodann über die Reinigung
der MilchgefÜsse gegeben, denen die grösste Aufmerksamkeit geschenkt
werden muss. Der diätetische Werth der Milch kann nach Drenkhahn
nur durch directe Beobachtung und statistische Erhebungen, nicht aber
durch chemische Untersuchungen ermittelt werden; dagegen hält er es
für unbedingt erforderlich, dass die Sanitätspolizei für die Marktmilch
einen bestimmten Gehalt an Fetten, Eiweiss und Milchzucker fordert.
Die Milchcontrole wird sehr erleichtert durch Einrichtung von Genossen¬
schaftsmeiereien. Milch von Kühen, welche arzneilich behandelt werden
oder krank sind, darf nicht in den Handel gebracht werden. Sechs
Wochen vor dem Kalben mindestens muss die Kuh trocken stehen, und
frühestens sechs Tage nach dem Kalben darf die Milch erst wieder
zum Verkauf gebracht werden.
Milchproducenten, in deren Hause Diphtherie oder Blattern herr¬
schen, dürfen ihre Milch überhaupt nicht verkaufen; herrscht in den
Häusern der Milcbproducenten Typhus oder Cholera, so soll die Milch
Digitized by
Google
437
nur unter gewissen Vorsichtsmaassregeln zum Verkauf gebracht werden,
derselbe soll aber auch hier bei grösserer Ausdehnung der Erkrankungen
vollständig sistirt werden. Milch mit sogenannten Milchfehlern, blaue
Milch und fadenziehende Milch, ist selbstverständlich vom Verkauf aus-
zuschliessen. Das Schenken direct von der Kuh wird unverhältniss-
mässig theuer bezahlt und kann, wenn die Kuh tuberkulös ist, auch
gefährlich werden; es ist deshalb zu untersagen.
Zur Milchuntersuchung auf dem Markte empfiehlt sich das Lak¬
todensimeter und das Laktoskop.
Die Laktobutyrometrie ist eine durchaus unzuverlässige Fett¬
bestimmungsmethode und sollten zur Bestimmung des Gehaltes an Nähr¬
stoffen nur durchaus zuverlässige und exacte Untersuchungsmethoden
zur Anwendung kommen. Es darf nur Voll- oder Magermilch, nicht
aber Halbmilch verkauft werden. Conservirende Zusätze und Unsauber¬
keit der Milch können leichter von den Consumenten als von der
Marktpolizei entdeckt werden; das Publikum ist daher über den Ge¬
schmack der Milch, welcher Salicylsäure, Borsäure oder Natrium bicar-
bonicum zugesetzt ist, zu belehren und aufzufordern, solcher Fälschung
verdächtige und schmutzige Milch der Behörde zur Untersuchung zu
Überliefern. Für Reinheit und Unverfälschtheit der Milch muss immer
derjenige haften, der sie zum Verkaufe bringt.
Bleib treu (Köln).
Boxall, Milk infection. (The Lancet 3747.)
Verf. berichtet über eine Anzahl von Erkrankungen, die offenbar
durch den Genuss von schlechter Milch hervorgerufen waren. Im
Ganzen erkrankten 5 Wöchnerinnen und 6 Angestellte im allgemeinen
Gebärhause zu London. Die Symptome waren bei allen sehr ähnlich:
Schmerzen im Unterleib, Diarrhöe, Tenesmus, Appetitmangel, foetor
ex ore, Schwellung und aphthöse Geschwürsbildung im Mund und bei
den Wöchnerinnen an den verletzten Geschlechtstheilen. Die Milch,
welche allein als veranlassende Ursache der Erkrankungen in Betracht
kam, hatte einen erdigen Geschmack, üblen Geruch und war von tief¬
gelber Farbe; ausserdem wurde sie sehr rasch sauer. Als die Milch
von einem anderen Lieferanten bezogen wurde, hörten die Erkrankungen
auf. Ganz ähnliche Erkrankungsfälle wurden von Niven mitgetheilt.
(An occurence of milk infection, The Lancet, 19. Jan. 1895.)
Pröbsting.
Sedgwiok: On an epidemio of typhoid fever in M&rlborough apparently
due to infected skimmed milk. (Twenty-sixth annual report of the state
board of health of Massachusetts.)
Im August und September 1894 wurden in Marlborough zahlreiche
Typhusfälle beobachtet — im Ganzen 50 Fälle — und Verf. wurde vom
Staatsgesundheitsamt von Massachusetts hingeschickt, um die Ursachen
Digitized by ^.ooQle
438
dieser Epidemie zu ergründen. Die ursprüngliche Annahme, dass die
Erkrankungen durch verunreinigtes Leitungswasser verursacht sein
könnten, erwies sich als unhaltbar, da sich die sämmtlichen Typhus¬
fälle auf einen bestimmten Stadttheil beschränkten, und gerade in der
Nähe des Wasser-Reservoirs kein einziger Fall zur Beobachtung kam.
Weitere Nachforschungen ergaben nun, dass höchstwahrscheinlich eine
Meierei in der Stadt als Ausgangspunkt der Epidemie betrachtet werden
musste.
Die Meierei verkaufte die abgerahmte Milch in der Stadt, und
der Fuhrmann des Milchwagens war an Typhus erkrankt, hatte aber
trotzdem noch längere Zeit seinen Dienst versorgt. Alle Typhusfälle
nun lagen an der gewöhnlichen Fahrroute des Milchwagens, und in den
meisten Fällen (45) konnte nachgewiesen werden, dass abgerahmte
Milch gekauft und ungekocht getrunken war. Es lag daher nahe, die
entrahmte Milch dieser Meierei als die Infectionsquelle anzusehen.
Verfasser erinnert an eine ganz ähnliche Typhus-Epidemie, welche
August 1892 in Springfield beobachtet wurde. (The Lancet 21. April
1894.) Von 61 Fällen waren 52 direkt auf eine Meierei zurückzu-
ftthren, und auch hier waren die meisten durch den Genuss von un¬
gekochter, entrahmter Milch hervorgerufen. Pröbsting.
Lehmann und Neumann, Atlas und Grundriss der Bakteriologie und
Lehrbuch der speciellen bakteriologischen Diagnostik. München 1896.
Verlag von J. F. Lehmann.
Das vorliegende zweibändige Werk, welches 558 farbige Abbil¬
dungen auf 63 Tafeln und ungefähr 70 Bilder im Text enthält, ist
als X. Band von Lehmann’s medicinischen Handatlanten erschienen.
Wenn wir die Ausführung der im ersten Bande enthaltenen Ab¬
bildungen kritisch betrachten, so müssen wir den Herausgebern unbe¬
dingt darin beipflichten, dass für eine Reihe von Objecten (Stich-,
Strich- und Kartoffelcultur) die gute farbige Abbildung auch dem
besten Photogramm überlegen bleibt, dass für eine zweite Gruppe von
Bildern (namentlich die Plattencolonien bei schwacher Vergrösserung)
die Zeichnung, welche der Tiefe des Objectes allein gerecht werden
kann, der Photographie wenigstens ebenbürtig ist. Es ist zuzugeben,
dass für die Abbildung des Individuums bei lOOOfacher Vergrösserung
dagegen die Photographie die beste Methode ist.
Der den zweiten Band füllende Text gliedert sich in einen all¬
gemeinen und in einen speciellen Theil. Der erste bringt eine ge¬
drängte Uebersicht der Haupteigenschaften der Bakterien, soweit sie
praktisch wichtig sind, und vor Allem, soweit sie zur Diagnose ver-
werthbar sind. Beigefügt ist ein kurzes Verzeichniss der gebräuch¬
lichsten Nährboden und Färbe Vorschriften. Der specielle Theil ver¬
sucht in möglichst natürlicher botanischer Anordnung eine ausführliche
Digitized by
Google
439
Beschreibung der wichtigen Arten zu geben, unter fortwährendem Hin¬
weis auf die weniger wichtigen Species.
Wenn die Herausgeber ihr Vorwort mit folgenden Worten schliessen.
„Wenn es uns gelungen ist, die Diagnose der Bakterien ein Stück zu
fördern, dem Anfänger die Bestimmung zu erleichtern, den Vor¬
geschrittenen auf die zahlreichen, zum Theil noch unerledigten und
zu wenig gewürdigten Schwierigkeiten dieser Arbeit hinzuweisen, so
finden wir uns für die grosse Mühe, die wir aufgewendet, belohnt, a
so glauben wir Bestimmtheit annehmen zu dürfen, dass diese Hoffnung
sich im reichsten Maasse erfüllen wird.
Mag auch Jeder, der das Buch mit Interesse durchsieht, an Kleinig¬
keiten auszusetzen haben, als Ganzes betrachtet aber muss dem Werke
ein unbedingtes Lob zugetheilt werden«
Für das Gebotene ist der Preis von 15 Mark als ein sehr geringer
zu bezeichnen, und es sei Jedem, der bakteriologisch arbeiten will, das
Werk als sicherer Führer hiermit auf's Wärmste empfohlen.
Dr. Mastbaum (Köln).
R. J. Petri, Das Mikroskop. Von seinen Anfängen bis zur jetzigen Ver¬
vollkommnung, für alle Freunde des Instruments. Berlin 1896. Verlag von
Rieh. Schoetz. Preis 8 Mk.
In der neueren Literatur fehlte es an einer geschichtlichen Zu¬
sammenfassung der Entwicklung des Mikroskopes, desjenigen Instru¬
mentes, dem die moderne Medicin und die Naturwissenschaften einen
grossen Theil ihrer wichtigsten Entdeckungen zu verdanken haben.
Diese Lücke wird nun durch das vorliegende Buch von Petri aus¬
gefüllt. Dem Freund dieses jetzt so vervollkommneten Instrumentes
wird die Lectttre dieses Buches daher von grossem Interesse sein. Eine
lückenlose, vollständige Geschichte des Mikroskopes, deren Anfänge mehr
als drei Jahrhunderte zurückreichen, zu schreiben, lag allerdings dem
Verfasser fern; er will vielmehr, wie er sich in der Vorrede ausdrückt,
allen Freunden des Mikroskopes nur Wegweiser sein für das Studium
der Entwicklungsgeschichte des Instrumentes. Das Buch enthält eine
Fülle interessanter und wissenswerter Angaben, und das Verständniss
wird durch eine grosse Anzahl trefflicher Abbildungen, die theils den
alten Werken direct entlehnt sind, wesentlich gefördert.
Gerade in der heutigen Zeit ist man oft, allerdings mit grossem
Unrecht, sehr geneigt, in gewissen Gebieten die Vorarbeiten früherer
Forscher zu unterschätzen und das Studium ihrer Arbeiten zu über¬
gehen. Verfasser glaubte daher eine Dankespflicht zu erfüllen, wenn
er wieder einmal auf die grossen Verdienste deijenigen Männer hin weist,
durch deren mühsame und scharfsinnige Arbeiten es ermöglicht wurde,
das Instrument zu deijenigen Höhe zu entwickeln, die heute allgemein
angestaunt werden muss. Dr. Bleibtreu (Köln).
Owtnlblatt f. tilg. Oetnndhettapilege. XV. Jahrg. 81
Digitized by v^ooQle
440
Rabinowitech, Lydia, Untersuchungen über pathogene Hefearten. (Aus
dem Institut für Iufectionskrankheiten zu Berlin.) Zeitschr. für Hygiene,
Bd. XXI, S. 11-24.
Entgegen den älteren Untersuchungen, nach welchen in der Gruppe
der Sprosspilze keine Arten Vorkommen sollten, die aufThiere krank¬
heitserregend wirken können, haben neuere Untersuchungen ergeben,
dass auch unter den Hefearten Krankheitserreger Vorkommen. Zur
weiteren Klärung dieser Frage hat Verfasserin ca. 50 verschiedene
Hefearten einer genauen Prüfung bezüglich ihrer pathogenen Eigen¬
schaften unterworfen und fand dabei, dass sieben dieser näher unter¬
suchten Hefearten auf Versuchsthiere pathogene Wirkung ausüben.
Es waren dies:
1. Monilia candida, die in der Natur als eine weisse Schicht
auf frischem Kuhmiste und süssen saftigen Früchten auftritt.
Dieselbe war pathogen ftlr Kaninchen und Mäuse, nicht aber für
Meerschweinchen.
2. Eine wilde, aus gährenden Feigen gewonnene Hefe-
art, gegen welche sich weisse Mäuse als besonders empfindlich
zeigten.
3. Eine aus einer Brennereihefe der Berliner Versuchs¬
und Lehrbrauerei isolirte Hefeart, welche bei weissen
Mäusen, unter die Haut gebracht, tödtlich wirkte.
4. Eine aus Sauerteig gewonnene Hefe; für Mäuse und
Kaninchen pathogen.
5. Für dieselben Versuchsthiere tödtlich wirkend war eine auf
Weintrauben vorkommende wilde Hefeart.
6. Eine aus Malzmaische isolirte Art war für weisse Mäuse
pathogen.
7. Eine aus Ale-Bier stammende, von Amerika herttberge-
brachte Hefeart wirkte auch bei Einspritzung unter die Haut
von Kaninchen und Mäusen tödtlich.
Diese Versuche beweisen also, dass es Hefearten giebt, die den
Tod von Versuchsthieren, besonders Mäusen und theilweise auch
Kaninchen, hervorrufen können. Geschwulstbildungen, wie sie von
anderen Untersuchern beschrieben worden sind, konnte Verfasserin
nicht beobachten. D r ä e r (Königsberg i. Pr.).
Sanfelice, Ueber die pathogene Wirkung der Blastomyeeten. (Aus dem
hygienischen Institut der K. Universität Cagliari.) Zeitschr. f. Hygiene,
Bd. XXI, S. 32-58.
An der Hand von zwei Tafeln mit zahlreichen farbigen Ab¬
bildungen giebt S. eine ausführliche Beschreibung eines Sprosspilzes,
welcher nicht nur für Meerschweinchen, sondern auch für andere Thiere
pathogen ist. Besonders wichtig ist er wegen der nach Angabe des
Digitized by
Google
441
Verfassers vollkommenen morphologischen Uehereinstimmnng, welche
er bei seinem Vorkommen in den Geweben mit den verschiedenen
Gebilden zeigt, die von den Autoren bei den bösartigen Ge¬
schwülsten des Menschen als zu den Coccidien gehörig be¬
schrieben worden sind.
Verfassser spricht in dieser Abhandlung über die Resultate, welche er
durch Impfung von Meerschweinchen mit dem von ihm Saccharo¬
myces neoformans genannten Sprosspilz erhalten hat, und will
später über die Beobachtungen berichten, die er an anderen Versuchs¬
tieren, wie Hunden, Katzen, Schafen, Eseln, Kaninchen, Ratten,
Hühnern und Tauben gemacht hat.
Eine genauere Besprechung der Arbeit Sanfelice’s würde uns zu
weit führen; es sei daher hier nur erwähnt, dass nach seiner Angabe
bei allen Meerschweinchen, welche eine Einspritzung dieses Spross¬
pilzes in das Unterhautbindegewebe erhielten, sich eine Geschwulst
entwickelte, welche die Sprosspilze zahlreich enthielt, und dass die
Versuchsthiere fast ausnahmslos nach ca. 30 Tagen zu Grunde gingen.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Sanfeliee, Ueber die pathogene Wirkung der Blastomyeeten. Aus dem
hygien. Institut der K. Universität Cagliari. (Zeitschr. f. Hygiene 1896.
Bd. 21.)
Sanfelice beschreibt einen neuen krankheitserregenden Spross¬
pilz, welchen er aus den Lymphdrüsen eines Ochsen isolirt hatte, der
in Folge eines primären Leberkrebses und Ausbreitung des Processes
auf das gesammte Lymphsystem zu Grunde gegangen war. Da dieser
Pilz in den Geweben der mit ihm geimpften Thiere kalkige Massen
bildet, so benanntes, ihn „Saccharomyces litogenes“. Derselbe
erwies sich als pathogen für Meerschweinchen, weisse Ratten, Schafe,
Hunde, Rinder, Esel und Hühner.
Er gedeiht auf den gebräuchlichen Nährböden. Meerschweinchen,
denen die Culturen in das Unterhautbindegewebe eingeimpft wurden,
starben durchschnittlich nach zwei Monaten, in die Bauchhöhle geimpfte
gewöhnlich schon nach einem Monate.
Die in den Organen der Versuchsthiere gebildetem Kalkmassen
erwiesen sich nach den Untersuchungen S.’s als aus phosphorsaurem
Kalk bestehend. Dräer (Königsberg i. Pr.).
A. Weiehßelbaum, Ueber Entstehung und Bekämpfung der Tuberkulose.
Monatsschrift für Gesundheitspflege. Wien, April 1896. Nr. 4.
Weichselbaum giebt in diesem Vortrage einen zusammen¬
fassenden Bericht über die Entstehung und Verbreitungsart der Tuber¬
kulose und führt die Mittel an, von denen man auf Grund der wissen¬
schaftlichen Forschungsergebnisse und der praktischen Erfahrung an¬
nehmen kann, dass sie in der Bekämpfung dieses schlimmen Feindes
31*
Digitized by v^ooQle
442
der Menschheit wesentliche Dienste leisten. Er wünscht, dass wir
endlich unsere Apathie dieser Krankheit gegenüber abstreifen und uns
zur ernsthaften Bekämpfung eines Feindes aufraffen, welcher uns alle
gleichmässig bedroht. Nicht nur die Behörden [haben den Kampf zu
führen, sondern auch der Einzelne, Arzt oder Nichtarzt, hat sich daran
zu betheiligen. Der Erfolg wird sicher nicht ausbleiben, wenn jeder
in dem Kampfe seine Pflicht thut. Bleibtreu (Köln).
Die experimentelle Tuberkulose nach endermatischen Einimpftmgen
bei Kaninehen. Untersuchungen von Dr. Olimpio Cozzolino. Ann&li
d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli. Vol. V, fase. I. 1895.
Cozzolino gelangte zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. Die Impfung mit einer in Bouillon verdünnten Reincultur von
Tuberkelbacillen in die Rückenhaut von Kaninchen hat eine Infiltration
zur Folge an der betreffenden Stelle in Gestalt eines dem anatomischen
Tuberkel ähnlichen Knotens. Zuerst von kleinem Umfang, nimmt
letzterer innerhalb der ersten Tage nach der Impfung an Volumen zu;
später bleibt er an der Impfstelle umschrieben und geht nur wenig in
die benachbarte Haut hinüber. Meist ist er abwechselnd von ober¬
flächlichen Ulcerationen oder nachfolgender allmählicher Heilung be¬
gleitet.
2. Die Tuberkelbacillen vermindern sich allmählich innerhalb der
auf die Impfung folgenden Tage; nach 4—6 Monaten bleibt nur eine
sehr minimale Zahl noch zurück. Gleichzeitig zeigen sie charak¬
teristische Veränderungen ihrer Form, die abhängen können von dem
wenig zusagenden Nährboden, den sie im Hautgewebe des Kaninchens
finden, sei es in Folge äusserer physikalischer Verhältnisse (niedrige
Temperatur und Wechsel derselben in Folge äusserer athmosphärischer
Einwirkungen), sei es durch innere Bedingungen (Fettgewebe, dichter
Haarwuchs — Block — Reibungen und Bewegungen, denen die Haut
fortwährend unterworfen ist — Villemin).
3. Die tuberkulöse Infiltration besteht innerhalb der ersten Tage
aus einer Anhäufung kleinzelliger Elemente. Vom 10. Tage ab ist
eine Neigung zum Uebergang in käsige Degeneration und vom 30. Tage
bis zum 4. Monat das Auftreten von Riesenzellen bemerkenswerte Die
Tuberkelbacillen sind stets beschränkt auf das Infiltrationsgebiet und
reichen sehr nahe an die Reactionszone am Rande des Knotens heran.
4. Die Herausnahme der Knoten schützt die Haut nicht vor einer
weiteren Neuproduction an der Stelle derselben mit den Charakter der
ersteren. Bleibt die Neubildung der Knoten aus, so erscheinen öfter
mehr oder weniger pigmentirte Narben. Auch diese bleiben gewöhn¬
lich nicht frei von einer diffusen Infiltration, in der es mehrmals
möglich war, noch wirksame Tuberkelbacillen nachzuweisen.
5. Die auf dem Rücken bei Kaninchen eingeimpfte Hauttuber-
Digitized by
Google
443
kulose verbreitet sich fast constant innerhalb einer längeren Zeitperiode
(von höchstens 4—9 Monaten) auf die inneren Organe, wobei mit Vor¬
liebe die Lungen befallen werden. Bei einigen Kaninchen war die
Verbreitung der Tuberkulose auf innere Organe nicht so deutlich, doch
musste bei diesen eine fortschreitende, mit dem Tode endigende Ab¬
magerung der toxischen Wirkung zugeschrieben werden, welche —
wie die Experimente von Maffucci und De Michele beweisen — ein
localisirter tuberkulöser Process auf den ganzen Organismus auszuüben
vermag. San.-Bath Dr. Qensgen (Siegen).
O. Bujwid, Erfahrungen über die Anwendung des Tuberkulins zur
Diagnose der Rindertuberkulose. Monatsschrift für Gesundheitspflege.
Wien, März 1896. Nr. 3.
Bujwid hält es auf Grund seiner Erfahrungen, über die er in
diesem Aufsatze berichtigt, an der Zeit, die Tuberkulinprobe zum
Nachweise der Bindertuberkulose allgemein einzuführen, wie dies
schon in Dänemark geschieht und in Kurzem auch in Frankreich ein-
geftihrt werden soll. Insbesondere zur Constatirung des tuberkulose¬
freien Zustandes des Zuchtviehes und der Milchkühe wäre die Ein¬
führung der Tuberkulinprobe sehr wtinschenswerth.
Bleib treu (Köln).
Stati8ties of oertain causes of death.
In ausführlicher Weise bespricht der Jahresbericht die Sterblich¬
keit an Lungenschwindsucht, die in Massachusetts in stetiger Abnahme
begriffen ist, wie aus beistehendem Diagramm^ersichtlich ist. Dasselbe
umfasst den Zeitraum von 1851—93 und giebt die Sterblichkeit an
Lungenschwindsucht auf 10000 Einwohner an.
m
K
iO
3*
5/j
m
TTtl
r
T
~l—r-
sl
T [
--
T
"T
Jt
36
1/T
Tn
ff
n
34
32
1
jfr
_ L
II
M
jy
V
V
i
'/V
30
T
TT
\ /
ü
28
:
Ti
r;
vT
1-
|psl j
26
24
22
f
"T
tt
_I
II
11
TT
r
ü
L
TI
TT
| J
TVf
V
g
L
TT
1 j
20
LL
l
TT
r T
T
Diese ganz gewaltige Abnahme von 41,1 in der Zeit 1851—55
auf 23,6 in der Zeit 1891—93 für 10000 der Bevölkerung ist wohl
zum Theil auf die verbesserte ärztliche Diagnose, besonders Früh¬
diagnose, und dadurch ermöglichte frühzeitige Behandlung, dann aber
Digitized by
Google
444
auch auf die verbesserte Lebensführung besonders in den Arbeitsräumen
zurttckzuführen.
Von Interesse ist auch die Sterblichkeit an Lungenschwindsucht
nach Alter und Geschlecht, welche folgendes Diagramm zeigt.
50 30 20 10 O JO 20 30 10
r 7Tc i i i i r~
0-5
l
5/0
—
tO-15
1520
W/////M.
V////M/M
W/////M
'■'/■//// m
%
|
1
pISl
U150 p
W////MM
PPill
5060 m
mm
60-1° m
VM////M
%
1
t
]
ü-wWÄ
WM/M
1
1
ll
■
itberSO
Die Sterblichkeit an Lungenschwindsucht ist bei Frauen etwas
grösser als bei Männern, nämlich 100 zu 95.
Wenn bei der Phthisis-Sterblichkeit eine ganz erhebliche Abnahme
zu konstatiren ist, so macht sich bei der Krebs-Sterblichkeit eine stetige
Zunahme bemerklich. Die Sterblichkeit an Krebs ist von 3,6 im
Jahre 1874 auf 6,8 im Jahre 1898 fftr 10000 Einwohner gestiegen.
Frauen sind mit mehr als 70 °/o bei der Gesammtsterblichkeit an Krebs
betheiligt. Pröbsting.
Bndolf Abel, Die Aetiologie der Ozaena. Zeitschrift für Hygiene etc.
Bd. XXI, 1. Heft.
Der Gegenstand dieser Abhandlung ist der Aetiologie der Ozaena
simplex (Ehinitis atrophicans fötida) gewidmet. Abel kommt zu dem
Schluss, dass die Rhinitis atrophicans eine Infectionskrankheit ist. Der
Krankheitsprocess tritt zuerst in isolirten Herden, die sich allmählich
vergrössern und schliesslich ausgedehnte Partien der Schleimhaut ein¬
nehmen können, unter Bildung eines eitrig schleimigen Secrets, das
schnell zu Borken eintrocknet, auf. Der Foetor entsteht durch Zer¬
setzung der Borken, ist aber ein inconstantes und nebensächliches Sym¬
ptom. Das schliessliche Resultat des Schleimhautprocesses ist die Atrophie
der Nasenschleimhaut und auch der Nasenmuscheln. Auch ein Fort¬
schreiten des Processes auf den Nasenrachenraum, die Nebenhöhlen der
Nase und das innere Ohr, Kehlkopf und Trachea ist beobachtet
worden. Der Gedanke, dass die Affection auf einer Infection beruht,
liegt nahe, da oft mehrere Mitglieder einer Familie an dem Uebel
leiden, und auch experimentell ist es in einem Falle gelungen, die
Eirankheit zu übertragen. Als Erreger des Ozaenaprocesses wird von
Abel der Bacillus mucosus Ozaenae, welcher dem Pneumoniebacillus
nahe steht, angesprochen. Der Bacillus findet sich nur in dem eigen¬
artigen Secret vor, und scheint in die Schleimhaut nicht einzudringen.
Digitized by v^ooQle
445
Abel bezeichnet die Affection Rhinitis atrophicns bacillaris. Die ffttide
Zersetzung ist nicht durch den Bacillus mucosus bedingt, sondern auf
die Thätigkeit anderer secundär sich ansiedelnder Mikroorganismen
zurückzuführen. Aus der Erkenntniss der Affection als Infectionskrank-
heit ergehen sich natürlich wichtige Fingerzeige für Diagnose, Therapie
und besonders für die Prophylaxis des überaus lästigen Uehels.
Bleihtreu (Köln).
Kutscher, Zur Rotzdiagnose. (Aus dem hygienischen Institut der Uni¬
versität Giessen.) Zeitschr. f. Hygiene, Bd. XXI, S. 156—164.
Verfasser konnte gelegentlich einiger Untersuchungen, die er unter¬
nahm, um an rotzverdächtigen Pferden die Diagnose sicherzustellen,
aus dem Nasensecret eines an Rotz erkrankten Pferdes neben den
typischen Rotzbacillen einen Bacillus isoliren, der in vielen Punkten,
so namentlich in seinem morphologischen Verhalten dem Rotzbacillus
glich, in vielen, zur Differentialdiagnose vollkommen ausreichenden
Eigenschaften aber von ihm abwich. Da dieser Bacillus die Straus’sehe
Reaction gab, d. h. Hodenschwellung bei einem in die Bauchhöhle ge¬
impften Meerschweinchen verursachte, so hat damit die Straus’sehe
Methode der Rotzdiagnose ihre Specifität verloren (vgl. Centralbl. 1895,
S. 48). Dräer (Königsberg i. Pr.).
Jager, Zur Aetiologie der Meningitis cerebrospinalis epidemica. (Zeit¬
schrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, XIX. Bd., 2. Heft, Seite
351—370.)
Im Verlaufe von 16 Monaten traten in Stuttgart und einigen
benachbarten Orten eine Reihe von Erkrankungen an Meningitis
cerebrospinalis epidemica auf, die zum Theil tödtlich verliefen. Die
meisten dieser Fälle wurden von Kirchner genau untersucht, um den
Erreger dieser stark infectiösen Krankheit zu finden.
Es gelang ihm nachzuweisen, dass der specifische Erreger dieser
Krankheit der schon 1887 in sechs Fällen gefundene, innerhalb der
Eiterzellen des Meningealexsudates gelegene Diplococcus ist.
Jäger hat dann diesen Diplococcus einer exacten bakteriologischen
Untersuchung unterworfen und konnte feststellen, dass es sich um den
specifischen, gegen andere Diplokokken genau differenzirbaren Coccus
handelt. Er giebt ihm den Namen Diplococcus oder besser Tetracoccus
intracelluloris.
Das wichtigste Ergebniss aber, welches Jäger durch seine Unter¬
suchungen erzielte, ist der exacte Nachweis, dass dieser gefährliche
Mikroorganismus hauptsächlich mittels des Nasensecretes übertragen
wird und längere Zeit in getrocknetem Zustande haltbar ist.
Das Studium dieser trefflichen Arbeit sei Jedem, der hygienisch¬
bakteriologische Untersuchungen anstellen will, auf das Eindringlichste
empfohlen. Dr. Mastbaum (Köln).
Digitized by v^ooQle
446
Diphtheria ln London im Jahre 1894. (The Lancet Nr. 3745.)
Im Jahre 1894 starben in London 2886 Personen an Diphtherie
und Croup gleich 6,1 auf 10 000 der Bevölkerung, während in den
neun vorhergehenden Jahren (1885—98) dieses Verhältnis im
Jahresdurchschnitt nur 3,6 betrug. Die Aufnahme und Sterblichkeit
von Diphtheriekranken in den Krankenhäusern war folgendermaassen:
Jahr
Aufnahmen
Todesfälle
In °/o der Aufnahmen
1888
111
50
45,0
1889
740
278
37,6
1890
965
317
32,8
1891
1330
399
30,0
1892
2021
584
28,9
1893
2853
866
30,4
1894
3691
1041
28,2
Pröbsting.
F. A. Dixey, Vital statistics of diphtheria in London 1891—1895. (The
Lancet 3756.)
Der wöchentliche Durchschnitt an Todesfällen in Folge von Diph¬
therie betrug 1891:26,2; 1892:36,2; 1893:62,8; 1894:51,4;
1895 : 33,5. Der Einfluss der Jahreszeit macht sich dahin geltend,
dass im September die Diptherie-Sterblichkeit über den Jahresdurch¬
schnitt ansteigt und bis März auf dieser Höhe bleibt, dann erfolgt ein
langsamer Abfall. Der stärkere Abfall, der im Allgemeinen im August
stattfindet, dürfte wohl auf die Schulferien zurückzuftlhren sein. Die
erhebliche Abnahme der Diphtheriesterblichkeit seit Mitte 1894 glaubt
Verf. auf die Serumbehandlung zurückführen zu dürfen.
Pröbsting.
Ueber die Lebensfähigkeit des Diphtheriebacillus ausserhalb des Orga¬
nismus und über die mögliche Verbreitung desselben durch die Luft.
Untersuchungen von Dr. Carlo Reyes. Annali d’lgiene sperimentale, dir.
dal Prof. Angelo Celli. Vol. V, fase. IV. 1895.
Flügge spricht sich in einer Abhandlung über „Die Verbreitungs-
weise der Diphtherie“ (Zeitschrift ftir Hygiene 1894, XVH, S. 403)
dahin aus: „Ein Transport durch die Luft auf weitere Entfernungen
hin, so dass die Berührungen nicht mehr in Concurrenz treten, und
die Luft mithin eine specifisch gefährliche Infectionsquelle repräsentirt,
scheint nicht stattzufinden, weil die Diphtheriebacillen bei dem Grade
der Trockenheit, den Luftstäubchen haben müssen, wenn sie leicht
transportirbar sein sollen, absterben.“
Reyes kam nun bei seinen Untersuchungen zu folgenden
Resultaten:
Digitized by ^.ooQle
447
1. Die Diphtheriebacillen werden, wenn sie der Austrocknung in
Gegenwart von Schwefelsäure ausgesetzt wurden, in wenigen,
spätestens nach 48 Stunden zerstört.
2. Bei einem Austrocknungsverfahren, welches den gewöhnlichen
Verhältnissen in Gegenwart der Luft entspricht, bleiben die
Diphtheriekeime einige Tage hindurch lebensfähig, wenn sie in
Leinwand, Seide oder Papier enthalten waren; ebenfalls mehr
als 2 Wochen hindurch im Sande, bis zu 100 Tagen im Schlamm¬
staube.
8. Vor Eintrocknung geschützt und in feuchter Luft gehalten, starben
sie erst nach einer circa doppelt so langen Zeit ab. Im Sand
und Schlamm bleiben sie noch weit länger erhalten.
4. Dem diffusen Sonnenlichte der Luft ausgesetzt sterben die Bacillen
rascher ab als im Dunkeln.
5. Die gewöhnlichen Temperaturschwankungen haben keinen erkenn¬
baren Einfluss auf ihre Lebensfähigkeit.
6. In allen Verhältnissen vollzieht sich die Vernichtung der Di¬
phtheriekeime allmählich und schrittweise und offenbart sich
theils durch eine progressive Reduction der Zahl der lebenden
Keime, theils durch einen Stillstand in der Entwicklung der¬
selben.
7. In gleichem Schritte mit der Vernichtung der Löffler 1 sehen Bacillen
findet eine allmähliche Abschwächung statt bezüglich der Infections-
fähigkeit der von ihnen inficirten Stoffe.
8. Ein kräftiges Mittel für die Verbreitung der Diphtherie ist die
Luft, weil die Staubmassen der Zimmer die lebenden und wirkungs¬
fähigen Keime enthalten können gerade dann, wenn sie den nö-
thigen Grad von Eintrocknung erhalten haben, um leicht erhoben
und in die Luft mit fortgetragen zu werden.
San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
SflnfLuss des Sonnenlichts auf das diphtheritisohe Gift. Von Gaet&no
Piazza. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli. Vol. V,
fesc. IV. 1895.
Piazza fand:
1. Dass das Licht an sich die Wirkung des diphtheritischen Giftes
vermindert.
2. Dass speciell das diffuse Licht in hermetisch verschlossenen Ge-
fässen langsam fortschreitend wirkt, nach 20 Tagen anfängt be-
merklich zu werden, und nach 100 Tagen vollständig wirksam
wird. In directem Lichte ist die Wirkung eine raschere, doch
ist letzteres weniger bemerkbar, wenn das directe Licht in seine
verschiedenen Strahlen zerlegt ist. Ferner stellte er Folgendes fest:
8. Die beeinträchtigende Wirkung des Sonnenlichts ist hauptsäch¬
lich auf die extremen Strahlen des Spectrums zurückzuführen.
Digitized by ^.ooQle
448
4. Diese abschwächende Einwirkung findet statt, wenn die toxische
Flüssigkeit in Berührung mit der Luft ist, und um so rascher
und intensiver, je ausgedehnter die Berührung derselben mit der
Luft ist.
5. Bei Gegenwart der Luft nehmen in gewöhnlichen Verhältnissen
an der Abschwächung der Toxine ausser dem Lichte andere
Factoren nicht Antheil. San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
Ueber den Einfluss des directen Sonnenlichts auf Infeetion mit Cholera-
und TyphU8baeillen bei Meerschweinchen. Untersuchungen von Dr.
Salvatore Masella. Annali d’Igiene speriment&le, dir. dal Prof. Angelo
CellL Vol. V, fase. I. 1895.
Bekannt ist der günstige Einfluss, den das Licht auf chlorophyll-
haltige Pflanzen ausübt; bei Bakterien wirkt das Sonnenlicht, wie zahl¬
reiche Forscher gezeigt haben, schädlich oder indifferent ein. Der am
meisten hervortretende Effect der directen Sonnenbestrahlung beim
Menschen ist die Braunfärbung der Haut, die unabhängig von den
thermischen Strahlen, nur den chemischen zuzuschreiben ist. Anderer¬
seits ist bekannt, dass die Sonnenstrahlen häufig ein specielles
Hauterythem erzeugen, besonders bei Personen, deren Haut eine eigen¬
tümliche Empfindlichkeit gegen das Licht zeigt (Pellagrakranke). Die
violetten und ultravioletten Strahlen sind die wirksamsten. Weitere
Versuche haben ergeben, dass man noch positive Wirkung erhält nach
dem Durchleiten der Strahlen durch Wasser, und ferner, dass die Wir¬
kung von der Temperatur unabhängig ist. Die Einwirkung des Sonnen¬
lichts ist auch therapeutisch bemerkenswerth. Seit langen Zeiten
curirten die Aerzte die verschiedensten Krankheiten vermittelst der
Sonnenstrahlen. Auch jetzt noch preist man die erfolgreiche Heil¬
wirkung des Sonnenlichts, während man andererseits der Ansicht ist,
dass letzteres eine schädliche Einwirkung auf den Verlauf einiger
Krankheiten (wie Pocken) ausübe.
Verfasser fand nun, dass die Wirkung des directen Sonnenlichts
auch bei niedrigeren Temperaturen, als sie gewöhnlich im Sommer sind,
eine deutliche bei Meerschweinchen ist, insofern, als es die Fähigkeit
der Resistenz gegen die Infeetion mit Cholera- und Typhusbacillen
vermindert. Einmal tritt bei Injectionen mit letalen Dosen der Tod
bei ihnen in kürzerer Zeit ein, und ferner sind auch selbst geringere
Dosen eher im Stande, den Tod des Versuchsthieres herbeizuführen.
San.*Rath Dr. Hensgen (Siegen).
Ueber die Vibrionen salz wasserhaltiger Teiche. Untersuchungen von
Alberto Cadeddu. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo
Celli. Vol. V, fase. III. 1895.
Cadeddu untersuchte das Wasser der zum Theil sehr ausgedehnten
und mit dem Golf communicirenden, um Cagliari liegenden Teiche, in
Digitized by
Google
449
denen sich das Süsswasser der Zuflüsse mit dem Salzwasser des Meeres
mischt. Er fand darin 10 verschiedene Arten von Vibrionen, welch
letztere am südlichen Ufer, also da, wo Salzwasser mit Süsswasser
sich mischt, am zahlreichsten vorkamen. Alle Vibrionen, welche nach
der Heimischen Methode in peptonisirtem Wasser (dem 1 °/o CINa
zugesetzt war), gezüchtet wurdeu, lieferten eine homogene Trübung und
ein aus Vibrionen bestehendes Häutchen auf der Oberfläche; sie ent¬
wickelten sich auch sehr kräftig in stärkerem Salzwasser (bestehend
aus 100 Wasser, 1 Pepton und 8 8alz). Nur ein Vibrio zeigte sich
pathogen. Die mit letzterem angestellten Thierexperimente (an Mäusen,
Meerschweinchen, Hunden, Hühnern und Tauben) ergaben Folgendes:
Reinculturen der Vibrionen in den Magen-Darmkanal eingeführt, hatten
keine Wirkung; erst nach vorheriger Neutralisation des Magensaftes
traten vom 4. bis 6. Tage Diarrhöen und theilweise blut-, sowie vibrionen¬
haltige Stühle auf. Die Einspritzungen der Vibrionen unter die Haut
vertrugen Tauben gut; wurden solche in die Bauchhöhle gemacht, so
traten bei ihnen blutige Diarrhöen auf; die geimpften Kaninchen starben
vom 8. — 6. Tage, Meerschweinchen schon nach 18—26 Stunden. Drei
kleine Hunde starben in Folge von subcutanen Einimpfungen nach
12 — 20 Stunden bereits. San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
Neumann und Orth, Versuche zum Nachweis choleraähnlioher Vibrionen
in Flussläufen. Aus dem staatlichen hygienischen Institut zu Hamburg.
(Zeitschr. f. Hygiene 1896. Bd. 21.)
Seitdem durch Dunbar auf das zahlreiche Vorkommen cholera¬
ähnlicher Vibrionen in der Elbe in den Monaten Juli, August und
September 1893 hingewiesen war, wurden von den Verfassern weitere
derartige Untersuchungen in den beiden Jahren 1894 und 1895 an
557 Wasserproben aus der Elbe und deren Zuflüssen in der Nähe von
Hamburg in Bezug auf die Anwesenheit von derartigen Vibrionen
angestellt. Unter den Wasserproben befanden sich eine Anzahl von
Proben von Abwässern, von Schweine- und Kuhstalljauche und aus dem
Inhalt von Düngergruben.
Es ist hier nicht der Ort, auf die Methode der Untersuchung der
verschiedenen Wasserproben einzugehen, die sich übrigens im Allge¬
meinen an die auch sonst üblichen Methoden anschliesst. Als besonders
bemerkenswerth ist nur hervorzuheben, dass in beiden Jahren 1894
und 1895 choleraähnliche Vibrionen erst im August und September
gefunden wurden, während sie vom October an nicht mehr nachgewiesen
werden konnten. Auch im Jahre 1893 waren gegen Ende September
und später derartige Vibrionen nicht mehr gefunden. Es hat demnach
den Anschein, als ob die Jahreszeit, in der die choleraähnlichen Vi¬
brionen in den Gewässern eine grosse Verbreitung finden, mit der
Jahreszeit zusammenfällt, zu der in unseren Gegenden die Cholera-
Digitized by
Google
450
epidemien sich auszubreiten pflegen. Jedoch werden zur sicheren Be-
urtheilung dieser Frage noch weitere Untersuchungen ttber mehrere
Jahre hindurch stattzufinden haben. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Dunbar, Zur Differentialdiagnose zwischen den CholeraVibrionen und
anderen denselben nahestehenden Vibrionen. (Zeitschr. f. Hygiene 1896,
Bd. XXI, S. 295—362.)
In der recht umfangreichen Arbeit betont Dunbar, dass, trotz¬
dem nunmehr bereits ausserordentlich zahlreiche choleraähnliche
Vibrionen beschrieben sind, von denen einzelne sämmtliche Eigen¬
schaften der echten Choleravibrionen aufweisen, es dennoch ein Mittel
giebt, welches uns die Differentialdiagnose zwischen Choleravibrionen
und anderen diesen ähnlichen Vibrionen sicher stellen lässt, nämlich
die Pfeiffer’sehe Reaction, welche er trotz der zahlreichen An¬
griffe als noch unerschüttert bezeichnet.
Verfasser giebt sodann in Tabellenform eine Beschreibung der
zahlreichen in den Jahren 1894—1895 aus der Elbe isolirten Wasser¬
vibrionen, sowie eine tabellarisch wiedergegebene Beschreibung des
Ausfalls der Prüfung dieser Vibrionen mittels der Pfeiffer’sehen
specifischen Immunitätsreaction. Hiernach erwiesen sich alle in den
Jahren 1894 und 1885 isolirten Vibrionen als den Choleravibrionen
nicht zugehörig.
Auch bei der Prüfung dreier von auswärts eingesandter Culturen,
von denen zwei von sicheren Cholerafällen, die dritte aus den Ex¬
crementen eines Mannes stammte, der an einem der Cholera etwas
ähnlichen Symptomencomplex litt, welcher aber mit Sicherheit auf eine
Vergiftung mit gekochtem, aber vorher zu lange gewässerten Stockfisch
zurückgeftlhrt werden kann, zeigte sich die Zuverlässigkeit der
Peiffer’schen Reaction, iudem dieselbe bei den beiden ersten
Fällen positiv, beim dritten negativ ausfiel.
Verfasser erörtert dann noch die Frage nach der Verwendbarkeit
von Choleraziegenserum, das ausser der specifischeu noch eine all¬
gemeine nicht specifisch baktericide Wirkung ausübte, und kommt
dabei zu dem Schluss, dass es rathsamer sei, vorläufig nur das Serum
immunisirter Meerschweinchen zu den Versuchen zu benutzen.
Jedenfalls stellt D u n b a r als Hauptergebniss seiner Untersuchungen
die Thatsache hin, dass dieselben eine wesentliche weitere Stutze ent¬
halten ftlr die Pfeiffer’sche Theorie über die Specifität der
haktericiden Stoffe, die sich in dem Blutserum mit Choleracultur
immunisirter Thiere finden. Die Verwendbarkeit dieser specifischen
haktericiden Eigenschaften ftlr differentialdiagnostische Zwecke steht
nach Dunbar’s Erachten ausser Zweifel.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Digitized by
Google
451
Rindfleisch, Die Pathogenität der Choleravibrionen für Tauben. (Zeit¬
schrift f. Hygiene 1896, Bd. XXI, S. 247—258.)
Der von Gamaleia im Jahre 1888 gelegentlich einer unter
den Hühnern in Odessa wüthenden Epidemie gefundene Vibrio
Metschnikowi wurde von dem Entdecker zuerst mit dem Koch 1 sehen
Choleravibrio identificirt. Diese später von Pfeiffer widerlegte An¬
sicht wurde neuerdings 1898 von Salus und Weibel wieder ver-
theidigt.
Auf Anregung Pfeiffer’s unternahm es nunmehr Rindfleisch,
zu untersuchen, ob sichere Choleravibrionen durch wiederholte Passagen
durch den Thierkörper sich soweit modificiren lassen, dass sie krankheit¬
erregend für Tauben werden, während ja sonst der Choleravibrio für
Tauben nicht pathogen ist.
Er steigerte zunächst die Virulenz einer im Institut vorhandenen
Choler&cultur, die ursprünglich aus der Hamburger Epidemie stammte,
später aber aus den diarrhöischen Entleerungen Prof. Pfeiffer’s, der
sich mit der Cultur inficirt hatte, rein gezüchtet war, durch mehrfache
Passagen durch Meerschweinchen. Mit dieser hoch virulenten Cultur
machte er dann seine Impfversuche an Tauben. Die Resultate seiner
Versuche sind folgende:
1. Auch die virulentesten, frisch aus dem Choleradarm gezüchteten
Cholerabakterien tödten die Tauben niemals bei einfacher Impfung,
sondern nur, wenn sie mit grösseren Mengen Bouillon intramuskulär
inficirt werden. Die Bouilloneinspritzung schädigt dabei das Muskel¬
gewebe und schafft so einen locus minoris resistentiae.
2. Es ist nicht möglich, auch durch eine sehr hohe Zahl von
Meerschweinchen- oder Taubenpassagen die Cholerabakterien so um¬
zuwandeln, dass sie wie der Vibrio Metschnikowi Tauben durch ein¬
fache Impffing tödten.
3. Die intramuskuläre Impfung der Tauben bleibt daher ein sehr
wesentlich differential-diagnostisches Merkmal zur Unterscheidung der
Cholera- und der Metschnikoffvibrionen.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Behring und Ransom, Choleragift und Choleraantitoxin. Aus der wissen¬
schaftlichen Versuchsstation der Höchster Farbwerke. (Deutsche med.
Wochenschr. 1895, Nr. 29.)
Ransom hat nach einem gemeinschaftlich mit Behring ent¬
worfenen Plane die in Halle im Kleinen begonnene Herstellung des
löslichen Choleragiftes und des specifischen Choleraantitoxins an grossen
Versuchsthieren in den Höchster Farbwerken fortgesetzt und ist dabei
zu folgenden Resultaten gekommen:
1. „Es ist möglich, eine von Bakterienleibern befreite Cholera-
culturflüssigkeit zu bekommen, welche specifisch-giftige Eigenschaften
besitzt.
Digitized by
Google
452
2. Die Krankheitserscheinungen, welche diese Flüssigkeit hervor¬
ruft, sind denjenigen ähnlich, welche der Einverleibung von lebenden
Choleravibrionen folgen.
3. Aus dieser Flüssigkeit kann man eine feste Substanz gewinnen,
deren Wirkung identisch ist mit der der Originalflüssigkeit.
4. Von choleraempfindlichen Thieren, welche mit dem Cholera¬
gift behandelt worden sind, kann man ein Serilm gewinnen, welches
sowohl gegenüber dem Choleragift, wie gegenüber den lebenden Cholera¬
vibrionen sich als wirksam erweist.“
D r ä e r (Königsberg i. Pr.).
Ueber Immunität gegen die Cholera. Von Dr. Claudio Fermi und Dr.
Angelo Salto. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof. Angelo Celli
Vol. VI, fase. I. 1896.
Um die Ursachen kennen zu lernen, welche die Ansteckung mit
Koch’sehen Choleravibrionen bei den sich refraetär zeigenden Thieren
verhindern und umgekehrt die Entwicklung derselben im menschlichen
Darme begünstigen, studirten die Experimentatoren folgende Verhält¬
nisse : Die Reaction des Darminhaltes, die letzteren zusammensetzenden
Substanzen, die Athmosphäre des Darmes, die Bakterienflora des Darmes
und die Schleimhaut des Darmes.
Sie kamen zu den Resultaten, dass die chemische Reaction des
Darminhaltes beim Menschen und Thiere nicht als Ursache der be¬
hinderten Entwicklung der Choleravibrionen anzunehmen sei. (Eine
starke Acidität ist ausgeschlossen.) Weder die Darmgase noch der
übrige aus den eingeführten Substanzen, den physiologischen Secreten
und den Stoflwechselproducten resultirende Darminhalt trägt ferner
zur Nichtentwicklung der Koch’sehen Vibrionen bei. Von der Darmflora
scheint nur das letztere Bacterium coli einen geringen antagonistischen
Einfluss auf letzteren auszuüben. Die Verfasser sind nicht der An¬
sicht, dass ein specifischer Pilz es sei (wie Metschnikoff annimmt),
welcher die Entwicklung der Vibrionen verhindere, sondern schreiben
der directen Einwirkung der Schleimhaut selbst einen entwicklungs¬
hemmenden Einfluss zu. — Als diese Ansicht unterstützend führen sie
die erfahrungsgemäss die Cholera begünstigenden Momente an, welche
«schwächend auf die Schleimhaut einwirken, wie bestimmte schwer ver¬
dauliche Speisen, Strapazen in heisser Jahreszeit, Erkältungen der
Unterleibsgegend, künstlich erzeugte Blutstasen in den Unterleibs-
gefässen, intraperitoneale Injectionen von Typhusgift etc.
San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
Inoculations against Cholera in Indla. (The Lancet 3764.)
Impfungen gegen Cholera sind in Indien in grossem Umfange von
Haffkin oder nach dessen Methode ausgeführt worden; der Erfolg dieser
Impfungen war ein verschiedener. In dem East Lancashire Regiment
Digitized by
Google
453
zu Lucknow erkrankten von 132 Geimpften 18 an Cholera, 13 von
diesen starben, von 640 Nichtgeimpften erkrankten 120 und starben
79, Die Impfungen waren von Haffkin 14 oder 15 Wochen vor Aus¬
bruch der Epidemie (Oct. 1894) vollzogen worden. Bei den Truppen
zu Cawnpore kamen unter 797 Nichtgeimpften 19 Choleraflfiile vor,
kein Fall dahingegen unter 75 Geimpften, und ähnlich war es beim
Manchester - Regiment in Dinapore. Im Gya - Gefängnis« wurde die
Hälfte der Gefangenen geimpft; von diesen erkrankten 8 und starben
5, während von den Nichtgeimpften 20 erkrankten und 10 starben.
36 Häuser in Calcutta mit 516 Einwohnern wurden von der Cholera
heimgesucht, 181 von diesen Personen wurden geimpft und 335 nicht.
Von ersteren erkrankten 4, die alle starben, von letzteren erkrankten
45 mit 35 Todesfällen. In einigen Theegärten in Assam kamen unter
5222 Nichtgeimpften 88 Erkrankungen mit 19 Todesfällen, unter 2741
Geimpften 5 Erkrankungen mit 3 Todesfällen vor. Pröbsting.
Reinoke (Hamburg), Zur Epidemiologie des Typhus in Hamburg und
Altona. Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1896, Heft 3.
Verfasser gelangt zu dem Resultat, dass der Typhus in Hamburg
aus sehr verschiedenen Quellen herstammt. Die verschiedenen Wege,
Auf denen die Möglichkeit einer Infection möglich ist, sind nach
Reineke folgende:
1. Einschleppung auf dem Seewege oder von der Oberelbe in den
Hamburger Hafen und Infection des Elbwassers vor der Stadt
durch die zugereisten Kranken.
2. Infection des Elbwassers durch Kranke in der Stadt, deren
Stuhlgänge undesinficirt durch die Siele dem Strome zugefflhrt
werden.
3. Infection von Schiffsinsassen auf dem Strome und von städtischen
Hafenarbeitern und Badenden durch das Elbwasser.
4. Infection der städtischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, welche
mit Elbwasser in Berührung gekommen sind (Fische, Gemüse,
Milch).
5. Infection der städtischen Bevölkerung durch das mittels der
Wasserkraft in die Stadt gepumpte unfiltrirte Elbwasser, bis zur
Eröffnung der Sandfiltration im Mai 1893.
6. Einschleppungen auf den verschiedenen Landwegen, sowohl durch
Eiranke, wie durch Nahrungsmittel (Milch, Gemüse, Austern).
7. Secundäre Herde verschiedener Generationen, innerhalb der Stadt
entstanden durch directe Uebertragung oder durch Infection von
Nahrungsmittel und Brunnen, besonders zahlreich in der zweiten
Hälfte der grossen Epidemien.
Reineke ist mit Pettenkofer vollkommen darin einig, dass das A
und fl aller Typhus- und Cholerabekämpfung die Assanirung der
Digitized by
Google
454
Städte durch Kanalisation und Wasserversorgung ist, bevor die Ein¬
schleppung erfolgt. Daneben hält er selbstverständlich alle anderen
Maassnahmen zur Verbesserung der Reinlichkeit in den Wohnungen
und Arbeitsstätten, in den Häusern und auf den Strassen und Alles,
was sonst individuelle Disposition abschwächen kann, als Theile der
gesammten Assanirung von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Bleibtreu (Köln).
Typhoid fever in Michigan. Twenty-first annual report of the secretary
of the state board of health of the state of Michigan. (Lansing, R. Schmith
& Co. 95.)
Der 21. Jahresbericht des Gesundheitsamtes von Michigan enthält
eine interessante Zusammenstellung der Wechselbeziehungen zwischen
Typhns-MorbidiUt
Grundwaaaer - - -
Digitized by v^ooQle
455
Typhuserkrankungen und Grundwasserstand in den 14 Jahren 1878
und 1888 — 92.
Wie aus beistehender Uebersicht und folgendem Diagramm hervor¬
geht, ist diese Beziehung eine sehr innige der Art, dass die Typhus¬
erkrankungen mit dem Steigen des Grundwassers ab- und mit dem
Fallen desselben zunehmen.
Januar
Februar
März
April
’5
^ 35
junp
Juli
00
1 §•
<
September
October
November
December
Durchschn. Höhe d.
Bodens über dem
Grund wasser in Zoll
214
| 209
205
197
197
199
214
221
226
231
228
225
Schwankungen in d.
Tiefe des Grund¬
wassers vom Maxi¬
mum .
1 17!
12
8
0
0
21
17
24
29
34
3i:
28
Morbidität an Typhus
in °/o d. Gesammt-
Wochenberichte . ,
10 1
8
6
4
5
5
7
13
19
21
18
13
Durchschn. Zahl der
Todesfälle an Ty¬
phus .
26
22
25
26
25
28
28
59
94
103
i
76
1
55
Noch deutlicher wird diese Beziehung durch nebenstehendes
Diagramm illustrirt.
In den Monaten April und Mai steht somit das Grundwasser am
höchsten und die Typhus-Morbidität ist am niedrigsten; in den Monaten
September, October und November ist es umgekehrt, das Grund wasser
steht am tiefsten und die Morbidität an Typhus ist am höchsten.
Pröbsting.
A. E. Wright and D. Semple, On the presence of typhoid baoilli in
the urine of patients suffering from typhoid fever. (The L&ncet 8752.)
Unter 7 Fällen von Typhus fanden die Verf. sechsmal Typhus-
Bacillen im Urin, während die Bacillen in den Faeces zumeist nicht
gefunden werden konnten. Es ergiebt sich daraus die praktische
Folgerung, dass in erster Linie der Urin von Typhuskranken aus¬
giebig zu desinficiren ist. Pröbsting.
Max Müller, Ueber den Einfluss von Fiebertemperaturen auf die
WaohsthumBgesohwindigkeit und die Virulens des TyphusbaciUus.
Zeitschrift für Hygiene, 1895, Bd. XX, Heft 2.
Seit langer Zeit ist schon in der Medicin die Anschauung ver¬
treten worden, dass das bei Infectionskrankheiten auftretende Fieber
Centralblatt f. tilg. Gesundheitspflege. XV. J&hrg. 32
Digitized by v^ooQle
456
einen für den Organismus heilsamen Vorgang darstellt, und auch heute
noch hat diese Auffassung zahlreiche Anhänger, indem man sich vor¬
stellt, dass das Fieber den Organismus entweder widerstandsfähiger
gegen den Infectionsprocess macht oder die Krankheitserreger direct
schädige. Bekämpft werde diese Ansicht vom Fieber erst in neuerer
Zeit und zwar vor Allen von Liebermeister, der sich dahin ausgesprochen
hat, dass die fieberhafte Temperatursteigerung an sich in vielen Fällen
eine grosse Gefahr für den Organismus darstellt und dass man durch
die Antipyrese, sei es in Form der verschiedenen hydro-therapeutischen
Proceduren oder durch medikamentöse Mittel, den Krankheitsprocess
entschieden günstig beeinflussen kann.
Nachdem der Verfasser nun an der Hand der umfangreichen
Literatur gesucht hat, was sich für diese Auffassung des Fiebers als
eines HeilungsVorgangs aus exacten wissenschaftlichen Untersuchungen
beibringen lässt, stellt er sich als eigentliche Aufgabe die Entscheidung
der bisher noch gar nicht bearbeiteten Frage, ob sich ausserhalb
des Organismus ein schädigender Einfluss der Fiebertemperatur auf
die Vermehrungsgeschwindigkeit oder die Virulenz pathogener Bak¬
terien nachweisen lässt und wählte zu seinen Versuchen speciell den
Typhusbacillus. Aus seinen Versuchen ergiebt sich nun als durch¬
schnittliche Länge der Generationsdauer
bei 37,5 bis 38,1° C. 32,02 Minuten,
n 39,7 , 40,4» C. 37,02
d. h. der Typhusbacillus braucht bei etwa 40° C. ca. 5 Minuten länger
Zeit für die Entstehung einer neuen Generation, als bei 37,5 bis
38,0 0 C., mit anderen Worten : eine ungehinderte Fortpflanzung vor¬
ausgesetzt, würden im Laufe eines Tages bei der menschlichen Normal¬
temperatur etwa 45, bei ca. 40° C. etwa 39 Generationen aus einem
Bacillus hervorgehen.
Eine Temperatur von 40 0 C. ist also nicht im Stande, den Typhus¬
bacillus zu vernichten oder wesentlich in seinem Wachsthum zu be¬
einträchtigen.
Selbst die höchsten bei Menschen vorkommenden Temperaturen
von 41,5 bis 42,0° C. vermögen selbst bei 62tägigem Aufenthalt der
Culturen in den Thermostaten nicht die Typhusbacillen abzutödten,
sondern es entwickeln sich durch Plattenculturen noch vollständig
lebenskräftige und fortpflanzungsfähige Bacillen.
Erst eine Temperatur von 44,5 0 C. ist im Stande, bei längerer
Einwirkung eine grössere Menge von Typhusbacillen abzutödten.
Es ist also durch diese Untersuchungen der Nachweis geliefert,
dass der rein physikalische Charakter der erhöhten Temperatur in
den Graden, wie sie bei Typhusfieber zur Beobachtung kommen, einen
abtödtenden Einfluss auf den Typhusbacillus nicht ausüben kann.
Durch besondere Versuche wurde ebenfalls nachgewiesen, dass sich
Digitized by
Google
457
kein sicherer Unterschied in der Virulenz der Typhusbacillen ergab,
mochten auf dieselben Temperaturen von 40° oder von 37° C. ein¬
gewirkt haben. B1 e i b t r e u (Köln).
Piorkowski, Ueber die Einwanderung des Typhusbacillus in das
Hühnerei (Archiv für Hygiene, Band XXV, S. 145—153.)
Nachdem von verschiedenen Untersuchern die Frage nach dem
Einwanderungsvermögen von Choleravibrionen und verschiedenen sapro-
phytischen Pilzen in das Hühnerei bejahend beantwortet war, unter¬
nahm es Piorkowski, diese Frage auch für Typhusbacillen zu be¬
antworten. Da die Versuche auf die hierfür allgemein übliche Weise
angestellt wurden, unterlasse ich es, auf die Versuchsanordnung näher
einzugehen und beschränke mich auf die Wiedergabe der Resultate.
P. fand, dass auch dem Typhusbacillus — wie ja vorauszusehen
war — die Fähigkeit zukommt, unter geeigneten Bedingungen die un¬
verletzte Schale des Hühnereies zu durchwandern und in das Innere
des Eies einzudringen. Diese Durchwanderung ging am besten bei
einer Temperatur von 28—37° vor sich, wenigstens besser als bei
21° C. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Elsner, Untersuchungen über eleotives Wachs thum der Baoterium coli-
Arten und des Typhusbacillua und dessen diagnostische Verwerth-
barkeit. (Aus dem Institut für Infectionskrankheiten zu Berlin.) Zeitschr.
für Hygiene Bd. XXI, S. 25—31.
Die ganz ausserordentlichen Schwierigkeiten, welche die Unter¬
suchung von angeblich Typhusbacillen enthaltendem Material trotz
der enormen Menge von Arbeiten über diesen Gegenstand noch immer
darbietet, veranlassten den Verfasser, sich mit der Herstellung eines
Nährbodens für Typhusbacillen zu beschäftigen, welcher die anderen
Bakterien aus Bakteriengemischen, vor Allem die schnell wachsenden
und die Gelatine verflüssigenden Bakterien und die Gruppe der
Bacterium coli-Arten in ihrem Wachsthum hemmt, den Typhusbacillen
dagegen günstige Bedingungen für das Wachsthum darbieten sollte.
Verfasser giebt nun an, einen solchen Nährboden in einer säuern
mit Jodkali versetzten Kartoffelgelatine gefunden zu haben.
Auf dieser Gelatine sollen die meisten der in Schmutzwässern etc.
vorkommenden, grossentheils verflüssigenden Bakterienarten nicht ge¬
deihen, dagegen die Bacterium coli-Arten und vor Allem der Typhus¬
bacillus, und zwar letzterer in einer von dem Bacterium coli
äusserst leicht zu unterscheidenden Art und Weise.
(Weitere Mittheilungen über diesen Gegenstand werden noch ab¬
zuwarten sein, bevor man die Zuverlässigkeit dieses vom Verf. übrigens
sehr ungenau beschriebenen Nährbodens als sicher annehmen kann. Ref.)
Dräer (Königsberg i. Pr.).
32*
Digitized by ^.ooQle
458
Dr. A. Blaschko, Die Lepra im Kreise Memel. Berliner klin. Wochen¬
schrift 1896. Nr. 20.
In früheren Jahrhunderten war die Lepra in Deutschland stark
verbreitet, zumal im 13. und 14. Jahrhundert. Seit der Reformations¬
zeit aber war der Aussatz so gut wie erloschen. In neuerer Zeit sah
man nur vereinzelte Fälle von Deutschen und Fremden, die mit dem
Aussatz behaftet zu uns kamen. Da entdeckte im Jahre 1884
Dr. Fürst einen Kranken in Memel, dessen Bruder später ebenfalls
von Lepra befallen wurde. Im Jahre 1893 berichtete Dr. Pindikowski
(Memel) *) über 9 Leprakranke aus dem dortigen Kreise; ausser diesen
waren 4 Lepröse in den letzten Jahren bereits verstorben. In den
russischen Ostseeprovinzen hatte die Krankheit in den letzten Jahr¬
zehnten beständig zugenommen; gleichwohl lehnten Pindikowski sowie
spätere Berichterstatter die Annahme einer Einschleppung aus Russland
ab, da ein Verkehr nicht nachgewiesen schien.
Dr. A. Blaschko berichtet nun über die Ergebnisse seiner an
Ort und Stelle mit Unterstützung der Behörden und der Aerzte aus¬
geführten Nachforschungen.
Der Verfasser beschreibt (zutreffend. Ref.) die traurigen Lebens¬
verhältnisse der preussisch-litauisehen Landbevölkerung, ihre Armuth,
die schlechten Wohnungen, die schlechte Nahrung, den Missbrauch
des Alkohols (und des Aethers). „Krankheiten achtet der Litauer sehr
wenig, und den Arzt konsultirt er nur im äussersten Nothfalle; die
meisten sterben, ohne je in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein.
Auch die Furcht vor ansteckenden Krankheiten scheint sehr gering zu
sein. So herrscht sei Jahren das Trachom (ansteckende
Bindehaut-Entzündungen) in erschreckendem Maasse. Auch die Mortalität
der Kinder ist sehr erheblich.“
Seit Dr. F ti r s t ’ s erster Beobachtung waren im Ganzen 20 Lepra-
Fälle bekannt geworden; 13 Kranke waren gestorben; 7 leben noch.
Dr. Blaschko fand 2 neue Fälle auf; auch ist nicht auszuschliessen,
dass noch mehr Kranke vorhanden sein mögen.
Räumlich bilden diese 22 Aussatzfälle drei Hauptherde, von
denen der eine nördlich und südlich von der Stadt Memel — an der
Ostsee und am Haff, die beiden andern in der nordöstlichen und in
der südöstlichen Ecke des Kreises — hart an der russischen Grenze
liegen.
Der erste Fall dieser Epidemie entwickelte sich wohl in der
Mitte der 70er Jahre; kein Fall ist ganz frisch, d. h. in den letzten
2 Jahren hinzugekommen.
Unter den 22 Kranken waren 11 Männer, 11 Frauen, darunter
ein Knabe von 13 Jahren, der seit längerer Zeit krank ist; ferner ein
*) Mittheilungen über eine in Deutschland bestehende Lepra-Endemie.
Deutsche medicin. Wochenschrift 1893. Nr. 40.
Digitized by ^.ooQle
459
Greis von 76 Jahren; dazwischen sind alle Altersstufen gleichmässig
vertreten.
Mehrfach kamen mehrere Fälle in je einer Familie vor. Dass
die Ansteckung nicht in viel ausgedehnterem Grade stattgefunden, ist
um so bemerkenswerther, als nicht die geringste Vorsicht beobachtet
wird. Auch Blaschko nimmt an, dass die Mehrzahl der Menschen
gegen den Leprabacillus offenbar völlig immun und nur eine kleine
Minderheit von besonders Disponirten empfänglich ist. Daher die
häufigere Uebertragung auf Blutsverwandte (Kinder, Geschwister) als
auf den andern Ehegatten. Daher das überaus langsame Vorwärts¬
schreiten der Seuche.
In klinischer Beziehung zeigten die Memeler Fälle die ganze
Vielgestaltigkeit des Krankheitsbildes; die von Blaschko neu be¬
schriebenen Fälle gehören der schwerer zu erkennenden „anästhetischen“
Form an, während die bisher bekannten „tuberös“ waren.
Verfasser nimmt an, dass die Lepra durch den Grenzverkehr aus
Russland eingeschleppt wurde. Man hätte an den Verkehr zu Wasser
— auf der Memel — denken können. Aber weder im Kreise Tilsit
noch im Kreise Heydekrug sind je Lepra-Fälle vorgekommen. Dagegen
konnte Verfasser bald feststellen, dass entgegen der bisherigen An¬
nahme die angrenzenden Teile von Russisch-Litauen und Kurland
keineswegs frei von Lepra sind. Von andern dies beweisenden Mit¬
theilungen abgesehen, fand Dr. Blaschko in Russisch-Krottingen (hart
an der Grenze) einen Leprakranken; und Dr. Aronsohn in Garsden
(in Russland, hart an der preussischen Grenze) berichtete Uber vier
Leprakranke, von denen einer schon aus 1870 stammt. Längs der
Grenze besteht hier ein reger Verkehr zwischen den beiden Ländern,
der als Ursache der Uebertragungen anzusehen ist, wenn sich dies im
Einzelnen auch nicht feststellen liess; der Beginn der Krankheit zeigt
sich hiefür zu unbestimmt und verräth sich oft erst viele Monate, selbst
Jahre nach der eigentlichen Infection. Für Russland selbst ist durch
v. Petersen überzeugend nachgewiesen, dass die Lepra von ihren
beiden Hauptherden, Astrachan im Süden und Livland im Norden,
allmählich immer weiter nach der Peripherie fortschreitet. Die
Epidemie im Kreise Memel ist lediglich als der bisher
letzte Ausläufer der russischen nördlichen Epidemie
zu betrachten.
Eine fernere Verbreitung im Kreise Memel wie in die Nachbar¬
kreise ist recht wohl möglich, sowie auch die gelegentliche Ver¬
schleppung der Krankheit nach dem übrigen Deutschland.
Verfasser empfiehlt, die Gesammtbevölkerung des
Kreises von einem hinlänglich vorbereiteten Arzte auf Lepra (gleich¬
zeitig auf Trachom) untersuchen, die verdächtig Befundenen auch
später wiederholt besichtigen zu lassen. Alle aus Russland ein-
Digitized by ^.ooQle
460
wandernden Personen, sowie alle Deutsche, die sich mehr als vier
Wochen in Russland aufgehalten, sollten auf ihren Gesundheitszustand
geprüft werden.
Die Kranken sollten in angemessenerWeise abgesondert werden«
Die Ansteckung ist nach Verfasser zu verhüten, insofern es gelingt,
die Entstehung offener Wunden bei den Kranken hintanzuhalten, jede
absondernde Flüche mit einem Verbände abzuschliessen und das Nasen-
und Rachensecret der Kranken auf eine geeignete Weise unschädlich
zu machen. Leproserien nach Art der mittelalterlichen
mit lebenslänglicher Abschliessung der Kranken von
der Aussenwelt bezeichnet Dr. Blaschko als eine unnütze Grausam¬
keit. Er empfiehlt, in der Nähe der Stadt Memel eine kleine Kolonie
anzulegen, in der die arbeitsfähigen Leprösen mit Acker- und Garten¬
bau beschäftigt werden könnten und für die Schwerkranken eine
Krankenstation enthalten sein müsste.
Das Beispiel der russischen Ostseeprovinzen sollte doch warnen.
Schon zählt man in den Provinzen Livland und Kurland kaum weniger
als 1000 Leprakranke, und es ist fraglich, ob es dort noch möglich
ist, die Krankheit einzudämmen. Um so dringlicher sind zeitige Vor-
sichtsmassregeln für Preussen.
(Bekanntlich hat kürzlich im Aufträge der Staatsregierung Ge¬
heimrath Koch im Kreise Memel Nachforschungen angestellt, um
Maassregeln gegen die Lepra zu empfehlen.) • W.
J. Goldschmidt, An acute epizcotic and epldemic outbreak of hydro-
phobia at Madeira. (The Lancet 3690.)
Im Juni 1892 brach in Madera eine ausgedehnte Hundswuth-
Epidemie aus, der auch neun Menschenleben zum Opfer fielen. Die
durchschnittliche Incubationszeit betrug bei Menschen zwischen 40—60
Tage. Die. ersten Gebissenen, welche an der Krankheit starben, zwei
Kinder, erlagen etwa drei Monate nach dem Auftreten der Krankheit
unter den Hunden. Die Incubation betrug bei diesen Beiden 38 und
40 Tage, die Krankheitsdauer 3 und 4 Tage. Schon vorher waren
zahlreiche Personen gebissen, ohne jedoch zu erkranken, wohl ein Beleg
für die herrschende Ansicht, dafs das Hundswuthgift erst mehrere Hunde
durchlaufen mufs, ehe es den Virulenzgrad erreicht, um den Menschen
zu schädigen. Bei allen Hunden ergab die Section acute Gastroenteritis,
Peritonitis und allgemeine Entzündung der Bauchorgane.
Ein Hund mit deutlich ausgeprägten, unzweifelhaften Symptomen
der Lyssa genas nach mehreren Monaten völlig von der Krankheit.
Pröbsting.
Chalmers, .Return“ oases of scarlet fever. (The Lancet 3474.)
Unter return cases of scarlet fever versteht Verf. Scharlach¬
erkrankungen, die in einem Hause vorfallen, nachdem ein aus einem
Digitized by v^ooQle
461
Spital entlassener Scharlach-Reconvalescent in das Haus zuriickgekehrt
ist. Die Untersuchungen sind in Glasgow angestellt und beziehen sich
auf 8700 Scharlachkranke, die als gesund aus den Krankenhäusern
entlassen wurden. In 99 Fällen kam es zu einer neuen Scharlach¬
erkrankung in den Häusern, in welche die Entlassenen zurtickgekehrt
waren. Ueber die zeitliche Folge der zweiten Scharlacherkrankung
nach der Entlassung des ersten Kranken giebt folgende Tabelle Aus¬
kunft :
Erste Woche 1
Zweite Woche 1
Dritte Woche 1
Vierte Woche
U 1
©
'fl bC |
a 1
S & i
u
o
'fl bO
fl
u ©
© b©
©
'fl U)
fl
U ©
© U)
»4
©
'fl bo
fl
©
® bo
.fl fl 1
1 'A fl
M §
ns fl
M fl
'fl fl
TS fl
o So
cfl 3
fl jä
® 'S
ff w 1
S 1
1 -fl -a
es fl
(9 fl
fl *-
< *
fl s
fl fl
SPiS -
. fl
2 M
00 5
1 ^ %
$ §
q _a
« 'S
Spw
31 -
II
s i
c ja
__ fl
11
2 u
< %
Eh
W
Eh
w
Eh
W
Eh
M
1
8
10
15
2
2
6 1
9
2
16
1
—
—
3
13
10
9
17
1
—
—
4
15
11
3
18
2
—
—
5
10
12
1
19
1
—
—
6
10
13
4
20
1
—
—
7
7
14
j
21
—
28
1
—
61
i -
29
— |
8
1
Die Kranken blieben mindestens 7—8 Wochen nach Ausbruch
der Krankheit in den Spitälern, sehr häufig aber auch länger. Bei der
Entlassung wurden die Reconvalescenten gebadet und in desinficirte
Kleider gekleidet. Pröbsting.
A. La voran, De l’emploi preventif de la quinine oontre le paludisme.
(Revue d’Hygi&ne T. XVIII. Nr. 8.)
Nach Würdigung der umfangreichen Literatur kommt Verf. zu dem
Schluss, dass kleine Chiningaben ein ausgezeichnetes Mittel zur Ver¬
hütung des Sumpffiebers sind. Man giebt entweder 0,2—0,3 gr schwefel¬
saures Chinin Jäglich oder 0,4—0,6 gr alle zwei Tage, letzteres dort,
wo die endemische Malaria einen bösartigen Charakter hat. Am besten
wird das Chinin in Wein aufgelöst genommen. Das Chininum sulfuricum
ist im Allgemeinen den anderen Chininsalzen vorzuziehen; Arsenik,
mit dem man in Italien umfangreiche Versuche anstellte, hat sich in
der Prophylaxe des Sumpffiebers nicht bewährt. Pröbsting.
J. Korösi f Die Pockenstatistik der österreichischen Staatsbahngesell¬
schaft. Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1896, Heft 3.
Korösi weist in diesem auf der Wiener Versammlung des
deutschen Naturforschertages im Jahre 1894 gehaltenen Vortrage unter
Digitized by ^.ooQle
462
Vorbringung überzeugenden Beweismaterials nach, dass die von den
Impfgegnern so sehr geschätzte Pockenstatistik der österreichischen
Staatseisenbahngesellschaft von Dr. Leander Keller in den Jahren 1872,
1873 und 1874 in tendenziöserWeise gefälscht worden ist. Der Werth
dieser Statistik wurde von den Impfgegnern besonders desshalb hoch
angeschlagen, weil sie dieselbe für die erste nach Altersklassen ab¬
gestufte Pockenstatistik hielten, und weil sich ergeben hatte, dass
in einigen Altersklassen die Geimpften sogar eine grössere Letalität
als die Ungeimpften aufwiesen. Es hatte also nach dieser Statistik,
die scheinbar auf das Sorgfältigste angefertigt war, den Anschein, dass
die Impfung im besten Falle nichts nütze, die Revaccination aber ent¬
schieden schade. Korösi hat nun keine Mühe gescheut, sich in den
Besitz von Duplicaten oder Originalberichten von den Streckenärzten
zu setzen. Er wurde in diesen Bemühungen von dem Präsidenten der
Staatseisenbahngesellschaft, Herrn v. Taussig, in der entgegenkommendsten
Weise unterstützt. Besonders werthvoll war es für den Nachweis der
Keller’sehen Fälschungen, dass das verloren geglaubte Actenmaterial
des Jahren 1872 von dem gegenwärtigen Chefarzt der Staatseisenbahn¬
gesellschaft, Dr. Stöhr, im Staatsbahnarchiv entdeckt wurde, wodurch
die Möglichkeit geboten wurde, die Art und Weise festzustellen, wie
Keller seine Statistik herstellte und fälschte. Die von Stöhr auf Grund
des Actenmaterials angefertigte amtliche Statistik gelangt nun ent¬
schieden zu impffreundlichen Ergebnissen, indem die Geimpften gegen
die Gefahr, an Pocken zu sterben, zweimal stärker waren als die Un¬
geimpften. Bleibtreu (Köln).
Small pox in Massachusetts. Twenty-sixth annual report of the state board
of health of Massachusetts. (Boston, Wright & Potter Printing Co. 1895.)
Massachusetts wurde in den Jahren 1893 und 1894 von einer
Blättern-Epidemie heimgesucht, bei welcher im Ganzen 229 Erkrankungen
beobachtet wurden. An diese Mittheilung werden einige Bemerkungen
über Blattererkrankungen und Blatterimpfung geknüpft, die von allge¬
meinem Interesse sind.
In den 20 Jahren von 1855—74 kamen in Massachusetts 4231
Todesfälle an Blattern vor, gleich 0,83 °/o der Gesammtsterblichkeit
und 1,6 auf 10 000 der Bevölkerung. In den folgenden 20 Jahren
von 1875—94 wurden nur 317 Blattemtodesfälle beobachtet, gleich
0,04 °/o der Gesammtsterblichkeit und 0,08 auf 10 000 der Be¬
völkerung.
Ueber die Sterblichkeit an Blattern in den einzelnen Lebensaltern
besitzen wir aus der Zeit vor Einführung der Impfung nur sehr spär¬
liche zuverlässige Aufzeichnungen. Die besten aus Genf für die Zeit
von 1580—1760 und aus einer schottischen Stadt, Ealmarnock, für die
Jahre 1728—64. Vergleichen wir diese Aufzeichnungen mit der Pocken -
Statistik für Massachusetts (1861—93), so finden wir:
Digitized by
Google
463
Mortalität an Pocken nach Altersperioden. Auf 1000 Pockentodesfftlle
kamen:
Alter
Genf
Kilmarnock
Massachusetts
1580-1760
1728 -64
1861-93
Unter 5 Jahren . . .
805,5
942
327
5-10 , ...
155,5
34
69
10—20 „ ...
26,5
5
118
20-30 „ ...
10
5
265
30-40 * ...
!; 2,5 j
—
101
40 und mehr.
—
107
Unbekannt .
I
14
13
iooo ;
; ' 1
1000
1000
Seit Einführung der Impfung hat somit eine ganz erhebliche Ver¬
schiebung der Pockensterblichkeit zu Gunsten der Kinder unter zehn
Jahren stattgefunden, die wohl nur durch die allgemeine Anwendung
der Impfung zu erklären ist.
Was die Sterblichkeit an Blattern unter den Geimpften und Nicht¬
geimpften angeht, so giebt uns darüber folgende Tabelle, die sich auf
die 7 Jahre 1888—94 bezieht, Auskunft.
Alter
Geimpfte
Ungeimpfte |
Zweifelhaft
Erkrankt
Gestorben
Erkrankt
Gestorben
Erkrankt
Gestorben
0—1 Jahr.
_
17
9
_
1-5 „.
4
36
6
—
5-10 „.
1
—
17
—
—
10-15 „.
13
—
6
—
2
_
15-20 „.
17
1
18
4
6
2
20-30 „.
51
3
33
10
12
4
30-40 „.
16
3
15
5
1
1
40—50 ..
16
1
3
2
3
—
Ueber 50 Jahre ....
9
—
—
—
3
1
Alter unbekannt . . .
! 3
i
—
1
1 —
4
—
130
1 8
| 146
36 |
31 j
i 8
Bemerkenswerth ist an diesem Nachweis besonders die Thatsache,
dass bei Kindern unter einem Jahre überhaupt keine Erkrankung, und
bei solchen unter 15 Jahren kein Todesfall an Pocken beobachtet
wurde. Pröbsting.
Digitized by v^ooQle
464
Leeds urb&n sanitary district. (The Lancet. 8740 )
Im Jahre 1893 wurden im Pockenspital zu Leeds 586 Pockenfklle
behandelt. Die Sterblichkeit war in Bezug auf die Zahl der Impf¬
narben folgendermaassen:
Erkrankungen
Todesfälle
Mortalität
6 Narben. . .
3
_
_
5 » • • -
2
—
—
4 „ . . .
89
—
—
3 „ ...
144
3
2,0 %
2 „ . . .
184
4
2,1 °/o
1 Narbe . . .
78
6
7,8 °/o
Keine Narben .
88
17
19,3 °/o
Pröbsting.
Small-pox in Manchester in 1892—1894. (The Lancet 3765.)
Der Bericht umfasst 99 Fälle. Die Sterblichkeit bei den Ge¬
impften betrug 4,04 °/o, bei den Nichtgeimpften 26,47 °/o und bei den
Zweifelhaften 14,21 °/o. Von den Geimpften unter 15 Jahren starb
keiner, unter den Nichtgeimpften betrug die Sterblichkeit von 0—5
Jahren 32 °/o, von 5—15 Jahren 20 °/o. Von 15—25 Jahren war
die Sterblichkeit bei den Geimpften 0,76 °/o, bei den Nichtgeimpften
21,74 °/o; von 25—45 Jahren waren die Procentsätze 6,16 und 31,25
und von 45—65 Jahren 9,23 und 100,0 (nur 2 Fälle).
Pröbsting.
Küttner, Ueber einen neuen, beim Menschen gefundenen Eitererreger.
[Aus dem hygien. Institut zu Kiel.] (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. XIX,
p. 263—290.)
In dem Eiter eines Bauchdeckenabscesses, welcher in der Kieler
Frauenklinik zur Beobachtung kam, wurde ein dem Bacterium coli
(dem ständigen Bewohner des menschlichen Darmcanals) ähnlicher,
lebhaft beweglicher Eitererreger gefunden, welchen Küttner des Ge¬
naueren in seinem morphologischen und kulturellen Verhalten und in
seinem Verhalten gegenüber Versuchsthieren beschreibt.
Der Mikroorganismus ist ein reiner Eitererreger und als solcher
für Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen und Tauben von der Blut¬
bahn aus und von den serösen Höhlen des Körpers tödtlich. Bei Ein¬
verleibung des Bacillus unter die Haut oder in das Muskelgewebe
kommt es zur Eiterung, welche auch meist mit dem Tode des Ver¬
suchstieres endet.
Der Bacillus bildet giftige Stoffwechselprodncte, welche in grösseren
Dosen Mäuse zu tödten vermögen.
Digitized by v^ooQle
465
Von ähnlichen Bakterien, vornehmlich dem Bacterium coli
commune, ist er durch die possitiv ausfallende Nitrosoindol-
reaction, welche ausser dem Choleravibrio und einigen anderen
Wasservibrionen nur noch sehr wenige Bacillen geben, leicht za
unterscheiden. Dr. Dräer (Königsberg i. Pr.).
Petruschky, Untersuchungen über Infection mit pyogenen Kokken.
Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, Bd. XVIII, Heft III,
8. 418-441.
Die Zusammenfassung der Ergebnisse der in dieser Arbeit ge¬
schilderten zahlreichen Versuche lautet:
1. Es giebt reine Streptokokkeninfectionen, bei denen im directen
Anschluss an einen primären Eiterungsprocess ein echtes Erysipel sich
entwickelt; die Streptokokken des Erysipels zeigen dabei denselben
Virulenzgrad wie die des Eiterherdes.
2. Es giebt umgekehrt Eiterungsprocesse, welche im Anschluss an
ein primäres Erysipel subcutan entstehen und von den gleichen Strepto¬
kokken verursacht werden.
3. Erysipel am Kaninchenohr kann durch Streptokokken sehr
verschiedener Herkunft (Abscesse, Puerperalfieber, Pleuritis) erzeugt
werden, falls die Virulenz der Streptokokken eine geeignete ist.
4. Alle durch Streptokokken bedingten Krankheitsprocesse haben
die gemeinsame Neigung, eine stark remittirende (zackige) Temperatur-
curve zu liefern. Mastbaum (Köln).
Microbea on money. (The Lancet 3759.)
Im Militär - Krankenhaus von Dey in Algier wurden von Dr.
H. Vincent zahlreiche Untersuchungen über Mikroorganismen auf Geld¬
stücken angestellt. Die Zahl solcher Bakterien war eine sehr grosse,
schwankte aber in weiten Grenzen, auf Gold- und Silbermünzen wurden
von 460 bis 3500 und auf Kupfermünzen noch mehr gefunden. Von
den Versuchsthieren, bei welchen Injectionen mit solchen Bakterien
angestellt wurden, starb oder erkrankte heftig der zehnte Theil, in
einem Falle entstand Tuberkulose. Weitere Experimente zeigten nun,
dass die Münzen in sich eine gewisse antiseptische Kraft haben, indem
pathologische Keime auf Münzen bald absterben. Die Zeit, in welcher
das Absterben erfolgt, variirt nach der Temperatur und nach dem
Metall. Bei einer Temperatur von etwa 36 0 C. gingen viele pathogene
Mikroorganismen schon in weniger als 6 Stunden zu Grunde. Die
Diphtherie-Bacillen gehören zu den widerstandsfähigsten; goldene Münzen
haben eine geringere antiseptische Kraft als silberne und bronzene
Münzen. Pröbsting.
Digitized by ^.ooQle
466
Ueber die Wirkung der putriden Gifte auf den thierisehen Organismus.
Von Dr. Bernardo Frisco. Annali d’Igiene sperimentale, dir. dal Prof.
Angelo Celli. Yol. Y, fase. IV. 1895.
Putride organische thierische (Fleischinfus) und pflanzliche (Mais-
infus) Gifte wurden den Versuchsthieren auf die verschiedenste Weise
beigebracht. Aus den Versuchen ergaben sich folgende Schluss¬
folgerungen :
1. Die Anwesenheit putrider Gifte im Organismus ist im Stande,
folgende Verhältnisse zu erzeugen: Erhöhung der Temperatur,
Verminderung des Gewichts, Veränderungen im Magen-Darmkanal,
theilweise Zerstörung der rothen Blutkörperchen und Störungen
des Stoffwechsels, sowie auch häufig ein Eindringen der Bakterien
aus dem Darmkanal ins Blut.
2. Auf welchem Wege auch immer die Stoffe in den Körper ge¬
langen, constant und vorzugsweise sind es Läsionen des Gastro-
iutestinalsclilauches, die sie erzeugen.
3. Nicht nur die organischen Infuse von thierisehen Stoffen sind im
Stande, derartige Störungen zu erzeugen, sondern auch vegetabi¬
lische aus Mais. Letztere rufen auch wirkliche Convulsionen
der Versuchsthiere hervor.
4. Die wiederholte Beibringung der putriden Gifte in refracta dosi
vermag sowohl die Versuchsthiere gegen dieselben Gifte zu
immunisiren, als auch ihren Tod herbeizuführen unter allen
Symptomen einer wahren Kachexie (auch nach Einführung kleiner
Dosen).
5. Bei mehr erhöhten Dosen und leerem Magen kann auch die
Zuführung per os Intoxikationserscheinungen hervorrufen, die
sich unter den oben genannten Symptomen offenbaren.
6. Es ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die constant sich
findende Läsion des Gastrointestinalkanals, welche durch die
putriden Gifte erzeugt wird, einen Zustand veranlasst, welcher
die Disposition abgiebt für die Entwicklung der specifischen In-
fectionsprocesse, welche von da aus ihren Ausgang nehmen.
San.-Rath Dr. Hensgen (Siegen).
Scheurlen, Zur Beurtheilung der antiseptisehen Salben. (Archiv f.
Hygiene 1896, Bd. XXV, S. 373-391.)
Koch hatte durch eingehende Untersuchungen festgestellt, dass
dem Carbolöl keine antiseptische Kraft innewohne, und hatte daher
auch alle andern antiseptischen Oele und Salben aus der chirurgischen
Praxis verbannt. Da Scheurlen nun bei seinen Untersuchungen
Über Saprol (Archiv f. Hygiene, Bd. 18 u. 19) die Erfahrung ge¬
macht hatte, dass phenolhaltige Oele einen sehr bemerkenswerthen
Desinfectionseffect zu erzielen im Stande sind, dadurch, dass sie an
Digitized by
Google
467
ihre wässrige Umgebung Phenol in genügender Menge abgeben, unter¬
nahm er es, dieser Angelegenheit noch einmal näher zu treten, in der
Voraussetzung, dass die verschiedenen Oele sich hierbei verschieden
verhalten könnten.
Scheurlen prüfte nun das Phenol-Abspaltungsvermögen ver¬
schiedener, mit Carbolsäure resp. o-Kresol und m-Kresol versetzter
Oele und Salbenconstituentien, und zwar: Gelböl, Paraffmum liquidum,
Harzöl, russisches Mineralöl, Mohnöl, Rüböl, Sesamöl, Olivenöl, Erd¬
nussöl, Ricinusöl, Cocosöl, Cacaobutter, Lanolin-Liebreich, Lanolinnm
anhydricum und Vaselin.
Er konnte dabei constatiren, dass die Carbolabgabe der einzelnen
Oele eine ganz verschiedene ist. Während Gelböl 86°/o und Paraffinnm
liquidum 50°/o ihres Carbolgehaltes in kurzer Zeit abgaben, gab
Olivenöl in ungefähr derselben Zeit nur 86 %, die beiden Lanoline
nur 14 und 11,2% ab und Vaselin gar nur 2,8%.
Aehnlich waren die Resultate bei der Verwendung kresolhaltiger
Oele und Salben.
Scheurlen schliesst daraus: je geringer das specifische Gewicht
eines Oeles, bezw. je grösser die Differenz zwischen seinem specifischen
Gewicht und dem des Carbois ist, desto leichter giebt das Oel Carbol
an Wasser ab.
Nach seinem Dafürhalten soll man also ruhig wieder — besonders
für die kleine ambulante Chirurgie — zur Verwendung von Salben
schreiten, wenn man nur bei der Wahl des Constituens vorsichtig ist.
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Breslauer, Ueber die antibakterielle Wirkung der Salben mit besonderer
Berücksichtigung des Einflusses der Constituentien auf den Des-
infectionswerth. Aus der dermatologischen Klinik zu Breslau. (Zeitschr.
f. Hygiene. XX, S. 165—197.)
Da die gebräuchlichsten Desinfectionsmittel nach den Unter¬
suchungen R. Koch’s ihre desinficirenden Eigenschaften einbüssen,
sobald sie in Oel gelöst sind, ihr Verhalten in Salbenconstituentien
aber noch nicht einwandsfrei geprüft worden ist, trotzdem hier viel¬
leicht ähnliche Resultate zu erwarten waren, so unternahm Verfasser
es, diese Aufgabe zu lösen.
Er prüfte dabei — den Gang der Untersuchung hier zu be¬
schreiben, würde zu weit führen — die verschiedensten und gebräuch¬
lichsten Salbenconstituentien, welche mit den für Salben gebräuchlich¬
sten Desinfectionsmitteln versetzt waren, und kam zu dem Resultate,
dass das gewöhnliche officinelle Lanolin (welches ca. 20% Wasser
enthält) und Unguentum leniens, im Publicum unter dem Namen
„Coldcream“ besser bekannt, in Verbindung mit Disinfections-
mitteln bei Weitem den grössten Desinfeetionswerth besitzen, dass da-
Digitized by
Google
468
gegen Vaseline, Schweinefett und besonders 01 ivenö 1 die Des-
infectionskraft einer Salbe auf ein Minimum herabdrücken«
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Walter, Zur Bedeutung des Formalins, bezw. Formaldehyds als Des-
infectionsmittel. Aus der hygien. chem. Untersuchungsstation des X. Armee-
Corps. (Zeitschr. f. Hygiene 1896. Bd. 21.)
Verf. prüfte die Desinfectionskraft des Formalins in Lösung und
Dampfform, sowie der Formaldehyddämpfe gegenüber verschiedenen
Desinfectionsobjecten in der allgemein üblichen Weise und kam dabei
zu folgenden Resultaten:
1. Formalin macht in Concentrationen von 1 : 10 000 für Milz¬
brand, Cholera, Typhus, Staphylococcus pyogenes aureus und Diphtherie
jedes Wachsthum unmöglich.
2. Als Gas hemmt es bereits in starker Verdünnung das Wachs¬
thum.
3. Fs tödtet in einprocentigen Lösungen Reinculturen pathogener
Keime in einer Stunde ab. In verdünnten alkoholischen Lösungen
wird die Wirkung intensiver.
4. Mit dreiprocentigen Lösungen, eventuell unter Alkoholzusatz,
gelingt es, die Hände sicher keimfrei zu machen. Inwieweit die Haut
dabei angegriffen wird, werden ausgedehntere Versuche zu erweisen
haben.
5. Durch Besprengen mit Formalinlösungen und nachherigem
luftdichten Abschluss kann man künstlich inficirte Stoffproben steri-
lisiren.
6. Durch Formalin bezw. Formaldehyd gelingt es, auch im Grossen
Ledersachen, Uniformen u. s. w. sicher zu desinliciren, ohne die be¬
treffenden Objecte irgend zu beschädigen. Die dazu nöthige Zeit be¬
trägt vorläufig 24 Stunden. (Die Möglichkeit der Zimmerdesinfection
ist durch die Arbeiten anderer Autoren als erwiesen anzusehen.)
7. Fäces werden bereits in einprocentiger Lösung fast augen¬
blicklich desodorirt und binnen 10 Minuten in zehnprocentiger Lösung
keimfrei.
8. Formalin leistet als Aetzmittel gute Dienste.
9. Es ist ein vorzügliches Conservirungsmittel.
[Nach den Untersuchungen, die im hygienischen Institut zu Königs¬
berg von Dr. Hans Strehl (Centralbl. f. Bakteriologie, Bd. XIX,
1896) ausgeführt wurden, kommt es bei der Anwendung des Formalins
sehr darauf an, ob die Desinfectionsobjecte trocken oder feucht sind.
Jedenfalls waren Formalindämpfe bedeutend wirksamer gegenüber
feuchten Objecten, als gegenüber trockenen, und ferner war Formalin¬
flüssigkeit wirksamer als Formalindämpfe. Ref.j
Dräer (Königsberg i. Pr.).
Digitized by
Google
469
Reports of medical offlcers of health, Manchester urban sanitary district.
(The Lancet 3769.)
Von Interesse ist in dem Bericht die Kindersterblichkeit für 1894,
dieselbe betrug nur 158,5 auf 1000 Geburten gegen 191,7, 178,2,
201,3 in den 3 vorhergehenden Jahren. Die Sterblichkeit der ehe¬
lichen und ausserehelichen Kinder unter 1 Jahre zeigt folgende
Tabelle:
Procentsatz der ausser-
Es starben Kinder unter 1 Jahr auf 1000 Geburten
ehelichen Geburten
Im Ganzen
Eheliche
Aussereheliche
1891
4,23
192
184
375
1892
4,10
178
170
367
1893
3,72
201
190
498
1894
4,42
159
150
338*
Pröbsting.
Schanz, Wie sollen sich Kinder zu Hause beim Schreiben und Lesen
setzen P und: Augenkrankheiten im Kindesalter. Vorträge, gehalten bei
Gelegenheit der Ausstellung von Erzeugnissen für Kinderpflege, Ernährung
und Erziehung in Dresden. Dresden, A. Köhler, 1895.
In klarer, allgemeinverständlicher Darstellung bespricht Verfasser
zwei wichtige Kapitel der Gesundheitspflege des Kindes. Wir können
nur wünschen, dass die Winke und Ermahnungen, die Verfasser giebt,
bei Eltern und Erziehern auf recht fruchtbaren Boden fallen. Gerade in
der Pflege des kindlichen Auges thut Belehrung noch sehr noth, und
gerade hier kann durch richtige Erkenntniss und zeitige Hülfe oft
grosser Schaden verhütet werden.
Den beiden trefflichen Vorträgen möchten wir daher die weiteste
Verbreitung wünschen. Pröbsting.
Perlia, Kroll’s stereoskopische Bilder. 26 farbige Tafeln. L. Voss,
Hamburg und Leipzig, 1895. Preis 3 Mk.
Die bekannten stereoskopischen Bilder von Kroll liegen in dritter,
wesentlich verbesserter Auflage vor. Perlia hat 12 neue Tafeln
hinzugefügt, welche den Impuls zur stereoskopischen Verschmelzung
beider Bilder stärker wie bisher anregen sollen. Die Auswahl dieser
neuen Bilder ist eine recht glückliche, und auch die Zugabe des einen
Bildes mit verstellbaren Hälften halten wir für eine wesentliche Be¬
reicherung.
Wir zweifeln nicht, dass die Bilder sich zu den vielen alten
Freunden recht zahlreiche neue erwerben werden, und können die
Digitized by
Google
470
Sammlung nicht nur Aerzten, sondern auch Eltern, deren Kinder
schielen oder zum Schielen neigen, bestens empfehlen.
Lobende Erwähnung verdient auch noch die sehr hübsche Aus¬
stattung seitens der Verlagsbuchhandlung. Pröbsting.
Ins&nity and mortality. (The Lancet 3760.)
Bei den männlichen Insassen von Irrenhäusern war im Jahre 1898
die Sterblichkeit am niedrigsten bei den Altersstufen von 25—85 Jahren,
nämlich gleich 77,4 auf 1000 und stieg stetig auf 352,5 in den Alters¬
stufen 75—85. Vergleicht man jedoch die einzelnen Altersstufen hei
Irren und Gesunden in Bezug auf die Sterblichkeit mit einander, so
findet man, dass der Ueberschuss der Sterblichkeit bei den Irren haupt¬
sächlich auf die frühen Altersstufen fällt. Setzt man nämlich die
Sterblichkeit unter der englischen männlichen Bevölkerung in den ein¬
zelnen Altersstufen gleich 100, so findet man unter den männlichen
Geisteskranken von 15—20 Jahren eine Sterblichkeit gleich 2237, von
20—25 Jahren gleich 1409, von 25—35 Jahren gleich 1046, von 35
bis 45 Jahren gleich 867, von 45—55 Jahren gleich 519 und von 75
bis 85 Jahren gleich 246.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den weiblichen Insassen,
doch war das Sterblichkeitsverhältniss bei diesen am niedrigsten in den
Altersstufen von 45—55 Jahren, nämlich 63,8 auf 1000 und stieg auf
270,9 in den Jahren 75—85. Das Sterblichkeitsverhältniss war
in allen Altersstufen niedriger als bei den männlichen Irren, nämlich
gleich 1547 in den Jahren 15—20, 1254 in den Jahren 25—85,
208 in den Jahren 75—85, das Sterblichkeitsverhältniss bei der
Gesammtbevölkerung in den entsprechenden Altersklassen gleich 100
gesetzt. Pröbsting.
Forty-ninth report of the commissioners in lunacy to the Lord Chan¬
cellor. (The Lancet 3756.)
Die Gesammtzahl der Geisteskranken betrug im Jahre 1894, dem
Berichtsjahre, 94 081, was gegen das Vorjahr ein Zuwachs von 2014
bedeutet. Der Zuwachs in den letzten 6 Jahren (1889—1894) betrug
im Jahresdurchschnitt 1623 und ist niedriger als in der Decade
1859—68 mit 1641 und in der Decade 1869—78 mit 1671 durch¬
schnittlicher Zunahme für das Jahr. Das Verhältnis der in Anstalten
verpflegten Geisteskranken zur Gesammtbevölkerung betrug 5,88 zu
10000, gegen 5,99 in den vorhergehenden Jahren. Die stetige Zu¬
nahme der Geisteskranken mit Ausnahme von 1894, hat ihren Grund
theils in einer vermehrten Aufnahme von Alters-Geisteskranken, theils
in einer Abnahme der Sterblichkeit von 10,31 °/o (1859—68) auf
9,78 °/o in den letzten 6 Jahren. Pröbsting.
Digitized by
Google
471
Dr. Friedrich Scholz (Bremen), Ueber Reform der Irrenpflege. J. fl.
Mayer, Leipzig 1896. 76 S.
O. Binswanger, Zur Reform der Irrenfürsorge in Deutschland. Samm¬
lung kleiner Vorträge. Nr. 148. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1896. 34 S.
Jene unerfreulichen Vorgänge, durch welche die Irrenanstalten
eine Zeit lang in den Vordergrund der Beachtung gestellt wurden,
haben wenigstens das Gute geschafft, dass sie neben einer ganzen Reihe
von unberufenen Federn auch einige berufene in Bewegung setzten,
und eine Anzahl von zweckmässigen Reformvorschlägen zu Tage
förderten.
Zu den berufenen, deren Verfasser wenigstens den Vortheil haben,
dass sie Irrenärzte von Fach und daher mit dem von ihnen behandelten
Gegenstände wohl vertraut sind, was sich noch lange nicht von allen
behaupten lässt, die sich auf diesem Gebiete hervorgethan haben, zählen
wir auch die beiden vorgenannten Brochtlren.
Allerdings ist es nachgerade recht schwer geworden, etwas Neues
zu sagen, aber auch eine Wiederholung des Alten ist nicht ohne Ver¬
dienst, vorausgesetzt, dass das Alte richtig ist. Gerade den vielen
schiefen, fehlerhaften und sich unter dem Deckmantel der Wissenschaft¬
lichkeit breitmachenden Ansichten gegenüber ist auf die Wiederholung
des Besseren sogar ein besonderer Werth zu legen, damit das Bessere
endlich zum Allgemeingut der gebildeten Klassen werde, was vor der
Hand keineswegs der Fall ist.
Die Razzia gegen die Irrenanstalten und ihre Leiter ist im Grunde
genommen ein recht thörichtes Unternehmen. So lange es Geistes¬
kranke geben wird, und so lange diese Geisteskranken nicht in der
Gesellschaft und in ihren bisherigen Verhältnissen verbleiben können, wird
es auch Irrenanstalten geben müssen, wo man sie gegen ihren Willen
unterbringt und zurückbehält. An dieser NothWendigkeit wird aller
Unsinn nichts ändern, der gegen die Irrenanstalten und gegen die
Verbringung von Geisteskranken in diese Anstalten vorgebracht wird,
ebensowenig wie das Ansammeln von Fällen einer angeblich ungerecht¬
fertigten Freiheitsberaubung nichts an der Thatsache ändert, dass ein
Nachweis bisher in keinem einzigen Falle erbracht worden ist.
Wenn demnach Vieles und vielleicht das Meiste an diesen Hetzereien
übertrieben und sogar unwahr ist, so soll doch keineswegs behauptet
werden, dass nun auch alles in den Anstalten mustergiltig und keiner
Verbesserung zugänglich sei. Das ist vielmehr nicht der Fall, und
gerade in einer so jungen Wissenschaft, wie es die Psychiatrie ist, wird
es den Anstalten nicht leicht, den Fortschritten der Wissenschaft: auf
dem Fusse zu folgen, und manche Anstalt ist weiter zurückgeblieben,
als es bei weiser Fürsorge und bei zeitigem Eingreifen der Fall ge¬
wesen wäre.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XV. Jahrg. 33
Digitized by
Google
472
Zu bessern giebt es daher unbedingt, und Niemand wird für solche
Vorschläge empfänglicher und dankbarer sein, als die Irrenärzte.
Biswanger trägt seine Ansichten einer Zuhörerschaft vor, die
grösstentheils aus Juristen bestand, und er wendet sich daher in erster
Linie an das Verständniss der Laien, während Scholz mehr auf den
inneren Dienst der Anstalten eingeht. Wenn er dabei seinen Ausgangs¬
punkt von der Brochllre „Die Reform des Irrenwesens von v. Kirchen¬
heim und Reinartz“ nimmt, so erweist er damit unserem Gefühle nach
jenem Opus eine nicht verdiente Ehre. Gewisse Dinge tibergeht man
am besten mit Schweigen.
Beide, Binswanger und Scholz, stimmen darin tiberein, dass eine
Erschwerung der Aufnahmen den Kranken nicht zum Vortheil gereichen
werde. Erleichterung der Aufnahmen und Verschärfung der Aufsicht
innerhalb der Anstalten, das ist die Forderung, die berechtigten Wünschen
am meisten entspricht. Wer diese Aufsicht führen soll, eine Commission
von Laien, oder besonders vom Staate dafür bestellte Inspectoren,
darüber kann man verschiedener Ansicht sein; Uber die Sache selbst,
die Nothwendigkeit einer nicht blos auf dem Wege des schriftlichen
Berichtes geführten Aufsicht, wird eine Meinungsverschiedenheit nicht
bestehen.
Eine weitere Forderung bildet die Gewährung eines grösseren
Maasses von Freiheit an die Kranken, als es jetzt wohl gemeiniglich
gegeben wird.
Auch darin, dass man dem Kranken so viel an Freiheit gewähren
soll, wie er vertragen kann, besteht vielleicht Uebereinstimmung, Uber
das Maass dessen aber, was er vertragen kann, gehen die Meinungen
sehr auseinander. In der Gewährung von Freiheit an Geisteskranke,
d. h. an Personen, welche ihrer freien Willensbestimmung beraubt
sind, liegt an sich die Gefahr des Missbrauches, und diese Erfahrung
wird Keinem erspart bleiben, am wenigsten natürlich dem, welcher
den Kranken die meiste Freiheit giebt.
Das Publikum müsste sich folgerichtig daran gewöhnen, dergleichen
Freiheiten als die natürliche Folge einer modernen Irrenbehandlung
mit in den Kauf zu nehmen.
So lange aber die Intelligenzblätter des Ortes nichts Besseres zu
thun haben, als jede kleine Ueberschreitung der Ordnung von Seiten
eines Geisteskranken an die grosse Glocke zu hängen und über den
armen Teufel von Director, der solchen Unfug zulässt und verschuldet
hat, herzufallen, so lange kann man es diesem nicht verdenken, wenn
er der Gewährung einer grösseren Freiheit keine rechte Herzensfreude
entgegenträgt.
Eine weitere Noth wendigkeit würde in der Femhaltung aller
Elemente liegen, denen diese Freiheit überhaupt nicht gewährt werden
kann und darf, der geisteskranken Verbrecher. Bisher müssen wir sie
Digitized by
Google
473
in den Irrenanstalten aufnehmen, und dass dies unter anderen Miss¬
helligkeiten auch den unläugbaren und unerträglichen Nachtheil hat,
unbescholtene Leute unter Umständen mit dem Abhub der Menschheit
in die allerengste Gemeinschaft zu bringen, ist unbestreitbar.
Also Belassung der geisteskranken Verbrecher in den Strafanstalten
oder Beschaffung besonderer Einrichtungen in denselben, das ist eine
Forderung, die so lange nicht von der Tagesordnung der Irrenanstalten
abgesetzt werden darf, bis sie ihre Erledigung gefunden hat.
Dahin gehört auch das Verlangen nach einer besseren psychia¬
trischen Ausbildung der praktischen Aerzte, was wieder die Einstellung
der Psychiatrie als Examenfavh zur Voraussetzung haben würde, und
endlich eine ganz und gar veränderte Auffassung von der Stellung des
Pflegepersonals, das bisher den Ansprüchen nicht entspricht, die man
an das Pflegepersonal von Geisteskranken zu stellen berechtigt ist«
Dass hier die erhöhten Ansprüche in einer Erhöhung des Lohnes ihren
entsprechenden Ausgleich zu Anden haben, liegt auf der Hand, und die
Verbesserung der Irrenpflege bedeutet daher in demselben Maasse eine
Vermehrung der dafür aufzuwendenden Kosten.
Das ist nun einmal nicht anders.
Will man etwas Gutes, etwas Besseres, so muss man es auch ent¬
sprechend bezahlen, und wenn die Irrenfürsorge bisher nicht gerade
billig gewesen ist, so wird sie fernerhin ein ganz Theil theurer werden.
Die von mir namhaft gemachten Punkte bilden durchaus nicht den
ganzen Inhalt der Reformvorschläge, aber sie heben doch das Wesent¬
lichste heraus. Die beiden Brochtiren bieten ein weiteres und will¬
kommenes Material, aus dem sich das Irrenwesen der Zukunft in einer
hoffentlich vollendeteren Form herausbilden wird, als sie sich in den
unklaren Köpfen so mancher psychiatrischen Dilettanten wiederspiegelt.
Noch ist das "letzte Wort nicht gesprochen, noch ist die angefachte
Bewegung nicht zur Ruhe gekommen, und darum sind derartige Bei¬
träge, wie die von Binswanger und von Scholz erwünscht und mit
Dank entgegen zu nehmen. Pelm an.
Verzeichntes der bei der Redaction eingegangenen nenen
Bücher etc.
Annalender städtischen allgemeinen Kr ankenh aus er zu
München. Im Verein mit den Aerzten dieser Anstalten herausgegeben
von Professor Dr. v. Ziemssen, 1894. Mit 16 Abbildungen im Text. 8°.
IV, 867 S. München 1896. J. F. Lehmann. Preis 10 Mk.
Berger, Dr. Heinrich, Die Hygiene in den Barbierstuben. 8°. 82 S.
Basel und Leipzig 1896. Carl Sallmann. Preis 60 Pfg.
33 *
Digitized by ^.ooQle
474
Bulletin de Taead^mie royale de m^decine deBelgique. IV<» särie,
Tome X, No. 7. 8°. Ann6e 1896. Bruxelles 1896. Hayez, imprimeur.
Cramer, Dr. E., Hygiene. Ein kurzes Lehrbuch für Studierende und
Aerzte. Mit 61 Abbildungen. 8°. 836 S. Leipzig 1896. Joh. Ambr.
Barth.
Fortschritte der öffentlichen Gesundheitspflege. Jahrg.V. Heft 6.
Frankfurt a. M. 1896. Johannes Alt. Preis pro Jahrg. 6,80 Mk.
Frosch, Dr. P., Bericht über die Thätigkeit der von dem Herrn Minister
der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten eingesetzten
Kommission zur Prüfung der Impfstofffrage. Mit 2 Textfiguren, 8°.
58 S. Berlin 1896. Julius Springer. Preis 1,20 Mk.
flallervorden, Dr. E., Arbeit und Wille. Ein Kapitel klinischer Psycho¬
logie zur Grundlegung den Psychohygiene. (Abhandlungen zur Gesund¬
heitslehre der Seele und Nerven. Heft I.) 8°. 41 S. Würzburg 1896.
A. Stuber’s Verlag. Preis 1,20 Mk.
—, Der Zusammenhang chemischer und nervöser Vorgänge überhaupt und
im Wochenbett. 8°. 58 S. Ebend. Preis 1,50 Mk.
Hart mann, Franz M. D., Ueber die Anwendung und Heilerfolge von
Lignosulfit-Inhalationen bei chronischen (tuberculösen) und acuten Er¬
krankungen der Athmungsorgane (insbesondere Keuchhusten). 8°. 48 S.
München 1896. J. F. Lehmann. Preis 1 Mk.
Hellwig, F., Die Unterleibsbrüche und die Bruchbänder. Ein Lehr- und
Handbuch für Bandagisten und Bruchleidende. Mit 16 Abbildungen. 8°.
VIII, und 90 S. Weimar 1897. Bemh. Friedr. Voigt. Preis 2 Mk.
Herkner, Professor Dr. H., Alkoholismus und Arbeiterfrage. (Sonder-
Abdruck aus der: „Neuen Deutschen Rundschau.) 8°. 16 S. München
1896. J. F. Lehmann. Preis 30 Pfg.
Hirschfeld, Dr., Der Alkohol vor Gericht. Angeklagt wegen Nicht¬
darreichung alkoholischer Getränke. Der Alkohol als Medicin. (Flug-
schriften-Sammlung der Internationalen Monatsschrift zur Bekämpfung
der Trinksitten. Nr. 6.) 8°. 11S. Bremerhaven, 1896. Chr. G. Tienken.
Preis 30 Pfg.
Ko epp e, Dr. med. Hans, Die Bedeutung der Salze als Nahrungsmittel.
Ein Vortrag, gehalten zur 68. Versammlung deutsche Naturforscher und
Aerzte in Frankfurt a. M. In erweiterter Form herausgegeben. 8°. 16 S.
Giessen 1896. J. Ricker’sche Buchhandlung. Preis 50 Pfg.
Kraschutzki, Dr. F., Die Versorgung von kleineren Städten, Land¬
gemeinden und einzelnen Grundstücken mit gesundem Wasser. Unter be¬
sonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der östlichen Provinzen nach
den neuesten hygienischen Gesichtspunkten bearbeitet für weitere Kreise,
namentlich Verwaltungs- und Baubeamte, Techniker, Brunnenmacher und
Aerzte. Mit 4 Figuren im Text. 8°. 40 S. Hamburg und Leipzig 1896.
Leopold Voss. Preis 80 Pfg.
Lange, Emil von, Die normale Körpergrösse des Menschen von der Geburt
bis zum 25. Lebensjahre. Nebst Erläuterungen über Wesen und Zweck
der Skala-Messtabelle zum Gebrauche in Familie, Schule und Erziehungs-
Anstalten. 8°. 38 S. München 1896. J. F. Lehmann. Preis 1,80 Mk.
—, Skala-Messtabelle. Mess-Apparat für Körpergrösse von Jung und Alt zum
Gebrauche in Familien, Schulen und Erziehungs-Anstalten. Schul-Ausgabe.
München 1896. Ebenda. Preis 4 Mk.
—, Familien-Ausgabe. Ebend. Preis 3 Mk
Liedtke, Sanitätsrath Dr., Bestimmungen über die ärztlichen Atteste und
Digitized by
Google
475
Gutachten in Preussen. Ein Hülfsbucli für Aerzte und Medicinalbe&mte.
Kl. 8°. VI u. 62 S. Berlin 1896. Richard Schoetz. Preis 1,50 Mk.
Mugdan, Dr. Otto, Die Ernährung des Kindes im ersten Lebensjahre.
Vortrag gehalten im Chemiegebäude der Berliner Gewerbeausteilung 1896.
8°. 19 S. Berlin 1896. S. Karger. Preis 50 Pfg.
Rumpf, Prof. Dr., Krankenhaus und Krankenpflege. Vortrag, gehalten im
Chemiegebäude der Berliner Gewerbeausstellung 1896. 8°. 27 S. Berlin
1896. Ebenda.
Siemens, Friedrich, Die Gasheizung für Wohnräume. Vortrag, gehalten
im Chemiegebäude der Berliner Gewerbeausstellung 1896. 8°. 23 S,
Ebenda. Preis 50 Pfg.
Springfeld, Dr., Zur Entwicklungsgeschichte der Apothekenreform. 8°.
83 S. Leipzig 1896. Georg Thieme.
Vierteljahresschrift über die Fortschritte auf dem Gebiete der
Chemie der Nahrungs- und Genussmittel, der Gebrauchs¬
gegenstände sowie der hierher gehörenden Industriezweige,
XL Jahrgang 1896. Heft 2. 8°. Berlin 1896. Julius Springer. Preis
3 Mk.)
Winckler, Dr. Ernst, Ueber Gewerbekrankheiten der oberen Luftwege,
(Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-
Mund- und Halskrankheiten. Band II, Heft 1.) 8°. 62 S. Halle a. S.
1896. Karl Marhold. Preis 2 Mk. (Abonnementspreis für 1 Bd. = 12 Hefte:
12 Mk.
Ziehen, Dr. med. Th., Ueber den Einfluss des Alkohols auf das Nerven¬
system. Vortrag, gehalten vor der Ortsgruppe Jena des deutschen
Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke. 8°. 16 S. München
1896. J. F. Lehmann. Preis 30 Pfg.
*€reosota{
Miltt Uttel bei Tnbercolose.
Sonderabdrüoke daroh Chemische Fabrik von Heyden,
O. m. b. H., Badebeul bei Dresden.
Digitized by ^.ooQle
Centralblatt für allgemeine fiesundsheitspflege, M. Band, 10.-12. Heft 1886.
Appetitlich — wirksam — wohlschmeckend sind:
Abführende Frucht-Konfitüren, Tamarinden-Konserven.
Original - Präparat von angenehmem Geschmack und prompter Wirkung!
Für Kinder genügt l U —Vs | Stück zur ausgiebigen, durchaus schmerz«
„ Erwachsene „ Va—1 [ losen Stnhlentleemng binnen 8—4 Stun¬
den, wenn nüchtern gegessen; als Digestivum in nur halb so grosser Dosis.
Vqnflgs; Beschleunigung der peristaltischen Bewegung der Eingeweide
ohne Jede auffallende Absonderung von Flüssigkeit; keine Beizung und
Erschlaffung des Darmkanals, kein Kneifen, keinerlei nachteilige Folgen«
In fast allen Apotheken k Schachtel 80 Pf», einzeln ä Stück 15 Pf«
Proben und Prospecte auf Wunsch umgehend gratis.
Hsr eoht, wenn von Apotheker Kanoldt Haohfolgsr ln Gotha«
Sanatorium Lindenhof, Wiesbaden.
Wasserheilanstalt, Wiesbadener Thermal-, Dampf-, Moor- und elek¬
trische Bäder, Massage, Heilgymnastik, Elektricität. Diät«- und Ent¬
ziehung^- Curen« Das ganze Jahr geöffnet. Prospecte gratis.
Dr. 0. Hezel,
ehern. I. Assist, d. Nervenklinik d. Universität Leipzig, dirig. Arzt.
Hämalbumin Dr. Dahmen.
Vom Kultusministerium in die offlcielle Arzneitaxe aufgenommen.
Hämatin (-Eisen) und Hämoglobuiin (als Albuminat) 49,17 % Serumalbumin und
Paraglobulin (als Albuniinat) 46,23%, säirimt liehe Blutsalze 4,6%, einige Tropfen
Ol. Cassiae als indiff. Aromat. — Absolut löslich durch Kochen ln Wasser.
Deut Spektrum des Hämalbumin» i#t identisch mit dem
Spektrum von künstlich (Pepsin, Salzsäure etc.) verdautem Blut «
Vollkommener Blutersatz*
Das Hämalbumin enthält 96,4% wasserfreies Biwelss In verdantem Zustande
nnd «am tätliche Mineralsalse dee Blutes.
Httmslbumln ist ein trockenes, nicht hygroskopisches Pulver, trocken auf
die Zunge gelegt leicht mit Wasser zu nehmen, durch Kochen in Wasser leicht in
einen llqnor Haemslbumlni mit beliebigen Corrigentien zu verwandeln — en wird
von Jedem Magen, such bei Mangel an verdauungsiflen, reuorblrt.
Um HSmolbamlii reeorblrt per Klystier vollständig (8- bis 4mal
täglich 1 Theolöffel voll bei Kindern, 1 Esslöffel voll bei Erwachsenen in Wasser
oder Haferschleim gelöst, 5% = klare Flüssigkeit, 10% = Gallerte.
1 g Hämalbumin = den festen Bestandteilen von 6 g Blnt und =* • g
Hühnerei wein». — Dosis durchschnittlich nur 3—6 g pro die. 1 g =■ 1 Messer¬
spitze voll.
Sichere Wirkung bei Chloroee, Phthlsls, Ehachltls, Skrofel ose, Inffektlonskrank-
kelten, Schwächerostinden, besonders sneh Nervenschwäche., geistiger Heber»
anstreugung, ungeregelter Henetrustlon plus oder minus, bei Blutverlusten s. B.
nach Wochenbett, Operationen etc., Kekonvnlescens, verdannnsesehwachen Säug¬
lingen etc. — Unfehlbarer Appetiterreger. — Koncentrlrtestes Nahrungsmittel. —
Dm billigste aller Elsen-EI«relsepräparate! — Gewlchtsiunahme oft
8 Pfand und mehr im 14 Tagen. 20 g = 600 g eines resorblrhnren Liquor
ferrl albumlnati. — Knrkosten pro die 7—16 D. durchschnittlieh. — Preis JC ft per
Kilo Incl. Packung. »—<3 Proben und Litteratur gratis. c
| Chemische Fabrik F. W. Klever, Köln. |
Digitized by (^.ooQle
940 m ü. M.
Gotthardlinie.
Felsenegg-Zug,
bewährter Luftkurort auf dem Zugerberg
mit neuer vorzüglicher Einrichtung für Hydro-Elektrotherapie, kohlensaure
Bäder, Massage u. s. w. unter Leitung eines tüchtigen Arztes, wird bestens
empfohlen vom Besitzer
J. Boeeard-Ryf.
— 1 —
Nachweisun^ Aber Kranken Aufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus
58 Städten der Prorinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat März 1896«
2
Naohweisung über Kr&nkenaufnah me and Bestand in den Krankenhäusern ans
53 Städten der Prorinzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat April 1896.
Bielefeld....
Minden . . . .
Paderborn . . .
Münster . . . .
Herford . . . .
Dortmund . . .
Hagen i. W. . .
Witten . . . .
Hamm.
Iserlohn . . . .
Siegen.
Gelsenkirchen .
Schwelm ....
Düsseldorf . . .
Elberfeld. . . .
Barmen . . . .
Crefeld . . . .
Essen a. d. Ruhr
M.-Gladbach . .
Remscheid . .
Mülheim a. d. R.
Viersen . . .
Wesel ....
Rheydt . . .
Neuss ....
Solingen . . .
Styrum . . .
Ruhrort . . .
Odenkirchen .
Aachen . . .
n ...
Eschweiler . .
Eupen ....
Burtscheid . .
Stolberg . . .
Köln ....
Köln-Deutz. .
Köln-Ehrenfeld
Mülheim a. Rh.
Kalk ....
Krankenhäuser
städt. u. kath. Krankenhaus . 142
städtisches Krankenhaus. . . 34
Landeshospital.63
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Job.-St. 485
städt Krankenhaus.65
Louisen- und Johannishospital 449
städtisches Hospital.106
Diakonissenhaus u.Marienhosp. 214
städtisches Krankenhaus. . . 38
„ „ ... 133
* » ... 75
Marienstift u. evang. Hospital 262
städtisches Krankenhaus . . 29
evangelisches Hospital. . . .212
Marienhospital.343
St. Josephhospital.208
städtische Krankenanstalten . 188
städtisches Krankenhaus. . . 197 1
Krankheitsformen der Aufgenommenen
. 197 182 216
. 242 239 202
Trier . . .
Saarbrücken
Kreuznach .
Neuwied . .
Wiesbaden .
Kassel. . .
Fulda . . .
Hanau. . .
Eschwege .
Rinteln . .
Schmalkalden
Huyssenstift und Kruppsches
Krankenhaus. 252 229
Bethesda-u.Mariahilf-Kranken-
haus.140
städt. Krankenhaus.114 104
evangelisches Krankenhaus. . 120 118
städtisches Krankenhaus. . . 28
„ Hospital.50
n Krankenhaus... 50
o I = es
a 7. 1 5 | ffl
5 ~ *
.2 p 'S .2-3
11 2 £.2
s i! j
*|1 s «
•S 1 ’s
ei 'S ■ £ Jä
i 1 J
. .. 3;.. 1 ..
..; !.. 3 .
5 .. .. 2
.. 1 .
450 ..
.. 1 416i..
76 ..
.. .. 1 2 ..
203 .. 1
.. .. .. 10 ..
20 .. 1
...
62 ..
..
57 ..
.. .. i..
243 ..
.. i»..
21 ..
189 ..
.. .. 6 7..
7 14, 1 1
• • • • i • • ^
1 51 1!
2 7..
252 229 282 .4
Hanielsstiftung.55
städtisch. Krankenhaus ... 11
Mariahilfhospital.308
Louisenhospital.73 o» il ..
St Antoniushospital .... 111 112 35 ..
St. Nicolaushospital. 34 28 11 ..
Maricnhospital. 104 92 69 ..
Bethlehemhospital. 82 80 21 ..
Bürger- u. Augustahospital. . 872 898 962 ..
städtisches Krankenhaus ... 107 93 49 ..
„ „ . . . 118 122 66 ..
städt u. Dreikönigenhospital. 203 194 198 ..
städtisches Krankenhaus. . . 91 89 58 ..
städt. Hospital u. Stadtlazareth 122 109 27 ..
Bürgerhospital. 98 95 68 ..
städtisches Hospital. 44 59 66 ..
„ „ 50 53 59 ..
städtisches Krankenhaus. . . 102 132 168 19*
Landkrankenhaus. 328 342 265 ..
1 65 16 38
:: -j:
.. 2 ..33.
. 9 .
1 1 3
1 1 15
35 27 20
Digitized by ^.oosle
Kritie and Ungeziefer.
Zahl der Geworbenen
— 3 —
Sterbliohkeito-Statistik yon 58 Städten der Provinzen Westfalen,
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat März 1896.
Monat
März
1896
fl I £ ~ -5
lihi-
Münster ....
Bielefeld . . .
Paderborn . . .
Minden ....
Dortmund . . .
Bochum ....
Hagen.
Gelsenkirchen .
Hamm ....
Witten ....
Iserlohn ....
Siegen ....
Schwelm. . . .
Lippstadt . . .
Düsseldorf. . .
Elberfeld . . .
Barmen ....
Crefeld ....
Essen a. d. Ruhr
Duisburg . . .
M.-Gladbach . .
Remscheid. . .
Solingen. . . .
Mülheim a. d. R.
Rheydt ....
Oberhausen . .
Styrum ....
Viersen ....
Neuss.
Wesel.
Wermelskirchen
Ronsdorf . . .
Ruhrort ....
Lennep ....
Süchteln. . . .
Aachen . .
Eschweiler.
Eupen. . .
Burtscheid.
Stolberg. .
Bonn *.
44560
151
Mülheim a. Rh. .
36000
143
Kalk.
15569
66
Trier.
36166
81
Malstatt-Burbach .
23677
97
St. Johann. . . .
16768
44
Saarbrücken . . .
17081
47
Coblenz.
39640
128
Kreuznach....
19500
47
Neuwied.
11062
32
Wiesbaden. . . .
74000
188
Kassel.
82774
204
57000 156 32,8 r
47460 128 32,4 I
23158 56 29,0 J
22315 66 35,5 !
113505 406 42,1 1!
53901 202 44,9 1
41828 149 42,8 ’
31582 154 58,5 i
28542 92 38,7
28000 79 33,9
24625 78 38,0
19571 68 41,7
14700 47 38,4
10504 35 40,0
. 175861 647 44,1 2
. 140000 427 36,6 1
. 127000 432 40,8 1
. 107460 334 37,3 1
\ 96163 407 50,8 1
. 70187 269 45,9 1
. 53666 188 42,0 1
. 47231 200 50,8
. 40860 116 34,3
. 31432 127 48,5
. 30096 98 39,1
. 30159 142 56,5
. 26772 146 65,4
. 22804 67 35,3
. 25272 77 36,5
. 22258 64 34,5
. 13451 43 38,4
. 12177 48 47,3
. 11712 36 36,9
. 10427 33 38,0
. 8130 25 36,9
. 110489 398 43,2 2
. 19482 90 55,4
. 15036 40 31,9
. 15856 54 40,9
. 13013 59 54,4
. 324329 1081 40,4 6
90 55,4
40 31,9
54 40,9
59 54,4
Todesursachen
Infections-Krankheiten
4 |..! 9 3 2
5 L 1 1 ••
.. 3! 2 .. ..
23.7 ..43 4 11 7
33,4 .. 2 .. 8 ..
20.7 .. 1 .. 2 ..
24.7 . 3 j..
14,4 ..I 1
9 •. 6
Gewaltsamer
Tod durch
£ §52 -z Sf
•S Ufas 1 I
-g « £
1 I?|-e ’S 1
2 .. 21 .
.. 4
. .. 2 |
3»t i
. 1 4
* Bonn: darunter 12,1°/» Geburten, 10,8®/« Sterbef&Ue .
)igitlzed by'
4
8terbliohkeits-8tatistik tob 58 Städten der Provinzen Westfalen,
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat April 1896.
Todesursachen
Infections-Krankheiten
'S I - .5 c, ö *§. ®
g 5 £ ü T§ -i t,
I El S |$ - 3 * •§
<2 is|| fS,| fi-s a
•s hsj sl
5
Münster .
Bielefeld.
Paderborn
Minden .
Dortmund .
Bochum . .
Hagen. . .
Gelsenkirche
Ilamm. . .
Witten . .
Iserlohn . .
Siegen . .
Schwelm .
Lippstadt .
Düsseldorf.
Elberfeld .
Barmen . .
Crefeld . .
Essen a. d.
Duisburg .
M.-Gladbach
Remscheid.
Solingen. .
Mülheim a.d,
Rheydt . .
Oberhausen
Styrum . .
Viersen . .
Neuss. . .
Wesel. . .
Wermelskirc
Ronsdorf .
Ruhrort . .
Lennep . .
Süchteln. .
Aachen .
Eschweiler
Eupen
Burtscheid
Stolberg.
Köln . .
Bonn * .
Mülheim a.
Kalk . . ,
Trier ....
Malstatt-Burba»
St Johann .
Saarbrücken .
Coblenz . . .
Kreuznach . .
Nemded. . .
Wiesbaden.
57800
158
32,8
47000
154
39,3
23158
58
30,1
22315
56
30,1
114905
424
44,9
53901
189
42,1
41828
160
48,3
81582
128
48,6
28542
120
42,9
28000
76
32,6
24720
78
37,9
19571
64
39,2
14000
52
44,6
11118
35
37,8
175861
556
37,9
140000
405
34,7
127000
387
36,6
107816
322
35,8
96 163
345
43,1
70187
253
43,2
53666
168
37,6
47231
155
39,4
40860
134
39,4
31432
125
47.8
30096
94
37,5
30159
133
52,9
26772
127
56,9
22804
63
33,2
25272
78
37,0
22258
59
31,8
13451
62
55,3
12177
36
35,5
11712
38
38,9
10427
20
23,1
8130
19
28,0
110489
304
33,0
19482
64
39,4
15036
29
23,1
15856
46
34,8
13013
58
53,5
325000
1006
37,1
44560
142
38,2
36000
124
41,3
15569
63
48,6
39993
75
22,5
23677
114
58,0
16768
58
41,5
17081
37
25,9
39640
91
27,5
19800
66
40,0
10593
25
28,3
74000
143
23,2
1 17 1 1
2 1 ..! .. |
1 l 1 1
1 .. 1 . ..... 3
.22111 1
1 ... 1 ..I.. ... 5
79 16,8
64 17,2
59 16,6
44 19,1
2 1 12
.. 4»f 12
.. 3 18
35 17,2.! 2
41 22,4 . 2 21 1I..I..I... 11
27 21,9 .. •• 2 5 .. .. . 4
17 19,1 .. 2 .. 1 .. 1 ...
21 19,7 .. 1. 1 L. .. 1 2
18 19,1. 1. 1 ... 3
9 16,7. 3. 2
18 19,5. 1. 5
17 16,6. : .
13 18,9 ........ 4.
12 19,0. 1.
4 15,1.. 3
6 15,2., l't ••
2 14,8 .. |. 1 .... 1.
5 21.5 ..:. 1 .I.. ... 2
•54 18,9 .. I 1 .. 1!.. 2 .. 1 ... 18
10 18,5. 2. 1
5 12,8.!. 1
8 21,2.. 4
82774 194 28,1 111 25 16,1 .. j 2 ..! 8|.. .. .. .. ... 2
"Digitized by VjOÖQIC
* Bonn: darunter 8,4%o Geburten, ll,ü°/oo Sterbefllle Auaw&rtiger in Anatalten.
t Influenza.
Nachweisun^ Uber Kranken auf nähme und Bestand in den Krankenhäusern ans
53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Mai 1896.
Bielefeld. . .
Minden . . .
Paderborn . .
Münster . . .
Herford . . .
Dortmund . .
Hagen i. W. .
Witten. . . •
Hamm ....
Iserlohn . . .
Siegen....
Gelsenkirchen
Schwelm. . .
Düsseldorf . .
Elberfeld. . .
T) « • •
Barmen . . .
Crefeld . . .
Essen a. d. K..
M.-Gladbach .
Remscheid . .
Mülheim a. d. I
Viersen . . .
Wesel ....
Rheydt . . .
Neuss ....
Solingen . . .
Styrum . . .
Kuhrort . . .
Odenkirchen .
Aachen . . .
» ...
Eschweiler . .
Eupen....
Burtscheid . .
Stolberg . . .
Köln ....
Köln-Deutz. .
Köln-Ehrenfeld
Mülheim a. Rh.
Kalk ....
Trier . . .
Saarbrücken
Kreuznach .
Neuwied . .
Wiesbaden .
Cassel. . .
Fulda . . .
Hanau. . .
Eschwege .
Rinteln . .
Schmalkalden
Krankenhäuser
Krankheitsformen der Aufgenommenen
S =3 8 I *
g fl ’S 5
£ 'S Z J5' i
— &£ ’s a 'S f
2 £ Ja
® ’S. ® % g &
a MO £ £ £
städt u. kathol. Krankenhaus 128 117 109 .. ...... 1 .. 1
städtisches Krankenhaus. . . 34 38 49 .. ..!.
Landeshospital.48.
Clem.-Franzk. llosp. u.Joh.-St. 4291.
städtisches Krankenhaus. . . 60: 60 29 . 1.. ..
Louisen- und .Johannishospital 440 405 460 .... 1 1 15 1 1
städtisches Hospital.102 96 74 1 2.. ..
Diakonissenhaus u.Marienhosp. 225 212 171 . 1 6.. 1
städtisches Krankenhaus. . . 37j 35 15.
» . • • • U0 95 77 . 1 .. ..
« „ ... 62| 55 54 .
Marienstift u. evang. Hospital 262 255 282 . 1 .. 7
städtisches Krankenhaus. . . 21 34 33 .. ..I.. 3
evangelisches Hospital. . . . 232 207 168 .. 1 .. 3 7 1 .. ..|
Marienhospital. 316 311 267 7 8 .. 1
St. Josephshospital. 176 167 150 . 1 .. ..
städtische Krankenanstalten . 194 191 236 94* 1 .. .. 2.. 1
städtisches Krankenhaus. . . 182 162 182 .. .. 2 1 5.. 2
„ ... 239 240 211 .. .. 5 6 13 .. ..
Huyssenstift und Kruppsches
Krankenhaus. 229 253 352 .... 1 .. 2 1 1
Bethesda u. Mariahilf-Kranken¬
haus . 151 148 90 ...... 8 3 .. ..
städtisches Krankenhaus. .
evangelisches Krankenhaus.
städtisches Krankenhaus .
„ Hospital ....
„ Krankenhaus. .
104 107 83
118 102 56
33| 24 12
61 42 22
521 42 24
62, 70 43
85 89 81
48 56 30
38 37 33
13 9 4
Hanielsstiftung.38 ! 37 33 .
städtisches Krankenhaus. . . 13, 9 4.
Mariahilfhospital. 338.342 316 .. 1 7 4 15
St. Louisenhospital.69 ...
St Antoniushospital. 112 112 34 . 2
St. Nikolaushospital. 28 24 13 . 1
Marienbospital. 92 93 59 . 1
Bethlehemhospital. 80 74 16 .. ........
Bürger- u. Augustahospital . 898 826 912 .. .. 60 17 32
städtisches Krankenhaus. . . 93 109 62 .. .. 1 .. 3 ,
„ „ ... 122 115 74 .
städt. u. Dreikönigenhospital. 194 166 198 .. .. 3 1 29
städtisches Krankenhaus. . . 89i 78 52 . 1 2
städt. Hospital u. Stadtlazareth 109 112 33 . 4
Bürgerhospital.95 ? 82. 1
städtisches Hospital. 591 57 71 .. .. 1 .. 2 I.
städtisches Krankenhaus.
Landkrankenhaus....
59! 57 71 .. .. 1 ..
53 38 38 .... 3 ..
132 132 18712** 1 16 1
342 338 281 .. .. 5 ..
93 94 95 .. .. 2 ..
114134 97 . 1
39 36 35 .
15 16 15.
271 30 30 .
* Kritxkrznlce.
Krätze und Ungeziefer.
Digitized by^
IO
Steiribliclilteits-’&ta.ti&tilc von 53 Städten der Prorinzen Westfalen,
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat Mai 1890.
Monat
M a i
1896
Münster . .
Bielefeld .
Paderborn .
Minden . .
Dortmund .
Bochum . .
Hagen. . .
Gelsenkirche
Hamm . .
Witten . .
Iserlohn . .
Siegen . .
Schwelm. .
Lippstadt .
Düsseldorf.
Elberfeld .
Bannen . .
Crefeld . .
Essen a. d.
Duisburg .
M.-Gladbach
Remscheid.
Solingen. .
Mülheim a. d
Rheydt . .
Oberhausen
Styrum . .
Viersen . .
Neuss. . .
Wesel. . .
Wermelskircl
Ronsdorf .
Ruhrort . .
Lennep . .
Süchteln. .
Aachen . .
Eschweiler.
Eupen. . .
Burtscheid.
Stolberg. .
Köln . . .
Bonn * . .
Mülheim a. 1
Kalk . . .
Trier . . .
Malstatt-Burl
St Johann.
Saarbrücken
Coblenz . .
Kreuznach.
Neuwied. .
Wiesbaden.
Kassel . .
Todesursachen
Infections-Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
| E| | 'S
■HäS Ilf’SLglfe-fi
sa ria 53 « Ifi
164 34.0 92 17 19,1 .i 2 2; 1
139 33,1 43 11 12,2.1 .. 3 ..
54 28,0 32 3 16,6 .1 .. .. ..
63 33,9 30 4 16,1 . 1 .. .. 8
79 38,3 35 7 17,0 ....
57 34,9 21 5 12,9 .. 1
45 36,9 18 6 14,7
37 39,9 20 4 21,6
16,9 .. I .. 5 5 1 1 1
13,6 ..I 2 .. 1 2 3
15.3 .. 2 .. 3 1 3
18.4 .. 12 3 3 1 1
18.8 ...... 3,7 1
19.8 .. 4 .. ..
22,1 .... 1 8
18.8 ..111
17,9 .. 1 .. ..
21.4 .. 1 2 ..
22,0 ...... 1
21,1 .... 3 . •
23.3 .. 1 .. ..
122,1 ...... 3
19.5 ...
8,6 ..
19.6 ...
17.7 .. 1 .. 1
13.3 ..
11,5 ...... 1
7,4 ..
325886
44
36'
15
324 35,2 210 67 22,8 .. 2 .. 1 2 ..
62 38,2 32 8 19,7 . 1 .. ..
39 31,1 23 3 18,4 ..
53 40,1 19 3 14,3 ..
43 39,7 23 7 21,2 ..
992 36,2 673 202 24,4 ..105 4 8 12
135 36,3 85 13 22,8 ...... 4 ..
98 32,6 57 16 18,9 .. 2 .. 5 ..
79 60,9 32 8 24,7 ...... 1 ..
100 30,0 62 12 18,6 .
112 56,8 41 17 20,8 .. 1 .. 2 ..
52 37,2 35 J2 25,0 . 1 ..
2 .. 2 j
50 35,1 34 15 23,9 ...... 1 .. i 1
103 31,2 69 16 20,9 . 3 2 ..
54 31,7 29 4 17,1 .. 5 .. 1 1 1
23 26,1 14 1 15,9 ..
. . 75240 192 30,6 138 33 22,0 .... 1 .. 2 .
. . 82774 190 27,5 133 37 19,3 .. 3 1 1 . 1 ...
Digitized by GjO051 2
Bonn: darunter 9,7°/oo Geburten, 5,9%o Sterbi'falle Auswärtiger in Anstalten.
404 41,0 226 60 22,9 ..9 2 9 3 . 1
204 45,4 97 28 21,6 .. 1 .. 1 2 .. .. 2 .......
148 42,5 62 16 17,8 J 2 .. 3 1 1 .... ...
141 53,6 54 20 20,5 . 3 .. 3 .. 1 ...
90 37,8 38 13 16.0 ...
94 40,3 38 8 16,3 .... 3 3.. 1 ..[ ...
79 38,3 35 7 17,0 ...... 1 .
57 34.9 21 5 12,9 .. 1 .. 1 .>.. ...
. j 1 8 ! .
I I 1 1 .. 1 .... 1
i .. ..!.. i .... i
I I 2 .. .. 1 .
. .. 1 ..
• 3 ..
3 1 .. ....
i .. .. i
■5=3 =J-E '
S# 1
3Ö 2Ss3 S
N § = --> £
d r P u. er ^ ©
r h v ® es CG
11
I
Naol^voLsiiiijr über KrAnkenanfiinhine und Bestand in den Krankenhäusern ans
51 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juni 1896.
Krankenhäuser
ielefeld.. .
erford . .
rtmund . . .
agen i. W. . .
Fitten . . . .
bamm.
fcerlohn . . . .
Siegen.
ffclsenkirclien .
ichwelm. . - .
Düsseldorf . . .
Elberfeld. . . .
.
farmen . . . .
Jfrefeld . . . .
5ssen a. d. Ruhr
Zahl der Gestorbenen
Nachweisiiiig; Uber Kranken Aufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans
51 Stiidtcn der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juli 1896,
— 13 —
Htei*bliclil£eits-&ta.tistil£ von 53 Städten der Provinzen Westfalen,
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juni 1896.
Monat
Juni
1896
Essen a. d. Ruhr
Duisburg . . .
M.-Gladbach . .
Remscheid. . .
Wermelskirchen
Ronsdorf . . .
Ruhrort. . . .
Lennep . . . .
Süchteln. . . f
Aachen . . . .
Eschweiler. . .
Eupen . . . .
Burtscheid. . .
Stolberg. . . .
Köln.
Bonn* ....
Mülheim a. Rh..
, Kalk.
i : Trier.
Malstatt-Burbach
St Johann . .
» Saarbrücken . .
Coblenz ....
Kreuznach. . .
Neuwied. . . .
Wiesbaden.
Kassel . .
N ®
I Äg
o '«'S
g 3*
— a
57800 125 26,0
45500 166 41,9
23158 75 38,0
22315 62 33,3
116831
53901
41828
31582
28542
28000
24720
19571
14000
11118
175861
140000
127000
107816
96163
70187
53666
47285
40861
31432
30096
30159
26772
22804
25032
22258
13451
12178
11712
10427
8120
364 37,9
155 34,5
121 34,8
117 44,4
88 37,0
78 33,4
80 38,8
44 27,0
46 39,4
30 32,4
613 41,8
435 37,3
378 35,7
267 29,7
349 43,6
233 39,8
168 37,6
151 38,3
123 36,1
119 45,4
90 35,9
115 45,7
115 51,6
61 32,1
58 27,8
60 32,3
41 36,6
29 28,6
28 28,8
25 28,8
19 28,1
110489 313 34,0
19482 58 35,7
15036 39 31,1
15856 52 39,4
13013 52 48,0
1325840 1028 37,9
44650 121 32,5
36000 135 45,0
15569 63 48,6
39993 90 27,0
23675 83 42,1
16768 47 33,6
17081 42 29,5
0
® s
3
i i
Todesursachen
Gewaltsamer
II
cs
0
iS*
Infections-
Krankheiten
Tod durch
sk
fi
<a
Darunter Kinde
1 Jahr
^g ■
ä C 43
ä 2*0
s
£3
CD
Pocken
T3
%£
El
IS
55
Scharlach
Diphtheritis
und Croup
Stickhusten
Unterleibstyph.,
gastr. Fieber
Ruhr
Kindbettfieber
Andere Infec-
tionskrankh.
Daimkatarrh u.
Hrechdurchfall
Verunglückung
oder nicht n&ker
constatirte Ein¬
wirkungen
Selbstmord
Todtschlag
106
50
22
26
213
91
73
54
35
44
25
20
24
17
300
187
168
158
169
137
81
72
66
51
47
54
53
33
48
18
18
15
22
12
8
182
31
15
22
13
686
82
91
38
65
23
14
20
59
55
17
123
120
32
17
3
8
85
37
22
22
15
9
7
1
5
3
135
59
48
55
64
44
33
23
32
20
16
24
21
8
19
7
6
3
12
1
64
3
5
10
3
282
20
28
20
15
12
6
6
18
17
2
41
32
— 14 —
Sterblichkeits-Statistik von 58 Städten der Proyinzen Westfalen,
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juli 1896.
Monat
Juli
1896
Münster .
Bielefeld
Paderborn
Minden .
Dortmund .
Bochum . .
Hagen. . .
Gelsenkirche
Hamm . .
Witten . .
Iserlohn . .
Siegen . .
Schwelm. .
Lippstadt .
Düsseldorf.
Elberfeld .
Barmen . .
Crefeld . .
Essen a. d.
Duisburg .
M.-Gladbach
Remscheid.
Solingen. .
Mülheim a. d
Rheydt . .
Oberhausen
Styrum . .
Viersen . .
Neuss. . .
Wesel. . .
Wermelskircl
Ronsdorf .
Ruhrort . .
Lennep . .
Süchteln. .
Aachen .
Eschweiler
Eupen. .
Burtscheid
Stolberg.
Köln . .
Bonn * .
Mülheim a.
Kalk . .
Trier . . .
Malstatt-Bur
St. Johann.
Saarbrücken
Coblenz .
Kreuznach
Neuwied.
Wiesbaden
367 36,8
166 37,0
149 42,8
113 42,9
9b 39,9
82 35,1
82 39,8
49 30,0
52 41,6
30 32,4
606 41,3
406 34,3
345 32,6
297 33,0
345 43,1
281 48,1
164 36,7
150 38,1
136 39,9
100 38,2
99 39,5
131 52,5
126 56,5
61 32,1
79 37,5
57 30,7
40 35,7
32 31,5
28 28,7
18 20,7
24 35,5
297 32,2
54 33,7
33 26,3
46 34,2
52 47,9
1045 38,3
136 36,6
123 41,0
64 49,3
84 25,2
105 53,2
38 27,2
49 34,4
89 26,9
56 32,0
25 28,3
162 25,8
82774 189 27,4
117357
53788
41828
31582
28542
28000
24720
19571
15000
11118
175861
142000
127000
107816
96163
70187
53 666
47231
40865
31432
30096
30159
26772
22804
25272
22258
13451
12178
11712
10427
8120
110489
19182
15036
15856
13013
Todesursachen
In fections-Krankheiten
. 57800 147 30,5 108 42 22,4
. 47500 142 35,9 49 13 12,4
. 23158 68 35,2 13 1 6,7
. 22315 53 28,5 26 7 14,0
66 102 26,7
09 39 24,3
66 31 18,9
86 41 32,7
44 24 18,5
48 22 20,6
24 10 11,7
22 7 13,5
24 5 19,2
13 2 14,0
!58 153 28,0 .
31 8 19,4 .
25 13 20,0 .
23 13 17,4 .
21 6 19,4 .
15 450 29,9 .
90 30 24,2 .
87 51 29,0 .
37 19 28,5 .
85 40 25,5 .
34 18 17,2 .
26 10 18,6 .
19 8 13,3 .
60 19 18,2 .
42 17 24,0 .
10 1 11,3 .
09 40 17,4 .
22 36 17,7 .
Gewaltsamer
Tod durch
53 ^ H „i
M C -f
63
ÜO.H ^ >-
= -2
g t. er ^
3 3 2 .......
1 2 .. lL ...
5 1 5
.. 1 3
1 l \ 1
1 2 1 1
1 3 H.. 1
7 1 ..LJ ...
2 2 ...
.. 4 4.
..3 5
1 .. 1
5 4 3
18 2 5
7 1 2
2 143
... 53
2 .. 1
..11
1 .. 2
.. .. 1
.. .. 2
40 3 8
.... 3
3 2 1
9 1 .... 8 280
,. .. .. 11
3 .. .. 6
2 .. .. 1 ... 1
2 1 1
* Bonn: darunter 10,5%» Geburten, 8,3%» SterbefElle Auswärtiger in Anstalten. t Hinrichtung.
— 15 —
Naohweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenh&usern aus
51 St&dten der Provinzen Westfalen. Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat August 1896«
Städte
Krankenhäuser
Bestund
am
Schlüsse
Summa der
Aufgenommenen
g
>- ei
»SS
.3
aS
S
©
a
s
CA
.2
*3
Bielefeld ....
städt u. kath. Krankenhaus .
123
111
110
Minden ....
städtisches Krankenhaus. . .
34
22
27
Münster ....
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St.
398
358
264
Herford ....
städt. Krankenhaus.
53
50
19
Dortmund . . .
Louisen- und Johannishospital
399
337
452
Hagen i. W. . .
städtisches Hospital.
91
90
81
Witten . . . .
Diakonissenhaus u.Marienhosp.
221
198
160
Hamm.
städtisches Krankenhaus. . .
34
39
18
Iserlohn ....
82
80
69
Siegen .
n n ...
49
53
51
Gelsenkirchen .
Marienstift u. evang. Hospital
277
294
36«
Schwelm ....
städtisches Krankenhaus . .
25
27
19
Düsseldorf . . .
evangelisches Hospital. . . .
209
165
150
n ...
Marienhospital.
326
309
240
Elberfeld. . . .
St. Josephhospital .
186
173
142
städtische Krankenanstalten .
197
174
205
Barmen ....
städtisches Krankenhaus. . .
184
156
188
Crefeld ....
204
196
178
Essen a. d. Ruhr
Iluyssenstift und Ivrupp’sches
Krankenhaus .
251
209
276
M.-Gladbach . .
Bethesda-u.Mariahilf-Kranken-
haus.
143
146
Remscheid . . .
städt. Krankenhaus .
87
84
63
Mülheim a. d. R. .
evangelisches Krankenhaus . .
115
90
61
Viersen ....
städtisches Krankenhaus. . .
32
28
13
Wesel .
„ Hospital .
57
?
43
Rheydt ....
„ Krankenhaus . . .
52
46
37
Neuss .
Tf 7) ...
541
45
27
Solingen ....
n Tt ...
82
75
61
Styrum ....
n T) ...
57
48
32
Ruhrort ....
Hanielsstiftung .
40
46
37
Odenkirchen . .
städtisch. Krankenhaus . . .
8
9
3
Aachen . . . .
Mariahilfhospital .
300
295
288
Eschweiler . . .
St Antoniushospital . . . .
96
100
32
Eupen .
St. Nicolaushospital .
25
| 26
16
Burtscheid . . .
Marienhospital .
104
, 86
58
Stolberg ....
Bethlehemhospital .
79
! 72
12
Köln .
Bürger- u. Augustahospital. .
844
786
849
Köln-Deutz . . .
städtisches Krankenhaus . . .
102
96
54
Köln-Ehrenfeld .
118
116
72
Mülheim a. Rh. .
städt. u. Dreikönigenhospital.
170
165
162
Kalk .
städtisches Krankenhaus. . .
86
; 80
66
Trier .
städt. Hospital u. Stadtlazareth
109
105
23
Saarbrücken . .
Bürgerhospital .
71
62
72
Kreuznach . . .
städtisches Hospital .
52
45
54
Neuwied . . . .
7t n .
52
36
36
Wiesbaden . . .
städtisches Krankenhaus. . .
117
84
147
Kassel .
Landkrankenhaus .
328
333
278
Fulda .
92
87
89
Hanau .
• ■••••
137
135
85
Eschwege . . .
rt ••••••
33| 32
32
Rinteln . . . .
12
g
5
Schmalkalden . .
n .
24
19
22
Kranklieitsformen der Aufgenommenen I |
Pocken
Varicellen
1
c
SJS
o
CM
t o
2«
53
Scharlach
Üiphtheritis, G'roupl
i
s
—
ej
0
©
US
Unterleibstyphus
Epidemische
Genickstarre
p
X
!
Brechdurchfall
Kindbettfleber
»•
©
©
C5
fl
5
£
Kose
£
!
0
fr.
«
2
X
4
J »
1
* ’
■ •
'4
1
7
2
li
2
# m
,,
i
18
1
1
14
6
2
1
2
21
5
4
;;
1
4
2
••
...
12
• •
’i
2
5
i!
• •
3
1
86
19
3
8
1
1
9
*8
14
1
16
;;
’i
4
i
5
2
i
12
1
3'
3
i
13
n
2
3
17
1
4
6
1
1
16
1
1
1
1
13
..
i
9
5
3
’i
9
1
* *
*i
i
1
6
"
;;
6
s
4
2
2
l
# •
• • •
4
’i
1
4
1
1
1 * *
• •
* *
i. 6 '
1 3
7
7
12
6
20
4
*3
;;
i
!*'
*3
1 ••
1
1
1 • •
7
68
7
6
1
l
14
72
2
i..
1
2
1
7
. .
11
I..
2
11
’i
6
7
^ 2
5
7
1 * •
1
r
i . #
2
4
*2
4
6*
1
5
1
1
14
8
3
1
2
17
5
1
i * *
4
1
3
9 #
’i’
6
2
4
i .
2
1
"
1 3
Digitized by
Google
* Kr&tse und Ungeziefer.
— 16 —
Hterbliolilceits-Statistilc von 53 Städten der Provinzen Westfalen,
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat August 1896.
Monat
August
1896
3
CH
N
i
fa
Qi
a
o
*
a
3
Zahl der Lebend¬
geborenen
* >
o £
flo 'S
«er*.
3 p a
.2 cS s9
2 = T?
ifs
* o
e
§ I
l-s
7^
•3 J
—
* $
N st
CS
Darunter Kinder unter
1 Jahr
a i
o.s
f fM
11*3
c =
— i ns
I4 §
^ X
Münster.
57800
142
29,5
104
45
21,1
Bielefeld.
45500
130
32,8
65
29
16,4
Paderborn ....
28158
41
21,2
29
11
15,0
Minden.
22315
63
33,9
29
13
15,6
Dortmund ....
118029
417
41,6
262
122
26,1
Bochum.
53788
203
45,3
108
49
24,1
llagen.
41828
156
44,8
64
24
18,4
Gelsenkirchen . .
31582
146
55,5
67
26
25,5
Hamm.
28542
105
44,1
54
32
22,7
Witten.
28000
86
36,2
48
22
20,6
Iserlohn.
24720
68
33,0
42
23
20,4
Siegen .
19571
54
33,1
20
5
12,3
Schwelm ....
15000
35
28,0
17
4
13,6
Lippstadt ....
11118
28
30,2
20
8
21,6
Düsseldorf. . . .
175861
571
39,2
337
199
23,0
Elberfeld ....
142000
370
31,3
199
85
16,8
Barmen.
127000
318
30,0
178
75
16,8
Crefeld.
107816
240
26,7
202
97
22,5
Essen a. d. Ruhr.
96163
377
47,0
188
86
23,5
Duisburg ....
70187
276
47,2
121
67
20,7
M.-Gladbach . . .
53666
178
39,8
114
59
25,5
Remscheid. . . .
47231
142
36,1
68
26
17,3
Solingen.
40864
131
38,5
51
22
15,0
Mülheim a. d. Ruhr
31432
89
34,0
56
28
21,4
Rheydt.
30096
81
32,3
58
30
23,1
Oberhausen . . .
32000
113
42,4
55
32
20,6
Styrum * . . . .
26772
132
59,2
63
27
28,2
Viersen.
22804
67
35,3
41
16
21,6
Neuss.
25272
83
39,4
59
30
28,0
Wesel. -. . . . .
22258
51
27,5
27
9
14,6
Wermelskirchen .
13451
49
43,7
10
3
8,9
Ronsdorf ....
12178
25
24,6
17
5
16,7
Ruhrort .
11712
52
53,3
12
7
12,3
Lennep .
10427
27
32,1
10
3
11,5
Süchteln .
8120
12
17,7
7
1
10,3
Aachen.
110489
329
35,7
248
139
26,9
Eschweiler. . . .
19482
55
33,9
33
9
20,3
Eupen .
15036
38
30.3
21
11
16,8
Burtscheid ....
15856
42
31,8
33
21
25,0
Stolberg.
13013
49
45,2
24
12
22,1
Köln.
327941
1025
36,8
699
406
25,1
Bonn *.
44650
124
33,3
103
34
27,7
Mülheim a. Rh.. .
36000
141
47,0
56
28
18,7
Kalk.
15569
55 j
42,4
45
22
34,7
Trier.
39993
94 1
28,2
70
25
21,0
Malstatt-Burbach .
23675
98
49,8
29
15
14,7
St Johann . . .
16768
44
31‘5
29
7
20,8
Saarbrücken . . .
17081
61
42,8
32
11
22,5
Coblenz .
39640
84
25,4
56
16
17,0
Kreuznach . . . .
20800
57
32,9
34
19
19,6
Neuwied .
10593
16
18,1
24
9
27,3
Wiesbaden. . . .
75240
176
28,1
124
36
19,8
Kassel.
82774
212
30,7
103
32
14,9
Todesursachen
Infections-Krankheiten
Pocken
d£
o> .©
3-
s
Scharlach
Diphtheritis
und Croup
Stickhusten
Ju
«•—
^u.
■Si
Ü s
Ruhr
Kindbettfieber
Andere Infec-
tionskrankh.
f!
Il
ii
bc aJ p
Jf W g
“3 C ’V u
Uli
»•o o
-*• c *->
Selbstmord
jP
2
1
O
H
..
3
2
1
22
2
2
5
..
. . .
7
2
1
i
1
3
••
..
8
3
5
4
2
..
1
51
2
2
2
2
2
1
3
2
2
15
6
9 9
1
1
1
10
1
..
11
13
1
• •
1
..
18
.,
9 9
1
i
7
2
1
..
..
13
9 ,
1
1
1
1
1
2
• •
• .
7
1
i
120
5
3
1
2
..
5
7
52
6
1
1
8
1
4
2
..
i
50
3
3
9 9
14
2
3
1
1
38
1
2
• •
2
5
3
6
3
i
32
8
,.
1
1
33
3
::
1
3
2
...
23
2
i
1
7
1
2
1
5
3
3
. •
1
14
4
2
o
i
14
1
i
.. 1
25
5
9 9
3
l
6
1
2
1
2
i
1
l
10
8
’i
..
■ • c
,,
i
..
i
2
6
. .
''
r.:
1
. .
’i
..i
••
. .
l
1
5
3
. . ..
i
91
3
l
4
1
•••
1
1
,.
2
2
*•
::
...
14
. ’» .
2
:::
1
16
3
: i3
13
;>
221
13
4
1
2
i
20
. 3 •
1
3
1
’i
2
6
4
• 1
3
2
2
13
*2
1
3
4
• 1
! ‘i
3
l
1
11
1
! 2
1
i
5
1
1 ..
2
i
4
1
1
1
1
1
1
22
1
l
| 1
1
| *'
l
r
3
...
15
1
• •
Gewaltsamer
Tod durch
Bonn: darunter 8,atyoo Geburten, 8,9%o Sterbefille Amw&rtiger in Anstalten.
— 17 -
NaohweiMung Uber Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus
51 St&dten der Proyinaen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat September 1890«
Bielefeld. .
Minden . .
Münster . .
Herford . .
Dortmund .
Hagen i. W.
Witten. . .
Hamm . . .
Iserlohn . .
Siegen. . .
Gelsenkirche]
Schwelm. .
Düsseldorf .
Elberfeld.
Barmen . .
Crefeld . .
Essen a. d. R.
M.-Gladbach
Remscheid . .
Mülheim a. d. 1
Viersen . . .
Wesel ....
Rheydt . . .
Neuss ....
Solingen . . .
Styrum . . .
Ruhrort . . .
Odenkirchen .
Aachen . . .
Eschweiler . .
Eupen ....
Burtscheid . .
Stolberg . . .
Köln ....
Köln-Deutz. .
Köln-Ehrenfeld
Mülheim a. Rh.
Kalk ....
Trier . . .
Saarbrücken
Kreuznach .
Neuwied . .
Wiesbaden.
Cassel. . .
Fulda . . .
Hanau. . .
Eschwege .
Rinteln . .
Schmalkalden
städt. u. kathol. Krankenhaus
städtisches Krankenhaus. . .
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St.
städtisches Krankenhaus. . .
Louisen- und Johannishospital
städtisches Hospital.
Diakonissenhaus u.Marienhosp.
städtisches Krankenhaus. . .
Marienstift u. evang. Hospital
städtisches Krankenhaus. . .
evangelisches Hospital. . . .
Marienhospital.
St. Josephshospital.
städtische Krankenanstalten .
städtisches Krankenhaus. . .
Huyssenstift und krupp’sches
Krankenhaus .
Bethesda u. Mariahilf-Kranken¬
haus .
städtisches Krankenhaus. . .
evangelisches Krankenhaus. .
städtisches Krankenhaus . .
„ Hospital.
„ Krankenhaus. . .
Hanielsstiftung.
städtisches Krankenhaus.
Mariahilfhospital . .
St. Antoniushospital.
St. Nikolaushospital.
Marienhospital . . .
Bethlehemhospital. .
Bürger- u. Augustahospital
städtisches Krankenhaus. .
n n • •
städt. u. Dreikönigenhospital
städtisches Krankenhaus. .
111 108
22 80
358 349
501 50
387 389
90 92
198 201
39 34
80 84
53 6G
294 249
27 29
165 141
309 316
173 155
174 194
156 154
196|221
209 230
146 154
84'
90
28!
57
46
45l
75|
48,
46
9
786 773 809
96 89 42
116 126 781
145 154 1541
80
städt. Hospital u. Stadtlazareth 105,1
städtisches Krankenhaus. . . 62
städtisches Hospital.45
städtisches Krankenhaus.
Landkrankenhaus. . . .
333 317
87
135 110
32 31 27
8; 16 10
19 15 14
1 1 1 ..
6 2 1 ..
3 5 6 , 61 3
4 531
■ :
. .. 9
. .. 8 .
# Kr&tse und Ungemiefer.
Digitized by
oSSSESoo * o CO tc CC Cn ‘ cd I Zahl der Gestorbenen
— 18 —
Nachweisuug: Uber Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans
51 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat Oktober 1896,«
Städte
Krankenhäuser
Bestand
am
Schlosse
I 3
9 9
TJ g
gl
s S
3£D
Krankheitsformen der Aufgenommenen
Pocken
Varicellen
Masern nnd
Köthel n
1
1
m
c.
0
r
O
B
c
0
.5
.£*
c
4
B
JS
0
ü
Unterleibstyphus ||
Epidemische
Genickstarre
Um
3
es
Brechdurchfall j
Kindbettfleber ||
k-
9
=
1 -
1
8
£
®
te
&
5| ..
1
1
3 ..
5
4
l! ..
i
. . .
2
::
. J ..
..
1
2
10
. .
9
1
;;
5
1
*6
5
1
1
..
. .
3
2
2
2
..
1
8
9
1
..
1
2
7
1
1
1
9
29
*9
1
1
1
3
1
2
2
..
4
i
1
..
2
7
2
2
10
1
3
”
*•
1
5
2
1
”
4
7
1
• •
2
2
i
• •
1
1
..
::
1
1
..
7
*5
I...
2
. .1
..
*"
*3
1 |
5
::
2
4
2
2
5
1
1
..
’ ’
! j
1
• • 1
2
2
5
39'
5
6
5
1
16
4
1
1 ...
* *
15
4
2
...
7
’i
’ ’
1
...
1
2
3
•*
j
1
• *
3
i
15*
1
1
• • •
,
1
2
1
6
, ,
1
1
2
0
1
! • • •
..
1 ,.
..
Bielefeld.
Minden .
Münster .
Herford .
Dortmund
Hagen i. W
Witten
Hamm.
Iserlohn
Siegen.
Gelsenkirchen
Schwelm .
Düsseldorf
Elberfeld.
Barmen
Crefeld
Essen a. d. Ruhr
M.-Gladbach
Remscheid
Mülheim a. d. R.
Viersen .
Wesel . .
Rheydt .
Neuss . .
Solingen .
Styrum .
Ruhrort .
Odenkirchen
Aachen .
Eschweiler
Eupen . .
Burtscheid
Stolberg .
Köln . .
Köln-Deutz
Köln-Ehrenfeld
Mülheim a. Rh.
Kalk .
Trier . . .
Saarbrücken
Kreuznach .
Neuwied . .
Wiesbaden .
Kassel. . .
Fulda . . .
Hanau. . .
Eschwege .
Rinteln . .
Schmalkalden
städt. u. kath. Krankenhaus
städtisches Krankenhaus. .
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St.
städt. Krankenhaus ....
103117
30 29
|349 355
50 43
Louisen- und Johannishospital
städtisches Hospital.
Diakonissenbaus u.Marienhosp.
städtisches Krankenhaus. .
Marienstift u. evang. Hospital
städtisches Krankenhaus .
1389 41öl
92 84
|201 234
34.37
84 85,
. 66 78|
|249 265
29 381
evangelisches Hospital. . .
Marienhospital.
St. Josephhospital ....
städtische Krankenanstalten
städtisches Krankenhaus. .
Huyssenstift und Krupp’sches
Krankenhaus .
Bethesda-u.Mariahilf-Kranken-l
haus.
städt Krankenhaus ....
evangelisches Krankenhaus,
städtisches Krankenhaus. .
„ Hospital....
„ Krankenhaus. .
141 149
16 350
155 176
194 186
154 180
1221 227
230 226
Hanielsstiftung ....
städtisch. Krankenhaus
154 164
82 86
91 92
28 36
55 62
52 42
59 67
84 8- c
46 54
35 46
8 8
Mariahilfho8pital
pll
St Antoniushospital
St. Nicolaushospital.
Marienhospital . . .
Bethlehemho
hospital
,293 329
100 94 |
21
93
70
25|
?
791
Bürger- u. Augustahospital.
städtisches Krankenhaus. .
städt u. Dreikönigenhospital.
städtisches Krankenhaus. .
[773 806
89 91
126 109
154 153
76 84
städt Hospital u. Stadtlazareth
Bürgerhospital.
110 111
94 91
städtisches Hospital
36 44
51 56
städtisches Krankenhaus.
Landkrankenhaus....
98 107
317 321
82 82|
110 112
132
36
267
14
457
60
230
23
65
61
2731
20
122
276
139
222
196
204
315
110
70
60
16
40
35
32
57
44
43
4
281
25
13|
61
181
803
56
72
168
60
33
70
45
53
123
262
74
93
18
8
17
Kritae und Ungeziefer.
Digitized by
Google
— 19 -
Sterbliohkeitis-Statistik ron 58 StAdten der ProTinEen Westfalen,
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat September 1896.
Monat
September
1896
9
N
h
o>
q
o
£
G
W
T3
a
* i
c .2
* £ rt
ßl
£ |
$
G
a
Todesursachen
Infections-Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
Zahl der Leb
geborenen
g P
5 Grs
3®ß
11 °
-f
ll
— —
n p
ea
Darunter Kinde
1 Jahr
.5 o v.
rt a
'. B rt
p
£
G
S
CU
-
s«
ej
1 «
s
Scharlach
Diphtheritis
und G’roop
J
/
-
—
|
CO
al
li
® £
11
hm
z
2
T
s
¥
£ J
|1
O.J
li
51
Verunglhckung
oder nicht näher
constatirte Ein¬
wirkung
Selbstmord
Todtschlag
Münster.
57*00
140
138
29 1
78
25
16 2
i
2 •
1
1
5
2
Bielefeld ....
47500
34,9
77
38
19,5
i
10
2
l'
9
2
1
Paderborn ....
23158
51
5
17
6
8,8
3
Minden.
22315
50
26 9
24
8
12*9
1
5
2
3
Dortmund ....
11*645
379
38 0
16*
67
17,3
..
5
2
2
19
7
2
Bochum.
53 7**
190
42 4
94
34
21 0
10
2
* *
9
2
1
Hagen.
42391
143
40 5
73
34
20 7
4
3
**
1
9
i
Gelsenkirchen . .
31582
172
65,4
67
25
25,5
• •
i
3
1
1
7
2
2
Hamm.
2*542
10 ‘?
42 9
42
18
17 6
..
1
12
1
Witten.
2*000
89
38 1
47
20
20 1
2
3
1
4
3
1
Iserlohn.
24720
*0
38 8
39
12
18 9
1
2
Siegen.
19571
50
30*7
13
3
8 9
1
1
Schwelm.
15000
39
31 2
19
15 2
i
1
2
2
Lippstadt ....
1111 *
29
31 3
12
2
130
1
Düsseldorf. . . .
175*61
60*
41,5
25! 1
121
17 7
2
1
5
1
2
43
7
1
Elberfeld ....
142000
389
32,9
165
67
13,9
2
2
3
1
30
4
Barmen.
127000
349
33,0
131
El
12,4
..
i
1
4
i
1
2
23
6
i
Oefeld.
107816
267
29,7
149
65
16,5
2
l
5
i
2
2
17
2
..
Essen a. d. Ruhr.
96163
349
43,6
156
67
19,5
2
2
2
1
29
5
i
Duisburg ....
70187
251
42,9
89
44
15,2
i
1
1
1
18
3
M.-Gladbach . . .
53666
163
36,5
75
27
16,8
2
2
14
1
i
Remscheid. . . .
47231
140
35,6
50
17
12,7
i
1
i
2
1
3
2
Solingen.
40863
129
37,9
63
30
18,5
2
2
1
3
Mülheim a. d. R. .
31432
90
34,4
24
10
92
1
i
5
i
Rheydt.
30096
90
35,9
51
24
20,3
2
4
13
Oberhausen . . .
30159
140
55,7
42
21
16,7
i
2
10
3
Styrum.
26772
119
53,0
39
16
17,5
l
2
i
Viersen.
22*04
47
24,7
21
7
11,1
4
Neuss.
25272
76
36,1
51
26
24,2
*i
i
i
5
Wesel. .....
22258
54
29,1
13
4
7,0
1
I • •
4
Wermelskirchen .
13451
37
33,0
11
2
9,8
*2
l
’i
Ronsdorf ....
12178
17
16,8
15
6
14,8
l
i
1
i
Ruhrort.
11712
31
31,3
14
8
14,3
i
i
4
Lennep .
8896
20
27,0
11
14,8
’i’
1
Süchteln.
8120
16
23,6
8
3
11,8
i
2
Aachen.
1104*9
365
39,6
171
*6
18,6
2
2
2
2
37
l
Esch weder. . . .
19482
64
39,4
33
16
20,3
1
1
i
Eupen.
15036
35
27,9
24
7
19,2
[.
1
1
Burtscheid. . . .
15856
53
40,1
20
10
15,1
6
Stolberg.
13013
42
38,7
21
10
19,4
1
2
Köln.
328625
980
33,8
552
249
19,4
10
1
13
14
3
1
4
122
6
2
Bonn *.
44650
145
39,0
80
29
21,5
1
1
1 • •
6
1
1
Mülheim a. Rh. .
36001
119
39,7
66
37
22,0
1
5
Kalk.
15576
50
38,5 j
28
16
21,6
i
1
! , .
1
Trier.
39993
98
29,4
53
15
15,9
l
7
5
Malstatt-Bur hach .
23675
104
52,7
45
24
22,8
1
6
1
1
St Johann. . . .
16768
44
31,5
18
6
12,9
i
Saarbrücken . . .
17081
42
29,5
26
9
18,3
i
3
4
2
2
’i
Coblenz.
39640
76
23,0
41
12
12,4
2
8
1
1
Kreuznach....
20400
40
23,5
31
10
18,2
i
3
1
Neuwied.
10593
26
29,5
13
4
13,6
i
..
!
2
Wiesbaden....
75240
174
27,8
101
35
16,1
3
2
6
3
Kassel.
82774
201
29,1
85
20
12,3
i
4
2
2
3
i
[
Digiti;
:ed
by(
j(
30
•öl
le
* Bonn: darunter 12,4%» Geburten, 6,7%» Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten.
- 20 -
HterbIiohkeiti9-8tatiatik von 58 Städten der Provinzen Westfalen,
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Oktober 1896.
Monat
Oktober
1896
Todesursachen
Infeetions-Krankheiten
= 1 - -J % g
c : s a « .ti ® ] -2
4 » “ Jr £ 2
8 ^ *
- 3« « q.b! -H
S X S 3 x
-5* a; . ® a c
i 1 « •—« eö
£^! ä |i' Sg
Münster. .
Bielefeld. .
Paderborn .
Minden . .
Dortmund .
Bochum . .
Hagen. . .
Gelsenkirche
Hamm. . .
Witten . .
Iserlohn . .
Siegen . .
Schwelm .
Lippstadt .
Düsseldorf.
Elberfeld .
Barmen . .
Crefeld . .
Essen a. d. !
Duisburg .
M.-Gladbach
Remscheid.
Solingen. .
Mülheim a.d.
Rheydt . .
Oberhausen
Styrum . .
Viersen . .
Neuss. . .
Wesel. . .
Wermelskirc!
Ronsdorf .
Ruhrort . .
Lennep . .
Süchteln. .
Aachen . .
Eschwciler.
Eupen . .
Burtscheid .
Stolberg. .
Köln . . .
Bonn * . .
Mülheim a. I
Kalk . . .
Trier ....
Malstatt-Burba
St. Johann .
Saarbrücken .
Coblenz . . .
Kreuznach. .
Neuwied. . .
Wiesbaden. .
57800 143 29,7 87 24 18,1 .. 1 .. 1 1 1 .. 1 ...
47900 146 36,6 58 21 14,5 .. .. .. 1 1 2 1 .
23158 57 29,5 38 5 19,7 .
22315 56 30,1 31 10 16,6 .... 1 .. 4 .
5 4
4 2
1
1 1
119345 417
53788 185
42391 120
31582 129
28542 83
28000 78
24720 63
19571 46
15000 33
11118 25
175861 635
142000 394
127000 363
107761 292
96163 372
70187 260
53666 201
47231 149
40863 119
31432 127
30096 104
30159 118
26772 139
22804 58
25272 89
22258 50
13451 33
12178 33
11712 39
8878 26
8119 9
41.1 188
41.3 87
34,0 49
49,0 50
34.9 28
33.4 43
30,6 36
28.2 28
26.4 10
26,8 11
43.3 223
33.3 157
34.3 131
32.5 129
46.4 184
44.4 99
44.9 94
37.9 65
34.9 42
48.5 53
41.5 43
47,0 50
62.3 50
30.5 31
42.3 65
26.9 25
29.9 15
32.5 15
39.9 22
35,1 10
13.3 13
1 5 5 1 2 .. 1 ...
6 3.. 4L. 1...
" •• 2 1 |.
.. .. 1 1 213.
56 18,5 .. 1 5| 5 1
27 19,4 .. .. | 6 3 ..
20 13,9 .. .. .. .. 2
16 19,0. 11
8 11,7 .. 2'.
12 18,4 .... 3 3.. I 1
12 17,5 .. 1 .. 1 .. 1
5 17,2.
1 9,3 .. L ......
3 11,9 .. ...... 1
.. 2 5 13...
1 1 2! 2 5 1 ..
.. 4 1 8 6 ...... 1
12 2 1 1 L.l 2 ...
14 9
11 2
13 3
7 3
161.. .......
.. 3.... .......
.. 1 .. .. 1 .. I ...
.. •• 1
1 2 .... 1.......
1 1 6 1 .. ...
.. .. 31.. .. ........
1 .. 1 10 1 .. .
.. II 1 .. .. .
.!
:: :: .!■;!.!.
.. I.. 1 .. ..
110489 337 36,6 185 76 20,1
II.. 2 7 2
19482 73 45,0 33 10 20,3 .. I .. 1 4
15036 40 31,6 29 8 23,1 1
15856 42 31,8 12 4 9,1 ..
13013 45 41,5 24 12 22,1 1
469 170 16,8 .. 1 1 13 12 3 .. 2 5
70 28 18,8 .. .. .. 5 ..
67 31 22,3 .. .. .. .. 4, 2 .. 1 ..
20 6 15,4 ...... 1 .. ...
47 11 14,1 ............
33 16 16,7 .. .. .. 1 6 ' 1
20 7 14,3 ...... 3 I....
17 5 11,9 .. .. .. .. 1 ..
34 8 10,3
12 3 13,6
85 12 13,5 .. j .. || 12
100 23 14,5 4 ..
Bonn: darunter 10,5%o Geburten, 8,.‘l°/<» Sterbef&lle Answ&rtiger in
— 21 —
Nachweisung 1 über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus
53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Noyember 1895.
Städte
Krankenhäuser
Bes
a
Sehl
*3
? *
> c
«3?
and
m
usse
r:
c
o
a
8
'S
W, c
o
*e 0
£ ~
S 2
E Z
3 tC
* 3
■<
Bielefeld....
städt. u. kathol. Krankenhaus
115
139
151
Minden ....
städtisches Krankenhaus. . .
28
40
60
Paderborn . . .
Landeshospital.
50
58
52
Münster ....
Clem.-Franzk.-Hosp. u. Joh.-St.
386
407
278
Herford ....
städtisches Krankenhaus. . .
53
61
24
Dortmund . . .
Louisen- und Johannishospital
425
428
402
städtisches Hospital.
89
103
73
Witten.
Diakonissenhaus u.Marienhosp.
215
215
180
Hamm.
städtisches Krankenhaus. . .
39
38
23
Iserlohn ....
n n . . .
97
123
66
Siegen .
n n ...
73
50
50
Gelsenkirclien .
Marienstift u. evang. Hospital
235
213
238
Schwelm ....
städtisches Krankenhaus. . .
37
38
27
Düsseldorf. . .
evangelisches Hospital. . . .
225
227
183
n ...
Marienhospital.
297
318
243
Elberfeld....
8 t. Josephshospital.
162
190
150
...
städtische Krankenanstalten .
187
195
221
Barmen ....
städtisches Krankenhaus. . .
200
199
184
Crefeld ....
219
247
193
Essen a.d.lL. .
lluyssenstift und Krupp’sches
Krankenhaus .
274
253
290
M.-Gladbach . .
Bethesda u. Mariahilf-Kranken-
haus.
138
139
105
Remscheid . . .
städtisches Krankenhaus. . .
90
93
78
Mülheim a. d. K.
evangelisches Krankenhaus. .
127
119
60
Viersen ....
städtisches Krankenhaus . .
26
27
16
Wesel.
„ Hospital.
43
42
32
Rheydt ....
„ Krankenhaus. . .
44
44
29
Neuss.
y> n ...
43
57
29
Solingen ....
n T) . . .
80
91
59
Styrum ....
r> n • • •
62
71
38
Ruhrort ....
Ilanielsstiftung.
45
39
27
Odenkirchen . .
städtisches Krankenhaus. . .
13
10
7
Aachen ....
Mariahilfhospital.
324
'324
292
Kschweiler. . .
St Antoniushospital.
114
110
19
Kupon .
St. Nikolaushospital.
33
35
12
Burtscheid . . .
Marienhospital.
90
9s
62
Stolberg ....
Bethlehemhospital.
98
i 95
24
Köln.
Bürger- u. Augustahospital .
799
821
794
Köln-Deutz. . .
städtisches Krankenhaus. . .
97
113
63
Köln-Ehrenfeld .
rt n ...
106
103
48
Bonn.
Friedr. Wilh.-Stift.
31
| 72
m
Mülheim a. Rh.
städt. u. Dreikönigenhospital.
180,
175
161
Kalk.
städtisches Krankenhaus. . .
84
87
62
Trier.
städt. Hospital u. Stadtlazareth
110
124
39
Saarbrücken . .
Bürgerhospital.
86
89
73
Kreuznach . . .
städtisches Hospital.
38*
52
56
Neuwied ....
n n .
44
43
52
Wiesbaden. . .
städtisches Krankenhaus. . .
134!
125
165
Bettenhausen . .
Landkrankenhaus.
174
289
296
Fulda.
.
771
78
80
Hanau.
••••••
100
113
86
Escliwegc . . .
n .
40
43
40
Rinteln ....
„ .
17
31
21
Schmalkalden. .
n .
19
21
15
| Krankheitsformen der Aufgenommenen
Bocken
Varicellen
•-
£
BÖ
T3
e
0
c
t-
©
■
4
Scharlach
cs.
3
D
i-
o
0
c
i-
’S.
5
Keuchhusten
Unterleibstyphus
Epidemische
Genickstarre
u
3=
0
ca
%
—
a
T
*-
-
m
's
—
'O
3
u
B
rC
V
C
r
■1
5
o
’’
S.
3
’i
’i
1
1
*8
1
8
’i
1
18
2
2
1
5
8
4
4
1
1
5
5
2
1
1
1
2
1
6
1
1
2
12
1
2
5
2
1
i 1
1
3
11
5
2
1
2
2
1
2
2
1
2
79*
2
4
9
7
6
1
8
1
i
2
20
1
4
*2
2
1
1
5
1
’i’
1
4
1
’i’
l
’l
1
18
1
1
4
3
5
1
1
1
6
29
7
5
1
1
1
14
*i
iö
2
*4
T
3
*2
1
2
1
2
4
14
6
1
*3
1
1
14
3
25f
3
i
’i
2
2
*i
*7
1
* Krätzkranke. t Krätze und Ungeziefer.
Digitized by
Google
22
IV&oliweifsiiiig: über Kr&nkenaufnnhme und Bestand in den Krankenhäusern ans
49 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat December 1895.
Krankheitsformen der Aufgenommenen I §
Bielefeld. . . .
Minden . . . .
Paderborn . . .
Münster . . . .
Herford . . . .
Dortmund . . .
Ilagen i. W. . .
Witten . . . .
Hamm.
Iserlohn . . . .
Siegen.
Gelsenkirchen .
Schwelm . . . .
Düsseldorf . . .
Elberfeld. ! !
„ . . . .
Barmen . . . .
Crefcld . . . .
Essen a. d. Ruhr
M.-Gladbach . .
Remscheid . .
Mülheim a. d. R
Viersen . . .
Wesel ....
Rheydt . . .
Neuss ....
Solingen . . .
Styrum . . .
Ruhrort . . .
Odenkirchen .
Aachen . . .
Esch weder . .
Eupen ....
Burtscheid . .
Stolberg . . .
Köln ....
Köln-Deutz. .
Köln-Ehrenfeld
Bonn ....
Mülheim a. Rh.
Kalk ....
K rankenhunser
.1 städtisches Krankenhaus.
e * ; 1
■ö ; 2 ! g 5 •*. =5 g S
s I \i\^ i * s« . i % I
•g s ££ % \'B -2 2 s2 •§ a % f
~ a %C£ fj I Je j 3 — c ’? 'ö ©
> " X i tffl a- o. * S I C ^
städt Krankenhaus ....
Louisen- und Johannishospitj
städtisches Hospital....
Diakonissenhaus u. Marienhos
städtisches Krankenhaus. .
Trier . . .
Saarbrücken
Kreuznach .
Neuwied . .
Wiesbaden .
Hettenhausen
Fulda . . .
Hanau. . .
Eschwegc .
Rinteln . .
Schmalkalden
städtisches Krankenhaus .
evangelisches Hospital. . .
Marienhospital.
St. Josephhospital ....
städtische Krankenanstalten
städtisches Krankenhaus. .
n n •
Huyssenstift und Kruppsche
Krankenhaus.
Bethesda-u.Mariahilf-Krankt i
haus.
städt. Krankenhaus ....
evangelisches Krankenhaus.
städtisches Krankenhaus. .
„ Hospital....
n Krankenhaus. .
Hanielsstiftung.
städtisch. Krankenhaus •. .
Mariuhilfhospital.
St. Antoniusnospital . . .
St. Nicolaushospital. . . .
Marienhospital.
Bethlehemhospital . . . .
Bürger- u. Augustahospital.
städtisches Krankenhaus. .
Fried*. Wilh.-Stift.
städt u. Dreikönigenhospital
städtisches Krankenhaus. .
städt. Hospital u. Stadtlazuretli
Bürgerhospital.
städtisches Hospital . . . .
n r> ....
städtisches Krankenhaus. .
Landkrankenhaus.
821 822
113 111
103 108
72 70
175 183
87 89
1241113
89 107
289 274
78 105
113 127
43i 32
31 30
21 23
2-. 1
.. .. li
3 17 36' 11 7 .
• ..I 21...
. .. 1 ..!.
. .. 2 .
. .. 17 .. 3 ..
• •• 2.. .
. 1 ..!.. .. 1
139
141
137
..U..1..
3 L
1
...
6
40
33
56
1 ..
..
...
3
58
72
68
2 ..
.,
...
2
407
451
356
.. 1.. 1 i 1 5
4 ..
2
’i
5
2
25
Hl
64
34
.. ...
4 ..
2
. ..
5
428
470
457
.... 2 1
18 ..
6
3
21
103
?
62
2
215
253
188
.. .... 2
6!!
*2*
0
38
32
18
2
. ’
...
4
123
120
58
....
1
1
5
50
61
68
...
4
213
260
276
...... 3
3 !!
's
’i
17
38
30
25
2
227
..L .. ..
318
309
215
...... 2
ie ’i
i
i*
30
190
196
147
3 ..
1
9
195
196
241
76* 2 6 3
4 ..
1
16
199
215
189
.... 1 ..
13..
’s
4
15
247
254
187
6 ..
1
!!
3
15
253
245
340
7 ..
17
1
11
139
155
115
...... 6
7 ..
1
12
93
116
89
. . .. 1 .. 1 ..
10 ..
5
8
119
110
68
r !
2 ..
i
5
271
31
16
1
1
42
53
37
ic.
2
3
44
37
33
1 ..
3
5
57
56
36
2 ..
.. ;
. .
5
91
105
88
.. 1 2
1 3
5i
’ ’
’ ’
• • •
4
71
63
26
2
1
,.
39
46
42
3 *..
4
10
9
6
1 ..
324
319
317
.... 6 5
16 ..
5
I
2
31
110
113
25
1 ..
3
35
32
12
i
• ’j
4
98
87
46
.. 3i .. ..
.. ..
4
95
94
27
’i
1
.,
...
3
* Krfctxe und Ungeziefer.
f 3 Influenzatalle.
Digitized by
Google
Htexrbliohlceits-Statlstilc von 53 Stfidton der Provinzen Westfalen,
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat November 1895.
Todesursachen
Infeetions-Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
s | iHIHLali S|
i. IS s -5.1 5 a l^ •££
L2 x .-5 .3 ® ■- 's S®
~ \ := »=6' £ <»
A . e— *>® a |
£5 Lg £ g *2
Ja - i
£
3*3 s E*S-grs
3 £ t ® e * I ec
- — T3 O
Münster . .
Bielefeld. .
Paderborn .
Minden . .
Dortmund .
Bochum . .
Hagen. . .
Gelsenkirchei
Witten . .
Hamm. . .
Iserlohn . .
Siegen . .
Schwelm .
Lippstadt .
Düsseldorf.
Elberfeld .
Barmen . .
Crefeld . .
Essen a. d. ]
Duisburg .
M.-Gladbach
Bemscheid.
Solingen. .
Mülheim a.d.
Oberbausen
Rheydt . .
Neuss. . .
Viersen . .
Styrum . .
Wesel. . .
Wermelskirc
Honsdorf .
Ruhrort. .
Lennep . .
Süchteln. .
Aachen . . . .
Eschw r eiler. . .
Eupen . . . .
Burtscheid. . .
Stolberg....
Köln (innerhalb d
Umwallung) .
Köln (ausserhalb
Umwallung) .
Bonn* . . . .
Mülheim a. Rh..
Kalk.
Trier.
Malstatt-Burbach
St Johann . .
Saarbrücken . .
Coblenz ....
Kreuznach. . .
Neuwied. . . .
Wiesbaden. . .
Kassel ....
54000 127 28,2 96
47000 117 29,9 55
28158 46 28,9 181
20208 86 21,4 20
. 100000 388
. 47501 181
. 41353 128
. 32000 136
. 28000 78
. 28335 87
. 24000 79
. 19185 60
. 15000 29
. 11095 24
163071
141000
125000
107353
100000
66009
52418
45000
4865
30716
29436
26830
22635
22140
22000
22141
12700
11800
10702
10421
880S
575 42,3
316 26,9
338 32,51
269 30,0
300 36,0
1225 40,9
1164 37,5
138 36,8
94 27,6
100 39,1
85 34,7
75 33,5
73 38,7
52 28,2
135 73,6
42 22,7
25 23,6
25 25,4
45 50,5
25 28,8
17 23,2
113836 290
18070 53
15441 30
14265 45
13018 54
104127 339
42340 129
34091 100
13555 54
79 13,3
65 18,2
15 17,6
8 17,9
18 38,9
73117 162 26,6 90 27 14,8
80172 154 23,1 112 25 16,8
27 21,3 . 4|
18 14,0 ..11.. 2 1 ..
4 9,3 .. |.I
2 11,9 . 4
48 18,6 ..I 1 1 31 4 ..' ..
21 n,4 .... ..; .
11 11,0 .......... 1
21 24,4 .. .. 2 8 3 1
15 21,4 .... 2 3 ..I ..
11 17,4 .. .. ..| 1 .. 4
36166 73 24,2 69 19 22,9 .. .. .. 3
18380 84 54,8 56 12 36,6 .. 7 .. 6
14631 40 32,8 22 8 18,0 .. 3 .. ..
15467 42 32,6 18 3 14,0 .. .. _ ..
37409 91 29,2 42 9 13,5 ....!! 2
19500 56 34,4 19 3 11,7 |
11062 20 21,7
73117 162 26,6
Digitized t
* Bonn: darunter 9,6%o Geburten, 6,5°;uu SterbeFMle Auswärtiger in Anstalten.
24
Naohweieiun^ über Krankenaufnahme nnd Bestand in den Kranken-
Nassau während
Städte
Krankenhäuser
Bestand
am
Schlüsse
c
tiUi
*
*o
Summa der
Angenommenen
Krankheits-
Pocken
Varicellen
Masern und
Rötheln
Scharlach
Diphtheritis
und Croup
a
1
3
r=3
O
0
©
u:
Unterleibstyphus
Bielefeld.
städt. u. kath. Krankenhaus
121
141
1611
4
6
26
1
9
Minden.
städtisches Krankenhaus . .
27
33
608
2
8
..
32
Paderborn ....
Landeshospital.
73
72
629
1
i,
16
..
14
Münster.
Clem.-, Franzisk.- u. ev. Hosp.
333
451
4004
i
4
22
73
1
46
Herford
57
64
372
1
5
15
Dortmund.
Louisen- u. Johannishospital
427
470
5567
12
5
146
1
56
Hagen i. W. . . .
städtisches Hospital ....
90
?
952
*'
8
..
10
Witten.
Diakonissen- u. Marienhosp.
259
253
2410
4
9
112
..
15
35
32
264
1
13
Iserlohn .
91
120
803
6
4
m 9
8
Siegen .
n n • •
56
61
714
...
3
1
2
Gelsenkirchen . . .
Marienstift u. evang. Hospital
243
260
3178
i
8
34 ..
83
31
39
325
4 ..
2
Düsseldorf ....
evangelisches Hospital . . .
189
243
20113
9
44
60
1
2
Marienhospital .
359 309
3108
30
66
144
6
19
Elberfeld .
St. Josephs-Hospital ....
173
196
1547
2
11
18 ..
5
.
städtische Krankenanstalten .
246
196
28 i s
155*
2
29
14
43
1
2
Barmen .
städtisches Krankenhaus . .
194
214
2450
1
53
41
Crefeld .
235
254
2539
2
6
124
8
14
Essen a. d. Ruhr .
Huyssen-Stift u. Kruppsches
Krankenhaus .
187
245
3495
2
6
62
3
141
172
175
1190
12
26 ..
10
Remscheid ....
städtisches Krankenhaus . .
124
116
978
1
3
62 ..
9
Mülheim a. d. Ruhr
evangelisches Krankenhaus .
113
110
904
••
1
34
2
12
ViPrQPn
Städtiqrhpq Ivrfinkpnliniic
36
31
162
1
1
x
¥ lcl OCil ••••••
Wesel.
O 1\ 1 illlALUliClUO • •
„ Hospital ....
49
53
510
..
3
16
...
Rheydt.
„ Krankenhaus . .
47
37
374
18
..
13
Neuss.
n n • •
45
56
355
4
5
Solingen.
n n ’ •
119
105
771
3
20
3
12
Styrum.
n n • •
68
63
367
1
16;..
9
Ruhrort.
Hanielsstiftung.
47
46
370
1
15
••
7
Od po Iri pti
ctiHlKr niliPiiliüiiQ
5
9
82
6
v/UClilill vUvii • • • •
Aachen.
oUIUtlot/LiLo iv l lUin vlllJii Uo • •
Marienhospital.
320
319
3515
1
15
28
152
7
82
Eschweiler ....
St. Antoniushospital ....
120
130
287
6
,.
2
Eupen .
St. Nicolaushospital ....
31
32
153
9
2
Burtscheid ....
Marienhospital.
113
87
748
‘3
“2
3
..
4
Stolberg.
Bethiehemhospital.
100
94
325
6
3
Köln.
Bürgerhsp. u. Augustahospital
871
822
10 391
1
5
7
119
423 12
47
Köln-Deutz ....
städtisches Krankenhaus . .
93
111
670
1
8
20
7
Köln-Ehrenfeld . .
129
108
800
11
6
Bonn.
Fr.-Wilh.-Stift(ev. Krankenh.)
75
70
590
*i
”i
7
7
Mülheim a. Rhein .
städt. u. Dreikönigenhospital
192
183
2032
2
17
327
19
Kalk.
städtisches Krankenhaus . .
97
89
694
15
3
Trier.
städt. Hosp. u. Stadtlazareth
126
113
459
4
10
2
Saarbrücken....
Bürgerhospital.
101
107
1044
i
4
26
Kreuznach ....
städtisches Hospital ....
56
1
661'
8
13
Neuwied.
v n ....
36
54
566
‘3
“9
34
13
Wiesbaden ....
städtisches Krankenhaus . .
124
110
2103
305*
7
5
90
99
Bettenhausen . . .
Landkrankenhaus .
219
274
2698
..
5
; 80
32
Fulda.
97
105
1119
1 25
5
Hanau.
n .
T) • • • • •
138
127
1269
io
2
22
2
Eschwege.
45
22
518
1
40
17
Rinteln ......
n .
12
30
190
2
8
Schmalkalden . . .
TI .
» .
31
23
272
••
”i
1
5
Kritse und Ungeziefer.
Digitized by v^ooQle
25
Masers, aas 58 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland and Hessen¬
des Jahres 1895.
formen der Aufgenommenen
*£& !j.lf * .3 £ 1 % g 1,3 |cl
-*s» fefi : gg w £c = * .5 2»
3.2 £ Ü c 'S 1 gpo £ Ö>ä C t l-s o
c-~ 2 «2 *s ? s =o ^ : c ~ ®5 r js
2 ~?2£ -<2i 5> .2 « !o2 S-oo
W rn ~QQO O 1 ^ _5 —CD S ü 5 *-;C- i <
Os“- C 'S < §.a S ® SDJ
S ^ 2 fc22 *< 3? ^
26
SterbliohkeitB-Statistik Ton 5$_Sttdten der Provinzen
Städte
Einwohnerzahl
i
«O
ß
J§ g
31
t 2
'O *
— t*
'S
s
u
o * .
’S .Sä
3 u *
—. — D
JS CS
O ^
£
«es
•?* ®
3 s
g
a
x. *
©
p
N.
©
H
Zahl der Sterbef&lle
ausschl. Todtgeborenen 1
4L
w «
u O"^
•V r- ~
— e
— s a
es a
'.ec
Ä - s
|.S
Lebensalter d. Gestorbenen
1 Jahr
über 1 bis 5 Jahre
über 5 bis 20 Jahro
über 20 bis 40 Jahre
über 40 bis 60 Jahre
über GO Jahre alt
Alter unbekannt
Münster ....
56000
1690
30,2
47
1322
23,6
447 I
116
68;175|l76
340
Bielefeld ....
47000
1583
33,7
42
745
15,9
230
99
46 100 113
157
. .
Paderborn....
2:3158
675
29,1
ME
369
15,9
99
35!
24
52
61
98
, .
Minden.
20208
598
29,6
21
327
16,2
91
45 j
20
42
54
75
Dortmund ....
100000
4420
44.2
112
2072
20,7
738
312 1
157283319
263
Bochum.
47501
2293
48,2
64
1211
25,5
422
231
77 159 207
115
Hagen .
41:353
1718
41,5
58
719
17,4
270
62
44
941122
117!..
Gelsenkirchen . .
31000
1634
52,7
43
865
27,9
307
185
74,111
113
75
..
Witten.
28000
982
35.1
46
549
19,6
180
68
43
87
91
78
2
Hamm .
28542
1099
38.5
29
552
19,3
202
68
33
60
80
108
1
Iserlohn ....
24694
856
34,7
31
419
17,0
125
65
24
50
64
91
Siegen .
19571
676
34,2
20
242
12,4
59
34
12
36
44
57
Schwelm ....
14725
527
35,6
22
242
16,4
86
17
19
26
34
60
Lippstadt ....
11095
368
33,0
218
19,6
73
15
20
42
43
Düsseldorf . . .
163071
6645
40,7
214
3908
24,0
1609
685
219386
430
582
1
Elberfeld ....
141000
4661
33,1
177
2379
16,9
787
379
135 2681344
466
Bannen .
125000
4211
33,7
109
2072
16,6
633
221
150 274*327
438
Crefeld .
107266
3385
31,6
130
2008
18,7
699
291
139 172 301
406
Essen a. d. Ruhr .
100000
3992
39,9
133
1957
19,6
720
309
108256297
267
Duisburg ....
G6009
3016
45,7
97
1342
20,3
548
151
92 164 216
171
M.-Gladbach . . .
54578
2048
37.5
1276
23,4
580
146
66,135
131
218
Remscheid . . .
46224
1727
37,4
781
16,9
269
83
48
92
131
158
Solingen ....
40860
1472
36,1
40
772
18,9
311
56
38 110
119
138
Mühlheim a. d. Ruhr
30716
1376
44,8
36
617
20,1
279
45
28
68
87
110
Oberhausen . . .
29436
1395
47,4
30
639
21,7
267
90
57
76
84
65
Rheydt .
30600
1082
35,4
23
551
18,0
190
63
39
71
88
100
Neuss .
22635
954
42,1
32
573
25,3
220
91
33 63
66
100
Viersen .
22804
679
29,8
25
448
19,6
120
39
32
37
77
143
Styrum .
26772
1424
53,2
42
522
19,5
251
109
31
55
57
49
Wesel .
22258
627
28.2
24
366
16,4
118
31
12
45 66
94
Wermelskirchen .
12692
452
35,4
21
195
15,4
58
13
15
24
25
60
Ronsdorf ....
12177
342
28.1
10
145
12,0
28
17
8
27
31
34
Ruhrort .
10702
499
46.8
13
250
23,4
112
13
22
32
26
45
Lennep .
10427
261
25,0
16
165
15,8
39
10
13 23! 30
50
Süchteln . . . .
8808
216
24,5
7
139
15,8
21
11
9
22 27
49
Aachen .
113836
3809
33,4
88
2631
23,1
1270
174
96:217
968
480
26
Eschweiler . . .
18070
739
40,9
22
392
21,1
143
50
15
28
43
113
Eupen .
15036
423
28,1
13
302
20,1
95
24
15
1 20
33
115
Burtscheid . . .
14265
536
37,6
12
293
20.5
142
22
9
25
29
66
Stolherg . . . .
13013
589
45,3
18
343
26,4
164
39
7
22
36
75
Köln innerhalb d. L’mwallimg
215521
7404
34,4
235
4602
21,4
719
565
235 553
674
856
„ ausserhalb d. „
105452
4483
42,5
92
2667
25,3
1277
396 141 252
276
325
Bonn * .
44560
1691
37,9
76
1081
24 3
336
115
64 159
178
229
Mühlheim a. Rhein
34091
1487
43,6
65
783
23,0
291
149
871 88
104
114
Kalk .
13555
739
54,5
33
400
29,5
179
79
201 34
44
44
Trier .
36166
1071
29,6
37
826
22,8
213
75
44114
153
227
Malstadt-Burbach
18380
1097
59,7
32
505
27,5
232
86
31
38
62
56
St Johann . . .
16768
524
31,2
23
260
15,5
95
41
16
25
27
56
Saarbrücken . . .
15467
524
33,9
20
320
20,7
86
34
16
55
67
62
Coblenz .
37409
1059
28,3
26
684
18,3
217
75
35
86
123
145
3
Kreuznach . . .
19500
614
31,5
23
381
19,5
74
42
25! 51
67
122
Neuwied . . . .
10593
307
29,0
9
202
19,1
38
31
1 22
1 18
29
64
Wiesbaden . . .
74136
1991
26,9
95
1312
17,7
380
109
86160
241
m
Kassel .
80172
2253
21,3
76
1329
16,6
403
141
08 145
225
1
347
# Bonn: darunter 10,7%o Geburten, 7,8%u Sterbefällo Ausw&rtig^r in Anstalten.
Digitized by VjOOQIC
27
Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassau während des Jahres 1895.
Todesursachen
Infections- Krankheiten
I Andere verschied.
Krankheiten
Alle übrigen
Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
Pocken
Masern
und Rötheln
Scharlach
.2 o
’S 2
ja o
!i
Stickhusten
Unterleibstyph.
gastr. Fieber
Ruhr
Kindbet tfleber
[h
«ä
! • |
5
k d
11
ja
s
d
t
||l
53z
* g
An dort* acute
Erkrank, der
Athm.-Organe
Apoplexie
Acuter Gelenk¬
rheumatismus
Dannkatarrh
Brechdurchfall
Verunglückt
od. nicht näher
const. gewalts.
Einwirkungen
Selbstmord
*0
CS
«s
0
E-*
1
5
26
4
In
1 4
1
199
83
1
' 20
4
16 166
769
3
6
3t
3
1
2C
6
3
4
4
121
121
13
47
44
338
15
4
2
£
3
1
2
68
23
15
10
8
13
225
4
2
2
1
9
6
1
6*
38
25
7
9
15
187
9
3
i
6
7
57
4
17
i t
u
3
43 n
173
251
140
1 20
1
121
61
1097
52
13
1
14
34
13
154
184
45
15
737
13
2
2
12
7
J30
64
57
5
1
88
329
7
5
2
3
20
48
17
10
86
4
13
88
89
13
17
1
47
27
357
22
2
1
...
11
37
...
1 5
1 • •
1
90
56
2
31
..
14
15
261
21
4
1
1
27
2
8
92
26
34
; 2
1
14
49
288
8
8
2
2
2
1
1
66
42
19
...
23
20
227
5
i
..
8
3
5
i 1
31
34
2
9
5
6
136
7
1
4
1
1
1
2
37
25
1...
15
4
141
5
4
1
6
1
4
9
1
3
3
21
ii
2
11
2
149
3
27
25
58
14
7
9
30
443
407
76
76
3
315
381
lS(2(i
78
23
10
30
5
54
22
4
5
88 S1
320 169
137
r. 9
4
221
116
1075
36
30
4
22
69
23
14
8
68 58
342
262
22
75
2
218
56
833
32
22
1
2
1
52
39
14
3
248
174
61
128
3
54
140
1054
25
10
• •
3
2
50
. * •
51
i
11
259
372
9 #
237
55
853
49
11
3
4
5
17
3
8
7
4
172
115
60
i7
1
158
62
658
44
7
..
2
3
48
2
8
..
2
165
169
38
97
1
66
113
548
8
6
..
3
7
22
4
4
2
4
132
49
24
47
17
22
415
15
12
2
.. 4
6
36
18
4
2
1
155
64
34
35
4
30
12
354
10
2
1
25
9
3
1
67
57
53
7
1
71
8
284
25
2
1
.. 18
12
2
i
4
82
84
17
5
1
74
36
262
34
4
3
11
4
1
101
57
6
29
1
39
32
269
1
1
13
2
4
'2*
81
47
7
23
1
59
321
11
i
i
! 11
4
i
2
...
59
40
12
12
3
3
15
282
1
2
ii
3
I 12
1
1
1
58
74
18
1
40
13
309
8
2
5
5
2
51
45
22
37
4
34
150
7
4
i
2
3
1
i
32
4
1
8
133
2
7
1
3
2
38
6 1
3
9
79
3
’i
3
ii»
28
44
10
171
1
33
2
82
14
2
i
26
18
11
1
8
4
3
88
5
1
.. ...
4
2
29
8
9
8
2
75
2 1
2
2
43
17
16
1
::
21
226
326
7
66
4
213
268
1395
16
5
3
8
2
3
29
8
26
32
274
6
’i
9
i
’i
1
23
24
6
12
2
iß
10
197
1
4
1
27
18
2
15
1
70
147
4
3
1
2
7
2
37
30
1
’ 8
6
247
2
6
12
77
44
20
10
53
621
544
165
9
373
255
2302
76
33
2
8
11
92
33
6
9
18
264
296
52
9
372
153
1280
55
8
1
2
3
31
5
2
117
100
24
51
1
42
67
617
14
1
1
4
7
27
”i
4
2
121
60
26
32
1
6
14
458
17
3
11
2
7
8
4
45
33
5
10
13
14
242
6
10
3
12
3
5
’ *
1
10
142
83
23
38
55
11
414
10
6
41
3
30
5
5
1
33
98
...
6
10
266
6
1
10
1!
9
4
’i'
21
22
3
1
..
9 1
15
158
4
1
’i
20
8
40
36
2
8
11
17
165
7
ii
1
1
17
16
5
3
3 3
152
98
20
19
3
67 1
15
241
18
5
3
5
47
54
13
39
3
8
7
188
6
5
*3
4
w
1
’i
30
22
7
25
2
5
89
4
2
...
2
19
6
18
1
153
136 ;
...
75
1
82
22
770
14
11
2
5
5
18
6
6
5
170
177
...
133
1
769
19
22
* Die neben den Zahlen stehenden kleinen Zahlen sind Influonza-Fälle.
f Darunter 2 bezw. 1 Hinrichtungen.
Digitized by
Google
28
Stei*l>llolilceits-Sta.tiflstik Ton 53 Städten der Provinzen Westfalen,
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat December 1895.
Monat
December
1895
3
«B
N
ü
a>
q
Ja
o
if
.g
W
I e
•— £
£ o
-c.
a
s
Verh<n.-Zahl dor Ge¬
borenen aut’ 1000 Einw.
und auf 1 Jahr
^ 1
£ £
"© 2
JE •“
tsl
7 ’i
u LL
*
ci
©
c
3
« u
!•§
5
S
ITT"
Ht
6 e rt
11 5
© c
Todesursachen
Infections-Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
c
Sk
0
jl,
1
JS
L
1
! r?
'S
rr.
•2 c
X 0
•- 0
V ■-
-c U.
%t
QD
Stickhusten
Bl
22 £
"® £
11
= ttf
p
hm
’S
X
Kindbettflebei
Andere Infec-
tionskrankh.
Darmkatarrh
Brechdurchfall
t?|i
SS t 2
bc - * ^
| “l’ä
*“ - r
>v s
'S
0
E
■
£
©
X
|
*Zj
s>
"O
O
E-«
Münster.
56000
111
23 8
87
17
18,6
1
1
2
1
1
Bielefeld . . . .
47000
115
294
59
12
15 1
, 2
I
4
3
i
Paderborn ....
28158
50
25,9
26
5
13 5
1
1
1
Minden.
20208
51
30,3
21
6
12,5
1
1
1
Dortmund ....
10000C
336
40,3
192
53
23,0
5
1
1
2
Q
1
3
5
1
Bochum.
47501
175
44.2
80
23
20,2
2
2
1
1
Hagen.
41853
127
36,9
17
16 0
1
• •
2
3
Gelsenkirchen . .
31000
115
44,5
67
20
25,9
1
6
5
1
2
1
1
4
Witten.
28000
74
31,7
35
9
15,0
2
2
3
Flamm ....
28542
97
40,8
30 1
39
7
16 4
1
4
1
1
24694
62
84
15
16 5
Siegen.
19571
4s
29,6
20
1
12^3
1
*i
Schwelm.
14725
51
31,5
21
2
17J
1
Lippstadt ....
11095
20
21,6
16
5
17,3
3
1
Düsseldorf. . . .
163071
510
37,6
241
76
17,7
2
9
2
1
1
1
16
3
2
Elberfeld ....
141000
139
37,4
228
69
19,4
4
3
3
1
3 a* 8
4
1
Barmen.
125000
307
29,5
193
56
18,5
15
11
5
1
1
5
14
4
Crefeld.
107266
288
32.2
153
54
17,1
. .
3
4
2
1
5
3
i
Essen a. d. Ruhr.
100000
826
38,6
142
• u \
17,1
2
11
6
4
1
Duisburg ....
66009
226
41,1
105
36
19.1
3
2
..
2
1
5
3
M.-G lad hach . . .
54578
154
33,9
138
58
30,3
1
1
13
1
1
Remscheid....
46224
144
37,1
74
26
19.6
2
1
1
1
2
1
Solingen.
40860
185
39 6
61
23
17,9
1
Mülheim a. d. K. .
30716
1 IS
46,1
40
16
15,3
1
4
3
Oberhausen . . .
29436
110
44^8
41
18
16,8
1
1
3
3
1
Rheydt.
30600
82
82,2
47
12
18,4
3
Neuss.
22635
75
39 8
44
18
23,3
5
1
3
1
Viersen.
22804
56
29,5
28
9
14,7
1
Styrum.
26772
105
47,1
42
21
18,8
1 ..
5
Wesel.
22258
56
30,2
28
13
15,1
1
. .
Wermelskirchen .
12692
32
30,3
23
6
21,8
!!
i
Honsdorf ....
12177
15
14,8
f
2
6,9
1
* *
Ruhrort.
10702
41
46,0
23
7
25,8
’i
1
*i
Lennep .
10427
18
20,7
11
1
12,7
Süchteln.
8808
21
28,6
J0
1
13,6
i
* * 1
Aachen.
113836
311
32,8
206
76
21,7
1
8
1
13
1
1
Eschweiler. . . .
18070
35,2
23
6
15,3
1
1
l^upen.
15036
33
26,3
27
7
21 5
1
Burtscheid. . . .
14265
41
34,5
17
5
14,3
Stoib erg.
13018
44
40,6
03
11
21,9
Köln (innerhalb der
Umwallung) . .
215521
611
34,0
881
81
18.6
2
0
7
2
4
"
3
3
6
8
2
, ,
Köln (ausserhalb
der Umwallung).
105452
855
40,4
197
77
22.4
2
1
7
2
2
1
11
2
1
. .
Bonn** .
44560
189
37,5
88
21
23.7
1
0
.j
1
1
3
,,
1
Mülheim a. Rh. .
84091
121
42,5
76
16
26,8
3
2
Kalk.
13555
70
62,0
32
14
28,3
5
1
2
2
Trier.
36166
7*5
24,7
47
3
15,6
2
1
1
Malstatt-Burbach .
18380
103
67.2
41
17
26,8
6
2
*i
St. Johann. . . .
16768
44
31,5
37
7
26,5
7
1
Saarbrücken . . .
15467
51
39,6
24
4
18,6
,5
i
Coblenz.
37409
79
25,3
55
17,6
1
1
Kreuznach. . . .
19500
41
25,2
19
1
11,7
1
i
’i
Neuwied.
10593
24
27,1
21
2
23,8
2
Wiesbaden...
74136
166
26,8
97
22
15,7
1
3
1
1
1
Kassel.
80172
204
30,5
107
21
16,0
5
2
1
...
6
2
’ 2
* Influenza. ** Bonn: darunter 10,1 °/oo Geburten, 7,5°/oo Sterbef&lle Auswärtiger in Anstalten,
Digitized by
Digitized by ^.ooQle
Digitized by