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Full text of "Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 8.1889 Michigan"

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Jierbluhlw 


durifcTyphuS. 


20 30 


60 70 80 90 100 110 



1851 

1852 

1853 

1854 

1855 

1856 

1857 

1858 

1859 

1860 
1861 
1862 

1863 

1864 

1865 

1866 

1867 

1868 

1869 

1870 

1871 

1872 

1873 

1874 

1875 

1876 

1877 

1878 

1879 

1880 
1881 




Centralblatt für allgemeine 
Gesundheitspflege 


— 1 1883 


355 ij w te>wg 


Niederrheinischer Verein für Öffentliche Gesundheitspflege Äiüsw 






188V 

1885 

1886 
1887 


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Centralblatt 


für 

allgemeine Gesundheitspflege. 

Organ 

des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. 


Herausgegeben 

von 


Dr. Finkelnburg, 

Prof, an der Universität zu Bonn. 


Dr. Leut, 

Geh. Sanit&terath in Cöln. 


Dr. WollFberg, 

Kgl. Kreispliysikus in Tilsit. 



Achter Jahrgang. 

Mit 8 Abbildungen. 



Bonn, 

Verlag von Emil Strauss. 
1889. 







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Inhalt. 


Abhan dlungen. 

Seit« 


Ueber die Aufgaben der Thiermedicin auf dem Gebiete der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege. Von Dr. Schmidt - Mülheim in 

Wiesbaden. 1 

Bericht über die am 7. Juli 1888 in Düsseldorf stattgehabte General- 
Versammlung des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege von Dr. Le nt (Köln).57 

Die 14. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege zu Frankfurt a. M. vom 13. bis 16. September 1888. 

Von J. Stübben.74 


Entwickelungsgang und Beschreibung der Wasserleitung in Attenkir¬ 
chen (Westerwald). Von Sanitätsrath Dr. Meder, Kreisphysikus 
Die Anlage von Wannenbädern in öffentlichen Badeanstalten. Von 
Bloch, lnspector der städtischen Badeanstalt in Elberfeld . . 
Ueber Mädchenturnen. Von Director Dr. Erkelenz in Köln . . . 
Ein Streifzug durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. Von 

G. K. Aird (Warschau). 

Neue Desinfections-Apparate von Ingenieur A. Walz in Düsseldorf . 
Betrachtungen über eine neue Heilanstalt für Lungenkranke. Von Dr. 

Ernst Meissen, zweitem Arzt der Heilanstalt in Falkenstein . 
Vorschläge zur Herstellung künstlicher Muttermilch aus Kuhmilch. 

Von Dr. Schmidt-Mühlheim in Wiesbaden. 

Ein Streifzug durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. Von 

C. K. Aird (Warschau) [Schluss]. 

Ein Streifzug durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. Von 

C. K. Aird (Warschau) II. 

Ein Streifzug durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. 
Von G. K. Aird (Warschau) II. [Fortsetzung und Schluss.] . 


Nachweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Kranken¬ 
häusern aus 54 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und 
Hessen-Nassau pro Monat October 1888 bis September 1889 27. 97. 

99. 165. 167. 223. 279. 281. 349. 351. 435. 437. 
Sterblichkeits-Statistik von 54 Städten der Provinzen Westfalen, Rhein¬ 
land und Hessen-Nassau pro October 1888 bis September 1889 28. 

98. 104. 166. 168. 224. 280. 282. 350, 3&?. 436. 438, 


137 

155 

159 

207 

247 

250 

266 

272 

329 

393 


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IV 


Kleinere Mittheilungen. Seite 

Ermittelungen über die Verbreitung der Perlsucht unter dem Rindvieh 29 
Ueber den Einfluss der Umgebung auf die Entwickelung des Tuberkel- 

Bacills. 31 

Der Tuberkulose-Kongress in Paris.32 

Gesundheitsschädlichkeit der Carbon-Natronöfen.34 

Wasserversorgung in Verbindung mit Schwemmkanalisation gegen die 

Typhus-Verbreitung.37 

Impfschutzfrage.38 

Ueber das Gypsen der Weine in Frankreich. 105 

Ueber den colonialen und Internationalen Kongress zur Bekämpfung 

der Trunksucht . .. 107 

Die Zunahme des Alkoholmissbrauchs in Belgien ..108 

Ueber die Verdaulichkeit der Fleischspeisen . 108 

Heilkurs für stotternde Kinder. 110 

Die Abfuhr der Fäkalstoffe aus Städten .110 

Der achte Kongress für innere Medizin. . . . 113 

Ueber die Flussverunreinigung und die Schularztfrage.169 

Entwürfe für einfache ländliche Schulgebäude nebst dazu gehörigen 

Erläuterungen . 174 

Schularzt in Breslau. 183 

Der Internationale Kongress für Ferienkolonien und verwandte Bestre¬ 
bungen der Kindergesundheitspflege ..185 

Landessanitätsbericht für Mähren für das Jahr 1887 . 187 

Der Branntwein-Consum in Holland . . ..187 

Trinkerheilstätte Ellikon in der Schweiz ..187 

Aus dem Verein für öffentliche Gesundheitspflege in Wiesbaden . . 188 

Städtische Badeanstalt in Dortmund.225 

Anweisung für die Hebammen zur Verhütung des Kindbetttiebers 227 

Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege.232 

Reichsgesetzliche Vorschriften zum Schutze des gesunden Wohnens . 233 

Ueber die gesundheitlichen Nachtheile der neuerdings eingeführten 

transportablen Coke- und Anthracit-Oefen . . 283 

Polizei-Verordnung, betreffend Massnahmen gegen die Verbreitung der 

Schwindsucht.. • . ;.. . 284 

Massnahmen gegen die Verbreitung des epidemischen Kopfgenick¬ 
krampfes (Meningitis cerebrospinalis epidemica) ..285 

Kanalisationsarbeiten und Krankheiten.286 

Lambrecht’s Polymeter. 290 

Electrischer Alarmapparat zur Verhütung von Kohlensäure-Vergiftungen 291 

Zur Schulpflege der Schwachsinnigen.291 

Die ärztlichen Untersuchungen der Schulen.293 

Ueber die Häufigkeit von Gehörleiden bei Schulkindern.293 

Die ärztlichen Wünsche betreffend die Umgestaltung des öffentlichen 

Gesundheitswesens in Österreich.294 


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V 


S«it« 

Bleivergiftung durch Mehl.295 

Die Zahl der Hundertjährigen in Frankreich.296 

Die Zahl der Selbstmorde in Frankreich.296 

Die Eheschliessungen, Qeburten und Sterbefälle des Jahres 1887 im 

Deutschen Reiche.%.353 

Bekämpfung der Verbreitung der Schwindsucht in öffentlichen An¬ 
stalten .354 

21. Jahresbericht des Vorstandes der Gladbacher Actien-Baugesellschaft 355 
Ueber keimfreie Kuhmilch und deren Verwendung zur Kinderernährung 356 

Ueber Tauglichkeit und Untauglichkeit im Dienste.439 

Die Thätigkeit des Stadtarztes in Frankfurt a. M.441 

Der städtische Gesundheitsrat in Frankfurt a. M.442 


Literaturberichte. 

Neuere bakteriologische Arbeiten zur Lehre von den Infektionskrank¬ 
heiten II. (Wolffberg). # . 39 

Anleitung zur Gesundheitspflege an Bord von Kauffahrteischiffen 

(Finkelnburg).49 

Hermann von Meyer, Zur Schuhfrage (Flatten).50 

Regimentsarzt Dr. Schaffer, Der Fussboden der Wohnungen und 

das Schuhwerk als hygienische Factoren (Schmidt-Bonn) . . 52 

Dr. A. Lorenz, Die heutige Schulbank-Frage (Staffel-Wiesbaden) . 53 

Dr. Karl Heyer, Ursache und Beseitigung des Blei-Angriffs durch 

Leitungs-Wasser (Dr. Knublauch).113 

A. Heyroth, Ueber den Reinlichkeitszustand des natürlichen und 
künstlichen Eises, Arbeiten aus dem Kaiserlichen Reichs-Gesund¬ 
heitsamte (Flatten).119 

Dr. Lent, Die Cholera-Epidemien der Stadt Köln (Wolffberg) . . 121 

Zimmer mann, Die Bevölkerung der Stadt Köln, die Bewegung der¬ 
selben, die Sterblichkeitsverhältnisse, Epidemien (Wolffberg) . 123 

Th. Kyll, DieControle der Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände 

(Wolffberg).126 

Prof. Dr. Leichtenstern, Ueber Ankylostoma duodenale (Wolffberg) 127 

G. Nimax, Eine neue Kühlhalle für Fleisch und andere Lebensmittel 

(Feldmann).129 

Dr. Livius Fürst, Das Sterilisiren und Pasteurisiren der Kinder¬ 
nahrung (Johnen-Düren).129 

Dr. Kerezi, Ueber Kindersterblichkeit und Milch Versorgung in Zürich 

und Ausgemeinden (Schmidt-Bonn).131 

Seggel, Zur Kurzsichtigkeitsfrage (Schmidt-Bonn).131 

Ueber Gesundheitspflege und Revision des Schweizerischen Volksschul¬ 
wesens (Schmidt-Bonn) . ..132 

La REforme du rEgime des Etablissements scolaires en France 

(Schmidt-Bonn).133 


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VI 


Seite 

L’oeuvre national des Hopitaux maritimes de France (Schmidt-Bonn) 133 

L’Hospice marin italien (Schmidt-Bonn).134 

Les Hopitaux maritimes (Schmidt-Bonn).134 

W. W. Ireland, Herrschermacht und Geisteskrankheit (Pelman) . 135 

Dr. Landsberger (Posen), Das Wachsthum im Alter der Schulpflicht 

(Wolffberg).192 

Ueber die körperlichen Uebungen (Pelman).197 

Volks-Brausebad nach Dr. Lassar’s System (Fldm.).197 

Städtische Bade- und Desinfections-Anstalt in Magdeburg (Fldm.) . 198 

La Prostitution en Italie (Schmidt-Bonn).199 

Vorschlag zur Regelung der Prostitution (Pelman).202 

Ueber die Uebertragung des Syphilis (Pelman).203 

Dehio, Untersuchungen über den Einfluss des Kaffee’s und Thee’s 

auf die Dauer physischer Vorgänge (Finkelnburg) . . . . 204 

Josef Körösi, Die Sterblichkeit der Stadt Budapest in den Jahren 

1882 bis 1885 und deren Ursachen (Julius Pauly) .... 204 

Zur Lehre von der asiatischen Cholera (Wolffberg).236 

Carl Lüderitz, Zur Kenntniss der anaeroben Bakterien (Flatten) 241 
P. Foä und A. Bonome, Ein Fall von Septichaemie beim Menschen 

mit einigen Kennzeichen der Milzbrandinfection (Flatten) . . 242 

M. von Pettenkofer, Die Typhusbewegung in München von 1851 

bis 1887 (Flatten).243 

Dr. A. E. Burckhardt und Dr. F. Schüler, Untersuchungen über 
die Gesundheitsverhältnisse der Fabrikbevölkerung in der Schweiz 

(Le Blanc).*.244 

Dr. Georg Cornet, Die Verbreitung der Tuberkelbacillen ausserhalb 

des Körpers (Flatten).297 

„Taschenfläschchen für Huster“ (Meissen, Falkenstein i. Taunus) . 303 

Mediz.-Rath Dr. Dietrich, Die Bedeutung der Krankenhäuser im 

Gemeinwesen (Schmidt-Bonn).305 

Hack Tu he, Geist und Körper (Pelman).. 306 

La vulgarisation de Thypnotisme et de la Suggestion (Pelman) . . 308 

Gesetzgebung über Alkohol und den Vertrieb der Getränke in Frank¬ 
reich (Pelman).308 

Amtliche Mittheilungen aus den Jahresberichten der mit Beaufsichti¬ 
gung der Fabriken betrauten Beamten (Dr. Julius Pauli) . . 309 

Germain Söe, Die Lehre vom Stoffwechsel und von der Ernährung 

und die hygienische Behandlung der Kranken (P f ei ff er - München) 357 
Dr. Th. Schneider, Die wichtigsten giftigen und essbaren Schwämme 

(Schmidt-Bonn).360 

Prof. Gärtner, Ueber die Fleischvergiftung in Frankenhausen am 

KyfTh. und den Erreger derselben (Flatten).361 

Ueber die Ursachen der Lösung von Blei und die Beseitigung der¬ 
selben (Knüblauch).362 

A. Frank, Die Wasserversorgung Wiens (Fldm.).363 


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Vll 


Seite 

Entwässerungsfragen aus der Umgebung von Berlin (Fldm.) . . . 364 

Frings, Die Kanalisation von Düsseldorf (Fldm.).366 

Rintaro Mori, Ueber pathogene Bakterien im Kanalwasser (Flatten) 366 
W. Rietschel, Untersuchungen von Filterstoffen für Lüftungsanlagen 

(Fl dm.).367 

Assmann, Die Pflege der Meteorologie an klimatischen Kurorten 

(Meissen, Falkenstein i. T.).368 

E. Gornet, Wie schützt man sich gegen die Schwindsucht? (Meissen) 373 
Pal tauf, Zur Aetiologie der Hadernkrankheit, Eppinger, Patho¬ 
logische Anatomie der sog. Hadernkrankheiten (Flatten) . . 375 

Bordoni-Uffreduzzi, Ueber den Proteus hominis capsulatus und 
über eine neue durch ihr erzeugte lnfectionskrankheit beim 


Menschen (Flatten).375 

Dr. G. Kaufmann, Ueber den Schlangenbiss (Schmidt-Bonn) . . 376 

Dr. Don Ricardo Gomez de Figueroa, Le mines de mercure 

d’Almaden.376 

Schiller, Experimentelle Untersuchungen über die Wirkungen des 

Wassergases auf den thierischen Organismus (Flatten) . . . 377 

Dr. Paul Schubert, Ueber Heftlage und Schriftrichtung (Schmidt- 

Bonn) .378 

Dr. Paul Schubert, Ueber Heftlage und Schriftrichtung (Staffel- 

Wiesbaden) .379 


J. D a i b e r, Die Schreib- und Körperhaltungsfrage (Staffel - Wiesbaden) 381 
Julius Schmarje, Steilschrift oder Schrägschrift, Dr. Paul Schubert, 

Zur Vertheidigung der Steilschrift (Staffel-Wiesbaden) . . . 386 

Dr. Hermann Seidel, Die habituelle Skoliose (Staffel-Wiesbaden 387 
Dr. Ernst Müller, Ueber Rückgratsverkrümmung (Staffel-Wiesbaden) 390 
Wegweiser zum häuslichen Glück für Mädchen (Schmidt-Bonn) . 391 
Ferd. Hueppe, Die Methoden der Bakterien-Forschung (Finkelnburg) 443 
Schütz, Der Streptococcus der Druse des Pferdes (Flatten) . . . 445 
Gl obig, Ueber einen Kartoffelbacillus mit ungewöhnlich widerstands¬ 


fähigen Sporen (Flatten).446 

Janowski, Ueber den Bakteriengehalt des Schnees, Schmelck, Eine 

Gletscherbakterie (Flatten).446 

Carl Fränkel, Die Einwirkung der Kohlensäure auf die Lebens¬ 
fähigkeit der Microorganismen (Flatten).447 

Neuere Arbeiten zur Desinfectionspraxis IV. (Flatten).448 

Georg Gornet, Die Sterblichkeits-Verhältnisse in den Krankenpflege- 

Orden (Flatten). 460 

Dr. Kruse, Die Kanalisation des Seebades Norderney (Schultz) . . 463 

Verzeichniss der bei der Redaktion eingegangenen neuen Bücher etc. 55. 

136. 206. 327. 464. 


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Ueber die Aufgaben der Thiermedicin auf dem 
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege. 

Von 

Dr. Schmidt-Mülheim in Wiesbaden. 

(Vortrag, gehalten auf der 61. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.) 


Die Hygiene ist eine Disziplin, welche keine wissenschaftliche 
Selbstständigkeit besitzt, sondern ihre weitverzweigten Wurzeln in 
alle diejenigen Wissensgebiete schlägt, welche Antwort auf die un¬ 
zähligen Fragen zu ertheilen vermögen, wie der menschliche Orga¬ 
nismus unter den wechselnden Lebensverhältnissen am besten 
gewappnet wird gegen das gewaltige Heer von Feinden, welche 
ihn von der Wiege bis zum Grabe unaufhörlich bedrohen. Be- 
schützung und Stärkung der Gesundheit ist also das Ziel der Hygiene. 

Zu dieser ganz selbstverständlich erscheinenden Auffassung ist 
man bemerkenswertherweise erst in einem noch ganz in die Gegenwart 
fallenden Zeitabschnitte gelangt. Ein engherziger Standpunkt früherer 
Tage betrachtete die Hygiene lediglich als präventive Medicin, 
d. h. als Kunst, den Krankheiten vorzubeugen und die Sanitäts¬ 
behörden besassen demgemäss einen ausschliesslich medicinischen 
Charakter. Der ungeheure Fortschritt, den die Hygiene in der 
Neuzeit genommen, wurzelt in der Erkenntniss, dass diese Disziplin 
zu ihrer angemessenen Vertretung der Dienste der verschiedensten 
biologischen, naturwissenschaftlichen und technischen Fächer be¬ 
darf. Dieser Forderung wird denn auch bei der Zusammensetzung 
der Sanitätsbehörden mehr und mehr Rechnung getragen; so ist 
es beispielsweise bekannt, dass im Kaiserlichen Gesundheitsamt 
neben dem Arzt auch der Thierarzt, neben dem Bakteriologen 
auch der Chemiker Sitz und Stimme haben und bei der Berufung 
der ausserordentlichen Mitglieder konnte man noch weitere Special¬ 
facher berücksichtigen. 

Analogen Erscheinungen begegnet man bei den kommunalen 
Gesundheitsbehörden. Unsere ganz besondere Beachtung verdient 
hierbei die Thatsache, dass die Gemeinden in den letzten Jahren 
eine ausserordentlich grosse Anzahl von Thierärzten in den aus¬ 
schliesslichen Dienst der Hygiene berufen haben. Ich glaube in 

Centr&lblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 1 


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der Annahme kaum zu irren, dass die Zahl der Sanitäts-Thier- 
ärzte — diese Bezeichnung möchte ich für die neue Kategorie 
von Beamten hiermit in Vorschlag bringen — in der Gegenwart 
bei uns in Deutschland kaum minder gering ist als die irgend einer 
anderen Art von Sanitätstechnikern. Und es ist sicher, dass mit 
der bereits nach einigen Hunderten zählenden Schaar dieser Be¬ 
amten dem Bedürfnisse der Praxis auch noch nicht annähernd 
genügt ist, da die Nachfrage nach tüchtigen Sanitäts - Thierärzten 
tagtäglich sich vermehrt und die segensreiche Bedeutung dieser 
Gesundheitstechniker immer mehr zur öffentlichen Anerkennung 
gelangt. 

Bei dieser Sachlage dürfte es angezeigt sein, den Beziehungen 
zwischen Thiermedicin und öffentlicher Gesundheitspflege einmal 
näher nachzuforschen, um zu sehen, welche Aufgaben die Hygiene 
an die Thiermedicin stellt und welche Ziele von letzterer zu ver¬ 
folgen sind, um diesen Aufgaben zu genügen. 

Die nächsten und dringendsten Forderungen der Hygiene auf 
thiermedicinischem Gebiete beziehen sich offenbar auf den Schutz 
der menschlichen Gesundheit vor jenen heimtückischen Contagien, 
welche durch den blossen Umgang mit Thieren auf den Menschen 
übertragen werden können. Das Gift der Wuth, des Milzbrandes, 
der Tuberkulose, des Rotzes und der Aphthenseuclie sind die 
wichtigsten der hier in Betracht kommenden Schädlichkeiten, doch 
muss die Möglichkeit zugegeben werden, dass auch Strahlenpilze 
und andere Krankheitskeime durch blossen Umgang von kranken 
Thieren auf den Menschen übertragen werden können. 

Die Gefahren, welche der menschlichen Gesellschaft aus dem 
Verkehr mit seuchekranken Thieren drohen, waren in Deutschland 
nicht unbeträchtlich, so lange unser Vaterland der politischen 
Einigung ermangelte. Erst die neue Auferstehung des deutschen 
Reiches ermöglichte jene einheitliche Regelung der Seuchengesetz¬ 
gebung, welche von den berufensten Vertretern der praktischen 
Thiermedicin längst mit Nachdruck gefordert war. Durch das 
neue Seuchengesetz wurde jetzt allerwärts im deutschen Reiche 
das Auftreten der wichtigsten Thierseuchen anzeigepflichtig ge¬ 
macht und die Behörden angewiesen, beim Herannahen oder 
Herrschen von Seuchen auf Grund der Vorschläge der beamteten 
Thierärzte, die als die wichtigsten veterinärtechnischen Organe mit 
weitgehenden Vollmachten ausgerüstet wurden, einheitliche Schutz- 
und Tilgungsmassregeln zu ergreifen. 

Und es verdient öffentlich hervorgehoben zu werden, dass 
die deutschen Thierärzte mit namhaftem Erfolge an der Bekäm¬ 
pfung der Thierseuchen gewirkt haben. Ihrem rastlosen Schaffen 
allein ist es zu verdanken, dass Wuth, Rotz und andere Seuchen 
im Laufe weniger Jahre zu relativ seltenen Krankheiten geworden 


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3 


sind. Hierdurch aber ist nicht allein der Volkswirtschaft ein un¬ 
gezähltes Kapital erhalten, sondern es ist auch die Hygiene der 
Thiermedicin zu grossem Danke verpflichtet. Und als in unserem 
westlichen Nachbarlande vor einiger Zeit einem Manne ungewöhn¬ 
lich glänzende Huldigungen dargebracht wurden, weil er ein wirk¬ 
sames Bekämpfungsmittel für die Wuth, jene schreckliche Krank¬ 
heit, welche da drüben in Frankreich alljährlich noch namhafte 
Menschenopfer fordert, gefunden zu haben glaubte, da konnte man 
im deutschen Vaterlande bei allem Interesse für die wissenschaft¬ 
liche Seite der Frage ganz kaltblütig dem nunmehr entbrennenden 
heftigen Streite über den Werth oder Unwerth der neuen Ent¬ 
deckung zuschauen: in Deutschland kommen Fälle von mensch¬ 
licher Wuth kaum noch vor und dieses Ergebniss verdankt das 
deutsche Reich wesentlich der Tüchtigkeit und Pflichttreue seiner 
Thierärzte. 

Hätte die Oeffentlichkeit vor wenigen Jahren wohl einen 
solchen Erfolg erwartet? 

Der Thierarzt lebte bis in die jüngste Zeit hinein ein stilles 
Märtyrerthum. Ist doch die Geschichte des Veterinärwesens in 
manchen deutschen Staaten vielfach kaum etwas anderes als eine 
fortlaufende Kette von Demütigungen und Bedrückungen eines 
Standes, der bei weiser staatlicher Fürsorge wie wenig andere an 
der Förderung des allgemeinen Wohles mitzuwirken befähigt ist. 
Gegen diese Verhältnisse, welche die soziale Stellung der Thier¬ 
ärzte sehr beeinträchtigten, anzukämpfen, war so lange eine reine 
Sisyphusarbeit, als die Vertreter der Thiermedicin fast ausschliess¬ 
lich kurative Heilkunde ausübten und es ihnen an grossen Auf¬ 
gaben im Dienste der Oeffentlichkeit fehlte. Solche kamen wesent¬ 
lich erst mit dem Seuchengesetze und dieses verschaffte dem 
thierärztlichen Stande die erste günstige Gelegenheit, mit seinen 
offenen und versteckten Widersachern öffentlich abrechnen zu können. 
Denn bei ganz und gar ungenügenden Besoldungsverhältnissen 
und kaum würdigen Rangverhältnissen und zum Theil unter den 
Fesseln einer missgünstigen bureaukratischen Verwaltung haben 
die deutschen Thierärzte durch die glänzende Lösung der bedeu¬ 
tungsvollen Aufgaben, welche ihnen das Reichs-Seuchengesetz zu¬ 
schrieb, der Oeffentlichkeit einen schönen Beweis von Tüchtigkeit, 
Selbstlosigkeit und Pflichttreue gegeben und heute ist mehr als 
jemals zuvor das Vertrauen gerechtfertigt, das Deutschlands er¬ 
probter thierärztlicher Apparat auch weit schwierigeren Aufgaben 
im Dienste des allgemeinen Wohles gewachsen sein wird. 

Für die Leistungen der Thierärzte auf dem Gebiete des Seuchen¬ 
wesens und des von diesem beeinflussten Theiles der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege gibt es übrigens wohl kaum ein unver¬ 
fänglicheres Zeugniss als dasjenige des preussischen Kultusministers 


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— 4 


von Gossler, der bei Berathung des Etats für das Medicinalwesen 
im preussischen Landtage die Erfolge der Thierärzte den Aerzten 
als erstrebenswerthe Muster hinstellte; es dürfte das die erste 
Anerkennung sein, die speciell den preussischen Thierärzten von 
höchster amtlicher Stelle aus im Angesichte des ganzen Landes zu 
Theil geworden ist. 

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Thier- 
medicin auch die Aufgabe zufallt, die menschliche Gesundheit vor 
der Schädigung durch eine Anzahl von thierischen Schma¬ 
rotzen zu schützen, welche durch den blossen Umgang mit kranken 
Thieren auf den Menschen übergehen können. Eine besondere 
Bedeutung nach dieser Richtung hin hat jene winzige Taenie des 
Hundes erlangt, welche die Ursache der Echinokokkenkrankheit 
des Menschen abgiebt. In welchem Umfange die letztere Krank¬ 
heit in der Gegenwart noch verbreitet ist, geht daraus hervor, dass 
von 4770 Leichen, die innerhalb von 10 Jahren im pathologischen 
Institut zu Berlin zur Obduction kamen, 33 mit Echinokokken be¬ 
haftet waren. 

Einer Betrachtung der Fürsorge für die Vermeidung der Ge¬ 
fahren, welche der menschlichen Gesellschaft aus dem blossen 
Umgänge mit kranken Thieren erwachsen, schliesst sich am besten 
eine Erwähnung des thierärztlichen Wirkens an, soweit es auf 
die Verhinderung einer Incorporation von Giften bei der Schutz¬ 
pockenimpfung gerichtet ist. 

Bekanntlich ist der hohe Aufschwung, den das Schutzpocken¬ 
impfwesen in der Neuzeit gewonnen, wesentlich durch die allge¬ 
meine Verwendung animaler Lymphe herbeigeführt. Allerwärts 
im deutschen Reiche sind Anstalten für die Erzeugung dieses 
Impfmateriales entstanden und der Bundesrath sah sich in seiner 
Sitzung vom 28. April 1887 veranlasst, eine besondere „Anwei¬ 
sung zur Gewinnung, Aufbewahrung und Versendung von Thier¬ 
lymphe im deutschen Reiche“ zu geben. Nach den Bestimmungen 
dieser Anweisung unterliegen die Impfthiere einer thierärztlichen 
Crontolle, die vor dem Impfen beginnt und erst mit der Obduktion 
der geschlachteten Thiere ihr Ende erreicht. Der abgenommene 
Impfstoff, den man gegenwärtig viele Wochen hindurch vollkommen 
wirksam erhalten kann, darf erst dann an die Impfärzte abgegeben 
werden, wenn die Thiere bei Lebzeiten vollkommen gesund waren 
und die nach dem Schlachten des Thieres vorgenommene sachver¬ 
ständige Untersuchung die Abwesenheit krankhafter Veränderungen 
ergeben hat. Diese thierärztliche Uebervvachung der Impfthiere hat 
eine um so grössere Bedeutung für die Gesundheitspflege, als die 
Möglichkeit zugegeben werden muss, dass bei mangelnder Auf¬ 
merksamkeit Krankheiten wie Tuberkulose, Wundinfectionskrank- 
heiten etc. mit dem Impfstoff auf den Menschen übertragen werden 


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können. Nur dadurch, dass eine genaue Kontrolle der Impfthiere 
vor der Impfung, während der Pockenentwickelung, bei der 
Lympheabnahme und nach der Schlachtung vorgenommen wird, 
vermögen die Anstalten ein Impfmaterial von tadelloser Beschaffen¬ 
heit zu liefern. Vielfach ist übrigens dem Thierarzte ein noch 
grösserer Wirkungskreis gestellt, indem er zugleich die Lymphe 
erzeugt, conservirt und für den Gebrauch vorrichtet, Arbeiten, 
welche die äusserst gewissenhafte Befolgung einer sehr minutiösen 
Technik voraussetzen. 

Kommen wir nunmehr zu dem bedeutungsvollsten Abschnitte; 
beschäftigen wir uns mit dem Wirken des Thierarztes an der Be¬ 
kämpfung jener ebenso zahlreichen wie heimtückischen Schädlich¬ 
keiten, welche der menschlichen Gesundheit aus der animalischen 
Kost drohen. 

Hierbei dürften einige historische Bemerkungen am Platze sein. 

Bereits die altägyptischen Priester unterschieden mit Strenge 
gesunde von ungesunden Fleischspeisen. Die Thiere wurden feier¬ 
lich für opferfähig erklärt und von der Kunst, den Opferthieren 
die Siegel aufzudrücken, handelten ganze Bücher. Man würde in¬ 
dessen völlig fehlgehen, wollte man die Speisegesetze dieser Kultur¬ 
epoche mehr auf wissenschaftliche Erfahrung als auf kluge Priester- 
diplornatie zurückführen. Die Priester, als die wesentlichsten Träger 
der altägyptischen Kultur, hatten das höchste Interesse daran, das 
ägyptische Volk mit seiner hochentwickelten Agrarverfassung vor 
jeder intensiven Berührung mit den Nachbarnationen, die noch auf 
der Stufe des Nomadenthums standen, zu bewahren. Nichts aber 
konnte eine solche Absonderung so sehr begünstigen, als das stfenge 
Festhalten an möglichst eigenartig gestalteten diätetischen Bräuchen. 
„Die meisten intimen Freundschaften, heisst es sehr zutreffend in 
dem „Mosaischen Recht“ von Michaelis, werden bei Tisch gestiftet 
und mit wem ich nie essen und trinken kann, mit dem werde ich, 
ungeachtet alles Umgangs wegen Geschäfte, doch selten so familiär 
werden, als mit dem, dessen Gast ich bin und der der meinige 
ist. Haben wir gar eine Art von Erziehungs-Abscheu vor des 
Andern Speisen, so ist dies ein neues Hinderniss der näheren 
Vertraulichkeit.“ 

Die diätetischen Satzungen der Israeliten sind unzweifelhaft 
ägyptischen Ursprungs. Moses war am ägyptischen Hofe im Wohl¬ 
stand erzogen und von den Priestern in aller Weisheit unterrichtet 
worden, bevor er es unternahm, seine bedrängte Nation aus 
Aegypten zu führen und das gelobte Land zu erobern. Moses, als 
ein umsichtiger Gesetzgeber, richtete sein ganzes Ziel darauf, die 
Vermischung der Juden mit fremden Elementen möglichst zu ver¬ 
hindern, damit sie sich zu einem Volke für sich, zu einem auser¬ 
wählten Volke, entwickelten, das sich nicht in alle Welt zerstreute 


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— 6 


und von den Lastern der benachbarten Völker nicht angesteckt werde. 
Ein solches Ziel musste durch strenge Speisegesetze, welche dem 
ägyptischen Muster nachgebildet waren, wesentlich gefördert werden 
und die mosaischen Speisegesetze, die nach der allgemeinen An¬ 
nahme so hohe hygienische Zwecke verfolgen, wollen durchaus von 
diesem Gesichtspunkte aus beurtheilt werden. Moses verbot schon 
eine ganze Anzahl von Fleischspeisen dem auserwählten Volke le¬ 
diglich deshalb, weil sie von anderen Völkern bevorzugt wurden; 
so verbot er beispielsweise die Hunde, welche die Phönizier gern 
assen und Kameele und Hasen, Lieblingsspeisen der Araber. 

Im alten Athen und Rom sehen wir schon ziemlich frühzeitig 
eine Art von Marktpolizei, welche für Sicherheit des Handelsver¬ 
kehrs sowie für die Kontrolle des Nahrungswesens Sorge trägt. — 
Mit dem Niedergange der Kultur musste indessen der Sinn für ge¬ 
meinnützige Bestrebungen dieser Art erlöschen und erst das mäch¬ 
tige Aufblühen der Gewerbe im Mittelalter lenkte die öffentliche 
Aufmerksamkeit wieder mit Nachdruck auf die Markt polizei hin. 
Nach und nach bilden sich Fleischschauordnungen aus, die 
gegen das 12. Jahrhundert hin in den einzelnen Städten immer 
mehr an Bedeutung gewinnen. Diese Verordnungen entbehren aller¬ 
dings zunächst des Zusammenhanges mit der Hygiene so gut wie 
völlig und richten sich fast ausschliesslich gegen die Uebervorthei- 
lungen, welche die Fleischer durch allerlei betrügerische Kunstgriffe 
vornehmen, gegen die muthwillige Vertheuerung des Fleisches und 
gegen ähnliche Ungehörigkeiten. Die Fleischer, für welche aller- 
wärts in den Städten öffentliche Schlachthäuser bestehen, werden 
bei peinlicher Strafe angehalten, stets bestimmte Mengen von Vieh 
auf Vorrath zu beschaffen; ganz besonderen Werth legt man auch 
auf die öffentliche Feststellung der Fleischtaxen. 

Selbst bis in die Neuzeit hinein bildeten wohlbegründete hygi¬ 
enische Forderungen nur in einem untergeordneten Massstabe die 
Grundlage für die öffentliche Regelung des Nahrungswesens und 
noch vor einigen Decennien kannte die medicinische Wissenschaft 
kaum andere Gesundheitsschädlichkeiten in der Fleischkost als 
Wurstgift und Milzbrandgift. 

Allerdings hatte man gegen Ende des 17. Jahrhunderts die These 
von der syphilitischen Natur der Perlsucht aufgestellt und dadurch 
der Fleischbeschau vorübergehend eine vorher nie gekannte Bedeu¬ 
tung verschafft, aber später überzeugte man sich von dem Irrthum, 
den man begangen und hob die den Genuss des Fleisches von 
perlsüchtigen Thieren einschränkenden Verbote wieder auf. 

Bei dieser Sachlage wird es begreiflich, dass mit dem Nieder¬ 
gange des morsch und altersschwach gewordenen Zunftwesens auch 
die öffentliche Fürsorge für die Nahrungsgewerbe nachlässt, und 
dass mit der Zunahme der unzünftigen Fleischer die Schlachtungen 


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sich mehr und mehr der Kontrolle in den öffentlichen Schlachthäu¬ 
sern entziehen und in zahllosen kleinen Winkelschlachtstätten aus¬ 
geführt werden. Hierdurch aber verlieren die öffentlichen Schlacht¬ 
häuser schon bald so sehr an Bedeutung, dass sie in manchen 
Städten überhaupt eingehen. So bestand z. B. in Berlin im Jahre 
1842 von drei früher vorhanden gewesenen Schlachthäusern auch 
nicht ein einziges mehr. 

Erst in Folge der eingehenden Befruchtung der medicinischen 
Disciplinen mit den Naturwissenschaften, wie sie sich in der Neu¬ 
zeit vollzog, konnte sich eine eigentliche Fleischhygiene ent¬ 
wickele und sie hat Dank den Fortschritten der Wissenschaft und 
der zunehmenden öffentlichen Fürsorge für das Gesundheitswesen 
gegenwärtig eine Stufe der Ausbildung erreicht, dass man berech¬ 
tigt ist, sie wenigstens nach ihrer wissenschaftlichen Begründung 
hin zu den am besten ausgebauten Zweigen der Gesammthygiene 
zu zählen. 

Von den bahnbrechenden Fortschritten der Wissenschaft sind 
solche auf helminthologischem, bakteriologischem und 
pathologisch-chemischem Gebiete zu ganz hervorragender Be¬ 
deutung für unsere Disciplin geworden. Mit einem gewissen Rechte 
lässt sich das Jahr 1852 als der Ausgangspunkt der modernen 
Fleischhygiene betrachten: Küchenmeister stellt durch einwands¬ 
freie Experimente die Umwandlung der Finnen in Taenien fest und 
weist auf die Gefahren des finnigen Fleisches für die menschliche 
Gesundheit hin. 

Von der Bedeutung der Finnen für die Fleischbeschau erhält 
man ein zutreffendes Bild, wenn man berücksichtigt, dass ein ein¬ 
zelnes Schwein nicht selten 20,000 und noch mehr Finnen beher¬ 
bergt, von denen jede einzelne sich im menschlichen Organismus 
zu einem Bandwurm entwickeln kann und dass im Jahre 1882 von 
der Fleischbeschau in Preussen nicht weniger als 13,567 finnige 
Schweine aufgefunden und angehalten wurden. 

Viel bedeutungsvoller noch für die Fleischhygiene sollte eine 
andere helminthologische Entdeckung werden. Im Jahre 1860 
stellte Zenker die schädliche Einwirkung der Trichinen auf den 
menschlichen Organismus fest und widerlegte die bis dahin allge¬ 
mein vertretene Meinung, dass die im Jahre 1835 von Owen näher 
beschriebene Trichina spiralis, deren Entwickelungsgeschichte 
mittlerweile bekannt geworden war, ein ganz unschädlicher Parasit 
des Menschen sei. Die Beobachtungen über Massenerkrankungen und 
zahlreiche Todesfälle von Menschen, die trichinenhaltiges Schweine¬ 
fleisch genossen, häuften sich bald in einem Grade, dass die 
weitesten Kreise des Publikums von Furcht und Schrecken ergriffen 
wurden und die berufensten Autoritäten die Errichtung öffentlicher 
Schlachthäuser mit sorgfältiger Fleischkontrolle immer dringender 


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verlangten. Welchen unsäglichen Jammer ein einziges trichinöses 
Schwein verursachen kann, erhellt aus der Thatsache, dass in dem 
2000 Einwohner zählenden Hedersleben im Jahre 1865 ein Schwein 
nicht weniger als 337 Erkrankungen und 101 Todesfälle an Tri- 
chinosis verursachte, und 1883 erkrankten in Deesdorf und Nien¬ 
hagen durch das Fleisch eines einzigen Schweines gar 503 Personen, 
während 66 Todesfälle zu verzeichnen waren. In Preussen, soweit 
daselbst die microscopische Prüfung des Schweinefleisches auf 
Trichinen vorgenommen wird, werden durchschnittlich jährlich 
etwa 2000 trichinöse Schweine aufgefunden und vernichtet. 

Fast gleichzeitig mit diesen bedeutungsvollen Entdeckungen 
wurde der Boden immer wirksamer vorbereitet, auf welchem die 
Bakteriologie ihre glänzenden Triumphe feiern sollte. Ich muss 
mich darauf beschränken, nur wenige Thatsachen aufzuzählen, welche 
von ganz besonderer Bedeutung für die Fleischhygiene geworden 
sind. Im Jahre 1865 stellte Villemin die Impfbarkeit der Tuber¬ 
kulose experimentell fest und 1882 entdeckte Robert Koch den 
Tuberkelbacillus und begründete die Lehre von der ätiologischen 
Identität von thierischer und menschlicher Tuberkulosis in einer 
unwiderleglichen Weise. Die weitverbreitete Perlsucht des Rindes, 
welche noch von Virchow mit Hartnäckigkeit für eine ganz eigen¬ 
artige Krankheit gehalten wurde, erkannte die fortschreitende 
Wissenschaft jetzt als echte Tuberkulose an und durch zahlreiche 
Fütterungsversuche bemühte man sich, die Gefahren experimentell 
festzustellen, welche mit dem Genüsse des Fleisches von tuberku¬ 
lösen Thieren verknüpft sind. Die bisherigen sehr mühsamen Ver¬ 
suche haben zwar ergeben, dass ganz so grosse Gefahren, wie sie 
sich Gerlach und andere dachten, in Wirklichkeit nicht bestehen, 
dass aber das Fleisch unter Umständen thatsächlich eine Infektions¬ 
quelle für den Menschen abgeben kann. Da diese Gefahr mit dem 
Aufwande aller Mittel vermieden werden muss, *so erwächst hier¬ 
aus der Fleischbeschau eine äusserst wichtige Aufgabe, die dadurch 
besonders erschwert wird, dass bei dem ungemein häufigen Vor¬ 
kommen der Rindertuberkulose auch die Interessen der Volkswirt¬ 
schaft thunlichst zu respektiren sind. 

Von bahnbrechendem Einflüsse auf die Gestaltung der Fleisch¬ 
hygiene ist auch das genauere Studium der Pathogonese des 
Milzbrandes geworden. Die medicinische Schablone hatte sich 
daran gewöhnt, Massenerkrankungen nach Fleischgenuss ohne Weiteres 
auf Milzbrand zurückzuführen. Die ätiologischen Fortschritte zeigten 
nun, dass derartige Erkrankungen meistens ganz anderen Ursachen 
als dem Anthrax ihr Dasein verdanken und dass Milzbrandinfectionen 
durch Fleisch zu den allerseltensten Vorkommnissen zählen. 

Besonders fand man, dass septische und pyämische Leiden 
der Schlachtthiere die häufigste Quelle der Fleischvergiftungen ab- 


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geben. Bollinger vermochte dies für einige Tausend Vergiftungs¬ 
falle aus der Neuzeit zuverlässig nachzuweisen und es ergab sich, 
dass vor allen Dingen die septische Metritis der Kühe und die 
jauchige Nabelentzündung der Kälber die menschliche Gesundheit 
im hohen Grade gefährden können. 

Als äusserst heimtückische und gemeingefährliche Schädlich¬ 
keiten in der Fleischkost erwiesen sich in der Neuzeit auch noch 
gewisse chemische Gifte, welche sich bei dem Stoffwechsel der 
Bakterien bilden und welche man als Fäulnissalkaloide, Ptomaine 
oder Toxine bezeichnet hat. Dieselben bilden sich mit Vorliebe 
auf stark durchfeuchtetem Fleisch und werden deshalb besonders 
in dem Fleische von nothgeschlachteten Thieren beobachtet, ver¬ 
mögen sich aber bei unzweckmässiger Aufbewahrung und Zube¬ 
reitung auch in dem Fleische von ganz gesunden Thieren zu ent¬ 
wickeln. 

Betont muss noch werden, dass Fleisch und Fleischspeisen 
auch als wohlgeeignete Nährböden für solche Mikroorganismen 
fungiren können, welche man als die Erreger gefährlicher Infek¬ 
tionskrankheiten des Menschen erkannt hat. Manche Infek¬ 
tionen von Typhus, Cholera und ähnlichen Seuchen dürften durch 
die Fleischkost vermittelt werden. 

Neben den genannten Anomalien spielen Wuth, Rotz, 
Aphthenseuche und andere Krankheiten der Schlachtthiere* bei 
der Schädigung der menschlichen Gesundheit durch die Fleisch¬ 
kost nur eine sehr untergeordnete Rolle. 

Die gehäuften Beobachtungen über die Wiederkehr von Massen- 
vergiftungen, welche durch die vorgenannten Schädlichkeiten 
verursacht werden, erregten in einem Grade das Interesse der 
menschlichen Gesellschaft, dass der Ruf nach Schutz vor solchen 
Vorkommnissen immer lauter erscholl. Es ist recht bezeichnend 
für die Rathlosigkeit, in welcher sich gewisse Kreise dieser Forde¬ 
rung gegenüber befanden, wenn der Marburger Professor Falck 
in einem mehr als 600 Seiten starken Werke über das Fleisch, 
welches übrigens jede praktische Sachkenntniss vollkommen ver¬ 
missen lässt, ganz ernsthaft verlangt, das Fleisch kranker Thiere 
ohne jede Rücksicht auf die Natur der Krankheit vom Genuss 
für Menschen auszuschliessen und wenn er Gerlach und anderen 
thierärztlichen Autoren die heftigsten Vorwürfe darüber macht, 
dass sie es wagen, überhaupt von dem geniessbaren Fleisch kranker 
Thiere zu sprechen. Eine nur oberflächliche Bekanntschaft mit 
den Ergebnissen der Schlachthausstatistik sowie die geringste Ver¬ 
trautheit mit dem Wesen der Thierkrankheiten ergibt, dass die 
Falck’sche Forderung durchaus unausführbar ist. 

Aus einer ganzen Reihe von Schlachthausberichten, die nach 
dieser Richtung hin gut übereinstimmen, greife ich einen beliebigen 


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heraus; es ist dies der Jahresbericht über die Fleischbeschau in 
Heidelberg im Jahre 1887. Aus demselben ersehen wir, dass von 
4301 Stück Grossvieh, die im Laufe des Berichtsjahres geschlachtet 
wurden, 43 Thiere für ungeniessbar erklärt werden mussten, während 
978 einzelne Organe wegen krankhafter Veränderungen vernichtet, 
das Fleisch dqr betreffenden Thiere im übrigen aber frei gegeben 
wurde. In Heidelberg ist also annähernd der vierte Theil des 
sämmtlichen Grossviehs mit krankhaften Veränderungen angetroffen 
worden. 

Aus den angeführten Zahlen ergibt sich, dass eine Ausführung 
der Falck’schen Forderung eine äusserst empfindliche Schädigung 
des Volkswohles im Gefolge haben müsste. Es würden hierdurch 
die Fleischpreise derartig in die Höhe geschraubt werden, dass die 
Beköstigung der grossen Masse des Volkes sich nothwendig noch 
schlechter gestalten würde als gegenwärtig. Da wir wissen, dass 
das Wohlbefinden und die Thatkraft eines Volkes wesentlich abhängig 
sind von der Menge der Fleischnahrung, die ihm zur Verfügung 
steht, so kann d ie Fleischh ygiene unmöglich ihreAufgabe 
darin erblicken, alles Fleisch von kranken Thieren 
schlechterdings zu verwerfen, sondern sie hat viel¬ 
mehr dahin zu wirken, dass von der ungeheueren 
Menge von Fleisch, welches von mit mehr oder weniger 
namhaften Mängeln behafteten Schlachtthieren her¬ 
rührt, soviel zu Zwecken der menschlichen Ernährung 
zugelassen wird, als an der Hand der wissenschaft¬ 
lichen Erfahrung ohne Nachtheil für die menschliche 
Gesundheit geschehen kann und dass nur dasjenige 
Fleisch zur Vernichtung gelangt, welches notorisch 
die menschliche Gesundheit zu gefährden geeignet 
ist, oder welches wenigstens wissenschaftlich hin¬ 
reichend verdächtig ist, dass es dieses thun könnte; 
weiterhin ist aber auch Fleisch mit allgemein ekel¬ 
erregenden Eigenschaften vom Verkehr auszuschliessen. 

Indem nun die Fleischhygiene im wohlvorhandenen Interesse 
der Volkswirthschaft mit Objectivität zur Prüfung der Frage schritt, 
welche Leiden der Schlachtthiere den Fleischgenuss nicht nach¬ 
theilig beeinflussen, ermittelte sie ein ganzes Heer von krankhaften 
Veränderungen, welche die Verwerthung des Fleisches zu Zwecken 
der menschlichen Ernährung unbedingt oder doch bedingungsweise 
gestatten. Man einigte sich bald darüber, dass beim Antreffen von 
unbedeutenden und an sich harmlosen Veränderungen an sonst 
gesunden Thieren das Fleisch nach der Entfernung der veränderten 
Körpertheile anstandslos in den Verkehr gelangen könne, während 
bei umfangreicheren Veränderungen, die an sich nicht gesundheits¬ 
schädlich' sind, die aber befähigt scheinen, den begründeten Ekel 


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11 


jener Konsumenten zu erwecken, welche für ihr schweres Geld 
auch eine vollkommen tadellose Waare verlangen, sich mehr und 
mehr der empfehlenswerthe Brauch einbürgerte, das Fleisch unter 
amtlicher Kontrolle und unter ausdrücklicher Bezeichnung seiner 
mangelhaften Herkunft zu einem geringeren Preise auf der sogen. 
Freibank zu verkaufen. 

Bei dieser Sachlage erkannte man in den zuständigen Kreisen 
sehr bald, dass die Frage, ob das Fleisch krank befundener Schlacht- 
thiere nicht oder nur unter gewissen Bedingungen zum mensch¬ 
lichen Genüsse zugelassen werden könne, nur derjenige mit der 
erforderlichen Sachkenntniss zu entscheiden vermag, welcher mit 
dem gewaltigen Heer von Krankheiten und abnormen Körperzu¬ 
ständen der Schlachtthiere genau vertraut ist, und das ist allein 
der erfahrene Thierarzt, der sich auf Grund reicher Kenntnisse 
vom gesunden und kranken Thierkörper speciell in dieses Gebiet 
der Hygiene eingearbeitet hat. Eine andere Ausbildung hat sich 
nicht befähigt gezeigt, sich diejenige Summe von Kenntnissen und 
praktischen Erfahrungen anzueignen, welche zur zutreffenden hygi¬ 
enischen Beurtheilung des Fleisches durchaus erforderlich sind. 

Diese Ueberzeugung hat denn auch ihren praktischen Ausdruck 
gefunden in der Thatsache, dass in der Gegenwart immer mehr 
und mehr Thierärzte in den öffentlichen Sanitätsdienst berufen 
werden und dass zur Zeit bereits einige Hunderte thierärztlicher 
Sanitätstechniker ihre dem öffentlichen Wohle gewidmete Thätig- 
keit auf dem Gebiete der Fleischhygiene entfalten. Für den nüchternen 
Beobachter kann es gar nicht zweifelhaft sein, dass unter dem Ein¬ 
flüsse einer zweckentsprechenden Gesetzgebung, welche ihre Für¬ 
sorge immer mehr der sachkundigen Ueberwachung des Nahrungs¬ 
wesens zuvvendet, die Zahl dieser Beamten in der Zukunft noch 
eine sehr bedeutende Steigerung erfahren wird. 

Was übrigens die neue Gesetzgebung auf dem Gebiete der 
Fleischhygiene betrifft, so entstanden seit Beginn der sechziger 
Jahre fast in allen deutschen Staaten umfassende Verordnungen, 
den Bau öffentlicher, ausschliesslich zu benutzender 
Schlachthäuser betreffend. 

ln der Gewerbeordnung für das deutsche Reich wurde 
die Landesgesetzgebung ermächtigt, für solche Orte, in welchen 
öffentliche Schlachthäuser in genügendem Umfange vorhanden sind, 
die fernere Benutzung bestehender sowie die Errichtung neuer 
Privatschlächtereien zu untersagen. 

Aber diese ganze Gesetzgebung ist nur als der schwache 
Anfang des Versuches einer Abschlagszahlung auf die berechtigten 
Forderungen der Hygiene zu betrachten; sie bezieht sich allein auf 
eine Regelung der Schlachtungen und ist selbst nach dieser Rich¬ 
tung hin nicht für das ganze Land verbindlich, ihre Anwendung 


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12 


ist vielmehr bisher lediglich der Einsicht der einzelnen Gemeinden 
überlassen worden. Noch fehlt es in dem grössten Theil des 
deutschen Reiches ganz an einer gesetzlichen Regelung der Fleisch¬ 
beschau und selbst ein so gemeingefährliches Gewerbe wie die 
Nothschlachtungen unterliegt nur in einem kleinen Theile 
Deutschlands einer sanitätspolizeilichen Beaufsichtigung. Auch 
führen die Gemeinden, welche sich vor den Gefahren ungesunder 
Fleischkost durch Errichtung öffentlicher Schlachthäuser schützen 
wollen, mit Recht lebhafte Klage darüber, dass sie ziemlich macht¬ 
los sind, sobald es sich um eine befriedigende Kontrolle des von 
auswärts eingeführten Fleisches handelt. Nur in einigen süddeutschen 
Ländern liegen die Verhältnisse günstiger. 

Bei dieser ganz und gar ungenügenden staatlichen Fürsorge 
würden die Zustände in der Praxis des Handelsverkehrs mit Fleisch 
und Fleischwaaren schlechterdings ganz unerträglich sein, hätte nicht 
das vortreffliche Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 den 
Verkehr mit anomalen Nahrungs- und Genussmitteln ganz allgemein 
unter Strafe gestellt. Indem die Gesetzgebung in weiser Selbst¬ 
beschränkung darauf verzichtete, genau zu präzisiren, welche 
Nahrungsmittel als verdorben, verfälscht, nachgemacht oder gesund¬ 
heitsschädlich zu betrachten sind, überliess sie die Klarstellung 
dieser Begriffe lediglich der Wissenschaft. Hierdurch hat die Fleisch¬ 
hygiene ein früher nie gekanntes Ansehen in der Oeffentlichkeit 
erlangt und heute steht der Thierarzt in der Praxis des Handels¬ 
verkehrs alltäglich vor einer Menge von Aufgaben, die tief in das 
gewinnsüchtige gewerbliche Treiben der Gegenwart einschneiden 
und ihm, dem berufensten Sachverständigen auf dem Gebiete der 
Fleischhygiene, das Bedürfniss auferlegen, sich unter Zuhülfenahme 
sämmtlicher Hülfsmittel der Wissenschaft stets bereit zu halten zur 
exakten Entscheidung der Fundamentalfragen, welche Fleischkost 
im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes als verdorben, welche als 
verfälscht oder nachgemacht und welche als gesundheits¬ 
schädlich zu betrachten ist. 

Der Thiermedicin sind aber auch auf einem anderen Gebiete 
des Nahrungswesens, nämlich auf demjenigen der Milchhygiene 
hochbedeutende Aufgaben erwachsen un4 es kann für den Einge¬ 
weihten gar nicht zweifelhaft sein, dass diese schon in einer nahen 
Zukunft für das Wohl der menschlichen Gesellschaft mindestens 
die gleiche Bedeutung erlangen werden, wie die eben besprochenen. 

Schädigungen der menschlichen Gesundheit durch ungesunde 
Milchnahrung kommen in einem weit grösserem Umfange vor, als 
allgemein angenommen wird. Vor allen Dingen ist es der zarte 
Organismus des Säuglings, der von ihnen betroffen wird. 

Es ist eine der traurigsten sozialen Erscheinungen der Gegen¬ 
wart, dass in Deutschland durchschnittlich etwa V* sämmtlicher 


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13 


Neugeborenen bereits im Laufe des ersten Lebensjahres zu Grunde 
geht, dass aber in manchen Gegenden sogar die Hälfte aller Säug¬ 
linge von diesem Schicksale betroffen wird. Die ärztliche Erfahrung 
hat gezeigt, dass diese beklagenswerthe Erscheinung vornehmlich 
auf eine ungeeignete Ernährung der Säuglinge zurückzuführen ist. 
Unter unseren eigenartigen Kulturverhältnissen, wo die weibliche 
Eitelkeit gar zu leichten Sieg erringt über das Pflichtgefühl, wird 
die Mutterbrust immer mehr und mehr ihrer natürlichen Bestimmung 
entfremdet und es muss angesichts der enormen Säuglingssterblich¬ 
keit als eins der höchsten socialen Probleme erscheinen, einen 
geeigneten Ersatg für die Muttermilch zu finden. 

So ist es denn gekommen, dass die Kühe für eine überaus 
grosse Anzahl von Kindern die wichtigsten oder gar die einzigen 
Ammen bilden, denen gegenüber die Säugammen nur eine unter¬ 
geordnete Rolle spielen. Zudem wird das Elend durch letztere 
nicht gemildert, sondern nur verschoben: die Armuth gibt gesunde 
Muttermilch, die naturgemäss für das Gedeihen des eigenen Kindes 
bestimmt ist, für Geld dem Sprössling des Wohlhabenden und 
überlässt ihr eigenes Fleisch und Blut dem Elende der künstlichen 
Ernährung. 

Neben der Thiermilch finden allerlei Kunstpräparate und Surro¬ 
gate bei der Kinderpflege in einem früher nie geahnten Umfange 
Verwendung. Ist man sich nun zwar im Prinzipe darüber einig, 
dass die Thiermilch den besten Ersatz für die Frauenmilch bildet, 
so kann doch nicht bestritten werden, dass die Kuhmilch, wie sie 
heute in den Handel gelangt, zum grossen Theile als ein geeigneter 
Ersatz für die Muttermilch nicht gelten kann und dass sie wesent¬ 
lich Mitschuld trägt an der hohen Säuglingssterblichkeit. 

Es ist durch sehr sorgfältige Beobachtungen dargethan, dass 
die nachtheilige Wirkung der Kuhmilch keineswegs auf die ab¬ 
weichende chemische Zusammensetzung gegenüber der Frauenmilch 
zurückzuführen ist, sondern wesentlich einer fehlerhaften Produktions¬ 
weise ihr Dasein verdankt. Eine reiche Erfahrung hat ergeben, 
dass der Säugling bei gesunder und gut gewonnener Kuhmilch 
vortrefflich gedeiht, eine Erkenntniss, die man vor allen Dingen den 
mit Umsicht geleiteten Milchkuranstalten verdankt. 

Die Schutzmassregeln, welche behördlicherseits bisher ergriffen 
wurden, um den Gefahren in der Kindermilch entgegenzuwirken, 
müssen als völlig verfehlt bezeichnet werden und erscheinen nur 
geeignet, das grosse Publikum in eine falsche Sicherheit zu wiegen. 
Auch ist es beklagenswerth, dass namhafte Chemiker und selbst 
Aerzte öffentlich auf dem Irrwege betroffen tverden, die Ursachen 
der traurigen Erscheinung in einem Fehlen an „einheitlichen Normen“ 
für die chemische Prüfung der Milch zu erblicken und von einer 
Verbesserung der gebräuchlichen chemisch-analytischen Methoden 


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14 — 


der Milchprüfung Abhülfe erhoffen. Das könnte doch nur dann 
zutreffend sein, wenn die gewöhnlichen Verfälschungen der Milch, 
die Verwässerung und Entrahmung oder fremdartige Zu¬ 
sätze zur Milch, auf deren Nachweis die chemisch*analytischen 
Methoden zur Zeit allein gerichtet sind, die hohe Gesundheitsschäd¬ 
lichkeit der Kuhmilch ausmachten, was bekanntlich nicht der Fall 
ist. Dass auch die sogen. Milchkrankheiten, die fadenziehende 
Milch, die blaue Milch, die rothe Milch etc. eine Gefahr für die 
menschliche Gesundheit nicht einschliessen, sei an dieser Stelle nur 
deshalb betont, weilein amtliches preussisches Schriftstück, 
der Anhang zum Erlass der Minister des Innern * der Landwirt¬ 
schaft und der Medizinalangelegenheiten vom 28. Januar 1884, betr. 
die Regelung des Verkehrs mit Milch diese Fehler ausdrücklich als 
gesundheitsschädlich bezeichnet. Wäre letzteres tatsächlich 
der Fall, so müsste es völlig unverständlich scheinen, wie im nörd¬ 
lichen Schweden, einem Lande, das so geringe Kindersterblichkeit 
aufzuweisen hat, wie kaum ein anderes, sowie in Lappland 
Kuhmilch, die absichtlich fadenziehend gemacht ist, ein sehr ge¬ 
schätztes Nahrungsmittel bildet, das sich Monate hindurch aufbe¬ 
wahren lässt. 

Mit der Zunahme unserer Kenntnisse auf dem Gebiete der 
Ernährungshygiene tritt es immer klarer zu Tage, dass die Gefahren der 
Milchnahrung von Qualitäten des Eutersekretes abhängig sind, welche 
sich durch physikalische und chemische Prüfungsmethoden, wie 
wir sie gegenwärtig bei der polizeilichen Kontrolle der Marktmilch 
anwenden, ahsolut nicht nachweisen lassen, welche sich vielmehr 
nur durch eine angemessene Ueberwachung des Gesundheits¬ 
zustandes so wie derFütterung und Haltung derMilchkühe 
sowie durch eine Fürsorge für die richtige Behandlung und Auf¬ 
bewahrung der Milch bekämpfen lassen. 

Bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft müssen wir 
es als obersten Grundsatz hinstellen: dass die Milch nur dann 
hygienisch zutreffend beurtheilt werden kann, wenn man 
die Art und Weise ihrer Produktion sowie ihre Behand¬ 
lung bis zum Verkaufe genau kennt. Alle Bemühungen, 
mit Hülfe abstrakter Laboratoriumsweisheit allein eine zweckent¬ 
sprechende Milchkontrolle auszuüben, haben ihren gänzlichen Ban¬ 
kerott dargethan. Der himmelschreiende Umfang der Kindersterb¬ 
lichkeit sollte dringend zu entschlossener Umkehr von den gänzlich 
verfehlten Bahnen mahnen, auf denen sich die Milchpolizei gegen¬ 
wärtig befindet. 

Wir pflichten Ctiyrim vollkommen bei, wenn er der Chemie 
auf ihrer gegenwärtigen Stufe der Entwickelung jegliche Kompetenz 
abspricht, über die Qualität der Milch als Nahrungsmittel das letzte 
entscheidende Wort zu sprechen, womit wir natürlich keineswegs 



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15 — 


bestreiten wollen, dass die chemische Analyse für den Nachweis 
gewisser Fälschungen der Milch hohen Werth besitzen kann. 

Die Milch ko n trolle gehört weit mehr vor dasForum 
der Thiermedicin als vor. das jenige der Chemie und 
sie hat sich vor allen Dingen auf eine Ueberwachung 
des Gesundheitszustandes sowie der Fütterung und 
Haltung der Thiere zu erstrecken! 

Eine Abstammung der Milch von gesunden Kühen 
ist ganz unerlässlich. Milch von kranken und von arzneilich be¬ 
handelten Thieren ist nicht allein für die weitesten Volksschichten 
ekelerregend, sondern kann auch gesundheitsschädlich werden. 
Letzteres ist besonders der Fall, wenn die Milchkühe an Krank¬ 
heiten leiden, welche auf den Menschen übertragbar sind. Obenan 
steht hier die Tuberkulose. Nach den übereinstimmenden Mit¬ 
theilungen zuverlässiger Schlachthausthierärzte werden in vielen 
Gegenden Deutschlands (Görlitz, Stuttgart, Schwerin, Bernburg etc.) 
mehr als 10% sämmtlicher zur Schlachtbank geführten Kühe tuber¬ 
kulös befunden. — Fütterungsversuche mit der Milch von tuber¬ 
kulösem Rindvieh, die seit Cheauveau und Gerlach vielfach ausgeführt 
worden sind, haben nach Johne in 30% aller Fälle ein positives 
Resultat ergeben. Bollinger konnte sich durch Impfversuche von 
einer noch weit häufigeren Infektiosität der Milch überzeugen. Er 
prüfte die Milch von 20 tuberkulösen Kühen, die im Schlachthause 
zu München angehalten waren, mittelst intraperitonealer Impfung 
von Meerschweinchen auf ihre Virulenz und erhielt in 55% aller 
Impfungen ausgesprochen positive Ergebnisse. Hierbei erwies sich 
die Gesundheitsschädlichkeit von dem Umfange des tuberkulösen 
Prozesses abhängig. In 5 Fällen von hochgradiger Tuberkulose 
zeigte sich die Milch 4 mal infektiös, in 6 Fällen von Perlsucht 
mittleren Grades erhielt man 4 positive und 2 negative Ergebnisse, 
während in 9 Fällen von geringgradiger Tuberkulose das Impf¬ 
resultat 3 mal positiv und 6 mal negativ ausfiel. 

Besonders gross wird die Gefahr offenbar dann sein, wenn die 
Milchdrüsen selbst tuberkulös erkrankt sind. Das ist nach unseren 
gegenwärtigen Erfahrungen keineswegs sehr selten der Fall. Eine 
sehr gute Beschreibung der Eutertuberkulose rührt von Fürsten¬ 
berg her, der die Krankheit in Uebereinstimmung mit den An¬ 
schauungen seiner Zeit als „Sarcomatosis“ bezeichnet. Bang ver¬ 
mochte in den Milchwirthschaften Kopenhagens innerhalb einiger 
Monate nicht weniger als 27 Fälle von hochgradiger Eutertuber¬ 
kulose festzustellen. In einem dieser Fälle traf er in der anschei¬ 
nend ganz normalen Milch so zahlreiche Bacillen an, dass ein einziges 
Deckglaspräparat deren Tausende enthielt und in jedem Gesichts¬ 
felde etwa 200 Stück gezählt werden konnten. 


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Eutertuberkulose vermag der erfahrene Thierarzt in zahlreichen 
Fällen zu Lebzeiten der Thiere zu erkennen. Sie verräth sich 
meistens durch eigenthümliche Knoten und Verhärtungen, welche sich 
allmählig und ohne sichtbare Zeichen eines Allgemeinleidens in der 
Substanz des Euters entwickeln und zuweilen einen sehr bedeu¬ 
tenden Umfang annehmen. Nicht selten brechen kleine Abscesse nach 
aussen durch, die einen käsigen Brei entleeren. Von hervorragender 
Wichtigkeit ist das Verhalten der Lymphdrüsen des Euters. Zu 
jeder der vier Abtheilungen des Kuheuters gehört ein besonderes 
Lymphdrüsenpacket. Während diejenigen der vorderen Euterviertel 
ihrer versteckten Lage halber der tastenden Hand nicht zugänglich 
sind, können die Lymphdrüsen der hinteren Viertel, welche zudem 
am häufigsten an der Tuberkulose erkranken, sehr leicht zu Leb¬ 
zeiten der Kühe untersucht werden. Diese Lymphdrüsen, welche 
sich unter der Einwirkung des Tuberkelgiftes mitunter ganz enorm 
vergrössern und verhärten, liegen hoch oben an der hinteren und 
äusseren Fläche jeder Euterabtheilung, welche an dieser Stelle 
jederseits eine kleine Grube trägt. 

Die Gefahren, welche der menschlichen Gesundheit aus dem 
Genüsse tuberkulöser Milch drohen, können deshalb durch eine 
sorgfältige thierärztliche Untersuchung der Milchkühe 
namhaft eingeschränkt werden. 

Die bakteriologische Untersuchung der Milch auf Tuberkel¬ 
bacillen hat bisher nur sehr wenig befriedigende Resultate geliefert. 
In 20 infektösen Milchproben vermochte Bollinger nur ein einziges 
Mal Tuberkelbacillen nachzuweisen. Es dürfte deshalb die Annahme 
gerechtfertigt sein, dass das Krankheitsgift zumeist in Form von 
Sporen in der Milch vorkommt. Möglicherweise sind aber auch 
die Methoden zur Prüfung des Eutersecretes auf Bacillen noch 
namhafter Verbesserungen fähig. 

Von ungleich grösserer Bedeutung für die Praxis als die mikros¬ 
kopische Untersuchung ist gegenwärtig die Prüfung der Milch 
auf ihre Virulenz mittelst der Impfung. Namentlich 
mit Hülfe der intraperitonealen Impfung von Kaninchen dürfte 
man in der Lage sein, in einer vielen Anforderungen der Hygiene 
durchaus genügenden Weise infektiöse Milch mit hinreichender 
Sicherheit zu erkennen. Vergegenwärtigt man sich die Thatsache, 
dass in manchen Gegenden Deutschlands mehr als 10°/o sämmt- 
licher Milchkühe tuberkulös sind und bestätigt sich der Befund 
Bollinger’s, dass mehr als die Hälfte dieser Thiere eine infektiöse 
Milch liefern, einer reicheren Erfahrung gegenüber, so dürfte die 
Hygiene, so lange sie kein besseres und noch einfacheres Mittel 
zum Nachweis der schädlichen Milch kennt, zu der Forderung be¬ 
rechtigt sein, die des Milchverkaufes halber gehaltenen Kühe in 


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17 


regelmässigen Intervallen — vielleicht alle Vierteljahre — auf die 
Virulenz ihrer Milch zu prüfen. 

Neben der Tuberkulose ist die Aphthenseuche (Maul- • 
Klauenseuche), die nicht selten weite Landstriche in schneller Ver¬ 
breitung überzieht und dabei ungezählte Milchkühe befallt, zu den¬ 
jenigen Thierkrankheiten zu zählen, welche durch den Milchgenuss 
auf den Menschen übertragbar sind. 

Die ersten zuverlässigen Nachrichten über die Schädlichkeit 
der Milch bei der Maul- und Klauenseuche stammen aus dem vorigen 
Jahrhundert. 

Sagar beobachtete in Mähren, dass Menschen nach dem Ge¬ 
nüsse solcher Milch im ungekochten Zustande an Schlingbeschwerden, 
Hitze und Aphthen im Munde erkrankten. Brosche sah, dass Mägde, 
die sich mit der Pflege der kranken Thiere beschäftigten, an den 
Fingern und Zehen einen Bläschenausschlag bekamen. Uebertra- 
gungsversuche mit Milch kranker Thiere hat sodann Hertwig an¬ 
gestellt und hierbei an sich und an 2 Aerzten •experimentell die 
Aphthenseuche erzeugt. Auch Butter und Käse, die aus der Milch 
der kranken Kühe bereitet werden, können sich gefährlich zeigen: 

J. Schneider sah ganze Familien nach dem Genüsse solcher Nah¬ 
rungsmittel erkranken. 

Die Milch wirkt besonders schädlich auf den zarten Organismus 
der Kinder ein; vereinzelt sind selbst tödtliche Erkrankungen beob¬ 
achtet worden; es entwickeln sich dann unter unstillbaren Durch¬ 
fällen Aphthen auf der Schleimhaut des Verdauungsapparates. 

Wegen ihres in der Mehrzahl der Fälle sehr günstigen Ver¬ 
laufes eignet sich die Seuche wie kaum eine andere zur Verheim¬ 
lichung und es ist bekannt, dass trotz der durch das Viehseuchengesetz 
vorgeschriebenen Anzeigepflicht die meisten Seuchenausbrüche von 
den Besitzern, die eine schwere Schädigung des Milchhandels be¬ 
fürchten, verheimlicht werden. Hierdurch wird aber nicht allein 
der weiteren Verbreitung der Seuche wesentlicher Vorschub geleistet, 
sondern auch die menschliche Gesundheit um so leichter gefährdet, 
als die Kenntniss von der Schädlichkeit der Milch in den land¬ 
wirtschaftlichen Kreisen viel zu wenig verbreitet ist. Bollinger 
sagt sehr zutreffend: „Entgegen der Annahme, dass die Milch der 
erkrankten Thiere in der Regel keine Verwendung findet, kann 
ich aus eigener Erfahrung versichern, dass die Besitzer grösserer 
Milchwirthschaften beim Herrschen der Maul- und Klauenseuche 
sich und ihren Angehörigen allerdings den Genuss der Milch ver¬ 
sagen, nicht etwa, weil sie dieselbe für schädlich hielten, sondern 
um ihren Kunden in der Stadt wenigstens annähernd die vertrags- 
mässige Menge liefern zu können“. 

Im Jahre 1886 wurde die OefFentlichkeit im hohen Grade be¬ 
unruhigt durch die Mittheilung von Power & Klein, dass ein Micro- 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. J&hrg. 2 


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— 18 


coccus, den Klein für das Scharlachgift hielt, durch die Milch 
von scharlachkrankem Rindvieh auf den Menschen übertragen werden 
könne. Mit Recht haben die englischen Veterinärbehörden gegen 
diese Annahme Front gemacht, indem sie darauf hinwiesen, dass 
eine Scharlachkrankheit des Rindviehes überhaupt unbekannt sei 
und ein geringes Hautleiden, welchem Power und Klein so grosse 
Bedeutung beilegten, ein ganz gewöhnlicher Ausschlag sei, der bei 
frischmelken Kühen sehr häufig beobachtet wird und keinerlei 
Beziehungen zum Scharlach besitzt. Kommen Scharlachübertra¬ 
gungen durch die Milch thatsächlich vor, so stammt das Gift nicht 
von kranken Thieren, sondern das Eutersecret wird von aussen 
inficirt. 

Was die sonstigen Veränderungen betrifft, welche die Milch 
durch andere Krankheiten der Kühe erleidet, so kann hier 
nicht der Ort sein, dieses zum Theil noch ganz dunkle Gebiet der 
Thierpathologie erschöpfend zu behandeln. Es sei deshalb nur 
kurz betont, dass .die Gesundheitspflege die Abstammung der Milch 
von gesunden Thieren mit Recht verlangen und die Milch von 
kranken Thieren als ein allgemein ekelerregendes Nahrungsmittel 
verwerfen muss. — Letzteres trifft auch zu für die Milch von 
arzneilich behandelten Thieren. — Aromatische und bittere 
Heilmittel, wie Kümmel, Anis, Fenchel, Wermuth und Aloe, gehen 
nach innerlicher Verabreichung in die Milch über und versehen 
diese mit einem ekelhaften Geschmacke. Terpentin, Carbolsäure, 
Aether und Chloroform verhalten sich ebenso. Auch Jod, Eisen, 
Blei, Zink, Wismuth, Kupfer, Arsenik und Quecksilberpräparate 
treten in das Eutersecret über und von narkotischen Arzneien und 
scharfen Abführmitteln, wie Nux vomica, Veratrum, Helleborus, 
Euphorbium und Crotonöl ist genau dasselbe zu sagen. Selbst Mittel¬ 
salze, wie Glaubersalz, Bittersalz etc., scheinen keine Ausnahme 
zu bilden und es sollte deshalb die Milch von arzneilich behan¬ 
delten Thieren grundsätzlich nicht im Handelsverkehr geduldet 
werden. 

Von einem ausserordentlich weittragenden ‘Einflüsse auf die 
Qualität der Milch ist auch die Nahrung und es kann nur als 
ein schwerwiegender Irrthum bezeichnet werden, wenn man, von 
der physiologischen Beobachtung ausgehend, dass ein gewisser 
Theil der Milchbestandtheile aus einem direkten Zerfall der Euter¬ 
substanz hervorgeht, eine fast völlige Unabhängigkeit der Milch¬ 
beschaffenheit von der Nahrung lehrt. 

Thiere, die der Milchproduktion dienen, müssen ein gehalt¬ 
reiches Futter bekommen und es ist besonderer Werth darauf zu 
legen, dass die Eiweisskörper in genügender Menge in der Nahrung 
vorhanden sind. — Nur ein reichlich mit Eiweiss gespeistes Euter 
besitzt eine grosse Leistungsfähigkeit und liefert eine gute Milch; 


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19 


bei armer Fütterung hingegen sinkt der Gehalt an Fett und 
Trockensubstanz unter die für gute Marktmilch statthaften Minimal- 
werthe. — Diese Verschlechterung der Milch unter dem Einflüsse 
eines mangelhaften Futters kann man vom marktpolizeilichen 
Standpunkte aus als eine bereits im Thierkörper vorgenommene 
Verwässerung betrachten. — Die Gesundheitspflege kann mit Recht 
verlangen, dass Jeder, der ein für das Volkswohl so hochbedeu¬ 
tendes Nahrungsmittel wie Milch in den öffentlichen Verkehr bringt, 
sein Vieh auch in einer Weise füttert, dass das Eutersekret eine 
normale Zusammensetzung aufweist. 

Aber noch ein anderer Punkt ist für die Milchproduktion von 
der fundamentalsten Bedeutung. Mit dem Aufschwünge der land¬ 
wirtschaftlichen Gewerbe in der Neuzeit sehen wir, wie einer 
immer mehr und mehr zunehmenden Zahl von Milchkühen ihre 
naturgemässe Nahrung entzogen und diese durch allerlei billige 
Surrogate ersetzt wird, die bis dahin nur als werthlose Abfall¬ 
stoffe bekannt waren. Man hat bei der Verwendung dieser Abfalle 
bisher nur ganz einseitig den Gehalt derselben an verdaulichen 
Eiweissstoffen berücksichtigt, man hat so gut wie gar nicht danach 
gefragt, ob nicht neben diesen erwünschten Bestandtheilen auch 
Stoffe in der Nahrung enthalten sind, welche in die Milch über¬ 
gehen und dieser gesundheitsschädliche Eigenschaften verleihen 
können. 

Und doch muss diese Frage das Interesse der Gesundheits¬ 
pflege um so mehr in Anspruch nehmen, als wir gegenwärtig 
wissen, dass das Euter nicht allein ein Sekretionsorgan, sondern 
bis zu einem gewissen Grade auch ein Excretionsorgan darstellt. 
Es ist nothwendig, im Auge zu behalten, dass das Euter guter 
Milchkühe kaum“ weniger Flüssigkeit ausscheidet als die Nieren und 
dass in das Milchdrüsensekret, ähnlich wie in den Harn, Stoffe 
überzutreten vermögen, welche das Blut als Auswurfsstoffe enthält. 
Der zeitliche Verlauf des Uebertrittes dieser Körper aus dem Blute 
in die Milch vollzieht sich, wie experimentell festgestellt worden 
ist, überraschend schnell. Nach der Injektion von indigschwefel- 
saurem Natron in die Blutbahn lässt sich z. B. schon sehr bald 
eine deutliche Blaufärbung der Milch nachweisen und in analoger 
Weise kann man sich von dem schnellen Uebertritt von Arzneien 
und anderen Substanzen aus dem Blute in die Milch überzeugen. 

Nun darf man freilich nicht erwarten, dass der gewinnsüchtige 
Landwirth auf die Qualität der Milch irgend welchen Werth legt, 
so lange es an einer polizeilichen Ueberwachung der Milchproduk¬ 
tion fehlt. Die Unfähigkeit des Publikums und der Marktpolizei, 
die Milch auf ihre Gedeihlichkeit prüfen zu können, weiss er vor¬ 
trefflich auszunutzen. — Man vergesse doch nicht, dass cs auch 
heute noch der wesentlichste Zweck der Viehhaltung ist, Dünger 


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20 — 


» 


für die Felder zu gewinnen und dass die Milchproduktion im Land- 
wirthschaftsbetrieb immer nur als Nebengeschäft erscheint. Mög¬ 
lichst billig zu produziren ist deshalb die ausschliessliche Losung 
des Landwirths und keinem Bauer wird es einfallen, den Milch¬ 
kühen gutes Heu und andere werthvolle Futterstoffe jn} aus¬ 
reichender Menge zu verabreichen, wenn er diese gut verkaufen 
und durch gewerbliche Abfälle und andere billige Surrogate er¬ 
setzen kann. Wie weit der industrielle Sinn der Landwirthe nach 
dieser Richtung hin entwickelt ist, geht am besten aus der That- 
sache hervor, dass der bekannte Milchtechnologe Prof. Fleisch¬ 
mann in Königsberg den schwedischen Gutsbesitzer Swartz preist, 
weil er den Pferdemist als Futtermittel für Milchkühe in Vorschlag 
gebracht hat. — Was macht der Landwirth sich daraus, ob die 
Marktmilch, die unter dem Einflüsse der billigen Abfallstoffe producirt 
wird, wässerig und fettarm wird, so lange die Thiere nur recht 
grosse Mengen von Milch liefern; was fragt er danach, ob die 
Milch um ihre Fähigkeit, gute Butter und schmackhaften Käse zu 
bilden, gebracht wird, so lange die Polizei sie anstandslos als gute 
Marktwaare passiren lässt; was kümmert ihn das weiter, wenn 
die Milchkühe unter dem schädlichen Einflüsse der Futtersurrogate 
erkranken und in chronisches Siechthum verfallen, so lange die 
Verluste an Vieh nicht derartig werden, dass von einer rentabelen 
Wirthschaftsweise überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Ge¬ 
wissensbisse veranlassen ihn selbst dann nicht, seine gemeinge¬ 
fährliche Raubproduction einzustellen, wenn er sieht, dass das 
Eutersekret nach der Verabreichung von technischen Abfällen eine 
so giftige Eigenschaft annimmt, dass von einer Aufzucht von Käl¬ 
bern und unter Umständen selbst von einer Schweinehaltung nicht 
mehr die Rede sein kann; die heutige Marktkonirolle ist ja un¬ 
fähig, an der notorisch giftigen Milch Veränderungen aufzudecken, 
welche die Justizbehörden in den Stand setzen, den Landwirth 
wegen Beschädigung der menschlichen Gesundheit zur Rechenschaft 
zu ziehen. 

Diese schweren Anschuldigungen kurz zu begründen, sei auf 
folgende Thatsachen verwiesen: Eine ungemein weitverbreitete Ver¬ 
wendung als Futtermittel für Milchvieh findet die Kartoffel¬ 
schlempe und es gibt weite Gegenden in Deutschland, in denen 
die ganze Viehhaltung auf ihrer Verwendung basirt. Man verab¬ 
reicht sie in Quantitäten bis zu 100 Liter pro Kuh und Tag. Bei 
der Schlempefütterung kann man nun beobachten, dass reizende 
Substanzen in den Harn der Kühe übertreten, der nach anhalten¬ 
der Einwirkung auf die Fussenden der Kühe einen entzündlichen 
Hautausschlag, die sog. „Schlempemauke“ erzeugt, die nicht selten 
umfangreiche brandige Zerstörungen im Gefolge hat. Man beob¬ 
achtet weiter, dass auch die Milch reizende Substanzen enthält 


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21 


und dass sie unter dem Einflüsse der Schlempefütterung einen so 
ausgesprochenen giftigen Charakter annimmt, dass nicht allein 
Kälber, welche diese Schlempemilch erhalten, massenhaft zu Grunde 
gehen, (in manchen Schlempestallungen kann überhaupt kein ein¬ 
ziges Kalb mehr aufgezogen werden!), sondern, dass selbst Mutter¬ 
schweine, die mit den Molkereiabfällen der schädlichen Milch ge¬ 
füttert werden, ihre säugenden Jungen verlieren. (Vergl. Märker, 
Handb. der Spiritusfabr. 1877 pag. 771.) Da kann es denn nicht 
Wunder nehmen, dass auch die zarten Säuglinge nach dem Ge¬ 
nüsse der Schlempemilch an schweren Magen- und Darmkatarrhen 
erkranken, so dass der Verdacht rege wird, dass die hohe Säug¬ 
lingssterblichkeit, welche wir in manchen Gegenden Deutschlands 
beobachten, zum guten Theil auf die Schlempefütterung zurück- 
gefüjirt werden «muss. — Hennig (Zeitschrift für Kinderheilkunde, 
1873, VII.) beobachtete nach dem Genüsse von Schlempemilch ein 
Wundsein und Nässen in den Hautfalten der Säuglinge, nament¬ 
lich der Skrotalschenkelfalte, welche Erscheinungen ein Analogon 
der Schlempemauke darstellen dürften. 

Vermuthlich ist die Ursache der schädlichen Wirkung der 
Schlempe auf deren hohen Aschengehalt, besonders den an Kali, 
zurückzuführen. 

Von ähnlicher Wirkung wie die Schlempe zeigen sich die 
Rückstände von der Zuckerfabrikation, die gleichfalls 
in grossen Mengen an Milchvieh verfüttert werden. Besonders ge¬ 
fährlich sind die Presslinge und die Rübenmelasse. — Mit 30 Pfd. 
Presslingen — und die Landwirthe geben den Thieren zuweilen 
mehr als das Doppelte dieses Quantums — bringt man etwa 
, /ss Pfd. giftiger Kalisalze in den Organismus, von denen grosse 
Mengen in die Milch übertreten dürften. Die Melasse enthält 10 °/o 
und mehr Asche, vorwiegend Kali, und hat sich bei der Verfütterung 
an Milchvieh so nachtheilig gezeigt, dass schon Mengen von 2—3 
Pfund täglich genügen, die Milch so ungesund zu machen, dass 
auch nicht ein einziges Kalb mehr aufgezogen werden konnte. 

Nach der Verfütterung der genannten Rückstände hat man 
vielfach ganze Viehbestände an einer eigenartigen Krankheit, der 
sog. neuen Dyskrasie oder Zellgewebswassersucht erkranken sehen. 

Auch die Rückstände von der Oelfabrikati on er¬ 
heischen grosse Vorsicht bei der Verfütterung an Milchvieh. — So 
ist z. B. nach der Verabreichung der so sehr beliebten Erdnuss¬ 
kuchen an Kühe von zuverlässigen Beobachtern zuweilen eine ab¬ 
führende Wirkung der Milch auf Kinder festgestellt worden und 
noch weit gefährlicher dürften die Raps- und Rübsenkuchen sein, 
welche niemals frei von Verunreinigungen durch den Ackersenf¬ 
samen angetroffen werden. Dieser Samen enthält beträchtliche 
Mengen von Myrosin und Myronsäure. Von der Gegenwart dieser 


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beiden senfölbildenden Substanzen überzeugt man sich sehr ein¬ 
fach, wenn man die pulverisirten Kuchen mit Wasser von 40° zu 
einem Brei anrührt; je mehr der schädlichen Körper vorhanden, 
desto lebhafter tritt beim Erkalten des Breies der stechende Ge¬ 
ruch nach Senföl hervor. 

Nach der Verfütterung der genannten Kuchen hat man die 
Thiere nicht selten an heftigen Entzündungen des Verdauungs¬ 
und Harnapparates erkranken sehen. Die Milch nimmt einen 
scharfen und üblen Beigeschmack an und erweist sich mitunter 
so schädlich, dass nach ihrem Genüsse Kälber an heftigen Durch¬ 
fällen zu Grunde gehen. Und dies sogar dann, wenn die Kühe 
selbst noch keinerlei Störungen gezeigt haben. 

Diese wenigen Beispiele aus der Praxis der Fütterungslehre 
mögen als Beweis dienen, dass der Landvvirth mit der Milch, wie 
sie in der Gegenwart producirt wird, weit schlimmer als "die Pest 
auf den zarten Organismus der Säuglinge einwirken kann und 
dass die menschliche Gesellschaft des Schutzes vor solchen Unge¬ 
heuerlichkeiten dringend bedarf. 

Schon die Grundprinzipien der modernen Fütte¬ 
rungsmethoden müssen vom hygienischen Stand¬ 
punkte aus bekämpft und es muss gefordert werden, 
dass alle Futtermittel, welche schädliche] minera¬ 
lische Stoffe, scharfe Substanzen, Fäulnissalkaloide, 
ätherische Oele, Bitterstoffe oder dergl. in irgend 
bedenklicher Menge enthalten, von der Verwendung 
im Milchstalle streng ausgeschlossen werden. 

Um zu einer gesunden und gedeihlichen Kuhmilch zu gelangen, 
welche ohne Bedenken den Säuglingen gegeben werden darf, ist 
es nun keineswegs erforderlich, die von Cnyriem und anderen 
so warm empfohlene Methode der Trockenfütterung des 
Milchviehes allgemein einzuführen. Nicht allein die ungewöhnlich 
hohen Kosten treten einer Verallgemeinerung des Verfahrens hin¬ 
dernd entgegen, sondern auch die physiologische Ueberlegung lässt 
es mindestens überflüssig erscheinen. 

Die naturgemässe Nahrung des Rindes bilden Gräser und 
Futterkräuter im frischen Zustande und lediglich die klimatischen 
Verhältnisse in unseren Breiten haben dahin geführt, einen Tlieil 
des Futters trocken zu verabreichen. Das Trockenfutter kann 
stets nur als ein Surrogat des Grünfutters angesehen werden und 
es heisst ganz und gar die natürlichen Verhältnisse auf den Kopf 
stellen, wenn man für seine ausschliessliche Verwendung in die 
Schranken tritt. Man macht hierbei geltend, dass das Grünfutter 
je nach dem Grade seiner Verholzung einen sehr schwankenden 
Gehalt an Nährstoffen aufweise, ohne jedoch zu berücksichtigen, 
dass auch das Heu in seiner Zusammensetzung und Verdaulichkeit 


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sehr bedeutende Differenzen erkennen lässt und dass grosse Mengen 
desselben durch Regen und andere schädliche Einflüsse ganz nam¬ 
haft an Schmackhaftigkeit, Verdaulichkeit und Gedeihlichkeit ein- 
büssen. — Zudem ist der Nährstoffgehalt sehr viel leichter beim 
Grünfutter als beim Trockenfutter zu beurtheilen und nichts ist 
einfacher, als bei einer Verfütterung von sehr eiweissreichen jungen 
Pflanzen durch eine Beigabe von Stroh einer Verschwendung vor¬ 
zubeugen, bei einer Verabreichung bereits stark verholzter Kräuter 
aber durch eine Zugabe von Kraftfuttermitteln die Ernährung zu 
regulären. 

Bei der Empfehlung der Trockenfütterung vergisst man auch, 
dass das Heu mit der Dauer seiner Aufbewahrung sehr namhaft 
an Verdaulichkeit einbüsst. Man berücksichtigt nicht, dass das 
Heu, besonders dasjenige der Kleearten, durch das häufige Wenden 
beim Trocknen grosse Verluste erleidet durch das Abbrechen der 
Blätter, welche nach Weiske fast dreimal so reich an Eiweiss 
sind als die Stengel. Man übersieht weiter, dass die Thiere in der 
unzweideutigsten Weise bekunden, dass ihnen das Grünfutter an¬ 
genehmer und gedeihlicher ist als das Trockenfutter und dass 
ersteres in ganz merkbarer Weise sowohl nach quantitativer als 
auch nach qualitativer Richtung hin fordernd auf die Milchabson¬ 
derung ein wirkt. Während gutes Grünfutter für sich selbst bei 
reichlicher Milchproduktion ein vollkommen genügendes Futter 
bildet, kann ein Gleiches vom Heu nur dann gesagt werden, wenn 
es gutes Alpenheu darstellt oder, wie dieses, aus lauter saftigen 
und wenig verholzten jungen Pflanzen besteht. Je mehr sich das 
Heu von diesem Charakter entfernt, je älter und hartstengliger 
die Pflanzen sind, aus denen es gewonnen wurde, desto grössere 
Beigaben von Kraftfuttermitteln sind erforderlich. 

Das grosse Volumen des Grünfutters bereitet dem Rinde mit 
seinem sehr geräumigen Verdauungsapparate keinerlei Schwierig¬ 
keiten. Je reicher die Nahrung an Vegetationswasser ist, desto 
weniger Gesöff wird nebenbei von den Thieren aufgenommen. 
Von einer ungewöhnlichen Belastung des Verdauungsapparates 
durch das Grünfutter, wie sie Fürstenberg lehrte, kann deshalb 
nicht die Rede sein. Wenn man behauptet, die Grünfütterung 
stelle sich wegen des Transportes der grossen Mengen von Vege¬ 
tationswasser vom Felde in den Stall ungleich theurer als die 
Trockenfütterung, so übersieht man die grossen Kosten und 
Schwierigkeiten, mit denen die Heubereitung verbunden ist. 

Der Vortheil des Trockenfutters, dass bei seiner permanenten 
Anwendung Magen- und Darmkatarrhe der Milchkühe, wie sie 
beim Uebergang zur Grünfütterung zuweilen beobachtet werden, 
in Fortfall kommen, ist keineswegs besonders hoch anzuschlagen, 
denn solche Störungen, welche allerdings die Milchsekretion nach- 


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theilig beeinflussen, werden auch dann niemals beobachtet, wenn 
der Uebergang zur Sommerfütterung mit der nöthigen Vorsicht 
vorgenommen wird. 

Wir können deshalb nicht genug davor warnen, 
das Trockenfutter als die Normalnahrung des Milch¬ 
viehes, welche allein eine gleichmässige Stoffproduktion 
ermöglicht, anzusehen; als natürliche Nahrung kann 
stets nur gutes Grünfutter gelten und Hesse sich dieses 
zu allen Jahreszeit en in genügenden Mengen beschaffen, 
die Hygiene würde zu der Forderung berechtigt sein, 
dass es stets die Grundlage für die Ernährung des Milch¬ 
viehs zu bilden habe. 

Von dem ausserordentlichsten Einflüsse auf die Gedeihlichkeit 
der Milch ist auch die Art und Weise der Haltung der Kühe. 
So lange die Milch sich im Euter befindet, ist sie, wie wir seit 
Li st er wissen, vollkommen frei von jenen Keimen, welche ihre 
Haltbarkeit und gesunde Beschaffenheit so sehr beeinträchtigen. 
Die hohe Zersetzlichkeit des ermolkenen Eutersekretes wird be¬ 
dingt durch Microorganismen, die erst von aussen in die Milch 
gelangen und zwar besonders durch die Luft, die Molkereigeräthe, 
die Hände des Melkenden, die Streu und die Excremente der Kühe, 
welche ja das Euter und seine Umgebung Verunreinigen. Die Milch 
zeigt eine um so grössere Haltbarkeit, je reinlicher sie gemolken wird. 

In der Fürsorge für die erforderliche Reinlichkeit aber lassen 
unsere Milchwirthschaften noch sehr viel zu wünschen übrig. Tritt 
man-in früher Morgenstunde in den Kuhstall ein, so ist die Luft 
desselben meist unerträglich warm und im höchsten Grade mit 
Wasserdampf und üblen Dünsten geschwängert. Die Thiere haben 
sich soeben von ihrem Lager erhoben und Euter und Hintertheil 
sind nicht selten derartig durch Excremente und Jauche verun¬ 
reinigt, dass sie förmlich dampfen. Da kann es denn bei dem 
geringen Ordnungssinn des Melkpersonals nicht W T under nehmen, 
dass so beträchtliche Mengen von Excrementen beim Melken in die 
Milch übertreten, dass sich schon nach kurzem Verweilen der 
Milch in einer flachen Schaale dunkele Schmutzpartikel zu Boden 
setzen, deren wahre Natur meistens unschwer zu erkennen ist. — 
Mit diesen Verunreinigungen gelangen natürlich alle jene Zer¬ 
setzungserreger in die Milch, an denen die Excremente so reich sind. 

Man sollte deshalb mit aller Strenge darauf sehen, dass das 
Euter vor dem Melken zunächst gründlich gereinigt wird. Auch 
verdienen jene von Amerika herübergekommenen Stallkonstruktionen 
die höchste hygienische Beachtung, welche die sofortige Aufnahme 
der Excremente in ein hinter den Ständen befindliches Gerinne er¬ 
möglichen, wodurch natürlich jeder Verunreinigung des Euters sehr 
namhaft vorgebeugt wird. 


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— 25 — 


Wesentlich vermehren lässt sich auch die Haltbarkeit der 
Milch durch eine Verbesserung der Melkmethoden. Den 
Bemühungen, die Milch mittelst besonderer Melkmaschinen leicht 
und sauber zu gewinnen, hat bisher jeder praktische Erfolg gefehlt 
und angesichts der verwickelten physiologischen Verhältnisse bei 
der Milchabsonderung will es uns sehr zweifelhaft erscheinen, ob. 
die Technik der Zukunft auf diesem Gebiete bessere Ergebnisse 
erzielen wird. Desto mehr aber sollte man bestrebt sein, das 
Melken mit den Händen, wie es gegenwärtig bei uns in Deutsch¬ 
land noch ziemlich allgemein gehandhabt wird, zu vervollkommnen. 
Von höchster Wichtigkeit ist es, dass die Hand während des Mel¬ 
kens in einer möglicht ruhigen Lage verharrt; ganz verwerflich 
ist es, den Milchabfluss durch ziehende Bewegungen an den Zitzen, 
wie wir es bei uns zu Lande so häufig beobachten, zu bewirken. 
Hierdurch werden nicht allein die Thiere unnütz gequält und nicht 
selten derartig beunruhigt, dass sie sich das Melken überhaupt nur 
noch mit Widerwillen gefallen lassen, sondern es wird bei diesem 
Verfahren auch eine Verunreinigung der Milch durch Schmutz¬ 
partikelchen und Epidermisschuppen vom Euter der Kuh sowohl 
als von der Hand des Melkenden wesentlich begünstigt. 

Weit besser als unser gewöhnliches Melk verfahren ist das 
Melken mit eingezogenem Daumen, wie es im Allgäu und 
in der Schweiz allgemein gebräuchlich ist. Es verdient vom hygie¬ 
nischen Standpunkte aus die allerwärmste Empfehlung. — Bei* 
seiner Anwendung bleibt die vordere Fläche des im Zustande 
extremster Beugung befindlichen Daumens unverrückt mit der Zitze 
in Fühlung, während die Milch durch die Excursionen der Finger 
nach aussen entleert wird. Das Verfahren erfordert allerdings 
einige Geduld, da die Daumen bei den ersten Uebungen sehr stark 
ermüden, bald jedoch bereitet das Melken nach dieser Methode 
keinerlei Schwierigkeiten mehr. 

Auch die Beschaffenheit der Stallluft ist von grossem 
Einflüsse auf die Qualität der Kuhmilch. Je dunstiger und schlechter 
die Luft, in der die Thiere weilen, desto geringer ist die Haltbar¬ 
keit der Milch. Das wird sofort verständlich, sobald man berück¬ 
sichtigt, dass mit dem Milchstrahle ganz namhafte Mengen von 
Luft aus der Umgebung des Euters, die sich wegen den innigen 
Beziehungen zu den Excrementen durch eine besonders mephi- 
tische Beschaffenheit auszeichnet, mit in den Melkeimer gerissen 
werden. Diese Luft begibt sich als Melkschaum an die Oberfläche 
nachdem sie vorher in der Milch ein Reinigungsbad genommen 
und ihre Verunreinigungen an diese abgegeben hat. 

In der Fürsorge für die Ventilation unserer Kuhställe kann 
deshalb kaum genug geschehen. Besonderer Werth ist auch dar¬ 
auf zu legen, dass schlechtes und durchlässiges Feldsteinpflaster, 


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das dem Eindringen von Jauche und Fäkalstoffen in den Unter¬ 
grund grossen Vorschub leistet und dadurch eine ständige Quelle 
der Luftverderbniss abgibt, allerwärts durch einen besseren Boden 
ersetzt wird. 

Auch soll man darauf achten, dass vor dem Melken eine an¬ 
gemessene Herrichtung des Lagers vorgenommen wird, da 
durch die frische Streu, die ein mächtiges Absorptionsmittel dar¬ 
stellt, eine wesentliche Verbesserung der Stallluft herbeigeführt 
werden kann. 

Die Thiere zum Zwecke des Melkens aus dem Stall heraus¬ 
zuführen, verbietet sich leider durch die grosse Unruhe, in welche 
sie hierdurch gerathen. --- Jede Erregung stört das Melken in 
empfindlicher Weise. J)ie Kühe müssen zur Zeit des Melkens der¬ 
artig behandelt werden, dass sie in einen träumerischen Zustand 
gerathen, wie man ihn auch beim Wiederkäuen beobachtet, und 
nunmehr die Milch ruhig und willig hergeben. 

Die Haltung der Kühe beeinflusst die Gedeihlich¬ 
keit der Milch in einem weit höheren Grade, als man 
sich gewöhnlich vorstellt und wir pflichten Soxhlett 
vollkommen bei, wenn er mit aller Bestimmtheit ver¬ 
neint, dass die Frauenmilch in ihrer Einwirkung auf 
denSäugling auch dann noch eine wesentliche Ueber- 
legenheit über die Kuhmilch zeigen würde, wenn sie 
^unter den gleichen Infectionsbedingungen wie diese 
in den Handel gelangte und dem Kinde aus der Flasche 
gereicht würde. 

Aus vorstehender Betrachtung über den Zusammenhang der 
Thiermedicin mit der öffentlichen Gesundheitspflege folgt, dass 
diese Verknüpfung recht innig ist und dass dem praktischen 
Thierarzte auf dem Gebiete der Hygiene eine Reihe der schönsten 
Aufgaben erwachsen sind, durch welche er sein Wissen dem all¬ 
gemeinen Wohle dienstbar machen und auf diese Weise seiner 
eigenen bürgerlichen Stellung ein namhaft vermehrtes Ansehen in 
der Oeffentlichkeit geben kann. Möchten die praktischen Thier¬ 
ärzte diese Aufgaben, denen zur Zeit weder die Staatsbehörden 
noch die thierärztlichen Lehranstalten gebührende Beachtung 
schenken, wohl im Auge behalten und möchten sie es ihre oberste 
Sorge sein lassen, ihr Wissen, soweit es immer angeht, in den 
Dienst des allgemeinen Wohles zu stellen. — An Anerkennung für 
solch ein gemeinnütziges Wirken wird es ihnen nicht fehlen: 

„Die Hingabe für das Ganze ist die beste Fürsorge 
für sich selbst.“ 


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Nachweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans 
Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat October 1£ 


JKrankheitsformen der Aufgenomm enen I 



Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Herford 

Dortmund 

Bochum 

Hagen i. W. 

Witten 

Hamm 

Iserlohn 

Siegen 

Gelsenkirchen 

Schwelm 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Bannen 

Crefeld 

Essen 

Duisburg 

M.*Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a d.Ruhr 

Viersen 

Wesel 

Rheydt 

Neuss 

Solingen 

Styrum 

Ruhrort 

Süchteln 

Odenkirchen 


Eschweiler 

Eopen 

Burtscheid 

Stolberg 

Köln 

Bonn 

Mülheim a. Rh. 
Deutz 
Ehrenfeld 
Kalk 

Trier 

Saarbrücken 

Kreuznach 

Neuwied 

W iesbaden 

Bettenhausen 

Fulda 

Hanau 


Rinteln 

Schmalkalden 


städt. u. kath. Krankenhaus 43 61 
städtisches Krankenhaus 27 30 
Landeshospital 29 .. 

städtisches Krankenhaus 46 50 

Louisen-u. Johanneshospital 199 224 
Augustaanstalt 102 114 

städtisches Hospital 85 79 

evangel. und Marienhospital 156 158 
städtisches Krankenhaus 32 26 
. „ *> 67 

. * 39 37 

Mariastift u. ev. Krankenh. 155 172 
städtisches Krankenhaus 


evangel. Hospital 
Marienhospital 
St. Jos.-Hosp. 
städtisches Krankenhaus 
1» » 

Huyssen-Slift u. Krupp’sches 
Krankenhaus 

städt. u. Diak.-Krankenhaus 
ev. u. Mariahilf-Krankenhaus 
städtisches Krankenhaus 


Hospital 

Krankenhaus 


Haniels-Stiftung 
städtisches Krankenhaus 


Louisenhospital 

Marienhospital 

St. Antoniushospital 

St. Nikolaushospital 

Marienhospital 

Bethlehemshospital 

Bürgerhosp.u.Barackenhosp. 
Fr.-YVilh.-Stift (ev. Hospital) 
städt. u. Dreikönigenhospital 
städtisches Krankenhaus 


46 59 
189 187 
121 113 

33 33 
85 98 
76 83 

634 642 
60 65 
106 115 
64 67 
63 66 
66 64 


städt. Hosp. u. Stadtlazareth 
Bürgerhospital 

städtisches Hospital 


städtisches Krankenhaus 1112 99 


Landkrankenhaus 


164 188 
64 65 
62 64 
*7 ; 


88 105 
203 218 
147 180 
151 138 
160 155 

106 111 
76 84 
122 120 
32 35 


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* Krätze and Ungeziefer. 















































Sterblichkeit^«Statistik yon 58 Städten der Prorinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat October 1888. 


Städte 

Einwohner¬ 

zahl 

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Bielefeld 

36000 

120 

40,0 


m 

19,4 



9 






4 

1 

2 

Minden 

1860-2 

42 

27,1 


8 

20,6 








1 


4 

1 

1 

Paderborn 

16600 

52 

37,6 

31 

7 

22,4 










4 

2 


Dortmund 

82000 

278 

40.7 

174 

56 

25,5 


5 


IG 

1 

1 




14 

4 

2 

Bochum 

40767 

143 

42,1 

74 

21 

21,8 


4 




1 

1 



5 

2 


Hagen 

31329 

121 

46,3 

isi 

15 

20,7 




10 






7 

1 


Ham m 

23479 

91 

46,5 

66 

18 

33,7 




13 

1 





6 

2 


Witten 

23159 

87 

44.1 

39 

11 

20,2 




4 


3 




5 

1 


Iserlohn 

20600 

56 

32,6 

29 

12 

169 




3 






3 



Siegen 

17250 

47 

32,7 

37 

4 

25,7 




8 


2 




5 

3 


Gelsenkirchen 

22074 

96 

52,2 

47 

22 

25,6 



1 


1 

2 

1 



4 

4 


Dippstadt 

10649 

33 

37,2 

20 

7 

22,5 




2 


1 

l 



3 



Düsseldorf 

130284 

125 

39,1 

270 

105 

24,9 


4 


7 

3 

2 




43 

3 

1 

Elberfeld 

118000 

3 43 

34.9 

ISO 

58 

18.9 




6 

2 

2 




21 

3 

1 

Barmen 

108000 

336 

37,3 

137 

56 

15,2 




2 

1 





23 

1 

1 

Crefeld 

103626 

353 

40,9 

197 

83 

22.8 



2 


7 

1 




28 

3 

i 

Essen 

66350 

244 

44,1 

147 

60 

26,6 


9 

1 

2 






10 

4 


Duisburg 

50761 

198 

46,8 

96 

50 

22,7 





6 





15 

3 


M.-Gladbach 

50000 

113 

34,3 

91 

44 

2 LS 




2 

1 

2 




9 

1 


Remscheid 

35000 

109 

37,4 

74 

27 

25,4 


. . 


n 

1 



2 


4 

1 


Mülheim a d. Ruhr 

25752 

• 97 

44,8 

39 

19 

KS.2 




.. 






S 

1 


Rheydt 

25000 

71 

34.1 

46 

19 

22,1 


1 


3 


i 




11 


i 

Viersen 

22228 

56 

30,2 

44 

18 

23,7 





4 

i 




4 



W T esel 

20677 

61 

35,4 

28 

4 

16,3 




3 






2 

1 


Neuss 

21304 

64 

36,0 

53 

16 

29.4 






l 




5 

2 


Oberhausen 

21422 

67 

37,5 

49 

19 

27,4 


1 








8 

3 

i 

Solingen 

18641 

68 

43,8 

57 

28 

36,7 




13 

2 

i 


’i 

3 

1 



Styrum 

18922 

89 

56,5 

34 

16 

21.6 






i 




2 

2 


Wermelskirchen 

11000 

27 

29,5 

19 

7 

20,7 


. . 



’i 

l 





1 


Velbert 

10588 

45 

51,0 

34 

10 

38,5 







* * 


2 

3 

1 


Ronsdorf 

11000 

27 

29,5 

18 

4 

19,6 






i 



3 



i 

Süchteln 

9465 

21 

26,6 

17 

J 

21,6 




’i 






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,, 

Ruhrort 

9546 

37 

46,5 

19 

11 

23,9 






i 



1 

3 

i 

i 

Lennep 

8844 

20 

27,1 

17 

6 

23,1 










2 


l 

Aachen 

101331 

292 

34,6 

207 

97 

24,5 





1 





26 

2 

l 

Eschweiler 

16798 

57 

47,2 

37 

13 

26,4 










13 

1 

,, 

Eupen 

15441 

42 

32,6 

27 

13 

21,0 










3 


,, 

Burtscheid 

12139 

38 

37,6 

19 

5 

18.8 





i 





1 


,. 

Stolberg 

11792 

46 

46,9 

25 

12 

25,6 











’i 


Köln 

181330 

35 s 

36,5 

373 

150 

24,4 


8 


12 

3 

6 


1 

7 

46 

5 


Bonn 

37600 

107 

34,1 

71 

24 

22,7 










6 

3 

j 

Mülheim a. Rhein 

26000 

94 

43,4 

77 

39 

35,6 


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i 


i 




2 

1 

.. 

Ehrenfeld 

27269 

116 

51,3 

62 

25 

27,3 








;; 




.. 

Deutz 

19467 

58 

35,7 

35 

12 

21,6 





1 





7 

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Kalk 

11418 

•40 

42,1 

32 

15 

33,6 


1 i 


i 






l 

i 

.. 

Trier 

34131 

69 

24,2 

65 

13 

22.9 




6 


i 




3 


l 

Malstadt-Burbach 

14950 

59 

47,3 

27 

10 

21,7 



2 



i 






.. 

St Johann 

13598 

43 

37,9 

25 

9 

92 1 




2 


1 




1 


l 

Saarbrücken 

9514 

38 

47,9 

22 

4 

27J 






i 






,, 

Coblenz 

32647 

65 

23.9 

55 

15 

20.2 




2 





1 

5 

l 

.. 

Kreuznach 

16900 

34 

24.1 

15 

1 

l(i,7 



1 

2 


i 






t , 

Neuwied 

10192 

27 

31,8 

13 

6 

15,3 


• • 


1 








,, 

Wiesbaden 

58000 

130 

26,9 

105 

16 

21,7 



2 

3 


i • • 

l 



• • i 

3 

l 

3 

Kassel 

67077 

162 

29,0 

108 

29 

19,3 




6 






7 

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29 — 


Kleinere Mittheilungen. 


* Ermittelungen über die Verbreitung der Perlsucht 
unter dem Rindvieh. 

Circular-Erlass des Ministers für Landwirthschaft, Domänen 
und Forsten (gez. in Vertr. von Marcard) vom 11. September 1888 
Nr. 15333 I. an sämmtliche Königliche Regierungs-Präsidenten. 

Zur Beurtheilung der Frage, ob bezw. welche Massregeln zur wirk¬ 
samen Bekämpfung der Tuberkulose (Perlsucht) unter dem Rindvieh zu 
ergreifen sein möchten, erscheint es nothwendig, möglichst genau darüber 
unterrichtet zu sein, in welchem Masse die der menschlichen Gesundheit 
und dem nationalen Viehst^nd gefährliche Krankheit in Deutschland ver¬ 
breitet ist. 

Auf Anregung des Herrn Reichskanzlers ersuche ich Ew. Hochwohl¬ 
geboren ergebenst, gefälligst Erhebungen anordnen zu wollen: 

1. über die Zahl der Fälle von Perlsucht bei geschlachtetem Rindvieh 
nach den Ermittelungen in den öffentlichen und privaten Schlacht¬ 
häusern mit Angaben über die Gesammtzahl des in den einzelnen 
Schlachthäusern geschlachteten Rindviehs (Bullen, Ochsen, Kühe, 
Rindern und Kälber unter 6 Wochen); 

2. über die Zahl der sonst beobachteten Krankheitsfälle bei lebendem 
Rindvieh nach den Ermittelungen der beamteten Thierärzte bei der 
Beaufsichtigung von Märkten etc., sowie bei der Privatpraxis mit 
Angabe darüber, ob das Vorhandensein der Tuberkulose als be¬ 
stimmt oder wahrscheinlich anzunehmen, oder nur zu vermuthen 
ist und ob etwa das Vorhandensein der Tuberkulose später bei der 
•Schlachtung sicher festgestellt worden. 

Als Zeitdauer für die Dauer der Erhebungen ist das vom 1. October 
1888 bis 30. September 1889 laufende Jahr festzusetzen. 

Die Ermittelungen haben nach Massgabe der in den angeschlossenen 
Fragebogen aufgestellten Gesichtspunkte stattzufinden und sind zu bewirken 
in Bezug auf die in den öffentlichen Schlachthäusern geschlachteten Rinder 
durch die Schlachthaus Vorstände, bezüglich der in den privaten Schlacht¬ 
häusern geschlachteten Thiere von den beamteten Thierärzten unter ge¬ 
eigneter Mitwirkung der Ortspolizeibehörden. 

Eine rege Betheiligung auch der landwirthschaftlichen Kreise etc. an 
den vorzugsweise für die Viehwirthschaften wichtigen. Erhebungen würde die 
Gewinnung umfassenden Materials den beamteten Thierärzten erheblich er¬ 
leichtern. Ew. Hochwohlgeboren wollen daher die landwirthschaftlichen 
Hauptvereine von den angeordneten Erhebungen in Kenntniss setzen und 
sie ersuchen, in geeigneter Weise dahin zu wirken, dass die Landwirthe 
den beamteten Thierarzt bei Sammlung des Materials thunlichst unterstützen 
und ihm die Untersuchung verdächtiger Thiere gestatten. 


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30 — 


Die beamteten Thierärzte sind zu veranlassen, gelegentlich ihrer amt¬ 
lichen Verrichtungen und bei Ausübung der Privatpraxis ihre Aufmerksam¬ 
keit auf die Perlsucht zu richten, an der Hand des bezeichnten Frage¬ 
bogens Notizen über die Krankheitsfälle zu sammeln und über das Ergebniss 
der Ermittelungen unter Beifügung zweier — nach Gemeinden geordneter 
— Tabellen und zwar: 

a) über die Fälle von Tuberkulose bei in den privaten Schlachthäusern 
geschlachteten Bindern und 

b) über die Krankheitsfälle bei lebenden Thieren 

zum 15. October 1889 an den Departements-Thierarzt zu berichten. Die 
Gesammtzahl der während des Erhebungsjahres in den privaten Schlacht¬ 
häusern geschlachteten Rindviehstücke ist von dem Kreisthierarzte, erforder¬ 
lichen Falls unter Mitwirkung der Ortspolizeibehörden, zu ermitteln und in 
die Tabelle zu a aufzunehmen. 

Die Vorstände der öffentlichen Schlachthäuser werden ihre Aufzeich¬ 
nungen zum 15. October 1889 dem Departements-Thierarzt mitzutheilen 
haben. Dieser Beamte hat alsdann das gesammte Material unter Beifügung 
der von ihm zu fertigenden übersichtlichen Zusammenstellungen über die 
Fälle bei geschlachteten und bei lebenden Rindern zum 1. No¬ 
vember 1889 der technischen Deputation für das Veterinär wesen zu über¬ 
senden. 

Ew. Hochwohlgeboren ersuche ich ergebenst, die hiernach er¬ 
forderlichen weiteren Veranlassungen schleunigst treffen zu wollen und für 
die sachgemässe Ausführung der wichtigen Enquöte gefälligst thunlichst 
zu sorgen. 

Fragebogen. 

Bei den Ermittelungen über die Verbreitung der Tuberkulose (Perlsucht) 
des Rindviehs ist bei jedem Krankheitsfalle eine möglichst genaue Fest¬ 
stellung in Bezug auf folgende Punkte wünschenswerth — unter strenger 
Sonderung der bei geschlachtetem Rindvieh und der sonst gemachten 
Ermittelungen: 

a) die Viehgattung (Bullen, Ochsen, Kühe, Rinder und Kälber unter 
6 Wochen); 

b) das Alter des Viehs (6 Wochen bis 1 Jahr, 1—3 Jahre, 3—6 Jahre, 
über 6 Jahre); 

c) die Rasse oder den Schlag des Viehs; 

d) die Herkunft des Viehs mit Angaben darüber, ob vorwiegend Stall¬ 
oder Weidewirthschaft in dem betreffenden Besitzthum getrieben wird; 

e) den Sitz des Leidens: 

äusserlich (Euter), innerlich (nur beim geschlachteten Vieh), 
und zwar: 

Ausbreitung auf ein Organ mit den zugehörigen Lymphdrüsen 
und serösen Häuten; 

desgleichen auf mehrere oder sämmtliche Organe einer Körper¬ 
höhle ; 


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Google 



31 


desgleichen auf mehrere Körperhöhleft; 

Auftreten von Tuberkeln im Fleisch; 
allgemeine Tuberkulose; 

f) die Qualität des Fleisches tuberkulöser Thiere I. II. III. Qualität; 

g) die veterinär-polizeiliche Behandlung des Fleisches der tuberkulösen 
Thiere. 

Für das während des Lebens bestimmt, wahrscheinlich oder vermuth- 
lich als tuberkulös erkannte Vieh sind Angaben darüber wünschenswerth, 
ob die Diagnose nach der Schlachtung sich bestätigte. 

Allgemeine Mittheilungen über die Verbreitung der Tuberkulose, die 
Vererbung, Uebertragung und dergleichen würden anzufügen sein. F. 

* Ueber den Einfluss der Umgebung auf die Entwickelung 
des Tuberkel-Bacills ist einer Veröffentlichung von Dr. Grude au 
(Sanitarian Nr. 213) Folgendes zu entnehmen. 

Der Verfasser stellt drei Fragen auf: 

1. Welches Resultat ergibt sich, wenn bacilläre Ansteckung und 
unhygienische Verhältnisse zugleich bestehen? 

2. Sind unhygienische Umstände genügend, um Schwindsucht zu er¬ 
zeugen, wenn alle Vorsichtsmassregeln angewandt werden, um den 
Bacill auszuschliessen ? 

3. Erzeugt die bacilläre Infektion immer Tuberkulose, wenn auch die 
Individuen in die denkbar günstigsten hygienischen Verhältnisse 
gebracht werden? 

Zum Zweck dieser Feststellungen nahm Dr. Grudeau 15 Kaninchen 
und theilte sie in 3 Gruppen von je 5 Thieren. Die erste Abtheilung wurde 
mit Reinkulturen des Tuberkel-Bacills geimpft und in einem dunkelen Raume 
untergebracht, wo sie ungenügend und schlecht genährt, überhaupt unter 
ungesunden Verhältnissen lebte. Die zweite Gruppe wurde ungeimpft in 
einer Kiste eingeschlossen und diese in die Erde eingegraben, so dass nur 
eine kleine Oeffnung zum Einführen der Nahrung — eine kleine Kartoffel 
täglich für jedes Thier — frei blieb; die Luft war so feucht darin, dass die 
Kiste immer triefte. Die dritte Gruppe wurde mit einer Reinkultur des 
Phthise erzeugenden Bacills geimpft und auf einem Inselchen in Freiheit 
gesetzt, wo sie reichlich Licht, frische Luft und Muskelbewegung hatte; 
zudem erhielt sie täglich reichliche und gesunde Nahrung. Das Resultat 
des Experiments war Folgendes: 

Vier von den ersten fünf Kaninchen starben nach drei Monaten und 
zeigten ausgedehnte Tuberkulose; das fünfte Thier wurde Ende des fünften 
Monats getödtet und zeigte den gleichen Zustand. 

Von der zweiten Gruppe lebten noch alle am Schluss des vierten 
Monats und scheinen so munter wie zu Anfänge des Experiments. Sie 
wurden getödtet und die genaue Untersuchung ergab nichts Abnormes. Ein 
Kaninchen der dritten Abtheilung starb am Ende des ersten Monats und 
zeigte bei der Untersuchung eine Anschwellung der Gehirn- und Bronchien- 


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32 


Drüsen und Tuberkel irr der Milz. Die anderen Thiere lebten in scheinbar 
guter Gesundheit fort und wurden Ende des vierten Monats getödtet. Sie 
waren wohl genährt, die Muskeln fest und roth, alle Organe normal und 
konnte man nicht einmal die Spuren der Impfstiche mehr beobachten. 

Diese Versuche bestätigen die Ansicht, dass die Entwickelung der 
Tuberkulose ein sehr complicirter Vorgang ist. Wenngleich die Umgebung 
einigen Einfluss hat auf die Pr ä d is po si t io n zur tuberkulösen Erkrankung, 
so hat sie einen viel bedeutsameren Einfluss auf die weitere Entwicke¬ 
lung und den Ausgang der Krankheit; ohne die pathogenen Eigenschaften 
des Bacillus verkennen zu wollen, ergibt sich doch auch der Einfluss der 
Umgebung auf seine Lebensfähigkeit als sehr bedeutsam. 

In dasselbe Gebiet gehört folgende Notiz des Dr. Brown-Sdquard 
(R£vue d’Hyg. X, Nr. 1) über den Einfluss der eingeschlossenen 
Luft auf die Entwickelung der Phthise. Gestützt auf Versuche mit 
Aufbewahrung von Tuberkelkavernen in freier und in abgeschlossener Luft 
und auf mehrere Fälle von Heilungen von Phthisikern, die zwei Jahre in 
freier Luft, geschützt vor Erkältungen, lebten, erklärt der Verfasser die um¬ 
fassendste Ventilation der Wohnungen für das beste Vorbeugungsmittel gegen 
Lungentuberkulose. Die Einführung condensirter, von Kranken und Gesunden 
ausgeathmeter Luft, unter die Haut von Thieren veranlasste stets tödtliche 
Zufälle. 

Dr. Brown-Sequard und D’Ausonval verfertigten einen Ventilations- 
Apparat, eine Art von Tonne oder kegelförmiger Haube, welche in einer 
gewissen Entfernung von dem liegenden Kranken angebracht wird; diese 
Haube endet in ein bewegliches Ableitungsrohr von grossem Umfang, 
welches in einen Lock-Kamin aus Blech mündet; in letzterem brennt eine 
Kerze, eine Gasflamme oder ein Nachtlicht. Dieser Apparat ist angeblich 
von grösserer Wirksamkeit als das beständige Offenstehen der Fenster bei 
Tag und Nacht und schütze weit besser vor übergrosser Abkühlung. F. 

*** Der Tuberkulose-Kongress in Paris (vgl. dieses Centralbl. 
1888, Bd. VII, S. 284), fand Ende Juli v. J. statt. Über die Verhandlungen 
des Kongresses berichtet ausführlich die deutsche mediz. Wochenschrift, 
1888, Nr. 32 ff. Derselbe wurde von Ghauveau eröffnet, stellvertretende 
Vorsitzende waren Villemin und Verneuil. Aus dem Inhalte der Vor¬ 
träge, die naturgemäss nicht immer neues brachten, heben wir hervor, dass 
noch Gornil als Bedingung der Ansteckung von Schleimhäuten durch den 
K o c h’schen Tuberkelbacillus, gegen dessen spezifische Bedeutung anscheinend 
von keiner Seite Widerspruch erhoben wurde, Verletzungen nicht notwendiger¬ 
weise vorausgesetzt werden müssen. Gesunde Tiere, die mit tuberkulösem 
Material gefüttert werden oder der Einatmung solchen Materials ausgesetzt 
sind, werden tuberkulös. Gornil gab Meerschweinchen einen bis zwei 
Tropfen einer Kultur Koch’scher Bacillen und beobachtete, dass keine 
Diarrhöe entstand; die Zellenbekleidung der Darmschleimhaut bleibt unver¬ 
sehrt; trotzdem schwellen die Follikel, und es entstehen im Gekröse und 


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33 


in den Lymphdrüsen wirkliche kleine Knötchen (Granulationen); am sechsten 
Tage haben sich ächte Tuberkel ausgebildet. — Gornil führt ferner 
Beobachtungen an, welche die Möglichkeit der Entstehung einer Tuberkulose 
der weiblichen Geschlechtsorgane auf dem Wege des Geschlechtsverkehrs 
nahezulegen scheinen. — 

Nocard sprach über die Gefahren des Genusses von Fleisch und 
Milch tuberkulöser Tiere. Man darf keine rohe Milch geniessen, deren 
Herkunft nicht bekannt ist. Ziegenmilch ist hiervon auszunehmen, da die 
Ziege nicht tuberkulös wird. Eine geringere Uebereinstimmung herrscht 
bezüglich des Fleisches tuberkulöser Tiere; doch ist die Mehrzahl der Sach¬ 
verständigen bis jetzt geneigt gewesen, das Fleisch dann vom Genüsse aus- 
schliessen zu lassen, wenn die Tuberkulose nicht nur in den Lungen und 
dem Rippenfell lokalisirt ist. N o c a r d sah eines von 40 Meerschweinchen, 
die mit Fleischsaft von tuberkulösen Kühen geimpft worden waren, an 
Tuberkulose zu gründe gehen; junge Katzen, sonst sehr empfänglich für 
diese Krankheit, wurden nach Fütterung mit rohem Fleisch tuberkulöser 
Kühe nie tuberkulös. Die Mehrzahl der andern Redner vertrat die Ansicht, 
dass das Fleisch tuberkulöser Tiere unter allen Umständen vom Genüsse 
auszuschliessen sei. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit, die Grenze zu 
bestimmen, wann der Genuss solchen Fleisches anfange gefährlich zu werden, 
gelangte der Kongress zur Annahme nachfolgenden Grundsatzes: 

„Es ist angezeigt, die Schadloshaltung der Verkäufer vorausgesetzt, 
mit allen zu Gebote stehenden Mitteln den Grundsatz der Beschlagnahme 
und vollständigen Vernichtung allen von tuberkulösen Tieren stammenden 
Fleisches durchzuführen, gleichviel wie wenig oder wie weit die bei den 
Tieren festgestellte spezifische Krankheit vorgeschritten ist.“ 

Aus den Untersuchungen von Bang ist erwähnenswert, dass in den 
Fällen, in welchen in der Milch tuberkulöser Kühe viele Bacillen gefunden 
wurden, die verschiedenen Erzeugnisse derselben, Sahne, Butter, Molken 
deren ebenfalls enthielten. — Nach Ghantemesse und Widal halten 
sich die Tuberkulosebacillen im Seinewasser bei Temperaturen von 
8—20® bis zu 70 Tagen lebend. — Arloing berichtet über — erfolglose — 
Versuche, durch bestimmte Gifte Meerschweinchen für Tuberkulose unempfäng¬ 
lich zu machen. — Nach Carlier ist Kranken, die mit rohem Fleisch 
ernährt werden müssen, nur Hammel- oder Ziegenfleisch zu empfehlen. — 

Beim Pferde tritt nach der Impfung mit tuberkulösem Material nach 
Nocard’s Mitteilungen lediglich an der Impfstelle die Spezifische Krank¬ 
heit auf, welche durch Vernarbung heilt. Es kommt aber auch eine 
spontane Form der Tuberkulose vor, die ihren Ausgang vom Verdauungs¬ 
apparat nimmt; alle lymphdrüsenartigen (lymphoiden) Organe sind mit 
Bacillen überschwemmt, dann werden alle Organe der Bauchhöhle, die 
Lungen erst in letzter Linie in Mitleidenschaft gezogen. Das Tier geht 
zu gründe, ehe eine Verkäsung der Lungentuberkel eintritt, während die 
Drüsen des Unterleibs vollständig in einen mit Bacillen vollgepfropften 
käsigen Brei verwandelt sind. — In einer dritten Form der Pferde-Tuber- 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 3 


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- 34 


kulose hat die Krankheit ihren Sitz lediglich in der Lunge; die Tuberkel 
sind hart, weisslich, enthalten wenig Bacillen. 

Sehr häufig ist nach Nocard die Tuberkulose des Geflügels, 
welche den Genuss der Eingeweide dieser Tiere sehr gefährlich macht. 
Es kommt vor, dass die Leber voll Bacillen ist, ohne dass eine Verände¬ 
rung äusserlich sichtbar ist. Diese Form der Krankheit kann man künst¬ 
lich leicht hervorrufen, wenn man das Gift unmittelbar in die Blutadern 
einführt; das Tier geht dann nach 30—40 Tagen zu gründe. 

Ueber die Kaninchen-Tuberkulose theilte derselbe Forscher mit, 
dass diese Tiere selbst 9 Monate nach der Impfung mit skrophulösen 
Massen noch ein gutes Aussehen darboten, während die Lungen bereits 
mit verkästen Tuberkeln durchsetzt waren. Impft man dagegen skrophulöse 
Massen, die bereits durch den Körper eines Meerschweinchens hindurch 
gegangen sind, so geht das Kaninchen etwa 9 Monate nach der Impfung 
unter schweren Erscheinungen zu gründe; ist das Impfmaterial schon zwei¬ 
mal durch Meerschweinchen gegangen, so stirbt das Kaninchen bereits 
4 Monate nach der Impfung. 

Ausser dem schon oben angeführten Beschlüsse wurden folgende Sätze 
von dem Kongresse angenommen: 

1. Zu den Befugnissen der Gesundheitsbehörden sollten alle Fragen 
gehören, welche sich auf ansteckende Krankheiten unserer Haustiere be¬ 
ziehen, auch auf solche, die gegenwärtig nicht auf den Menschen übertrag¬ 
bar erscheinen. Zu Kuhpocken, Rotz, Hundswut, Milzbrand, Tuberkulose 
können später noch andere ansteckungsfahige Allgemeinerkrankungen kommen, 
welche ebenfalls allgemeine Schutzmassregeln erfordern. 

2. (Wie oben angeführt.) 

3. Es sind gemeinverständliche Aufsätze abzufassen und massenhaft zu 
verbreiten, welche lehren, durch welche Mittel man sich am besten der Ge¬ 
fahr der tuberkulösen Ansteckung durch die Nahrung erwehren kann, und wie 
die gefährlichen Keime im Spucknapf von Tuberkulösen zu zerstören sind. 

4. Die Milchkuranstalten sind ganz besonders zu überwachen, damit 
gar keine Milch von kranken Kühen zur Verwendung kommen kann. 

Mit Recht ist als besondere Wirkung dieses Kongresses betont worden, 
dass derselbe die Aufmerksamkeit des Publikums auf die grossen Ge¬ 
fahren der Übertragbarkeit der Tuberkulose gelenkt hat, und dass diese 
von so berufener Seite vermittelte Kenntniss-Verbreitung gegenüber der bis¬ 
herigen Gleichgiltigkeit des grossen Publikums sicher ihre guten Früchte 
tragen werde. W. 

** Gesundheitsschädlichkeit der Carbon-Natronöfen. 

Circular-Erlass des Ministers des Innern (gez. Herrfurth) vom 
2. October 1888, Nr. 12197 II., an sämmtliche Königliche Regierungs¬ 
präsidenten. 

Seit einiger Zeit werden, soviel ich erfahren habe, bisher allein von 
der Firma Alwin Nieske in Dresden, sogenannte Garbon-Natronöfen in 


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— 35 — 


den Handel gebracht, welche nach den veröffentlichten Prospekten für Ge¬ 
sundheit und Leben durchaus gefahrlos sein sollen, indem angeblich das 
Feuerungsmaterial nur Kohlensäure producire und bei vorschriftsmässiger 
Verwendung der Oefen in Schlaf- und Wohnräumen die Heizgase durch 
einen Gummischlauch ins Freie abgeführt werden. 

Von dem Herrn Regierungs-Präsidenten zu Wiesbaden ist mir gegen 
Ende Juni d. J. berichtet worden, dass sich daselbst kurz nach einander 
zwei Fälle ereignet haben, in denen in Folge der Benutzung eines solchen 
Ofens ein Mensch an der Gesundheit geschädigt, bezw. getödtet worden ist. 

In Folge dieses Berichtes habe ich den Herrn Minister der geistlichen, 
Unterrichts- und Medicnal-Angelegenheiten ersucht, die Frage wegen der 
Gefährlichkeit dieser Oefen einer näheren Prüfung unterziehen zu lassen. 
Der genannte Herr Minister hat darauf Veranlassung genommen, über diese 
Frage ein Gutachten des Direktors der hygienischen Institute der hiesigen 
Universität, Geheimen Medicinalrathes, Professors Dr. Koch zu erfordern, 
welches ich Ew. Hochwohlgeboren anbei in Abschrift ergebenst übersende. 
Aus dem Gutachten ergibt sich, dass die Garbon-Natronöfen als gemein¬ 
gefährlich anzusehen sind. 

Wenn auch, schon aus dem Grunde, weil meines Wissens diese Oefen 
bisher eine ausgedehnte Verbreitung nicht gefunden haben, ihr Gebrauch 
sich vielmehr auf bestimmte Gegenden beschränkt, vorläufig davon abzusehen 
sein wird, ihre Benutzung allgemein im Wege des polizeilichen Verbotes 
zu untersagen, so erscheint es doch angezeigt, Vorkehrungen zu treffen, 
damit das Publikum in denjenigen Gegenden, in welchen der Gebrauch der 
Oefen üblich geworden ist, vor den durch dieselben entstehenden Gefahren 
wirksam geschützt und damit der weiteren Verbreitung der Oefen thunlichst 
vorgebeugt werde. 

Ew. Hochwohlgeboren ersuche ich daher ergebenst, die zu diesem 
Zwecke geeigneten Schritte, sei es durch den Erlass einer Polizeiverordnung 
für den dortigen Regierungsbezirk oder einzelne Theile desselben, sei es 
durch die Veröffentlichung einer eindringlichen Verwarnung, gefälligst ver¬ 
anlassen zu wollen. 

Gutachten über die Gefährlichkeit der sogenannten 
Garbon - Natron Öfen. 

Berlin, den 25. August 1888. 

Ew. Excellenz beehre ich mich mit Bezugnahme auf den br. m. Erlass 
vom 20. Juli d. J., Nr. 6151 M., unter Rücksendung desselben nebst An¬ 
lagen über die Gefährlichkeit der sogenannten Carbon-Natronöfen ganz ge- 
horsamst nachstehenden Bericht zu erstatten. 

Die Carbon-Natronöfen, welche von der Firma Alwin Nieske in 
Dresden in den Handel gebracht werden, sollen nach den darüber ver¬ 
öffentlichten Prospekten durchaus gefahrlos seien, weil angeblich das 
Feuerungsmaterial nur Kohlensäure producirt und bei der vorschrifts- 
mässigen Verwendung in Schlaf- und Wohnräumen die Heizgase durch 
einen Gummischlauch ins Freie abgeführt werden. 


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— 36 — 


Aufmerksam gemacht durch eine Abhandlung von Professor Wolpert, 
welcher Versuche mit einem Carbun-Natronofen angestellt hat, sowie durch 
eine Zeitungsnotiz, nach welcher ein derartiger Ofen die Ursache einer 
tödtlichen Kohlenoxydgas-Vergiftung gewesen sein sollte, veranlasste ich 
im Herbst des vergangenen Jahres Herrn Dr. Petri, im hygienischen 
Institute den Garbon-Natronofen daraufhin zu untersuchen, in wie weit 
derselbe die ihm von der Firma 'Ni es ke zugeschriebenen Eigenschaften 
wirklich besitzt. 

Als Versuchs-Ofen wurde die kleinste Nummer von Nieske gelieferten 
Oefen benutzt; derselbe stimmt aber in seiner Gonstruktion, namentlich 
auch in Bezug auf den damit verbundenen Gummischlauch so vollkommen 
mit den grösseren Oefen überein, dass die erhaltenen Resultate auch für 
letztere Geltung haben. 

Die Einrichtung des Garbon-Natronofen unterscheidet sich von der¬ 
jenigen anderer Oefen insofern, als er in seinem oberen Theile nicht luft¬ 
dicht abgeschlossen, sondern nur mit einem lose aufliegenden Deckel ver¬ 
sehen ist, so dass die Heizgase an dieser Stelle fast ungehindert aus dem 
Ofen und die Luft des beheizten Raumes übergehen können. Würde das 
für die Heizgase bestimmte Abzugsrohr mit dem oberen Theil des Heiz¬ 
körpers in Verbindung stehen und in einen Schornstein führen, der eine 
stark ansaugende Wirkung ausübt, dann wäre es trotzdem noch möglich, 
dass in Folge kräftiger Zugwirkung die Heizgase sämmtlich nach dem 
Schornstein abgeführt werden und dass durch die Spalte neben dem Deckel 
eher Luft in den Ofen hinein gesogen wird, als dss Heizgase den Ofen 
an dieser Stelle verlassen. Das ist aber nicht der Fall, denn das Abzugs¬ 
rohr beginnt zwar oben am Heizkörper, geht dann aber wieder nach unten 
und steht gegenüber der Regulirungsöffnung mit einem Gummischlauch in 
Verbindung, welcher durch eine Oeffnung im Fenster ins Freie geführt 
werden soll. Bei dieser Einrichtung fehlt für die Heizgase jede Veranlassung 
in den Gummischlauch überzutreten, der Inhalt des letzteren erwärmt sich 
demzufolge nicht über die Zimmertemperatur und es kann somit von dem 
Gummischlauch überhaupt keine Zugwirkung, wie etwa von einem Schorn¬ 
stein ausgeübt werden. Es bleibt unter diesen Verhältnissen den Heizgasen 
nichts anders übrig, als aus dem Ofen auf dem nächsten Wege, d. h. durch 
den Spalt neben dem Ofendeckel in die Luft des geheizten Raumes zu 
entweichen. 

Dass sich dies in Wirklichkeit auch so verhält, ist durch Dr. Petri’s 
Versuche direkt erwiesen; denn selbst mit Hülfe eines sehr empfindlichen 
Anemometers Hess sich ein Austreten des Heizgases aus dem vorschrifts- 
mässig geheizten Ofen durch den Gummischlauch nicht nachweisen, sogar 
eine Flaumfeder, welche durch den allergeringsten Luftzug in Bewegung 
gesetzt wurde, blieb, wovon ich mich selbst überzeugt habe, auf der Mündung 
des Gummischlauchs regungslos liegen. 

Wenn die Heizgase gesundgefährliche Stoffe enthalten, dann müssen die¬ 
selben also sämmtlich in den vom Garbon-Natronofen geheizten Raum gelangen. 


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— 37 


Die Heizgase der Ofenfeuerung enthalten nun aber stets solche Stoffe, 
vor Allem das höchst gefährliche Kohlenoxydgas. Es liess sich sogar er¬ 
warten, dass bei der verlangsamten Verbrennung, wie sie im Carbon-Natron¬ 
ofen stattfindet, besonders reichliche Mengen von Kohlenoxydgas producirt 
werden. Auch diese Voraussetzung ist durch Dr. Petri’s Untersuchungen 
bestätigt. Es konnten mit Hülfe der üblichen Reaktionsmittel, nämlich 
durch Palladiumchlorür und durch verdünnte Blutlösung und schliesslich 
auch durch das Thierexperiment übereinstimmend in der Luft des geheizten 
Raumes solche Mengen von Kohlenoxydgas nachgewiesen werden, dass 
dieselben nach der bisherigen Erfahrung auf Menschen tödtlich wirken 
können. 

Diese Beobachtungen allein würden schon ausreichend sein, um zu der 
Ueberzeugung zu gelangen, dass die Benutzung eines Carbon-Natronofens 
ebenso lebensgefährlich ist, wie die eines Kohlenbeckens in einem ge¬ 
schlossenen Raum oder eines Ofens, dessen Klappe zu früh geschlossen ist. 

Die bisher bekannt gewordenen Unglücksfalle haben aber auch weiter 
den Beweis geliefert, dass die Verwendung des Ofens zur Beheizung von 
Wohn- und Schlafräumen in der That die schlimmsten Folgen haben 
kann und dass die erhobenen Bedenken nicht ausschliesslich von theore¬ 
tischer Bedeutung sind. Wenn derartige Unglücksfälle nicht häufiger vor¬ 
gekommen sind, dann mag dies daran liegen, dass die Oefen gewöhnlich in 
solchen Räumen benutzt werden, in denen sich Menschen nur vorüber¬ 
gehend aufhalten, oder in denen durch häufiges Oeffnen der Thüren ein 
starker Luftwechsel stattfindet. Aber die den Carbon-Natron Öfen zur Last 
fallenden Kohlenoxydgas-Vergiftungen werden unzweifelhaft in dem Masse 
zunehmen, in welchem dieser Ofen beim Publikum immer weiter Eingang findet. 

Besonders bedenklich muss es in dieser Beziehung noch erscheinen, 
dass das Publikum keine AhnUng von der Gefährlichkeit des Carbon-Natron¬ 
ofens hat und dass die Firma Nieske mit ihren Prospekten und Gebrauchs¬ 
anweisungen die Abnehmer der Oefen in den Glauben versetzt, als ob die 
Heizgase, welche möglicherweise schädlich wirken könnten, durch den 
Gummischlauch beseitigt würden. Diejenigen Besitzer des Ofens, welche 
denselben hiernach für ungefährlich halten, werden ihn gelegentlich auph 
in soichen Räumen aufstellen, wo er unter allen Umständen gefährlich 
werden muss. 

ln diesem Sinne ist der Ofen entschieden als gemeingefährlich an¬ 
zusehen und es wird unzweifelhaft manchem Verlust an Gesundheit und 
Leben dadurch vorgebeugt werden, dass der Gebrauch der Carbon-Natron¬ 
öfen in geschlossenen Räumen allgemein untersagt wird. 

Dr. Koch, Geheimer Medicinal-Rath, 
Direktor des hygienischen Instituts. 

*■ Von der wohlthätigen Wirkung guter städtischer Wasserversorgung 
in Verbindung mit Schwemmkanalisation gegen die Typhus- 
Verbreitung gewährt die nachfolgende, der Revue d’Hygiäne entnommene 


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38 


Tabelle der Typhussterblichkeit in Frankfurt a. M. während des 36 jährigen 
Zeitraumes von 1851 bis 1887 ein sehr lehrreiches Bild. 



BHB Hkustr ati tanuaiuiMim . «pbw wi Häuser mit WasKrlrirunfsanMMuss 

Die dunkeln, von links ausgehenden Säulen, bezeichnen durch ihre 
Höhe für jedes der 36 Jahre die Menge der Typhus-Todesfälle, auf je 
100,000 Einwohner berechnet (ZifTerskala oben). Von den hellen, von rechts 
ausgehenden Säulen bezeichnen die punktirten für jedes Jahr seit Errichtung der 
Trinkwasserleitung (1873) das procentische Verhältnis der an die Leitung 
angeschlossenen Häuser; die lineär schraffirten Säulen entsprechen für 
jedes Jahr der procentischen Zahl der an die Kanalisation angeschlossenen 
Häuser (Zifferskala unten). Die Gegenüberstellung ist so überzeugend, dass 
auch der eigensinnigste Skepticismus mancher ausgabenscheuer Gemeinde¬ 
väter dadurch bekehrt werden dürfte. F. 

* Eine beachtenswerthe Notiz, die Impfschutzfr&ge betreffend, ent¬ 
nehmen wir dem amtlichen Bericht des Geheimen Obermedicinalrath Dr. 
Reissner über die Geschichte und Statistik der Menschenblattern und 
Schutzpockenimpfung im Grossherzogthum Hessen (Darmstadt 1888). 


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39 — 


Die Beobachtung betrifft das Verhalten der Blattern in den Grenzorten 
benachbarter, bezüglich des Impfzustandes der Bewohner ungleichartiger 
Lander: auf der einen Seite ein Schweizerdorf ohne Impfzwang, auf der 
anderen ein badisches mit seit Jahren nicht unterbrochener regelmässiger 
lmpfthätigkeit; beide Orte, deren Bewohner in Bezug auf Lebensweise, Con¬ 
stitution und Emährungsverhältnisse unter gleichen Bedingungen leben, sind 
durch lebhaften Verkehr verbunden. Bei der Einschleppung der Blattern 
in das Schweizerdorf hat sich regelmässig gezeigt, dass in demselben sechs, 
acht und noch mehr Blatternfalle auftraten, während in dem benachbarten 
badischen Orte regelpässig nur 1—2, entweder über vierzigjährige 
oder nicht geimpfte Personen erkrankten. Aehnliche Erfahrungen hat 
man in Elsass-Lothringen, Sachsen u. s. w. gemacht. Längs der das 
Königreich Sachsen berührenden böhmischen Grenze herrschen die Pocken 
recht häufig und werden fast in jedem Jahr in die benachbarten sächsischen 
Orte eingeschleppt. Durch die sofortige Durchimpfung der gefährdeten Be¬ 
völkerung gelingt es fast regelmässig die Zahl der Erkrankungen auf 
einige wenige zu beschränken und einer weiteren Verbreitung der 
Krankheit vorzubeugen. F. 


Litteraturfoericht. 


Neuere bakteriologische Arbeiten zur Lehre von den 
Infektionskrankheiten. 

ii.’) 

Von grossem Interesse sind die neueren Untersuchungen über den 
Wundstarrkrampf (Trismus et Tetanus traumaticus). Schon im Jahre 
1884 entdeckte A. Nicolai er, der im Göttinger hygienischen Institute 
(Professor Flügge) arbeitete, dass im Erdboden von Gärten, Höfen, 
von der Strasse, von Äckern, einem Kieselfelde, ferner in Ackererde, die an 
Kartoffeln und anderen Feldfrüchten anhaftete, eine charakteristische Bacillen¬ 
art vorhanden war, welche nach Übertragung von Erdproben auf gewisse 
Tiere eine fast stets tötliche, unter krampfigen Erscheinungen ablaufende, 
als Tetanus anzusprechende Krankheit hervorrief *). Es war durch diese 
Entdeckung die Möglichkeit nahegelegt, dass die furchtbare Krankheit, 
welche als Starrkrampf menschlichen Verwundeten zuweilen tötlich wird, 

1) Auch in diesem neuen Jahrgang nehmen wir unsere regelmässigen Be¬ 
richte über die neueren bakteriologischen Arbeiten, welche ein so wesentlicher 
Bestandtheil wie der medizinischen Forschung im Allgemeinen, so im besondern 
der hygienischen Untersuchungen geworden sind, wieder auf. Der obige Bericht 
stellt zunächst eine Fortsetzung des in diesem Centralblatt, Jahrgang VII, Heft 11/12, 
veröffentlichten Aufsatzes dar. 

2) Vgl. dieses Ckmtralblatt, 1885, Bd. IV, S. 175, 


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- 40 — 


durch eben diesen Bacillus verursacht werde. Der Wundstarrkrampf gesellt 
sich gelegentlich zu schweren wie auch zu ganz leichten, oberflächlichen 
Verletzungen; man fasste ihn bisher als eine unter unbekannten Bedingungen 
entstehende (spontane) Erkrankung des Centralnervensystems auf. Jetzt ist 
der Nachweis erbracht, dass diese Krankheit durch eine Wund-Verunreinigung 
und zwar durch den von A. Nicolaier entdeckten Bacillus hervor¬ 
gerufen wird. 

In der Erde konnte übrigens in unmittelbarer Untersuchung diese 
Bacillenart nicht nachgewiesen werden; jedoch verloren die Erdproben, 
wenn sie auf 190 Grad erhitzt waren, ihre Giftkraft. Nicolaier konnte 
die Krankheit von Tier zu Tier übertragen und zwar durch sehr geringe 
Mengen von Eiter oder auch durch grössere Mengen von Blut oder andern 
Leichenteilen. Dagegen gelang es ihm nicht, eine völlige Reinkultur der 
Bacillen zu erzielen; es blieb ein Gemenge mehrerer Bakterienarten, die 
nicht zu trennen waren, und welche nach wiederholter Umzüchtung sich 
beständig — nach Übertragung auf Tiere (Mäuse, Kaninchen) — gift¬ 
kräftig erwiesen. Der Hauptsache nach fanden sich in den Kulturen feine 
Bacillen, zuweilen in Fäden, meist aber in regellosen Haufen angeordnet, 
die eine charakteristische Art der Sporenbildung zeigen. Sie verdicken sich 
zunächst mehr gleichmässig, dann schwillt das eine Ende stärker an, 
schliesslich bildet sich hier eine ovale, glänzende, scharf konturirte Spore 
aus, während der Rest des Bacillus zu einem dünnen Faden wird, den die 
drei- bis viermal dickere Spore weit überragt 1 ). — 

Carle und Rat tone*) übertrugen Eiter aus einer Pustel eines an 
Wundstarrkrampf gestorbenen Menschen auf Kaninchen und sahen die 
Tiere genau unter denselben Erscheinungen erkranken und sterben, welche 
Nicolaier beobachtete, nachdem er Erdproben auf Kaninchen über¬ 
tragen hatte. 

Sodann hatte Rosenbach (Göttingen) Gelegenheit, einen Kranken 
mit Frostbrand an den untern Gliedern zu untersuchen, welcher an Tetanus 
starb*). Rosenbach fand an der Begränzungslinie des Brandes in der Haut 
die Nicolaier’schen Bacillen, und solche Hautstückchen, auf Kaninchen 
Mäuse oder Meerschweinchen übertragen, riefen Tetanus hervor; Hunde 
erwiesen sich als unempfänglich. Auch Rosenbach stellte eine Reinkultur 
nicht her. 

Aus dem sparsamen Befund von Bacillen im Körper von Tieren, welche 
am künstlich erzeugten Tetanus zu Grunde gingen, folgerte man, dass der 
Bacillus durch seine Vermehrung am Orte der Ansiedelung ein chemisches 


1) Vgl. auch Flügge, Die Mikroorganismen. Leipzig, Vogel, 1886, S. 275. 

2) Flügge, 1.c., S.277. Giornale della Reale Acad. di Medicina di Torino. 
März 1884. 

3) Fünfzehnter deutscher Chirurgen-Kongress, April 1886. Deutsche mediz. 
Wochenschrift, 1886, Nr. 15; v. Langenbeck’s Archiv für Chirurgie XXXIV 
Heft 2. 


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— 41 


Gift bildet, welches durch Einwirkung auf das Nervensystem — etwa ähn¬ 
lich wie Strychnin — die tötlichen Staarkrämpfe auslöst, ln der That 
gelang es L. Brieger 1 ), aus sterilisirtem Fleischbrei, welcher mit (nicht 
ganz reinen) Kulturen des Rosenbach’schen Tetanus-Bacillus beschickt war, 
ein giftiges Ptomatin, ein Toxin, wie Brieger dergleichen Gifte nennt, dar¬ 
zustellen, welches bei Tieren nach Einspritzungen unter die Haut die 
gleichen Erscheinungen hervorruft, wie sie Nicolaier und Rosenbach be¬ 
schrieben haben. Dieses spezifische Toxin hat die chemische Formel 
C 18 H 80 N 2 O 4 ; Brieger nennt dasselbe Tetanin. — Ein zweites für das 
Nervensystem giftiges Toxin aus Tetanus-Kulturen, welches Br. darstellte, 
ist nach der Formel C 5 H 11 N zusammengesetzt (Tetanotoxin) g ). Dasselbe 
ist bei weitem nicht so giftig wie das Tetanin, wirkt auch nicht immer 
absolut tötlich. — In den Kulturen sind noch andere, flüchtige Toxine 
vorhanden, darunter auch krampferregende, welche zugleich die Speichel¬ 
und Thränenabsonderung steigern. 

Mit Rücksicht auf die Frage, von woher die Tetanus-Mikrobie in den 
Erdboden gelange, machte Verneuil auf dem letzten französischen 
Chirurgen-Kongresse auf die Häufigkeit des Wundstarrkrampfs bei Leuten 
aufmerksam, die viel mit Pferden verkehren; er berichtete über Fälle, in 
welchen eine Übertragung des Tetanus von Pferden auf Menschen erwiesen 
schien. Brieger führt zu gunsten dieser Auffassung an, dass er aus 
menschlichen Leichenteilen, die über einander geschichtet monatelang dicht 
oberhalb eines Pferdestalles faulten, neben anderen Ptomatinen auch 
Tetanin fand. Pferde- und Kuhmist jedoch, unter die Haut von Kanin¬ 
chen eingespritzt, erzeugen keinen Tetanus*). 

Die von Rosenbach erwiesene Gleichheit des Nicolaier’schen Impf- 
Tetanus mit dem menschlichen Wundstarrkrampf wurde durch Unter¬ 
suchungen von Dr. Beumer bestätigt 4 ). In einem der von Beumer be¬ 
obachteten Fälle hatte ein 31 jähriger Mann beim Kegelschieben sich 
unter den Nagel des rechten Mittelfingers einen Splitter der Kegelbahn¬ 
bohlen eingerissen. Der Splitter wurde anscheinend ganz entfernt. Nach 
siebentägigem Wohlbefinden traten Kieferklemme und Krämpfe auf, nach¬ 
dem Schmerzen im Nacken und Rücken vorhergegangen waren. Die Krank¬ 
heit dauerte drei Tage und endete tötlich. Eine Sektion konnte nicht statt¬ 
finden; jedoch wies Beumer nach, dass kleinste Splitter von der Ober¬ 
fläche der Kegelbahn und zwar dort, wo die Kegler ihre Kugeln aufsetzen, 
entnommen und verschiedenen Versuchstieren unter die Haut geschoben, 
in fast allen Fällen das von Nicolaier beschriebene Bild des Impftetanus 

1) Untersuchungen über Ptomaine, 3. Teil, 1886. 

2) Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Jahrgang XIX, p. 3119. 

8 ) Professor Dr. L. Brieger, Zur Kenntnis der Ätiologie des 

Wundstarrkrampfs nebst Bemerkungen über das Gholerarot. 
Deutsche mediz. Wochenschrift, 1887, Nr. 15. 

4) Zur ätiologischen Bedeutung der Tetanus-Bacillen. Bert, 
klin. Wochenschr., 1887, NN._30/3t. 


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— 42 


hervorriefen. Auch liess sich zeigen, dass lediglich die an der Oberfläche 
des Holzes sitzenden Staub- und Erdteile die Tetanus-Erreger enthielten. — 
In einem andern von Beumer beschriebenen Falle von Starrkrampf hatte 
ein öjähriger Knabe sich eine kleine Wunde an der Fusssohle. in welche 
ein erbsengrosses Sternchen eingetreten war, zugezogen. Der Knabe war 
in den letzten 10—14 Tagen vor der Erkrankung barfuss gelaufen; die 
Krankheit dauerte 24 Stunden und endete mit dem Tode. Kleinste Eiter¬ 
mengen aus der Fusssohlenwunde sowie Gewebsteilchen aus der Umgebung 
riefen, auf Tiere übertragen, Tetanus hervor; es fanden sich die Nicolaier’- 
schen Bacillen, welche in (unreinen) Kulturen weitergezüchtet in Tier¬ 
versuchen als Tetanus-Erreger sich erwiesen. 

Ebenso beobachtete A. Bonome einen Fall von menschlichem Tetanus, 
in welchem kleine Gewebsmengen, aus der Umgebung der Wunde ent¬ 
nommen und auf Kaninchen übertragen, Tetanus zur Folge hatten. Auch 
Bonome fand im Wundeiter seines Kranken die Nicolaier’schen Boden¬ 
bacillen *). Derselbe wies dann in zwei ferneren Fällen von mefischlichem 
Wundstarrkrampf wiederum diese Bacillen nach und bestätigte die tetanogene 
Kraft von Gewebsteilchen und Eiter der Wunden, wenn davon auf Kanin¬ 
chen übertragen worden war. Er zeigte, dass die bacillenhaltigen Teile 
auch nach viermonatlicher Austrocknung giftkräftig wirken. Mühsame 
Kulturversuche ergaben, dass der Tetanus-Bacillus von einem Fäulnis- 
Bacillus nicht zu trennen war, wie dies schon Flügge und Rosenbach 
berichtet hatten; dieser Fäulnis-Bacillus hat aber keine tetanogene Kraft. 
Es besteht nach Bonome ein wahres Zusammenleben („Symbiose“) dieser 
beiden Mikroorganismen. — Bei dem letzten Erdbeben von Bajardo (23. Fe¬ 
bruar 1887) wurden unter den Trümmern der Kirche des Ortes 70 Per¬ 
sonen verwundet, von welchen 9 dem Wundstarrkrämpfe, 8 mit tötlichem 
Ausgange, verfielen. Bonome wies nach, dass in dem Kalkschutt der 
Kirche Tetanus-Bacillen vorhanden waren; in dem Trümmerkalkstaub von 
Diano-Marina, wo unter vielen Verwundeten keine Tetanische waren, fehlten 
die Bacillen. Hiernach ist also auch einmal im Pulverstaub alter 
Gebäude und nicht blos im Erdboden der Tetanus-Bacillus gefunden 
worden. — Bonome fand denselben Mikroorganismus auch bei einem 
Pferde, das durch einen Sturz sich eine offene Quetschwunde, an welcher 
Strassenstaub hängen blieb, zugezogen hatte; ebenso in dem Wundeiter 
eines nach der Verschneidung dem Wundstarrkrampf erlegenen Hammels *). 

Sodann wies Hochsinger in einem von ihm beobachteten Falle von 
Wundstarrkrampf den Tetanus-Bacillus im Blute des lebenden tetanischen 
Menschen nach. Es gelang ihm. durch Übertragung von Blutproben in 


1) Über die Ätiologie des Tetanus. Nach La Riforma medica, 
1886, Nr. 293, besprochen in der Deutschen mediz. Wochenschrift, 1887, Nr. 15, 
S. 320. 

2) Über die Ätiologie des Tetanus. Fortschritte der Medizin, 1887, 
Nr. 21, S. 690. 


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erstarrtes menschliches Blutserum Reinkulturen des Tetanus-Bacillus zu 
erzielen, welche stark giftkräftig waren, sich aber in andere Züchtungs¬ 
röhrchen nicht weiter mit Erfolg übertragen Hessen 1 2 3 ). 

Fernere Bestätigungen der Nicolaier’schen und Rosenbach’schen Be¬ 
obachtungen wurden durch Ohlmüller und Goldschmidt*) sowie 
durch Giordano*) gegeben. 

Von besonderer Wichtigkeit sind schliesslich die neueren Unter¬ 
suchungen von Beumer und von Peiper. Ersterer bewies 4 5 ), dass auch 
der Starrkrampf der Neugeborenen eine Infectionskrankheit ist, 
welche durch Verunreinigung der Nabelwunde mit den Tetanus-Bacillen zu¬ 
stande kommt. Da regelmässig der Nabelschnurrest am 4. oder 5. Tage 
nach der Geburt abfallt und die Wunde bis zum 10. —14. Tage überhäutet 
ist, so erklärt sich leicht die Regelmässigkeit in der Zeit des Auftretens 
des Starrkrampfs der Neugeborenen vom 1.—5. Tage nach dem Abfall der 
Nabelschnur, wie auch früheres oder späteres Auftreten der Krankheit 
durch vorzeitige gänzliche oder teilweise Lösung der Nabelschnur oder ver¬ 
spätete Überhäutung ihre Erklärung finden. Den gleichen Nachweis führte 
Peiper*). ’ Beumer berichtet, dass seit Einführung der Antisepsis in der 
geburtshilflichen Klinik zu Greifswald wie auch anderwärts kein Fall von 
Tetanus neonatorum mehr vorgekommen, während die Krankheit bei der 
ärmeren Bevölkerung der Stadt nach wie vor sich zeige. Es fehlt in¬ 
sonderheit an hinlänglicher Desinfection der Hände der 
Hebammen, beziehungsweise der helfenden Personen, wie 
auch oft genug unsaubere alte Leinwand aus irgend einem 
Winkel der Wohnung zum Verbände benutzt wird. — Durch 
zahlreiche Versuche führte Beumer den Nachweis, dass die Tetanus- 
Bacillen sich ungemein verbreitet vorfinden sowohl im reinen Erdreich wie 
in tieferen Bodenschichten — wenn auch hier in geringerem Grade — als 
besonders an der Erdoberfläche und zumal in dem verunrei¬ 
nigten Kehricht und Staub der Strassen wie in dem erdigen 
Kehricht und Staube der Wohnungen. Verf. ist der Ansicht, dass 
dem Starrkrampf, der zuweilen nach Verletzungen im allgemeinen auftritt 
und durch Verunreinigung mit erdigen Bestandteilen bedingt ist, nicht 
immer sicher ärztlicherseits vorgebeugt werden kann. Der Starrkrampf der 


1) Zur Ätiologie des menschlichen Wundstarrkrampfes. Cen¬ 
tralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde, 1887, Bd. II, Nrn. 6/7. 

2) Über einen Bakterienbefund bei menschlichem Tetanus. 
Centralblatt für klinische Medizin, 1887, Nr. 31. 

3) Contributo all’ etiogia del tetano. Bericht in Centralblatt für 
Bakteriologie und Parasitenkunde, 1887, Bd. II, Nr. 21, S. 623. 

4) Zur Ätiologie des Trismus sive tetanus neonatorum. Zeit" 
schrifl für Hygiene, 1887, Bd. III, Heft 2, S. 242-280. 

5) Zur Ätiologie des Trismus sive tetanus neonatorum. Cen¬ 
tralblatt für klin. Medizin. 1887, Nr. 42. 


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Neugeborenen aber kann unter allen Umständen verhütet werden. Nach 
Credö’s Vorschlag sollten die Hebammen gehalten sein, nach Reinigung 
und Desinfection ihrer Hände den Nabelschnurrest in gewöhnliche sterilisirte 
Verbandwatte einzuschlagen, diesen Verband nach dem Bade täglich zu 
erneuern und das gleiche Verbandmaterial bis zur völligen Überhäutung 
täglich auf die kleine Wundfläche zu legen. 


Die Ätiologie des Darmtyphus bespricht, zugleich das Wichtigste 
über die Bacillen desselben enthaltend, eine Arbeit von Dr. M. Sim- 
monds (Hamburg) in den Ergänzungsheften zu diesem Centralblatt (Bd. II, 
Heft 4, S. 213 ff. *)). Wir müssen unsere Leser auf diese Arbeit verweisen. 


Zu den bestgekannten pathogenen Bacillen gehören die Erreger der 
Rotzkrankheit, ln einer umfangreichen und bedeutsamen Arbeit be¬ 
handelte Dr. Löffler schon im J. 1886 Ä ) die Ätiologie der Rotz¬ 
krankheit. Ausführlich wird in dieser Abhandlung die geschichtliche 
Entwickelung unserer Kenntnisse über den Rotz oder die Rotz-Wurm- 
Krank heit besprochen. Der Rotz ist seit den ältesten Zeiten als die 
schlimmste Geissei des Pferdegeschlechtes bekannt und gefürchtet; aber 
erst im 17. Jahrhundert wurde die ansteckende Natur der Krankheit er¬ 
kannt. Im Jahre 1821 führte der preussische Regimentsarzt Dr. Schil¬ 
ling den Nachweis, dass der Rotz auf den Menschen übertragen werden 
kann, ln dem bekannten, noch jetzt in Preussen gütigen „Regulativ“ sa¬ 
nitätspolizeilicher Vorschriften beim Auftreten ansteckender Krankheiten 
(vom 8. Aug. 1835) findet sich eine ausführliche Belehrung über den Ver¬ 
lauf der Rotzkrankheit beim Menschen. Die Erreger des Rotzes 
wurden als eine spezifische Bacillenart zuerst von Löffler und Schütz 
nachgewiesen *). Ein bestimmter Bacillus fand sich in den Produkten des 
typischen Rotzes beim Pferde sowie in den veränderten Organen mit Rotz¬ 
knoten geimpfter Meerschweinchen; derselbe wurde reirgezüchtet; die Kultur, 
auf Pferde verimpft, rief typischen Rotz hervor; aus den so erzielten Impf¬ 
knoten und Geschwüren konnten wiederum durch Färbung und Kultur die 
gleichen Bacillen nachgewiesen werden. — Bestätigungen gaben bald dar¬ 
auf Israel 1 2 3 4 5 6 7 ) und Wassilieff *), Kitt*) und Weichselbaum T ). 

1) Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse über die 
Ätiologie des Abdominaltyphus. 

2) Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Bd. I. S. 141—198. 
(Mit 2 Tafeln.) 

3) Vorläufige Mitteilung in der Deutschen medizinischen Wochenschrift, 
1882, Nr. 52. 

4) Berl. klin. Wochenschr. 1883, Nr. 11. 

5) Deutsche mediz. Wochenschr., 1883, Nr. II. 

6) Jahresbericht der Münchener Tierarzneischule 1883/84, S. 56. 

7) Wiener mediz. Wochenschr. 1885, NN. 21—24. 


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Die Rotzbacillen sind schlanke Stäbchen, den Tuberkelbacillen ähnlich, 
aber gleichmässiger an Grösse und etwas breiter; wie diese zeigen sie oft 
eine mässige Krümmung ')• An gefärbten Präparaten bemerkt man fast 
stets eine Zusammensetzung des einzelnen Bacillus aus dunkeln und hellen 
Zonen, so dass derselbe bei schwächerer Vergrösserung einer Kokkenkette 
gleichen kann. Die hellen Zonen sind nach Flügge u. A. vermutlich 
Sporen, nach Löffler Absterbeprodukte. Die Bacillen liegen teils ver¬ 
einzelt, teils in Büscheln, teils in wirren Haufen — am zahlreichsten in 
frischen Knoten; man findet sie vielfach im Innern von Zellen. 

Die Rotzbacillen wachsen ganz vorzüglich auf den Schnittflächen gekochter 
Kartoffeln; schon am zweiten Tage sieht man auf der Scheibe einen zarten, 
gelblichen, durchscheinenden Überzug; nach etwa 6—8 Tagen wird der¬ 
selbe rötlich und undurchsichtig, zugleich wird die die Kultur umgebende, 
nicht besäete Kartoffelzone schwach grünlich: dieses Wachstum auf der 
Kartoffel ist dem Rotzbacillus eigentümlich, keine der andern zahlreichen 
Bakterienarten, welche auf Kartoffeln gedeihen, wachsen in gleicher Weise. 
— Die Bacillen wachsen auch gut auf erstarrtem Blutserum sowie in an¬ 
dern Nährflüssigkeiten. Die unterste Grenze der Temperatur, welche das 
Wachstum erfordert, liegt bei 22° C.; zwischen 30 und 40° C. wachsen sie 
üppig, schon weniger bei 41,5°, bei 45° wachsen sie nicht mehr. — Ein¬ 
getrocknet können sich die Rotzbacillen 3 Monate lang entwicklungsfähig 
halten, verlieren jedoch in der Regel die Entwicklungsfähigkeit viel früher; 
hiermit stehen die Beobachtungen über die Erhaltung der Giftkraft der 
Ausscheidungen rotzkranker Tiere in Uebereinstimmung. Von diesen kommt 
insbesondere der Nasenausfluss erkrankter Pferde in Betracht; derselbe 
wird schon wenige Tage nach dem Eintrocknen nicht mehr ansteckungs- 
fahig gefunden. — In den Kulturflüssigkeiten haben die Bacillen schon nach 
40 Tagen viel von der ursprünglichen weiteren Entwickelungsfähigkeit ein- 
gebüsst; die 4 Monate alten Kulturen waren ausnahmslos abgestorben. — 
Unter den Desinfektionsmitteln genügt eine 5 Minuten dauernde Einwirkung 
einer Karbolsäure-Lösung von 3 °/o, um Rotzbacillen in dünner Schicht zu 
zerstören; eine Lösung von Kali hypermanganicum von 1 c /o leistet das¬ 
selbe nach 2 Minuten dauernder Einwirkung; sehr energisch wirkt eine 
Sublimatlösung von 1:5000. — Hitze von 55° G. tötet die Bacillen binnen 
10 Minuten. 

Die von der natürlichen Rotz-Ansteckung am meisten bedrohten Tiere 
sind das Pferd und der Esel. Die Zahl der Tierarten, bei welchen bisher 
eine natürliche oder künstliche Rotzansteckung beobachtet, bezw. versucht 
worden, ist nicht gering: es sind dies, ausser Pferd und Esel, das Rind, 
die Ziege, das Schaf, das Schwein, der Löwe, der Tiger, die Katze, der 
Bär, der Hund, der Prairiehund, die Maus, das Meerschweinchen, das Ka¬ 


ll Vgl. auch Flügge, Die Mikroorganismen. Zweite Aufl. 1886, 
S. 223. 


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ninchen. Näch einer von Krabbe ') aufgestellten Berechnung für den Zeit¬ 
raum von 1857—1873 kamen auf 100,000 Pferde jährlich in Norwegen 6, 
in Dänemark 8,5, in Grossbritannien 14, in Schweden 57, in Württem¬ 
berg 77, in Preussen 78, in Serbien 95, in Belgien 138 Rotzerkrankungen, 
in der französischen Armee 1130, in der algierischen Armee 1548 Rotzfälle. 

Zum Entscheid, ob eine bestimmte Erkrankung der Rotz sei, dient die 
mikroskopische und bakteriologische Untersuchung. Hat man Ausschei¬ 
dungen, welche an verschiedenen Bakterienarten reich sind, zu untersuchen, 
so verhilft oft die diagnostische Tierimpfung zum Resultat. Da Kaninchen 
und Feldmäuse hiebei leicht an septischer Infektion zu gründe gehen, 
so bleibt als handliche Tierart nur das Meerschweinchen; es empfehlen 
sich besonders männliche Tiere, da die Erkrankung der Hoden und Neben¬ 
hoden überaus charakteristisch für Rotz ist. 

Die Mehrzahl der Rotz- (Wurm-) Erkrankungen erfolgt wohl von 
kleinen Haut- oder Schleimhautwunden. Ob die natürliche Ansteckung 
auch vom Darmkanal aus erfolgen kann, ist zweifelhaft; von viel grösserer 
Bedeutung erscheint die Ansteckung durch die Luftwege, ln einer nicht 
geringen Zahl von Rotzfällen war nach Löffler die Lunge das allein er¬ 
griffene Organ oder zeigte diese die ältesten Veränderungen. — Von dem 
rotzkranken Muttertier können nach zuverlässigen Beobachtungen die Ba¬ 
cillen auf die Frucht übergehen, so dass diese an Rotz erkrankt. 

Neuere Untersuchungen über den Rotz führte u. A. Dr. D. Kranz¬ 
feld in Odessa aus *). Derselbe fertigte Deckglas-Präparate aus einem 
Rotzknoten eines an akutem Rotz gestorbenen Mannes, welche eine grosse 
Anzahl von Bacülen enthielten. Kleine Stückchen aus der Mitte des Kno¬ 
tens zwei Meerschweinchen unter die Bauchhaut gebracht, töteten eines 
derselben nach 14tägiger Krankheit (Geschwüre an der Impfstelle, Hoden¬ 
vereiterung, zahlreiche Knötchen in der Milz). Als vorzüglichen Nährboden 
fand Vf. die Glyzerin-Agar-Mischung von Nocard und Roux (Fleischwasser- 
Pepton-Agar mit 5—7 °/o Glyzerin), in welcher der Rotzbacillus sogar bei 
Zimmertemperatur wächst. 

Auch nach Kranzfeld bilden die Rotzbacillen keine Sporen. Nach 
Baumgarten*) dagegen gelingt es zuweilen zweifellos, die für Sporen¬ 
bildung als charakteristisch angesehene Doppelfärbung an den Rotzbacillen 
zu erzeugen. 

Nach Cad6ac und Malet erfolgt die Ansteckung bei natürlicher 
Rotz-Erkrankung nicht durch die Atemwege. Sie fanden die Ausatmungs¬ 
luft rotzkranker Pferde nicht ansteckungsfähig; auch Tiere, welche an 
Katarrhen der Atemwege litten, wurden durch die Ausatmungsluft rotz- 


1) Deutsche Ztschr. f. Tiermedizin, Bd. I. 

2) Zur Kenntniss des Rotzbacillus. Centralbl. f. Bakleriol. u. Para¬ 
sitenkunde. 1887, Bd. II, Nr. 10. 

3) Zur Frage der Sporenhildung bei den Rotzbacillen. Centralbl. f. Bak¬ 
teriologie 1888, Nr. 13. 


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kranker Pferde nicht angesteckt. In die Luft, welche über Rotzbacillen 
haltende Leichenteile oder solches Wasser strich, ging ein Ansteckungs¬ 
stoff nicht über. Dieselben Verff. fanden schon früher, dass das Rotzgift 
durch Elintrocknen seines Trägers sehr bald die Ansteckungskraft verliert; 
sie glauben daher auch nicht, dass Rotz durch Einatmung getrockneter 
Ausscheidungsstoffe übertragen wird. Selbst wenn Krankheitsmaterial in 
die Luftröhre direkt eingebracht wurde, entstand nur gelegentlich und zwar 
nur in der Luftröhre selbst, nicht in den Lungen, Rotz l 2 3 ). — Ob durch 
diese Versuche die Entstehung des Rotzes auf dem Wege der Elinatmung 
des Giftes durchaus widerlegt ist, bleibe dahingestellt. — — 

Schliesslich berichten wir nach dem „ Zehnten Jahresbericht der Königl. 
technischen Deputation für das Veterinärwesen über die Verbreitung an¬ 
steckender Tierkrankheiten in Preussen (1. April 1885 bis 31. März 1886)* *), 
dass in Preussen die Zahl der verseuchten Pferdebestände in den drei 
letzten Jahren fortdauernd abgenommen hat. Im ganzen erkrankten im 
Berichtsjahre an der Seuche 1083 Pferde; gefallen waren 55, auf polizei¬ 
liche Anordnung getötet 1050, auf Wunsch der Besitzer getötet 71. — 
Die Verzögerung oder Unterlassung der Anzeige bewirkte es hauptsächlich, 
dass die Rotz-Wurmkrankheit in einzelnen Beständen so bedeutende Ver¬ 
luste veranlasste und so häufige Verschleppungen zustande kamen. — Von 
den Provinzial-, bezw. Kommunalverbänden wurden für auf polizeiliche An¬ 
ordnung getötete Pferde über 240,000 M., von der Staatskasse über 53,000 M. 
den Besitzern vergütet. 


Über Schweinerotlauf (Stäbchenrotlauf der Schweine) berichteten 
wir im V. Jahrgang dieser Zeitschrift *). Diese auch wieder in neuerer 
Zeit in Deutschland (z. B. in Ostpreussen) stark verbreitete Krankheit fand 
schon längst die aufmerksame Beachtung wissenschaftlicher Tierärzte, deren 
Beiträge, wie Kitt angiebt, sorgfältig in dem Werke von F. Friedberger 
und E. Fröhner 4 ) zusammengestellt sind. In ätiologischer und patholo¬ 
gisch-anatomischer Hinsicht konnte der Begriff der Krankheit aber erst 
durch die bakteriologische Forschung sicher begründet werden. Diese be¬ 
gann in den Jahren 1882 und 1883 mit den Arbeiten von Pasteur und 
T hui Hier sowie von Dr. Löffler, welcher letztere den eigentlichen In¬ 
fektionserreger als eine feine Stäbchenart kennen lehrte. Es folgten die 
wichtigen Untersuchungen von Schütz und von Lydtin und Schotte- 


1) Etüde experimentale de la transmission de la morve par 
contagion mädiate ou par infection. Revue de m£dicine 1887, Mai, 
Nr. 5. Bericht in Fortschritte der Medizin, 1887, Bd. 5, Nr. 21. 

2) Archiv f. Tierheilkunde Bd. XII, Supplement. 

3) 1886, S. 97 ff. 

4) Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der Haustiere. Stutt¬ 
gart, 1887. 


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lius *). — Unter den neueren Arbeiten sind insbesondere zu nennen die 
von Cornevin*) und die von Th. Kitt*). Schon Löffler und Schätz 
sprachen sich dahin aus, dass die Schweinerotlauf-Stäbchen wesenseins mit 
den sog. Mäuseseptichämie-Bacillen wären. Der Bacillus murisep- 
ticus (Koch) ist zuerst von R. Koch beobachtet und findet sich anschei¬ 
nend in grosser Verbreitung, zumal häufig in Flüssigkeiten, welche zu faulen 
beginnen.* Aus letzteren kann diese Bacillenart meist gewonnen werden, 
wenn man eine grössere Anzahl von Mäusen mit geringen Mengen impft, 
worauf einige Tiere an einer allgemeinen Infektion, einer Septichämie zu 
sterben pflegen, welche durch diese feinen Bacillen hervorgerufen ist. Die 
Bacillen liegen im Blute vielfältig in farblosen Zellen, welche, wie es 
scheint, durch die ersteren zu gründe gehen. Sie lassen sich leicht in 
künstlichen, flüssigen und festen Nährböden züchten und verhalten sich 
auch hier ganz ähnlich wie die Rotlauf-Bacillen. Gewöhnliche (Haus- und 
weisse) Mäuse erkranken nach Übertragung der Bacillen leicht, dagegen 
sind die Feldmäuse unempfänglich. Die Summe der Ähnlichkeiten zwischen 
den Rotlauf-Bacillen und denen der sog. Mäuseseptichämie wird gesteigert 
durch den von Kitt erbrachten Nachweis, dass auch die Rotlauf-Bacillen 
zwar Haus- und weisse Mäuse, nicht aber Feldmäuse krank machen. Be¬ 
stätigt sich die starke saprophytische (in Faulflüssigkeiten statthabende) Ver¬ 
breitung der Rotlauf-Bacillen, so wäre dies begreiflicherweise für die Ätio¬ 
logie des Schweinerotlaufs sowie auch für die Begründung der Notwendig¬ 
keit einer Schutzimpfung der Schweine von grosser Wichtigkeit. 

Die Angabe von Pasteur, dass eine Fortzüchtung der Rotlauf- 
Bacillen im Kaninchenkörper die Giftkraft derselben abschwäche, konnte 
Kitt bestätigen. Dieser Forscher impfte mit dem für Schweine tötlichen 
Gifte Kaninchen, übertrug dann Reinkulturen, welche aus den geimpften 
Ohrmuscheln der Kaninchen gewonnen waren, auf Schweine und stellte 
fest, dass diese nicht nur nicht starben, sondern nunmehr selbst gegen die 
Verimpfung unabgeschwächten Rotlauf-Materials unempfänglich geworden 
waren. — Wurden die Bacillen von einem Kaninchen zu anderen Kanin¬ 
chen übertragen, so gelang es niemals, mehr als zwei nach einander krank 
zu machen; gewöhnlich versagte die Giftkraft der Bacillen schon bei der 
Übertragung auf das zweite Kaninchen. — Dagegen konnte Pasteur’s 
Angabe, dass die Bacillen durch Übertragung von Taube zu Taube an Gif¬ 
tigkeit gewännen, nicht bestätigt werden. 


1) S. dieses Centralbl. a. o. a. 0. 

2) Premiere ätude sur le rouget du porc. Paris, Asselin et Hou- 
zeau, 1885. 

3) Prof. Dr. Th. Kitt, Untersuchungen über den Stäbchen- 
Rotlauf der Schweine und dessen Schutzimpfung. Jahresbericht 
der bayr. C.-Tierarzneischule 1886, Supplementheft der Deutschen Ztschr. für 
Tiermedizin; sowie Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde, Bd. II, 
Nr. 23, S. 693. 


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In ferneren Versuchen zeigte Kitt, dass der Kot rotlaufkranker Tiere 
(Mäuse, Tauben, Schweine) stark ansteckend ist; auch der Kot von 
Schweinen, welche wirksamer Schutzimpfung unterzogen wurden, hat 
als Träger und Verschlepper der Ansteckung zu gelten. Im getrockneten 
Zustande verliert das Gift sehr bald die Ansteckungsfähigkeit. Durch Fäul¬ 
nis wird die Giftkraft nicht leicht zerstört. Fliegenmaden können Träger 
des Ansteckungsstoffes sein. — Unempfänglich für die Rotlauf-Bacillen sind 
nach den bisherigen Untersuchungen Meerschweinchen, Katzen, Pferde, 
Hunde. Maulesel, Esel, Schafe (?), Rinder (?), Hühner, Enten, Gänse, Feld- 
und Waldmäuse. 

Schliesslich sei erwähnt, dass in neuerer Zeit ein Unterschied zwischen 
dem Bacillus murisepticus und dem Bacillus des Schweinerotlaufs von 
v. Rozsahegyi gefunden wurde 1 ). Dieser Forscher führte Bakterien¬ 
züchtungen auf gefärbten Nährböden aus und fand, dass in Nährleim, 
welcher durch Methylenblau dunkel gefärbt war, die Bacillen der Mäuse- 
septichäraie in kräftiger, charakteristischer Kultur wuchsen, während eben 
darin die Bacillen des Schweinerotlaufs nur kümmerlich gediehen. 

Wolffberg. 

Anleitung zur Gesundheitspflege an Bord von Kauffahrteischiffen. Auf 

Veranlassung des Staatssekretärs des Innern bearbeitet im Kaiserlichen Ge¬ 
sundheitsamte. Berlin, Jul. Springer, 1888. 

Einem von Vertretern der Seeschifffahrt wiederholt ausgesprochenen 
Wunsche entsprechend, ist auf Geheiss des Reichsamtes des Innern im 
Kaiserlichen Gesundheitsamte die vorliegende Anleitung ausgearbeitet worden, 
welche im wesentlichen den früheren Marinestabsarzt, jetzigen Professor 
der Hygieine zu Jena, Dr. Gaertner zum Verfasser hat. Nach Verfügung 
der deutschen Bundesseestaaten soll diese Anleitung künftighin von dem 
Führer jedes Kauffahrteischiffes auf allen Seereisen mitgeführt werden und 
in den Navigationsschulen als Leitfaden beim Unterricht in der Gesund¬ 
heitspflege dienen. Dieselbe enthält in ihrem ersten Theile Rathschläge 
zur Gesundheitspflege, d. h. zur Verhütung von Krankheiten und deren 
Weiterverbreitung an Bord; — neben der Beschaffenheit von Schiff und 
Ladung werden dabei Kleidung, Wäsche und Hautpflege, Nahrungs- und 
Genussmittel in einer auch für das nicht seefahrende Laienpublikum lesens- 
werthen präcisen Form besprochen. Mit grösserer Ausführlichkeit gewährt 
dann der zweite Theil eine Anleitung zur Erkennung und ausserärztlicher 
Behandlung sowohl der wichtigsten inneren Krankheiten, einschliesslich 
der Vergiftungen, wie auch der Verletzungen und äusseren Leiden. Die 
schwierige Aufgabe eines solchen zusammenfassenden diagnostischen und 
therapeutischen Leitfadens für Nichtärzte ist von Gaertner mit grösstem 
Geschicke gelöst worden, und das um seines Zweckes willen auch sehr 

1) Prof. Dr. A. von R., Ober das Züchten von Bakterien in ge¬ 
färbter Nähr gelatine. Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. 
Bd. II, Nr. 14. 

Centralblatt f. allg. Ges^mftieiUpflege. VIII. Jahrg. 4 


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50 - 


billig angesetzte Buch ist allen Laien zu empfehlen, welche vermöge ein¬ 
samer Wohnungslage oder auf Reisen der Möglichkeit ausgesetzt sind, bei 
Verletzungen oder innerer Erkrankung sich ohne Arzt helfen zu müssen. 

Angehängt sind der vorstehenden Anleitung mehrere auf die Schiffs- 
hygieine bezügliche Verordnungen und Instructionen, unter welchen letzteren 
die „ Instruktion zur Desinfektion von Seeschiffen“ am meisten allgemeineres 
Interesse bietet. Nach derselben sind als Desinfektionsmittel zu verwenden 
nur Karbolsäurelösung (1 Theil gerein. Karbols, in 18 Theile Wasser 
gelöst), Sublimat (V* Kilogramm in 10 Liter Wasser gelöst), grüne 
Kaliseife und heisse Wasserdämpfe, insoweit geeignete Apparate 
zur Benutzung derselben zur Verfügung stehen. Als geeignet sind nur 
diejenigen Apparate zu erachten, in welchen ein. fortwährendes Durch¬ 
strömen von heissen Wasserdämpfen durch den Desinfektionsraum statt¬ 
findet und bei welchen die Temperatur der Wasserdämpfe im Desinfek¬ 
tionsraum überall mindestens 100° G. beträgt. Zur Desinfektion von inficirten 
Krankenräumen, Lagerstellen, Geräthschaften und dergleichen 
ist Karbolsäurelösung anzuwenden; Decken, Wände und Fussböden, 
Lagerstellen und Geräthschaften sind mit Lappen, welche mit Karbolsäure¬ 
lösung getränkt sind, gründlich abzuwaschen, nach einigen Stunden diese 
Abwaschung zu wiederholen, und nach weiteren 24 Stunden eine reichliche 
Wasserspülung vorzunehmen mit nachfolgender gründlicher Lüftung. Infizirte 
oder verdächtige Kleider etc. sind mittels 1 bis 2ständiger Durchströmung 
mit heissen Wasserdämpfen oder bei fehlenden Apparaten dazu 
mittels 48ständiger Einweichung in Karbolsäurelösung zu desinficiren. 
Soll sich die Desinfektion auch auf Personen erstrecken, so geschehe dies 
durch Abwaschung ihres ganzen Körpers mit grüner Seife mit nach¬ 
folgendem vollständigen Bade. Leichen sind bis zu der möglichst bald 
vorzunehmenden Bestattung in Tücher einzuhüllen, welche mit Karbol¬ 
säurelösung getränkt sind und mit solcher feucht gehalten werden. 

Die Desinfektion des Kiel ra ums mit seinemlnhalt geschieht durch 
Sublimat, wobei auf je 1000 Liter Bilgewasser etwa 1 Kilogramm Sub¬ 
limat zu rechnen ist. Dabei dient zur Prüfung, ob die Desinfektion aus¬ 
reichend erfolgt ist, folgendes Verfahren. Es werden von verschiedenen 
Stellen des Kielraums Proben des desinficirten Bilgewassers entnommen 
und in dieselben je ein Streifchen von Kupferblech, welches mit Schmirgel¬ 
papier blank geputzt ist, etwa zur Hälfte eingehängt. Falls die Desinfek¬ 
tion ausreichend war (und in Folge dessen noch Sublimat in Lösung ist), 
bildet sich binnen 2 Minuten auf dem Kupferblech, soweit es eingetaucht 
war, ein deutlicher grauer Belag (Amalgam), welcher sich leicht mit dem 
Finger abwischen lässt. Bildet sich dieser Belag nicht, so war die Desinfektion 
unzureichend und muss vervollständigt werden. Finkelnburg. 

Hermann von Meyer, Zur Schuhfrage, Zeitschrift für Hygiene 1887, III. Band, 

Seite 486. 

Die Schäden, welchen der menschlicheFuss in Folge der herkömm¬ 
lichen Schuhgestalt ausgesetzt ist, führt Verf., der zu den ersten Autoritäten 


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auf dem Gebiete der Skelet-Mechanik gehört, zurück auf unrichtige Gestalt 
sowohl der Sohle als des Oberleders. Insbesondere wird den Zehen, 
vorzugsweise der grossen Zehe, Raum für richtige Lagerung nicht gewährt. 
Sie wird oft soweit verdrängt, dass ihre Spitze die Spitze der Mittelzehe 
berührt, und daran ist Schuld der Sohlenschnitt sowie das flache Auslaufen des 
Oberleders nach vorn. Chronische Entzündungen des Nagelfalzes an der 
Aussenseite der Zehe, Einwachsen des Nagels, Verschiebungen der Zehen¬ 
knochen zur Kleinzehenseite hin und vom Mittelfuss ab, sodann Entzündungen 
derselben sind die Folgen. 

Nächst der grossen Zehe ladet am meisten die zweite Zehe. Sie 
wird verkrüppelt oder falsch gelagert, und zwar entweder über ihre Nach¬ 
baren, was die modischen kurzspitzigen Schuhe durch besonderes Hoch¬ 
halten des Oberleders möglichst erleichtern, oder sie flüchtet sich nach 
unten; ihr erstes Gelenk ragt dann als Höcker oben hervor und die Spitze 
ist zwischen den Mittelgliedern der ersten und dritten Zehe festgeklemmt. 

Jeder wird dem Verf. beistimmen, wenn er betont, nur die gewöhn¬ 
lichsten und einfachsten Formen der Verkrüppelung hiermit bezeichnet zu haben. 

Zur Abhülfe verlangt nun M., dass die grosse Zehe in die richtige 
Lage, d. h. mit ihrer Axe wenigstens in eine Linie gebracht werde, welche aus 
der Mitte der Ferse nach der Mitte des ersten* Mittelfussknochens gezogen und 
nach vorn fortgesetzt wird. Es bedarf dazu einer Sohle, deren Innenrand 
vom Gelenk zwischen grosser Zehe und Mittelfuss an der bezeichneten 
Linie gleichgerichtet ist, und eines Oberleders, welches in der ganzen Aus¬ 
dehnung von Fussrücken und grosser Zehe bis zu deren vorderstem Rande 
hin an dieser Seite am höchsten gehalten wird. 

Verf. hält es für angezeigt, den Schuhmachern und Leistenschneidern 
geeigneten Ortes die entsprechende Winke zu geben. Wird der eben ge¬ 
nannte Fehler allgemein vermieden, so ist dies bei den grossen Schwierigkeiten, 
mit denen die gemachten Vorschläge zu kämpfen haben, schon ein grosser 
Fortschritt. Weitere Verbesserungen mögen später folgen. 

Das langsame Fort schreiten, welches die Verbesserung der Schuh¬ 
gestalt aufweist, ist zum Theil dem Publikum zur Last zu legen. Die 
Meinung, ein Schuh von der verlangten Form sei nicht elegant, ist irrig. 
Verf. sah weisse Ballschuhe, die in obiger Weise gefertigt waren und fand 
sie d ur chaus eiegant. Der Gang ist dabei leichter, naturgemässer und nichts 
weniger als unschön. Schlechte Erfahrungen, die das Publikum mit dem 
als .neu, rationell, naturgemäss “ angepriesenen Schuh werk machte, beruhten 
fast nur darauf, dass es Schwindlern oder Unkundigen in die Finger gefallen war. 

Aber auch die Schuhmacher sind nicht freizusprechen. Um den 
Tadel zu vermeiden, der Schuh sei plump, krumm, können sie ihn vorn 
spitz machen, wenn sie nicht versäumen, ihn zugleich entsprechend zu 
verlängern. Deshalb empfiehlt es sich auch die vordere Randlinie in der 
JTeise schief abzuschneiden, dass sie senkrecht zut Mittellinie der Vordersohle 
steht und dabei mit den beiden Seitenlinien ungefähr gleiche Winkel bildet. 


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52 - 


Falsch ist es nach M’s. Anschauung die strengcorrecte Form überall 
anbringen zu wollen. Dies soll geschehen bei Kindern und bei solchen 
Erwachsenen, deren Füsse noch annähernd normale Gestalt aufweisen. Hat 
diese aber schon sehr gelitten, so empfiehlt sich die correcte Schuhform 
nur, wenn überhaupt noch Besserung möglich und eine Verschlimmerung durch 
die neue Form ausgeschlossen ist. Die Vorschriften gelten mithin innerhalb 
gewisser Grenzen. Ganz besonders ist dafür zu sorgen, dass nicht, wie 
gewöhnlich geschieht, bei stark abweichender grosser Zehe die Länge 
des Fusses durch die Entfernung des hinteren Fersenrandes von der Spitze 
der grossen Zehe bestimmt werde, sqndera dass der Schuh diejenige 
Länge erhält, die er haben müsste, wenn die grosse Zehe in normaler 
Lage sich befände. Ausserdem muss die grosse Zehe an ihrem freien 
Rande etwas Spielraum haben, um von innen her keinen Druck zu erleiden. 

Indem sodann der Schuhmacher in leichteren Fällen von Verkrüppelung 
versuchen kann, soweit möglich, aber nur allmählich, die normalen Ver¬ 
hältnisse wieder herzustellen, hat er zu vermeiden, dass der Kleinzehen- 
Rand des Fusses über den äusseren Sohlenrand hinausgedrängt wird und 
das Oberleder am Grosszehen-Rande unausgefüllt bleibt. Dieser Uebelstand 
entsteht, wenn das Letztere mit seiner höchsten Höhe in der Mittellinie 
des Fusses liegt und nicht, wie es sein soll, an dessen Innenrande. Schuld 
hieran trägt auch der Fersentheil der Leisten, vorzüglich aber der symme¬ 
trische Schnitt bes. an den käuflichen fertigen ganzen Schäften. 

Schliesslich bespricht M. die Beziehungen zwischen der herkömmlichen 
Gestalt der Schuhe und dem Plattfuss. Dieser kann einzig und allein 
durch erstere bedingt sein. In Zusammenhang damit steht auch das häufige 
Umkippen des Fusses und das Schieftreten der Absätze. 

Verf. empfiehlt die Fläche, auf welcher die Ferse ruht, so zu vertiefen, 
dass eine etwa 1 cm tiefe Grube entsteht. Die grösste Tiefe derselben 
muss etwas mehr nach innen, also excentrisch liegen, eine Anordnung, 
welche sich durchaus bewährt hat. 

Der Absatz sei nicht spitz, sondern breit, seine vordere Grenzlinie 
stehe senkrecht zur Richtungslinie. Flatten. 

Regimentsarzt Dr. Schaffer (Wien): Der Fussboden der Wohnungen und 
das Schuhwerk als hygienische Factoren. — Gesundheit. 1888. Nr. 8 
und 9. 

Während die mit Steinfliesen versehenen Fussböden der Wohnungen 
südlicher Länder, und bei uns die Parketböden der reicheren Bevölkerung, 
auch die gut gefugten mit hartem Lack oder Firniss überzogenen Fuss¬ 
böden in den Häusern des Mittelstandes, gesundheitlich keine oder geringe 
Bedenken bieten, so ist dies in hohem Grade der Fall bei den einfach ge¬ 
dielten Böden geringerer Miethshäuser, der Arbeiterwohnungen sowie der 
Massenquartiere. Hier zeigen sich bald durch das Eintrocknen der Fuss- 
bodenbretter breite Fugen zwischen den Dielen, während das Scheuern 
Wasser namentlich die Zwischendeckenfüllung stets feucht hält und zu 


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54 


nationsstellung) sich befindet, der entsprechend die Pultplatte in starker 
Neigung und starker negativer Distanz dem Auge des Schülers entgegen¬ 
gebracht werden muss. 

Die Lorenz’sche Schrift gipfelt in Vorschlägen in derselben Richtung 
und mit gleicher Begründung. 

Nachdem L. sich über die Mängel der Schulbänke älterer Zeiten und 
die Schreibhaltung der Kinder in denselben verbreitet hat, bezeichnet er den 
Inhalt der heutigen Schulbank-Frage, die im Wesentlichen eine Lehnen¬ 
frage ist, als folgenden: 

1 . Der hygienische Theil der Schulbank-Frage gipfelt in der For¬ 
derung, dass das Kind, welchem dauernde und anstrengende Muskel¬ 
leistungen nicht zuzumuthen sind, beim Schreiben sowohl als in 
den Schreibepausen mit ausgiebig gestütztem Rücken sitzen könne 
und dadurch vor Ermüdung geschützt sei. 

2. Der pädagogische Theil der Schulbank-Frage hat zur Grundlage 
die Thatsache, dass die Stützung des Rückens eine um so aus¬ 
giebigere ist, eine je grössere negative Distanz man dem Subsellium 
gibt. Je weiter aber die Bank unter den Tisch geschoben wird 
desto schwieriger wird selbstverständlich die technische Lösung des 
Problems, dass der Schüler in einer Bank, welche bezüglich der 
Rückenstützung den hygienischen Anforderungen entspricht, auch 
wenigstens annähernd bequem stehen könne. 

L. führt uns dann in anschaulicher Weise die wichtigsten neueren und 
neuesten Schulbanksysteme vor Augen, namentlich ihre Einrichtungen zur 
Dis tanz Verwandlung; die beweglichen Pulte scheinen ihm im All¬ 
gemeinen die Distanzverwandlung besser zu besorgen als die beweglichen 
Sitze. 

Was die Haltung der Kinder in den verschiedensten Schulbank¬ 
systemen betrifft, so hat L. durch Beobachtung in den Schulen gefunden, 
dass die Schüler in den modernen wie in den alten Subsellien gleich 
schlecht sitzen. Dies kommt hauptsächlich daher, dass die Kinder in 
den meisten modernen Schulbänken die Lehnen beim Schreiben ebenso 
wenig benutzen können als in den alten, in den alten Schulbänken sitzen 
aber die Kinder in den Schreib pausen durchweg besser als in den 
. neuen. Während in den alten Bänken die Kinder sich wenigstens in den 
Schreibpausen an eine hohe (breite), nach hinten geneigte Rückenlehne — 
sei es auch die Vorderwand der folgenden Bank — anlehnen und in guter 
Haltung ausruhen konnten, taugen die neueren Lehnensysteme (Kreuz¬ 
lehne, Lendenlehne) trotz ihrer „Wissenschaftlichkeit“ meistens nach 
keiner Richtung etwas. Als Ruhe lehnen für die Schreibpausen sind sie 
schlechter als die alten Lehnen, weil sie zu niedrig sind und dem Rücken 
keine ausgiebige Lehnfläche bieten, und für die Schreibhaltung, für welche 
sie bestimmt sind, taugen sie auch nicht, weil der Schüler sie beim 
Schreiben doch verlassen muss; damit letzteres nicht geschehe, müsstq 


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— 53 


einem modernden Pilzhaufen macht, der bei länger geschlossenen Fenstern 
schon durch den Geruch mehr wie bemerkbar wird. Zugleich dient die 
durch die Fugen zugängliche Zwischendeckenfüllung als Schlupfwinkel und 
Brutstätte für Ungeziefer aller Art, Fliegen, Schwaben, Wanzen, Flöhe u. s. w. 
Schaffer empfiehlt deshalb, gestützt auf erfolgreiche Versuche in öster¬ 
reichischen Regimentskasernen, die ausgedehnte Anwendung des Theers, 
zunächst zum Anstrich des Fussbodens (1 Kilo Theer auf 8—10 Quadrat¬ 
meter Bodenfläche jährlich zweimal erneuert). 

Bei'alten Böden sollen die fauligen Stellen ausgehoben und erneuert 
werden, die Fugen gedichtet, der Zwischenboden durch trockne sandige 
Erde, letztere auch mit phenylsaurem Kalk vermischt, neu gefüllt werden. 
Die Dielen sollen erst ausgetrocknet und dann beiderseits mit dem Theer- 
anstrich versehen werden. Bei neuen Böden können Dielen, die mit heissem 
Theer imprägnirt sind, verwendet werden. Endlich könne auch in Parterre- 
und Kellerwohnungen, namentlich durch Ueberlegen eines getheerten dichten 
Fussbodens auf die alten Dielen, eine wirksame Isolirscbicht erzielt werden. 
Der Theergeruch sei nur einige Tage unangenehm; in richtiger Weise auf¬ 
getragen, brauche der Fussboden nicht grade ganz schwarz zu werden, 
sondern erhalte mehr eine tief-gelb-braune Farbe, an die man sich leicht 
gewöhne. Ferner empfiehlt er einen leichten Theerüberzug, einer gewöhn¬ 
lichen Holzbeizung gleichend, für Möbel und hölzerne Haushaltungsgegen¬ 
stände; namentlich an den Rück- und Unterflächen, wo sich so leicht 
Schmutz und damit Ungeziefer ansammeln könne. Auch die Mauerflächen 
in Kellern lassen sich mit einem Theeranstrich zweckmässig behandeln; 
ja selbst die Rückflächen von Zimmerteppichen können ohne Schaden mit 
einem Anstrich von dickem Theer, der nicht so weit durchdringe, um die 
Farben des Teppichs zu zerstören, versehen werden. 

Im Anschluss daran kommt Schaffer auch auf die Hygiene der Fuss- 
bekleidung, die er schon früher in einem besondem Schriftchen behandelt, 
zu sprechen. Die Sohle des Schuhs imprägnire sich selbst auf getheerten 
Fussböden, und werde durch den aufgenommenen Theer viel dauerhafter. 
Er verlangt ferner, dass bei der Verfertigung des Schuhs kein Kleister mehr 
verwendet werde, welcher nur einen willkommenen Nährboden für Pilze 
abgebe, sondern dicker Theer oder weiches Schusterpech. Ebenso verwirft 
er syruphaltige leicht schimmelnde Glanzwichse. 

Die Vorschläge des Verf. sind namentlich für Massenquartiere und Ar-. 
beiterwohnungen recht beherzigenswerth und dazu auch leicht ausführbar. 

Schmidt-Bonn. 

Dr. A. Lorenz, Die heutige Schnlbank-Frage. Vorschläge zur Reform des 
hygienischen Schulsitzens. Mit 46 Holzschnitten. Wien, 1888. 

In Heft 4/5 des vorigen Jahrgangs dieser Zeitschrift machte ich die 
Leser bekannt mit dem Inhalte eines klinischen Vortrages des Berner 
Chirurgen Professor Dr. Kocher Ueber die Sc henk’sehe Schulbank, 
deren Wesen darin beruht, dass der Schüler auch beim Schreiben in einer 
gegen eine geneigte, hohe Rückenlehne hintenübergelehnten Haltung (Recli- 


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55 


die negative Distanz weit grösser sein als sie in der Regel — aus bereits an¬ 
gedeuteten Gründen (technische Schwierigkeit der Distanzverwandlung) — ist. 

Als einzig entsprechende Stützvorrichtung sieht L. gleich Schenk auch 
für die Schulbänke die geneigte hohe Rückenlehne an, nach der sich dann 
die Pultplatte in ihrer Stellung richten muss. „ Als der erste Versuch einer 
Lösung dieser Frage und als wirklich rationelle Schulbank ist das aus¬ 
gezeichnete Subsell von Dr. F. Schenk zu begrüssen, welches mit Recht 
und nach vollem Verdienst in Herrn Professor Kocher in Bern einen Lob¬ 
redner von hervorragendster Bedeutung gefunden hat. Vom hygienischen Stand¬ 
punkte nimmt diese Bank unter allen bis nun bekannt gewordenen Systemen 
nach unseren bisherigen Auseinandersetzungen den ersten Rang ein.“ 

L. hat nun die Constructeure verschiedener in Wien gebräuchlicher 
Schulbanksysteme veranlasst, ihre Modelle nach dem Princip der Recli- 
nationsstellung umzuarbeiten, und er fand bereitwilliges Entgegenkommen 
bei den Vertretern der Systeme: Wackenroder (Schiebesitz), Scheiber- 
Klein (Schiebepult und Schiebesitz), Küffel (Schiebepult) pnd Kretschmar 
(Schiebepult). 

Ich würde mit den Schenk-Lorenz’schen Vorschlägen völlig einver¬ 
standen sein, wenn ich mich bisher hätte überzeugen können, dass die 
Reclinationsstellung eine brauchbare Arbeitsstellung wäre. Dies 
ist mir einstweilen noch sehr zweifelhaft und ich erwarte in dieser Hinsicht 
die ja ohne allen Zweifel bekannt werdenden Resultate der praktischen 
Prüfung grösseren Umfangs. Die Hauptschwierigkeit liegt in der erforder¬ 
lichen grossen Steilheit der Pultplatte, von der Alles abwärts rutscht. 
Sowie man aber letzterem Uebelstande Rechnung trägt und die Pultplatte 
weniger geneigt macht, erfolgt nothwendig ein Senken des Kopfes und eine 
bedenkliche Kauerstellung. Auf den Lorenz’schen Holzschnitten ist die Ent¬ 
fernung der Augen der Schreibenden von der Schrift viel zu gross dar¬ 
gestellt: so kann kein Schüler auch nur kurze Zeit schreiben; er muss 
vielmehr den Kopf senken oder sich mit dem oberen Theile des Rückens 
von der Lehne entfernen. 

Ob sich diese fast überall mit Nothwendigkeit ergebenden Uebelstände, 
abgesehen von anderen, ökonomischen und pädagogischen Faktoren, nicht 
der Realisirung der Schenk-Lorenz’schen Vorschläge hindernd in den Weg 
stellen werden, muss die Zukunft lehren. Staffel (Wiesbaden). 


Verxeiehniss der bei der Redaktion eingegangenen neuen BQeher ete. 

Angerstein, E., Dr. med., Stabsarzt a. D. und Eckler, G., Oberlehrer. Haus- 
Gymnastik für Mädchen und Frauen. Eine Anleitung zu körperlichen Uebungen 
für Gesunde und Kranke des weiblichen Geschlechtes. Mit vielen Holzschnitten 
und einer Figurentafel. Berlin 1888. Verlag von Th. Chr. Enslin (Rieh. 
Schoetz), geb. Mk. 3. 

Billroth, Dr. Th., Wien, Die Krankenpflege im Hause und im Hospital. Ein Hand¬ 
buch für Familien und Krankenpflegerinnen. III. theilweise umgearbeitete Auflage. 
Mit kl Illustrationen auf 8 Tafeln. Wien 1889, Verlag von Carl Gerolds Sohn. 


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56 - 


Gesundheits-Kalender für Freunde der Naturheilkunde für das Jahr 1889. 
Berlin, Verlag von Wilh. Issleib (Gustav Schuhr). M. — ,60. 

Hirt, Dr. Ludwig o. ö. Professor an der Universität Breslau, System der Ge¬ 
sundheitspflege für die Universität und die ärztliche Praxis. IV. verbesserte 
und vermehrte Auflage. Mit 96 Illustrationen. Breslau 1889. Maruschke 
Sc Berendt, geheftet Mk. 5. 

Index-Catalogue of the libraryof the Surgeon-Generals Office. U. S. A. Authors 
and Subjects. Vol. IX. Medicine (Popular)-Nywelt. Washington Gouvernement 
Printing Office. 1888. (Dr. Flügel, Leipzig, Sidonienstrasse 39). 

Leuba, F., Die essbaren Schwämme und die giftigen Arten mit welchen die¬ 
selben verwechselt werden können. Nach der Natur gemalt und geschrieben. 
Lfg. 1. Basel, Verlag von H. Georg. 1888, }Jk. 2.40. 

Rapmund, Dr. 0., Regierungs« und Medicinalrath in Aurich. Das Reichs- 
Impfgesetz nebst Ausführungs-Bestimmungen. Zum Gebrauch für Verwaltungs¬ 
behörden, Medicinalbeamte, Aerzte und Impfärzte, zusammengestellt und er¬ 
läutert. Berlin N. W. 1889. Fischer’s medieinische Buchhandlung (H. Korn¬ 
feld) Mk. 2.50. 

Rubner, Dr., Max, o. ö. Professor der Hygiene an der Universität und Direk¬ 
tor des hygien. Instituts zu Marburg. Pr. H. Lehrbuch der Hygiene. Syste¬ 
matische Darstellung der Hygiene und ihrer wichtigsten Untersuchungs- 
Methoden. Zum Gebrauche für Studierende der Medicin, Physikats-Candidaten, 
Sanitätsbeamte, Aerzte, Verwaltungsbeamte. Mit über 200 Abbildungen. Neu¬ 
bearbeitung als III. Auflage des Lehrbuches der Hygiene von J. Nowak. 
Lieferung I. Leipzig und Wien, Franz Deuticke 1888. Vollständig in ca. 
10 Lieferungen ä Mk. 2. 

Sch äfer, E. A., Professorder Physiologie in London. Histologie für Studierende. 
Nach der II. englischen Auflage übersetzt von W. Krause, Professor in Göttingen. 
Leipzig. Verlag von Georg Thieme, 1889. Mk. 9. 

Schüler, Dr. F., Fabrikinspektor und Burckhardt, Dr. A. E., Docent für 
Hygiene in Basel, Untersuchungen über die Gesundheitsverhältnisse der Fa¬ 
brikbevölkerung in der Schweiz mit besonderer Berücksichtigung des Kranken¬ 
kassenwesens. Aarau, Verlag von H. R. Sauerländer. 1889. 


Gesundheit, Zeitschrift für öffentliche und private Hygieine. 1888. Nrn. 19/22. 
Deutsche Medicinal-Zeitung. Centralblatt für die Gesammt-Interessen der 
medicinischen Praxis. 1888. Nr. 86. 

Internationale klinische Rundschau. Centralblatt für die gesammte 
praktische Heilkunde, sowie für die Gesammt-Interessen des ärztlichen Standes. 
1888. Nr. 44. 

NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheitspflege* 
interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung an die Herren 
Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der beschränkte Raum dieser 
Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine Verpflichtung zur Besprechung 
oder Rücksendung nicht besprochener Werke wird in keinem Falle übernommen ; 
es muss in Fällen, wo aus besonderen Gründen keine Besprechung erfolgt, die 
Aufnahme des ausführlichen Titels, Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises 
an dieser Stelle den Herren Einsendern genügen. 

Die Verlagshandliing. 


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Bericht 

über die am 7. Juli 1888 in Düsseldorf stattgehabte 
General-Versammlung des Niederrheinischen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege 

von 

Dr. Lent in Köln. 


Der Vorsitzende Geheime Sanitäts-Rath Dr. Graf-Elberfeld er¬ 
öffnet die Sitzung mit einem Hinblick auf die schwere Zeit der 
letzten 100 Tage, in welcher wir 2 Kaiser zu Grabe getragen 
haben, die unser Stolz und unsere Hoffnung waren, deren Namen 
weit über unsere Zeit hinaus im Munde unseres Volkes und in den 
Annalen der Geschichte mit Liebe und Verehrung genannt sein 
werden. 

Es sei aber nicht hier der Platz auf die Einzelnheiten jener 
traurigen Ereignisse einzugehen; betonen aber wollen wir, dass 
auch der Niederrheinische Verein, der sich das Ziel gesteckt hat, 
auf der Grundlage freier Bürgerthätigkeit an bestimmten Aufgaben 
des Staates und der Gesellschaft mitzuwirken, gerpe dazu beitragen 
wird, dem zu entsprechen, was in den markigen Worten der 
Thronrede unseres jungen Kaisers Wilhelm, zu dem wir Alle hoff¬ 
nungsvoll emporsehen, aussprach: 

„Dass zur Pflege unserer inneren Wohlfahrt Er auf die ein¬ 
hellige Unterstützung aller treuen Anhänger des Reiches 
„zählen dürfe“. 

Sodann erhält derSecretair des Vereins, Sanitätsrath Dr. Le nt 
(Köln) das Wort zu folgendem Geschäftsbericht: 

Die Zahl der Mitglieder unseres Vereins ist seit dem vorigen 
Jahre um 50 gesunken, sie vertheilen sich auf die Regierungs¬ 
bezirke wie folgt: 

Centralblatt f. allg. ßeeundheiUpflega. VIII. Jahrg. 5 


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58 


Regierungsbezirk 

Mit¬ 

glieder 

Stadt¬ 

gemeinden 

Land¬ 

gemeinden 

Minden . 

35 

2 


Münster. 

50 

2 

— 

Arnsberg. 

306 

18 

8 

Düsseldorf. 

737 

33 

15 

Aachen. 

132 

10 

2 

Köln. 

432 1 

10 

3 

Goblenz... 

112 

7 

4 

Trier. 

39 

2 

— 

Cassel. 

20 

1 

— 

Wiesbaden. 

61 

1 

— 

Auswärtige. 

14 

— 

— 

1888... 

1938 

86 

32 

1887... 

1988 

86 

32 


In der Zusammensetzung des Vorstandes ist eine Aenderung 
nicht eingetreten; aus demselben scheiden in diesem Jahre aus die 
Herren: Becker, Boodstein, Grahn, Jäger, Keller, Lent. 

Das Centralblatt ist regelmässig erschienen und auch in 
letztem Jahrgange um 2 Bogen stärker als der Kontrakt mit dem 
Verleger vorgesehen hatte. 

Die Bibliothek hat, wie bisher auch in vorigem Jahre reich¬ 
lichen Zuwachs erfahren. 

Die chemisch - mikroskopische Untersuchungs - 
Station wird selten in Anspruch genommen. 

Auf dem 6. internationalen Congresse für Hygiene 
in Wien in vorigem Jahre ist unser Verein durch die Herren Geh. 
Regierungsrath Professor Dr. Finkelnburg und Stadtbaumeister 
Stübben vertreten gewesen. Die Berichte der beiden Herren sind 
im Centralblatt veröffentlicht. 

Im vorigen Jahre theilte ich Ihnen mit, dass der Herr Minister 
unsere Eingabe, betreffend die allgemeine Einführung der Fleisch¬ 
schau und die Festsetzung genauer Bestimmungen über die Be¬ 
handlung des Fleisches perlsüchtiger Thiere, unter dem 
8. Februar v. Js. abschlägig beschieden hätte, weil er die erstere 
für unausführbar, und die letztem durch die Verfügung vom 27. 
Juni 1885 für klar festgestellt erachtete. Trotzdem hat der Herr 
Minister aber am 15. September v. Js. eine Verfügung erlassen, 
betreffend die Beurtheilung der Geniessbarkeit des Fleisches perl¬ 
süchtiger Thiere, in welcher er die Verfügung vom 27. Juni 1885 
nicht für durchweg als zulänglich erklärt, und genaue Bestimmungen 
mittheilt, nach welchen dieses Fleisch beurtheilt werden soll. Fer¬ 
ner hat der Herr Reichskanzler unter dem 22. October 1887 eine 
Verfügung erlassen, durch welche er die Aufmerksamkeit auf die 
Ermittlungen über die Verbreitung der Perlsucht des Rindviehes 
leitet. Jene ministeriellen Verfügungen sowie das Rundschreiben 


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— 59 


des Herrn Reichskanzlers sind im Centralblatt unseres Vereins ver¬ 
öffentlicht. Nach diesen Verfügungen haben wir seitens des Ver¬ 
eins vor der Hand keine Veranlassung, diese Frage aufs Neue 
zum Gegenstände unserer Berathungen zu machen. 

Die Angelegenheit über die Ausschliessung gewerb¬ 
licher und industrieller Anlagen aus bestimmten Gebiets- 
theilen einer Gemeinde mit Beziehung auf den § 23 der deutschen 
Gewerbeordnung, welche wir bei dem Herrn Minister in Anregung 
gebracht hatten, über welche wir aber abschlägig beschieden wurden, 
ist von dem deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege 
wieder aufgenommen und wird auf der diesjährigen Versammlung 
dieses Vereins verhandelt werden. 

Der Vorstand Ihres Vereins hatte schon vor mehreren Jahren 
die Absicht, durch die Veröffentlichung geeigneter 
und kurz geschriebener Aufsätze zur Verbreitung 
wichtiger Kenntnisse, Anschauungen und Massregeln auf dem Ge¬ 
biete der Gesundheitspflege beizutragen. Neuerdings ist diese Frage 
wieder dadurch angeregt, dass von dem Herausgeber der Volks- 
schul-Lesebücher für einen rheinischen Regierungsbezirk der Wunsch 
nach derartigen Aufsätzen ausgesprochen wurde, um solche den 
Lesebüchern einzuverleiben. In der jüngsten Zeit hat auch der 
österreichische Unterrichtsminister eine Commission berufen, welche 
beschlossen hat, dass in das Volksschul-Lesebuch Lesestücke über 
die Grundsätze der Gesundheitslehre in einer für das kindliche 
Alter leicht fasslichen Form Aufnahme finden sollen. Die Auf¬ 
gabe — derartige Aufsätze populär und kurz zu schreiben — 
ist aber keine leichte, und so hat ihr Vorstand beschlossen, 
auf die Einlieferung solcher Aufsätze Preise auszusetzen. Es 
ist Seitens des Vorstandes eine Commission gewählt, welche die 
Grundsätze dieses Preisausschreibens festsetzen soll. Die preisge¬ 
krönten Arbeiten würden demnächst von dem Verein veröffentlicht 
werden, um in Volksschul-Lesebüchern überall Aufnahme finden 
zu können. Der Vorstand hofft im nächsten Jahre Ihnen über 
dieses Vorhaben ein gutes Resultat berichten zu können. 

Auf die heutige Tagesordnung glaubte der Vorstand die Be¬ 
handlung einer Frage setzen zu sollen, welche zur Zeit eine dring¬ 
liche genannt werden muss, da in vielen Bezirken die Staatsbe¬ 
hörden auf die Anschaffung von Desinfektionsöfen in den 
Gemeinden drängen. Da über die verschiedenen Systeme dieser 
Oefen viel gestritten wird und die Kosten der Anschaffung nicht 
unerheblich sind, so schien es dem Vorstande von grossem Nutzen, 
in unserer Versammlung über die verschiedenen Systeme einen 
Vortrag entgegenzunehmen, um damit eine klärende Diskussion 
einzuleiten. Wir haben uns daher erlaubt, unsere deutschen Fa¬ 
brikanten zu bitten, durch Zeichnungen, Modelle und persönliche 


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60 


Vertretung zur Klärung der Sache beizutragen und spreche ich 
den Herren, die unserem Ersuchen nachgekommen sind, schon jetzt 
unsern besten Dank aus. 

Meine Herren! Im Anfänge meines Berichts habe ich erwähnt, 
dass die Mitgliederzahl unseres Vereins um 50 gesunken ist. Dies 
sollte nicht sein, und bitte ich daher die Herren Geschäftsführer, 
bezw. Sie alle, dahin zu wirken, dass dieser Verlust bald wieder 
ausgeglichen werde. 

Die Rechnungs-Revisionskommission, bestehend aus den Herren: 
Geh. Commerzien-Rath von Heimendahl, Seyffardt und 
Dr. Schneider, haben das Kassabuch nebst Belägen pro 1887 
revidirt. Das von denselben ertheilte Revisions-Attest lautet: 

Die Rechnung pro 1887 des Niederrheinischen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege haben wir geprüft und 
richtig befunden 

Crefeld, den 19. Juni 1888. 

gez. von Heimendahl, Dr. med. Schneider, 
Seyffardt. 

Der Kassenbestand betrug nach dem Rechnungsabschluss des 


Jahres 1887 .M. 10988,54 

derjenige pro 1886 „ 9416,47 

mithin hat sich der Reservefonds im Jahre 1887 um M. 1572,07 
vermehrt. 

Nach dem in der Generalversammlung vom 23. October 1886 
genehmigten Etat war eine Einnahme von . . . M. 11000,— 

Zuschuss aus dem Reservefonds.„ 500,— 

in Summa . . M. 11500,— 

vorgesehen, die Einnahmen an Beiträgen etc. betrugen M. 11490,05 

verausgabt wurden.„ 9917,98 

mithin erspart obige . M. 1572,07 


Die Ausgaben auf die verschiedenen Titel vertheilt betrugen: 

a. Bibliothek .... nach dem Anschläge M. 1500,— 

verausgabt. . . . „ 878,13 

weniger M. 621,87 

b. Bureaukosten . . nach dem Anschläge M. 800,— 

verausgabt . . „ 685,— 

weniger M. 115,— 

c. Geschäftsunkosten . nach dem Anschläge M. 700,— 

verausgabt . . „ 424,57 

weniger M. 275,43 

d. Druck statistischer Formulare 

nach dem Anschläge M. 200,— 

verausgabt . . „ 74,40 

weniger M. 125,60 


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— 61 


e. Druck des Centralblattes 

nach dem Anschläge M. 8100,— 
verausgabt . . „ 7655,88 

weniger M. 444,12 

f. aussergewöhnliche Ausgaben 

nach dem Anschläge M. 200,— 
verausgabt . . „ 200,— 

„ balancirt 

Den Etat pro 1889 erlaube ich mir vorzuschlagen: 


I. Einnahmen: 

a. Beitrag etc.M. 10300,— 

b. Zuschuss aus dem Reservefon ds „ 400,— 

Summa M. 10700,— 
II. Ausgaben. 

a. Bibliothek .M. 1200,— 

b. Bureaukosten.„ 750,— 

c. Geschäftsunkosten.. 450,— 

d. Druck statistischer Formulare . „ 100,— 

e. Druck des Centralblatts . . . „ 8000,— 

f. aussergewöhnliche Ausgaben „ 200,— 

Summa M. 10700,— 


Hierauf wird die Decharge pro 1887 ertheilt und der Etat 
für das Jahr 1889 genehmigt. 

Die sechs ausscheidenden Mitglieder, die Herren Becker, 
Dr. Boodstein, Grahn, Jäger, Keller und Dr. Lent werden 
per Acclamation wiedergewähll. 

Ebenso wird die bisherige Cassen-Revisions-Commission, beste¬ 
hend aus dem Geheimen Commerzienrath von Heimendahl, 
Seyffardt und Dr. Schneider in Crefeld, wiedergewählt. 

Zweiter Gegenstand der Tagesordnung: 

Vortrag des Dr. Fleischhauer (Düsseldorf). 

Wenn ich Ihnen heute in einem kurzen Referat den jetzigen 
Stand der Lehre über die Desinfektion grösserer Ob¬ 
jekte in Desinfektions-Oefen vorzuführen übernehme, so 
muss ich um Entschuldigung bitten, wenn ich nicht Alles und Jedes 
berühre, was über Desinfektion im Allgemeinen gesagt und ge¬ 
schrieben worden ist. Zunächst muss ich von meinem Thema 
ausschliessen Alles, was sich auf Desinfektion durch chemische 
Mittel bezieht. Es soll uns heute nur beschäftigen die Desinfektion 
verunreinigter Objekte in grossen Desinfektions-Oefen und die Ein¬ 
richtung der verschiedenen Systeme, wie sie die Neuzeit, d. h. die 
letzten Jahre uns gebracht haben. Es soll uns ferner beschäftigen 
die Theorie über die physikalischen Vorgänge bei der Desinfektion 
in den gebräuchlichsten Desinfektions-Oefen, und würde es mir 


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— 62 — 


persönlich vor allen Dingen lieb sein, wenn sich von Seilen der 
betheiligten Firmen resp. deren Ingenieure oder sonst berufener Seite 
zum Schluss eine angeregte Diskussion entwickelte und so vielleicht 
noch Mancherlei zur Klarstellung der immerhin verwickelten Vor¬ 
gänge in den Desinfektions-Oefen beigebracht wurde. Zunächst 
muss ich bekennen, dass es mir ferne liegt, für irgend ein System 
speciell Partei zn nehmen. Die öffentliche Gesundheitspflege und 
speciell wir Aerzte müssen jedoch an einen guten Desinfektions- 
Apparat bestimmte Forderungen stellen, werden diese erfüllt, so 
ist derselbe brauchbar, mag nun das Ziel auf diesem oder jenem 
Wege erreicht werden; es kann sich dann nur um Fragen grösse¬ 
rer oder geringerer Zweckmässigkeit handeln, um die Zeit, in wel¬ 
cher der Zweck erreicht, um den Kostenpunkt, leichte Aufsteil¬ 
barkeit, Handhabung und dergleichen mehr. 

Sehen wir uns nun die Geschichte der Desinfektion durch 
Temperaturerhöhung an, so müssen wir sagen, dass auch hier, wie 
in so vielen Dingen, Professor R. Koch und seinen Mitarbeitern 
Wolffhügel, Gaffky und Loeffler das Hauptverdienst gebührt. 
Wohl so lange, als der Mensch überhaupt das Feuer gekannt hat, 
hat man auch gewusst, dass das Feuer alles unreine zerstöre und 
unschädlich mache. Auch heute noch ist das Feuer das energischste 
und sicherste Desinfektions-Mittel und uns zu wissenschaftlichen 
Zwecken absolut unentbehrlich. Eine ordentlich geglühte Platin¬ 
nadel ist absolut steril, desgleichen eine Glasplatte oder dergl. Uten¬ 
silien mehr. Grade die Ausbildung der klaren Erkenntniss bei den 
von R. Koch angegebenen Methoden wird für ewige Zeiten seinen 
Namen unvergesslich machen. Es gehörte vor allen Dingen der 
grosse Fortschritt in der Bakteriologie dazu, um überhaupt die 
Möglichkeit zu haben, verschiedene Wege zur Zerstörung pathogener 
Keime zu prüfen. Von grundlegender Wichtigkeit für die Desin¬ 
fektions-Frage wurde dann ferner der Hinweis Koch’s auf sporen¬ 
freie und Dauersporen tragende resistente Organismen, und war 
er der Erste, der verschiedene Desinfektions-Methoden von diesem 
Gesichtspunkte aus geprüft hat. 

Nachdem man früher, besonders in Zeiten verheerender Seuchen, 
einfach Alles verbrannt hatte, was mit ansteckenden Stoffen be¬ 
schmutzt worden war, so fing man später an, durch einfaches 
Ueberhitzen oder durch Erhitzen in heisser Luft Objecte zu des- 
inficiren. Ich erinnere in dieser Beziehung an das frühere so be¬ 
liebte Erhitzen der Bettfedern in Backöfen und dergl. mehr. Die 
meisten Krankenhäuser und Gefängnisse besassen oder besitzen 
zum Theil noch derartige Einrichtungen, wo man glaubt, durch 
heisse Luft genügend zu desinficiren. Hier und dort sind dann 
auch später Versuche mit Kochen, mit Ueberhitzen, mit Durch¬ 
leiten von Dampf gemacht worden, letzteres z. B. von dem leider 


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zu früh verstorbenen Mitglied des Vereins Dr. Fr. Sander, wie 
er in seiner 1875 erschienenen Broschüre: Ueber Geschichte, Sta¬ 
tistik, Bau und Einrichtungen von Krankenhäusern angiebt. Alle 
diese Untersuchungen und Versuche brachten aber keine Klarheit, 
da es an einer genügenden, wissenschaftlichen Untersuchungsmethode 
über die Wirksamkeit der angewandten Medien fehlte. Stellen wir 
nun, soweit wir heute sehen, die verschiedenen Möglichkeiten zu¬ 
sammen, Temperaturdifferenzen auf pathogene Stoffe oder auf da¬ 
mit beschmutzte Utensilien oder Effekten einwirken zu lassen, so 
bleibt uns ausser dem Verbrennen, was immer das Radikalste ist, 
als Erstes und zunächst Bestes das Glühen. Bei Stoffen, die 
unbeschadet der Gebrauchsfähigkeit dem Glühen unterworfen wer¬ 
den können, ist dies die sicherste Methode des Desinfizirens, be¬ 
greiflicherweise hat diese Methode ihren eng begrenzten Wirkungskreis. 

Demnächst kommt als wirksamstes Mittel die direkte Einwirkung 
der Siedehitze. Heisses Wasser tödtet bei direkter Einwirkung 
der Siedehitze Dauersporen in zwei Minuten. Wo wir die direkte 
Siedehitze, bei nicht zu grossen Objekten, anwenden können, ist 
diese Methode jedenfalls empfehlenswerth. Bei grossen Objekten 
z. B. in grossen Massen aufgehäuften Decken, Betten und dergl. 
kommen wir aber mit dem Sieden nicht aus, und für diese Fälle 
hat man heisse Luft oder W T asserdampf von 100 0 Celsius oder eine 
Combination beider oder gar die Ueberhitzung des Wasserdampfs 
angewandt. 

Sehen wir uns nun die verschiedenen Systeme, wie sie heute 
gebräuchlich sind an (begreiflicherweise kann ich hier nicht jede 
hergestellte Modifikation herzählen und beschreiben, sondern nur 
die gebräuchlichsten und hinlänglich geprüften Systeme erwähnen), 
so müssen wir unterscheiden zwischen solchen Apparaten 

1) Die nur heisse Luft verwenden, z. B. Raetke’scher Ap¬ 
parat. 

2) Solche, die nur strömenden Wasserdampf verwenden, alter 
Merke’scher und alter Henneberg’scher Apparat, Budenberg’- 
sclier Apparat. 

3) In solche die neben strömendem oder wenig bewegtem 
Wasserdampf noch trockene Hitze zum Erhitzen des Wasserdampfs 
benutzen. Schimmerscher Apparat, Bacon’s Apparat, W r alz 
& Windscheidt’scher sog. Düsseldorfer Apparat. Goede & 
Tilger’s Apparat. 

Um nun zunächst mit dem, mit den einfachsten Mitteln, nur 
mit heisser Luft arbeitenden Apparate, dem Raetke’schen anzu¬ 
fangen, so hat es sich herausgestellt, dass heisse Luft allein, selbst 
bei 140° Celsius absolut nicht im Stande ist, grössere Objekte zu 
durchdringen und zu desinficiren. Ich will Ihnen, meine Herren, 
hier nur einen Passus aus der sehr verdienstlichen Arbeit des 


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Herrn Prof. Max Wolff in Berlin: Ueber Desinfektion durch 
Temperaturerhöhung, Virch. Arch., B. 102. Pag. 93, vorlesen, der 
vollständig mit den früheren Untersuchungen von Koch & Wolff- 
hügel (s. Mitthl. aus dem kaiserl. Gesundheitsamte Bd. 1 S. 301) 
übereinstimmt. 

In den vorstehenden 7 Versuchsreihen ist die desinficirende 
Leistungsfähigkeit heisser Luft allein in 2 nach verschiedenen Er- 
wärmungsprincipien konstruirten Desinfektions-Apparaten geprüft 
worden. Als sporenfreie Versuchsobjekte hatten für diese Desin- 
fektions-Oefen gedient Micrococcus prodigiosus, Bacterium termo, 
Bacillus subtilis, Milzbrandbacillen von Thieren, die wenige Stun¬ 
den zuvor an Impfmilzbrand gestorben waren, sowie frische Hefe 
und Sarcine; als sporenhaltiges Material waren die resistenten Milz¬ 
brandsporen, an Seidenfaden angetrocknet, zur Verwendung ge¬ 
kommen. 

Das Resultat dieser Versuche war, dass die Vernichtung der 
sporenfreien Microorganismen gelungen ist durch eine zweistündige 
Einwirkung trockener Hitze von einer Temperatur zwischen 90 0 
C. bis 120° C. 

Das Versuchsergebniss aber mit den sporenhaltigen Microorga¬ 
nismen, von deren Vernichtung die Zulässigkeit einer Desinfektions- 
Methode für allgemeine praktische Zwecke besonders abhängt, ist 
sehr ungünstig ausgefallen. Zwar sind die sporenhaltigen Micro¬ 
organismen durch eine dreistündige Einwirkung trockener Hitze 
von annähernd 150° G. ja allerdings ebenfalls getödtet worden, 
aber das ist nur gelungen, wenn dieselben frei in dünnen Glas¬ 
kölbchen in den Ofen gebracht waren oder in einem Ohjekte von 
nur sehr mässiger Dicke verpackt waren. 

Sobald aber der Umfang der zu desinficirenden Gegenstände 
etwas grösser war, oder andere schwierigere Verhältnisse Vorlagen, 
d. h. die Gegenstände lose zusammengerollt, lose geschnürt oder 
durchfeuchtet in den Desinfektions-Apparat kommen, reichte die 
desinficirende Kraft heisser Luft von über 140° C. im Apparat nicht 
hin, selbst bei einer 4 1 /a stündigen Einwirkung, um die sporenhal¬ 
tigen Organismen im Innern der Objekte zu tödten.- 

Es wurden nunmehr an der Hand von grossen Zeichnungen 
und Modellen die verschiedenen gebräuchlichsten Desinfektions- 
Oefen genauer beschrieben und erläutert. Und zwar wurde be¬ 
schrieben der alte Merke’sche Apparat, der neue von Schim¬ 
mel & Cie. in Chemnitz nach Angabe von Merke konstruirte 
Apparat, beide nach grossen, genauen Zeichnungen. 

Ferner wurde beschrieben der alte Henneberg’sche Appa¬ 
rat und die neue, jetzt von Rietschel & Henneberg in Berlin 
konstruirte und gelieferte Modifikation; letztere nur nach Zeich¬ 
nungen, da leider durch ein Versäumniss der Spediteure ein voll- 


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ständiger Apparat in Dortmund auf der Bahn liegen geblieben war. 

Nach Zeichnungen erläutert wurde der von Goede & Til¬ 
ger in Barop-Dortmund konstruirte Apparat. 

Darauf hin wurde der von J. L. Bacon-Berlin gelieferte 
Apparat nach Zeichnungen und an einem Modell demonstrirt. Da¬ 
ran schloss sich die Beschreibung des Düsseldorfer von der Firma 
Walz & Windscheidt konstruirten und gelieferten Apparates 
nach grossen Zeichnungen. Gleichzeitig war der Düsseldorfer 
Apparat geheizt und war den Mitgliedern des Vereins die Gelegen¬ 
heit geboten, denselben in Thätigkeit zu sehen. Ebenfalls geheizt 
und in Thätigkeit war ein grosser transportabler Apparat, der von 
der Firma Budenberg in Dortmund liebenswürdigerweise nach 
Düsseldorf gebracht worden und zu einem Kontrolexperiment über¬ 
geben wurde. Auch dieser Apparat wurde an einem Modell und 
im Grossen gezeigt und beschrieben. 

Es wurden zum Vergleich der Wirksamkeit beider Apparate 
je 20 wollene Decken von derselben Qualität im Inneren mit einem 
Maximalthermometer beschickt und darauf fest gerollt. Das ganze 
Paquet wurde fest umschnürt und daraufhin eine Stunde und 20 
Minuten lang in das Innere der in Betrieb gesetzten Apparate ge¬ 
bracht. Nach Ablauf der genannten Zeit zeigte das Thermometer 
im Innern der in Budenberg’s Apparat gebrachten Wolldecken 
106° C., das im Düsseldorfer Apparat im Inneren der Decken ein¬ 
gerollte Thermometer 101 0 C. 

Darauf fuhr Vortragender in seinem Referate fort: 

Gehen wir jetzt an der Hand des Gesehenen zum inneren 
Geschehen beim Desinfektions-Verfahren über, so müssen wir sagen, 
dass, abgesehen von den feineren Veränderungen, die beim Ab¬ 
sterben der Microorganismen vielleicht vorhanden sein mögen, 
selbst bei den gröberen physikalischen Vorgängen noch sehr viel 
Unklares vorhanden ist. 

Heisse strömende Wasserdämpfe dringen langsamer in grössere 
Objekte ein, als man vermuthen sollte, und es konnte Koch bei 
grösseren Apparaten die Dampfhitze von 100 0 C. am Ausflussrohr 
nicht erreichen, wenn er nicht Salzlösungen verwandte. Bei Ver¬ 
suchen im Grossen ergaben sich nun, wie Mercke nachwies, ver¬ 
schiedene Nachtheile, wenn die Konstruktion, welche Koch zu 
seinen Versuchen gedient hatte, einfach in grösserem Maassstabe 
ausgeführt werden sollte. Die Hauptschwierigkeit bei der Kon¬ 
struktion würde darin liegen, wie Mercke hervorhebt: dass es 
bei jenen Apparaten ein Haupterforderniss ist, dass die dampf¬ 
entwickelnde Fläche gleich ist dem Querschnitt des zur Aufnahme 
der Effekten bestimmten Cylinders, da sonst die Dämpfe nicht 
koncentrirt genug sind und beim Eintritt in einen weiteren kühlen 
Raum nicht den nöthigen Hitzegrad behalten würden. Diese Er- 


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wägungen führten Mercke zu einer neuen Konstruktion, wie sie 
von Schimmel & Cie. in Chemnitz ausgeführt wird und welche 
ich Ihnen vorhin des Genaueren beschrieben habe, also die Me¬ 
thode, welche ausser strömendem Wasserdampf noch trockene 
Hitze, welche durch ein besonderes Rippensystem erzeugt wird, 
verwendet. Nur der alte, früher von Henneberg gelieferte Des¬ 
infektionsapparat schliesst sich in seiner Konstruktion den im 
Reichsgesundheitsamte benutzten Modellen genauer an, indem sich 
der Desinfektionsraum unmittelbar über dem offenen Verdampfungs¬ 
behälter befindet. Indess auch Henneberg sah sich gezwungen, 
zur Erreichung der konstanten Dampftemperatur von 100° C. und 
der Verhinderung der Kondensation der Dämpfe seinen Kessel mit 
inneren Rippen zu versehen, welche von dem oberen Flansch bis 
zum Boden hinabreichen, um noch vor der Dampfentwicklung die 
Luft und die Wandungen des Desinfektionsraumes auf 100° C. zu 
erwärmen. Diese Konstruktion ist nun, wie schon eben erwähnt, 
von Henneberg verlassen und erhitzt derselbe nunmehr den 
Dampf vor Eintritt in den Desinfektions-Raum durch Rippenheiz¬ 
körper. Fragen wir nun, was geschieht, wenn heisser, gespannter, 
strömender Dampf in einen viereckigen, mit zu desinficirenden 
Gegenständen beschickten Raum hineingeleitet wird und zwar von 
unten, wie ich im Gegensatz zu den von oben zuleitenden Appa¬ 
raten hervorheben muss. Zunächst glaube ich, müssen wir die 
Idee, dass die Objekte einfach durchströmt oder durchblasen werden, 
aufgeben. Gespannter Dampf verliert, sobald er aus einem engeren 
Rohr in einen weiteren Raum gelangt, zunächst sofort seine Spannung, 
vorausgesetzt, dass die Abzugsöffnung für den Dampf nicht kleiner 
ist als die Zuleitungsöffnung. Der Dampf sucht nun, da er leichter 
ist als die atmosphärische Luft, sofort den kürzesten Weg nach 
oben. Die Objekte werden nicht durchblasen, sondern es wird 
die kühlere Luft nach Massgabe ihrer Schwere nach unten sich 
senken und durch den leichteren Dampf ersetzt werden, dies wird 
erst ganz allmählich von aussen nach innen in den Objekten ge¬ 
schehen, daher die grosse Schwierigkeit im inneren von grossen 
Objekten mit einer Temperatur von 100 0 G. hineinzukommen. 
Diese Schwierigkeit wird noch vermehrt durch das in den Objekten 
sich bildende Kondenswasser. In den Objekten wird durch die 
darin befindliche kältere Luft der eindringende Dampf zu Wasser 
kondensirt, und nunmehr ist es sehr schwierig, eine höhere Tem¬ 
peratur in den Objekten zu erlangen, da Wasser ja nicht höher 
wie 100° C. erhitzt werden kann, d. h. ohne Druck. Herrscht 
in dem Apparat Druck, oder vielmehr genauer gesagt in dem Des¬ 
infektions-Raum irgendwie Druck, so ist es viel leichter, in die 
Objekte hinein zu gelangen, da Dampf unter Druck bedeutend 
wärmer wie 100° G. ist und er geradezu in die Objekte hinein- 


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gepresst wird and damit sich alle Vorgänge im Wesentlichen gleich, 
nur rascher abspielen. Es sei deshalb hier in Erinnerung gebracht, 
dass die Gewichte von Luft und Dampf bei gleicher Spannung mit 
der Temperaturabnahme zunehmen und umgekehrt, dass ferner 
1 cm Luft von 20° C. 1,2053 kg 

1 „ „ „ 100° C. 0,9467 „ 

1 „ Dampf „ 100° C. 0,5896 „ 

wiegt. Diese Erwägungen waren es, welche die Herren Walz & 
Windscheidt beim Düsseldorfer Apparat dazu führten, den Dampf 
oben einzuleiten, unten einen grossen Abzugskanal zum Entweichen 
der Luft anzubringen und den den Apparat füllenden Dampf an 
Rippenheizkörpern zu erwärmen. Da in dem Apparat nur der 
atmosphärische Druck vorhanden sein kann, wird der Dampf immer 
leichter und dünner, während andererseits die Differenz der Tem¬ 
peratur im Raum und der Innentemperatur in den zu desinficiren- 
den Gegenständen auf die grösste zulässige Höhe gebracht werden 
kann. Die Gewichtsdifferenz zwischen dem Dampf im Raum und 
der in den Gegenständen enthaltenen Luft ist deshalb die grösst- 
möglichste. Die Luft muss deshalb aus permeablen Gegenständen 
herausfallen und wird durch Dampf ersetzt. Diese Verhältnisse 
erklären es auch, warum mit heisser Luft allein so sehr schwer 
in grössere Objekte hinein zu gelangen ist. Die Gewichtsdifferenzen 
zwischen heisser und kalter Luft sind eben zu gering, deshalb fällt 
die kalte Luft nicht aus den Objekten und wird durch warme er¬ 
setzt, sondern es gleicht sich nur sehr langsam die Temperatur in 
den Ojekten mit dem umgebenden Medium aus. Dem Düsseldorfer 
Apparat am nächsten stehend ist der von Bacon in Berlin kon- 
struirte und gelieferte Apparat, auch er besitzt Rippenheizkörper, 
durch welche der unten zugeleitete Dampf direkt erhitzt wird. 

In neuester Zeit wurden von Prof. Dr. Grub er in Wien un¬ 
abhängig von dem Ingenieur Walz dieselben Grundsätze ausge¬ 
sprochen. Auch er macht auf die Gewichtsdifferenzen aufmerksam 
und empfiehlt den Dampf oben einzuleiten. Auch Budenberg 
leitet bei seiner Konstruktion schon seit langer Zeit den Dampf oben 
ein und hat eine besondere Oeffnung unten am Apparat zum Ent¬ 
weichen der aus den Objekten verdrängten kalten Luft. Dies, meine 
Herren, ist es, was ich Ihnen heute vortragen wollte. Ich bin mir 
wohl bewusst, dass ich manche Fragen und Einzelheiten nicht be¬ 
rührt habe, es war dies auch nicht meine Absicht, ich wollte 
vielmehr durch mein Referat, welches ich nur als Einleitung zu 
betrachten bitte, eine recht angeregte Diskussion hervorrufen und 
hoffe, dass dieselbe der ganzen Sache forderlich sein möge. 

Der Vorsitzende Dr. Graf hält es für erwünscht, wenn die 
Besichtigung des auf dem Kirchhofe aufgestellten und in Betrieb 
gesetzten Apparats erst nach der Diskussion stattfinde. Der von 


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der Firma Budenberg in Dortmund zur Ansicht hergeschickte, 
hier im Tonhallengarten aufgestellte und in Betrieb gesetzte Des¬ 
infektions-Ofen kann besichtigt werden. Damit indess die Diskus¬ 
sion nicht aufgehalten werde, erscheine es erwünscht, wenn einer 
der anwesenden Herren sich bereit finden liesse, die Resultate des 
Budenberg’schen Ofens inzwischen festzustellen. Herr Apotheker 
Rehe (Köln) war dieser Aufforderung bereitwilligst gefolgt und 
konstatirte, dass der hier im Tonhallengarten aufgestellte Buden- 
berg’sche Apparat, der mit einer Zahl von wollenen Decken be¬ 
schickt, thatsächlich innerhalb der bestimmten Frist eine Tempera¬ 
turhöhe von 106° C. erreicht habe. Herr Rehe übernahm es 
ferner, das Resultat der Arbeit des Wa 1 z’schen Ofens im Leichen¬ 
hause einzuholen. Dasselbe nach Schluss der Sitzung eingegangen 
lautet: 

Infolge der von der Firma Walz & Wind scheidt ge¬ 
troffenen Einrichtung, die Beschickung des Desinfektors fast 
zur selben Zeit vorzunehmen, wie dieses seitens der Firma 
Budenberg geschehen ist, hatte die Entleerung des letz¬ 
teren bei meiner Ankunft bereits stattgefunden. Herr Wind¬ 
scheidt hatte den Temperaturgrad in Gegenwart eines 
städtischen Angestellten festgestellt und zeigten die in die 
Deckenrollen eingelegten Thermometer 100,5 resp. 101° C. 

Düsseldorf, 7. Juli 1888. T ttt . 

J. W. Rehe. 

Die Diskussion wird eröffnet, es erhält das Wort: 

Hartmann (Kreuznach). Dieser bemerkte, dass wir vom 
Vortragenden das Thema genügend erörtert gehört haben, es wäre 
aber auch erwünscht, das „Warum“ zu hören; wir haben mit 
einem vegetabilen und animalen Leben zu rechnen; animalische 
Leben werden auch mit 100° C. zerstört, vegetabilische dagegen 
werden nicht von ihrer Lebensfähigkeit befreit, am allerwenigsten, 
wenn sie im trockenen Raume bei 100° behandelt werden; die 
Stärkezellen werden bei 100° nicht zerstört. Die Methode mit 
Wasserdampf ist daher die einzig richtige und auch wohl sicher 
im Stande, die Stärkekörper zum Platzen zu bringen; auch greller 
Temperaturwechsel, wie Gefrieren und Wiedererhitzen, müsse sich 
wirksam auf die Vernichtung der Leben zeigen. 

Walz (Düsseldorf) stellt die Behauptung auf, dass cs Gewichts¬ 
differenzen zwischen dem Dampfe und der in den Objekten ein¬ 
geschlossenen Luft seien, welche den Desinfektions-Process bewerk¬ 
stelligen resp. das Eindringen des Dampfes ermöglichen. Das 
Richtige sei, diese Differenz nach Möglichkeit zu vergrössern. Man 
möge absehen von allen Details und bei den verschiedenen Appa¬ 
raten zwei Hauptkonstruktionen unterscheiden. Bei den meisten 
Apparaten werde die grössere Gewichtsdifferenz dadurch erzielt, 


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dass man den Dampf überhitze und dadurch specifisch leichter 
mache. Die andere Art der Konstruktionen heize dagegen das 
Innere nicht, sondern stelle einen Dampfüberdruck in dem Desin¬ 
fektions-Raum her. Dadurch werde die Luft in den Objekten auf 
ein kleineres Volumen zusammengedrückt und relativ specifisch 
schwerer gemacht. Dieselbe könne deshalb die ihr entgegenwirkenden 
Reibungswiderstände leichter überwinden und aus den Objekten 
herausfallen. 

Diese Konstruktion führe bei grösseren Apparaten zu mancher¬ 
lei Uebelständen und sei nicht ungefährlich, umsomehr, als die 
Wandstärken der Apparate meist zu dünn seien. Thatsächlich 
seien solche Apparate zum Theil nur mit 1 mm Wandstärke herge¬ 
stellt worden. 

Grössere Apparate aber habe man nöthig, um ganze Betten 
einbringen zu können. 

Der Apparat der Stadt Düsseldorf, hergestellt von der Firma 
Walz & Windscheidt, arbeite nicht mit Dampfüberdruck, son¬ 
dern erziele die grössere Gewichtsdifferenz dadurch, dass man das 
Innere des Apparates heize, es sei daher das Oeffnen und Schliessen 
derThüren sehr leicht zu bewerkstelligen. Wollte man in diesem 
Apparat einen Ueberdruck herstellen, so müsste man für den 
Apparat statt des rechteckigen einen runden Querschnitt wählen, 
und dieser müsste in diesem Falle zwei Meter im Durchmesser 
haben. Dadurch würde man aber den Apparat unhandlich machen, 
da alsdann die Thüren schwer dicht zu halten seien, während man 
bei Epidemien an einen Apparat den Anspruch erheben müsse, 
dass er schnell arbeite. 

Henneberg (Berlin). Wenn es ihm vergönnt ist, als Gast 
das Wort zu nehmen, so hat er zunächst um Entschuldigung zu 
bitten, dass es eben nur bei dem Wort bleiben muss und er nicht 
in der Lage ist, auch seinerseits einen Apparat seines Systems im 
Betriebe vorzuführen. Ein solcher ist rechtzeitig von Berlin aus 
abgesandt worden, aber durch ein bedauerliches Versehen der 
Speditionsfirma auf einer Zwischenstation liegen geblieben. 

Nach seiner Auffassung müsste man als Ingenieur in Fragen, 
wie der vorliegenden, die Resultate wissenschaftlicher Forschungen 
und die daraus abgeleiteten Grundsätze gläubig anerkennen und 
habe seine Aufgabe lediglich darin zu erblicken, diese Ergebnisse 
bezw. Forderungen der Wissenschaft für den praktischen Gebrauch 
nutzbar zu machen. 

Demnach gelte ihm in Bezug auf die Frage der Desinfektion 
von Kleidern, Betten etc. als oberster und unumstösslicher Lehrsatz, 
dass strömender Wasserdampf von 100° C. das beste, weil am 
sichersten wirkende Entseuchungsmittel sei. Mit diesem Mittel 
müsse nun gearbeitet werden, auf seine vortheilhafteste Erzeugung 


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und Verwendung hätten sich alle einschlägigen Konstruktionen zu 
beziehen. 

Dabei sei Folgendes zu berücksichtigen. Die hohe Tempera¬ 
tur des Dampfes allein bedinge keineswegs die beabsichtigte Wirkung, 
sondern in eben so hohem Masse die gleichzeitig stattfindende 
Durchfeuchtung der Objekte, sonst wäre ja die Desinfektion mit 
heisser Luft ungleich einfacher. Es sei eine nicht zu bezweifelnde 
Thatsache, dass selbst die winzigsten Mikroorganismen mit einer 
für trockene Hitze wenig empfindlichen Haut versehen seien, welche 
das Eindringen der Dampftemperatur in das Innere erschwere oder 
verhindere, so lange sie nicht mittelst Durchfeuchtung zu einem 
guten Wärmeleiter gemacht sei. 

Aus dieser Erkenntniss entstand der allbekannte Koch’sehe 
Versuchsapparat. 

Für die Anwendung im Grossen sind dann aber noch andere 
Gesichtspunkte maassgebend geblieben. 

Die Betriebskosten sollen in mässigen, jedenfalls rationellen 
Grenzen gehalten werden. Auch ist es Aufgabe des Ingenieurs, 
den Apparat so billig und einfach, wie möglich, zu machen, billig, 
um die Anschaffung überall im Interesse der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege zu erleichtern, einfach, weil der Apparat meist solchen 
Leuten zur Bedienung anvertraut werden muss, welche die Ein¬ 
richtung desselben nicht zu beurtheilen vermögen. Endlich — und 
auch diese Bedingung ist wichtig — muss der Apparat die Eigen¬ 
schaft besitzen, die Desinfektionsobjekte möglichst zu konserviren, 
keinesfalls zu verderben. 

Der erste, wie er (Redner) annehme, bekannte Apparat, welchen 
seine Firma baute, war in Gylinderform konstruirt und genügte 
den geschilderten Anforderungen vollkommen. Nur zwei Missstände 
machten sich geltend: die oft zu hohe Durchfeuchtung der Objekte, 
welche eine Nachtrocknung erforderlich machte, und die schwierige 
Hantierung, sobald es sich um Apparate grösseren Umfangs handelte. 

Es wurde auf Abhülfe gesonnen und solche auch geschaffen. 
Die Cylinderform wurde verlassen und zur rechteckigen Kasten¬ 
form übergegangen, wodurch selbst die grössten Apparate für 
ganze Betten etc. leicht bedienbar gemacht wurden. Der Ueber- 
mässigen Durchfeuchtung wurde durch Ueberhitzung des Dampfes 
entgegengetreten und der beabsichtigte Zweck vollkommen erreicht. 

Allerdings musste in letzterer Beziehung den Ergebnissen der 
neuesten Forschungen desDr. von Esmarch Rechnung getragen 
werden, wonach überhitzter Dampf, wenn er unmittelbar auf die 
pathogenen Körper einwirkt, nur eine beschränkte desinficirende 
Wirkung äussert und jedenfalls dem nassen Dampf nachsteht. 
Man kam sonach zu einer Eintheilung des Desinfektions-Prozesses 
in folgende Perioden: 


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1) Periode der Anwärmung und Kondensation (letztere gleich¬ 
bedeutend mit Durchfeuchtung). 

2) Periode der Ueberhitzung und eigentlichen Desinfektion 
(Einwirkung des hocherwärmten Dampfes auf die durchfeuchteten 
Objekte). 

3) Periode der Nachtrocknung (Verdampfung des Durchfeuch¬ 
tungswassers bei fortgesetzter Anwendung mässig überhitzten 
Dampfes). 

4) Periode der Ventilation (Entfernung des den Desinfektions- 
Raum erfüllenden Dampfes mittelst Zuführung von vorgewärmter Luft). 

Nach Massgabe dieser Gliederung des Prozesses arbeitet der 
neue Henneberg’sehe Desinfektor und darf somit als ein den 
Anforderungen der Wissenschaft genügender Apparat bezeichnet 
werden. 

Dem Redner liegt es durchaus fern, an diese, seine eigene 
Konstruktion betreffende Behauptung irgend welche Kritik anderer 
Apparate anzuschliessen. Er glaube klar genug auseinandergesetzt 
zu haben, nach welchen Gesichtspunkten alle Apparate beurtheilt 
werden müssen, und wer immer in die Lage komme, einen Desin¬ 
fektions-Apparat anzuschaffen, sei es welchen Systems es wolle, 
werde unschwer entscheiden können, wie derselbe beschaffen sein 
müsse, um das zu leisten, was gefordert werde. 

Er möchte zum Schluss noch eine Frage berühren, welche 
bislang in den Verhandlungen des Vereins unerörtert geblieben sei. 
Es sei bekannt, dass bereits eine namhafte Anzahl von Städten 
Desinfektions-Anstalten für den öffentlichen Gebrauch eingerichtet 
hätten, und es sei anzunehmen, dass überall, wie in Berlin, für 
einen sachgemässen Hin- und Rücktransport der Objekte gesorgt 
sei. Es sei aber fraglich, ob gerade dieser Transport sich überall 
ohne Gefahr und ohne allzuhohe Kosten werde bewerkstelligen lassen, 
und er glaube nichts Unnützes gethan, bezw. für manche Fälle 
ein Auskunftsmittel geschaffen zu haben, indem er auch einen fahr¬ 
baren Desinfektor konstruirte. Derselbe entspricht in Form und 
Einrichtung genau dem stationären Apparat, kann aber, da er nur 
ungefähr 45 Ctr. wiegt und ein kompletes Wagengestell mit 4 Rädern 
besitzt, mit Leichtigkeit von Ort zu Ort transportirt werden. Man 
kann also unter Umständen den Krankheitsheerd aufsuchen, anstatt 
die inficirten Gegenstände von dort nach der Desinfektions-Anstalt 
zu bringen. 

Walz (Düsseldorf) schliesst sich im Allgemeinen den Ausfüh¬ 
rungen des Vorredners an und meint, es komme sehr darauf an, 
wie man den Dampf überhitze. Es sei etwas ganz anderes, ob 
man den Dampf ausserhalb des Apparates überhitze und ihn diesem 
überhitzt zuleitete, oder ob man den Dampf in dem Apparat selbst 
überhitze. 


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72 — 


Letzteres sei u. A. auch in dem Apparat der Stadt Düsseldorf 
der Fall. Man müsse dort stets vor dem Einbringen der Objekte 
die Thören öffnen; dadurch werde die heisse Luft aus den Appa¬ 
rate entfernt und durch kältere ersetzt; auch die Objekte kämen 
mit der gewöhnlichen Temperatur der Aussenluft in dem Apparat. 
Da ferner der Dampf nur mit 100° C. in den Apparat eintritt, 
so müsse ganz unfehlbar auch eine Benetzung der äusseren Ob¬ 
jekte statthaben. Die Ueberhitzung des Dampfes ginge erst in der 
Folge des Desinfektions-Processes vor sich; es sei daher ganz un¬ 
möglich, dass Bakterien nicht von der Feuchtigkeit getroffen wer¬ 
den und unsterilisirt den Apparat verlassen könnten. 

Dem Strömen des Dampfes in den Apparaten könne er keiner¬ 
lei Gewicht beilegen. 

Dr. Fleischhauer (Düsseldorf). Durch den Apparat, der in 
Düsseldorf in Gebrauch ist, werden alle Bacillen getödtet; es seien 
verschiedene Versuche gemacht mit mancherlei Gegenständen und 
kein Stück sei ohne Tödtung der Infektionskeime geblieben; die 
Desinfektion über 150 °G. könne nicht empfohlen werden, es müsse 
das Gewebe bei dieser Temperatur geschädigt werden. 

Dr. Graf (Elberfeld) fragt, ob die Erwiderung des Herrn 
Walz sich auf den Budenberg’sehen Apparat bezöge? Ob 
etwa die Gefahr, die durch den Apparat entstehen könne, auf die 
Rostung der Wandungen zurückzuführen sein würde. 

Budenberg (Dortmund) verneint diese Frage. 

Walz (Düsseldorf) hält an der Ansicht fest, dass 1 min Wand¬ 
stärke unzureichend und für die Sicherheit nicht hinlänglich sei. 

Budenberg (Dortmund) betont, dass sein Apparat in Dort¬ 
mund bereits 2 Jahre funktionire, und es könne bis heute nicht die 
Befürchtung Platz greifen, dass durch irgendwelche Einwirkung die 
Widerstandsfähigkeit der Wände geschwächt und eine Gefahr für 
die Sicherheit vorhanden sei. 

Walz (Düsseldorf) gibt zu, dass ein Apparat in dieser Wand¬ 
stärke bei öfterem Gebrauch länger halten könne, längeres Un¬ 
benutztlassen werde aber in Folge Rostung die Wände schwächen; 
es könne diese Wandstärke aber auch aus dem Grunde nicht 
empfohlen werden, weil der Apparat meist einem Wärter anvertraut 
werden müsse, welcher mit der richtigsten Bedienung nicht ver¬ 
traut ist, und auch dieser Umstand schon lasse es räthlich erscheinen, 
stärkere Wände zu wählen. 

Quedenfeld (Duisburg) ist der Ansicht, dass die Diskussion 
über die Konstruktion des Apparates über den Zweck der heutigen 
Versammlung hinausgehe; es wäre das wohl technische Sache, 
etwaige Unvollkommenheiten einzelner Apparate abzustellen. Die 
Erfahrungen über den Werth dieses oder jenes Systems werden 
sich auch erst später sammeln lassen. In Duisburg habe man einen 


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— 73 


Budenberg’schen Apparat, der, soweit er bis jetzt benutzt 
worden sei, gut funktionire und als brauchbar bezeichnet 
werden könne. Einen transportabeln Apparat halte er überhaupt 
für unzweckroässig, unsicher und bedenklich, da man das kompli- 
cirte Werk zur Wegschaffung und Bedienung nichtgeübten Händen 
anvertrauen müsse, dann auch der Transport durch die Strassen 
für die Bevölkerung als etwas beunruhigendes und belästigendes 
bezeichnet werden müsse. 

Dr Lent (Köln) hält diese Frage doch für wichtig genug, um 
sie in heutiger Versammlung zu besprechen. 

Wilhelm (Essen) theilte mit, dass Essen einen Apparat von 
Göbe & Zilger habe, der auch sehr einfach und explosionssicher 
erscheine; innerhalb einer Viertelstunde werden 101° G. in einge¬ 
wickelten und in freien Gegenständen in derselben Zeit 125 0 C. 
erzeugt. 

Quedenfeld (Duisburg) glaubt an seiner Ansicht festhalten 
zu sollen, dass die Konstruktion mit der Wandfläche nichts zu 
thun habe und dies immer technische Sache bleiben müsse. 

Henneberg (Berlin) bemerkte noch hinsichtlich der für 
Dampfdesinfektions-Apparate geltenden Vorsichtsmassregeln, dass 
bis jetzt nur die Dampfentwickler als solche der gesetzlichen Kon- 
ccssion und Revision unterworfen seien, es stehe aber in bestimm¬ 
ter Aussicht und es schwebten bei den Behörden zur Zeit Ver¬ 
handlungen darüber, dass überhaupt alle mit Dampf arbeitenden 
Apparate, welche eine Gefahr des Platzens in sich bergen könnten, 
einer gewissen staatlichen Aufsicht zu unterwerfen seien. 

Da nach seiner Ansicht man auf dem bisher beschrittenen 
Wege zu einem Resultat darüber nicht kommen werde, welcher 
der verschiedenen Desinfektions-Apparate wohl der beste sei, so 
schiene ihm der Vorschlag, den er hiermit ausspreche, der Erwägung 
wohl werth, es mögen verschiedene Firmen Apparate von gleichen 
Dimensionen resp. von gleicher Kapacität an einem von dem Verein 
zu bezeichnenden Ort aufstellen und unter gleichen Verordnungen 
in Thätigkeit setzen. Dann erst würde sich vielleicht ein Urtheil 
fällen lassen, ob einer dem andern vorzuziehen und welcher unter 
allen Umständen der beste sei. 

Auf eine Anfrage, ob Holzsachen, z. B. Bettstellen durch Des¬ 
infektion verdorben würden und auseinander fallen, bemerkt Henne¬ 
berg, dass naturgemäss geleimte Sachen insofern Schaden nehmen 
müssten, als die Leimfugen in Folge Auflösung des Leimes durch 
den Dampf auseinandergehen würden. — 

Darauf findet eine eingehende Besichtigung der ausgestellten 
Apparate und Zeichnungen statt. Eine Abstimmung konnte natür¬ 
lich nicht erfolgen, da es sich nur um die Darstellung der in diesem 
Augenblick für alle Gemeinden wichtigen Frage handelte. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 6 


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San.-Rath Dr. Graf (Elberfeld) macht noch die Mittheilung, 
dass die Firma Carl Theissen in Düsseldorf mehrere Stahl¬ 
metallmatratzen aufgestellt habe, zu deren Besichtigung er einlade. 

Hierauf wird die Sitzung geschlossen und vereinigen sich die 
Mitglieder zu einem gemeinsamen Mittagessen. 


Die 14. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege zu Frankfurt a. M. 

vom 13. bis 16. September 1888. 

Von 

J. Stübben. 


Den Vorsitz der sehr stark besuchten Versammlung — die 
Präsenzliste verzeichnete 362 Mitglieder — führte Oberbürgermeister 
Becker (Köln) als Vertreter des im Laufe des Jahres verstor¬ 
benen Ausschusspräsidenten, Bürgermeisters Dr. v. Erhardt (Mün¬ 
chen). Das Bureau wurde ausser dem Vorsitzenden gebildet aus 
den Herren Stadtbaudirector Berger (Wien), Oberbürgermeister 
Dr. Miquel (Frankfurt), Sanitätsrath Dr. Wal liehs (Altona) 
und dem ständigen Vereinssekretär Sanitätsrath Dr. Spiess. 
Nachdem Oberbürgermeister Miquel die Versammlung Namens 
der Stadt Frankfurt begrüsst und der Vorsitzende die Verdienste 
des verstorbenen Ausschusspräsidenten durch einen wannen Nach¬ 
ruf geehrt hatte, ging Dr. Miquel als Berichterstatter über zu 
einem fesselnden Vortrage betreffend „Maassregeln zur Er¬ 
reichung gesunden Wohnens“. 

Obwohl zeitweise stärker hervortretend, so führte ungefähr 
der Redner aus, sind die Ursachen der sogenannten Wohnungs¬ 
not dauernde, was durch die vom Verein für Socialpolitik vor 
zwei Jahren angestellte Enquete über den Zustand derWohnungs- 
verhällnisse der arbeitenden Klassen erwiesen ist. Es handelt sich 
namentlich um den Mangel und also um die reichlichere Beschaf¬ 
fung von gesunden, billigen Wohnungen. Die Aufgabe wird 
nicht gelöst von denjenigen, welche meinen, die Wohnungsfrage 
sei gleichbedeutend mit der Lohnfrage, die Abhülfe läge somit in 
der pekuniären Verbesserung der Lage der Arbeiter. Denn mit 
demselben Geldbeträge könne man zu gewisser Zeit Nahrungsmittel 
gut und reichlich, Wohnräume gesund und geräumig sich beschaf¬ 
fen, zu anderer Zeit jedoch nur schlechte und wenige Nahrungs¬ 
mittel, schlechte und ungesunde Wohnräume. Durch die Gesetz- 


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gebung und die Verwaltung kann man dem Mangel an gesunden, 
billigen Wohnungen, der einen grossen Theil unserer gesellschaft¬ 
lichen Uebelstände in sich begreift, entgegenwirken. Wir verlangen 
zunächst ein Gesetz und womöglich ein Reichsgesetz zur Sicherung 
der Anlage gesunder Wohnungen und der gesundheitsgemässen 
Benutzung der Räumlichkeiten. Aber damit nicht die Folge eines 
solchen Gesetzes die Verteuerung des Wohnens sei, empfehlen 
wir zugleich tatkräftiges Eingreifen gemeinnütziger Gesellschaften 
und einsichtiger Arbeitgeber zur Vermehrung, Verbesserung und 
Verwohlfeilung der kleinen Wohnungen. Sowohl die Stadtgemeinde 
als der Staat sollten in ihrer Eigenschaft als grosse Arbeitgeber 
mit der Errichtung zweckmässiger Wohnungen, nicht von Dienst¬ 
wohnungen, sondern von MiethWohnungen für ihre Arbeiter und 
Unterbeamten vorbildlich mehr als bisher voranschreiten. Die 
Bauspekulation sorgt für kleine Wohnungen von 1 bis 2 Zimmern 
und Zubehör nicht genug wegen der Schwierigkeit der Verwaltung, 
der unsicheren Einkünfte und des Festlegens hoher Kapitalien. 
Das Bauen kleiner Wohnungen schreitet deshalb nicht dem Be¬ 
dürfnis vorauf, sondern folgt ihm langsam; daher die andauernde 
Wohnungsnoth. Dabei ist es ein grosser Uebelstand, dass erfah- 
rungsmässig die Arbeiter ihre Ausgaben am ehesten an der Woh¬ 
nung sparen und fürlieb nehmen mit den ungeeignetsten Gelassen. 
Die sittlichen und gesellschaftlichen Folgen sind bekannt. Nur 
durch Zwangsmittel des Gesetzes lässt sich hier helfen. Der 
einzelne Eigenthümer soll nicht souverän in der Bebauung seines 
Bodens und Vermiethung seines Hauses sein. Die Beschränkungen 
zu Gunsten der Herstellung gesunder Wohnungen werden bald auch 
vom Eigenthümer als eine Wohlthat empfunden werden, weil ja 
die Beschränkung auch die Nachbarn trifft und die Vortheile all¬ 
gemein sind. Der gesetzliche Zwang ist nicht bloss für die tech¬ 
nische Herstellung der Wohnungen, sondern ebenso sehr hinsicht¬ 
lich der Benutzung derselben und gegen die Ueberfüllung noth- 
wendig. Wie für einzeln^ Gegenden Deutschlands bewährte Polizei¬ 
verordnungen gegen die Ueberfüllung von Logirhäusern bestehen, 
so sind ähnliche Bestimmungen gegen die Ueberfüllung der Woh¬ 
nungen und Schlafräume gesetzlich allgemein durchführbar. Die 
Folgen einer solchen Gesetzgebung können sehr einschneidende 
sein; aber selbst wenn zu Zeiten einer plötzlichen industriellen Er¬ 
hebung die Arbeiterzahl, deren Zustrom gewünscht wird, nicht Obdach 
finden würde und somit zurückbleibt, so ist das keine schädliche 
Folge, weil eine Begleichung dieser stossweise eintretenden Wel¬ 
lungen der Industrie nur erwünscht sein kann. Das Gesetz kann 
natürlich nur geringste Anforderungen festsetzen; darüber hinaus 
zu gehen, müsste den Gemeinden je nach den örtlichen Verhält¬ 
nissen überlassen bleiben. Ausserdem aber muss die Gemeinde 


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76 


durch systematische Ausdehnung des Baufeldes dahin zu wirken 
suchen, dass die Bauplätze durch vermehrtes Angebot billiger, die 
Wohnungen nicht allzusehr im Preise gesteigert werden. Redner 
empfiehlt schliesslich die Annahme seiner später mitgetheilten 
Thesen. 

Oberbaurath Professor Baumeister (Karlsruhe) entwirft als 
Gorreferent ein ungefähres Bild über die technischen Einzelheiten, 
welche das verlangte Reichsgesetz zu ordnen hätte. Rechtsanwalt 
Strauss (M.-Gladbach) und Baurath Rheinhard (Stuttgart) em¬ 
pfehlen geringe Aenderungen der Miquel’schen Thesen. Ober¬ 
ingenieur Meyer (Hamburg) empfiehlt Annahme derselben und zu¬ 
gleich UeberWeisung der Baumeister’sehen Sätze, welche manche 
sehr zweifelhafte Punkte enthalten, an einen siebengliedrigen Aus¬ 
schuss zur Prüfung und Durchberathung behufs Beschlussfassung 
in der nächstjährigen Versammlung. Mit diesem Vorschläge und 
mit den Miquel’sehen Thesen in nachstehender Fassung erklärt 
die Versammlung sich einverstanden: 

1. Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hält 
zur Bekämpfung der auch in Deutschland und nicht bloss in den 
grossen Städten bestehenden schweren Missstände im Wohnungs¬ 
wesen und der hieraus für die menschliche Gesundheit erwachsen¬ 
den grossen Nachtheile und Gefahren neben den unablässig fortzu¬ 
setzenden und zu erweiternden Bestrebungen der Staaten, Gemein¬ 
den, Vereine und Arbeitgeber für die Vermehrung, Verbesserung 
und Preisermässigung der Wohnungen, namentlich der arbeitenden 
Klassen die Herbeiführung einer einheitlichen Gesetzgebung 
für ganz Deutschland oder mindestens für die Einzelstaaten für 
möglich und dringend erwünscht. 

2. Eine solche Gesetzgebung müsste a. die zur Herstellung 
gesunder Wohnungen bei Neu- und Umbauten zu stellenden Min- 
dest-Anforderungen vorschreiben, b. das Bewohnen unzweifelhaft 
ungesunder Wohnungen verbieten und den Polizei- und Gemeinde¬ 
behörden genügende Befugnisse zur Durchführung dieses Verbotes 
einräumen, insbesondere die Beachtung der baupolizeilichen Zweck¬ 
bestimmungen bei der Benutzung der Räume sichern; c. die ge¬ 
sundheitswidrige Ueberfüllung der MiethWohnungen und die über¬ 
mässige Verringerung des Luftraumes namentlich in den Schlaf¬ 
stellen zu verhindern geeignet sein. 

Die an einen vorberathenden Ausschuss verwiesenen tech¬ 
nischen Einzelvorschläge des Correferenten Prof. Baumeister 
lauten: 

I. Vorschriften über Herstellung von Wohnungen. 

1. Licht und Luft. Alle zum längeren Aufenthalt von Menschen bestimmten, 
d. h bewohnten Räume mfissen Fenster direkt in*s Freie erhalten. 
Die Gesammtfläche dieser „noth wendigen* Fenster soll mindestens 1 qm 


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auf 30cbm Rauminhalt betragen. Besondere Bestimmungen bei Verbin¬ 
dungsräumen und Abtritten, bei Oberlicht und künstlicher Ventilation. 

Auf neuen Bauplätzen muss allen nothwendigen Fenstern Licht 
unter einem Einfallwinkel von 45 °, allen untergeordneten Fenstern ein 
Abstand von mindestens 5 m bis zu gegenüberliegenden Gebäuden gewährt 
werden. Daher darf ein Gebäude an der Strasse nicht höher aufgeführt 
werden, als der Abstand desselben von der gegenüberliegenden Baulinie 
beträgt. Hierzu nähere Bestimmungen bezüglich Messung der Gebäude¬ 
höhe, Seitenlicht aus grösseren Hofräumen, Eckzimmer, Stellung zu nach¬ 
barlichen Grenzen und Gebäuden. 

Auf älteren Bauplätzen soll die Gebäudehöhe an der Strasse nicht 
über s / 4 des Abstandes von der gegenüberliegenden Baulinie steigen, 
und muss im Uebrigen der Abstand vor Fenstern mindestens die Hälfte 
von demjenigen erreichen, welchen die obigen Normen für neue Bau¬ 
plätze fordern. 

Die lichte Höhe bewohnter Räume muss mindestens 2.5 m betragen. 

Die grösste zulässige Zahl der bewohnten Geschosse ist in Vorder¬ 
gebäuden auf neuen Bauplätzen 4, in dgl. auf älteren Bauplätzen 5, in 
Hintergebäuden 3 Nähere Erläuterung über den Begriff eines „ bewohnten 
Geschosses“. 

2. Einfluss des Bodens. Tiefste Lage bewohnter Räume 0.5m über dem 

höchsten Grundwasserstand, im Ueberschwemmungsgebiet 0,5 m über dem 
höchsten äusseren Wasserstand, im Erdgeschoss, soweit es der Zweck zu¬ 
lässt, 0.5 m über der Erdoberfläche. Sicherung aller Wände und Fuss- 
böden gegen Erdfeuchtigkeit. Bauplätze und Anschüttungen innerhalb 
und ausserhalb der Häuser sollen frei von organischen Bestandtheilen sein. 

Auf neuen Bauplätzen sind weder in Kellern noch in Halbkellern 
Wohnungen zulässig, einzelne bewohnte Räume nur dann, wenn deren 
Fussboden höchstens 1 m unter, der Fenstersturz mindestens 1 m über 
dem umgebenden Terrain liegt, oder wenn ein Lichtgraben angeordnet 
wird, dessen Breite dem Höhenunterschied zwischen Erdoberfläche und 
Kellerboden gleich kommt. 

Auf älteren Bauplätzen sollen, sofern überhaupt Kellerwohnungen, 
der örtlichen Uebung entsprechend, durch die zuständige Behörde zuge¬ 
lassen werden, für solche die vorstehenden Forderungen sowohl bei Einzel¬ 
räumen, als bei ganzen Wohnungen gelten. 

3. Construction von Wänden und Decken. Verbot hygroskopischer 

Bausteine, nasser oder unreiner Deckenfüllungen. 

Bei allen zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Räumen ist der 
Baupolizei spätestens 8 Tage vor Beginn der Verputzarbeiten und spä¬ 
testens 8 Tage vor der Ingebrauchnahme Anzeige zu machen, damit die 
Behörde entscheiden könne, ob das Haus genügend ausgetrocknet ist, um 
ohne Nachtheil für die künftigen Bewohner verputzt, bezw. bezogen wer¬ 
den zu können. 

Ausdünstungen. Für jede Wohnung ist ein umwandeter, bedeckter und 
verschliessbarer Abtritt anzulegen. Ausnahmen unter besonderen Um¬ 
ständen. Abtritte sollen womöglich in einem Anbau liegen, jedenfalls 
aber von anderen Räumen einer Wohnung durch gemauerte Wände und 
verputzte Decken getrennt werden. 

Abfallröhren aus undurchlässigem Material, möglichst senkrecht und 
zugänglich, nach oben als Dunstrohr verlängert, dessen Mündung über 
Dach von etwaigen Fenstern mindestens 5 m abstehen, oder deren Sturz 
um 1 m überragen muss. 

Ställe sind von bewohnten Räumen durch möglichst luftdichte Wände 
und Decken zu trennen. Ueber ihnen dürfen niemals ganze Wohnungen 


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78 


eingerichtet werden. Nähere Bestimmungen über Dichtigkeit und Abläufe 
von Stallböden und Düngerstätten. 

Gewerbliche Anlagen, bei welchen nach Art und Umfang ihres Be¬ 
triebes erhebliche gesundheitliche Bedenken vorliegen, müssen von an¬ 
deren Räumen durch dichte Mauern, oder durch freie Abstände getrennt 
werden. Vorschriften über Lüftung und Reinigung von Räumen und Be¬ 
hältern, in welchen Stoffe mit üblen Ausdünstungen aufbewahrt oder ver¬ 
arbeitet werden. 

Verbot von Ofenklappen. 

Schutz der Nachbaren gegen Belästigung durch Abtritte, Ställe, Ge¬ 
werberäume mittelst gewisser Grenzabstände, isolirender Scheidemauern 
oder sonstiger angemessener Vorkehrungen. 

5. Wasserversorgung. Jedem bewohnten Grundstück muss Versorgung mit 

trinkbarem Wasser zugesichert werden, und zwar durch eines der folgen¬ 
den Mittel: Anschluss an eine öffentliche Wasserleitung, Anlage eines 
Privatbrunnens, Benutzung eines öffentlichen oder nachbarlichen Brunnens 
in massiger Entfernung. Hinsichtlich der öffentlichen Wasserversorgung 
ist die Pflicht des obligatorischen Anschlusses aller Grundstücke in Aus¬ 
sicht zu nehmen, falls ohne denselben nach Lage der örtlichen Umstände 
das Unternehmen finanziell unerreichbar sein sollte. Für Privatbrunnen 
besondere Constructions-Vorschriften. 

6. Reinigung und Entwässerung. Abwasser und Fäcalien dürfen in Ge¬ 

bäuden und ihrer Umgebung nicht auf ungeregelte Weise angesammelt 
oder abgeleitet, sondern müssen unter thunlichster Reinhaltung von 
Boden, Luft und Wasser entfernt werden. Für die betreffenden Hülfs- 
mittel, als Gruben, bewegliche Gefässe, offene Rinnen, unterirdische 
Kanäle, sind bestimmte Vorschriften und Grenzen der Anwendbarkeit 
aufzustellen. 

II. Vorschriften über Bebauungspläne. 

7. Luftraum in Bebauungsplänen. Der Flächeninhalt von Strassen und 

Plätzen (einschliesslich öffentlicher Anlagen) soll mindestens */• d er Gfe* 
sammtfläche eines zur Ueberbauung bestimmten Bezirkes betragen. 

8. Vorräume und Zwischenräume. Der Gemeindeverwaltung kommt das 

Recht zu, in einer Strasse die Baulinie um ein gutdünkendes Maass 
hinter der Grenzlinie vorzuschreiben. Der Raum zwischen beiden Linien 
darf jedoch von Seiten des Eigentümers zu niedrigen Vorbauten bis 
an die Strasse, zu a u f stei gen d en bis zu .’/• der Tiefe und Länge des 
Vorraums benutzt werden. Nach örtlichen Umständen ist festzustellen, 
ob und wie weit die zu den genannten Vorbauten nicht verwendete Fläche 
als Verbreiterung der Strasse, zu gewerblichen Zwecken oder als einge¬ 
friedigter Vorgarten dienen soll. 

Der Gemeindeverwaltung kommt das Recht zu, für bestimmte Strassen 
die Bauweise mit Zwischenräumen vorzuschreiben und zugleich das Maass 
der letzteren, welches mindestens 5 in betragen muss und in der Regel 
jedem Nachbar zur Hälfte auferlegt wird. Es soll jedoch auf dem Wege 
einer Vereinbarung zwischen den Nachbarn zulässig bleiben, den Zwischen¬ 
raum ungleich zu theilen, oder auch ihn an der einen Nachbargrenze zu 
unterdrücken, wenn er dafür an der andern um so breiter angelegt wird. 

Ferner kann gemäss örtlicher Umstände die Errichtung von Zwillings¬ 
häusern und das Zusammenrücken in längere Häusergruppen zugelassen, 
bezw. vorgeschrieben werden. 

9. Lästige Gewerbe. Die Gemeindeverwaltung ist zur Auswahl * der'* für; ge¬ 

wisse Gewerbsanlagen gar nicht, oder nur unter gewissen Bedingungen 
oder vorzugsweise bestimmten Ortstheile befugt. Bei der Bezeichnung der 


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hiervon betroffenen Gewerbe oder Gewerbegruppen ist sie nicht an die 
concessionspflichtigen Gewerbe (§ 16 der Gewerbeordnung) gebunden, doch 
darf von dem Recht der Verbannung nur dann Gebrauch gemacht wer¬ 
den, wenn nach Ansicht der zuständigen Staatsbehörde und nach Maass¬ 
gabe der örtlichen Eigenart in anderweitigen Bezirken des Ortes und seiner 
Umgebung Gelegenheit zum Unterkommen der betroffenen Gewerbe gegeben 
ist, bezw. geschaffen wird. 

10. M ischung der VVdhnungen. Durch Ortsstatut kann den Besitzern von 

Grundstücken mit einem Flächeninhalt über 1 hä vorgeschrieben werden, 
dass bei deren Ueberbauung ein gewisser Theil (mindestens */#) des künftig 
bewohnbaren Rauminhalts zu .kleineren Wohnungen“ von je 2 bis 4 
Zimmern nebst Zubehör bestimmt werde. Diese Pflicht bleibt auch bei 
beabsichtigtem Einzelverkauf von Flächentheilen bestehen. 

III. Vorschriften Ober Benutzung von Wohnungen. 

11. Ueberfüllung. Gelasse, deren Fenster nach Grösse und Lage nicht den 

Bedingungen für „noth wendige Fenster“ entsprechen, dürfen nicht zu 
längerem Aufenthalt von Menschen, bezw. zum Bewohnen benutzt werden. 

Schlafräume, sowohl in Privatwohuungen als in Logirhäusern, dürfen 
nur soweit belegt werden, dass auf jede erwachsene Person ein Luftraum 
von mindestens 12 cbm, auf jedes Kind unter 10 Jahren die Hälfte davon 
entfällt. Diese Ziffer kann verringert werden, wenn die Fensterfläche 
des Raumes eine reichlichere ist, als 1 qm auf 30 cbm Rauminhalt, aber 
niemals unter 10. Andererseits muss die Ziffer bis zu 14 gesteigert 
werden, wo der Flächeninhalt der Fenster der Vorschrift in Artikel I 
nicht genügt. 

12. Ungesunde Wohnungen. Wenn Wohnungen durch ihren baulichen 

Zustand, durch ihre Lage oder durch Einflüsse des Bodens erhebliche ge¬ 
sundheitliche Bedenken erregen, so können sie durch die zuständige Be¬ 
hörde für unbenutzbar erklärt werden. Hierbei ist festzustellen, oh die 
Gesundheitswidrigkeit durch bauliche Maassregeln gehoben werden kann, 
oder ob sie das Ergebniss von bleibenden Ursachen ist. Im letzteren 
Falle muss das betreffende Haus beseitigt werden. 

Wenn ganze Häusergruppen oder Bezirke für ungesund erklärt wer¬ 
den, so hat die Gemeinde das Recht und die Pflicht, den vollständigen 
Umbau zu veranlassen oder selbst vorzunehmen. Es steht ihr zu diesem 
Zweck das Verfahren der Zwangsenteignung zu, wobei die in Artikel 10 
enthaltene Auflage zu beachten ist. 

Zu Mitgliedern des Ausschusses, welcher diese Vorschläge 
prüfen und der nächsten Versammlung des Vereins einen Entwurf 
zur Beschlussfassung vorlegen soll, wurden ausser den Referenten 
Dr. Miquel und Prof. Baumeister gewählt die Herren Stadt¬ 
baurath Blankenstein (Berlin), Oberingenieur Meyer (Hamburg), 
Stadtbaurath Peters (Magdeburg), Sanitätsrath Dr. Spiess (Frank¬ 
furt) und Stadtbaumeister Stübben (Köln). 

Den zweiten Gegenstand der Berathung bildete die „örtliche 
Lage der Fabriken in den Städten“, insbesondere die Frage: 
„Inwieweit hat sich ein Bedurfniss herausgestellt, von 
der Bestimmung des § 23 Abs. 3 der deutschen Ge¬ 
werbeordnung Gebrauch zu machen?“. 

Die Thesen der Referenten Sanitätsrath Dr. Le nt (Köln) und 
Stadtrath Hendel (Dresden) lauteten: „1. Die öffentliche Ge- 


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80 — 


sundheitspflege verlangt für grössere Gemeinden eine gesetzliche 
Handhabe, um von bestimmten Theilen des Gemeindebezirkes ge¬ 
werbliche und industrielle Anlagen, welche durch Ausdunstungen, 
Rauch oder lärmenden Betrieb die Gesundheit der Bewohner oder 
die Annehmlichkeit des Wohnens beeinträchtigen, ferne zu halten. 
2. Die §§18 und 19 der deutschen Gewerbeordnung haben in 
vielen deutschen Städten nicht ausgereicht, um diese Forderung 
der öffentlichen Gesundheitspflege zu erfüllen. 3. Der Absatz 3 
des § 23 der deutschen Gewerbeordnung bietet die Gelegenheit, 
dieser Forderung im Wesentlichen gerecht zu werden. Es ist daher 
das Verlangen, durch Landesgesetzgebung in den deutschen Bundes¬ 
staaten den Gemeinden die Möglichkeit der Erfüllung jener Forde¬ 
rung zii gewähren, durchaus gerechtfertigt.“ 

Sanitätsrath Dr. Lent (Köln), als Berichterstatter, theilt zu¬ 
nächst die Bestimmungen der deutschen Gewerbeordnung mit, 
welche sich auf die Concessionirung der gewerblichen. Anlagen be¬ 
ziehen und zeigt, wie der Gesetzgeber es empfunden hat, dass trotz 
dieser Vorschriften das Bedürfniss nach grösserer Beschränkung 
der Fabrikanlagen in Städten hervortreten könne, und dass aus 
diesem Grunde der Abs. 3 im § 23 *) Aufnahme gefunden habe. 
Derselbe stamme aus dem Sächsischen Gewerbegesetz, und werde 
durch Forderungen der öffentlichen Gesundheitspflege vollauf be¬ 
gründet: es sei dringend nothwendig, dass in grossen Städten, be¬ 
sonders in solchen, wo die Industrie eine grosse Rolle spiele, für 
Gesunde und Kranke Ortstheile sich finden, wo zur Erholung 
und Stärkung der Gesundheit der Bürger, zur Wiedererlangung 
der durch Krankheit verlorenen Kräfte möglichst günstige hygie¬ 
nische Verhältnisse obwalten, wo Fabrikausdünstung und Rauch, 
ungewöhnliches Getöse ferngehalten werden können. Hierauf be¬ 
ziehe sich auch die Schaffung von Stadtgärten, Stadtwäldchen, Villen¬ 
vierteln u. s. w. Wolle man nun von solchen Anlagen die Fabriken 
fern halten und letztere in bestimmte Ortstheile verweisen, so 
könnte allerdings gegen diese Massregel nicht mit Unrecht ein Be¬ 
denken erhoben werden, dass nämlich mit den Fabrikanlagen auch 
die Fabrikbevölkerung in dieses Fabrikviertel ihre Wohnungen ver¬ 
legt. Hierdurch entstehe eine nicht zu wünschende Absonderung 
der Fabrikbevölkerung von der übrigen Bürgerschaft, und ferner 
würden die schädlichen Einflüsse der gewerblichen Anlagen auf die 
Fabrikbevölkerung um so stärker einwirken. Wenn aber das 
Fabrikviertel nur für die Fabrikanlage selbst bestimmt würde, die 

1) Der Landesgesetzgebung bleibt ferner Vorbehalten, zu verfügen, in wie 
weit durch Ortsstatuten darüber Bestimmung getroffen werden kann, dass ein¬ 
zelne Ortstheile vorzugsweise zu Anlagen der in § 16 erwähnten Art zu bestim¬ 
men, in anderen Ortstheilen aber dergleichen Anlagen entweder gar nicht oder 
nur unter besondern Beschränkungen zuzulassen sind. 


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81 


Wohnungen der Fabrikbevölkerung aber abseits ihren Platz fanden, 
so würde die öffentliche Gesundheitspflege mit dieser Lösung der 
Frage vollkommen zufrieden sein. 

Von dem Rechte des Erlasses eines Gesetzes nach Abs. 3 § 23 
haben in Deutschland bisher Gebrauch gemacht Sachsen, Würt¬ 
temberg, Baden, Hessen, Braunschweig, Anhalt, also von den 
grossen Staaten Preussen und Bayern nicht. Eine Eingabe des 
Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege an die 
preussischen Ministerien um Erlass dieses Gesetzes ist abschlägig 
beschieden, da sich ein Bedürfniss nicht herausgestellt habe und 
auch nicht unwichtige Bedenken entgegenständen. 

Ortsstatute auf Grund jener Landesgesetze gibt’s in Bautzen, 
Dresden, Freiberg i. S., Glauchau, Gannstadt, Esslingen, Heilbronn, 
Heidelberg (in Vorbereitung in Freiburg i. B., Konstanz), Darm¬ 
stadt, Oflfenbach, Worms (in Vorbereitung in Braunschweig und 
Homberg). In den Reichslanden tritt die deutsche Gewerbe-Ord¬ 
nung erst am 1. Januar 1889 in Kraft und hat bis dahin die 
französische Gesetzgebung und zwar das Dekret vom 15. Oktober 
1810 Geltung, eine Gesetz, welches bei Weitem strengere Vor¬ 
schriften enthält, sodass die Gesundheitsbehörde in den Reichs¬ 
landen, wenn daselbst nicht ein Landesgesetz auf Grund des § 23 
Abs. 3 erlassen wird, die Aufhebung jenes französischen Dekrets 
sehr bedauern möchte. 

Neben dieser Frage, ob in den deutschen Städten eine Vorlage 
nach dem in Rede stehenden Landesgesetze vorhanden sei, hat 
Ref. eine Enquete bei allen grossen Städten Deutschlands veran¬ 
staltet. In Preussen haben ungefähr 50 Städte erklärt, dass sie 
mit den Bestimmungen der deutschen Gewerbeordnung auskämen 
und keine Nothwendigkeit zum Erlass des Landesgesetzes fühlten. 
Dieses sind aber zum grossen Theile Städte, welche entweder in 
so hohem Grade Industriestädte sind, dass man eine Aenderung 
für unmöglich hält, oder Städte, die gar keine Industrie haben, 
ferner Städte, bei denen in Folge günstiger Lage der Bahnhöfe oder 
der Stadt selbst sich schon besondere Fabrikviertel von selbst ge¬ 
bildet haben. Ein Theil dieser 50 Städte hielt aber den Erlass des 
Landesgesetzes doch für recht nützlich. Aehnlich lauten auch die 
Nachrichten aus den andern deutschen Staaten, besonders aus 
Bayern. — 21 preussische Städte erklärten aber, dass sie mit der 
deutschen Gewerbeordnung nicht auskämen und den Erlass des 
Landesgesetzes dringend wünschen, unter diesen: Altona, Barmen, 
Breslau, Crefeld, Düsseldorf, Deutz, Hannover, Köln, Posen, Wies¬ 
baden, und dem Wunsche auf Erlass des Gesetzes schliessen sich 
noch mehrere grosse Städte an, z. B. Aachen, Elberfeld, Frank¬ 
furt a. M., Königsberg, Potsdam. Ebenso wünschen viele Städte 


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— 82 — 


der andern Staaten Deutschlands dringend das Landesgesetz bezw. 
das beschränkende Ortsstatut. 

Der Ref. beantwortet sodann noch die Frage, ob nicht etwa 
durch Orisstatut auf Grund der Städteordnung oder durch Polizei- 
Verordnung dasselbe zu erreichen sei, was das Landesgesetz be¬ 
zwecke. An zwei Beispielen aus Gharlottenburg und Breslau weist 
er nach, dass dieses anscheinend unmöglich sei; gerade der Nicht- 
Erlass des Landesgesetzes werde als Grund angegeben, dass weder 
eine Polizeiverordnung noch ein Ortsstatut erlassen werden dürfen. 

Schliesslich erwähnt Ref. noch die vielfachen Wünsche, welche 
bei der Enquete hervorgetreten sind, gegen die überhandnehmen- 
den Rauchbelästigungen vorzugehen, nachdem die Stadt Basel den 
Beweis geliefert habe, dass dieses sehr wohl möglich sei, ohne die 
Industrie zu schädigen. 

Der Ref. bittet um Annahme der Thesen, die vollauf begrün¬ 
det seien. Das Landesgesetz sei für eine grosse Zahl von Städten 
und zwar sehr bedeutenden Städten nothwendig und gewünscht; 
das Gesetz übe ja keinen Zwang aus, sondern stelle es in das 
Ermessen der Gemeindebehörden, durch Ortsstatut erst Bestim¬ 
mung zu treffen, und die Gemeindebehörden würden schliesslich 
wohl am Besten wissen, was der Wohlfahrt der Gemeinden von 
Nutzen oder von Schaden sei. 

Stadtrath Hendel (Dresden) theilt die Geschichte der Dres¬ 
dener Gesetzgebung auf dem in Rede stehenden Gebiete mit, sowie 
die auf Grund des erlassenen Ortsstatuts gemachten Erfahrungen. 
Die sächsische Landesgesetzgebung gestattet schon seit dem Jahre 
1861 die Anweisung von Fabrikdistrikten, jedoch keineswegs in 
dem Sinne, dass in diesen Distrikten den Gewerbebetrieben Frei¬ 
heit in der Belästigung der Nachbarn zugesprochen wurde. Auch 
in diesen Bezirken sind vielmehr Beschwerden über Belästigung 
zulässig und gelangen zur polizeilichen oder gerichtlichen Feststel¬ 
lung. Neben der Anweisung bestimmter Fabrikbezirke muss daher 
die technische Vervollkommnung der Betriebe durchgeführt werden. 
Die örtliche Distriktsfeststellung in der Stadt Dresden gelang erst 
nach langen, vom Vortragenden anschaulich geschilderten Verhand¬ 
lungen, welche von 1866 bis 1878 dauerten. Es wurden festge¬ 
setzt a) fabrikfreie Distrikte, b) solche, in denen nur kleinere 
Kesselanlagen geduldet werden sollen, c) solche für grössere 
Kesselanlagen. Das Ortsstatut liess sich leicht durchführen bezüg¬ 
lich der Bauprojekte, dagegen schwierig bezüglich der bestehenden 
Fabriken, deren Erweiterung gewöhnlich unter Dispensation von 
den ortsgesetzlichen Bestimmungen gestattet wurde. Als die städ¬ 
tische Verwaltung selber einen Dispens nachsuchte, um in dem 
ortsstatutarisch fabrikfreien Stadttheile eine Gentraistation für 


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83 


elektrische Beleuchtung zu errichten, wurde ihr Gesuch abschläg- 
lich beschieden. 

Professor Baumeister wünscht die Prüfung der gesundheit¬ 
lichen Seite bei allen Fabrikbetrieben bezw. Gewerben, nicht bloss 
bei den im § 16 der Reichsgewerbeordnung namhaft gemachten; 
er empfiehlt die Thesen, empfiehlt aber als Gegenleistung gegen¬ 
über der Beschränkung die systematische Beförderung von Fabrik¬ 
bezirken durch Verkehrseinrichtungen, Vorfluthanlagen u. dgl. 

Oberbürgermeister Miquel warnt vor zu weit gehenden Be¬ 
schränkungen, wenn auch die Thesen an sich annehmbar seien. 
Der Charakter der verschiedenen Stadttheile ändere sich fortwäh¬ 
rend; gewisse Gewerbe, wie diejenigen der Bäcker, Buchdrucker 
u. s. w., könne man jedenfalls örtlich nicht beschränken. Das 
Interesse der städtischen Bevölkerung verlange daher eine höchst 
vorsichtige Anwendung der beantragten Gesetzgebung. Wichtiger 
sei es jedenfalls, die durch Russ, Rauch und Lärm entstehenden 
Nachtheile durch Anwendung und Vorschreibung geeigneter tech¬ 
nischer Mittel überall zu mildern. 

Dr. Lent legt wiederholt die Wichtigkeit der erbetenen Ge¬ 
setzesbestimmungen für manche Städte dar, wenn auch andere, 
wie Frankfurt, die Nothwendigkeit weniger empfänden. In Köln 
z. B. werde gegenwärtig mit Aufwendung hoher Summen ein 
städtischer Park angelegt, dessen Nothwendigkeit im allgemeinen 
Gesundheitsinteresse wegen der Armuth der Stadt an öffentlichen 
Anlagen eine besonders dringende sei. Hier sei es wirklich tief 
zu beklagen, wenn es nicht möglich gemacht werden sollte, die 
drohende Gefahr der Umbauung des Parks mit lästigen Fabriken 
durch ortsstatutarische Bestimmungen abzuwenden. 

Die Anträge der Referenten werden schliesslich zum Beschluss 
erhoben; auch wird der Ausschuss gebeten, von dem Beschlüsse 
der Versammlung den zuständigen Behörden Mittheilung zu machen. 

Die Verhandlungen des zweiten Tages hatten zum Gegenstände 
die Frage: Welche Erfahrungen sind mit den in den 
letzten Jahren errichteten Klärvorrichtungen städ¬ 
tischer Abwässer gemacht worden? 

Berichterstatter waren die Erbauer der bedeutendsten neuen 
Kläranstalten, nämlich derjenigen zu Frankfurt, Wiesbaden, Essen 
und Halle. 

Stadtbaurath Lindley (Frankfurt) berichtet über die Frank¬ 
furter Kanalwasserreinigung. Das in den Jahren 1867 bis 1887 
ausgeführte Frankfurter Sielnetz entwässert 10 Quadratkilometer, 
auf welchen 150,000 Menschen wohnen; es befördert 25,000 bis 
30,000 cbm täglich, dabei den Abgang von ungefähr 30,000 Wasser- 
Aborten. Nachdem bis zum Jahre 1874 ein provisorischer Auslass 
in den Main bestand, drang die Staatsregierung auf die Herstel- 


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lang definitiver Auslässe mit Landberieselung. Die Stadt Hess da¬ 
gegen den Entwurf einer Klärbecken-Anlage aufstellen, welcher 
nach langen Verhandlungen genehmigt und im vorigen Jahre in 
Betrieb gesetzt wurde. Die anfängliche Absicht, nur mechanisch 
zu klären, wurde nicht gebilligt, sondern ausserdem chemische 
Präzipitation gefordert. Die Klärbecken wurden so gelegt, dass 
der Kanalinhalt denselben ohne künstliche Hebung mit 1 :2500 
zufliesst. So wurde der Maschinenbetrieb beschränkt auf die Be¬ 
reitung chemischer Zuschläge; aber es ergab sich für die Becken 
eine erhebliche Tieflage und das Bedürfniss einer Ueberwölbung 
zum Schutze gegen Frost und Wind. Die Anlage umfasst plan- 
mässig zwei Gruppen von je 6 Becken mit Regenumläufen; die 
Becken genügen für 40,000 cbm Trockenabfluss und wirken noch 
bei Verdünnung des Abflusses durch Regen bis auf 80,000 cbm. 
Ausgeführt sind zur Zeit nur 4 Becken von je 82 m Länge, 6 m 
Breite, 2 m oberer und 3 m unterer Tiefe. Die mechanische Wir¬ 
kung ist viererlei: a) Verlangsamung der Geschwindigkeit auf 
J /io im Sandfang und Herausbaggerung der sich hier absetzen¬ 
den Stoffe; b) Eintauchplatten zur Entfernung schwimmender 
Körper; c) Siebe in der Zuleitungsgallerie, welche beständig ge¬ 
hoben und von den aufgefangenen Stoffen gereinigt werden; 
d) Verlangsamung der Geschwindigkeit auf Vioo in den lang¬ 
gestreckten Becken, in welchen das Wasser 6 Stunden verbleibt 
bei einer mittleren Geschwindigkeit von 4 mm pro Sek. (abnehmend 
von 5 mm zu 3 mm). Redner legt Werth darauf, dass die Wasser¬ 
bewegung in horizontaler Richtung gehe, also nicht der senkrechten 
Bewegung der Sinkstoffe entgegengesetzt sei. Die Becken werden 
alle 8 Tage entleert, wobei der oberste Meter Wasser in den 
Main abgelassen wird; der folgende Inhalt wird in drei Schichten 
in die Entleerungsgallerie abgezapft und ausgepumpt, und zwar 
wird das trübe Wasser zur Klärung zurückbefördert. Schliesslich 
arbeitet die Schlammpumpe, wobei der Schlamm auf dem Becken¬ 
boden fast selbstthätig nach der tieferen Stelle hinabgleitet. Die 
Reinigung eines Beckens dauert 4 bis 5 Stunden. Als Chemi¬ 
kalien werden zugesetzt schwefelsaure Thonerde und Kalkmilch; 
der Bedarf wechselt mit der Menge und mit der Beschaffenheit 
des Abwassers. Es werden besonders unterschieden die vormit¬ 
tägliche Frühstückswelle, die nachmittägliche Schmutzwelle und 
das fast klare Wasser während der Nacht. Die Menge wird an 
einem Selbstregistrator abgelesen, die Beschaffenheit durch Stich¬ 
proben nach 8 Graden ermittelt; das Product gibt den Bedarf an 
Chemikalien, welcher von dem beobachtenden Vorarbeiter zum 
Maschinenhause telegraphirt und dort möglichst sparsam dadurch 
gedeckt wird, dass der Wärter je nach der Meldung 1 bis 12 
Mischröhrchen laufen lässt. Da indess die Anstalt nur ein Jahr 


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in Betrieb ist, so handelt es sich noch nicht um abschliessende 
Ergebnisse. Nach den wiederholten Untersuchungen einer aus einem 
Arzt, einem Bakteriologen, einem Chemiker und einem Ingenieur 
bestehenden Commission werden die schwebenden Stoffe fast ganz 
beseitigt, die gelösten kaum verringert. Die 3 Millionen entwick¬ 
lungsfähige Keime pro cbcm Wasser werden durch Kalk und Thon¬ 
erdesulfat auf Vio, durch Kalk allein auf V*o ihrer Zahl reducirt; 
bei bloss mechanischer Klärung wurde dagegen sogar eine Ver¬ 
mehrung der Lebewesen festgestellt. Die Anwendung von Kalk 
allein ergibt aber 4 , /*mal so viel Schlamm, als die gemeinschaft¬ 
liche Anwendung von Kalk und Thonerdesulfat, und die Ueber- 
lastung des Schlammes mit Kalk ist für die landwirthschaftliche 
Benutzung nachtheilig. Es ist daher der geeignetste Mittelweg 
aufzusuchen und einzuschlagen. Die jährlichen Betriebskosten der 
Kläranstalt sind veranschlagt auf 150,000 M., wovon die Hälfte 
auf die Chemikalien, die Hälfte auf die Löhne u. s. w. fällt; es 
scheint indess, als ob auch die 30,000 M. Zinsen und Tilgungs¬ 
kosten noch aus den 150,000 M. bestritten werden können. Die 
jährlichen Kosten würden somit rund 1 M. pro Kopf der Bevölke¬ 
rung oder ungefähr 1 Pfg. pro cbm betragen. 

Gas- und Wasserwerksdirektor Winter (Wiesbaden) be¬ 
schreibt kurz die Entstehung der Wiesbadener Kanalisation und 
Klärungsanlage. Letztere ist eine combinirte Brunnen- und Becken¬ 
anlage ; obwohl dieselbe seit 2 */a Jahren in Betrieb steht, ist der Zu¬ 
stand noch kein normaler, da die Abtrennung des Salzbachs noch 
nicht durchgeführt ist. Die Geschwindigkeit in den Becken beträgt 
4,3 mm bei 40 qm Querschnitt; der 2,2 cbm betragende Trocken¬ 
ablauf bleibt 6 Stunden im Mittel in der Kläranlage. Die Becken 
sind nicht überdacht, da ein Einfrieren wegen des Thermalwassers 
nicht zu befürchten ist. Ein besonderer Sandfang wurde nicht an¬ 
gelegt, wohl aber Eintauchplatte und Siebe. Als chemischer Zu¬ 
schlag dient nur Kalkmilch. Der 60 m entfernte Motor, eine an¬ 
gekaufte Mühle, treibt mittels einer Luftpumpe Luft in die durch¬ 
löcherten Röhren der Mischkammer und veranlasst Aufwallungen, 
welche die innige Mischung des Kalkes herbeiführen. Die Ver¬ 
suche mit schwefelsaurer Thonerde haben sich nicht bewährt, alle 
anderen Chemikalien erwiesen sich als zu theuer. Der Klärmeister 
setzt so viel Kalkmilch zu, dass der Ablauf klar ist; Nachts ist 
das Wasser überhaupt klar und jeder Zusatz entbehrlich. Auch 
in den Ablaufkanal wird noch Luft eingeblasen. Die Entfernung 
des Schlammes aus den Becken geschieht, sobald Blasen aufsteigen, 
im Sommer alle 1—2 Wochen, im Winter alle 3—4 Wochen. 
Der fortlaufende Betrieb der Schlammpumpen misslang, weil der 
seifige Schlamm nicht zufloss; desshalb wurde das Ablassen der 
Brunnen wie der Becken nöthig, bevor die Schlammpumpen ar- 


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beiteten. Da letztere sich schnell versetzten, ist jetzt ein pneuma¬ 
tischer Apparat inThätigkeit gesetzt, ein Kessel von 4 cbm Inhalt, 
welcher abwechselnd Schlamm ansaugt und fortdrückt. Der 
Schlamm wird auf Kiesfiltern gelagert, von wo Ablaufkanälchen 
das einsickernde Wasser in den Zulauf der Klärbecken zurückleiten. 
Der Werth des Schlammes ist bis jetzt null wegen des verhält- 
nissmässig geringen Gehaltes an organischen Stoffen. Das Formen 
von Schlammsteinen gelang wohl technisch, aber nicht finanziell. 
Die Massen werden daher vorwiegend zur Aufhöhung des Terrains 
benutzt; der Gestank verschwindet bald, da die übergedeckte Erde 
einen lebhaften Graswuchs erzeugt. In Dienst stehen ein Klär¬ 
meister und neun Arbeiter; im Winter brauchte der Betrieb selbst 
bei — 17° nicht ausgesetzt zu werden, indem das Wasser noch 
mit 6°C. einfloss und mit 5<>C abfloss. Der Gesundheitszustand 
der Arbeiter erwies sich besser als derjenige der Wasserwerks¬ 
arbeiter. Die Betriebskosten betragen 60 Pfg. pro Kopf und Jahr 
oder 84 Pfg. mit Einschluss der Unterhaltung und Tilgung. — 
Der Abfluss ist klar und geruchlos, so dass die Beschwerden der 
Anwohner und der Stadt Biebrich schweigen. Nach Dr. Koch 
genügt die Klärung, wenn die Infektionsstoffe unschädlich gemacht 
sind und der Ablauf nicht in stinkende Fäulniss übergeht. Das 
Berieselungsverfahren erreicht diesen Zweck nicht ganz, da die 
Nothausläufe immerhin Fäkalien in den Fluss führen. Inwieweit 
die Krankheitskeime in Wiesbaden getödtet werden, das ist noch 
nicht festgestellt; es dürfte indess erwiesen sein, dass der Kalk 
hierzu geeignet ist. Die nachträglich eintretende Bakterien-Ent- 
wicklung ist unschädlich. Dass die gelösten organischen Stoffe 
nicht gewonnen werden, ist ein landwirtschaftlicher, kein hygie¬ 
nischer Nachtheil. Nach der Ansicht des Vortragenden steht ge¬ 
sundheitlich die künstliche Klärung der Rieselung gleich; sowohl 
horizontale als vertikale Klärung erreiche den Zweck. 

Stadtbaumeister Wiebe (Essen) macht eingehende Mitthei¬ 
lungen über die Erfahrungen mit dem Röckner-Rothe’schen System 
in Essen. Der Kanalanschlusszwang besteht dort seit zwei Jahren; 
die Einleitung der Fäkalien wird von der Stadt erstrebt, ist aber 
hoch nicht gestattet. Die künstliche Reinigung ist nöthig, weil als 
Vorfluth nur der kleine Bernebach zur Verfügung steht. Der 
Trockenwasser-Ablauf beträgt (ohne die getrennt entwässerten 
Kruppschen Werke) 11,000 bis 12,000 cbm. täglich. Die aufgc- 
stellten vier Rothe’schen Cylinder genügen bei 2,5 mm Geschwin¬ 
digkeit des aufsteigenden Wassers zur Reinigung von 12,000 cbm. 
Bei starkem Regenfall fliesst ein Theil des Wassers über das in 
die Berne eingebaute Wehr ab. Zur Noth können indess 30,000 cbm 
gereinigt werden bei etwa 6 mm Geschwindigkeit, wie die Erfahrung 
gezeigt hat. Das Betriebspersonal für Tag und Nacht besteht aus 


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einem Vorsteher, der Maschinentechniker ist, 2 Maschinisten und 
4 Arbeitern. Die Reinigungsvorrichtungen sind ein Gitterrost, ein 
durch eine Zunge getheilter Vorbrunnen und vier Brunnen mit 
Hebecylindern. Aus dem Vorbrunnen hebt ein Becherwerk die 
schwereren Sinkstoffe. Aus den Brunnen heben Schlammpumpen 
den sehr flüssigen Schlamm in hochgelegte Rinnen, welche ihren 
Inhalt in vier staffelartig angeordnete Schlammlager entleeren, von 
wo das abgeklärte Schlammwasser entweder in die Abflussrinne 
fliesst oder, wenn es noch schmutzig ist, in die Brunnen zurück¬ 
geleitet wird. Ein Schwimmer regulirt den Zulauf der Chemikalien 
selbstthätig. Ein Kalkzusatz von 0,17 kg pro cbm genügt nach 
den angestellten Proben zur ausreichenden Tödtung der Bakterien. 
Der Fäkalienzusatz stört die Reinigung nicht, sondern verlangt nur 
stärkeren Chemikalienzusatz. Die Menge des ausgepumpten Schlam¬ 
mes hat im Winter 1 °/o, im Sommer bis 2,3 °/o des Kanalinhalts 
betragen; nachdem diesem Schlamm durch Drainage und Abklä¬ 
rung das Wasser theilweise entzogen ist, enthält die übrigbleibende 
Masse noch etwa 80 °/o Wasser, ist in diesem Zustande aber stich¬ 
fest. Die landwirtschaftlichen Proben, welche mit dem gewonne¬ 
nen Schlamm veranstaltet wurden, sind vorzüglich ausgefallen; 
zum Theil wird derselbe unentgeltlich von Landwirthen abgeholt. 
Die Betriebskosten ohne Unterhaltung und Tilgung betragen täg¬ 
lich 61 bis 83 M. und pro cbm Abwasser durchschnittlich 0,64 Pf. 
Die gesammten Betriebskosten pro Jahr müssen zu 29,250 Mark 
angenommen werden. Die Kläranlage hat 230,000 Mark gekostet. 
Für Verzinsung, Amortisation und Unterhaltung sind 12,800 Mark 
anzusetzen, so dass die jährliche Last 29,250 + 12,800 = 42,050 

Mark beträgt, also pro Kopf der Bevölkerung = 62 Pf. 

Stadtbaurath Lohausen (Halle a. S.) spricht über die Klär¬ 
anstalt, welche seit einigen Jahren in Halle für ein Kanalgebiet in 
Betrieb ist, welches 900 cbm Abwasser von einer Bevölkerung von 
etwa 10,000 Köpfen lieferte, Fäkalien aber nur ohne Erlaubniss 
enthält. Der allgemeine Zulass der Fäkalien wird indess beabsich¬ 
tigt. Die Klärung geschieht in zwei Brunnen hinter einander unter 
Zusatz von Kalk und Müller-Nahnsen’schen Chemikalien. Die Re¬ 
gulirung des Zusatzes geschieht selbstthätig durch vier Kästen, in 
welche sich sowohl die Chemikalien als das Kanalwasser ergiessen. 
Zwei drehbare Siebe dienen zur Entfernung der Schwimmstoffe. 
Die Schlammpumpen arbeiten ohne Ausschaltung und drücken den 
Schlamm in Filterpressen. Da die Anstalt innerhalb der Stadt 
liegt, so wurde über Gestank geklagt, was dadurch beseitigt ist, 
dass die Mischapparate ummantelt wurden und nunmehr die Gase 
zu einem Verbrennungsofen geführt werden. Eine zweite Klage 
bezieht sich auf den Preis der Chemikalien. Der Versuch, ohne 


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chemische Zuschläge zu arbeiten, misslang, weil der entstehende 
Schlamm sich als nicht pressfähig herausstellte, das geklärte Wasser 
auch bald wieder in Fäulniss überging. Beim Zusatz von bloss 
schwefelsaurer Thonerde zeigte sicli das nämliche. Auch Torf¬ 
zusatz war ohne befriedigendes Ergebniss. Eine regelmässige Ein¬ 
nahme wurde aus dem Schlammkuchen bisher nicht erzielt. Die 
Anlagekosten betrugen 35,000 Mark, die Betriebskosten täglich 
18 Mark oder einschliesslich Zinsen und Tilgung pro Kopf und 
Jahr 83 Pfg. 

Bezüglich der Kostenfrage scheint hiernach das Essener Ver¬ 
fahren den anderen überlegen zu sein. 

Stadtbaurath Bokelberg (Hannover) hebt die zweifelhaften 
Ergebnisse aller bisher ausgeführten Kläranlagen hervor, insbeson¬ 
dere den völlig ungelösten Zustand der Frage nach dem Verbleib 
und der Verwendung der dem Kanalwasser entnommenen Schlamm¬ 
massen. Zur Zeit müsse man immer noch die Berieselung als das 
beste Verfahren betrachten und könne nur im Nothfalle dazu 
rathen, eines der künstlichen Klärungsysteme anzuwenden. Wo ein 
dringendes Bedürfniss zur Klärung nicht vorliege, d. h. wo erheb¬ 
liche Uebelstände aus dem Einlass des ungereinigten Kanalinhalts 
in den Fluss sich noch nicht herausgestellt hätten, da thue man 
wohl, die weitere Entwicklung der Sache abzuwarten, um nicht 
grosse Summen für Reinigungs - Anlagen zu opfern, die vielleicht 
schon nach kurzer Zeit durch zweckmässigere und wohlfeilere an¬ 
dere Einrichtungen übertroffen seien. Er bringe daher folgenden 
Antrag ein: 

„Die Versammlung nimmt mit grossem Interesse von den bei 
den verschiedenen künstlichen Reinigungs-Verfahren der Abwässer 
gemachten Fortschritten Kenntniss; sie ist aber auch jetzt noch der 
Ansicht, dass keines dieser Verfahren sich bisher schon vollkom¬ 
men bewährt hat, namentlich auch die schwerwiegende Frage der 
Verwendung der Rückstände noch nicht gelöst ist. Die Versamm¬ 
lung muss daher um so mehr an ihrem in Breslau gefassten Be¬ 
schlüsse (Siehe Jahrgang 1886 dsr. Ztschr. S. 378) festhalten, als 
auch der Kostenpunkt bei der künstlichen Reinigung ein hoher ist.“ 

Dr. Hüppe (Wiesbaden) spricht sich dahin aus, dass für die 
Zukunft der Kläranstalten nicht bloss die Wahrnehmung durch die 
Sinne, sondern in erster Linie die Bakterientödtung massgebend 
sei. Unter allen angewendeten Mitteln ist es nur das Calcium¬ 
hydroxyd, welches ausgezeichnet desinfizirt, und zwar am 
günstigsten bei senkrechter Bewegung im entgasten Wasser. 

Nachdem noch Chemiker Dr. Lepsius (Frankfurt) die bei 
den von Lindley mitgetheilten Versuchen an der Frankfurter 
Kläranlage gefundenen Resultate näher erläutert hatte, wurde der 
Bokelberg’sche Antrag mit grosser Mehrheit angenommen. 


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Am dritten Versammlungstage war der erste Gegenstand der 
Verhandlung die Frage: „Welchen Einfluss hat die heutige 
Gesundheitslehre, besonders die neuere Auffassung 
des Wesens und der Verbreitung der Infektions¬ 
krankheiten auf Bau, Einrichtung und Lage der Kran¬ 
kenhäuser? 

Prof. Dr. C ursch mann (Leipzig, früher Krankenhausdirector 
in Hamburg) hielt einen fesselnden Vortrag, dessen Inhalt durch 
die nachfolgenden Sätze des Redners annähernd wiedergegeben ist: 

Allgemeines. 

Die schon seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts von Ein¬ 
zelnen aufgestellten, hier und da auch praktisch verwertheten 
sachgemässen Forderungen in Bezug auf Lage, Bau und Einrich¬ 
tung von Krankenhäusern sind durch die bedeutenden neueren 
Fortschritte auf dem Gebiet der Gesundheitspflege und der Er- 
kenntniss der Krankheitsursachen so wesentlich vertieft und be¬ 
festigt, dass grundsätzliche Zweifel im Grossen und Ganzen nicht 
mehr bestehen. 

Da es heute als feststehend zu betrachten ist, dass die äusseren 
Lebensverhältnisse, unter welche wir unsere Kranken bringen, von 
mindestens gleicher Wichtigkeit sind, wie das directe ärztliche 
Eingreifen, so ist es unabweisbar geworden, der passenden Gestal¬ 
tung der ersteren bei Einrichtung von Krankenhäusern möglichst 
uneingeschränkt Rechnung zu tragen. 

Thunlichste Einfachheit in Bezug auf System und Ausführung, 
gewissenhaftes Vermeiden alles Ueberflüssigen oder zweifelhaft 
Nützlichen ermöglichen es, berechtigte, sehr weit gehende ärztlich¬ 
technische Anforderungen mit den rückhaltlos anzuerkennenden 
öffentlichen, namentlich finanziellen Rücksichten in Einklang zu 
bringen und damit den Grundsatz zu verwirklichen: Das beste 
Krankenhaus ist das, welches möglichst viel mit möglichst einfachen 
Mitteln erreicht. 

Besonderes. 

Krankenhäuser, namentlich grosse und mittelgrosse, sind ausser¬ 
halb der Städte auf Plätzen zu errichten, welche der Gefahr dichter 
Umbauung nicht ausgesetzt sind. 

Der trockene, leicht zu drainirende Bauplatz soll, wenn thun- 
lich, etwas erhöht und mit Rücksicht auf die herrschende Wind¬ 
richtung so gelegen sein, dass die Zufuhr der verunreinigten Stadt¬ 
luft auf das geringste Mass beschränkt bleibt. 

Bedeutende Anforderungen sind an die Grösse des Bauplatzes 
zu stellen: mindestens 130 bis 140qm pro Krankenbett, für Epi¬ 
demie-Abtheilungen bis zu 200 qm. 

Ceotralblatt f. allg. GeauodheiUpflege. VIII. Jahrg. 7 


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Die grössere Entfernung der Krankenhäuser von den Städten 
macht die Organisation eines öffentlichen, ausreichend rasch und 
präcis arbeitenden Krankentransport-Wesens erforderlich; 
eine ohnehin bestehende hygienische Nothwendigkeit, da die noch 
an vielen Plätzen übliche Verwendung von Droschken and anderen 
allgemein benutzbaren Fuhrwerken für den Transport acuter, oft 
ansteckender Kranker als ein gefährlicher Unfug bezeichnet wer¬ 
den muss. 

Während für kleinere Krankenhäuser (bis zu 80, ja 100 Betten) 
eine Corridor-Bauart unter einem Dache noch sehr wohl erlaubt 
ist, sollte darüber hinaus nur ein — je nach besonderen Zwecken 
modificirtes — Zerstreuungssystem zulässig sein. 

Für allgemeine Krankenhäuser (ohne klinische, militärische 
oder sonstige specielle Zwecke) empfiehlt es sich, dieses Zerstreu¬ 
ungssystem so weit auszubilden, dass die grösste Zahl besonders 
der inneren und chirurgischen Kranken in lediglich erdgeschossigcn 
Pavillons (Baracken) unterzubringen ist. 

Die Behauptung, dass durch eine solche Zerstreuung die Ver¬ 
waltung und Ueberwachung erschwert werde, ist durchaus un¬ 
richtig. Bei zweckmässiger Stellung der Einzelbauten zu einander 
und zu den Verwaltungsgebäuden, passenden Wegeanlagen und 
praktischen Diensteinrichtungen erhöht das System im Gegentheil 
die Uebersichtlichkeit einer grösseren Krankenzahl. 

Für grössere Anstalten ist im sanitären wie dienstlichen In¬ 
teresse der centralen Lage der Oeconomie- und Verwaltungs-Ge¬ 
bäude die excentrische vorzuziehen, letztere (wegen des für die 
Kranken lästigen Rauchs) mit Rücksicht auf die am Orte gewöhn¬ 
liche Windrichtung. 

Mit Bezug auf Licht und Sonnenwärme ist eine Stellung der 
Pavillons mit der Richtung ihrer Längsachse von Süd nach Nord 
der vielfach üblichen (Frankreich) von West nach Ost wenigstens 
für unsere geographische Lage vorzuziehen. Am südlichen Ende 
ist am passendsten der für jeden grösseren Pavillon unentbehrliche 
Tageraum anzubringen. 

Unter Voraussetzung guten Baugrundes gehört die Errichtung 
der Krankengebäude auf einem für die äussere Luft offenen Pfahl¬ 
oder sonstigen Unterbau oder die totale Unterkellerung derselben 
zu den ganz unnöthigen, den Bau wesentlich vertheuernden, sogar 
nachtheiligen Einrichtungen. 

Dasselbe gilt von jeder complicirten Dachconstruction, beson¬ 
ders der Anbringung von Zwischendecken mit dadurch entstehenden 
Bodenräumen. Das Dach — am besten ein Holz-Cementdach — 
soll die unmittelbare Decke des Krankensaales bilden. 

Die Pavillons durch gedeckte Gänge untereinander zu ver¬ 
binden, ist für die Kranken bei geeigneten Transportmitteln kein 


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Erforderniss, für Aerzte und Personal unnöthig, für die freie Luft¬ 
bewegung ein Hinderniss. 

Hinsichtlich der Bauart der Pavillons sind bei nicht zu un¬ 
günstigem Klima einfache Fachwerkbauten, in kälterer Gegend 
massive Backsteinbauten am vortheilhaftesten. Die Innenwände 
sollen glatt, möglichst ohne Fugen, Ecken und Vorsprünge, nur bis 
zu l 1 /*—2 m Höhe vom Fussboden mit Oelfarbanstrich, Kacheln 
oder dergleichen versehen, im Uebrigen mit Wasserfarbe (Poren¬ 
ventilation) gemalt sein. 

Die ausgiebigen Thüren des Krankensaales sowie die (nicht 
höher als 0.75 m vom Fussboden beginnenden, bis nahe zur Decke 
reichenden) zahlreichen Fenster desselben sind so anzubringen, dass 
bei natürlicher Durchlüftung nirgends eine todte Ecke bleibt. Ener¬ 
gische Zugluft ist nicht wenigen Infectionsstoffen gegenüber ein 
wirksameres und sichereres Beseitigungsmittel als manche viel ge¬ 
priesenen chemischen Agentien. 

Für Herstellung des Fussbodens sind dem Holze Stein oder 
ähnliches Material, besonders Terrazzo oder Mettlacher Fliesen, 
weit vorzuziehen, um so mehr als das Hauptbedenken hiergegen, 
die Kälte, sich durch passende Heizeinrichtung beseitigen lässt. 

Die allen Ansprüchen am gleichmässigsten genügende Heizungs¬ 
art des Pavillons ist diejenige vom Fussboden aus, wie sie im 
Hamburger Neuen Allgemeinen Krankenhause zuerst zur Anwen¬ 
dung gelangte. 

Reine sogenannte Luftheizungen sind zu verwerfen, Kamin- 
und Ofenheizungen ohne Nachtheil durchführbar. Wo Dampf¬ 
oder Warmwasserheizungen gewählt werden, können dieselben ent¬ 
weder von einer einzigen Centralstelle oder von einer in jedem 
Pavillon besonders eingerichteten Feuerstelle ausgehen. Für aus¬ 
gedehnte Anstalten ist (bei Verwendung von wenig rauchendem 
Feuerungsinaterial, Coaks etc.) das letztere System vorzuziehen. 

Bezüglich der Art der Ventilation ist bei dem Erdgeschoss¬ 
pavillon-System die wichtigste und für die wärmere Jahreszeit 
völlig ausreichende die natürliche durch Wände, Thüren, Fenster 
und Dachreiter. In Verbindung mit geeigneten künstlichen Vor¬ 
richtungen sollte man auf diese auch im Winter nur theilweise 
verzichten. 

Der Erleuchtung wird in Zukunft die Electricität dienen. 
Schon heute sind die Erfahrungen und technischen Fertigkeiten 
auf diesem Gebiet so weit gediehen, dass für jeden Krankenhaus- 
Neubau ihre Anwendung in Betracht gezogen werden muss. 

Landesrath Fuss (Danzig) stellt die Frage: Sind Hospitale 
für ansteckende Kranken (Pocken, Diphtheritis etc.) der Nachbar¬ 
schaft nachtheilig? 


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Medizinalrath Dr. Kuby (Augsburg) ist der Meinung, dass 
die Cur sch mann’schen Sätze wesentlich nur für Grossstädte an¬ 
wendbar seien, dass kleinere Städte aber in der Regel beim Cor- 
ridorbau verbleiben und Unterkellerungen beibehalten werden. 
In Stockwerksbauten dürfen freie Altane für Genesende nicht fehlen. 

Medizinalrath Dr. Hüpeden (Hannover) will zwar ein mäs- 
siges Zerstreuungssystem nicht tadeln, glaubt aber, dass man von 
der Uebertreibung dieses Systems zu einer grösseren Sammlung 
zurückkehren werde. Eine Zahl von 1500 Kranken für eine An¬ 
stalt sei entschieden zu viel; hier empfehle es sich, in Abthei¬ 
lungen von etwa 4 bis 500 zu zerstreuen. Dabei seien zwei¬ 
geschossige Bauten durchaus nicht zu verwerfen, halten wir doch 
im Allgemeinen die Beletage für hygienisch vortheilhafler als das 
Erdgeschoss. Die Zerstreuung erschwere die Ueberwachung ohne 
Frage, und dem Uebermass an frischer Luft sei durch Verbindungs¬ 
gänge zwischen den Baracken zweckmässig entgegenzuwirken. 

Krankenhausdirektor Dr. Aufrecht (Magdeburg) versteht 
unter Baracken eingeschossige Bauten ohne künstliche Lüftung, 
unter Pavillons zweigeschossige Bauten mit künstlicher Lüftung. 
Letztere bewähren sich in Magdeburg bei Pulsionsluftheizung vor¬ 
trefflich; sie seien vielleicht im Bau theurer, aber in der Wirtli- 
schaft jedenfalls billiger als Baracken. Für Städte mit beschränk¬ 
tem Anbaufelde sei das Pavillonsystem im Allgemeinen entschieden 
vorzuziehen. 

Medizinalrath Dr. Stehberger (Mannheim) vertritt ebenfalls 
die Ansicht, dass für Mittelstädte Krankenhäuser mit etwa 400 
Betten in mehrgeschossigen Pavillons mit Verbindungsgängen den 
Vorzug verdienen. Jedenfalls müsse man die Sätze des Referenten 
trennen nach den nothwendigen und den bloss wünschenswerthen 
Erfordernissen. 1 

Referent, Prof. Dr. Curschmann, erwidert, dass Kranken¬ 
häuser für die Umgebung im Allgemeinen nicht schädlich seien, 
dass aber bei ansteckenden Krankheiten besondere Vorsicht nöthig 
sei. Diphtherie werde nicht in die Nachbarschaft übertragen, bei 
Fleckfieber, Scharlach und Pocken sei das aber nicht ausgeschlossen. 
Für Corridorbauten sind Unterkellerungen zweckmässig, freie Al¬ 
tane zu empfehlen. Die Rheumatismusfurcht infolge zu luftiger 
Stellung von Baracken sei unbegründet, jedenfalls nicht begrün¬ 
deter als auch bei Corridorbauten. Beim Barackensystem sei die 
Ansammlung von Kranken bis zu 1500 zulässig und für die Ver¬ 
waltung billiger; nach seinen Erfahrungen kosten 1500 Kranke pro 
Kopf 2,50 M., 150 Kranke aber 3,50 M. pro Kopf täglich. Auch 
der Transport der Kranken aus den Baracken durchs Freie nach 
den Operationsräumen etc. sei unbedenklich. Die Gutheissung 
seiner Sätze durch förmliche Abstimmung werde nicht verlangt. 


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Den letzten Gegenstand der Verhandlungen bildete das Thema 
„Strassenbefestigung und Strassenreinigung“. 

Referent Stadtbaumeister Heuser (Aachen) begrenzt zunächst 
den Umfang der Aufgabe, welche die Strassenreinigung um¬ 
fasst, und bespricht dann die zweckmässigsten Mittel und Wege 
zur Bewältigung dieser Aufgabe. Die Beseitigung des Haus- 
Kehrichts gehört zwar streng genommen nicht zur Strassen- 
reinigung; da sie aber, sobald sich die städtische Verwaltung mit 
ihr befasst, am besten im Zusammenhang mit der eigentlichen 
Strassenreinigung betrieben wird und ihre sachgemässe Behandlung 
für die öffentliche Gesundheit von der grössten Wichtigkeit ist, so 
ist sie mit in den Kreis der Betrachtung zu ziehen. Der Umfang 
des Strassenreinigungsgeschäftes wird leicht unterschätzt. Eine 
Stadt von 100,000 Einwohnern liefert täglich bei trockenem Wetter 
durchschnittlich etwa 35—40 Tonnen, bei nassem Wetter 100—180 
Tonnen Strassenkehricht, ferner etwa 25—35 Tonnen Hauskehricht, 
welche Massen zu sammeln, abzufahren und weiter zu verarbeiten 
oder wenigstens unschädlich zu machen sind. Es wird empfohlen, 
die Strassenreinigung, zum mindesten diejenige der Strassenfahr- 
bahnen, nicht durch die Anwohner, sondern durch die Gemeinde 
zu besorgen, da letztere durch den sich ergebenden grösseren Be¬ 
trieb unter Verwendung von Maschinen eine bessere und billigere 
Leistung erzielt und durch Ausführung der Arbeit zur Nachtzeit 
dem Strassenverkehr und den Anwohnern geringere Belästigungen 
verursacht. Die lange Ansammlung des Hauskehrichts, wie solche 
gewöhnlich da stattfindet, wo Kehrichtgruben (Müllgruben) in Ge¬ 
brauch sind, wird als gesundheitsschädlich verworfen und eine 
wöchentlich mindestens zweimalige Abfuhr als nothwendig hinge¬ 
stellt. Die Ansammlung kann dann in kleinen tragbaren Gefassen 
geschehen, welche leicht zur Strasse zu bringen und in die Kehricht¬ 
fuhrwerke zu entladen sind, welche alle Strassen der Stadt in 
regelmässigem Wechsel durchfahren. Die Strassen- und Haus- 
kehrichtmassen müssen möglichst rasch zu Düng- oder gewerb¬ 
lichen Zwecken verwandt oder nöthigenfalls durch Verbrennen un¬ 
schädlich gemacht werden. Insoweit die Massen zu Düngzwecken 
verkauft oder auch unentgeltlich abgegeben werden können, ist 
dies immer die billigste Art der Beseitigung, die aber in grossen 
Städten meist nicht ausreicht. Redner bespricht ausführlich die 
in englischen Städten, wie in Manchester, Glasgow u. s. w., be¬ 
stehenden grossartigen Anstalten zur Verarbeitung der Kehricht¬ 
massen , sowie die ebenfalls in englischen Städten in Betrieb 
stehenden Oefen zur Verbrennung des Kehrichts. Dieses Verbren¬ 
nen ist ohne Zweifel das in gesundheitlicher Beziehung empfeblens- 
wertheste Verfahren und wird sich auch meist billiger stellen, als 
eine weitgehende Verarbeitung zu Dünger. Redner weist darauf 


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94 


hin, dass Städte, welche Anlagen zur Reinigung der Kanalwasser 
auf mechanischem und chemischem Wege besitzen, den bei diesem 
Verfahren gewonnenen Schlamm zweckmässig zusammen mit dem 
Strassen- und Hauskehricht verarbeiten oder nötigenfalls ver¬ 
brennen. 

Bezüglich des Besprengens der Strassen zur Verhinderung des 
Staubes wird bemerkt, dass das beste Mittel zur Verminderung 
des Staubes eine häufige und gründliche Reinigung der Strassen 
sei, ohne dass dadurch indess das Besprengen überflüssig wird. 
In Seestädten geschieht das Besprengen zweckmässig mittelst See¬ 
wasser, welches eine anhaltendere Wirkung ergibt und in der Regel 
billiger sein wird. Die Schneemassen, welche selbst bei einem 
nur mässigen Schneefall auf den Strassenflächen sich ablagern, 
sind so gross, dass keine städtische Verwaltung daran denken 
kann, dieselben vollständig beseitigen zu lassen. Die Beseitigung 
wird sich immer auf die verkehrrcichsten, engsten oder am tiefsten 
gelegenen Strassen, in welchen bei eintretendem Thauwetter Ueber- 
schwemmungen zu befürchten sein würden, beschränken müssen. 
Im Uebrigen wird man darauf bedacht sein, die Fusswege und 
Strassenrinnen von Schnee frei zu halten und den letzteren in der 
Fahrstrasse in langen schmalen Haufen derart aufzustellen, dass 
auch für den Fuhrwerksverkehr einigermassen Raum bleibt. Die 
Verwendung von Salz kann zum raschen Aufthauen gute Dienste 
leisten, ist aber möglichst zu vermeiden, da die dabei erzeugte 
grosse Kälte den Füssen von Menschen und Thieren schädlich ist 
und das Salzwasser das Schuhwerk durchtränkt und immer steif 
erhält. 

Dr. Blasius (Braunschweig) als Correferent spricht über die 
hygienischen Anforderungen an den Strassenbau und die 
Strassendecke. Gegen die englischen Subways, d. h. Tunnels im 
Strassenkörper zum Unterbringen der mannigfachen Rohre und 
Leitungen erhebt der Vortragende Bedenken wegen der bei Fehlern 
der Gasleitung zu befürchtenden Knallgasentwicklung und im Hin¬ 
blick auf elektrische Störungen. Er empfiehlt die von ihm in Ge¬ 
meinschaft mit dem Vorredner aufgestellten Sätze, welche nach 
einigen Bemerkungen des Oberingenieurs Meyer (Hamburg) und 
des Professors Baumeister (Karlsruhe) in folgender Fassung von 
der Versammlung gutgeheissen werden: 

„A. Strassenbefestigung. 

Untergrund. 1) Jede Strasse ist auf möglichst reinem, von 
organischen und schädlichen Stoffen freiem, gut entwässertem Boden 
anzulegen. 2) Der Untergrund der Strassen (entweder gewachsener 
oder aufgeschütteter Boden) ist möglichst fest herzustellen unter An¬ 
wendung der nöthigen Vorsichtsmassregeln gegen Brüche der in 


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95 


den Strassenkörper zu legenden Leitungen (Gas-, Wasser-, Kanal-, 
Telegraphen-, Telephon-, Rohrpost- u. s. w. Leitungen). 

Oberfläche. 3) Die Strassenoberfläche soll möglichst eben, 
bezw. regelmässig gekrümmt, möglichst wasserundurchlässig und 
möglichst fest sein, damit das Wasser möglichst rasch abfliesst, 
der Untergrund nicht verunreinigt wird, die Strassenreinigung leicht 
und gründlich geschehen kann und wenig Schmutz und Staub ent¬ 
steht. Ausserdem soll die Oberfläche durch den Verkehr möglichst 
wenig Geräusch verursachen. 

B. Strassenreinigung. 

Umfang derselben. 4) Die Strassenreinigung hat sich zu 
erstrecken auf die Fortschaffung und Unschädlichmachung, bez. 
Verwerthung des Strassen- und Hauskehrichts, auf möglichste 
Verhinderung des Strassenstaubes und Beseitigung des Schnees 
und Eises. 

Einrichtung derselben. 5) Zur Erreichung einer der¬ 
artigen, möglichst zweckmässigen, den heutigen Anforderungen 
genügenden Strassenreinigung sind folgende Einrichtungen zu treffen: 

a) Die Reinigung der Strassen, zum mindesten diejenige der 
Strassenfahrbahnen, ist nicht durch die Anwohner, sondern 
durch die Gemeinde zu besorgen; die zusammengekehrten 
Massen sind sofort abzufahren. Es empfiehlt sich, diese 
Arbeiten während der Nachtzeit vorzunehmen. 

b) Die längere Ansammlung des Hauskehrichts in grossen 
Behältern (Müllgruben u. s. w.) ist zu vermeiden. Die 
Abfuhr des Hauskehrichts soll vielmehr mindestens zwei¬ 
mal wöchentlich durch die Gemeinde geschehen, zu welchem 
Zweck die Ansammlung in festen oder tragbaren Gefassen 
zu bewirken ist, welche unschwer in die durch Deckel¬ 
klappen zu verscliliessenden Kehrichtfuhrwerke zu ent¬ 
leeren sind. 

c) Die Strassen- und Hauskehrichtmassen sind möglichst 
rasch zu Düng- oder gewerblichen Zwecken zu verwenden 
oder auf andere Weise, nöthigenfalls durch Verbrennen, 
unschädlich zu machen. Die zur vorläufigen Ablagerung 
dienenden Plätze sollen so beschaffen und gelegen sein, 
dass weder bereits vorhandene, noch in Zukunft entste¬ 
hende bebaute Stadttheile (z. B. durch Verunreinigung des 
Untergrundes) geschädigt werden. 

d) Bei trockener Witterung sind die Strassen zur Verhinde¬ 
rung des Staubes reichlich mit reinem Wasser zu be¬ 
sprengen. 

e) Im Winter sind die Gehwege (in der Regel durch die An¬ 
wohner) nach Möglichkeit von Eis und Schnee zu befreien 


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96 


und mit Sand und Asche zu bestreuen, sowie die Rinnen 
und deren Einläufe für den Wasserabfluss bei eintretendem 
Thauweiter frei zu halten. Ferner sind (in der Regel 
durch die Gemeinde) die Strassenkreuzungen für den Fuss- 
gängerverkehr, sowie der mittlere Theil der Fahrstrassen 
für den Fuhrwerksverkehr nach Möglichkeit offen zu halten 
und die zu beiden Seiten der Fahrstrassen den Rinnen 
entlang aufgehäuften Schneemassen nach Bedarf, insbe¬ 
sondere in engen, verkehrreichen und tiefgelegenen Strassen, 
abzufahren. Bei Verwendung von Salz zum Aufthauen, 
was nur bei besonderem Verkehrsbedürfniss statthaft ist, 
sind die geschmolzenen Massen durch Abkehren und Nach¬ 
spülen mit reichlichen Mengen reinen Wassers zum raschen 
Abfluss zu bringen.“ 

Zum Schluss fand ausser den verschiedenen Danksagungen 
die Ergänzungswahl des Ausschusses statt, nach welcher der letz¬ 
tere für das neue Geschäftsjahr bestehen wird aus den Herren 
Oberbürgermeister Becker (Köln), Oberbürgermeister Böttcher 
(Magdeburg), Landesrath Fuss (Danzig), Geh. Sanitätsrath Dr. 
Graf (Elberfeld), Oberingenieur Meyer (Hamburg), Professor 
Riet sehe 1 (Berlin), und Sanitätsrath Dr. Spiess (Frankfurt a. M.). 


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SaoliWeisung über Krankenaufnahtne und Bestand in den Krankenhäusern aus 54 
Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat November 1888. 



Hospitäler 


atu 

|Schlusse 


= 1,11 

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Krankh eitsformen der Aufpenommenen 

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Sterblichkeit^ - Statistik von 54 Städten der Proyinsen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat November 1888. 



Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Dortmund 

Bochum 

Hagen 

Hamm 

Witten 

Iserlohn 

Siegen 

Gelsenkirchen 

Lippstadt 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Barmen 

Crefeld 

Essen 

Duisburg 

M.-Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a d. Ruhr 

Rheydt 

Viersen 

Wesel 

Neuss 

Oberhausen 

Solingen 

Styrum 

Wermelskirchen 

Velbert 

Ronsdorf 

Süchteln 

Ruhrort 

Lennep 

Aachen 
Esch weder 
Eupen 
Burtscheid 
Stolherg 

Köln 

Bonn 

Mülheim a. Rhein 

Ehrenfeld 

Deutz 

Kalk 

Trier 

Malstadt-Burbach 
St Johann 
Saarbrücken 

Coblenz 

Kreuznach 

Neuwied 

Wiesbaden 

Kassel 


36000 101 33,7 45 

1860-2 4-7 30,3 14 

16600 39 -28,2 22 

82000 271 39,7 162 
40767 143 42,1 82 

31329 103 42,0 60 
23479 89 45,5 57 
23859 84 42.2 36 
20600 53 60,0 25 
17250 47 32,7 28 

22074 94 51,1 48 

10649 33 37,2 24 


130284 
1 1800(1 
108000 
103626 
7 < > 1 < m > 
50761 
54 >( KXJ 
3504 in 
25752 
25000 
22228 
20677 
21304 
21422 
18641 
18922 
11000 
10588 
11000 
9465 
9546 
8844 


431 39,7 220 
362 36.8 170 
321 35,7 129 
315 36,9 15 
226 38,5 124 
195 46,1 90 

160 38,4 69 
91 31,2 58 
94 43,8 38 

73 35.0 39 
58 31,3 31 
41 23,8 32 
55 30,9 33 
86 48,2 40 
47 30,3 39 
67 42,5 33 
38 41,5 23 

41 48,9 22 
29 31,6 24 

21 26,6 19 

32 40,2 18 

29 39,3 19 


101331 297 35,2 
16798 57 40,7 29 

15441 30 23,3 22 

12139 33 32,6 23 

11792 54 54,9 19 

181330 584 39,2 299 
37600 116 37,0 81 
26600 57 28.5 67 

27269 92 40,1 64 

20917 79 45,3 20 

11418 42 44,1 31 

34131 84 29,5 55 

14950 75 60,2 29 
13598 39 34,4 17 

9514 36 45,4 20 

32647 83 30,5 51 

16900 40 28.4 21 

10192 36 42.1 19 


3 . . 14 
5 1 3 

15 
13 

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1 ... 3 


2 .. .. 

2 .. .. 

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56000 134 28,7 79 10 16,91 
67077 118 22,1 97 12 16,6 .. I.. I.. I 7 I.. I s| 


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NacliTveisung’ Uber Kninkenaufnahine und Bestand in den Krankenhäusern aus 54 
Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat December 1888, 
































































Naohweisuug über Krankenaufnähme und Bestand In den Kranken- 

Nassau während 


Städte 

Krankenhäuser 

Bestand 

Rin 

Schlüsse 

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Summa der 
Aufgenommenen 


Krankheits- 



Pocken 

Varicellen 

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Scharlach 

Diphtheritis 
und Croup 

Keuchhusten 

Unterleibstyph. 

Bielefeld 

stadt. u kath. Krankenhaus 

61 

59 

470 



l 


18 


7 

Minden 

städtisches Krankenhaus 

•171 

28 

275 



4 

i 

1 

.. 

19 

Paderborn 

Landeshospital 

46 

33 

300 



.. 

3 

12 

. . 

10 

Herford 

städtisches Krankenhaus 

1\ 

45 

247 


. . 



2 


6 

Dortmund 

Louisen-u. Johanneshospital 

250 

260 

2608 



4 

55 

144 

2 

92 

Bochum 

Augusta Anstalt 

1231 

124 

1273 



1 

2 

6 

.. 

25 

Hagen i. W. 

städtisches Hospital 

93 

103 

671 



.. 


39 

.. 

12 

Witten 

evangel. und Marienhospital 

201 

174 

1312 


. . 

.. 

4 

14 


25 

Hamm 

städtisches Krankenhaus 

35 

35 

103 


• • 


... 

4 

.. 

6 

Iserlohn 


63 

56 

346 




4 

1 

., 

2 

Siegen 

* w 

28 

30 

464 





5 

3 

31 

Gelsenkirchen 

Marienstift u. ev. Krankenh. 

154 

176 

1705 



2 


18 

4 

65 

Schwelm 

städtisches Krankenhaus 

32 

30 

218 





15 


7 

Düsseldorf 

evangel. Hospital 

146 

135 

1036 



12 

3 

20 

1 

17 


Marien-Hospital 

241 

260 

1785 


i 

3 

3 

35 


24 

Elberfeld 

St. Josephs-Hospital 

206 

187 

1712 




2 

32 


23 

Barmen 

städtisches Krankenhuus 

16 ( .) 

R'»8 

17 85 

i 



3 

16 

i 

35 

Crefeld 


183 

178 

1306 



3 

12 

3 

4 

3 

Essen a. d. Ruhr 

Huyssen-Stif u. Krupp’sches 












Krankenhaus 

258 

126 

1604 


l 

4 

2 

12 


57 

Duisburg *) 



70 









M.-Gladbach 

ev. u.Ma ria hilf- Krankenhaus 

136 

116 

668 




1 

10 


14 

Remscheid 

städtisches Krankenhaus 

40 

42 

422 



6 


7 

i 

7 

Mülheim a.d.Ruhr 


76 

75 

414 



2 

i 

5 


16 

Viersen 

„ 

fr 

0 

110 


l 


l 

... 

i 

1 

Wesel 

D Hospital 

47 

45 

375 




l 

2 


... 

Rheydt 

„ Krankenhaus 

31 

37 

213 




2 

8 


12 

Neuss 

1) * 

43 

43 

205 





1 


1 

Solingen 

* * 

1)1 

107 

514 



4 

12 

6 


44 

Styrum 

* * 

32 

32 

148 




5 

3 



Ruhrort 

Haniels-Stiftung 

35 

30 

181 





2 


8 

Süchteln 

städtisches Krankenhaus 

18 

13 

20 








Odenkirchen 

w r 

6 

4 

81 





2 


1 

Aachen 

Louisen-Hospital 

45 

58 

457 




4 

3 


9 

* 

Marien-Hospital 

235 

244 

1062 




6 

21 

3 

34 

Eschweiler 

St. Antonius-Hospital 

1)5 

112 

200 





1 


12 

Eupen 

St. Nicolaus-Hospital 

36 

32 

158 







3 

Burtscheid 

Marien-Hospital 

84 

01 

506 







4 

Stolberg 

Bethlehems-Hospital 

74 

77 

171 







6 

Köln 

Bürger-Hospital 

631 675 

7180 


5 

29 

79 

142 

10 

122 

Bonn 

Fr.-Willi.-Stift (ev. Hospital) 

65 

62 

413 



3 

3 

11 


7 

Mülheim a. Rhein 

städt. u. Dreikönigenhospital 

121 

137 

804 


2 

2 

6 

33 


28 

Deutz 

städtisches Krankenhaus 

63 

04 

408 

5 


1 


1 

• • 

3 

Ehrenfeld 


38 

68 

373 




7 

4 


... 

Kalk 

* it 

51 

60 

460 



5 


7 


28 

Trier 

städt. Hosp. u. Stadtlazareth 

1)1) 

75 

310 

1 




7 

• * 

18 

Saarbrücken 

Bürgerhospital 

50 

53 

540 



1 

2 



92 

Kreuznach 

städtisches Krankenhaus 

46 

46 

403 



3 

5 

6 


28 

Neuwied 

1) 1* 

38 

40 

215 



3 

1 

11 

1 

1 

Wiesbaden 

städtisches Krankenhaus 

122 

117 

1750 


328‘ 

9 

17 

8 

l*i 

22 

Bettenhausen 

Landkrankenhaus 

175 

172 

2377 



4 

10 

59 


1 37 

Fulda 

f« 

04 102 

1021 



1 

6 

32 


17 

Hanau 


64 

75 

601 




1 

52 

1 • • 

6 

Eschwege 

* 

37 

22 

415 



3 

• • • 

31 


13 

Rinteln 


14 

12 

156 




1 

4 


2 

Schmalkalden 

* 

20 

15 

147 




... 

... 

:: 

1 


Duisburg. W@§en Fehlen einzelner Monats-Nachweisungen 


* Krätze und Ungeziefer, 
konnte die Jahres-Nachweisung nicht 









































Wechffelfieber 


hinsern ans 54 Städten der ProYlnzen Westfalen, Rheinland nnd Hessen* 
des Jahres 1888. 


formen der Aufgenommenen 



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11 

15 

16 

35 

33 

4 

2 

2 

22 

22 

56 

220 

53 

3 

8 

1 

14 

8 


1 

7 

6 

10 

43 

147 

26 

... 

14 

11 

u 

16 

12 

3 

2 

8 

15 

55 

133 

40 

2 

7 

10 

8 

11 

11 


3 

18 

2 

43 

127 

31 

71 

129 

53 

103 

39 

11 

8 

20 

49 

48 

356 

1383 

213 

3 

40 

17 

17 

32 

2 


8 

12 

47 

266 

791 

62 

1 

6 

9 

24 

8 

12 

4 

6 

14 

ÜO 

163 

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15 

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45 

22 

13 

48 

11 

217 

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224 

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96 

39 

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108 

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22 

4 

2 


3 

11 

62 

40 

29 

596 

309 

42 

403 

191 

38 

27 

96 

206 

111 

947 

3689 

631 

6 

14 

6 

14 

12 

5 

2 


8 

25 

43 

249 

25 

13 

46 

21 1 

62 

29 

7 

5 

8 

27 

27 

181 

377 

116 

14 

20 

24 

42 


8 

5 

3 

14 

2 

73 

188 

49 

... 

11 


24 





3 

18 

35 

255 

60 

13 

9 

28 

8 

12 

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14 

22 

195 

126 

40 

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29 

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135 

93 

37 

24 

5 

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9 

81 

230 

54 

9 

6 

1 

32 

19 

2 

2 

2 

12 

14 

42 

217 

26 

7 

15 

8 1 

19 

9 

1 


2 

4 

12 

35 

82 

39 

98 

39 1 

35 

86 

53 

76 

13 

4 

77 

57 

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543 

132 

133 

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40 

94 

76 

30 

3 

16 

64 

68 

303 

1356 


14 

41 

14 

39 

94 

41 

5 

1 

29 

30 i 

142 

504 


28 

36 

27 

7 

7 

51 

2 

2 

14 

31 

78 

253 


5 

20 

11 

8 

16 

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12 

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Sterbliohkeits-Statieitik von 54 Städten der Provinzen 



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Lebensalter der Gestorbenen 

Städte 

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1886 

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Bielefeld 

36000 

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38,6 

53 

690 

19,2 

215 

111 

38 

105 

111110 


Minden 

18602 


30,6 

19 

335 

18,0 

84 

57 

11 

38 

69 

76 

. . 

Paderborn 

16600 

527 

31,7 

15 

358 

21,6 

80 

34 

29 

55 

67 

93 


Dortmund 

82000 

3541 

43,2 

112 

1861 

22,7 

574 

434 

164 

215 

261 203 

1 

Bochum 

40767 

1899 

46,6 

65 

947 

23,2 

301 

193 

87 

161 

133 

82 


Hagen 

31329 

1256 

40,1 

35 

803 

25,6 

225 

167 

72 

106 

113 

120 

. . 

Hamm 

23479 

989 

42,1 

31 

595 

25,3 

153 

135 

68 

71 

69 

99 

. . 

Witten 

23859 

978 

41.0 

44 

524 

22,0 

138 

82 

31 

99 

99 

74 

1 

Iserlohn 

21044 

811 

38,5 

31 

420 

20,0 

114 

58 

24 

57 

82 

85 


Siegen 

17500 

587 

33,5 

11 

389 

22,2 

73 

57 

43 

63 

81 

72 

. . 

Gelsenkirchen 

22074 

1250 

56,6 

32 

608 

27,5 

252 

106 

31 

112 

62 

45 

. . 

Lippstadt 

10649 

345 

32,4 

12 

270 

25,4 

66 

58 

24 

27 

35 

60 


Düsseldorf 

130284 

4965 

38,1 

183 

2766 

21,2 

1046 

434 

137 

340 

367 

441 

1 

Elberfeld 

118000 

4268 

36,2 

164 

2174 

18,4 

667 

330 

155 

279 

338 403 

2 

Barmen 

108000 

3943 

36,5 

18«) 

1990 

18,4 

667 

233 

131 

270 

310.378 

1 

Crefeld 

103626 

4068 

39.3 

133 

2128 

20,5 

832 

292 

120 

274 

265345 


Essen 

70400 

2868 

40.7 

125 

1447 

20,6 

473246 

103211 

229 

185 


Duisburg 

50761 

2358 

46,5 

85 

1145 

22,6 

458 189 

75 140 

130 

153 


M.-Gladbach 

50000 

1966 

39,3 

43 

1037 

20,7 

380; 141 

76 136 

137 161 


Remscheid 

35000 

1411 

40,3 

70 

769 

22,0 

191 122 

75 

129 

119 

133 


Mülheim a. d. Ruhr 

25752 

1120 

43,5 

50 

592 

23,0 

240 

56 

44 

77 

80 

95 


Rheydt 

25000 

965 

38,6 

29 

520 

20,8 

173 

68 

33 

66 

77 

103 


Viersen 

22228 

754 

33,9 

37 

484 

21,8 

134 

81 

34 

62 

67 

106 


Wesel 

20677 

603 

29,2 

20 

367 

17,7 

101 

50 

24 

44 

55 

93 


Neuss 

21304 

805 

37,8 

20 

493 

23,2 

175 

61 

28 

55 

70 

104 


Oberhausen 

21422 

1003 

46,8 

27 

536 

25.0 

186 

95 

49 

79 

67 

59 

i 

Solingen 

18641 

713 

38,2 

48 

493 

26,4 

185 

54 

44 

77 

55 

78 


Styrum 

18922 

891 

47,1 

44 

420 

22,2 

144 

88 

45 

43 

49 

51 


Wermelskirchen 

11200 

407 

36,3 

17 

246 

22,0 

63 

43 

11 

33 

27 

69 


Velbert 

10588 

511 

48.3 

35 

mm 

24,7 

90 

25 

21 

37 

36 

52 


Ronsdorf 

11000 

347 

31,5 

23 

262 

23,8 

72 

51 

24 

33 

23 

59 


Süchteln 

9465 

310 

32.7 

12 

193 

20,4 

49 

22 

16 

26 

29 

51 


Ruhrort 

9546 

MM 

41,9 

12 

258 

27,0 

115 

32 

11 

30 

28 

42 


Lennep 

8844 

339 

38,3 

17 

214 

24,2 

40 

31 

15 

33 

40 

55 


Aachen 

101331 

3574 

35,3 

104 

2238 

22,1 

877 

246 

96 

231 

272 

516 


Eschweiler 

16798 

711 

42,3 

22 

376 

22,4 

147 

38 

20 

35 

49 

87 


Eupen 

15441 

487 

31,5 

8 

316 

20,5 

105 

22 

13 

29 

42 

102 

3 

Burtscheid 

12139 

457 

37,6 

11 

262 

21,6 

82 

33 

14 

21 

47 

65 


Stolberg 

11792 

555 

47,1 

16 

286 

24,3 

122 

29 

9 

29 

36 

61 


Köln 

181330 

6535 

36,0 

204 

4185 

23,1 

1504 549 

208 

571 

564 

788 

1 

Bonn 

37(500 

1363 

36,3 

56 

948 

25,2 

294 

66 

55 

125 

189 

219 


Mülheim a. Rhein 

26500 

1138 

42,9 

55 

746 

28,2 

353 

61 

45 

105 

86 

96 


Ehrenfeld 

27400 

1172 

42,8 

26 

742 

27,1 

340 

114 

57 

70 

73 

87 

i 

Deutz 

20917 

752 

36,0 

29 

391 

18,7 

166 

41 

24 

52 

54 

54 


Kalk 

11418 

540 

47,2 

22 

351 

30,7 

181 

49 

23 

33 

37 

28 


Trier 

34131 

910 

26,7 

47 

761 

PP? 

151 

94 

57 

116 

140 

203 


Malstadt-Burbach 

14950 

784 

52,4 

29 

308 

pfljp 

117 

47 

30 

32 

36 

46 


St. Johann 

13598 

485 

35.7 

30 

231 

mwmt 

64 

28 

17 

22 

58 

42 


Saarbrücken 

9514 

416 

43,7 

8 

240 

25,2 

53 

21 

23 

50 

40 

53 


Coblenz 

32647 

817 

25.0 

33 

665 

20,4 

155 

98 

50 

78 

110 

174 


Kreuznach 


559 

33,1 

12 

352 

20,8 

92 

40 

32 

50 

51 

87 


Neuwied 

10192 


29,8 

7 

226 

22,2 

62 

26 

11 

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Wiesbaden 


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118 

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288 


Kassel 

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1913 

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17,8 

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284 204 

111 

150 

176 

279 















































Westfalen, Rheinland nnd Hessen-Nassan während des Jahres 1888. 



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Infections-Krankheiten 





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2 1 18 .. 8 .. 3 .. 125 ... 

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9 ... 13 9 9 .. 5 9 91 86 

.. 1 3 5.. 1 .. .. 45 32 

13 1 8 4 3 .. | 3 .. 43 30 

11 ... 46 .. 6 .. .. 2 110 38 

1 2 4 .. 11. 46 26 

2 1 8 .. 2 .. 1 .. 26 9 

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7 ... 4 5 .... 1 .. 35 29 

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3.. 2 38 31 

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. 9 10 348 227 
. 4 5 373 229 
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Gewaltsamer 
Tod durch 

Verunglück, 
oder nicht 
näh. constat. 
Einwirkung 

Selbstmord , 

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Sterblichkeit« - Statistik* ron 54 Städten der Proylnsen Westfalen, 

Rheinland und Hessen -Nassau pro Monat Deceniber 1888, 



Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Dortmund 

Bochum 

Hagen 

Hamm 

Witten 

Iserlohn 

Siegen 

Gelsenkirchen 

Lippstadt 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Barmen 

Crefeld 

Essen 

Duisburg 

M.-Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a. d. Ruhr 

Rheydt 

Viersen 

Wesel 

Neuss 

Oberhausen 

Solingen 

Styrum 

Wermelskirchen 

Velbert 

Bonsdorf 

Süchteln 

Ruhrort 

Lennep 

Aachen 

Eschvveiler 

Eupen 

Burtscheid 

Stolherg 

Köln 

Bonn 

Mülheim a. Rhein 

Ehrenfeld 

Deutz 

Kalk 

Trier 

Malstatt-Bu rbaeh 
St. Johann 
Saarbrücken 

Coblenz 

Kreuznach 

Neuwied 

Wiesbaden 

Kassel 
























































































105 


Kleinere Mittheilnngen. 


* Ueber das Gypsen der Weine in Frankreich erstattete eine 
Commission, deren Präsident Dr. Bergeron, und Mitglieder u. a. die Herren 
Lagneaü, Proust, Colin, Vallin sind, der Acad6mie de M6 de eine zu 
Paris einen ausführlichen Bericht, dem wir folgende Einzelheiten entnehmen 
(Bulletin de TAcademie, 1888, Nr. 23): 

Die Commission hatte bei ihren Untersuchungen drei Hauptpunkte im 
Auge: die Nothwendigkeit der Verwendung des Gypses bei der Produktion, 
die Handelserfordernisse und das Interesse der Consumenten. 

Der besonders in Südfrankreich ganz allgemeine Gebrauch des Gypsens 
bietet vielfache Vortheile: er befördert und vervollkommnet die Gährung 
des Weines, erhöht seine Säure und lebhafte Farbe, klärt ihn rascher und 
trägt zu seiner Conservirung und Transportfähigkeit sehr bei. Doch stehen 
diesem Nutzen tiefgehende Veränderung in der Beschaffenheit des Weines 
gegenüber. Seit 1853 hat man sich in wissenschaftlichen Kreisen oft und 
eingehend mit dieser Frage beschäftigt, doch erst seit wenigen Jahren ist 
man zu einem vorläufigen Resultate gelangt mit Hülfe bekannter Chemiker, 
wie z. B. Chancel, Buignet, Gautier und Magnier de la Source. 

Die Veränderungen, die durch das Gypsen im Weine vor sich gehen, 
sind kurz zusammengefasst die folgenden: 

In den Trauben ist ein reicher Gehalt an doppelt weinsaurem Kali vor¬ 
gebildet, welcher in Folge der geringen Löslichkeit dieses Salzes nur zum 
Theile in den Most als gelöst übergeht. Bei Zusatz von Gyps (schwefel¬ 
saurem Kalk) wird dieser gelöste Theil des doppelt weinsauren Kalis in der 
Weise zersetzt, dass sich unlöslicher weinsaurer Kalk und lösliches saures 
schwefelsaures Kali bilden, welches letztere in dem Moste gelöst verbleibt. 
In weiterem Verfolge dieser Zusetzung treten dann aus der Traubenmasse 
neue Mengen von doppeltweinsaurem Kali in die Mostflüssigkeit gelöst aus 
und unterliegen wiederum der gleichen Zersetzung, so lange der Gypszusatz 
ausreicht. Auf diese Weise wird der Most erheblich reicher an Säure und 
zugleich wird durch das Mitreissen aller in ihm suspendirten Stoffe mit dem 
niederfallenden weinsauren Kalk die Flüssigkeit sehr geklärt. Ausser den 
vorbezeichneten Zusetzungseffekten bewirkt der Gypszusatz aber noch die 
. Zersetzung der neutralen organischen Kalisalze, welche im Traubenmark irf 
erheblicher Menge vorhanden sind, und er bringt im Weine die Farbstoffe 
zur Lösung, welche in Schaale und Kern des Traubenmarks eingeschlossen 
ruhten. Einzelne dieser Farbstoffe enthalten nach A. Gautier Eisen in 
organischem Combinationszustande. 

Bleibt noch hinzuzufügen, dass der weisse Gyps, dessen man sich be¬ 
dient, trotzdem er der beste im Handel vorkommende ist, doch immer 
einen mehr oder weniger grossen Bestandtheil von kohlensaurem Kalk 
enthält und zuweilen Magnesia mit kleinen Mengen Soda und sehr ver- 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. g 


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— 106 — 


schieden grossen Mengen Aluminium. Alle diese Unreinigkeiten werden 
dem Wein einverleibt und ändern seinen Geschmack und seine hygienischen 
Eigenschaften. Es sei auch bemerkt, dass der Wein eine gewisse Quantität 
schwefelsauren Kalk löst je nach dem Maasse seines Alkoholgehalts. 

Das Gypsen hat also den schädlichen Erfolg, dem Weine fremde Be- 
standtheile zuzufügen, namentlich das saure schwefelsaure Kali, dessen Wir¬ 
kung auf den Organismus nur schädlich sein kann. Der gegypste Wein ist 
in der That an seinem grösseren Gehalt an schwefelsauren Kali zu erkennen. 
Gewöhnlich enthält 1 Liter Wein 2—6 Gramm; man constatirte jedoch in 
einem Wein der Süd-Pyrenäen 7,38 Gramm und in einem Clermonter sogar 
8,23 Gramm. Die natürlichen Weine ergeben dagegen in der Analyse nur 
6 Decigramm (0,60 Gramm) pro Liter. 

Die Menge des bei der Weinbereitung verwendeten Gypses wechselt je 
nach dem Lande, der Bodenbeschaffenheit, der Rebenart, den Gewohnheiten 
der Weinbauer. Prof. Bouffard berichtet, dass in Südfrankreich z. B. auf 
700 Liter Wein 1200 Gramm bis 7 Kilogramm Gyps kommen. Sorgfältige 
Producenten bemessen den verwendeten Gyps ganz genau im Verhältniss 
zur Ernte, doch gypsen die meisten aufs Unbestimmte hin und daher meist 
im Uebermass, was sich aus der Hefe constatiren lässt. Eine gesetzliche 
Regelung der Procedur des Gypses wäre also entschieden im Interesse der 
Gesundheit nothwendig und gingen der französischen Akademie schon seit 
lange die verschiedensten diesbezüglichen Anträge zu. Obengenannte Com¬ 
mission beantragte in der Sitzung vom 10. Juli d. J. die Feststellung von 
2 Gramm Maximalgehalt an schwefelsaurem Kali pro Liter Wein, weicher 
Vorschlag einstimmig angenommen ward und mit Hülfe der Regierung 
durchzuführen sein wird, trotz des heftigen Widerspruchs der betheiligten 
Handelskreise, dem sich auch die spanische Regierung anschloss, in der 
Furcht, dass der Export der spanischen Weine, besonders des Xeres, unter 
dem Verbot leiden könne. In Spanien ist seit Jahrhunderten der Gebrauch 
des Gypses ganz allgemein, „ schon seit der Zeit des Plinius“ sagt der Be¬ 
richt des spanischen Gesandten in Paris, der zugleich die Schädlichkeit des 
Gypsens, als von den Aerzten selbst vielfach in Zweifel gestellt, läugnet. 
Dieser Ansicht tritt Dr. Pouchet in den Annales d’Hygiöne Publique 
(August 1888) sehr entschieden entgegen und veröffentlicht einen Theil des 
Gutachten von Dr. Richard, der die Gesundheitsgefährdung durch zu grossen 
Kaligehalt des Weines besonders bei längerem Genuss desselben durch zahl¬ 
reiche Beispiele, meist aus Südfrankreich, beweist. Bei einem Maximal¬ 
gehalt von 2 Gramm sind bislang keine der bei höherem Gehalt auftreten¬ 
den schädlichen Folgen, wie Kolik, Entzündung der Verdauungsorgane etc. 
constatirt worden und ist daher dies Zugeständniss vorläufig einem 
absoluten Verbot des Gypsens vorzuziehen, das unfehlbar nicht nur dem 
Weinhandel, der ohnehin schon in Frankreich in den letzten Jahren so sehr 
zurückgegangen, grossen Schaden zuziehen, sondern auch der Fabrikation 
von künstlichen Weinen Vorschub leisten würde, deren unhygienische Be¬ 
schaffenheit ausser Frage steht. F. 


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107 


* Ueber den colonialen und internationalen Congress zur 
Bekämpfung der Trunksucht, der am 6. Juli 1887 zu London unter 
der Präsidentschaft von Dr. Norman Kerr stattfand, bringt das „Mouve¬ 
ment hygienique“ ein längeres Referat, dem wir folgende für unsem Leser¬ 
kreis interessante Einzelheiten entnehmen: 

Der Herausgeber des amerikanischen „Journal of Inebriety, Grothers, 
berichtete über die Trink er-Asyle in den Vereinigten Staaten, die seit 
dem Jahre 1854, dank den Bemühungen Dr. Tumeis, errichtet wurden. 
Eis wurden deren mehr als 50 geschaffen, von denen 30 in voller Thätig- 
keit sind; 20 andere wurden in Irrenhäuser, Wasserheilanstalten etc. 
umgewandelt. Auf wirklich wissenschaftlicher Grundlage wird der Alko¬ 
holismus nur in wenigen der vorhandenen Asyle studirt und behandelt; 
ca. 40 °/o der Trunksüchtigen wurden im Ganzen in den verschiedenen 
Anstalten geheilt, wo mehr als 3000 Fälle Aufnahme fanden. 

Im Staate Connektikiit werden die Trunksüchtigen, sei es aus eigenem 
Antrieb, sei es durch Vermittlung anderer, in Asylen untergebracht, ohne 
dass das Einschreiten eines Richters oder Gerichtshofes nöthig ist. In den 
anderen Ländern sind die Alkoholisten, bezüglich der Unterbringung, den 
Geisteskranken gleichgestellt. 

Die meisten Asyle verdanken der Privat-Initiative oder Vereinen ihr 
Entstehen, doch erhalten sie Staatszuschuss. Andere bestreiten ihre Kosten 
nur durch den Ertrag der Krankenpensionen und wohlthätigen Zuwendungen; 
es werden jedoch wenig Arme in diesen Asylen aufgenommen. Daher ist 
in mehreren Staaten die Errichtung von Anstalten angeregt worden, die 
ausschliesslich für unbemittelte Trunksuchtskranke bestimmt sind. 

Der Gefängnisgeistliche von Gier Remvell, Horsley, theilte mit, dass 
nach seinen Untersuchungen 75 °/o der Verbrechen direkt oder indirekt 
durch Trunksucht verursacht werden. Seiner Erfahrung gemäss biete die 
plötzliche Unterdrückung des Gebrauchs alkoholhaltiger Getränke selbst bei 
verhärteten Trinkern keinerlei Schwierigkeiten. Von 300 Selbstmorden 
schreibt Horsley 172 den Folgen der Unmässigkeit zu; desgleichen sei eine 
grosse Zahl von Kindesmorden in derselben Ursache begründet. Die An¬ 
gaben Horsley’s bezeugen ein erschreckendes Umsichgreifen des Alkoholismus 
unter den Frauen Englands. Im Jahre 1878 wies das männliche Geschlecht 
1751 Verhaftungen mehr auf als das weibliche; 1879 betrug der Unter¬ 
schied 530 und 1880 nur noch 470. 

Ritter Max v. Proskowitz trug einen interessanten Bericht über die 
Trunksucht in Oesterreich vor, wo auch diese moderne Plage, wie 
überall, reissende Fortschritte macht. Auf den Kopf kommen dort jährlich 
6,7 Liter destillirte Getränke; in einigen Gegenden steigt der Verbrauch 
sogar auf 15*/* Liter. In den Jahren 1884—85 war die Auslage für geistige 
(•Jetränke um 4 Millionen Gulden höher als in den beiden Vorjahren. 1885 
gab es 195,665 Schankstätten, d. h. auf je 195 Einwohner eine (Gesammt- 
bevölkerung: 39,000,000). Von 2742 Morden, die in Oesterreich begangen 
wurden in der Zeit von 1876—1880, waren 978 durch Betrunkene aus- 


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— 108 


geführt worden; in Böhmen von 435 Fällen 103, in der Moldau von 
242 Fällen 74. Im Wiener Irrenhaus kommen 33,41 der Fälle auf Rech¬ 
nung des Alkoholmissbrauchs, der bedeutend steigt seit der Alkohol¬ 
gewinnung aus Kartoffeln, Syrup, Rüben etc. 

In Schweden bestehen, wie Dr. Axel Dickson referirte, 2 Asyle für 
Trinker. Das eine derselben, zu Toemas befindlich, ist für die arbeitenden 
Klassen bestimmt; der Pensionspreis beträgt 250—600 Frcs. jährlich. Die 
Aufgenommenen müssen arbeiten, sei es auf dem Wirthschaftshof, sei es 
in verschiedenen Werkstätten, sie verpflichten sich wenigstens ein Jahr zu 
bleiben und erhalten keinerlei geistige Getränke. Ein Urtheil über die Resultate 
kann bei dem kurzen Bestehen der Anstalt noch nicht abgegeben werden. 

Dr. Petithau aus Lüttich bemerkte, dass auch in Belgien der Alkoho¬ 
lismus erschreckend zunahm und ein energisches, augenblickliches Ein¬ 
schreiten sehr Noth thue. England wie Holland sowohl wie Frankreich 
hätten Unterdrückungs-Massregeln ergriffen; es sei sehr zu wünschen, dass 
Belgien nicht zurück bleibe. F. 

* Die Zunahme des Alkoholmissbrauchs in Belgien wird durch 
einen vom Prinzen Rubenprö verfassten Kammerbericht in grelles Licht 
gestellt. Der Bierconsum ist auf 240 Liter im Jahr für den Kopf der Be¬ 
völkerung (nur Baiern steht im Bierconsum noch höher), der Branntwein¬ 
verbrauch auf 13 Liter (nur Russland und Dänemark stehen höher) ge¬ 
stiegen. Es wird berechnet, dass in Belgien etwa 100000 Personen leben, 
welche täglich ein halb Liter, und etwa 50000, welche täglich ein ganzes 
Liter Genövre trinken! F. 

*** Über die Verdaulichkeit der Fleischspeisen hat unter 
Prof. Penzoldt’s (Erlangen) Leitung Dr. Gigglberger Versuche angestellt. 
Untersuchungen dieser Art, an gesunden Menschen ausgeführt, liegen bis 
jetzt nur wenige vor, und neue Versuche beanspruchen daher ein besonderes 
Interesse. Dr. Gigglberger ermittelte die Zeitdauer, welche unsere gewöhn¬ 
lichen Fleischspeisen im Magen verweilen. Wie Prof. Penzoldt in der 
Münchener mediz. Wochenschr. (1887, Nr. 20) mitteilt, war die Versuchs¬ 
anordnung folgende: Zunächst wurde festgestellt, dass die Magenverdauung 
des Dr. G. wirklich regelrecht war. Nach zahlreichen Versuchen von 
Jaworski und Gluzcinski verschwindet das kleingeschnittene hartge¬ 
sottene Eiweiss eines Eies in 1V* St. aus dem Magen. Gerade so verhielt 
es sich bei Dr. G. — Die Probemahlzeit wurde jedesmal um etwa 12 Uhr 
bei völlig leerem Magen eingenommen. Sie bestand aus 250 g von Fleisch, 
Hirn oder Bries (selten etwas weniger) mit etwas Brühe und Salz ohne 
jede sonstige Zuthat. Während der Verdauung hielt sich Dr. G. ruhig. 
Alle Viertelstunden führte er sich die Sonde ein, um eine Spur Magen¬ 
inhalt auszudrücken. Wenn der Magen hierbei sich leer zeigte, wurde 
zum sicheren Beweise seiner Leerheit eine Ausspülung gemacht. Es wurde 
auch auf das mikroskopische Verhalten des Mageninhalts sowie das Auf¬ 
treten der Reaktionen auf freie Säure geachtet. 


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109 — 


Die Ergebnisse von 37 Versuchen sind in folgender Tafel zusammengestellt: 



Tierart 

Stück 

Zubereitung' 

Gewicht 

Zeitdauer 

1. 

Kalb 

Hirn 

gesotten 

250 g 

2.55 

2. 

* 

9 

9 

9 

2.30 

3. 

* 

9 

gebacken 

9 

3.05 

4. 

* 

9 

gesotten 

9 

2.30 

5. 

* 

Fleisch 

gebraten 

9 

3.00 

6 . 

» 

9 

9 


3.55 (3.30) 

7. 

• 

Fuss 

gesotten 

9 

3.50 

8. 

Rind 

Fleisch 

roh 


3.15 

9. 

* 

9 

9 

9 

3.00 

10. 

9 

9 

gesotten 

9 

3.30 

11. 

* 

9 

9 

9 

4.40 

12. 

• 

9 

gebraten 

160 

3.15 

13. 


Lende 


225 

4.00 

14. 




250 

3.45 

15. 

• 

9 

Beefsteak 

9 

3.50 (2.50) 

16. 

* 

Zunge 

gesotten 


3.05 

17. 

• 

9 

9 


3.40 

18. 

9 

9 

9 

9 

5.00 

19. 

9 

9 

geräuchert 

9 

4.15 

20. 

Hammel 

Fleisch 

gebraten 

.210 

3.30 

21. 

Schwein 

9 

9 

170! 

4.00 (3.30) 

22. 

* 

9 

9 

160! 

2.30 

23. 

* 

Schinken 

roh geschabt 

160! 

3.00 (2.30) 

24. 

« 

9 

9 

160! 

3.10 

25. 

9 

9 

roh 

160! 

4.15 

26. 

» 

9 

gekocht 

160 

3.00 

27. 

Hase 

Rücken 

gebraten 

250 

3.40 

28. 

9 

— 

H 

250 

4.25 

29. 

Huhn 

— 

gesotten 

220 

2.45 (2.20) 

30. 

9 

— 

gebraten 

230 

3.05 (2.35) 

31. 

Rebhuhn 

— 

9 

240 

3.30 (2.30) 

32. 

Taube 

— 

gesotten 

220 

3.35 

33. 

11 

— 

* 

260 

3.00 

34. 

* 

-- 

gebraten 

195 

3.10 

35. 

H 

— 

* 

210 

3.50 

36. 

Ente 


n 

280 

4.15 

37. 

Gans 

— 

* 

250 

4.00 


Anm.: Die eingeklammerten Zahlen bedeuten den Zeitpunkt, in welchem 
die Muskelfasern aus dem Mageninhalt verschwanden. 

Prof. Penzoldt macht darauf aufmerksam, dass diese Ergebnisse der 
an einem Individuum gemachten Versuche keine allgemeine Giltigkeit be¬ 
anspruchen. Wir sehen ja auch bei der Wiederholung von Versuchen mit 
derselben Fleischspeise zuweilen recht ansehnliche Unterschiede. Doch 
scheint für die eine Versuchsperson hervorzugehen, dass z. B. gesottenes 
Kalbshirn und Bries (Kalbsmilch) die kürzeste Zeit, Ente, Gans, Hase, 
Rindszunge viel länger im Magen verweilten, dass rohes Rindfleisch 
schneller den Magen verlässt als gekochtes und gebratenes u. s. w. In 
einzelnen Fällen wurde beobachtet, dass die Muskelfasern früher als die 
übrigen Bestandteile aus dem Mageninhalte verschwanden; es schien dies 
besonders bei fetten oder mit Fett zubereiteten Fleischsorten der Fall zu sein. 

Wünschenswert bleiben fernere Untersuchungen nach ähnlicher Anordnung. 

W. 


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110 


Heilknrs für stotternde Kinder. — Dem Vorgänge anderer 
Städte, namentlich Braunschweig, folgend, hat auf Veranlassung des Stadt¬ 
schulinspectors Dr. Boodstein nunmehr auch die städtische Schuldeputation 
in Elberfeld Heilkurse für Kinder, welche mit Sprachfehlern behaftet 
sind, in’s Leben gerufen. Die Theilnahme an diesen Kursen ist für die 
Kinder der Elberfelder Volksschulen unentgeldlich. Geleitet werden die 
Kurse von den Herren Lehrern Bruhne und Knippkamp, welche Herren 
seiner Zeit von der Stadt Elberfeld zu ihrer weiteren Ausbildung in die 
Heilanstalt von Dr. Gutzmann in Berlin entsendet worden waren. Vor¬ 
läufig sollen nur die am meisten mit Sprachgebrechen behafteten Schüler 
der Oberklassen in diese Heilkurse aufgenommen werden, denen dann 
später die Schüler der andern Klassen nachfolgen werden. 

Dr. Schmidt (Bonn). 

* Die Abfuhr der Fäkalstoffe aus Städten kann nach einer 
Verfügung des preussischen Ministers des Innern von gemeindewegen 
gegen eine von den Hausbesitzern zu zahlend en En tschädi- 
gung ausgeführt werden. Um nun die gesundheitspolizeilichen Missstände 
zu beseitigen, welche aus der zur Zeit theilweise bestehenden Art der Be¬ 
seitigung der Fäkalien herrühren, hat die Königliche Regierung zu Düssel¬ 
dorf die Landräthe und Bürgermeister ihres Bezirks auf die Zweckmässig¬ 
keit einer Uebernahme des Abfuhrwesens seitens der Städte 
durch nachfolgende Gircularverfügung hingewiesen: 

Düsseldorf, den 11. Mai 1888. 

„Die Art, wie die Beseitigung der Fäkalstoffe in den meisten Städten 
unseres Bezirks stattfindet, ist geeignet, erhebliche Gefahren für die Gesund¬ 
heit der Einwohner herbeizuführen. Noch immer werden vielfach Fluss¬ 
läufe und das Grundwasser durch Zuleitung von Fäkalien verunreinigt, und 
soweit diese Stoffe abgefahren werden, geschieht die Entleerung der Gruben 
im Allgemeinen so unregelmässig und ist das Verfahren der Ausräumung 
des Grubeninhalts und die Beschaffenheit der Gefasse, in welchen derselbe 
abgefahren wird, so mangelhaft, dass gesundheitsschädliche Einwirkungen 
unvermeidlich sind. 

Mit der Gefährdung der Gesundheit verbindet die bestehende Art der 
Fäkalienbeseitigung eine Schädigung des allgemeinen Volkswohlstandes, 
indem sie der Landwirthscliaft werthvolle DüngstolTe theils gänzlich entzieht, 
theils in schlechterer Beschaffenheit liefert, als bei zweckmässiger Behand¬ 
lung der Fäkalien der Fall sein würde. Um diese Uebelstände zu beseitigen, 
ist es dringend wünschenswerth, dass die Städte die Abfuhr der Fäkalstoffe 
zu einer Gemeindeeinrichtung gestalten. Nur hierdurch in Verbindung mit 
polizeilichen Vorschriften über die Ansammlung und regelmässige Fort- 
schafTung der Fäkalien auf den bewohnten Grundstücken kann ein der all¬ 
gemeinen Gesundheitspflege und den Interessen der Landwirthe förderlicher 
Zustand auf diesem Gebiete geschaffen werden. Polizeiliche Vorschriften 
allein genügen hierzu nicht, denn solange sich das Abfuhrwesen in den 


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111 


Händen von verschiedenen Privatunternehmern und den Abnehmern von 
Fäkalstoffen befindet, ist es kaum möglich in genügender Weise zu 
überwachen, dass die Abfuhr sämmtlicher Fäkalien regelmässig und den 
polizeilichen Vorschriften entsprechend ausgeführt wird. Auch wird es 
häufig an Abfuhrwagen von guter Beschaffenheit fehlen und die Polizei¬ 
behörde deshalb genöthigt sein, die Abfuhr in ungenügend eingerichteten 
Gefassen zuzulassen. 

Auch die privaten Interessen der einzelnen Gemeinde-Einwohner werden 
durch die Uebemahme des Abfuhrwesens seitens der Städte wesentlich 
gefördert. 

Die Grundstücksbesitzer, welchen die Verpflichtung die Fäkalstoffe ab¬ 
fahren zu lassen, obliegt, werden vor Uebervortheilungen, wie sie von den 
Privatunternehmern leicht ausgeübt werden können, gesichert und vor Be¬ 
lästigungen durch langsame und ordnungswidrige Entleerung der Gruben 
sowie unangemessenes Verhalten der mit der Entleerung der Gruben be¬ 
schäftigten Arbeiter geschützt. 

Auch werden die Gebühren, welche die Städte für das Abfahren der 
Fäkalien erheben werden, geringer bemessen werden können, als die Preise, 
welche jetzt Privatunternehmer fordern, da die Städte bei ihrem grösseren 
und rationelleren Betriebe die Abfuhr mit geringeren Kosten ausführen und 
für die Fäkalstoffe bei zweckmässiger Einrichtung höhere Preise erzielen 
werden, als jene. 

Für die Städte wird andererseits eine Belastung durch die Uebernahme 
des Abfuhrwesens nicht entstehen, da sie sich die Betriebskosten von den 
Grundbesitzern in Form von Gebühren erstatten lassen können, und das 
Eigenthum an den Fäkalstoffen erhalten, deren Verwerthung ihnen Erträge 
zuführen wird. Die Arbeitslast, welche den Gemeindebehörden durch die 
Uebernahme des Abfuhrwesens erwächst, wird, sobald die Schwierigkeiten 
der Einrichtung überwunden sind, gering sein, und kann völlig abgewälzt 
werden, wenn die Stadt, wie dies in Duisburg geschehen ist, die Abfuhr 
einem Privatunternehmer überträgt. Eine zweckmässige Einrichtung des 
Abfuhrwesens wird allerdings eine sorgfältige Erwägung aller in Betracht 
kommenden Umstände erfordern. 

Zunächst werden sich die Gemeindebehörden im Einvernehmen mit 
den Polizeibehörden, sobald durch Gemeindebeschluss im Prinzip festge¬ 
setzt ist, dass das Abfuhrwesen zu einer Gemeindeeinrichtung gestaltet 
werden soll, darüber schlüssig zu machen haben, welches System sich 
nach den örtlichen Verhältnissen am besten für die Stadt eignet. 

Von den beiden Hauptsystemen, dem Tonnensystem und dem Gruben¬ 
system, ist ersterem von gesundheitspolizeilichem Standpunkt aus den Vor¬ 
zug zu geben, weil es die Ansammlung grösserer Mengen von Fäkalstoffen 
auf bewohnten Grundstücken verhindert und eine fast absolute Sicherheit 
gegen die Verunreinigung des Bodens durch Fäkalien bietet, während cemen- 
tirte Gruben, wie sie das letztere System bedingt, selbst wenn sie gut her¬ 
gestellt sind, doch mit der Zeit leicht durchlässig werden. Andererseits 


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112 


wird die Einführung des Grubensystems die geringeren Schwierigkeiten 
bieten, da in den meisten Städten bereits Gruben zur Sammlung der 
Fäkalien bestehen werden, während die Aufstellung von Tonnen, bauliche 
Abänderungen und bei Häusern mit schmalen Treppen und Fluren grössere 
Umbauten erfordern wird. Wird somit die Durchführung des Tonnensystems 
in den bereits bestehenden Häusern vielfach nur mit grossen Kosten für 
die Besitzer derselben zu ermöglichen sein, so werden doch die Städte mit 
Rücksicht auf die gesundheitspolizeilichen Vortheile dieses Systems in Er¬ 
wägung zu ziehen haben, ob sich dasselbe nicht allmählig durch Anordnung 
von Tonnenvorrichtungen bei Genehmigung von grösseren Umbauten und 
Neubauten einführen lässt, während für die bereits bestehenden Gebäude 
den Hausbesitzern die Wahl zwischen beiden Systemen gelassen wird. So¬ 
dann werden die Gemebidebehörden dahin streben müssen, eine gute Ver- 
werthung der Fäkalien dauernd zu sichern, und zu diesem Zwecke dafür 
zu sorgen haben, dass die Fäkalien nicht durch fremde Stoffe, Asche, Müll 
u. s. w. verschlechtert werden, und dass Vorkehrungen geschaffen werden, 
um die Fäkalien für diejenigen Jahreszeiten zu sammeln, an welchen die 
Landwirthschaft der Düngmittel bedarf und daher die Fäkalien zu gutem 
Preise verkauft werden können. Es ist dringend zu empfehlen, dass sich 
die Gemeindebehörden hinsichtlich der Fragen, wie die Fäkalien am zweck- 
massigsten zu behandeln und zu sammeln sind, mit den landwirtschaft¬ 
lichen Vereinen in Verbindung setzen. 

Dieselben werden auch im Allgemeinen im Stande und bereit sein, 
den Absatz der Fäkalien zu vermitteln. 

Eine Verarbeitung der Fäkalien zu trockenen Düngmitteln, wie sie der 
Vorsitzende des Rheinischen Bauernvereins vor kurzem in einer Eingabe 
an den Herrn Ober-Präsidenten als wünschenswerth bezeichnet hat, werden 
die Städte jedoch nur dann selbst übernehmen können, wenn sich die land¬ 
wirtschaftlichen Vereine oder eine genügende Anzahl von Landwirten 
dauernd zur Abnahme der Produkte zu solchen Preisen verpflichten, dass 
wenigstens die Betriebskosten gedeckt und die Verzinsung und Amortisation 
des Betriebs- und Anlagekapitals gesichert wird, oder wenn die landwirt¬ 
schaftlichen Vereine in anderer Weise das mit der Produktenfabrikation 
verbundene Risiko übernehmen. 

Sollten die Vereine oder kapitalkräftige Privatleute die Verarbeitung 
der städtischen Fäkalien für eigene Kosten zu übernehmen sich bereit 
finden lassen, so würde dadurch der Absatz der Fäkalien für die Städte 
am bequemsten erreicht. Das Recht der Städte, auf Grund eines Ortsstatuts 
und einer Polizeiverordnung die Abfuhr der Fäkalien durch ihre Beamte 
bezw. die von ihnen bestellten Unternehmer ausführen zu lassen und damit 
den Hausbesitzern das Verfügungsrecht über ihre Fäkalien zu entziehen, 
hat der Herr Minister in einer Entscheidung vom Februar d. J. anerkannt. 

Das Abfuhrwesen wird, sobald die Gemeinde es auf Grund des § 10 
der Städteordnung vom 15. Mai 1856 zu einer Gemeindeeinrichtung ge¬ 
staltet und die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder bezüglich der Theil- 


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113 


nähme an dieser Gemeindeeinrichtung feststellt, zu einem Gegenstände der 
Oekonomie der Gemeinde. Diese Feststellung der Rechte und Pflichten 
der Gemeinde-Mitglieder, namentlich auch die Bestimmung der von den 
Grundbesitzern für die Bemühung der Abfuhr zu entrichtenden Entschädi¬ 
gung erfolgt im Wege des Ortsstatuts. Die als Entschädigung zu zahlen¬ 
den Gebühren erhalten das Wesen der Gemeindeabgaben, und unterliegen 
der Beitreibung im Verwaltungszwangsverfahren. 

Um die Durchführung des Ortsstatuts mittels allgemeiner Strafvor¬ 
schriften zu erzwingen, bedarf es sodann des Erlasses einer Polizeiverordnung. 

Euer Hochwohlgeboren wollen hiernach in Erwägung ziehen, in wel¬ 
chen Städten Ihres Kreises eine Regelung des Abfuhrwesens nach Massgabe 
obiger Ausführungen nothwendig und durchführbar erscheint und uns unter 
Angabe der bisher in den einzelnen Städten bestehenden Einrichtungen zur 
Beseitigung der Fäkalstoffe binnen i Monaten Bericht erstatten. 

Abdrücke für die Bürgermeister der Städte über 10,000 Einwohner 
sind beigefügt. 

Königliche Regierung, Abtheilung des Innern: Koenigs. 

An sämmtliche Herren Landräthe, Oberbürgermeister zu Grefeld und 
Essen und Bürgermeister der Stadtkreise. 

* Der achte Congress für innere Medicin findet vom 15. bis 

18. April 1889 zu Wiesbaden Statt. Das Präsidium desselben über¬ 
nimmt Herr v. Liebermeister (Tübingen). — Herr Schultze (Bonn) 
wird eine Gedächtnissrede auf Herrn Rühle halten. Folgende Themata 
sollen zur Verhandlung kommen: Montag den 15. April: Der Ileus und 
seine Behandlung. Referenten: Herr Curschmann und Herr Leich ten- 
stern. — Mittwoch den 17. April: Die Natur und Behandlung der 
Gicht. Referenten: Herr Ebstein und Herr Emil Pfeiffer. — Fol¬ 
gende Vorträge sind bis jetzt angemeldet: Herr Immermann (Basel): 
Ueber die Functionen des Magens beiPhthisis tuberculosa. — 
Herr Petersen (Kopenhagen): Ueber die Hippokratische Heil¬ 
methode. — Herr Fürbringer (Berlin): Ueber Impotentia virilis. 
— Herr L. Lewin (Berlin): Ueber Arzneibereitung und Arznei- 
w i rk ung. 


Litteraturbericht. 


Dr. Karl Heyer, staatl. vereid. chem.-technischer Sachverständiger und Handels¬ 
chemiker. Ursache and Beseitigang des Blei-Angriffs durch Leitungs- 
Wasser. Chem. Untersuchungen aus Anlass der Dessauer Bleivergiftungen 
im Jahre 1886. Dessau 1888. Verlagsbuchhandlung von Paul Baumann. 

Die 58 Seiten fassende Schrift (nebst einer Tafel) gibt sehr beachtens- 
werthe und interessante Mittheilungen unter Anführung zahlreicher Unter- 


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114 — 


suchungen über den Blei-Gehalt des Dessauer Leitungswassere und die Be¬ 
seitigung desselben. Die Einleitung hebt hervor, dass bereits in zwei 
Abhandlungen von berufener Seite diese Blei-Vergiftung besprochen sei. 

1) Die Blei-Vergiftung durch Leitungswasser in Dessau im Jahre 1886 
von Dr. Richter, Medicinalrath und herzogl. Kreisphysikus in 
Dessau. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege Bd. 19 Heft 3 (Juli 1887). 

2) Wasserversorgung und Blei-Vergiftung, Gutachten über die zu Dessau 
im Jahre 1886 vorgekommenen Vergiftungsfälle von Regierungsrath 
Dr. G. W o 1 f f h ü g e 1. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheits-Amte. 

In der ersten Abhandlung sind ausschliesslich medicinische Beobach¬ 
tungen niedergelegt, in der zweiten allerdings auch die chemischen Arbeiten 
aber nur bis zum März 1887, während nachträglich, namentlich die Versuche 
und Erfahrungen über Beseitigung des Blei-Gehalts aus dem Leitungswasser 
erst zum Abschluss kamen. 

In dem ersten Abschnitt behandelt Verfasser Ausbreitung und Anlass 
der Blei-Vergiftungen. Im Juli und August 1886 waren mehrere Personen 
von leichtem Unwohlsein ergriffen, welches zwar mit den Symptomen einer 
leichten Blei-Vergiftung zu vereinen, aber nicht sicher gestellt war. Bei 
zwei Fabrikarbeitern, die Anfang August erkrankten, konstatirte jedoch 
Herr Medicin.-Rath Dr. Richter Blei-Vergiftung. Alle Nachforschungen 
betr. Fabrikthätigkeit, Anstrichfarben und Geräthe bez. einer Blei-Ver¬ 
giftung ergaben ein negatives Resultat, und als bald in zwei Häusern 
bei mehreren den verschiedensten Gewerbszweigen angehörigen Personen 
und auch sonst in der Stadt unter auf Bl ei-Vergiftung hinweisenden Symp¬ 
tomen Erkrankungen vorkamen, wurde der Arzt zu der Vermuthung ge¬ 
drängt, dass das Leitungswasser als solches oder in der Form von Füllbier 
der Anlass der Erkrankungen sei. 

Die Untersuchung des Wassers der Leitung verschiedener Entnahme¬ 
stellen ergab dann auch mit Sicherheit das Vorhandensein von Blei in ver¬ 
schiedenen Mengen. 

In der Zeit vom September 1886 bis Januar 1887 waren 54 Personen 
männlichen und 38 weiblichen Geschlechts, zusammen 92 Personen als an 
Blei-Vergiftung erkrankt gemeldet, und mindestens die doppelte Zahl soll 
an den Folgen von Blei-Aufnahme gelitten haben, ohne von ausgesprochener 
Bleikolik befallen gewesen zu sein. Die meisten Erkrankten gehörten dem 
Arbeiterstande an, aber auch andere Kreise zählten mit dazu; auf 27 
Strassen und 67 Häusern waren ausgeprägte Blei-Erkrankungen vertheilt. 

Man nahm eine Untersuchung der verschiedensten Nahrungsmittel, Mehl^ 
Zucker, Brot, Kaffee, Gonditorwaaren auf Blei vor, und auf eine Zeitungsnach¬ 
richt, dass in New-York Massen-Blei-Vergiftungen durch mit Bleichromat ge¬ 
färbte Fadennudeln vorgekommen seien, sind 40 Sorten der letzteren in dieser 
Richtung untersucht. Alle diese Stoffe erwiesen sich als bleifrei, nur ein 
Mineralwasser war bleihaltig, aber verdankte dem benutzten Leitungswasser 
den Gehalt. 


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115 


Die Nachforschungen hatten ergeben, dass von den Erkrankten 59 
Personen ihren Durst mit Fällbier — ein in einer Flasche aufbewahrtes 
Gemisch von 1 Theil dickem Bier und 2—3 Theilen Wasser — gestillt 
hatten. Verfasser gibt (p. 8) das von ihm befolgte Verfahren der Unter¬ 
suchung der Biere auf Blei an. Von 5 Brauereien war nur das Bier von 
2 Brauereien bleihaltig, und die Untersuchung des in den Brauereien 
benutzten Wassers ergab, dass zu den beiden bleihaltigen Bieren das 
Leitungswasser gedient hatte, was von da ab unterblieb. Da das Reinigen 
der Flaschen mit Schrot, nur in einigen der 59 Fällen geschah, konnte 
dieser Umstand auch nicht allein mitsprechen, dagegen war fast ausschliess¬ 
lich das Füllbier mit Leitungswasser bereitet. 

Nach diesen gründlichen Nachforschungen konnten somit die Ursachen 
der Blei-Vergiftungen nur am Blei-Gehalt des Leitungswassers liegen. 

Die Menge des im Wasser enthaltenen Bleis war naturgemäss grossen 
Schwankungen unterworfen. 

Am 4.-5. September sind in der der Leitung des Laboratoriums 
entnommenen Probe gewichtsanalytisch 2.89 mg Blei = 3,11 mg Bleioxyd 
pr.^Ltr. gefunden, von September bis November 1886 wurden an derselben 
Entnahmestelle gefunden pr. Ltr. Wasser: 

2,78 3,76 2,58 3,12 2,34 mg Blei 

2,99 4,05 2,78 3,36 2,52 mg Bleioxyd. 

Später sind colorimetrische Prüfungen — in mit einem Tropfen Essig¬ 
säure versetzten Wasser mit Schwefelwasserstoff in gleich hoher Flüssig¬ 
keits-Schicht — an den verschiedensten Entnahmestellen der Stadt ausge¬ 
führt und zwar in verschiedenen Stockwerken und nach verschiedener 
Ablaufzeit, was ja beides von besonderem Einfluss auf die Blei-Aufnahme 
sein musste. Von den vielen Beispielen seien hier nur einige angeführt: 
Probe entnommen in einem Garten (lange 

Leitung) o abgeflossen. 11,60 mg Bleioxyd pr. Ltr. 

Probe entnommen an einer anderen Stelle 

(Wohnung leer). 8,70 mg „ „ „ 

in anderen Fällen nur.0,15—1,75 mg „ „ „ 

Also sehr wechselnde Mengen. Nur die beim ersten Ablassen erhal¬ 
tenen Resultate berücksichtigt, ergibt sich pr. Ltr. ein durchschnittlicher 
Blei-Gehalt von 4,463 mg Bleioxyd. 

Der zweite Abschnitt bespricht die Versuche zur Ermittelung der Ur¬ 
sachen des Blei-Gehalts des Leitungswassers. Verfasser führt aus, dass die 
meisten mit Wasserleitung versehenen Städte für die Zuleitung von den 
Strassen nach den Häusern Bleirohre in genau dergleichen Weise wie in 
Dessau verwenden, ohne dass sich besprochene Uebelstände da zeigen. 
Das Wasser auf der Pumpstation entnommen, zeigte sich vollkommen 
bleifrei. An der Blei-Aufnahme könne somit nur Schuld sein: 

a) die Zusammensetzung des Bleirohrmaterials, 

b) besondere Witterungsverhältnisse, 

c) galvanische Einwirkungen oder 

d) die Zusammensetzung des Wassers. 


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Die Untersuchungen bez. a—c ergaben keinen Anhalt dafür, diesen 
Umständen eine Schuld an den Blei-Aufnahmen zuzuschreiben. Von den 
im Original zu ersehenden Angaben über diese Fragen sei nur eine Stelle 
bez. des Rohmaterials erwähnt. Verfasser sagt: „Während also Eisen und 
Zink die Blei-Aufnahme sehr stark vermindern, ja ganz aufheben können 
und auch Messing die Blei-Aufnahme verringert, wird dieselbe bei Gegen¬ 
wart von Zinn beträchtlich gesteigert. Es liegt in diesem Verhalten eine 
erhebliche Gefahr für die Verwendung von verzinnten Bleirohren bezw. 
Zinnrohren mit Bleimantel, denn wenn an irgend einer Stelle in solchem 
Rohre das Wasser Zutritt zum Blei erhält, wird die bis dahin vermiedene 
Blei-Aufnahme (was ja auch von verschiedenen Seiten beobachtet worden 
ist) weit stärker noch eintreten, als wenn „ungeschütztes“ Bleirohr ver¬ 
wandt worden wäre“. 

Da alle diese Nachforschungen bez. a—c ohne positive Resultate waren, 
und die Erfahrung zeigt, dass derartige Blei-Vergiftungen des Leitungs- 
wassere sehr selten Vorkommen, so drängte es zu der Annahme, dass die 
Ursachen der Blei-Aufnahme der Beschaffenheit des Wassers selbst zuzu¬ 
schreiben sei. 

Bei den vielseitigen Versuchen hatte sich ergeben, dass Luft ungemein 
fördernd auf die Blei-Aufnahme wirke, und man war geneigt, dem Luft- 
Gehalte die Schuld zuzuschreiben, zumal in der Literatur diese Erklärung 
vielfache Bestätigung fand. Auch war das Wasser in den Bleirohren wirk¬ 
lich lufthaltig, da im Sommer 1886 bei sehr starkem Konsum die Zuführung 
des Wassers in einzelnen Stadttheilen so ungenügend war, dass in einer 
ganzen Reihe von Häusern schon in den Mittel-, noch mehr in den oberen 
Wohnungen die Leitungen wochenlang tagsüber leer standen. Auch be¬ 
weisen über den Einfluss des Luftzutritts ausgeführte ehern. Untersuchungen, 
dass das Wasser an der Pumpstation um so reichlicher Blei aufnahm, je 
grösser der Luftzutritt war. Verfasser kommt zu dem Schluss, dass der 
Luftgehalt zwar fördernd für die Blei-Aufnahme sei, aber hier nicht 
als eigentliche Ursache betrachtet werden könne. Auch die Anschauung, 
dass der Grund in der allzu grossen Reinheit, d. h. der geringen Härte 
des Wassers läge, war nicht stichhaltig. 

Das Wasser enthielt pr. 100,000 nur 7,0—9,5 Rückstand, und die 
Härte betrug nur 2,5—2,8 0 (deutsch). Die Beobachtung, dass durch Dige- 
riren mit fein pulverisirtem Kalkstein (kohlens. Kalk) sich die Härte auf 5—6 0 
erhöhen Hesse, und dann kein Blei mehr löste, schien diese Ansicht zu be¬ 
stätigen. Später aber stellte sich heraus, dass nicht die grössere Härte, 
sondern der Umstand, dass die freie Kohlensäure durch Bildung von Bicar- 
bonat fortgenommen war, die Blei-Aufnahme verhütete. 

Das Muldewasser hatte bei annähernd gleicher Zusammensetzung nie¬ 
mals eine grössere Härte aber oft eine geringere (1,8—2,5°) und löste Blei 
nicht oder nur in kaum nachweisbaren Spuren. Verfasser fand nun, dass 
das Muldewasser freie Kohlensäure fast nie oder höchstens in Spuren, oft 
sogar nicht einmal halbgebundene Kohlensäure enthielt. Das Leitungswasser 


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— 117 — 


ist als „naturfiltrirtes“ Muldewasser zu betrachten, und nicht der Unter¬ 
schied in der Härte, sondern der in der freien Kohlensäure musste hier als 
besonders beachtenswerth erscheinen. Während das Muldewasser freie 
Kohlensäure meist gar nicht und halbgebundene Kohlensäure oft auch nicht 
enthielt, waren im Leitungswasser 5,4—9,3 Theile freie und halbgebundene 
Kohlensäure pr. 100,000 Theilen enthalten, wovon sich aus dem Kalk- 
Gehalt der grösste Theil als freie Kohlensäure berechnet. (Verfasser be¬ 
spricht hier noch Kohlensäure-Bestimmung durch Titration mittels Rosol- 
säure als Indicator und durch Digeriren mit kohlensaurem Kalk [p. 23].) 

Diese eingehenden Versuche führten den Verfasser zu dem Schluss, 
dass die Beschaffenheit des Wassers und zwar der Kohlensäure-Gehalt des¬ 
selben die Ursache der Blei-Aufnahme bilde. 

Der dritte Abschnitt handelt von den Versuchen zur Beseitigung des 
Bleigehaltes des Wassers. 

Das einfachste Mittel zur Beseitigung wäre das Ablaufen-lassen eines 
genügenden Quantums; aber wie zu erwarten war, konnte damit Sicheres 
keineswegs erzielt werden, bei der ungleichen Länge der Blei-Verbindungen 
muss die Wirkung eine ganz verschiedene sein. Die Versuche zur Abhülfe 
erstreckten sich im Wesentlichen auf: 

a) Abscheidung des Bleis aus bleihaltigem Wasser, 

b) Ersatz der Bleirohre durch anderes Rohrmaterial, 

c) Erzielung schützender Schichten auf den inneren Rohrwandungen 
der Bleirohre. 

Verfasser bespricht die Abscheidung des Bleies a) durch Kochen, b) durch 
Filtriren mit den verschiedensten Filtrir-Materialien, welch letzteres zum 
Theil recht günstige Resultate, aber nicht dauernd ergab; ferner den Ersatz 
der Bleirohre durch a) eiserne Rohre, b) verzinkte (galvanisirte), c) ge¬ 
schwefelte Bleirohre, d) Zinnrohre mit Bleimantel. Dann folgen Versuche 
zur Erzielung ein&r schützenden Schicht auf den inneren Rohrwandungen 
der Bleirohre. Behandeln der Rohrleitung mit Schwefelnatrium-Lösung 
ergaben wenig befriedigende Resultate. Andere Versuche bezweckten durch 
Zusätze zu dem Wasser auf den Rohrwandungen eine schützende Schicht 
zu bilden. Laboratoriums-Versuche mit Natriumphosphat, Natriumsulfat 
und Natriumchlorid waren von wenig Erfolg. Im grossen Massstabe sind 
dann mit Gyps-Zusatz Versuche angestellt. Ein Versuch im Kleinen hatte 
zwar die Wirkung von Gyps (irrthümlich) ergeben, es stellte sich jedoch 
heraus, dass dieser Gyps kohlens. Kalk enthielt, und nachdem die Ursache 
des Bleiangriffs in dem Gehalte des Wassers an freier Kohlensäure erkannt, 
war es erklärlich, dass dem beigemischten Kalk als Kohlensäure bindend 
und nicht dem Gyps selbst die Wirkung zuzuschreiben sei; auch war die 
Wirkungslosigkeit des Gypses erklärt, da dieser Kohlensäure nicht binden 
kann. Während bei Huddersfielder bezw. Schef fielder Leitungs wasser 0,5 gr 
Kieselsäure pr. Gallon Wasser die Bleilösung gänzlich verhinderte (Angabe 
von Grookes, Odling und Tidy), ergaben dem Verfasser diese Versuche 
mit ausgefällter reiner Kieselsäure in verschiedenen Mengen keine Wirkung. 


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Die Ansicht, dass die grössere Härte des Wassers die Bleilösung ver¬ 
hinderte, gaben zu Versuchen Anlass, welche feststellen sollten, welche 
Härte man einem Wasser durch kohlens. Kalk ertheilen könne, und aus 
diesen Versuchen ergab sich die Grundlage für die Beseitigung eines Blei¬ 
angriffs, aber wie erwähnt, nicht in Folge des erhöhten Kalk : Gehaltes, 
sondern der Bindung, des Unschädlichmachens der freien 
Kohlensäure. 

Der vierte Abschnitt gibt die Beseitigung des Bleiangriffe durch Leitungs¬ 
wasser. 

Zur Bekämpfung des Uebels war man durch die gewonnenen Erfah¬ 
rungen verwiesen auf a) Beseitigung des anormalen Luftgehaltes des 
Wassers, b) Beseitigung der im Wasser enthaltenen freien Kohlensäure. 

Um den Luft-Gehalt des Wassers zu verringern, schienen folgende 
Massregeln als angezeigt: 

1) die Wasserversorgung der Stadt sollte so eingerichtet werden, dass 
in Zukunft das Wasser, bevor es in das Rohrnetz eintrat, den Hoch¬ 
behälter auf dem Wasserthurme durchlaufen musste; 

2) um dem Wassermangel und theilweisen Leerstehen der Bleirohre 
in einzelnen Stadttheilen entgegen zu wirken, sollte in das Ver¬ 
theilungsrohmetz ein zweites Hauptrohr eingeschaltet werden. 

Nachdem diese Massregeln im November und December 1886 ausge¬ 
führt, verwies die Untersuchung am 27. Januar 1887 (wenn auch die Unter¬ 
suchungen von vielen Zufälligkeiten beeinflusst waren) im Durchschnitt den 
Bleigehalt um mehr als die Hälfte verringert. 

Da die Versuche mit Sicherheit ergeben hatten, dass die freie Kohlen¬ 
säure die wahre Ursache des Bleiangriffs sei und dass die Kohlensäure 
durch kohlensauren Kalk vollständig zu beseitigen war, ging man zu diesem 
Verfahren über. Das Einhängen des Pulvers von kohlensaurem Kalk in 
Säcken erwies sich als unzweckmässig. Ein Arbeiter streute daher mittels 
einer Streubüchse alle 10 Min. 3 kg Kalksteinpulver in den Quellschacht. 
Später verringerte sich der Gehalt des Wassers an freier Kohlensäure und 
Verfasser schlug vor. nicht mehr als 70 g gepulverten Kalkstein pr. cbm 
gepumpten Wassers zuzusetzen, um vorgekommene Trübung des Wassers 
zu verhindern. Dass das Uebel durch den Zusatz von kohlensaurem Kalk 
an der Wurzel angefasst war, ergaben die im April und Juni angestellten 
Untersuchungen. Der durchschnittliche Blei-Gehalt bei 0 Min. Ablaufs¬ 
zeit war: 

vor der Verminderung vor der Behandlung nach der Behandlung 
des Luft-Gehaltes mit kohlens. Kalk ' N 

am 8./9. 1886 am 27./1. 1887 21./4. 1887 27./6. 1887 

4,463 2,181 0.243 0,037 

mg Bleioxyd pr. Liter. 

In der Meinung, dass ein durch Kalkstein-Stücken umhüllter Sammel¬ 
strang das Uebel beseitige, wurde ein solcher Strang angelegt in einer Länge 
von 130 m aus durchlochten Rohren von 4 cm D., und erhielt pr. laufen- 


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den m 30 Ctr. Kalkstein-Umhüllung. Die Wirksamkeit dieser Einrichtung 
entsprach jedoch in keiner Weise den gehegten Erwartungen, wie die Unter¬ 
suchungen zeigten. 

Seit Anfang September 1887 war das Einschütten von Kalkstein-Pulver 
eingestellt in der Hoffnung auf die Wirksamkeit des Sammelstrangs und 
bei der Annahme, dass schon eine schützende Schicht in den Rohren 
entstanden sei. Am 13. und 14. December 1887 vorgenommenen Prüfungen 
ergaben indessen eine Zunahme des Bleigehaltes, der durchschnittlich bei 
0 Min. Ablaufzeit zu 0,471 mg Bleioxyd pr. Liter wieder gestiegen war. 
Nach diesen Erfahrungen wurde dann das Kalkstein-Pulver und zwar mög¬ 
lichst reiner kohlensaurer Kalk wieder zugegeben, und wie die Kontrole 
zeigte, mit so gutem Erfolge, dass das Blei aus dem Wasser der Leitung 
des Laboratoriums vollständig verschwunden war. Zeigte sich aber eine 
Spur Blei und damit etwas freie Kohlensäure, so beseitigte eine etwas 
stärkere Kalkstein-Zufuhr den Fehler rasch. 

Laboratoriums-Versuche zeigten dem Verfasser, dass hier gepulverter 
Magnesit und Dolomit die Kohlensäure weit langsamer binden als kohlen¬ 
saurer Kalk (auch aus anderem Grunde dürfte man dem Wasser lieber 
Kalk als Magnesia zusetzen. Ref.) 

Die gleichmässige und sichere Zuführung des Kalkstein-Pulvers hing 
bisher von der Zuverlässigkeit des Arbeiters ab. Verfasser beschreibt den 
von ihm konstruirten und seit März 1888 zur vollsten Zufriedenheit im 
Betriebe befindlichen Apparat zur selbsttätigen Zuführung des Kalkspath- 
Pulvers, der je nach der Tourenzahl einer Walze, welche in Einschnitten 
das Pulver aufnimmt, verschiedene Mengen davon dem Wasser zuführt. 

Dr. Knublauch. 

Dr. Anton Heyroth, Ueber den Reinlichkeitsznst&nd des natürlichen und 
künstlichen Eises, Arbeiten aus dem Kaiserlichen Beichs-Gesundheits- 
amte. Vierter Band. 1888. 

Die in H.’s Bericht mitgetheilten Untersuchungen, welche bereits im 
Frühjahr 1885 begonnen wurden, befassen sich mit der chemischen und 
bakteriologischen Prüfung von Eissorten, welche zum Theil direct von den 
zur Kundschaft fahrenden Wagen der Eishändler entnommen wurden und 
fast sämmtliche Berliner Eishandlungen betrafen. Sie wurden nach der im 
Reichs-Gesundheitsamte üblichen Methode der Trinkwasser-Analyse ausgeführt 

1. Natur-Eis. 

Die chemische Analyse des seiner äusseren Beschaffenheit nach 
für tadellos erachteten Natur-Eises ergab im Einklänge mit den bisherigen 
Erfahrungen eine Vermindernng des Salzgehaltes beim Frieren, 
indem die Rückstandsmengen wenig mehr als */*• desjenigen Gehaltes 
an festen Bestandteilen ausmachten, den man in dem Wasser der Spree und 
der um Berlin gelegenen Seen anzutreffen pflegt. Die Verminderung betraf 
vor Allem die unorganischen Wasserbestandtheile, während die durch die 
Oxydirbarkeit sich ausdrückenden organischen Substanzen, gleichwie der 
Ammoniakgehalt, sich an ihr weniger betheiligte. Bezüglich dieses, auch von 


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120 


anderen Beobachtern erwähnten stärkeren Auftretens organischer Stoffe im Eise 
neigt Verf. dem Standpunkte von Nichols und Hills zu, welche annehmen, 
dass auch das Wasser im Winter reicher an organischen Stoffen sei als im 
Sommer. Verantwortlich für die Erhöhung der Oxydirbarkeit ist auch 
der Umstand, dass die im Schlamm mancher Gewässer sich' bildenden 
Fäulnissgase schon durch die erstentstandene dünne Eisdecke am Austreten 
verhindert werden. 

Der bisweilen constatirte gänzliche Mangel des Eises an Chloriden ver- 
anlasste Versuche über die Beziehungen der Salzmengen im Eise zu dem 
Salzgehalt des zu seiner Herstellung benutzten Wassers. Es ergab sich, 
dass irrt Allgemeinen der Salzgehalt (Kochsalz) des Eises mit der Menge 
des vor dem Gefrieren im Wasser enthaltenen Salzes zu- und abnimmt, 
ohne aber zu letzterem in einem constanten Verhältniss zu stehen. 

Bedingungen wie bei den Experimenten Robinets, welcher je nach den 
äusseren Umständen den Salzgehalt des Eises beim Gefrieren eines und des¬ 
selben Wassers sehr ungleich ausfallen sah, schienen bei Verf.’s Versuchs- 
Anordnung nicht vorzuliegen, da es ihm auch aus sehr schwachen Koch¬ 
salzlösungen nicht gelang ein salzfreies Eis herzustellen; vielleicht weil bei 
den von H. angewandten Kältemischungen die Eisbildung eine beschleunigte 
war, und weil in den offenen Wasserläufen der Natur die Menge des dort 
gebildeten Eises im Verhältniss zu der Wassermasse eine sehr kleine ist. 

Weitere Versuche Hessen erkennen, dass c. p. der Salzgehalt des Eises 
mit der Menge des Eises wuchs; dies jedoch nur bei geringem Salzgehalt, 
während bei stärkerer Concentration (1 °/o) die Eismenge den Salzgehalt 
des Eises nicht beeinflusste. Ammoniak friert weit leichter ein als Koch¬ 
salz, kann sich sogar im Eise anhäufen. Die diesbezüglich mit verdünntem 
Ham gewonnenen Resultate stimmten überein mit den Versuchsergebnissen 
Pengra’s für Harnstoff, Traubenzucker und Eiweiss. 

Die bakteriologische Untersuchung ergab auch für Eisproben 
gleicher Herkunft in hohem Masse abweichende Keimzahlen, und wurden 
die hohen Keimzahlen besonders bei Proben angetroffen, welche sich durch 
hohen Glühverlust und grosse Oxydirbarkeit auszeichneten. Gelatine-Rein - 
Gulturen von dreissig Arten, welche Verf. in Kältemischungen gefrieren 
Hess, blieben trotz Temperaturen von — 10 0 grösstentheils entwicklungs¬ 
fähig. 

Verf. bespricht die in den letzten Jahren erschienenen diesbezüglichen 
Arbeiten und kommt auch seinerseits zu der Annahme, dass die Mikro¬ 
organismen, auch die pathogenen, darunter Milzbrandbacillen sowie 
Eitercoccen (auch Erysipelcoccen), den natürlichen Gefrierungsprocess 
und selbst längeres Aufbewahren in gefrorenem Zustande bezw. ohne 
Verlust ihrer Virulenz überleben können. 

II. Künstliches Eis. 

Das vom Verf. untersuchte Kunst-Eis stammte aus zwei Fabriken. Es 
erschien durch zahllose Luftbläsclien undurchsichtig, milchig, manchmal mit 
Eisenrost, Sandkörnern etc. verunreinigt und gelbgefärbt. Glühverlust, 


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121 


Oxy dirbarkeit, Chloride und Ammoniak wiesen höhere 
Zahlen auf als beim Natur-Eis. Schuld daran ist in erster Linie 
die Unmöglichkeit, zur Eisbereitung ausschliesslich Condenswasser zu ver- 
werthen, wie solches zur Cristalleisfabrikation unentbehrlich ist. Eis, aus 
Brunnenwasser hergestellt, ergab weit höhere Werthe für Glühverlust, 
Oxydirbarkeit und Chlor als das zu seiner Gewinnung benutzte Wasser. 

Diese Befunde, die anerkannte Möglichkeit der Herstellung völlig reinen 
Eises, sowie das Schwanken des Bakteriengehaltes im Kunst-Eise zwischen 
sehr weiten Grenzen sprechen gegen die vielfach verbreitete Ansicht, 
dass die Kunst-Eisfabrikation unbedingt der Natur-Eis- 
production vorzuziehen sei. 

Für die Frage, welches Wasser zur Eisbereitung geeignet 
sei, gelten dieselben Gesichtspunkte wie für die Wahl des Wassers zur 
Wasserversorgung. Bringt der Gebrauch des Eises dieses in unmittelbare 
Berührung mit Nahrungs- oder Genussmitteln oder mit Speisegeräthen, so 
muss es eben so rein sein wie Trinkwasser. Auf Grund des Untergangs 
zahlreicher Bakterien beim Gefrieren ( T /io bis */io) ist der Befund im Eise 
durch Rechnung zu corrigiren, um daraus auf das benutzte Wasser 
schliessen zu können. Neben der Zahl ist aber auch die Art der 
Keime zu bestimmen und dieser Bestimmung der Hauptwerth 
beizumessen. Eingehendste Berücksichtigung verdient sodann die Herkunft 
des Wassers. 

Schliesslich stellt Verf. folgende Forderungen auf: 

1. Das zur Conservirung der Nahrungsmittel und zur 
Kühlung der Getränke in den Handel gebrachte Eis 
darf, gleichviel ob durch den natürlichen Gefrier- 
process entstanden oder auf künstlichem Wege her¬ 
gestellt, nur solchen Wässern entstammen, deren Rein¬ 
lichkeitszustand zuvor festgestellt ist und mindestens 
denjenigen der natürlichen, zur Wasserversorgung ge- 

' eigneten Fluss- und Binnenwässer erreichen muss. 

2. Behufs fortlaufender Controle der Beschaffenheit sind 
die Eissorten des Handels einer periodisch wieder¬ 
kehrenden Untersuchung zu unterwerfen. 

Flatten. 

Dr. Leut, Die Cholera-Epidemien der Stadt Köln: Köln, Festschrift, heraus- 
gegeben von Dr. Lent, Köln, 1888, S. 144 ff. 

Verf. hat mehrmals in früheren Abhandlungen Cholera-Epidemien des 
westlichen Deutschlands, im besondern auch von Köln beschrieben; wir 
nennen hier eine Abhandlung aus der Zeitschrift für Epidemiologie und 
öffentliche Gesundheitspflege, 1868, Nr. 3, über eine kleine Epidemie, die 
im Kreise Höxter im Jahre 1868 herrschte; ferner den Bericht über die 
zweite Cholera-Epidemie des Jahres 1867 in Köln, Köln, 1868, M. DuMont- 
Schauberg. In gegenwärtiger Arbeit gibt der Verf. folgende Übersicht über 
das Auftreten der Cholera in Köln: 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 9 


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122 — 


Jahr j 

Dauer der 
Epidemie 

Zahl der 

1 Erkran- 
j kungen 

Zahl der 
Gestor¬ 
benen 

Von 
100 E 
t 

Zahl 
der Ein¬ 
wohner 

Von 100 
E. er¬ 
krankt. 

Von 
100 E. 
starben 

1832 

Oktober 

1 

1 


_ 

! 

_ 

1848 

Oktober 

einige eingeschleppte Fäll 

le 

— 

— 

1849 ! 25. Juni bis 18. Nov. 

2761 

1274 

46,14 

85442 

3,23 1 

1,49 

1854 

22. Aug. bis 3. Sept. 

2 

2 

— 

— 

— 

, 

1855 

3. Sept. bis 2. Okt. 

13 

13 

— 

_ 

_ 

— 

1859 

9. Sept. bis 7. Nov. 

7 

7 

— 

— 

— 

1 — 

1865 

24. bis 25. Okt. 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

1866 

26. April resp. 16. Juli 
bis 25. Dec. 

! 467 

257 

55,032 

123188 

0,379 

0,208 

1867 ; 

a) 17. Jan.bis20.M8rz 149 

95 

63,75 

| 123033 

0,121 

0,077 

1867 

l>)2. Juni bis 31. OkL 

1 1034 

506 | 

48,93 

123033 

i 

0,840 

0,411 


Die Arbeit enthält ferner u. a. eine Zusammenstellung der Cholera- 
Todesfälle in den einzelnen Regierungsbezirken des preussischen Staates in 
dem Zeitraum vom Jahre 1831 bis auf die neueste Zeit. Aus dieser geht 
hervor, dass in Preussen die meisten Opfer forderte das Epidemiejahr 1866 
(es starben i. 1866 an Cholera 114,776 Personen); es folgen die Jahre 1849, 
1852, 1831, 1855, 1873, 1848, 1850, 1837, 1832, 1853, 1867, 1857, 1859. 
1854, 1871, 1851, 1856, 1858, 1872, 1868, 1860 (mit 15 Todesfällen in 
Königsberg). In der Rheinprovinz und Westfalen trat die Cholera zuletzt 
i. J. 1868 auf. Die grösste Cholera-Epidemie der Stadt Köln war die des 
Jahres 1849. Eine Tafel der vorliegenden Arbeit gibt eine Übersicht über 
die örtliche Verteilung der Erkrankungen (1849) in der Stadt Köln; eine 
andere enthält eine graphische Darstellung der Zahl der täglichen Er¬ 
krankungsfalle in den Epidemien der Jahre 1849, 1866, 1867. Eine dritte 
Tafel lehrt die Verteilung der Krankheitsfälle aus den Jahren 1866 und 
1867 in der Stadt Köln. Die Tafeln lehren, dass es bestimmte Strassen 
und Reviere sind, in denen die Cholera Fuss fasste. So konnte man nach 
dem Verf. in der letzten Epidemie in der Stadt 12 * Choleraterrains * be¬ 
zeichnen, auf welchen die grosse Mehrzahl aller Fälle sich ereignete 
(894 Erkrankungen mit 452 Todesfällen); von den letzteren kamen 500 Er¬ 
krankungen in dem wichtigsten Choleraterrain der Stadt, Unter Krahnen- 
bäumen, vor. Von den bei dieser letzten Epidemie befallenen 533 Häusern 
waren 171 auch schon in früheren Epidemien heimgesucht; diese 171 Häuser 
weisen aus den drei Jahren 1849, 1866, 1867 im ganzen 937 Cholerafälle 
auf! Genauere Einzelheiten finden sich in der oben angezogenen Unter¬ 
suchung des Verf.’s. Hier sei noch angefügt, dass die Cholerafälle in einem 
Hause sich nicht etwa gleichmässig auf alle Familien verteilen; von den 
2255 Familien, welche in den 533 Cholerahäusern wohnten, hatten nur 
768 von Gholerafallen zu leiden. Dr. Lent’s Untersuchungen über den 
Einfluss der Abtrittsanlagen der Häuser, der in den Strassen liegenden 
Kanäle, über den Einfluss des Trinkwassers und der meteorologischen 
Verhältnisse auf die Häufung der Cholera hatten ein negatives Ergebnis. 

W. 


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123 — 


Zimmermann, Vorsteher des statistischen Büreaus der Stadt Köln, Die Be* 
völkerung der Stadt Köln, die Bewegung derselben, die Sterblichkeits* 
Verhältnisse, Epidemien. Festschrift Köln, berausgegeben von Dr. Lent, 
1888, S. 115 ff. 

Unter den Einzelaufsätzen der von uns schon angekündigten Festschrift 
Köln *) dürfte die von Herrn Zimmermann gegebene statistische Übersicht 
für viele unserer Leser ein besonderes Interesse bieten. Wir glauben des¬ 
halb die wichtigsten Angaben hier wiederholen zu sollen. 

Köln hatte angeblich Ende 1794 eine Givil-Bevölkerung von 44,512 Köpfen. 
Unter preussischer Regierung fanden vom Jahre 1816 ab regelmässige 
Volkszählungen statt, deren Ergebnisse hinsichtlich der Givilbevölkerung 
folgende gewesen sind: 


Jahr 

Einwohner 

Jahr 

Einwohner’ 

Jahr 

Einwohner 

1816 

46,378 

1840 

70,999 

1864 

116,995 

1819 

51,202 

1843 

78,513 

1867 

119.449 

1822 

52.816 

1846 

85,442 

1871 

123,993 

1825 

55,073 

1849 

88.356 

1875 

130,142 

1828 

57.297 

1852 

96,576 

1880 

139,195 

1831 

59,873 

1855 

100,468 

1885 

155,647 

1834 

62,181 

1858 

108,680 



1837 

66,179 

1861 

113,081 




Seit dem Jahre 1881 hat eine besonders starke Zunahme der Be¬ 
völkerung stattgefunden; es zeigt sich hierin die Wirkung der Stadterweite¬ 
rung; diese Verhältnisse stellt die nachfolgende Übersicht dar: 


Jahr 

Mittlere Civil- 

Zunahme derselben 

bevölkerung 

absolut 

in Prozenten 

1880 

1881 

1882 

1883 

1884 

1885 

1886 

1887 

1888 

138.780 
140,211 
142,147 
144,506 
147,880 
153,083 
158,551 
164.735 
ca. 171,200 

1431 

1936 

2359 

3374 

5203 

5468 

6184 

6465 

1,03 

1,38 

1 66 

2.33 

3,52 

3,57 

3,90 

3,92 


Die jüngsten Zunahmen übersteigen alle früheren bis auf 1817 zurück. 
„Die einst so mächtige Reichs- und Hansastadt Köln ist in neuem Auf¬ 
blühen begriffen, den Rang der Metropole der Rheinprovinz trotz der jahre¬ 
langen Einschränkung durch die Umwallung fest wahrend.“ Seit dem 
Anfang des Jahrhunderts bis 1885 wuchs die Bevölkerung der Rheinprovinz 
um 132.22 */o, die des Regierungsbezirks Köln um 130,08 °/®, die der Stadt 
Köln um 235,61 %. 

Was die Zusammensetzung der Bevölkerung der Stadt nach dem 
Religionsbekenntnisse betrifft, so führte die letzte Volkszählung für 
Civivil und Militär zu folgenden Zahlen; es gab: 

1) Siehe dieses Centralblatt, 1888, Heft 11/12, S. 458. 


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124 — 


Katholiken 80,99 */• 

Evangelische 15,65 * 

Israeliten 3,29 „ 

Sonstige 0,07 „ 

100 . 


Hinsichtlich des Geschlechts und der Alters-Hauptgruppen ergab die 
Zählung vom 1. Dezember 1885 nachstehende Verteilung: 



Alter 



Geschlecht 

bis zu 6 Jahren 

über 

6--14 Jahre 

über 14 Jahre 

In Summe 


absolut |in Proz. 

absolut 

in Proz. 

absolut 

in Proz. 

absolut 

in Proz. 

Männliche 

Personen 

Weibliche 

10,447 

50.39 

12,106 

49,74 

56,540 

48,60 

79,093 

49.00 

Personen 

10,284 

49,61 

12,231 

50,26 

59,793 

51,40 

82,308 

51,00 

in Summe 

20,731 

100,00 , 

24,337 

100.00 

116,333 

100,00 

161,401 

100,00 

in Prozenten 

12,84 

15,08 

72,08 

100,00 


Die Veränderungen, welche im Laufe des Jahrhunderts in der Zahl 
der Totgeburten, der unehelichen Geburten u. s. w. eingetreten, sind mit 
Vorsicht zu beurteilen, da teilweise Veränderungen in der Zählungsart 
vorkamen. Die Zahl der Geburten betrug in den Jahren 1878 bis 1887 
zusammen 58,448, darunter waren unehelich 6980 = 11,49 °/o. Unter diesen 
entstammten aber ortsfremden Müttern 2458 uneheliche Kinder = 4,21 •/• 
aller Geborenen; von kölnischen Frauen werden also 7,73 % uneheliche 
Kinder geboren; Knabengeburten waren (wie überall) stets häufiger als 
Mädchengeburten; auf 100 weibliche Geborene kamen von 1816—1887 
in zehnjährigen Zeiträumen 103—108, durchschnittlich 104,8 Knaben. 

Die Geburts-, die Sterbeziffer, die natürliche Zunahme sowie die ver¬ 
hältnismässige Zahl der Eheschliessungen ergeben sich aus folgender Tafel: 



Auf 1000 Köpfe der 

Anfangsbevölkerung 

Jahr 


kommen 

pro Jahr: 



Geborene 

Gestorbene 

natürliche 

Zunahme 

Ehe¬ 

schliessungen 

1878 

41,64 

26,05 

15,59 

16,65 

1879 

39,93 

27,79 

12,14 

16,79 

1880 

39,50 

30,82 

8,68 

17,16 

1881 

39,23 

28,23 

11,00 

17,88 

1882 

38,63 

29,35 

9,28 

18,24 

1883 

38,25 

27.85 

10,40 

18,84 

1884 

38,86 

27,69 

11,17 

19,36 

1885 

38,59 

28,52 

10,07 

19.78 

1886 

37,52 

28,48 

9,04 

21,53 

1887 

37,99 

27,53 

10,46 

20,92 

Zusammen 

38,96 

28,23 

10,73 

18,80 


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125 


Der Rückgang in der verhältnismässigen Zahl der Geburten und der Todes¬ 
fälle ist übrigens sehr wahrscheinlich lediglich dadurch zu erklären, dass in den 
letzten Jahren ein erhöhter Zuzug jugendlicher Personen stattgefunden hat. 

Über den täglichen Durchschnitt erhebt sich in den letzten 3 Jahren 
die Zahl der Geburten regelmässig im März, unter demselben bleibt sie 
regelmässig im Oktober. Die Sterbefälle erreichen immer in den Sommer¬ 
monaten (Juli, September, August) ihre Höhepunkte; es ist dies die Folge 
der hohen sommerlichen Kindersterblichkeit, zu welcher insonderheit Ver¬ 
dauungskrankheiten die Veranlassung geben. 

Die hauptsächlichsten Todesursachen haben an der Gesamtsterblichkeit 
in den letzten Jahren folgenden prozentualen Anteil: 


Krankheiten der Atmungsorgane . . . 25,98—28,01 
(darunter Lungenschwindsucht . . . 13,28—14,15) 
Krankheiten der Verdauungsorgane . . 16,26—16,56 

(insbesondere Kinder bis zu 5 J. . . 12,22—12,89) 

Angeborene Lebensschwäche und Atrophie 

der Kinder.8,56—9,90 

Masern, Scharlach, Diphtherie und Group 

und Keuchhusten.7,24—9,47 

Kinderkrämpfe.6,94—7,06 

Hirnhautentzündung.4,82—5,46 

Altersschwäche.2,88—3,16 

Gewaltsamer Tod.2,09—2,77 

u. s. w. 


Für die im ersten Lebensjahre verstorbenen Kinder insbesondere sind 
die entsprechenden Zahlen: 

1887 

Angeborene Lebensschwäche und Atrophie . . 23,28 

Krämpfe. 16,72 

Brechdurchfall.16,20 

Magendarmkatarrh.13,97 

Entzündung der Atemorgane und des Brustfells . 7,54 

Himentzündung.5,11 

Masern, Scharlach u. s. w.5,31 

Sonstige Todesursachen.. . . 11,87 

100,00 

Ausführliche Tafeln der wertvollen Zimmermann'schen Arbeit geben Auf¬ 
schluss über die Geborenen, Gestorbenen, die Eheschliessungen während der 
Jahre 1816—1887; die Geborenen, Gestorbenen. Eheschliessungen nach den 
Monaten in den Jahren 1885, 1886, 1887; die während der Jahre 1885 
bis 1887 innerhalb der einzelnen Monate durchschnittlich täglich eingetre¬ 
tenen Geburtsfalle, Sterbefälle und Eheschliessungen; die Gestorbenen der 
Jahre 1885 bis 1887 nach dem Sterbemonat und dem Alter, nach dem 
Sterbemonat und der Todesursache, sowie die Gestorbenen der Jahre 1885 
bis 1887 nach dem Alter und der Todesursache. W. 


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126 


Th. Kyll, Chemiker, Die Controle der Nahrungsmittel und Gebrauchsgegen-. 
stände: Festschrift Köln, herausgegeben von Dr. Lent, Köln, 1888, S. 526 ff. 

Bis zum Jahre 1877 ging auch in Köln die Prüfung der Nahrungs¬ 
mittel nur ganz ausnahmsweise über den Rahmen derjenigen Massregeln 
hinaus, die als Pflichten der Marktpolizei zu betrachten waren, d. h. es 
wurde namentlich auf Verfälschungen der Milch gefahndet, auf die Ver¬ 
nichtung unreifen Obstes, kranken Fleisches u. s. w. gesehen. Der An¬ 
regung der Stadtverordneten Dr. Lent und Th. Kyll war es zu danken, dass 
eine geregelte amtliche Untersuchung der Nahrungsmittel ins Leben trat. 
Zu diesem Zwecke wurde kein eigenes städtisches Laboratorium geschaffen, 
sondern eine Kommission für Kontrole der Lebensmittel gebildet, deren 
technische Mitglieder diejenigen Privattechniker sind, welche von früher her 
im Besitze wohl eingerichteter Arbeitsstätten und in der Ausführung der 
Analysen von Lebensmitteln bereits wohlgeübt waren. Der Geschäftsgang 
ergab sich schon im Jahre 1877 folgendermassen: Die von der Königlichen 
Polizeiverwaltung beschlagnahmten oder sonst zur amtlichen Untersuchung 
bestimmten Gegenstände wurden beim Oberbürgermeister amte eingeliefert. 
Dort wurden die Signaturen der Proben entfernt, und letztere erhielten 
einfach fortlaufende Nummern. Mit diesen versehen, gelangten sie an die 
einzelnen verpflichteten Chemiker der Reihenfolge nach zur Untersuchung, 
die nach vereinbarten Sätzen bezahlt wurden. 

Diese Einrichtung bewährte sich vorzüglich. Nach Erlass des Reichs¬ 
gesetzes, betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln u. s. w. (1879), beschlossen 
daher die städtischen Behörden, dieselbe beizubehalten und den Formen 
des neu erschienenen Gesetzes anzupassen. 


Die Gebühren für die Untersuchungen wurden wi 


Milch .... 

4-15 

M. 

Wurst . . . 

. . 3-8 

M. 

Butter .... 

4-10 

* 

Trinkwasser . 

. . 5—15 

?» 

Mehl .... 

4-8 

» 

Eier . . . 

. . 5-30 

A 

Brod .... 

4-10 

fl 

Wein . . . 

. . 5-25 

A 

Zucker . . . 

4 

» 

Petroleum 

. . 4-10 

A 

Essig .... 

3-4 

fl 

Schnupftabak 

. . 4 

A 

Kaffee .... 

. 4-8 

fl 

Spielwaren . 

. . 4-8 

« 

Thee .... 

. 4—8 

fl 

Farben . . 

. . 4-8 

fl 

Schokolade . . 

. 4-8 

fl 

Topfglasur . 

. . 4 

A 

Gewürze . . . 

. 4-10 

fl 

Zinngeschirr . 

. . 4 

A 

Konditorwaren . 

. 4-8 

fl 

Tapeten . . 

. . 4 

« 

Fruchtsäfte . . 

. 4-8 

fl 

Kleiderstoffe . 

. . 4 

A 


e folgt festgesetzt: 


Heute nehmen die folgenden Herren das Amt der sachverständigen 
Chemiker an der Untersuchungsanstalt wahr: Dr. Jacobsthal, Dr. Lesimple, 
Lukow, Dr. Plaskuda, Prof. Weiland, Th. Kyll. 

Schliesslich berichtet der Verf., dass der Kölnische Verein der Kolonial - 
und Materialwarenhändler für seine Mitglieder durch den Verf. freie Unter¬ 
suchung seiner Waren gewährt. So sei es den Mitgliedern des Vereins 
gelungen, den mannigfachen Gefahren, mit denen das Nahrungsmittel-Gesetz 
namentlich die Kleinhändler bedroht, aus dem Wege zu gehen. W. 


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Prof. Dr. Leichtenstern (Köln), Über Ankylostoma duodenale. Vortrag. 

Deutsche mediz. Wochenschrift, 1888, Nr. 42 x ). 

Mit dem Ankylostoma duodenale, welches als Parasit in den Darm¬ 
kanal des Menschen eingeführt eine schwere Erkrankung hervorzurufen 
vermag, hat sich in neuerer Zeit wohl niemand eingehender beschäftigt als 
Leichtenstern. Das Ankylostoma duodenale wurde vor 50 Jahren von 
Angelo Dubini entdeckt; im Jahre 1845 zeigte Th. v. Siebold, dass es zur 
Gattung Strongylus der Ordnung der Nematoden gehört. Griesinger er¬ 
kannte als erster im Jahre 1851 die krankmachende Wirkung des Ein¬ 
geweidewurms als eines gefährlichen Blutsaugers und führte die damals 
in Ägypten ausserordentlich verbreitete sogenannte * ägyptische Chlorose“ 
auf die Wirkungen dieses Parasiten zurück. Dann fand im Jahre 1866 
0. Wucherer in Bahia in der Leiche eines an der sogenannten * tropischen 
Chlorose“ verstorbenen Sklaven zahlreiche Ankylostomen, die er als die 
Ursache der genannten, bis dahin als eine Form sogenannter primärer 
Blutarmut angesehenen Krankheit in anspruch nahm. Es verging ein 
ferneres Jahrzehnt, bis die Ankylostoma-Frage eine neue und wichtige För¬ 
derung erfuhr durch die mit Recht berühmt gewordenen Arbeiten mehrerer 
italienischer Ärzte und Helminthologen. B. Grassi, C. und E. Parona in 
Mailand, Graziadei in Florenz, Bozzolo, Concato und Perroncito in Turin, 
Poletti und Malinverdi zu Vercelli überzeugten sich in den Jahren 1877/78. 
dass die in Italien seit alten Zeiten bekannte Blutarmut der Ziegel¬ 
arbeiter auf der Anwesenheit von Ankylostoma beruht. Man machte 
den für die Erkennung der Ankylostomen-Krankheit hochwichtigen Fund der 
Eier von Ankylostoma duodenale in den Stuhlentleerungen 
der Kranken. Einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Anky- 
lostomiasis bildet die grosse Epidemie, welche 1879 unter den Arbeitern 
des Gotthardtunnels, zuerst auf italienischer Seite (Airolo), ausbrach und 
allmählich vielen hunderten von Arbeitern schwere Blutarmut und langes 
Siechtum, zahlreichen den Tod brachte. 

An die Gotthard-Epidemie reiht sich die Entschleierung des räthsel- 
haflen Wesens der Bergleute-Blutarmut (Anaemia montana), welche seit 
alten Zeiten in den Bergwerken verschiedener Länder beobachtet wird und 
zeitweise zu schweren Epidemien anschwillt. Perroncito reiste nach 
St. Etienne in Frankreich und stellte bei dreien im dortigen Krankenhause 
liegenden Bergleuten das Vorhandensein von Ankylostomen fest; ebenso 
gelang es ihm, in den Stuhlentleerungen von 4 erkrankten Bergleuten von 
Schemnitz in Ungarn, wo die sogenannte Anaemia montana endemisch 
herrscht, die Eier von Ankylostoma nachzuweisen. Leichtenstern glaubt, 
dass die von Hoffinger gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts geschil¬ 
derten Epidemien unter den Bergleuten von Schemnitz, sowie die von Noel 
Halle 1802 beschriebene schwere Seuche in den französischen Bergwerken 
von Anzin, Fresnes und Vieux Cond£, ferner die Epidemien in gewissen 

1) Vgl. unsem Bericht im Centralblatt 1885, Bd. IV, S. 378 ff. 


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französischen Kohlenbergwerken durch Ankylostoma duodenale verursacht 
waren. Ebenso sind viele italienische und belgische Bergwerke Brutstätten 
der Ankylostomen und Ansteckungsherde für die Arbeiter. 

Bedingungen für die Entstehung einer Epidemie sind die Einschleppung 
des Parasiten, ein gewisser Grad von Feuchtigkeit und Wärme in der Brut¬ 
stätte (Erdboden), Unreinlichkeit hinsichtlich der Bergung der Stuhlentlee¬ 
rungen, Verunreinigung der stehenden Wässer und der Trinkwässer durch 
dieselben, mangelhafte Reinigung der Hände beim Essen u. s. w. 

Rühle erkannte schon 1872, dass unter den niederrheinischen Ziegel¬ 
arbeitern eine besondere Form schwerer Blutarmut häufig vorkam; sein 
Assistenzarzt Men che fand 1882 in dem Kote eines Ziegelarbeiters (in der 
Bonner Klinik) die Ankylostoma-Eier. Bald darnach wurde ein gleicher 
Befund durch Leichtenstern bei einem in das Kölner Krankenhaus 
aufgenommenen anämischen Lehmarbeiter erhoben. L. übertrug seine 
Studien alsbald auf die Ziegelfelder selbst, gewann ein Bild von der grossen 
Verbreitung des Eingeweidewurms auf den Kölner Ziegelfeldern und bewies 
die Einschleppung desselben durch die aus den belgischen Bergwerken zu¬ 
wandernden Wallonen und Vlamländer; er ergründete die Wege der Über¬ 
tragung und gab Massregeln an, um dem Umsichgreifen der Ankylostomen- 
Krankheit vorzubeugen. 

Hiernach haben belgische Forscher die Gegenwart von Ankylostomen 
bei zahlreichen Bergleuten des Lütticher Grundes, bezw. von Mons dargethan. 

Leichtenstern hat zahlreiche Züchtungen der Ankylostomen unter den ver¬ 
schiedensten willkürlich gewählten äusseren Bedingungen angestellt. Gelegent¬ 
lich dieses Vortrages zeigte er in mikroskopischen Präparaten 1. die Normal¬ 
gestalt des frischentleerten Ankylostoma-Eies; 2. die Eier in einem späteren 
Stadium der Entwickelung, mit den bereits deutlichen Umrisslinien des 
Embryo, der innerhalb der Eihülle zeitweise träge oder bereits lebhafte 
Bewegungen macht; 3. frisch ausgekrochene, träge bewegliche Larven von 
0,2 mm Länge; 4. ein weiteres Wachstumsstadium (0,5—0,6 mm), lebhaftere 
Bewegung der Larve; 5. die Larve im Zustand der Häutung, d. h. 
Encystirung: die glashelle abgestreifte Embryonalhaut bleibt bestehen und 
bildet eine Cyste für die Larve. Mit dieser Einkapselung schliesst das Leben 
der Ankylostomen im Freien. (Neben den Ankylostomen fand L. im Freien 
auf den Ziegelfeldern andere Namatoden, insbesondere gewisse monogene 
Rhabditiden, deren Jugendform der Ankylostoma-Larve sehr ähnlich ist. 
Dieselben haben keine krankheiterregende Bedeutung ; meistens gehen sie im 
Darmkanal spurlos zu gründe; eine von L. entdeckte Art scheint den 
Ziegelfeldern von Köln eigentümlich zu sein und unter Umständen den 
Darmkanal schadlos durchwandern zu können.) — Sodann hat L. die Anky- 
lostoma-Larven zunächst erfolglos an Tiere, dann mit durchschlagendem 
Erfolge an Menschen verfüttert. Die positiven Ergebnisse dieser Fütterungs¬ 
versuche haben das letzte Glied in die Kette unserer Kenntnisse von der 
Lebensgeschichte des Ankylostoma eingefügt. Die mit dem Kote abgesetzten 
Ankylostoma-Eier entwickeln sich ausserhalb des menschlichen Körpers zu 


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rhabditisartigen Larven, welche, in einem gewissen Zeitpunkte ihrer Ent¬ 
wickelung eingekapselt und lebend in den menschlichen Verdauungsapparat 
aufgenommen, sich daselbst zur geschlechtsreifen parasitischen Generation, 
zum fertigen Ankylostoma entwickeln. Vier bis fünf Wochen nach der 
Verfütterung der Larven erscheinen die ersten, wohl charakterisirten Eier in 
dem Kote des Menschen. W. 

0. Nimax (Köln), Eine neue Kühlhalle für Fleisch und andere Lebens¬ 
mittel. Vortrag gehalten im Kölner Bezirksverein. Zeitso.hr. d. V. deutsch. 
Ingenieure. Bd. XXXII; S. 1179. 

Es ist ein Nachtheil der gewöhnlichen Eisschränke und Kühlräume, 
dass die Luft in denselben nicht erneuert wird. Es werden in diesen 
Räumen die Daseinsbedingungen der kleinen Pilzkeime, welche die Verwe¬ 
sung der Lebensmittel verursachen, durch Kälte wohl erschwert, aber nicht 
zerstört. Eine weit gründlichere Abhülfe wird durch eine von der Ma¬ 
schinenbauanstalt Humboldt in Kalk errichtete Kühlhalle geschaffen, bei 
welcher jene Keime stetig aus dem Kühlraume entführt und ausserhalb 
desselben vernichtet bezw. unschädlich gemacht werden. 

Ausserhalb des zu kühlenden Raumes liegen mehrere Kühlapparate. 
In jedem liegt eine schmiedeeiserne Rohrschlange, in welcher eine von der 
Kältemaschine kommende Flüssigkeit verdampft. Die durch einen solchen 
Apparat strömende Luft wird in hohem Grade abgekühlt, die in der Luft 
enthaltene Feuchtigkeit setzt sich als Reif an die eisernen Röhren, und 
damit werden der Luft zugleich die schädlichen Pilzkeime entzogen. 

Hat sich nun eine solche Rohrschlange derartig mit Reif bedeckt, dass 
dadurch die abkühlende Wirkung beeinträchtigt wird, so muss, um dieselbe 
wieder wirksam zu machen, die Rohrschlange entleert, der Reif durch 
wärmere Luft abgethaut und das Thauwasser abgeleitet werden. 

Die Anordnung ist nun derartig getroffen, dass ein Ventilator die Luft 
aus dem zu kühlenden Raume ansaugt, dieselbe zunächst durch einen Kühl¬ 
apparat mit bereifter Schlange treibt, um den Reif abzuthauen, sodann die 
bereits kühlere Luft über eine oder mehrere noch unbereifte Schlangen 
streichen lässt, und schliesslich die nunmehr vollständig abgekühlte, ge¬ 
trocknete und gereinigte Luft wieder in den Aufbewahrungsraum zurück¬ 
treibt. Die hierbei nothwendig werdenden Umschaltungen, welche nur in 
grösseren Zwischenräumen zu erfolgen haben, werden von Hand bewirkt. 

Die Kalker Kühlanlage soll allen Erwartungen in jeder Beziehung ent¬ 
sprochen haben, und die Wirkung eine derartige sein, dass die Maschine 
nur den Tag über, während 10 Stunden zu arbeiten braucht und nachts 
still stehen kann. Fl dm. 

Dr. Livius Fürst, San.-Rath, Docent der Pädriatik und Gynäkologie an der 
Universität Leipzig, Das Sterilisiren nnd Pasteurisiren der Kindernahrung. 
Mit 9 Abbildungen. Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei A.-G. (vormals 
J. F. Richter), 1888 (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftl. Vorträge, 
herausgegeben von Rudolf Virchow und Fr. Holtzendorf, Heft 54.) 

Auch über dieses Schriftchen, dessen Verfasser durch sein Werk „Das 
Kind und seine Pflege in gesundem und krankem Zustande“ bereits ein 


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— 130 — 


berathender Freund vieler Mütter geworden, müssen wir dasselbe Urtheil 
fällen, welches wir in dem Referate über die Schrift von F. A. Schmidt' 
Bonn, Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 1888, S. 322, aus* 
zusprechen uns veranlasst sahen: obwohl dasselbe nichts wesentlich Neues 
bringt, können wir ihm doch seinen Werth nicht bestreiten. Die Be¬ 
kämpfung von Vorurtheilen und die Verbreitung richtiger Anschauungen 
auf dem Gebiete der Kinderpflege ist ein Verdienst, wenn es, auch mit 
Benutzung bekannter Thatsachen und Erfahrungen, durch Wort und Schrift 
in wirksamer Weise geschieht. Dem Werkchen von Fürst wird noch ein 
besonderer Werth deshalb zuerkannt werden müssen, weil es Aufklärung 
wieder in einen ganz anderen Kreis hineinträgt, als das Schmi dt’sche. ln 
der Form der Darstellung mehr seinem Leserkreise Rechnung tragend, als 
knapperund exakter Wissenschaftlichkeit, weist Fürst zuerst auf die allge¬ 
meine Verbreitung der Keime und Sporen der mikroskopisch kleinen Pilze 
hin, welche als Krankheitserreger Gesundheit und Leben des Menschen be¬ 
drohen; betritt mit uns „mit heiligem Schauer“ das bakteriologische Labo¬ 
ratorium, in welchem die Natur dieser kleinen Lebewesen studirt und die 
Mittel, sie unschädlich zu machen, geprüft werden; zeigt uns dann die 
praktische Anwendung der Ergebnisse für den * Operationssaal der Kranken¬ 
häuser und für die Kinderstube, diese Brutstätte zahlloser Pilzkeime. Die 
Nahrung des Kindes, die Milch, zu sterilisiren, d. h. sie keimfrei zu machen 
und bis zum Genüsse keimfrei zu erhalten, ist „das Schlagwort und die 
Anforderung unserer Zeit“. Das Kind, dem eine möglichst keimfreie Milch 
gereicht wird, hat die günstigsten Aussichten, von Darmkatarrhen verschont, 
somit gesund und am Leben zu bleiben. Denn wir wissen, dass mit der 
Zahl der in die Milch aufgenommenen Keime einestheils diese leichter ver¬ 
ändert wird, andemtheils die Bakterienzahl im Darminhalte und die Neigung 
zu Darmkatarrhen wächst. Auch von Fürst wird der von Prof. Soxhlet in 
München angegebene Milchkochapparat zur Sterilisirung der Milch als der¬ 
jenige bezeichnet, der den gedachten Zweck am vollkommensten bewirkt. 
Wir stimmen dem auch hier, wie früher bei der Schmidt’schen Schrift, 
nochmals an der Hand neuer Erfahrungen bei, wollen aber hier die Ge¬ 
legenheit benutzen, darauf aufmerksam zu machen, dass die neueren von 
Ollendorff-Wilden in Bonn bezogenen Milchkochapparate durch Haltbarkeit, 
Form und Graduirung der Flaschen den Vorzug vor älteren haben dürften. 
Zu bedauern ist nur, dass der penetrante und unangenehme Geruch der 
Gummitheile durch keine Behandlung seitens der Familie zu beseitigen ist; 
vielleicht Hesse sich diese Schattenseite bei der Fabrikation der Hütchen 
und Stöpsel in etwa vermindern. 

Gleichsam als Anhang wird dann vom Verfasser die Methode und der 
Nutzen des Pasteurisirens des Rothweins besprochen, ein Gegenstand, der 
weniger bekannt sein dürfte, als das Sterilisiren der Milch. Das Pasteu- 
risiren, durch welches die selbst im bestgepflegten, flaschenreifen Weine 
noch vorhandenen Hefepilze unschädlich gemacht werden, ohne die Eigen¬ 
schaften des Weines zu beeinträchtigen, ist auch eine Art Sterilisation. 


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— 131 


Dass diese Behandlung des Weines, welche durch Erhitzung mittelst Dampf 
in dem Pasteurisir-Schranke vorgenommen wird, wie das Sterilisiren der 
Milch »ein schätzbares Hülfsmittel bei der Pflege des gesunden und'kranken 
Kindes * sein muss, bedarf für Aerzte und Laien, welche in der Prophylaxe 
die Hauptaufgabe der Hygiene und der Medicin erblicken, keines Beweises. 
Ueber den pasteurisirten Rothwein steht uns keine eigene Erfahrung zu 
Gebote. J ohnen-Düren. 

Dr. Kerezi: Ueber Kindersterblichkeit und Milchversorgung in Zürich und 
Aasgemeinden. — Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte 1887. Nr. 23 und 24. 

An der Hand eines grösseren statistischen Materials zeigt Verf., dass 
Zürich mit seinen Ausgemeinden, namentlich im Verhältniss zu den Städten 
Genf und Basel, eine sehr hohe Säuglingssterblichkeit (18 —19 % der Ge¬ 
borenen) hat; die Säuglingssterblichkeit Zürichs hat einen ziemlich hohen 
Antheil an der allgemeinen Sterblichkeit dieser Stadt. Als Ursachen der 
zu hohen Säuglingssterblichkeit Zürichs werden angeführt: Rasche Bevöl¬ 
kerungszunahme; hohe Geburtsziffer, namentlich bei der ärmeren Bevölke¬ 
rung; schlechte und überfüllte Wohnungen; starkes und demoralisirtes 
Proletariat; mangelhafte und verkehrte Ernährung des Säuglinge. Bei 
letzterem Punkte ist namentlich hervorzuheben, dass nach den Ausführungen 
des Verfassers ca. 50 °/o, etwa die Hälfte aller Todesfälle der Säuglinge 
mehr oder weniger direct mit Verdauungsstörungen zusammenhängt, abge¬ 
sehen davon, dass mangelhafte Ernährung auch gegen andere Krankheiten 
widerstandslos macht. 

Die Vorschläge zur Abhülfe ergeben sich aus dem Gesagten von selbst. 
Es sind: strengere Handhabung der Baupolizei, Bekämpfung des Pauperis¬ 
mus und endlich Mittel zur Verbesserung der Ernährung der Säuglinge. 
Auf letzteren Punkt geht Verf. des längeren ein und schlägt hier vor, 
grösstmögliche Aufklärung des Volkes über erste Kinderernährung; Auf¬ 
munterung zur Brusternährung, namentlich bei den Fabrikarbeiterinnen; 
Fürsorge und geregelte Aufsicht für Kostkinder; Armenunterstützung durch 
Milchkarten und passende Kinderernährung; Fürsorge für gute Milch¬ 
anstalten u. dergl. Hier ist namentlich für die Erhältlichkeit guter, reiner, 
stetig controlirter Milch zu sorgen. Die Vorschläge des Verf. sind keine 
neuen, sie verdienen aber immer wieder beherzigt zu ^werden, da grade 
auf diesem Gebiete fast allenthalben für die öffentliche wie auch für die 
private Fürsorge noch sein* viel zu tliun übrig ist. 

Schmidt-Bonn. 

Seggel, Oberstabsarzt, Zur Kurzsichtigkeitsfrage. — Münchener inedicinische 
Wochenschrift. 1888. Nr. 1 u. 2. 

Die Thatsache, dass in unsern Schulen, vor Allen in den höheren 
Schulen, die Zahl der Kurzsichtigen mit den Klassenstufen in erschrecken¬ 
dem Masse zunimmt, soll nach neueren Darstellungen ziemlich belanglos 
sein, indem man die Schädlichkeit der Kurzsichtigkeit bestreitet, ja sogar 
ihr gewisse Vortheile zuerkennen will. Namentlich erregte die Darstellung 


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von Prof. Dr. Stilling (Untersuchungen über die Entstehung der Kurzsich¬ 
tigkeit. Wiesbaden, 1887) gerechtes Aufsehen, und wurde sogar in sonder¬ 
barster Weise in den Tagesblättern ausgenutzt. Demgegenüber stellt nun 
Verf. nach zahlreichen jahrelang fortgesetzten Untersuchungen sowohl bei 
Soldaten als namentlich auch bei Schülern fest, dass die Kurzsichtigkeit 
keineswegs unschädlich ist, und kann nur mit Vorbehalt die Frage bejahen, 
ob die Kurzsichtigkeit eine einfache Anpassung an die Naharbeit, und daher 
für eine gewisse Menschenklasse ein wünschenswerther Zustand sei. Er 
zeigt, dass mit zunehmender Kurzsichtigkeit meist eine Abnahme der Seh¬ 
schärfe einhergeht, und findet nur bei einem Viertel der Kurzsichtigen nor¬ 
male Sehschärfe. Ausserdem zeigt er, dass bei den Schülern namentlich 
der Eintritt der Kurzsichtigkeit von einer Reihe mehr oder weniger ent¬ 
zündlicher Erscheinungen begleitet sei; einmal subjectiver: wie Gefühl von 
Druck, Lichtempfindlichkeit, Asthenopie, lästige entoptische Erscheinungen, 
Flimmern, — und ausserdem objectiver: Hyperämie der Pupille und der 
angrenzenden Netzhautpartie, erweiterte, bei geringer Lichtstärke schwach 
reagirende Pupillen, Herabsetzung des Lichtsinnes. Die ersteren Erschei¬ 
nungen traten namentlich nach Eintritt’ der kurzen Tage oder in ange¬ 
strengten Arbeitsperioden auf. 

Des Weiteren geht Verfasser auf die hygienischen Massregeln zur Ver¬ 
hütung der Kurzsichtigkeit ein, führt die Erfolge vor, die er an den Schul¬ 
anstalten, welche seit 7 Jahren sich seines regelmässigen augenärztlichen 
Beirathes erfreuen, durch Rathschläge bezüglich Arbeitsdistanz, Brillenwahl, 
Regulirung der Beleuchtung u. s. w. erreicht hat. Namentlich ist es er¬ 
freulich, dass auf seine Vorschläge hin neuerdings sowohl kostspielige 
bauliche Aenderungen durch Erbreiterung und Erhöhung der Fenster vor¬ 
genommen wurden, als auch zweckmässigere Arbeitspulte beschafft wurden. 

Schmidt-Bonn. 

Ueber Gesundheitspflege und Revision des schweizerischen Volksschul¬ 
wesens. — Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1888. Nr. 5. 

Dieser Vortrag des praktischen Arztes Hürlimann in Unterägeri, 
gehalten in der Versammlung des schweizerischen ärztlichen Gentralvereins 
in Olten, am 29. Oktober 1887, versucht in kurzen Zügen eine Uebersicht 
über den Stand und die anzustrebenden Ziele der Schulgesundheitspflege 
in den verschiedenen Gantonen der Schweiz zu geben. Er verlangt vor 
Allem als anzustreben: a) die ärztliche Ueberwachung der Schulen; b) den 
Schuleintritt nicht vor zurückgelegtem 7. Jahr; c) die Entlastung der unteren 
Unterrichtsklassen u. s. w\ bezüglich der Unterrichtsstunden. In Bezug auf die 
Schulhausbauten seien in neuerer Zeit Fortschritte in gesundheitlicher Be¬ 
ziehung zu verzeichnen, worunter namentlich hervorgehoben werden die 
Verlegung der Abtritte ausserhalb des Schulbaues und die Einführung des 
Tonnensystems zur Verhütung der Verunreinigung des Untergrundes da, 
wo ein Anschluss an ein centrales Abfuhrsystem oder Schwemmsystem 
nicht möglich ist. Was die Gesetzgebung der einzelnen Cantone in Bezug 


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133 — 


auf Schulhygiene betrifft, so sei seit Mitte der 70er Jahre hier ein bedauer¬ 
licher Stillstand eingetreten. 

Namentlich fordert er mit Recht eine grössere Aufmerksamkeit auf die 
Zustände an den Kleinkinderschulen. Ein Punkt, der auch bei uns in 
Deutschland mehr Berücksichtigung verdiente. Besonders wichtig für die 
Schweiz ist die Erziehung der tauben, blinden und schwachsinnigen Kinder. 
Machen doch in den Cantonen Aargau und Wallis die schwachsinnigen und 
auffallend gering begabten Kinder 5—13 °/o der gesammten Kinder- resp. 
Schülerzahl aus. Schliesslich wird an zwei Volksschulgesetzentwürfen der 
Cantone St. Gallen und Zürich gezeigt, wie wenig in mancher Beziehung 
die schulhygienischen Grundsätze noch anerkannt werden. Namentlich dem 
Züricher Entwurf werden erhebliche Mängel nachgewiesen, wie denn auch 
in keiner vorberathenden Commission ein Arzt Sitz und Stimme hatte. 

Sch mi dt-Bonn. 

La REforme du rEgime des Etablissements scol&ires en France. Journal 

d’HygiEne. Nr. 607. 10. Mai 1888. 

Die sogenannte Ueberbürdungsfrage oder Schulreform beschäftigt in 
Frankreich nicht weniger als bei uns unausgesetzt weite Kreise. Namentlich 
wird aber hier die Leibespflege durch körperliche Erholung und Uebung 
betont. Denn man beginnt auch hier einzusehen, dass eine Beschränkung 
der Sitzstunden und eine Vermehrung der zur körperlichen Bewegung be¬ 
stimmten Stunden keineswegs gleichbedeutend mit der Herabdrückung der 
wissenschaftlichen Leistung ist. Im Gegentheil, wie der Director der £cole 
Monge in Paris, Herr Godart, in einer treffenden Rede ausführt, sorgt man 
für die Kräftigung, Erheiterung und die Zufriedenheit der Schüler, so sorgt 
man damit auch für deren vermehrte geistige Tüchtigkeit und Aufnahme¬ 
fähigkeit. Die genannte Schule hat daher für ihre Schüler an drei Wochen¬ 
tagen Erholungsausflüge nach dem bois de Boulogne angeordnet, für die 
erste Abtheilung jedesmal für die Dauer von drei Stunden, für die zweite 
Abtheilung jedesmal zwei Stunden. Es werden dort auf umzäuntem Platze 
alle Art Spiele, sowie Uebungen im Velocipedfahren, Reiten und Rudern 
veranstaltet. 

Man hat sich dabei besonders die Principien der englischen Erziehungs¬ 
weise zum Muster genommen. Schmidt-Bonn. 

L'oeuvre national des Höpitaux maritimes de France. Journal d’Hygiene. 

Nr. 582. 17. November 1887. 

Nach dem Vorgang von Italien, wo zuerst zur Heilung von Scrofulose 
und Rhachitis Seehospize gegründet wurden, war es eine Dame, Frau Armen- 
gaud, die in Gette armen evangelischen Kranken, welche dort Seebäder 
nahmen, lange Zeit hindurch, von 1832—46, Unterstützungen gewährte, um 
dann im Jahre 1847 eine eigene Anstalt zur Heilung der Scrofeln mit 
80 Betten zu errichten. Diesem Seehospiz folgte erst im Jahre 1861 das 
von der Gesellschaft für öffentliche Wohlthätigkeit errichtete Seehospiz in 
Berck, welches allmählich zu einer der grössten derartigen Anstalten ge- 


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— 134 — 


worden ist. Neuerdings hat sich nun in Frankreich, ähnlich wie schon 
früher bei uns, eine Gesellschaft zur Errichtung von Kinderheilstätten an der 
See gebildet, welche beabsichtigt, an den Küsten des Atlantischen Oceans 
weniger grossartige und kostspielige dafür aber um so zahlreichere kleinere 
Hospize zu gründen, um dadurch die Heilung der Scrofulose und Rhachitis 
durch den Aufenthalt an der See möglichst zu verallgemeinern. Möchten 
diese Bestrebungen immer weitere Antheilnahme und Unterstützung finden! 

Schmidt-Bonn. 

L'Hospice marin it&lien. Journal d’Hygiene. Nr. 609. 24. Mai 1888. 

Eine Ergänzung zu dem Vorbesprochenen bildet eine Mittheilung, 
welcher eine Untersuchung des Dr. N. d’Ancona zu Padua über die Wirk¬ 
samkeit der Seehospize bei scrofulösen und tuberkulösen Leiden zu Grunde 
liegt. Nach d’Ancona stehen hier folgende Sätze fest: 

1) Gelenk- und KnochenafTectionen werden selten geändert oder ge¬ 
bessert. 

2) Die verschiedenen äusserlichen scrofulösen Erkrankungen (Ausschlag 
der Haut, Erkrankungen der Schleimhaut an Augen, Ohr, Nase und 
dergleichen) kommen sehr leicht wieder. 

3) Drüsenerkrankungen können in der That dauernd geheilt werden. 

4) In allen Fällen ist eine Aufbesserung der Ernährung wie der Blut¬ 
mischung vorhanden. 

Was insbesondere die Knochen- und Gelenkleiden betrifft, so spielt die 
Dauer des Aufenthalts hier eine besonders wichtige Rolle. In Berk-sur-Mer 
erreichen bei unbeschränkter Dauer des Aufenthalts die Heilungen resp. 
Besserungen 70 7 ® ; in Margate bei einer Gurdauer von 90 Tagen 42,5 7 ®; 
und in den italienischen Hospizen mit einer Behandlungsdauer von 30 bis 
45 Tagen nur 30°/®. Schmidt-Bonn. 

Les Höpitaux maritimes. Journal d’Hygtene. Nr. 601. 29. Mars 1888. p. 148, 149. 

In einer Mittheilung an die belgische Academie der Medicin fordert 
M. J. Gasse mit Recht, dass die Seehospize, soweit sie zur Bekämpfung der 
Scrofulose und Tuberkulose vorhanden sein sollen, nicht für * einen zeit¬ 
weiligen Aufenthalt in der bessern Jahreszeit allein eingerichtet sein sollen, 
sondern dass an die Stelle solcher grosse Anstalten treten müssen, wissen¬ 
schaftlich eingerichtet und geleitet, um neben der Seeluft auch alle anderen 
Heilmittel, sowie auch chirurgische Behandlung zu ermöglichen. Die 
kranken Kinder sollen dort eben bis zu ihrer vollständigen Heilung ver¬ 
bleiben. Neben diesen grossen Seehospizen sollen die nur zeitweise geöff¬ 
neten Sanatorien am Meer möglichst vermehrt werden, um während der 
Ferien Schulcolonien, also vorübergehend geschwächte und nur erholungs¬ 
bedürftige Kinder aufzunehmen. 

Der erste Gedanke einer Erweiterung der Seehospize zu dauernd ge¬ 
öffneten Heilanstalten ist unter Anderem in dem Seehospiz zu Fano am 
Adriatischen Meer verwirklicht, wo im Anschluss an das Haupt-Hospiz ein 
Krankenhaus besteht, sowohl um gewisse ansteckende und infectiöse Er- 


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krankungen zu isoliren, als auch um Kinder mit mehr oder weniger 
schweren Knochenerkrankungen und dergleichen chirurgisch behandeln zu 
können. 


Eine Statistik über die im Hospiz zu Fano behandelnden Kinder ergibt 
folgende Ziffern: 


Kinder beiden 
Geschlechts 


Knochen- oder 
Gelenk- 
Erkrankungen 


Drusen- 

Erkrankungen 


Aeusserliche 
Affectionen 
(Haut etc.) 


Rhachitis 


1885 

532 

114 

216 

105 

97 

1886 

493 

110 

239 

114 

30 

1887 

552 

81 

212 

171 

88 


Von diesen wurden insgesammt geheilt oder gebessert . . 96,3 °/o 
blieben ungeheilt, verschlimmerten sich oder starben . . 3,7 %. 


Im Jahre 1887 erhob sich die Zahl der Geheilten oder Gebesserten 


auf 99,1 •/#. 

ln der That ein ehrenvoller Erfolg! Schmidt-Bonn. 


W. W. Irel&nd, Herrschermacht und Geisteskrankheit. Psycho - patholo¬ 
gische Studien aus der Geschichte alter und neuer Dynastien. 2. Aull. Aus 
dem Englischen. Stuttgart, 1888. 

Vor einigen Jahren veröffentlichte der bekannte englische Irrenarzt 
lreland ein umfangreicheres Buch unter dem nicht ganz leicht wieder¬ 
zugebenden Titel „The blot upon the brain“ (etwa: „Der Flecken auf dem 
Hirn“), woraus einzelne Abschnitte (IV und V) hier in deutscher Ueber- 
setzung vorliegen, und zwar hat sich der ungenannte Uebersetzer diejenigen 
Kapitel herausgenommen, wo sich bei einzelnen Herrschern oder ganzen 
Dynastien Spuren geistiger und moralischer Entartung nachweisen lassen, 
wie z. B. bei den römischen Kaisern, dem Sultan Mohamed Toghlak von 
Indien, der spanischen und russischen Dynastie. Beigefügt ist ein Artikel 
über Ludwig 11. von Bayern, dem ausser einem Aufsatze desselben Ver¬ 
fassers noch einige anderweitige Veröffentlichungen zu Grunde liegen. 

Das Interesse derartiger Untersuchungen kann gar nicht bestritten 
werden, da sich einmal bei den gekrönten Häuptern die Verhältnisse der 
Erblichkeit klarer herausheben und weit länger verfolgen lassen, als wie 
dies bei gewöhnlichen Sterblichen der Fall zu sein pflegt, und zweitens 
die Entäusserungen der Krankheit unter dem Einflüsse der schrankenlosen 
Macht ganz andere Grössenverhältnisse annehmen, und oft genug in grau¬ 
sigen Blättern der Geschichte ihren Ausdruck finden werden. 

Die geistige Entartung des Kaisergeschlechtes der Glaudier ist bekannt 
genug und seiner Zeit schon von Wiedemeister in einer geistreichen 
Studie behandelt worden, die dem Verfasser anscheinend unbekannt ge¬ 
blieben ist, da er ihrer sonst wohl Erwälmung gethan haben würde. 
Wiedemeister hatte seiner Arbeit den bezeichnenden Titel des „Cäsaren- 
wabnsinns* gegeben, obwohl es seine Bedenken hat, die schauderhaften 
und geradezu viehischen Ausschreitungen, denen wir u. A. bei Iwan dem 
Schrecklichen und einer ganzen Anzahl römischer Kaiser begegnen, nur 


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- 136 - 


deshalb auf Geistesstörung zurückführen zu wollen, weil wir sie nicht zu 
begreifen vermögen. 

Man vergisst gar zu oft, dass mit dem Fortschreiten auf dem Gebiete 
der Wissenschaft und Kunst ein moralischer Fortschritt nicht nothwendiger 
Weise verbunden zu sein braucht und oft genug nicht verbunden ist, wie 
denn auch die durch ästhetische Kultur berühmtesten Geschichtsepochen, 
wie die Zeitalter des Perikies, des Augustus, der Rennaissance und Ludwig XIV. 
selbst unter einem mittleren Niveau der ethischen Entwicklung Zurückbleiben. 

Wer ein Liebhaber des Grausigen ist, wird in der kleinen Schrift seine 
Rechnung finden. Das meiste Interesse wird unstreitig das uns auch zeit¬ 
lich am nächsten gerückte Trauerspiel Ludwig II. von Bayern in Anspruch 
nehmen, wie es denn auch psychologisch am feinsten ausgearbeitet ist. 

Ob das als Anhang beigefügte Selbstbekenntniss des unglückseligen 
Monarchen unbedingten Glauben verdient, ist allerdings eine Frage, über 
die sich streiten lässt, den sonstigen Gepflogenheiten des kranken Königs 
entspricht diese Art der Gewissenserforschung wenigstens nicht. 

{ Pelman. 


Verzeiehoiss der bei der Redaktion eingegangenen neuen Bücher etc. 

Hueppe, Dr. med. Ferdinand, Docent der Hygiene und Bakteriologie am chemi¬ 
schen Laboratorium von R. Fresenius zu Wiesbaden. Die Methoden der 
» Bakterien-Forschung. 4. vollständig umgearbeitete und wesentlich ver¬ 
besserte Auflage. Mit 2 Tafeln in Farbendruck und 68 Holzschnitten. 
Wiesbaden, C. W. Kreidel’s Verlag, 1889. Preis Mk. 10. 65. 
International Journal of Surgery and Antiseptics. Deorted exclusi- 
vely to Surgery and Listerism. Vol. 1. Okt. 1888, Nr. 4. Milton Josiah 
roberts M. D. — Ferdinand King M. D. Business Manager P. 0. Box 587 
or 95 William St. New-York U. S. A. 

Journal de la soctet£ nationale D’Horticulture de France. 3. Serie Tome X. 

November 1888. Paris. Au Stege de la Soctete, 84 Rue de Grenelle. 
Gesundheit, Zeitschrift für öffentliche und private Hygiene. No. 1. 1889. 

Daube & Go., Frankfurt. 

NB. Die für die Leser des „Gentralblattes für allgemeine Gesundheitspflege* 
interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung an die Herren 
Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der. beschränkte Raum dieser 
Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine Verpflichtung zur Besprechung 
oder Rücksendung nicht besprochener Werke wird in keinem Falle übernommen; 
es muss in Fällen, wo aus besonderen Gründen keine Besprechung erfolgt, die 
Aufnahme des ausführlichen Titels, Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises 
an dieser Stelle den Herren Einsendern genügen. 


Die Verlagshandlung. 


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Entwickelungsgang und Beschreibung der Wasser¬ 
leitung in Altenkirchen (Westerwald). 

Von 

Sanitätsrath Dr. Meder, 

Kreisphysikus. 


Der Kreisort Altenkirchen hatte bei der letzten Volkszählung 
1627 Einwohner, eine Zahl, die sich durch beinahe 50 Jahre hin¬ 
durch mit ganz geringen Schwankungen auf derselben Höhe hielt, 
und erst nach Eröffnung der Westerwaldbahn und der Linie Alten- 
kirchen-Au langsam zu wachsen anfing. 

Seine Trinkwasserverhältnisse waren bis im Laufe des Jahres 
1888 die denkbar ungünstigsten. 

Lange vorher, ehe eine chemische Untersuchung des Wassers 
stattgefunden hatte, beschwerte man sich allgemein über seine 
schlechte Beschaffenheit; schon nach kurzem Stehenlassen bildete 
sich ein schillerndes Häutchen auf seiner Oberfläche, es entstand 
ein röthlicher Niederschlag, und nicht selten enthielt es suspendirte, 
mit blossem Auge erkennbare Stoffe, die ihm bei schlechtem Ge- 
schmacke ein ekelerregendes Aussehen gaben. Neu Angezogene 
oder Fremde, die sich nur vorübergehend hier aufhielten, erkrankten 
durch seinen Genuss nicht selten an Magen- und Darmkatarrhen. 
Das zum Trinken benutzte Wasser wurde daher von vielen Ein¬ 
wohnern einer in der Nähe von Altenkirchen befindlichen kleinen, 
frei zu Tage tretenden Quelle auf dem Beinhauer’schen Grund¬ 
stücke entnommen, welche der Besitzer in primitivster Einrichtung 
gefasst, und deren Wasser aus einer hölzernen Rinne in der un¬ 
gefähren Menge von 12 cbm in 24 Stunden abfloss. Besonders 
Kranke Hessen nur von diesem Wasser holen, weil es ein weiches, 
klares und wohlschmeckendes Wasser war. Der Brunnen erhielt 
im Laufe der Zeit daher den Namen Gesundheitsbrunnen. 

Neben der schlechten Beschaffenheit des Wassers in Alten¬ 
kirchen war aber auch die Quantität desselben im Winter nach 
längerem Froste und im Sommer bei lange anhaltender Trocken¬ 
heit so gering, dass viele Brunnen Wochen lang trocken standen, 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. V111. Jahrg. |Q 


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138 


und die Einwohner sich mit Bachwasser begnügen mussten, welches 
dem der Verunreinigung vielfach ausgesetzten Mühlen- und Quengel¬ 
bache entnommen wurde. Bei dem Ausbruche eines Brandes, der 
glücklicherweise nicht vorkam, wäre der grössere Theil des Ortes 
wegen Wassermangels gefährdet gewesen. Verschiedene Anläufe 
wurden im Laufe der Jahre gemacht, um ein besseres und ge¬ 
nügendes Wasser zuzuführen. Im Jahre 1856 grub man östlich 
von Altenkirchen in der Nähe der Hachenburger Strasse auf einem 
nassen und hochgelegenen Grundstücke einen Versuchsschacht in 
der Absicht, die hier befindlichen kleinen Quellen zu fassen und 
deren Wasser durch Thonröhren in den Ort einzuleiten. Glück¬ 
licherweise folgte einem nassen Winter ein sehr trockener Sommer, 
die Quellen versiegten, bevor die Anlage gemacht war, und es 
blieb beim Alten. Seit dem Jahre 1859, seit welcher Zeit ich als 
Arzt hierselbst fungire, beobachtete ich fast alljährlich verschiedene 
Erkrankungen an Abdominaltyphus. 1862 steigerte sich die Krank¬ 
heit zu einer Epidemie, und erinnere ich mich noch recht gut, 
dass in der Einwohnerschaft zur damaligen Zeit die Ansicht allge¬ 
mein verbreitet war, dass nur durch das schlechte Wasser die 
Krankheit entstände. Wiederum wurde die Behörde von verschie¬ 
denen Seiten angegangen, auf die Beschaffung eines besseren Was¬ 
sers Bedacht zu nehmen. 

Man grub einen neuen Brunnen und sorgte, dass bei bereits 
bestehenden durch bessere Einfassungsmauern das Tagwasser, 
welches bei dem starken Gefälle der Strassen die Haushaltungs¬ 
abgänge in den Strassenrinnen nach dem unteren Theile des Ortes 
mit sich führte, nicht so leicht in die Brunnen eindringen konnte. 
Die Verhältnisse änderten sich jedoch nicht. Zwar verstummten 
mit dem Aufhören der Epidemie die lauten Klagen über schlechtes, 
ungesundes Wasser, wie man dies überall, wenn die Gefahr vor¬ 
über ist, beobachten kann, jedoch erwiesen sich, namentlich bei 
Platzregen, die getroffenen Massnahmen als vollständig ungenügend. 

Gegen Ende des Jahres 1882 wurde Altenkirchen abermals, 
jedoch von einer grösseren Typhusepidemie heimgesucht. Dieselbe 
zog sich mit kurzen Unterbrechungen durch die Jahre 1883 und 
1884 durch, während vereinzelte Fälle noch 1885, 1886 und zu 
Anfang des Jahres 1887 vorkamen. Die Gesammtzahl der in den 
Jahren 1883 und 1884 hierselbst beobachteten Typhuserkrankungen 
beziffert sich auf 137, die der Gestorbenen auf 15. Die Aufregung 
im Orte war gross; sie wuchs, als durch den hiesigen Apotheker 
der Nachweis erbracht war, dass das Wasser der sämmtlichen 
von ihm untersuchten Brunnen wegen hohen Gehaltes von Stick¬ 
stoff- und Chlorverbindungen unter gleichzeitiger Anwesenheit von 
Sulfaten eine Verunreinigung desselben vermuthen lasse. Man 
klagte allgemein über das Wasser, hinter den Coulissen schimpfte 


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139 


man auf den unthätigen Gemeinderath, der für grössere Bauten, 
eine neue Schule und ein Bürgermeistereigebäude Geld ausgebe, 
für das Wichtigste, für gesundes Wasser, aber keinen Sinn habe. 
Im Gemeinderath wurde die Angelegenheit reiflich erwogen, man 
wusste keinen Ausweg, da von massgebender Stelle immer die 
Behauptung entgegen gehalten wurde, dass in der ganzen Um¬ 
gegend von Altenkirchen bis auf 6 Kilometer Entfernung kein ge¬ 
nügendes Wasser vorhanden sei, und dass die im Frühjahre, 
Winter und Herbst stark strömenden Gebirgsquellen während des 
Sommers versiegten. Die Anlage einer Wasserleitung aus grösseren 
Entfernungen schien aus finanziellen Gründen für den kleinen Ort 
unausführbar. 

Es handelte sich nunmehr darum, festzustellen, in wieweit 
solche Behauptungen sich bestätigten. Sämmtliche Gebirgsquellen 
der Umgegend wurden abgesucht, nirgends fand sich genügendes 
Wasser; da, wo es ausreichend zu sein schien, war entweder die 
Höhenlage zu ungünstig, sodass es nach Altenkirchen nicht einge¬ 
führt werden konnte, oder die Entfernung eine so grosse, dass 
der Kostenpunkt eine derartige Anlage nicht gestattete. Schon 
war die Hoffnung fast aufgegeben, dem gesteckten Ziele näher zu 
kommen, als sich die Aufmerksamkeit auf eine kleine muldenförmige 
Vertiefung lenkte, welche in einer Entfernung von 2 Kilometer auf 
dem Galgenberge ihren Anfang nimmt und sich parallel mit der 
Staatsstrasse Altenkirchen-Köln allmählich abflachend, bis nach 
dem Wiedbachthale hinzieht. Die Mulde hat eine Breite von etwa 
300 Meter und war bis dahin in ihrer ganzen Ausdehnung Wiesen¬ 
fläche, welche, vielfach ganz versumpft, nur saures Gras lieferte. 
In derselben fanden sich 15 grössere und kleinere Quellen in un¬ 
gleicher Höhenlage, aus denen das Wasser in verschiedenen Mengen 
abfloss und das ganze Terrain so durchtränkte, dass man kaum 
im Hochsommer dasselbe trockenen Fusses begehen konnte. Die 
höchst gelegene Quelle liegt so hoch, dass sie nach vorgenommenen 
Messungen mit den höchst gelegenen Häusern in Allenkirchen 
nivellirte; unscheinbar klein, von überhängendem Grase fast ganz 
bedeckt, lieferte dieselbe während des Sommers bei Trockenheit 
in 24 Stunden 30 Kubikmeter Wasser; zwei etwas tiefer liegende 
Quellen, welche mit der ersten vereinigt werden konnten, zeigten 
zusammen einen Wasserabfluss von etwa 10 Kubikmeter in der¬ 
selben Zeit. Eine vorgenommene chemische Untersuchung des 
Wassers ergab, dass dasselbe weich und als Trink- und Nutz¬ 
wasser sich ganz vorzüglich eignete. 

Im- Herbste 1884 gelang es endlich nach langen Diskussionen 
im Gemeinderath, die Heranziehung eines Technikers zur Begut¬ 
achtung der fraglichen Anlage herbeizuführen und wurde eine 
Commission gewählt, welche mit einem Ingenieur Müller aus 


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140 — 


Bochum, der schon mehrere Wasserleitungen gebaut hatte, Ver¬ 
bindungen anknüpfte. Nachdem derselbe Einsicht von den Quellen 
genommen, lautete sein Gutachten dahin, dass dieselben zu einer 
Hochdruckwasserleitung zwar geeignet seien, aber aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach die genügende Menge Wasser für Altenkirchen 
nicht liefern würden, so dass, um sicher zu gehen, im Thale Grund¬ 
quellwasser erschürft werden müsse, welches durch Dampf zu 
heben sei. Nachdem ferner derselbe Herr bezüglich derGesammt- 
kosten von 50—60,000 Mark sprach, und zu den Vorversuchen, 
um die Quellen freilegen zu lassen, eine Ausgabe von etwa 
500 Mark in Aussicht stellte, da brach der Vorsitzende der Com¬ 
mission die Verhandlungen mit den Worten ab: „Meine Herren, 
es ist Grössen Wahnsinn, bei der Finanzlage des kleinen Ortes 
Altenkirchen an die Ausführung eines solchen Projektes zu denken.“ 
Die Mitglieder stimmten zu, denn die Typhusepidemie war zur 
Zeit wesentlich im Abnehmen begriffen, die Klagen über schlechtes 
Trinkwasser hatten schon wieder aufgehört, und der Antragsteller 
fiel trotz aller Gegenvorstellungen gründlich durch. 

Besagter Ingenieur erbot sich nach vorausgegangener Rück¬ 
sprache wenige Wochen später, die Wasserleitung für Altenkirchen 
auf eigene Rechnung zu bauen, wenn ihm der Anschluss des 
hiesigen Bahnhofs (die Westerwaldbahn war mittlerweile dem Be¬ 
triebe übergeben worden) an die Wasserleitung gesichert würde, 
und etwa 100 Hausbesitzer des Ortes bei einem Minimalsatze von 

24 Mark pro Jahr und Berechnung des Kubikmeters Wasser mit 

25 Pfennigen zu einem Anschlüsse sich verpflichteten. 

Der Bahnhof, welcher im Wiedbachthale liegt, besass einen 
Trinkbrunnen neben dem Stationsgebäude und einen grösseren 
Brunnen neben dem Maschinenschuppen. Aus dem letztgenannten 
Brunnen wurde das Wasser zur Speisung der Lokomotiven durch 
Dampf in 4 zusammen etwa 50 Kubikmeter fassende eiserne Be¬ 
hälter gehoben. Der Trinkbrunnen lieferte ein übelriechendes 
Wasser, da er in angeschwemmtem Boden des Wiedbachthaies ge¬ 
graben war, wo der Untergrund aus faulen, stinkenden Letten 
bestand. Nebenbei enthielt das Wasser eine Menge Eisenoxydul, 
welches in den Gefässen einen reichlichen rothen Niederschlag 
bildete; es war ungeniessbar, und wurden demselben die im 
Stationsgebäude damals zahlreich vorgekommenen Typhuserkran¬ 
kungen zugeschrieben. Der Brunnen ant Maschinenhause enthielt 
nicht die genügende Menge Wasser, so dass die Zuführung eines 
Wassers in den Brunnen noch nöthig wurde, welches oben er¬ 
wähnten Quellen aus der Thalmulde vom Gälgenberg entstammte 
und in der Nähe des Maschinenschuppens sich in das Wiedbach¬ 
thal ergoss; von hier wurde es durch eine etwa 15 Meter lange 
Röhrenleitung dem Brunnen zugeführt. 


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Verschiedene Bohrversuche, dem Bahnhofe besseres Trink¬ 
wasser zu beschaffen, blieben resultatlos, da das ganze Wiedbach¬ 
thal überall die oben angegebene schlechte Beschaffenheit zeigte. 
Die Bahnverwaltung war somit genöthigt, durch Arbeiter mehrmals 
täglich das Trinkwasser aus einem Brunnen, welcher auf einer 
noch nicht lange bewohnten Fläche sich befand, herbeischaffen zu 
lassen, und trug sich schliesslich mit dem Gedanken, eine Wasser¬ 
leitung anzulegen. Der richtige Zeitpunkt war somit gekommen, 
handelnd einzuschreiten, denn gelang es, die Bahnverwaltung als 
Hauptkonsumenten für eine Wasserleitung in Altenkirchen zu ge¬ 
winnen, so erschien das Projekt gesichert. Die erste Aufgabe blieb 
es, das Quellengebiet käuflich zu erwerben, um später all zu hohen 
Forderungen zu begegnen. Der Besitzer der Wiese erklärte sich 
schriftlich bereit, das Grundstück für 6 Mark die Ruthe an Alten¬ 
kirchen abzutreten, falls innerhalb der nächsten Jahre das Projekt 
einer Wasserleitung zur Ausführung gelangen sollte. Die Bahn¬ 
verwaltung stimmte Angesichts der grossen Missstände bezüglich 
der Trinkwasserverhältnisse auf dem Bahnhofe ebenfalls zu, und 
entschloss sich nach langen Verhandlungen, die durch 2 Jahre 
sich hinzogen, sämmtliches Wasser aus der projectirten Leitung 
zu entnehmen, wenn bei guter Beschaffenheit des Wassers in 
24 Stunden in maximo 80 cbm Wasser geliefert werden könnten. 
Dabei verpflichtete sie sich zu einer minimalen Abnahme von 
30 cbm und wurde der Wasserzins auf 10 Pfg. pro cbm festge¬ 
setzt. Zwischendurch war indessen mit dem Ingenieur Müll er 
abgebrochen worden, da dessen Forderungen nach eingezogenen 
Erkundigungen, zu hoch erschienen, und ein Ingenieur Scheven 
sich erboten hatte, unter günstigeren Bedingungen die Leitung für 
eigene Rechnung auszuführen. Jedoch zog dieser Herr sein An¬ 
erbieten zurück, nachdem er genaue Einsicht von der Sachlage 
genommen. Die hiesigen Verhältnisse erschienen ihm zu klein und 
war zur Zeit der Anschluss der Bahn in seinem ganzen Umfange 
noch sehr zweifelhaft. 

Der Gemeinderath stand im Ganzen der Anlage nicht sehr 
sympathisch gegenüber. Einzelne der Mitglieder glaubten, dass das 
Wasserquantum nicht ausreiche, und das Terrain beim Blosslegen 
der Quellen sich auslaufen könne, andere nahmen an, dass die 
Einwohnerschaft sich an der Anlage nicht so betheiligen würde, 
um die Rentabilität derselben zu sichern, wiederum andere be¬ 
fürchteten, Angesichts der zur Zeit übernommenen Garantie für 
den Grunderwerb der Eisenbahnlinie Altenkirchen-Au allzusehr 
engagirt zu werden, und ein Rest verhielt sich ab wartend. 

Nachdem es gelungen war, einen dritten Techniker für die 
Anlage in der Person des Hessemer von Ems zu interessiren, 
gelang es endlich, die Majorität im Gemeinderath dafür zu ge- 


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winnen, dass zur Ausarbeitung eines generellen Projektes 90 M. 
bewilligt wurden. Sollte die Bahn, welche in maximo täglich 
80 cbm Wasser nöthig hatte, mit angeschlossen werden, so be¬ 
durfte es noch der Zuführung anderer Quellen, um für die trockene 
Jahreszeit gesichert zu sein. Hieran wäre das Projekt nächst ge¬ 
scheitert, da einerseits ohne den Bahnhofanschluss eine erhebliche 
Einnahme an Wasserzins in Ausfall kam und andererseits die 
Quellen während dreier Monate des Jahres nicht so viel Wasser 
lieferten, um allein den Bahnhof bedienen zu können. Es fand 
sich jedoch auch hierfür ein Ausweg. Wie oben angegeben, zeigten 
sich in jener Thalmulde 15 Quellen in verschiedener Höhenlage; 
von diesen konnten nur die drei oberstgelegenen für Altenkirchen 
nutzbar gemacht werden, während die etwa in der Mitte der 
Mulde befindlichen dem viel tiefer gelegenen Bahnhofe sich noch 
zuführen Hessen. Das Wasserquantum von drei solcher tiefer 
liegenden Quellen betrug in den trockensten 3 Monaten 60 cbm 
pro 24 Stunden; in der übrigen Zeit viel mehr, als der Bahnhof 
in maximo bedurfte. Immerhin war der Gesammtwasserreichthum 
sämmtlicher Quellen, die für Altenkirchen mit eingeschlossen, 
während der trockenen Jahreszeit voraussichtüch nicht ausreichend, 
um den Wasserbedarf für den Ort Altenkirchen und für den Bahn¬ 
hof decken zu können. Nach langen Debatten bewilligte der Ge¬ 
meinderath 200 Mark, um die oberst gelegenen Quellen freizulegen, 
damit das Gesammtquantum des daselbst abfliessenden Wassers 
genau ermittelt werden konnte. Ein solcher Versuch erschien un¬ 
bedingt geboten, da das ganze Terrain der erwähnten Thalmulde 
sich versumpft zeigte und somit die Wahrscheinlichkeit sehr nahe 
lag, dass die vielen Quellen, welche in der Mulde sich befanden, 
einer Hauptquelle entstammten, und nur an verschiedenen höher 
und tiefer gelegenen Stellen das Wasser abfliessen Hessen. Bei 
den nunmehr an den höchst gelegenen Quellen zu besagtem Zwecke 
1 1 /2 Meter tief angelegten Gräben stiess man auf eine alte Röhren- 
leitung von Holz, und fand sich ein steinernes Reservoir, dessen 
Bleisieb die Jahreszahl 1687 trug. Am Rande des Siebes standen 
die Buchstaben J. H. D. St. O. F. M. Arnolt. W. N. H. B. 1687. 

Die Behauptung der ältesten Leute von Altenkirchen, sie 
hätten von Eltern und Grosseltern öfter die Aeusserung gehört, 
dass vor vielen Jahren eine Wasserleitung von dem Galgenberge 
nach dem damaligen Schlosse hierselbst geführt habe, fand sich 
somit bestätigt. Nicht minder konnte man aus noch vorhandenen 
Dämmen in der Thalmulde ersehen, dass in derselben seiner Zeit 
Teiche bestanden halten. Mit dem Blosslegen der Quellen, wenn 
auch noch nicht, wie sich später ergab, in der genügenden Tiefe, 
wuchs die Wassermenge und schwankte das Quantum während 
eines schneearmen Winters und eines sehr trockenen Sommers 


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zwischen 280 der höchsten und 54 cbm der niedrigsten abgeflos¬ 
senen Wassermenge innerhalb 24 Stunden. Wurde die kleinste 
Wassermenge auch nur während einiger Wochen im Herbste be¬ 
obachtet, so durfte nur mit diesem Quantum gerechnet werden. 
Altenkirchen hatte zur Zeit 180 Häuser und entfielen somit, wenn 
die sämmtlichen Häuser an die projektirte Wasserleitung ange¬ 
schlossen wurden, in der trockensten Zeit 300 Liter Wasser pro 
Tag auf ein Haus, was ungefähr einer Menge von 30 Eimern ent¬ 
spricht und bei der damaligen Bevölkerungsziffer etwa 34 Liter 
pro Kopf und 24 Stunden ausmachte. In der Bevölkerung glaubte 
man allgemein, dass ein solches Wasserquantum genüge, da keine 
Etablissements hier bestehen, welche einen grossen Mehrverbrauch 
erforderten. Ebenso nahm man an, dass die 60 cbm Wasser aus 
den viel tiefer liegenden Quellen, welche dem Bahnhofe das Wasser 
liefern sollten, den Bedürfnissen der Bahn, die 30—80 cbm täglich 
verlangte, entsprechen würde, da bei genügend grossen Sammel¬ 
reservoirs der nur ausnahmsweise vorkommende Höchstverbrauch 
voraussichtlich sich decken Hess. 

Mittlerweile war in der Verwaltung der Bürgermeisterstelle 
Altenkirchen ein Personenwechsel eingetreten, und stand der neue 
Bürgermeister von vornherein dem Projekte sehr sympathisch 
gegenüber, nachdem er die bereits zu einem grossen Aktenbündel 
angeschwollenen Verhandlungen geprüft hatte. Die Angelegenheit 
kam in Fluss; das von dem Ingenieur Hessemer ausgearbeitete 
generelle Projekt lautete in seinem Kostenanschläge auf 55,000 M. 
Vorgesehen waren ein Reservoir von 200 cbm Inhalt zur Aufnahme 
der höchst gelegenen Quellen für den Ort Altenkirchen und ein 
kleineres Reservoir von 30 cbm zur Aufnahme der tiefer liegenden 
Quellen für den Bahnhof, welches 700 Meter vom Bahnhofe ent¬ 
fernt gebaut und selbstverständlich einen Separat-Röhrenstrang 
erhalten sollte, der gemeinschaftlich in einem Graben mit dem 
Röhrenstrange für Altenkirchen verlief. Das Bahnreservoir konnte 
um desswegen so viel kleiner angelegt werden, weil, wie ange¬ 
geben, die Bahnverwaltung bereits in ihrem Wasserthurme vier 
eiserne, mit einander in Verbindung stehende Behälter von zu¬ 
sammen 50 cbm Inhalt besass, welche bis dahin aus dem oben 
erwähnten Brunnen durch Dampfstrahl gefüllt wurden. 

Die Gemeindevertretung genehmigte nach häufigen Sitzungen 
in dieser Angelegenheit am 5. August 1886 den Bau der Leitung 
für eigene Rechnung, nachdem der Unternehmer sich vertrags- 
mässig verpflichtet hatte, für eine 6procentige Verzinsung des 
Baukapitals aufzukommen und eine Sammlung von Unterschriften 
unter den Ortseingesessenen den Beweis erbrachte, dass eine hin¬ 
längliche Anzahl von Hausanschlüssen gesichert sei. Die Königliche 
Regierung billigte zwar nach dem vorgelegten Projekte den Bau 


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der Leitung sowie die Aufnahme des Baukapitals im Betrage von 
55,000 Mark, jedoch verlangte dieselbe, dass nicht, wie beantragt, 
mit einem, sondern mit zwei Prozent die Bausumme amortisirt 
werden müsse. Gleichzeitig enthielt, nicht mit Unrecht, die Re¬ 
gierungsverfügung die Bemerkung, dass äas vorhandene YVasser- 
quantum in den trockenen Monaten nicht genüge und wahrschein¬ 
lich auf die Zuführung anderer Quellen bei Widderstein (welche 
4 Kilometer von hier entfernt liegen) event. Bedacht genommen 
werden 'müsse. Hiermit zerfiel die mit so grosser Mühe zusammen¬ 
gebrachte, allerdings nur lose gekittete Einheit im Gemeinderath. 
Die Debatten spielten sich in die Wirthshäuser und die Damen- 
Kaffee’s fort, und fanden namentlich am runden Tische des Gast¬ 
hofs Luyken, der allabendlich eine Anzahl Stammgäste um sich 
versammelte, die lebhaftesten Diskussionen für und wider statt. 
Vorschläge, Kritiken und Polemik wechselten, nicht zum Schaden 
des Wirthes, in aufgeregtester Stimmung. Man wurde zeitweise 
an die Erörterungen der Kriegsjahre 1866 und 1870/71 erinnert, 
bei welchen, mit dem Finger auf der Karte, die blutigsten 
Schlachten geliefert wurden, und manches bis dahin gänzlich un¬ 
bekannte Feldherrntalent die kühnsten Schlachtenpläne entwarf. 
Auf diese Weise konnte es schliesslich auch nicht ausbleiben, dass 
sich der Carneval hierselbst der Sache bemächtigte und in 
drastischer Weise die projektirte Wasserleitung karrikirte. Schwer 
war, das Schiffchen an den zahlreichen Klippen vorüberzuführen. 
Die Bahnverwaltung drängte zum Entschlüsse, die Königliche Re¬ 
gierung konnte auf ein nochmaliges Gesuch, die beantragte ein¬ 
prozentige Amortisation des Anlagekapitals zu gestatten, nicht ein- 
gehen, die Interessenten, durch deren Boden die Röhrenlage 
stattfinden musste, forderten theils zu hohe Entschädigungssummen, 
theils lehnten sie ab und die angelegten Versuchsgräben an den 
Quellen waren eingestürzt, liessen das Wasser nach anderen Rich¬ 
tungen hin absickern und täuschten eine Abnahme des Wasser¬ 
quantums vor, so dass die Anschauung von ausgelaufenen Quellen 
sich immer mehr Bahn brach. Zu wundern wäre es bei diesen 
und vielen ähnlichen Hindernissen wahrlich nicht gewesen, wenn 
die Wasserleitungsangelegenheit in die Rumpelkammer verwiesen 
worden und, vielleicht nach vielen Jahren erst, bei einer neu auf¬ 
tretenden Typhusepidemie aus verstaubten Aktenrepositorien her¬ 
vorgeholt, die Stadtväter zu neuem Kampfe aufrüttelte. Glück¬ 
licherweise sollte es anders kommen. Ingenieur Hessemer liess 
sich nach langen Verhandlungen zu der Erklärung bewegen, dass 
er für eigene Rechnung und Gefahr nach dem vorgelegten Projekte 
bauen, und dem Orte, sei es durch Zuführung neuer Quellen, sei 
es durch Erschürfung von Grundquellwasser im Thale, gutes und 
genügendes Wasser liefern wolle, wenn ihm der Grund und Boden 


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— 145 — 


frei übergeben und neben dem Anschlüsse der Bahn unter den 
oben erwähnten Stipulationen 80 Abonnenten gesichert seien. Ge¬ 
baut wurde nun, aber man glaube ja nicht, dass mit dieser Er¬ 
klärung schon die Wege alle geebnet gewesen. Vieles blieb noch 
zu thun übrig, Meinungsverschiedenheiten jeglicher Art reizten zu 
Kämpfen. Projekte und Projektchen wurden entworfen und verworfen, 
Verträge waren abzuschliessen und bedurften der Genehmigung, der 
Grund und Boden musste erworben werden, kurz und gut, erst Anfang 
September 1887 konnte der Bau in Angriff genommen werden, 
und zwar an derselben Stelle, von wo gerade vor 200 Jahren eine 
der Vergessenheit bereits anheimgefallene Wasserleitung nach dem 
Orte hin geführt hatte. Selbst während des Baues fehlte es nicht 
an gemüthlichen Aufregungen unter den Einwohnern, von denen 
Viele am Alten nicht nur starr festhielten, sondern auch Anders¬ 
denkende, oder Zweifler in ihr Lager zu ziehen sich bemühten, 
um die Anlage noch in letzter Stunde unmöglich zu machen. Der 
Unternehmer, gewitzigt durch den Bau anderer Leitungen, Hess 
Alles ruhig über sich ergehen; er nahm die Arbeit in Angriff, ohne 
der verlangten 80 Abonnenten versichert zu sein, und wusste recht 
wohl, dass die Leute schon kommen würden, wenn nur mal in 
den erstgelegenen Häusern das Wasser lief. Wer in Kampfeslust 
sich allzusehr verrannt hatte, und füglich nicht gut, als die Rohr¬ 
leger an seinem Hause vorbeizugehen im Begriffe standen, den 
Unternehmer noch um den Anschluss zu bitten wagte, der schickte 
die Gattin, die zungengeläufige, dem Schmollenden entgegen, und 

halb zog sie ihn, 
halb sank er hin, 
der Anschluss war geschehen. 

Der Bau ist fertig. 

Sein Hochreservoir, durch eine starke Mauer in zwei gleiche 
Theile getheilt, um bei etwaigen Reinigungen, oder Ausbesserungen 
noch eine Hälfte im Gebrauche behalten zu können, fasst in beiden 
Abtheilungen zusammen 270 cbm Wasser und ist jede derselben, 
die Mauerdicke nicht mit eingerechnet, 25 m lang, 3 m breit und 
bis zum höchsten Wasserstande 1,80 m hoch, unter der Erde ge¬ 
mauert. 

Um das im Reservoir befindliche Wasser vor allen Einflüssen 
der Wifterung zu schützen, wurde dasselbe durch Gewölbe über¬ 
spannt und mit Boden durchschnittlich 2 m hoch überdeckt. Die 
Sohle, welche nach der Ausflussöffnung im Gefälle liegt, hat in 
beiden Abtheilungen an der tiefst gelegenen Stelle eine ausge¬ 
schachtete und gemauerte Vertiefung zur Aufnahme von sich ab¬ 
lagernden Schlammtheilen; in diesem' sogenannten Schlammkasten 
befindet sich ein Ausspülrohr, durch welches, wenn sein Schieber 
aufgedreht wird, in Folge der Geschwindigkeit des abtliessenden 


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146 


Wassers etwaige Schlammtheile aus dem Reservoir abgefuhrt 
werden. Das nach Altenkirchen hinführende Hauptrohr liegt dicht 
über dem Schlammkasten und ist zum Zurückhalten etwaiger 
schwimmender Unreinlichkeiten mit einem Seiher versehen. Um 
ein Ueberlaufen des Reservoirs zu verhüten, sind in jeder Abthei¬ 
lung senkrecht stehende Röhren angebracht, welche an die Aus- 
spülrolire anschliessen; steigt das Wasser zu hoch, so fliesst es 
durch die Ueberlaufröhren nach dem Ausspülrohr hin. Ebenso 
haben beide Abtheilungen je zwei Einsteigeschächte mit Gussdeckel 
und Steigeisen. Der mittlere Wasserdruckspiegel im Reservoir be¬ 
trägt am höchstgelegenen Feuerhahn oberhalb der höchstgelegenen 
Häuser 3,5 m, während der stärkste Wasserdruck an der tiefst- 
gelegenen Stelle von Altenkirchen in der Nähe der Eisenbahn 
33,5 m ausmacht. Bei den drei höchsten Zapfstellen fliesst das 
Wasser nur im Erdgeschosse noch aus. Da hier die durch Rei¬ 
bung und bei starkem Wasserverbrauch im Orte sich geltend 
machenden Druckschwankungen zu öfteren Unterbrechungen im 
Auslaufe Anlass geben, so wurde ein Ausgleichreservoir oberhalb 
des letzten Feuerhahns seitlich der Strasse und höher als diese 
errichtet. Dasselbe besitzt nur eine Abtheilung von 75 cbm Inhalt 
und ist im Uebrigen in ähnlicher Weise wie das Hauptreservoir 
angelegt. Der Gegenbehälter, welcher in gleicher Höhe mit dem 
Hauptreservoir liegt, füllt sich über Nacht, wenn kein, oder nur 
geringer Wasserverbrauch im Orte stattfindet, und kann hierdurch 
Tags über event. nicht nur aus den Hauptröhren das doppelte 
Wasserquantum entnommen werden, sondern es ist auch der 
Druckverlust durch die Reibungen an den Rohrwänden um ein 
Viertel verringert. Die zum Hauptreservoir geleiteten drei Quellen, 
welche von diesem etwa 60 m entfernt liegen, sind sachgemäss 
aufgedeckt und ist der Ursprung des Wassers bis in die wasser¬ 
führenden Schichten hin verfolgt worden; drei kleine, mit Gement 
verputzte Sammelbehälter leiten durch Gussabflussröhren das 
Wasser in der Weise nach dem Hochreservoir, dass jede Abthei¬ 
lung desselben sich gleichmässig füllt. Durch Absperrschieber kann 
das Reservoir ausgeschaltet werden und ergiesst sich dann das 
Quellwasser durch Umlaufröhren direkt in das Hauptablaufrohr 
nach den Verbrauchsstellen in der Stadt, oder event, in den Gegen¬ 
behälter hin. Vom Hauptreservoir bis zum Gegenbehälter liegt 
durch die Hauptstrasse von Altenkirchen eine Rohrleitung mit 
125 und 100 mm Lichtweite, von welcher die Abzweigungen nach 
anderen Strassen und die Hausleitungen abgehen. Für die Strassen- 
rohrabzweigungen, bei welchen auf ein Circulationssystem gerück- 
sichtigt wurde, gelangten Rohre von 100, 80 und 60 mm lichter 
Weite zur Verwendung. An den nach Aussen führenden Veräste¬ 
lungen ist je ein Feuerhahn zum Zwecke der zeitweisen Aus- 


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147 


Spülung der Leitungen angebracht. Sämmtliche Röhren sind so¬ 
genannte gusseiserne Normal-Muffenröhren der Haibergerhütte bei 
Saarbrücken, welche Innen und Aussen asphaltirt vor ihrem Ver¬ 
sandt auf 15 Atmosphären Wasserdruck geprüft wurden. Ausser¬ 
halb der Stadt haben dieselben eine Bodenbedeckung von 1,50, in 
der Stadt eine solche von 1,35 m. 

Das für den Bahnhof separat angelegte Sammelreservoir liegt 
in derselben Thalmulde, etwa 20 m tiefer, jedoch 700 m von dem 
höher gelegenen städtischen Reservoir entfernt, und nimmt das 
reichlich zufliessende Wasser von den oben erwähnten zwei 
Quellen auf. 

Das Bahnhofreservoir ist ähnlich wie die beiden anderen Re¬ 
servoirs gebaut; dasselbe gilt von den Quellfassungen, nur sei 
noch bemerkt, dass im Reservoir selbst, als der Boden ausge¬ 
schachtet wurde, eine ziemlich reich fliessende Quelle, die mit den 
bereits gefassten nicht ^n Verbindung stand, vorgefunden und auch 
nutzbar gemacht wurde. Das Abzugsrohr von 100 mm lichter 
Weite liegt zum grossen Theile mit dem Hauptrohre für Alten¬ 
kirchen bis zum Bahnhof in einem Graben und wendet sich dann 
mit einer Abzweigung zu dem Stationsgebäude nach dem 6 m unter 
dem Wasserspiegel befindlichen Wasserthurmreservoir der Bahn. 
Durch eine Umlaufleitung kann auch hier das Bahnhofreservoir 
ausgeschaltet werden, sodass die Quellen direkt in das Abzugrohr 
für die Bahn laufen, ebenso kann durch Schieberstellung der 
grössere für Altenkirchen bestimmte Hochbehälter sein Wasser 
direkt in das Rohr für die Bahn abgeben und ist ausserdem noch 
durch einen im Bahnreservoir angebrachten selbstthätigen Schwimm¬ 
kugelhahn es möglich gemacht, dass, wenn das Bahnreservoir aus¬ 
nahmsweise sehr in Anspruch genommen wird, der Hauptbehälter 
Wasser nach dem unteren Reservoir abgibt, sobald dessen Wasser¬ 
spiegel bis unter eine gewisse Grenze gesunken ist. Auf diese 
Weise wird der Bahnhof, falls die tiefer liegenden Quellen im 
Hochsommer vorübergehend zurückgehen sollten, stets mit Wasser 
versorgt sein. Um für alle Fälle, auch bei dem trockensten Sommer, 
gesichert zu sein, musste noch auf die Zuführung von anderen 
Quellen Bedacht genommen werden. Zwei Projekte waren in Aus¬ 
sicht genommen. Nach dem einen sollten etwa 5 km von hier 
entfernte Quellen gefasst und nach dem Gegenreservoir hingeleitet, 
nach dem anderen Grundquellwasser im Thale erschürft und nach 
dem Gegenreservoir durch Dampf gehoben werden. Für beide 
Projekte Hessen sich verschiedene Gründe für und wider geltend 
machen. 

Die Zuführung hoch gelegener Quellen erforderte eine lange 
Rohrleitung, hatte dafür aber keine weiteren Auslagen an Be¬ 
dienung und Maschinenthätigkeit im Gefolge, wohingegen bei dem 


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148 


zweiten Projekte zwar wesentliche Ersparnisse durch eine kürzere 
Rohrleitung erzielt wurden, dasselbe aber durch das Pumpwerk 
mit laufenden Ausgaben verbunden war. Man entschied sich für 
das letzte Projekt, indem mit Recht angenommen wurde, dass 
das Wasserquantum der entfernt liegenden Quellen im Sommer 
ebenfalls wesentlich zurückgehen könne und bei einer etwaigen 
Bevölkerungszunahme von Altenkirchen die geringe Wassermenge 
schliesslich doch zu einer Pumpanlage führen müsse. Die 
Schwierigkeit, gutes und reichliches Quellwasser zu erschürfen, 
war jedoch grösser, als man vermuthet hatte. Sechs Versuchs¬ 
schächte an verschiedenen Stellen der Umgegend von Altenkirchen 
mussten wieder verlassen werden, da theils nicht genügendes 
Wasser gefunden wurde, theils reichliches, jedoch als zu eisen¬ 
haltig nicht eingeführt werden durfte. Man war daher genöthigt, 
in einer grösseren Entfernung von Altenkirchen die Pumpanlage 
zu machen, nachdem, 1500 m von dem Gegenreservoir entfernt, 
im Sörtherbacher Thale bei Mammelzen nach langen Versuchen 
endlich gutes und reichliches Wasser angetroffen wurde. Der 
Sörtherbach setzt sich bei seinem Ursprung aus verschiedenen 
kleinen Gebirgsquellen zusammen und fliesst etwa 6 km lang nur 
durch Wiesen und in einer Entfernung von etwa 500jn an zwei 
Dörfern vorbei; sein Wasser wird hauptsächlich zum Bewässern 
von Wiesen benutzt und ist Verunreinigungen aus den Dörfern 
nicht ausgesetzt. Der Brunnenschacht liegt 6 m, das Maschinen- 
und Kesselhaus 3—4 m seitlich der Provinzialstrasse Altenkirchen- 
Wissen und konnte die Rohrleitung mit 100 mm lichter Weite in 
dem Strassenbankett mit 1,40 m Bodendeckung nach dem Gegen¬ 
reservoir hingeleitet werden. 

Der Brunnen ist 8 m tief und steht vollständig in festem 
Grauwackengestein. Oben im Durchmesser 1,4 Qm gross, ver¬ 
breitert sich derselbe mit zunehmender Tiefe und sind nach zwei 
Richtungen hin 3 m unter dem Sörtherbache her so grosse Stollen 
getrieben, dass der ganze hierdurch gewonnene Raum 50cbm 
Wasser fasst. In seiner Sohle entspringen drei Quellen, welche 
gemäss öfter stattgefundenen Untersuchungen den Brunnenkessel 
in 10 Stunden anfüllen. Bei gefülltem Brunnen steht der höchste 
Wasserspiegel 25 cm unter dem Wasserspiegel des Baches und die 
öfter laut gewordene Annahme, dass der Sörtherbach durch Fels¬ 
spaltung direkt sein Wasser nach dem Brunnen abführe, wieder¬ 
legt sich sowohl aus dem verschiedenen Stande der beiden Wasser¬ 
spiegel, als auch aus dem Temperaturunterschiede beider Wasser 
und dem Resultate ihrer chemischen Untersuchung. Während die 
Temperatur des Sörtherbaches je nach der Luftwärme zwischen 
+ 1 und + 18° R. wechselt, behält das Wasser der auf der Sohle 
des Brunnens entspringenden Quellen stets die Temperatur von 


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8 0 R. Ausserdem aber enthält das Wasser des Brunnens Spuren 
von Eisen und Mangan, welche im Wasser des Baches fehlen. 

Das von Herrn Hofrath Professor Dr. Fresenius in Wies¬ 
baden eingeholte Gutachten über die Brauchbarkeit des vorerwähn¬ 
ten Brunnenwassers lautet folgendermassen: 

„Das Wasser ist nach längerem Stehen klar und farblos, 
„während sich in den Flaschen ein geringer, flockiger, brauner 
„Niederschlag abgesetzt hat. 

„Der Abdampfungsrückstand ist von ausgeschiedenem 
„Manganoxyd braun gefärbt und wird beim Erhitzen etwas 
„dunkler. Mit einer Säure übergossen entwickelt sich dann 
„eine Kohlensäure von schwach empyreumatischem Geruch. 

„Ein Liter des ursprünglichen Wassers enthält folgende 


„Einzelbestandtheile: 

„Kalk.0,0160 g 

„Magnesia. 0,0088 „ 

„Natron.. . 0,0048 „ 

„Eisenoxydul. 0,0064 „ 

„Manganoxydul. 0,0038 „ 

„Schwefelsäure. 0,0033 „ 

„Salpetersäure •. . . geringe Menge 

„An Kalk, Magnesia, Eisen¬ 
oxydul zu einfachen Car- 
bonaten gebundene Kohlen¬ 
säure . 0,0268 g 

„Chlor. 0,0056,, 

„Kieselsäure.0,0144 „ 


0,0899 g 

„Ab Sauerstoff für Chlor . 0,0012 „ 

„Summe der in einem Liter 
gelösten fixen anorga¬ 
nischen Bestandtheile . . 0,0887 g 

„Salpetrige Säure und Ammoniak sind in dem Wasser 
„nicht vorhanden. 

„Zur Zerstörung der gelösten organischen Substanzen in 
„einem Liter Wasser sind erforderlich: 

„Uebermangansaures Kali. . 3,24 mg 

„entsprechend 

„Sauerstoff.0,82 mg 

„Bindet man Basen und Säuren zu Salzen, so er- 
„gibt sich: 


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150 


„Kohlensaurer Kalk . . . 

0,0245 g 

„Schwefelsaurer Kalk . . . 

0,0056 „ 

„Kohlensäure Magnesia . . 

0,0185 „ 

„Kohlensaures Eisenoxydul . 

0,0103 „ 

„Kohlensaures Manganoxydul 

0,0062 „ 

„Ghlornatrium. 

0,0092 „ 

„Kieselsäure. 

0,0144 „ 

„Summe der in einem Liter 



gelösten fixen anorga¬ 
nischen Bestandteile . . 0,0887 g 

„Berechnet man die Härte nach deutschen Härtegraden, 
„so beträgt: 

„die Gesammthärte .... 2,83 0 
„die vorübergehende Härte . . 2,60 0 

„die bleibende Härte .... 0,23 0 
„Das vorliegende Wasser ist somit relativ sehr arm 
„an gelösten Bestandtheilen überhaupt. Die einzelnen Be¬ 
standteile sind, abgesehen von dem Eisen- und Mangan- 
„gehalt, sehr gering, und entsprechen einem sehr weichen 
„Wasser. Der Eisen- und Mangangehalt, welcher sich im 
„gewöhnlichen Quell- oder Brunnenwasser nicht findet, dürfte 
„als notwendige Folge der geologischen Formation aufzu- 
„fassen sein und bietet an sich 'bei den geringen Mengen 
„keine Veranlassung, das Wasser als Mineralwasser zu be¬ 
frachten. Der geringe Eisen- und Mangangehalt dürfte um 
„so weniger in Betracht kommen, als das Wasser nur ver¬ 
mischt mit dem übrigen Wasser der Hochdruckleitung ver¬ 
wandt werden soll.“ 

Der Gesammtinhalt des gefüllten Brunnens von 50 cbm und 
das während der Pumpzeit entspringende Wasser lässt sich ver¬ 
mittelst der Dampfpumpe bei einem Kohlenverbrauche von 6 Cent- 
ner binnen 6 Stunden nach dem Ausgleichreservoir heben und 
füllt sich derselbe wieder innerhalb 10 Stunden, sodass also ausser 
dem aus den Quellen nach den beiden anderen Reservoirs ab- 
fliessenden Wasser täglich 120 cbm weiter zur eventuellen Ver¬ 
fügung stehen. 

Das Gebäude besteht aus einem Maschinenraum und darüber 
liegender Wärterwohnung, sowie einem daran gemauerten Kessel¬ 
hause. 

Das Maschinenhaus wurde in seinen äusseren Umfassungen 
6,30 m lang, 7,30 m breit und 3 m bis zur Oberkante der Balken 
hoch, erbaut; es enthält unten einen Vorflur mit Treppenanlage 
und daneben den Raum für die Dampfpumpe, darüber eine 2,50 m 
im lichten hohe Wärterwohnung, bestehend in Flur, Küche und 
zwei grossen Stuben. 


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- 151 - 


Das angemauerte Kesselhaus wurde in seinen äusseren Um¬ 
fassungen 7,87 m lang, 5,25 m breit und 2,50 m im lichten hoch, 
erbaut und enthält den Dampfkessel mit Kaminrohr durch’s Dach 
und die sonst von ihm abgeleiteten Röhren. 

Beide mit Schieferdeckung versehene Gebäulichkeiten sind 
massiv, ihre Fundamente von Bruchsteinen, die Stockwerke von 
Ziegelsteinen, 1 V« Stein stark, die Giebelspitzen, 1 Stein stark, er¬ 
richtet, die Scheidewände von Holz mit Schwemmsteinen ausge¬ 
mauert. 

Die Dampfpumpe ist eine Balancier-Dampfmaschine mit aus- 
gefrässter Kreuzkopfführung und anhängenden Plungerpumpen, 

welche per Stunde je nach Wunsch oder Bedürfnis 10, 15, 17 
und 21 cbm Wasser nach dem Gegenreservoir liefern kann. 

Die Dampfsteuerung ist mit von Hand verstellbarer Expansion 
versehen und hat die Pumpe folgende Dimensionen: 

Durchmesser des Dampfcylinders 230 mm 
Hub des Dampfkolbens . . . 400 „ 

Durchmesser der Plunger . . .210 „ 

Hub der Plunger.185 „ 

Touren per Minute 25, 30, 32, 40. 

Saughöhe 7—8 m, Saugrohrweite 125 mm, 

Druckhöhe 35 m, Druckrohrweite 100 „ 
Dampfspannung 5—6 Atmosphären; 

Druck in den Ventilkasten 5 Atmosphären. 

Die Stärke der Maschine berechnet sich auf 4—5 Pferdestärken 
bei der Maximalleistung. 

Die Gesammtheizfläche des Dampfkessels berechnet sich auf 
12 Om und entspricht dessen Ausrüstung den allgemeinen polizei¬ 
lichen Bestimmungen. 

Zur Erhaltung seiner Wärme ist derselbe mit Mauer werk um¬ 
geben und überwölbt und sind zwei Sicherheitsventile, Wasser¬ 
standsanzeiger und das sonst nöthige Zubehör vorschriftsmässig 
vorhanden. 

Die Speisevorrichtungen des Kessels bestehen aus einer Hand¬ 
speisepumpe und einer Maschinenspeisepumpe, von denen jede für 
sich im Stande ist, dem Kessel das benöthigte Wasser zuzuführen. 

Während die drei Quellen des Hochreservoirs vor ihrer sach- 
gemässen Fassung in den trockensten Monaten des Sommers bis 
auf 54 cbm per 24 Stunden herabgingen, wurden in diesem Som¬ 
mer bei öfter wiederholten Messungen während der trockensten 
Zeit 130 cbm in 24 Stunden notirt. Theilweise mag dieses Plus 
der sehr nassen Witterung im verflossenen Sommer zuzuschreiben 
sein, hauptsächlich beruht aber der grössere Wasserreichthum auf 
dem Umstande, dass die Quellen nunmehr sehr gut gefasst sind, 
sodass das Wasser nicht, wie bei den primitiven Vorversuchen. 


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— 152 — 


anderweitig versickern kann. Aehnlich verhält es sich mit den 
Quellen, die das Bahnhofreservoir speisen. Auch hier wurde gegen 
frühere Versuche in diesem Sommer eine erhebliche Wasserzunahme 
constatirt. In Folge dessen liefen den ganzen Sommer und Herbst 
durch, nachdem die Leitung fertiggestellt war, beide Reservoirs 
reichlich über, sodass nicht ein einziges Mal der Reservebrunnen 
in Anspruch genommen werden musste. 

Die Länge des ganzen Rohrnetzes gestaltet sich folgender- 
massen: 

2600 m Rohr mit 125 mm lichter Weite 

2900 „ „ „ 100 „ 

1520 „ „ „ 80 „ 

150 ,, ,, ,, 60 ,, , >, ,, 

Summa 7170 m. 

Die Gesainmtlänge der Zuleitungen beträgt 1400 m. 

Zu den Abzweigleitungen, welche 1 m weit mit Abstellhähnen 
auf das Eigenthum des Hausbesitzers für Rechnung des Wasser¬ 
werksinhabers gelegt wurden, kamen je nach Wunsch 24, 19 und 
12 Vs mm weite, innen geschwefelte Bleiröhren zur Verwendung. 
Die Kosten der Weiterführung in die Häuser, sowie diejenigen für 
Errichtung von Zapfstellen mussten selbstverständlich von jedem 
Hausbesitzer getragen werden. Um bei dem Ausbruche eines 
Brandes in allen Strassen reichlich über Wasser verfügen zu kön¬ 
nen, sind 12 Oberflur- und 11 Unterflur-Feuerhähne angebracht. 
Dieselben bestehen aus gusseisernen Ventilgehäusen, welche auf 
die am Ende oder seitlich der Rohrleitungen angebrachten Fuss- 
krümmer verschraubt werden; die Feuerhahnzuleitungsröhren, 
Ventilöffnungen und das Standrohr haben eine Weite von 60 mm, 
die Schlauchverschraubungen und die Bedienungsventile dagegen 
eine solche von 50 mm. Im Gehäuse des Feuerhahns unten be¬ 
findet sich das Feuerhahnventil, welches den Wasserabschluss ver¬ 
mittelt und sind die Feuerhähne mit mechanischer Entleerung ein¬ 
gerichtet, um einem Erfrieren vorzubeugen. Die sämmtlichen 
Feuerhähne wurden vertragsmässig sofort an den Unternehmer 
bezahlt, und belaufen sich deren Gesammtkosten auf 2430 Mark. 
Die wiederholten Feuerhahnproben haben ergeben, dass die Lösch¬ 
vorrichtungen dem Zweck entsprechen und vollständig ausreichend 
funktioniren. 

Für den Ankauf des Quellengebietes und des Terrains, auf 
welchem Quellen, Brunnen, Reservoirs, Maschinen- und Kesselhaus 
sich befinden, waren 86,92 Ar nöthig und wurden 3482 Mark hier¬ 
für verausgabt. 

Im ganzen Rphrnetze befinden sich 60 Schieber. 

Wie sich die Gesammtkosten der Anlage gestalten .werden, ist 
einstweilen noch nicht genau berechnet. 


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— 153 — 


Nach den durch Vertrag stipulirten Einheitssätzen werden 
dieselben voraussichtlich sich auf circa 90,000 Mark belaufen. 

Vorläufig sind von 180 Häusern 150 angeschlossen, die noch 
fehlenden, unter welchen gerade nicht die der ärmeren Leute sich 
befinden, dürften aller Wahrscheinlichkeit nach in kurzer Zeit 
nachfolgen, wenn der durch die ganze Anlage aufgewirbelte und 
in einzelne Häuser getragene Staub durch das gute, aus reichem 
Born fliessende Wasser wieder weggeschwemmt sein wird. 

Die Wasserversorgung geschieht grösstentheils nach Wasser¬ 
messern und wird der Wasserzins incl. der Wassermessermiethe je 
nach der Hausgrösse mit 18—42 Mark pro Jahr bezahlt; die jähr¬ 
liche Einnahme an Wasserzins, welche die einzelnen Anschliesser 

zu zahlen haben, beläuft sich auf circa. 4250 Mark, 

die Einnahme aus dem Wasserverbrauche der Bahn 

nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen auf circa 2750 „ 

Summa .. . 7000 Mark. 

Wenn sonach die Gesammtkosten der Anlage incl. der bereits 
bezahlten Beträge für Grunderwerb, Vorarbeiten, Baubeaufsich¬ 
tigung und Feuerhähne hochgegriffen 100,000 Mark betragen sollten, 
so würden sich aus der laufenden Einnahme von 7000 Mark nicht 
allein schon jetzt eine 4prozentige Verzinsung des Kapitals, sowie 
eine 2prozentige Amortisation desselben decken lassen, sondern es 
erübrigten für etwaige Reparaturen und den anzustellenden Auf¬ 
seher der Wasserleitung noch 1000 Mark. 

Die Ueberschreitung des ursprünglichen Kostenanschlags er¬ 
klärt sich nicht allein aus der grösseren Ausdehnung des Rohr¬ 
netzes, sondern hauptsächlich aus der Pumpanlage, welche unbe¬ 
dingt, obgleich im letzten Sommer dieselbe nicht genöthigt war ‘in 
Funktion zu treten, gebaut werden musste, damit niemals über 
Mangel an Wasser Klage geführt werden kann. 

Nach dem mit dem Unternehmer geschlossenen Vertrage kann 
das Wasserwerk im Herbste 1889 in den Besitz von Altenkirchen 
übergehen. Ist auch die Bausumme Angesichts der kleinlichen 
Verhältnisse hierselbst bei einer Bevölkerungsziffer von gegenwärtig 
kaum 1800 Einwohnern, hoch, so wird Altenkirchen doch niemals 
es zu bereuen haben, dass ein Werk zu Stande gebracht wurde, 
welches in seiner segensreichen Bedeutung für das allgemeine Wohl 
im Gegensätze zu den so höchst traurigen Verhältnissen der früheren 
Zeit nicht genug geschätzt werden kann. In der That vereinigen 
sich schon jetzt alle Stimmen, auch die der ärmsten Leute, denen 
es schwer fällt, den Wasserzins zu zahlen, dahin, dass sie lieber 
das Doppelte geben würden, als auf das Wasser zu verzichten. 

Man hat viel darüber gestritten, ob es für einen Ort zweck¬ 
mässiger sei, durch vorheriges Aufbringen der Bausumme selbst 
zu bauen, oder das mit einer derartigen Anlage immerhin ver- 


Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. J&hrg. 


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154 


bundene Risiko auf die Schultern eines Unternehmers abzuwälzen, 
der natürlicherweise für sein Wagniss ein Aequivalent in einer 
etwas höheren Bausumme findet. Eine für alle Fälle gültige Ent¬ 
scheidung lässt sich jedenfalls nicht treffen, und wird es nament¬ 
lich von lokalen Verhältnissen abhängig gemacht werden müssen, 
ob man die eine oder andere Methode wählen soll. So sicher ich 
weiss, dass Altenkirchen, wenn es selbst gebaut, einige tausend 
Mark erspart hätte, so sicher weiss ich aber auch, dass bei den 
verschiedenen Anschauungen unter den Gemeinderathsmitgliedern 
und einflussreichen Ortseingesessenen über die Nothwendigkeit, die 
Bauprojekte, die Art der Ausführung, die Wahl der Quellen und 
all das Viele, was noch drum und dran hängt, niemals eine Ma¬ 
jorität sich gefunden hätte, und dass nicht gebaut worden wäre, 
wenn nicht in letzter Stunde der Unternehmer die Sache selbst 
mit Energie in die Hand genommen und rasch zum Abschluss ge¬ 
bracht hätte. 

Es gibt nofch so zahlreiche kleine Städtchen, wo die Trink¬ 
wasserverhältnisse gleich ungünstige sind, wie zur Zeit in Alten¬ 
kirchen, wo die Aborte und Jauchebehälter in nächster Nähe der 
Brunnen sich befinden, während oft nur 1—2 km vom Orte ent¬ 
fernt, auf nicht bewohnten Flächen ein reichliches und gutes 
Wasser der Erde entspringt, das unbenutzt abfliesst, die Aecker 
versumpft und ihre Ertragsfahigkeit so erheblich herabsetzt. Jahr 
aus, Jahr ein beobachtet man an solchen Orten oft die verschie¬ 
denartigsten Infektionskrankheiten, die zum Theil der schlechten 
Beschaffenheit des Trink- und Nutzwassers zugeschrieben werden 
müssen. Während bei Neuanlagen von Begräbnissplätzen in 
solchen kleinen Städtchen oder Dörfern aus Sorge, dass Zer¬ 
setzungsprodukte von den Gräbern nach den Brunnen hingeführt 
werden könnten, möglichst grosse Entfernungen von den Wohn¬ 
häusern gewünscht werden, übersieht man bei all dieser Friedhofs¬ 
panik vollständig, dass die in Zersetzung begriffenen organischen 
Bestandteile der Haushaltungsabgänge den Untergrund immer 
mehr und mehr durchtränken und das Wasser zweifellos in einem 
viel höheren Grade zu einem gesundheitsschädlichen umschaffen. 

Hier bleibt noch Vieles und Wesentliches zu thun übrig; nur 
da, wo das Trink- und Gebrauchswasser durch eine Wasserleitung 
aus reinem Ursprünge in die Wohnräume geführt wird, geht'man 
besseren, sanitären Zuständen entgegen. 

Hat vorstehender Bericht den Erfolg, dass auch kleinere Orte, 
trotz grosser Hindernisse, den Muth fassen, bei zwar vermehrten, 
aber stets rentablen Ausgaben sich die Wohltaten einer Hoch¬ 
druckwasserleitung zu schaffen, so ist sein Zweck erfüllt. 

Ich schliesse denselben, indem ich zunächst öffentlich allen 
hohen Behörden besten Dank ausspreche für das stets freundliche 


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155 — 


Entgegenkommen, wo es sich um Ueberwindung von Schwierigkeiten 
handelte; besonderer Dank gebührt dem ersten Bürgermeisterei- 
Beigeordneten Herrn Kriegskor te, der unentwegt das bestimmte 
Ziel mit mir verfolgte, zu allen Jahreszeiten die aus den Quellen 
abfliessenden Wassermengen controlirte und stets bemüht war, 
widerstrebende Parteien zu einigen; nicht minder sei Dank dem 
Herrn Bürgermeister Weber, dem mit der Wasserleitungsange¬ 
legenheit gleich bei seinem Dienstantritte eine schwere und verant¬ 
wortliche Last aufgebürdet wurde, die er, stets das Interesse der 
Gemeinde im Auge, mit Freuden trug und Alles zu einem raschen 
und günstigen Abschlüsse führte. 


Die Anlage 

von Wannenbädern in öffentlichen Badeanstalten. 

Von 

Bloch« 

Inspector der städtischen Badeanstalt in £lberfeld. 


Bis jetzt ist bei der Anlage von Wannenbädern durchgehend 
die Anordnung so getroffen, dass der Badende sich in demselben 
Raume aus- bezw. ankleidet, in welchem auch die Badewanne 
aufgestellt ist. Erfahrungsmässig wird dann dieser Raum beim 
Gebrauche eines Bades von den Herren 40 Minuten, von den 
Damen dagegen 50 Minuten in Anspruch genommen. Die Be¬ 
nutzung der Wanne selbst dauert aber selten länger als 20 Minuten, 
so dass also die Wanne 20—30 Minuten ausser Betrieb ist, weil 
sich der Badende noch in demselben Raum befindet. Hierin liegt 
ein Uebelstand der jetzigen Einrichtung und erlaube ich mir daher 
den Vorschlag, zu jedem Raume mit einer Badewanne zwei Aus- 
bezw. Ankleideräume zu machen, so dass also, während ein Ba¬ 
dender die Wanne in Benutzung hat, der andere sich in dem 
Nebenraum aus- bezw. ankleidet. 

Sicher ist, dass bei dieser Einrichtung doppelt so viel Wannen¬ 
bäder verabreicht werden können, als bei der bis jetzt gebräuch¬ 
lichen Einrichtung. 

Die Bauart würde man, den Klassen gemäss, verschiedentlich 
anordnen. 

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— 156 - 



Für Wannenbäder III. Klasse 
würde man am billigsten einen 
Raum nehmen und dann nach 
der Grösse dieses vorhandenen 
Raumes, oder nach Bedürfniss, 
die Wannen entweder, wie Fig. I 
zeigt, nur in einer Reihe, oder, 
wie Fig. II, doppelreihig anordnen. 

Von dem äusseren Flur a 
tritt man in die Auskleidezelle 6, 
welche man durch die Thür und 
durch das Herunterlassen der 
Klappbank verschliesst. Durch die 



Fig. I. Wannenbad III. Kl., einreihig. 

vordere Thür tritt man dann in den eigentlichen Baderaum c. 
Der Badewärter befindet sich auf dem Flur d und werden die 
Wannen durch die dortigen Thüren her bedient. Ebenso befinden 
sich auf diesem Flur die Ventile der Kalt- und Warmwasserleitung 
zum Füllen der Wannen. Der Badewärter reinigt die Wanne, 
sobald der Badende dieselbe verlassen hat, füllt dieselbe wieder 
und öffnet dem Badenden in der Nebenzelle die Thür. 

Die Heizung des ganzen Raumes befindet sich an den äussern 
Langwänden bezw. in den Fensternischen. Um die Heizung nach 
Bedürfniss vornehmen zu können, sind je vier Wannenbäder durch 
eine bis zur Decke reichende Scheidewand zu trennen. 


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Fig. III. Wannenbäder I. u. II. Kl. 

Bei der Anlage der Bäder I. und II. Klasse nach diesem 
System ist jeder Raum von dem anderen vollständig getrennt und 
ist die Anordnung nach Fig. III tu treffen. Die Auskleideräume a 
und der Baderaum c sind von dem Flur b aus zu betreten. Die 
Räume slehen unter sich durch eine zweitheilige Schiebethur in 
Verbindung. Hat man diese Thür während des Badens geschlossen, 
so hält der Auskleideraum seine Temperatur bei, ebenso wird der 
Badende, während des Ankleidens, nicht von dem Seifen- und 
Wasserdunst belästigt. 

Es ist dieses ein grosser Vortheil vor der bisherigen Ein¬ 
richtung, bei welcher jeder Badende die Erfahrung gemacht hat, 
dass während des Badens die Temperatur des Raumes durch das 
warme Wasser um 3—4° R. steigt. 

Hat der Badende den Baderaum verlassen, die Schiebethür 
hinter sich geschlossen, so tritt der Badediener von dem Flur aus 


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in diesen Raum, kann dann durch Oeffnen des Fensters die Lüf¬ 
tung vornehmen, reinigt die Wanne und den Raum, und es kann 
dann der zweite Badegast sein Bad nehmen, in welcher Zeit der 
erste sich ankleidet. 

Sollte eine Anlage nach diesem System ausgeführt werden, 
so ist Verfasser dieses gern erbötigt mit weitern Angaben zu dienen. 


Ueber Mädchenturnen. 

Von 

Director Dr. Erkelenz 
in Köln. 

(Zur Einweihung der neuen Turnhalle der höheren Mädchenschule in Köln.) 


Leben ist Bewegung, Bewegung ist Kraft, Kraft ist Gesund¬ 
heit. Wo niemals die Bewegung erlahmt oder ins Stocken geräth, 
da wird also auch Leben, Kraft und Gesundheit sein. Dieses 
Naturgesetz zeigt sich im ganzen Weltall, im geringsten Thiere und 
in der kleinsten Pflanze, und ihm ist auch der Mensch in seinem 
ganzen Leben und Wesen, in der ganzen Gliederung seines Körpers 
unterworfen, dessen Stoff in fortwährender Bewegung, in stetigem 
Wechsel sein soll. Wo dieser Stoffwechsel nicht gestört ist, da ist 
der Körper gesund; jede Störung dieses Wechsels in einem Gewebe 
oder Organe wird zur Ursache einer Krankheit. Auf dieses un- 
umstössliche Gesetz gründet sich die Wichtigkeit der körperlichen 
Bewegung, sowohl für den Zweck der Gesundheitserhaltung, als 
auch zur Beseitigung von Krankheiten. Je mehr man in die Natur 
des menschlichen Organismus und Lebens-Prozesses eindrang und 
die Gesetze erkannte, nach welchen sich dieser Prozess entwickelt, 
desto mehr lernte man auch die schützende und erhaltende Kraft 
geregelter Leibesübungen schätzen und wies ihnen die ge¬ 
bührende Stellung in der Bildung des Menschengeschlechtes an. 
Darum trat auch mit der zunehmenden Klarheit von dem Begriffe 
rechter Menschenbildung, einer den Geist und den Körper gleich- 
mässig umfassenden Bildung, dieTurnkunst auf, mit ihrem 
Zwecke, die vollständige Ausbildung des leiblichen Menschen 
zum allseitigen Dienste des Geistes zu fördern. In solchem 
Sinne mit seiner moralischen Beziehung und Richtung auf allge¬ 
meine menschliche Bildung ist das Turnen zwar verschieden 
von Leibesübungen, denen irgend ein anderer Zweck untergelegt 
wird, sei es zur Aneignung etwa einer künstlerischen Fer- 


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tigkeit, sei es, um als Heilmittel zu dienen; in diesen Fällen 
ist es Selbstzweck. 

Das Wesen der Turnkunst im Dienste der Erziehung be¬ 
steht darin, dass es die vorhandenen Bewegungen des menschlichen 
Organismus naturgemäss regelt, richtet, entwickelt, vervollständigt 
und zu einem harmonischen Ganzen von innerer und äusserer 
Zweckmässigkeit verarbeitet und, mit Rücksicht auf den körper¬ 
lichen Zustand wie auf die geistige und sittliche Bestimmung des 
Menschen, anordnet und leitet. 

Diese Bedeutung des Turnens war übrigens auch älteren 
Culturvölkern bereits bekannt, den Griechen und den Römern. 
Pythagoras, im 6. Jahrh. v. Chr., verlangt schon, dass der 
Leib durch Massigkeit in jedem Sinnengenusse sowie durch körper¬ 
liche Uebungen verschiedener Art gekräftigt werde, um eine schöne 
Harmonie zwischen Körper und Geist herzustellen, und Plato, 
im 5. Jahrh., vergleicht den Leib und die Seele mit zwei Pferden, 
die neben einander gespannt und daher in gleicher Weise geführt 
und gezügelt werden müssen. Bei den Römern ist es namentlich 
Q u i n t i 1 i a n, der Leibesübungen in den Kreis der erziehlichen Wirk¬ 
samkeit gestellt sehen will, und Juvenal sagt, dass eine gesunde 
Seele nur in einem gesunden Körper zu finden sei (mens sana 
sano in corpore). 

In wie weit aber das Turnen in dieser Bedeutung Anerkennung 
und Anwendung fand, das war von Umständen, wie der Zeit¬ 
richtung und dem Bildungsgrad der Völker abhängig. Dem Mittelalter 
war das Bewusstsein von der Doppelnatur der Erziehung abhanden 
gekommen. Die Turniere, die einzige Erscheinung, die uns mit 
ihrem Namen an das Turnen erinnert, waren ja nur Kriegsspiele 
im Farbendufte der Romantik. In der Erziehung dieser langen Zeit 
bildete sich vielmehr eine solche Einseitigkeit heraus, dass durch 
dieselbe sogar das Urtheil über den Werth des Körpers getrübt, 
körperliche Gesundheit für ein Hinderniss der Sittlichkeit gehalten 
wurde, von einem Verständniss für die in der antiken Statue über¬ 
lieferte Körperschönheit gar nicht zu reden. — Um die in solcher 
Anschauung erstarrte Auffassung von der Erziehung des Menschen¬ 
geschlechtes auf eine richtige Bahn zurückzuführen, bedurfte es 
vieler Mahnrufe verständiger und weitsehender Geister. An ihrer 
Spitze steht im 16. Jahrhundert der Franzose Montaigne, der 
seiner Nation zurief: „Es ist nicht eine Seele, es ist nicht ein 
Körper, den man erzieht, sondern ein Mensch. Aus dem dürfen 
wir nicht zwei Wesen machen.“ Aehnliche Warnungen und Forde¬ 
rungen erliessen im folgenden Jahrhunderte der Engländer John 
L o c k e, der französische Philosoph J. JacquesRousseauin seinem 
Emile, im vorigen in Deutschland Basedow und seine Jünger, 
und in unserem Jahrhunderte endlich Pestalozzi, Jahn u. A. 


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161 


Aber wenn es, um den Ideen dieser Männer praktische An¬ 
erkennung in den Stätten der Erziehung zu verschaffen, schon hin¬ 
sichtlich des stärkeren männlichen Geschlechtes noch vieler Jahre 
rüstigen Strebens und eifriger Arbeit bedurfte, — erst weit später 
und mit grösserer Mühe brach sich die Einsicht Bahn, dass 
der weiblichen Jugend Leibesübungen nicht minder Noth thun. 
Und doch, sind sie ihr in der That nicht noch unentbehrlicher als 
der männlichen, welcher wenigstens die vielseitige Gelegenheit, sich 
zu rühren und zu regen, doch noch nicht so ganz, wie jener, 
und insbesondere in grösseren Städten, verkümmert ist? Des¬ 
halb, weil die natürlichen Verhältnisse, unter denen der physische 
Mensch fast von selbst zu dem herangebildet wird, was er seiner 
Bestimmung nach sein soll, für das weibliche Geschlecht zum 
grossen Theil aufgehoben sind, hat die Gymnastik bei ihm gleich¬ 
sam eine Vermählung der Natur mit dem menschlichen Körper auf 
künstliche Weise herzustellen. Trotzdem bestehen, selbst bis 
in unsere Zeit hinein, über das weibliche Turnen noch die ver¬ 
schiedensten, oft ganz entgegengesetzte Meinungen. Hier treten 
festgewurzelte Vorurtheile über Wesen und Einwirkung des Turnens, 
dort falsche Ansichten von dem weiblichen Leben, leider zum 
Nachtheile des weiblichen Geschlechtes selbst, einer allgemeinen 
Betheiligung an diesen Uebungen noch vielfach entgegen. Ge¬ 
wiss darf beim weiblichen Turnen nicht übersehen werden, dass 
Anmuth, Sanftmuth, Duldsamkeit, Sittsamkeit, Liebe und Frömmig¬ 
keit die Elemente sind, aus denen die Bildung des Mädchens und 
der Jungfrau vollendet wird; die Turnübungen haben in ihrer 
ganzen Gestaltung die physische und psychische Eigenart des Ge¬ 
schlechtes sorgfältig zu berücksichtigen, damit die beabsichtigte 
leibliche Ausbildung nicht auf Kosten der zarten Weiblichkeit in 
eine spartanische Härte oder auch athletische Künstelei, und die 
Zartheit der Empfindung nicht in ein männlich kühnes, keckes 
Wesen ausarte. 

Jedoch nicht nur das physische Leben, auch die Cult Ur¬ 
zustände unserer Zeit fordern laut, dass der weiblichen Jugend 
Gelegenheit zu leiblicher Thätigkeit gegeben werde. Unterricht 
und Belehrung und Uebung in unerlässlichen Fertigkeiten bannen 
sie stundenlang auf die Schulbank, und Beschäftigungen verschie¬ 
dener Art kürzen ihr auch noch die freie Zeit im Hause. Und 
dass Schule und Haus in dieser Beziehung nicht immer die richtige 
Grenze einzuhalten wussten und wissen, lässt sich angesichts ge¬ 
wisser Krankheitserscheinungen der Jugend nicht verkennen. Auch 
die Abnahme der Freude an fröhlichem Jugendspiel, namentlich 
bei der studirenden männlichen Jugend, das hier und da sich breit- 
machende unnatürliche, zimperlich thuende Wesen, söwie Frühreife 
und Blasirtheit bei Mädchen, weisen zu deutlich auf eine gewisse 


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162 


Entartung hin, welcher nur durch sorgfältige Beachtung und Pflege 
des anderen Theiles, des Körpers, durch geregelte Leibesübungen 
entgegengewirkt werden kann. — Wer daher noch Einspruch gegen 
das Turnen zu erheben vermag, weil es nicht weiblich, nicht zart, 
oder gar nicht vornehm sei, dem fehlt es am richtigen Verständniss 
der Sache, oder er weiss es nicht zu schätzen, was eine heitere, 
frische Jungfrau, eine lebensfrohe Gattin für die Familie zu 
bedeuten hat, und dass von der körperlichen Tüchtigkeit der 
Frauen als der ersten Erzieherinnen des Menschengeschlechtes, 
Wohl und Wehe ihrer Kinder, ihres Hauses, ja ganzer Generationen 
abhängt. 

Indem die gymnastischen Uebungen die körperliche und geistige 
Kraft und Entwickelung gewissermassen so im Gleichgewichte halten 
sollen, sind sie aber, ausser dieser mittelbaren, auch von unmittel¬ 
barer Bedeutung für das geistige Leben. 

Wenn der Gesichtssinn der vornehmste ist, und die durch 
diesen Sinn aufgenommenen Vorstellungen für die geistige Ent¬ 
wicklung die folgerichtigsten und daher werthvollsten sind, so 
müssen gerade die Turnübungen, weil auf jenem Sinne, der An¬ 
schauung , beruhend, von grossem Einflüsse sein. Bevor die 
Schülerin eine Uebung ausführen kann, muss sie dieselbe gesehen 
haben. Durch das dadurch nothwendig werdende und natur- 
gemässe Vor- und Nachmachen bietet dieser Gegenstand mannig¬ 
fache Gelegenheit zur Förderung des Anschauungs- und Vor¬ 
stellungsvermögens der Seele. — Der Anschauung folgt auf 
dem Fusse die Ausführung nach, und bei vielen Uebungen kommt 
es darauf an, dass in einem ganz bestimmten Augenblicke dieser 
oder jener Körpertheil nach einer gewissen Richtung hin thätig 
sein muss; deshalb ist auch rasches Denken zur Ausführung 
selbst, sowie zur Erfassung des rechten Momentes erforderlich, 
und bei öfterer Wiederkehr derartiger Verhältnisse übt der äussere 
Zwang, der dabei den seelischen Bildungen angethan wird, eine 
erfrischende und belebende Einwirkung auf das Denkvermögen 
aus. — Den Hauptinhalt des Schul- und vorzugsweise des Mädchen¬ 
turnens machen Frei- und Ordnungsübungen aus. Bei letzteren 
wird der Einzelne selbst wieder als Glied einer gemeinschaftlichen 
Einheit Mehrerer in’s Auge gefasst, und hat sich deshalb jedes 
in demselben Masse nach den anderen zu richten, wenn die ver¬ 
langte Uebung gelingen soll. Bei jedem Schritt und Tritt, bei 
jeder Drehung und Schwenkung tritt für jede Einzelne das Ab- 
hängigkeitsverhältniss in sichtbarer Gestalt auf. So hat sich der 
Wille der Einzelnen dem der Gesammtheit zu fügen, wodurch 
das Turnen zugleich ein mächtiger Förderer des Ordnungssinnes 
und wirksames Bildungsmittel des Willens wird. Der Geist ist 
aber ein einheitliches Wesen, und die Vervollkommnung, die er auf 


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163 


der einen Seite erfahrt, übt ihre Wirkungen auch auf die anderen 
Seiten desselben aus: die Anleitung zum richtigen Anschauen, zum 
raschen, entschlossenen Denken, obgleich in erster Linie eine 
körperliche Thätigkeit bezweckend, wirkt befruchtend auf das ganze 
Seelenleben ein, und der Wille, der bei diesen körperlichen 
Uebungen gefestigt worden ist, wird auch auf anderen Gebieten 
sich gekräftigt zeigen. — Dann geht auch das Gemüth nicht leer 
dabei aus: Der Wechsel in der Thätigkeit, in der seelischen An¬ 
regung und Spannung, bringt den durch eine anhaltende Beschäf* 
tigung überreizten Nerven, dem ermüdeten Gehirn, eine wohl- 
thuende Ruhe, bewahrt vor Verstimmung und Missmuth, erquickt 
und erfrischt hingegen das Lebensgefühl und fördert so die heitere 
Stimmung des Gemüths. Mit Recht hat deshalb die Turnerei in 
ihren Wahlspruch die Worte „frisch und fröhlich“ aufgenom¬ 
men. — Endlich aber ist mit dieser hohen Bedeutung des Turnens 
für Körper und Geist auch die ästhetische verschwistert. Hat 
man ja den Turnunterricht die angewandte Aesthetik des mensch¬ 
lichen Körpers genannt. Bekanntlich strebten die Griechen in ihrer 
Gymnastik, insbesondere dem Pentathlon, nach der höchsten 
körperlichen Tüchtigkeit in ihrer reinsten Form; allein nicht Kraft 
und Gewandtheit waren das einzige Ziel. Nicht minder wichtig 
galt ihnen die schöne Haltung in Stand, Bewegung und Gang, 
woran man sie sogar unter den Barbaren erkennen wollte. Nun, 
wenn auch solch hellenische Idealzustände in unseren Zeiten vor¬ 
erst nur ein frommer Wunsch sein können, so soll doch auch 
unsere Turnkunst das Schiller’sehe Wort beherzigen: „Gott 
nur siehet das Herz. Drum eben, weil Gott nur das Herz 
sieht, Sorge, dass wir doch auch etwas Erträgliches sehn!“ 
Nur in seltenen Fällen gibt die Natur selbst uns Anmuth und Fein¬ 
heit der Bewegungen mit auf den Lebensweg, und auch dann nur 
theilweise; im Allgemeinen muss die Kunst der angemessenen, 
tadellosen Bewegung gelernt, also auch gelehrt werden, d. h. zwar 
nicht im gewöhnlichen Sinne, wie irgend ein anderer Unterrichts¬ 
gegenstand, ein Wissen, das im Nothfalle hervorgesucht und an¬ 
gewandt wird, — sondern sie muss an er zogen und damit zur 
zweiten Natur werden. Darin liegt aber zugleich noch ein Ge¬ 
winn für das Schönheitsgefühl. — Diese so wichtige und mannig¬ 
fache Bedeutung des Turnunterrichts im Erziehungswesen lässt 
sich wohl kaum treffender zusammenfassen, als es eine Verfügung 
unserer obersten Schulbehörde aus dem Jahre 1864 thut, worin 
es heisst: „Das Turnen soll gepflegt werden, um den Körper in 
jeder Beziehung des sittlichen Lebens zum Diener und Träger 
des ihm innewohnenden-Geistes zu machen.“ 

In diesen 25 Jahren, insbesondere aber im letzten Jahrzehnt, 
ist ja auch zur Pflege und Hebung des Turnens in unseren Schulen 


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— 164 — 


aus Staats- und Gemeindemitteln Manches geschehen, wiewohl auch 
noch Vieles zu thun erübrigt. 

Mit Stolz aber dürfen wir es sagen, Köln war eine der ersten 
Städte, in deren Mädchenschule im Jahre 1871 dem Turnunter¬ 
richte nicht bloss eine Stelle im Lehrplane eingeräumt, sondern 
auch die dazu erforderliche äussere Einrichtung bewilligt wurde. 
Seit mehreren Jahren schon war diese Einrichtung freilich für das 
mit dem Wachsen der Anstalt zunehmende Bedürfniss nicht mehr 
'hinreichend, und so wurde der Bau dieser luftigen, geräumigen und 
zweckmässigeren Halle beschlossen. Wenn derselbe einerseits 
Zeugniss ablegt für das Verständniss und die Opferwilligkeit unserer 
Stadt in Sachen der Jugenderziehung, so fordert er andererseits 
auch zum Danke auf, und an erster Stelle diejenigen, für die er 
geschaffen. Indem ich dieser Aufforderung nachkomme und im 
Namen der Anstalt und ihrer Zöglinge Ausdruck gebe dem ge¬ 
bührenden Danke gegenüber der Verwaltung der Stadt Köln, wie 
dem um das schöne Gelingen des Baues verdienten städtischen 
Bauamte, schliesse ich mit dem Wunsche, dass diese Stätte ihre 
Bestimmung im reichsten Masse erfüllen möge, den Schülerinnen 
der Anstalt zu eigener Wohlfahrt an Leib und Seele sowie zum 
Heile ihrer Familie, zu Nutz und Frommen von Stadt und 
Vaterland! 


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INacIi Weisung über Krankenanfnaliine und Bestand in den Krankenhäusern aus 54 
^Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Januar 1880. 


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Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat Jannar 1889. 


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1 

3 





1 


Remscheid 

35000 

127 

43,5 

68 

11 

23,3 




8 


3 





3 


Mülheim a.d.lKuhr 

26709 

90 

40.4 

59 

19 

26.5 




1 

.. 

3 




• • 

o 

2 


Rheydt 

25000 

77 

37.0 

43 

9 

20,6 




2 

3 






1 


Viersen 

22228 

57 

30,7 

46 

9 

24,8 



1 


2_ 







,. 

Oberhausen 

22377 

82 

44,0 

43 

15 

23,1 










2 

1 

1 

Neuss 

21934 

83 

45,4 

30 

8 

16,4 




1 







1 


Wesel 

20677 

54 

31,4 

43 

11 

25.0 




. . 



7. 





, 

Styrum 

19000 

79 

49,9 

42 

15 

26,5 


2 


i 




2 


2 

1 


Solingen 

31887 

1 12 

42,1 

159 

61 

59,8 


25 

' i 

11 

8 

8 

• • 

1 

4 

1 


1 

Wermelskirchen 

11270 

21 

22.4 

15 

4 

16,0 




1 

. , 








Ronsdorf 

J1000 

26 

28^4 

21 

5 

22,9 



’i 








i 

1 

Velbert 

12533 

64 

61,4 

25 

10 

23,9 






2 







Ruhrort 

9708 

48 

59.3 

24 

10 

29,7 











1 


Süchteln 

9465 

21 

26,6 

29 

5 

36,8 













Lennep 

8843 

26 

55,3 

24 

4 

32,6 




3 

.. 





i 



Aachen 

102336 

339 

39,7 

187 

53 

21,9 



l 


i 


j 

1 

3 

5 

1 


Eschweiler 

16798 

60 

42.9 

35 

9 

25,0 










4 



Eupen 

15441 

59 

45,9 

27 

6 

21,0 




2 









Burtscheid 

12139 

38 

37,6 

23 

8 

22.9 










1 



Stolberg 

11792 

46 

46,8 

29 

12 

29,5 




i 1 

. • 



. 


1 

i 


Köln (Stadt) 

183354 

383 

37,4 

371 

94 

23.8 


25 


7 I 

6 

2 

* ■ i 


7 

7 

4 

1 

Köln (Vorstädte) 

88655 

351 

46,6 

207 

9() 

27,5 


10 


4 1 

5 

1 



3 

9 

2 


Bonn 

38000 

128 

40,4 

127 

30 

40,1 


14 

1 2 

i 4 






1 

2 

i 

Mülheim a. Rhein 

27800 

98 

42,3 

63 

36 

27,2 


I 

i 



2 







Kalk 

11418 

58 

60,9 

32 

5 

33,6 












'i 

Trier 

34131 

81 

28,5 

58 

11 

20.4 




4 


2 

■■ 


1 

2 



Malstadt-Burbach 

14950 

70 

56,2 

35 

11 

28.1 




3 








. 

St Johann 

13598 

42 

37,1 

23 

5 

20,3 


3 


* * 







’i 


Saarbrücken 

9514 

36 

45,3 

16 

3 

20,2 




1 


’i 





1 

i 

Goblenz 

34636 

78 

27,0 

54 

13 

18.7 


5 


5! 

2 


.. i 

2 


1 


1 

Kreuznach 

17000 

49 

34.6 

51 

9 

36.0 


9 

6 

5 







’i 


Neuwied 

10192 

28 

33,0 

9 

6 

10,6 




;| 



* 






Wiesbaden 

58000 

135 

27,9 

106 

23 

21,9 


■ 

1 






2 

2 


Kassel 

68236 

177 

31.1 

98 

20 

17,3 



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^acli Weisung; über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 54 
Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Februar 1889. 


Städte 

Hospitäler 

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Zahl der 

Gestorbenen II 

iielefeld 

städt u kath Krankenhaus 

72 

6)5 

39 




1 

1 









7 

linden 

slädtisehes Krankenhaus 

38 

40 

31 




1 



1 






1 

3 

‘aderbom 

Landeshospital 

42 

41 

24 







1 


.. 




1 

4 

[prfurd 

städtisches Krankenhaus 


52 

20 





1 








1 

1 

tortmund 

Louisen- u. Johanneshospital 

265 

273 

248 



1 

2 

8 

• • 

7 




1 


4 

18 

loch um 

Augustaanstalt 

124 

130 

128 



1 

1 



1 







4 

lagen i. W. 

städtisches Hospital 

106 

101 

61 





5 



• • 






4 

Vitten 

evangel. und Marienhospital 

190 

212 

116 





7 


i 






2 

5 

lamm 

städtisches Krankenhaus 

39 

32 

8 














1 

verlohn 


72 

71 

35 














3 

iegeif 


45 

44 

45 







.. 




1 



3 

relsenkirchen 

Mariastift u. ev. Krankenh. 

222 

215 

196 





3 


21 





1 


15 

«chwelm 

städtisches Krankenhaus 

30 

32 

23 




• * 











Düsseldorf 

evangel. Hospital 

132 

128 

98 

• • 




_ 

0 






2 



13 

* 

Marienhospital 

286 

288 

161 



i 


3 

i 

2 

• • 


.. 

• • 



16 

Elberfeld 

St. Jos.-Hosp. 

180 

207 

158 





1 


3 






6 

6 

lärmen 

städtisches Krankenhaus 

199 

173 

188 




1 

2 






. . 

1 


11 

>efeld 


177 

177 

108 




1 



1 

.. 



3 


1 

17 

slssen 

11 

Huyssen-Stift u. Krupp’sches 



















Krankenhaus 

148 

137 

145 





1 


10 







9 

)uisbure 

städtisches Krankenhaus 

9 

11 

6 


* * 












1 

pGladbach 

ev.u. Mariahilf-Krankenhaus 

154 

148 

52 














4 

Remscheid 

städtisches Krankenhaus 

46 

50 

24 





1 


1 







1 

Külheim a.d.Rnhr 


80 

9! 

36 





.. 









1 

fiersen 


21 

11 

6 





1 









1 

Fesel 

„ Hospital 

47 

58 

38 



. . 


.. 








1 

4 

thevdt 

„ Krankenhaus 

39 

38 

28 



• • 


5 








1 

6 



46 

42 

8 





1 









4 

Solingen 

w n 

82 

105 

65 



’i 










2 

7 

jlyrum 

* T* 

31 

| 38 

9 





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i 







1 

luhrort 

Haniels-Stiftung 

32 

31 

15 














2 

lüchtein 

städtisches Krankenhaus 

9j 

! 10 

4 











.. 



? 

Ddenkirchen 


8 

4 

3 














1 

lachen 

Louisenhospital 

56 

50 

33 





i 









4 

1 9 

Marienhospital 

174 

280 

189 





4 






2 


3 

24 

bchweiler 

St. Antoniushospital 

119 

124 

25 





_ 1 









3 

Eapen 

St. Nikolaushospital 

37 

j 42 

10 














1 

Surtscheid 

Marienhospital 

108, 

,111 

64 














6 

kolberg 

Bethlehemshospital 

89 

90 

20 



i 




i 







4 

töln 

Bürgerhsp. u.Hülfskrankenh. 

716 

689 

624 



10 

3 

9 : 


4 

1 



3 

1 

9 

53 

Bonn 

Fr.- Wilh.-Stift (ev. Hospital) 

71 

65 

33 














4 

Külheim a. Rb. 

städt. u. Dreikönigenhospital 

131 

137 

64 


6 



1 : 


;; 







1 

[Deutz 

städtisches Krankenhaus 

94 

j 96 

48 







*2 



1 


* * 


5 

Ehrenfeld 


62 

Ii3 

28 












4 


5 

Kalk 

ü TI 

84 

i 65 

42 














4 

Trier 

II H 

städt. Hosp. u. Stadtlazareth 

87 

91 

31 

5 






1 







6 

Saarbrücken 

Bürgerhospital 

60 

1 61 

49 





i 


1 







3 

Kreuznach 

städtisches Hospital 

44 

41 

33 








• • 






2 

Reuwied 



..... 








39 

i 46 

43 



7 


1 


1 







3 

Wiesbaden 

städtisches Krankenhaus 

135 

117 

172 


* 

49 


1 

3 


1 







10 

Bettenhausen 

Landkrankenhaus 

214 

224 

193 



1 


2 


2 






4 

5 

Fulda 


119 

127 

84 





2 


1 






3 

5 

Hanau 


81 

97 

77 





5 









3 

ischwege 


28 

35 

32 





5 









1 

Rinteln 


14 

19 

25 





4 










Schmalkalden 


24 

29 

20 














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* Krätze und Ungeziefer. 






























































































8terbiiohkeits - St atistik toh 64 St&dten der Provin*en Westfalen, 
Rheinland und Hessen - Nassau pro Monat Februar 1889« 


Städte 

Einwohner¬ 

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und Croup 

Stickhusten I 

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Ruhr 

Kindbcüfieber 1 

Andere Infek¬ 
tionskrankheit. 

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1 

Bielefeld 

36000 

96 

32,0 

41 

11 

13,7 


1 


1 




2 


1 

Minden 

18602 

46 

29.7 

25 

5 

16,1 








1 

.. 

.. 


Paderborn 

16600 

47 

34.0 

35 

7 

25,3 










i 

Dortmund 

84000 

320 

45.7 

170 

38 

24,3 


i L 

8 


2 


1 

1 

5 

6 


Bochum 

40767 

164 

48.3 

86 


25,3 


i L 

2 


. . 

. . 



2 

1 


Hagen 

31993 

117 

43,9 

72 

Kr 

27,0 


i 

15 

1 

2 


1 


1 

1 


Witten 

23711 

76 

38,5 

23 

■r 

11^6 



2 







1 

. 

Hamm 

23479 

7« 

39.9 

38 


19.4 


.... 

.... 

3 



. . 




1 

i 

Gelsenkirchen 

23567 

119 

60,6 

58 

Kr 

29,5 



5 

1 

4 



1 


5 


Iserlohn 

21044 

68 

38,8 

30 

6 

17,1 











1 

Siegen 

17758 

49 

33,1 

50 

9 

33,8 



8 

1 

1 

■ • 

1 





Schwelm 

13014 

37 

34.1 

23 

• 

.) 

21,2 



9 






1 



Lippstadt 

10850 

35 

38.7 

21 

4 

23/2 


i .. 

4 









Düsseldorf 

140961 

439 

37,4 

269 


22,9 


7 .. 

9 

2 

2 


1 


1 

2 

1 

Elberfeld 

119200 

387 

38,9 

186 


18,7 


1 . . 

12 

1 





6 

1 


Barmen 

110000 

;2s 

35.8 

15() 


16,4 



7 

1 





9 

3 

i 

Crefeld 

104391 

348 

40,0 

160 

54 

18,4 


1 L 

l 

3 

1 




2 

3 


Essen 

70400 

236 

40,2 

127 

3*2 

21,6 


.... 

3 


6 




4 

2 


Duisburg 

5-2010 

2( )5 

47 *3 

104 

31 

-Jl.o 


4 .. 

i 

3 

0 

■ ■ 



2 


i 

M.-Gladbach 

50000 

197 

47,3 

85 

28 

20,4 



4 

3 

1 


1 


1 

i 

*• 


35000 

105 

360 

65 

27 

22 3 



9 

1 

1 

• • 






Mülheim a. d. Ruhr 

26709 

92 

41,3 

46 

22 

2o!g 



i 

1 





4 


1 

Rhevdt 

25000 

73 

35 0 

37 


17 8 


••1 1 

4 

2 








Viersen 

22228 

65 

35,1 

46 

19 

24,8 


1 

3 








Oberhausen 

22377 

82 

44.0 

46 

15 

24,7 


i:: 

1 






i 

i 


Neuss 

21934 

76 

41,6 

55 

20 

30,1 


.. .. 








2 


Wesel 

20677 

43 

25.0 

37 

8 

21,5 




.. 

5 


;; 






Styrum 

19820 

111 

67,2 

45 

16 

27,2 


.. 1.. 

1 






2 

, , 


Solingen 

31887 

126 

47,4 

93 

37 

35,0 

. . 

8 .. 

9 

8 

1 



2 

2 

1 


Wermelskirchen 

11270 

41 

43.7 

23 

5 

24,5 


.. .. 

3 

.. 





.. 



Ronsdorf 

11000 

31 

33,8 

j 7 

4 

18,5 











1 

Velbert 

12517 

41 

39,3 

14 

4 

13,4 


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•* 

Ruhrort 

9708 

40 

49,4 

19 

9 

23,5 







1 


1 



Süchteln 

9465 

33 

41,8 

20 

4 

25,4 












Lennep 

8843 

31 

42,1 

19 


25.8 


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.. 


Aachen 

102336 

305 

35.8 

194 

70 

22,7 



.. 

2 

2 





5 

2 

! 

Eschweiler 

16798 

63 

45,0 

35 

14 

25,0 









6 

1 


Eupen 

15441 

51 

39,6 

29 

8 

22.5 


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2 





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1 

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Burtscheid 

12139 

48 

47,5 

21 

9 

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1 

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Stolberg 

11792 

56 

57,0 

24 

6 

24,4 



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1 

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Köln (Stadt) 

183997 

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34,6 

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20 1 

4 

9 

2 

1 • • 

3 

3 

6 

1 


Köln (Vorstädte) 

88975 

309 

45.3 

175 

56 

25,6 


8 1.. I 

1 | 

5 

3 




3 

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Bonn 

38000 

105 

33,2 

105 

34 

33,2 


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1 






1 

3 


Mülheim a. Rhein 

27800 

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47,5 

41 

17 

17,7 



1 

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Kalk 

11418 

34 

35,7 

22 

8 

23,1 



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Trier 

34131 

66 

23,2 

64 

7 

22,5 

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2 





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Malstatt-Burbach 

14950 

63 

50,6 

28 

11 

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1 







St. Johann 

13598 

41 

36,2 

11 

2 

9,7 


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Saarbrücken 

9514 

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Cajblenz 

34636 

77 

26,7 

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11 

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1 


2 

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3 

Kreuznach 

170G0 

58 

40,9 

47 

10 

33,2 


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Neuwied 

10192 

26 

31,2 

17 

6 

20,4 




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Wiesbaden 

59000 

122 

24,8 

88 

21 

17,9 


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3 | 

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1 


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Kassel 

68236 

169 

29,7 

108 

16 

19,0 


2 1 

10 

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Kre« hdurchfitU 






















































































169 — 


Kleinere Mittheilungen. 


Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen, 
erweitert durch Vertreter des ärztlichen Standes, hat vom 24 bis 26. Oc- 
tober 1888 über die Flussverunreimgung und die Schularztfrage 
berathen und folgende Beschlüsse gefasst: 

A. FluS8Yerunrelnigung. Vom Standpunkt der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege ist es erforderlich, dass die Verwaltungsbehörden bei den 
Anordnungen zur Verhütung einer gemeinschädlichen Verunreinigung der 
öffentlichen Wasserläufe *) folgende Grundsätze beachten. 

I. Gemeinschädliche Verunreinigungen öffentlicher Wasserläufe entstehen: 

1. durch Infectionsstoffe, 

2. durch fäulnissfähige Stoffe, 

3. durch toxisch wirkende Stoffe, 

4. durch andere Stoffe, welche den Gebrauch des Flusswassers zum 
Trinken, zum Hausgebrauch, in der Landwirthschaft oder in der 
Industrie beschränken oder die Fischzucht gefährden. 

Zu 1. In fekt io ns Stoffe können enthalten alle aus den menschlichen 
Wohnungen oder deren Umgebung herrührenden Schmutzwässer, also nicht 
blos die Fäkalien (Koth und Urin), sondern alle im menschlichen Haus¬ 
halte gebrauchten und aus demselben wieder zu entfernenden Wässer, sowie 
die Niederschlags- und Reinigungswässer von Höfen, Strassen und Plätzen. 
Das Gleiche gilt von den Abgängen aus Schlächtereien und aus solchen 
Gewerbebetrieben, welche Lumpen, Felle, Haare oder thierische Abfälle 
verarbeiten. Die Verwaltungsbehörden haben desshalb dafür Sorge zu 
tragen, dass alle solche Schmutzwässer und Abgänge den öffentlichen Wasser¬ 
läufen soweit dies irgend thunlich erst zugeführt werden, nachdem dieselben 
zum Zwecke der Unschädlichmachung einem von der Aufsichtsbehörde als 
geeignet anerkannten Verfahren unterworfen worden sind. 

Zu 2. Hinsichts der zu 1 gedachten Schmutzwässer und hinsichts 
derjenigen Abwässer aus gewerblichen Anlagen, welche nicht unter Nr. 1 
fallen, aber fäulnissfähige Stoffe enthalten, ist darauf zu achten, dass 
solche Abwässer den öffentlichen Wasserläufen erst in völlig geklärtem 
Zustande zugeführt und in den letzteren soweit verdünnt werden, dass eine 
stinkende Fäulniss später nicht eintreten kann. 


1) Der Ausdruck „öffentliche“ Wasserläufe ist hier nicht im Sinne des 
Allgemeinen Landrechts verstanden, wonach der Gegensatz davon die nicht im 
Eigenthum des Fiskus stehenden, d. h. die nicht schiffbaren Wasserläufe („Privat- 
flösse“) bilden (Thl. II. Tit. 15 A. L. R. §§ 1 ff Ges. v. 28. Februar 1843, § 3 
G-S. S. 441), sondern in dem Sinne, dass alle fliessenden Gewässer, welche von 
den Menschen benutzt werden können, dahin gehören, sie mögen im Eigenthum 
des Fiskus oder in dem Eigenthum von Privatpersonen stehen. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. J&hrg. 12 


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— 170 - 


Alle Abwässer dieser Art, auch die Strassenwässer sind faulnissfähig 
und demgemäss zu behandeln. 

Die Feststellung von Grenzwerthen für den Gehalt der gereinigten Ab¬ 
wässer an fäulnissfahigen Stoffen verschiedener Art mit Rücksicht auf 
Temperatur und Bewegung des Wassers ist nothwendig. 

Vorläufig ist der zulässige Grad der Verunreinigung danach zu bemessen, 
dass unverkennbare Anzeichen stinkender Fäulniss, wie Fäulnissgeruch und 
Entwickelung von Gasblasen auch beim niedrigsten Stand des Flusswassers 
und bei höchster Sommertemperatur fehlen müssen. 

Die getrennte Beseitigung der Fäkalien macht die übrigen Schmutz¬ 
wässer nur unwesentlich weniger fäulnissfähig. 

Zu 3. Toxisch wirkende Stoffe kommen und zwar nach den 
gegenwärtigen Erfahrungen nur als mineralische Gifte (Arsenik, Blei) und 
betreffs der gewerblichen Abwässer in Betracht. Sehr geringe Mengen sind 
unschädlich. Es wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass die Grenze 
durch Sachverständige bestimmt festgesetzt wird, innerhalb deren die Zu¬ 
führung solcher Stoffe in die öffentlichen Wasserläufe zulässig sein würde. 

Zu 4. Auch durch andere als die zu 1 bis 3 bezeichneten 
Stoffe können Wasserläufe so verunreinigt werden, dass das Flusswasser 
zum Gebrauch als Trink- und Wirthschafts wasser, für andere Industrien 
und für die Landwirthschaft unbrauchbar oder die Fischzucht gefährdet 
wird. Es gilt dies insbesondere für Zuflüsse von Färbereien. Soda-, Gas- 
und anderen chemischen Fabriken, Abgänge von Parafin und Petroleum, 
heisse Kondensationswässer, Chemikalien, welche zur Klärung und Desin¬ 
fektion von Abwässern gedient haben u. s. w. 

Entscheidend für die Frage, ob die Zuführung dieser Abwässer in die 
Flüsse mit Rücksicht auf so geartete Stoffe erst von einer vorhergehenden 
Reinigung abhängig zu machen sei, bleibt der Satz, dass das Flusswasser 
in seiner Klarheit, Farblosigkeit, in Geschmack, Geruch, Temperatur und 
Gehalt an gelösten Mineralstoffen (Härte) nicht wesentlich verändert 
sein darf. 

Allgemein anwendbare, in bestimmten Zahlen ausgedrückte oder die 
Grenze sonst genau bezeichnende Bestimmungen darüber, wann dies anzu¬ 
nehmen sei, sind bis jetzt bei uns nicht aufgestellt. 

Da übrigens die Rücksicht auf die Gesundheit dabei nur selten in 
erheblicher Weise und nur mittelbar, meist aber nur Vermögensobjecte in 
Betracht kommen, werden die verschiedenen Interessen in ihrer Wichtig¬ 
keit gegeneinander verständig abzuwägen sein. 

Insofern Flusswasser als Trinkwasser verwendet werden soll, ist es 
wünschenswerth, dass die für die zulässigen Veränderungen festzustellenden 
Grenzwerthe dabei zur Anwendung kommen. 

II. 1. Die Haushaltungs- und Abtritts Wässer, sowie die Niederschlags¬ 
wässer von Höfen, Strassen und Plätzen können nach den bis jetzt ge¬ 
machten Erfahrungen mit den nachstehend dargelegten Massgaben so voll¬ 
ständig als nöthig gereinigt werden; 


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— 171 — 


a) sie werden durch das Berieselungsverfahren von Infektionsstoffen 
und fäulnissfähigen Stoffen soweit befreit, dass die Ableitung der 
Rieselwässer in öffentliche Wasserläufe ohne Weiteres geschehen 
kann; 

b) sie werden durch geeignete, mit mechanischen Einrichtungen ver¬ 
bundene chemische Verfahren (Aetzkalk in Verbindung mit anderen 
Fällungsmitteln) von Infektionsstoffen und suspendirt en .fäul¬ 
nissfähigen Stoffen vollständig, von gelösten fäulnissfähigen 
Stoffen aber nur theilweise befreit. Um nachträgliche Fäulniss zu 
verhüten, muss die Menge des Flusswassers ausreichen, die ge¬ 
lösten Stoffe gehörig zu verdünnen; andernfalls muss das Wasser 
noch einen genügenden Zusatz eines faulnisswidrigen Mittels wie 
Kalk u. s. w. erhalten. Die Reinigung muss in zweckmässig an¬ 
gelegten, einheitlichen Anstalten geschehen. 

Durch die Anhäufung von Schlammmassen dürfen neue Schädlichkeiten 
nicht hervorgerufen werden. 

2. Die zu 1 aufgestellten Sätze gelten für gewerbliche Abwässer in 
gleicher Weise. 

3. Nothauslässe von Kanalisationsanlagen sind bei beiden Verfahren 
(la und lb) zulässig; der Ort ihrer Anlage, ihre Zahl und ihre Benutzung 
sind zu controlliren; Zahl und Benutzung möglichst einzuschränken. 

4. Die gesammten Reinigungsverfahren müssen fortlaufend auf ihre 
ausreichende Wirksamkeit controllirt werden. 

5. Die wissenschaftliche Deputation nimmt davon Abstand, für die 
Reinigung der Abwässer von den zu Satz I Nr. 4 oben aufgeführten Stoffen 
Vorschläge zu machen; aus demselben Grunde, aus welchem solche Vor¬ 
schläge in Betreff der anorganischen Verunreinigungen von ihr nicht ge¬ 
fordert worden sind. (Vergl. Vorlage Seite 2.) 

III. Ob ein Fluss durch Infektionsstoffe so verunreinigt ist, dass 
eine Abhülfe des bestehenden Zustandes erforderlich wird, kann man auf 
Grund einer bakteriologischen Untersuchung des Flusswassers an den ver¬ 
schiedenen dabei in Betracht kommenden Stellen im Vergleich mit den 
Abwässern an dem Punkt, an welchem sie in den Fluss eingeleitet werden, 
erkennen. 

Ausserdem wird das Auftreten einer Infektionskrankheit, welche auf 
Benutzung des Wassers zu beziehen ist, dabei sehr entscheidend mitsprechen, 
es darf aber bis dahin mit der Abhülfe nicht gewartet werden. 

Schliesslich kann auch die Thatsache, dass solche Abgänge, von denen 
zu befürchten ist, dass sie zur Entstehung von Infektionskrankheiten Anlass 
geben und welche noch nicht desinficirt in einen Fluss gelangen, ein amt¬ 
liches Einschreiten erfordern. Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn 
die Abgänge aus Krankenhäusern, Waschanstalten oder aus Wohngebäuden 
mit infektionskranken Personen herrühren. Das Vorhandensein fäulniss- 
fähiger Stoffe im Uebermasse wird man daran erkennen, dass das 
Flusswasser erheblich gefärbt oder verschlammt oder stinkend wird. Das 


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172 — 


Aufsteigen von ßasblasen aus dem am Boden des Flusses abgelagerten 
Schlamm ist ein untrügliches Kennzeichen eines Zustandes, welcher der 
Abhülfe bedarf. 

Ob toxisch wirkende. Stoffe in einem Umfange vorhanden sind, 
dass Abhülfe nothwendig ist, wird im Einzelfall durch sachverständige 
Prüfung zu ermitteln sein. 

Ob endlich andere derartige Stoffe sich in den einem Flusse 
zugeführten Abwässern befinden, wird aus den eingetretenen unverkennbaren 
Missständen sich ergeben. 

IV. Die Beurtheilung einer geplanten Anlage in Bezug auf zu erwartende 
gemeinschädliche Verunreinigung öffentlicher Wasserläufe hat in jedem 
einzelnen Falle unter Berücksichtigung der voraussichtlich producirten 
Schmutzwässer und der beabsichtigten Vorkehrungen zur Reinigung der¬ 
selben auf Grund der in obigen Thesen aufgestellten Grundsätze zu geschehen. 

V. Es ist wünschenswerth, dass eine Commission eingesetzt wird, 
welche dafür zu sorgen hat, dass die noch fehlenden wissenschaftlichen 
Unterlagen für eine definitive Regelung der Massnahmen zur Reinhaltung 
der öffentlichen Wasserläufe beschafft werden. 

B. Schularztfrage. I. Zur Sicherung einer ausreichenden Beach¬ 
tung der Seitens der Schulhygiene zu stellenden Forderungen ist es noth¬ 
wendig, dass ärztliche Sachverständige in grösserem Masse als bisher bei 
der Ausführung der Schulaufsicht betheiligt werden. 

II. Eine solche Betheiligung ist erforderlich 

1. in Bezug auf die konkreten Verhältnisse der einzelnen Schulen und 
zwar 

a) bei Errichtung neuer Schulen in Bezug auf die Prüfung des Bau¬ 
platzes und seiner Umgebungen, sowie auch des Trinkwassers, 
ferner in Bezug auf die Baupläne einschliesslich der inneren Ein¬ 
richtung und auf die Bauabnahme, 

b) bei bestehenden Schulen in Bezug auf die Umgebungen und das 
Trinkwasser, die Beschaffenheit der Luft und der Beleuchtung in 
den Schulzimmern, die Subsellien und die Lehrmittel, die allge¬ 
meine Reinlichkeit, die Beschaffenheit der Abtritte, die Heizung 
und Ventilation, die Spiel- und Turnplätze; 

2. in Bezug auf den Gesundheitszustand der einzelnen Schüler 

a) thunlichst bald nach der ersten Aufnahme eines Kindes in die 
Schule, 

b) während des späteren Schulbesuchs, insbesondere bei anstecken¬ 
den Krankheiten und zwar sowohl bei chronischen (Grind, Krätze, 
Augenentzündung, Tuberkulose, Syphilis), als bei akuten (Pocken, 
Scharlach, Diphtheritis, Masern, Keuchhusten, Genickstarre, Ruhr, 
Typhus); 

3. in Bezug auf die Lehrer durch Betheiligung an den Lehrerconferenzen 
und an dem Unterrichte in den Seminaren. 


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— 173 — 


Die grössere Betheiligung der Aerzte an der Schulaufsicht soll auch 
dazu dienen, die durch die Schulen für die Gesundheit der Schüler etwa 
hervorgebrachten Schäden im Allgemeinen weiter zu erforschen. 

III. Dass städtische Verwaltungs- oder andere Aufsichtsbehörden einen 

Arzt als Mitglied in die Schuldeputationen und Commissionen oder bei 
höheren Schulen in die Curatorien wählen, ist wünschenswerth. Vorzu¬ 
schreiben, dass es überall geschehen müsse, erscheint bedenklich, da es 
zur Zersplitterung der Kräfte des Arztes, namentlich wenn derselbe ein 
beamteter Arzt ist, führen kann. » 

IV. In Betreff der Einrichtung der ärztlichen Schulaufsicht sind vom 
medizinischen Standpunkte aus folgende Vorschläge zu machen. 

1. Dje Baulichkeiten und Einrichtungen der Schulen sowie deren 
Umgebung sind vom Arzt in periodischer Wiederkehr zu unter¬ 
suchen. Es ist dabei ein nach einem vorgeschriebenen Formular 
aufzustellender Fragebogen zu benutzen und an die Vorgesetzte 
Schulaufsichtsinstanz vom Arzt einzusenden. In einem Zeitraum 
von 3—5 Jahren soll jede Schule mindestens einmal nach dieser 
Richtung revidirt sein. 

2. Der Gesundheitszustand der Schüler ist soweit als thunlich bald 
nach Beginn jeden Schulhalbjahrs einmal vom Arzt zu untersuchen. 
Soweit es sich um solche Schüler handelt, welche zum ersten 
Male in eine Schule eintreten, hat der Arzt jeden einzelnen zu 
besichtigen und die etwa vorhandenen Mängel festzustellen. Bei 
allen anderen Schülern ist die Untersuchung jedes Einzelnen nicht 
erforderlich. Es kommt nur darauf an, dass der Arzt durch Rück¬ 
sprache mit dem Lehrer, durch Einsicht der Klassenbücher und 
alsdann soweit nöthig, durch Untersuchung einzelner Schüler 
ermittelt, ob in der Schule Massregeln zu treffen seien, um 
grössere Schäden zu verhüten. 

Im Uebrigen bewendet es betreffs der ansteckenden Krank¬ 
heiten auch für die Schulen bei den bestehenden besonderen 
sanitätspolizeilichen Vorschriften. 

3. Zur Sicherung des Erfolges der ärztlichen Untersuchung und An¬ 
regung zur Abhülfe ist zu 1 von der Aufsichtsbehörde, zu 2 von dem 
Schulvorstande oder Director dem Arzt über das Veraijlasste Mitthei- 
lunngzu machen, welchem frei steht, Beschwerden gegen das Verfügte 
bei der höheren Instanz anzubringen. Ein Recht zu selbststän¬ 
digen Anweisungen an die Lehrer hat der Arzt nicht; nur insofern 
es sich bei ansteckenden Krankheiten darum handelt, einem kranken 
Kinde den sofortigen Schulbesuch zu verbieten, hat er den Lehrer 
darum zu ersuchen und wird solchem Ersuchen sofort Folge zu 
leisten sein. 

4. Die Vorgesetzten staatlichen Verwaltungsbehörden bestimmen, 
welche Aerzte, unter welchen Bedingungen und für welche Schulen 


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174 


sie bei der Schulaufsicht nach den obigen Massgaben zu betheili¬ 
gen sind. 

Besondere Schulärzte sind nur bei gesonderten Schulanstalten 
mit Alumnaten und in grossen Städteri erforderlich. 

Für einzelne Untersuchungen in besonderen Fällen sind ge¬ 
schulte Specialisten zu empfehlen. 

V. Die obigen Bestimmungen gelten zunächst für alle öffentlichen 
Schulen; für Privatschulen und für alle Anstalten, in denen Kinder unter 
6 Jahren aufbewahrt oder verpflegt werden, aber nur soweit die Zahl der 
vorhandenen geeigneten Aerzte es gestattet. 

Entwürfe für einfache ländliche Schulgebäude nebst dazu ge- 
, hörigen Erläuterungen von Geh. Ober-Regierungsrath Spiecker, 
Vortragendem Rath im Königl. preussischen Cultusministerium, mitgetheilt 
den Königl. Regierungen durch Cirkular-Erlass des Ministers der 
geistlichen etc. Angelegenheiten vom 24. Januar 1888 (gez. in 
Vertr. Lucanus) und vom 7. Juli 1888 (gez. i. A. Greiff). 

1. Allgemeines. 

1. Baustelle: Bei der Wahl eines für eine Schulanlage in Aussicht 
zu nehmenden Grundstücks kommen vorzugsweise folgende Rücksichten 
in Betracht: 

Die Lage des Grundstücks soll möglichst in der Mitte des Schulbezirks 
angenommen werden, damit von allen entferntesten Punkten desselben an¬ 
nähernd gleiche Wege entstehen. Sie muss gesunden, trockenen und tech¬ 
nisch möglichst günstigen Baugrund aufweisen, frei von störender und 
gesundheitsschädlicher Nachbarschaft sein und die Anlage eines Brunnens 
mit gutem Trinkwasser gestatten. Eine leicht geneigte, die Abwässerung 
befördernde Gestaltung der Oberfläche ist einer ganz ebenen Bodenlage 
meistens vorzuziehen. 

Zum Schutze gegen rauhe Winde und Sonnenhitze ist eine mit Bäumen 
und Sträuchem bestandene Baustelle oft erwünscht, doch darf die Be¬ 
pflanzung dem Schulgebäude nicht Licht und Luft verkümmern oder die 
Lage dumpf und feucht machen. 

2. Bei Anordnung der Gebäude auf der Baustelle sind alle 
mit Fenstern versehenen Wände von den Nachbargrenzen, auch wenn diese 
zur Zeit noch nicht bebaut sind, soweit entfernt anzulegen, dass keine 
künftige Bebauung oder Bepflanzung des Nachbargrundstücks diesen Fen¬ 
stern Licht- und Luftzuführung entziehen oder auch nur schmälern kann. 
Ganz besonders gilt dies von solchen Wänden, deren Fenster zur Beleuch¬ 
tung eines Schulzimmers dienen. Für diese ist die Lage, wenn irgend 
möglich, so zu wählen, dass reines Himmelslicht unmittelbar bis zu den 
von der Fenster wand am weitesten entfernten Schülersitzen einfallen und 
die Tischplatte treffen kann. 

In der Regel sind Scbulzimmer und Lehrerwohnungen in demselben 
Gebäude zusammenzufassen. Dagegen empfiehlt es sich, die erforderlichen 


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- 175 — 

Wirthschaftsgebäude (Stallung, Scheune pp.), sowie die. Abtritte nicht »nur 
von dem Schulhause räumlich zu trennen, sondern sie auch in einem 
solchen Abstande von demselben zu errichten, dass sie keine schädlichen 
oder belästigenden Einflüsse auf dasselbe ausüben können. Die Abtritts¬ 
anlage ist oft zweckmässig mit dem Stallgebäude zu verbinden oder an 
dasselbe anzulehnen. Ebenso werden besondere Scheunengebäude nur in 
dem selteneren Falle eines grösseren Umfangs der Schulländereien nöthig 
sein, während in den meisten Fällen die Anlage von Stall und Scheune 
unter einem Dach vorteilhafter erscheint. Selbstverständlich ist der Umfang 
aller dieser Wirthschaftsräume von dem nach der Grösse des dem Lehrer 
zugewiesenen Landes nachzuweisenden Raumbedarf abhängig. 

Bei Bestimmungen der den einzelnen Gebäuden auf dem Grundstück 
anzureihenden Stallung ist auf möglichste Uebersichtlichkeit der Gesammt- 
anlage Bedacht zu nehmen. Namentlich aber muss der nach der Zahl 
der Schulkinder zu bemessende Platz, welcher diesen zum Bewegen und 
Spielen in den Unterrichtspausen dient, sowie der Zugang zu den Abtritten 
von der Lehrerwohnung oder dem Schulzimmer aus sich bequem über¬ 
sehen lassen. 

Die Abtrittsanlage wird, den ländlichen Verhältnissen entsprechend, 
gewöhnlich wohl eine möglichst dicht herzustellende Grube erhalten, wobei 
jedoch die bekannten vollkommeneren, die Reinheit des Untergrundes besser 
sichernden Einrichtungen für die Beseitigung der Auswurfstoffe nicht aus¬ 
geschlossen, und bei dichterer, mehr den städtischen Verhältnissen sich 
annähernder Bebauung sogar zu fordern sind. Jedenfalls muss aber darauf 
geachtet werden, dass Tiefbrunnen für Trinkwasser von Abtritts- und 
Düngergruben soweit als möglich entfernt angelegt werden, wobei auch die 
Strömungsrichtung des den Brunnen speisenden Grundwassers in Betracht 
kommen, überhaupt jede Vorsicht angewendet werden muss, um eine Ver¬ 
unreinigung des Brunnenwassers zu verhüten. 

Ueber die Himmelslage der Baulichkeiten, namentlich der Schulzimmer, 
lassen sich schwer allgemein gültige Bestimmungen treffen, einmal weil 
örtliche Verhältnisse oft in zwingender Weise die Anordnung auch in dieser 
Hinsicht beeinflussen, sodann aber auch, weil die verschiedenen hier gel¬ 
tend zu machenden Forderungen nicht selten mit einander in Widerspruch 
stehen. So wird einerseits zwar mit Recht eine sonnige Lage als gesund¬ 
heitlich vortheilhaft angesehen, während doch andrerseits nicht zu leugnen 
ist, dass unmittelbare Sonnenbestrahlung der Fenster eines Schulzimmers 
während der Unterrichtszeit in mehr als einer Hinsicht störend und nach¬ 
theilig wirken kann. Ist man in der Lage, die Himmelsrichtung für die 
Fensterwand des Schulzimmers frei zu bestimmen, so wird man daher 
wohl am besten die Anordnung so treffen, dass der Raum zwar in der 
Zeit vor oder nach dem Unterricht von der Sonne bestrahlt wird, soweit 
möglich aber nicht auch während der Unterrichtszeit. Kann man jedoch 
eine sonnige Lage wegen sonstiger örtlicher Verhältnisse nicht vermeiden, 
so ist durch passende Vorkehrungen an den Fenstern dafür zu sorgen, 


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176 - 


dass die wesentlichsten Nachtheile des unmittelbaren Sonnenscheins — 
starke Erhitzung und zu grelle Beleuchtung — nach Möglichkeit abgedämpft 
werden. Von den der Sonne zugewendeten Lagen wird vielleicht die süd¬ 
liche deshalb noch am wenigsten jenen Belästigungen ausgesetzt sein, weil 
im Sommer die Strahlen der Mittagsonne unter so steilem Winkel einfallen, 
dass sie nicht tief in das Innere des Raumes eindringen und daher weniger 
störend wirken, als die flach einfallenden Strahlen der Morgen- und be¬ 
sonders der Abendsonne. Letztere ist jedoch für ländliche Schulen deshalb 
weniger lästig, weil in diesen die Unterrichtszeit schon mit den früheren 
Nachmittagsstunden aufhört *)• 

II. Das Schulhaus. 

1. Schulzimmer. Hinsichtlich der einem Schulzimmer zu gehenden 
Abmessungen gilt zunächst die Regel, dass mehr als 80 Kinder 
nicht in einer Klasse zu gemeinschaftlichem Unterricht vereinigt 
werden sollen und nur in seltenen Ausnahmefällen aus besonderen Rück¬ 
sichten eine etwas grössere Zahl, bis zu höchstens 100 Schüler, zugelassen 
werden kann. 

a) Grundmass für die Bestimmung des Flächenraumes. 
Lange Zeit galt der Einheitssatz von 0,60 qm für jeden Schüler als Grund¬ 
mass für Flächen-Berechnung des Schulzimmers, so dass z. B. für eine 
Klasse von 80 Schülern das Zimmer etwa 8,00 m lang und 6,00 m breit, 
also mit einem Flächenraum von 48 qm angenommen wurde. Diese Ab- 


1) Betreffs der Bauart wird bei den Erläuterungen der einzelnen Entwürfe 
gesagt: Den Entwürfen liegt durchweg die Annahme des Massivbaues zu 
Grunde mit gewöhnlichem Backstein für das aufgehende Mauerwerk, welches in 
seinen Aussenflächen ohne Mörtelputz nur in sauberer Fügung hergestellt werden 
soll. Diese Ausführungsweise empfiehlt sich überall da. wo genügend feste und 
wetterbeständige Steine zu haben sind, wobei es gar nicht etwa auf die Ver¬ 
wendung besonders sauberer „Blendsteine“ abgesehen ist, da ausgesuchte ge¬ 
wöhnliche Steine von festem Brand dem Bedürfniss völlig entsprechen. Ebenso 
ist auf die Verwendung besonderer Formsteine nicht gerechnet. 

Das Dach ist in Ziegeln (Pfannen oder Bieberschwänze) gedeckt ange¬ 
nommen. In einigen der Entwürfe ist dasselbe mit mässigem Ueberhang durch 
Vorkragen der Sparren, in andern ohne solchen, auf massivem Gesims ansetzend 
gezeichnet. Welche Dachform in jedem Einzelfalle zu wählen sei, unterliegt 
näherer Erwägung je nach den örtlichen Verhältnissen, wobei nur zu beachten 
bleibt, dass der Dachüberhang nicht etwa den Fenstern — besonders denjenigen 
des Schulzimraers — das Licht entzieht, 

Wie hoch der Fussboden des Erdgeschosses über dem Erdboden 
sich erhebt, muss vorzugsweise mit Rücksicht auf die Grundwasser und Ent¬ 
wässerungsverhältnisse der Baustelle bestimmt werden, da die Kellerräume stets 
wasserfrei sein müssen. Eine Erhebung von mindestens 0,50 Meter ist unter 
allen Umständen zu empfehlen. Liegt das höchste Grundwasser so nahe an 
Tag, dass die Anlage wasserfreier Keller unter dem Hause eine zu bedeutende 
Erhebung des Erdgeschosses bedingen würde, so müssen Kellerräume entweder 
im Wirthschaftsgebäude, oder in einem besonderen Kellerbau angelegt werden. 


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177 — 


messungen genügen jedoch nur unter Voraussetzungen, welche jetzt nicht 
mehr als zulässig erachtet werden. Reichen sie aber allenfalls für Schul¬ 
klassen grösster Abmessung noch knapp aus, so erweisen sie sich als 
völlig ungenügend bei solchen Zimmern, welche für eine kleinere Schüler¬ 
zahl bestimmt sind und um so mehr, je kleiner diese Zahl ist. Dies er¬ 
klärt sich leicht aus dem Umstand, dass die neben den Schüler-Sitzen- und 
-Tischen unerlässlichen Freiräume — Gänge zu den Plätzen, Vorplatz an 
der Thür, dem Ofen, dem Lehrersitz pp. — nicht im gleichen Verhältniss 
mit der Schülerzahl wachsen und abnehmen, vielmehr einen grösseren 
% Bruchtheil der Zimmerfläche beanspruchen bei einem kleineren als bei einem 
grösseren Schulzimmer. 

Man sieht sich daher zu einer andren Form der Raum-Ermittlung ge- 
nöthigt, bei welcher von einer ordnungsmässigen Aufstellung und Grösse 
der Schulbänke, sowie einer genügenden Bemessung der Freiräume pp. 
ausgegangen werden muss. In einer einklassigen Volksschule sind Kinder 
vom 6. bis 14. Lebensjahre unterzubringen. Um den verschiedenen Ent¬ 
wicklungsstufen der Körpergrösse wenigstens einigermassen zu entsprechen, 
müssen daher Bänke und Tische von verschiedenen Abmessungen auf¬ 
gestellt werden. Gewöhnlich nimmt man drei verschiedene Abstufungen 
der Sitzgrösse an, welche einen Flächenraum von je 48 auf 68, 
bezw. 50 auf 70 und 52 auf 72 Gentimeter beanspruchen. (Dass 
ausserdem auch die Höhe der Sitze und Tische den Altersstufen ent¬ 
sprechend bemessen werden muss, kann hier nur beiläufig angedeutet 
werden.) Die Freiräume sind so zu bemessen, dass von der dem Lehrer¬ 
sitz zunächst stehenden Schülerbank bis zur Wand mindestens 1,70 Meter 
freier Abstand verbleibt, während an der Fensterwand entlang ein Gang 
von mindestens 0,40, in der Mitte zwischen zwei Bankreihen ein solcher 
von 0,50 und an der Ofenwand von 0,60 bis 0,80 Meter offen zu halten 
ist. Zwischen der Rückwand und dem hintersten Schülersitz bleiben 
wenigstens 0,30 Meter frei. Trifft man nun unter Beachtung dieser Masse 
die Raumeintheilung des Schulzimmers, so ergibt sich bei ganz grossen 
Klassen ein Satz von etwa 0,64 Quadratmeter für jedes Kind, 
der sich mit der Abnahme der Klassengrösse bis zu 0,74 Qua¬ 
dratmeter steigert. 

Bemerkt sei, dass hierbei wenigstens vier- und fünfsitzige Bänke an¬ 
genommen sind, seltener dreisitzige. Das allerdings bei Weitem vollkom¬ 
menere System durchweg zweisitziger Bänke, welches jedem Schüler ge¬ 
stattet, beim Aufstehen in den freien Zwischengang hinauszitfreten, dem 
Lehrer aber, zu jedem einzelnen Schüler unmittelbar zu gelangen, erfordert 
bei Weitem mehr Raum — etwa 1,00 bis 1,20 Quadratmeter für jeden 
Schüler — und wird daher bei ländlichen Schulen wohl nur in selteneren 
Fällen Anwendung finden können. 

b) Höhe des Schulzimmers. Für die dem Klassenzimmer zu ge¬ 
bende lichte Höhe kommen verschiedene Rücksichten in Betracht. Zu¬ 
nächst kann man von der Bestimmung eines als nothwendig zu erachtenden 


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— 178 — 

Rauminhalts ausgehen, welcher jedem im Zimmer Anwesenden eine be¬ 
stimmte Luftmenge zumisst. Schon aus dieser Erwägung würde sich für 
kleinere Schulzimmer eine etwas geringere Höhe als zulässig ergeben wie 
für grössere, da erstere einen im Verhältniss zur Besucherzahl grösseren 
Flächenraum erhalten als letztere. Aber auch aus einem anderen Grunde 
kommt dem grösseren Raume bei sonst gleichen Voraussetzungen eine 
grössere Höhe zu. Um nämlich die Länge des Schulzimmers nicht in 
unzweckmässiger Weise zu steigern, wird man auch die Tiefe desselben 
mit der Raumgrösse wachsen lassen. Da nun die Beleuchtung des Zim¬ 
mers bis zu dem von der Fensterwand entferntesten Sitzplatz, wenn irgend 9 
möglich, durch unmittelbar einfallendes Himmelslicht erfolgen soll, so be¬ 
darf der Raum, um das Licht vom Fenster aus unter gleichem Winkel 
nach der Tiefe eintreten zu lassen, bei grösserer Tiefe (Breite) auch einer 
grösseren Höhe. 

Für die Beschränkung der Raumhöhe auf ein als noch zulässig er¬ 
achtetes Mindestmass sprechen vor allem Ersparungsrücksichten, da sowohl 
die Baukosten als auch die Schwierigkeit und die Kosten der Heizung des 
Raumes mit der Höhe desselben wachsen. Man hat daher in früherer 
Zeit nicht selten die Zimmerhöhe in einer die Luft- und Lichtverhältnisse 
auf das schlimmste gefährdenden Weise beschränkt und Abmessungen für 
dieselbe gewählt, die jetzt in vielen Landestheilen sogar für Wohnräume, 
in welchen sich doch immer nur eine vergleichsweise geringe Zahl von 
Personen dauernd aufhält, als zu klein erachtet und baupolizeilich unter¬ 
sagt sind. Die auf diese Weise in vielen Landestheilen altherkömmliche 
Gewöhnung an niedere Räume in Zusammenhang mit den Schwierigkeiten, 
welche meistens bei Beschaffung der Mittel für Schulbauten den Gemeinden 
entstehen, lassen auch heute noch jede zulässige Beschränkung der Raum¬ 
höhe in den meisten Fällen als geboten erscheinen. Doch ist das Mass 
von 3,20 Meter schon seit längerer Zeit als das geringste ange¬ 
nommen worden, welches noch für die Lichthöhe eines ländlichen Schul¬ 
zimmers zugelassen wird. Bei Annahme der oben entwickelten Flächen¬ 
einheitsmasse ergeben sich dann auf den Kopf mindestens 2 bis 2,37 
Kubikmeter Luftraum — freilich geringe Masse, welche nur in Anbetracht 
der kürzeren Unterrichtsdauer einer Dorfschule überhaupt als zulässig er¬ 
scheinen. Geht man nun von diesem noch zulässigen Höhen-Kleinstmass 
aus und wendet es auf ein Schulzimmer kleinster Abmessungen an, in 
welchem jeder Schüler einen Flächenraum von 0,74 Quadratmeter bean¬ 
sprucht, algo einen Luftraum von 2,37 Kubikmeter erhält, so müsste ein 
Schulzimmer grösster Abmessungen, wenn es den gleichen Luftraum auf 
den Kopf bieten soll, schon eine Lichthöhe von 3,70 Meter erhalten, 
während es bei Anwendung der kleinsten zulässigen Lichthöhe von 3,20 Meter 
nur 2 Kubikmeter Luftraum für jeden Schüler gewährt. 

Dieses Verhältniss der Höhensteigerung bei wachsender Bodenfläche 
sollte daher, wo es irgend angeht, thatsächlich Anwendung finden, beson¬ 
ders da es auch der zweiten Bedingung einer ausgiebigen Beleuchtung nach 


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der Tiefe wenigstens annähernd entspricht. Dass die Forderung eines 
Luftraums von 2 bis 27», selbst 27* Kubikmeter auf den Kopf eine sehr 
mässige ist, geht übrigens u. A. daraus hervor, dass in mehreren deutschen 
Staaten erheblich höhere Sätze — 3, 37« und sogar 4 Kubikmeter — vor¬ 
geschrieben, und dass für die Klassenzimmer unserer höheren Schulen Ab¬ 
messungen üblich sind, welche ebenfalls bei normaler Besetzung 4 Kubik¬ 
meter, mitunter auch etwas mehr Luftraum auf den Kopf gewähren. 
Freilich unterliegen solche Räume meistens einer bei Weitem stärkeren 
Ausnutzung als die Klassen einer Dorfschule. 

c) Anordnung der Fenster des Schulzimmers. Für die aus¬ 
giebige Beleuchtung des Schulzimmers, welche von ebenso grosser Bedeu¬ 
tung ist, wie die genügende Grösse, gilt als Regel, dass die lichtgebende 
Fensterfläche mindestens 7» der Bodenfläche des Raumes 
messen soll. 

Natürlich kommt es ausserdem noch auf eine zweckmässige Anord¬ 
nung der Fenster und ihre Verkeilung im Raume an. Damit das Licht 
in möglichst günstigem (d. h. steilem) Winkel auch nach den entfernteren 
Plätzen einfallen kann, müssen die Fenster so hoch als irgend mög¬ 
lich angelegt werden, so dass ihr Sturz dicht an die Zimmerdecke reicht, 
was bei passender Gonstruktion der letzteren sehr wohl angeht. Die 
Brüstungshöhe ist dagegen zweckmässig etwas grösser, als in Wohn- 
räumen meist üblich, etwa auf 1 Meter anzunehmen, da das unter 
Augenhöhe einfallende Licht blendend wirkt. Es wird deshalb auch nicht 
selten empfohlen, die unterste Fensterscheibe — etwa durch Anstreichen 
mit Oelfarbe — abzublenden. Hierdurch soll zugleich den Schälern die 
Möglichkeit benommen werden, ihre Aufmerksamkeit vom Unterricht ab 
und nach Aussen zu richten. 

Als bekannt darf angenommen werden, d^ss den Schülern das Licht 
nur von links, nie von rechts oder gar von vorne zufallen darf. Rücken¬ 
licht wäre zwar in diesem Sinne nicht nachtheilig,* doch empfiehlt es sich, 
Fenster in der Rückwand zu vermeiden, weil ihr Licht dem Lehrer lästig 
wird, der vorzugsweise in der Richtung nach dieser Wand hin schauen 
muss, um seine Klasse zu überblicken. Die demgemäss nur auf der links¬ 
seitigen Langwand anzuordnenden Fenster werden am besten in gleichen, 
nicht zu grossen Abständen vertheilt, damit der Raum in allen Theilen 
möglichst gleichmässig beleuchtet ist. 

Tiefklassen sind einer guten Beleuchtung nur bei mehr als gewöhn¬ 
licher Lichthöhe und verhältnissmässig grösserer Fensterfläche fähig. Ihre 
Anordnung empfiehlt sich daher im Allgemeinen für Dorfschulen nicht. 
Da das wirksamste Licht aus den oberen Theilen des Fensters kommt, so 
ist es wichtig, den Sturz desselben gradlinig oder nur flachgebogen zu 
gestalten, dagegen Rundbogen und andere der Lichtgabe ungünstige Ab¬ 
schlussformen bei Schulfenstern zu vermeiden. 

d) Anlage der Thür. Die Thür des Schulzimmers liegt am zweck- 
mässigsten so, dass der Eintretende im Gesicht und nicht im Rücken der 


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— 180 — 


auf ihren Sitzen befindlichen Schüler erscheint, weil nur so vermieden 
wird, dass die Kinder, sich nach demselben umwendend, die Ruhe und 
Ordnung in der Klasse stören. Auch ist es für den Lehrer oder den 
Schulaufsichtsbeamten werthvoll, gleich beim Eintreten die Klasse überblicken 
zu können. Dass die Thür des Klassenzimmers — ebenso wie alle 
sonstigen dem Schulverkehr dienenden Thüren — nach Aussen auf- 
schlagen müssen, geht schon aus den bekannten Vorschriften über Ver¬ 
meidung von Feuersgefahr (vom J. 1884) hervor, welche überhaupt bei 
Schulbauten durchweg Anwendung finden sollen. 

e) Heizung und Lüftung. Der Ofen erhält am zweckmässigsten 
seine Stelle in der Mitte der den Fenstern gegenüberliegenden Langwand. 
Für die östlichen Landestheile ist der hier allgemein übliche Kachelofen 
mit unterbrochener Feuerung — im Gegensatz zu den im Westen her¬ 
kömmlichen, meistens eisernen Oefen mit dauernder Feuerung (Windöfen, 
Füllöfen pp.) — wohl die nächstliegende Anordnung. Doch bedarf das 
Schulzimmer bei diesem den Luftwechsel so gut wie gar nicht befördern¬ 
den Heizkörper noch besonderer, wenn auch sehr einfacher Vorkehrungen, 
welche eine stetige Erneuerung der Zimmerluft, namentlich in der kalten 
Jahreszeit bewirken, wenn die einfachste Art der Lufterneuerung, das Oeflnen 
eines Fensters oder einer Fensterklappe pp. wenigstens während des Unter¬ 
richts ausgeschlossen ist. 

Am einfachsten und doch hinreichend wirksam ist die Anordnung 
eines Lüftungsrohrs, welches nahe neben dem Schornsteinrohr im Mauer¬ 
werk ausgespart und von diesem angewärmt, die verbrauchte Luft über 
Dach ableitet. Ein auf die Rohrmündung aufgesetzter Saugkopf wird die 
Wirkung des Rohrs verstärken, ebenso die Einlage einer Eisenplatte in die 
Mauergänge zwischen Schornstein- und Abluftrohr. Verschliessbare Oeff- 
nungen nächst dem Fussboden und der Decke geben Gelegenheit, je nach 
Bedarf die Abluft unten oder oben abzusaugen, ln der Regel wird während 
der Heizperiode der untere Schieber geöffnet sein, während der obere 
wesentlich den Zweck hat, bei zu hoch gesteigerter Temperatur die wärmsten 
Luftschichten, welche sich an der Decke sammeln, unmittelbar entweichen 
zu lassen. 

Um die als Ersatz für die Abluft von Aussen kommende frische Luft 
nicht ganz so kalt, wie sie im Freien ist, eintreten zu lassen, hat man 
auch eine einfache Vorwärmung derselben angeordnet, indem man durch 
den Ofen ein oben offenes Rohr führt, dessen unteres Ende mit der freien 
Luft in Verbindung steht. Die im Rohr befindliche Luft steigt, durch den 
Ofen angewärmt, aufwärts und tritt durch die obere Rohrmündung in’s 
Zimmer aus, die Aussenluft vom Freien her nachsaugend. Es ist jedoch 
dringend zu empfehlen, den Theil dieser Rohrleitung, welcher die Luft von 
Aussen dem Vorwärmerohr im Ofen zuführt, so kurz wie möglich und 
zugleich so zu gestalten, dass es stets ohne besondere Schwierigkeit von 
dem in demselben sich niederschlagenden Staub befreit und überhaupt rein¬ 
gehalten werden kann, damit nur unverdorbene Luft dem Zimmer zugeföhrt 


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“T“ 181 — 


wird. Auch das im Ofen liegende Wärmerohr muss sich leicht reinigen 
lassen. Wie diese Anordnung in jedem Einzelfall zu treffen ist, muss nach 
örtlichen Verhältnissen bestimmt werden. 

0 Anordnung der Decke. Die Decke des Schulzimmers wird 
am zweckmässigsten so angeordnet, dass nicht die Balken, sondern Unter¬ 
züge auf der Fenster- und der Ofenwand lagern, während die Balken mit 
diesen Wänden gleichlaufend gestreckt sind. Hierdurch wird erreicht, 
dass die Fenstersturze fast unmittelbar an die Balkenlage reichen können 
und so dem Zimmer den möglichst günstigen Lichteinfall sichern. Da 
die Unterzüge natürlich auf die Zwischenpfeiler der Fensterwand treffen, 
so können sie so angeordnet werden, dass ihre Oberkante annähernd mit 
dem Fenstersturz in gleicher Höhe liegt. Die Zweckmässigkeit einer 
solchen Anordnung im Interesse der Beleuchtung ist schon oben erörtert 
worden. 

g) Umfassungswände. Als erapfehlenswerth ist zu bezeichnen, 
dass in Schulzimmern alle vorspringenden Mauerecken so viel als möglich 
vermieden werden, um jede Gelegenheit zum Abstossen des Putzes thun- 
lichst zu vermeiden. Daher ist es zweckmässig, die Fensterbrüstungen 
nicht, wie sonst üblich, einzunischen, sondern mit der Innenwand bündig 
auszuführen. 

h) Fussboden. Ist das Schulzimmer nicht unterkellert, so darf 
der Holzfussboden nicht unmittelbar auf den Untergrund oder die Füll¬ 
erde gelegt, sondern muss über einem Hohlraum gestreckt werden, durch 
welchen die Zimmerluft streicht. Ausscnluft in diesen Hohlraum einzu¬ 
leiten empfiehlt sich nicht, wenigstens nicht in der kalten Jahreszeit, da 
dies den Boden „fusskalt“ machen würde. Die technischen Anordnungen, 
durch welche eine die Erhaltung des Holzwerks sichernde, stetige, wenn 
auch nur mässige Luftbewegung unter dem Fussboden bewirkt wird, 
können als bekannt vorausgesetzt werden. Die hier empfohlene Massnahme 
gilt übrigens auch für nicht unterkellerte Wohn- und Schlafzimmer der 
Lehrerwohnung. 

2. Die Verkehrsräume. Der Flur, welcher dem Schülerverkehr 
dient, kann zweckmässig auch als gewöhnlicher Zugang zur Lehrerwohnung 
benutzt werden. Doch ist daneben ein dem Wirtschaftsverkehr des 
Lehrers dienender Neben- oder Hinterflur, der meistens wohl nach dem 
Hofe führen wird, als erforderlich zu erachten, damit in besonderen Fällen, 
z. B. bei Krankheiten in der Familie des Lehrers, der Schulverkehr von 
dem Hausverkehr der Lehrerwohnung völlig gesondert werden kann. Die 
Breite des Hauptflurs richtet sich natürlich nach der Grösse des in 
ihm sich abspielenden Schülerverkehrs, sollte jedoch nie geringer als 
2,50 Meter angenommen werden. 

Liegt ein Schulzimmer nicht im Erdgeschoss, sondern im ersten Stock, 
so muss die zu ihm führende Treppe den bekannten Vorschriften zur Ab¬ 
wendung von Feuersgefahr vom 27. Oktober 1884 durchweg entsprechen. 
Namentlich sind Keilstufen unbedingt zu vermeiden und die Steigungs- 


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Verhältnisse so bequem als möglich unter Rücksichtnahme auf die Körper¬ 
grösse der sie vorzugsweise benutzenden Kinder anzuordnen. 

Die vor der Hausthür nothwendigen Freistufen sind besonders bequem 
anzuordnen und dürfen nicht unmittelbar vor der Thür beginnen; sie 
müssen vielmehr auf einen freien und genügend breiten Vorplatz vor der 
Thür münden. Bei Bemessung der Breite dieses Vorplatzes ist auch dar¬ 
auf zu achten, dass die Hausthürflügel vorschriftsmässig nach Aussen auf- 
schlagen sollen. Diese Freitreppen sind, besonders bei etwas grösserer 
Stufenzahl, stets mit seitlichen Wangen und Schutzgeländern zu versehen, 
so dass sie nicht von drei Seiten her ansteigen. Uebrigens ist die Höhe 
nach Möglichkeit zu beschränken und, wenn die Ortsverhältnisse zu einer 
mehr als gewöhnlichen Erhöhung des Erdgeschosses über den umge¬ 
benden Boden zwingen, auf die Anordnung von sanft ansteigenden Ram¬ 
pen, welche die Zahl der Freistufen vermindern, thunlichst Bedacht zu 
nehmen. 

3. Die Lehrerwohnung. Wie schon im Eingang bemerkt wurde, 
liegen die Lehrerwohnungen gewöhnlich mit den Schulräumen unter einem 
Dach. Als Raumbedarf für eine Familienwohnung gelten: zwei Stuben, 
etwa zu 20 und 25 qm, ein bis zwei Kammern, zu 12 bis 15 qm, eine 
Küche, etwa zu 15 qm Fläche, sowie die nöthigen Keller- und Bodenräume. 
Eine der Kammern kann auch im Dachraum untergebracht werden. Ob 
besondere Wasch- und Back-Gelegenheit angezeigt erscheint, hängt von 
Ortsverhältnissen ab. 

Ein unverheiratheter (Hülfs-) Lehrer erhält eine Stube nebst Schlaf¬ 
kammer. Die lichte Höhe der Zimmer einer Lehrerwohnung ist mit etwa 
3 Meter ausreichend bemessen, darf aber selbst bei Dachkammern, soweit 
sie zum dauernden Aufenthalt von Menschen (z. B. als Schlafkammem) 
dienen sollen, nicht kleiner als 2,50 Meter sein. Liegt eine solche Dach¬ 
kammer in der Schräge des Daches, so muss ihre durchschnittliche 
Höhe mindestens 2,50 Meter betragen. 

III. Die Nebenanlagen. 

I. Die Abtritte. Der Umfang einer Schulabtrittsanlage bestimmt 
sich nach der Zahl der Schüler dergestalt, dass für je 40 Knaben 
und für je 25 Mädchen ein Sitz anzunehmen ist, ausserdem für 
jede Familienwohnung ein besonderer abgeschlossener Sitz. Für die Knaben 
treten noch Pissoirstände hinzu, welche am besten in einem mit Schutz¬ 
dach und Schirmwänden versehenen, sonst aber offen und luftig zu hal¬ 
tenden Anbau untergebracht werden. Auf schickliche Trennung der Zu¬ 
gänge für die den verschiedenen Geschlechtern bestimmten Anlagen ist 
Bedacht zu nehmen. Jeder Sitz ist in einer besonderen, durch dichte 
Brettwände von der benachbarten getrennten Zelle anzuordnen. 

Für möglichst wasserdichte Anlage der Grube ist zu sorgen. Auch 
nach oben hin ist dieselbe dicht und sicher abzuschliessen und durch 
Röhren, welche über Dach führen, zu lüften. Damit die Grubengase leichter 
durch diese Röhren in’s Freie als durch die Sitzöflhungen in die Abtritts- 


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— 183 - 

zelle ausströmen, ist von der letzteren aus ein Trichter mit Fallrohr so 
anzuordnen, dass die untere Mündung des letzteren tiefer in den Grubefi- 
raum hinabreicht, als die untere Oeffnung der Dunströhren, welche daher am 
höchsten Punkte der Grubenabdeckung anzubringen ist. Dass auch sonst noch 
für gute Lüftung des Abtrittsraumes zu sorgen sei, versteht sich wohl von selbst. 

Die Abtrittsanlage kann entweder als kleiner Freibau für sich angelegt, 
oder mit dem Stallgebäude vereinigt werden. In letzterem Falle ist aber 
für guten Abschluss gegen die Stallräume zu sorgen. 

2. Die Wirthschaftsanlagen. Ob besondere Wirthschaftsgebäude 
überhaupt erforderlich sind, richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen, 
namentlich aber danach, ob und in welchem Umfange die Lehrerstelle mit 
Landwirtschaftsbetrieb verbunden ist. In den meisten Fällen wird ein 
kleines Gebäude, welches Stallung und Vorrathsgelasse für Futter, Stroh, 
Brennstoffe etc. umfasst, genügen. Hinsichtlich der Anordnung und Grösse 
der einzelnen Abtheilungen gelten die allgemeinen für ländliche Wirth¬ 
schaftsgebäude bestehenden Regeln, so dass hier besondye Angaben über¬ 
flüssig erscheinen. Dass nirgendwo über das nachgewiesene Raumbedürfniss 
hinausgegangen werden darf, liegt auf der Hand. 

3. Der Brunnen. Da im Flachlande Laufbrunnen meistens nicht 
möglich sind, so erübrigt nur die Anlage eines Tiefbrunnens, der jedoch 
auf keinem Schulgehöft fehlen sollte, sofern der Untergrund desselben 
brauchbares Wasser liefert. Auf die Vorsorge für die Reinhaltung des¬ 
selben ist schon im Eingang hingewiesen worden. Offene Schöpf- oder 
Ziehbrunnen sind — schon der mit ihnen verbundenen Gefahr des Hin- 
einfallens wegen — nicht zu empfehlen, weshalb stets auf die Anlage 
eines abgeschlossenen Kesselbrunnens mit Pumpe Bedacht zu 
nehmen ist. Wo es die Bodenverhältnisse gestatten, ist auch die Anlage 
eines sog. Abessinierbrunnens nicht ausgeschlossen. 

Das ganze Schulgehöft ist in fester aber einfacher Weise, unter Be¬ 
rücksichtigung der Ortsverhältnisse, einzufriedigen. Ein Lattenzaun wird 
meistens genügen. Auch können innere Abtheilungen in Betracht kommen, 
so dass z. B. Garten, Wirthschaftshof und Spielplatz für die Schuljugend 
in angemessener Weise von einander gesondert werden. 

*** Schularzt in Breslau. Die Verfügung der Breslauer Schul¬ 
behörde über die Amtsaufgaben des neu ernannten Schularztes lautet: 

„Der neu ernannte Schularzt (Dr. Steuer) übernimmt als Mitglied der 
städtischen Schuldeputation, unter Entbindung von seinen bisherigen Amts¬ 
geschäften, die Funktionen eines Schularztes, und bearbeitet in dieser 
Eigenschaft alle auf die Schulgesundheitspflege bezüglichen Angelegenheiten. 
Sein amtlicher Wirkungskreis erstreckt sich auf sämtliche städtische Schulen 
mit Einschluss der Räume oder Anlagen, welche zum Turnen, Zeichnen oder 
für sonstige Unterrichtszwecke gebraucht werden, sowie auf die der Schul¬ 
deputation unterstehenden Privatschulen. Demselben sind insbesondere zur 
gutachtlichen Prüfung und kurzen Berichterstattung vorzulegen: 


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— 184 — 


a. die Anträge wegen Schliessung ganzer Schulen oder einzelner Schul¬ 
klassen im Falle eintretender Epidemien — unbeschadet der Mit¬ 
wirkung des betreffenden Polizeiarztes; 

b. die Bestimmung und Kontrole der zu treffenden, beziehungsweise 
getroffenen Desinfektions-Massregeln vor Wiedereröffnung des Unter¬ 
richts in den unter a. gedachten Schulen oder Schulklassen; 

c. die für den Bau ganz neuer Schulen entworfenen Pläne, sowie die 
Pläne für den Um- oder Erweiterungsbau bestehender Schulen bezw. 
Schulklassen; 

d. die Gesuche um Genehmigung zur Errichtung neuer oder Verlegung 
bestehender Privatschulen, Kindergärten und Kleinkinderbewahr¬ 
anstalten .behufs Prüfung der Brauchbarkeit der in Aussicht genom¬ 
menen Schullokale nebst Zubehör. 

Bei dieser Prüfung, welche eventuell an Ort und Stelle vorzu¬ 
nehmen ist, sind namentlich in’s Auge zu fassen: 

1) die Licljt- und Luftverhältnisse innerhalb und ausserhalb der 
Schulgebäude (mit Einschluss der Turnhallen); 

2) die Lage der Treppen und Korridore sowie der einzelnen Unter¬ 
richtszimmer ; 

3) die Lage und Ausdehnung der Schulhöfe und Turnplätze; 

4) die Lage und Einrichtung der Bedürfnisanstalten; 

5) die Zweckmässigkeit der Heiz- und Ventilationsanlagen; 

6) die Raumverhältnisse der einzelnen Zimmer (Quadrat- und Kubik¬ 
meter) zur Feststellung der zulässigen Maximal-Schülerzahl; 

e. die Grundrisse und Lagepläne der für Schulzwecke zu mietenden 
Gebäude oder Klassenzimmer; 

f. die Gesuche der Lehrer und Lehrerinnen aller Art um Anstellung 
im städtischen Schuldienst, behufs Prüfung der Gesundheitsverhältnisse 
der Bewerber und Bewerberinnen; 

g. die Pensionirungs-Gesuche der Lehrer und Lehrerinnen behufs Prü¬ 
fung der Dienstunfähigkeit — insoweit nicht ein Zeugnis des Bezirks¬ 
arztes erforderlich ist; 

h. zweifelhafte Fälle von Überschreitung des Züchtigungsrechtes; 

i. Anzeigen über unzweckmässige oder ungenügende Reinigung, bezw. 
Lüftung der Schulgebäude und Klassenzimmer, sofern dieselben auf 
Mängel in der baulichen Anlage oder auf örtliche Einrichtungen zu¬ 
rückzuführen sind; 

k. Anträge auf neu einzuführende Lehr- und Lesebücher unter Vorlegung 
der letzteren behufs Prüfung von Druck und Papier; 

l. alle dem Schularzt von dem Vorsitzenden der Schuldeputation be¬ 
sonders zugeschriebenen Angelegenheiten. 

Der Schularzt soll auch berechtigt und verpflichtet sein, die Schul¬ 
behörde auf Missstände in schulgesundheitlicher Beziehung aufmerksam zu 
machen und zur Abhilfe derselben mündlich oder schriftlich Anträge za 
stellen.“ W. 


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185 


Der Internationale Congress für Ferienkolonien und ver¬ 
wandte Bestrebungen der Eindergesundheitspflege fand am 13. 
und 14. August 1888 in Zürich statt. Den Vorsitz führte Pfarrer Bion 
in Zürich, welcher bekanntlich im Jahre 1876 die erste Ferienkolonie in’s 
Leben rief. 

Den ersten Punkt der Verhandlungen bildeten „die physischen Erfolge 
der Ferienkolonien“. Berichterstatter waren hier Prof. Dr. 0. Wyss in 
Zürich und Dr. Unruh in Dresden. Aus dem Bericht des Prof. Dr. Wyss 
geht hervor, dass die günstigen Ergebnisse der Ferienkolonien in Bezug 
auf die Gewichtszunahme der Kinder nicht überall die gleichen sind. Wäh¬ 
rend am Rhein (Frankfurt, Köln) die Gewichtszunahme durchschnittlich 
2—4 Kilo betrug, war bei den Schweizer Kolonien nur eine solche von 
1—2 Kilo zu constatiren, bei 2—3 °/® der Kinder sogar Gewichtsabnahme. 
Die Angabe, dass eine Zunahme von 1—4 cm Brustumfang durchschnittlich 
nachzuweisen sei, wie es Beobachtungen in Lausanne und Brüssel ergaben, 
wird von anderer Seite nicht als allgemein zutreffend anerkannt. Was die 
Fortdauer der günstigen Einwirkungen auch nach der Rückkehr in die 
häuslichen Verhältnisse betrifft, so ergaben eine Reihe von Wägungen in 
Dresden und Bremen, dass die Gewichtszunahme noch Tnonatelang nach¬ 
her in den meisten Fällen bleibt. Dr. Stierlin in Zürich untersuchte bei 
einer Züricher Ferienkolonie, durch Entnahme von Blutproben und Zählung 
der rothen Blutkörperchen vor dem Auszug in die Kolonie und nach der 
Rückkehr, die Einwirkung auf den Blutgehalt. Es ergab sich, dass bei */« 
der Kinder eine Vermehrung der rothen Blutkörperchen (bis zu 26°/ 0 ) ein¬ 
getreten war, bei einem Drittel aber Verminderung. Nur zustimmen kann 
man den Schlusssätzen des Redners, dass Bestimmung des Körpergewichts 
für jede Altersstufe, Mädchen und Knaben vergleichsweise, genaue Angaben 
über die Witterungsverhältnisse während des Aufenthalts in der Colonie, 
ferner Berichte über die Ausdehnung der körperlichen Bewegung im Freien, 
Zahl der gemachten Spaziergänge und grösseren Ausflüge, endlich Mit¬ 
theilungen über die Ernährungsweise und den Verbrauch von Nahrungs¬ 
mitteln in allen Jahresberichten der einzelnen Kolonien enthalten sein sollen. 
Es wäre damit gewiss eine werthvolle Gontrolle über die Leitung der 
Ferienkolonien, sowie eine wirksame Art von Rechnungsablage für die wohl¬ 
tätigen Spender hergestellt. 

Auch Dr. Unruh-Dresden bestätigte die günstigen Angaben von 
Dr. W yss. Der Grund für die am sichtlichsten durch Gewichtszunahme 
sich kundgebende Aufbesserung des Gesammtbefindens der Kinder liege 
nicht nur an der besseren Ernährung, sondern vor allem an der Versetzung 
in bessere Lebens Verhältnisse. Es glaubt, dass es doch mehr wie bisher 
nöthig sei, auch zu Hause auf die ärmeren Kinder in ähnlicher Weise 
einzuwirken durch Verbesserung der Nahrung, z. B. zeitweilige Verab¬ 
reichung von Milch, so\tfie Jugendspiele. 

Man kann dieser Meinung wohl nur beipflichten. Wenn auch bei 
unsem WohnungsVerhältnissen, namentlich in den Grossstädten und bei so 
vielem socialen Elend unserer Zeit für Ferienkolonien wie für Kinderhospize 
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 13 


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186 


es gewiss stets übergenug bedürftige Kinder geben wird, so scheint doch 
der Gesichtspunkt viel wichtiger und fruchtbringender, wie die Zahl der 
schwächlichen, genesungs- und erholungsbedürftigen Kinder zu vermindern 
ist. Gewiss ist die öffentliche Wohlthätigkeit leichter zu erschliessen, wenn 
es sich um Beseitigung vorhandenen Elends und offenbarer Krankheits¬ 
zustände handelt; um so grösser müssten daher die Anstrengungen sein, 
der Verhütung solcher Zustände wirksamer zu gestalten. Nicht die Aus¬ 
gleichung der hervortretenden gesundheitlichen Schäden, sondern die He¬ 
bung der gesammten durchschnittlichen Leistungsfähigkeit, Gesundheit und 
Frische unserer Schuljugend ist das Ziel, zu welchem auch die freiwillige 
Mithülfe weiter Kreise angestrebt werden muss. 

Es ist eine weitverbreitete Unsitte heutzutage, das Jahr hindurch rück¬ 
sichtslos auf seine Gesundheit loszuwirthschaften, in der Aussicht, durch 
eine mehrwöchentliche Bade- oder Erholungsreise all diese Sünden gegen 
das eigene leibliche Wohl mit einemmal wieder gut machen zu können. Und 
ist solche Erholungszeit vorüber, so geht wieder das alte unzweckmässige 
Leben von neuem los. Diese verkehrte Mode unserer Zeit darf nicht durch 
das Ferienkolonienwesen in unser Schul- und Volksleben übertragen werden. 
Darum muss die Fürsorge für das leibliche Wohl der grossen Schülermasse, 
welche nicht mit hinaus in die Ferienkolonien geschickt werden kann, zum 
allermindesten mit gleichem Eifer bewacht und gefördert werden, wie dies 
für die schon schwächlicher gewordenen Kinder durch das Ferienkolonien¬ 
wesen bereits der Fall ist. Die Einrichtung von sog. Stadtkolonien, wo 
eine grössere Zahl von Kindern in den Ferien täglich zu Spielen und Wan¬ 
derungen versammelt werden und Milch verabreicht erhalten, ist ein Fort¬ 
schritt in diesem Sinne, und gewinnt erfreulicherweise an Verbreitung. 

Ueber die „pädagogisch-moralischen Erfolge in den Ferienkolonien* 
sprach Schuldirector Dr. Veith in Frankfurt a. M. Er berichtet über die 
Beschäftigungen der Kinder, namentlich an Tagen mit schlechter Witterung: 
„ manuelle * Uebungen, oder sagen wir Handfertigkeitsübungen, Briefschreiben, 
Führung von Tagebüchern (!), Gesang und Musik. Dass hierin des Guten 
bald zu viel gethan werden kann und aus „ pädagogischen “ Gründen auch 
bald gethan wird, zeigt die beherzigenswerthe Mahnung des Redners: .Fast 
hat es den Anschein, als ob in einzelnen Kolonien hinsichtlich geistiger 
Arbeit zu viel geleistet, eine Art Schule getrieben und dadurch der Haupt¬ 
zweck derselben, nämlich derjenige der Erholung, beeinträchtigt werde.* 

Mehr auf das Gebiet der Armenpflege führte die Frage Herr Rector 
Reddersen aus Bremen. Er wünschte, dass die Frauen der besseren 
Stände die Kinder nach der Rückkehr aus den Ferienkolonien den Winter 
hindurch in ihren Familien aufsuchten. Die Frauen könnten so im directen 
Verkehr mit den Familien sehr viel Gutes stiften, für Lüftung und Rein¬ 
lichkeit in den Wohnungen und zweckmässige Ernährung wirken. Letztere 
sei bei den ärmeren Klassen durch Verabreichen v&n Milch und Mittagessen 
in den Volksküchen zu verbessern. Schon besteht in vielen Orten beson¬ 
dere Milchverabreichung durch entsprechende Vereine. 


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Dr. Kerez-Zürich berichtete über Heilstätten für rhachitische und 
scrophulöse Kinder (See- und Landhospize); Pfarrer Berts-Genua über die 
reich entwickelten Seehospize an den italienischen Küsten. 

Den letzten Gegenstand der Verhandlung bildeten die Kinder- oder 
Jugendhorte, welche sich schon in 60 Städten Deutschlands eingebürgert 
haben. Auf der Grundlage reicher Erfahrungen sprach hierüber zunächst 
Director Jung aus München, Vorstand des Münchener Knabenhortvereins 
(München besitzt 5 Knaben- und 1 Mädchenhort). Die Kinderhorte sollen 
einen Ersatz der Familienerziehung für solche Schulkinder bilden, deren 
Eltern den ganzen Tag ausser dem Hause um’s tägliche Brod arbeiten 
müssen. Die Kinder werden nach Erledigung der Schularbeiten beschäftigt 
mit kleinen Handarbeiten, Gartenarbeit, wie Blumen-, Obst-, Gemüsezucht; 
sie werden ferner zu Spaziergängen und zum Besuch der Badeplätze hinaus¬ 
geführt. 

Lehrer Fisler- Zürich betont neben den Handarbeiten und der Garten¬ 
pflege als besonders werthvoll die Veranstaltung von Spielen im Freien 
bei günstiger Witterung. Er wünscht in der Leitung der Kinderhorte mit 
Recht alles Schablonenhafte und Schulmässige vermieden zu sehen. 

So gab der Gongress in all diesen Dingen eine schöne Fülle von An¬ 
regungen und wir dürfen besonders darauf hinweisen, dass bei uns in 
Deutschland auf all diesen Gebieten so vieles Gute und Hervorragende ge¬ 
schieht. Möge diese Bewegung noch weiterhin schöne und reiche Früchte 
tragen! Schmidt-Bonn. 

Dem Landessanitätsbericht für Mähren für das Jahr 1887 

entnehmen wir, dass eine besondere Tabelle 17,142 notorische Brannt¬ 
weintrinker, d. i. 7,6 auf 1000 Einwohner, nachweist. Von 420 männ¬ 
lichen Pfleglingen der mährischen Irrenanstalt war bei 125 (30°/o), von 
189 weiblichen bei 11 (5,8 °/o) Alkoholmissbrauch als Irrsinnsursache ange¬ 
führt. (Das österr. Sanitätswesen. 1889, Nr. 3.) 

Nervi. Pauly. 

* Der Branntwein-Consum in Holland hat im Jahre 1888 zum 
ersten Male eine geringe Abnahme erfahren, nachdem bis dahin die Zu¬ 
nahme eine jährlich fortschreitende gewesen war. Der Verbrauch betrug 
395,547 Hektoliter gegen 396,041 im Jahre 1887. Wenngleich nur lang¬ 
sam, scheint die wohlthätige Wirkung der neuen holländischen Schenk- 
Gesetzgebung gegen das bis dahin wachsende Uebermaass des Schnaps¬ 
genusses sich doch zu bewähren. F. 

*** Trmkerheilstätte Ellikon (an d. Thur) in der Schweiz. 

Vor einigen Monaten ist durch Prof. Forel und Dr. Bleuler eine 
Trinkerheilstätte eröffnet worden, für welche, wie die Genannten in den 
Schweizerischen Blättern für Gesundheitspflege, 1888, Nr. 20, berichten, 
folgende Grundsätze gelten sollen: 

„Der Zweck der Anstalt mit kleiner Landwirtschaft ist die Heilung 
der Gewohnheitstrinker, wobei das Prinzip der totalen Entwöhnung von 


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- 188 - 


geistigen Getränken, verbunden mit Beschäftigung, streng durchgeführt 
werden soll. 

Der Pensionspreis richtet sich nach den ökonomischen Verhältnissen 
und nach den Ansprüchen der Pfleglinge; Minimum bis auf Weiteres: 
500 Fr. jährlich. 

Wenn die finanzielle Lage es gestattet, kann das Minimum später 
herabgesetzt werden. Es ist kein Geschäft, sondern eine gemeinnützige 
Gründung, die das Komitee in eine Stiftung umzuwandeln trachtet. 

Nach den Erfahrungen anderer Trinker-Heilstätten sollte der Aufent¬ 
halt der Trinker mindestens 6 Monate durchschnittlich betragen, um ein 
günstiges Resultat zu liefern. 

Aufnahmebedingungen: 

1) Freiwillige, schriftliche Verpflichtung, für eine bestimmte, je nach 
dem Falle festzustellende Zeit in der Anstalt zu verbleiben, sowie sich den 
Hausregeln und den Anordnungen des Hausvaters zu unterziehen. 

2) Monatliche oder vierteljährliche Vorausbezahlung oder sonstige ge¬ 
nügende Sicherstellung der Verpflegungskosten. 

3) Verweigerung der Zahlung und gröbere Verstösse gegen die Haus¬ 
ordnung berechtigen zur Entlassung eines Pfleglings. 

4) Ausgeschlossen von der Aufnahme sind geistig erheblich defekte 
oder kranke Trinker, während solche, welche selber ernstlich geheilt zu 
werden wünschen, in erster Linie berücksichtigt werden. 

Wir hoffen, dass unsere neue Heilanstalt günstig aufgenommen werde. 
Wir haben für tüchtige Hauseltern gesorgt. Der Geist des Hauses soll 
religiös, jedoch ohne konfessionelle Färbung sein. 

Eine fachärztliche Beaufsichtigung wird durch monatliche Besuche von 
seiten der Unterzeichneten stattfinden. 

Prof. Dr. Aug. Forel (Zürich). 

Direktor Dr. Eugen Bleuler.“ 

W. 

Aus dem Verein für öffentliche Gesundheitspflege 
v in Wiesbaden. 

Der Niederrheinische V. f. ö. G. zählte seit vielen Jahren im hiesigen 
Bezirk einige 50 Mitglieder. Das Häuflein wurde von Jahr zu Jahr eher 
kleiner als grösser, da fast jedes Jahr Einige erklärten, „das Gentralblatt 
nicht mehr halten zu wollen.“ Offenbar ging und geht bei den Meisten 
die Mitgliedschaft beim Niederrheinischen Verein im „Abonnement“ auf das 
Centralblatt auf, was um so weniger zu verwundern ist, als man ja hier 
zu Lande von der Thätigkeit des Vereins so gut wie nichts merkt 
Aus diesem Grunde war es auch kaum möglich, neue Mitglieder zu ge¬ 
winnen; den Aerzten, auf deren Beitritt man in erster Linie rechnen zu 
dürfen glaubte, war zudem das Centralblatt im Lesezirkel des Aerztlichen 
Vereins dargeboten. 

Unter diesen Umständen machte dem Schreiber dieses sein seit drei 
Jahren verwaltetes Amt als Geschäftsführer des Niederrheinischen Vereins 


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189 


für den Reg.-Bez. Wiesbaden wenig Freude. Um mehr Interesse für den 
Verein erwecken zu können, regte er daher im vorigen Herbst die Bildung 
eines Lokalvereins für öffentliche Gesundheitspflege als Zweigverein des 
Niederrheinischen Vereins — gemäss § 4 dessen Statuts — an. 

Wiesbaden besitzt seit etwa 10 Jahren einen Verein für „ volksver¬ 
ständliche * Gesundheitspflege. Die wissenschaftlichen Kreise hielten sich 
von diesem Vereine durchweg fern, weil er, von Laien gegründet und ge¬ 
leitet, unter der Flagge der .volksverständlichen Gesundheitspflege“ offen 
für das Kuriren durch Laien, die sogenannte .Naturheilkunde“, für die 
Impfgegnerschaft, für Vegetarismus und dergl. agitirte. Zu den von diesem 
Verein veranstalteten Vorträgen wurden gewöhnlich auswärtige .Natur- 
heilkundige“ oder .Naturärzte“ verschrieben, und im Spätherbst vorigen 
Jahres wurde sogar ein Vortrag des sogenannten „Magnetopathen“ Kramer, 
eines früheren Schauspielers und Schauspielleiters, der seit einigen Dece- 
nien in München, Breslau, Düsseldorf und anderen Orten, seit bald 2 Jahren 
nun auch hier in Wiesbaden durch .magnetische“ Handauflegungen alle 
innem und äussem Gebrechen mit Ausnahme der Dummheit heilt, * über 
die .magnetische Heilmethode“ zugelassen oder gar veranlasst. 

Gerade das letztere Vorkommniss gab den letzten Anstoss, in Wies¬ 
baden einen Verein für wissenschaftliche Hygiene zu begründen. 

Nachdem Schreiber dieses sich mit den für die Sache massgebendsten 
Persönlichkeiten besprochen und ihrer Zustimmung sich versichert hatte, 
versandte er im November v. J. ein Girkular an 220 Adressen — die hiesigen 
Mitglieder des Niederrheinischen Vereins, alle Aerzte, Apotheker, Chemiker 
und andere Vertreter der Naturwissenschaften, der städtischen Verwal¬ 
tung u. s. w. —, in welchem zu einer Besprechung über die Bildung eines 
Lokalvereins für öffentliche Gesundheitspflege als Zweigverein des Nieder¬ 
rheinischen Vereins eingeladen wurde. Das Girkular war ausser vom 
Schreiber dieses unterzeichnet von: Polizei - Präsident v. Rheinbaben, 
Oberbürgermeister v. Ibell, Regierungs-Medizinalrath Wagner, Kreis- 
physikus Dr. Pfeiffer und Director des Lebensmittel-Untersuchungs-Amtes 
Dr. Schmitt, welche übrigens in ihrer Mehrzahl nicht Mitglieder des 
Niederrheinischen Vereins waren. 

Aus dieser gut besuchten Besprechung ging der hiesige Verein für 
öffentliche Gesundheitspflege hervor, der sich am 21. Dezember 1888 mit 
50 Mitgliedern konstituirte. Die konstituirende Versammlung entschied sich 
aber dahin, nicht einen Zweigverein des Niederrheinischen Vereins, sondern 
einen selbständigen Verein zu begründen, und zwar deshalb, damit der 
Vereinsbeitrag recht niedrig gehalten werden könne, und so die Mitglied¬ 
schaft Jedermann möglich sei, während im anderen Falle ein Beitrag von 
mindestens 6 Mark — wovon 4 Mark für den Centralverein resp. das 
Centralblatt — hätte erhoben werden müssen, was für eine unberechtigte 
Schranke für die Mitgliedwerdung gehalten wurde. 

Der hiesige Verein ist also, entgegen der ursprünglichen Absicht, kein 
Zweigverein des Niederrheinischen Vereins geworden; er empfiehlt aber in 


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190 


einem Zusatzparagraphen der Statuten seinen Mitgliedern, gleichzeitig Mit¬ 
glieder dieses grösseren Vereins zu werden resp. auf das Centralblatt zu 
abonniren. 

Die Befürchtung, dass auf diese Weise dem Niederrheinischen Verein, 
kein Gewinn, sondern ein Verlust an Mitgliedern erwachsen würde, ist 
nicht eingetroffen. Im Gegentheil hatte Schreiber dieses die Genugtuung, 
die Zahl der hiesigen Mitglieder des Niederrheinischen Vereins bis heute 
von 28 auf 45 steigen zu sehen, weshalb er keinen Anstand nimmt, das 
Wiesbadener Beispiel anderen Städten zur Nachahmung zu empfehlen. 
Vielleicht aber würde der Niederrheinische Verein gut daran thun, den § 4 
seines Statuts im Interesse einer leichtern Bildung von wirklichen Zweig¬ 
vereinen abzuändern. Dass solche Zweigvereine desselben tatsächlich .in 
keiner Stadt bestehen, muss doch zu denken geben. 

Ueber die Organisation und Thätigkeit unseres Wiesbadener Vereins 
wäre nach Folgendes zu sagen. 

Sein Vorstand besteht aus 15 Mitgliedern. Bei der Zusammensetzung 
des Vorstandes wurde besondere Rücksicht darauf genommen, möglichst 
die Vertreter aller bei der öffentlichen Gesundheitspflege interessirter Fak¬ 
toren in angemessenem Zahlenverhältnisse zu vereinigen. Der Vorstand 
enthält: den Polizei-Präsidenten, den Oberbürgermeister, den Kreisphysikus, 
die Vorstände unserer beiden chemischen Laboratorien (eines zugleich Lebens- 
rnittel-Untersuchungs-Amt), vier Aerzte (einschliessl. des Kreisphysikus), davon 
zwei Hygieniker von Fach (Bakteriologen), den städtischen Schulinspektor, 
den Direktor der städtischen Gas- und Wasserwerke, den Kanalisations- 
Ingenieur, einen Thierarzt, einen Apotheker, einen Architekten und einen 
freien Chemiker. Die Zusammensetzung bürgt dafür, dass alle Angelegen¬ 
heiten zunächst im Vorstande eine kaum jemals an Einseitigkeit leidende 
Durchberathung finden werden. 

Der Vereinsbeitrag beträgt mindestens 2 Mark jährlich; vielfach sind 
3, 5, einmal 6 Mark als Jahresbeitrag gezeichnet worden. 

Von den bisherigen hiesigen Mitgliedern des Niederrheinischen Vereins 
traten die meisten dem neuen Lokalverein bei. Sieben Mitglieder gingen 
dabei dem ersteren Verein verloren, während bis jetzt 24 diesem neu bei¬ 
traten. Sechs Herren hielten es trotz zweimaliger Anfrage sogar 
mit beigelegter frankirt er Antwortkarte nicht für der Mühe werth, 
sich betreffs ihrer etwaigen Mitgliedschaft bei dem Lokalverein zu erklären, 
lösten aber im Februar ihre Mitgliedskarte des Niederrheinischen Vereins 
pro 1889 ein. 

Die Mitgliederzahl unseres Vereins beträgt bis jetzt 135, sie ist aber 
noch immer im Steigen; die naturwissenschaftlichen Kreise und Aerzte 
haben sich, wie zu erwarten war, am stärksten betheiligt. 

Der Verein hält in den Wintermonaten allmonatlich eine Mitglieder¬ 
versammlung mit vorher veröffentlichter Tagesordnung ab. ln jeder Ver¬ 
sammlung wird mindestens ein wissenschaftlicher (kürzerer) Vortrag ge¬ 
halten und über denselben diskutirt. Gern sieht der Vorstand die An- 


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— 191 — 


regung zur Besprechung hygienischer Fragen aus dem Kreise der Mit¬ 
glieder. 

Grössere Vorträge finden als öffentliche, Jedermann (Herren und 
Damen) unentgeltlich zugängliche, nach Bedarf zu veranstaltende Vorträge 
ihren Platz. 

Der Verein zeigte seine Konstituirung der Königlichen Regierung, dem 
Polizei-Präsidium und dem Gemeinderathe an, mit der Bitte, ihn gelegent¬ 
lich um seine Meinung in hygienischen Angelegenheiten zu befragen. 
Daraufhin hat die Königl. Regierung bereits 2 Anfragen an den Verein ge¬ 
richtet, betreffend gutachtliche Aeusserung über die von anderer Seite be¬ 
antragte Ausdehnung der Anzeigepflicht der Aerzte auf einige bisher nicht 
anzeigepflichtige Krankheiten (krampfhafter Keuchhusten, Genickkrampf 
und Impetigo contagiosa), ferner über etwaige Gefahren der Eröffnung 
aller Kanäle und die Mittel, denselben zu begegnen, sowie über den et¬ 
waigen Zusammenhang* von Diphtheritiserkrankungen mit Kanalisationsar¬ 
beiten. 

Die erste Anfrage hat der Verein zustimmend beantwortet, es aber 
gleichzeitig als dringend wünschenswerth bezeichnet, den Aerzten die sonst 
leicht als gross# Last empfundene Anzeigepflicht so viel als irgend mög¬ 
lich zu erleichtern durch unentgeltliche Abgabe frankirter Meldekarten an 
die Aerzte; als Muster wurden Meldekarten empfohlen, wie sie bereits in 
Hannover eingeführt sind, auf denen die Aerzte nur einige Rubriken in 
leichtester Weise auszufüllen haben. 

Die andere Anfrage der Kgl. Regierung ist zunächst zwei Referenten, 
Herrn Dozenten der Hygiene Dr. Hüppe und Herrn Kanalisations-Ingenieur 
Brix zur Bearbeitung und Berichterstattung überwiesen worden, und wird 
deren Erledigung nach Durchberathung im Vorstande und im Plenum er¬ 
folgen. 

Der Verein hielt bisher 3 Vereins-Versammlungen ab. In der Januar- 
Versammlung, in der zugleich die Vorstandswahl stattfand, hielt Herr Hof¬ 
rath Dr. med. Kühne vorher einen sehr ansprechenden Vortrag über die 
Ziele und Aufgaben des Vereins. Inder Februar - Versammlung hielt 
Herr Dr. Hüppe einen Vortrag über den Werth und dieBeurthei- 
lung von Kläranlagen, und Herr Hofrath Kühne einen solchen über 
„Staubkrankheiten“ mit makroskopischen Demonstrationen. In der März- 
Versammlung fand zunächst eine sehr anregende und befriedigende Dis¬ 
kussion über die vorgenannten beiden Vorträge statt, und dann hielt 
Schreiber dieses, angeregt durch einen Aufsatz im Centralblatt für allge¬ 
meine Gesundheitspflege 1888 Heft 7 und 8, einen kleinen Vortrag über 
die Arbeiterkolonie „Wilhelmsruh“ bei Köln, indem er an die 
objectiven Mittheilungen über diese Schöpfung einige allgemeine hygienische 
Erörterungen über die Decentralisation der Städte und namentlich über 
eine wichtige Vorbedingung für dieselbe, die Erziehung zur Reinlich¬ 
keit, anknüpfte. 


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192 


Der Vorstand sorgt für sachgeraässe Referate über alle Vereins-Veran- 
staltungen für alle hier erscheinenden Zeitungen; Vorträge, welche Gegen¬ 
stände von allgemeinerem Interesse behandeln, werden im Manuskript an 
die verbreitetste Zeitung in Nassau, den „Rheinischen Kurier“ gesandt, und 
von ihr im Feuilleton gern abgedruckt. 

Der Verein besitzt wissenschaftliche Kräfte in Fülle; zu ihrer Entfal¬ 
tung bedarf es nur des guten Willens und humaner, uneigennütziger, oft 
selbstverleugnender Gesinnung, wie sie überall da nöthig ist, wo man im 
Interesse des Gemeinwohls arbeitet. Ist diese Gesinnung im Verein 
lebendig, so wurde die gewaltige Zahl der überall und so auch hierorts 
bestehenden Vereine um keinen nutzlosen bereichert. 

Dr. Staffel (Wiesbaden). 


Litteraturfoericht. 


Dr. Landsberger (Posen), Das Wachstum im Alter der Schulpflicht. Bio¬ 
logisches Centralblatt. Bd. VII, Nrn. 9, 10, 11. 

Alle bisherigen Ermittelungen (von Quetelet und späteren Forschern) 
über das Wachstum wurden aus verschiedenen Individuen abgeleitet, indem 
10 Menschen von „normalem“ Wuchs aus jeder Altersklasse untersucht 
und daraus das Durchschnittsmass eines Menschen von 1, 2, 3 u. s. w. 
Jahren abgeleitet wurde. Dagegen hat der Verf. von 1880—1886 alljähr¬ 
lich im Mai eine grosse Anzahl von Posener Schulkindern gemessen; es 
waren ursprünglich 104, zuletzt nur 37, welche letztere aber in den erst¬ 
untersuchten mit enthalten waren. Die Kinder waren sämtlich zwischen 
dem 1. Juli 1873 und dem 30. Juni 1874 geboren und wurden nackt 
unter stets gleichen Bedingungen gemessen. Als Messapparate dienten 
1. ein ebenes Fussbrett mit hinterer Kante, an welche die Fersen cles 
Kindes sich anlehnen mussten, 2. eine in dieses Brett einlassbare Mess¬ 
stange mit verschiebbarer Kopfplatte, 3. ein breites Kantel zum Visiren der 
Schulterhöhe (acromion), sowie der Höhen des Ellbogens, der Mittel¬ 
fingerspitze. des Hüftbeinkamms (crista ossis ilium), des Knies (oberer 
Rand der Kniescheibe) über dem Boden, 4. ein Tasterzirkel für die Schädel¬ 
masse und die Feststellung der Beckenhreite, endlich 5. eine gewöhnliches 
Centimeter-Massband. Hiermit wurden jedesmal folgende 22 Masse direkt 
an jedem Kinde genommen: 

I. die „ganze Höhe“ (Körperlänge), 

II. die „Klafterlänge*“ (bei ausgebreiteten Armen von Mittelfinger¬ 
spitze zu Mittelfingerspitze), 


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193 — 


III. die Höhe der linken Schulter 

IV. * * des „ Ellbogens 

V. , „ der „ Mittelfingerspitze 

IX. * „ des „ Hüftbeinkamms 

X. „ „ „ „ Knies 

XI. die grösste „ Schädellänge “ (Nasenwurzel bis Hinterhauptwölbung). 

XII. die grösste „ Schädelbreite* (querer Kopfdurchmesser), 

XIII. der Abstand der Warzenfortsätze (proc. mastoidei) von einander, 

XIV. die „Ohrbreite* (der Abstand der Tragi von einander), 

XV. die Entfernung zwischen beiden Kieferwinkeln (angul. maxill. inf.), 

XVI. die „ Kopfhöhe* (Entfernung von der Scheitel Wölbung bis zur Spitze 
des Kinns), 

XVII. „Gesichtshöhe* (Entfernung von dem Rande des Haares bis zur 
Spitze des Kinns), 

XVIII. die * Beckenbreite“ (weitester Abstand der spin. il. ant. sup.), 

XIX. der Umfang des Kopfs über den Augenbrauen, 

XX. der Umfang des Halses in seiner Mitte, 

XXI. die „Acromialbreite“ (Abstand beider acrom., vorn über den Hals 
gemessen), 

XXII. die Lange des Brustbeins, 

XXIII. die Distanz beider Brustwarzen, 

XXIV. der Umfang der Brust über den Warzen (ohne besondere Berück¬ 
sichtigung des Atemstadiums), endlich 

XXV. der Umfang des Leibes in Nabelhöhe. 

Durch Rechnung wurde sodann ergänzt: 

VI. Länge des Oberarms (Differenz von III minus IV), 

VII. * „ Vorderarms incl. Hand (Difif. von IV minus V), 

VIII. * „ ganzen (linken) Arms (Summe von VI und VII). 

Da in den sechs Jahren durchschnittlich jedesmal über 68 Kinder zur 
Beobachtung kamen, so wurden 68 X 25 X 6 = 10,200 Ziffern festge¬ 
stellt, und da die Untersuchung speziell gleichzeitig auf ein Jahr jüngere 
und ältere Kinder, sowie auf polnische und deutsche, wohlhabende und 
arme, überdurchschnittsgrosse und unterdurchschnittskleine Kinder ausge¬ 
dehnt, ausserdem jedes gefundene Durchschnittsmass auf die Körperlänge 
prozentisch reduzirt, die Schädelmasse zu „Indices“ verrechnet wurden, so 
darf taxirt werden, dass in dieser Arbeit die Schlüsse aus über 100,000 
Ziffern niedergelegt sind. 

In den ersten Jahren wurden die Kinder auch noch in arme und wohl¬ 
habende eingeteilt. Verf. mass 

1880: 58 „arme“, 32 „wohlhabende“ Kinder, 

1881: 53 „ 20 „ „ , zuletzt 

1882: 47 „ 12 * 

Auch die Rassenverhältnisse wurden berücksichtigt (polnische und 
deutsche Kinder). Ferner wurden das religiöse Bekenntnis und die Zahl 
der Geschwister, das Aussehen (Gesichtsfarbe), der Habitus (Gesamteindruck), 


Abstand derselben vom 
Boden, 


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Farbe und Beschaffenheit des Haares, endlich Bau und Wölbung des Brust¬ 
kastens notiert. Weder die Körperlänge, noch der Brustumfang u. s. w. 
zeigten Abweichungen, die yon der Zahl der Geschwister abhängig zu sein 
schienen./ Die Kinder mit verschiedenfarbigen Haaren wiesen in der Körper¬ 
länge und den Schädelmassen keine Abweichungen vom Mittel auf. 

1. Die Körperlänge. Während nach Quetelet die Kinder im 
Schulalter in der ersten Hälfte der Schulzeit jährlich um 6, in der zweiten 
um 5 cm wachsen, fand der Verf. für die 6 Jahre an den von ihm unter¬ 
suchten Kindern ein Wachstum von 28,3 cm, also für’s Jahr durchschnitt¬ 
lich von 4,7 cm. Diese Zahlen bleiben um 0,7 cm für’s Jahr gegen die 
Quetelet’sehen zurück; dagegen waren die ersten absoluten Ziffern nicht 
unbeträchtlich höher und werden erst später durch das stärkere Wachs¬ 
tum überholt. Entweder haben wir es hier mit nationalen (Rassen-) Ver¬ 
schiedenheiten oder mit einem schädlichen Einflüsse regelmässigen Schulbe¬ 
suchs zu thun. 

Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht der Körperlängen nach 
den Messungen verschiedener Forscher (aus verschiedenen Ländern): 

Die Körperlänge beträgt 



nach 

Qnetelei 

nach 

Pagliui 

nach 

Bowdikb 

nach 

Rokerti 

nach 

Beieke 

nach 

1*1- 

n&nn 

nach 

Lud* 

bffger 

bei 6 jährigen Knaben 


_ 


_ 


_ 

106,9 

. 7 . 


— 

116 

114,3 



112,9 

. 8 , 

116,2 

— 

121,3 

119,3 

116 


117,3 

. 9 . 


— 

126,1 

125 

122,1 

128,5 

122,1 

.10 . 


126,3 

131 

128,3 

128 

mEEEm 

125,4 

. 11 . 

■K 

128,1 

135,1 

130,8 

133,4 

135 

130 

. 12 , 

K El 

132,1 

139,4 

134,6 

138,4 

139,9 

135,2 

. 13 . 

IfjgJ 

137,5 

144,5 

142 

143 

143,1 

139,9 

Wachstum von 6—13 Jahren 

37,7 

_ 

ca.33 

ca.33 

38,6 

_ 

32,3 

, . 10—13 , 

15 

11,2 

13,5 

13,7 

15,1 

12,3 

14,3 

„ für’s Jahr 

5,3 

3,7 

o,5 

5,5 

5,5 

3,0 

4,6 


Zwischen deutschen und polnischen Kindern fand Verf. bezüglich der 
Körperlänge keinen Unterschied; deutlicher prägte sich der Einfluss der 
gesellschaftlichen Lage aus. Verf. fand die Körperlänge 


bei den wohlhabenden 
1880: 108,9 
1881: 114,5 
1882: 119,6 


bei den armen Kindern 
106,1 cm 
111,4 cm 
116,7 cm 


Die Kinder wohlhabender Bevölkerungskreise kommen kräftiger, grösser 
zur Schule, aber trotz der Fortdauer der besseren Ernährung ist ihr Wachs¬ 
tum während der — ersten — Schuljahre kein grösseres. 

2. Die Klafterbreite ist fast durchweg gleich der Körperlänge. 
Der Unterschied zwischen ihr und der Körperlänge beträgt: 


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- 195 — 


im 6. Jahre im 7. im 8. im 9. im 10. im 11. im 12. im 13. 

bei Quetelet + 0,2 + 0,3 + 0,4 + 0,6 + 0,8 + 1,0 + 1,3 + 1,5 • 

in Posen — 0,6 + 0,3 +0,1 +0,1 - 0,4 - 0,4 + 0,2 + 1,3 


3. Wir lassen nun die Tafel des Verf.’s folgen, in welcher die oben 
angegebenen Masse in Beziehung gesetzt sind teilweise zur Körperlänge 
(1=100), teilweise zur grössten Schädellänge (XI =100): 








196 


Der Leibesumfang wird im Alter der Schulpflicht im Verhältnis zur 
Körperhöhe immer kleiner; er wächst absolut um 1,17 cm im Durchschnitt 
jährlich. Das Wachstum der Beckenbreite folgt vollständig der Längenent¬ 
wickelung des Skelets. 

Der Kopf wächst in allen seinen Durchmessern und Umfängen weit 
langsamer als der Körper. Die „ Schädellänge “ zeigte .sich bei deutschen 
und polnischen, armen und wohlhabenden Kindern gleich gross. Das Wachs¬ 
tum der Schädels geht unabhängig von dem der Körperlänge und nach 
eigenen Gesetzen vor sich; seine Prozentziffer erscheint bei grossem Menschen¬ 
schlag klein, bei kleinen Menschen gross; die absolute Grösse kann bei 
beiden gleich gross sein. 

Die Schädelbreite wächst im Alter der Schulpflicht so gut wie gar 
nicht, ebenso wenig der Abstand der Warzenfortsätze und die Ohrbreite. 
(Tragi sind die kantigen Vorsprünge vorn über den Ohrläppchen, die.auf 
der Innenfläche mit den Ohrhärchen bekleidet sind.) 

Die Gesichtshöhe wächst während des Schulalters beträchtlich stärker 
als alle anderen Kopfmasse. Das eigentliche Schädeldach, die obere 
Wölbung des Kopfes bis zum Haarrand wächst im Schulalter 
überhaupt nicht. Auch die Entfernung zwischen den beiden Kiefer¬ 
winkeln (XV) vergrössert sich während des Schulalters nur äusserst gering¬ 
fügig. 

Bei unsem Schulkindern herrscht nach den Messungen des Verf.’s die 
Hyper-Brachycephalie vor. 

Der Umfang des Kopfes (XIV) wächst in den Schuljahren stetig und 
nicht unbedeutend, doch im Verhältnis weit langsamer als die Körperlänge. 

Die vordere Akromialbreite (XXI) wächst im vollkommenen Einklang 
mit dem gesamten Körper. Die Entfernung der Brustwarzen (XXIII) ist 
regelmässig fast ganz genau gleich der Hälfte der Akromialbreite. Auch 
der Brustumfang (XXIV) wächst im vollsten Gleichmass zum Fortschritt 
der Körperlänge. Es beträgt nach Verf. 

die Brustwarzen-Entfernung etwa ll,5°/o der Körperlänge, 
die Akromialbreite „ 23°/o „ „ 

der Brustumfang „ 46 4- 3 bis 3,5 = 49—49,5°/«. 

Der Brustumfang ist auch nach Rekruten-Messungen fast genau gleich der 
halben Körperlänge. 

Schliesslich lassen wir die Tafel des Verf.’s folgen, welche gibt die 

Zusammenstellung der gesamten Durchschnitts-Masse: 


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197 — 



B 







13 J. 

Zunc 

von 

6—13 J. 

ihme 

für’s 

Jahr 

I 

106,9 

112,2 

117,3 

122,1 

125,4 

130 

135.2 

139,2 

32,3 

4,6 

11 

106,3 

112.5 

116,9 

122,2 

125 

129,6 

135,4 

140.5 

34,2 

4,8 

III 

84,1 

88,9 

91,3 

97.3 

100,6 j 

104,7 

109,6 

114,2 

30,1 

4,3 

IV 

64,5 

68,5 

71,4 

74,6 

77,2 

80,5 

84,2 

87 

22,5 

3,2 

V 

36,8 

39,5 

«,i 

43,7 

45,7 

47,7 

49,9 

51,5 

14,7 

2,1 

V1H 

47,3 

49,4 

50,2 

53.6 

54,9 

57,0 

59,7 

62,7 

15,4 

2,2 

IX 

60 

64,1 

67,4 

70,8 

72,8 

76,5 

80,6 

84,3 

24.3 

3,4 

X 

1 29,5 

32 

32,6 

34 

34,9 

36,3 

38.7 

40,4 

10,9 

1,5 

XI 

! 16.5 

16,6 

16,7 

16,5 

17 

17.1 

17,2 

17,5 

1 


XII 

13,7 

14,5 

14,3 

14,5 

14,5 

14,6 

14.6 

14,5 

0,8 

_ 

XIII 

n 

11,1 

11,1 

ii.i 

11,2 

11.6 

11,7 

11,6 

0,6 

— 

XIV 

— 

12 

11,3 

11,1 

11,2 

11,4 

11,4 

11.7 

— 

— 

XV 

9 

9,3 

9,2 

9,3 

9,4 

9,5 

9,5 

9,7 

0,7 

— 

XVI 

20,7 

20,8 

20,9 

21,2 

21 

21,4 

21,3 

21,7 

1 

— 

XVII 

14,7 

14,7 

14,9 

15,4 

15,7 

15,6 

16,1 

16,5 

1,8 

0,2 

XVIII 

— 

18,2 

18,9 

20 

20,7 

21,5 

21,9 

22,7 

— 

0.75 

XIX 

50,9 

51 

51,3 

51,7 

51,8 

51,9 

52,3 

52,3 

1,4 

0.2 

XX 

24,9 

25,4 

26 

26,3 

26,7 

27 

27,9 

29,1 

4,2 

0,6 

XXI 

24.9 

26.2 

27,3 

28,2 

28,7 

29,9 

30.8 

32,3 

7,4 

1 

XXII 

12.3 

12,5 

12,6 

! 13,7 

12,7 

13 

13,3 

15,7 

3,4 

0,5 

XXIII 

— 

13,2 

13,7 

14 

13,9 

15 

15,4 

15,7 


0,4 

XXIV 

54,8 

55,4 

58 

60,2 

61,9 

63.7 

65 

69 

14,2 

2 

XXV 

52,3 

53 

54 

55.2 

56,6 

57,1 

58,7 

60,5 

8,2 

1 


Die gesamte Untersuchung des Verf.’s bezieht sich auf Knaben; was 
wir bisher über die entsprechende Entwickelung der Mädchen wissen, ist 
recht ungenügend trotz des dringenden wissenschaftlichen wie praktischen 
Bedürfnisses solcher Untersuchungen. W. 

Ueber die körperlichen Uebnngen. Journal d'hygtäne, 6. Sept. 1888, 
enthält eine Besprechung der körperlichen Uebungen, worin vor einer kritik¬ 
losen Anwendung derselben gewarnt wird. Zunächst hat man sich die 
Frage vorzulegen, was man dadurch bezwecken will. Würde man bei 
einem geistig überbürdeten Schüler das Gleichgewicht mit körperlichen 
Uebungen herstellen wollen, die ihrerseits neue geistige Thätigkeit und 
Anstrengung erfordern, wie z. B. Reiten, Fechten u. dergl., so würde 
man vermuthlich gerade das Gegentheil von dem erreichen, was man be¬ 
zwecken wollte. Also in solchen Fällen die leichteren und so zu sagen 
automatischen Uebungen, wie Zimmergymnastik, gewisse Spiele, Spazier¬ 
gänge und anderes der Art, das die Muskeln ermüdet ohne die Aufmerk¬ 
samkeit in Mitleidenschaft zu ziehen. Wo man dagegen mehr erregend 
wirken will, bei geistiger Trägheit und körperlichem Wohlbefinden, da 
passen mehr die schwierigeren Turnübungen an Geräthen, die hohe Reit¬ 
schule, der Fechtunterricht, Rudern u. a. m. P elm an. 

Volks-Br&usebad nach Dr. Lassar's System. Errichtet in Frankfurt a. M. 
von Börner & Go. in Berlin. Gesundheits-Ingenieur: 1889 No 3. 

Die ganze Anlage bildet ein regelmässiges Achteck, dessen einge¬ 
schriebener Kreis rund 10 m Durchmesser hat. Um einen innern gleich- 


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198 — 


falls achteckigen Raum von 3 m Weite, in welchem Rauchfang, Wasser¬ 
behälter, Leitungsröhren und die erforderlichen Leitern untergebracht sind, 
sind die Badezellen derartig strahlenförmig angeordnet, dass sie zusammen 
im Grundriss einen 2 */* m breiten achteckigen Ring bilden. Durch Ver¬ 
bindung der entsprechenden Ecken der äusseren und inneren Begrenzungs¬ 
wand dieses Ringes entstehen 8 gleiche trapezförmige Räume. Von diesen 
wird ein Raum zum Waschen der Badewäsche benutzt, während die übrigen 
7 Räume durch weitere Trennungswände in je zwei trapezförmige Bade¬ 
zellen von 2 */* m Tiefe und 1 m mittlere Breite getheilt werden. Rings 
um diese Zellen läuft ein 1 m breiter Gang, in welchem, angrenzend an den 
Waschraum, zwischen den beiden getrennten Eingängen für Männer und 
Frauen ein kleiner Kassenraum liegt, und in welchem ausserdem mehrere 
Wäscheschränke und zwei Aborte angeordnet sind. Von den 14 Zellen 
sind vorläufig 10 Stück für Männer und 4 Stück für Damen bestimmt. Dieses 
Verhältnis lässt sich durch Verschiebung der im Umlaufsgange befindlichen 
Trennungswand beliebig verändern. 

Jede der 14 Zellen enthält zwei Räume gleicher Tiefe, den vorderen, 
weiteren Raum zum An- und Auskleiden und dahinter den eigentlichen 
Baderaum. Ueber jedem Baderaume ist in 2,4 m Höhe ein kleiner Be¬ 
hälter angebracht, welcher für jedes Bad eine bestimmte Menge wannen 
Wassers aus dem Hauptbehälter selbstthätig aufnimmt. Es genügen 30 
bis 40 1 Wasser, um die Brause, je nach der Einstellung, 1 */• bis 2 V» 
Minuten in Thätigkeit zu setzen. Der Badende kann die Brause jederzeit 
abstellen und wieder einstellen, jedoch kann er niemals mehr warmes 
Wasser verbrauchen, als für ein Bad bestimmt ist. Kaltes Wasser kann 
er dagegen in beliebiger Menge zusetzen. 

Der Haupt-Wasserbehälter wird selbstthätig durch die Wasserleitung 
gespeist. Die Vorrichtung zur Erwärmung des Wassers, sowie die Heiz¬ 
kammer für die Luftheizung sind im Keller untergebracht. 

Die Wände bestehen aus Gementplatten mit eingelegtem Drahtgeflecht 
(System Monier). In der Aussenwand liegt zwischen zwei derartigen Plat¬ 
ten von 6 und 4 cm Stärke eine 3 cm starke Luftschicht. Das Gebäude 
ist mit Rautenzink eingedeckt. 

Die Gesammtkosten, einschl. Inventar, haben 20,000 Mark betragen. 
Für jedes Bad mit Seife und Handtuch werden, wie bei dem Musterbade 
auf der Berliner Hygiene-Ausstellung, 10 Pfg. entrichtet. Gontrolle wird 
durch Nummerirung der Seifenstücke geübt. Fl dm. 

Städtische Bade- and Desinfections • Anstalt in Magdeburg. Von Stadtbau¬ 
rath Peters. Deutsche Bauzeitung 1889, Nr. 14. 

Die auf dem Grundstücke des Magdeburger Krankenhauses errichtete 
Anlage setzt sich zusammen aus einem Volksbrausebad nach Dr. Lassar’s 
System, einem Baderaume für scrophulöse Kinder und einer Desinfections- 
anstalt. Die Benutzung der drei Tlieile ist vollständig, unabhängig von 
einander. 


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— 199 - 

ln die Brausehalle, welche 16 m lang, 6,8 m breit und 7 m hoch 
ist, führen von der grossen Schulstrasse aus zwei getrennte Eingänge für 
Männer und Frauen. Zwischen den beiden Eingängen liegt die Kasse. Die 
Badehalle enthält 12 Männer- und 8 Frauenzellen, ausserdem einen Trocken¬ 
raum für Wäsche und zwei Aborte. Die 1,25 m breiten Zellen bestehen 
aus einem 0,8 m tiefen Auskleideraume und einem durch einen wasser¬ 
dichten Vorhang davon getrennten 1,6 m tiefen Baderaume. Nach dem 
Gange hin ist der Auskleideraum durch einen Vorhang aus grobem ge¬ 
musterten Leinen abgeschlossen. Die einzelnen Zellen werden durch 2 m 
hohe Wellblechwände, und die Männer- und Frauenabtheilung durch eine 
3 m hohe Wellblech wand von einander getrennt. Die umschliessenden 
Mauern sind mit Gement geputzt, der Fussboden ist asphaltirt. 

Jede Zelle enthält ein Sitzbrett auf eisernem Rahmen, einige Kleider¬ 
haken, Spiegel und Seifennapf, sowie einen Lattenrost unter der Brause. 

Die Erwärmung wird durch Dampf aus dem Kesselhause des städtischen 
Krankenhauses bewirkt, zur Lüftung dienen, abgesehen von grossen, hoch 
angebrachten Fenstern, zwei Sauger und eine Dachlaterne mit stellbaren 
Lüftungsklappen. 

Die Bäder kosten am Samstag und Sonntag 5 Pfg. und an den 
übrigen Tagen 10 Pfg. Im vorigen Sommer sind wöchentlich 800 Karten 
zu 5 Pfg. und 1100 Karten zu 10 Pfg. gelöst, darunter etwa der fünfte 
Theil von Frauen. Deckung der Unkosten, sowie eine angemessene Ver¬ 
zinsung der Bausumme erscheint vollständig gesichert. 

Der überwölbte Baderaum für scrophulöse Kinder enthält fünf Bade¬ 
wannen und hat einen besonderen Zugang vom Garten des Krankenhaus- 
Grundstückes aus. 

Die Desinfections-Anstalt hat von einander getrennte Zu- und Abgänge 
in der Marstallstrasse. Die Einrichtung der beiden durch Rietschel und 
Henneberg in Berlin aufgestellten Apparate entspricht ganz der Berliner 
Desinfectionsanstalt in der Reichenbergerstrasse. 

Mit dem Volksbade ist die Desinfections-Anstalt durch einen kleinen 
Vorraum verbunden, der gleichzeitig das Waschgefäss zur Reinigung der 
Badewäsche enthält. 

Die gesammten Baukosten betragen 58,000 Mk., von denen etwa 
20,000 Mk. auf das Volksbad entfallen. Fldm. 

La Prostitution en Italie. Vortrag gehalten in der Sitzung vom 9. März 1888 

der „Soci6t6 franqaise d’Hygiäne* von dem Generalsecretär der Gesellschaft 

Dr. de Pietra Santa. Journal d’Hygi&ne 1888. Nr. 599. p. 127 ff. 

Dieser Vortrag, zu welchem dem Vortragenden das Material von den 
Professoren Pelizzari in Florenz und Tommasi Crudeli in Rom zugestellt 
wurde, enthält eine Darstellung der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung 
der Prostitution in Italien, sowie der neuerdings gemachten Reform Vorschläge. 

Eine einheitliche gesetzliche Regelung der Prostitution in Italien wurde 
mit dem Jahre 1860 eingeführt. Darnach sollten nachweislich Prostituirte 


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200 — 


in besondere Polizeilisten eingetragen werden. Die eingeschriebenen Dirnen 
haben sich zweimal wöchentlich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen; 
zudem werden die in Bordellen befindlichen Frauenzimmer einer besonderen 
ärztlichen Ueberwachung unterworfen. Die Ausführung dieser Massregeln 
geht aus von einem „Gesundheitsamt“ (ufficio sanitario), zusammengesetzt 
aus einem Vertreter des Chefs der »öffentlichen Sicherheit (pretore), einem 
oder mehreren Aerzten und einigen Sicherheitsbeamten (guardie). Solcher 
Gesundheitsämter gibts in den mehr wie 8000 Gemeinden Italiens un¬ 
gefähr 300. Findet der Arzt bei seiner Untersuchung im Amt oder im 
Bordelle eine Dime syphilitisch erkrankt, so händigt er derselben einen mit 
dem Visum des Vorstehers des Gesundheitsamtes versehenen Schein ein 
zur Aufnahme in das Syphilishaus. Es gibt 20 solcher staatlicher Syphilis¬ 
häuser in Italien, und zwar 13 in besonderen Gebäuden, 7 in Nebengebäuden 
von Gefängnissen. 

Die Zahl der eingeschriebenen und von den Gesundheitsämtern über¬ 
wachten Dirnen beträgt in ganz Italien etwa 10,000 (1 auf 3000 Einwohner); 
daneben gibts aber nach niedrigster Schätzung noch 45—50,00D heimlich 
Prostituirte. Die Einnahmen der Gesundheitsämter für die ärztlichen Unter¬ 
suchungen betragen etwa 600,000 Lires, die Gesammtausgaben für diese 
Aemter und die Syphilishäuser insgesammt gegen 1,600,000 Lires. Der 
Staat hat also für diese Ueberwachung der Prostitution jährlich eine Million 
aufzuwenden. 

Im Jahre 1883 liess das italienische Parlament den Stand der Prosti¬ 
tutionsfrage in Italien durch eine königliche Commission, in welche die an¬ 
erkannt hervorragendsten Sachverständigen auf medicinischem, hygienischem, 
Verwaltungs- und Rechtsgebiete berufen waren, untersuchen. Auf Grund 
des umfassenden Berichtes dieser königlichen Commission berief im Januar 
1888 der Ministerpräsident Crispi eine neue Commission, bestehend aus 
zwei Deputirten, einem Staatsrath und zwei Professoren von Rom und 
Palermo, damit diese nunmehr Vorschläge zu einer verbesserten geregelten 
Ueberwachung des öffentlichen Anstandes und der Prostitution machten. 

Die Gründe gegen die bisherige Regelung der Frage waren folgende : 

1) Die gesetzliche Regelung vom Jahre 1860 sei eine Beleidigung der 
öffentlichen Moral und des Rechtes. 

Diese nur auf das Weib anwendbaren Vorschriften sprächen im Princip 
dessen moralisch und rechtlich tiefere Stellung in der Gesellschaft aus. 
Der Staat übe gegen eine beschränkte Zahl von Weibern ein System von 
Ueberwachung und Unterdrückung aus, obwohl es hinlänglich feststehe, 
dass die patentirte Prostitution eine Verminderung der Unzucht und Ver¬ 
kommenheit nicht herbeiführe? zudem aber auch die viel erheblichere Zahl 
der heimlich Prostituirten sowie der vornehmen Prostituirten gar nicht ge¬ 
troffen werde. 

Ein gleiches Ziel sollten die öffentliche Moral und das Gesetz haben. 
Nun vermöge keinerlei Gesetzgebung die Unzucht zu unterdrücken, es fehle 
aber auch eine bestimmte juristische Erklärung des Begriffes der erlaubten 


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201 


Prostitution. Der Staat könne aber nicht etwas regeln wollen, was gesetzlich . 
überhaupt nicht zugelassen sei. 

2) Die gesetzliche Regelung übe auf die öffentliche Verwaltung einen 
verderblichen Einfluss aus. 

Sehr leicht vermindere die gesetzliche Ueberwachung der Prostituirten 
das moralische Gefühl der damit beauftragten Beamten. Die lefeteren be¬ 
dürften trotz ihrer weitgehenden Befugnisse doch der Vermittlung und Be¬ 
kanntschaft mit Personen aus der untersten Schichten der menschlichen 
Gesellschaft (Kuppler, Zuhälter und Freudenmädchen). Jeder Missbrauch, 
der so ausserordentlich leicht und oft eintrete, werfe aber ein schlechtes 
Licht auf einen öffentlichen Dienst, der doch mehr wie jeder andere sich 
der zweifellosen Achtung und Werthschätzung erfreuen müsste. 

3) Die gesetzliche Regelung von 1860 erreicht nicht die gesundheit¬ 
lichen Erfolge, welche sie sich zum Ziele steckt. 

Der Hauptgesichtspunkt, welcher vom hygienischen Standpunkt der 
öffentlichen Ueberwachung zu Grunde liege, sei die Verhütung von Syphilis 
durch obligatorische prophylaktische Untersuchung der Freudenmädchen 
und die Zwangsbehandlung im Erkrankungsfalle. Sollen diese Unter¬ 
suchungen wirksam sein, so müssen sie unbedingt auf alle Prostituirten 
ausgedehnt werden. Jetzt erstrecke sie sich aber nur auf die eingeschrie¬ 
bene patentirte Prostitution, die viel umfangreichere heimliche Prostitution 
würde nicht getroffen, und was die vornehme Prostitution betreffe, so 
werde sie stets unerreichbar bleiben. Ganz und gar ohnmächtig sei aber 
das Reglement gegenüber der Verbreitung der Syphilis durch das männliche 
Geschlecht. Endlich würden die beiden grossen Quellen der Infection, 
welche neben der directen Ansteckung durch geschlechtliche Berührung 
wirksam seien: nämlich die Vererbung der Lues sowie die Ansteckung durch 
das Nähren an der Brust durch jene Regelung in keiner Weise vermindert. 

Ein gleichmässiger vermindernder Einfluss auf die Ausbreitung der 
Syphilis in Italien sei denn auch thatsächlich nicht erreicht worden. Auf 
4884 diesbezügliche Anfragen an italienische Gemeinden antworteten 4105. 
Darunter sind 

318 welche grosse Verbreitung der Syphilis constatiren, 

1891 welche versichern, die Krankheit sei in ihrem Gebiet selten, 

1866 welche meinen, sie existire gar nicht bei ihnen. 

Der Dienst und das Personal in den Gesundheitsämtern lasse viel zu 
wünschen übrig. Ganz besonderer Tadel aber trifft die staatlichen Syphilis¬ 
hospitäler. Dieselben reichten nur hin, einen Theil der erkrankten einge¬ 
schriebenen Dirnen aufzunehmen. Männer werden gar keine dort auf¬ 
genommen, und an Syphilis erkrankte Frauen, seien sie anständige oder 
verderbte, hüteten sich vor diesen Anstalten, aus Furcht vor dem unaus¬ 
löschlichen Brandmal der patentirten Prostitution. Um die syphilitischen 
Kinder endlich kümmere sich Niemand. 

Aus allen diesen Gründen beschloss die Commission im Jahre 1883 
daher mit Einstimmigkeit folgende beiden Hauptsätze: 

CentralbUtt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 14 


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— 202 


1) Die prostituirten Weiber sollen fortan weder einer Einschreibung, 
noch der vorbeugenden oder pflichtmässigen ärztlichen Untersuchung unter¬ 
worfen sein. 

2) Die Jedem aus dem Publikum offenstehenden Häuser, in welchen 
von verschiedenen Personen die Prostitution ausgeübt wird, müssen als 
gefährliche, ungesunde und schlechte Orte betrachtet und daher im öffent¬ 
lichen Interesse überwacht werden. 

Auf Grundlage dieser beiden Sätze sind nunmehr die gesetzgeberischen 
Vorschläge der Commission von 1888 erfolgt. Der erste Theil derselben 
behandelt die Ahndung der Verstösse gegen die guten Sitten. Der zweite 
Theil betrifft die Ueberwachung der Bordelle. Die Besitzer oder Besitzerinnen 
der Freudenhäuser werden hier besonders verantwortlich gemacht für Ver¬ 
stösse gegen die Vorschriften. An Orten, wo grosse Mengen von Soldaten, 
Matrosen und Arbeiter sich befinden, und wo die niedrigsten Bordelle sich 
oft in wahre Heerde syphilitischer Ansteckung verwandeln, kann die Sicher¬ 
heitsbehörde, selbst auf das Einschreiten der Militärärzte hin, regelmässige 
ärztliche Untersuchungen anordnen. Der dritte Theil enthält die Massregeln 
zum Schutz von Bordellinsassinnen, welche zu einem anständigen Lebens¬ 
wandel zurückzukehren wünschen. Im vierten Theil werden die Massregeln 
zur Verhütung resp. zur Heilung der Syphilis vorgeschrieben. Es handelt 
sich im Wesentlichen um öffentliche ärztliche Freistunden zur Behandlung 
venerischer Erkrankungen, mit gesonderten Zeiten für Männer, Frauen und 
Kinder. Mit Armenschein versehene Personen erhalten Arzneien umsonst. 
Die Aerzte, welche in diesen Freistunden ordiniren, haben das Recht, 
syphilitisch Erkrankten Scheine zur kostenlosen Aufnahme in die betreffende 
Abtheilung der Hospitäler auszustellen. Die Kosten für dies alles hat der 
Staat zu tragen. 

Man darf gespannt sein, inwieweit diese Vorschläge und damit die ge- 
sammte Umgestaltung der Regelung des Prostitutionswesens in Italien zum 
Gesetz erhoben werden. Schmidt-Bonn. 

Vorschlag zur Regelung der Prostitution. Revue sanitaire de Bordeaux. 

25. Mai 1888. 

Aus einem Vortrage, den Deloynes, Prof, der Rechtslehre an der 
Universität zu Bordeaux, in der Gesellschaft für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege daselbst im Mai 1888 gehalten hat, geht hervor, dass man auch in 
Frankreich der Regelung der Prostitutionsfrage wieder einmal näher ge¬ 
treten ist. Darüber, dass etwas geschehen muss, sind sich die Gelehrten 
einig, auch wohl im Allgemeinen über das was, — Unterdrückung jeder 
freien Prostitution, Kasernirung der Dirnen in öffentlichen Häusern — aber 
das wie, das ist die grosse Frage. 

Bestrafen der Strassendimen, das ist bald gesagt, aber der Jurist weist 
nach, dass man unmöglich ein und dieselbe Handlung einmal als ein Ver¬ 
gehen bestrafen und das andere Mal dulden könne. Ausserdem würde das 
Beweismaterial so schwierig herbeizuschaffen und die Folgen eines immer- 


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— 203 - 


hin möglichen Irrthums so verhängnisvolle sein, dass der Richter wohl 
kaum anders als freisprechen werde. Was von rechtlicher Seite möglich 
sei, wäre bereits gescheiten, Neues auf diesem Wege nicht mehr zu er¬ 
warten. Allenfalls liesse sich gegen die Wirthschaften, Tingeltangel u. dergl. 
Institute, die bekanntlich am aller verderblichsten wirken, auf dem Wege der 
Gesetzgebung schärfer Vorgehen. — Man könne die Strafen in Einklang mit 
der Schwere des Vergehens bringen. 

Von Interesse ist die Mittheilung, dass für Paris eine Polizeiverfügung 
vom Jahre 1778 noch heute in Kraft ist, wonach es allen Hauseigen¬ 
tümern untersagt ist, öffentliche Dirnen in ihrem Hause zu dulden. Wer 
das heutige Paris kennt, wird nicht behaupten wollen, dass diese Ver¬ 
fügung viel geholfen habe. Es ist eben gerade bei der Prostitution viel 
leichter, klug zu reden als wie klug zu handeln, und das richtige Mittel 
soll noch gefunden werden. Pelm an. 

Ueber die Uebertragung der Syphilis. Journal d'hygi&ne. 30. Aug. 1888. 

Einer der häufigsten Einwürfe die uns gemacht werden, wenn es sich 
um die Prophylaxe der Syphilis handelt, ist der. es sei ja nicht nötliig, 
sie zu bekommen, Niemand der sie nicht haben wolle, brauche sie sich 
zu erwerben. 

Demgegenüber hat der Professor C. Pellizari aus Florenz an der 
Hand eines grossen Materials einige Entstehungsursachen der Syphilis einer 
eingehenderen Untersuchung unterzogen, und daraus geschlossen, dass jener 
Einwurf nichts weniger als gerechtfertigt sei und die Gefahr der An¬ 
steckung auch für den Gerechten ebenso gut bestehe, wie für den Un¬ 
gerechten. 

Die klinischen Beobachtungen, auf welche er sich stützt, können unter 
3 Hauptpunkte gebracht werden, und zwar 

1. Uebertragung der Syphilis auf die Ammen, 

2. Erworbene Syphilis der Kinder, 

3. Aussergeschlechtliche Uebertragung auf Erwachsene. 

Die Uebertragung der Krankheit von dem Säugling auf die Amme 
ist eine häufige und um so gefährlichere, als die Art des Giftes eine be¬ 
sonders verderbliche ist und die Ansteckung von der Amme fast ausnahms¬ 
los weiter getragen und in der eigenen Familie oder in fremden ver¬ 
breitet wird. 

Dasselbe ist bei den Säuglingen der Fall, wo die Ansteckung durch 
Küsse, durch Waschschwamm und Klystirspritze erworben und weiter ge¬ 
tragen wird. 

Und endlich kann jeder Gegenstand, mit dem ein Syphilitischer in Be¬ 
rührung gekommen ist, die Pfeife, das Glas u. a. m. zum Ausgangspunkte 
einer Ansteckung werden, von der man doch schwerlich behaupten kann, 
dass das unglückliche Opfer ein Verschulden seiner Krankheit treffe. 

Man sollte nun glauben, dass Pellizari zu dem Schlüsse kommen 
würde, es sei Pflicht des Staates, einer solchen Gefahr auf jede Weise ent- 


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204 


gegenzutreten, und wenn gerade das Gegentheil der Fall ist, so werden 
wir uns darüber wundern. 

Anstatt dessen will er durch Verbreitung *der Kenntnisse über die 
Krankheit wirken, und ausserdem fordert er die Provinzen, Gemeinden und 
Städte auf, über das Problem der Prophylaxe weiter nachzudenken. Unseres 
Erachtens ist darüber zur Genüge nachgedacht, der Worte sind nachgerade 
genug gefallen und es ist Zeit, dass wir auch Thaten sehen. p e i man 

Dehio, Untersuchungen über den Einfluss des Kaffee’s und Thee’s auf die 
Dauer psychischer Vorgänge, Dissert. Dorpat, 1888. 

Durch Messung der Reactionszeiten unter Benutzung anerkannter Me¬ 
thoden hat Dehio nachgewiesen, in welcher Beziehung die geistig erregenden 
Wirkungen des Kaffee’s und des Thee’s sich sowohl untereinander wie von der¬ 
jenigen des Alkohols unterscheiden. Alle drei Mittel beschleunigen zunächst 
die psychische Thätigkeit; aber der Alkohol übt seine anfänglich beschleu¬ 
nigende Wirkung wesentlich auf die Bewegungs-Effecte, auf die Auslösung 
von Willenshandlungen aus, während er die Wahrnehmungsvorgänge sehr 
bald verlangsamt. CoffeYn und im höheren Grade der Thee bewirken da¬ 
gegen eine beschleunigtere und zugleich nachhaltigere Auffassung äusserer 
Eindrücke und Verknüpfung derselben zu complicirteren Vorsteliungsgruppen, 
ohne gleichzeitig zu notorischen Entladungen zu treiben. Die Messungen 
des Verf.’s, welche hoffentlich noch weitere Ergänzungen erfahren werden, 
sind von grosser hygieinischer Bedeutung, da sie unsem anderweitigen Er¬ 
fahrungs-Anschauungen über obige Genussmittel zur Bestätigung dienen. 
Wenn der Alkohol die Hemmungen und Sorgen wegräumt, uns muthig 
und übermüthig, zu unüberlegten Streichen geneigt, aber zu ernster Ge¬ 
dankenarbeit unfähig macht, so erhält uns der Theegenuss bei andauernder 
geistiger Anstrengung wach und aufmerksam und erleichtert uns die Auf¬ 
fassung sonst ermüdender Einzelheiten. Beim chronischen Alkoholmissbrauch 
sehen wir dementsprechend auch eine fortschreitende Abnahme der psychi¬ 
schen Hemmungen, der Selbstbeherrschung, einen Zerfall des Charakters, 
.des moralischen Haltes, sich herausbilden, während der habituelle Thee¬ 
genuss niemals derartige Störungen, sondern höchstens Schlaflosigkeit und 
etwa neurasthenische Zustände im Gefolge hat. Aus der viel geringeren 
Wirkung des CoffeYn in verhältnissmässig starker Dosis gegenüber dem 
Thee schliesst D., dass die Theewirkung nicht wesentlich durch den CoffelCh- 
gehalt bedingt sei, sondern dass offenbar noch anderen Bestandteilen dabei 
eine massgebende Bedeutung zukommen müsse. Finkelnburg. 

Josef Körösi. Die Sterblichkeit der Stadt Budapest in den Jahren 1883 
bis 1885 und deren Ursachen. (Bd. XXII der Publikationen des stat. 
Bureaus des Hauptstadt Budapest.) Berlin, 1888. 168 Seiten. 

Das statistische Bureau von Budapest gibt neben einer allgemeinen 
Jahresübersicht über die Mortalitätsverhältnisse Budapests (in den nur un¬ 
garisch erscheinenden, jetzt im 16. Jahrgang stehenden Monatsheften) je 
einen mehrere Jahre umfassenden Gesammtband seit 1872 heraus, dessen 


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205 


4. uns heute vorliegt. Er enthält, um Körösi wörtlich zu citiren, „nur 
Ziffemmaterial ohne erläuternden Text“. Wesentliche Verbesserungen 
gegen früher sind vornehmlich in den Alterstabellen zu finden: Das erste 
Lebensjahr ist nicht bloss in seine Quartale, sondern in di§ 12 Monate, 
das 2. in die 4 Vierteljahre aufgelöst. Auch noch andere Erweiterungen hat K. 
in diesem Bande vorgenommen, wie Referent pag. 6 und 7 nachzulesen bittet. 

Die stattliche Reihe der Tabellen aber bietet auch nicht annähernd 
den Vortheil, den wir daraus zu ziehen hofften. Vor allen Dingen fehlt es 
an procentuarischen Bestimmungen mit Ausnahme der Tabelle auf Seite 3, 
wo die Sterblichkeit von 1868—1885 in einzelnen Jahren nach Civil- und 
Militärbevölkerung in ihrer Summe und in ihrem Procentsatz zur Einwohner¬ 
zahl abgehandelt wird und einer Accessittabelle über die Temperatur¬ 
verhältnisse (pag. 8 und 9), wo die Abweichung der Temperatur der 

2. Nachmittagsstunde von dem täglichen Mittel ausgerechnet ist. Diagramme 
(in Curven- oder Flächendarstellungen) oder Kartogramme suchen wir ganz 
vergeblich in dem Werke. Das Plus an Arbeit und wohl auch an noth- 
wendig werdenden Arbeitskräften wird dadurch gerechtfertigt, dass . der 
Hygieniker, der Nationalökonom, der Philanthrop das Buch erst dann mit 
Vortheil lesen werden, wenn die grosse Zahlenphalanx durch procentua- 
rische Umrechnung ihnen näher gerückt ist. Der Segen also geklärter Ar¬ 
beit, im Lichte der Vergleichung beleuchteter Zahlen kommt doch in erster 
Reihe Budapest zu Gute. 

Was nun gar das Verzeichniss der Todesursachen betrifft, den rothen 
Faden, der sich in so vielen Tabellen dieses Buches als fundamentales 
Moment vorfindet, so ist dieser Faden leider herzlich fadenscheinig. Er 
bedarf der Durchsicht eines geschulten Arztes. Hätte man doch das Ver¬ 
zeichniss der Todesursachen benutzt, wie es auf Grund der vom III. inter¬ 
nationalen Gongresse angenommenen Bezeichnungen z. B. im klin. Recept- 
Taschenbuch (Wien, Urban und Schwarzenberg, 1889) steht. Wir wollen 
nur Weniges zur Begründung unseres, Manchem wohl zu hart erscheinen¬ 
den Urtheils citiren: Unter den 26 „namhafteren Todesursachen finden wir 
als drei getrennte Nummern: 1. Vitia cordis org., 2. Morb. Brighthii, 

3. Hydrops. So sind oft Symptome mit Krankheiten confundirt, und gerade 
denen, deren Hauptsymptome sie sind, gleichgestellt „Excitatio“, Psycho- 
pathia, Myelopathia, Neuropathia sind getrennt klassificirt. Auch die la¬ 
teinische Orthographie ist arg vernachlässigt: P h t y s i s glandularis (pag. 59), 
Phymosis, Disaenteria. 

Ferner finden wir S. 56 Z. 5 v. u. bei 7 Verstorbenen Ulceratio 
intestini, S. 57 Z. 9 v. o., in derselben Rubrik bei 2 Verstorbenen Ulcus 
intestini. Das ist ein böser Lapsus. 

Wenn mit grösserer Sorgsamkeit diese Zusammenstellungen im steten 
Connex mit Aerzten ferner ausgearbeitet werden, so ist zu hoffen, dass in 
der nächsten Publikation, die K. uns von jetzt ab in stets 5jährigen Inter¬ 
vallen verspricht, wir obigen Fehlern nicht mehr begegnen. 

Nervi bei Genua. Julius Pauly. 


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— 206 — 


Verzeichnis» der bei der Redaktion eingegangenen neoen Bicher etc. 

Arnold, Jules, Mädecin Inspecteur de Tarmde, Professeur d’hygiene ä la faculte 
de m6decine de Lille, membre correspondant de l’acadümie de medecine. 
Nouveaux-^lements d'Hygi&ne. Deuxiöme Edition. Mis au courant de la 
science. Avec 272 figures dans le texte. Paris, Bailltere et fils, 19 nie 
Haute-feuille, pr6s du boulevard SainbGermain. 1889. 

Brunner, Dr. med. Conr., Sekundärarzt der chirurgischen Klinik zu Zürich, 
Dr. Johannes Conrad Brunner, das Leben eines berühmten Schweizer Arztes 
im siebenzehnten Jahrhundert. Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei 
A. G. (vormals J. F. Richter) 1888. M. —.60. 

Custor, Dr. med. Gustav, prakt. Arzt und Docent der Gesundheilslehre am 
Eidg. Polytechnikum in Zürich, Ueber Beziehungen der Gesundheitspflege 
zu Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer des Menschen. Antritts¬ 
vorlesung, gehalten im S.-S. 1888. Zürich, Schröter & Meyer, 1888. 

Ebersold, Friedrich, Näbrgehalt der Nahrungsmittel graphisch dargestellt 
für Schule und Haus. Ein Beitrag zur Volksgesundheitspflege. 2. verbesserte 
Auflage. Bern, Schmid-Frank & Co. M. 1.25. 

Gsell Fells, Dr. med. Th., Die Bäder und klimatischen Gurorte Deutschlands. 
II. Abtheilung: Die Bäder vom Bodensee, von Württemberg, Bayern, Thü¬ 
ringen und Harz. Zürich, Caesar Schmidt, 1888. 

Mikrotherapie, die Behandlung der Erkrankung des Menschen mit Alcaloiden. 
Von einem älteren praktischen Arzte. Hamburg, P. Jenichen, 1889. 

Reel am, weil. Prof. Dr. Carl, Das Buch der vernünftigen Krankenpflege. 
Praktische Winke und Belehrungen für Leidende und Genesende. Mit theil- 
weiser Benutzung von (unterlassenen Aufzeichnungen desselben, zu Ende 
geführt von Dr. med. J. Ruff, Redakteur der Zeitschrift ,Gesundheit 4 und 
Brunnenarzt in Karlsbad. Mit 40 in den Text gedruckten Abbildungen. 
Leipzig, C. F. Winter’sche Verlagsbuchhandlung, 1889. M. 5.—. 

Reel am, Prof. Dr. Carl, Das Buch der vernünftigen Lebensweise. Eine po¬ 
puläre Hygieine zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. 3. unver¬ 
änderte Auflage. Leipzig, C. F. Winter’sche Verlagsbuchhandlung 1889. M. 5.—. 

Uffelmann, Prof. Dr. J., Direktor des hygienischen Instituts der Universität 
Rostock, Hygienische Topographie der Stadt Rostock. Auf Veranlassung 
des Rostocker Vereins für öffentliche Gesundheitspflege herausgegeben. Mit 
einer Karte und 2 Skizzen. Rostock, Wilh. Werteres Verlag, 1889. M. 6.—. 

Verzeichniss der Sommer-Aufenthaltsorte in Oberösterreich nach der Aufnahme 
vom Mai 1888. Herausgegeben und verlegt vom Verein der Aerzte Oesterreichs. 
1888, Linz, Commissionsverlag der F. J. Ebenhöch’schen Buchhdlg. M. —.80. 

Zrödlowski, Dr. Ferdinand, Prof, an der Universität Lemberg, Die Kranken¬ 
häuser. Die Fürsorge für Arme und insonderheit die Versorgungshäuser. 
Leipzig, Otto Wigand, 1889. 

Gesundheit. Zeitschrift für öffentliche und private Hygiene. 1888 Nro. 23/24, 
1889 Nro. 2. 

Impfzwanggegner, Organ des deutschen Impfzwanggegner-Vereins. 1889 Nro. 2. 
Dr. med. Heinrich Oidtmann, Linnich. 

International Journal of Surgery. 1889 Nro. 1/3. Ferdinand King. M. D. Publisher 
P. 0. Box 587. 95 William St.. New-York U. S. A. 

Medizinische Monatsschrift von Dr. A. Seibert. Band 1, 1889, H. 1/3. New-York, 
Verlag der Medical Monthly Publishing Company. 17 to 27 Vandewate 
Street Nr. 9. 


NB. Die für die Leser des * Centralblattes für allgemeine Gesundheitspflege“ 
interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung an die Herren 
Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der beschränkte Raum dieser 
Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine Verpflichtung zur Besprechung 
oder Rücksendung nicht besprochener Werke wird in keinem Falle übernommen; 
es muss in Fällen, wo aus besonderen Gründen keine Besprechung erfolgt, die 
Aufnahme des ausführlichen Titels, Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises 
an dieser Stelle den Herren Einsendern genügen. 

Die Verlagshandlung. 


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Ein Streifzug 

durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. 

Von 

C. K. Aird. 

(Warschau.) 


Es liegt eine ganze Sammlung von verschiedenartigen, flüch¬ 
tigen Notizen vor mir, welche ich in einem zusammenhängenden, 
sie alle umfassenden Artikel verarbeiten möchte, und ich sehe mich 
genöthigt, als Erklärung für die gleichzeitige und darum gedrängte 
Behandlung eines so vielseitigen Stoffes ein kurzes Wort voraus¬ 
zuschicken. 

In dem gewaltigen Federkrieg, welcher um die Entscheidung 
wichtiger Städtereinigungsfragen während einer ganzen Reihe von 
Jahren in Deutschland tobte, und in welchem von manchem stillen 
Arbeitsstübchen aus so reichlich Geist und — Gift verspritzt ist, 
sind die Hauptschlachten nun definitiv geschlagen worden. Frei¬ 
lich nicht grade in den Arbeitsstuben der Gelehrten, sondern draussen 
in der Welt, im Versammlungssaal der weisen Stadtvertreter und 
endlich — nicht nur mit Federn, sondern mit Picken, Schaufeln, 
Maurerkellen — draussen auf der offenen Strasse und vor der 
Stadt auf freiem Feld. 

Danzig wurde in kurzer Frist kanalisirt, das war eine erste, 
vielgerühmte That. Berlin, die Millionenstadt der Deutschen, folgte, 
ein neuer und zweifelsohne noch viel gewaltigerer Schlag. Bres¬ 
lau, Hamburg, Frankfurt gleichfalls, und überall entschlossen sich 
die Stadtväter für das nämliche System und sie nöthigten so den 
Geistern, die da stets verneinten, die eigene innere Ueberzeugung 
auf, dass ihre Gegenvorschläge für Städte solcher Grösse entweder 
veraltet oder noch nicht reif erschienen. 

Inzwischen ist abermals eine Reihe von Jahren vergangen 
und es ist wieder still geworden, still namentlich im gegnerischen 
Lager. Und wenn nun heute ein neues umfangreiches Werk er¬ 
scheint, welches die gesammte Städtereinigungsfrage in erster Linie 
vom hygienischen Standpunkt aus beleuchtet, so kann man sich 
wohl endlich auf eine ruhige unparteiische Behandlung dieses 
überaus wichtigen Gegenstandes gefasst machen, und um so mehr, 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 15 


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— 208 — 


wenn der Verfasser durch seine Lebensstellung in keiner Weise 
an dem Gedeihen und der Fortentwicklung eines einzelnen Städte- 
reinigungs-Systems persönlich interessirt ist. Ein solches Werk ist 
wenigstens in einer völlig neuen Auflage in neuerer Zeit erschie¬ 
nen *); nur nicht in Deutschland, sondern in England, und das ist 
hier wahrlich zweierlei. 

So lange der Verfasser dieser Zeilen sich mit dem Studium 
der Städtereinigungsfragen befasst, liegen ihm Bewegungen, die in 
England auf diesem Felde gemacht wurden, ebenso nahe, wie jeder 
Fortschritt in dem Deutschen Reich und immer, immer wieder 
musste er sich davon uberzeugen, dass die Handhabung dieser 
grossen Fragen in beiden Staaten grundverschieden ist. In der 
That, ich bin jetzt auch durchaus der Meinung, dass sich in einer 
so abweichenden Auffassung und Behandlung volkswirtschaftlicher 
Fragen dieser Art ein Unterschied im Nationalcharakter wieder¬ 
spiegelt; eine Meinungsäusserung, die sich einer näheren Begrün¬ 
dung und Erörterung an dieser Stelle allerdings entzieht. Es ist 
für mich eine feststehende Thatsache, dass man auf jeder Seite 
eigene Wege wandelt und dass es Jedem nützlich sein muss, die 
Schwierigkeiten des Anderen zu beachten. Und damit ist die Ent¬ 
stehung der folgenden Zeilen schon erklärt. 

Es handelt sich darum, die Auffassungen und Gegensätze, die 
in Deutschland und England zur Geltung kamen, in einem zwang¬ 
losen Streifzuge zu vergleichen. Die Anregung zu einem solchen 
Aufsatz gab eben die Lecture des genannten englischen Werkes, 
und indem ich diesem als einem Führer folge, suche ich den eng¬ 
lischen Erfahrungs- und Beobachtungs-Resultaten gelegentlich die 
deutschen gegenüberzustellen; diese letzteren sind aber nicht 
einem besonderen, publicirten deutschen Werk entlehnt, sondern 
ich verweise auf ganz beliebige Erscheinungen der neueren Zeit 
und bringe ausserdem nur Einiges, aus eigenen flüchtigen Notizen, 
die ich im Lauf der letzten Jahre machte und die wohl auch be¬ 
scheidenen Forderungen, so hoffe ich, genügen werden. 


I. 

Die Herren Prof. Corfield undDr. Parkes bieten in ihrem 
Werk eine sehr eingehende Beschreibung der in England gebräuch¬ 
lichen Städtereinigungs-Systeme, eine Zusammenstellung der mit 
diesen bisher gemachten Erfahrungen und ferner eine ebenso aus¬ 
führliche Schilderung der einzelnen Methoden, welche bisher zur 
Beseitigung, Unschädlichmachung oder Verwerthung städtischer 


1) The Treatment and Utilisation of sewage, by W. H. Corfield. M. A., 
M. D. etc. etc. and Louis C. Parkes. M. D. — London, 1887. MacmillauACo. 


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— 209 


Kanalwässer eingeschlagen wurden. Fast ausnahmslos erfolgen 
diese Betrachtungen allein vom hygienischen Standpunkt aus; über 
die Kosten der einzelnen Anlagen und des aus diesen sich er¬ 
gebenden Betriebes sind allerdings gleichfalls häufig Mittheilungen 
gemacht, doch können solche Preisansätze kaum eine Anwendung 
auf deutsche oder ausserenglische Verhältnisse erfahren. Es muss 
dann ferner auch hervorgehoben werden, dass viele der citirten 
Begutachtungen entschieden sehr veraltet sind. Mit Meinungs¬ 
äusserungen aus den Jahren 1840—1870 ist uns heute nicht mehr 
gedient, oder erscheint es wohl glaublich, dass unsere ganze gleich- 
mässig beschleunigte Entwicklung in cultureller Beziehung etwa 
20 Jahre lang geschehen könnte, ohne einen wesentlichen Einfluss 
auf derartige Systeme, auf die Möglichkeit einer profitablen Ver- 
werthung derselben in sanitärer Hinsicht, oder gar auf die Calcu- 
lation der Betriebskosten eines vor jenen 20 Jahren aufgekommenen 
Systems zu üben? — Es ist aber gar nicht meine Absicht, auf 
solche Einzelheiten näher einzugehen. Wer wenig Zeit hat muss das 
kürzeste Verfahren wählen, und ich habe also nur einige Schwächen 
des Werkes für Interessenten obenhin erwähnt, eben weil ich die 
Zeit nicht habe, die wesentlichen Vorzüge des Buches im Einzelnen 
gebührend zu besprechen. 

Die Schrift wird eröffnet mit einer Geschichte der Entwicklung 
der Abtrittsgruben, und die Verfasser begründen die Nothwendig- 
keit dieser Aufzeichnung von mancherlei historischen Denkwürdig¬ 
keiten mit dem Hinweis auf die Thatsache, dass das Fehlerhafteste, 
das völlig abgethan und überwunden schien, leicht wieder auf¬ 
lebt, ja selbst als neu, empfehlenswerth und vorteilhaft in den 
Vordergrund geschoben wird, falls abschreckende Beispiele nicht 
gründlich festgenagelt werden. Das klingt allerdings recht eigen¬ 
tümlich, die Richtigkeit indessen lässt sich kaum bestreiten. Noch 
kürzlich lernte ich z. B. einen durchaus gebildeten älteren Herren 
kennen, der ein ihm gehöriges grosses Grundstück nach allen Re¬ 
geln neuzeitlicher Kunst kanalisiren liess. Als aber die beabsich¬ 
tigte Einrichtung einiger Hofclosets für den allgemeinen Gebrauch 
mit festem Sitz, Geruchverschluss und Spülapparat zur Sprache 
kam, da fielen dem Betreffenden die Hockaborte ein, welche er 
vor vielen Jahren unter den Seine-Brücken zu Paris gesehen hatte, 
woselbst nämlich für das grösste Publikum direkt über dem Wasser¬ 
spiegel unr eine eiserne Fussplatte mit einem runden Brillenloch placirt 
ist. Und nun sollte ihm durchaus nach diesem Muster ein Hock¬ 
abort errichtet werden, ja, als ihm erklärt wurde, ein solcher pri¬ 
mitiver Abort sei ja völlig vorschriftswidrig, eine gusseiserne Closet¬ 
schale mit Wasserspülung müsse er mindestens acceptiren, da 
verlangte er, dass diese Closetschale wenigstens in den Boden ein¬ 
gelassen und oben mit einer eisernen Platte jener Art bekleidet 


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— 210 - 


würde, es sollte unbedingt zum „Hocken“ sein. — Des Menschen 
Wille ist sein Himmelreich, für uns Alle aber ist es jedenfalls ein 
Segen, dass diese Art von Culturkrebsen noch zu den Seltenheiten zählt! 

Was nun die Gruben-, Tonnen- und Eimersysteme anbelangt, 
so sehe ich keine Möglichkeit, dieselben als „Städtereinigungs- 
Systeme“ gelten zu lassen, denn sie erfüllen — selbst abgesehen 
von der Müll- und Kehrichtabfuhr — bei Weitem nicht den ganzen 
Zweck eines solchen, und dass eine ausgedehnte Grubenanlage 
in der Mehrzahl der Fälle sogar als ein „Verunreinigungssystem“ 
betrachtet werden muss, hat die Erfahrung längst gelehrt. Aber 
das Studium aller Eigenschaften und das Hervorsuchen von Vor¬ 
zügen aller dieser einzelnen Methoden bleibt immerhin von grösster 
Wichtigkeit, denn grade mit diesen schwachen Mitteln dort, wo es 
sein muss, der öffentlichen Gesundheitspflege einen Dienst zu leisten, 
das ist eine Kunst und ein Verdienst. — Gegenüber dem Gruben¬ 
system muss ein richtig in Betrieb gehaltenes Tonnen- und Eimer¬ 
system in jedem Falle als ein gewaltiger Fortschritt gelten, denn 
es ermöglicht eine grössere Reinhaltung des Bodens, was nament¬ 
lich in ländlichen Orten im Hinblick auf oft nahgelegene Brunnen¬ 
schächte von hervorragender Bedeutung ist. Dem weiteren angeb¬ 
lich grossen Vorzug einer nothgedrungenen häufigeren Abfuhr der 
Fäkalien steht aber der Schreiber dieses schon recht misstrauisch 
gegenüber, seitdem er Reihen von gefüllten Abtrittstonnen in 
Kellern auf die Abfuhr warten sah. Als gemeinsame Schäden 
aller hierhergehörigen Methoden sollen nur hervorgehoben werden: 
die Unannehmlichkeit und Unbequemlichkeit der Abfuhr, wodurch 
sie sich in feineren Stadttheilen ganz unmöglich machen; der schon 
betonte Mangel einer Beseitigung aller Schmutz- und Abfallstoflfe; 
der geringe Düngerwerth der letzteren *), der Mangel einer Regu¬ 


li Ueber englische Erfahrungen beim Verkauf der abgefahrenen Fäkalien 
finden sich in dem Corfield’schen Werk reichliche Anhaltspunkte. Es wird 
unterschieden zwischen unvermischten, in Tonnen oder Eimern gesammelten 
Fäkalien und solchen menschlichen Exkrementen, welche in Aschenclosets oder 
Müllgruben mit Hauskehricht oder sonstigen Abfällen (namentlich Asche) ver¬ 
mengt worden sind. Bezüglich der letzteren wird berichtet, dass unter ^eng¬ 
lischen Städten, welche diese vermischten Abfallstoffe ausfahren, nur 3 einen 
Gewinn durch den Verkauf erzielen können; in der Regel aber verursacht die 
Unterbringung derselben jahrein, jahraus recht grosse Kosten. 

Den unvermischten Fäkalien wird ein wesentlich grösserer Düngerwerlh zu¬ 
geschrieben und die Möglichkeit, durch den Verkauf einen Gewinn zu erzielen, 
nicht bestritten. 

Die günstigsten Erfahrungen, welche bisher in Deutschland mit der Abfuhr 
und dem Verkauf von reinen Fäkalien gemacht sind, wurden allem Anschein 
nach in Stuttgart erzielt. (Näheres cf. Ges. Ing. 1. Sept. 1888). Von dem 
grössten Einfluss auf den Erfolg eines solchen Unternehmens sind selbstverständ¬ 
lich: die Organisation des Betriebes (zwangsweise Grubenentleerung in bestimmten 
Intervallen!) und die vielseitigen Lokal Verhältnisse. 


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211 


lirung des Grundwassei Standes und der Umstand, dass diese 
Systeme der Anwendung des empfehlenswertesten Closets, des 
Wasserclosets, so hinderlich sind. In letzterer Beziehung werden 
von den Vertretern des Systems allerdings schon häufig Zuge¬ 
ständnisse gemacht — ein wenig Spülwasser dürfe wohl verwen¬ 
det werden — doch erscheint es überflüssig, hierüber weitere 
Worte zu verlieren. 

Grössere Städte besitzen wohl ausnahmslos ein System von 
alten Strassenkanälen, welches zur Abführung von Haus- und 
Regenwasser bestimmt ist, von welchem aber die menschlichen 
Exkremente auf das „allerstrengste ausgeschlossen“ werden. Die 
Bewohner geben sich alle Mühe, an letzteren Umstand selbst zu 
glauben oder doch den Nächsten von der Trefflichkeit der Einrich¬ 
tung zu überzeugen, wobei es für den Einzelnen vor Allem uner¬ 
lässlich ist, mit grösster Vorsicht zu verschweigen, dass in seinem 
eigenen •Hause eine Umgehung des Gesetzes längst ermöglicht 
wurde. Und auf Grund solchen allgemeinen Glaubens an die Vor¬ 
trefflichkeit der hohen Polizei, die so strenge auf die Erfüllung 
der „Sanitätsgesetze“ achtet, wird dann behauptet, dass die städ¬ 
tischen Abwässer wesentlich reiner seien, als die der neuerdings 
schwemmkanalisirten Städte, und dass sie deshalb unbedenklich in 
einen Flusslauf geleitet werden dürften. Ganz abgesehen davon, 
dass längst die Hinfälligkeit dieser Auffassung nachgewiesen wurde, 
da städtische Kanal wässer, selbst da, wo Exkremente factisch aus¬ 
geschlossen sind, noch nahezu dieselbe Menge an schädlichen Sub¬ 
stanzen mit sich führen, möchte ich hier ein Beispiel aus der 
Praxis vorführen, das allerdings in seiner Art durchaus nicht 
einzig dastehen dürfte, welches aber jedenfalls die Art der Ein¬ 
haltung der einschlägigen Polizeigesetze vortrefflich illustriren wird. 

Warschau wird gegenwärtig kanalisirt, und zur Zeit meiner 
Geschichte galt dort für die Ausführung von Hauskanalisationen 
eine Reihe von recht sorgfältig ausgearbeiteten und weitgehenden 
Bestimmungen; wie weit dieselben aber eingehalten wurden, das 
steht auf einem anderen Blatt geschrieben. — Der Besitzer eines 
schönen grossen Grundstückes hatte nun sein Haus schon einige 
Jahre vor Einführung der neuen Kanalisation entsprechend dem 
damaligen Verständniss der örtlichen Unternehmer-Firmen kanali- 
siren lassen und wünschte jetzt, dass seine Anlage von seiten der 
Kanalisationsbehörden abgenoinmen und zum Anschluss an das 
neue Strassensiel zugelassen werde. Ich selbst erhielt den Auf¬ 
trag, die Beschaffenheit der bestehenden Anlagen zu untersuchen 
und über den Befund unter Beifügung von Plänen Bericht zu er¬ 
statten. An Ort und Stelle wurde mir im Voraus mitgetheilt, die 
Anlage sei von vornherein so eingerichtet worden, dass alle 
menschlichen Exkremente von den übrigen zum Abfluss kommen- 


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den Gewässern streng geschieden würden. — Das hoch und eng¬ 
bebaute Grundstück hatte zwei kleine Höfe. Der grössere von diesen 
war sauber asphaltirt und zeigte an seiner Oberfläche die Zugänge zu 
nicht weniger als drei gemauerten Regeneinläufen, drei gemauerten 
Revisionsbrunnen und einer grossen Cloakengrube. Nach erfolgter 
Aufnahme aller einzelnen Abfluss-Leitungen wurden diese in einen 
Plan des Grundstückes eingetragen, und es bot sich den Blicken 
ein ganz lächerliches Gewirr von Linien. Noch nie ist mir so viel 
Eisenrohr in einem so kleinen Hof begegnet; kreuz und quer über¬ 
einander fort liefen die Leitungen und an Rohrmaterial war hier 
gewiss das Dreifache von dem, was wirklich nöthig ist, verbraucht. 
Die ganze Anlage machte ungefähr den Eindruck, als sei sie von 
einem Geisteskranken projectirt; und doch, es war hier offenbar 
Alles darauf angelegt, die Regen- und Hausabwässer stets einem 
von den Revisionsbrunnen zuzuführen und diese waren dann wieder 
untereinander durch andere Leitungen verbunden, bis endlith unter 
manchem Zickzack der Abfluss nach dem alten Strassensiel erfolgte. 
Die Closetröhren dagegen führten ausnahmslos direct zu der einen 
grossen Abtrittsgrube. 

Die letztere liess ich öffnen, um mich von der Zahl der ein¬ 
mündenden Röhren zu überzeugen: im Ganzen vier, das stimmte 
mit der Zahl der aufgefundenen Fallrohren im Inneren des Ge¬ 
bäudes. Von persönlich nicht weiter interessirten Miethern hatte 
ich nun die Versicherung erhalten, die Grube sei seit reichlich 
einem Jahr ganz sicher nicht mehr ausgepumpt; aber von einer 
Abflussleitung aus dieser Grube ergab sich nirgends eine Spur 
obwohl man ganz speciell nach dieser suchte. Merkwürdig! es 
war doch so ein einfaches Rechenexempel: An drei Fallrohren 
habe ich zusammen 10 Closets gesehen; jedes hat ein Spülreservoir 
von 9 Liter Inhalt: macht 90 Liter. Gesetzt, jedes Closet würde 
nur 3mal täglich benutzt und gespült, so habe ich 2701 oder pro 
Monat 81001 resp. 8,1 cbm. Die Grube selbst hat aber einen nutz¬ 
baren Raum von höchstens 4 cbm; wie vermag sie also den Zu¬ 
fluss von einem ganzen Jahr zu fassen? — Ich stand vor einem 
Räthsel und dachte einen Moment an eine fabelhafte Durchlässig¬ 
keit der Grube. Diese Verniuthung erwies sich sofort als hinfällig, 
denn die Grube selbst war ziemlich neu und innen recht gut mit 
Gement verputzt. Ausserdem war anzunehmen, dass sich gewiss 
in den umliegenden Kellern etwas gezeigt haben würde, wenn so 
bedeutende Wassermengen hier Jahr für Jahr versickert wären. 
Nun, glücklicherweise, kam mir der Zufall bald zu Hülfe, indem 
er mir gerade denjenigen Rohrleger in die Arme führte, der diese 
Anlage seiner Zeit auf höheren Befehl verbrochen hatte. Jetzt 
mochte ihm nichts mehr daran liegen, das Geheimniss länger zu 
bewahren, und so erfuhr ich denn, dass eine der Closetzufluss- 


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— 213 — 


leitungen zu der Grube mitten im Erdreich, völlig unsichtbar und 
unzugänglich einen Abzweig hatte, durch welchen die Cloakengrube 
direkt in Verbindung mit dem Hauptrohr stand, welches alles 
Haus- und Regenwasser aus den Revisionsbrunnen nach dem alten 
Strassensiel zu leiten hatte. Und dies nach einer so mühsamen 
und kostspieligen Trennung der Fäkalien von den Hausabwässern! 
Das eine Closetrohr, welches zwar auch zur mitten auf dem Hof 
placirten Grube führte, in welches aber der erwähnte geheime 
Abzweig eingeschaltet war, wurde mit einem für Warschauer Ver¬ 
hältnisse ungewöhnlich schwachen Gefalle verlegt. Selbstverständ¬ 
lich entleerte dieses Rohr seinen Inhalt überhaupt nicht in die 
Grube, sondern direkt durch den Abzweig nach dem Haupt- 
Entwässerungsrohr. Wurde aber andrerseits in der Closetgrube 
durch den Zufluss aus den übrigen Leitungen eine Stauung hervor¬ 
gerufen, so traten die Grubeuwässer durch das andere „Zufluss“- 
Rohr dem schwachen Gefälle entgegen aus der Grube heraus und 
kamen so gleichfalls durch den verhängnisvollen Abzweig in das 
Strassensiel zum Ueberlauf. 

Gewiss, dieser Streich war raffinirt in’s Werk gesetzt; wenn 
aber die Sanitätspolizei, deren Sache es nun einmal ist, die Be¬ 
folgung der von ihr erlassenen Gesetze zu überwachen, nicht min¬ 
destens ebenso raffinirt zu handeln weiss, so genügt sie auch nicht 
den Anforderungen, welche mit vollem Recht an sie zu stellen 
sind. Gegeben sind Sanitätsgesetze massenhaft, sie nützen uns 
aber herzlich wenig, so lange die Polizei ihre Befolgung nicht er¬ 
zwingen kann. Alle Arbeit fachmännischer Vereine wie der 
einzelnen Sachverständigen, alle eifrig discutirten und mühsam 
aufgestellten Thesen, alle so entstehenden hygienischen Verord¬ 
nungen und Gesetzentwürfe bleiben illusorisch, so lange es nicht 
gelingt, in der Praxis eine ernste Ueberwachung der „in Kraft 
getretenen Gesetze“ durchzuführen. 

Gleichviel ob ein solcher Ueberlauf aus einer Abtrittsgrube 
nach dem Strassensiel offen oder heimlich hergestellt ist, „es bleibt 
dabei“, sagt Prof. C o r f i e 1 d, „dass durch eine solche Verbindung das 
ganze Princip der Abtrittsgruben aufgegeben wird, und es ist 
schlechterdings nicht einzusehen, welche Existenzberechtigung die 
letzteren dann überhaupt noch haben, zumal sie die Unreinheit 
der Kanalwässer in demselben, wenn nicht in noch höherem Maasse 
steigern, als würden die Wasserclosets direkt mit dem Kanal ver¬ 
bunden.“ 

Es ist, wie wir wissen, gar nicht lange her, dass die deut¬ 
schen Vereine für öffentliche Gesundheitspflege ihre so verdienst¬ 
liche Maulwurfsarbeit zu Gunsten neuer und schärferer Sanitäts¬ 
gesetze erst begannen, und die Thatsache, dass es in der neuesten 
Zeit schon Sanitätsgesetze förmlich regnet, ist ein doppelt erfreu- 


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— 214 


liches Zeichen; denn sie beweist ja einerseits, wie viel diese Ver¬ 
eine mit ihrer Arbeit schon erreichen konnten, und andrerseits, 
wie gern die deutschen Regierungen in neuerer Zeit geneigt sind, 
den Bestrebungen gemeinnütziger Vereine zu begegnen. Und wenn 
sich nun in meinen heutigen Zeilen trotz alledem ein unzufriedener 
Geist verräth, so mögen sich die Urheber der neuen Sanitäts¬ 
gesetze einstweilen etwa damit trösten, dass es unmöglich ist, 
es Allen recht zu machen; dass erfahrungsgemäss die Umsicht, 
Leistungsfähigkeit und Kraft des Einen durch die continuirlichen 
Angriffe des Gegners wachgehalten und meist sogar gesteigert 
wird, oder, dass eine Partei, die nur das Gute will, am wirksam¬ 
sten grade durch die Rührigkeit einer Opposition auf der Höhe 
ihrer Aufgabe gehalten werden kann. 

Nach dem Studium einer Reihe von Sanitätsgesetzen neuesten 
Datums muss ich sagen: Sie lesen sich ohne Zweifel ausgezeichnet, 
aber ich bin noch lange nicht Optimist genug, um mir von solchen 
Erlässen einen Erfolg, wie ich ihn wünsche, zu versprechen; dazu 
sind diese Bestimmungen meist zu weitgehend und zu detaillirt; 
es riecht zu sehr nach Theorie, als dass man an eine wirksame 
Durchführung derselben in der Praxis auch nur vorübergehend 
glauben könnte, und das Auftauchen solcher Sanitätsgesetze ist 
dann ein Scheinerfolg, durch welchen höchstens die verdienstlichsten 
Bestrebungen vorzeitig abgelenkt werden von einem in Wirklichkeit 
noch lange nicht erreichten Ziel! — Frankreich hat ja längst vor¬ 
zügliche Sanitätsgesetze und namentlich auch sehr detaillirte Be¬ 
stimmungen für die erforderliche Beschaffenheit und Behandlung 
der „fosses fixes“ wie der „fosses mobiles“, aber genau befolgt 
sind diese — fast möchte ich behaupten: nie! Und unter den 
neuen deutschen sehr richtigen und berechtigten Gesetzen findet 
sich sehr Vieles, was man gewissermassen auch nur aufgeschrieben 
hat, damit man jederzeit beweisen könne, dass es da ist — so 
oft dies nämlich auch von nun an noch bezweifelt werden wird. 

Fälle, z. ß. wie der von mir aus Warschau mitgetheilte, sind 
auch in England seit Jahrzehnten in grosser Anzahl vorgekommen 
und sie haben dort einen schwerwiegenden Einfluss auf Entschlüsse 
neuerer Zeit geübt , ). Fälle, wie der erwähnte, sind auch in 
Deutschland an der Tagesordnung, trotzdem das Verbinden der 
Abtrittsgruben mit alten Strassenkanälen fast überall verboten ist, 
und sie werden noch lange an der Tagesordnung sein. Ich selbst 
habe seit längerer Zeit die Anwendung derartiger Sanitätsgesetzc 
mit grossem Interesse überwacht, und ich muss gestehen, dass die 
dreiste Art, mit der sie überall umgangen werden, die Offenheit, 


1) cf. Aird: „Ein Rückblick auf die Kanalisation von London*. Central¬ 
blatt f. allgemeine Gesundheitspflege. Jahrgang 1887, Heft 1, Seite 31. 


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mit der man dies als selbstverständlich hinstellt und mit der man 
die betreffenden Gesetze als Weisheit auf Papier bezeichnet, mir 
stets wie eine Verhöhnung unserer Polizei erschien. Dass Der¬ 
artiges aber selbst in Deutschland möglich ist, liegt daran, dass 
viele Gesetze den Bedürfnissen des praktischen Lebens noch 
nicht genügend angepasst sind, und infolgedessen erscheinen dann 
die Forderungen in hundert Fällen unerfüllbar. Und was schliess¬ 
lich die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der Sanitäts¬ 
gesetzgebung anbelangt: Ist uns vielleicht damit gedient, wenn 
seitens der Polizei Gesetze veröffentlicht werden, die weit über die 
Möglichkeit einer Ueberwachung in der Praxis hinausgehen, bevor 
es ihr auch nur gelungen ist, die Ausführung der alten bestehen¬ 
den Gesetze wenigstens mit allem Nachdruck durchzuführen? 

Dass städtische Kanal Wässer ohne Beimischung von Fäkalien 
nicht wesentlich unschädlicher sind, als solche, denen Exkremente 
beigemengt sind, und dass sie deshalb von Rechts wegen heute 
schon gereinigt werden müssten, ist wiederholt entschieden worden. 
Gestützt hierauf und unter Berufung auf die eben erfolgte Be¬ 
gründung meiner Meinung von allzuschönen Sanitätsgesetzen, möchte 
ich es der Entscheidung von praktisch denkenden Sachverständigen 
überlassen, ob nicht — da die aus „überflüssigen“ Abtrittsgruben 
stammenden Fäkalien meist nicht einmal in frischem Zustande in 
die alten und in der Regel schlecht gebauten städtischen Kanäle 
kommen, und da aus der Existenz geheimgehaltener und uncon- 
trolirbarer Röhrenleitungen und Verbindungen in sanitärer Hinsicht 
ernste Schäden wohl erwachsen können — ob nicht, sage ich, 
unter solchen Umständen eine geregelte direkte Abführung 
aller Fäkalien auch in die alten städtischen Kanäle zu bevor¬ 
zugen sei. — — 

Unter den zahlreichen Trockencloset-Systemen ist in dem mir 
vorliegenden englischen Werke vor Allen das Erdcloset einer sehr 
ausführlichen Besprechung (40 Seiten) gewürdigt worden, an sich 
ein Beweis von der hervorragenden Stellung, welche diesem hier 
in den Augen der Verfasser zukommt. Die Resultate, zu denen 
die sehr allgemeine Verwendung dieser Closets in Grossbritannien 
und britisch Indien geführt hat, sind nun folgende: 

Selbstthätig wirkende Vorrichtungen, durch welche das Nach¬ 
streuen der trockenen Erde auf hinterlassene Dejectionen bewirkt 
werden soll, haben sich dauernd nie bewährt, und es wird deshalb 
gefordert, dass Jedermann mit eigener Hand und mit Hülfe einer 
kleinen Schaufel das Streuen nach Benutzung des Closets besorge. 
Hieraus und aus anderen praktischen Erfahrungen wird dann der 
Schluss gezogen, dass die Closets sich nur dort in grösserer An¬ 
zahl zur Aufstellung empfehlen, wo sie Menschen dienen, die unter 
der strengsten Ueberwachung stehen; es sollen in Kasernen, Ge- 


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fangnissen etc. thatsächlich dauernd gute Erfolge erzielt worden 
sein. Der Schreiber dieser Zeilen glaubt hierbei allerdings schon 
ein Stück verkehrter Welt zu sehen. Ein Closet muss sich nach 
den Anforderungen der Menschen und nicht die Menschen sich 
nach den Anforderungen eines Closets bequemen, und wenn erst 
die Ueberwachung von Soldaten und Gefangenen u. s. w. sich bis 
auf den Aufenthalt im Abtritt erstrecken soll, so ist es sicherlich 
an der Zeit, die gute, anspruchsvolle Frau Hygieia auf die festen 
Schranken zu verweisen, die sie im praktischen Leben niemals 
überschreiten darf. 

Es wird ferner grosser Werth auf die Beschaffenheit des 
Streumaterials gelegt. Das Bestreuen mit trockener Erde macht 
die Dejectionen nicht unschädlich, sondern es trocknet sie nur aus. 
Eine nachträgliche Befeuchtung erweckt aber aus den Abfallen 
genau dieselben sanitären Gefahren, welche sonst überall von der 
vollständigen Vernachlässigung oder auch von einer nachlässigen 
Behandlung der Exkremente zu erwarten sind. Es gilt dies den 
Verfassern als eine vollkommen festgestellte Thatsache, und die 
erste von ihnen aufgestellte Forderung ist also die, dass die be¬ 
nutzte Erde wirklich trocken sei, und dass Vorräthe von Streu¬ 
material auch dauernd trocken aufgehoben werden. Es gilt natür¬ 
lich nicht für einerlei, von welchen Erdarten als Streumaterial 
Gebrauch gemacht wird, und findet sich in einem indischen Bericht 
die folgende Skala für den Werth von Erden mitgetheilt. Am 
vortheilhaftesten wirkt: reiche Gartenerde, dann 2) torfartige Erde, 
3) schwarzer Humus, 4) Thone, 5) steife thonige, 6) rothe eisen¬ 
haltige, 7) sandige Erde, 8) Sand. — Ein Umstand, der erfahrungs- 
gemäss die Versorgung ganzer Städte mit Erdclosets unmöglich 
macht oder diese mindestens schon gar nicht mehr vortheilhaft 
erscheinen lässt, ist in der grossen Schwierigkeit einer Beschaffung 
genügender Erdmengen und deren billiger Zu- und Abfuhr zu 
erblicken. Die mitgetheilten abweichenden Angaben und Erfahrungs- 
resullate über die Grösse der erforderlichen Massen hier aber 
wiederzugeben, erscheint ganz zwecklos, da in den einzelnen Fällen 
die Beschaffenheit der Erdart nicht bestimmt ist, während nach 
indischen Erfahrungen z. B. 7 Theile Thon denselben Zweck er¬ 
füllen, wie 17 Theile des um Madras häufigen sandigen Bodens. 
Die hier betonte Schwierigkeit war es wohl auch, die zuerst dar¬ 
auf führte, die einmal benutzte Erde zu trocknen und dann noch¬ 
mals zu verwenden. Es wird sogar vielfach dieselbe Erde drei, 
vier, auch fünf Mal benutzt. Aber vom hygienischen Standpunkte 
aus ist ein solches Verfahren schon wesentlich ungünstiger zu 
beurtheilen, während andererseits die resultirende Mischung 
von Exkrement und Erde einen kaum merklich höheren Dünger¬ 
werth erhält. Schon vor 18 bis 20 Jahren ist in England dahin 


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217 — 


entschieden worden, dass fünfmal benutzte Erde nicht reicher an 
Nährstoffen sei, als gute Gartenerde und dass dieser Dung, wo er 
in grösseren Mengen producirt wird, einen Transport in die Um¬ 
gegend in finanzieller Hinsicht nicht verträgt. Ob das noch heute 
zutriflft, bleibe dahingestellt; die schlechten Erfahrungen aber, 
welche mit sonstigen städtischen Dungfabrikaten in neuester Zeit 
gemacht worden sind, lassen eine in dieser Beziehung eingetretene 
Besserung nicht erwarten. 

So unparteiisch in dem mir vorliegenden Werke die Anwen¬ 
dung der Trockensysteme für grosse Städte auch besprochen wird, 
die persönliche Ueberzeugung der Verfasser kommt schliesslich 
sonnenklar in folgendem Satze zum Ausdruck: „Alle anderen 
Systeme, als die der Beseitigung der Fäkalien durch Wasser, ba- 
siren auf dem Grundsätze, dass es ungefährlich sei, exkrementielle 
Stoffe für eine gewisse Zeit in oder bei dem Hause aufzuspeichern, 
sei es nun im rohen Zustande (Eimerclosets) oder sei es vermischt 
mit irgend welchem Absorbtions- oder Deodorisations - Material 
(diverse andere Closetconstructionen.) Da dieser Grundsatz aber 
offenbar ein falscher ist, so kann man sich über das ewige Fehl¬ 
schlagen der Versuche mit solchen Systemen nicht mehr wundern!“ 

Nein, für grössere Städte können Tonnen- und Eimersysteme 
nicht empfohlen werden, das steht wohl fest. Ebenso sicher aber 
ist es, dass es von grösstem Nutzen wäre, ein einfaches, billiges 
und möglichst allen hygienischen Forderungen genügendes 
System dieser Art zu finden und solches in kleineren Städten 
und Ortschaften mit demselben Ernst und in derselben Weise all¬ 
gemein einzuführen, in welcher in grossen Städten auf Anschluss 
und Betheiligung aller Bürger an den städtischen Kanalisations¬ 
anlagen gehalten wird. Ich will nicht gesagt haben, dass gerade 
eins unter den bestehenden Systemen auszuwählen und dann 
als Muster hinzustellen sei; ich meine vielmehr, dass bei verschier 
denen Lokalverhältnissen verschiedene Systeme sich empfehlen 
werden. Bei einem flüchtigen Studium der bezüglichen Verhält¬ 
nisse in kleinen Städten drängt sich ja bald die Ueberzeugung auf, 
dass die vorhandenen Nachtheile weniger aus dem Fehlen des 
einen besten Systems erwachsen, als hauptsächlich aus der 
Mannigfaltigkeit der vertretenen Abortconstructionen, woraus sich 
für die ganze Stadt ein äusserst unregelmässiger Gesammtbetrieb 
und nur zu oft eine gemeinschädliche Vernachlässigung der einzel¬ 
nen Abtritte ergibt. Wenn also eine solche Stadt die Mittel zu 
einer gründlichen Kanalisirung nicht besitzt, oder wenn aus an¬ 
deren Gründen die rechte Zeit zu einer solchen nicht gekommen 
scheint, so liesse sich doch gewiss durch obligatorische Einführung 
eines einheitlichen, für gut befundenen, billigen Systems ein Betrieb 
schaffen, der regelmässige und reinliche Bedienung und eine Con- 


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— 218 — 


trole aller einzelnen Aborte im Interesse der öffentlichen Gesund¬ 
heit sichert. — Ein bestimmtes System unter den bestehenden zu 
bezeichnen, kann meine Absicht gar nicht sein, da die meisten 
unter ihnen sich leicht so weit verbessern liessen, dass dann alle 
sehr nahe gleichen Werth erhielten, und der Ein wand, den ich 
vorhin im Hinblick auf die Verwendung solcher Systeme zur Rein¬ 
haltung grosser Städte machte, dass sie nämlich eine Unschädlich¬ 
machung der sämmtlichen Abwässer und Abfallstoffe und eine 
Regulirung des Grundwasserstandes ganz vermissen liessen, kommt 
in kleinen Orten schon sehr viel weniger in Betracht. Die- Müll¬ 
und Kehricht-Abfuhr lässt sich dort ganz zweifellos mit einigem 
guten Willen besser arrangiren, als dies in der Regel jetzt der 
Fall ist, und sobald die Nothwendigkeit nur klar erfasst ist, wird 
der gute Wille schwerlich fehlen. Zur Ableitung der Hausabwässer 
in- oder exclusive der Fäkalien haben kleine Städte meist Kanäle 
und es bleibt als eine für sich zu erörternde Frage nur die Mög¬ 
lichkeit einer unschädlichen Beseitigung dieser städtischen Ge¬ 
wässer übrig. 

Zur Beseitigung der Spülwässer eines Dorfes hat man in Eng¬ 
land neuerdings kleine Untergrund - Rieselanlagen für einzelne 
Häusergruppen ausgeführt, bei welchen die Abwässer zunächst in 
einem gemeinsamen Brunnen angesammelt und von den gröbsten 
Schwimmstoffen befreit werden. Ist aber ein gewisses Wasser¬ 
quantum erst vorhanden, so entleert sich der Brunnen selbst¬ 
tätig, ähnlich den bekannten kleinen Spülreservoiren für Closets, 
und er entsendet seinen ganzen Inhalt nach dem unterirdischen 
Rohrsystem, von dessen Verzweigungen aus das Wasser im um¬ 
liegenden Erdreich schnell versickert. Derartige Anlagen zeichnen 
sich durch verhältnissmässige Einfachheit aus und sollen sich recht 
gut bewähren. Was sich aber in englischen Dörfern machen lässt, 
die zu dem Gütcrcomplex eines englischen Grossgrundbesitzers 
zählen, ist leider in Deutschland selten zu erreichen. Mit um so 
grösserer Anerkennung ist das neuerdings vielfach zu Tage tretende 
Bestreben der Landes-Regierung zu begrüssen, welche sich nicht 
mehr damit begnügt, kurz zu befehlen, wenn Verhältnisse schon 
einen unerträglichen Charakter angenommen haben, sondern sich 
— ich erinnere z. B. einzig und allein an das Rundschreiben der 
Kgl. Regierung an die Verwaltungsbeamten des Reg.-Bez. Düssel¬ 
dorf *) — offenbar bemüht, den Stadtverwaltungen mit werth¬ 
vollen Vorschlägen an die Hand zu gehen. Es kann, wie grade 

1) Rundschreiben, betreffend Regelung der Fäkalien-Abfuhr. Düsseldorf, 
11. Mai 1888. Kgl. Reg. Abthlg. d. Innern, (gez.) Königs. — An sämmtliche 
Herren Landräthe, Oberbürgermeister zu Crefeld und Essen und Bürgermeister 
der Stadtkreise. — cfr. Veröfifentl. d. Kais. Ges.-Amtes XII. Nr. 32. Ges. Ing. 
1888. Nr. 19. 1. October. 


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— 219 


in dem soeben citirten Rundschreiben dargethan ist, Bedeutendes 
mit kleinen Mitteln in’s Werk gesetzt werden, und es ist ja so 
viel des Wichtigsten zu leisten! Eine Wanderung z. B. durch 
solche deutsche Dörfer, wie ich sie namentlich in den Provinzen 
Ost- und Westpreussen und der Mark kennen lernte, führt leicht 
zu der Ueberzeugung, dass bei uns von Alters her recht viel ver¬ 
nachlässigt worden ist, und es würde gewiss so manches Dörfchen 
einen sehr viel freundlicheren Eindruck machen, wenn wenigstens 
für eine zweckentsprechende Oberflächen-Entwässerung eine Hand 
sich rührte, wenn nur versucht würde, die überall stagnirenden 
und kaum versickernden Schmutzwässer in Rinnsteinen auf dem 
nächsten Wege aus einem Dorf hinauszuleiten. Die Gassen hier¬ 
durch zu verbessern und gleichzeitig die üblen Ausdünstungen 
alter Schmutzgerinne — die ich wahrhaftig nicht zu den Annehm¬ 
lichkeiten des Landlebens rechne — auf ein wesentlich kleineres 
Maass herabzudrücken, das ist ein nahes und gewiss erstrebens- 
werthes Ziel! 

Ja, diese Ausdünstungen! Auch ihrer vollen Berücksichtigung 
begegnet man in Deutschland erst in der allerneuesten Zeit. Als 
aus England herüber die ersten Klagen in betreff sanitärer Ge¬ 
fahren drangen, die man dort z. B. von dem Eindringen der Kanal¬ 
gase — freilich einer etwas schwerwiegenden Art von Ausdün¬ 
stungen — in die Wohnungen behauptete, da war man in Deutsch¬ 
land offenbar auf diesem Specialgebiet noch nicht genügend 
vorgeschritten, um dem Gegenstand ein irgend tieferes Interesse 
entgegenzubringen. Etwas später nahm man dann die Stellung 
ein: Es sei in der Einwirkung von Kanalgasen eine Unannehmlich¬ 
keit zu erblicken, welcher vorgebeugt werden könne und die 
deshalb auch verhindert werden müsse. Noch heute aber wird 
in deutschen Fachkreisen vielfach die Möglichkeit einer ernsteren 
Gefahr bestritten, und als Vorjahren etliches von jenen echt eng¬ 
lischen Schreckensberichten über die schauerlichsten Seuchen her¬ 
überkam, die einzig und allein durch ein mangelhaft gedichtetes 
Ventilationsrohr und dergleichen hervorgerufen und genährt sein 
sollten — wie grausam hat man damals die Apostel dieser Lehren 
hier verspottet. Dass aber in neuester Zeit grade diese Ausdün¬ 
stungen von der Gesetzgebung in ganz auffälliger und hervor¬ 
ragender Weise berücksichtigt werden *)» beweist doch sicherlich 

1) Man vergleiche z. B.: die Thesen des Herrn Prof. Baumeister (Karls¬ 
ruhe), betreffend „Massregeln zur Erreichung gesunden Wohnens - , aufgestellt in 
der 14. Jahresversammlung des deutschen Ver. f. öffentl. Ges. — Frankfurt a. M., 
13.—15. Sept. 1888. — Ges. Ing. Nr. 19. 1888. 1. Oct. — Ferner: die Polizei- 
Verordnung für den Stadt- und Gemeindebezirk Mühlhausen vom 1. Juni 1888, 
betreffend: .Behandlung menschlicher und thierischer Exkremente und Abfall- 
stoffe*. cf. Ges. Ing. Nr. 20. 1888. 15. Oct. — Verüffentl. d. Kais. Ges.- 
Amts. XII. Nr. 33. 


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— 220 — 


zur Genüge, dass jene Apostel Jünger finden. Und gewiss, es ist 
an der Zeit, dass dem so sei. 

Zunächst will ich das Urtheil der Herausgeber meines Leid¬ 
fadens, der Mediciner Prof. Corfield und Dr. Parkes über 
dieses Kapitel wiedergeben. — Es finden sich Angaben welche 
beweisen, wie seit vielen Jahrzehnten in England schon der un¬ 
erschütterliche Glaube herrscht, dass durch die Einathmung von 
Kanalgasen und sonstigen Ausdünstungen, etwa von faulenden orga¬ 
nischen Substanzen, eine schwerwiegende Prädisposition für manche 
ernste Krankheit geschaffen werden könne. Fragt man nun, ob 
denn dort der Beweis für die Richtigkeit dieser Meinung schon erbracht 
sei, so antworten hunderte von gründlich gebildeten englischen Spe- 
cialisten „Ja“, und dem habe ich nur hinzuzufügen: „Die Thatsache, 
dass der allergrösste Theil grade der hervorragendsten englischen 
Mediciner und Ingenieure noch heute fest derselben Ueberzeugung 
ist, die Andere vor Jahrzehnten hegten, beweist mir vollkommen, 
dass diesen jedenfalls ein Beweis für die Unschädlichkeit 
solcher Ausdünstungen noch nie gebracht sein kann.“ — Man ent¬ 
sendet seit Jahrzehnten ebenso wie heute Lungenkranke nach hoch¬ 
gelegenen Kurorten mit besonders reiner Atmosphäre. Man weiss 
nun aber, dass die Lungenschwindsucht zum Exempel durch einen 
Bacillus verursacht wird. Der Bacillus ist da; die Thatsache einer 
gewaltigen Einwirkung der Luft auf den Bacillus resp. auf die 
menschliche Gesundheit wird dadurch aber nicht erschüttert. Oder 
wenn uns zahllose Beobachtungen von Neuem immer wieder über¬ 
zeugen, dass die asiatische Cholera mit Vorliebe prädisponirte Opfer 
hinrafft, so ist ein Zusammenhang zwischen der Einwirkung von 
Kanalgasen und einer etwaigen Erkrankung an asiatischer Cholera 
doch eigentlich schon hergestellt, und es bliebe einzig noch zu zeigen, 
wie durch die Einathmung von Kanalgasen ein anormaler Schwäche¬ 
zustand, eine Prädisposition, geschaffen werden kann. 

In dem englischen Werk, welches sich hierbei vorwiegend und 
vielleicht, um noch unparteiischer zu erscheinen, auf französische 
Quellen *) stützt, wird Folgendes ausgeführt: In grossen Cloaken 
bilden sich Gase, die zu einem sehr grossen Theil aus Schwefel¬ 
wasserstoff bestehen und welche, wenn eingeathmet, Asphyxie 
hervorrufen. Was die Symptome der Asphyxie anbelangt, so 
variiren diese je nachdem die Erscheinung veranlasst ist durch 
Mangel an Sauerstoff oder durch die Gegenwart einer erwähnens- 
werthen Menge von Schwefelwasserstoff. Im ersten Falle zeigen 
sich Athmungsbeschwerden, die sich fortgesetzt verschlimmern, es ist 
eine regelrechte Erstickung; im zweiten Falle wird (nach Par ent 
Duchatelet) das Individuum plötzlich befallen und stirbt 


1) Parent Duchatelet: Hygiene Publique. 


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augenblicklich, oder, wenn eben die Menge des verderblichen Gases 
zu klein ist, um sofortigen Tod herbeizuführen, die befallene Per¬ 
son verliert plötzlich das Bewusstsein, sie führt convulsivische Be¬ 
wegungen aus oder verräth auch andere ernste nervöse Störungen 
und erhält vielleicht erst nach mehreren Tagen ihre volle Gesund¬ 
heit wieder. 

„Was in concentrirter Form so tödtlich wirkt, muss in ver¬ 
dünnter Form einen schädlichen Einfluss auf die Gesundheit 
üben.“ Dieser Satz zu unserem Kapitel ist einem englischen Ge¬ 
sundheitsbericht vom Jahre 1844 entlehnt, und die Herren Cor- 
field und Parkes, welche sicherlich unter Beispielen für den 
gefährlichen Einfluss übler Dünste und Gase eine ganz enorme 
Auswahl hatten, führen auch in der vorliegenden neuen Auflage 
ihres Werkes das folgende Beispiel an, welches dem nämlichen Be¬ 
richt entnommen wurde: 

Drei und zwanzig Kinder eines grossen Pensionats in Clapham 
erkrankten in gleicher Weise heftig unter schwerer Irritation des 
Magens, convulsivischen Muskelzuckungen und excessiver Kraft¬ 
abnahme, und zwei von ihnen starben innerhalb etwa 24 Stunden. 
Von zugezogenen Aerzten wurde erklärt, dass die Ursache dieser 
Erkrankungen in der Einathmung von Schwefelwasserstoff zu er¬ 
blicken sei, und zwar soll dieser von dem Inhalt einer Abtritts¬ 
grube hergerührt haben, welcher in einem angrenzenden Garten 
ausgebreitet war. — Wäre diese gleichmässige Erkrankung aller 
Pensionskinder durch ein Anderes als die Einathmung der er¬ 
wähnten Ausdünstungen — etwa durch den Genuss verdorbener 
Nahrungsmittel — verursacht worden, so würden die Aerzte im 
Jahre 1844 vielleicht ebenfalls auf diesen Umstand früher als auf 
den Inhalt einer benachbarten Abtrittsgrube aufmerksam gewor¬ 
den sein. 

Ferner wird, wieder nach ParentDuchatelet folgender 
Fall beschrieben. Das französische Schiff „Arthur“ wurde an 
einem regnerischen Tage mit Poudrette geladen, welche, wenn 
angefeuchtet, gewissermassen fermentirt. Infolgedessen ging hier 
die Hälfte der Mannschaft auf der Reise zu Grunde, während die 
Ueberlebenden in einem beklagenswerthen Zustand ihren Bestim¬ 
mungsort erreichten. Aber auch in diesem Ankunftshafen wurden 
die Arbeiter, welche die Poudrette zu löschen hatten, von ganz 
derselben Krankheit befallen, „welche“, so sagt Prof. Corfield, 
„nach einer von dem genannten Gewährsmann mitgetheilten, sehr 
genauen Beschreibung ein typhöses Fieber gewesen sein muss“. 

Nun, über den Werth solcher Geschichten gehen sicherlich 
die Meinungen weit auseinander, und was mich persönlich anbe¬ 
langt, so berufe ich mich an dieser Stelle auf die Autorität der 
Herren Corfield und Parkes. Bei dem heutigen Stande der 


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1 


— 222 — 

Wissenschaft wird man sich schwerlich vor der Erklärung beruhi¬ 
gen, dass die Krankheit an Bord des „Arthur“ irgend wie durch 
die Befeuchtung jener Poudrette hervorgerufen worden sei; man 
weiss ja heute viel zu viel, als dass man in einem solchen Falle 
nicht Alles wissen möchte. Für Nichtmediciner aber darf ich 
wohl sagen: Gleichviel, ob diesmal, wie in so vielen anderen 
Beispielen, eine Art der neuentdeckten Krankheitskeime — ich 
meine also Mikroorganismen — eine Rolle spielte oder ob es sich 
wirklich nur um die Wirkung der eingeathmeten verdorbenen Luft 
gehandelt hat, es ist sicherlich hundertfach bewiesen, 
dass durch die blosse fortgesetzte Einathmung schlech¬ 
ter Luft und namentlich durch Einathmung vonGasen 
aus Abtrittsgruben und Kanälen ein sehr ernst zu 
nehmender Schwächezustand hervorgerufen werden 
kann. Es ist eben in erster Linie zu beachten, ob Jemand ge- 
nöthigt ist, sich der Einwirkung solcher Gase dauernd auszu¬ 
setzen, und, namentlich wo es sich um die Gefahr einer Ausbrei¬ 
tung derselben in geschlossenen und bewohnten Räumen handelt, 
ist es demnach eine ernste Pflicht für Aerzte und Techniker, den 
Gegenstand mit der grössten Aufmerksamkeit zu verfolgen. Es 
sollte die feste Absicht aller lnteressirten sein, einer sich ohne 
Zweifel hieraus ergebenden Gefahr für die Gesundheit nach aller 
Möglichkeit vorzubeugen. Dies war aber bisher in Deutschland 
nicht der Fall. In Deutschland wird sich gleichzeitig mit dem 
ernsten Willen eine kräftige Abhülfe für das Uebel zeigen. Ich 
verzichte mit Vergnügen auf kindische Ueberlreibungen und end- 
und nutzlose Schreibereien, wie man sie anderwärts erlebt hat. 
Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas! Ich bin aber auch 
felsenfest davon überzeugt, dass dieser Gegenstand mit seltenen 
Ausnahmen immer noch zu leicht genommen wird. Es convenirt 
noch nicht, sich kräftig aufzuraffen, und das eben ist es, was mich 
antreibt, so viel Material, als ich beschaffen kann, zu solchen Ka¬ 
piteln vorzutragen. Auch heute denke ich — nach wie ich glaubte, 
längst erledigten Papieren — von Selbsterlebtem zu berichten. 
Zwei volle Jahre sind seit der Zeit der Handlung wohl verflossen, 
und wenn mein Gedächtniss mich bezüglich einzelner, unwesent¬ 
licher Details im Stiche lassen sollte, so ist dies damit zu erklären, 
dass ich mich s. Z. dem Glauben und der Hoffnung hingab, es 
würden wohl Andere an meiner Stelle die Verarbeitung und Nutz¬ 
anwendung des eigenartigen Falles übernehmen. 

Schluss folgt. 


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aehwei^nug über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aut 
Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat März 18811 



Kindbettfieber I 






































Sterblichkeit« - Statistik von 58 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat März 1889, 



Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Dortmund 

Bochum 

Hagen 

Witten 

Hainm 

Gelsenkirchen 

Iserlohn 

Siegen 

Schwelm 

Lippstadt 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Barmen 

Grefeld 

Essen 

Duisburg 

M.-Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a. d. Ruhr 

Rheydt 

Viersen 

Oberhausen 

Neuss 

Wesel 

Styrum 

Solingen 

Wermelskirchen 

Ronsdorf 

Velbert 

Ruhrort 

Süchteln 

Lennep 

Aachen 

Eschweiler 

Eupen 

Burtscheid 

Stolberg 

Köln (Stadt) 

Köln (Vorstädte) 
Bonn 

Mülheim a. Rhein 
Kalk 

Trier 

Malstatt-Burbach 
St. Johann 
Saarbrücken 

Coblenz 

Kreuznach 

Neuwied 

Wiesbaden 


140961 
119200 
110000 
104,191 
71491 
52016 
50000 
35000 
26709 
25000 
22228 
22377 
21934 
20677 
19820 
31887 
11400 
11000 
12533 
9708 
9465 
8843 

102336 

16798 

15441 

12139 

11792 

184371 

89216 

38000 

27800 

11418 


04 33,7 
54 34,8 

62 44,8 

17 45,3 

96 57,7 

40 52,5 
71 35,9 

63 32,2 
24 63,1 

65 37,1 
44 29,7 
42 38,7 
32 54,4 

34 36,9 

97 40,0 
85 42,0 

61 41.5 
76 46,3 
94 44,7 
89 45,4 
27 43,5 
17 52,6 
02 49,0 
63 34,0 
97 52,0 
79 43,2 

66 38.3 
88 53,3 
14 42,9 
42 44,2 
42 45,8 
50 47,9 

39 48,2 
27 34,2 
37 50,2 

62 42,4 
69 49,3 
57 44,3 

41 43,9 

40 40,7 

»87 37,5 


85 29,9 
72 57,8 
41 36,2 
34 42,9 

89 30,8 
64 45,2 
18 21,2 


Todesursachen 


Gevrallsarr 
Tod durch 


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59000 126 42,6 80 11 16,3 ..!.... 3 


68236 161 28,3 


20 17,2 ...... 6 LJ 2 

I ! II 


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225 


Kleinere Mittheilungen. 

** Städtische Badeanstalt in Dortmund. 

Frequenz. 

An Bädern wurden verabreicht: 


Monat 

Pro 1887/88 wurden Bäder 
verabreicht an: 

Pro 1886/87 wurden Bäder 
verabreicht an: 





Damen 

Herren 

Zusammen 

April. 

1795 

7416 

9211 

1246 

7200 

8446 

Mai. 

2403 

10020 

12423 

2400* 

13612 

16012 

Juni. 

4120 

17006 

21126 

3012 

13671 

16683 

Juli. 

5275 

22580 

27855 

4260 

17585 

21845 

August. 

4447 

14558 

19005 

3917 

13812 

17729 

September. 

3224 

8628 

11852 

3644 

13426 

17070 

October. 

1785 

7338 

9123 

2033 

8469 

10502 

November. 

1675 

6781 

8456 

1654 

6824 

8478 

December. 

1043 

5653 

6696 

1152 

5‘.K)2 

7054 

Januar. 

1265 

5770 

7035 

1006 

5514 

6520 

Februar . 

927 

4992 

5919 

965 

5584 

6549 

März. 

1185 

6718 

7903 

1118 

6440 

7558 

Summa 

29144 

1174(50 

146604 

26407 

118039 

144446 


Ausserdem sind im Jahre 1887/88 1639 Bäder an Kinder des Kinder¬ 


pflegevereins unentgeltlich abgegeben worden, so dass die Gesammtzahl aller 
pro 1887/88 verabreichten Bäder 148,243 gegen 147,231, welche im Jahre 
1886/87 abgegeben worden, beträgt. Es hat mithin eine Zunahme von 
1012 Bädern oder pp. 0.7 Proc. der vorigjährigen Frequenz stattgefunden. 

Die Zahl der verabreichten Wannenbäder, welche in der vorstehenden 
Aufstellung mit enthalten sind, hat betragen: 


Monat 

1887/88: 

1886/87: 

Damen und 
Herren 

Bemerkungen 

Damen 

Herren 

Zusammen 

April. 

421 

1132 

1553 

1600 


Mai. 

458 

1158 

1616 

2065 


Juni. 

820 

1345 

2165 

1728 


Juli. 

1009 

1590 

2599 

2305 

Es sind demnach 

August. 

792 

1114 

1906 

2016 

1099 Bäder weni¬ 

September. 

461 

748 

1209 

1836 

ger wie im Jahre 

October. 

318 

738 

1056 

1273 


November. 

302 

767 

1069 

1097 

1886/87 abgege¬ 

December. 

166 

815 

981 

1050 

ben worden. 

Januar. 

245 

682 

927 

1048 


Februar. 

177 

644 

821 

1028 


März. 

300 

1059 

1359 

1314 


Summa 

5469 

11792 

17261 

18360 



Die Gesammtzahl der verabreichten Bäder beträgt, wie bereits ange¬ 
geben, 146,604 bezahlte Bäder und 1639 Freibäder. Davon entfallen auf 
die Sommersaison pro Mai bis incl. September 92,261 bezahlte 1639 Frei- 


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bäder, auf die Wintersaison, umfassend den übrigen Theil des Jahres, 
54,343 bezahlte. Hiernach ergibt sich ein Durchschnitt der pro Tag ver¬ 
abreichten Bäder von: 

bezahlte Bader: Freibäder: 

a) für die Sommersaison. 603, 0 i 10,«» 

b) für die Wintersaison.256,«*» — 

c) für das Jahr. 407,i«« 4,« 4 « 

Die höchste Frequenz des Bades fand am 30. Juli 1887 Statt, an 

welchem Tage 2133 Bäder verabreicht wurden, die niedrigste Frequenz 
fand am 16. März 1888 Statt, an welchem Tage nur 36 Bäder verabreicht 
worden sind. 

Das Bad wurde, wie bereits an anderer Stelle berichtet, am 10. Juli 
pr. von einem Schadenfeuer betroffen, in dessen Folge das Dach des Ma¬ 
schinen- und Kesselhauses fast vollständig zerstört wurde. 

Der Wiederaufbau ist in Eisenconstruction geschehen, um ähnlichen 
Vorkommnissen für die Zukunft mögliclist vorzubeugen. 

Dazu hat zugleich eine erhebliche Erweiterung der Räume für die 
warmen Brausen und eine Vermehrung dieser Letzteren auf 15 Stück statt¬ 
gefunden, um einem vielfach zu Tage getretenen Bedürfnisse der Badegäste 
Abhülfe zu verschaffen. Diese Erweiterungen sind sämmtlich aus Betriebs¬ 
mitteln vorgenommen worden, weshalb das Conto für Unterhaltung der 
Gebäude und Anlagen sehr hoch erscheint. 

Nichts destoweniger würde der Betriebsabschluss einen Ueberschuss 
von 604.11 Mk. zeigen, wenn nicht eine Summe von 1000.00 Mk. in Re¬ 
serve gestellt worden wäre, aus welcher die Mehrkosten für eine in diesem 
Jahre dringend nöthige Renovirung der Anstalt bestritten werden sollen. 
Aus diesem Grunde erscheint denn auch in dem Betriebsabschlusse noch 
ein kleines Deficit von 395.89 Mk., das indessen durch die vielen Annehm¬ 
lichkeiten, welche das Stadtbad der Bürgerschaft gewährt, leicht zu ertragen 
sein dürfte. 

Seit langer Zeit hatte sich ferner das Bedürfniss fühlbar gemacht, die 
Anstalt durch Schwitzbäder vervollständigt zu sehen, und haben die städtischen 
Behörden daher vor Kurzem den Beschluss gefasst, den dahin zielenden 
Wünschen Rechnung zu tragen, und ein russisches und ein römisch-irisches 
Bad in Verbindung mit der jetzigen Anstalt zu erbauen. Die Arbeiten sollen 
baldigst in Angriff genommen werden. 

Aber auch die steigende Frequenz des Schwimmbades, insbesondere 
die stetige Ueberfüllung desselben an heissen Tagen, haben die schon 
wiederholentlich ventilirte Frage nach Errichtung eines zweiten Schwimm¬ 
bades wieder in den Vordergrund gedrängt, und haben die städtischen Be¬ 
hörden sich gleichfalls dahin schlüssig gemacht, auch diesem Projecte näher 
zu treten, und ein zweites Bad, bestehend aus Schwimm-, Wannen- und 
Brausenbad, demnächst im nördlichen Stadttheile zu erbauen, sobald die 
erforderlichen Pläne hierzu festgelegt sind. Dabei ist in Aussicht genommen 
worden, das Schwimmbad, welches lediglich den Bedürfnissen des Sommer« 


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— 227 - 


Rechnung tragen und die jetzige Anstalt vor Ueberlastung schützen soll, 
ohne Ueberdachung des Bassinraumes und der Gänge herzustellen, und 
lediglich die Auskleidezellen zu bedachen. Die Gegner dieses Vorschlages, 
deren Zahl indessen, wie hiermit constatirt werden soll, immer mehr im 
Schwinden begriffen ist, machen gegen das offene Bassin geltend, dass das 
Klima unserer Gegend ein zu rauhes sei, um eine häufigere Benutzung 
eines solchen unbedachten Bades zuzulassen; allein dieselben bedenken 
dabei nicht, dass es gar nicht darauf ankommt, ob das Bad an kühleren 
Tagen benutzt wird oder nicht, denn an solchen Tagen ist unser jetziges 
Bassin noch auf lange Jahre hinaus ausreichend gross, es handelt sich nur 
um eine mit möglichst geringen Mitteln zu beschaffende Ableitung für die 
heissesten Tage. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass an 
kühlen Tagen auch das geschlossene Bassin nicht besonders frequentirt 
wird, weil dann ein Bedürfniss der grossen Menge zum Baden nicht vor¬ 
handen ist, und nur diejenigen Elemente der Bevölkerung in Betracht 
kommen, denen das tägliche Baden eine angenehme Gewohnheit geworden 
ist. Um hierfür ein Beispiel aus jüngster Zeit, das übrigens auch aus der 
ganzen Betriebsdauer mit Beweisen belegt werden kann, anzuführen, seien 
speciell zwei heisse Tage, Freitag den 18. und Samstag den 19. Mai, mit 
einer Temperatur von 24° Reaumur im Schatten herausgegriffen, und diesen 
die gleichen Wochentage, der 25. und 26. Mai, gegenübergestellt, an welchen 
eine Temperatur von nur 10° herrschte, wobei im Uebrigen das Wetter 
trocken und nicht einmal sehr unfreundlicher Natur war. 

Es wurden verabfolgt: 


Freitag, 

18. Mai 

1052 Schwimmbäder, 

186 

Wannenbäder 

Samstag, 

19. , 

2568 

299 


Freitag, 

25. , 

544 

55 

» 

Samstag, 

26. , 

731 

49 

i» 


Diese Zahlen sprechen für sich selbst, und bedarf es einer weiteren Er¬ 
örterung über dieselben wohl um so weniger, als die hier mitgetheilten 
Thatsachen durch die Resultate eines zehnjährigen Betriebes bewiesen 
werden können. 

Möge der nächstjährige Bericht die erfreuliche Thatsaehe zu constatiren 
haben, dass die beiden geplanten Erweiterungen bereits zur Zufriedenheit 
der Bürgerschaft in Benutzung genommen seien. 


*** Der Herr Minister der geistlichen u. s. w. Angelegenheiten hat 
in einem Circular-Erlasse vom 22. November 1888 die nachfolgende 

Anweisung für die Hebammen zur Verhütung des Kindbett¬ 
fiebers 

getroffen: 

Zum Zwecke der Verhütung des Kindbettfiebers, sowie anderer an¬ 
steckender Krankheiten im Wochenbett treffe ich in Ergänzung und theil- 
weiser Abänderung der Vorschriften des Lehrbuches der Geburtshülfe und 


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- 228 — 


der Instruction für die Preussischen Hebammen die nachstehenden Be¬ 
stimmungen : 

§ 1. Die Hebamme befleissige sich zu jeder Zeit und in allen Stücken 
der grössten Reinlichkeit. Insbesondere beobachte sie dieselbe streng in 
jedem Gebär- oder Wochenbettzimmer und namentlich an ihren Händen, 
Armen und Oberkleidern. 

An Stelle der hierauf bezüglichen Vorschriften des Hebammen - Lehr¬ 
buchs in den beiden letzten Sätzen des § 62 und im § 97 treten diejenigen 
der §§ 2, 3, 6, 11 — 16 dieser Anweisung. 

§ 2. Bei Ausübung ihres Berufs trage die Hebamme nur solche Kleider, 
deren Aermel so eingerichtet sind, dass die Arme bis zur Mitte der Ober¬ 
arme hinauf unbedeckt gehalten werden können. Das Oberkleid soll vom 
einschliesslich des Brusttheils von einer weiten Schürze aus hellem, wasch¬ 
barem Stoff völlig und andauernd bedeckt sein. 

Die Schürze, welche die Hebamme vor der ersten Untersuchung einer 
Kreisenden oder vor einer inneren Untersuchung einer Wöchnerin anlegt, 
darf nach der letzten Wäsche noch nicht benutzt und soll bis zu ihrem 
Gebrauch von den übrigen Kleidungsstücken der Hebamme abgesondert 
aufbewahrt worden sein. 

§ 3. Bevor sich die Hebamme zu einer Entbindung oder zu einer 
Wöchnerin begiebt, sorge sie dafür, dass ihre Fingernägel kurz und rund 
beschnitten sind und glatte Ränder haben; jedesmal entferne sie den 
Schmutz unter den Nägeln und aus dem Nagelfalz, sowie aus etwaigen 
Hautschrunden an den Händen, und wasche sie gründlich die Hände und 
Vorderarme, bei welchen Verrichtungen sie eine geeignete Hand- und Nagel¬ 
bürste und Seife anzuwenden hat. 

§ 4. Bei Ausübung ihres Berufs führe die Hebamme stets ausser den 
in § 96 Abs. 1 des Hebammen-Lehrbuchs und § 11 der Instruction vor¬ 
geschriebenen Geräthschaften noch die folgenden mit sich: 

a) eine reine, waschbare, nach dem letzten Waschen noch nicht ge¬ 
brauchte hellfarbige Schürze, mit welcher die ganze vordere Hälfte 
des Kleides bedeckt werden kann; 

b) Seife zum Reinigen der Hände und Arme; 

c) eine geeignete, reingehaltene Hand- und Nagelbürste zu demselben 
Zweck; 

d) ein reines, nach dem letzten Waschen noch nicht gebrauchtes Hand¬ 
tuch; 

e) 90 Gramm verflüssigter reiner Garbolsäure (Acidum carbolieum purum 
liquefactum der Pharmakopoe) in einer Flasche, welche die deutliche 
und haltbare Bezeichnung „Vorsicht! Carbolsäure! Nur gehörig ver¬ 
dünnt und nur äusserlich zu gebrauchen! “ stets haben und stets dicht 
verschlossen gehalten werden muss, nebst einem geeigneten Gefäss 
zum Abmessen von je 15 und 30 Gramm der genannten Säure. 

Ausserdem muss sie das in Nr. 4 des § 96 bezeichnete Thermometer, 
nicht nur „wo möglich“, sondern gleichfalls stets mit sich führen. 


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229 


Die mitzuführende Spülkanne (Irrigator) soll 1 Liter halten, eine 
geeignete Marke zur Abmessung von */• Liter haben und mit einem passen¬ 
den Kautschukschlauch von 1 — 1V* Meter Länge versehen sein. Am zweck- 
massigsten ist der Boden der Spülkanne platt und besteht dieselbe, sowie 
die zugehörigen Ansatzröhren, aus Glas; jedoch sind auch Spülkannen aus 
Weissblech brauchbar. 

§ 5. Die Hebamme ist für die Reinheit ihrer Geräthschaften stets ver¬ 
antwortlich, desgleichen für die sichere Aufbewahrung der Garbolsäure, 
welche derart stattfinden muss, dass die Säure keiner anderen Person 
zugängig ist. 

An Stelle der im § 96 Abs. 2 des Hebammen-Lehrbuchs enthaltenen 
Vorschriften über die Reinhaltung der Geräthschaften treten die Bestim¬ 
mungen in § 8 Abs. 2, §§ 12 und 13 dieser Anweisung. 

§ 6. Die innere Untersuchung einer Schwangeren, Kreisenden oder 
Wöchnerin darf von der Hebamme niemals anders, als mit völlig ent- 
blössten und gereinigten Händen und Vorderarmen ausgeführt werden. 

Bevor die Hebamme eine solche Untersuchung oder Verrichtung vor¬ 
nimmt, bei welcher sie mit den Geschlechtstheilen der zu Untersuchenden 
oder mit einer Wunde in der Nähe dieser Theile in Berührung kommt, 
sorge sie dafür, dass ihre Aermel nur die obere Hälfte der Oberarme be¬ 
decken und nicht tiefer sinken können. Sodann wasche sie gründlich 
unter Anwendung der Hand- und Nagelbürste und von Seife ihre Arme und 
Hände mit lauem Wasser, welches, wenn möglich, durchgekocht sein soll, 
und trockne sie dieselben mittelst eines reinen Tuches ab. In der gleichen 
Weise verfahre sie darauf bei der zu Untersuchenden mit den äusseren 
Geschlechtstheilen und den Nachbartheilen der letzteren, wobei zum Ab¬ 
trocknen auch reine Wund-Watte oder Jute, dagegen niemals ein Schwamm 
angewendet werden darf. 

Ausserdem halte die Hebamme, wo es sich um eine Entbindung han¬ 
delt, und wo nur irgend die Verhältnisse es gestatten, darauf, dass die 
Kreisende mit reiner, vorher erwärmter Leibwäsche, sowie mit eben solchen 
Bettbezügen und Unterlagen für das Geburtslager und ferner für das Wochen¬ 
bett versehen wird. (Hierdurch wird die Vorschrift in § 105 Abs. 1 des 
Hebammen-Lehrbuchs über die Kleidung der Gebärenden vervollständigt.) 

Nach diesen Vorbereitungen desinficire die Hebamme ihre Hände und 
Vorderarme durch gründliches Waschen in Garboiverdünnung (§ 7). Nunmehr 
erst, aber nun auch alsbald führe sie die Untersuchung der Schwangeren, 
Kreisenden oder Wöchnerin aus. 

§ 7. Wo in der gegenwärtigen Anweisung von GarbolVerdünnung die 
Rede ist, wird darunter stets diejenige Flüssigkeit verstanden, welche sich 
die Hebamme in folgender Weise hergestellt hat: 

Sie mische sorgfältig zu je 1 Liter Wasser 30 Gramm der verflüssigten 
reinen Garbolsäure (§ 4), und zwar derart, dass sich die Säure, welche 
etwas schwerer als Wasser ist, nicht auf dem Boden des Mischgefasses ab¬ 
setzt, sondern gleichmässig in dem Wasser vertheilt wird. Am zweck - 


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230 


massigsten geschieht die Mischung in einer verschlossenen Flasche unter 
tüchtigem Umschütteln und mehrmaligem Umstürzen derselben. In einer 
Schüssel darf die Carbolsäure dem Wasser nur allmählig und unter be¬ 
ständigem Umrühren zugesetzt werden. Dagegen darf das Zusetzen der 
Carbolsäure zum Wasser niemals in der Spülkanne erfolgen, weil die Säure 
sonst, ohne die nöthige Verdünnung erfahren zu haben, zum Abtluss ge¬ 
langen und in diesem Zustande den bespülten Körperteil schwer beschä¬ 
digen kann. 

§ 8. Vor der ersten Untersuchung einer Kreisenden bereite die Hebamme 
2 Liter Garboiverdünnung. 

Davon bringe sie in die Spülkanne, in welche sie vorher die zu der 
letzteren gehörigen Ansatzröhren, den Katheter und die Nabelschnurscheere 
gelegt hat, nach Verschluss des Schlauches soviel, dass die bezeichnten 
Geräthschafteil von der Flüssigkeit völlig überdeckt sind. Wird eine der¬ 
selben benutzt, so wird sie nach dem Gebrauch sorgfältig mit Seife ge¬ 
waschen, abgetrocknet und wieder in die Spülkanne zurückgelegt und in 
derselben bis zur Beendigung des Geschäftes aufbewahrt. Wird die Spül¬ 
kanne zu Einspritzungen oder Bespülungen gebraucht, so sind die Geräth- 
schaften sammt der GarbolVerdünnung in einem andern Gefass unterzu¬ 
bringen. 

Den Rest — etwa 1 ’/a Liter — der Verdünnung bringe die Hebamme 
zu gleichen Theilen in 2 Schüsseln. Die eine derselben dient zur erst¬ 
maligen Desinfection der Hände und Arme der Hebamme (§6 4. Absatz), 
die andere zur Reinigung derselben vor und nach jeder weiteren Unter¬ 
suchung der Kreisenden oder Entbundenen, sowie jeder sonstigen Verrich¬ 
tung der Hebamme, bei welcher letztere mit den Geschlechtsteilen oder 
einer Wunde in der Nähe derselben in Berührung kommt. 

§ 9. Nach der Geburt spüle die Hebamme vor dem Herrichten des 
Wochenlagers die äusseren Geschlechtsteile der Entbundenen mit reinem, 
lauem, vorher durchgekochtem Wasser ab und trockne dieselben mittelst 
eines reinen Tuches oder reiner Wund-Watte oder Jute. 

Wasser von derselben Beschallen heit ist bei der Reinigung der Ge¬ 
schlechtsteile zu verwenden, welche in den §§ 121 Abs. 2, 130 Abs. 1, 
135, 354, 371 und 406 des Hebammen-Lehrbuchs angeordnet wird. 

§ 10. Ausspülungen der Scheide oder Einspritzungen in die Gebär¬ 
mutter darf die Hebamme ohne ärztliche Anordnung nur in den durch das 
Lehrbuch bestimmten Fällen vornehmen. Dabei hat sie überall anstatt 
Wassers die Garbol Verdünnung anzuwenden. 

Letztere Vorschrift bezieht sich insbesondere auf die in den §§ 167, 
168, 179, 183, 253 Abs. 2, 256 Abs. 3, 312 Abs. 2, 340 Abs. 1, 342 und 
405 des Hebammen-Lehrbuchs angeordneten Ausspülungen der Scheide und 
Einspritzungen in die Gebärmutter. 

§ 11. Die Hebamme vermeide jede unnöthige Berührung der Geschlechts¬ 
teile einer Wöchnerin oder eines mit Wochenfluss verunreinigten oder 
irgend eines übelriechenden, fauligen oder eiterigen Körperteiles oder son- 


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231 


siigen Gegenstandes von solcher Beschaffenheit (Geschwür, ausgestossene 
todte Frucht, Wochenbett-Unterlage u. A. m.) und enthalte sich so viel, 
als nur möglich, jeden Verkehrs mit Personen, welche an einer ansteckenden 
oder als solche verdächtigen Krankheit, namentlich Kindbett-, Faul- oder 
Eiter - Fieber, Gebärmutter- oder Unterleibs-Entzündung, Rose, Diphtherie,* 
Scharlach, Pocken, Syphilis, Schanker, Tripper, Unterleibs- oder Flecken- 
Typhus, Cholera oder Ruhr leiden. 

§ 12. Hat die Hebamme mit ihren Händen oder Gerätschaften die 
Geschlechtsteile einer Wöchnerin oder einen mit Wochenfluss verunreinigten 
Gegenstand berührt, so soll sie jedesmal sofort sich selbst in derselben 
Weise, wie sie es vor der ersten Untersuchung einer Kreisenden zu thun 
hat, (§ 6) und zwar unter Anwendung der Hand- und Nagelbürste, die Ge¬ 
rätschaften aber eine Stunde hindurch, wie bei der Geburt, (§ 8) reinigen 
und desinficiren. 

§ 13. Ist der Wochenfluss übelriechend, faulig oder eiterig, oder hat die 
Berührung mit einem Gegenstände dieser Beschaffenheit stattgehabt, oder 
leidet die Person, welche die Hebamme mit ihren Händen oder Gerät¬ 
schaften berührt hat, an einer der in § 11 bezeichneten Krankheiten, so soll 
die Hebamme die Reinigung, wie in § 12 vorgeschrieben ist, ausführen und 
ihre Hände und Arme schliesslich mindestens fünf Minuten lang mit der 
GarbolVerdünnung sorgfältig waschen, die benutzten Gerätschaften aber vor 
dem Einlegen in die Carboiverdünnung eine Stunde lang auskochen. 

§ 14. Hat sich die Hebamme in der Wohnung einer Person befunden, 
welche an einer der nachgenannten Krankheiten oder an einer als solche 
verdächtigen Krankheit leidet, nämlich an Kindbett-, Faul- oder Eiter-Fieber, 
Gebärmutter- oder Unterleibs - Entzündung, Rose, Diphtherie, Scharlach, 
Pocken, Flecken-Typhus oder Ruhr, so darf sie eine Schwangere, Kreisende 
oder Wöchnerin nicht untersuchen oder auch nur besuchen, bevor sie nicht 
die Kleider gewechselt und sich, wie im § 13 vorgeschrieben ist, gereinigt 
und desinficirt hat. 

§ 15. Befindet sich eine der im § 14 bezeichneten kranken oder ver¬ 
dächtigen Personen in der Wohnung der Hebamme, oder ist in der Praxis 
der Hebamme eine Wöchnerin an Kindbettfieber, Gebärmutter- oder Unter¬ 
leibs-Entzündung oder an einer als solche verdächtigen Krankheit erkrankt 
oder gestorben, so hat die Hebamme sofort Verhaltungsmassregeln von dem 
zuständigen Kreisphysicus einzuholen und vor dem Empfange derselben sich 
jeder beruflichen Thätigkeit zu enthalten. 

§ 16. Pflegt die Hebamme eine an Kindbettfieber, Gebärmutter- oder 
Unterleibs-Entzündung oder an einer als solche verdächtigen Krankheit lei¬ 
dende Wöchnerin, so darf sie während dieser Zeit die Untersuchung einer 
Schwangeren gar nicht und die Untersuchung oder Pflege einer anderen 
Wöchnerin oder einer Kreisenden lediglich im Nothfalle, wenn eine andere He¬ 
bamme nicht zu erlangen ist, und auch in diesem Falle nur dann übernehmen, 
nachdem sie ihren ganzen Körper mit Seife gründlich, womöglich im Bade, 


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232 — 


1 


abgewaschen und ausserdem sich, wie im § 14 vorgeschrieben ist, gereinigt, 
desinficirt und frisch bekleidet hat. 

§ 17. Die Kleider, welche die Hebamme bei der Untersuchung oder 
dem Besuche einer Person, die an einer im § 14 bezeichneten oder als solche 
•verdächtigen Krankheit leidet, getragen hat, dürfen mit anderen Kleidern der 
Hebamme nicht zusammengebracht und müssen gründlich ausgekocht und 
mit Seife ausgewaschen oder mittelst strömenden Wasserdampfes in einem 
Dampf-Desinfections • Apparat desinficirt werden, bevor dieselben weiter ge¬ 
braucht werden dürfen. 

§ 18. Leichen oder Bekleidungsgegenstände von Leichen berühre die 
Hebamme niemals. Hat sie solches trotz dieses Verbotes gethan, so ist sie 
verpflichtet, wie im § 16 vorgeschrieben ist, zu verfahren. 

* * Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege 

wird seine diesjährige Versammlung in Strassburg im Eisass, und zwar 
vom 14.—17. September abhalten. 

Nachdem der Verein im vergangenen Jahre seine Versammlung in 
Frankfurt a. M., im Westen Deutschlands, abgehalten hatte, hätte der Aus¬ 
schuss für dieses Jahr am liebsten einen Ort in Mitteldeutschland oder ira 
Norden oder Osten des Vaterlandes gewählt. Alsdann hätte der Ausschuss 
aber die von vielen Seiten stets gewünschte und durch die Reihe der Jahre 
bewährte Anlehnung an die Versammlung Deutscher Naturforscher und 
Aerzte, die dieses Jahr am 18. September in Heidelberg Zusammentritt, 
aufgeben müssen. Nachdem die Naturforscherversammlung gegen ihre bis¬ 
herige Gepflogenheit in diesem Jahre zum dritten Male hintereinander im 
Westen Deutschlands getagt haben wird, ist mit aller Sicherheit anzunehmen, 
dass sie im nächsten Jahre nach dem Norden oder Osten gehen wird, und 
wird dann der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege in der 
Lage sein das Gleiche zu thun. Der Ausschuss glaubte aber um so eher 
die alte Reichsstadt Strassburg zum Versammlungsort wählen zu sollen, 
als es sicherlich zahlreiche Mitglieder lebhaft interessiren wird, die Ent¬ 
wicklung dieser nun wieder deutsch gewordenen Stadt kennen zu lernen, 
die Einwirkung der früheren französischen Sanitätsgesetzgebung auf die 
derzeitige Gestaltung der Hygiene in den Reichslanden zu beobachten, die 
grosse Reihe der prächtigen neuen Anstalten dort zu sehen und in directen 
persönlichen Verkehr mit der reichsländischen Bevölkerung zu treten. Hierzu 
kommt, dass uns seitens der städtischen Behörden Strassburgs ein sehr 
freundlicher Willkomm in Aussicht gestellt ist, so dass sich der Ausschuss 
der Hoffnung hingibt, dass die Wahl Strassburgs seitens der Vereinsmit¬ 
glieder mit Freuden begrüsst und die Versammlung aus allen Theilen Alt- 
Deutschlands recht zahlreich besucht werden wird. 

Den ersten Gegenstand der Tagesordnung wird ein einleitender Vortrag 
über die hygienischen Einrichtungen in Elsass-Lothringen bilden. 
Hieran wird sich dieBerathung der Reichsgesetzlichen Vorschriften 


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233 


zum Schutze des gesunden Wohnens anschliessen, wie sie aus den 
Berathungen der auf der Frankfurter Versammlung gewählten Commission 
hervorgegangen sind und wie solche nachstehend mitgetheilt werden. 

Als weitere Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht genommen: 
Eisenbahnhygiene in Bezug auf die Reisenden; 

Verhütung der Lungenschwindsucht; 

Recon val es cen ten-Anst alten; 

Kühlhäuser in Schlachthöfen; 

Baumpflanzungen in Städten. 


Entwurf 

der von der XIV. Versammlung des Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege erwählten Commission zur Vorberathung der 
„Technischen Einzelvorschläge von Oberbaurath Professor Baumeister“. 

Reichsgesetzliche Vorschriften zum Schutze des gesunden 

Wohnens. 

I. Strassen und Bauplätze. 

§ 1 . 

1. Die Anlage, Verbreiterung oder Veränderung einer Strasse darf 
nur auf Grund eines von der zuständigen Behörde festgesetzten Bebauungs¬ 
planes erfolgen. 

2. Bei Festsetzung des Bebauungsplanes für einen Ortsbezirk muss 
ein angemessener Theil des ganzen Flächeninhaltes als unbebaubarer Grund 
für Strassen, Plätze oder öffentliche Gärten freigehalten werden. 

3. Der Bebauungsplan kann für bestimmte Strassen oder Strassen- 
theile das Zurücktreten der Baufluchtlinien hinter den Strassenfluchtlinien 
(Vorgärten) sowie die Einhaltung seitlicher Mindestabstände zwischen den 
Gebäuden (offene Bauweise) vorschreiben. 

4. Zur Aufhöhung der Strassen und Bauplätze dürfen nur Boden¬ 
arten verwendet werden, welche frei von gesundheitsschädlichen Bestand¬ 
teilen sind. 

II. Neuherstellung von Gebäuden. 

§ 2 . 

1. Die Höhe eines Gebäudes darf an der Strasse nicht grösser sein, 
als der Abstand desselben von der gegenüberliegenden Baufluchtlinie. 

2. Die zulässige grösste Höhe der an Höfen gelegenen Gebäudewände, 
welche mit den im § 7 vorgeschriebenen Fenstern versehen sind, beträgt 
das Anderthalbfache des mittleren Abstandes von der gegenüberliegenden 
Begrenzung des unbebauten Raumes. 

3. Die mittlere Breite eines Hofes, auf welchen Fenster gerichtet sind, 
darf nicht unter 4 m bemessen werden. 

4. Ein Zusammenlegen der Hofräume benachbarter Grundstücke behufs 
Erzielung des vorschriftsmässigen Abstandes oder der vorschriftsmässigen 


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— 234 — 


Mindestbreite ist statthaft, insofern die Erhaltung der Hofräume in unbe¬ 
bautem Zustande gewährleistet wird. 

5. Jeder unbebaut bleibende Theil eines Grundstücks muss zum Zweck 
seiner Reinigung mit einem Zugang von mindestens 1 m Breite und 2 m 
Höhe versehen sein. 

§ 3. 

1. Auf Baustellen, welche bereits höher beziehungsweise dichter be¬ 
baut gewesen sind, als die Vorschriften in § 2 zulassen, treten im Falle 
eines Neubaues folgende erleichternde Bestimmungen ein: 

Die Höhe eines Gebäudes darf an der Strasse das Anderthalbfache des 
Abstandes bis zur gegenüberliegenden Baufluchtlinie und an den Höfen das 
Dreifache der Hofbreite betragen. 

Die Hofbreite darf bis auf 2.50 m eingeschränkt werden. 

2. Bei Anwendung dieser Bestimmungen darf jedoch eine Verschlech¬ 
terung der früher vorhanden gewesenen Luft- und Lichtverhältnisse des 
betreffenden Grundstückes keinesfalls herbeigeführt werden. 

§ 4 . 

Ein Neubau ist nur dann zulässig, wenn für die genügende Beschaffung 
von gesundem Trinkwasser, sowie für den Verbleib der Abfallstoffe und 
Abwässer auf gesundheitlich unschädliche Art gesorgt ist. 

§ 5 - 

1. Die Zahl der erforderlichen Aborte eines Gebäudes ist nach der 
Anzahl der regelmässig in demselben sich aufhaltenden Menschen zu be¬ 
stimmen. ln der Regel ist für jede Wohnung ein besonderer, umwandeter, 
bedeckter und verschliessbarer Abort anzulegen. 

2. Jeder Abort muss durch ein unmittelbar in das Freie gehendes 
bewegliches Fenster lüftbar sein. 

3. Aborts-Fallrohre müssen aus undurchlässigen Baustoffen hergestellt 
und in der Regel als Luftröhre über das Dach hinaus verlängert werden. 

4. Die Fussböden und Decken der Ställe, sowie deren Trennungs- 
wände gegen Wohnräume sind undurchlässig herzustellen. 

5. Das Gleiche gilt für die Fussböden, Decken und Trennungswände 
solcher Geschäftsräume, hinsichtlich derer erhebliche gesundheitliche Be¬ 
denken vorliegen. 

6. Die Verwendung gesundheitsschädlicher Stoffe zur Ausfüllung der 
Fussböden und Decken ist verboten. 

111. Neuherstellung der zu längerem Aufenthalt von Menschen 
dienenden Räume. 

§ 6 . 

1. Räume, welche zu längerem Aufenthalt von Menschen dienen, 
müssen eine lichte Höhe von mindestens 2.5 m haben. 

2. Höher als in dem vierten Obergeschoss, d. h. im vierten der über 
dem Erdgeschoss liegenden Stockwerke, dürfen Wohnungen nicht hergestellt 
werden. 


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— 235 


§ 7. 

1. Alle zu längerem Aufenthalt von Menschen dienenden Räume 
müssen bewegliche Fenster erhalten, die unmittelbar in das Freie führen. 
Erleichternde Ausnahmen sind zulässig, wenn auf andere Weise eine ge¬ 
nügende Zuführung von Luft und Licht gesichert ist. 

2. In jedem solchen Raume soll die lichtgebende Gesammtfläche der 
nach der Vorschrift in Abs. 1 nothwendigen Fenster mindestens ein Zwölftel 
der Grundfläche betragen. Für Geschäftsräume und Dachkammern sind 
Erleichterungen zulässig. 

§ 8 . 

1. Der Fussboden aller Wohnräume muss über dem höchsten Grund¬ 
wasserstande, im Ueberschwemmungsgebiete über Hochwasser liegen. 

2. Die Fussböden und Wände aller zu längerem Aufenthalt von 
Menschen dienenden Räume sind gegen Bodenfeuchtigkeit zu sichern. 

3. Wohnungen in Kellern, d. h. in Geschossen, deren Fussboden unter 
der Erdoberfläche liegt, sind nicht zulässig. 

4. Zu längerem Aufenthalt von Menschen dienenden Räume, insbe¬ 
sondere einzelne Wohnräume, dürfen in Kellern nur unter der Bedingung 
hergestellt werden, dass der Fussboden höchstens 1 m unter, der Fenster¬ 
sturz mindestens 1 m über der Erdoberfläche liegt. — Erleichterungen sind 
statthaft, insofern die gewerbliche Verwendung der Räume eine grössere 
Tieflage erfordert. 

IV. Benutzung der zu längerem Aufenthalt von Menschen 
dienenden Räume. 

§ 9. 

1. Alle zu längerem Aufenthalt von Menschen bestimmten Räume 
dürfen nur nach ertheilter Genehmigung zu diesem Zweck in Gebrauch 
genommen werden. 

2. Diese Genehmigung ist bei Neu- und Umbauten insbesondere dann 
zu versagen, wenn die betreffenden Räume nicht genügend ausgetrock¬ 
net sind. 

§ 10 . 

1. Gelasse, deren Fenster den in § 7 gegebenen Vorschriften nicht 
entsprechen, dürfen als Wolinräume nicht benutzt werden. 

2. Vermiethete, als Schlafräume benutzte Gelasse müssen für jedes 
Kind unter zehn Jahren mindestens 5 chm, für jede ältere Person mindestens 
lOckm Luftraum enthalten. In Miethräumen, für welche nach § 7, Abs. 2 
Erleichterungen zugelassen sind, müssen immerhin, wenn sie als Schlaf¬ 
räume benutzt werden, auf jedes Kind unter zehn Jahren mindestens 0.1 qm, 
auf jede ältere Person mindestens 0.2 qm lichtgebende Fensterfläche ent¬ 
fallen. Kinder unter 1 Jahre werden nicht mitgerechnet. 

3. Diese Bestimmungen treten für bestehende Gebäude erst nach fünf 
Jahren in Kraft, können jedoch nach Ablauf von zwei Jahren bei jedem 
Wohnungswechsel in Wirksamkeit gesetzt werden. 


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1 


— 236 — 

4. Angemessene Räumungsfristen, deren Beobachtung nötigenfalls 
im Zwangsverfahren zu sichern ist, sind von der zuständigen Behörde vor* 
zuschreiben. 

§ n. 

1. Räume, welche durch Verstösse gegen die vorstehenden Bestim¬ 
mungen in §§ 2 bis 8 oder sonstwie durch ihren baulichen Zustand ge¬ 
sundheitswidrig sind, sollen auf Grund eines näher anzuordnenden Verfahrens 
für unbrauchbar zum längeren Aufenthalt von Menschen erklärt werden. 

2. Werden aus diesen Gründen ganze Häusergruppen oder Ortsbezirke 
für unbenutzbar erklärt, so hat die Gemeinde das Recht, den vollständigen 
Umbau zu veranlassen oder vorzunehmen. Es steht ihr zu dem Zweck be¬ 
züglich aller in dem umzubauenden Bezirk befindlichen Grundstücke und 
Gebäude die Zwangsenteignung zu. Für das Enteignungsverfahren sind die 
Landesgesetze maasgebend. 

Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten als Mindestanforderungen und 
schliessen weitergehende Landes-, Provinzial- und Localverordnungen 
nicht aus. 

Der Erlass von Ausführungsbestimmungen steht den Landesbehörden zu. 

Die Handhabung dieses Gesetzes liegt überall den Baupolizeibehörden 
ob, sofern nicht durch die Landesgesetzgebung anderweitige Bestimmung 
getroffen ist. 


Litteratnrbericht. 


Zar Lehre von der asiatischen Cholera. 


Unter den wertvollen epidemiologischen Arbeiten, welche das 
neuere Auftreten der Cholera gezeitigt hat, und über die zum grössten 
Teile dieses Centralblatt berichtete, bleibt u. a. noch zu erwähnen die Ab¬ 
handlung von Prof. M. Gruber (Wien) über die Cholera in Öster¬ 
reich in den Jahren 1885—86. (Ätiologische und prophylaktische Er¬ 
fahrungen über die Cholera-Epidemie in Europa während der letzten 3 bis 
4 Jahre.) *) Den Verfasser lassen seine Untersuchungen und Beobach¬ 
tungen einen Standpunkt einnehmen, welcher in mancher Beziehung zwischen 
den beiden hervorragendsten Choleraforschern, Koch und Pettenkofer, 
zu vermitteln geeignet ist. An dieser Stelle können wir indes nur die Fol¬ 
gerungen, zu welchen Gruber durch seine Untersuchungen gelangt ist, an¬ 
führen. Diese sind nach des Verf.’s Zusammenstellung: 

* 1. Der Koch 'sehe Dibrio ist der spezifische Erreger der Cholera indica. 

2. Der Cholerakeim wurde kurz vor Ausbruch der Epidemie nach 
Österreich eingeschleppt. 

1) VI. internationaler Congress für Hygiene und Demographie zu Wien 
1887. Heft Nr. 18. 


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237 


3. Seine Verbreitung erfolgte durch den menschlichen Verkehr und 
blieb räumlich und zeitlich eingeschränkt 

4. Die Verbreitung erfolgte hauptsächlich durch die Kranken (und 
durch von diesen beschmutzte Effekten). 

5. Für die Cholera-Ansteckung durch Trinkwasser liegt kein Beweis vor. 

6. Die Cholera-Ausbreitung zeigte innerhalb der infizierten Gebiete 
örtlich die grössten Verschiedenheiten. 

7. Sie war in deutlichster Weise abhängig von Jahreszeit und Witterung. 

8. Diese zeitlich-örtlichen Einflüsse widerlegen die Annahme, dass die 
epidemische Ausbreitung der Cholera in der Regel einfach durch 
unmittelbare Übertragung des Keimes vom Kranken auf den Ge¬ 
sunden stattfinde. 

9. Die völlige Aufklärung der Cholera-Ätiologie ist erst von künftigen 
Forschungen zu erwarten. 

10. Nichtsdestoweniger sind die in Österreich angewendeten, im We¬ 
sentlichen auf die Annahme der Verbreitung der Cholera durch 
die Kranken gegründeten prophylaktischen Massregeln völlig ge¬ 
rechtfertigt. 

11. Dass es mit ihr Verdienst ist, wenn die Cholera in Österreich nur 
geringe Ausbreitung und Intensität erlangt hat, ist nicht zu bezwei¬ 
feln, lässt sich aber aus dem Erfolge nicht sicher erweisen. 

12. Wenn sie nicht vollen Erfolg gehabt haben, so liegt dies nicht 
daran, weil sie prinzipiell fehlerhaft waren, sondern an der Schwie¬ 
rigkeit oder Unmöglichkeit ihrer wirksamen Durchführung. 

13. Völliger Schutz gegen die Cholera ist auf den eingeschlagenen 
Wegen erreichbar; aber nur durch Vervollkommnung der staat¬ 
lichen Sanitätsorganisation, Hebung des Volkswohlstandes, endlich 
Hebung der Volksbildung im Allgemeinen und der hygienischen 
Volksbildung insbesondere. * 

Die Eigenschaften der Cholera-Bakterien beanspruchen immer 
noch neue Untersuchungen. Zu den zweifelhaften Thatsachen in der Bio¬ 
logie dieser Bakterien ist die Bildung von Dauersporen derselben zu rech¬ 
nen. Bekanntlich hat u. A. Hueppe eine solche Dauerform beschrieben, 
vgl. ds. Cbl. 1885, S. 434 und 1887, S. 121. — In alten Kulturen von 
Cholerabakterien findet man neben wenigen Bacillen massenhaft Körnchen, 
welche aus dem Zerfall der Bacillen hervorgegangen sind. Von verschie¬ 
denen Forschern ist angegeben worden, dass diese Körnchen wieder zu 
echten Cholerabakterien auswachsen können. Neuere Untersuchungen, 
welche Dr. S. Kit asato im hygienischen Institute zu Berlin ausführte, 
lehrten dagegen, dass aus den Körnchen alter Cholerakulturen neue Bacillen 
nicht entstehen ’). Wir haben es hier also vorläufig noch mit einem voll- 


1) Die Widerstandsfähigkeit der Cholerabakterien gegen das 
Eintrocknen und gegen Hitze. Zeitschrift für Hygiene. 1888 Bd. V, 
1. Heft, 134 ff. 


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238 — 


kommenen Widerspruch, zwei ganz entgegengesetzten Beobach tungsresulta- 
ten zu thun! Derselbe Forscher bestätigte die bekannte Entdeckung Koc h ’s, 
dass die Cholerabakterien beiin Eintrocknen sehr bald zu gründe gehen, 
und er fand in dieser Beziehung zwischen älteren und jüngeren Kulturen 
keinen Unterschied, ebensowenig in Hinsicht ihrer Widerstandskraft gegen 
Hitze. Je schneller und je vollkommener das Eintrocknen vor sich geht, 
um so schneller sterben die Cholerabakterien ab. Einen besonderen Dauer¬ 
zustand dagegen, welcher die Bacillen an und für sich widerstandsfähiger 
gegen das Eintrocknen machen würde, konnte der Verf. in seinen Versuchen 
nicht nachweisen *). 

Über das Verhalten der Cholerabakterien im mensch¬ 
lichen Kot stellte Dr. S. Kitasato ebenfalls im Berliner hygienischen 
Institute Versuche an *). Menschlicher normaler Kot wurde mit frischer 
Fleischbrühe-Kultur der Gholerabakterien versetzt und dann von Zeit zu 
Zeit eine Probe entnommen. Schon nach acht bis zehn Stunden vermin¬ 
derten sich die Cholerabakterien erheblich und waren nach 1 ’/■ bis 3 Tagen 
verschwunden. Wenn am fünften Tage die Versuchsgläser mit alkalischer 
Pepton-Fleischbrühe versetzt und bei 30 0 C. einen Tag lang gehalten waren, 
so wurden dennoch keine Cholerabakterien mehr gefunden, wohl aber jetzt 
erst eine besondere Bacillenart, welche mit den Cholerabacillen eine ent¬ 
fernte Ähnlichkeit hat. Wurde der Kot sterilisirt, so hielten sich die zu¬ 
gesetzten Cholerabakterien länger, bis zu 25 Tagen, vermehrten sich in¬ 
dessen nicht. 

[Durch diese Versuche wird natürlich nicht widerlegt, dass, wie andere 
angeben, die Cholerabakterien in den Entleerungen Cholerakranker 
längere Zeit lebensfähig bleiben können; vgl. z. B. die Mitteilungen von 
Prof. M. Grub er, über welche wir in diesem Centralblatt 1887, Bd. VI, 
S. 334, berichteten.] 

Sodann hat Dr. S. Kitasato die Cholerabakterien mit einer grossen 
Anzahl anderer pathogener und nicht pathogener Mikroorganismen in künst¬ 
lichen Nährböden auf verschiedene Weise zusammengebracht und ihre wei¬ 
tere Entwickelung beobachtet •). Zu diesen Versuchen wurden meist nur 
solche Mikroorganismen verwandt, welche auf künstlichen Nährböden schnell 
zu wachsen vermögen, da zu befürchten war, dass Mikroorganismen mit 
langsamem Wachstum in kurzer Zeit durch die Gholerabakterien würden 
überwuchert werden. Der Verf. kommt zu dem Ergebnisse, dass keine 
Bakterienart sich hat finden lassen, welche im stände wäre, Cholerabakte¬ 
rien in künstlichen Nährspbstraten durch gleichzeitiges Wachstum in kiirze- 


1) Vgl. auch Kitasato: Nachtrag zu der Abhandlung: „Die Widerstands¬ 
fähigkeit u. s. w.‘, Ztschr. f. Hygiene, 1889, Bd. VI, Heft 1, S. 11. 

2) Zeitschrift für Hygiene, Bd. V, 3. Heft, 1889, S. 487 ff. 

3) Über das Verhalten der Cholera bakteriell zu anderen pa¬ 
thogenen und nicht pathogenen Mikroorganismen in künstlichen 
Nährsubstraten. Ztschr. f. Hygiene, Bd. VI, 1889, Heft 1. 


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— 239 — 


rer Zeit zu vernichten. Dagegen wird umgekehrt eine ganze Reihe ver¬ 
schiedener Mikroorganismen durch die Cholerabakterien in ihrer Entwickelung 
geschädigt und sogar in wenigen Tagen getötet. Als wichtigste derartige 
Tatsache muss die auffallende Erscheinung bezeichnet werden, dass Milz¬ 
brandbacillen, welche in Kulturen in Berührung mit Cholerabakterien kom¬ 
men, in verhältnismässig kurzer Zeit schon unter dem Einflüsse derselben 
zu gründe gehen. 

Wenn der Verf. z. B. eine gut gewachsene Kultur von Milzbrandbacillen 
in Fleischbrühe, welche 2—3 Tage lang bei Brüttemperatur gestanden hatte, 
mit Cholerabakterien infizierte, so wuchsen die letzteren darin im ganzen 
gut, und schliesslich gingen die Milzbrandbacillen in dem Gemisch zu gründe. 

Die Mikrobien des Typhus und der Cholera hielten sich in gemischten 
Kulturen über drei Monate lang gleich lebensfähig. Die Bacillen des grünen 
Eiters erwiesen sich als überlegen; sie verdrängten die Cholerabakterien, 
wenn sie dieselben auch erst nach längerer Zeit vollständig zu vernichten 
vermochten. Andere pathogene Bakterien verhielten sich gegenüber den 
Cholerabacillen ähnlich wie die des Typhus, andere (z. B. die Kokken der 
Wundrose) wie die des Milzbrands. 

Von den Versuchen mit nicht pathogenen Mikroorganismen interessiren 
im besonderen noch diejenigen, welche mit den gewöhnlich im mensch¬ 
lichen Kote vorkommenden Bakterien angestellt wurden. Es waren im 
ganzen 6 Arten, deren Verhalten gegenüber den Cholerabacillen geprüft 
wurde. Durch keine dieser 6 Arten wurden die letzteren in Mischkulturen 
geschädigt und ebensowenig durch gemeinschaftliche Züchtung aller sechs 
Arten von Kotbakterien mit den Kommabacillen. — 

Derselbe Verf. untersuchte auch das Verhalten der Cholera¬ 
bakterien in der Milch *)• Es zeigte sich, dass die Lebensdauer der 
Cholerabakterien von der Reaktion der Milch abhängt; je schneller die 
Milch sauer wird, um so schneller gehen die Cholerabakterien darin zu 
Grunde; dagegen blieben die Cholerabakterien so lange am Leben, bis die 
Milch stark sauer wurde. Wird frische Milch durch Cholerabakterien ver¬ 
unreinigt, so vermehren sich dieselben bei höherer Temperatur (36 0 C.) 
in den ersten Stunden erheblich und bleiben bei niedriger und mittlerer 
Temperatur bis zu mehreren Tagen am Leben. Wird die Milch fünf Mi¬ 
nuten lang gekocht, so werden die Cholerabakterien nach Kitasato’s 
Versuchen sicher zerstört. 

Zur Verhütung der Cholera-Ansteckung wird im allgemeinen das Er¬ 
hitzen verdächtiger flüssiger und an ihrer Oberfläche feuchter fester Nah¬ 
rungsmittel unmittelbar vor dem Genüsse zu empfehlen sein. Unsere 
Nahrungsmittel als Nährböden für Typhus und Cholera unter¬ 
suchte der Bezirksarzt in Schwarzenberg Dr. W. Hesse 1 2 ). Derselbe ist 
überzeugt, dass die überwiegende Mehrzahl derjenigen Erkrankungen, welche 


1) Ztschr. f. Hygiene, Bd. V, 1889, S. 401 ff. 

2) Ztschr. f. Hygiene, Bd. V, 3. Heft, S. 527 ff. 

Ceotralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 17 


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— 240 — 


durch Verschlucken von Bakterien bewirkt werden, dadurch zustande kommt, 
dass gleichzeitig grosse Massen pathogener Keime verzehrt werden, welche 
als Kulturen auf unseren gebräuchlichen Nahrungsmitteln aus vereinzelten 
den letzteren zugetragenen Keimen gewachsen waren. Es wurden deshalb 
die gebräuchlichen zubereiteten Speisen (im sterilisierten Zustande) mit 
Cholera- und Typhusbakterien geimpft, dann aber erst nicht vor Ablauf 
von 4 Wochen untersucht. Frühere Untersuchungen hatten ergeben, dass 
in dem der Wohnung zugeführten Leitungswasser die Zahl der künstlich 
beigemischten Keime sich nicht vermehrte und nach 3 bis 4 Wochen jede 
Spur von ihnen verschwunden war. Verf. schliesst daraus, dass Typhus- 
und Cholerakeime in jenem Wasser weder Nahrung finden noch Dauer¬ 
formen bilden, und nimmt daher an, dass die Nahrungsmittel, in denen 
sich nach 4 Wochen noch lebensfähige Keime nach weisen Hessen, eher von 
erhaltendem als von nachteiligem Einflüsse auf die Keime gewesen sein 
müssen. Als wichtigstes Ergebniss der Untersuchungen bezeichnet es der 
Verf., dass die überwiegende Mehrzahl der geprüften Nahrungsmittel als 
mehr oder minder gute Nährböden für Cholera und Typhus zu betrachten 
sind. Mindestens 4 bis 5 Wochen nach der Impfung waren zu gründe 
gegangen 

a. sowohl der Typhus- als der Cholerakeim auf Kuhkäse, in Leitungs¬ 
wasser, in Schnittbohnen; 

b. der Typhuskeim allein auf Steinpilzen; 

c. der Cholerakeim allein auf rohem Rindfleisch, Kartoffeln, Blutwurst, 
in einem Fleischinfus, auf Brotrinde und in Schinkenbrühe. 

Als gute Nährböden für den Typhus- und den Cholerakeim haben zu 
gelten die Milch, Fleischklöschen, gewürzte Fleischbrühe, alkalisches und 
anderes Fleischinfus, Eiweiss, Sülze, Erbsenbrei und Schinkenbrühe, Milch¬ 
gries, Kartoffelstückchen ohne und mit Schnittbohnen; ferner für Typhus 
noch rohes Rindfleisch, Kartoffeln, gekochtes Rindfleisch, Schinkenbrühe, 
Brühreis, Kerbelrüben; — für Cholera noch gezuckerter Milchgries. — 

Schliesslich berichten wir über neue Versuche über die Desinfektion 
von Cholera-Ausleerungen mit Kalk *)• Schon Liborius und 
Kitasato haben bewiesen, dass ein geringer Zusatz von Ätzkalk zu (Typhus- 
und) Cholerabacillen in Bouillonkulturen tötet. Um nun mit Gemischen zu 
arbeiten, welche den wirklichen Cholera-Entleerungen möglichst ähnlich 
waren, wurden von Dr. Pfuhl diarrhoische Stuhlmassen sterilisirt, dann 
mit Cholerabacillen aus frischer Agar-Kultur geimpft. Diese wurden 24 Stun¬ 
den später, nachdem zuvor von ihnen aus ein Proberöhrchen geimpft wor¬ 
den war, mit 2 Prozent 20prozentiger Kalkmilch versetzt, mehrmals um¬ 
geschüttelt und bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Die Versuche lehrten, 
dass (sowohl Typhus- wie) , Cholera “-Ausleerungen durch den genannten 
Zusatz in kürzester Zeit, spätestens in einer Stunde desinfiziert werden. In 

1) Dr. E. Pfuhl, Uber die Desinfektion der Typhus- und'Cho* 
Iera-Ausleerungen mit Kalk. Ztschr. f. Hygiene, Bd. VI, Heft 1, S. 97 fl*. 


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— 241 — 


der Praxis erscheint es am zweckmässigsten, 2 Volumprozente der bezeich¬ 
nten Kalkmilch zu verwenden; es ist aber, wenn diese ausreichen sollen, 
vorausgesetzt, dass die Kalkmilch aus Kalk von guter Beschaffenheit bereitet 
und möglichst frisch ist, sowie dass die Ausleerungen diarrhoisch sind. 
Wenn das nicht der Fall ist — wie z. B. bei der Desinfektion gemischten 
Latrineninhalts —, so lässt sich nach Verf. doch leicht prüfen, ob der Zu¬ 
satz von Kalk ausreichend ist oder nicht. Nach den Versuchen des Verf.’s 
genügt es nämlich, so lange zu den Stuhlmassen Kalkmilch hinzuzusetzen, 
bis die Reaktion ausgesprochen alkalisch ist. — Kalkmilch ist immer leicht 
zu beschaffen. Es eignet sich schon sehr gut der in den Kalkbrennereien 
und Baumaterialien-Handlungen käufliche gebrannte Kalk, von dem der 
Centner 1,1 bis 1,2 Mk. kostet. Zum Löschen des Kalkes ist die halbe 
Gewichtsmenge Wassers nötig oder soviel Wasser, als die Kalksteine auf¬ 
saugen. Zur Herstellung einer etwa 20prozentigen Kalkmilch genügt es, 
den pulverförmig gelöschten Kalk mit der doppelten Menge Wassers zu ver¬ 
setzen. Unmittelbar vor der Anwendung muss die Kalkmilch tüchtig um¬ 
geschüttelt oder umgerührt werden; auch ist dieselbe mit den Fäkalien 
gehörig zu vermischen. Wolffberg. 

Carl Lüderitz, Zur Kenntniss der anaeroben Bakterien. Zeitschrift für 
Hygiene, 5. Band. Seite 141. 

L. gewann aus dem Körper von weissen Mäusen und Meerschweinchen, 
welche nach subcutaner Einverleibung von Gartenerde gestorben waren, 
ausser den Bacillen des malignen Oedems obligat und facultativ anae¬ 
robe Bakterien, die er auf Grund ihres Verhaltens im mikroskopischen Prä¬ 
parat und in Reincultur bezeichnete als: 

Bacillus liquefaciens magnus, 

Bacillus liquefaciens parvus, 

Bacillus radiatus, 

Bacillus solidus, 

Bacillus spinosus. 

Je luftfreier der Nährboden, um so reichlicher waren die von ihnen 
entwickelten Gährungserscheinungen. Die grössten Gasmengen lieferte solidus, 
geringere 1. magnus, 1. radiatus und spinosus, die kleinsten 1. parvus (die 
charakteristischen Merkmale dieser Bakterien vergl. im Original!). In einer 
Tabelle erläutert der Verf. die verschiedene Luftempfindlichkeit derselben 
und benutzt dafür als Maass die Höhe der oberen, colonieenfreien Zonen 
der 7 bis 9 cm hohen Nährbodenschicht. Hierzu veranlasste die Beobach¬ 
tung, dass von zwei gegen Sauerstoff gleich stark empfindlichen Anaeroben, 
wenn deren eine z. B. schon nach 24 Stunden, die andere etwa erst nach 
4 Tagen sichtbare Golonieen bildete, die letztere eine höhere wachsthums¬ 
freie obere Zone aufwies als die erste, indem bei ihr die Luft tiefer in den 
Nährboden eindringen konnte. Wie zwischen den genannten fünf Bakterien 
in Bezug auf Luftempfindlichkeit Uebergänge untereinander stattfinden, 


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— 242 — 


so sind auch nach der Seite der facultativ anaeroben hin Zwischenstufen 
anzunehmen. 

Beschränkung des Wachsthums durch' Luftzutritt constatirte Verf. 
u. A. für den Mäuseseptichaemiebacillus. 

Die anaeroben B. wurden durch das Eindringen des Sauerstoffs in den 
Nährboden in ihrem Wachsthum zunächst eingeschränkt, bis sie schliesslich 
abstarben. Verf. betont, dass die verflüssigenden Anaeroben allmälig auch die 
oberen, anfangs von Golonien freien Schichten des Nährbodens, nachdem aus 
diesen die Luft durch die gasigen Stoffwechselproducte der Bakterien vertrieben 
worden, in die Verflüssigung hineinziehen. Da hierbei aus den in den oberen 
Nährbodenschichten vertheilten Keimen nur spärliche oder auch gar keine 
Colonien sich entwickeln, sondern die Verflüssigung von unten her, von den 
alten Colonien aus, sich ausbreitet, so ist anzunehmen, dass die Keime in 
den oberen Schichten trotz der durch Wiederverdrängung der Luft günstiger 
gewordenen Wachsthumsbedingungen durch die Berührung mit dem Sauer¬ 
stoff ihre Lebensfähigkeit eingebüsst haben. Des Weiteren ergab sich, dass 
entwickelungsfähige anaerobe Bakterien entweder, je nachdem sie mehr oder 
weniger lange der Einwirkung der Luft ausgesetzt wurden, wenige oder 
gar keine Golonien aus wachsen Hessen, während sie vor Sauerstoffeinwir¬ 
kung bewahrt, entwickelungsfähig blieben, oder aber ihre Entwickelungs¬ 
fähigkeit durch die Einwirkung der Luft verlangsamt erschien. 

Flatten. 

P. Foä nnd A. Bonome, ein Fall von Septichaemie beim Menschen mit 
einigen Kennzeichen der Milzbrandinfection. Zeitschr. f. Hygiene. 5. Band, 
Seite 403. 

Bei einem Gerber, der seit drei Tagen an einem Bläschen am Vorder¬ 
arm erkrankt war, constatirten Verff. bei der Aufnahme in ihr Spital einen 
violetten Fleck von 5 cm Durchmesser am Vorderarm, Anschwellung des 
ganzen Armes und Ausdehnung derselben auf den Hals und die obere 
Brustpartie. Einschnitte. Tod am 8. Tage. 

Das Fehlen einer Milzschwellung, die Anwesenheit von nur kurzen 
und dicken Bacillen in der Flüssigkeit des Unterhautgewebes sowie die 
Ergebnisse von Experimenten an Thieren betonen Verff., um die im kli¬ 
nischen Bilde wie im Leichenbefunde von echtem Milzbrand nicht erheblich 
abweichende Erkrankung als eine durch eine besondere Bakterienart be¬ 
dingte Septichaemie zu kennzeichnen. 

Flatten. 

M. von Pettenkofer, Die Typhnsbewegang in München von 1851 bis 1887, 

Münchener Neueste Nachrichten 1889. Nr. 10 bis 17. 

Zur Abwehr der jüngst aufgestellten Behauptung eines Wiener Blattes, 
dass München sich durch Häufigkeit und Bösartigkeit des Unterleibstyphus 
auszeichne, hat v. P. den vorstehend citirten Aufsatz für die Münchener 
Neuesten Nachrichten abgefasst. 


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243 


Nach Darlegung derjenigen Beobachtungen, aus welchen hervorgeht, 
dass die Typhusmortalität ein durchaus richtiges Bild von der Zahl der 
Erkrankungen gebe (vergl. das Referat über die v. Ziemssen’sche Arbeit 
„der Typhus in München während der letzten 20 Jahre*, Jahrgang 1888), 
weist Verf. die gegen diese Art epidemiologischer Untersuchung erhobenen 
Ein wände zurück und bespricht die Typhusfrequenz an der Hand einer 
für die Zeit von 1851 bis 1887 entworfenen Tabelle, derselben, welche er 
z. Z. in seiner Besprechung des Berichtes der Koch’schen Choleraexpe¬ 
dition mittheilte. Man erkennt vier Typhusperioden (1851 — 1860, 1860— 
1867, 1867—1876, 1876—1887), welche bis 1880 Grundwasserperioden 
entsprechen. Wie bereits früher, so betont Pettenkofer auch bei dieser Ge¬ 
legenheit ausdrücklich, dass er in dem Grundwasser keineswegs einen dem Ty¬ 
phuskeim günstigen Stoff oder dergl. erblicke, sondern dass ihm der Grund¬ 
wasserstand nur ein Index für Anderes sei, für die Feuchtigkeits-Verhält¬ 
nisse und für davon abhängige Vorgänge über dem Grundwasserspiegel und 
ziemlich nahe der Oberfläche, und dass nach seiner Ansicht, wenn diese 
Feuchtigkeits- und Bodenverhältnisse gegeben sind, Typhus- und Cholera- 
epidemieen auch an Orten Vorkommen können, wo sich gar kein Grund¬ 
wasser findet. Das Grundwasser und seine Bewegung und die Gegenwart 
des Typhuskeimes sind für sich allein noch nicht im Stande, eine Typhus¬ 
epidemie hervorzurufen. 

Weshalb von 1880 an Typhus- und Grundwasserbewegungen nicht 
mehr harmoniren und schon die zweite Typhusperiode (1860—1867) weit 
schwächer war als die erste, warum ferner der Typhus seit 1880 aus 
München fast geschwunden sei, lässt sich aus den Tr in kwasser Verhält¬ 
nissen, speziell aus Aenderungen der Wasserversorgung, nicht erklären. 
Weder die Einführung des Pettenkoferbrunnhauses noch die Hochquell¬ 
leitung zeigen den geringsten Einfluss auf die Typhusfrequenz. Speciell 
waren die nach der Eröffnung des Pettenkoferbrunnhauses noch mit Wasser 
aus der Königlichen Hofwasserleitung versorgten Häuser'(871 Häuser mit 
23302 Menschen) von Typhus nicht mehr befallen als die an die Hoch¬ 
quellleitung angeschlossenen. 

Ebensowenig wie der Trinkwasser-Versorgung kann die Abnahme des 
Typhus in München der Vervollkommnung der ärztlichen Behandlung — 
die Erkrankungen sind, sei es in Folge einer quantitativen Verminderung 
des Infectionsstoffes oder in Folge einer Abschwächung seiner Virulenz 
leichtere als früher, — einer nachweislichen Aenderung in der Constitution 
der Bewohner Münchens oder einer etwa zu supponirenden Durchseuchung 
zugeschrieben werden. 

Wenn die Ausdehnung der Epidemieen demnach nicht 
vom Trinkwasser und nicht vom Kranken abhängt, so kann 
nur der Ort München daran die Schuld tragen, und in dieser 
Hinsicht ist ps nur die durch die Cana 1 isation, und die ErÖffnungdes 
Schlacht- und Viehhofes erzielte Assanirung des Bodens, welcher die 
Abnahme des Typhus mit Recht zugeschrieben werden kann. Flatten. 


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— 244 — 


Dr. A. E. Burckhardt and Dr. F. Schaler, Untersuchungen über die Qeeand- 
heitsverhältnisBe der Fabrikbeyölkerong in der Schweiz mit besonderer 
Berücksichtigung des Krankenkassenwesens. Aarau, H. B. Sauerländer 1889. 

Um die Kenntniss des sanitären Einflusses der verschiedenen Industrien 
auf Gesundheit und Leben des Arbeiters zu fördern, wurden auf Veran¬ 
lassung des schweizerischen Aerztevereins vom Jahre 1880—1884 statistische 
Erhebungen über die Erkrankungen von ungefähr 18,000 Fabrikarbeitern, 
welche in ca. 150 kleinen und grossen Krankenkassen vereinigt, ca. 5000 
jährliche Erkrankungsfalle lieferten, gesammelt. Die Bearbeitung und Deu¬ 
tung der gewonnenen Zahlen bilden den Inhalt des in einen allgemeinen 
und einen speziellen Theil geschiedenen Werkes. Wie überall, wo ohne 
amtliche Autorität uijd ohne Zwang über die sanitären Verhältnisse der 
Arbeiter Fragen an Fabrikbesitzer, Krankenkassenvorstände, oder auch deren 
Aerzte gerichtet werden, stellten sich auch hier den Erhebungen zahlreiche 
Schwierigkeiten entgegen und ergaben sich mannigfache Mängel und Fehler¬ 
quellen in dem gesammelten Material. Es sind diese Mängel jedoch ein¬ 
gehend besprochen und gebührend berücksichtigt, so dass die Verfasser 
wohl mit Recht behaupten dürfen, dass aus ihrer Bearbeitung des Materials 
mancher für die Zwecke der Krankenkassen erwünschte Aufschluss und 
Belehrung sich ergeben, und dass ihre Angaben auch für die Frage der 
Unfallversicherung vielleicht das Zuverlässigste bisher in der Schweiz ge¬ 
sammelte Material bieten dürften. 

Der allgemeine Theil bringt eine Reihe von Tabellen, von denen die 
ersten die aus den eingegangenen Krankenscheinen gewonnenen Urzahlen 
enthalten, welche die Zahlen der Krankenkassenmitglieder (nach verschie¬ 
denen Altersklassen, Industrie und Geschlecht) ihrer Erkrankungsfalle und 
Krankheitstage vorführen. Hierauf folgen Tabellen mit dem Procentsatze 
der Erkrankten und der Dauer der einzelnen Erkrankungen für männliche und 
weibliche Arbeiter; daran schliesst sich die Berechnung der Krankheitstage 
auf den Kopf der Arbeiter. Dieselben Urzahlen und Berechnungen, wie 
für die Erkrankungen, sind gesondert für die Verletzungen aufgestellt. 

Interessante Ergebnisse dieser Berechnungen sind unter anderen fol¬ 
gende: 

„Die Männer sind ungleich häufiger gegen Krankheiten versichert, als 
die Frauen, so dass ein lebhaftes Einstehen für Betheiligung des weiblichen 
Geschlechts an der Krankenversicherung noth thäte. 

Die durchschnittliche Zahl der jährlichen Krankheitstage pro Kopf be¬ 
trägt 6,34 und stimmt ziemlich überein mit dem Ergebnisse Kinkelin’s 
der für 63,608 Krankenkassenmitglieder 6,44, und dem des schweizerischen 
Aerzteunterstützungsvereines, welcher die Zahl 6,2 herausrechnete. 

Die MorbiditätsVerhältnisse der beiden Geschlechter sind sehr ver¬ 
schieden: Werden die Arbeitsunfähigkeitstage durch Verletzungen abge¬ 
rechnet, so ist die Erkrankungsfrequenz fast gleich, die durchschnittliche 
Dauer der Erkrankung bei den Frauen jedoch bedeutend höher. (Wichtig 
für die Einrichtung gemeinsamer Kassen beider Geschlechter.) 


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- 245 


Die Häufigkeit des Erkrankens nimmt selbstverständlich mit dem Alter 
zu, aber in Bezug auf die Krankheitsdauer ergiebt sich das Auffallende, dass 
beim männlichen Geschlechte die jüngste Altersklasse (14—18 Jahre) eine 
längere durchschnittliche Erkrankungsdauer hat, als die 2. (19—30 Jahre), 
während bei den Frauen nicht so erhebliche Schwankungen zu Tage treten. 
Das Zahlenverhältniss der Arbeitsunfähigkeitstage nimmt in jeder Klasse zu 
und ergiebt eine Differenz zwischen ältester und jüngster Klasse wie 4 : 1 
bei Männern, wie 3:1 bei Frauen. — Von Verletzungen haben die männ¬ 
lichen Arbeiter unter 18 Jahren — den Durchschnitt aus allen Industrie¬ 
zweigen berechnet — die kleinste Zahl und eine niedrige in Bezug auf 
die Tage der Arbeitsunfähigkeit; bei den weiblichen weicht das Verhält¬ 
nis nicht so sehr ab. Dagegen findet eine ausserordentliche Zunahme bei 
der ältesten Klasse statt. 

Auch in Bezug auf die Bedeutung der Verletzungen, die durchschnitt¬ 
liche Zeit der Arbeitsunfähigkeit, welche Folge einer Verletzung ist, stellen 
sich die Verletzungen männlicher Personen der Alterklasse über 50 Jahre 
am ungünstigsten, sie bedingen reichlich anderthalb mal so viel Invalidi¬ 
tätstage, als der Durchschnitt für alle Altersklassen ausmacht. — Sehr in 
die Augen springend ist die grosse Ungleichheit in der Frequenz der Ver¬ 
letzungen sowohl, als in der durch sie herbeigeführten Invalidität bei den 
verschiedenen Industriezweigen. Die Häufigkeit schwankt bei den Männern 
sogar bis um das 14fache, in weit kleineren Proportionen beim weiblichen 
Geschlechte. Es ist dies wohl zu berücksichtigen, wo es sich z. B. um 
Kassen handelt, die lediglich zur Unterstützung Kranker, nicht aber Ver¬ 
letzter bestimmt sind.“ — 

Der zweite Theil enthält eine genaue Analyse der sanitären Verhält¬ 
nisse in den einzelnen Industriezweigen. Nach einer kurzen Geschichte der 
Entstehung, Ausbreitung und Vervollkommnung der speziellen Industrie, 
werden die sanitären Verhältnisse der Arbeiter ausserhalb und in der 
Fabrik erörtert. Es werden Untersuchungen mitgetheilt über die Herkunft, 
die Familien-, Wohnungs- und Ernährungsverhältnisse, die Arbeitszeit und 
die Dauer der Erholungsstunden, über die Höhe des Lohnes und die Ein¬ 
richtungen der Kranken- und Unterstützungskassen; über Grösse und Rein¬ 
lichkeit des Fabrikraumes, über Menge, Zusammensetzung und Temperatur 
der Athmungsluft, über die Art der Arbeit, spezielle Hantirung und kör¬ 
perliche Leistung, sowie über die Zusammensetzung des Personals und das 
Verhältniss des Alters und Geschlechts. 

Durch diese Untersuchungen werden die besonderen Schädigungen der 
Gesundheit, denen der Fabrikarbeiter ausgesetzt ist, hervorgehoben und 
durch die Ergebnisse der Statistik nachgewiesen, dass diesen Schädlich¬ 
keiten allemal eine Erhöhung der Zahl der Krankheiten entspricht, deren 
Entstehung dieselben begünstigen. So wird der Nachweis geliefert, „dass 
die erhöhte Krankenziffer, welche stets bei der arbeitenden Klasse gefunden 
wird, durchaus nicht etwas dem Berufe des Fabrikarbeiters unzertrennlich 
Anhaftendes ist, etwa in der Weise, wie sich kein Mensch über die hohe 


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Mortalität des Soldatenstandes zu wundem hat, dass ferner die ungünstige 
Stellung des Fabrikarbeiters nicht lediglich in seiner ganzen ökonomischen 
und socialen Lage begründet ist, sondern dass neben den mit jeder kör- 
perlichen Arbeit unvermeidlich verbundenen Unbilden auch noch andere, 
man möchte sagen unnötigerweise auftretende Schädlichkeiten sich finden, 
gegen welche sich die menschliche Energie mit Recht sträubt“ und deren 
Beseitigung die Aufgabe der Fabrikhygiene sein muss. 

In kurzen Abschnitten werden weiter behandelt die Dauer der einzelnen 
Erkrankungen nach Krankheitsform, Geschlecht und Alter, ferner der Ein¬ 
fluss des Alters auf die verschiedenen Infektionskrankheiten nach Industrien. 

Zum Schlüsse heben die Verfasser die Faktoren hervor v welche von 
hervorragendem Einflüsse auf die Erkrankungsfrequenz der Arbeiter sich 
erwiesen haben. Das Geschlecht, das Alter, die Verhältnisse des Arbeits¬ 
raumes, die körperliche Leistung bei der Arbeit, die Erholungsstunden und 
Ruhetage sind auch in der Schweiz die Hauptraomente, auf welche sich 
neben den Bemühungen zur Ermöglichung eines gesundheitsgemässen Le¬ 
bens des Arbeiters ausserhalb der Fabrik die Bestrebungen der Fabrik¬ 
hygiene zu richten haben. 

Le Blanc. 


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Neue Desinfections-Apparate 

von 

Ingenieur A. Walz in Düsseldorf. 


Für die Diakonissen-Anstalt in Kaiserswerth wurde durch die 
Firma Walz & Windscheid in Düsseldorf ein neu construirter 
Desinfections-Apparat geliefert, welcher durch die Figuren 1 und 2 
in einem Längenschnitt und einer Vorderansicht dargestellt ist. 
Der Apparat ist so gross, dass ganze Bettstellen eingebracht 
werden können und wird beschickt vermittelst eines Wagens, 
welcher auf Rollen einerseits im Innern des Apparates, andererseits 
über eine in der Höhe angebrachte Laufschiene läuft. Abgeschlossen 
r wird der Apparat durch eine rechteckige Thüre; der Apparat 
selbst hat dagegen eine runde Form erhalten, um dem Druck 
besser widerstehen zu können. Auch die Wandstärken sind dem¬ 
entsprechend dick, so dass der Apparat eine Wasserdruckprobe 
von 1—1 Va Atm. bestehen konnte. Während des Betriebes wird 
ein geringerer Druck durch ein Sicherheitsventil begrenzt. Dasselbe 
wird nach erfolgter Benutzung gehoben und als Dampfauslassventil 
benutzt. Das Ventil selbst ist jedoch durch ein Gehäuse so ge¬ 
schützt, dass eine Belastung desselben durch das Wärterpersonal 
und damit eine Ueberanstrengung des Apparates nicht möglich ist. 
Der Dampf wird oben über einem grossen Dampftrockner (einer 
Schutzdecke) eingeleitet, so dass eine Benetzung der Objecte durch 
Wasser nicht möglich ist. Luft und Wasser dagegen werden an 
dem tiefsten Punkte in einen Gondensator geleitet. Dieser bleibt 
geöffnet so lange nur Luft und Wasser abfliessen, schliesst dagegen 
selbstthätig ab, sowie Dampf nachfolgt. Sammelt sich während 
des Desinfectionsprocesses Wasser und auch noch vereinzelte Luft 
in dem Condensator an, so öffnet er selbstthätig, um wiederum 
zu schliessen, so bald neuer Dampf nachfolgt. Ist der Apparat 
mit Dampf gefüllt, so ist die Spannung in dem Apparat, an einem 
Manometer zu erkennen. Für den Wärter beginnt hiermit die 
Desinfectionsperiode, welche er für die schlimmsten Fälle auf nur 
40—50 Minuten auszudehnen hat. Bei den stattgehabten Proben 
wurden in festen Rollen von 25—30 Wolldecken 110° C. gefunden. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 18 


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— 248 — 



Fig. 1. 


Es kann garantirt werden, dass diese Temperatur sich mit Sicher¬ 
heit in jedem Punkte des Apparates innerhalb und ausserhalb der 
Objekte einstellt. 

In noch grösserem Maassstabc wird man in Trier zuerst Vor¬ 
gehen, um die in grossen Ballen aus dem Auslande eingeführten 
Lumpen mit einem ähnlich construirten Apparate zu desinficiren. 
Bekanntlich bietet dieser Handelsartikel die grösste Gefahr, dass 
Krankheitsstoffe aus dem Auslande eingeschleppt werden. 


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Fig. 2. 


Fig. 3. 


Der in der Ausführung begriffene Apparat ist für die Firma 

H. Loeser & Cie. in Trier bestimmt, welche den Lumpenhandel 

in grossem Maassstabe betreibt.* 

Ein anderer viel kleinerer Apparat ist in dem Victoria-Stift in 
Kreuznach in Betrieb. Derselbe ist in Fig. 3 durch eine Ansicht 
dargestellt. Der Dampf wird hier direct durch den Apparat erzeugt 
und ist in seinem Grundprincip dem Koch’schen Topfe ähnlich. 

Der untere Theil des Apparates ist mit Wasser gefüllt; direct 

darunter liegt ein Feuer. Der Wasserstand ist an einem Glase er¬ 
sichtlich. Der obere Theil des Apparates ist in einem horizontal 
liegenden doppelwandigen Cylinder ausgebildet, welcher die Des- 
infectionsobjecte aufzunehmen hat. Der innere Cylinder ist mit 
Holz ausgefüttert. Verschlossen wird der Apparat durch einen 
runden vertikal hängenden Deckel, welcher vermittelst Laufschiene 
und Rolle seitwärts geschoben werden kann. Der Dampf steigt 
zwischen den horizontalen Cylindern in die Höhe. Die Luft wird 
unten, über der Wasserlinie durch ein Ventil entfernt. Die er¬ 
folgte Füllung des Apparates mit Dampf ist zu erkennen, wenn an 
diesem Ventil Dampf abbläst; man schliesst dasselbe alsdann. Der 


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Druck wird wie bei den grossen Apparaten durch ein Sicherheits¬ 
ventil begrenzt und ist an einem Manometer zu erkennen. Die 
Leistung ist bei einem verschwindend geringen Brennstoffverbrauch 
dieselbe wie bei den grossen Apparaten. Auch dieser Apparat 
wurde der Sicherheit wegen einer Wasserdruckprobe unterworfen 
und zwar hier von 5 Atm. 

In all diesen Apparaten wird weder der Dampf noch die Luft 
über die natürliche Temperatur hinaus erwärmt. Der Kostenpreis 
ist daher trotz der erhöhten Leistung und Sicherheit wesentlich 
billiger geworden, wie bei den Apparaten, welche mit inneren 
Heiz Vorrichtungen versehen sind. 

In allen ist dem Umstande besondere Rechnung getragen, 
dass der Dampf leichter ist wie die Luft und dass es Hauptsache 
ist, die letztere gänzlich zu entfernen. 


Betrachtungen 

über eine neue Heilanstalt für Lungenkranke. 

Von 

Dr. Ernst Meissen, 

Zweitem Arzt der Heilanstalt Falkenstein. 


Allgemein wird gegenwärtig anerkannt, dass die chronische 
Tuberculose der Lunge, die Lungen-Schwindsucht, der Besserung 
und Heilung in weit höherem Grade zugänglich ist, als man früher 
angenommen und zugegeben hat. Es wird nicht mehr bezweifelt, 
dass mehr oder weniger vollständige, zeitweilige, aber auch dau¬ 
ernde und bleibende Heilerfolge nicht etwa ausnahmsweise und mehr 
zufällig, sondern als regelmässige Ergebnisse eines zielbewussten 
ärztlichen Eingreifens in verhältnissmässig sehr beträchtlicher Zahl 
erreicht werden können, und thatsächlich erreicht werden. Diese 
schönen Erfolge gegenüber der verbreitetsten und verderblichsten 
Krankheit unserer Zeit sind nun aber keineswegs der Entdeckung 
und Anwendung von unmittelbar gegen den Erreger dieser Krank¬ 
heit, den Tuberkel-Bacillus, wirksamen Mitteln, specifischen Arznei¬ 
stoffen oder entsprechenden Massnahmen, zu danken. So möglich 
die Auffindung specifischer Mittel gegen die Tuberkulose erscheint, 
so wünschenswerth sie wäre, wir besitzen solche aber bis heute 
nicht. Was davon berichtet wurde, und alltäglich wieder berichtet 
wird, hat noch niemals der nüchternen Prüfung Stand gehalten. 
Das skeptische Verhalten wohl sämmtlicher Aerzte, die sich lange 
und eingehend mit* dieser Krankheit beschäftigt haben, hat also 


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— 251 


gewiss seine gute Berechtigung. Ziffernmässig zu belegende, wissen¬ 
schaftlich vollständig sichergestellte und über eine Reihe von Jahren 
verfolgte Heilungen sind bisher nur durch ein auf hygienisch¬ 
diätetische Grundsätze basirtes Kurverfahren erzielt worden. 

Diese Methode hat sich entwickelt aus uralter und gewisser- 
massen volksthümlicher Erfahrung und Beobachtung derjenigen 
Verhältnisse, unter denen man noch am ehesten Lungenkranke sich 
bessern und heilen sah einerseits und aus der wissenschaftlichen 
modernen Klimatotherapie der Phthise andererseits. Betrachtet 
man in letzterer Beziehung, welch verschiedene klimatische Factoren, 
wie die warme, theils feuchte (Madeira), theils trockene (Aegypten) 
Luft des Südens, die kühle, trockne und frische Luft der Höhen, 
die meist feuchte Luft der sommerlichen Badeorte, als ganz besonders 
heilsam angepriesen werden; erwägt man ferner, dass thatsächlich 
unter allen diesen so verschiedenen Bedingungen Erfolge erzielt 
wurden, so muss sich doch der Gedanke aufdrängen, dass nicht 
diese klimatischen Besonderheiten, sondern etwas Gemeinsames das 
eigentlich Wirksame sein muss. Dies Gemeinsame liegt nun eben 
in den hygienisch-diätetischen Maximen, die an allen diesen Orten 
mehr oder minder bewusst und entschieden den Kurplan bestim¬ 
men. So muss nothwendig mehr und mehr der Gedanke durch¬ 
dringen, dass nicht der Ort wo, sondern die Art wie der Lungen¬ 
kranke lebt in erster Linie über sein Wohl und Wehe entscheidet. 
Es gibt auch keine klimatischen Specifica gegen die Schwindsucht. 

Die hygienisch-diätetische Methode wird niemals auf den ge¬ 
waltigen Vortheil verzichten, der in dem Herauslösen des Kranken 
aus den Verhältnissen, unter denen er krank wurde, beruht. Sie 
wird nicht nur in diesem Sinne eine klimatische Kur bleiben, son¬ 
dern auch an die klimatischen Verhältnisse des Ortes, wo der 
Lungenkranke behandelt werden soll, eine Reihe von Anforderungen 
stellen. Ebenso wird sie gern Gebrauch machen von all den sym¬ 
ptomatischen und sonstigen Hülfsmitteln, welche specialistische Er¬ 
fahrung und die fortschreitende Wissenschaft an die Hand geben. 
Ihr Kern- und Schwerpunkt aber liegt in dem Bestreben, den 
Kranken einerseits den mannigfaltigen Schädlichkeiten, die bei der 
Entstehung des Leidens wirksam sind, zu entziehen, ihm ander¬ 
seits alle neue Störungen fern zu halten und, in sorgfältiger An¬ 
passung an den Einzelfall, durch methodische und consequente 
Regelung der Lebensführung bis in’s Kleinste hinein, durch um¬ 
sichtige Anleitung, Erziehung und Gewöhnung die Hebung und 
Kräftigung des erkrankten Organismus in seinen sämintlichen Func¬ 
tionen zu erreichen. 

Es scheint hier die Bestätigung einer alten Erfahrungsthatsache 
zu liegen, dass [nämlich die Lungenschwindsucht und vermuthlich 
überhaupt die Tuberkulose zu ihrem Entstehen, d. h. also nach 


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- 252 


unserer heutigen Anschauung, dass der Tuberkelpilz zu seinem 
Haften gewisser Vorbedingungen bedarf, die man allgemein als 
eine ererbte oder erworbene Schwächung des Organismus bezeich¬ 
nen kann. Eine solche theils allgemeine, theils örtliche Depoten- 
zirung lässt sich bei fast sämmtlichen Fällen von Schwindsucht 
bestimmt und sicher nachweisen. Wirkt man derselben systema¬ 
tisch entgegen, so muss es gelingen, der Weiterentwicklung des 
Krankheitserregers Schranken zu setzen. In diesem Sinne könnte 
man sehr wohl das hygienisch-diätetische Heilverfahren als das 
eigentlich specifische bezeichnen. 

Besitzen wir nun in ihm in der That ein rationelles und 
wirksames Mittel zur Behandlung der Phthise, so kann es weiter 
keinem Zweifel unterliegen, dass die Erfolge um so schneller, zahl¬ 
reicher und sicherer sein müssen, je intensiver und consequenter 
es durchgeführt wird. So wenig also die Methode an offenen Kur¬ 
orten und in geschlossenen Anstalten principiell verschieden zu sein . 
braucht, so ergibt sich doch unmittelbar, dass die Anstaltsbehand¬ 
lung die rationellere sein muss, weil sie sämmtliche den Kranken 
umgebenden und betreffenden Verhältnisse gleichmässig und voll¬ 
kommen zu beherrschen und zu gestalten erlaubt, sodass alle der 
zielbewussten Durchführung des Heilverfahrens entgegentretenden 
Hindernisse und Schwierigkeiten in Wegfall kommen. Keine gegen 
die Anstalten angeführten Gründe lassen sich aufrecht halten. Das 
Zusammenleben der Kranken gestaltet sich erfahrungsmässig so 
angenehm und behaglich wie es unter ähnlichen Verhältnissen nur 
möglich ist. Ebenso ist der Eindruck des Zusammenseins mit 
Kranken keinesfalls ein solcher, wie der ausserhalb des Anstalts¬ 
lebens Stehende vielleicht zu denken geneigt ist. Ueberdies ist 
das ja auch nicht anders wie an offenen Kurorten. Mit der mehr 
und mehr durchdringenden Anerkennung der Leistungen und Er¬ 
folge der Anstaltsbehandlung muss aber endlich auch die nicht 
oft genug zu wiederholende Forderung erfüllt werden, in einem 
möglichst frühen Stadium der Lungenerkrankung eine ernsthafte 
und gründliche Kur durchzuführen. Wie vieF Zeit und Geld wird 
noch so vielfach mit halben Massregeln vergeudet, bis die bittere 
Reue zu spät kommt! Gerade die Anfänge der Krankheit sollten 
in erster Linie den Anstalten überwiesen werden. Denn nicht nur 
aus Leichtsinn, sondern ebenso oft aus Unerfahrenheit versäumt 
der beginnende Lungenkranke das richtige Verfahren. Gerade 
solche Kranke bedürfen am meisten der Anleitung und einer ge¬ 
wissen Erziehung, die über den Ernst der Sache wie über die 
Aussicht der Heilung belehrt, zugleich aber die Nothwendigkeit 
der eigenen Mitwirkung betont. Die Zahl der unverbesserlichen 
Thoren, die einem heilsamen Zwange sich nicht fügen können, 
dessen Nothwendigkeit doch jedem Denkenden einleuchten muss, 


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253 — 


ist glücklicherweise doch nicht allzu gross. Weit eher kann der 
erfahrene, stationäre Lungenkranke des festen Anhaltes, den die 
Anstalt gewährt, entrathen. 

Die gelegentlich ausgesprochene Befürchtung einer gegensei¬ 
tigen Ansteckung der Kranken in Anstalten beruht auf der Vor¬ 
stellung der Ausbreitung des Leidens durch wiederholte Infection 
von Aussen (Reinfection). Wie weit dieselbe überhaupt in Be¬ 
tracht kommt, ist aber bis jetzt noch keineswegs sicher gestellt. 
Gibt man auch ihre Möglichkeit zu, so ist doch mit der viel grös¬ 
seren Wahrscheinlichkeit zu rechnen, dass die Ausbreitung durch 
Autoinfection, d. h. von den bereits vorhandenen Heerden aus, er¬ 
folge. In praktischer Beziehung aber ist hier entscheidend, dass 
die eigentlichen und anerkannten Heilungen der Schwindsucht doch 
gerade an solchen Orten erreicht wurden, wo viele Lungenkranke 
Zusammenleben, in erster Linie in den Anstalten. Auch ist klar, 
dass die hygienische Ueberwachung im Allgemeinen und die Be¬ 
seitigung bez. Unschädlichmachung der Auswurfstoffe, als welche 
allein die Träger des Krankheitsgiftes sind, im Besonderen nirgends 
leichter und sicherer geschehen kann, als in einer Anstalt, d. h. 
in einem Specialkrankenhause für Lungenleidende. In einer gut 
eingerichteten Anstalt ist die Möglichkeit einer gegenseitigen In¬ 
fection der Kranken oder einer Infection Gesunder und Disponirter 
in gleichem Sinne und gleichem Masse verschwindend gering, wie 
das Auftreten von accidentellen Wundkrankheiten in einer modernen 
chirurgischen Klinik. 

Auch wenn durch einen glücklichen Fund das nicht gerade 
Wahrscheinliche plötzlich wahr würde, nämlich die Entdeckung 
eines specifischen Heilmittels gegen die Schwindsucht, würden 
die Sanatorien keineswegs überflüssig sein. Auch dann würde 
das hygienische Kurverfahren ohne Zweifel in gleicher Weise 
die erwünschte und nothwendige Ergänzung bilden, wie man 
sich bei der Behandlung der Malaria nicht auf die Darreichung 
des Chinins u. dgl. beschränkt, sondern wo irgend möglich die 
Uebersiedelung in eine gesunde Gegend hinzunimmt. Stets blieben 
die je nach dem Grade der Krankheit mehr oder minder schweren 
Folgezustände zu behandeln und zu beachten. 

Alle diese gewissermassen apriorischen Erwägungen würden 
wenig besagen, wenn ihnen nicht die praktische Bestätigung in 
den über alles Erwarten günstigen Erfolgen der Anstalten ergän¬ 
zend zur Seite stände. Am glänzendsten und zugleich statistisch 
am sichersten und genauesten festgestellt sind die Erfolge unserer 
Heilanstalt Falkenstein, die sich rühmen darf, die hygienische Me¬ 
thode in bisher vollkommenster Weise ausgebildet und durchgeführt 
zu haben. Es sei hier vor Allem auf den Bericht des Leiters 
dieser Anstalt, Herrn Geh. Sanitätsraths Dr. Dettweilers, über 


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72 seit 3—9 Jahren geheilt gebliebene Fälle von Lungenschwind¬ 
sucht hingewiesen. Die stationär gewordenen und gebliebenen, 
relativ geheilten Fälle hinzugerechnet, kommen nach diesem Be¬ 
richte fast 25 °/o mehr oder weniger vollständiger Heilung heraus. 
Eine eigene, in ganz entsprechender Weise angestellte statistische 
Arbeit aus dem Jahre 1885 ergab 6,3 °/o völlige Heilungen und 
20,3 °/o relative Heilungen, zusammen 26,6 °/o sichere Erfolge als 
mindestens 1 Jahr nach der Entlassung nachweisliches Endresultat 
von 600 Falkensteiner Kuren. Die Beweiskraft dieser nahezu iden¬ 
tischen Zahlen für die Regelmässigkeit der Erfolge einer gut ge¬ 
leiteten Anstalt ist um so grösser, als beide Arbeiten völlig unab¬ 
hängig von einander entstanden sind. Wir haben beide die Ueber- 
zeugung, dass die Erfolge in den letzten Jahren bei immer 
bewussterer Durchführung der Methode noch bessere gewor¬ 
den sind. 

Bei der Anerkennung, welche heutzutage die Anstaltsidee und 
zumal die Falkensteiner Bestrebungen und Erfolge gefunden haben, 
mögen die vorangegangenen Ausführungen fast als überflüssig er¬ 
scheinen. Der Gedanke, dass dieselben nicht nur für ärztliche 
Kreise bestimmt sind, möge ihnen als Entschuldigung dienen. Die 
Anerkennung ist in der Thal eine allgemeine, nicht nur in Deutsch¬ 
land, sondern auch im Auslande, und zwar nicht zum Mindesten 
bei unsern westlichen Nachbarn, den Franzosen. Es sei hier er¬ 
laubt, auf die Veröffentlichungen sehr namhafter französischer 
Aerzte (Prof. Nicaise, Dr. Daremberg u. A.) nach einem Be¬ 
suche in Falkenstein hinzuweisen. Vielleicht am meisten aber liegt 
die Anerkennung in dem von vielen Seiten gleichzeitig hervortre¬ 
tenden Bestreben, durch Errichtung von Volkssanatorien die 
Vortheile der Methode auch den wenig oder nicht bemittelten 
Kranken zugänglich zu machen. Leider erscheint die selbständige 
Verwirklichung dieser menschenfreundlichen und hochherzigen Idee 
vorläufig noch verfrüht. Es fehlt bisher an aller und jeder Er¬ 
fahrung über die zweckmässigste Art solcher Einrichtungen, die 
doch eine beträchtliche Ausdehnung haben müssten, sollen sie 
wirklichen Nutzen schaffen. Aus freiwilligen Beiträgen unter solchen 
Umständen die erforderlichen, unverzinslichen Geldmittel aufzu¬ 
bringen, wird fast unmöglich sein. Staat, Provinz und Gemeinde 
sind ihrerseits durch mannigfache Anforderungen bereits zu über¬ 
bürdet, um wesentlich beisteuern zu können. Am ehesten wäre 
wohl noch, allerdings erst nach einer Anzahl Jahre, auf die Kran¬ 
kenkassen zu rechnen, die jedenfalls ein Interesse haben, solchen 
Bestrebungen gegenüber in irgend einer Weise Stellung zu nehmen. 
Am richtigsten erscheint es nach reiflicher Ueberlegung, Volkssana¬ 
torien vorerst im Anschluss an bestehende Anstalten zu errichten, 
wo eine Reihe von Vortheilen und Ersparnissen sich von selbst 


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ergibt, und die zu sammelnden Erfahrungen sprechen zu lassen, 
bevor man zu selbständigen Anlagen schreitet. (Dettweiler.) 

Wesentlich anders liegt es mit der Anlage neuer Anstal¬ 
ten für bemitteltere Kranke. Es ist nicht einzusehen, wa¬ 
rum das für die Errichtung eines solchen Sanatoriums aufzubringende 
Kapital bei sachverständiger ärztlicher und wirtschaftlicher Lei¬ 
tung nicht sicher rentiren sollte. Keine Krankheit ist so häufig, 
wie die Schwindsucht. Zahlen reden, pflegt man zu sagen. Hier 
sprechen sie ein ernstes, mahnendes Wort. */#— 1 h aller Todes¬ 
fälle erfolgt durch jene Krankheit, die weit ärger wüthet, als die 
gefürchtetste Seuche. Alljährlich erliegen ihr in Deutschland allein 
170—180,000 Menschen, eine wahrhaft erschreckende Zahl! Ge¬ 
ring gerechnet, muss es in unserem Lande weit über ! /a Million 
Lungenkranker geben! Dürfen wir da warten, bis wir vielleicht 
einmal ein specifisches Heilmittel finden, wo wir doch stark im 
Kampfe gegen diese Krankheit sind, wenn wir ihn nur früh genug 
beginnen und richtig führen! 

Der Wunsch, etwas Erfolgversprechendes gegen die drohende 
Lebensgefahr zu unternehmen, ist überall bei den Kranken ein 
ausserordentlich reger. Die rechte Gelegenheit dazu ist aber noch 
lange nicht genug geboten. Der ausserordentliche Vortheil, der 
durch die Erfahrungen der Anstalten sichergestellt ist, dass man 
nämlich zu jeder Jahreszeit im eigenen Lande nicht allzu fern von 
der Heimath, in nicht allzu fremden Verhältnissen das Bestmög¬ 
liche zur Wiederherstellung der Gesundheit thun kann, kommt 
hier sehr wesentlich in Betracht. Wie die Sache heute liegt, wo 
die schönen Erfolge der Anstalten die verdiente Anerkennung 
finden, wo diese Institute im Vordergründe des Interesses ärztlicher 
wie Laienkreise sich befinden, ist an dem Gedeihen eines neuen 
Sanatoriums um so weniger zu zweifeln, als man zielbewusst und 
mit einer Summe von Erfahrungen errichten kann, was man vor¬ 
her mit Mühe und Kosten erst erproben musste. 

Es ist der ernsthafte Gedanke angeregt worden, am Nieder¬ 
rhein im preussischen Rheinlande eine neue Anstalt zu errichten. 
Die Idee ist von den Vertretern so angesehener Namen aus ärzt¬ 
lichen und nichtärztlichen Kreisen ausgegangen, dass ich es mir zu 
hoher Ehre schätzen muss, einige Erwägungen über Zweckmässig¬ 
keit und Einrichtung eines solchen Sanatoriums im Allgemeinen 
hier vorzutragen. Vor allem glaube ich die angeregte Idee in 
jedem Betracht als eine glückliche bezeichnen zu dürfen. Gerade 
inmitten der dichtbevölkerten und wohlhabenden Rheinprovinz 
bieten sich ihrer Ausführung mancherlei Vortheile. Das lebhafte 
Interesse, welches ihr in massgebenden Kreisen entgegengebracht 
wird, gibt an sich schon eine feste Grundlage für das Gedeihen 
der geplanten Anstalt. In Anbetracht der weiten Verbreitung der 


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Krankheit gerade in Westdeutschland würde die Provinz allein 
eine nicht allzu grosse Anstalt bequem dauernd füllen können. 
Anlage und Einrichtung würden dafür bürgen, dass ihr das volle 
Vertrauen der Aerzte nicht fehlen wird. Die an die Provinz an¬ 
grenzenden Länder würden aber ohne Frage ebenfalls von dem 
neuen Sanatorium gern Gebrauch machen, und der Zug nach dem 
Westen, nach dem Rheine, würde sicher auch hier noch zu Hülfe 
kommen. 

Bezüglich der Auswahl des Ortes sind nun zunächst eine 
Reihe von Anforderungen zu stellen. Die allgemeine landschaft¬ 
liche Lage desselben ist schon nicht gleichgültig. Der Lungen¬ 
kranke soll monatelang an einem und demselben Orte leben, ge¬ 
trennt von der Heimath und mit Verzicht auf so manche gewohnte 
Genüsse und Anregungen. Da hat er wohl ein Recht auf den 
landschaftlichen Reiz des Ortes, wo er Genesung und Heilung 
sucht. Es gesundet sich angenehmer und leichter in einer schönen 
Gegend. Nun, in dieser Beziehung kann man im Rheinlande schon 
weitgehende Forderungen befriedigen. Der Ort muss ferner von 
klimatischen Extremen, schroffen Schwankungen der meteoro¬ 
logischen Factoren frei sein. Auch dies trifft im eigentlichen 
Rheinlande wohl durchweg zu. Er soll genügenden Windschutz 
bieten, ohne eingeengt und der natürlichen Luftbewegung entzogen 
zu sein. Nichts würde verkehrter sein, als eine geschützte, milde 
Lage einseitig zu betonen. Die Hauptwinde sollen gebrochen oder 
abgehalten werden, aber im Einzelnen lässt sich erfahrungsmässig 
durch geeignete Vorkehrungen genügender Schutz im Sommer wie 
im Winter mit Leichtigkeit herstellen. Auf den grossen Vortheil 
einer freien Lage, eines freien Ausblicks in die offene Landschaft 
darf und soll man nicht verzichten. 

Gesunder, durchlässiger Boden und gesunde, d. h. möglichst 
reine und staubfreie Luft sind weitere Erfordernisse. Wald, wo¬ 
möglich Nadelwald, des bessern Schutzes wegen, soll in nächster 
Nähe sein. Für reichliche Gelegenheit zu bequemen und anregen¬ 
den Spaziergängen ist durch zweckmässige Wegeanlagen Sorge zu 
tragen. Dass die Anstalt nicht allzu fern vom Verkehr gelegen, 
nicht schwer und umständlich zu erreichen sein darf, ist schon 
aus wirthschaftlichen Gründen klar. Ebenso würde ein bewohnter 
Ort in erreichbarer Nähe schon der Unterbringung der Bediensteten 
der Anstalt wegen, sehr erwünscht sein. Es würden dadurch eine 
Anzahl eigener Bauten erspart. 

Auch mit Berücksichtigung aller dieser allgemeinen Forde¬ 
rungen würde am Rheine eine grosse Anzahl von Plätzen zur 
Verfügung sein. Zunächst ist in Vorschlag gebracht worden 
Honnef und Umgebung. Principiell ist gegen diese oder 
eine ähnliche Wahl nichts einzuwenden. Auch wird man irnmer- 


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257 


hin gern an bereits Bestehendes anknüpfen. Die ausserordent¬ 
lich freundliche Lage dieses leicht erreichbaren und doch ruhigen, 
stillen Ortes bietet in der That mancherlei Vortheile. Indessen 
wäre dies nur eine Möglichkeit unter vielen. Zur Entscheidung 
dieser Grundfrage würden die hochinteressanten Untersuchungen 
von Geheimrath Finkelnburg über die Verbreitung der Phthise 
sehr wesentlich.in Betracht kommen. 

An clem gewählten Orte wäre nun ein nicht zu kleines, 
oder vielmehr möglichst grosses Grundstück als Eigen¬ 
thum für die zu errichtende Anstalt zu erwerben. Eine genügende 
Grösse des eigenen Terrains ist unerlässlich, um unliebsame qnd 
störende Nachbarschaften durch fremde Anbauten und Anlagen 
fern zu halten. Zum Mindesten sollte man die Gestaltung der 
nächsten Umgebung des Anstaltsgebietes vollständig in der Hand 
zu behalten suchen, ‘durch Pacht- oder Miethsverträge, Sicherung 
des Vorkaufsrechtes u. s. w. Da das Terrain der Anstalt, soweit 
es nicht bebaut wird, baldmöglichst ein Park oder parkartiger 
Garten mit windgeschützten und schattigen Wegen und Ruhe¬ 
plätzen werden soll, so kann hierauf von Anfang an beim Ankäufe 
schon geachtet werden. Bezüglich der Weganlagen soll gleich 
hier auf einen wichtigen Umstand hingewiesen werden. Die Wege 
müssen von den Gebäuden der Anstalt zunächst eben oder sanft 
ansteigend verlaufen, damit auch dem Schwächern und Kränkern, 
der auf diese nahen Wege fast ausschliesslich angewiesen ist, Ge¬ 
legenheit zu wirklich erquickenden und nutzbringenden Spazier¬ 
gängen geboten wird. Andernfalls sind Weganlagen nicht nur 
unbequem und unpraktisch, sondern bringen die directe Gefahr 
der Ueberanstrengung. Auch für die weitern Wege ist nach Mög¬ 
lichkeit wenigstens in ihrer Empfehlung zur Benutzung ein ent¬ 
sprechendes Princip festzuhalten. Der Rückweg soll immer die 
bequemere, fallende Strecke sein. An reichlicher Gelegenheit zum 
Ausruhen (bequeme Bänke) darf es nicht fehlen. 

Auf die Versorgung mit reichlichem und gesundem 
Wasser ist ein weiteres Augenmerk bei der Auswahl des Terrains 
zu richten. Die Anstalt muss ihre eigene, genau zu controlirende 
Wasserleitung für alle Gebäude haben, nicht nur aus hygienischen 
Gründen, sondern schon der Bequemlichkeit und der Sicherheit 
gegen Feuersgefahr wegen. 

Bezüglich der eigentlichen Anstalt, d. h. der Gebäulich¬ 
keiten derselben, deren Einrichtung jetzt in allgemeinen Zügen 
zu besprechen ist, sei zunächst bemerkt, dass ein mittelgrosses 
Sanatorium mit Raum zur gleichzeitigen Aufnahme von etwa 60 
Gästen gedacht ist. Diese Beschränkung erscheint zweckmässig 
einmal der für den Anfang leichteren Uebersichtlichkeit wegen, 
besonders aber um die Höhe des erforderlichen Anlagekapitals 


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nicht ungebührlich zu steigern. Weiter ist zwar keine luxuriöse 
Anlage in’s Auge gefasst, aber doch eine solche, die allen wün- 
schenswerthen Comfort, soweit er irgendwie billigerweise verlangt 
werden kann, dem Kranken auch wirklich bietet, vor allem aber 
keines hygienischen Vortheils unserer Zeit entbehrt. Sie würde 
demnach einerseits Aehnlichkeit haben mit einem mustergültig, 
wenn auch ohne Prunk eingerichteten Hotel oder Gasthaus, ander¬ 
seits mit einer modernen Klinik, namentlich mit einer chirurgischen 
Klinik. Nichts steht im Wege, die Anstalt so einzurichten, 
dass sie jederzeit vergrössert werden kann, was in 
einfachster und zweckmässigster Weise wohl durch Erbauung von 
Nebenhäusern, Dependecien, in der Nähe des Haupthauses 
geschähe. Die gemeinsamen Gesellschaftsräume und der Speise¬ 
saal müssten dann in Rücksicht hierauf von vorn herein etwas 
reichlich bemessen sein. 

Die Anstalt sollte nur eine Verpflegungsklasse haben, sodass 
alle Gäste ganz gleiche Rechte haben. Dabei ist nicht ausge¬ 
schlossen, dass halbe und ganze Freistellen bei etwas reichlich 
vorhandenen Mitteln vielleicht schon von Anfang an geschaffen 
werden. Wir streifen damit wieder die Frage der Volkssana¬ 
torien. Man könnte, wie es in Falkenstein geschieht, die Ver¬ 
zinsung des Anlagekapitals b egrenzen, und alle etwaigen 
Ueberschüsse über diese Grenze theils zu Verbesserungen, theils 
zu Erleichterungen für weniger Bemittelte bestimmen. Auch pri¬ 
vate Zuwendungen würden wohl leichter gegeben werden und 
' nutzbringender zu verwenden sein, wenn an Bestehendes an¬ 
geknüpft werden kann. 

Bezüglich der Verpflegung noch einige Worte. Dieselbe 
muss in jeder Beziehung eine vorzügliche und reichliche sein. In¬ 
dessen ist eine allzu grosse Mannigfaltigkeit des täglichen Küchen¬ 
zettels keineswegs das Ideal, da sie vielfach auf Kosten der sorg¬ 
samen Zubereitung der einzelnen Gerichte geschieht. Eine geringere 
Zahl wirklich gut bereiteter und solider Speisen ist nicht nur öko¬ 
nomischer, sondern auch zuträglicher und den meisten Menschen 
angenehmer, weil eine grössere Abwechslung möglich ist. Im 
Uebrigen wird man sich an die in den bestehenden Anstalten 
erprobte Tagesordnung halten, Frühstück, Mittag- und Abend- 
brod zu den in Deutschland üblichen Zeiten, dazwischen Milch 
und Brod als zweites Frühstück und Vesper. Veränderte Ver¬ 
pflegung nach ärztlicher Verordnung darf nicht besonders be¬ 
rechnet werden. 

Die Gebäulichkeiten der Anstalt wurden umfassen ein Haupt¬ 
haus und eine Anzahl von Nebengebäuden. Mit letztem 
zu beginnen, so würden erforderlich sein: ein einfaches einstöckiges 


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— 259 — 


Haus für den Arzt der Anstalt (Cottage, Schweizerhaus), vielleicht 
ein ähnliches für den Wirth, falls nicht im Haupthause Wohnung 
für denselben zu beschaffen ist. Ein tüchtiger und gewissen¬ 
hafter Wirth ist ein Haupterforderniss für das Gedeihen eines 
derartigen Unternehmens. Der Arzt müsste aber für ihn nächst 
dem Verwaltungsrathe der Gesellschaft die höhere und entschei¬ 
dende Instanz vorstellen. 

Fernere Nebengebäude sind ein Kuh stall zur Lieferung 
einer gesunden und stets zu controlirenden Milch, zweckmässig 
wohl mit Pferdestall und Remisen zu einem Gebäude vereinigt. 
Diese, Kühe und Pferde, werden ihre Kosten voraussichtlich selbst 
tragen. Der ebenfalls zu jedem Krankenhause gehörige Schweine¬ 
stall (zur Verwendung der Abfälle) pflegt sich sogar gut zu ren- 
tiren. Eine weitere Anlage ist ein genügend grosses Wasch- 
und Trockenhaus, das zugleich einen Dampfdesinfections- 
apparat enthält. Es möchte hier der Vorschlag zu erwägen 
sein, in diesem Waschhause nicht nur die Besorgung der Haus¬ 
wäsche, sondern auch derjenigen der Gäste des Hauses zu über¬ 
nehmen. Hierfür sprechen hygienische und ökonomische Gründe: 
Die Reinigung der Wäsche könnte genauer überwacht werden, 
und der gesammte Betrieb der Anlage würde mindestens ein 
kostenfreier, vielleicht sogar ein rentabler werden. 

Das Haupthaus, die eigentliche Anstalt, denke ich mir als 
zweiflügliges Gebäude, das ausser dem Geschoss zu ebener Erde 
drei Stockwerke enthält. In demselben würden etwa GO Gäste 
mit Leichtigkeit untergebracht werden können, ohne dass es allzu 
gross würde. Da natürlich ein Aufzug vorausgesetzt wird, so 
können alle drei Stockwerke gleichmässig benutzt werden, sodass 
auf jedes 20 Betten kämen. Es würde ausser einem geräumigen 
Corridornur eine Zimmerflucht vorhanden sein, was in hygienischer 
Hinsicht jedenfalls den Vorzug vor einem mittlern Corridor mit 
Zimmern zu beiden Seiten verdient. Auch lässt sich auf diese 
Weise die Lage der Zimmer nach den Himmelsrichtungen gleich- 
mässiger vertheilen; es wird kein schroffer Unterschied zwischen 
Nord- und Südzimmern vorhanden sein. 

Im Parterre-Stock würden sich die Gesellschaftsräume, Unter¬ 
suchungszimmer, Bureau u. s. w., womöglich auch Post- und 
Telegraphenamt befinden. Im Souterrain könnte neben mannig¬ 
fachen andern Einrichtungen auch die unerlässliche Douche unter¬ 
gebracht werden, falls es zu kostspielig würde, für dieselbe einen 
eigenen Bau zu errichten. Die Badezimmer dagegen könnten vor¬ 
aussichtlich unschwer auf die einzelnen Stockwerke vertheilt wer¬ 
den; an Platz wird es nicht fehlen und die Annehmlichkeit wäre 
eine sehr grosse. 


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260 — 


Bezüglich des Speisesaales und der Küche ist zu überlegen, 
ob sie innerhalb des Hauptgebäudes, also un Parterrestock, oder 
zwar in unmittelbarem Anschluss an dasselbe, aber doch ausser¬ 
halb desselben als gewissermassen besondere Gebäude errichtet 
werden sollen. Letzteres wäre wohl das Bessere, der Raum¬ 
gewinnung wegen und aus manchen andern Gründen hygienischer 
Vortheile und grösserer Annehmlichkeit. Leider ist hier auch der 
grössere Kostenpunkt mit zu erwägen. 

Infolge der Bauart des Haupthauses würde zwischen den 
Flügeln von selbst eine Terrasse gebildet werden, auf welcher als 
dem geschütztesten Raume ausserhalb und doch in unmittelbarer 
Nähe des Hauses ein guter Theil des Kurlebens sich abspielen 
würde. Die Terrasse würde in den Park hinausgehen; von ihr 
aus sollte man, ähnlich wie in Falkenstein, einen recht schönen 
Blick in die freie Landschaft haben. Die Gründe hierfür wurden 
Schon weiter oben erwähnt und verdienen Berücksichtigung. 

Künstliche Ventilationsanlagen kommen für die gemein¬ 
samen Räume in Betracht (Kosmossystem?). Für die Kranken¬ 
zimmer würden geeignete Fenster Vorrichtungen (Haken zum Fest¬ 
stellen der Fensterflügel, Klappscheiben) im Verein mit einer ener¬ 
gischen Hausordnung bezüglich der Reinigung und Lüftung der 
Zimmer erfahrungsmässig vollständig genügen. 

Etwas mehr Schwierigkeiten macht die Frage der Heizung. 
Ein einfacher guter Kachelofen hat für die zweSkmässige Erwär¬ 
mung der Zimmer jedenfalls seine Vortheile. Gibt es aber eine 
wirklich zuverlässige und nicht in Anlage und Betrieb zu kost¬ 
spielige Centralheizung, so wird diese allerdings wohl den Sieg 
davontragen. Diese Angelegenheit bedarf der eingehenden Erwä¬ 
gung und Ueberlegung mit erfahrenen Technikern. 

Bezüglich der Beleuchtung ist die Möglichkeit der Einführung 
elektrischen Lichtes nicht ganz ausser Betracht zu lassen. Die 
Vortheile sind so gross, dass selbst etwas höhere Kosten nicht 
ohne Weiteres abschrecken sollten. Wenigstens eine theil weise 
Durchführung dieser Beleuchtung, etwa für die gemeinsamen Räume, 
erscheint wohl erreichbar. Zur Ersatzbeleuchtung für den Fall 
zeitweiligen Versagens würden dann vielleicht Kerzen zu empfehlen 
sein. Die Anlage einer eigenen kleinen Gasfabrik (Oelgas) hat 
manches Missliche; nicht minder Petroleumbeleuchtung, die oben¬ 
drein feuergefährlich ist. 

Auch in Betreff der Beseitigung d'er Abfallstoffe u. s. w. 
ist mancherlei zu erwägen. Das in Falkenstein durchgeführte 
System der Kanalisation nach Lindley mit chemischer Fällung und 
Klärung der Abwässer, die ddrauf zum Berieseln dienen, während 
der abgesetzte Schlamm zu Compost verarbeitet wird, hat sich 
ganz gut bewährt und scheint gerade für kleinere Verhältnisse eine 


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gute Lösung der Frage. Ueber andere und eventuell bessere 
Systeme fehlt mir die eigene Erfahrung. 

Die Gesammteinrichtung des Kurhauses soll und 
braucht nicht das Prinzip des Grossartigen und Prunkvollen zu ver¬ 
folgen. Sie muss sich aber ebenso von dem Eindruck des Kahlen, 
Nüchternen, Unfreundlichen fern halten, wenn auch ein hygie¬ 
nischer Grundgedanke das Ganze zu beherrschen hat. Das wird 
vielfach zu Ersparnissen führen. Teppiche u. dgl. sollen beispiels¬ 
weise nach Möglichkeit vermieden werden. Das ist eine oft auf¬ 
gestellte, aber noch niemals durchgeführte hygienische Forderung. 
In Falkenstein werden jetzt nach und nach auf meine Anregung 
hin die Fussböden der Krankenzimmer mit gemustertem Linoleum 
belegt. Dies Material sieht freundlich aus, ist jederzeit abwaschbar 
und hält weit länger als ein Teppich, namentlich, wie ich höre, 
wenn es gehöhnt (gewachst) wird. Die Dielen dürfen dann aus 
weniger kostspieligem Holze bestehen. Die Wände der Kranken¬ 
zimmer sollten nicht tapezirt, sondern mit waschbarer Oelfarbe 
gestrichen sein. Wenn in geeigneter Weise durch farbige Ein¬ 
fassungen u. s. w. für die Unterbrechung der eintönigen Flächen 
gesorgt wird, kann das recht freundlich aussehen, braucht wenig¬ 
stens hinter einer durchschnittlichen Tapete auch im Aussehen 
nicht zurückzustehen. Nach neuern Untersuchungen braucht man 
übrigens auch die Tapeten nicht zu verbannen, da sie durch ein¬ 
faches Abreiben'mit frischem Brode leicht und vollständig gereinigt 
werden können. 

Es handelt sich hier um die rasche und gründliche 
Beseitigung der Auswurfstoffe der Kranken, welche 
allein das Krankheitsgifl enthalten. In dieser hochwichtigen An¬ 
gelegenheit muss eine streng durchgeführte Hausordnung dienoth- 
wendige Ergänzung bilden. Zum Glück lässt sich diese in wenigen 
Worte fassen: Es darf nur in Spucknäpfe gespuckt werden, in 
denen der Auswurf nicht eintrocknet! Die Aufstellung genügend 
zahlreicher und zweckmässig gebauter Spucknäpfe, die mit Wasser 
oder desinficirender Flüssigkeit gefüllt sind, ist also ein nothwen- 
diges Erforderniss. Auf Weiteres in dieser Hinsicht braucht hier 
nicht eingegangen zu werden. 

Die Ausstattung der Krankenzimmer muss, wenn sie 
auch einfach sein darf, doch eine möglichst freundliche sein. Sehr 
gute, geräumige Betten sind ein Haupterforderniss; auch ein be¬ 
quemer Liegsessel (chaisfc longue) darf nicht fehlen; das Uebrige 
ergibt sich von selbst. Es müssen grössere und kleinere Zimmer 
für die verschiedenen Bedürfnisse und Ansprüche vorgesehen sein. 
Die durchschnittliche Grösse der Zimmer braucht aber nur mässig 
zu sein, da für genügende Lüftung leicht zu sorgen ist, auch die 
Zimmer wesentlich nur als Schlafzimmer benutzt werden. Bcson- 


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deres Augenmerk müsste der Baumeister auf genügende Trennung 
der einzelnen Zimmer richten, um gegenseitige Störung der Be¬ 
wohner nach Möglichkeit zu vermeiden. Auf die Beseitigung dieses 
lästigen Uebelstandes ist bisher in Hotels wie in Kurhäusern viel 
zu wenig geachtet worden. Ein Vorschlag, der mir in sehr 
freundlicher Weise während der Abfassung dieser Arbeit über¬ 
mittelt wurde, scheint mir sehr beachtenswerth, weshalb ich mir 
erlaube, ihn hier anzuführen. Neben jedem Zimmer baut man 
einen etwa l J / 2 .Meter breiten Raum mit einem Fenster zum Lüften. 
Dieser Raum hat eine Thür zu dem zugehörigen Zimmer, bildet 
den Abschluss gegen das Nachbarzimmer und birgt ausserdem 
Koffer, Kleider, Stiefel u. s. w. Dadurch würde gleichzeitig viel 
Platz im eigentlichen Zimmer gewonnen. Auch das Lüften dieses 
Zimmers würde sehr erleichtert. Die eine Wand des Nebenraumes 
könnte eine sog. Patentwand aus Drahtnetz und Gips oder Cement 
sein, würde also ganz dünn sein und wenig Platz wegnehmen. — 
Wenn auch nicht alle Zimmer im Hause diese Einrichtung zu 
haben brauchen, so würde sie doch bei einer Anzahl unschwer 
anzubringen sein, und eine sehr grosse Annehmlichkeit in mehrfacher 
Beziehung herstellen. 

In jedem Stockwerke sollte ferner ein gemeinsames Zimmer 
vorgesehen sein zur Benutzung für die Bewohner der Etage wäh¬ 
rend der Reinigung des eigenen Zimmers, oder wenn ein Kranker 
die allgemeinen Räume im Parterrestock zeitweilig nicht benutzen 
kann. Wiederholt ist mir von Kranken de;* Wunsch nach dieser 
bei einer Neuanlage leicht zu beschaffenden Bequemlichkeit vorge¬ 
legt worden. Desgleichen sind genügende Räume für die Zimmer¬ 
mädchen, namentlich zum Anrichten des Essens für die auf dem 
Zimmer Speisenden vorzusehen, damit die hier nothigen Vorberei¬ 
tungen ohne Belästigung für die Uebrigen erfolgen können. Der 
Zweckmässigkeit der Einrichtung mindestens eines Baderaumes 
auf jedem Stockwerk wurde bereits gedacht. Selbstverständlich 
sind möglichst gut eingerichtete Glosets ebenfalls auf jedem Stock¬ 
werke anzubringen. — Ich bezweifele nicht und glaube zeigen zu 
können, dass alle diese letztgenannten Räumlichkeiten sich ohne 
Schwierigkeit in die angenommene Grundform des Kurhauses ein- 
fügen lassen. 

So viel man auch in einzelnen Eigenschaften der Luft die 
eigentliche Wirkung klimatischer Kuren gesucht hat, in ihrer Wärme 
oder Kälte, Dichte oder Verdünnung, Trockenheit oder Feuchtigkeit, 
mehr und mehr dringt die auf Wissenschaft und Erfahrung be¬ 
gründete Erkenntniss durch, dass wir in dem Genuss der freien 
frischen Luft als solcher das Hauptheilmittel zur Bekämpfung 
der Schwindsucht besitzen. Es genügt aber nicht, einen Ort mit 
gesunder, reiner Luft ausfindig zu machen, in welcher sich allen- 


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falls die Kräftigem ergehen können. Das ist aber doch nur für 
eine beschränkte Zeit des Jahres möglich, und sicher nicht aus¬ 
reichend. Alle, namentlich die Schwachem, würden den grössten 
Theil ihrer Kurzeit in geschlossenen Räumen zubringen. Das 
Hauptheilniittel muss möglichst reichlich zugänglich gemacht und 
ausgenutzt werden. Es ist vielleicht das beste Verdienst von Fal¬ 
kenstein, gezeigt zu haben, wie dies zu jeder Jahres- und Tages¬ 
zeit auch für den Kränkern und Schwächern zu erreichen ist, wie 
man eine rationelle Freiluftkur unter allen Umständen durch¬ 
führen kann. Das Mittel hierzu, die Kranken, soweit sie nicht 
gehen können oder sollen, gegen Wind und Sonne geschützt in 
gedeckten Hallen, Veranden, Pavillons an der Luft liegen 
zu lassen, ist ebenso einfach als überzeugend. Gerade in der 
Vervollkommnung und Ausgestaltung dieser glücklichen Idee könnte 
bei der Neuanlage einer Anstalt ausserordentlich viel gethan werden. 
In der durchdachten Einrichtung derartiger Vorkehrungen zur mög¬ 
lichsten Erleichterung des dauernden Aufenthaltes in der freien 
Luft, in ihrer wohlüberlegten Verarbeitung in den Bauplan, würde 
das neue Kurhaus sein Originelles, gewissermassen seinen Stil zu 
suchen haben. Welche Annehmlichkeit und Bequemlichkeit könnte 
auf diese Weise geschaffen werden! Soweit diese Vorkehrungen 
nicht unmittelbar mit dem Haupthause Zusammenhängen können, 
müssten sie ergänzt werden durch entsprechende Baulichkeiten im 
umgebenden Parke. Zweckmässig angelegte Pavillons und Kioske 
würden demselben ausserdem eine Zierde sein. Ein umsichtiger 
Architekt brauchte nur einmal nach Falkenstein zu kommen, um 
zu wissen, was gemeint ist. — Der Falkensteiner Liegsessel 
würde das Hauptmöbel aller dieser Vorrichtungen sein. 

Die wesentlichsten Punkte der Einrichtung einer auf die bisher 
vorliegenden Erfahrungen gegründeten neuen Anstalt für Lungen¬ 
kranke, würden hiermit, soweit es in Kürze möglich ist, berührt 
sein. Es erübrigt nun noch, eine kurze Rentabilitätsrechnung 
anzustellen, die allerdings hier nur im Allgemeinen, aber doch, 
wie ich glaube, ziemlich zutreffend gemacht werden kann. IchJ)in 
der festen Ueberzeugung, dass bei sorgfältiger Ueberlegung der 
Baupläne, bei nicht allzu hohen Preisen der Baumaterialien, die 
Kosten einer Anstalt von der angenommenen Grösse */s Million 
Mark nicht wesentlich zu übersteigen brauchten. Da aber in dieser 
Hinsicht ein erfahrener Architekt zunächst anzuhören ist, will ich 
den Weg einschlagen, die voraussichtlichen Betriebseinnahmen und 
Betriebsunkosten gegenüberzustellen, um aus ihrer Vergleichung 
die Summe zu erfahren, welche zur Verzinsung und Amortisation 
des Anlagekapitals übrig bleibt. Die regelmässigen Einnahmen 
würden sich ergeben aus der Pension, der Zimmermiethe, den Ge¬ 
tränken und der Kurtaxe. Man kann annehmen, dass die Ein- 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 19 


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nähme aus der letztem (20 M. auf den Gast gerechnet) für die 
Instandhaltung des Parkes und der Gesellschaftsräume (Lesezimmer, 
Bibliothek u. s. w.) gut ausreichen werden. Die Rechnung wird 
ferner dadurch wesentlich vereinfacht, dass erfahrungsmässig Ein¬ 
richtungen wie Kuhstall, Pferdestall, nach meinem Vorschläge auch 
das Waschhaus, ihre Unkosten selbst aufbringen. Auch für die 
Kosten der Heizung und Beleuchtung ist ein nicht unbeträchtlicher 
Beitrag von den Kurgästen zu erwarten. Die noch bleibenden 
Betriebsunkosten werden dadurch sehr übersichtlich: sie bestehen 
in den Gehältern der Angestellten, in der Instandhaltung des Kur¬ 
hauses und in dem Unterhalte der Gäste und Angestellten. Die 
geplante Anstalt sollte auf die Aufnahme von etwa 60 Gäslen 
(Kranken und Begleitern) eingerichtet sein. Bei dem steigenden 
Interesse der ärztlichen, und zwar der massgebenden ärztlichen 
Kreise für die Anstaltsidee, bei der sehr grossen Anzahl Lungen¬ 
kranker, die für eine erfolgversprechende Kur gern auch Opfer 
bringen würden — dieselben sind übrigens, wie wir sehen werden, 
nicht einmal übermässig —, kann mit gutem Grunde angenommen 
werden, dass diese Frequenz auch bald und dauernd erreicht wird. 
Die Einrichtungen der Anstalt, tüchtige ärztliche und wirtschaft¬ 
liche Leitung und nicht zum Mindesten ihre sicher zu erwartenden 
Heilerfolge würden die weitere Bürgschaft dafür sein. 

Die durchschnittlichen täglichen Kurkosten für den Gast der 
Anstalt, d. h. Pension, Zimmermiethe und Getränk, womit ja die 
wesentlichen Ausgaben auch erschöpft sind, sollen einmal zu 9 M. 
angenommen werden. Dabei ist gerechnet Pension 6 M. (ärztliche 
Behandlung eingeschlossen), Zimmer 2 M., Getränk 1 M. Danach 
würden sich zunächst die Kurkosten für eine durchschnittliche Kur¬ 
dauer von 100 Tagen (in Falkenstein sind es nur 80—90 Tage) 
auf 900—1000 M. belaufen, was gewiss auch für mittlere Ver¬ 
mögensverhältnisse nicht unerschwinglich ist. 

Eine durchschnittliche tägliche Frequenz von nur 50 Gästen 
während für 60 Platz ist, ergibt für’sJahr die Zahl von 18,000 Ver¬ 
pflegungstagen. Diese, wie angenommen, zu je 9 M. gerechnet, 
ergibt eine Jahreseinnahme von 162,000 M. Von dieser Summe 
wären zunächst zu bestreiten die Verpflegungskosten für Gäste 
und Angestellte und die Gehälter der letztem. Kuhstall und 
Pferdestall, Waschhaus, Bäder und Dusche, auch ein Theil der 
Heizung und Beleuchtung, würden ja, wie weiter oben ausgeführt, 
ihre Kosten voraussichtlich selber aufbringen. Von der berechneten 
Jahreseinnahme von 162,000 M. sollen nun 4 /b, also 130,000 M., für 
die genannten Unkosten gerechnet werden, was mir sehr reichlich 
angenommen scheint, so blieben immer noch 32.000 M. zur Ver¬ 
zinsung und Amortisation des Anlagekapitals, das demnach */* Mil¬ 
lion schon übersteigen dürfte. Es würde aber auch nichts im 


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Wege sein, die durchschnittlichen täglichen Kurkosten auf 10 M. 
zu normiren, wo bei einer Jahreseinnahme von 180,000 M. die 
Berechnung sich noch günstiger stellen würde. Billigerweise würde 
man ja auch, wie bei allen neuen Unternehmungen, in den ersten 
Jahren mit einem massigen Zinssätze sich zufrieden geben. Eine 
Limitirung der Verzinsung, würde ja vielleicht überhaupt, wie 
oben ausgeführt wurde, aus humanitären Gründen, zweckmässig sein. 

In andererWeise kommt man fast zu dem gleichen Ergebniss. 
Nach den Erfahrungen in Falkenstein kann man annehmen, dass 
die Einnahme aus der Zimmermiethe ziemlich genau der Rein-Ein- 
nahme entspricht. Wendet man dies auf die neue Anstalt an und 
rechnet als durchschnittliche Zimmermiethe für Zimmer und Tag 
2—3 M. im ersten, 2 M. im zweiten, 1 M. im dritten Stockwerk, 
was ziemlich genau der eventuellen Wirklichkeit entsprechen dürfte, 
so kommt man bei 18,000 Verpflegungstagen auf die Summe von 
36,000 M., welche jährlich für Verzinsung und Abtragung des An¬ 
lagekapitals verfügbar wäre. 

Allem Anscheine nach läuft man also keine grosse Gefahr, 
ein falscher Prophet zu sein, wenn man der neuen Anstalt sehr 
günstige Aussichten stellt. Möchten die vorangegangenen Aus¬ 
führungen wirksam dazu beitragen, die angeregte schöne Idee recht 
bald in schöne Wirklichkeit überzuführen! 


Nachwort der Redaktion. 

Die vorstehenden, von erfahrenster Stelle kommenden Aus¬ 
führungen betreffen einen Zweig der öffentlichen Kranken-Fürsorge, 
dessen Bedeutsamkeit auch für die minder- und unbemittelten 
Schichten der Bevölkerung Beachtung erheischt. Im gemeinnützigen 
Interesse dürfte es daher sehr dankenswerth sein, wenn die vor¬ 
stehende Besprechung dazu anregen würde, über die Bedingungen, 
Einrichtungsweise und Kosten eines Volks-Sanatoriums für Brust¬ 
kranke mit möglichst niedrigen Pensionssätzen eine Aufstellung von 
erfahrener Hand zu gewähren. 


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Vorschläge zur Herstellung künstlicher Muttermilch 

aus Kuhmilch. 

Von 

Dr. Schmidt- Mülheim in Wiesbaden. 


Die Thiermilch zeigt sowohl in ihrem äusseren Verhalten als 
auch hinsichtlich ihrer natürlichen Bestimmung eine so grosse 
Uebereinstimmung mit der Frauenmilch, dass der Mensch schon 
frühzeitig veranlasst werden musste, die so leicht zu beschaffende 
Kuhmilch zum Zwecke der künstlichen Ernährung zu benutzen. 
Geschah eine derartige Verwendung zunächst nur als Nothbehelf, 
so sah unsere Kulturepoche die Mutterbrust, diese wichtigste Quelle 
der Kraft und Gesundheit für den jungen Erdenbürger, immer mehr 
und mehr versiechen und die Kuh zur wichtigsten Amme für den 
Menschen emporkommen. Die Statistik hat die tieftraurige That- 
sache festgestellt, dass die Säuglingssterblichkeit unter dem Ein¬ 
flüsse dieses Wechsels einen wahrhaft erschreckenden Umfang an¬ 
genommen hat. Man würde ein schlechter Freund des Volkes sein, 
wollte man die traurige Thatsache verschweigen, dass nach dieser 
Richtung hin gerade Deutschland besonders ungünstige Verhältnisse 
aufweist und dass in manchen Gegenden unseres Vaterlandes 
40 — 50 Prozent aller Menschen bereits im ersten Lebensjahre 
wieder zur Erde werden. 

Die Wissenschaft hat ermittelt, dass die Mehrzahl dieser un¬ 
glücklichen Geschöpfe Verdauungsstörungen zum Opfer fällt. Die 
näheren Ursachen dieser Störungen sind erst zum kleineren Theile 
bekannt, im grossen Ganzen steht die Forschung hier noch einem 
ungelösten Räthsel gegenüber. Unter diesen Umständen muss 
jeder Beitrag willkommen sein, der auch nur einen Schimmer von 
Licht in das geheimnisvolle Dunkel werfen könnte. 

Da möchte ich nun in der bakteriologischen Entwickelungs¬ 
periode, in der sich unsere Kinderheilkunde gegenwärtig befindet, 
die Aufmerksamkeit auf gewisse, rein chemisch-physiologische 
Verhältnisse hinweisen, welche bei der Kinderpflege bisher auf¬ 
fallender Weise vernachlässigt worden sind. 

Ganz offenbar wird ein Surrogat für die natürliche Nahrung, 
selbst bei aller äusseren Aehnlichkeit und trotz des verwandten 
Zweckes, zu welchem es von der Natur bestimmt wurde, nur dann 
dem jugendlichen Organismus wirklich gedeihlich sein können, 


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wenn es auch eine weitgehende stoffliche Uebereinstimmung mit 
der wirklichen Muttermilch zeigt. Nährstoffe in der Muttermilch 
sind nun: 

1) die Eiweisskörper, 

2) das Fett, 

3) der Milchzucker, 

4) die Salze, 

5) das Wasser. 

Jeder dieser Nährstoffe ist in einem ganz bestimmten Mischungs¬ 
verhältnisse in der Frauenmilch enthalten und bei der Feinheit, 
mit welcher der jugendliche Organismus schon auf geringe Störungen 
in der Ernährung reagirt, können wir Mangels eines derartigen 
wissenschaftlichen Einblickes in die Beziehungen der einzelnen Nähr¬ 
substanzen, der den Zwecken der praktischen Hygiene vollkommen 
gerecht würde, nur schliessen, dass die Nährstoffe in der Auswahl, 
in welcher sie in der Muttermilch angetroffen werden, allein be¬ 
fähigt sind, den materiellen Bestand sowie die ganz eigenartige 
Lebens- und Wachsthumsenergie des Säuglings genügend zu sichern. 

Man dürfte deshalb zu der obersten Forderung berechtigt sein, 
dass die künstliche Nahrung nach chemisch-physiologischer Rich¬ 
tung hin möglichst mit der Muttermilch übereinstiinmen muss. 
Prüft man die Säuglingskost von diesem Standpunkte aus, so wird 
man im höchsten Grade überrascht sein, wenn man sieht, in 
welch einem geringen Grade diese Uebereinstimmung in der Praxis 
wirklich besteht, eine Thatsache, welche nur verständlich wird, 
wenn man erfahrt, welch irrige Vorstellungen von der Zusammen¬ 
setzung der normalen Frauenmilch man bisher besessen und wie 
lückenhaft unsere Kenntnisse von diesem wichtigsten aller mensch¬ 
lichen Nahrungsmittel selbst in der Gegenwart noch sind. 

Während man die Kuhmilch durch viele Tausende von zuver¬ 
lässigen Analysen nach chemischer Richtung hin vorzüglich studirt 
hat, ist es bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft über¬ 
haupt nur mit einiger Reserve möglich, brauchbare Mittelwerthe 
für die Zusammensetzung der Frauenmilch anzugeben. Um zu 
zuverlässigeren Zahlemverthen zu gelangen, würde es durchaus er¬ 
forderlich sein, eine grosse Anzahl von Versuchsreihen auszuführen, 
welche sich über die ganze Dauer der Lactation erstrecken und die 
Milchproben für die Analysen regelmässig an bestimmten Tages¬ 
zeiten derartig zu gewinnen, dass sie als zuverlässige Durchschnitts¬ 
proben des Gesammtinhaltes der Brüste betrachtet werden können. 
Die Durchführung solcher Versuchsreihen hat aber in der Praxis 
mit den ausserordentlichsten Schwierigkeiten zu kämpfen. 

Zu einer Beanstandung der reinen natürlichen Kuhmilch als 
Säuglingsnahrung lag nun so lange kein Anlass vor, als man auf 
Grund der Analysen älterer Beobachter annahm, dass die Frauen- 


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milch nach chemisch-physiologischer Richtung hin nur geringe 
Unterschiede von der weit, besser erforschten Kuhmilch aufweise 
und dass sie wie diese etwa 3 o/ 0 Eiweiss, 3—4 °/o Fett und 
4—5 °/o Milchzucker enthalte. Indessen sind diese Werthe für die 
Frauenmilch wesentlich am Kolostrum und seinen Uebergangsforiuen, 
welche Milcharten aus den Entbindunghäusern sehr leicht zu er¬ 
halten sind, gewonnen worden und es bezeichnet einen höchst be- 
merkenswerthen Fortschritt, nunmehr erkannt zu haben, dass der 
kolostrumfreien Frauenmilch nur ein durchschnittlicher Eiweiss¬ 
gehalt von etwa 1 °/o, ein Milchzuckergehalt von 6—8 °/o, ein 
Aschengehalt aber nur von 0,25 °/o zukommt, während der Fett¬ 
gehalt grössere, etwa zwischen 1,5 und 5 °/o liegende Schwankungen 
aufweist, die davon abhängig sind, ob die Milch zuerst oder zuletzt 
der Drüse entnommen wurde. 

Zwischen den beiden Milcharten besteht also der 
fundamentale Unterschied, dass die Frauenmilch ein 
eiweissarmes, salzarmes und milchzuckerreiches, die 
Kuhmilch aber ein ei weissreiches, salzreiches und 
milchzuckerarmes Nahrungsmittel darstellt. Besonders 
in dem Verhältniss des Eiweiss zum Milchzucker bestehen die 
grössten Verschiedenheiten, gestaltet sich dieses doch in der Frauen¬ 
milch wie 1 : 60, in der Kuhmilch aber nur wie 1 :1,5. 

Bekanntlich hat man in der Ernährungsphysiologie das Mengen¬ 
verhältnis der stickstoffhaltigen zu den stickstofffreien Bestand¬ 
teilen einer Nahrung als das Nährstoffverhältniss bezeichnet. 
Man hat ermittelt, dass unter den wechselnden Lebensbedingungen 
der Bedarf des Körpers an den einzelnen Nährstoffen sich sehr 
verschieden gestaltet. Von besonderem Einflüsse auf dieses Ver¬ 
halten sind die wechselnden Körperzustände. Ein Organismus, der 
arbeiten und energisch functioniren soll, bedarf eines sehr engen 
Nährstoffverhältnisses (etwa 1 : 3), während einem Körper, an den 
besondere Anforderungen nicht gestellt werden, ein sehr weites 
Nährstoffverhältniss (etwa 1:10) zusagt. Hinsichtlich ihres 
Nährstoffverhältnisses zeigen nun die beiden Milch¬ 
arten die denkbar weitesten Verschiedenheiten, in der 
Frauenmilch ist das Verhältniss ungewöhnlich weit 
und beträgt etwa 1:10, in der Kuhmilch hingegen 
ausserordentlich eng, stellt es sich doch wie 1:3. 

Nicht ohne das Vorhandensein eines dringenden physiologischen 
Bedürfnisses dürfte aber die Kuhmilch ein sehr enges, die Frauen¬ 
milch ein sehr weites Nährstoffverhältniss haben: das Kalb erfahrt 
schon bald nach der Geburt eine sehr bedeutende Körperzunahme 
und bedarf grosser Mengen Eiweiss zur Speisung seines Muskel¬ 
systems, an welches schon in den ersten Tagen des Lebens sehr 
grosse Anforderungen gestellt werden; der Säugling hingegen ent- 


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wickelt sich nur sehr allmählich, sein Muskelsystem bleibt lange 
Zeit hindurch unthätig und zu geregelter Bewegung unfähig und 
bedarf daher keiner reichlichen Speisung mit Eiweiss. Gleich 
minimal aber wie in den Muskeln sind auch die Leistungen und 
demgemäss der Stoffumsatz in den übrigen Organen des Säuglings. 

Ohne sich von den sehr beträchtlichen Verschiedenheiten im 
Nährsloffverhältniss zwischen Kuh- und Frauenmilch bisher eine 
exakte Vorstellung gemacht zu haben, hat man zwar anerkannt, 
dass die Kuhmilch ein an Kohlehydraten zu armes Nahrungsmittel 
für den Säugling sei. Aber die Mittel, welche man zur Verbesse¬ 
rung der Kuhmilch bisher empfohlen hat, haben mehr eine Herab¬ 
setzung des Eiweissgehaltes als eine angemessene Vermehrung der 
stickstofffreien Nährstoffe im Auge gehabt. Namentlich von 
Biedert ist betont worden, dass der Säuglingsmagen nur eine 
etwa einprocentige Eiweisslösung zu verdauen vermöge und dass 
deshalb die Kuhmilch den Säuglingen in entsprechend verdünnter 
Form gereicht werden müsse. Man hat demgemäss die Kuhmilch 
mit der gleichen oder selbst mit der doppelten und dreifachen 
Menge Wasser verdünnt, hat aber zur Erhöhung des Gehaltes an 
stickstofffreien Nährstoffen sich damit begnügt, einer Saugflasche 
voll Milch eine Messerspitze Milchzucker zuzufügen oder gar dieses 
für die Milch specifische und deshalb für den Säugling wohl auch 
unentbehrliche Kohlehydrat durch Rohrzucker, Rübenzucker, Dextrin 
und dergl. oder sogar durch Arrow-root und andere Stärkemehl¬ 
arten, welche für den Säugling fast vollständig unverdaulich sind, 
zu ersetzen. Biedert selbst hat einen Zusatz von Rahm vor¬ 
geschlagen, was nach unseren heutigen Begriffen schon deshalb 
gegen alle Grundsätze der Hygiene verstossen muss, weil der ge¬ 
wöhnliche Rahm das Musterbild eines mit allen möglichen Mikro¬ 
organismen gelasteten Nahrungsmittels darstellt. Um den Eiweiss¬ 
gehalt herabzusetzen und dabei gleichzeitig der Kuhmilch ihre 
unerwünschte Eigenschaft zu rauben, im Säuglingsmagen in Form 
von festen zusammenhängenden Klumpen zu gerinnen (die Frauen¬ 
milch gerinnt feinkörnig und ist in diesem Zustande leicht verdau¬ 
lich, weil die zahllosen kleinen Gerinnsel der Einwirkung der Ver¬ 
dauungssäfte eine ungemein grosse Oberfläche darbieten), sind 
auch Zusätze von Gerstenschleim, Haferschleim etc. empfohlen 
worden. 

Die Menge der genannten Zusätze hat sich indessen meistens 
innerhalb so enger Grenzen bewegt, dass der Nährstoffgehalt der 
verschnittenen Kuhmilch nur etwa 4—6 °/o betrug. Da nun aber 
die Frauenmilch wie die Kuhmilch für gewöhnlich 11 —12 °/o fester 
Bestandtheile enthält und deshalb eine Kost mit diesem bedeutenden 
Nährstoffgehalte wohl auch allein den natürlichen Bedürfnissen des 
Säuglings wird entsprechen können, so hat man durch das be- 


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270 — 


schriebene Verfahren einen gewaltigen Ueberschuss an Wasser in 
den zarten Organismus des Säuglings gebracht und so, ganz ab¬ 
gesehen von anderen Nachtheilen, die Säuglingskost über Gebühr 
voluminös gemacht. 

Letzterer Umstand wird aber keineswegs bedeutungslos für 
den zarten Organismus des Säuglings sein. Sehr zutreffend weist 
Escherich darauf hin, dass das Kind bei der Aufnahme einer 
solchen gehaltarmen Nahrung, wenn es nicht Hunger leiden will, 
weit grössere Flüssigkeitsmengen bewältigen muss als der an der 
Brust trinkende Säugling und dass hierdurch nicht allein die Ver¬ 
dauungsorgane, sondern auch die sekretorischen Apparate über¬ 
mässig belastet werden. Die hierdurch bewirkte grössere Aus¬ 
dehnung des kleinen und muskelschwachen Magens könne sehr 
wohl zu Funktionsstörungen Anlass geben, zumal es ein durch 
Biedert widerlegter Irrthum sei, dass die Nahrungsaufnahme 
durch das Bedürfniss des Kindes selbst in genügend sicherer Weise 
geregelt werde. Die meisten künstlich genährten Kinder seien 
Polyphagen und das falle um so schwerer in die Wagschale, als 
cs experimentell erwiesen sei, dass die starke Verdünnung der 
Milch die enzymatische Wirkung der Verdauungssäfte beeinträch¬ 
tige. Auch wirke das durch die grössere Flüssigkeitsmenge be¬ 
dingte häufigere Uriniren störend und gebe zu Ekzemen etc. Ver¬ 
anlassung. 

Es wird deshalb nimmermehr zweckmässig sein können, die 
für ganz junge Säuglinge bestimmte Kuhmilch nach den Vor¬ 
schlägen Biedert’s mit 3—4 Theilen Wasser zu verdünnen, im 
Alter von etwa vier Wochen noch 2 Theile Wasser zu nehmen 
und nach drei Monaten allmählich zu stärkeren Concentrationen 
überzugehen. 

Verdünnt man nämlich eine Kuhriiilch von dei^ Zusammen¬ 
setzung 3 °/o Eiweiss, 3,6 °/o Fett, 4,8 % Milchzucker und 0,7 °o 
Asche mit 2 Volumen Wasser, so resultirt daraus ein Gemenge 
von der Zusammensetzung 1 °/o Eiweiss, 1,2 °/o Fett, 1,6 °/o Milch¬ 
zucker und 0,2 % Asche, d. h. eine Kost, welche statt eines 
Trockengehaltes von 11—12 °/o nur einen solchen von 4 °/o und 
statt eines Nährstoffverhältnisses von 1 : 10 nach wie vor ein 
solches von 1 : 3 aufweist. Und diese Zahlenwerthe erfahren keine 
namhafte Veränderung, wenn man, wie es thatsächlich geschieht, 
einem Glas Milch eine Messerspitze voll Milchzucker oder etwas 
Gersten- und Haferschleim oder dergleichen zufügt. 

Soll die Kuhmilch der Frauenmilch nach physio¬ 
logisch-chemischer Richtung hin möglichst gleich- 
werthig gemacht werden, und solches zu fordern muss 
doch wohl der oberste Grundsatz der Ernährungs¬ 
hygiene sein, so darf man sich keineswegs mit einer 


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— 271 — 


blossen Gleichstellung im Eiweissgehalte begnügen, 
sondern die Nahrung muss auch einen ähnlichen Ge¬ 
halt an Milchzucker, diesem der Milch ganz eigen¬ 
artigen und deshalb für den Säugling auch wohl un¬ 
entbehrlichen Kohlehydrate, an Fett, an Salzen sowie 
an Wasser besitzen. Der Nährstoffgehalt des Surrogates 
muss wie der der Frauenmilch etwa 11—12 °/o betragen und das 
Nährstoffverhältniss muss der eigenthümlichen und nur wenig ent¬ 
wickelten Lebensenergie des Säuglings angepasst sein und etwa 
den Werth 1 : 10 aufweisen. 

Eine Nahrung von diesen Eigenschaften erhält 
man nun sehr einfach, wenn man die Kuhmilch statt 
mit Wasser mit einer 11—12% Milchzuckerlösung ver¬ 
setzt. Mischt man z. B. 1 Volumen Kuhmilch von der oben 
angegebenen Zusammensetzung mit 2 Volumen einer 11 % Milch¬ 
zuckerlösung, so erhält man eine Flüssigkeit, welche enthält 1 % 
Eiweiss, 1,2 % Fett, 8,9 % Milchzucker und 0,2 % Asche, d. h. 
also ein Produkt, welches sowohl im Trockengehalte, als auch im 
NährstoEfverhältniss sowie in dem Gehalt an den einzelnen Nähr¬ 
stoffen der Frauenmilch ausserordentlich nahe steht und welches 
dabei, wie letztere, statt in Klumpen in feinkörnigen Massen gerinnt. 

Indem ich mir gestatte, die Aufmerksamkeit der Kinderärzte 
auf vorstehendes Verhalten der Kuhmilch hinzulenken, glaube ich, 
dass es zur Ermöglichung einer rationellen Ernährung der Säug¬ 
linge mit dem empfohlenen Gemische zweckdienlich sein würde, 
die Sorge für die Herstellung der Milchzuckerlösung nicht den 
Müttern oder Kinderfrauen zu überlassen, die Lösung vielmehr 
fabrikmässig hersteilen zu lassen. Der gewöhnliche Milchzucker 
des Handels ist sehr unrein und für Zwecke der Kinderernährung 
ungeeignet. Allen Anforderungen dürfte nur eine Lösung aus 
wiederholt unkrystallisirtem Milchzucker genügen und dieser Lösung 
kann man dann durch geeignetes Sterilisiren in wohlverschlossenen 
Flaschen eine unbegrenzte Haltbarkeit verschaffen, ein Verhalten, 
welches die Herstellung künstlicher Muttermilch aus Kuhmilch zu 
einer ausserordentlich einfachen Prozedur gestaltet. 


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— 272 — 


Ein Streifzug 

durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. 

Von 

C. K. Aird. 

(Warschau.) 


(Schluss.) 

In einem der vornehmsten Stadttheile Berlins befindet sich 
oder befand sich jedenfalls zur Zeit der Handlung ein grösseres 
und wie verlautete unter höchster Protection stehendes Pensionat 
für englische Damen, und zwar in der zweiten und dritten Etage 
eines sehr grossen Neubaues. Die Damen fühlten sich aber kaum 
in ihren Räumlichkeiten zu Hause, als einige schon erklärten, sie 
könnten Nachts vor dem entsetzlichen Geruch nicht schlafen, der 
regelmässig in die Zimmer dringe, und sie verlangten energisch 
eine gründliche Untersuchung. Es wurde auch eifrig nachgeforscht, 
da aber der Wirth sich einer durchgreifenden Revision verbunden 
mit Aufreissen von Fussböden und Wänden widersetzte, so blieben 
alle Bemühungen ohne Erfolg. Die Damen indessen liessen sich 
keineswegs beruhigen und nach längerer Zeit, als sie entschieden 
erklärten, dass sie Nachts von heftigem Unwohlsein befallen würden 
und dass sie kurz und bündig das Pensionat verlassen müssten, 
sofern nicht gleich geholfen würde, und als dann schliesslich auch 
Andeutungen über die Nothwendigkeit einer Anzeige bei der Polizei 
gemacht wurden (denn natürlich war ein Miethcontrakt auf längere 
Zeit bereits geschlossen), da endlich bequemte sich der Wirth zu 
einer wirklich umfassenden Revision. Viel Geld oder Arbeit hat 
das nicht gekostet. Es war sofort die Vermuihung ausgesprochen 
worden, dass die fatalen Gerüche aus einem naheliegenden Closet¬ 
rohr kommen müssten, und als nun an einer Stelle, wo an das 
nämliche Fallrohr eine Waschtoilette angeschlossen war, derFuss- 
boden aufgerissen wurde, ergab sich zur allgemeinen Verblüffung 
folgendes Resultat: 

Das Fallrohr war selbstverständlich in Gusseisen durch alle 
Etagen bis über Dach geführt. An der verhängnisvollen Stelle 
aber war unter dem Fussböden mitten in den gusseisernen Fall¬ 
strang ein ca. 0,5 m langes Stück Bleiabflussrohr von 10 cm 1. W. 
eingeschaltet. Warum? — Nun, einfach weil der betreffende Rohr¬ 
leger bei Ausführung der ganzen Hauskanalisations-Anlage den er¬ 
forderlichen gusseisernen Abzweig zum Anschluss jener Wasch¬ 
toilette nicht zur Stelle hatte. Er bediente sich also eines Blei- 


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273 — 


abflussrohrs — an sich an solcher Stelle eine unerhörte Pfuscherei. 
Was aber das Schlimmste dabei war, ist jedenfalls, dass dieses 
Bleiabflussrohr nicht etwa neu und mit Flanschen wirklich dicht 
verbunden war, nein, der Rohrleger hatte von irgend einer Ab¬ 
bruchstelle ein ganz altes Bleirohr zufällig bei der Hand gehabt, 
ein Bleistuck, welches sogar an anderer Stelle schon als doppelter 
oder gar dreifacher Abzweig hatte dienen müssen. Von diesen 
einzelnen an dem Bleistück schon oder noch vorhandenen Ab¬ 
zweigen war einer offenbar für ein Gloset bestimmt gewesen, er 
hatte 10 cm 1. W.; ein zweiter war 40 oder 50 mm weit und von 
diesen Abzweigen hatte schliesslich weder der eine noch der an¬ 
dere für den Anschluss jener Waschtoilette gut gepasst. Darauf 
verfuhr nun unser Rohrleger in der folgenden unerhörten Weise: 
Der alte 10 cm weite Abzweig blieb vollständig offen, nur die 
seitlich abstehenden Ränder oder Wandungen des Stutzens wurden 
nach innen umgebogen. In den kleineren alten Abzweig drückte 
er eine Hand voll von ganz gewöhnlichem Kalkmörtel und 
quetschte dann das bleierne Abzweigstück noch seitlich zu. Der 
neue Anschluss der Toilette wurde endlich in der Weise ausge¬ 
führt, dass in das alte Bleirohr ein rundes Loch geschnitten und 
das von der Toilette kommende dünnere Bleirohr hindurchgeschoben 
wurde. , Zum Schluss hatte er, die eine Seite wenigstens, noch 
grob mit gewöhnlichem Kitt verschmiert. Von irgend einer fach- 
gemässen Dichtung oder Löthung war gar keine Rede; neben dem 
neu eingeführten Toilettenrohr hätte man vielleicht noch einen 
kleinen Finger in das Innere des alten Fallrohrs hineinstecken 
können; und aus dieser Sammlung von klaffenden Oeffnungen also 
der unerträgliche Gestank. 

Was bei dieser Gelegenheit zu Tage gefördert wurde, musste 
mir als das non plus ultra aller Pfuschereien erscheinen, und ich 
war fest entschlossen, diese Gelegenheit nicht unausgenutzt ver¬ 
streichen zu lassen. Wenn je, so musste sich diesmal feststellen 
lassen, welchen Schaden derartige Einströmungen von Kanalgas 
der menschlichen Gesundheit anthun können; aber freilich — das 
war schon Sache eines Mediciners. Nun, ich war ja selbst¬ 
verständlich sehr gewillt, die Angelegenheit ganz in die Hände 
eines solchen überzuführen. Ich sagte mir auch, dass die Theil- 
nahme von Fachleuten in wesentlich höherem Maasse erregt werden 
und also der guten Sache ein grösserer Dienst geleistet würde, 
wenn es mir gelänge, einen recht hochstehenden Specialisten für 
meinen Fall zu interessiren. Kurz entschlossen setzte ich mich 
also in den Besitz des verhängnisvollen Bleirohrs und verfasste 
schnell einen brieflichen Erläuterungsbericht, dem ich eine flüchtige 
Federskizze der Situation des Fundortes beigesellte. Das betreffende 
Haus wollte ich, sobald es gefordert würde, namhaft machen. Das 


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— 274 — 


alte Bleirohr selbst blieb vollständig unangerührt und ungereinigt, 
nur einige Buchstaben, die dem Bericht entsprechen mussten, 
wurden mit Oelfarbe an die verschiedenen Oeffnungen gemalt und 
dann ging dies Alles sofort mit dem ersten besten Dienstmann an 
eine hervorragende Autorität. — Ein Wort, ein einziges Wort von 
dieser Stelle, es musste nicht nur zur Klarstellung der Bedeutung des 
vorliegenden Falles, sondern namentlich auch für die Verhinderung 
einer Wiederholung Wunder wirken, aber — die Autorität hatte 
keine Zeit. 

Sie hatte wirklich keine Zeit. Ich erfuhr das jetzt und ich hatte 
es mir von vornherein schon hin und wieder selbst gesagt. Ich war und 
bin noch heute davon überzeugt, dass in der dahingehenden Er¬ 
klärung keineswegs eine höfliche Ablehnung zu erblicken sei. In 
dem kurzen, aber wirklich liebenswürdigen Antwortschreiben docu- 
mentirte sich vielmehr ein lebhaftes Interesse für den Gegenstand, 
und ich wurde schliesslich aufgefordert, mit einem der Herren 
Assistenten zu einer Unterredung zusammenzukommen und zwar 
mit einem Herren, der sich, wie mir geschrieben wurde, speciell 
mit dem Studium der Haushygiene befasst hatte. Mein ursprüng¬ 
licher Zweck war immerhin verfehlt; nichts destoweniger glaubte 
ich an der Hand meines doch ziemlich schwerwiegenden Beweis¬ 
materials nur eines geringen Rednertalentes zu bedürfen, um den 
Herrn Assistenten zu einer näheren Untersuchung des besonderen 
Falles zu bewegen. Ich hoffte thatsächlich, er werde sich an Ort 
und Stelle begeben und mindestens von den betheiligten Miethern 
und event. von dem Hausarzt des Pensionats Erkundigungen ein¬ 
ziehen, die vielleicht zu bestimmten Resultaten führen könnten. 

Unser Rendezvous kam denn auch zu Stande. Ich wurde 
recht liebenswürdig aufgenommen und das, trotzdem ich in einer 
unbequemen Stunde eintraf. Ich wiederholte, wenn ich nicht irre, 
flüchtig die Einzelheiten des Falles, berief mich auf meinen Brief, 
meine Skizze und die Beschaffenheit des alten Bleirohrs, und fragte 
endlich, ob dies denn nicht eine günstige Gelegenheit wäre, näher 
nachzuweisen, was von dem vielbeschriebenen schädlichen Ein¬ 
fluss der Kanalgase auf die menschliche Gesundheit Wahrheit oder 
Dichtung sei. 

Von dem Wortlaut der Erwiderung ist mir herzlich wenig im 
Gedächtniss; nur so viel weiss ich, dass der Gedanke an eine 
etwaige Schädlichkeit der Kanalgase mit eisiger Ruhe abge¬ 
schüttelt wurde. Es kam so selbstbewusst, wie eben ein Medi- 
ciner in solchen Fragen einem Laien gegenübertreten kann, zum 
Ausdruck, dass die Kanalgasfrage für diesen Herrn schon längst 
erledigt sei; dagegen sei es von grosser Wichtigkeit für ihn, eine 
Probe aus dem umliegenden Fehlboden behufs einer näheren 
Untersuchung zu erhalten, denn, so erzählte er mir, es sei ja 


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275 


sehr möglich, dass von dem Inhalt des Rohrs etwas in die 
Zwischendecke hinausgespritzt sei, dass sich dort dann Krankheits¬ 
keime niedergelassen und entwickelt haben könnten, und deshalb 
also wünschte er, eine genauere Prüfung dieser Fussbodenfüllung 
vorzunehmen. 

Ich war derart überrascht und enttäuscht von dieser Behand¬ 
lung des Falles, dass ich gewissermassen aus den Wolken fiel. 
Für mich lag allerdings die Frage viel zu klar und offen da, als 
dass ich meine Ueberzeugung hätte opfern können, ohne auch 
nur eine Spur von Gründen oder Beweisen von Seiten meines 
Gegenübers erhalten zu haben. Und andererseits hatte ich von 
vornherein empfunden, dass dieser Herr keine Lust bezeigte, die 
etwaige Richtigkeit einer anderen Auffassung als der seinigen in 
Erwägung zu ziehen. Unter solchen Umständen verzichtete ich 
natürlich auf jede weitere Bemerkung, oder ich sagte doch nur, 
als ich schon auf die Thüre zuging, dass die Beschaffung einer 
Probe des Fehlbodens sich jetzt nicht mehr ermöglichen lasse, da 
die aufgerissenen Dielen inzwischen schon geschlossen seien; und 
gewiss, ich hätte anderenfalls mit vielem Vergnügen seinen Wunsch 
erfüllt. Von seiner Seite kam dann die hocherfreuliche Mittheilung, 
dass das bemerkenswerthe alte Bleirohr ab gemalt werden würde, 
denn es sei „so interessant“ gewesen und was man sonst noch 
so zu sagen pflegt. — Mit diesem Rendezvous war nun der Fall 
für mich erledigt, denn ich glaubte mich öffentlich hierüber nicht 
mehr äussem zu sollen, nachdem die Angelegenheit doch einmal 
Anderen übergeben war. Aber das Wenige, was ich damals hätte 
sagen können, soll heute doch noch kurz zum Ausdruck kommen; 
der Fall ist ja sicherlich in mehr als einer Hinsicht lehrreich. 

Was zunächst die Ansicht des Herrn Assistenten anbelangt, 
dass möglicherweise aus dem Inneren des Rohres ein Theil der 
Dejectionen in den umliegenden Fehlboden verspritzt sein könnte, 
so ist nach meiner Auffassung die Wahrscheinlichkeit hierfür gleich 
Null. Denn erstens liegt mitten in einem freien Fallrohr, gleichviel 
natürlich ob es alt oder neu, ob es Blei oder Eisen ist, für die 
herabfallenden Flüssigkeiten oder Stoffe gar keine Veranlassung 
vor, nach den Seiten abzuspritzen. Aber selbst wenn dieses, und 
unglücklicherweise auch noch grade an d e r Stelle geschehen wäre, 
wo jene Löcher sich befanden, so wäre ein Heraus spritzen in 
den Fehlboden immer noch sehr unwahrscheinlich, und zwar ganz 
einfach, weil nur höchst selten etwas um die Ecke spritzt. Die 
Abzweige waren aber schräg gerichtet, bei dem grösseren waren 
ausserdem die Ränder umgebogen und in dem anderen hing der 
erwähnte, hineingedrückte Mörtelklumpen. Und dort, wo die 
Toilette nun thatsächlich mündete, wäre selbst das Abwasser von 
dieser schwerlich in die Zwischendecke gelangt, denn das zu- 


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— 276 


führende Bleirohr reichte noch vollständig durch die Wandung des 
Fallrohrs hindurch. Gesetzt aber der Fall, es sei hier jemals 
irgendwie eine Stauung und damit verbunden ein Heraustritt des 
Toiletten-Wassers in die Zwischendecke erfolgt, so wäre man hier¬ 
auf durch eine Befeuchtung der unteren Zimmerdecke entschieden 
hingewiesen worden und zwar weit früher, als ein solcher Gestank 
von solchem Wasser sich entwickeln könnte. Das Alles aber war 
ja nicht der Fall. 

Was andrerseits das Eindringen von Kanalgasen anbelangt, 
so soll nur erwähnt werden, dass dieses Closetrohr im Souterrain 
ganz nahe an einer Tag und Nacht sehr hoch erwärmten Restau¬ 
rationsküche hinstrich, und es liegt also Grund genug zu der An¬ 
nahme vor, dass grade durch dieses Rohr von dem Strassenkanal 
noch grössere Gasmengen, als es sonst der Fall ist, heraufgezogen 
wurden. Wenn dann in dem Fallrohr an einer einzigen Stelle 
schon eine Oeffnung von etwa dreiviertel Quadratdecimeter lichter 
Weite sich befindet, so ist es doch gewiss nicht mehr schwer zu 
glauben, dass Kanalgase auf diesem Wege in grosser* Mengen in 
die betroffenen Zimmer eingedrungen sind und dies vielleicht in 
besonders hohem Grade dann, wenn die Zimmerluft — wie z. B. 
Nachts — eine etwas niedrigere Temperatur annahm. Wozu nun 
also in die Ferne schweifen! Die Mitwirkung der Kanalgase hatte 
sich empfindlich bemerkbar gemacht. Von einer schweren Erkran¬ 
kung dagegen, die zur Bacillensuche hätte veranlassen können, 
war absolut noch keine Rede. Wäre dies aber dennoch der Fall 
gewesen, so hätte man ja die Suche in der schleimigen Haut an 
der Innenwand des alten Bleirohrs beginnen können. — Es ist 
mir in der That ein angenehmes und befriedigendes Bewusstsein, 
dass ich in neuerer Zeit auch ältere Mediciner über dieses Kapitel 
sich äussern hörte, und dass mir auch von sehr erfahrenen deut¬ 
schen Aerzten Schriften begegnet sind, in welchen die Kanalgas¬ 
frage noch keineswegs, 'wie hier, zu Gunsten der modernen Micro- 
organismenjagd vernachlässigt oder ganz geopfert wurde. 

Die Installationsfirma, welche diese Anlage ausgeführt hatte, 
war schon zur Zeit der Geschichte, also kurz nach Beendigung 
der neuen Anlage, eingegangen. Sie war so plötzlich verschwunden, 
wie sie aufgetaucht war, sie war eins von den bekannten unheil¬ 
vollen Gestirnen mit völlig unberechenbarer Bahn. Ein Techniker 
hatte der Firma niemals angehört, und der einzige Chef, ein 
Kaufmann, ward schliesslich selbst verrathen und verkauft. 

Das grosse, scheinbar werthvolle Haus ist von ausserordentlich 
gewiegten Häuserspeculanten erbaut; so viel Schlechtes, wie an 
diesem einen Bau sich zeigte, ist selten dicht vereint zu finden, 
und dass die sehr geschäftskundigen Bauherrn schliesslich doch 
noch von den Bauarbeitern, speciell wohl von den Rohrlegern, auf 


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das gröbste übervortheilt wurden, ist nicht erstaunlich. Die Rohr¬ 
legungsarbeiten waren ganz ohne jedes Sachverständnis ausge¬ 
führt. Eine Thonrohr-Abfliissleitung z. B. war mit einem todten 
aber vollständig offenen Ende mitten im Erdreich verlegt, so dass 
die Schmutzwässer in fast beliebigen Mengen in den Untergrund 
versickern konnten; kurz, es zeigten sich Nachlässigkeiten, wie 
sie in gedruckten Schilderungen selten oder nie zur Sprache 
kommen. , 

Dies Alles sage ich, um daran die Erklärung zu knüpfen, 
dass dieses Haus von zahlreichen Miethern bezogen wurde, bevor 
die Entwässerungsanlage überhaupt polizeilicherseits besichtigt oder 
genehmigt war — die Vollzugsdaten der Miethskontrakte und des 
polizeilichen Abnahme-Protokolls werden sich heute noch vergleichen 
lassen — und ferner betone ich mit allem Nachdruck, dass diese 
Entwässerungsanlage wieder späterhin factisch abgenommen — sage 
in Berlin baupolizeilich abgenommen!! — wurde, ohne dass so 
unerhörte Fehler, wie der oben besprochene, aufgefunden worden 
wären, und ich gestatte mir nun endlich die bescheidene Frage: 
„Kann man von irgend einem vernünftig denkenden Menschen, 
dem die Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege am Herzen 
liegen, fordern, dass er sich mit einer solchen possenhaften Ab¬ 
nahme zufrieden erklärt, oder dass er überhaupt zu solchen Un¬ 
geheuerlichkeiten schweige?“ — Ich selbst weiss nur zu genau, 
wie es bei jener Abnahme zuging, denn ich war an jenem Tage 
und in derselben Stunde persönlich in demselben Hause. Die ein¬ 
zelnen Wohnungen wurden besichtigt, und es wurde auch dem 
Besitzer aufgegeben, eine Reihe von Dingen richtigstellen zu lassen, 
deren Unrichtigkeit eben allzu offen in die Augen sprang; es 
wurde z. B. die Anbringung von Rückstauhähnen vor den Wasser¬ 
verschlüssen im tiefen Souterrain verfügt. Als ich aber, um nur 
ein Beispiel anzuführen, an diesem Tage allein in einer Wohnung 
des Gebäudes sass, wurde plötzlich geklingelt und ein jüngerer 
Beamter wünschte die Einzelheiten der Anlage zur Abnahme zu 
besichtigen. Ich zeigte ihm den Küchenausguss, und er sah ihn 
an, wie Jemand, der circa 25,000 andere Ausgüsse derselben Art 
besichtigt hat. „Und das Closet“, fragte er, „wo ist das Closet?“ 
— „Hier, aber es ist geschlossen. Erlauben Sie, dass ich den 
Schlüssel hole?“ — „Ach nein, bitte bemühen Sie sich nicht, — 
ist das Closet in Ordnung?“ — „Allerdings, es ist“ — „Ich danke 
Ihnen — entschuldigen Sie — adieu!“ — So geht es bei einer 
baupolizeilichen Abnahme in Berlin. Es soll gewiss nicht bestritten 
werden, dass der Beruf dieser Beamten, sofern sie überhaupt dar¬ 
auf bedacht sind, ihre Pflicht zu erfüllen, ein ausserordentlich 
schwerer ist. Das Publikum verlangt von ihnen Höflichkeit und 
alle mögliche, oder vielmehr ganz unmögliche Rücksichtnahme; 


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278 — 


erfüllen sie aber etwa diese Wünsche, so bleibt der Hygieniker 
unbefriedigt. Nun, Niemand kann zweien Herren dienen; aber ein 
Beamter der Gesundheitspolizei, der Kanalisationsanlagen abnimmt, 
steht dabei allein im Dienste der Hygiene, und hiermit ist der 
Weg, den er zu gehen hat, gezeichnet. Mögen die Beamten höf¬ 
lich auftreten, so lange sich das mit ihrer Pflicht vereinigen lässt. 
Wenn aber überhaupt eine solche Abnahme ihren Zweck erfüllen 
soll, so muss sie zunächst durchgreifen, und es muss AJl es revi- 
dirt werden, selbst auf die Gefahr hin, den Besitzern oder Miethern 
unbequem zu werden. Es liegt übrigens ganz und gar nicht in 
meiner Absicht, die Berliner Beamten etwa der Pflichtvergessenheit 
zu beschuldigen. Zu verurtheilen ist weniger ein Beamter, welcher 
durch eine so geistestödtende Arbeit schliesslich abgespannt und 
gleichgültig wird, sondern zu verurtheilen, und zwar scharf zu 
verurtheilen, ist das ganze dort in Betrieb befindliche Revisions¬ 
system. Damit, dass ein junger Beamter durch die Häuser stürmt, 
dass er allenfalls die Closets zählt, nachschaut, ob die Ventilation 
den Buchstaben des Gesetzes genügt, und ob an allen tiefen Punkten 
auch nicht der vorgeschriebene Schutz gegen Rückstau fehlt, da¬ 
mit ist uns bestimmt noch lange nicht gedient. Was weiter fehlt, 
das habe ich wohl heute schon gezeigt, und ich komme bald noch 
einmal und dann ausführlicher auf diesen Gegenstand zurück. 


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rach Weisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans 53 

Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat April 1889. 



lelefeld 


aderborn 


ortmund 


amm 

verlohn 


I.-Gladbach 
ternscheid 
lülheim a.d.Ruhi 


Weitkirchen 


Schweiler 


Jurtscheid 


fco 


Wiesbaden 

Bettenhausen 


Schmalkalde 


am 

Schlüsse 


Hospitäler 


städt. u. kath. Krankenhaus 

60 

67 

städtisches Krankenhaus 

32 

40 

Landeshospital 

4<> 

39 

städtisches Krankenhaus 

61 

58 

Louisen* u. Johanneshospital 

263 

219 

Augustaanstalt 

120 

110 

städtisches Hospital 

111 

111 

evangel. und Marienhospital 

213 

184 

städtisches Krankenhaus 

33 

40 

* Ji 

87 i 

56 

!» * 

40 

31 

Mariastift u. ev. Krankenh. 

DH 

185 

städtisches Krankenhaus 

28 

26 

evangel. Hospital 

136 

130 

Marienhospital 

238 

225 

St. Jos.-Hosp. 

187 

179 

städtisches Krankenhaus 

212 

200 

* * 

178 

168 

Huvssen-Stift u. Kruppsches 



Krankenhaus 

144 

140 

städt. Diakon.- u. Krankenh. 
Bethesdau. Mariahilf- Krknh. 

93 

152 

96 

156 

städtisches Krankenhaus 

43 

38 

ff 1* 

94 

82 

ff * 

10 

: 9 

, Hospital 

42 

48 

„ Krankenhaus 

35 

30 

ff * 

51 

39 

ff V 

104 

95 

ft fl 

42 

42 

Haniels-Stiftung 

27 

32 

städtisches Krankenhaus 

16 

18 

* V 

8 

10 

Louisenhospital 

44 

49 

Marienhospital 

259 

238 

St. Antoniushospital 

112 

110 

St. Nikolaushospital 

32 

31 

Marien hospital 

103 

106 

Bethlehemshospital 

761 

SO 

Bürgerhsp. u.Hülfskrankenh. 

678 

710 

Fr.-Wilh.'-Stift (ev. Hospital) 

71 

58 

städt. u. Dreikonigenhospital 

152 

140 

städtisches Krankenhaus 

961 

89 

ji n 

63 

66 

ji * 

70 

70 

städt. Hosp. u. Stadtlazareth 

89 

84 

Bürgerhospital 

68 

68 

städtisches Hospital 

39 

38 

fl ff 

40: 

45 

städtisches Krankenhaus 

110 

110 

Landkrankenhaus 

225 

221 

n 

125 

101 

ji 

.76 

73 

V 

40 

39 

ji 

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17 

28 

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Krankheitsformen de r Aufg enommenen 


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Sterbliohkelt« - Statistik ron 5$ Städten der Proyfnsen Westfalen, 
Rheinland und Hessen • Nassau pro Könnt April 1889. 


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41,2 

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16,9 



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1 


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Minden 

18602 

49 

31.6 

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Paderborn 

16600 

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31,8 

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1 


Dortmund 

84000 

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43,3 

130 

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Bochum 

40767 

162 

47,7 

91 

25 

26,8 




4 






2 

4 


Hagen 

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114 

42,8 

53 

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19,9 




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Witten 

2371 1 


42,0 

52 

12 

26,3 




10 


1 




1 

2 

1 

Hamm 

23479 

81 

41,4 

36 

8 

18,4 


. . 


5 


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1 


Gelsenkirchen 

23567 

114 

58,1 

60 

19 

30,6 




2 

2 

3 


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i 

3 

2 

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Iserlohn 

21044. 

64 

36,5 

34 

8 

19,4 






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Siegen 

17758 

58 

39,2 

38 

6 

25,7 



.. 

7 

1 






3 

i 

Schwelm 

13014 

50 

46,1 

24 

8 

22,1 



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1 

2 





3 


i 

Lippstadt 

10850 

32 

35,4 

17 

4 

18.8 



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1 









Düsseldorf 

140961 

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38 1 

233 

70 

19,8 




4 

4 

2 


3 

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8 

3 


Elberfeld 

119200 

382 

38,5 

186 

51 

18,7 


11 


5 

1 

1 


1 


9 

1 


Barmen 

110000 

389 

42.4 

185 

41 

20,2 


6 


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5 

1 

3 

Grefeld 

104705 

359 

41.1 

130 

36 

14,9 




2 

1 




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4 

4 

1 

Essen 

72346 

273 

45,3 

128 

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21,2 




2 


5 



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4 

2 

1 

Duisburg 

52016 

219 

50,5 

93 

35 

21,5 


1 

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2 


1 




9 

2 


M.-Gladbach 

50000 

187 

44,9 

72 

19 

17,3 


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2 









Remscheid 

35000 

138 

47,3 

63 

22 

21.6 




2 







1 


Mülheim a. d. Ruhr 

26709 

102 

45,9 

49 

19 

22,0 




2 




1 


3 

3 


Rheydt 

25000 

62 

29,8 

40 

10 

19,2 





2 

1 




1 


1 

Viersen 

22228 

72 

38 9 

49 

17 

26,5 










1 



Oberhausen 

22377 

85 

45,6 

38 

7 

20,4 




1 


1 


1 


1 


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Neuss 

21934 

88 

48,1 

40 

10 

21,9 






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2 



Wesel 

20677 

47 

27,3 

29 

4 

16,8 




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Styrum 

19820 

92 

55,7 

27 

11 

16,3 





1 

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1 



Solingen 

31887 

125 

47,0 

78 

23 

29,4 


•• 

1 


4 

2 

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1 



Wermelskirchen 

11400 

34 

35,8 

29 

7 

30,5 




5 









Ronsdorf 

11000 

33 

36,0 

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3 

16.4 













Velbert 

12533 

57 

54,6 

21 

9 

20,1 









2 




Ruhrort 

9708 

40 

49,4 

25 

17 

30,9 







• * 


1 

2 



Süchteln 

9465 

24 

30,4 

16 

5 

20,3 









2 



Lennep 

8843 

30 

40,7 

25 

7 

33,9 




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Aachen 

102336 

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35,6 

165 

50 

19,3 




2 

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1 

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Eschweiler 

16798 

66 

47,1 

27 

5 

19,3 


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Eupen 

15441 

37 

28,8 

20 

4 

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Burtscheid 

12139 

37 

36,6 

20 

8 

19,8 




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Stolberg 

11792 

32 

32,6 

19 

9 

19,3 








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Köln (Stadt) 

185094 

620 

40,8 

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128 

25,2 


26 

1 

8 

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Köln (Vorstädte) 

89748 

341 

46.2 

164 

53 

22,2 


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4 





12 

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Bonn 

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127 

40,1 

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23 

24,0 











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Mülheim a. Rhein 

29000 

113 

46,8 

51 

27 

21,1 





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Kalk 

11418 

49 

51,5 

29 

10 

30,5 





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Trier 

34131 

83 

29,2 

65 

14 

22,9 




1 






2 

1 


Malstatt-Bürbach 

14950 

75 

60^2 

33 

11 

26,5 




1 









St. Johann 

13598 

39 

34,4 

28 

9 

24,7 




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Saarbrücken 

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36 

41,3 

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24,1 




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Coblenz 

34636 

56 

19,4 

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15,2 



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Kreuznach 

17000 

44 

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Neuwied 

10192 

32 

37,7 

22 

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Wiesbaden 

59000 

147 

29,9 

91 

17 

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Kassel 

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144 

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yachwelsunff über Krankenaufnahme und Bestand In den Krankenhäusern aus 54 

Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Mai 1880. 




Bestand 

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städtisches Krankenhaus 

39 

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Louisen- u. Johanneshospital 
Augustaanstalt 
städtisches Hospital 
evangel. und Marienhospital 
städtisches Krankenhaus 

219 

217 

233 




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städtisches Krankenhaus 

26 

13 

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evangel. Hospital 
Marien-Hospital 

St. Josephs-Hospital 
städtisches Krankenhaus 

130 

129 




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1 


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Krankenhaus 

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städt. u. Diak.-Krankenhaus 

96 








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156 

117 

65 





1 


1 







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städtisches Krankenhaus 

38 

11 

38 












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städtisches Krankenhaus 

32 

22 

11 













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18 

13 

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10 

7 

6 

66 














1 

Sen 

Louisenhospital 

Marienhospital 

St. Antoniushospital 

St. Nikolaushospital 

Marienhospital 

Bethlehemshospital 

Bürgerhsp.u.Hülfskrankenh. 
Fr -Willi.-Stift (ev. Hospital) 
städt. u. Dreikönigenhospital 
städtisches Krankenhaus 

19 

238 

59 












1 


1 

1 

213 

172 




1 



i 





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22 

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110 

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110 

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38 

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221 

216 

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* Krfttze and Ungeziefer. 














































































Sterbllchkeitfii - Statistik von 54 Städten der Prorinzen Westfalen, 
Rheinland and Hessen-Nassau pro Monat Mai 1889. 



Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Dortmund 

Bochum 

Hagen 

Witten 

Hamm 

Gelsenkircheri 

Iserlohn 

Siegen 

Schwelm 

Lippstadt 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Barmen 

Crefeld 

Essen 

Duisburg 

M.-Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a. d. Ruhr 

Rheydt 

Viersen 

Oberhausen 

Neuss 

Wesel 

Styrum 

Solingen 

Wermelskirchen 

Ronsdorf 

Velbert 

Ruhrort 

Süchteln 

Lennep 

Aachen 

Esclnveiler 

Eupen 

Burtscheid 

Stolberg 

Köln (Stadt) 

Köln (Vorstädte) 
Bonn 

Mülheim a. Rhein 
Kalk 

Trier 

Malstadt-Burbach 
St Johann 
Saarbrücken 

Goblenz 

Kreuznach 

Neuwied 

Wiesbaden 


37000 140 45,4 63 
18602 57 36,8 29 
16600 44 31,8 18 

83000 334 48,3 132 
40767 17o 51,5 95 
31993 121 45.4 65 
23711 78 39,5 43 

23479 87 44.5 34 
23567 104 53,0 54 
21044 85 48,5 29 
17758 54 36,5 40 
13014 37 34,1 21 

10850 31 34,3 27 


19 20,4 

7 18,7 

4 13,0 . .! . . . . | | 1 

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8 16,5. 1 .. .. 

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7 29,9 ..... 1 3 .. 


140961 
119200 
110000 
104705 
73096 
52016 
50000 
35000 
26709 
25000 
22228 
22377 
21934 
20677 
19820 
31887 
11400 
11000 
12531 
9708 
9465 
8843 


458 39,0 215 
407 41.0 231 
336 36,7 201 
374 42,9 145 
274 45,0 125 
219 50,5 74 

185 44,4 96 
118 40,5 43 
92 41,3 52 
81 38.9 38 

70 37,8 34 
107 57.4 39 
76 41,6 49 
4o 23,2 38 
83 50,3 41 

97 36,5 74 

40 42,1 23 

39 42,5 11 

53 50,7 19 

32 39.6 22 
27 34,2 18 

38 51.6 17 


67 18,3 dl.. 

57 23,3 ..! 18 !.. I 5 |.. 

60 21,9 .. 33 . 8 1 

4*3 16,6 .... 1 2 j.. 

41 20,5. 1 .. 

17 17,1. 11 

24 23,0 .; 1 

10 14,7 .. .. ..! 3 |.. 

20 23.4 . 1 

9 18.2.! .. .. 

•’> 18,4 .. | . ..! .. .. 

10 20,9 .. .. .. .. .. 

10 26,8 .. I ...... 

8 22,1 . 1 .. 

18 24,8 .... 1 .. 4 

30 27,8 .. I .. 10 2 

10 24,2 ...... | .. I 

3 12.0 .... .... 

5 18,2 .. 1. 

9 27,2 . 1 .. .. 

I 22,8 ........ 1 


102336 328 38,5 181 66 21,2 .. .. .. 1 
16798 63 45,0 30 7 21,4 .. 1 .. .. 


15441 45 35,0 37 7 28,8 . 6 

12139 42 41,5 16 1 15,8 . 

11792 44 44,8 21 8 21,4 . . 1 . . .. 

185892 572 35,7 412 151 26,1 ..21 2 6 

90306 340 44,3 176 62 23,0 .. 4 1 .. 

38000 135 42,6 79 16 24,9 . 1 

28000 120 51.4 63 30 27,0 ...... 1 

11418 53 55,7 22 8 23,1 


85 29,9 64 15 22,5 ........ 5 


14950 61 48,9 
13598 55 48,5 
10453 30 34,4 


30 10 26,5 .. . 1 

9 2 10,3 . . ...... 1 


34636 76 26,3 52 10 18,0 .. I ........ 

17000 49 34,6 46 11 32.5 3 1 

10192 23 27,1 17 4 20,0 ...... 1 .. 


59000 152 30,9 95 21 19,3 


68236 177131,1 110 321 19,3 .. 10 .. 6 1 



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— 283 


Kleinere Mittheilungen. 


* lieber die gesundheitlichen Nachtheile der neuerdings eingeführten 
transportabeln Coke- und Anthracit-Oefen , welche sich je nach 
Bedürfniss von einem Raum zum andern tragen und mühelos in Verbin¬ 
dung mit Kaminrohren bringen lassen, fanden in der französischen Akade¬ 
mie der Medizin längere, lebhafte Debatten statt, die in der Sitzung vom 
16. April d. J. zu folgenden Beschlüssen führten: 

1. Der Gebrauch der sogen. Spar-Oefen mit schwachem Zug ist in 
Schlafzimmern und daran stossenden Räumen zu untersagen. Die 
transportabeln Oefen sind zu vermeiden. 

2. In allen Fällen ist bei Oefen mit langsamer Verbrennung für ge¬ 
nügenden Zug zu sorgen mittels Kaminrohren von reichlicher Weite 
und Höhe, welche vollständig dicht sind, ohne Ritzen, ohne Ver¬ 
bindung mit angrenzenden Zimmern und oberhalb der benachbarten 
Fenster münden. Es ist nützlich, wenn diese Rohre und Kamine mit 
beweglichen Vorrichtungen versehen sind, welche anzeigen, dass der 
Zug . in normaler Richtung stattfindet. 

3. Es ist nöthig, besonders bei mit schwachem Zug brennenden Oefen, 
die athmosphärischen Störungen zu beachten, welche möglicher 
Weise die Zugkraft beeinträchtigen oder sogar die Gase in das 
Innere der Räume zurücktreiben können. 

4. Alle Oefen mit langsamer Verbrennung, welche Oefihungen zur 
Hitzausstrahlung haben, sind zu verwerfen, denn diese machen 
den Nutzen des Sicherheitsraumes zu nichte, der durch den inneren 
hohlen, zwischen den beiden Umhüllungen von Gusseisen oder 
Eisenblech befindlichen Cylinder gebildet wird und ermöglichen das 
Eindringen von Kohlenoxyd-Gas in das Zimmer. 

5. Die Heizungsöffnungen der Oefen mit langsamer Verbrennung müs¬ 
sen hermetisch schliessen und muss nach jedesmaligem Versehen 
der Oefen mit Brennmaterial das Zimmer gründlich gelüftet werden. 

6. Die Anwendung dieser Art von Heizung ist gefährlich in solchen 
Räumen, wo Menschen sich fortwährend aufhalten und wo für die 
Ventilation nicht reichlichst gesorgt ist mittels direct ins Freie füh¬ 
render und nie geschlossener Oeffnungen; in Kinder-Bewahrschulen, 
Schulen, Gymnasien etc. sind oben besprochene Oefen ganz zu verbieten. 

7. Die Akademie hält es für ihre Pflicht, die Regierung aufmerksam 

zu machen auf die Gefahren der Oefen mit langsamer Verbrennung 
und besonders der transportablen Oefen, sowohl für die Gesundheit 
derjenigen, die sie selbst benutzen, als auch ihrer Nachbarn; sie 
spricht den Wunsch aus, dass die Behörde den Erlass von Ver¬ 
ordnungen in Erwägung ziehen möge, um gegen diese Gefahren 
Abhülfe zu schaffen. F. 


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284 — 


** Polizei-Verordnung, betreffend Massnahmen gegen die 
Verbreitung der Schwindsucht. Vom 12. April 1889. 

Durch Dr. Georg C o r n e t ’ s Untersuchungen über die Verbreitung der 
Tuberkulose unter Leitung des Geheimen Medizinalrathes Prof. Dr. Robert 
Koch ist festgestellt worden, dass nur der getrocknete Auswurf der 
an der Lungenschwindsucht Erkrankten oder derselben Verdächtigen den 
Gesunden verderblich wird und zwar, sobald derselbe fein verstäubt der 
Athmungsluft beigemischt und so dem menschlichen Körper zugeführt wird. 
Um die, auf solche Weise vermittelte Uebertragung von Tuberkelbacillen, 
welche bekanntlich die Tuberkulose weiter verbreiten, thunliehst zu ver¬ 
hüten, sollen Tuberkulöse (Schwindsüchtige) angehalten werden, niemals in 
ein Taschentuch, auf den Fussboden oder an die Wände, sondern ledig¬ 
lich in ein für diesen Zweck bestimmtes Gefäss, Speinapf oder Speiglas, 
auszuspeien; besonders sei ein Handspeinapf zu empfehlen, um jede Ver¬ 
unreinigung des Bodens etc. zu verhüten. 

Eine Desinfection des Auswurfes durch die früher üblichen Mittel hält 
Dr. Gor net für überflüssig, da der Sublimat z. B., wie längst bekannt ist, 
Tuberkelbacillen überhaupt nicht unschädlich mache, die Carbolsäure zu 
diesem Zweck aber nur unter Beobachtung grösster Sorgfalt in der An¬ 
wendung zuverlässig wirksam sei. Die Speigefasse seien täglich nur mit 
kochendem Wasser zu reinigen, der Auswurf aber mit dem Waschwasser 
in die Aborte zu befördern; Sand oder Sägespähne zur Bestreuung des 
Bodens der Speinäpfe zu benutzen, sei nicht empfehlenswerth, da auf solche 
Weise dem Trocknen und der Verstaubung des Auswurfes Vorschub ge¬ 
leistet werde; eine geringe Menge Wasser in den Gefössen sei nicht zu 
verwerfen. (Zeitschrift für Hygiene Bd. 5, S. 191 ff.) 

Auf Grund der für das Gemeinwohl so wichtigen Ergebnisse der 
GorneUschen Untersuchungen und mit Rücksicht darauf, dass Geistes¬ 
kranke nicht selten an Tuberkulose (Schwindsucht) erkranken, ersuche ich 

.etc.etc.ergebenst, für die Zukunft folgende 

Vorschriften für Ihre Privat-Irrenanstalt im Interesse der übrigen, Ihrer 
Obhut anvertrauten Kranken beachten und gefälligst zur Ausführung bringen 
zu wollen: 

1. Offenbar Tuberkulose sind, soweit thunlich, von anderen Kranken 
abzusondern. 

2. Sämmtliche Kranke, welche an dieser Krankheit leiden oder der¬ 
selben verdächtig sind, werden streng angehalten, lediglich in mit 
wenig Wasser am Boden bedeckte Speigefasse den Auswurf zu 
entleeren. Jene Gefässe sind täglich mindestens einmal mit sieden¬ 
dem Wasser zu reinigen, der Gesammtinhalt wird in die Aborte 
entleert. Etwaige Besudelungen des Fussbodens, der Lagerstellen, 
der Wände etc. werden, soweit möglich, sofort mit siedendem 
Wasser oder in anderweit zweckentsprechender und zuverlässiger 
Weise entfernt; besudelte Gebrauchs- und Bettwäsche wird ent¬ 
fernt und ausgekocht. 


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— 285 — 


3. Bettstücke, Matratzen, Decken etc., sowie alle Gebrauchsgegen¬ 
stände, welche Schwindsüchtige benutzt haben, sind nach Mass- 
gabe der diesseitigen Polizei-Verordnung vom 7. Februar 1887, 
betreffend Desinfection bei ansteckenden Krankheiten zu behandeln, 
beziehungsweise den hiesigen städtischen Desinfections-Anstalten 
zu übergeben, soweit nicht etwa Auskochen angängig ist. 

4. Auch die Desinfection derjenigen Zimmer, in welchen Schwind- 
suchtskranke gelegen haben, erfolgt nach dem Abgänge der Letz¬ 
teren durch Entlassung oder Tod nach Massgabe der vorerwähnten 
Bestimmungen. 

Der Polizei - Präsident, 
von Richthofen. 

An die Privat-lrrenanstalten etc. 

*** Massnahmen gegen die Verbreitung des epidemischen Kopf¬ 
genickkrampfes (Meningitis cerebrospinalis epidemica). Circular¬ 
erlass des Ministers der geistlichen u. s. w. Angelegenheiten vom 23. November 
1888 an sämmtliche Königl. Oberpräsidenten. 

Wie aus den über die Gehirn-Rückenmarkshaut-Entzündung oder den 
Kopfgenickkrampf (Meningitis cerebrospinalis) angestellten Ermittelungen un¬ 
zweideutig hervorgeht, ist diese Krankheit verschleppbar und ansteckend und 
bringt dieselbe den von ihr Befallenen verhältnissmässig häufig den Tod oder 
andauerndes Siechthum, insbesondere führt sie oft zu Taubheit und bei 
Kindern zu Taubstummheit. Es ist daher eine wichtige Aufgabe der 
Sanitätspolizei, der Verbreitung der Krankheit so viel, als nur möglich, 
entgegenzutreten. Zu diesem Zwecke bedarf es folgender Massnahmen: 

1. Die Aerzte müssen verpflichtet werden, jeden zu ihrer Kenntniss 
gelangten Fall der genannten Krankheit ungesäumt der Orts- 
Polizeibehörde des Ortes, an welchem derselbe vorgekommen ist, 
anzuzeigen. 

2. Die erkrankten Personen sind so weit, als thunlich, von anderen 
abgesondert zu halten. 

3. Kinder aus einem Hausstande, in welchem ein Fall der Krankheit 
besteht, sind vom Schulbesuch fern zu halten. Die Vorschriften, 
welche in der zur Circular-Verfügung vom 14. Juli 1884, betreffend 
die Schliessung der Schulen bei ansteckenden Krankheiten, beige¬ 
fügten Anweisung hinsichtlich der zu Ziffer la daselbst genannten 
Krankheiten gegeben sind, haben auch auf den Kopfgenickkrampf 
sinngemässe Anwendung zu finden. 

4. Die Krankenzimmer, die Auswurfsstoffe, die Wäsche (namentlich auch 
Schnupftücher), Kleider und die während der Erkrankung benutzten 
sonstigen Effekten des Kranken sind nach allgemeinen Grundsätzen 
vollständig zu reinigen und zu desinficiren. 


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286 — 


Dem entsprechende Bestimmungen empfiehlt es sich für alle Landes- • 
theile im Wege der Polizei-Verordnung zu erlassen, und ersuche ich Ew. 
Excellenz ganz ergebenst, hienach die dazu erforderlichen Veranlassungen 
für den Umfang der dortigen Provinz gefälligst zu treffen und mir seiner 
Zeit von den erlassenen Bestimmungen Kenntniss zu geben. 

Zugleich bestimme ich, dass in Betreff der in Krankenanstalten vor¬ 
kommenden Fälle von Gerebrospinalmeningitis die in der Circular-Verfügung 
vom 3. April 1883 — I. No. 5817 M. — enthaltenen Anweisungen üher die 
Anzeigepflicht, Isolirung und Desinfection bei Fällen ansteckender Krank¬ 
heiten ebenfalls zur Geltung zu bringen sind, und wollen Ew. Excellenz 
gefälligst Sorge dafür tragen, dass die betreffenden AnstaltsVorstände hier¬ 
von Mittheilung erhalten. 

Endlich bemerke ich ganz ergebenst, dass der Mangel an Klarheit, 
welcher nicht selten in der Diagnose der Krankheit besteht, es im Falle 
des tödtlichen Ausgangs der letzteren wünschenswerth erscheinen lässt, 
dass eine Sektion der Leiche erfolgt, und sind daher zweckmässig die be¬ 
theiligten Behörden mit Anweisung dahin zu versehen, dass dieselben in 
vorkommenden geeigneten Fällen der Ausführung der Leichenöffnung thun- 
lichst Vorschub leisten. 

Kanalisationsarbeiten und Krankheiten. 

Wiesbaden, den 11. Mai 1889. 

Die Königliche Regierung ersuchte mit Schreiben vom 2. März er. den 
hiesigen Verein für öffentliche Gesundheitspflege um eine gutachtliche Aeusse- 
rung über folgende Punkte: 

1. Es ist eine durch viele Beobachtungen bestätigte Thatsache, dass in 
Folge der Oeffnung alter Entwässerungskanäle sehr oft ansteckende 
Krankheiten entstehen. Es fragt sich nun, ob bei der in Ausfüh¬ 
rung begriffenen neuen Kanalisation in Wiesbaden besondere und 
eventuell welche Vorkehrungen zur Verhütung des Ausbruches von * 
Krankheiten zu treffen sind? 

2. Ferner ist zur Anzeige gelangt, dass im Jahre 1888 58 Diphteritis- 
erkrankungen in hiesiger Stadt« vorgekommen sind, von welchen 
ein grosser Theil einen tödtlichen Verlauf gehabt hat, dass in diesem 
Jahre (1889) im Monat Januar allein 18 Personen von derselben 
Krankheit befallen worden sind, von denen 6 starben, während die 
Zahl der Diphteritiserkrankungen seit 1875 nur zweimal und zwar 
jedesmal um ein Geringes über 20 hinausgegangen sind. Stehen 
diese Krankheitserscheinungen mit den Kanalisationsarbeiten in ir¬ 
gend welchem ursächlichen Zusammenhänge, und eventuell welche 
Verhütungsmassregeln erscheinen nothwendig ? 

Der Vorstand des Vereins ernannte in Folge dieser Anfrage die Vor¬ 
standsmitglieder Herren Kanalisations-Ingenieur Brix und Docent der Hy¬ 
giene Dr. Hüppe zu Referenten über die fraglichen Punkte. Nachdem 
das Referat der Genannten in einer Vorstandssitzung erstattet worden und 


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— 287 


eine eingehende Discussion über dasselbe stattgefunden hatte, übermittelte 
der Vereins Vorstand auf Grund jenes Referates an die Königliche Regierung 
nachstehendes Gutachten. 

Die Möglichkeit, dass durch das OefTnen alter, undichter oder schlecht 
gemauerter Kanäle Infectionskrankheiten hervorgerufen werden, ist durch 
mehrfache Beobachtungen als erwiesen anzunehmen. Specielle Angaben 
hierüber liegen in der Literatur über Unterleibstyphus vor und diese epi¬ 
demiologischen Beobachtungen stehen in guter Uebereinstimmung mit 
bakteriologischen Beobachtungen über die Bildung von Bodenheerden von 
undichten Versitzgruben aus und mit Experimenten über die Möglichkeit 
einer sehr langen Dauer der Lebensfähigkeit von Typhuskeimen in Ober¬ 
wassern und im Boden. 

Wie im Einzelnen von diesen Bodenheerden oder Kanälen aus die In- 
fection ausgeht, ist meist sehr schwer festzustellen. Sicher kann das gelegentlich 
durch directe Berührung geschehen oder durch Zwischenträger, ln letzterer 
Hinsicht dürften besonders die Kleider und das Schuh werk der Kanalarbeiter 
manchmal in Frage kommen. Eine unmittelbare Uebertragung der Keime 
durch die Luft erscheint im Allgemeinen ausgeschlossen, da sich von feuchten 
Grundlagen derartige Keime durch Luftströmungen nicht loslösen lassen. 
Doch sind die den geöffneten alten Kanälen entsteigenden, übelriechenden 
Gase bei andauernder Einwirkung geeignet, den Körper zu schwächen und 
dadurch indirect, als eine Hülfsursache, für Infectionskeime empfänglich zu 
machen. Wir haben also beim Oeffnen alter Kanäle nicht nur die directe 
Infectionsgefahr zu bekämpfen, die auch ohne jeden sinnlich wahrnehm¬ 
baren Geruch vorhanden sein kann, sondern wir haben auch das als hygie¬ 
nischen Missstand empfundene Entstehen und Aufsteigen übelriechender 
Gase zu verhüten. Im Hinblick hierauf dürfte es daher als nothwendig zu 
erachten sein, bei den Bauten derjenigen neuen Kanäle, mit welchen eine 
Beseitigung und somit Oefinung von alten Kanälen verbunden ist, gewisse 
Vorkehrungen zur Vermeidung der möglichen Gefahren zu treffen. Diese 
Vorkehrungen beziehen sich auf solche, durch welche 

1. die in alten Kanälen enthaltenen etwaigen Krankheitskeime ganz 
oder doch in grösstmöglichster Menge unschädlich gemacht oder 
in unschädlicher Form entfernt werden, 

2. die Vermehrung der Keime beschränkt, 

3. die Zeit, innerhalb welcher die Gefahr vorhanden ist, nach Mög¬ 
lichkeit abgekürzt wird, und 

4. Uebertragungen unmöglich gemacht werden. 

Alle die in diesen Punkten enthaltenen Forderungen wären durch eine 
vollkommene Desinfection der alten Kanalmauern, des in den alten Kanälen 
enthaltenen Schlammes, sowie des bloszulegenden inficirten Grundes unter 
den alten Kanalsohlen und der etwa hoch zu punipenden Kanalflüssigkeit 
zu erfüllen. Eine solche Desinfection ist indess nicht möglich. 


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- 288 — 

Wir empfehlen nach eingehendem Abwägen der vielerlei hier in Be¬ 
tracht kommenden Umstände und mit Rücksicht auf die technische Ausführ¬ 
barkeit deshalb folgende Vorkehrungen. 

1. Vor dem Oeffnen eines alten Kanals hat eine Vorspülung desselben 
unter Anwendung reichlicher Wassermengen stattzufinden. 

2. Derartige Kanalarbeiten sind thunlichst in der kälteren Jahres¬ 
zeit, etwa von October bis April, auszuführen und zwar hauptsäch¬ 
lich deshalb, weil in dieser Zeit eine Vermehrung derjenigen Or¬ 
ganismen, welche durch ihre Thätigkeit üble und schlechte Gerüchte 
•herbeiführen oder vermehren, weniger zu befürchten ist. 

3. Die Kanalbauten sind so schnell als irgend thunlich zu betreiben. 
Das schnelle Arbeiten, wodurch in kürzester Frist unleidliche Zu¬ 
stände durch geordnete, den heutigen sanitätstechnischen Anforde¬ 
rungen entsprechende Einrichtungen ersetzt werden, ist sogar für 
diesen Fall als das beste und am sichersten wirkende Desin- 
fectionsmittel zu bezeichnen, so dass alle anderen Desinfections- 
maassnahmen, welche geeignet sind, den raschen Arbeitsfortschritt 
zu hindern, zurücktreten müssen. 

Formen der Arbeit, z. B. Nachtarbeit, durch welche die sichere 
Ausführung und Gontrole erschwert wird, sind zu vermeiden. 

4. Ausgebrochenes altes Mauer werk, welches nicht sofort abgefahren 
werden kann oder anderweitige Verwendung bei der Kanalisation 
finden soll, und aus diesen Gründen auf der Strasse gelagert wird, 
ist stets feucht zu halten, um ein Verstäuben zn verhindern. 

5. Ausgehobener Schlamm und stinkender ausgegrabener Grund ist 
möglichst schnell abzufahren. Ausserdem empfiehlt es sich, die 
Gerüche durch Begiessen des Aushubes mit Eisenvitriollösung, oder 
Bestreuen mit pulverisirtem gebrannten Kalk resp. Begiessen mit 
Kalkmilch, oder endlich durch Mischen mit vorhandenem guten 
Grund zu binden. Jedes dieser Mittel hat seine Vorzüge, die sich 
nach den besonderen örtlichen Verhältnissen richten. 

6. Wird übelriechendes Kanalwasser ausgepumpt, so ist dasselbe, wenn 
irgend technisch möglich, durch eine geschlossene Leitung (Rohr, 
Schlauch) nach dem nächsten Kanaleinlass zu leiten. 

Nach dem Aufhören der Pumparbeit ist die Flossrinne, in 
welcher das Kanalwasser fortgeleitet wurde, durch kräftiges Be¬ 
spülen mit reinem Wasser gründlich zu reinigen. 

Wir weisen schliesslich noch darauf hin, dass es sich, da eine eigent¬ 
liche Desinfection sowohl des übelriechenden Aushubes, als auch des aus¬ 
gepumpten Kanalwassers an Ort und Stelle doch nicht möglich ist, 
nicht empfiehlt, durch Anwendung von Carbolsäure die auftretenden üblen 
Gerüche zu bekämpfen resp. zu decken. Es wird hierbei nur ein unange¬ 
nehmer Geruch durch einen andern, vielseitig gleich lästig empfundenen 
Geruch ersetzt und eine Desinfection vorgetäuscht, die von der schnellen 
Ausführung der Arbeiten, der einzigen wirklichen Desinfection, leicht Ab- 


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— 289 — 


stand nehmen lässt. Die Mengen Carbolsäure, welche zur thatsächlichen 
Desinfection erforderlich sind, müssten so gross sein, dass die Kosten in 
gar keinem Verhältnisse zur Leistung stehen würden. Die einzige wirkliche 
Desinfection ist der Ersatz des hygienischen Missstandes durch eine tech¬ 
nisch genügende Anlage. — Um betreffs der Frage eines ursächlichen Zu¬ 
sammenhanges von Diphteritiserkrankungen mit den Kanalisationsarbeiten 
Anhaltspunkte zur Beurtheilung zu gewinnen, haben sich unsere Herren 
Referenten von der Königlichen Polizei-Direction Mittheilung darüber er¬ 
beten und erhalten, in welchen Strassen und Häusern im Jahre 1888 Diph¬ 
teritiserkrankungen in hiesiger Stadt stattgefunden haben. Hiernach sind 
in 42 Häusern, von im Ganzen 34 Strassen, 58 Erkrankungsfalle aufgetreten. 

Ein Vergleich mit dem im städtischen Kanalisationsbureau geführten 
Verzeichniss der im Jahre 1888 ausgeführten Kanalarbeiten hat aber er¬ 
geben, dass nur in der Nähe von drei dieser Häuser Aufgrabungen zwecks 
Kanalherstellungen stattgefunden hatten. Jedoch selbst diese Aufgrabungen 
betrafen nur kleinere, kurz andauernde Kanalherstellungen. 

Es muss deshalb für diese Fälle insgesammt ein Zusammenhang der 
Krankheit mit Kanalisationsarbeiten unbedingt ausgeschlossen werden. Wie 
aus beiliegendem Schreiben des Tiefbau-Amtes der Stadt Frankfurt vom 
19. März er. hervorgeht, hat sich der* dortige Gesundheitsrath in Folge der 
im Jahre 1887 dort aufgetretenen Diphteritisepidemie eingehend mit der 
Ergründung der Ursachen dieser Krankheit beschäftigt, ohne jedoch ein 
greifbares Resultat zu erhalten (siehe unten, Anlage). 

Insbesondere konnte ein Zusammenhang mit der Kanalisation nicht 
gefunden werden. 

Mit Rücksicht auf das Angeführte erscheint es deshalb bei den Kana¬ 
lisationsarbeiten nicht nothwendig oder auch nur wünschenswerth, besondere 
Verhütungsmassregeln gegen die Diphterie zu treffen. Es wird vielmehr 
vollständig genügen, wenn die im ersten Abschnitt angegebenen allgemeinen 
Vorkehrungen zur Verhütung von Infectionskrankheiten überhaupt befolgt 
werden. 


Anlage. 

Tiefbau-Amt. 

J. N. 1 6403. Frankfurt a. M., den 19. März 1889. 

Auf das gefällige Schreiben vom 11. März d. J. erwiedern wir Ihnen 
hierdurch ergebenst, dass sich der hiesige Gesundheitsrath, in Folge der im 
Jahre 1887 hier aufgetretenen Diphteritisepidemie, eingehend mit der Er¬ 
gründung der Ursachen dieser Krankheit beschäftigt hat, dass die hierbei 
angestellten Untersuchungen zu einem greifbaren Resultat jedoch leider 
nicht geführt haben. Die Krankheit hat hier in allen Schichten der Be¬ 
völkerung und in den verschiedensten Stadttheilen ihre Opfer gefordert und 
zwar vielfach in Wohnungen und Familien, in denen in sanitärer Hinsicht 
alle nur denkbare Vorsorge getroffen wird. 


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290 — 


Die Häuser, in denen die Krankheit auftrat, waren fest säramtlich 
längst an Kanal und Wasserleitung angeschlossen, so dass uns ein Zusam¬ 
menhang zwischen der Kanalisation und der fraglichen Krankheit nicht zu 
bestehen scheint. 

Tiefbau- Amt. 

Herrn Ingenieur Brix, Stadtbauamt Wiesbaden. 

Dr. Staffel- Wiesbaden. 


*** Lambrecht*8 Polymeter. Wilhelm Lambrecht's bekannte 
Fabrik meteorologischer Instrumente zu Göttingen stellt ein Hygrometer 
her, welches wir unsern Lesern zur Beachtung und auch zur Anschaffung 
gern empfehlen. Dasselbe ist eine neue Verbindung von Thermometer und 
Haar-Hygrometer. Am Thermometer befindet sich ausser der Lufttempera¬ 
tur (linke Skala) eine rechte Skala, welche die Dunstdruck-Maxima in 
Millimetern angiebt. Das Hygrometer, welches, wie Vergleiche mit genauen 
Psychrometern gelehrt haben, hinlänglich empfindlich ist und zuverlässige 
Angaben macht, hat zunächst eine Skala der Prozente der relativen Feuch¬ 
tigkeit. Darüber befindet sich die von Lambrecht s. g. Skala der Gradzahlen, 
welche für jede Zahl der relativen Feuchtigkeit durch denselben Zeiger die 
Anzahl Grade anzeigt, uin welche der Taupunkt niedriger steht als der 
Temperaturgrad. Die Genauigkeit dieser unmittelbaren Ablesung ist da¬ 
durch erhöht worden, dass der Zeiger eine dreifach gezackte Spitze erhal¬ 
ten hat; deren mittlere Zacke wird beim Ablesen der Gradzahl benutzt, 
wenn die Luftwärme -f 10° G. beträgt; beträgt die letztere 0®, so wird 
die rechte Zacke (nach der feuchten Seite hin) benutzt, — beträgt jene 
20°, die linke Zacke (nach der trockenen Seite). Für andere Temperaturen 
lässt sich das Richtige leicht durch Abschätzung feststellen. Doch kann 
mit völliger Genauigkeit die absolute Feuchtigkeit (als Dunstdruck) durch 
Multiplikation der relativen Feuchtigkeit mit dem am Thermometer abzu¬ 
lesenden Dunstdruck - Maximum einfach bereclmet werden; hieraus ergiebt 
sich wiederum durch Ablesung am Thermometer der Taupunkt. — Der 
Dunstdruck giebt zugleich das Gewicht des dunstförmigen Wassers an, da 
bei jedem Millimeter Dunstdruck fast genau 1 gr Wasser auf das Kubik¬ 
meter Luft kommt. 

Das Instrument ist nun erstlich sehr geeignet zu fortlaufenden Beob¬ 
achtungen der Temperatur, der relativen und der absoluten Feuchtigkeit, 
beziehungsweise der Höhe des Taupunkts in der Aussenluft; für die be¬ 
treffenden Aufzeichnungen liefert die Fabrik Schemata. Unter den auf den 
Taupunkt gegründeten Wetterregeln sei hier erwähnt, dass nach längeren 
Beobachtungsreihen die Höhe des Taupunktes am Tage sehr häufig nahe 
mit dem darauf folgenden nächtlichen Temperaturminimum übereinstimmt 
Es kann also hieraus mancher praktische Nutzen abgeleitet werden. — So¬ 
dann kann das Polymeter zur steten Prüfung der Luft in unseren Wohn- 


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— 291 


räumen dienen, eine vortreffliche Ergänzung zu den Apparaten der Kohlen¬ 
säure-Bestimmung, da für unser Wohlbefinden die Höhe des Taupunkts 
und die relative Feuchtigkeit der Zimmerluft grosse Bedeutung haben. 

W. ' 

*** Dr. Emmerich (München) hat in Gemeinschaft mit Herrn 
E. Martini einen elektrischen Alarmapparat zur Verhütung von 
Kohlensäure-Vergiftungen angegeben, welcher einen Kohlensäure- 
Gehalt der Luft von 6 % an selhstthätig anzeigt. Nach der Münchener 
Mediz. Wochenschr. 1888, Nr. 24, geht die Einrichtung des Apparats davon 
aus, dass ein Metallstab durch die Wärme einer unter demselben befind¬ 
lichen Kerzenfiamme sich ausdehnt. Steigt der Kohlensäure-Gehalt der 
Luft auf 6 °/o, dann wird die Flamme klein und entfeuchtet. Bei 8 % 
Kohlensäure erlischt dieselbe. 

Das Kleinwerden der Flamme und die Verminderung der Wärmequelle 
bewirkt eine Kontraktion des Metallstabes, in Folge dessen ein Kontakt 
hergestellt, der elektrische Strom geschlossen und ein Läuteapparat in Thä- 
tigkeit versetzt wird. 

Durch einen an 10 Personen angestellten Versuch wurde festgestellt, 
dass ein Kohlensäuregehalt von 6°/o, wie er durch den Apparat angezeigt 
wird, für den Menschen noch nicht gefährlich ist. Die Gefahr beginnt erst 
bei 15-20%. 

Wenn daher in einem Raume Kohlensäure-Ausströmungen stattfinden, 
dann warnt der Apparat durch die Aktion der elektrischen Glocke früh¬ 
zeitig genug vor der Gefahr. 

Die Aufstellung des Apparates ist überall da angezeigt, wo durch einen 
hohen Kohlensäuregehalt der Luft Gefahren für die Gesundheit oder das 
Leben des Menschen entstehen können: in Eisfabriken, welche flüssige 
Kohlensäure zur Eisbereitung verwenden, in Presshefefabriken, in Wein- 
Gärkellem u. s. w. 

Da ein sehr hoher Kohlensäuregehalt der Luft die Gärung ungünstig 
beeinflusst, so kann man den elektrischen Signalapparat auch dazu be¬ 
nutzen, um die Notwendigkeit der Lufterneuerung in Wein-Gärkellern an¬ 
zuzeigen. 

Der Apparat ist sehr einfach und kann für den Preis von 20 Mark 
hergestellt werden. Statt der Kerzenflamme kann man eine beliebige an¬ 
dere kleine Flamme (Petroleum, Gas u. s. w.) benutzen. W. 

*** Zur Schul-Pflege der Schwachsinnigen. Den Schweize¬ 
rischen Blättern für Gesundheitspflege, 1888, Nr. 13, entnehmen wir, dass 
seit anfang des Schuljahres 1888/89 in Basel eine wichtige fortschrittliche 
Neuerung für bessere Pflege Schwachbegabter Elementarschüler dadurch 
eingeführt wurde, dass besondere Abteilungen für die erwähnte Klasse von 
Kindern geschaffen sind. Es bestehen hierfür nachfolgende Bestimmungen: 


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292 — 


1) Auf Anfang des Schuljahres 1888/89 wird in Grossbasel und in 
Kleinbasel versuchsweise je eine Spezialklasse für Schwachbegabte Schüler 
der Primarschulen errichtet. 

2) Diese Klassen werden in möglichst zentraler Lage der betreffenden 
Stadtteile untergebracht. 

3) Jeder Spezialklasse werden die Schwachbegabten Kinder des be¬ 
treffenden Stadtteils, Knaben und Mädchen, zugeteilt. 

4) Die Zahl der Kinder einer Spezialklasse darf 25 nicht übersteigen. 

5) Die Leitung einer jeden der beiden Spezialklassen wird von der 
Primarschulinspektion mit Genehmigung des Erziehungsrates einer Lehrerin, 
eventuell einem Lehrer der hiesigen öffentlichen Schulen übertragen. 

6) ln die Spezialklasse werden nicht aufgenommen: 

a. Kinder, welche vermöge körperlicher oder geistiger Gebrechen 
sich für den Besuch einer öffentlichen Schule überhaupt nicht 
eignen. 

b. Kinder, welche sittlich verdorben sind. 

c. Kinder, welche das Lehrziel der zweiten Klasse der Primarschule 
erreicht haben. 

7) In die Spezialklasse werden aufgenommen Kinder, welche zwar 
bildungsfähig sind, aber in Folge körperlicher oder geistiger Mängel einer 
individuellen Behandlung bedürfen und deshalb in den gewöhnlichen Klassen 
der öffentlichen Schule mit ihren normal beanlagten Klassengenossen nicht 
Schritt halten können. 

8) Die Aufnahme findet statt: 

a. auf Antrag der Eltern und mit Genehmigung des Erziehungs¬ 
departements, nachdem ein wenigstens einjähriger Versuch in 
einer gewöhnlichen Klasse den Nachweis geleistet hat, dass das 
betreffende Kind in die Spezialklasse gehört; 

b. auf Veranlassung des Erziehungsdepartements und mit Zustim¬ 
mung der Eltern, nachdem ein wenigstens zweijähriger Versuch 
in einer gewöhnlichen Klasse erwiesen hat, dass das betreffende 
Kind in die Spezialklasse gehört. 

In beiden Fällen muss die Aufnahme vom Klassenlehrer, 
vom Schulinspector und vom Schularzt befürwortet sein. 

9) Wenn die Eltern mit der Zuteilung ihrer Kinder ln die Special¬ 
klasse nicht einverstanden sind, bleibt dem Erziehungsdepartement die Ent¬ 
scheidung Vorbehalten, ob das Kind noch länger in einer gewöhnlichen 
Schulklasse verbleiben, oder ob es aus der öffentlichen Schule entfernt 
werden soll. . 

10) Auf Antrag der betreffenden Lehrerin, bezw. des betreffenden 
Lehrers und mit Zustimmung des Schulinspektors und des Schularztes kann 
das Erziehungsdeparteraent zu jeder Zeit ein Kind aus der Spezialklasse in 
eine entsprechende gewöhnliche Klasse versetzen. 

11) Das Lehrziel der Spezialklassen für Schwachbegabte Schüler richtet 
sich im allgemeinen nach dem der Primarschulen. Die an letzterm mit 


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— 293 — 


Rücksicht auf die Befähigung der betreffenden Kinder und nach Massgabe 
der gesammelten Erfahrungen vorzunehmenden Aenderungen unterliegen der 
Genehmigung des Erziehungsrates. 

In der Ein- und Durchführung solcher, als ein wirkliches Bedürfniss 
sich herausstellender Fortschritte der Schulgesundheitspflege werden die 
Erziehungsbehörden in Basel durch das daselbst bestehende offizielle Amt 
eines Schularztes wirksam unterstützt. W. 

*♦* Für die Berichte über die ärztlichen Untersuchungen der 
Schulen hat die Königl. Regierung ^zu Düsseldorf folgendes Schema vor¬ 
geschrieben : 

I. Gesundheitszustand der Kinder: 1) Allgemeiner Eindruck 
(Gesichtsfarbe, Haltung, Reinlichkeit). 2) a. Ansteckende Hautkrankheiten, 
b. ansteckende Augenkrankheiten, c. Infektionskrankheiten (Diphtheritis, 
Keuchhusten, Tuberkulose etc.) d. sonstige Krankheiten. 

II. Gesundheitsverhältnisse der Schule: 1) Lage. 2) Ge¬ 

bäude (massiv oder Fachwerk, Dach, ob unterkellert, Wohnungen im 
Schulgebäude, ob Eingang zur Schule und Wohnung getrennt). 3) Treppen 
(hölzerne, steinerne, Geländer; ob überhaupt gefahrlos). 4) Schulzimmer: 
a. Grösse (Höhe, Länge, Breite, Zahl der Kinder, wegen Krankheit ab¬ 
wesend. Bodenfläche für jedes Kind), b. Fussboden (ob dicht und ge¬ 
strichen), c. Wände und Decken (Anstrich), d. Reinlichkeit im allgemeinen, 
e. Fenster (Grösse, Zahl und Lage, Verhältniss der Fläche der Fenster¬ 
öffnungen zur Bodenfläche, Schutz vor direkten und reflektirten Sonnen¬ 
strahlen), f. Schultische, Bänke (ob solid, zweckmässig, Sitzraum), g. Licht- 
verhältniss im allgemeinen, h. Heizung (Art derselben, ob genügender 
Schutz gegen Verbrennung und Wärmestrahlung, Temperatur, Thermometer), 
i. Ventilation (Einrichtung der Oberflügel der Fenster, Klappscheiben, Glas¬ 
jalousien, zentrale Ventilation u. s. w.), k. Stand des Katheders und der 
Wandtafel. 5) Abtrittsanlage (Lage, ob in genügender Entfernung vom 
Schulgebäude, Ausdünstung, Reinlichkeit der Sitze, * Anzahl derselben im 
Verhältniss zur Schülerzahl). 6. Spiel- und Turnplatz (Grösse, Lage; ob 
Turngeräte solid und ungefährlich, ob der Boden unterm Barren und Reck 
fest oder mit Sägemehl bedeckt u. s. w.). 7) Wasserversorgung (Trink- 

gefäss, Entfernung der Brunnen von den Abtritten). 8) Sonstige Be¬ 
merkungen. 

Unter diesem vom Arzt auszufüllenden Formular hat der Oberbürger¬ 
meister noch die Frage zu beantworten: Was ist zur Beseitigung der er¬ 
wähnten Mängel angeordnet worden? W. 

Ueber die Häufigkeit von Gehörleiden bei Schulkindern 

hat i. J. 1888 Shermunski in den Stadtschulen zu Petersburg 
Untersuchungen angestellt. Dieselben ergaben nach einem Bericht des 
Kreisarztes Dr. Ströhmberg in Dorpat in der Zeitschr. f. Schulgesund¬ 
heitspflege (1889, Heft 2) folgendes : Von 2221 Kindern (1318 Knaben und 


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— 294 — 


903 Mädchen)aus 50 Stadtschulen Petersburgs fanden sich 388, d. i. 17,4% 
mit herabgesetzter Hörschärfe, davon waren 221 (16,76 ®/©) Knaben und 167 
(18,49 °/o) Mädchen. 

Die häufigste Ursache der Herabsetzung der Hörschärfe bildete chro¬ 
nischer Katarrh des Mittelohrs und der Eustachischen Ohrtrompete; dann 
folgten der Häufigkeit nach Ohrschmalzpfröpfe, Eiterung der Paukenhöhle, 
Durchbohrung des Trommelfells infolge von Eiterungen u. s. w. Bei 64% 
der Untersuchten war die Erkrankung des Mittelohrs von krankhaften Pro¬ 
zessen des Nasenrachenraums ausgegangen. Ein grosser Theil der Erkran¬ 
kungen war in Folge von Infectionskrankheiten, namentlich von Scharlach 
entstanden. 

Wie anderwärts schon hervorgehoben und früher in diesen Blättern 
schon berichtet wurde, macht sich die Schwerhörigkeit in ungünstiger Weise 
bei den Leistungen der Schüler geltend. Ist doch in den meisten Fällen 
die Schwerhörigkeit dem Lehrer unbekannt und gelten daher solche Schüler, 
da sie dem Lehrgänge nicht folgen können, als unachtsam und beschränkt. 
So fand denn auch Shermunski, dass bei den Schülern, welche Flüster¬ 
sprache noch auf 24—12 Meter verstehen konnten, das Verhältniss der in 
ihren Leistungen guten Schüler zu den schlechten 4,19:1 betrug; bei 
Herabsetzung der Hörschärfe auf % — V* der Norm war dies Verhältniss 
2,6: 1; bei Herabsetzung der Hörschärfe auf weniger als % nur 1,7:1. 
Aehnliche Zahlen fand Bezold bei seinen Untersuchungen in den Volks¬ 
schulen zu München. 

Besonders ungünstig sind die Petersburger Zahlen in Bezug auf die 
Anzahl der Ohreneiterungen gegenüber den in München, Stuttgart und 
Kopenhagen gefundenen Zahlen. Waren doch 4 °/o sämmtlicher unter¬ 
suchten Kinder, und zwar 3,41 der Knaben und 4,88 % der Mädchen mit 
diesem lästigen und unangenehmen Leiden behaftet. Shermunski glaubt 
den Grund hierfür in socialen Verhältnissen finden zu müssen, indem die 
in Armuth und Elend lebenden Eltern gleichgültig gegen den Geruch der 
Ohreneiterung sind, und ärztliche Hülfe nicht nachsuchen. Er meint, dass 
unter den 388 Harthörigen über 80 Prozent gewesen seien, bei welchen 
zweckentsprechende Behandlung eine mehr oder minder vollkommene Hei¬ 
lung herbeigeführt haben würde. 

Es sei auch hier wiederholt, dass die Häufigkeit von Gehörsstörungen 
im Kindesalter einer der Punkte ist, welche eine stete Ueberwachung der 
Schulen durch geeignete Schulärzte dringend wünschenswert erscheinen 
lassen. Schmidt-Bonn. 

*** Die ärztlichen Wünsche betreffend die Umgestaltung 
des öffentlichen Gesundheitswesens in Österreich wurden auf 
dem letzten österreichischen Ärztevereinstage (31. August und 1. SepL 
1888) wie folgt zusammengefasst: 

„1. Die Regelung des Gesundheitsdienstes in den Gemeinden, beziehungs¬ 
weise die fixe Bestellung von Ärzten zur Führung der sanitären Agenden 


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295 — 


in den Gemeinden, ist die Grundlage für eine gedeihliche Entwickelung 
der Gesundheitsverwaltung. 

2. Die derzeitige Organisation der Gesundheitsverwaltung ist nach der 
Richtung weiter zu entwickeln, dass sie als ein selbstständiger Zweig der 
öffentlichen Verwaltung eingerichtet, dass die Durchführung der Forderungen 
der öffentlichen Gesundheitspflege durch Einflussnahme aller Fachorgane 
auf die Verwaltung möglichst gefördert wird, dass endlich Vertreter der 
mit der Hygiene in Verbindung stehenden wissenschaftlichen Disziplinen 
(Medicin, Chemie, Gesundheitstechnik, Verwaltungskunde u. s. w.) in die 
Fachräthe berufen werden. 

ln Städten und grösseren Gemeinden sind ständige Ortsgesundheits- 
räthe zu errichten. 

3. Die Fachorgane der Gesundheitsverwaltung sind mit allen zur 
Forschung nothwendigen Untersuchungsmitteln auszurüsten; es sind dem¬ 
nach auch an der Seite der obersten Verwaltung Einrichtungen für experi¬ 
mentelle Forschung auf dem Gebiete hygienischer Verwaltungsfragen 
nothwendig. 

4. Die staatlichen und diesen gleichgestellten Ärzte sind entsprechend 
zu entlohnen und von der Nothwendigkeit eines Nebenerwerbes unabhängig 
zu stellen. 

5. Die Nothwendigkeit, von ansteckenden Krankheitsfällen rasch Kenntniss 
zu erhalten, sowie die Nothwendigkeit der Belehrung und Überwachung der 
Bevölkerung in Fragen der Privathygiene, erfordert die Mitwirkung prak¬ 
tischer Ärzte, und ist die obligatorische Anzeigepflicht bei Infektionskrank¬ 
heiten gesetzlich einzuführen. 

6. Zur Heranbildung tüchtiger Gesundheitsbeamten sind an allen Uni¬ 
versitäten hygienische Institute und an den technischen Hochschulen ein 
theoretischer und praktischer Unterricht in der Gesundheitstechnik einzu¬ 
richten. Den staatlich angestellten Ärzten ist behördlicherseits Gelegenheit 
und Unterstützung zu bieten, ihre hygienische Ausbildung zu vervollkommnen. 

7. Die Gesundheitsverwaltung kann ohne verständnisvolle Mitwirkung 
der ganzen Bevölkerung ihrer Aufgabe nicht gerecht werden; der Unter¬ 
richt in der Hygiene an den Volks-, Mittel- und Fachschulen ist daher eine 
unbedingte Nothwendigkeit. 

8. Es liegt im Interesse eines gedeihlichen Fortschrittes des Gesundheits¬ 
wesens, dass die Thatigkeit der Gesundheitsverwaltung sowohl bezüglich 
der einzelnen Länder als auch bezüglich der ganzen Monarchie durch 
periodische Berichte zur allgemeinen Kenntniss gebracht werde.“ 

W. 

*** Bleivergiftung durch Hehl. Über eine Anzahl von Blei¬ 
vergiftungen, welche in drei benachbarten Ortschaften sich ereigneten und 
in Koliken, Erbrechen und Ohnmächten sich äusserten, berichtete Dr. Au- 
gier und Dr. Bertrand in der Semaine medicale. Man fand die Quelle 
der Vergiftung im Getreidemehl. In der Mühle bestanden Teile des Mühlen- 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 21 


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— 296 — 


werks, die mit dem Korne in Berührung kamen, aus bleihaltigem Eisen¬ 
blech; das Metall erwies sich als abgerieben durch die Wirkung des be¬ 
ständig auffallenden Mehles. Das Blei im Eisenblech war zum grossen 
Teile in Form von Schwefelblei vorhanden, welches sich mit besonderer 
Leichtigkeit mit dem Mehle zu vermischen vermag. (Vgl. Revue sanitaire 
de Bordeaux, 1888, N. 103/104.) W. 

*** Die Zahl der Hundertjährigen in Frankreich. Nach 
dem Berichte von Levasseur in der französischen Akademie der Wissen¬ 
schaften ist die Zahl derer, welche das hundertste Lebensjahr erreichen, 
noch kleiner, als man im allgemeinen annimmt; die Greise haben die Nei¬ 
gung, sich älter zu machen oder sich für älter zu halten. So sollten nach 
der Volkszählung i. J. 1871 in Baiem 37 Hundertjährige leben; nach amt¬ 
licher Prüfung fand sich, dass nur eine Frau älter als hundert Jahr war. 
In Canada galten 82 Personen als überhundertjährig gestorben; amtliche 
Nachforschung ergab, dass von diesen thatsächlich nur 9 älter als 100 Jahr 
geworden waren. Eine ähnliche Erfahrung machte man kürzlich (i. J. 1886) 
in Frankreich. Obwohl 184 Personen bei der letzten Volkszählung als über 
100 Jahr alt verzeichnet waren, konnte doch für 101 von diesen ein 
niedrigeres Alter amtlich festgestellt werden. Für 67 von den übrigen 83 
konnten zudem authentische Beweise des angegebenen Alters nicht erbracht 
werden; solche fanden sich nur für 16. Unter ihnen war ein Mann von 
über 116 J. Unter jenen 83 Personen waren 52 weiblichen, 31 männ¬ 
lichen Geschlechts. W. 

*** Die Zahl der Selbstmorde in Frankreich betrug i. J. 1887 
in 87 Departements 7572; hiervon kamen allein auf das Departement der 
Seine, welches etwa den fünfzehnten Teil der Bevölkerung enthält, 1420, 
also etwa der fünfte Teil der Selbstmorde. Die meisten Selbstmorde kamen 
im Juli vor (790). Es starben durch Selbstmord 5964 Männer und 1608 
Frauen; im Seine-Departement war die verhältnismässige Zahl der Männer 
grösser. 1508 Selbstmörder standen im Alter von 50—60 J., 1394 zwischen 
40 und 50 J., 992 zwischen 30 und 40 J.; 166 Selbstmörder waren über 
80 J. alt. — Leider fehlt die Angabe des Verhältnisses der Zahl der Selbst¬ 
mörder zu der in den einzelnen Altersklassen Lebenden. Als Ursachen 
werden angegeben in 888 Fällen Armut, Verarmung; in 1031 Fällen Fa- 
milien-Kummer; in 1125 Fällen Liebe, Eifersucht, Scham über schlechte 
Handlungen, Trunksucht (809 mal); 1228 mal körperliche Leiden, in 27 
Fällen Gewissensbisse, in 218 Furcht vor Strafe, in 2168 Fällen Hirnkrank¬ 
heiten, 339 mal verschiedene, 575 mal unbekannte Veranlassungen. (Vgl. 
Revue sanitaire de Bordeaux, 1888, Nr. 114.) W. 


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— 297 — 


Litteratnrbericht. 


Dr. Georg Cornet, Die Verbreitung der Tuberkelbacillen ausserhalb des 
Körpers, Zeitschrift für Hygiene, fünfter Band, Seite 191. 

In ausgedehnten Versuchsreihen hat Verf. das vorliegende Thema be¬ 
arbeitet und dabei die nachstehenden, auch in praktischer Hinsicht höchst 
wichtigen Resultate erhalten. 

Verf. spritzte aus der Luft abgesetzten Staub in die Bauchhöhle von 
Meerschweinchen. Enthielt derselbe Tuberkelbacillen oder deren Sporen, 
so starben die Thiere an tuberkulöser Bauchfellentzündung. Der Staub 
stammte aus 7 Krankenhäusern, 3 Irrenanstalten, 2 Zellengefängnissen so¬ 
wie aus den Privatwohnungen von 53 tuberkulösen Privatpatienten; ferner 
wurden in den Bereich der Versuche gezogen die Räumlichkeiten mehrerer 
Polikliniken, eine Privatklinik für Hautkranke, ein Waisenhaus, der Hörsaal 
des pathologischen Instituts zu Berlin, Strassendamm, Wände, Dachböden, 
Treppenhäuser verschiedener privater und öffentlicher Gebäude u. s. w. 
ln den Krankensälen, von welchen 18 fast nur mit Phthisikern belegt 
waren, wurde der zur Untersuchung benutzte Staub entnommen von den 
Bettstellen, Bettleisten, Schränken, Wäschekasten, Wänden, Holzgesimsen, 
Bildern, Tischen, Bettdecken, Sophalelmen u. s. w. Dabei erhielt Verf. in 
denjenigen Räumen, in welchen Phthisiker sich aufhielten, häufig positive 
Resultate, d. h. die Versuchstiere gingen an Tuberkulose zu Grunde, 
während von 29 Staubproben aus Räumen, in denen sich Phthisiker nicht 
längere Zeit aufgehalten hatten, sich nicht eine als infectiös erwies. Dies 
erklärt sich einerseits durch die schon von Koch gefundene Thatsache, 
dass die Tuberkelbacillen zumal wegen ihrer Abhängigkeit von der Tem¬ 
peratur ausserhalb des menschlichen und tierischen Organismus sich nir¬ 
gends entwickeln und vermehren können, anderseits durch den Umstand, 
dass von bakterienhaltigen Flüssigkeiten durch Verdunstung oder darüber¬ 
streichende Luft niemals Bakterien weitergeführt werden, dass, wie Wern ich 
nachgewiesen hat, selbst bei Schaumbildung eine Ueberführung von 
Keimen aus klebrigen Flüssigkeiten nur sehr schwer stattfindet und ge¬ 
trocknete Mikroorganismen, mögen sie für sich bestehen, oder festgefügten 
Substanzen anhaften, auch an die stärksten Luftströme Keime niöht ab¬ 
geben. Daher ist die Ausathmungsluft der Schwindsüchtigen stets frei von 
Tuberkelbacillen und deren Sporen, und gleich ungefährlich ist der ausge¬ 
hustete Auswurf, so lange er feucht ist, da er dann Bacillen in die Luft 
nicht übergehen lässt. Kommt daher der Auswurf in mit Flüssigkeit ge¬ 
füllte Handgefasse, die in ein Abgussrohr entleert werden, so ist die Ge¬ 
fahr der Uebertragung der Tuberkulose durch Einathmung gering; gelangt 
er in Spucknäpfe mit Sand oder Sägespähne, so kann er schon eher ein- 


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298 


trocknen und sich verstäuben, abgesehen von der Gefahr der Uebertragung, 
die entsteht, wenn die Kranken neben den Spucknapf spucken. Am leich¬ 
testen wird Ansteckung stattfinden, wenn der Kranke überhaupt nur auf 
den Boden spuckt. Indess auch hier wird das Eintrocknen des Auswurfs 
in gewissem Grade behindert durch dessen Schleimgehalt, indem letzterer 
Wasser anzieht und so den Auswurf feucht erhält. Begünstigt wird da¬ 
gegen das Eintrocknen, wenn der Auswurf in Taschentücher gelangt. Dies¬ 
bezüglich haben vor allem Wernich’s Versuche ergeben, dass hierzu 
bei keimhaltigen porösen Körpern bereits mässige Luftströmungen aus¬ 
reichen. Was von Taschentüchern gilt, gilt natürlich auch von Hemden 
und Betttüchern. Im Hause der Kranken kommen daher vor¬ 
nehmlich die Taschentüch er und der Fussboden inBetracht. 

Ausserhalb der Häuser, bes. auf den Strassen, sind die genannten Faktoren 
von geringerer Wirksamkeit, da die Grösse des Raumes die Bacillen mehr 
vertheilt und so die Gefahr der Einathmung herabsetzt; überdies kann ein 
Zerstäuben des Auswurfs nur bei trockenem, nicht bei feuchtem oder 
regnerischem Wetter stattfinden. Am ausgiebigsten ist die Pulverisirung 
bei trockenen, zumal bei Ostwinden. Jedoch verliert bei längerem Austrocknen 
des Auswurfs in dünner Schicht der Tuberkelbaci 11 us seine Virulenz, während 
zugleich zahlreiche Bacillen in die Kanäle wandern und dort am Austrocknen 
wie auch am inficiren gehindert werden. Als Beweis für Gesagtes führt 
Verf. die Gesundheitsverhältnisse der Berliner Strassenkehrer an, für 
welche (605 Mann mit 107 Kranken) vom 1. April 1886 bis 31. März 1887 
der Prozentsatz der Lungenkrankheiten ein niedrigerer war, als die für 
alle anderen Berufsklassen in der HirTschen Tabelle aufgeführten dies¬ 
bezüglichen Werthe, und unter welchen nur 29,42 °/° 1 bis 5 Jahre, 
die übrigen sämmtlich längere Zeit bei der Strassenreinigung arbeiteten. 

Ist somit die Gefahr der Infection auf den Strassen eine geringe, so 
erscheint sie grösser in begrenzteren Räumen, in welchen zahlreiche Menschen 
zu verkehren pflegen (Läden, Gasthäusern, Schreibstuben, Fabriken), 
und in welchen fast nirgends in so genügend er Weise für Spuck¬ 
näpfe gesorgt ist, dass der Schwindsüchtige sie ohne Auf¬ 
sehen zu erregen benutzen kann. Derselbe istdort vielmehr 
fast stets auf Boden und Taschentuch angewiesen. 

Von den Staubproben waren frei von pathogenen Mikroorganismen: 


in den 7 Krankenhäusern unter 38..4, 

Ä „ 3 Irrenanstalten , 11..1, 

„ „ 2 Gefängnissen „ 5..1, 

g g Wohnungen von Privatphthisikern 9 62..5, 

g g Polikliniken, Waisenhaus etc. g 12..2, 

, , chirurgischen Sälen w 3..2, 

auf den Strassen, vom hyg. Institut g 14..5. 


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299 


Ueber das Schicksal der geimpften Thiere gibt folgende Tabelle Auf¬ 
schluss: 


Aufenthaltsort 

Zahl der 

ge¬ 

impften 

davon 

starben 

1 also an 

1 Infec- 
tions- 

d. h. im 
% Satz 
zu den 

ge¬ 

impften 

gesund 

blieben 

Thiere 

über¬ 

haupt 

an 

Tuber¬ 

kulose 

an and. 
Krank¬ 
heiten 

krank- 

heiten 

überhpt. 

über¬ 

haupt 

in den 7 Kranken¬ 
häusern . 

94 

20 

52 

72 

76,6 

22 

in den 3 Irrenanstalten 

33 

3 

16 

19 

57,5 

14 

in 2 Gefängnissen.... 

14 

— 

6 

6 

42 

8 

Inhalat. Versuchszim- 
mer. 

4 

2 


2 

50 

2 

Privatphthisiker. 

170 

34 

91 

125 

73,5 

25 

Polikliniken, Waisen¬ 
haus. 

28 


14 

14 

i 

50 

14 

Chirurgische Säle .... 

8 

— 

1 

1 

12,5 

n 

$ 

Strassen und hygien. 
Instituten. 

41 


16 

16 

39 

25 

Strassen allein. 

— 

— j 

— 

— 

55 

— 

Also von. 

392 

59 

196 

255 

65,05 

137 


Nach den längere Zeit am Leben gebliebenen Thieren zu urtheilen, 
würde die Gefahr, tuberkulöses Virus anzutreffen, sein: 

in Krankenhäusern 47,6 %, 

in Irrenanstalten 17,6%, 

in Privat Wohnungen von Phthisikern 43,6 %. 

Aus gesagtem folgt unter Anderem: 1) die der Gesundheit fast gar 
nicht schädliche Beschaffenheit der Luft in gut geleiteten chirurgischen Kranken¬ 
stationen (Folge der Antiseptis), 2) eine erheblich grosse Gefahr zur Er¬ 
krankung in den Privatwohnungen der mittleren und ärmeren Volks¬ 
klassen, 3) die grösste Gefahr in den internen Stationen der 
Krankenhäuser (die chirurgischen Abtheilungen verhalten sich in dieser 
Hinsicht zu den internen wie 12,5 :76,6), mithin eine Mahnung, in den 
Sälen der internen Stationen vorläufig keine Operationen auszuführen. 

Ist nun die grosse Häufigkeit des Tuberkelbacillus in % der mit Phthi¬ 
sikern belegten Säle nicht auffallend, so ist bemerkenswerth, dass % der¬ 
selben Säle eine von Tuberkulose-Virus freie Luft anfwies. Dieser Gon- 
trast erhebt die Frage: Kann ein unreinlicher Phthisiker einen ganzen 
Krankensaal verpesten, indem die verstäubten Bacillen seines Auswurfs 
überallhin verbreitet werden? Diese Frage ist zu bejahen. Denn Verf. fand 
stets dort den Staub Tuberkelbacillenhaltig, wo die Patienten 
ausser in den Spucknapf auf den Boden und in die Taschen¬ 
tücher spuckten, während da, wo nur der Spucknapf benutzt 
wurde, niemals ein Thier durch den Staub tuberkulös wurde. 
So erklärt es sich, wenn in einer Familie alle Angehörigen, Einer nach 
dem Anderen, an Schwindsucht zu Grunde gehen, während in einer an- 


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— 300 — 


deren ein Fall vereinzelt bleibt oder auf wenige Familienmitglieder sich 
beschränkt. Es harmoniert damit auch die relativ hohe Tuberkulosemortali¬ 
tät unter den Geisteskranken in Irrenhäusern, die sich durch die Unreinlich¬ 
keit bes. der Melancholiker erklärt. Letztere weisen unter den Geistes¬ 
kranken den höchsten Prozentsatz an Tuberkulosetod auf. 

Indem wir bezüglich der Details auf das Original verweisen, mögen 
hier nur noch einige, auch den Laien besonders überzeugende Beobachtungen 
kurz erwähnt werden. 

Eine seit mehreren Wochen in einem Hotel wohnende 
Schauspielerin, seit langer Zeit lungenschwindsüchtig, entleert 
ihren Auswurf meist in den Spucknapf oder in's Taschentuch, 
kaum je auf den Boden; das Zimmer wird gewöhnlich trocken 
ausgefegt und dann feucht aufgewischt. Staub von der Quer¬ 
leiste an Kopf- und Fussende des Bettes wird drei Thieren ein¬ 
gespritzt. Alle erkranken an Tuberkulose. Das Zimmer war so¬ 
mit inficirt und der in der nächsten Zeit dort Schlafende hatte 
somit die beste Gelegenheit, schwindsüchtig zu werden. 

In einem anderen Falle erwies sich die Wand nahe an einem 
Bette, in dem vor sechs Wochen eine tuberkulöse Patientin ge¬ 
storben war, mit Staub behaftet, der ebenfalls genügte, um 2 Thiere 
tuberkulös zu machen. 

Bei Besprechung der prophylaktischen Massregeln, die aus Vcrfs. 
Untersuchungen sich ergaben, geht Verf. von dem Grundsätze aus, dass 
der Phthisiker an sich fast absolut ungefährlich ist und erst durch üble 
Angewohnheiten gefährlich wird. Soll die Gefahr der Ansteckung vermin¬ 
dert werden, so muss der Phthisiker wissen, dass, wenn er je eine Ge¬ 
fahr bildet, er stets die grösste Gefahr für sich selbst bildet, dass 
er selbst im Gentrum einer von ihm selbst gebildeten Bacillenstaubwolke 
und in dieser sich stets in der Gefahr befindet, durch Inhalation neuer 
Bacillen das Fortschreiten des phthisischen Prozesses in den Lungen zu 
beschleunigen. Wie im eigenen Interesse, so soll er daher auch im Inter¬ 
esse seiner Umgebung die grösste Vorsicht beobachten. Er soll, wenn 
er zu Hause ist, nie und unter keinen Umständen auf den 
Boden, nie, unter keinen Umständen in’s Taschentuch 
spucken, sondern in einen Spucknapf. Am besten sind 
Handspucknäpfe mit Deckel, da sie die Verstreuung des Auswurfs 
und die Verbreitung desselben durch Insekten am meisten ausschliessen. 
Wird der Boden beim Aushusten beschmutzt, so ist der Auswurf nicht 
auszutreten, sondern mit Wasser zu entfernen. Desinfectionsmittel im 
Spucknapf wären wohl angebracht, wenn nicht der Kostenpunkt und die 
lange Dauer der bei wirksamer Desinfection nöthigen Einwirkung der Des- 
inficientien davon abhielte. Uebrigens haben Flüssigkeiten im Napf den 
Nachtheil, dass sie der besten Eigenschaft des Auswurfs, der Klebrigkeit, 
entgegenwirken und, wenn ein Zufall den Napf umschüttet, der Infections- 
stoff viel schwerer entfernbar ist als sonst. Trockener Sand und Säge- 


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301 


spähne sind unzweckmässig, weil sie eine Verstäubung zulassen. Im Inter¬ 
esse der leichteren Reinigung ist höchstens eine ganz dünne, kaum den 
Boden des Napfes bedeckende Schicht Wasser zulässig. Bei plötzlichen 
Hustenanfällen halte der Kranke rasch ein Tuch vor, um eine möglichst 
rasche Fixirung des ausgehusteten fein zertheilten Nebels, wenn dieser auch 
meist bacillenfrei ist, zu erreichen. Er vermeide das Küssen, zumal auf den 
Mund, und die Berührung von Dingen mit dem Munde, die, etwa wie 
Spielzeug, später in die Hände anderer Personen gelangen. Gläser und 
Löffel etc., die er benutzte, dürfen erst nach sorgfältiger Reinigung mit 
heissem Wasser von anderen Personen benutzt werden. Seine Wäsche 
werde möglichst getrennt von der Hauswäsche gewaschen, die Taschen¬ 
tücher und Hemden sind stets auszukochen. Stirbt ein Phthisiker, 
so hüte man sich, ihn nach dem Tode zu küssen, besonders auf den Mund, 
reinige und desinficire, was sich desinficiren lässt, also alle nicht mit Holz 
oder Leder verbundene Möbelstücke, reibe die Wände mit Brod ab (Es- 
mareh’s Methode etc.). 

Gesagtes betrifft die Vorsichtsmassregeln im Verkehr mit Phthisikern. 
Eine andere Frage lautet: In welcher Weise kann sich eine bis da¬ 
hin intakte Familie vor der Tuberkulose schützen? In dieser 
Hinsicht hat die Prophylaxe schon gleich nach der Geburt des Menschen 
zu beginnen. Eine phthisische Muttter reiche ihrem Kinde nicht die Brust! 
Ebenso sind Ammen und sonstiges Dienstpersonal vor dem Engagement 
womöglich vom Hausarzte zu untersuchen, und wenn nur Verdacht auf 
Tuberkulose vorliegt, nicht zuzulassen. Kuhmilch ist nur aus wohl contro- 
lirten Ställen zu beziehen und nur frisch gekocht zu gemessen. Die 
Kindermädchen sollen abgehalten werden, fremde Leute oder Kinder zu 
küssen. In der Schule sorge der Lehrer für die Benutzung der Spuck¬ 
näpfe. Die Reinigung der Zimmer hat stets auf feuchtem Wege zu ge¬ 
schehen, der Kehricht ist zu verbrennen. Man vermeide den Umgang mit 
Menschen, die auf den Boden oder in’s Taschentuch spucken, man vermeide 
es in ihrem Beisein tief einzuathmen, suche dagegen fest auszuathmen, sorge im 
Uebrigen für das Aufstellen von Spucknäpfen in genügender Zahl und an 
geeigneten Stellen. Beim Wohnungswechsel lasse man die Wände der 
neuen Wohnung mit Brod abreiben. Man benutze keine Leihbibliotheken, 
vermeide es, in Gasthäusern beim Reinigen der Zimmer zugegen zu sein, 
schränke in Gasthäusern und Kurorten den Gebrauch von Teppichen und 
Vorlagen möglichst ein, verbiete in Fabriken und sonstigen grösseren 
Betrieben das Spucken auf den Boden und in’s Taschentuch. Es hat also 
die ganze menschliche Gesellschaft daraufhin zu wirken, dass die Prophy¬ 
laxe der Krankheiten der Athmungsorgane allen Volksschichten bekannt 
werde. 

Auch den Gemeinden liegen diesbezüglich besondere Pflichten ob. 
Wie den anderen Infectionskrankheiten gegenüber, so muss auch zum 
Schutze gegen die Tuberkulose jedes Gemeinwesen im Besitze eines zuver¬ 
lässigen und auf ärztliche Bescheinigung hin auch für die mittleren 


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Volksklassen unentgeltlich zur Verfügung stehenden Desin- 
fectionsapparates sein. Gemeinde und Staat sollten in den ihnen 
untergeordneten Gebäuden für Aufstellung von, wenn auch billigen, Spuck¬ 
näpfen Sorge tragen und der auf nassem Wege auszuführenden Strassen- 
reinigung und dem Besprengen der Strassen mit Wasser die 
grösste Aufmerksamkeit zuwenden. Endlich dürfte von Anstalten für 
Schwindsüchtige, wie solche in England bestehen, nur Gutes zu erwarten 
sein. Schwindsüchtige in Anstalten zusammenzubringen, hält Verf. für er¬ 
laubt, aber nur, wenn die Nichtbeachtung der vorgeschriebenen Vorsichten 
Strafen, event. Entlassung nach sich zieht. Dagegen verbietet sich die 
Vereinigung von Phthisikern mit Nichtphthisikern, soweit man nicht die 
Garantie für die absolut zweckmässige Beseitigung des Auswurfs zu über¬ 
nehmen vermag. In allen Krankenhäusern empfiehlt es sich, von Zeit zu 
Zeit zu revidiren, ob nicht die Taschentücher zum Hineinspucken benutzt 
werden. 

Nach Besprechung der Prophylaxe der Uebertragung der Tuberkulose 
der Thiere auf den Menschen betont Verfasser schliesslich noch diejenigen 
Gefahren der Uebertragung, die der Handel mit alten Kleidern und 
die sog. Bettfedernreinigungs-Anstalten mit sich bringen, deren 
Reinigungsmethoden, wie Verfs. Versuche beweisen, in keiner Weise den 
Anforderungen genügen. 

Die allgemeine Anerkennung, welche die Resultate der Gornet’schen 
Untersuchungen gefunden haben, ist denselben auch von den Behörden zu 
Theil geworden. So sah sich des Polizeipräsidiums von Berlin zu nach¬ 
stehender Verfügung veranlasst, welche die Prophylaxe der Tuberkulose in 
den Privat-Irrenanstalten zu regeln bestimmt ist. 

Es heisst dort: 

Berlin, den 12. April 1889. 

„Auf Grund der für das Gemeinwohl so wichtigen Ergebnisse 
der Cornersehen Untersuchungen und mit Rücksicht darauf, dass 
Geisteskranke nicht selten an Tuberkulose (Schwindsucht) erkran¬ 
ken, ersuche ich pp. pp. ergebenst, für die Zukunft folgende 
Vorschriften für Ihre Privat-Irrenanstalt im Interesse der übrigen, 
Ihrer Obhut anvertrauten Kranken beachten und gefälligst zur 
Ausführung bringen zu wollen: 

1) Offenbar Tuberkulöse sind, soweit thunlich, von anderen Kran¬ 
ken abzusondern. 

2) Sämmtliche Kranke, die an dieser Krankheit leiden, oder der¬ 
selben verdächtig sind, werden streng gehalten, lediglich in mit 
wenig Wasser am Boden bedeckte Speigefösse den Auswurf zu 
entleeren. Jene Gefässe sind täglich mindestens einmal mit 
siedendem Wasser zu reinigen, der Gesammtinhalt wird in 
die Aborte entleert. Etwaige Besudelungen des Fussbodens, 
der Lagerstellen, der Wände pp. werden, soweit möglich, so¬ 
fort mit siedendem Wasser oder in anderweit zweckent- 


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sprechender und zuverlässiger Weise entfernt, besudelte Ge¬ 
brauchs- und Bettwäche wird entfernt und ausgekocht. 

3) Bettstücke, Matratzen, Decken pp. sowie alle Gebrauchsgegen¬ 
stände, welche Schwindsüchtige benutzt haben, sind nach 
Massgabe der diesseitigen Polizei-Verordnung vom 7. Februar 
1887, betreffend Desinfection bei ansteckenden Krankheiten, zu 
behandeln, beziehungsweise den hiesigen städtischen Desinfec- 
tions-Anstalten zu übergeben, soweit nicht etwa Aus kochen 
angängig ist. 

4) Auch die Desinfection derjenigen Zimmer, in welchen Schwind¬ 
suchtkranke gelegen haben, erfolgt nach dem Abgang der 
letzteren durch Entlassung oder Tod nach Massgabe der vor¬ 
erwähnten Bestimmungen. “ 

Flatten. 

„Taschenfläschchen für Hnster" nach Dettweiler’s Vortrag auf dem Con- 
gress für innere Medizin 1889. 

Gor net hat durch seine bekannten eingehenden Untersuchungen (Zeit¬ 
schrift für Hygiene 1888, V. Band) unwiderleglich bewiesen, dass die In- 
fectiosität der Luft in der Umgebung des Phthisikers, der seinen Auswurf 
auf den Fussboden oder in das Taschentuch entleert, der überhaupt * un¬ 
reinlich spuckt“, eine Thatsache ist, in sofern er mit dem aus dieser Luft 
abgesetzten Staube, welcher zu einem Theile aus dem eingetrockneten und 
zerriebenen Sputum stammt, in unzweideutiger Weise Thiere zu inficiren 
vermochte. Dass in der That nur der Staub, welcher getrocknetes und 
fein zertheiltes Sputum beigemengt enthält, inficirend wirkt, hat Gornet 
dadurch bewiesen, dass mit dem Staube aus 6 Krankensälen, die dicht 
mit Phthisikern belegt waren, in denen aber nur in vorgeschriebener rich¬ 
tiger Weise gespuckt wurde, keine Infection erzielt werden konnte, während 
eine solche in der grossen Mehrzahl der Fälle gelang, wo Taschentuch oder 
Fussboden hierzu benutzt wurden. Aus diesen Untersuchungen ergibt sich 
zunächst eine erhebliche Einschränkung der bisher noch vielfach vertrete¬ 
nen Meinung vor der Ubiquität des Tuberkelbacillus. Ferner ist dadurch 
die für den Schwindsüchtigen und seine Umgebung in hohem Grade beru¬ 
higende Thatsache erwiesen, dass der Tuberkulöse an und für sich nicht 
die geringste Gefahr bringt, dass er ganz unschädlich ist, sobald für die 
sorgfältige Beseitigung seines Auswurfs und für die Desinfection seiner 
Kleidungsstücke und sonstiger Gebrauchsgegenstände genügend und richtig 
Sorge getragen wird. Bezüglich der ersteren Forderung würde die einfache 
und klare Formel die sein, dass der Kranke nur und ausschliesslich in ein 
Speiglas spuckt, welches Flüssigkeit enthält und regelmässig an einen sichern 
Ort entleert wird. Der Kranke wird seiner Umgebung und sich selbst nur 
gefährlich durch üble Gewohnheit, Nachlässigkeit und Unkenntniss. Durch 
unsere gesellschaftlichen Gewohnheiten und Einrichtungen ist der mit Aus¬ 
wurf behaftete Lungenkranke in vielen Fällen sogar gezwungen, den Fuss- 


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boden oder das Taschentuch zu benutzen, und somit unreinlich und ge¬ 
fährlich zu werden, da ihm in der Amtsstube, im Geschäft, in der Kirche, 
im Theater, im Restaurant, im Concert-, Hör- und Gerichtssaal, namentlich 
im Wartesaal und auf langer Eisenbahnfahrt kaum Gelegenheit gegeben ist, 
seinen Auswurf anders als in der gerügten Weise fortzuschaffen. Mit dem 
Nachweis der Schädigung des Allgemeinwohls durch solche Gepflogenheiten 
erwächst uns die ernsteste Pflicht Abhülfe zu schaffen. Dies soll nun durch 
das vor dem Congress für innere Medizin demonstrirte .Taschenfläschchen 
für Huster“, welches Dettweiler nach seinen Angaben durch die Firma 
Gebr. Noelle in Lüdenscheid hat hersteilen lassen, erreicht werden. Das 
kleine Geräth ist ein etwa 80 ccm. haltendes, flaches, blaugefärbtes Glas¬ 
fläschchen, welches zwei Oeflnungen besitzt, eine obere grössere zum Ein¬ 
fahren des Sputums mit einem metallenen Schraubenverschluss, der ausser 
einem gut schliessenden und federnden Deckel noch einen glatt polirten 
bis in die Hälfte des Fläschchens reichenden conischen Trichter enthält. 
Die Construction entspricht demnach den bekannten Tintenfässern, und ver¬ 
hindert das Ausfliessen des Inhaltes beim Umdrehen, selbst wenn der Deckel 
nicht geschlossen ist. Die untere kleinere Oeffnung dient als Reinigungs¬ 
loch und hat gleichfalls einen Schraubenverschluss. Das kleine Instrument 
ist handlich, billig, sicher schliessend und lässt sich leicht und vollständig 
reinigen. Es ist also nicht zu leugnen, dass es seinem Zwecke durchaus 
entspricht. 

Die Befürchtung eines Widerstrebens der betheiligten Kreise gegen den 
allgemeinen Gebrauch des Taschenfläschchens hält D. nicht für zutreffend. 
Es liegt vor allem den Aerzten ob, das Publikum eindringlich zu ermahnen, 
dass die seitherigen Gewohnheiten sich nicht mehr mit den Rücksichten 
auf das eigene und das Gemeinwohl vertragen, dass sie unreinlich und 
gefährlich sind. Wenn jeder Arzt in seinem Kreise, wenn die Lehrer vom 
Katheder herab, wenn namentlich die Fach- und Tagespresse ihre ungeheure 
Macht für diese gute Sache einsetzen, so würde in verhältnissmässig kurzer 
Zeit Wandel geschaffen werden können, und damit eine wahrscheinliche 
Verminderung weiterer Ansteckungen, wie wir sie bislang nicht für mög¬ 
lich gehalten haben. Deshalb ist es Pflicht, mit allen zulässigen Mitteln 
hierfür einzutreten, wie wir bereits viel einschneidendere Massregeln bei 
Typhus, Scharlach, Diphtheritis, Pocken und Cholera anwenden und willig 
befolgt sehen. 

Das von D. erfundene und befürwortete Taschenfläschchen ist natürlich 
nur ein Glied in der Kette von mannigfachen Massnahmen, die wir die 
Hygiene des Phthisikers nennen müssen, wie dies auch Cornet in seiner 
Schrift schon ausführlich dargethan hat. Vor allem ist, um das Wichtigste 
anzuführen, die Aufstellung praktischer Spucknäpfe überall zu fordern. 
Dettweiler demonstrirte das in der Heilanstalt Falkenstein gebräuchliche 
Modell, das sich in mehrjährigem Gebrauche als sehr zweckmässig erwiesen 
hat. Der Kehrbesen sollte in Anstalten, im Krankenhause, im Hotel und 
in der Pension für Lungenkranke verpönt sein; Wohnräume und Gänge 


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müssen feucht aufgenommen werden. Teppiche, mit Ausnahme einer klei¬ 
nen Bettvorlage, sollte man zu beseitigen streben, die Zimmer nach und 
nach mit Linoleum und ähnlichen glatten und abwaschbaren Stoffen be¬ 
legen, die Zimmerwände nach der Abreise oder nach dem Tode eines 
Lungenkranken mit frischem Schwarzbrode abreiben, die Effecten durch 
überhitzten Wasserdampf desinficiren. Auf diese Weise würde zusammen 
mit dem obligatorischen Gebrauche des Taschenfläschchens eine Sicherheit 
geschaffen werden, die kaum übertroffen werden kann, und deren wohl- 
thätige Folgen sich bald bemerklich machen würden. D. spricht mit Recht 
zum Schlüsse die Ueberzeugung aus, dass ein in diesem Sinne geleitetes 
Krankenhaus, eine Heilanstalt oder Pension für Lungenkranke weniger Ge¬ 
fahr für Gesunde und Kranke bringen wird als irgend ein Ort der Welt, 
oder als eine nach den bisherigen Gewohnheiten gehaltene Privatwohnung. 

Meissen, Falkenstein i. Taunus. 


Mediz.-Rath Pr. Dietrich (Stettin): Die Bedeutung der Krankenhäuser im 
Gemeinwesen. — Gesundheit. 1888. Nr. 1. 

Die Zahl der Krankenhäuser und der Plätze in denselben ist in 
den verschiedenen Provinzen Preussens eine sehr verschiedene. Abge¬ 
sehen von Berlin, welches die meisten Kranken, nämlich 2,18°/o der 
Bevölkerung, in Krankenhäusern verpflegt, sorgen die Provinzen Westfalen, 
Schlesien und Rheinprovinz am reichlichsten für ihre Kranken. Im Jahre 
1885 wurden von je 10,000 Einwohnern in Westfalen 140, in Schlesien 
119, in der Rheinprovinz 117 Kranke in Krankenhäusern behandelt, da¬ 
gegen in Ostpreussen nur 52, in Posen 53, Hessen-Nassau 63, Pommern 
67 und Sachsen 67. Verf. tritt nun mit Recht warm dafür ein, die Zahl 
der Krankenhäuser, und namentlich thut dies auf dem Lande und in kleine¬ 
ren Orten noth, zu vermehren. 

Die bekannten Vorzüge der Krankenhausbehandlung, namentlich für 
schwerere Erkrankungen, werden des näheren ausgeführt: bessere geregelte 
Pflege durch geschultes Personal; reinliche ruhige Krankenzimmer; zweck¬ 
mässige Ernährung; erleichterte ärztliche Behandlung; bessere Hülfsmittel 
zur Krankenpflege und schliesslich grössere Billigkeit gegenüber der Kranken¬ 
behandlung im Privathause. Verf. wünscht vor allem für jeden Kreis ein 
• wohleingerichtetes Kreis-Krankenhaus, welches jedem Kranken Aufnahme 
gewährt, und gibt aus eigener Erfahrung heraus beherzigenswerthe Vor¬ 
schläge und Winke über das Pflegepersonal in einem solchen Krankenhause, 
wofür er geistliche Pflegerinnen vorzieht, über die Lage des Bauplatzes, 
Anordnung der verschiedenen Räume des Hauses, Heizung und Ventilation, 
Fussböden, Zwischendeckenfüllung, glatten Verputz der Wände, Ausstattung 
mit Instrumenten und Apparaten zur Krankenbehandlung u. s. w. 

Schmidt-Bonn. 


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306 


Hack Tube, Geist und Körper, Studien über die Wirkung der Einbildungskraft, 
übersetzt von Dr. Kornfeld. Jena bei Fischer 1888. 

Der durch zahlreiche Arbeiten unter seinen Fachgenossen rühmlichst 
bekannte englische Irrenarzt hat sich der ebenso mühsamen wie dankbaren 
Arbeit unterzogen, die in der Literatur zerstreuten und oft mehr anek¬ 
dotisch behandelten Fälle zu sammeln, wo sich der Einfluss des Geistes 
auf den Körper in einer zuweilen an das Wunderbare grenzenden Art und 
Weise kundgibt. Seine Absicht war, wie er selber angibt, das bereits Be¬ 
kannte festzustellen, da er, wie Bacon, der Ansicht sei, dass Jeder ein 
Schuldner seines Berufes und daher auch verpflichtet sei, ihn zu fördern. 

Der Verfasser hat aber mehr gethan, als uns eine blosse Zusammen¬ 
stellung sogenannter interessanter Fälle zu liefern. Er hat sie auf eine be¬ 
stimmte physiologische Grundlage gestellt und das anscheinend unwissem 
schaftliche Material einer streng wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen, 
um aüf diese Weise zu einem Verständnisse der Wirkung zu gelangen und 
die Natur dessen festzustellen, was wir gewöhnlich unter Einbildung ver¬ 
stehen. 

Das Buch ist von allgemeinem Verständnisse und auch von allgemeinem 
Interesse, und nach allen Seiten geeignet, eine Menge von Irrthümem zu 
zerstreuen und richtig zu stellen. 

Ich sage absichtlich nach allen Seiten, da die Gefahr ebenso besteht 
für die Leichtgläubigkeit, die alles annimmt, selbst das Absurde, wie für 
den Skepticismus, der nichts annimmt, nicht einmal die Wahrheit. 

Der Gegenstand, den Tuke behandelt, ist vielleicht einer der inter¬ 
essantesten, die es gibt, und zumal jetzt von besonderer Bedeutung, da der 
Hypnotismus sich immer mehr in die Wissenschaft hineindrängt und es 
für den Gebildeten nothwendig wird, Stellung zu ihm zu nehmen. 

Nach Tuke’s Ansicht besteht das Prinzip, das anscheinend allen Er¬ 
scheinungen des Hypnotismus zu Grunde liegt, in dem bemerkenswerthen 
Einflüsse, den der Geist auf jedes Organ oder Gewebe des Körpers aus¬ 
übt, worauf die Aufmerksamkeit mit Ausschluss anderer Ideen gerichtet 
wird. Hierbei geräth der Geist nach und nach in einen Zustand, worin, 
je nach dem Wunsche des Ein wirkenden, Theile des Nervensystems erheb¬ 
lich erregt und andere in demselben Verhältnisse herabgestimmt werden 
können. Es ist also möglich, die Blutfüllung, die Innervation und die 
Funktionen eines Organes oder Gewebes je nach dem Sitze und der Natur 
des Leidens zu reguliren und zu ändern. 

Ueberhaupt ist das Vermögen des Geistes, den Körper zu beeinflussen, nicht 
etwas Flüchtiges. Im Zustande der Gesundheit vermag dieser Elinfluss die 
Sinnesverrichtungen zu erhöhen oder ganz und gar aufzuheben, mittelst 
der Nerven die Thätigkeit der willkürlichen Muskeln bis zu krampfhaften 
Zusammenziehungen zu steigern oder sie leistungsunfähig zu machen; die 
Muskeln des organischen Lebens und die Vorgänge bei der Ernährung und 
Absonderung anzustacheln oder zu lähmen, ja selbst den Tod zu verur¬ 
sachen. Bei Krankheit kann er die, kn Zustande der Gesundheit durch ihn 


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aufgehobenen, Leistungen wieder hersteilen, indem er die Sinnes- und 
Bewegungsnerven innervirt, den Blutumlauf und die Funktionsfähigkeit der 
Nerven zur Norm zurückführt und der Heilkraft der Natur beisteht, sich 
von krankhafter Thätigkeit frei zu machen oder Erzeugnisse derselben auf¬ 
zusaugen. 

Unzweifelhaft ist die Natur aus eigener Kraft und ohne Kunsthülfe im 
Stande, Krankheiten zu heilen, und ebenso unzweifelhaft ist der Glaube 
ein mächtiges Mittel, das heute noch wie vor Jahrhunderten Wunder wirkt. 

Aber der Glaube kann, so mächtig er auch ist. doch nicht auf die 
gleiche Stufe gestellt werden mit der Wirkung eines Mittels wie des Brech¬ 
weinsteins oder des Bitterwassers. Diese Mittel wirken auf den Gerechten 
ebenso gut, wie auf den Ungerechten, und der Verständige wird sich ihrer 
Macht ebenso gut beugen müssen, wie der Unwissende. Vom Glauben aber 
können wir nur dann etwas erwarten, wenn der Betreffende auch wirklich 
an seine Wirkung glaubt, und daher die beschränkte Ausdehnung der Be¬ 
handlung durch den Glauben. 

Schlägt doch die Medizin am wenigsten bei den Aerzten an, weil sie 
zu wenig an ihre Wirkung glauben und zu viel darüber nachdenken. Je 
mehr einer weiss, um so weniger Aussicht hat er, durch den Glauben ge¬ 
heilt zu werden, und hier wenigstens erweisen sich die Armen im Geiste als 
die Bevorzugten. 

Wenn aber für den Kranken der Glaube das Beste ist, um Heilung 
zu erlangen, so kann der Arzt den Skeptizismus nicht entbehren, der ihn 
allein zur Wahrheit führen wird. Zweifel ist der Schlüssel zur Schatz¬ 
kammer des ärztlichen Wissens, Glaube das Schloss, das der Kranke nicht 
zerbrechen darf, will er der Segnungen der Gesundheit theilhaftig werden. 

Diesen Erfahrungssätzen des englischen Collegen schliessen wir uns 
an, und wir müssen die Klarheit bewundern, womit er seinen schwierigen 
Gegenstand beherrscht hat. 

Und wenn er zum Schlüsse die Hoffnung ausspricht, dass es ihm ge¬ 
lungen sei, eine feste und vernunftgemässe Grundlage für jene zusammen¬ 
gesetzten Erscheinungen aufzustellen, die ihren Ursprung in dem Einflüsse 
des Geistes auf den Körper haben, so gestehen wir ihm dies unbedingt zu 
und fügen unsererseits den Wunsch bei, sein Buch möge auch in Deutsch¬ 
land dieselbe Verbreitung finden wie in England. 

Hack Tuke hat uns in der That eines der seltenen Bücher geliefert, 
die selber das Ergebniss eines langen und arbeitsamen Lebens, wohl ge¬ 
eignet sind, System in unser Wissen zu bringen und dieses Wissen selbst 
einen guten Schlag zu fördern. Darum wollen wir ihm dafür dankbar 
sein und unseren Dank auch auf den Uebersetzer ausdehnen, der die nicht 
leichte Aufgabe übernommen hat, das englische Werk zu einem deutschen 
zu machen. 

Pelman. 


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La valgarisation de Thypnotisme et de la Suggestion. Le Mouvement 
Hygtenique. 1888. F6vr. 

In diesem Aufsatze wird auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die 
mit der öffentlichen Schaustellung hypnotischer Versuche unzertrennbar ver¬ 
bunden sind, und es wird im Interesse der Gesundheitspflege deren Verbot 
gefordert. Da sich diesem Verbote durch die Ortspolizeibehörde in Belgien 
anscheinend Schwierigkeiten entgegenstellen, wird eine Rede angeführt, die 
Dr. Thiriar im Abgeordnetenhause gehalten hat, und worin er auf diese 
Gefahren des weiteren eingeht. 

Die gleichen Erwägungen haben in anderen Staaten, und auch bei uns 
bereits zu einem solchen Verbote geführt und man kann es nur mit Freu¬ 
den begrüssen, wenn pathologische Zustände nicht zum Gegenstände müs* 
siger Neugierde herabgewürdigt werden, und es verhindert wird, dass sich 
Unberufene mit Dingen befassen, die nur zu Unfug und Verbrechen führen 
können. P e 1 m a n. 

Gesetzgebung über Alkohol und den Vertrieb der Getränke in Frank¬ 
reich. Journal d’Hygtene. 23. Aug. 1888 u. ff. 

Seit längerer Zeit beschäftigte sich der französische Senat mit dieser 
Frage, ohne es bis jetzt zu einem greifbaren Erfolge gebracht zu haben. 

Es ist eben gerade bei dieser Frage besonders schwer, die absolute 
Freiheit des Einzelnen mit der unumgänglich nothwendigen Beschränkung 
in Einklang zu bringen. 

Dass etwas geschehen müsse ist klar und wird in dem Commissions- 
berichte von Neuem betont. 

Auch darüber sind die Herren im Reinen, dass es ausser dem über¬ 
mässigen Genüsse auch die schlechte Beschaffenheit des genossenen Ge¬ 
tränkes sei, wodurch das Elend verschuldet werde. Letztere, die schlechte 
Beschaffenheit, kann durch vermehrte Sorgfalt bei der Darstellung und 
verschärfte Aufsicht verhindert werden, und gegen den zügellosen Genuss 
würde neben einer Verteuerung des Getränkes selbst, auch eine Verminde¬ 
rung der Schankstätten sich wirksam erweisen. 

Allerdings sind über die Wirksamkeit der zweiten Massregel die Mei¬ 
nungen getheilt. Doch ist die Commission der Ansicht, dass der Nachtheil 
einer zu grossen Anzahl von Schankstätten auch ohne statistischen Nach¬ 
weis unbezweifelbar sei, zumal dann, wenn das Verhältniss sich wie 1886 
in Frankreich, 1 zu 93 Einwohner stelle. Die Schänke stelle eine Gelegen¬ 
heit zum Trinken dar, und in der Versuchung liege die Gefahr, darüber sei 
nun einmal nicht zu streiten. 

Daher Beschränkung der Schenkgerechtsame — soweit dies in einem 
republikanischen Staate durchführbar sei, und Verteuerung des Branntweins 
durch Steuern, in so fern nicht der Schmuggel dadurch herausgefordert werde. 

Ueber die Schädlichkeit der verschiedenen Alkohole herrsche bisher 
keine Uebereinstimmung und es erscheine daher noch zu früh, zu bestimmten 
und möglicherweise eingreifenden gesetzgeberischen Massregeln zu schreiten, 
so lange nicht festere Grundlagen für ihre Berechtigung gewonnen sind. 

Pelman. 


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— 309 — 


Amtliche Mittheüungen ans den Jahresberichten der mit Beaufsichtigung 
der Fabriken betrauten Beamten. XII. Jahrgang. 1887. Behufs Vorlage 
an den Bundesrath und den Reichstag, zusammengestellt vom Reichsamt 
des Innern. Berlin 1888. 

Von dem werthvollen und höchst instructiven Werke können wir selbst 
für dieses Fachblatt, wollen wir auch nicht annähernd uns eines zu grossen 
Raumes bemächtigen, nur bruchstückweise eine Uebersicht geben, und 
müssen im Grossen und Ganzen auf das 328 gr. 8°-Seiten umfassende Buch 
verweisen. 

Die Einleitung enthält (S. 1—30) die Eintheilung der Aufsichtsbezirke 
(48), die Namen der Aufsichtsbeamten und ihrer — bis auf das reichlicher 
bedachte Königreich Sachsen — sehr spärlichen Hülfsbeamten, sowie ihre 
Zuständigkeit und in statistischer Uebersicht zusammengestellte Thätigkeit 
(d. h. die Zahl ihrer Revisionen und ihrer Reisetage). Darauf werden die¬ 
jenigen Fragen bezeichnet, auf die die Aufsichtsbeamten in diesem Jahre 
ihre besondere Aufmerksamkeit zu richten hatten (besonders das Lehrlings¬ 
wesen *), seine gewerbliche und sittliche Ausbildung, sein procentuarisches 
Verhältniss zu der Zahl der beschäftigten Arbeiter), sowie der Stand der 
Industrie und des Arbeitsmarktes in zusammenfassender Weise erörtert. 
Am Schlüsse werden die Fragen des Schutzes der Handweberei vor weiterer 
Einschränkung und die Mittel, eine Ausdehnung des Flachsbaues und eine 
rationelle Behandlung desselben zu erzielen, besprochen (S. 30—32). 

Aus dem 2. Hauptabschnitt „Jugendliche Arbeiter, Arbeiterinnen und 
Arbeiter im Allgemeinen“ (S. 33—150) heben wir Folgendes hervor: 

Kinderarbeit nahm ausser in 6 Bezirken im Königreich Sachsen 
zu: 6110 Knaben (12—14 Jahre) vom Jahre 1886 stehen 6550 von 1887 
gegenüber. Mädchen desselben Alters 3618 (aus 1886) : 4102 (aus 1887). 
Im Procentsatz zur Gesammtzahl der in Sachsen beschäftigten (1886: 289,492; 
1887: 314,518) Arbeiter heisst dies: eine Zunahme der Mädchen um 0,1 pCt. 
Ausser diesen in 5607 Fabriken (gegen 4907 im Vorjahr) beschäftigten 
Arbeitern standen noch 465 Knaben und 8 Mädchen (von 12—14 Jahren) 
in 64 Bergwerken in Arbeit. 

Was die Zahl von Uebertretungen betrifft, so sind besonders im Bezirk 
Düsseldorf von 514 revidirten gewerblichen Anlagen in 105 davon Ueber¬ 
tretungen vom Inspector constatirt worden, durch die 423 jugendliche Ar¬ 
beiter — 132, darunter 26 Kinder durch zu lange Arbeitszeit; 19 durch 
Nachtarbeit; 12 durch Sonntagsarbeit; 258 durch Nichtgewährung der 
Pausen; 2 durch Arbeit an Reisswölfen — betroffen wurden. 


’) Die jüngst (seit Nov. 1888) in Nürnberg unter Stadtpfarrer Kreppei zu 
Tage getretenen Bestrebungen erscheinen, soweit ich nach der Allgem. Zeitung 
vom 13. Februar 1889 beurtheilen kann, sehr nachahmungswerth. Zu dem 
„Verein Lehrlingsschutz* 1 haben sich schon über 200 Lehrlinge gemeldet. Jetzt 
will man zur Gründung eines Asyls schreiten, in dem arme Lehrlinge und jugend¬ 
liche Arbeiter Wohnung und Pflege finden können. 


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— 310 — 


Die grösste Zahl der ermittelten Uebertretungen, nämlich 479 (davon 
die Textilindustrie 234!) fällt auf Chemnitz. 

Die „elf Stunden dauernde Arbeitszeit für die an Spinnmaschinen be¬ 
schäftigten jungen Leute“ (d. h. 14—16jährige) ist wiederum die Quelle 
vieler Streitigkeiten. Hier kann nur das Machtgebot oder richtiger Verbot 
des Staates helfen — in der Entwicklung begriffene junge Leute fesselt man 
nicht 11 Stunden in den Fabriksaal und selbst wenn er noch so gut ven- 
tilirt ist. Das ist eine erste Pflicht der Gesundheitspflege des Staates. 
Da hilft auch kein Hinweis auf die national-ökonomische Seite. Wohl mag 
es schwere Uebergangsverhältnisse dann geben, aber so ist die Einrichtung 

— ein hygienisches Verbrechen, wir haben kein anderes Wort dafür. 

Es ist daher auch ein illoyales Vorgehen, wenn über „die unzureichende 
Art der ärztlichen Zeugnisse wieder geklagt wird.“ Von wem? Dem auf 
der Uebertretung ertappten Arbeitgeber, der den Wortlaut des Attestes zu 
seinen Gunsten deutet? Der in Unkenntniss über seine verwerfliche Aus¬ 
nützung des Menschenmaterials, der heranwachsenden armen Menschen¬ 
kinder dieselben für ihr ganzes Leben schädigt ? In Unkenntniss, sage ich, 
über die Tragweite seines fahrlässigen Laisser aller. Ja, wo der Wunsch, 
kinderreichen Familien helfen zu wollen, den Schein der Nächstenliebe noch 
erweckt oder — ich gebe es gern zu — Gutmüthigkeit die alleinige Trieb¬ 
feder war. Und der arme Doktor wird gar noch zum Prügelknaben, der 

— aus Mitleid, der flehentlichen Bitte einer drängenden Mutter zu Liebe — 
ihr das Attest für das 14jährige Kind ausstellt, zumeist doch ohne jeden 
Entgelt, wie wir aus eigener Erfahrung wissen! Der arme Arzt, der, so 
lange das Gesetz ihm nicht diesen inneren Kampf erspart, und eine elf- 
stündige Arbeit für 14jährige verbietet, der Noth und der Bitte vor 
seinem Auge diese Concession wider sein besseres Wissen macht, fast 
machen muss! — 

Um in Cigarrenfabriken hygienische Verbesserungen vorzunehmen, 
haben die Unternehmer „nicht immer das gewünschte Entgegenkommen 
gezeigt“ (pag. 53). 

Betreffs der Uebertragung ansteckender Krankheiten hat eine 
Schuldirektion in Leipzig aufmerksam gemacht, dass Kinder, deren Ge¬ 
schwister daran krank liegen, vom Schulunterricht dispensirt sind, wohl 
aber ihrer Fabrikarbeit nachgehen dürfen. Ja, es wird „dies als eine wahre 
Wohlthat empfunden, dass sie länger arbeiten und dann mehr verdienen 
können“. 

Dass die Moralität der Fabrikarbeiterinnen eine so niedere 
wäre, weist der Bericht als durchschnittlich irrig zurück. Ein Pfarrer in 
Württemberg betonte dies ausdrücklich. Ja, ein tüchtiger Ortsvorsteher 
meinte, der Procentsatz der unehelichen Geburten seiner Ortsangehörigen 
spräche durchaus nicht zu Gunsten der auswärts als Dienstboten beschäf¬ 
tigten Mädchen gegenüber den in der nahen Fabrik Arbeitenden. Auch 
der Zwickauer Beamte hat einen nachtheiligen Einfluss auf die Sittlichkeit 
durch die Fabrikarbeit nicht constatiren können. 


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— 311 


Die Fälle von Merkurialismus in den Quecksilberspiegel belegen zu Fürth 
sind geringer (178 Arbeiter, % weibliche haben 1887 1388 Krankentage, 
1886 dagegen 4074!) 14% männliche, 86% weibliche Arbeiter erkrankten. 
Wie die „Allg. Zeitung“ Anfang Februar 1889 meldete, stehen energische 
Maassnahmen der bayerischen Regierung zur Besserung dieser Zustände 
bald bevor. 

Ueber die „ gesundheitsschädlichen Einflüsse der Lumpensortirräume 
der Papierfabriken“ wird pag. 64 geklagt. Auch hier wäre ein rasches 
energisches Einschreiten der Behörden erwünscht. Zu streng kann sie 
gar nicht sein. Man lese nur, was Dr. Paltauf in der „Wiener Klinischen 
Wochenschrift 1888“ über die allerdings infectiöseste „Hadernkrankheit“ 
veröffentlicht. Vielleicht geht mancher Lump—enfabrikant in sich, wenn 
er die Tragweite seiner Nachlässigkeit erst kennt. 

Ob die Aermste, die pag. 64 „ durch die üble Gewohnheit, sich die 
Fingernägel abzubeissen, selbst viel an ihrer Phosphornekrose Schuld“ 
tragen dürfte, wagen wir nicht mit derselben apodiktischen Gewissheit, wie 
der Aufsichtsbeamte in Niederbayem zu entscheiden — trotzdem wir auch 
principiell auf dem pädagogischen Standpunkte des Struwelpeters stehen 
und uns auf das Strengste gegen das „Daumenlutschen“ aussprechen. 

Hoffentlich meint der Aufsichtsbeamte für Düsseldorf unter der „geradezu 
anstössigen Kleidung“ in Mannestracht, die er hie und da bei Arbeiterinnen 
in Ziegeleien und Schleifereien angetroffen (pag. 64), nicht die 
plumpen Männerstiefel und den hochgeschürzten Rock. Ich würde ihm 
sonst nicht beistimmen können. Der hohe Stöckelschuh der Goquette, ihre 
gern gezeigte Wade, der liberal entblösste Ballbusen sind mir wenigstens 
anstössiger, als die Kleidung, in der ich arme Ziegelarbeiterinnen aus 
praktischen Gründen ihre Arbeit — allerdings nicht in D. — verrichten 
gesehen. 

„Sowohl aus gesundheitlichen, wie sittlichen Rücksichten — 
die Voranstellung der gesundheitlichen Rücksichten ist jedenfalls lobend an¬ 
zuerkennen — tadelt der Aufsichtsbeamte für Trier-Aachen, dass viele Ar¬ 
beiterinnen angekleidet in den Stopp- und Stopfsälen auf dem Tuch oder 
loser Wolle übernachten und Sonnabends Abend stets erst nach Hause 
zurückkehrten, um dann wieder Montag früh bis Sonnabend ununterbrochen 
in der Fabrik zu bleiben (pag. 65). 

Als erfreuliches Pendant sei das „Arbeiterinnenhospiz“ einiger Arbeit¬ 
geber in Aachen (mit 190 Betten), ferner die Schlafsäle für 50—75 Mädchen 
von Carl Mez <fc S. und Mez, Vater & S. (Seidenfabriken Freiburg i./Br.) nebst 
täglicher, vollständiger, einfacher, aber ausreichender Verpflegung für 30 
bis 35 Pfg. täglich (ihre Löhne täglich 60—120 Pfg.) hervorgehoben. 

Mit eben erwähntem Arbeiterinnenhospiz ist eine Arbeitsschule ver¬ 
bunden, in der 16 Arbeiterinnen Unterricht im Kochen, Bügeln, Zuschneiden, 
Ausbessern etc. erhalten. Hier sind auch unter den von Gebr. Heyl & Co. 
(Charlottenburg)zu erwähnenden Wohlfahrts-Einrichtungen ein „Jugendheim“ 
mit 23 Knaben, 27 Mädchen (Näheres pag. 70) lobend zu erwähnen. In 

Gentralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 22 


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312 


je einer Baumwollspinnerei zu Bayreuth und Bamberg werden 100 resp. 
80 Schülerinnen, 6—14jährig, 2 Mal wöchentlich von 1—3 Uhr (etwas öfter 
wäre wohl räthlich!) in weiblichen Handarbeiten unterrichtet. Die rühmlichst 
bekannten Einrichtungen der Dresdener Steingutfabrik von Villeroy & Boch 
unter ihrem Director Dr. Wilckens verdienen den ersten Platz. Drei Leh¬ 
rerinnen unterrichten, eine in Stopfen und Häkeln, die andere in Weiss¬ 
nähen, die dritte im Kleidermachen. Jede derselben hatte 10 Arbeiterinnen, 
Anfangs Sonntags 11 — 1 resp. 1 —3 Uhr. Später nahmen gegen 60 Frauen 
und Mädchen Theil an dem Unterricht, der jetzt täglich nach Beendigung 
der Arbeit stattfindet. Eine Stunde des Unterrichts wird auf die 
Arbeitszeit angerechnet. — 

Von den 4852 Arbeitern, die die Zunahme im Bezirk Schleswig- 
Holstein repräsentiren (in 1 Jahre? Ref.) waren 1462 Arbeiter allein in 
der Industrie der Nahrungs- und Genussmittel beschäftigt — mehr 
als Metallverarbeiter und Maschinenarbeiter (600 resp. 366). — Da in den 
Feinspinnsälen 20—22° R. bei meist sehr unvollkommener Ventilation 
herrscht, 12 1 /* —13 1 /«ständige Arbeitszeit*) hier üblich ist, so stellte mit 
grossem Recht der Beamte für Minden eine gesetzliche Regelung als 
nothwendig hin. 

Was über Sonntags- und Nachtarbeit gesagt ist, müssen wir bitten, im 
Original selbst Seite 88 ff. nachzulesen. Wir heben hier nur hervor, dass 
eine Oldenburger Warbs-Spinnerei mit 386 Arbeitern regelmässige Nacht¬ 
arbeit eingeführt hat. In einer der grössten Mahlmühlen Dresdens, mit der 
eine Bäckerei verbunden ist, waren 6 jugendliche Arbeiter gewöhnlich von 
12 Uhr Mittags bis 4 Uhr Nachts, manchmal sogar 18 Stunden beschäftigt, 
während die Arbeitszeit einiger Frauen und Mädchen, welche ebenso wie 
die vorgedachten Arbeiter bei dem Arbeitgeber wohnten, einschliesslich 
einiger Pausen von 2 bis 3 Stunden mitunter bis zu 20 Stunden betrug. 
Auf Veranlassung der Gewerbe-Inspection wurde die Arbeitszeit der Mädchen 
theilweise geändert. Die jugendlichen Arbeiter wurden entlassen. Von der 
Bestrafung des Arbeitgebers erhielt der Aufsichtsbeamte keine Kenntniss. 
Der Abschnitt schliesst mit der Bemerkung, dass die zwischen Arbeitgeber 
und Arbeitnehmer bestehende Spannung nicht lediglich durch Opferwillig¬ 
keit des Besitzenden allein überbrückt werden kann, sondern dass dazu 
auch eine werkthätige und selbstlose Opferfreudigkeit nothwendig ist. Einige 
Fabrikbesitzer bestreben sich in anerkennungswerther 
Weise jedem ihrer Arbeite r dasjenige Maass von Achtung 
zu zollen, das alle ehrliche Arbeit fordern kann. Dieses 
Thun lohnt sich selbst; denn in den Werkstätten solcher 
Unternehmer ist ein ganz ander er T on vorherrschend. Die 


*) Was soll man aber sagen, wenn man von 13—15stündiger Arbeitszeit 
liest? Nicht auf Sklavenplantagen, sondern — im Wupperthale und in dem 
benachbarten Lengerfeld in den dortigen Spitzenfabriken (cfr. «Köln. Ztg. 13. Febr. 
1889, 2tes Blatt)! 


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— 313 


Aufseher sind höflicher, die Arbeiter zuvorkommender 
und freundlicher, sie haben Anhänglichkeit an die Arbeits¬ 
stelle und wechseln weiniger, so dass die gesammte Arbeiter¬ 
schaft einer solchen Fabrik in einander verwachsen, leistungs¬ 
fähiger und den Interessen des Arbeitgebers förderlicher sein 
wird, alseine solche, die sich beinahe täglich durch Wechsel 
verändert. 

Der folgende Abschnitt, „Heranbildung gelernter Arbeiter, Vorarbeiter 
und Werkmeister“ (pag. 55—150), ebenso instructiv wie knapp geschrieben, 
betrifft zwar sehr die Gesundheit der Gewerbe und Fabriken, aber nicht 
direct ihre Gesundheitspflege. Wir müssen daher auf das Original verweisen. 

Der 3. Hauptabschnitt bespricht den Schutz der Arbeiter vor Gefahren. 
Statistische Angaben und Zusammenfassung erleichtern auch hier die Ueber- 
sicht. Nicht überall hat die Zahl der Unfälle constatirt werden können, 
die lediglich auf den Mangel geeigneter Schutzvorrichtungen zurückzuführen 
wäre. Von den 794 Unfällen in Mittel- und Oberfranken hätten 54 oder 
6,8®/p bei besserer Einrichtung oder dem Vorhandensein einer ent¬ 
sprechenden Schutzvorrichtung verhütet werden können (pag. 154). Der 
Württemberger Aufsichtsbeamte schiebt die Mehrzahl der Unfälle auf Mangel 
an Erfahrung und Achtsamkeit der Arbeiter, mannigfach auch auf 
ungenügende Vorsicht und Disciplin Seitens der Fabrikleiter 
und auf mangelhafte Einrichtungen und schlechte Ordnung 
in deren Betrieb zurück. Verhütbar durch Schutzvorrichtungen wären 
kaum 20 pCt. 

Dass Montag und Sonnabend zahlreichere-Unglücksfälle aufwiesen, 
ist — ausgenommen Reuss j. L. — nicht constatirt worden. Hier war ein 
Plus von 6 resp. 10 pCt. und zwar, weil Montag vorwiegend Unachtsam¬ 
keit , Sonnabend Zuwiderhandlungen gegen erhaltene Anweisung beim 
Putzen der Maschinen, die häufigeren Unfälle verursacht hatte. 

Bei jugendlichen Arbeitern (Württemberg, Hamburg) war leider 
ein Plus von Unfällen — von 3,2 auf 5,0 pCt. — zu constatiren um so 
bedauerlicher, da die jugendlichen Arbeiter (14—16jährige) noch nicht 
2,5 pCt. der Gesammtarbeiterzahl ausmachen. 

ln Hessen betrafen 47 pCt. aller Unglücksfälle 16jährige Arbeiter 
(48 von 103 Unfällen). In einer Fabrik mit zahlreichen Holzbearbeitungs¬ 
maschinen wurden besonders jugendliche Arbeiter beschäftigt, die bei even¬ 
tueller Noth wendigkeit höherer Lohnzahlung stets entlassen wurden. Ebenso 
praktisch wie inhuman! — 

An den 3598 Aufzügen und Fahrstuhl-Einrichtungen des Königreichs 
Sachsens kamen 1887 100 Unfälle vor, von denen 98 Personen betroffen 
wurden. Im Interesse der Unfallverhütung wurden 1138 diese Ein¬ 
richtungen betreffende Anordnungen gegeben. 

Die Präcisions-Sicherheits-Fangvorrichtung für Fahrstühle, Patent Max 
Rossbach, wird warm empfohlen; sie ist compendiös, sehr accomodations- 
fähig und gibt die „denkbar grösste Sicherheit“. Auch für kleine Mühlen 


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— 314 — 


empfiehlt sie der Bericht sehr. 3 Zeichnungen (Maassstab 1:25) erläutern 
sie. Der Merseburger Beamte rühmt von ihm: Der Fangapparat functionirt 
unabhängig von der Last, die Last trägt nicht an ihm und sie vermag 
seine Bewegung nicht zu stören oder zu beeinflussen. (Chemnitzer Aus¬ 
stellung erster Preis.) — 

Wenn auch die Firma Gustav Lamparter in Reutlingen für 4 1 /» Mark 
gefällige und ungemein praktische Normal-Anzüge für männliche und weib¬ 
liche Arbeiter liefert, so sind diese doch nicht zu bewegen, sie zu tragen: 
die weibliehen besonders wollen lieber auf die Arbeit verzichten, als diese 
„Züchtlingskleider“ anlegen, die allerdings so eng anliegen, dass sie die 
Unfälle durch Fassen der Vorsprünge, Falten, Puffen der Röcke, Aermel 
oder dergleichen durch die Maschinen vermeiden. 

Auch ein verkehrter Ehrbegriff, der Manchem Leben oder Gliedmassen 
kostet — ganz wie bei manchem Duell! 

Die Unglücksfälle — selbst bei nur aufgerolltem Hemdärmel — lese 
man nur selber pag. 164 nach (Potsdam—Frankfurt a. 0.) 

Gegen die Schutzbrillen herrscht noch immer eine klägliche Antipathie, 
die viele Augenverletzungen zur Folge hat. So im Bezirk Potsdam—Frank¬ 
furt allein 31, wovon 20 vermeidbar (pag. 167) waren. Ein seltener Un¬ 
glücksfall war, dass ein Eissplitter eine innere Augen Verletzung hervor¬ 
brachte, als an einer kleinen Kreissäge Bretter besäumt wurden. 

Der Entzündung von Kohlenstaub fielen auf einer Briquette-Fabrik 
11 Arbeiter zum Opfer (8 ausserdem verletzt). Wieder keine Sicherheits¬ 
lampen ! Wieder nicht das System Schultze, wo die Kohle mittelst Dampf 
in Trommeln getrocknet wird und dann ohne Weiteres in die Pressen gelangt! 

Eine Reihe fernerer Unfälle (pag. 169—172) wird berichtet. Schliesslich 
wird die Nothwendigkeit rascher erster Hülfeleistung betont, das gründliche 
Anlemen eines „hierzu besonders geeigneten Mannes durch einen Militär- 
Oberlazareth-Geholfen bei Gebr. Koch in Lausigk hervorgehoben und schliess¬ 
lich die Dr. Pistor’sche Anweisung (Erste Behandlung Verletzter. Berlin, 
Enstin 1883) vom Potsdamer Aufsichtsbeamten neben der Haltung eines 
Verbandkastens besonders empfohlen. 

Im Bezirk Chemnitz wurden in 2458 Fällen Anordnungen von Schutz- 
massregeln getroffen. Die Polizei musste öfter, als früher, hier Nachdruck 
geben. Der Bremer Beamte beklagt sich mit Recht, dass „Schutzvorrich¬ 
tungen der gewöhnlichsten Art noch anzuordnen nöthig wären“ (pag. 174). 

Die Schutzvorrichtungen in der Pulverfabrik zu Hamm a. d. Sieg an 
den Walzen sind mit Erfolg angewendet worden. Sie sind so einfach, 
dass wir sie hier gern wiederholen: 

„Durch den Stoss der Explosion gegen eine über den Walzen ange¬ 
brachte Platte wird mittelst eines Hebelwerks ein dort aufgehängter Wasser¬ 
trog in den Teller des Walzwerks entleert. Die Einrichtung des Hebelwerks 
ist so getroffen, dass bei der Explosion eines Walzwerkes gleichzeitig auch 
in den benachbarten, durch Wälle getrennten gleichartigen Werken die 
betreffenden Pulversätze mit Wasser übergossen werden.“ 


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Die Schutzvorrichtungen für Fraismaschinen (Baden) sind mit 10 Figuren 
auf 2 Tafeln erläutert. — ln Niederbayera hat eine grosse Papierfabrik alle 
bewegten Maschinentheile und Rohrleitungen roth lackiren lassen; die 
ruhenden Maschinentheile sind schwarz gestrichen. 

Zur Verhütung des Ausgleitens von Leitern auf schlüpfrigem Fussboden 
(starke Fettansammlungen) wurde auf Einführung cylindrischer Gummi¬ 
unterlagen hingewirkt (Hessen). 

DieM aschinenfabrikanten, wenige ausgenommen, liefern 
Maschinen, die jeder Schutzvorrichtung entbehren (pag. 182). 
Eine ebenso beklagenswerthe wie kaum glaubliche Thatsaehe! Hier thäte 
ein energisches Eingreifen der Genossenschaften Noth! 

Der folgende Abschnitt ist den * gesundheitsschädlichen Einflüssen“ 
gewidmet. Auch hier verzeichnet der Bericht einen Fortschritt im Ganzen 
und Grossen. Arbeitgeber, noch mehr aber Arbeiter, lassen es manch¬ 
mal an dem vollen Verständniss und Interesse für die Bedeutung der von 
den Aufsichtsbeamten empfohlenen Massnahmen fehlen. 

Die noth wendigste Ventilation findet besonders bei den weiblichen Ar¬ 
beitern (Schwarzburg-Sondershausen) entschiedene Gegnerinnen; sie wollen 
lieber „recht warm sitzen“. Dieses traurige Factum, welches la plus sen¬ 
sible partie de Thumanite betrifft, steht pag. 187 wörtlich. Es wird wohl 
die alte Leier sein, dass Viele noch nicht wissen, dass zwischen Ventilation 
und Erwärmung kein diametraler Gegensatz existirt, dass jeder Verständige 
viel lüftet und daher viel heizt, und dass nicht Derjenige der Dumme ist, 
der sich ruhig nachsagen lässt, er heize für die Strasse, sondern Derjenige, der 
für den Winter nach einem möglichst hermetischen Fensterverschluss sucht. 
Dies in Parenthese, aber grossgeschrieben. 

Die elektrische Beleuchtung hat erheblich zur Verbesserung der Luft 
beigetragen. Eine Wohlthat für die Athmungsorgane nennt sie der Bericht. 
— Recht günstige Erfahrungen betreffs Luftverbesserung und Ersparung an 
Beleuchtungskosten und besserem Licht hat man in Plauen mit einer Be¬ 
leuchtungsart gemacht, bei der den Flammen der Petroleumlampen 
gepresste Luft zugeführt wird. 

ln Baden hat man die Einführung frischer und er wärm ter Luft in 
den zur Anfertigung von Cigarren bestimmten Anlagen zur Durchführung 
gebracht, auch in kleineren, dem hausindustriellen Betrieb näher stehenden 
Anlagen. Ein dankenswerther Fortschritt! ln den Cementfabriken Badens 
ist eine Einrichtung zur Aufsaugung des Staubes 1887 durchgeführt worden 
und hat sich bewährt. Die Karden in den Baumwollspinnereien sind mit 
Einrichtungen zur Aufsaugung des Staubes fast in allen Fabriken versehen 
worden. Die wenigen restirenden sollen alsbald nachfolgen. 

Ueber die Verbesserungen der mit grosser Staubentwickelung ver¬ 
bundenen Fadenputzmaschinen der Nähseidefabriken, um den Staub aufzu¬ 
saugen, lese man S. 190 nach. 

Mittelst mechanischer Pressung wurde im Winter vorgewärmte, im 
Sommer abgekühlte Luft den Arbeitssälen in Spinnereien und Webereien 


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316 


zugeführt, resp. die Anlage in den nächsten 3 Jahren in je */« der in Frage 
stehenden Arbeitsräume zur Pflicht gemacht. — 

Der „nicht durchsehbare“ Staub (Pfalz etc.), der sich in den 
Knochen- und Thomasschlackenmühlen der Düngerfabriken entwickelt und 
die Athmungswerkzeuge sehr stark reizt, sollte durch verschiedene Mittel 
beseitigt oder erträglich gemacht werden. Mit trockenem Humor sagt der 
Bericht, dass das Mittel eines Thon- und Graphitmahlwerkes (Bezirk Düssel¬ 
dorf) während der Schicht 2—3 Mal einen Schnaps zu reichen 
selbstredend nicht geeignet wäre. — Mehrere Fälle von Lungen¬ 
katarrh und Lungenentzündung mit t ödtli ehern Ausgang (Ost- und West- 
preussen, Düsseldorf) in Thomasschiakenmühlen haben zur Berufung einer 
besondem Untersuchungscommission Veranlassung gegeben. Diese hat ver¬ 
schiedene Schutzvorrichtungen (Hülsen, Abdichtungen etc., cfr. S. 191), auch 
bezüglich der bewährten Staubsammlungsmaschinen Prinz-Kreiss, mit treff¬ 
lichem Erfolge veranlasst. 

Die Zustände in den Haasenhaarschneidereien, Pelzwalkereien (beim 
Läutern von Schaffellen mittelst Thon und in den Zurichtereien bei dem 
Trocknen von Affen feilen unter Benützung von offenen Goaksfeuern, sind 
sehr reformbedürftig. Der Widerstand der Affen feil-Händler gegen 
einen anderen Trocknungsmodus erscheint als eine wahre Affenschande. 

Zur Beseitigung des Staubes in Gementfabriken haben sich in der be¬ 
treffenden Fabrik von Dyckerhoff & Söhne in Amöneburg bei Bieberich 
Vorrichtungen bewährt, die der Aufsichtsbeamte für Hessen pag. 192 in 
extenso mittheilt und durch 3 Abbildungen erläutert. 

Den sehr lästigen Staub in einer Farbenfabrik (Pfalz) hat der Auf¬ 
sichtsbeamte mit Erfolg angerathen, an der Quelle desselben, in Kniehohe 
mittelst des vorhandenen Exhaustors nach abwärts abzusaugen. 

Im Bezirk Merseburg-Erfurt wird der Männerraum einer Cigarren- 
fabrik des Nachts als Trockenstube benutzt — horribile dictu! In 
einem andern Arbeitssaal derselben Fabrik war der den Arbeitern gewährte 
Luftraum zu gering, dafür fehlte es an einer geeigneten Ventilation. Hier 
wäre wohl die Internirung des Fabrikbesitzers für einige Nächte in diesen 
Raum — als Trockenobject — als bestes Mittel zu empfehlen. Auch eine 
Humoralpathologie! Als ein Gegenstück werden die Einrichtungen der 
Fabrik Rothmann zu Burgsteinfurt gerühmt, wo sämmtliche 38 Personen 
aussergewöhnlich wohl aussehen; die Arbeitszeit ist von 7 Uhr früh bis 
Abends 7 Uhr mit je 3 einstündigen Pausen, während deren kein Arbeiter 
in der Fabrik sich befinden darf, ebenso wie nach der Arbeit, ln jeder 
Pause nach 7 Uhr wird gründlich gelüftet. Seit dem Bestehen dieser Fabrik 
(1867) sind 2 Arbeiter gestorben. Näheres über die Grösse der Fabrik¬ 
räume, der Fenster der 2 gegenüber liegenden Luftklappen sehe man Seite 
194 nach. Trocken- und Lagerraum sind von dem Arbeiterraum getrennt 
Die Einlage wird 5—7 Mal täglich an die Roller für etwa zwei 
Stunden vertheilt. — Zum Schutz gegen die grosse Hitze, der die 
in der Nähe der Schmelzöfen der Glashütten beschäftigten Arbeiter ausgesetzt 


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— 317 


'sind, ist den Arbeitgebern im Dresdener Bezirk durch die Polizei aufgegeben 
worden, genaue Situationspläne über den gegenwärtigen Bestand an Schmelz- 
und Kühlöfen anfertigen zu lassen und für jede Veränderung in der Anlage der¬ 
artiger Oefen besondere Genehmigung nachzusuchen. In einer Oldenburger 
Hütte hatten die Arbeiter an derjenigen Seite, die der Windrichtung abgewendet 
war, durch die Wärme des Ofens zu leiten. Ein zur Beseitigung dieses Uebel- 
standes angebrachter Wasserzerstäubungsapparat entsprach nicht den An¬ 
forderungen. Man hat daher an Stelle desselben einen mechanisch in Be¬ 
wegung gehaltenen Fächer, aus einer Welle mit leichten Windflügeln 
bestehend, angebracht, wodurch ein gelinder kühlender Luftzug zur vollen 
Befriedigung der Arbeiter erzeugt wird. — Die grosse Belästigung durch 
die strahlende Wärme in Schriftgiessereien, wogegen gewöhnlich die 
Umwandung der Rauchrohre der Giesmaschinen empfohlen wird, wird besser 
dadurch vermieden, dass diese Rohre nicht senkrecht nach oben, sondern 
horizontal in den nahe stehenden Schornstein geführt werden (Hessen). 

Im Sommer ist die Hitze besonders in solchen Arbeitsräumen gesteigert, 
deren Decke gleichzeitig das Dach des Gebäudes bildet. Ebenso in den 
Schettsälen (Sachsen-Altenburg). Hoffen wir auf baldige Besserung! Ebenso 
bei den Gussputzern in Giessereien, die sehr starkem Zugwind ausgesetzt 
sind (pag. 196). 

Beim Betriebe von Gasometern hat 17 Mal der Leipziger Beamte allein 
Abhülfe gegen das Eindringen von Verbrennungsproducten in die Arbeits¬ 
stätten urgiren müssen. — Zweckmässige Dunstfänge aus Eisenblech (nähere 
Beschreibung pag. 197) wurden oft in den Schmelzräumen der Schrift¬ 
giessereien gegen die dort sich entwickelnden Dünste empfohlen. 

Um die Entwicklung von schwefliger Säure — bekanntlich eines der 
irrespirabelsten Gase — zu hindern, hat man in der betreffenden Fabrik, 
wo mineralische Rohöle und Fette zum Zwecke der Reinigung mit Schwefel¬ 
säure vermischt wurden, SO* in eine Sodalösung geleitet. So bildete sich 
SO* NaO und GO» wurde von einer Luftpumpe abgesogen. — Die Ein¬ 
richtungen zur Beseitigung des Eindringens gesundheitsschädlicher Gase im 
Arbeitsraum (Theer mit Säuren bezw. Laugen behandelt) werden bei der 
Neuanlage der Mineral öl fabrik der Riebeck’schen Montanwerke muster¬ 
gültig genannt. Sie wird aber nur gut situirten Unternehmungen möglich. 

— Dem in gewissen Schleifereien bestehenden Uebelstande, die Schleifer¬ 
arbeit im Liegen vorzunehmen, entgegenzuwirken, ist in Baden gelungen. 
In den Obersteiner Achatschleifereien — beträchtlich zahlreichere Betriebe 
mit 855 erwachsenen und 100 jugendlichen Arbeitern — hat man sich 
diesen sanitären Vorschlägen gegenüber ablehnend verhalten. 

Die „Schleiferkrankheit“ — man trifft selten bejahrte Arbeiter dort 

— wird im Bericht zum erheblichen Theil auf die Arbeit im Liegen zurück¬ 
geführt. Der beständige Druck auf Brust und Bauch, die ungleiche Er¬ 
wärmung durch das Liegen auf Holz (die Bauchseite wird warm, die Rücken¬ 
seite relativ kalt; manche Arbeiter heizen daher auch im Sommer!) bei 
nasskaltem Boden des Arbeitsraumes, der sich bei der veralteten Bauart der 


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Anlagen in oder unter der Höhe des aufgestauten Wassers befindet, sind 
genug krankmachende Momente; der Bericht fügt noch die Leichtlebigkeit 
mancher Schleifer — wohl keine berufliche Specialität — hinzu. 

Alle Mühe des Oldenburger Beamten, für die jugendlichen Arbeiter 
wenigstens die Arbeit in sitzender Stellung zu ermöglichen, war vergebens. 

Arsenik ist in den Gerbereien des Bezirks Bautzen auf Anregung 
des Aufsichtsbeamten durch das weniger gefährliche Schwefelcalcium 
ersetzt worden. Ueber die Ventilationsvorrichtungen in Anlagen, wo Phos¬ 
phor zur Verarbeitung kommt und die Gefahr der Phosphor-Nekrose 
eine drohende ist, müssen wir auf das Original (pag. 200—202) verweisen. 
Da der bisherige hohe Preis ventilirter Tunkapparate ihre Verbreitung 
hinderte, hat der Aufsichtsbeamte für Hannover, Gewerberath Ecker, einen 
billigeren und einfacheren Apparat, der sich sehr bewährt, construirt. Preis: 
230—280 Mark, bei Gebr. Pfropfe in Hildesheim. Zwei Zeichnungen er¬ 
läutern es. 

Trotz der Strenge, die gegen Bleifarben- und Bleizuckerfabriken 
im Interesse der Arbeiter angewendet wurde, hat ein vielversprechender 
Fabrikant im Bezirk Düsseldorf die für seine Tasche vortheilhafte Einrich¬ 
tung getroffen, für die gefährlichste Arbeit nur zeitweise Leute zu 
beschäftigen und diese nicht in die Krankenkasse aufzunehmen; Kranken¬ 
unterstützung gewährte er entweder gar nicht oder verzögert. Dafür wurde 
in seiner Fabrik ein sehr starker Bierverbrauch constatirt, den allerdings 
die Firma nicht in die Hand genommen hatte; es wurde einem Sohne des 
Werkmeisters die lucrative Mühe dieses Bierhandels nachgewiesen, der als 
Bierhändler sicherlich eine Zukunft hat. Nur nicht in betreffender Fabrik, 
wie der Aufsichtsbeamte ihm bemerklich machte. „Der Missbrauch wurde 
nach einer Verwarnung abbestellt,“ sagt der Bericht lakonisch. 

Was über die hygienischen Verhältnisse, den hier doppelt ungeeigneten 
öfteren Arbeiterwechsel in den B1 ei weiss- und Mennigefabriken gesagt 
wird, bitten wir Seite 203 selbst nachzulesen. Die rühmlichen Verhältnisse 
einer kleinen Fabrik in Bendorf seien hier besonders hervorgehoben (zwei 
kurze Erkrankungen seit 1876 bei 8 Arbeitern). Fast sämmtliches Bleiweis wird 
dabei in Pulverform versendet, circa 4-000 Gentner jährlich. — ln einer 
andern Fabrik trinken die Arbeiter zum Schutze gegen Bleikolik reichlich 
Milch, was nur allen zu empfehlen ist. 

Die Arbeiter der Chromfarbenfabriken, die mit chromsaureni 
Blei in Berührung kommen, sind weit weniger Bleivergiftungen ausgesetzt, 
als die Arbeiter der Bleiweissfabriken, die das weit löslichere kohlensaure 
Blei aufnehmen. 

„Am gefährlichsten ist der Bleistaub in Form von Bleiglätte, wie er 
namentlich zur Glasur in Ofen- und Steingutfabriken immernoch 
Verwendung findet“ (pag. 205). 

In einer Roburitfabrik (Arnsberg) sind Erkrankungen unter den 
Erscheinungen der Nitrobenzolvergiftung (hochgradige Cyanose etc.) 


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beobachtet worden. Seither ist mit Erfolg die Arbeitszeit von 10 auf 
7 Stunden beschränkt worden. 

Ueber Holzgeist und Pyridin, die bösen Geister des denaturirten 
Spiritus, wurde oft Klage geführt. „Augenreiz, Kopfschmerz und 
Uebelkeit“ wurden darauf geschoben. Seinen Geruch hat Niemand loben 
können. — • 

Schädlich ist die Manipulation mit sogen. Polirgold bei der Porzellan - 
fabrication (an Stelle des Glanzgoldes). Die Borsten des bez. Pinsels sind 
nämlich durch gesponnene Glasfäden ersetzt; sehr spröde, lösen sich kleine 
Glastheilchen sehr oft ab und gerathen in die Luftwege der gebückt ar¬ 
beitenden Mädchen, die die Gegenstände auf ihrem Schoosse stehen haben. 

Der kurze Abschnitt über die Aborte (pag. 206) ist sehr lesenswerth. 
Eine drastische Notiz, taciteisch kurz und dadurch desto bedeutsamer, be¬ 
zieht sich auf die Arbeiterinnen einer Fabrik, in der Esswaaren hergestellt 
werden. „Um die Arbeitsmädchen stets an die erforderliche Reinlichkeit 
zu erinnern, musste angeordnet werden, dass der Abtrittsschlüssel un¬ 
mittelbar an der Wasch gelegen heit aufzuhängen sei.“ Und all’ 
diese Gonserven essen wir! Schon Gretchen sagt im Faust: Ach, wir Armen! 

Fortschritte in Bezug auf den Zustand sowie auf die zweckentsprechende 
Anlage von Aborten sind glücklicher Weise zu constatiren. Pneumatische 
Reinigung der Abortgruben findet in grösseren Anlagen Eingang. Bei Neu¬ 
anlagen wird die Erbauung nur ausserhalb der Arbeitsräume (Zwickau) 
gestattet. Nicht jeder Arbeitgeber sieht jedoch die Nothwendigkeit ein und 
möchte erst ein Privatissimum über Infectionskrankheiten gelesen haben. 

Die Reinlichkeit der Arbeitsräume hat der Zwickauer Beamte 
zufriedenstellender gefunden. Der Bremer aber sagt sub rosa, er hätte 
noch Arbeitsräume angetroffen, die „eigentlich einen anderen Namen 
verdienten“. Ehrlich gestanden, Ref. dachte an Schweinestall! Demnach 
würde sich der Titel Fabrikbesitzer modificiren. — In Oldenburg (einige 
südlich gelegne Fabriken) herrscht eine zu grosse Vorliebe für „Staub, 
Kehricht, Spinngewebe und dgl.“ in den Arbeitsräumen. Das jährlich 
nur einmalige Tünchen der Wände und Decken der Arbeitsräume 
(besonders bei Cigarren- und Bürstenmachern), sowie der Schlafräume der 
Ziegelarbeiter hält man dort für einen unerlaubten Luxus, ln Schwarzburg- 
Rudolstadt sind die Gerbereien und Knopfmacherwerkstätten in denselben 
vorsündfluthlichen Anschauungen befangen. 

Die Nachtlager in grossen Schlafräumen machen dem Braun¬ 
schweiger Aufsichtsbeamten berechtigte Kopfschmerzen. Die „ Schlafdecken und 
Strohsäcke in den Arbeiterkasemen einiger Zuckerfabriken und Ziegeleien 
waren derart, dass eine gründliche Reinigung derselben anempfohlen werden 
musste.“ Ob der Vorschlag doppelter Garnituren behufs Wechsels alle 
6—8 Wochen und ev. Reinigung in einer Reinigungsanstalt (pag. 208) auf 
fruchtbaren Boden in dem Lande der „Mumme“ fallt, wagen wir nicht zu 
entscheiden. Sat voluisse. 


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320 — 


Aus dem IV. Abschnitt „ Schutz der Nachharn genehmigungspflichtiger 
Anlagen“ ersehen wir nicht ohne Beruhigung, dass Schiller’s Wort immer 
mehr an Boden verliert, dass auch der Beste nicht im Frieden leben kann, 
wenn es dem bösen Nachbar nicht gefallt. Des Näheren dies zu begründen, 
müssen wir uns hier versagen. 

Aus dem V. Abschnitt: „Wirtschaftliche und sittliche Zustände der 
Arbeiterbevölkerung; Wohlfahrtseinrichtungen; Verschiedenes“ heben wir 
besonders den Theil über Wohnungen für die arbeitende Bevölkerung 
hervor (pag. 237 ff.). „Wieder bei manchen Arbeitgebern haben die 
auf Besserung der bestehenden Wohnungsverhältnisse gerichteten Bestre¬ 
bungen Förderung und Unterstützung gefunden“ — so lautet wört¬ 
lich die Einleitung dieses Passus. Wieviel zu thun übrig bleibt, notwendig 
ist, liest der Menschenfreund zwischen den Zeilen, die dankbar 
das Neugewährte betonen. 

Im Bezirk Niederbayern legt die isolirte Lage der Glashütten und 
Spiegelglasschleifen des bayerischen Waldes den Arbeitgebern durchweg die 
Notwendigkeit auf, für die Unterbringung ihrer Arbeiter Sorge zu .tragen. 
Die Arbeiter in ersteren sind darin besser gestellt, als die letzteren. 

Hier hat der Beamte auch in einzelnen Fällen derartig ungenügende 
Verhältnisse gefunden, dass 2 und mehr Familien gezwungen werden, sich 
in einem grossen Zimmer häuslich einzurichten. 

In dem einem Falle baten die Arbeiter den Beamten um gef. Inter¬ 
vention bei ihrem Arbeitgeber; in einem zweiten „wiesen sie seine Fragen 
nach dem Wunsche besserer WohnungsVerhältnisse nur mit unanständigen, 
schlechten Witzen“ ab. Hier möchten wir die Arbeiter gegen das offenbare 
Missverständniss in Schutz nehmen: da sie die Frage für einen schlechten 
Scherz hielten, antworteten sie mit einem solchen. Sie hielten eben die 
Verbesserung ihrer elenden gemeinschaftlichen Wohnung für ebenso un¬ 
möglich, wie sie an dem guten Willen ihres Arbeitgebers und der Macht 
des Fabrikinspectors zweifelten. Wer helfen will, fragt eben nicht viel. 

Ein erfreuliches Bild dagegen! Im Leipziger Bezirk ist „eine Finna 
in Frankenau *) zur Errichtung von vorläufig 2 Arbeiterwohnhäuschen über¬ 
gegangen.“ Jedes Haus enthält 2 Wohnungen für Familien und 1 Mansarde, 
zu jedem wird Acker Land gegeben. Haus und Grundstück kosten 
3600 Mark, Der Miether eines Hauses, der 1 Arbeiterwohnung und die 
Mansarde noch vermiethen kann, erlangt bei 4 */• % Verzinsung des Kapitals 


*) Das ist die Thonwaaren-Fabrik des früheren Apothekers Curt Starcke (des 
sächsischen Landtagsabgeordneten), der sich durch seine humanitären Fabrik¬ 
einrichtungen, die sich glänzend bewährt haben, einen ehrenvollen Namen ge¬ 
macht hat. Ref. kennt aus eigener Anschauung Ort und Fabrik; er betont gern 
an dieser Stelle, dass er selten einen so zufriedenen Arbeiterstamm, ebenso ge¬ 
sittet wie zuvorkommend und anhänglich wie dort gesehen und während länger 
als eines Jahres aus der nächsten Nähe beobachtet hat. 


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— 321 


— 3 # /o für Miethe, 17* % für Amortisation — nach einer Reihe von Jahren 
das Eigenthum 1 ). 

Rühmend hervorzuheben sind die Erfolge in den Aufsichtsbezirken 
Bautzen und Plauen, Dresden (Firma: Friedr. Siemens), in Chemnitz (wo 
eine Stiftung „Heim“ eigens zu diesem Zweck existirt), Baden (Kochlin- 
Baumgartner in Lörrach, allein 35 neue Arbeiterwohnungen zu ihren 
bisherigen!) 

Neben einigen Orten mit rasch gewachsener Industrie machen die grösseren 
Städte eine „Ausnahme von dieser erfreulichen Erscheinung“. Ein 
„Beispiel von Zusammenpferchung, wie sie glücklicher Weise nur 
selten vorkommt“, wird aus Mannheim mitgetheilt; der Eigenthümer 
dieser menschenfeindlichen Einrichtung wird leider nicht genannt — 
trotz Herostratus! Wir können leider hier nur kurz erwähnen: 
117 Wohnungen mit 217 Zimmern und Kammern enthalten nur 17 Küchen, 
dienen aber als Wohnung für 209 Erwachsene und 418 Kinder. 

Was die Miethpreise anlangt, so kostete eine dieser Wohnungen aus 

2 Dachkammern im 5. Stock ohne allen Zubehör 96—120 Mark, 1 Dach¬ 
kammer mit Küche und Keller 144 Mark. Eine Wohnung im 2. und 3. Stock 
von 2 kleinen Zimmern ohne Küche mit etwas Keller 140—170 Mark, mit 
1 kleinen Küche 240 Mark. Der ganze Complex — mehrere Häuser, eines 
davon 5stöckig; zwischen einem einstöckigen und dem Nachbargebäude 
befindet sich ein langgestreekter Hof, der 1,5 Meter breit ist — trägt 
über 16,500 Mark Miethe, ist für 116,000 ^ark gekauft und trägt nach 
reichlicher Abrechnung der Unterhaltungskosten noch über 
13 Procent ein*). 

*) Wir freuen uns, Folgendes laut soeben auf unsere Anfrage (15. Febr. 1889) 
eingegangener Antwort von Herrn Curt Starcke hinzufügen zu können: 

1) Jetzt sind 4 Häuser fertig; nach und nach sollen es 12 werden. 

2) Jedes Haus hat 1250 □-Meter Land zu Garten. 

3) Jede der 2 Wohnungen hat 160 □-Meter grosse Wohnstube, 12 □-Meter 
grosse Schlafstube, Küche, Bodenkammer, Keller, Schuppen, Holzstall. 

4) Werth der Parterrewohnung nach ortsüblichen Sätzen: 90—100, Dach¬ 
wohnung 60— 75 Mark ohne Garten. 

5) Verheirathete Arbeiter, die über 5 Jahre bei Starcke sind, erhalten ein 
solches Haus auch ohne Anzahlung, gegen Verzinsung von 3*/« °/o mit jähr¬ 
lich mindestens 100 Mark. Abzahlung vom dritten Jahre des Besitzes an. 

6) Die Dachwohnung darf nur an Arbeiter von Starcke vermiethet werden. 
Bei Wegzug hat St. Vorkaufsrecht gesichert. 

St. fügt wörtlich hinzu: Die Leute sind glücklich in ihrem Besitz. Die 
Lage ist am Walde, gesund; der Garten gross genug, um Gemüse und Kartoffeln 
für die Familie zu bauen. Auch können sie eine Ziege oder ein Schwein halten. 

Die moralische Folge ist, dass sämmtliche Frauen der Inhaber nicht mehr 
auswärts Arbeit suchen, sondern zu Hause bleiben, Ordnung halten und Kinder 
erziehen. — Vivant sequentes, fügt der Referent hinzu. 

Ä ) Im vielverlästerten Russland haben u. A. die Gebr. Malutin in Kamenskaja 

3 Gebäude aufgeführt, in denen 400 Arbeiter in 79 Stuben wohnen. Das selbst 
ist nicht so schlimm, wie bei unserem Mannheimer Landsmann. Aber Russland 
ist das Land der Knute! 


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322 


Wenn man in jüngeren Jahren die Harpyen in das Reich der Fabel 
versetzt, so wird man als Aelterer dieses Irrthums sich bewusst Als der 
Ref. dieser Arbeit vor nunmehr 15 Jahren seinen Bruder, der damals u. A. 
auch Armenarzt in Posen war, vertrat, hat er damals schon die menschen¬ 
unwürdigsten Wohnungen inmitten des alten Stadttheils Posens des Oefteren 
gesehen: der Mangel an Licht und Luft war aufgewogen durch die exor¬ 
bitante Höhe des Miethspreises! 

Billige Arbeiterwohnungen, bei denen das angelegte Capital gleichwohl 
sich verzinst, hat die Billigkeit der Baumaterialien, sowie die selbst von 
Dörfern grosse Entfernung neugegründeter grosser Anlagen auch 1887 her¬ 
vorbringen helfen. Die frühere Staub’sche Baumwollspinnerei in Kuchen 
an der Fils hat wiederum Häuser errichtet, die jetzt 300 km enthalten und 
ohne Baugrund 5000 Mark kosten; die Miethe mit 260 Mark ist für die 
Lohn Verhältnisse einer Arbeiterfamilie der Textilindustrie indessen zu hoch. 
Die württembergische Metallwaarenfabrik hat dagegen in den letzten 4 Jahren 
4 Häusergruppen für ihre Arbeiter hergestellt, wobei sie von dem Princip 
des einen Familienhauses abgegangen ist. Es liegen je 3 Wohnungen in 
einem Hause übereinander mit gemeinschaftlichem Hauseingang und Treppe. 
Die Miethe beträgt 100, 130 und 140 Mark jährlich; diese Häuser verzinsen 
das angelegte Capital reichlich und bieten den Arbeitern noch eine Aus¬ 
wahl billigerer und besserer Wohnungen, als in der nahegelegenen Stadt 
Geislingen zu finden wären. — Ferner ist die Stuttgarter Immobilien- und 
Baugesellschaft bei ihrer neuei* Cementfabrik in Allmendingen rühmend zu 
nennen: sie hat 7 Doppelhäuser mit je 4 Wohnungen (also 28) errichtet; 
je 2 Wohnungen bieten einen eigenen Eingang (pag. 242 sind noch nähere An¬ 
gaben nachzulesen). — Die Glasfabrik von Böhringer in Freudenstadt hat 
ein 2stöckiges Arbeitshaus für 8 Familien erbaut (für 18,000 Mk). Für jede 
Wohnung nimmt der Unternehmer nur 20 Mark jährliche Miethe. Vivat 
sequens! Im Bezirk Leipzig dagegen w schreitet die Verbesserung der Ar¬ 
beiterwohnungen in gesundheitlicher Beziehung nicht oder nur lang¬ 
sam weiter“. 

Besonders erwähnenswerth erscheint auch, dass z. B. in den Vororten 
von Chemnitz eine Arbeiterwohnung circa 80 Mark kostet, in der Stadt 
nicht selten 240 Mark. — Die Arbeiter-Eisenbahnzüge (Zwickau, Württem¬ 
berg, Baden, Oldenburg, Reuss j. L.) werden rühmend hervorgehoben. 
Warum fehlt Dresden ? Ref. kennt die von Dresden nach Westen gehenden 
Arbeiter-Züge aus eigener Anschauung. 

Dass die neue Steuergesetzgebung auf die Abnahme des Branntwein¬ 
genusses einen wesentlichen Einfluss ausübe, berichtet der Posener Beamte. 
Ein Cantinenbesitzer hat allein 23 pCt. Einbusse! Wir sind fest überzeugt, 
dieses Factum steht nicht vereinzelt — im Berichte kann ein Oppositions¬ 
lustiger aus der— allzu kurzen (3 Druckzeilen!) — Darstellung herauslesen, 
dass der Posener Beamte aus dieser einen Thatsache seinen Schluss ge¬ 
zogen hätte. 


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— 323 — 


Den ausführlicheren Passus „über die Gewöhnung der Arbeiter an andere 
erfrischende Getränke und über die Ermöglichung einer billigen, aber guten 
und kräftigen Ernährung“ müssen wir bitten, im Original selber pag. 246 ff. 
nachzulesen. Die Vorschläge, die der Vorstand des Bezirks-Vereins gegen 
den Missbrauch geistiger Getränke in Kassel in einem an 76 Fabriken 
des Regierungsbezirks Kassel gerichteten Rundschreiben empfohlen hat, sind 
hier besonders hervorzuheben. Sie gehen dahin: 

1) Den Verkauf und das Herbeiholen von Branntwein innerhalb der 
Fabrik während der Arbeitszeit zu verbieten; 

2) Unschädliche Genuss- und Erfrischungsmittel (Kaffee, Thee, Cho- 
colade, Fruchtsäfte, leichtes Bier, im Winter Warmbier) an die 
Arbeiter zu billigen (Selbstkosten-) Preisen innerhalb oder in un¬ 
mittelbarer Nähe der Fabrik zu verabreichen, und 

3) Eine richtige, kräftige Ernährungsweise der Arbeiter durch Ein¬ 
richtung von Cantinen, welche auch gute Fleischkost zu billigen 
(Selbskosten-) Preisen gewähren, zu befördern. 

Von diesen 76 Fabriken haben — so veröffentlicht besagter Verein — 
27 Anlagen Erwiederungen gesandt, die, eine einzige ausgenommen, den 
Vorschlägen sympathisch gegenüberstanden. D. h. 35 pCt. der Ar¬ 
beitgeber, die Höflichkeit und vor Allem den Wunsch zu 
thätiger Hülfsb ereitscha ft hatten! Dass die anderen restirenden 
65 pCt. doch letzteren wenigstens besässen, wenn ihnen auch die erstere 
fehlt! Wieviel Boden würde der socialistischen Propaganda entzogen! 

Von besonderem Interesse ist die Wiedergabe der Zuschrift, die die 
Amtshauptmannschaft zu Döbeln an die dortigen Fabrikbesitzer richtete. Sie 
empfiehlt die im Interesse der Arbeiter getroffenen Einrichtungen der bereits 
öfter rühmlich genannten Thon- und Chamottewaarenfabrik von Gurt Starcke 
in Frankenau bei Mittweida. Unter Anderem wird zur Verhütung des 
Schnapsgenusses den Arbeitern guter, reiner Kaffee zum Preise von nur 
3 Pfg. für das Liter geliefert. Zur Herstellung dieses Getränkes wird der 
von der Firma Rieger & Kaltschmidt') in Hamburg (Alter Wandrahm 53) 
bezogene, comprimirte gemahlene Kaffee verwendet. Derselbe wird zum 
Preise von Mark 2,50 pro Kilo in Würfeln zu 100 Gramm Gewicht ge¬ 
liefert, welche 8 Liter eines sehr guten Kaffee’s geben, so dass es möglich 
wird, das Liter für 3 Pfg. zu verkaufen. Der Kaffee wird in einem be¬ 
sonderen Apparate (u. A. werden die Kaflfee-Kochapparate von H. G. Rühm- 
korff & Go. vom Aufsichtsbeamten empfohlen) mittelst Dampf gekocht, 
wobei das Kaffeemehl so sollständig ausgesogen wird, dass in dem zurück¬ 
bleibenden Satze kaum eine Spur Extractivstoff mehr zu finden ist. Es wird 
nie mehr bereitet als gebraucht wird. Surrogate finden keine Verwendung, 
auch wird der Kaffee nie aufgewärmt, sondern den Arbeitern stets rein und 
frisch gekocht geliefert. Das Kochen und die Abgabe des Kaffee’s besorgt 


•) Die Firma Rieger & Kaltschmidt in Hamburg heisst jetzt: Emil Specht, 
Hamburg. 


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324 — 


eine Frauensperson. Die Bestellung des Kaffee’s seitens der Arbeiter ge¬ 
schieht in der Weise, dass jeder Arbeiter seine Nummer, die an einem 
Nummerbrett hängt, umdreht, sodass sie schwarz erscheint, während sie 
vorher weiss gewesen war. Die gebrauchten Gefasse werden von den Ar¬ 
beitern bei der Verwalterin abgeliefert, welche sie reinigt und in das be¬ 
treffende Schränkchen mit gleicher Nummer stellt. Ausser dem Kaffee wird 
reiner Aepfelwein zum Preise von 35 Pfg. für die Flasche, sowie gut aus- 
gegohrenes Bier für 7 Pfg. für das halbe Liter geliefert. Durch energisches 
Einschreiten gegen den Schnapsgenuss in Verbindung mit den beschriebenen 
Einrichtungen ist es möglich geworden, dass von den etwa 100 Arbeitern 
der Fabrik, welche grösstentheils schwere Arbeiten zu verrichten haben, 
keiner mehr Schnaps trinkt. Die Königliche Amtshauptmannschaft will 
nicht unterlassen, die Herren Fabrikbesitzer hiervon in Kenntniss zu setzen, 
und würde es mit Freuden begrüssen, wenn der Vorgang des Herrn Starcke 
recht viele Nachahmung fände. 

* Gutes, aber (ein vortrefflicher, ob unbewusster Witz im Buche!) 
leichtes und billiges Bier“ haben mehrere grössere Betriebe im Chemnitzer 
Bezirk als Gegenmittel gegen den Alkohol eingeführt. — Ob das Verfahren 
der Weiss’schen Spinnerei in Langensalza (Erfurt) — etwas Rum in 
Wasser, das abgekühlt in Zink Wasserbehältern circulirt — zu loben, be¬ 
zweifeln wir sehr. Dass die Arbeiter bei dem Genuss dieses Getränks »kein 
Bedürfniss nach Bier oder Branntwein mehr verspüren*, glauben wir dem 
Bericht gern. Referent ist nichts weniger als Temperenzler, aber nicht 
immer ist der Teufel mit Beelzebub — verständig ausgetrieben ! Dauernde 
Reizmittel während der Arbeit sind nicht rationell! 

Die Reihe der Wohlfahrts-Einrichtungen hat erheblich zugenommen — 
auch hier steht das Königreich Sachsen voran. Nicht blos zu Gunsten der 
Arbeiter, sondern auch für deren Angehörige. Wir resumiren hier kurz: 
Ausbildung jugendlicher Arbeiterinnen für den Hausfrauenberuf (cfr. oben), 
sowie Einrichtungen zur Förderung der Ernährung durch die Bereitstellung 
von Küchen- und Speiseräumen oder die Lieferung guter und zugleich 
billiger Speisen und Getränke, ferner Badeeinrichtungen (Heyl-Gharlotten- 
burg, Schaeffer & Badenburg, Buckau, eine chemische Fabrik in der Pfalz 
— leider nur diese drei 1 ) namentlich erwähnt, wohl auch hierbei nur 
zu erwähnen gewesen!), Stiftungen zu den verschiedensten Zwecken, Spar¬ 
und andere Kassen, Kinderbewahranstalten, Knaben- und Mädchenhorte und 
Aehnliches. 

Nicht das Interesse des Lesers fürchten wir durch ausführlicheren Be¬ 
richt dieses Abschnittes (pag. 249 ff.) zu ermüden, wohl aber würden wir 
den Raum, der uns billiger Weise gesteckt ist, noch mehr überschreiten als 
bisher. Darum sei nur in Kürze Folgendes hervorgehoben. 

Häufig werden die zu besserer Beköstigung der Arbeiter eingerichteten 
Anstalten, Küchen etc. unbenutzt gelassen, ja theuere und schlechtere 

*) Es sei uns gestattet, auf Dr. 0. Lassar’s werthvolle Broschüre .,Ueber 
Volksbäder“ bei dieser Gelegenheit ganz besonders hinzuweisen. 


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325 — 


Nahrung vorgezogen, wo Credit von Händlern gewährt wird. Die mit 
Recht vom Chemnitzer Aufsichtsbeamten als hervorragend bezeichnete Ein¬ 
richtung der Kammgarnspinnerei von Stohr & Co. zu Klingschocher — wir 
resumiren: Elinrichtungen zum Wärmen mitgebrachten Eissens für circa 
1000 Arbeiter seit 1 Jahre, 3 Köche, 3 weibliche Personen dazu, in der 
Cantine ein Speise- und Bier-Ausgeber; kupferne Dampfspeise-Kochapparate, 
Kartoffelschäl-, Kartoffelreibmaschinen etc.; auch an Abenden mit Ueber- 
stunden-Arbeit geöffnet und dann kostenloses Abendbrod an alle Arbeiter, 
nicht blos an die, die weiter arbeiten, um keinen Neid zu erregen — trotz¬ 
dem essen viele Arbeiter lieber ihr Obst, Käse oder Bücklinge Mit¬ 
tags, weil die Verkäufer vor der Fabrik Credit geben und in der Fabrik¬ 
küche baar gezahlt werden muss. Dabei verkauft die Küche für 15Pfg., 
was sie 22 Pfg. (nämlich */* Liter Gemüse, 100g Fleisch, roh gewogen 
oder für letzteres 60 g Wurst) kostet. 

Wer sich speciell für diese Küchen- und Cantinen-Einrichtungen interes- 
sirt, den verweisen wir auf den betr. Abschnitt (pag. 249 ff.) Wahrlich, 
es thäte Noth, man verpflichtete die erwachsenen Arbeiter ebenso, wie es 
z. B. die Lauchhammer’schen Werke (pag. 250) mit ihren 100 Lehrlingen thut, 
die anstatt ihrer ortsüblichen alltäglichen Kartoffeln in der Werkspeiseanstalt 
ihr Mittagessen einnehmen müssen, wofür ihnen 127*.Pfg. vom Tagelohn 
von 527* Pfg. abgezogen werden. Genug Phantasten würden dies zwar 
als einen Eingriff in die geheiligten Menschenrechte betrachten, aber der 
national-öconomische Nutzen wäre grösser, als die wohlfeile moralische 
Entrüstung der meist recht wohlgenährten Schreier Schaden anstiften kann. 
Der alsbald wohlgelauntere Arbeitermagen würde die Einbusse an persön¬ 
licher Freiheit gern ertragen lernen. 

Wenn aber jüngst (Jan. 1889) das vortreffliche Organ V. BöhmerTs, 
„Das Volkswohl“ den Aerzten den Vorwurf nicht ersparen konnte, sie 
trügen zu wenig zur Verbreitung hygienischer Kenntnisse durch Vorträge etc. 
bei, so ist dieser sicherlich wohlgemeinte Vorwurf auch auf die Lehrer der 
Volkswirtschaftslehre auszudehnen. „Borge Nichts, was du baar bezahlen 
kannst, denn auch in dir wohnt der Dämon, zu viel auszugeben, wenn du 
borgst“ kann dem Arbeiter nicht oft genug gepredigt werden. LJebrigens 
— in parenthesi sei’s gesagt — Anderen auch 1 Und diejenigen Blätter, die 
es den Arbeitern predigen und immer wieder predigen sollten, müssten ein¬ 
zeln pfennigweise zu haben sein. Auch Das wäre eine Pflicht des Staates, 
eine würdige Verwendung der Zinsen des Weifenfonds. Nicht Groschen 
—, nein Pfennigblätter, die Nahrungsmittellehre und Volkswirtschaft klar¬ 
anschaulich, nicht langweilig bringen. Die Theologie hat Stöcker’s Energie 
in 1-Pfennig-Predigten zu Millionen volkstümlich sprechen lassen, auch 
hier gelte es, mit ähnlicher Energie unserer Wissenschaft feststehende That- 
sachen Gemeingut des Volkes werden zu lassen! 

Wir erwähnen nur in Kürze hier das von Gebr. Heyl Sc Go. gegründete 
Jugendheim (für Arbeiterkinder), die Knabenhorte des ebenso ge* 
nannten Vereins in Stuttgart (ausserhalb der Schulzeit), des Chemnitzer 


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326 


Vereins „Zu Rath und That“ und des dortigen Frauenvereins. Ferner die 
Kinderbewahranstalten (Zwickau für 31,440 Mark gegründet; siehe 
Näheres pag. 254). 

Die Patentpapierfabrik in Penig zahlt für die 278 schul¬ 
pflichtigen Kinder ihrer 135 verheirateten Arbeiter dasSchulgeld(2284M., 
wovon eine Stiftung 1214 Mark aufbringt). 

Bezüglich des Sparkassen wesens scheint das Obengesagte auch zu gelten, 
3 Sparkassen in Reuss j. L. werden wenig oder gar nicht benutzt, 
dagegen eine Zwangssparkasse desselben Bezirks (10°/* des Lohnes 
gutgeschrieben, mit 5°/o verzinst) bewährt sich. Bei G. Holtzenau-Beckenhof 
(Zwickau) werden jedem Arbeiter wöchentlich 25 Pfg. einbehalten bei 5*/* 
Verzinsung, die Meisten erhöhen dies auf 50—100 Pfg., einer auf 1 V* Mark 
sogar. Ein Arbeiter hatte so 739 Mark gespart. 

In einer Weberei in Hof wurden 6 Arbeiter zu 8tägiger Erholung 
nach dem Luftkurort Berneck und 2 erholungsbedürftige Frauen er¬ 
hielten 14 und 8 Tage Ferien, anstatt dass das sonst übliche „Waldfest“ 
abgehalten wurde. 

Das Verständniss für die Kranken- und Unfallversicherung nimmt zu. 
Dagegen haben sich die ledigen Arbeiterinnen einer Tuchfabrik (Merseburg- 
Erfurt) ihrer Betriebskrankenkasse gegenüber verpflichtet, auf die ihnen 
zukommenden Wö ch n er in ne n - Unterstützung zu verzichten. Ob die 
Moral sich gehoben oder das Standesamt nur desto rascher in Anspruch 
genommen, berichtet .der Bericht nicht. 

Die Klagen über die an ledige Arbeiterinnen zu gewährende Wochen- 
bett-Unterstützung waren im Uebrigen geringer. Aber namentlich ver- 
heirathete Arbeiterinnen halten sie für eine ungerechte Kassenbelastung; 
die Ehe scheint sie also nicht milder gestimmt zu haben. Oder dachten 
sie daran, dass sie unter dem Mangel solch’ einer menschenfreundlichen 
Bestimmung selber gelitten hatten? Männliche Arbeiter dagegen erblickten 
in den weiblichen überhaupt eine Last, die den Kassen erheblich höhere 
Ausgaben bei gleicher Beitragszahlung auferlegt. 

Ein Anhang (pag. 264—368) enthält 17 Nummern, theils zweckmässige 
Lehrverträge, theils Polizei-Verordnungen (Mineralwasser-, Cellulose-Fabriken 
etc.), sowie eine Tabelle über die 1887 im Königreich Sachsen beschäftigten 
männlichen und weiblichen erwachsenen, jugendlichen und kindlichen Ar¬ 
beiter. Ein ausführliches Sachregister beschliesst das ausgezeichnete Werk. 

Noch Eines zum Schluss. Der Herr Staatssecretär hat jüngst im 
Reichstage erklärt, er wundere sich bei der grossen Preis -Ermässigung 
des Werkes (jetzt 4 Mk. 35 Pfg.), dass es nicht mehr gekauft werde. Wir 
dagegen halten noch heute den Preis für ungeeignet hoch. Das Werk, jetzt 
ohnedies fertiggestellt, sollte sich doch niemals buchhändlerisch rentiren; sein 
Bezugspreis war Nebensache. Je billiger, je besser — wie soll der Arbeiter, 
für den das Buch doch auch geschrieben ist, es sich anschaffen können ? 
Eine Mark wäre der höchste verständige Preis, wenn das Buch in so viele 
Hände kommen soll, als es verdient. 


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327 


In Belgien hat ein ehrgeiziger, phantastischer Advokat einen sehr 
billigen social-demokratischen Katechismus verfasst und damit viel Unheil 
angestiftet. Gegen die Lehre vom schutzlosen Arbeiter, dessen oberstes Gut, 
seine Gesundheit, schnöde vom Besitzenden missbraucht werde, ohne dass 
ihn Staat und Gesellschaft schützen, kennen wir kein wirksameres Buch, 
als diesen „Bericht“. 

Für 1 Mark, ja für weniger verkauft, wird er, ein anderer Arbeiter- 
Katechismus, das beste Remedium gegen socialistische Flunkereien und 
Phantastereien. 

Wiesbaden-Nervi. Dr. Julius Pauly. 


Verzeichntes der bei der Redaktion eingegangenen neuen Btteher ete. 

Altschul, M. U. Dr. Theodor, Mitglied der Sanitätscommission in Prag, 
Ueber Wasserversorgung der Städte im Allgemeinen und die geplante 
Wasserversorgung Prag’s im Besonderen. Nach einem im Verein deutscher 
Aerzte in Prag gehaltenen Vortrage. Prag, 1889. J. G. Galve’sche k. k. 
Hof- und Universitäts-Buchhandlung (Ottomar Bayer). 

Arnold, Dr. Julius, o. ö. Professor der Pathologie und Director des patholo¬ 
gischen Instituts an der Universität Heidelberg. Ueber den Kampf des 
menschlichen Körpers mit den Bakterien. Akademische Rede, gehalten am 
22. November 1888. Zweiter veränderter Abdruck. Heidelberg, Carl Winter’s 
Universitäts-Buchhandlung, 1889. Mk. 1.20. 

Baring, Dr. W., Sanitätsrath und Stadtphysikus in Celle, Der Eukalyptus¬ 
honig (Mel. Eukalypti globuli) als Schutzmittel gegen Diphtheritis, Heilmittel 
der Skrophel- und Tuberkelsucht und Ersatzmittel des schwer verdaulichen 
und aller antibakteriellen Heilkraft entbehrenden Leberthrans. Zur Einführung 
dieses neuentdeckten Schutz- und Heilmittels. Leipzig, Verlag von Gustav 
Fock, 1889. Mk. 1.-. 

Brass, Dr. Arnold, Marburg, Die Zelle, das Element der organischen Welt. 
Mit 75 Abbildungen in Holzschnitt. Leipzig, Verlag von Georg Thieme. 
1889. M. 6. -. 

Bresgen, Dr. Maximilian, Specialarzt für Nasen- und Halzkranke in Frank¬ 
furt am Main, Die Heiserkeit, ihre Ursachen, Bedeutung und Heilung. Nebst 
einem Anhang über die Bedeutung behinderter Nasenatmung. Neuwied, 
Heuser’s Verlag. 1889. M. 1. 

Cornet, Dr. Georg, prakt. Arzt in Berlin und Reichenhall, Wie schützt man 
sich gegen die Schwindsucht. Sammlung gemeinverständlicher Vorträge, 
begründet von Rud. Virchow und Fr. von HoltzendorfT, herausgegeben von 
Rud. Virchow. Neue Folge. Vierte Serie. (Heft 73—96 umfassend). Heft 77. 
Hamburg. Verlagsanstalt und Druckerei, A. G. (vormals J. F. Richter), 1889. 
Mk. —.80. 

Daiber, J., Professor am Kgl. Katharinenstift in Stuttgart, Die Schreib- und 
Körperhaltungsfrage. Ihr jetziger Stand — ihre künftige Lösung. Der 
deutsch-vaterländischen Schule gewidmet. Stuttgart, Verlag von Schickhardt 
und Ebner (Konrad Wittwer) 1889. M. 2.40. 

Derblich, Dr. W., k. k. Oberstabsarzt i. R. Ein Menschenalter Militärarzt. 
Erinnerungen eines k. k. Militärarztes. Erster Theil. Hannover, 1889. 
Helwing'sche Verlagsbuchhandlung. M. 2.—. 

Hans Ferdy, Die Mittel zur Verhütung der Conception. Gynäkologische Studie 
für praktische Aerzte und Geburtshelfer. Dritte neu bearbeitete Auflage. 
Neuwied, Heuser’s Verlag. 1889. M. 1.50. 

Flechsig, Dr. med. Robert, kgl. sächs. Geh. Hofrath und Königl. Brunnenarzt 
in Bad Elster. Bäder-Lexikon. Darstellung aller bekannten Bäder, Heil¬ 
quellen, Wasserheilanstalten und klimatischen Kurorte Europas und des 
nördlichen Afrikas in medizinischer, topographischer, ökonomischer und 
finanzieller Beziehung. Für Aerzte und Kurbedürftige. 2. völlig umgearbeitete 
und vermehrte Auflage. Leipzig, Verlag J. J. Weber. Gebunden M. 5. 

Graetzer, Dr. J., Kgl Geheimer Sanitätsrath und dirigirender Hospitalarzt, 
Lebensbilder hervorragender schlesischer Aerzte aus den letzten vier Jahr¬ 
hunderten. Breslau, Druck und Verlag von S. Schottländer, 1889. 


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Kloss, Dr. Moritz, weiland, Director der Königl. Sachs. Turnlehrer-Bildungs¬ 
anstalt zu Dresden. Die weibliche Turnkunst. Ein Bildungsmittel zur För¬ 
derung der Gesundheit, Kraft und Anmut des weiblichen Geschlechtes. Für 
Eltern, Lehrer und Erzieherinnen bearbeitet. 4. durchgesehene Auflage. 
Leipzig, Verlag von J. J. Weber. 1889. Gebunden M. 9. 

Mundy, Dr. J., Eine biographische Skizze. Leipzig. 1889. Verlag Eduard Heinrich 
Mayer. Mk. 2. 

Pfalz, Dr. G., Augenarzt in Düsseldorf, Ueber operative Therapie der folliculären 
Bindehaut-Entzündung (sog. ägyptische Augenentzündung oder Körnerkrank¬ 
heit). Nach einem im Verein der Aerzte Düsseldorfs gehaltenen Vortrage. 
Bonn, Verlag von P. Hanstein 1889. M. 1.—. 

Pollatschek, Dr. Arnold, praktischer Arzt in Karlsbad, Der Alkohol in der 
Diät des Diabetes Mellitus. Wien 1889. Verlag von Moritz Perlei, Wien. 
M. -.60. 

Rapmund, Dr. 0., Regierungs- und Medicinalrath in Aurich, Das Gesetz vom 
9. März 1872 betreffend die den Medicinalbeamten für die Besorgung gerichts¬ 
ärztlicher, medicinal- oder sanitätspolizeilicher Geschäfte zu gewährenden 
Vergütungen in der Fassung der Königlichen Verordnung vom 17. Septem¬ 
ber 1876 und des Ergänzungsgesetzes vom 2. Februar 1881. Im Auftrag 
des Vorstandes des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins erläutert. Berlin, 
1889. Fischer’s medicinische Buchhandlung H. Kornfeld. M. —.75. 
Ravener, E. Dr., Mödecin major ä l’Ecole de ca Valerie de Saumur. La vie du 
Soldat an point de vue de l’hygiöne. Avec 55 figures intercal^es dans le 
texte. Paris, librairie J.-B. Bailli&re et fils rue Hautefeuille, 19, prös du 
Boulevard Saint-Germain 1889. Tous droits röservös. 

Schmitz, Dr. med. L., Kreisphysikus zu Malmedy. Das Geschlechtsleben des 
Menschen in gesundheitlicher Beziehung und die Hygieine des kleinen Kindes. 
1889. Neuwied, Heuser’s Verlag. M. 1,50. 

Sitzungsberichte der Physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. Heraus¬ 
gegeben von der Redactions-Commission der Gesellschaft Med Rath Dr. Gr. 
Schmitt, Prof. Dr. W. Reubold, Dr. Friedrich Decker. Jahrgang 1888. 
Würzburg, Verlag der Stahel’schen Universit. Buch- und Kunsthandlung, 
1888. Preis des Jahrgangs M. 4.—. 

Verhandlungen der Physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. Heraus¬ 
gegeben von der Redaktions-Commission der Gesellschaft Med. Rath Dr. 
Gr. Schmitt, Prof. Dr. W. Reubold, Dr. Friedrich Decker. Neue Folge. 
XXII. Band. Mil 9 Tafeln in Lithographie und Farbendruck. Würzburg, 
Verlag der Staherselien K. B. Hof- und Univers.-Buchandlung. 1889. Preis 
pro Band (Jahrgang) M. 14.— . 

Sixteenth annual Report of the Sekretary of the State of Michigan, for the fiscal 
Year Ending. June 30, 1888. By Authority. Lausing, Darius D. Thorp, 
State Printer and Binder. 1889. 

Gesundheit, Zeitschrift für öffentliche und private Hygieine. 1889. XIV. Jahr¬ 
gang Nr. 3—13. G. L. Daube <fc Cie.. Frankfurt a. M. 

Vereinsblatt der Pfälzer Aerzte. 1889. II. Jahrg. Mai u. Juni. L. Göhring & Cie., 
Frankenthal. 

Impfzwanggegner, Organ des deutschen Impfzwanggegner-Vereins. Herausgegeben 
von Dr. med. Heinrich Oidtmann, Linnich, 1889. Nr. 5/6. 

Fortschritte der Medizin. 1889. Bd. 7. Nr. 6. 15. März. Fischer’s med. Buchh. 

Berlin N. W. 

Medizinische Monatsschrift. Band 1. Heft 4/6. April/June. New-York, Verlag der 
Medizinal Monthly Publishing Company. 17 to 27 Vandewater Street N-Y. 
Prof. Dr. Jaeger’s Monatsblatt. 8. Jahrgang. Heft 5. Mai 1889. Stuttgart. 
W. Kohlhammer. 

International Jornal of Surgery, devoted exclusively to the theory and Practice 
of modern surgery. Vol. II. April/June 1889. Nr. 4/6. Single Number 15 cts. 
Yearly supscription. Sh. 1 —. For contents See Page III. January 1889. 

NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheitspflege* 
interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung an die Herren 
Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der beschränkte Raum dieser 
Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine Verpflichtung zur Besprechung 
oder Rücksendung nicht besprochener Werke wird in keinem Falle übernommen; 
es muss in Fällen, wo aus besonderen Gründen keine Besprechung erfolgt, die 
Aufnahme des ausführlichen Titels, Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises 
an dieser Stelle den Herren Einsendern genügen. 

Die Verlagshandlung. 


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Ein Streifzug 

durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. 

Von 

G. E. Aird. 

(Warschau.) 


II. 

Auch die öffentliche Gesundheitspflege ist Krankenpflege, so¬ 
fern wir nämlich die gesammte Menschheit als Patienten, die zu 
hohe Mortalität der Gegenwart als eine im Schwinden begriffene 
Krankheit und die mannigfaltigen nachtheiligen Einflüsse, wie sie 
durch die Art unserer Lebensweise oder die Art der Lokalverhält¬ 
nisse bedingt sind, als Ursachen dieser Krankheit anerkennen. Das 
Gebiet, in welchem die öffentliche Gesundheitspflege zu wirken 
hat, ist allerdings ein ungeheures; sie hat indessen in der grossen 
Mehrzahl ihrer Lande gewaltige Siege, herrliche Erfolge zu ver¬ 
zeichnen; sie war wohl auch niemals auf ein Defensivgefecht be¬ 
schränkt, aber heute ist sie entschieden in der günstigen Lage, die 
Offensive kräftig fortzuführen, und alle ihre Freunde und Jünger 
von Beruf scheinen bereit, den Satz zu unterschreiben: „Ihr Vater¬ 
land muss grösser sein!“ 

Und dennoch gibt es in diesem Reiche der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege eine Reihe von Gebieten, die, zum Theil wohl ihrer 
wenig einladenden Eigenschaften wegen, recht stiefmütterlich be¬ 
handelt wurden. Ein solcher ist, meiner unmassgeblichen Ansicht 
nach die Installation des Hauses mit einer Wasser-Zu- und Abfluss¬ 
leitung, und ich empfinde das augenblicklich um so schwerer, als 
grade in den nachstehenden Seiten von den wichtigeren Einzel¬ 
heiten bei der Anlage namentlich häuslicher Abflussleitungen aus¬ 
führlicher zu sprechen ist. Im Vergleich mit der Canalisation von 
ganzen Städten erscheint ja die Installation eines einzelnen Ge¬ 
bäudes allerdings schon herzlich unbedeutend, und ein längerer 
Aufsatz über dieses Thema nur zu leicht wie schriftliche Kleinig¬ 
keitskrämerei. Ja, wer nicht durch den eigenen Beruf auf die 
vielfach interessanten Details des Gegenstandes hingewiesen wird, 

Centralbiatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 23 


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sieht wohl bald mit Gleichgültigkeit oder gar mit eingebildeter 
Ueberlegenheit auf diese scheinbare Flickarbeit hinab. Aber an 
dieser Stelle habe ich wohl nicht zu fürchten, dass eine Besprechung, 
wie ich sie heute bieten möchte, aus solchen Gründen nicht doch 
noch interessirte Leser finden sollte. Sehe ich doch an mir selbst, 
wie leicht es ist, sich der Bedeutung dieses Themas zu erschliessen; 
und so will ich denn getrost eine Zeitlang nur von Installation 
und diesbezüglichem Kleinkram reden. Honny soit, qui mal y pense! 


Die erste Forderung, welche an eine der Vollkommenheit nahe 
Hausentwässerungsanlage gestellt werden muss, ist die, dass die 
ganze Anlage in allen ihren Haupt- und Nebentheilen die grösst- 
mögliche Einfachheit in Bezug auf Gonstruction aufweise, während 
sie natürlich bei alledem ihren eigentlichen Zweck nach jeder Rich¬ 
tung hin erfüllen muss, denn auf den natürlichsten Wegen und 
mit den einfachsten Mitteln ein hochgestelltes Ziel zu erreichen, 
das eben ist ja die Kunst. — 

Ueber die Details der Hausentwässerungsconstructionen (es sei 
zunächst vom Schwemmsystem allein die Rede) gehen in England, 
Deutschland und Amerika die Ansichten der Specialisten gründlich 
auseinander. Der Natur der Sache nach lässt sich die oben auf¬ 
gestellte Forderung nur erfüllen, solange der angestrebte Zweck 
uns klar vor Augen bleibt, und in der Praxis zeigt fast jeder 
Schritt die Licht- und Schattenseiten, die gegeneinander abzuwägen 
sind, entsprechend den Forderungen der Technik, der Hygiene und 
der augenblicklich vorliegenden Verhältnisse des Locales. Das 
Mittel, welches in England zu Erfolgen führt, kann grade in Deutsch¬ 
land einen Misserfolg begründen, und wenn z. B. seitens der Herren 
Corfield und Parkes gesagt wird, dass als Material für Fall¬ 
rohren in erster Linie Walzblei zu verwenden sei resp. gepresstes 
Bleirohr ohne Naht, so lässt sich von Deutschland aus recht viel 
dagegen sagen. Die Möglichkeit, bei gepresstem Bleirohr eine 
grosse Dichtheit der wenig zahlreichen Verbindungen zu erzielen, 
liegt freilich vor; dass dies indessen bei gusseisernen Fallsträngen 
nicht in gleichem Maass der Fall sei — es geht hier nur um 
Unterschiede von wirklich praktischer Bedeutung — ist ohne 
Zweifel zu bestreiten. Wir haben ausserdem am Gussrohr noch 
den Vorzug seiner Stärke und seiner Widerstandsfähigkeit gegen 
Stösse und Pressungen irgend welcher Art. Bleirohr, im Innern 
der Häuser angebracht, erfordert immer eine schützende Ver¬ 
schalung (bei Mauerkreuzungen auch eine Verpackung gegen Corrosion 
durch Mörtel) und diese vertheuert nicht nur die Anlage, sondern 
sie entzieht auch etwa auftretende Beschädigungen, wie solche 


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häufig durch Unvorsichtigkeit und durch das Zernagen des Rohrs von 
Mäusen und Ratten bewirkt werden, den Blicken der Bewohner. Das 
ist an sich ein Umstand von recht erheblicher Bedeutung. Nun sollen 
aber nach Prof. Corfield die Fallrohren überhaupt, wenn irgend 
thunlich, nicht im Innern der Gebäude, sondern an deren Aussen- 
wand herunterführen, und das erscheint in Deutschland nicht 
nur nahezu unmöglich — denn in unserem Klima wäre jedes Ab¬ 
fallrohr, und sei es auch von 10 cm 1. W., dem Einfrieren in jedem 
Winter ausgesetzt — sondern es ginge uns auch in anderer Hin¬ 
sicht ein grosser Vortheil zum allergrössten Theil verloren, nämlich 
die in England allgemein verpönte, in Deutschland aber fasst all¬ 
gemein geübte Ausnutzung der Fallrohren zur Ventilation der 
Hausentwässerungsanlage und des Strassennetzes. Und damit sind 
wir an die grosse Kluft getreten, welche die englische und ameri¬ 
kanische von der deutschen Hausentwässerungsmethode scheidet. 

Es handelt sich darum, das Eindringen der Canalgase in das 
Haus zu verhüten, und da dieselben in allen Fall- und Abflussrohren 
in concentrirterer Form um so schneller gebildet werden, je weniger 
frische Luft den Röhren zugeführt wird, so kommt viel darauf an, 
dass das gesammte Rohrnetz gründlich durchgelüftet werde. 

So häufig übrigens auch behauptet worden ist, dass die Canal¬ 
gase Träger von lebenden oder lebensfähigen Krankheitskeimen 
seien, und so wenig ich mich selbst berufen oder im Stande fühle, 
medicinisch und naturwissenschaftlich gebildeten Vertretern dieser 
Meinung zu widersprechen, — der Beweis dafür, dass die Canal¬ 
luft wirklich Krankheitskeime trage, ist jedenfalls noch nicht er¬ 
bracht; im Gegentheil, die angestellten Versuche ergaben meist, 
dass Canalgase ganz ungewöhnlich frei von Mici*oorganismen waren, 
und so sehe ich denn einstweilen in den Canalgasen auch weiter 
nichts als sehr verdorbene übelriechende Luft. Ich weiss nun 
aber aus persönlicher Erfahrung, dass Hausbesitzer durch das Ein¬ 
strömen von Canalluft oft genug an den Rand der Verzweiflung 
gebracht werden, und sicherlich gewährt die mehr oder minder 
grosse Bereitwilligkeit, mit welcher der Einzelne ganz bedeutende 
Summen opfert, um diesem Uebelstande abzuhelfen, einen ziemlich 
zuverlässigen Maassstab für die Wichtigkeit im Einzelfalle und für 
das Maass der Leiden, die Jener zu ertragen hatte. — Und andrer¬ 
seits bin ich auch selbst eine ziemlich empfindliche Natur und ich 
weiss wie mir selbst zu Muthe wird, so oft ich genöthigt bin, in 
einem Wohnraum mich üblen Gerüchen auszusetzen. Solche rein 
praktische Erfahrungen haben mich denn, wie gesagt, schon lange 
davon überzeugt, dass durch das Einströmen von Canalluft in ge¬ 
schlossene und bewohnte Räume hochgradige Uebelkeit und auch 
ein körperlicher Schwächezustand hervorgerufen werden kann, der 
nach anderen Erfahrungen und Beobachtungen wieder ein Indivi- 


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duum für mancherlei Krankheit leicht empfänglich macht. — Es 
sprechen sich nun heute sicherlich ebensoviele Hygieniker aller in 
Frage kommenden Nationen für die Schädlichkeit der Canalgase 
aus, als Gegner ihre Schädlichkeit bestreiten, und wollte man sich 
also nur nach diesen Meinungsäusserungen richten, man wüsste 
nie, woran man glauben soll. Wer aber auf diesem Gebiete selbst 
handeln muss, sieht sich gewungen, selbst zu denken und sich 
selbst eine Meinung auszubilden, und er sollte dann den Math 
auch haben, diese persönliche Meinung offen zu vertreten. Prak¬ 
tische Erfahrungen führen auch zu Ueberzeugungen, welche durch 
theorethische Gründe sehr schwer zu erschüttern sind, und es wird 
Niemanden wundern, wenn Leute, die sich in persönlicher Beobach¬ 
tung von den unerfreulichen Eigenschaften der Canalgase über¬ 
zeugen konnten, an ihrer diesbezüglichen Auffassung festhalten 
wollen, trotzdem ihnen z. B. von Chemikern haarscharf nachgewiesen 
wird, dass die Canalluft sich nur aus so und so vielen Theilen von 
diesen oder jenen Gasen bilde, und dass ihre Besorgniss also unbe¬ 
gründet sei. — Wie bald die Luft im Innern von Abflussleitungen in den 
von mir für schädlich gehaltenen Zustand gebracht wird, konnte 
ich an gewöhnlichen Küchenausgussbecken oft beobachten. Noch in 
neuester Zeit kam ich zuweilen an einen Küchenausguss, der an 
einem recht kühlen Orte angebracht war, der aber noch gar nicht 
besonders schmutzige oder mit Küchen-Abfällen vermischte Wässer 
aufzunehmen hatte. Der Ausguss war mit einem der üblichen Ge¬ 
ruchverschlüsse versehen, und die Abflussöffnung wie sonst gebräuch¬ 
lich mit einem festen Sieb verschlossen. Zwischen dem Wasser¬ 
spiegel des Geruchverschlusses und dem kleinen Siebe befand sich 
natürlich stets eine gewisse Luftmenge, welche wegen der kühlen 
Lage an dieser Stelle während längerer Zeit fast unbeweglich 
blieb, während sie bei plötzlich starker Oeffnung des über dem 
Becken angebrachten Wasserhahns verdrängt und dem vor dem 
Becken Stehenden zugetrieben wurde. Und ich kann versichern, 
dass mir aus dieser kleinen Oeffnung sehr oft ein geradezu ekel¬ 
erregender Geruch entgegenströmte, trotzdem die ausgegossenen 
Wässer verhälnissmässig rein sind, trotzdem der Ausguss unzählige 
Male an jedem Tage durchgespült wird und trotzdem die innere 
Rohrfläche, welche die dort befindliche Luft umschliesst, auf höch¬ 
stens 2,5 qdm zu schätzen ist. Je nachdem also bei jedem einzelnen 
Fallrohr die Localverhältnisse eine Rolle spielen, muss in ihnen 
stagnirende Luft in kürzester Zeit schon stark verdorben werden, 
und bereits hierin documentirt sich die unbedingte Nothwendigkeit 
einer gründlichen Lüftung aller Fallrohrstränge. 

Wie dies nun am Richtigsten zu bewirken sei, darüber eben gehen 
die Urtheile auseinander. Die Ansichten, welche in dem Gorfield'- 
Werk über diesen Punkt vertreten werden, dürfen sicherlich als 


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die der hervorragendsten englischen Repräsentanten dieses Faches 
hingenommen werden. Sie müssen nichtsdestoweniger stellenweise 
Kopfschütteln hervorrufen und namentlich bei denen, welche die 
dauernd günstige Wirksamkeit der in Deutschland gebräuchlichsten 
Methode selbst beobachten konnten. So äussert sich Prof. Cor- 
field z. B. (pag. 145—140) dahin, dass Fallrohren in gewissen 
Fähen und namentlich dann, wenn sie im Innern der Gebäude 
hochgeführt werden müssten, durch einen am unteren Ende anzu¬ 
bringenden Geruchverschluss von der Grundleitung abzuschliessen 
seien. Ich hebe ausdrücklich hervor, dass ich noch nicht von der 
Einschaltung eines Wasser Verschlusses in das Haupt- oder Stamm¬ 
rohr des Hausentwässerungsnetzes rede; es handelt sich vielmehr 
vorläufig darum, dass englischerseits die Anbringung von Wasser¬ 
verschlüssen am Fusse der einzelnen Fallrohren empfohlen 
wird, sofern dieselben im Innern der Gebäude hochgeführt sind, 
und das Letztere ist wie gesagt ein nach englischen Regeln ab¬ 
normes und jedenfalls besser zu vermeidendes Verfahren. Die 
Grundleitung soll in solchen Fällen durch besondere Ventilations¬ 
röhren, die an der Aussenwand der Gebäude hochgeführt sind, 
durchgelüftet werden. Gestützt auf eigene Beobachtungen stelle 
ich dieses Verfahren, um mich einer sehr gesuchten Wendung zu 
bedienen, als „übertriebene Vorsicht“ hin; es ist eine Vorsichts- 
massregel, die nothgedrungen ihren Zweck verfehlt, das lehrt schon 
folgende Betrachtung: 

Wird ein Fallrohr bei allen Eingüssen und ausserdem am 
unteren Ende durch einen Wasserverschluss gesperrt, so dass nur 
über Dach der Luft eine einzige Oeffnung bleibt, so muss natür¬ 
lich entweder eine Stagnation der in dem Fallrohr eingeschlossenen 
Luft eintreten, und grade dies ist zu vermeiden, oder aber, wenn 
dennoch irgend eine schwache Circulation zu Stande kommt, so 
kann dies nur dadurch geschehen, dass Luft aus der Grundleitung 
in Folge von Stauung oder Rückstössen durch den Wasserver¬ 
schluss am Fusse des Fallrohrs hindurch getrieben wird. Da also 
dieser Verschluss nicht immer wirksam bliebe, so wäre er vor 
allen Dingen überflüssig; da er ausserdem die Luftcirculation im 
Fallrohr nahezu unmöglich macht, so ist er schon aus diesem 
Grunde schädlich; aber drittens wäre er für Alle, welche meine un¬ 
massgeblichen Ansichten über die Wirkung der Canalluft theilen, 
und überall da, wo Ventilationsröhren zweiter Ordnung nicht vor¬ 
handen sind — wie auf dem Continent noch in der grossen Mehr¬ 
zahl aller Fälle — aus folgendem Grunde gradezu gefährlich: Wird 
in das allseitig geschlossene Fallrohr aus einer der oberen Etagen 
eine grössere Wassermasse plötzlich entleert, so wird das fallende 
Wasser auf die eingeschlossene und durch Stagnation verdorbene 
Luft einen nach den Seiten gleichmässig vertheilten Druck aus- 


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üben, und die Luft wird gezwungen, einen der hinderlichen Wasser¬ 
verschlüsse zu durchbrechen. Dies wird ihr aber am leichtesten 
da gelingen, wo eben zuerst der momentane Druck am grössten, 
und wo die Verschlüsse ausserdem am schwächsten sind, also nicht 
etwa am Fusse des Fallrohrs, sondern höher oben, unter irgend 
einem Ausguss, einem Pissoir oder unter einer Badewanne. Kurz, 
grade durch die Gegenwart des unteren Verschlusses wird die 
durch Stagnation verdorbene Luft gewaltsam in die bewohnten 
Räume eingeführt. Ich bin denn auch kaum im Stande mich über 
den Gedanken hinwegzusetzen, dass eben durch die englische 
Ventilationsmethode eine Stagnation und Lu fl Verschlechterung erst 
geschaffen wird, wie sie vorhanden sein muss, wenn die doch 
übergrosse Fülle von traurigen Erfahrungen, die in England mit 
dem Eindringen der Canalgase gemacht worden sind, einer ernsten 
Begründung nicht entbehrt. Ein Vergleich dieser englischen Ver¬ 
hältnisse mit den deutschen verlangt aber stets die allergrösste 
Vorsicht, und möchte ich namentlich im vorliegenden Falle auch 
daran erinnern, dass es sich bei den meisten englischen Städten 
um Strassencanäle handelt, die wesentlich älter als die der neu- 
canalisirten deutschen Städte sind. Sie weisen deshalb zum grossen 
Theil entsprechende constructive Fehler auf, und diese dürften 
wohl im Stande sein, auch auf die beste Hausentwässerungs¬ 
anlage einen recht nachtheiligen Einfluss auszuüben. 

Nach dem in Deutschland verbreitetsten System ist der oben 
beschriebene Abschluss der durch das Hausinnere aufsteigenden 
Röhren unbedingt vermieden, und die den praktischen Ausfüh¬ 
rungen zu Grunde liegende Theorie besagt, dass infolge der warmen 
Lage der Hausabfallröhren eine Erwärmung d. h. also auch ein 
Auftrieb der in den Röhren eingeschlossenen Luft entstehe und 
es sei also unbedingt erforderlich, dass von unten her ein Ersatz 
durch frische Luft ermöglicht werde. Was die Entnahmequelle 
dieser Luft betrifft, so stehen sich auch hier wieder die Theorie 
und die Praxis von England und Deutschland gegenüber. Nach 
dem fast überall in Deutschland eingeschlagenen Verfahren werden, 
wie gesagt, die Hausabfallröhren zur Ventilation des ganzen Haus¬ 
entwässerungsnetzes und selbst der Strassencanäle ausgenutzt, und 
es kommt also im grossen Ganzen eine Luftcirculation in der 
Weise zu Stande, dass frische atmosphärische Luft durch die 
Mannlöcher etc. in die Strassencanäle eindringt, die Hausentwässe¬ 
rungsröhren stromaufwärts durchstreicht und schliesslich durch 
die erwärmten Fallrohren über die Dächer der Gebäude enipor- 
getrieben wird. Selbstverständlich geht diese Circulation nicht 
immer gleichartig, sondern mit unzähligen Variationen und Aus¬ 
nahmen von statten. Da ferner in vielen Fällen der Gesammt- 
querschnitt aller Fallrohren eines Grundstückes den der Grundlei- 


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tung an Grösse wesentlich übertrifft, so muss nothwendigerweise 
in der Letzteren eine grössere Luftgeschwindigkeit als in den 
Fallrohren eintreten; es ist indessen hieraus noch nicht auf die 
Grösse der Luftentnahme aus dem Strassencanal zu schliessen, denn 
es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass oft in den kalt liegenden 
Regenröhren auf dem Hofe z. B. ein absteigender Luftstrom 
grade durch den aufsteigenden im Innern des Gebäudes hervor¬ 
gerufen wird. Den grösseren Theil der Ersatzluft für das Fall¬ 
rohr liefert aber immerhin der Strassencanal; es ist das nicht nur 
eine Annahme, sondern durch directe Beobachtung ist die Existenz 
der in das Hausentwässerungsrohr eintretenden Luftströmung längst 
erwiesen. 

Diesem schon vielgeprüften deutschen Lüftungssystem gegen¬ 
über steht nun das englische und amerikanische l ) Verfahren, dem¬ 
zufolge das Hauptentwässerungsrohr des Grundstückes, bevor es 
das Gebäude verlässt, durch einen Wasser Verschluss gegen das 
Eindringen von Canalluft abzusperren wäre. Es soll dann an 
diesem Wasser Verschluss gleichzeitig eine Oeffnung nach der Strasse 
vorgesehen sein, welche den Eintritt ganz frischer atmosphärischer 
Luft in das Hausentwässerungsnetz ermöglicht. Die Canalluft soll 
also vom Hause noch wirksamer abgeschlossen und eine Durch¬ 
spülung des Rohrinnern mit frischerer Luft geschaffen werden. 
Das sind beabsichtigte Verbesserungen und nur scheinbare Vor¬ 
züge, denn es ist Folgendes gegen das Verfahren einzuwenden. 
Einmal bildet sich nicht nur in dem Strassencanal sondern grade 
hauptsächlich schon in dem Hausentwässerungsnetz mit all seinen 
Verzweigungen und vielfach wasserfreien Röhren die übelriechende 
Canalluft und es wäre also im Grunde genommen die Absperrung 
des Zuschusses von dem Strassencanal von keiner wesentlichen 
Bedeutung. Der Eintritt frischer Luft an der Hausfront, welcher 
unter besonders günstigen Umständen die Bildung übler Gase im 
Hausrohr ganz verhindern und sonst wenigstens die verdorbene 
Luft verdünnen dürfte, würde wohl Jedem sehr empfehlenswerth 
erscheinen, wenn mit dieser Einrichtung nicht auch der zeitweilige 
Austritt der Canalluft aus dem Rohrinnern durch die neue „Ein- 
tritts“-Oeffnung verbunden wäre. Ein solcher Austritt wird aber 
in derselben Weise geschehen, wie stets bei Einsteigeöffnungen 
oder Ventilationslöchern für den Strassencanal, und während der 
zeitweilige Austritt von Canalluft in der Strassenmitte, wo fast 
immer eine stärkere Luftbewegung herrscht, noch acceptable er¬ 
scheint, ist von demselben Austritt an der Hausfront und dem 
Bürgersteige, namentlich an warmen Sommertagen, eine Belästigung 


1) Waring, der bekanntlich ein „Separat-System* geschaffen hat, gehört 
zu den Ausnahmen. Er verwirft den Hauptwasserverschluss. 


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der Passanten und der Parterrebewohner zu befürchten. Die 
ängstliche Sorgfalt, mit der man in England die Fernhaltung 
aller Ventilationsröhren von jedem Fenster und die Ausmündung 
der Röhren über Dach weit ab von jedem Schornstein .fordert, 
macht sich ganz gut neben einer am Strassentrottoir belegenen 
„Eintritts u -Oeffnung, die oft sehr warm empfohlen wird! — Und 
dazu kommt nun, dass der Wasserverschluss seinen Zweck ent¬ 
schieden nur vorübergehend erfüllen kann, denn jeder Rück¬ 
stau u. s. w. treibt die Ganalluft durch den Verschluss zum Haus¬ 
rohr hin und macht damit den ganzen Abschluss illusorisch. Es 
Hesse sich freilich die Passantenbelästigung vermeiden, wenn man 
ein Lufteintrittsrohr bis über das Dach nach oben führte, und 
man könnte das Durchbrechen des Wasser Verschlusses hindern, 
wenn man von seiner ferneren, dem Strassencanal zugekehrten 
Seite gleichfalls ein Ventilationsrohr bis über das Dach nach oben 
brächte. Aber diese Röhren dürften natürlich nicht vereinigt werden, 
und wir müssten also zwei neue Rohrstränge bis über das Dach des 
Hauses führen, um einem einzigen Wasserschluss zu seiner Zweck¬ 
erfüllung zu verhelfen — ist das wohl der Mühe und des Geldes werth? 
— Es hat nun schliesslich das Einschalten von Wasserverschlüssen 
in Grundleitungen fast ausnahmlos den sehr betonenswerthen Nach¬ 
theil, dass ein ungestörter Abfluss unterbrochen und erfahrungs- 
gemäss eine sehr unbequeme Gelegenheit für die Bildung von Rohr¬ 
verstopfungen neu geschaffen wird. Wenn man also bedenkt, dass 
namentlich aus dem letztgenannten Grunde der Wasserverschluss 
zugänglich anzulegen ist — was in einer Stadt wie etwa Warschau, 
wo die Canäle oft 6 bis 8 m tief unter der Strassenoberfläche liegen 
und wo dennoch zu scharfe Gefälle vermieden werden müssen, be¬ 
deutende Kosten mit sich brächte — und wenn man ferner sich 
erinnert, dass bei diesem Verfahren eine wirklich gleich wirksame 
und gleich billige Ventilation der Strassencanäle noch geschaffen 
werden müsste — eine Aufgabe, die von den Freunden solcher 
Wasserverschlüsse vor allen Dingen erst zu lösen ist — wenn man 
endlich die oben begründete Werthlosigkeit des ganzen Verschlusses 
in Erwägung zieht, so gelangt man leicht zu einer entschiedenen 
Verurtheilung des hier geschilderten Verfahrens, denn er sieht ja 
im grellsten Widerspruch zu der Forderung, „dass die ganze An¬ 
lage in allen ihren Haupt- und Nebentheilen die grosstmögliche 
Einfachheit in Bezug auf Construction aufweise, während sie na¬ 
türlich bei alledem ihren eigentlichen Zweck nach jeder Richtung 
hin erfüllen muss.“ — 

Ist ein solcher Hauptwasserverschluss am Stammrohr des 
Hausentwässerungsnetzes nicht auf beiden Seiten mit der freien 
Luft in Verbindung gebracht, wie oben schon beschrieben wurde, 
so ist seine Einschaltung ohne jeden Zweifel zweck- und werthlos 


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und es ist dies z. B. gegenüber der Kölner Polizeiverordnung vom 
18. Mai 1887 besonders scharf hervorzuheben. Zu Denen, welche 
die Einschaltung solcher Wasserverschlüsse für einen Fortschritt 
halten — vielleicht weil diese Methode aus England eingeschleppt 
wird — gehört auch Herr M. Knauff in Berlin. In Nr. 16 des 
Ges. Ing. (1888) veröffentlicht er eine kurze Besprechung der 
Kölner Polizeibestimmungen. Er erfreut sich an der Verfügung 
über die Einschaltung des Wasserverschlusses, ohne seine Ansicht 
über den Gegenstand des Näheren zu begründen, und er übersieht 
dann offenbar, dass nach dem recht lau gehaltenen § 6 der Kölner 
Polizeiverordnung die in Wirklichkeit unerlässliche Lüftung des 
Verschlusses nur in dem Falle gefordert wird, wenn dieser grade „auf 
einem freien Vorhofe oder im Vorgarten angelegt ist.“ Selbst 
dann soll ja aber die Lüftung immer nur derart erfolgen, dass die 
Ausströmung von Luft aus dem Strassencanal verhindert wird. 
In welcher Weise dann die Strassencanäle gut zu ventiliren sind, 
ist in jener Verordnung freilich nicht gesagt. — Wesentlich wichtiger 
als die Freude des Herrn Kn au ff über diese Wasserverschluss-Ver¬ 
fügung erscheint mir der Schlussgedanke seines Artikels, den ich 
jetzt mit einem nachträglichen Hinweis auf den ersten Abschnitt 
dieser Arbeit citire und der offenbar Herrn Knauff’s persönliche 
Empfindung nach Durchsicht der Kölner Bestimmungen wider¬ 
spiegelt. Er sagt da: „Eine nothwendige Folge der beabsichtigten 
Durchführung der gedachten Polizeiverordnung ist nun vor Allem 
die, dass die Bauausführung der Hausentwässerungs- 
Anlagen in Köln auf das Schärfste überwacht werde. 
Selbst für so manchen tüchtigen Wasserfachmann gilt es dort, viel 
Altes zu vergessen, noch mehr Neues zu erlernen und in Anwen¬ 
dung zu bringen und namentlich in richtiger und überlegter 
Weise die für die Lüftung des Hausrohrnetzes erforderlichen Ein¬ 
richtungen zu treffen.“ Herr Knauff ist sogar voller Zuversicht, 
dass Alles dies geschehen werde und dass auch die Stadt recht 
reiche Mittel zur Beschäftigung eines grossen Canalisations-Polizei- 
Personals beschaffen werde. — 

Bei Abflussleitungen für schmutziges Wasser ist noch strenger 
als bei Druckröhren auf eine Verhütung schroffer Richtungsände¬ 
rungen in der Leitung selbst und überhaupt auch darauf Werth 
zu legen, dass der Bewegung des Wassers möglichst geringe Hinder¬ 
nisse entgegengehalten werden, und jeder Apparat, der gegenüber 
seiner Störung der Abflussbewegung nicht mindestens unbedingt 
und in denkbar vollkommenster Weise einen wichtigen sonstigen 
Zweck erfüllt, ist ohne Rücksicht zu verwerfen. Dies gilt denn 
auch nicht nur von den Wasserverschlüssen, sondern es ist nament¬ 
lich gegenüber den bisher gebräuchlichen Schutzmitteln gegen den 
Rückstau einzuwenden. Wir benöthigen allerdings eines sicheren 


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Schutzes gegen den Rückstau vom Canal; die bisherigen selbst¬ 
tätigen Vorrichtungen sind indessen als keineswegs zweckent¬ 
sprechend zu bezeichnen. So ist in Berlin z. B. die Einschaltung 
einer Rückstauklappe in das Hauptrohr vorgeschrieben. Das meist 
sehr flach verlegte Abflussrohr erweitert sich unmittelbar hinter der 
Hausfront zu einem vierseitigen Kasten, dessen oberer Boden gleich¬ 
zeitig der Deckel und als solcher zu Reinigungszwecken abzunehmen 
und dann mit Hülfe einer Schraube von Neuem zu befestigen ist. 
Wo das Abflussrohr nun in diesen Kasten übergeht oder einmündet, 
da hängt eine kreisrunde eiserne Klappe gerade vor dem Rohr, 
welche durch ihr eigenes Gewicht die offene Mündung schon ver- 
schliesst. Ein leichter Druck des abfliessenden Wassers genügt 
aber, um die Klappe zu heben und den Abfluss dem Wasser wieder 
frei zu machen. Steigt dagegen vom Canal her Rückstauwasser 
in der Leitung aufwärts, so drückt es selbst die Klappe auf die 
Oeflfnung nieder, und je stärker der Druck vom Strassencanal, um 
so fester und dichter natürlich der Verschluss. — So die Theorie; 
die Praxis lehrt aber, dass solche Klappen trotz alledem gar nicht 
zu empfehlen sind, denn erstens stören sie den günstigen Abfluss 
ganz gewaltig, indem sie alle möglichen grösseren und festeren 
Stoffe zurückhalten und dadurch oft zu Rohrverstopfungen den 
unerwünschten Anlass geben; andererseits erfüllen sie ihren Zweck 
durchaus nicht, wie man es erwarten sollte, denn es braucht sich 
z. B. nur etwas Papier oder dergleichen über die Dichtungsleiste 
der Klappe zu legen, so kann diese schon nicht mehr völlig schliessen 
und an dem ganzen Umfang einer solchen Klappe bleibt dann ein 
Spalt, durch welchen das Rückstauwasser ungehindert aufwärts in 
das Haus passirt. — — 

Grade für eine systematische Ventilation der Strassencanäle, 
von der wir ja vor Kurzem sprachen, sind die Hausabfallröhren 
von der allergrössten Bedeutung. Durch die modernen Regen¬ 
röhren könnten sie natürlich nicht ersetzt werden und zwar erstens 
nicht, weil diese sich bei Regengüssen zu gleicher Zeit mit Wasser 
füllen; zweitens nicht, weil sie meist zu kalt gelegen sind, 
und drittens nicht, weil sie ohne dicht zu sein, zu nahe an den 
Fenstern der Häuser liegen. Die Lüftung nur durch eine grosse 
Zahl von Ventilationsschächten oder Oeflfnungen in der Strassen- 
mitte zu bewirken, hiesse den Anforderungen der Hygiene nicht 
genügen, denn es ist zu verlangen, dass die schlechte Canalluft vor 
ihrer Verdünnung über die direct zu unserem Lebensbedarf bestimmte 
Luftschicht hochgehoben werde. Es ist andererseits schon wieder¬ 
holt versucht worden, Ventilationsstürme mit künstlicher Zugvor¬ 
richtung (Flammen) einzuführen. Sie wurden z. B. in englischen 
Städten und in Frankfurt a. M. an höchsten Punkten errichtet und 
waren bestimmt, womöglich ein ganzes Rohrnetz zu ventiliren; in 


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ähnlicher Weise war man oft bemüht, die grösseren Fabrikschorn¬ 
steine auszunutzen. Es hat sich aber bald gezeigt, dass sie ihren 
Zweck aus den einfachsten Gründen nicht erfüllen können. Ihre 
Wirkung bleibt immer auf ein verhältnissmässig kleines Gebiet be¬ 
schränkt und bietet für den Canal auch keineswegs die erwartete 
Lüftung, weil der starke, in dem Ventilationschacht emporgetriebene 
Luftstrom nicht allein von dem Strassencanal, sondern zum grossen 
Theil durch die nächstgelegenen Regenröhren zugeführt wird. Grade 
dies weisst denn auch auf den grössten "Vorzug der Ventilation 
durch die Abfallröhren in den Häusern hin, welcher eben darin 
besteht, dass diese in sehr grosser Anzahl überall gleichmässig auf 
das ganze Strassennetz vertheilt sind. — 

Jetzt wird es nun freilich in um so höherem Masse nöthig, 
das Eindringen der durch die Häuser emporgeführten Canalluft in 
das Innere der bewohnten Räume zu verhüten und dazu ist es 
erstens erforderlich, richtig construirte Wasser Verschlüsse an allen 
Ausguss- oder Abflussöffnungen der einzelnen Wohnung einzurichten, 
und zweitens wieder, durch eine zweckentsprechende Ventilations¬ 
vorrichtung das Durchbrechen derselben zu verhindern. 

Die lichte Weite der Wasserverschlüsse hat überall dem Durch¬ 
messer des erforderlichen Abflussrohrs zu entsprechen, an welches 
sie angeschlossen sind, und für die Tiefe des Wasserverschlusses 
ist bei Closets 7,5 cm und bei Auslässen von 4—7,5 cm lichter Weite 
5 cm zu fordern. Es ist ferner zu verlangen, dass an keiner Stelle 
der Verschlusskrümmung die lichte Weite geringer als die der be¬ 
treffenden Rohrleitung sei, und dass im Innern des Geruchver¬ 
schlusses, der grüncflichen Reinhaltung wegen, alle scharfen Kanten, 
Ecken und Winkel unbedingt vermieden werden. In England ist 
die Fabrication von Closetschalen mit Geruchverschluss aus einem 
einzigen Stück von mehreren Lieferanten zur Specialität entwickelt 
worden, wobei der Form natürlich die grösste Aufmerksamkeit ge¬ 
widmet wird. Es handelt sich darum, die Schüssel so zu gestalten, 
dass bei einer sehr kräftigen Spülung der ganze Inhalt derselben 
leicht entfernt wird, dass alle Wandungen des Beckens reinge¬ 
waschen werden, und dass zum Schluss eine gewisse Menge reinen 
Wassers den Boden der Schüssel wieder füllt. Ausserdem ist aber 
die Spülung auch wieder derart einzurichten, dass sie die Fäcalien 
nicht nur in den Geruchverschluss hinabwirft, sondern sie soll die¬ 
selben sofort und kräftig durch den ganzen Verschluss hindurch 
und in die Abflussleitung hinunter treiben. So vielseitigen Forde¬ 
rungen ganz zu genügen ist schwierig und es setzt eine ganz 
specielle Beschäftigung mit dem Gegenstand voraus. Die meisten 
der in Deutschland massenhaft fabricirten Closetschalen (und na¬ 
mentlich die sogenannten gusseisernen „Rundspüler“, auch „Closets 
zweiter Klasse“) sind entschieden zu bemängeln. Ein Fehler ist es 


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340 — 


einmal, wenn die Oeffnung zum Geruchverschluss ganz unuberdeckt 
in der Beckenmitte sich befindet; diese Oeffnung sollte dem Auge 
ganz entzogen werden. Die Rundspüler bewirken wohl eine ganz 
günstige und für das Modell sogar sehr einnehmende Wand¬ 
spülung, sie sind aber dafür in der Regel nicht im Stande, Fäcalien 
und Papier durch den Verschluss hindurch zu treiben und diese 
bleiben schliesslich in dem sichtbaren Wasser des Verschlusses 
liegen. Ein Fehler der feineren deutschen Closetsysteme ist wieder 
dadurch begründet, dass an einem directen Anschluss der Closets 
an die Wasserleitung festgehalten wird. Es wird hierdurch immer 
ein mehr oder minder complicirter Hebelmechanismus zur Oeffnung 
des Wasserspülhahns nöthig, welcher ganz und gar vermieden 
werden könnte, und Gründe, welche dies als wünschenswerth er¬ 
scheinen lassen, sind ja in grosser Zahl vorhanden. Am Mecha¬ 
nismus selbst und auch am Absperrhahn sind ewig Reparaturen 
nöthig. Da übrigens die Spülung immer nur so lange dauert, als 
der Benutzende den Hebel anzieht oder in anderen Fällen nieder¬ 
drückt, so hat das Publicum schon Unbequemlichkeiten, die bei 
den erwähnten Rundspülern sich sogar zu einer wahren Qual ge¬ 
stalten, wenn man entschlossen ist, mit seinem guten Willen durch¬ 
zudringen. — Die meist ziemlich schnell schliessenden Closethähne 
bringen binnen verhältnissmässig kurzer Zeit auch Rohrbruche zu 
Stande (namentlich in den Krümmungen unmittelbar am Anschluss 
des Closets und wenn die Zuflussleitung dort in einem so wenig 
elastischen Material wie Bleirohr ausgeführt ist), und endlich hat 
es vieles für sich, die Closets von der Trinkwasserleitung ganz zu 
scheiden. Dies wird z. B. durch die Aufstellung kleiner Spül¬ 
reservoirs erreicht, welche sich bei einem nur einen Moment er¬ 
fordernden Zug durch Heberwirkung ganz entleeren. Wenn hierbei 
der complicirte Hebelmechanismus an der Closetschale selbst be¬ 
seitigt wird, so darf er auch an dem Reservoir nicht wieder zum 
Vorschein kommen. Unzählig sind allerdings die patentirten Con- 
structionen dieser Spülreservoirs, nur schade, dass die wenigsten 
wirklich praktischen Werth besitzen. Alle diejenigen Behälter z. B., 
welche auf ihrem inneren Boden eine vorübergehend abgedichtete 
Oeffnung für den sturzweisen Abfluss des Wassers haben, sind 
überhaupt nicht zu empfehlen. Der ganze Apparat muss von der 
allergrössten Einfachheit sein, und der Abfluss ist einzig durch den 
Hebel selbst, und nicht etwa zum Anlass zuerst durch eine andere 
Oeffnung zu bewirken. — Die Aufstellung dieser Behälter gestattet 
denn auch die Anbringung der erwähnten englischen Porzellan- 
Cuvetten mit Geruchverschluss in einem Stück, und an ihnen ist 
gar kein Mechanismus, gar keine Gelegenheit zum undicht werden. 
Viele Fa?ons machen sogar eine eigentliche Holzverschalung völlig 
überflüssig, und ein leichtes Sitzbrett von dunkelpolirtem Holz zur 


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— 341 


grösseren Bequemlichkeit ist Alles, was gefordert wird 1 ). Aber 
eben diese Einfachheit ermöglicht dann die weitestgehende Sauber¬ 
keit. Namentlich anführen möchte ich: die „Excelsior-Cuvette“ 
(Bostel’s Patent), die neuesten Formen der Twyford’schen Cuvetten 
„National“ und „Unitas“, endlich die von der Firma Doulton & Go. 
in den Handel gebrachte Fa<jon. Vollkommen sind diese Schalen 
allerdings noch nicht; es ist z. B. die Tiefe der Wasserverschlüsse 
zuweilen geringer als zwei Zoll, auch erweisen sie sich in den 
Häusern der Bewohner des Continents oft in sofern als ein Danaer¬ 
geschenk, als es hier nicht für nöthig befunden wird, die am Ge¬ 
ruchverschluss schon angebrachte Ventilationsöffnung zu benutzen, 
wie das doch unbedingt geschehen sollte, — aber nichtsdestoweniger 
zeigen sich in Deutschland und Oesterreich bereits Imitationen, die 
meist ausserordentlich viel zu wünschen übrig lassen. Die oben 
genannten englischen Cuvetten stehen leider noch sehr hoch im 
Preise. Der vortheilhafte Ankauf derselben setzt ein gewisses Sach¬ 
verständnis voraus und sollte, meine ich, nur erfolgen, nachdem 
der Lieferant ein Muster der betreffenden Schale im Betrieb dem 
Käufer vorgeführt hat. 

Ein sehr beachtenswerther Einwand gegen alle diejenigen 
Schalen, welche mit dem Geruchverschluss aus einem Stück ge¬ 
formt sind, wird aber dennoch von Prof. Corfield vorgebracht. Er 
weist nämlich darauf hin, dass es schwierig ist, zwischen der Por- 
zellancuvette und dem Abflussrohr eine gute und dauerhafte Dich¬ 
tung herzustellen, und er fordert desshalb eine Trennung des Ge¬ 
ruchverschlusses von der Cuvette, damit die Leitung wenigstens bis 
zum Wasserverschluss vollkommen dicht sei und damit man die 
Closetschale, so oft es nöthig werden sollte, entfernen kann, ohne 
jedesmal die wichtigere Dichtung zwischen Wasserverschluss und 
Abflussleitung zu verletzen. 

Es folgt nun die Nothwendigkeit einer Sicherung der an einem 
Fallrohr angebrachten Geruchverschlüsse durch eine zweckent¬ 
sprechende Ventilation. — Da ein Wasserverschluss der gebräuch¬ 
licher) (S-)Form in der üblichen Lage sowohl leicht ausgesaugt als 
auch von Druck durchbrochen und geschwächt werden kann, so 
ist es nöthig dafür zu sorgen, dass sein Wasserspiegel die Luft- 
circulation durch den betreffenden Abzweig nicht unmöglich macht. 
Es ist daher auch längst entschieden worden, dass es von grossem 
Vortheil ist, die höchsten Punkte der Verschlüsse durch ein be¬ 
sonderes Ventilationsrohr (ein sogenanntes Ventilationsrohr zweiter 
Ordnung) zu verbinden und dieses zweite Luftrohr entweder oben 
durch das Dach in’s Freie oder über dem höchstgelegenen Wasser¬ 
verschluss in das Hauptventilations- und Fallrohr wieder einzu- 

1) Es ist englischer Brauch, dieses Sitzbrett zum Aufklappen einzurichten, 
so dass die Closetschössel (aber ohne den Sitz) ein Pissoir ersetzen kann. 


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— 342 — 


führen. Die Einwirkung einer drückenden oder saugenden Kraft 
auf den Wasserspiegel des Verschlusses von diesem Fallrohr aus 
ist nun verhindert, und der Verschluss bis zu einem recht hohen 
Grade schon gesichert. Gegen das Verdunsten des Wassers in 
solchen Verschlüssen kann dieses Verfahren allerdings nicht schützen. 
Ein derartiges Verdunsten kommt aber namentlich in Wohnungen 
vor, die den ganzen Sommer über unbenutzt sind. — Es erscheint 
mir ferner nicht richtig anzunehmen, dass ein Ventilationsrohr zweiter 
Ordnung nur dann erforderlich sei, wenn sich zwischen dem Ab¬ 
zweig im Fallrohr und dem Wasserverschluss ein längerer Ne¬ 
benarm befindet. Denn, ob in einem grösseren Nebenarm sich 
mehr Gase entwickeln können als in einem kurzen oder nicht, das 
kommt hierbei gar nicht in Betracht. Es handelt sich ja weniger 
darum, mit dem zweiten Ventilationsrohr der Gasentwicklung in 
solchen Nebenarmen zu begegnen, als vielmehr dafür zu sorgen, 
dass ein Nebenarm für den Luftstrom niemals zur Sackgasse werde. 
Eine kurze Sackgasse ermöglicht aber den Druck auf den Spiegel 
des Wasserverschlusses ebenso leicht, als eine lange, und der 
Theorie nach müsste also an jedem einzigen Wasser Verschluss 
die bezeichnete Lüftung eingerichtet werden. Für die Praxis ist 
allerdings noch zu gestatten, dass bei einem vereinzelten und in den 
oberen Etagen gelegenen Verschluss die besondere Ventilation er¬ 
lassen werde, wenn nicht specielle Verhältnisse des Locals dieselbe 
unvermeidlich machen. — In dem Corfield’schen Werk wird gleich¬ 
falls die Anordnung von Hülfsventilationsröhren sehr empfohlen und 
des Weiteren treffend ausgeführt, dass z. B. bei 10 cm weiten Fall¬ 
rohren für Glosets ein Hülfsventilationsrohr von 40 mm 1. W. 
genüge. Sei indessen das Closetfallrohr von geringerem Durch¬ 
messer, so müsse das zweite Ventilationsrohr schon mindestens 
5 cm 1. W. haben. Der leitende Gedanke hierbei ist nämlich der, 
dass bei starker Spülung eines höher gelegenen Closets ein 10 cm 
weites Fallrohr weniger leicht durch einen Wasserkolben ausgefüllt 
werden könne, als ein engeres, ln Deutschland sind für Closets 
allerdings noch engere Fallrohren als die von 10 cm 1. W. nicht 
mehr üblich. Bei Gerhard *) ist dagegen, und gewiss mit Recht, 
eine lichte Oeffnung von 10 cm schon die äusserste Grenze, welche 
für ein Fallrohr selbst bei der grössten Zahl der Anschlüsse nicht 
überschritten werden soll. Es ist wünschenswerth, dass dieser 
Grundsatz auch recht bald in Deutschland ganz allgemein Eingang 
findet. — 

Wie sehr schwierig es wird, eine Glosetschale nebst Wasser¬ 
verschluss, Ventilation und Anschluss an das Fallrohr so zu con- 

1) Der Ingenieur W. P. Gerhard in New-York ist der Verfasser einer 
ganzen Reihe von sehr beachtenswerthen Schriften über Hause^nalisation nach 
amerikanischem System. \ 


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343 


struiren, dass alle für berechtigt erkannten Wünsche erfüllt werden, 
ergibt sich schon daraus, dass gestellte Forderungen sich gegen¬ 
seitig aufzuheben scheinen. So verlangt man z. B. eine möglichst 
plötzliche und kräftige Spülung der Glosetschalen, um diese rein 
zu waschen und ihren Inhalt sofort durch den Geruch Verschluss 
hindurchzutreiben. Aber eine sehr kräftige Spülung hat zuweilen 
bedenkliche Nachtheile im Gefolge, denn gerade durch eine so 
rasche Entleerung grösserer Wassermengen wird ja die Bildung 
von Wasserkolben im Hauptfallrohr erleichtert und dabei ein Druck 
auf die übrigen Wasser verschlösse ausgeübt. Und bildet sich ein 
grosser Wasserkolben etwa schon in dem Nebenarm des Fallrohrs, 
und findet der Zufluss bis zum Ende so stark und so plötzlich wie 
der Abfluss statt, so kann der Wasserverschluss in Gemeinschaft 
mit dem Nebenarm sogar noch heberartig wirken, wobei dann der 
im Betrieb befindliche Geruchverschluss sich durch sich selbst ent¬ 
leeren muss. Dem letzteren Uebelstande kann oft dadurch abge¬ 
holfen werden, dass man die Ausflussöffnung des Beckens etc. etwas 
enger macht, als die lichte Oeffnung des Abflussrohrs und des Ge¬ 
ruchverschlusses. Doch möchte ich auch nachdrücklich darauf auf¬ 
merksam machen, dass der oft gehörten Meinung, ein saugender 
Wasserkolben bilde sich in einem Fallrohr immer nur dann, wenn 
der ungehemmte Zufluss stark genug ist, um eben von Beginn an 
den lichten Querschnitt auszufüllen, durch praktische Erfahrung 
widersprochen wird. Selbst wenn, wie es ja meist bei dem Ab¬ 
fluss durch einen Geruchverschluss der Fall ist, der Zufluss der¬ 
massen aufgehalten wird, dass er den Fallrohrquerschnitt selbst- 
thätig nicht erfüllen könnte, selbst dann ist die Bildung eines 
Wasserkolbens möglich und in der That auch gar nicht selten. 
Meine eigenen Beobachtungen haben mich davon überzeugt, dass 
die fallende Wassermasse durch den Widerstand der Luft, den sie 
im Rohr zu überwinden hat, schnell ausgebreitet wird, bis sie den 
lichten Querschnitt kolbenartig oder momentan vielleicht erst schei¬ 
benförmig ausfüllt. Der Widerstand der Luft hebt also die günstige 
hemmende Wirkung eines Geruch Verschlusses auf und der neuge¬ 
bildete Wasserkolben wirkt darauf doch wieder saugend oder 
drückend, und das natürlich namentlich dann, wenn ein Venti¬ 
lationsrohr zweiter Ordnung nicht vorhanden ist. — Ein Schutz 
gegen die Schwächung eines Verschlusses durch Rückstösse von 
dem Fallrohr her ist übrigens auch dadurch zu ermöglichen, dass 
man den Verschluss nicht zu dicht unter dem betreffenden Becken 
anbringt. Die oben besprochene Ventilation ist aber jedenfalls ein 
unvergleichlich werthvolleres Verfahren. 

Natürlich ist die Anlage der Ventilationsröhren erst recht mit 
allem Sachverständniss durchzuführen. Das Luftrohr soll stets mög¬ 
lichst gerade und ohne scharfe Biegungen hochgeführt sein, um wirk- 


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lieh den verlangten Schutz gegen jeglichen Rückstau zu gewähren 
Aber wollte ich jetzt auch noch so viele der berechtigten Forde¬ 
rungen einzeln nennen, es blieben ja immer noch einmal so viele, 
die ein Uneingeweihter nicht beachten könnte, und ich begnüge 
mich also, um nur die Mannigfaltigkeit zu illustriren, in welcher 
Unheil angestiftet werden kann, eine kurze Mittheilung von Dr. Al¬ 
fred Carpent er (Croydon) dem deutschen Leserkreise vorzuführen. 
Dr. Carpenter geniesst seit vielen Jahren einen ausgezeichneten 
Ruf in England, der ohne Zweifel in der anerkannten Vorsicht und 
Sorgfalt begründet ist, welche der Genannte bei allen seinen Be¬ 
obachtungen und Arbeiten zu entfalten pflegt: 

„In der Nacht vom 17. October,“ sagt Dr. Carpenter, „wurde 
ich durch ein lautes Geräusch, das vom Closet herübertönte, 
aufgeweckt; es dauerte mit Unterbrechungen während des ganzen 
nächsten Tages fort. Zuerst war ich ausser Stande, mir eine Er¬ 
klärung dafür zu geben, bis ich endlich fand, dass es durch das 
Ventilationsrohr verursacht werde, welches (während eines starken 
Regens) dem Regenwasserbehälter (auf dem Dachboden) zugleich 
als Ueberlauf diente. Die schlechte vom Canal aufsteigende Luft 
fand jetzt keinen Ausweg mehr und sie wurde deshalb durch den 
Wasserverschluss meines Closets hindurchgetrieben, zeitweilig mit 
einer Gewalt, als striche hier Dampf durch ein Sicherheitsventil. 
Der Uebelstand hielt fast drei Tage an, denn früher gestattete die 
Witterung dem Rohrleger nicht, den im vorhergegangenen Sommer 
begangenen Fehler (durch welchen eben ein Ventilationsrohr zum 
Ueberlauf wurde) wieder gut zu machen. Die entweichende Canal¬ 
luft hat nicht besonders empfindlich berührt; da sich vielmehr nur 
ein schwacher Geruch bemerkbar machte, so wurde dies gedanken¬ 
los hingenommen, obwohl der heftige Regenfall auch eine gründ¬ 
liche Ventilation des Gebäudes durch Oeffnung der Fenster ver¬ 
hindert hatte. Zwei oder drei Tage hierauf erkrankte einer von 
zwei Bewohnern eines Zimmers (welches von allen im Hause dem 
Closet am fernsten lag —?) unter Symptomen eines typhösen 
Fiebers, und in wenigen Tagen zeigte auch der zweite Miether be¬ 
reits die Zeichen derselben Krankheit. Von allen übrigen Haus¬ 
bewohnern hat Niemand an diesem Fieber zu leiden gehabt. Durch 
Versuche wurde nun bewiesen, dass die aus dem Closet entwichene 
schlechte Canalluft in natürlicher Weise gerade zu jenem von den 
beiden Erkrankten bewohnten Zimmer aufstieg. Gleichzeitig mit 
dem Auftreten dieser Fälle zeigten sich viele andere von derselben 
Krankheit in verschiedenen Theilen der Stadt, und in jedem ein¬ 
zigen Falle meiner eigenen Praxis habe ich deutlich in einer fehler¬ 
haften Anlage die localen Ursachen für das Uebel nachweisen 
können. Es war in der Regel so, dass der Geruch nicht genügte, 


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— 345 


die Entdeckung des Missstandes herbeizuführen, da er meist nur 
schwach bemerkbar wurde.“ 

Prof. Corfield citirt diese Sätze Carpenter’s nach einem 
amtlichen Bericht *), und bin ich von seinem Einverständnis mit 
den Ansichten des Berichterstatters überzeugt. In der That ist es 
ja, wie gesagt, nichts Neues, wenn in den ärztlichen Kreisen Eng¬ 
lands an der Ueberzeugung festgehalten wird, dass das Auftreten 
des Abdominaltyphus und verwandter Krankheiten in erster Linie 
durch gesundheitsschädliche Localverhältnisse, namentlich unvoll¬ 
kommene Hauscanalisationsanlagen und Versorgung mit schlechtem 
Wasser, gefördert, wenn nicht sogar verursacht werde. Durch so 
überraschende Beobachtungen, wie man sie bekanntlich in Danzig 
seit Einführung des guten Wassers und einer gründlichen Ent¬ 
wässerung der alten Stadt gemacht hat, ist diese Ueberzeugung nur 
befestigt worden, und selbst in Australien, das einem Canalisations- 
techniker noch so fern zu liegen scheint, hat die englische Ansicht 
schon unter Fachgelehrten viele Freunde. Fast in jeder Nummer 
der englischen Blätter für öffentliche Gesundheitspflege sind ein¬ 
schlägige Fälle lang und breit besprochen, und ich sollte doch 
meinen, dass ein Gerücht, das sich so lange hält wie dieses, der 
Wahrheit bedenklich nahe kommen muss. — Von den neun Fällen 
nun aus neuerer Zeit, über welche mir augenblicklich Berichte zur 
Verfügung stehen, möge nur ein einziger hier hervorgehoben wer¬ 
den, nämlich der Ausbruch einer Epidemie enterischer Fieber in 
der Landesirrenanstalt zu Lincoln. „The Lancet,“ ein hervor¬ 
ragendes englisches Fachblatt, welches ich speciell citire, weil ich 
zu wissen glaube, dass es auch in Deutschland sich eines guten 
Rufes erfreut, sagt in der Nummer vom 6. October 1888 wörtlich 
Folgendes: 

„Wir sind in der Lage, einige Informationen in Bezug auf das 
Auftreten enterisclier Fieber in der Landesirrenanstalt zu Lincoln 
zu geben. Die Anstalt wird seit vielen Jahren von dem Erscheinen 
dieser Krankheit unter den Pfleglingen heimgesucht. Schon im 
Jahre 1872 kamen einige Fälle vor, und es scheint zweifelhaft, ob 
irgend eins der folgenden Jahre hinging, ohne dass ein Beamter 
oder ein Kranker der Anstalt an enterisChem Fieber zu leiden hatte. 
In den Jahren 1882 und 1883 wurden zwei Wärterinnen, und 1886 
sogar drei Dienstboten und zwei Wärterinnen befallen. In diesem 
Jahre (1888) zeigte sich die Krankheit zuerst im Januar in der 
Wohnung des Ingenieurs, dessen Sohn erkrankte; etwas später 
wurden zwei Patienten der Abtheilung für epileptische x Frauen be¬ 
fallen und am 28. und 29. Februar traten deren Todesfälle ein. 
Von nun an bis gegen Ende September waren 77 Fälle unter männ- 


1) Ninth report of Medical Officer of Privy Council p. 104. 
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 24 


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346 


liehen und weiblichen Pfleglingen, Besuchern, Wärterinnen, Mit¬ 
gliedern der Dienerschaft und der Familie des Ingenieurs zu ver¬ 
zeichnen. Der einzige andere Beamte, der befallen wurde, war der 
Steward, der leider dem Anfall auch erlegen ist; die übrigen Todes¬ 
fälle betragen 13 an der Zahl. Aus den uns zur Verfügung ste¬ 
henden Mittheilungen ist es nicht möglich, einen unanzweifelbaren 
Schluss über die einzelnen Umstände zu bilden, welche zu diesem 
Krankheitsausbruch führten. Aber es ist bekannt, dass die Anstalt 
unter der Einwirkung vieler gesundheitsschädlicher Localverhält¬ 
nisse steht, welche nicht unwahrscheinlich eine wichtige Rolle bei 
der Erzeugung dieser Krankheit spielten (production of the 
desease). Man berichtet uns von einer Schwindgrube mit etwa 
900 cbf Rauminhalt, die excrementielle Stoffe aufnimmt und welche 
etwa 36 m von der Mauer der Frauenabtheilung abliegt. Die Ema¬ 
nationen dieses Behälters können leicht zu den Zellen der Frauen¬ 
abtheilung dringen, so oft der Wind von Nordosten oder Osten 
weht. Auch in anderer Hinsicht soll die Anstalt solcher Verbesse¬ 
rungen bedürfen, welche dieselbe erst auf das Niveau sanitärer 
Vorzüglichkeit, wie man sie in der Gegenwart für nöthig halt, er¬ 
heben könnten. Ueberlaufröhren von Wannen und Sinkkasten 
sollen dort direct mit den Abflussleitungen in Verbindung stehen; 
Closets weisen bedenkliche Fehler auf, und es soll der Luft, die in 
dem Rohrnetz selbst enthalten ist, vielfach Gelegenheit gegeben 
sein, in das Innere des Gebäudes einzudringen. Soviel wir wissen, 
ist dagegen die Güte der gelieferten Nahrungsmittel nicht bezweifelt 
worden. An dem Verbesserungswerk ist man unter Aufsicht ärzt¬ 
licher Beamten eifrig thätig.“ 

Dies zeigt zur Genüge, wo die englischen Aerzte die Ursache 
des Abdominaltyphus suchen! Ich reproducire aber solche Sätze 
nicht, um durch sie einen deutschen Fachmann zu der Auffassung 
seiner englischen Collegen zu bekehren; ich wünsche allein darauf 
hinzuweisen, dass sich solche Meinungsäusserungen an solcher Stelle 
ohne Zweifel im innigsten Einklang mit der Ueberzeugung der 
weitesten Fachkreise Englands befinden, und ich halte das für eine 
Thatsache, welche Beachtung und Würdigung seitens deutscher 
Specialisten wohl verdient. Man verfügt in England über viel lang¬ 
jährigere Erfahrungen in Bezug auf die erforderliche Beschaffenheit 
eines gesunden und fertig ausgestatteten Hauses, gleichviel ob 
Wohnhaus oder öffentliche x\nstalt, und schon aus diesem Grunde 
kann es uns schwerlich überraschen, dort höhere Ansprüche an 
Installationsanlagen gestellt zu sehen, als solche in Deutschland 
üblich sind. Dass aber ebenso hohe und noch höhere Ansprüche 
auch bald bei uns erscheinen werden, lässt sich schon heute mit 
solcher Gewissheit behaupten, dass gar kein Einwand schwer genug 
ist, um uns von zeitiger Vorarbeit für kommende Tage abzuhalten. 


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— 347 


Es liegt eben ganz in der Natur unserer Entwicklung, dass wir 
ewig verfeinerte Bedürfnisse haben; und so bemerken wir denn 
allerseits gesteigerte Forderungen, welche durch Fortschritte in 
Technik und Wissenschaft erfüllt werden müssen. Es fruchtet na¬ 
türlich nichts, dass wir die Achseln zucken und uns darauf berufen 
dass es bisher auch ohne diese oder jene Einrichtung gegangen sei 
Nicht nach dem, was die Vergangenheit hatte, sondern immer nur 
nach dem, was die Zukunft besitzen soll, werden wir uns in der 
Gegenwart zu richten haben. Was aber die Zukunft haben soll, 
was wir für sie durch unsere Arbeit in der Gegenwart erringen 
wollen uncLwas wir auch erringen können, das ist in erster Linie 
eine verminderte Mortalitätsrate. Hier möchte ich allerdings auf 
England weisen, welches in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren 
die allgemeine Sterblichkeitsrate von 23 auf 17.8 pro 1000 nieder¬ 
drückte und welches in seinen Grenzen die Sterblichkeit an ente¬ 
rischen Fiebern durch eigene Arbeit von 0.89 auf 0.17 pro 1000 
der Bewohner reducirte. Es ergibt sich, dass etwa 140,000 Menschen 
im vergangenen Jahre in England mehr gestorben wären, wenn 
an Stelle der letztjährigen noch die Sterblichkeitsrate von 23 pro 
1000 gegolten hätte. Das sind in erster Linie die Früchte einer 
vielumfassenden und weitgetriebenen Gesundheitspflege *). 

Aber worin, könnte man jetzt wohl fragen, soll uns denn Eng¬ 
land selbst heute noch überlegen sein? — Hier wie dort bauen 
Arzt und Techniker gemeinsam an der Förderung der öffentlichen 
Gesundheitspflege, theils mit technischen Neuerungen, theils durch 
gesetzliche Bestimmungen, und gleichviel wi e dem sei. Bei uns aber 
ist bisher nur der Rohbau vollendet, und wenn er auch stellen¬ 
weise schon stattlicher als vor einer Reihe von Jahren der eng¬ 
lische wurde, so bleibt uns doch auf dem Gebiet des Ausbaues 
und der inneren Ausstattung, die jedem Beschauer in späteren 
Jahren und während der ganzen Existenz des Gebäudes in Erster 
Linie in’s Auge fallt, viel von der anderen Seite des Canals zu er¬ 
lernen. Da wir z. B. an dieser Stelle hauptsächlich von Haus- 


1) Ich sage hier „in erster Linie“ und knüpfe daran den Ausdruck meiner 
unmassgeblichen und rein persönlichen Ueberzeugung, dass es nicht recht ist, 
solche Resultate allein unserer Arbeit seihst auf dem weitesten Gebiet der 
öffentlichen Gesundheitspflege zuzuschreiben. Wenngleich ja die Macht der 
Letzteren sich namentlich in grossen Städten wundervoll bewährt, so könnten 
doch Ziffern vorgetragen werden, welche grossartige Reductionen der Sterblich¬ 
keitsrate für ausgedehnte Districte ergeben, trotzdem dort seit Jahren nie, und 
vielleicht auch überhaupt noch niemals ein Finger für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege gerührt worden ist. Ich erblicke in solchen Erscheinungen einstweilen 
den Beweis für das Eingreifen von Naturkräften, von deren Wesen uns eine 
Vorstellung zu geben wir überhaupt noch nicht im Stande sind. Aber dies 
nebenbei, es ändert ja auch an den obigen Daten wenig. 


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- 348 - 


canalisationen sprachen, so will ich in Kürze nur zwei der wich¬ 
tigsten Punkte, in denen uns England voraus ist, betonen. Die 
Art und Weise der baupolizeilichen Abnahmen, die eingehende 
Prüfung der Arbeit und die laufenden Untersuchungen und Be¬ 
richtigungen durch Inspectoren der öffentlichen Gesundheitspflege 
sind in England in einem ganz anderen Grade als bei uns ent¬ 
wickelt. Der Engländer, der stets in seinem „home“ eine Art von 
Alleinherrschaft übte, hat sich entschlossen, den amtlichen Sanitäts- 
Inspectoren jederzeit freien Zutritt zu seinem Hause zu gewähren; 
das war für ihn ein bedeutendes Opfer, und er brachte es im In¬ 
teresse der öffentlichen Gesundheitspflege. — Und zweitens ist in 
England, im freien England, für Rohrleger der Hausinstallations- 
Branche die „Registration“, d. h. die Beibringung eines Befähigungs¬ 
nachweises eingeführt, und Besitzer und Handwerker jubeln dieser 
Einrichtung mit gleich hochgespannten Erwartungen und gleich 
grosser Zuversicht entgegen. Ich stehe dem Rohrlegerstande in Deutsch¬ 
land durchaus nicht gerade fremd gegenüber, und ich bin dabei 
überzeugt, dass Bestimmungen, welche ähnlich wie in England die 
Beibringung des Befähigungsnachweises obligatorisch machen und 
welche die baupolizeiliche Abnahme auch in dieser Specialbranche 
zu einer achtunggebietenden Institution gestalten, sich wohl nicht 
ohne Schwierigkeit, aber mit gleicher Leichtigkeit, mit demselben 
Beifall, mit demselben Rechte und demselben Erfolge in allen 
grösseren Städten ein- und durchführen liessen. Das ist nur ein 
einzelner flüchtiger Blick, aber zeigt er nicht Arbeit in Hülle 
und Fülle? 

So schwer uns ein Vorblick auf die grossen Aufgaben der Zu¬ 
kunft bedrücken mag, namentlich wenn schon das blosse „Wie“ 
der Lösung uns so lange und so hartnäckig verborgen bleibt, so 
ermuthigend muss ein Rückblick wirken auf die werthvollen Früchte, 
welche gethane Arbeit schon gezeitigt hat. Und worin bestehen 
nun diese? Was wurde bisher mit den gewaltigen Summen er¬ 
kauft, die überall dort, wo gerade nach modernen Grundsätzen zu 
canalisiren ist, für diese Entwässerungsbauten ausgegeben werden? 
Nun, grössere Reinlichkeit ist eingezogen, das ist das erste schöne 
Resultat; aber wesentlich wichtiger ist es, dass damit auch zu¬ 
gleich die Mortalitätsrate sichtlich fällt, und dass dieses Fallen so 
deutlich und genau in dem Zeitpunkt der Eröffnung von Sanirungs- 
werken einsetzt, dass der Beobachter hier Ursache und Wirkung 
nicht verkennen kann. Freilich, die Ursache, welche wir dabei er¬ 
blicken, mag zunächst nur eine indirecte sein, aber wir gewinnen 
doch die Zuversicht, dass ein guter und gerader Weg betreten 
wurde, und damit die Hoffnung, dass eine völlige Lüftung des 
Schleiers, der die directen Ursachen noch verhüllt, in näherer Zu¬ 
kunft schon gelingen werde. (Schluss folgt.) 


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INachweisung; über Krankenaufnahine und Bestand in den Krankenhäusern aus 54 
Städten) der [Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juni 1880. 



Brechdurchfall 
































































Sterbliohkelts - Statistik toh 54 Stftdten der ProTiAzen Westfalem, 
Rheinland nnd Hessen-Nassau pro Monat Jnni 1889. 





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Gelsenkirchen 

Iserlohn 

Siegen 

Schwelm 

Lippstadt 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Barmen 

Crefeld 

Essen 

Duisburg 

M.-Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a d. Ruhr 

Rheydt 

Viersen 

Oberhausen 

Neuss 

Wesel 

Styrum 

Solingen 

Wermelskirchen 

Ronsdorf 

Velbert 

Ruhrort 

Süchteln 

Lennep 

Aachen 

Eschweiler 

Eupen 

Burtscheid 

Stolberg 

Köln (Stadt) 

Köln (Vorstädte) 
Bonn 

Mülheim a. Rhein 
Kalk 

Trier 

Malstadt-Burbach 
St Johann 
Saarbrücken 

Coblenz 

Kreuznach 

Neuwied 

Wiesbaden 


37000 109 35,4 40 17 14,9 

1800-2 44 -28,4 -29 9 18,7 . 

10600 42 30,4 29 0 -21,0 . . ...... 

84000 287 41,0 156 66 22,3 ..2 1 9 

40767 177 52,1 83 40 24.4 . . .... 

31993 83 31.1 09 30 25.9 ...... 1 

23711 81 41,0 51 20 25.8 3 

23479 101 51.6 33 16 10.9 . . .... 1 

23567 100 54,0 00 22 30.6 .. .. .. 3 

21044 66 37,0 31 4 17,7 . . .... 

17758 55 37,2 26 4 17,0 4 

13014 47 43,3 18 4 16,6 . . 1 . . . . 

10850 33 36,5 19 4 21,0 ...... 4 . 

140901 401 39,2 266 131 22,6 ...... | .. 

119200 363 30.5 249 74 25,1 .. 45 2 7 

110000 349 38,1 217 72 23,7 .. 22 1 5 . 

104705 351 40,2 161 07 18,5 .. .. .. .. j 

73260 233 38,2 139 59 22,8 . . .. 

52016 213 49,1 102 45 23,5 ...... I .. ! 

50000 149 35,8 92 41 22.1 . 1 

35000 104 35.7 48 14 10,5 ..31... 
20709 93 41,8 40 19 18.0 ...... 1 

25000 89 42.7 30 13 17,3 .. .. .. .. . 

22228 53 28,6 25 5 13,5 ...... 1 . 

22377 
21934 
20077 
19820 
31887 
11400 
11000 
12531 
9708 
9465 
8844 

102336 
16798 
15441 
12139 
11795 

185920 
90482 
38000 
28000 

11418 


90 34,7 199 89 23,3 ...... 11 

07 47,9 39 15 27,9 .. 1 .. .. LJ 

45 35,0 25 10 19,4 .!.... 2 1 

43 42,5 24 12 23,7 ...... . 

54 56,0 21 10 21,4 I .. .. .. ( .. 

43 35,5 521 252 34,1 . . 30 1 5 11 

58 48,1 220 127 19.3 .. 5 L.l 2 4 

10 30.0 77 24 24,3 ........ .. 

02 43,7 74 43 31,7 . . . . LJ 3 3 

00 03,1 38 19 39,9 . . 1 .... 1 

05 22,9 49 0 17,2 ..... . 1 1 

54 43,3 25 9 20.1. 

39 34,4 20 0 17,0 .. . j.. 

27 31,0 25 0 28,7 .j . . L . 

59 23,9 07 25 23,2 ....L.l 1 1 

35 24,7 45 11 31.8 ..I 1 L.l 1 ' 3 

29 33,2 17 8 19,0 . J .. LJ .. 



55 10 

28 3 

43 2 

29 3 



59000 110 23,6 82 37 16.7 . 1 .. .. 

68236 147 25,9 120 45 22,2 .. 5 L| 3 ..! .. 


Digitized by 


GoogI< 































































Städte 


Hospitäler 


Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Herford 

Dortmund 

Bochum 

Hagen i. W. 

Witten 

Hamm 

Iserlohn 

Siegen 

Gelsenkirchen 

Schwelm 

Düsseldorf 

Elberfeld 

Barmen 

Crefeld 

Essen 

Duisburg 

M.-Gladbach 

Remscheid 

Mülheim a.d.Ruhr 

Viersen 

Wesel 

Rheydt 

Neuss 

Solingen 

Styrum 

Ruhrort 

Süchteln 

Odenkirchen 


Eschweiler 

Eupen 

Burtscheid 

Stolberg 

Köln 

Bonn 

Mülheim a. Rh. 
Deutz 
Ehrenfeld 
Kalk 

Trier 

Saarbrücken 

Kreuznach 

Neuwied 

Wiesbaden 

Bettenhausen 

Fulda 

Hanau 

Eschwege 

Rinteln 

Schmalkalden 


städt. u. kath. Krankenhaus 58 57 

städtisches Krankenhaus 37 36 

Landeshospital 37 41 

städtisches Krankenhaus 54 56 


Louisen- u. Johanneshospital 
Augustaanstalt 
städtisches Hospital 
evangel. und Marienhospital 
städtisches Krankenhaus 


Mariastift u. ev. Krankenh. 
städtisches Krankenhaus 

evangel. Hospital 
Marienhospital 
St. Jos.-Hosp. 
städtisches Krankenhaus 

i» * 

Huyssen-Stift u. Krupp’sches 
Krankenhaus 

städt. Diakon.- u. Krankenh. 
Bethesdau. Mariahilf-Krknh. 
städtisches Krankenhaus 


Hospital 

Krankenhaus 


Haniels-Stiftung 
städtisches Krankenhaus 


226 219 2 

110 105 1 
106 82 
158 175 1 

31 30 
71 63 
28 34 
147 160 1 
31 29 

111 114 l 
216 134 1 
161 164 1 

183 189 1 
183 166 l 


.. .. 12 

. 6 

. 3 

1 1 .. 2 

1 8 .. 11 

.3 

. 2 

.. 6 .. 1 


12 11 

.. 1 .. 4 


1 .. 2 
. . 2 1 


21 16.3 

15 l|.. 

7 


Louisenhospital 
Marienhospital 
St. Antoniushospital 
St. Nikolaushospital 
Marienhospital 
. Bethlehemshospital 

Bürgerhsp. u.Hülfskrankenh. 
Fr.-Wilh.-Stift (ev. Hospital) 
städt. u. Dreikönigenhospital 
städtisches Krankenhaus 


50 49 
219 230 1 
111 114 

38 38 
98 102 

84 95 

660 626 7 

51 .. 
137 134 1 

85 88 
68 70 
62 54 


3 ..19 


städt. Hosp. u. Stadtlazareth 
Bürgerhospital 

städtisches Hospital 


5 .. 2 
.. .. 4 


1 2 .. 3 


I städtisches Krankenhaus |138 120h 


. 2 2 .... 
.. .. 1 .. 3 


Landkrankenhaus 


201 209 215 .... 2 1 3 .. 12 

97... .. 

.79 79 89 .. .. i .. 2 .. 3 

35 30 27 . 1 3 .. 3 

12 14 14. 2 

15 17 18. 1 


.. .. 3 
2 .. .. 
.. .. 2 


II 3 5 4' 6 9 2 .. 3.. .. 7 


* Kratz« und Ung* 

Digitized by vjiOOvl 














































































































Sterblichkeits-Statistik Ton 58 Städten der Prortnxen Westfalen, 
Rheinland nnd Hessen • Nassau pro Monat Juli 1889, 


Städte 


Bielefeld 

Minden 

Paderborn 

Dortmund 

Bochum 


Gelsenkirchen 

Iserlohn 


Schwelm 
Lippstadt^ 

Düsseldorf 
Elberfeld 
Barmen 
Grefeld 
Essen 
Duisburg 
M.-Gladbach 
Remscheid 
Mülheim a. d. Ruin 
Rheydt 
Viersen 
Oberhausen 
Neuss 
Wesel 
Styrum 
Sol in ge 

Wermelskirchen 
Ronsdorf 
Velbert 
Ruhrort 
Suchtein 
Lennep 

Aachen 
Esch weil er 
Eupen 
Burtscheid 
S toi her | 

Köln (Stadt) 

Köln (Vorstädte) 
Bonn 

Mülheim a. Rhein 
Kalk 

Trier 

Malstatt-Burbach 
St. Johann 
Saarbrücken 

Coblenz 

Kreuznach 

Neuwied 


140% I 
122000 
110000 
104705 
7 3096 
52016 
50000 
35< HK) 
26709 
25000 


Todesursachen 

C _ -3 

C s j; 

^ _ v J: , 
- ul 

£ Ss | 

» cl. = 
'Cp * 

a» 3 

,5 = Ti 

JZ u 1 u 1 

«- cs 

'S . r .. * 

- £ 

a< x. ü ' 

I! 

I 3 j, 

-.3 
r u 

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c c 
<1 

3 ~ 
_ j: 

Z-c 

U U 

s - 

pH 


Wiesbaden 









































353 


Kleinere Mittheilungen. 

Die Eheschliessungen, Geburten und Sterbefälle des Jahres 1887 

im Deutschen Reiche. 

(Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, Jahrgang 1888, Seite XII, 1.) 


S t ii ii t (* ii 

Ehe- 

Schliessungen 

Geborene Gestorbene 

jeinsehl. Todtgeborene 

Mehr 

Mittlere 

Anf 1000 der mittleren Bevölkcrong 
kommen 

und 

Landest heile 

geboren 

als 

gestorben 

Bevölkerung 
für das 

Jahr 1887 

Ehe¬ 

schliessungen 

1 

Ge¬ 

borene 

Ge- 

slorbene 

Mehr 
geboren 
als ge¬ 
storben 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

tov. Ostpreussen. 

15743 

85120 

56819 

28301 

1974802 

7,97 

43,10 

28,77 

14,33 

, Westpreussen ... 

11271 

64976 

39223 

25753 

1422752 

7,92 

45,67 

27,57 

18,10 

tadt Berlin. 

15209 

48952 

32091 

16861 

1370153 

11,10 

35,73 

23,42 

12,31 

tov. Brandenburg. 

19493 

91327 

63360 

27967 

2366222 

8,24 

38,60 

26,78 

11,82 

, Pommern. 

11419 

59260 

38319 

20941 

1518060 

7,52 

39,04 

25,24 

13,79 

, Posen. 

13394 

78125 

45351 

32774 

1740309 

7,70 

44.89 

26,06 

18,83 

, Schlesien. 

32730 

169878 

120786 

49092 

4160849 

7,87 

40.83 

29,03 

11,80 

, Sachsen . 

20689 

99369 

61200 

38169 

2473553 

8,36 

40,17 

24,74 

15,43 

, Schleswig-Holstein 

9081 

39426 

25513 

13913 

1164318 

7,80 

33,86 

21,91 

11,95 

, Hannover. 

17273 

75010 

49155 

25855 

2200012 

7,85 

34,10 

22,34 

11.75 

, Westfalen. 

17446 

89977 

53014 

36963 

2257350 

7,73 

39,86 

23.49 

16,37 

, Hessen-Nassau ... 

12290 

53492 

37611 

15881 

1612134 

7,62 

33.18 

23,33 

9,85 

, Rheinland. 

33523 

171929 

106262 

65667 

4434165 

7,56 

38,77 

23,96 

14,81 

lohenzollern. 

438 

2232 

1521 

711 

66844 

6,55 

33,39 

22,75 

10,64 

Königr. Freussen.. 

229999 

1129073 

730225 

398848 

28761503 

8,00 

39,26 

25,39 

13,87 

)ie 3 Reg.-Bez. Franken 

13349 

65499 

50079 

15420 

1880074 

7,10 

34,84 

26,64 

8,20 

Jebr. Bayern, r. d. Rh. 
Bayern, 1. d. Rh. (Reg.- 

19118 

115059 

91912 

23147 

2891644 

6,61 

39,79 

31,79 

8,00 

Bez. Pfalz). 

4969 

26100 

16056 

10044 

704021 

7,06 

37,07 

22,80 

14,27 

königr. Bayern ... 

37436 J 

206658 

158047 

48611 

5475739 

6,84 

37,74 

28,86 

8,88 

[önigr. Sachsen. 

30153 1 

142677 

93640 

49037 

3254235 

9,27 

43,84 

28,77 

15,07 

Württemberg. 

12790 

72828 

48388 

24440 

2015104 

6,35 

36,14 

24,01 

12,13 

laden. 

11192 

54468 

37003 

17465 

1615429 

6,93 

33,72 

22,91 

10,81 

les^eii. 

7177 

31386 

22076 

9310 

967872 

7,42 

32,43 

22,81 

9.62 

Teklenburg-Schwerin . 
»aehsen -Weimar. 

4317 

18402 

13329 

5073 

578716 

7,46 

31,80 

23,03 

8.77 

2646 

11181 

77()7 

3474 

317092 

8,34 

35,26 

24,31 

10,96 

lecklenburg-Strelitz... 

780 

3194 

2333 

861 

98890 

7,89 

32,30 

23,59 

8,71 

)ldenburg. 

2625 

11679 

7538 

4141 

345262 

7,60 

33,83 

21.83 

12,00 

Iraunschweig. 

3219 

14096 

9037 

5059 

381059 

8,45 

36,99 

23,72 

13,28 

>achsen-Meinigen . 

1818 

7830 

5241 

2589 

218623 

8,32 

35,82 

23,97 

11,84 

iachsen-Altenburg. 

1512 

7005 

5007 

1998 

163500 

9,25 

42,84 

30,62 

i 12,22 

wchsen-Coburg-Gotha . 

1554 

6999 

4778 

2221 

201257 

7,72 

34,78 

23,74 

1 11,04 

Inhalt. 

khwarzburg-Sonders- 

2198 

9890 

5469 

4421 

253959 

8,65 

38,94 

21,53 

17,41 

hausen. 

567 

2658 

1609 

1049 

74650 

7,60 

35,61 

21,56 

14,05 

khwarzburg-Rudolstadt 

659 

3077 

1965 

1112 

85182 

7,74 

36,12 

23,07 

13,05 

JValdeck. 

382 

1926 

1320 

606 

56995 

6,70 

33.79 

23,16 

10,63 

euss älterer Linie.... 

508 

2737 

1605 

1132 

57620 

8,82 

47.50 

27,85 

19,65 

euss jüngerer Linie .. 

1030 

5095 

3210 

1885 

113501 

9,07 

44,89 

28,28 

16,61 

tfhaumburg-Lippe. 

305 

1328 

692 

636 

37922 

8,04 

135,02 

18,25 

16,77 

‘PPe. 

993 

4627 

2744 

1883 

125226 

7,93 

36,95 

21,91 

15,04 

Jibeck. 

485 

2276 

1562 

714 

68785 

7,05 

; 33,09 

22,71 

1 10,38 

remen. 

1268 

5261 

3656 

1605 

168213 

7,54 

31,28 

21,74 

1 9,54 

amburg. 

4924 

19009 

15009 

4000 

534826 

9,21 

35,54 

28,06 

7,48 

Bsass-Lothringen. 

10122 

50201 

37216 

12985 

1569163 

6,45 

31,99 

23,72 

8,27 

Deutsches Reich ... 

370659 

1825561 

1220406 

605155 

smm 

b<5<9&I< 

jä(8,40 

25,67 

12,73 

1 





















































354 


** Bekämpfung der Verbreitung der Schwindsucht in 
öffentlichen Anstalten. 

(Circular des Ministers des Innern vom 15. April 1889 im Verw.-Min.-Bl. 
von 1889, S. 82.) 

Euer etc. übersende ich anbei Abschrift eines Gutachtens der wissen¬ 
schaftlichen Deputation für das Medicinalwesen vom 13. März d. J. — 
— Anl. a. — „betreffend die Bekämpfung der Verbreitung der Schwind¬ 
sucht in öffentlichen Anstalten“ mit dem ergebensten Ersuchen, das darin, 
bezeichnete Verfahren in den Straf-, Gefangenen- und Besserungs-Anstalten des 
dortigen Bezirks, mit den durch die localen Verhältnisse bedingten Mass- 
gaben anwenden zu lassen. Berlin, den 15. April 1889. 

Gemäss dem hohen Erlass vom 15. Februar er. verfehlt die Unter¬ 
zeichnete wissenschaftliche Deputation nicht, über die in dem Bericht des 
Polizeipräsidenten vom 24. Januar er. vorgetragenen Vorschläge zur Be¬ 
kämpfung der Verbreitung von Schwindsucht in Gefängnissen nachstehend 
sich gutachtlich zu äussern. Nach den bisher geltenden Anordnungen sollen 
die Spuckgläser der mit Schwindsucht behafteten Gefangenen mit einer 
Auflösung von Sublimat oder Carbolsäure gefüllt und die Spucknäpfe in 
den Krankenzimmern häufig mit reinem Sand versehen werden, dem Carbol 
beigemischt ist. Der Bericht des Polizeipräsidenten hebt mit vollem Recht 
hervor, dass diese Bestimmungen eine zeitgemässe Aenderung erheischen. 
Denn sowohl Sublimat wie Carbolsäure sind giftige Substanzen, deren Auf¬ 
stellung gerade in Gefängnissen erheblichen Bedenken unterliegen muss. 
Ueberdies ist die Wirksamkeit beider Substanzen, um die Tuberkelbacillen 
unschädlich zu machen und damit deren Uebertragung auf gesunde Gefangene 
zu verhindern, eine unsichere. Endlich haben die im hygienischen Institut 
hierselbst unter Leitung von Geheimrath Koch angestellten Untersuchungen 
zu dem Ergebniss geführt, dass für die Uebertragung der Tuberkelbacillen 
auf Gesunde nur der getrocknete Auswurf gefährlich ist, indem derselbe 
fein verstäubt der Athmungsluft zugeführt und durch dieselbe in den gesunden 
Körper aufgenommen werden kann. Hiernach erscheint die Desinfektion 
des Auswurfs durch chemische Stoffe weder erforderlich noch räthlich. 
Vielmehr ist dafür Sorge zu tragen, dass der Auswurf sich nicht getrocknet 
der Luft beimischen kann. Zu diesem Zwecke ist zu verhindern, dass der 
Auswurf der Brustkranken auf Fussboden, Wände, Wäsche oder in Taschen¬ 
tücher entleert wird, er soll vielmehr in Spuckgläser gesammelt und diese 
häufig entleert und mit kochendem Wasser gereinigt werden. Auf diese 
Thatsache und Deduction stützt sich der Seite 6 des Berichts formulirte 
Antrag: die Verwendung des Sublimats für den in Rede stehenden Zweck 
ganz zu untersagen. Wir schliessen uns diesem Anträge, als vollkommen 
begründet an, und haben zu den angeschlossenen Vorschlägen zur Ver¬ 
hütung der Verbreitung von Schwindsucht in Gefängnissen folgendes zu 
bemerken: 

1) Der Auswurf soll weder in Taschentücher noch in dem Aufent¬ 
haltsraum, sondern in die überall aufzustellenden Spucknäpfe entleert werden, 


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welche letztere etwas Wasser enthalten. Wir stimmen dieser Vorschrift 
durchaus bei und halten es auch für sehr zweckmässig, wenn, wie es vor¬ 
geschlagen ist, alle Strafgefangenen, welche husten, an diese Art des Aus¬ 
werfens gewöhnt werden. 

2) Alle Zellen, in welchen hustende Gefangene untergebracht waren^ 
sollen bei etwaigem Wechsel der Insassen sorgfältig gereinigt und nach den 
bestehenden Vorschriften sorgfältig desinficirt werden. Diese Bestimmung 
dürfte auf die Zellen solcher Insassen zu beschränken sein, welche nach 
dem ärztlichen Urtheile an der Tuberkulose erkrankt, oder derselben ver¬ 
dächtig waren. 

3) Die Anschaffung eines geeigneten Desinfections-Apparates für die 
Strafanstalten ergiebt sich als nothwendige Folge. 

3) Gefangene, welche nach ärztlicher Feststellung tuberkulös erkrankt 
sind, welche aber noch arbeiten können, sollen bei der Anfertigung von 
Gebrauchsgegenständen soweit thunlieh nicht beschäftigt, und von den 
gesunden Gefangenen möglichst ferngehalten werden. Auch diesen Vor¬ 
schlägen schliessen wir uns an. Berlin, den 13. März 1889. 

Königliche wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen. 


** Dem 21. Jahresberichte des Vorstandes der Gladbacher 
Actien-Baugesellschaft, (vergl. Centr.-Blatt 1888 Heft 2/3) entnehmen 
wir Folgendes: 

In dem mit dem 31. December 1888 abgelaufenen Jahre wurden 12 
Doppelhäuser an der Peterstrasse, Grünstrasse, Feldstrasse und Hofstrasse 
gebaut. 

Die Anzahl der seit dem Bestehen der Gesellschaft (1869) von der¬ 
selben für eigene Rechnung gebauten Häuser beträgt insgesammt 339; von 
diesen waren Ende des Jahres einfach vermiethet 78; verkauft 261 Häuser 
zur Gesammtsumme von M. 888,791, worauf die Ankäufer noch M. 283,367 
schuldeten. 

Von diesen Häusern waren 192 durch Abtragung des ersten Drittels 
des Kaufpreises definitives Eigenthum der Käufer geworden, von welchen 
bei 158 Häusern die Käufer den Kaufpreis ganz abgetragen hatten. 

Verkauft wurden im vergangenen Jahre 29 Häuser, während 1 Haus 
von der Gesellschaft gekündigt und zurückgenommen wurde. 

Da die Nachfrage nach Arbeiterwohnungen unverändert fortbesteht, 
so hat der Vorstand beschlossen, in diesem Jahre 11 Doppelhäuser zu 
errichten, womit das vorhandene alte Terrain fast vollständig bebaut wird. 

Da die Häuser ausserordentlich raschen Absatz finden, so hat der Vor¬ 
stand sich veranlasst gesehen, zu diesem Zweck noch einen Complex von 
circa 100 Ar anzukaufen. Auf dem neuen Grundstück soll in diesem Jahre 
geziegelt werden. 

Die Gesellschaft hat, wesentlich zur Förderung des gemeinnützigen 
Zweckes des Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke, auf einem 


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von ihr an der Lüpertzenderstrasse, zunächst dem Königsplatz und dem 
Bergischen Märkischen Bahnhofe, erworbenen Grundstück ein grösseres Ge¬ 
bäude errichtet, das im Laufe des Monats Februar d. J. ganz fertig gestellt 
wurde und etwa M. 45,000 (incl. Grundstück) kosten wird. Sie hat dieses 
Gebäude auf drei Jahre an den obigen Verein zu einem die Zinsen und 
Unkosten deckenden Preise vermiethet. Der betreffende Verein hat in den 
unteren Räumen schon seit November v. J. ein Volks-Kaffee- und Speise¬ 
haus eingerichtet. 

Das Ergebniss des vergangenen Jahres ist zufriedenstellend. Sämmtliche 
nicht verkaufte Häuser waren gut und an ordentliche Leute vermiethet, 
Verluste daher ausgeschlossen. 

Der Zinsfuss der hypothekarischen Anleihe von der städtischen Spar¬ 
kasse wurde entsprechend den heutigen Verhältnissen ermässigt. 

Die Bilanz ergiebt bei einem bleibenden Bestände des Amortisations- 
Contos von M. 5000, des Reservefonds von M. 33,000, und bei Ueberweisung 
eines Betrages von M. 8369,25 zum Reservefonds II, einen Reingewinn von 
M. 16,877,69. 

Die dem Reservefonds II in diesem Jahre zugeschriebenen M. 8369,25 
bringen denselben auf eine Höhe von M. 16,240, und entspricht diese Höhe 
nunmehr dem buchmässigen Gewinn an sämmtlichen heute nur provisorisch 
verkauften Häusern. 

Der Vorstand schlägt vor, von dem verbleibenden Reingewinn 5% als 
Dividende pro 1888 auf das Actienkapital von M. 330,000 mit M. 16,500 
zur Vertheilung zu bringen und den Rest von M. 377,69 als Gewinn-Saldo 
für das Jahr 1889 vorzutragen. 

Ueber keimfreie Kuhmilch und deren Verwendung zur 
Kinderernährung schreibt Eisenberg in der Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1889, Nr. 11 und 12. Bekanntlich hat Soxhlet zuerst das Prinzip 
aufgestellt, die Milch in Einzelportionen, welche den Mahlzeiten des Säug¬ 
lings angepasst sind, zu sterilisiren. Aber der Soxhlet’sche Apparat, der 
auch in dieser Zeitschrift eingehend beschrieben und wiederholt empfohlen 
wurde, ist sehr komplizirt, schwierig zu handhaben und nicht gerade billig. 
Eisenberg glaubt nun, den Apparat dadurch wesentlich vereinfacht und 
verbessert zu haben, dass er den etwas schwerfälligen Gummiverschluss 
einfach durch einen Wattepfropf, der beim Gebrauch gegen eine gewöhn¬ 
liche Saugdutte vertauscht wird, ersetzt. 

Scheint zwar die Einfachheit dieses Verfahrens von selbst für seine 
praktische Verwendbarkeit zu sprechen, so gewinnt man doch sehr rasch 
eine gegenteilige' Ueberzeugung, sobald man sich mit dem Kochen von 
Milch in Flaschen, die mittelst Wattepfropf verschlossen sind, experimentell 
beschäftigt. Es bleiben nämlich so leicht namhafte Mengen der Watte an 
der inneren Wandung des Glases haften und mengen sich dann später der 
Milch bei, dass ein solcher Verschluss in den ungeübten Händen der sorg¬ 
losen Mütter und Kinderfrauen nothwendig ernste Gefahren für die Gesund- 


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heit der Säuglinge heraufbeschwören würde. Der Autor hätte sich doch 
von der öffentlichen Empfehlung seines Apparates wohl selbst sagen können, 
dass ein Chemiker, der ein so hervorragendes Constructionstalent aufweist 
wie Soxhlet, nicht ohne die zwingendsten Gründe von einem einfachen 
Watteverschluss der Kochflaschen, den doch schon H. Schröder vor 
beinahe drei Decennien zum Sterilisiren der Milch benutzte, Abstand ge¬ 
nommen haben dürfte. Dr. Schmidt-Mülheim (Wiesbaden). 


Litteraturbericht. 


Germain Säe, Die Lehre vom Stoffwechsel und von der Ernährung und 
die hygienische Behandlung der Kranken. Deutsch von Dr. Max Salomon. 
Leipzig, F. C. W. Vogel, 1888. 

Das ziemlich umfangreiche Buch Se e’s zerfällt, wie der Titel bereits besagt, 
in 2 Theile, deren einer der Besprechung der Lehrsätze der Ernährung 
und des Stoffwechsels gewidmet ist, während der andere grössere die Ver¬ 
änderungen der Ernährung und des Stoffumsatzes im Körper, wie sie durch 
eine Reihe von Krankheiten bedingt sind, und die aus diesen geänderten 
Ernährungsverhältnissen sich ergebenden Behandlungsweisen der betreffenden 
Krankheiten (Diätetik derselben) schildert. 

Im ersten Theil gibt der Verfasser eine Uebersicht über die' zum Auf¬ 
bau und zur Erhaltung des Körpers benöthigten Stoffe, über die Nahrungs¬ 
mittel, ihre gegenseitige Ersatzfahigkeit. Vielleicht dem praktischen Be- 
dürfniss Rechnung tragend, theilt Söe die Nahrungsmittel nach ihrem Werth 
in 5 Gruppen: 

1) Eiweiss- und eiweissartige Stoffe (Haupttypen: Fleisch, Eier, Leim). 

2) Sogenannte vollständige Nahrungsmittel (einziger Typus: Milch). 

3) Stoffe mit Gehalt an Stickstoff und Stärke (Brod, trockene 
Hülsenfrüchte). 

4) Stoffe mit ausschliesslichem Stärkegehalt (Reis, Kartoffeln). 

5) Indifferente Stoffe, die nur Cellulose und Salze oder wie die 
Früchte Zuckerstoffe enthalten (grüne Gemüse, Salate). 

In Verfolgung dieser gewiss nicht einwandfreien Eintheilung werden 
dann die einzelnen Nahrungsmittel behandelt, sowohl in rohem Zustand als 
in der für den Genuss geeigneten Zubereitung. 

Leider waltet häufig in den einzelnen Schilderungen eine merkwürdige 
Unklarheit der Vorstellungen und Schlussfolgerungen, die dem Leser die 
Vermuthung aufdrängt, dass der Verfasser die Physiologie der Ernährung 
nur unvollkommen beherrscht oder die Angaben der Literatur falsch ver¬ 
standen hat. Auch findet sich manchmal eine Zusammenstellung von 
Dingen, die geradezu ungereimt genannt werden muss. Es möge mir ge¬ 
stattet sein, diese Behauptung durch einige Beispiele zu stützen. Seite 25 
enthält nachstehenden Satz: „Das Fischfleisch enthält um so weniger Wasser 


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je fetter es ist. Das Fett der Fische variirt ausserordentlich sowohl hin¬ 
sichtlich der Menge als des Geschmacks und bei manchen Fischen 
wie beim Hering findet sich in der Salzlacke ein Stoff, ge¬ 
nannt Trimethylamin, den man gegen Rheumatismus ge¬ 
priesen oder versucht hat.“ 

Auf der folgenden Seite (26) ist zu lesen: 

„ Häufig kommen im Fleisch auch flüchtige nicht nachweisbare Stoffe 
von grosser Schädlichkeit vor, welche der Bevölkerung Schaden zufügen 
können. “ Nun sollte man ein Beispiel für diesen Satz erwarten, das Beispiel 
lautet aber folgendermassen: „So erzählt Brücke, dass vor 40 Jahren in 
Böhmen die Rinderpest herrschte und ganze Dörfer dezimirte. Nichts¬ 
destoweniger scharrten die armen Leute Nachts die Gadaver der an der 
Pest gefallenen Thiere aus, kochten das Fleisch längere Zeit hindurch und 
verspeisten es alsdann ohne irgend welchen Schaden.“ 

Seite 28 spricht See von der Bouillon: „Zur Erzielung des Maximums 
an Albuminaten (nämlich in der Fleischbrühe) durch das gewöhnliche 
Kochen verfährt man so, dass man die Wasserwärme nach und nach bis 
auf 70° steigert. Man erhält dann 3 bis 4% Albuminate, die man die 
üble Gewohnheit hat mit dem Schäumen der Bouillon zu 
entfernen.“ 

Seite 33 nennt See des Lecithin einen eiweissartigen (albuminoiden) 
Stoff, Seite 146 dagegen wieder einen phosphorhaltigen Fettkörper. 

Die Zahl solcher ähnlicher Stellen ist eine sehr grosse, ich will mich 
jedoch auf diese wenigen beschränken, die genug beweisen. 

In den folgenden Abschnitten werden die VerdauungsVorgänge, die 
Verdaulichkeit und die Aufnahme der Nahrungsmittel in den Körper 
(Resorption), endlich die Getränke besprochen. 

Bezüglich der Bedeutung des Alkohols unserer geistigen Getränke 
(Wein, Bier) für den Körper hat der Verfasser eigenthümliche Anschauungen; 
nach den Gründen für die von ihm so betonte Rolle des Alkohols als 
Sparmittel, „wenn er nicht oxydirt, nur theilweise ausgeschieden 
und ganz unvollständig einverleibt wird,“ sucht man vergebens. 
Wo bleibt nach dieser Schilderung überhaupt der Alkohol im Körper? 

Gapitel VII handelt vom Ernährungsgleichgewicht, VIII von der den 
einzelnen Berufsarten angepassten Diät, vornehmlich von der Soldatenkost, 
wobei der Verfasser bezüglich der Ernährung des französischen Soldaten 
zu einem nicht sehr günstigen Resultat gelangt. Weiterhin wird auch der 
Einfluss des Alters, Geschlechts auf die Ernährung einer kurzen Besprechung 
unterzogen. 

In den letzten beiden Abschnitten schreibt See noch über die künst¬ 
lichen Nahrungsmittel und „exclusiven Ernährungssysteme“ (Milchdiät, Vege¬ 
tarianer- und Magerkost, Fasten, Traubenkur), endlich von den „ersatzbildenden 
und dynamischen Eigenschaften der Nahrungsmittel“ — Dinge, die zum 
Theil bereits früher erwähnt und besprochen wurden, theils wie z. B. § 3 
des Gap. XI: „Wie viel geht von den verschiedenen chemischen Bestand- 


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theilen der einzelnen Nahrungsmittel in das Blut über*, eine frühere Er¬ 
wähnung im Zusammenhang mit der Verdauung und Resorption erheischt 
hätten. 

Ohne dass eigentlich aus dem gebotenen Beweismaterial genaue Schlüsse 
über die Ernährung unter den verschiedenen physiologischen Verhältnissen, 
an die sich der Arzt, Militär- oder Verwaltungsbeamte halten könnte, ge¬ 
zogen werden, endet der erste Theil und der Verfasser geht über zum 
zweiten: „Die hygienische Behandlung der Kranken.“ 

Gegen den Titel dieses Theils, dessen Inhalt die Störungen in der 
Ernährung bei einer Reihe von Krankheiten und die Bekämpfung dieser 
Krankheiten durch rationelle Ernährung zu erörtern bestrebt ist, muss man 
vom Standpunkt des Hygienikers entschieden Verwahrung einlegen. Was 
See die hygienische Behandlung von Kranken nennt, ist nicht mehr 
Hygiene, sondern ausschliesslich Aufgabe der speziellen Pathologie und 
Therapie oder wenn man will, der pathologischen Physiologie; die Hygiene 
gibt die Grundsätze für die richtige Ernährung des gesunden Menschen, für 
die Bedürfnisse der verschiedenen Lebensalter und Berufsarten an, aber 
man kann billiger Weise der Hygiene doch nicht zumuthen, auch noch 
dahin zu wirken, dass beispielsweise ein Zuckerruhrkranker keine Zucker¬ 
und zuckerbildenden Stoffe mehr zu sich nimmt oder festzustellen, welche 
Auswahl unter den Speisen der Magenkranke zu treffen hat. 

Der Betrachtung unterzogen werden die Magen-, Darm- und Leber¬ 
krankheiten, Fieber, Phthisis, Chlorose, Anämie und Erschöpfungsneuro¬ 
pathien, Gicht, Diabetes, Fettsucht, Herz- und Nierenkrankheiten. Wie man 
sieht, verfolgt See auch in dieser Darstellung kein geordnetes System, da 
sogenannte Ernährungsanomalien (Chlorose, Anämie, Gicht, Diabetes) zu¬ 
sammengestellt sind mit allgemeinen Symptomen der verschiedenartigsten 
Krankheiten (Fieber) und einzelnen auf tiefgreifenden organischen Ver¬ 
änderungen beruhenden Erkrankungen (Herz- und Nierenkrankheiten, Phthise). 

In der Behandlung der einzelnen Krankheitsformen ist gleichfalls der 
Zusammenhang nicht so innig, wie es für ein Lehrbuch, von dem man 
vor Allem Uebersichtlichkeit und präcise Darlegung der leitenden Grund¬ 
sätze, die sich aus der eigenen Erfahrung und dem Vergleich der (übrigens 
mit ausserordentlichem Fleiss zusammengesuchten) Literatur ergeben, 
wünschenswerth, ja Erforderniss ist. Die willkürliche Trennung verwandter 
Gegenstände und vorzüglich der Mangel bündiger Schlussfolgerungen aus 
den oft sehr umfangreichen Diskussionen über die verschiedenen Ansichten 
der einzelnen Autoren erschwert die Lectüre ganz ausserordentlich und er¬ 
fordert ein förmliches Durcharbeiten durch die einzelnen Capitel. 

Als weiterer Nachtheil muss noch angesehen werden, die Unzahl von 
Benennungen verschiedener Formen und Stadien der Erkrankungen und 
lokaler Aeusserungen der Krankheitsursachen mit eigenen Namen. Wenn 
man fortwährend die complicirtesten Bezeichnungen, wie schleimige Entero- 
dyspepsien, mucinös-albuminöse Dyspepsien, acholische und icterische Dys¬ 
pepsien, dann von Magen-, Darm-, Leber-, Nieren-Gicht oder von den 


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360 — 


zahlreichen Typen der Herzkrankheiten liest, so fühlt man sich unwillkürlich 
in die Zeiten zurückversetzt, wo die Medizin durch die unverständlichsten 
Bezeichnungen und Formeln dem Publikum gegenüber sich mit einem ge- 
heimnissvollen Zauberkreis zu umgeben suchte, ja man könnte zu der An¬ 
schauung verführt werden, dass das Ringen der Wissenschaft während der 
letzten Jahrzehnte, die Erscheinungen des kranken Organismus mit den 
Grundgesetzen der normalen Lebenserscheinungen zu erklären, erfolglos 
geblieben ist. 

Der Verfasser hat als äussere Form für seine Abhandlung die Ein- 
theilung in Capitel und kleine Absätze mit einer den Inhalt kurz angebenden 
Ueberschrift gewählt. Gewiss ist diese Anordnung, trotzdem sie der ganzen 
Darstellung den einheitlichen Charakter raubt, für die Orientirung sehr von 
Vortheil; leider aber hat See den Werth dieser Gruppirung selbst hin¬ 
fällig gemacht, da er den Inhalt der Absätze und Capitel sehr oft mit dem 
Titel gar nicht oder nur unvollkommen übereinstimmen lässt. 

Ich glaube, dass das Buch in dieser Form und Bearbeitung nicht dazu 
geeignet ist, den Ideen des Verfassers den richtigen Ausdruck zu verleihen. 
Dass die Ideen, die ErnährungsVorgänge bei Krankheiten eingehender zu 
erforschen und die dabei gewonnenen Ergebnisse auf die Behandlung der 
Krankheiten zu übertragen, in noch viel höherem Grade sich Geltung ver¬ 
schaffen werden als gegenwärtig, steht jedenfalls ausser aller Frage. 

Pfeiffer (München). 

Dr. Th. Schneider (Basel): Die wichtigsten giftigen und essbaren Schwämme. 

Correspondenzblatt f. Schweizer Aerzte 1888. Nr. 22 v. 15. Nov. S. 690 ff. 

Die Schwämme stehen bekanntlich vermöge ihres hohen Gehaltes an 
verdaulichen Eiweissstoffen sowie an wichtigen Nährsalzen in einer Reihe 
mit unsem wichtigsten Nahrungsmitteln. Ihre Ausbeute zu Ernährungs¬ 
zwecken würde eine weit grössere sein, wenn die Kenntniss der giftigen 
und ungiftigen Schwammarten eine mehr allgemein verbreitete wäre. Es 
gibt Pilze, welche besondere Giftstoffe enthalten, und zwar neben einigen 
Mutterkornpräparaten das Muscarin, Anamitin und die Hel veil asäure. 
Ausserdem können aber auch andere Pilze, wenn in verdorbenem Zustande, 
giftig wirken, und zwar durch Ptomaine, ebensogut wie verdorbenes Fleisch. 
Verf. zählt des näheren die in etwa ein Dutzend Arten in der Schweiz 
vorkommenden Giftpilze auf, welche mit ungiftigen verwechselt werden 
könnten. Die unterscheidenden Merkmale dieser müssen also genau be¬ 
kannt sein und gelernt werden. Verf. geht dann des näheren auf die ess¬ 
baren Schwämme ein, zeigt, dass bei einem Ausflug beträchtliche Mengen 
solcher, die auch einen ziemlichen Geldwerth darstellen, gesammelt uverden 
können, gibt nähere Angaben über die beste und ergiebigste Art des Pilz* 
sammelns in den verschiedenen Jahreszeiten, und die Zubereitung der ge¬ 
sammelten Schwämme zum spätem Genüsse. 

Neuerdings wird diesem Gegenstand auch bei uns, namentlich in den 
Landschulen, erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. Schmidt-Bonn. 


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Prof. Gärtner, Ueber die Fleischvergiftung in Frankenhansen am Kyffh. 
und den Erreger derselben. Correspondenzblätter des allgem. ärztl. Vereins 
von Thüringen. 1888. XVII. Jahrgang. 

Durch Genuss von 800 Gramm rohen Fleisches, welches von einem 
nothgeschlaehteten Rinde stammte, erkrankte im Mai 1888 ein kräftiger 
Arbeiter. Die ersten Krankheitszeichen stellten sich bereits zwei Stunden 
nach dem Genüsse des Fleisches ein. 34 Stunden später Tod. Die Section 
des Mannes ergab Veränderungen der Därme, ähnlich denjenigen, die bei 
Typhus abdominalis gefunden werden. Bei der Besichtigung des geschlach¬ 
teten Thieres hatten ausser stellenweisem röthlichen Aussehen der dünnen 
Därme krankhafte Zustände nicht ergeben. 

Im ganzen erkrankten von 25 Familien, die von besagtem Fleische 
gegessen hatten, 58 Personen, während ohne von dem Fleische genossen zu 
haben nur eine 66jährige Frau krank wurde; dieselbe war die Mutter des 
Ersterkrankten, hatte diesen gepflegt, und wurde ihre Erkrankung von dem 
betr. Medizinalbeamten darauf bezogen, dass sie sich an der mit Koth 
beschmutzten Bettwäsche des Sohnes inficirt hjibe. War das Fleisch roh 
gegessen, so liess sich nachweisen, dass die Erkrankten um so schwerere 
Symptome zeigten, je mehr sie genossen hatten. Nicht so bei denjenigen, 
die das Fleisch vor dem Genüsse gekocht hatten. Ausser den Anzeichen 
schwerer Allgemeinerkrankung zeigten sich Erbrechen, Durchfalle und Magen¬ 
blutungen. Leichtere Erkrankungen dauerten 3 bis 5 Tage, mittelschwere 
1 bis 2 Wochen, schwere bis 4 Wochen. Bei letzteren trat später Ab¬ 
schuppen der Haut ein. 

Die vom Verfasser auf das Genaueste ausgeführte bakteriologische 
Untersuchung ergab in dem von dem qu. Rinde stammenden Fleische, in 
der Milz des Rindes sowie in der Milz des Ersterkrankten die gleichen, 
sonst nirgends angetroffenen und von anderen Bacterien nicht begleiteten 
Bacillen, kurze Stäbchen, die auf den verschiedenen Nährböden charakte¬ 
ristische Golonieen bildeten, je nach der Natur der Nährboden verschiedene 
Form zeigten, sich aber dennoch als eine distincte Species erkennen Hessen, 
Gelatine nicht verflüssigten, sich nach Gram nicht färbten und im übrigen 
ein tinktorielles Verhalten zeigten, ähnUch dem der Mikroorganismen der 
Frettchenseuche und der Friedländer’schen Pneumoniebakterien. Sie fanden 
sich fast ausschliesslich in der Blutbahn und werden von Gärtner als 
„Bacillus enteritidis“ bezeichnet. Zahlreiche in verschiedenster Form 
(mit dem Fleische der Kuh, mit Reinculturen, mit Massenculturen auf 
Fleisch etc.) ausgeführte Versuche wiesen sowohl ihre Eigenschaft als Krank¬ 
heits-Erreger wie auch die Giftigkeit ihrer Stoffwecliselprodukte nach. Die 
Obductionen ergaben bei den betr. Thieren die Zeichen einer Darmentzün¬ 
dung, welche häufig mit Blutungen einherging, in seltenen Fällen Eiter¬ 
heerde in Milz und Leber, nicht aber Milz- oder Leberschwellung. Die Wir¬ 
kung sterihsirter Gulturen, also der Stoffwechselprodukte der Bacillen, war 
verschieden und zeigte sich abhängig von der Art des Versuchstieres. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 25 


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Es ist nach Vorstehendem mit Sicherheit anzunehmen, dass die qu. 
Fleischvergiftungen durch den beschriebenen Bacillus verursacht waren. 

Es ist durch Gärtner’s Untersuchungen somit zum ersten Male in 
zweifelsfreier Weise die Ursache von Fleischvergiftungen auf Bakterien zuruck* 
geführt worden. 

Nach Besprechung des Zusammenhanges zwischen dem Genüsse schlechten 
d. h. durch Bakterien verdorbenen Fleisches und einer Gruppe von Erkran¬ 
kungen, die als Brechdurchfall, cholera nostras etc. in den Morbiditäts¬ 
statistiken figurieren, betont Gärtner nachdrücklich die Gefährlichkeit 
des Fleisches nothgeschlachteter Thiere, „Der Verkauf desselben 
sollte nur dann freigegeben werden, wenn der Thierarzt das¬ 
selbe als erwiesen unschädlich für die menschliche Gesundheit 
erachtet. Flatten. 

Ueber die Ursachen der Lösung von Blei und die Beseitigung derselben. 

(Deutsche Bauzeitung. XXIII. Jahrg. 1889. p. 31.) 

Die Abhandlung hebt hervor, dass Blei-Krankheit (Saturaismus) nicht 
immer von vornherein sicher zu erkennen sei. Das vom Körper aufgenom¬ 
mene Blei könne aus sehr verschiedenen Quellen stammen. Bei Färbwaaren- 
Händlem und -Arbeitern, Malern, Anstreichern, Setzern und Druckern, in 
Kellereien (durch Schrot und Staniol) auch bei Jägern durch Verschlucken 
von Schrotkörnern, können Blei-Vergiftungen Vorkommen. Blei-Aufnahme 
kann ferner durch Küchen-, Ess-Geräthe, Spielwaaren und durch Trink- oder 
Speise-Wasser Vorkommen. Da das Blei vom Organismus nicht rasch 
wieder ausgeführt wird, sondern monatelang darin verbleibt, und sich also 
im Körper ansammeln kann, findet die Erkrankung nicht nur bei Aufnahme 
von grösseren Mengen Blei alsbald statt, sondern es kann die Krankheit 
ebensowohl durch Aufnahme der kleinsten Mengen Blei, sofern eine solche 
fortlaufend oder häufig wiederkehrend vorkommt, auftreten und sich bis zur 
tödtlichen Wirkung steigern. Dass Fälle von Blei-Krankheit Vorkommen 
können, die dem Trink- oder Speise-Wasser irrthümlich zugeschrieben wer¬ 
den, ist sonach erklärlich, indessen gebührt bei dem weit verbreiteten Ge¬ 
brauche von Bleirohren zu Haus-Anschlüssen bei Wasserleitungen dieser 
Frage eine besondere Aufmerksamkeit. 

Die chemische Analyse gestatte nicht einen Schluss auf die Aufnahme¬ 
fähigkeit des Wassers für Blei, die Ansichten über die Ursachen der Blei¬ 
lösung durch Wasser gehen oft sehr auseinander. 

In England hat man umfassende Versuche über diesen Gegenstand 
angestellt. Auf einer Seite ist man der Ansicht, dass nur weiches Wasser 
Blei löse; Andere schreiben dem Sauerstoff, noch Andere der Abwesenheit 
von Kohlensäure die Blei-Aufnahme zu. Bei einem Gehalte von mindestens 
3 Vol. •/• Kohlensäure sei Bleilösung ausgeschlossen (s. Dessau Gegen, 
theil). Versuche der Royal-Gommission haben dargethan, dass blanke 
Flächen viel öfter angegriffen werden als mit Oxydschicht bedeckte, dass 
aber die Härte ohne Einfluss ist. Viele Proben haben erwiesen, dass weiches 


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Wasser, welches reich an gelöstem Sauerstoff und beinahe frei von Kohlen¬ 
säure war, weder auf blankes noch oxydirtes Blei lösend wirkte. Die An¬ 
sicht, dass die freie Kohlensäure nicht das einzige Schutzmittel gegen den 
Blei-Angriff sei, war demnach bestätigt. (S. unten Dessau, wo gerade der 
Kohlensäure die Schuld der Bleilösung zugeschrieben wird!) 

Man hat in England beobachtet, dass phosphorsauren Kalk enthalten¬ 
des Wasser Blei nicht angreift. Das Wasser des Vyrany ist von Kohlensäure 
frei, enthält Spuren von phosphorsaurem Kalk und greift Blei nicht im 
mindesten an, während das ebenfalls weiche Wasser des Kent, welches 
geringe Mengen von Kohlensäuse enthält aber frei von phosphorsaurem Kalk 
ist, Blei besonders stark aufnimmt. Unreines Brunnenwasser soll nach Er¬ 
mittelung der englischen Commission besonders stark bleilösend wirken. 
Ferner zog die Commission aus den Beobachtungen in Glasgow und Man¬ 
chester und anderen englischen Städten den „beruhigend.klingenden“ Schluss, 
dass Bleirohre auch für bleilösendes Wasser brauchbar seien, falls die 
Wasserversorgung eine constante ist. 

Der übrige Theil des Aufsatzes bespricht die Dessauer Bleivergiftungen. 
Die von Dr. Heyer ausgeführten Versuche ergaben, dass der Luftgehalt 
(Sauerstoff) des Wassers mit Schuld, dass aber die eigentlichen Ursachen 
hier in dem Kohlensäuregehalt des Wassers lag. Diese Arbeiten sind in 
dieser Zeitschrift in diesem Jahrgange Seite 121 eingehend besprochen. 

Knublauch. 

A. Frank, Docent in München, Die Wasserversorgung Wiens. Gesundheits- 
Ingenieur 1889, Nr. 10. 

Die Hochquellenleitung Wiens, welche seit 15 Jahren besteht und die 
Wasser des Kaiserbrunnens und der Nixensteinquelle der Stadt zuführt, 
liefert ein jeder Zeit vorzügliches Wasser, blieb jedoch hinsichtlich der Menge 
des Wassers zu Zeiten weit hinter dem Bedarf zurück, trotzdem dass die 
Zeit der kleinsten Lieferung (Januar bis März) nicht mit der des grössten 
Verbrauchs zusammenfallt. Als sich auch das zur Aushülfe angelegte 
Wasserwerk bei Pottschach, welches aus dem nach der Niederung sich 
fortbewegenden Grundwasserstrome schöpft, als nicht ausreichend erwies, 
entnahm man offen abfliessendes Wasser der Schwarza. Dasselbe ist jedoch 
von so mangelhafter Beschaffenheit, dass eine baldige Abhülfe dringend 
nothwendig erscheint. Man beabsichtigt nun die im Höllenthale längs der 
Schwarza zu Tage tretenden Quellen zu erwerben und hofft dadurch die 
Wassermenge um 34,000 cbm täglich vergrössera zu können. Kommt 
dieser Plan zur Ausführung, so wird die Gesammtleistung aller Entnahme¬ 
stellen im ungünstigen Falle täglich 55,000 cbm betragen. 

Der thatsächliche Bedarf erscheint auf diese Weise immer noch nicht 
gedeckt. Die Einwohnerzahl innerhalb der Linien Wiens beträgt gegenwärtig 
806,000 Köpfe und wird bis zum Jahre 1900 voraussichtlich auf mindestens 
1,000,000 steigen. Der von dem Stadtbauamt auf den Kopf berechnete 
grösste tägliche Wasserverbrauch von 90 1 erscheint zu gering bemessen 


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zu sein. Beispielsweise beträgt der grösste tägliche Wasserverbrauch in 
Budapest und Köln 1501, in Hamburg 2041, in London 1361, in Paris 2101. 

Rechnet man für Wien auch nur 100 1 für Kopf und Tag, so ergiebt 
sich immerhin ein Bedarf von 100,000 cbm täglich. Hierzu kommt noch, 
dass auch für die Vororte Wiens eine entsprechende Wasserversorgung er¬ 
wünscht erscheint. 

Neuerdings ist nun durch die Konzessionierung der Wiener-Neu- 
städter Tiefquellen-Wasserleitung eine Abhülfe der Nothlage in 
Aussicht gestellt. 

Durch das Wiener-Neustädter Steinfeld, welches durch zwei aus den 
Alpen sich hervorstreckende Schuttkegel gebildet ist, bewegt sich ein mäch¬ 
tiger Grundwasserstrom, der durch die Niederschläge eines Gebietes von 
1400 qkm gespeist wird, und durch welchen täglich 560,000 bis 3,000,000 cbm 
Wasser zum unterirdischen Ablauf gelangen. Der Gesellschaft ist nun die 
Konzession ertheilt, aus diesem Grundwasserstrome täglich 103,680 cbm zu 
entnehmen. 

Die Gewinnung des Wassers soll durch einen 7050 m langen, 4,5 m 
hohen und 3 m weiten Stollen bewirkt werden, der senkrecht zur Richtung 
des Grundwasserstromes 15 bis 28 m unter der Bodenoberfläche angelegt 
werden soll. Abgesehen von den höher gelegenen Gemeinden, Wiener- 
Neustadt, Vöslau, Baden und Liesing, kann das Wasser mit natürlichem Ge¬ 
fälle nach Wien geleitet werden. 

Das Grundwasser ist mit dem Wasser der Hochquellen als vollständig 
gleichwerthig zu erachten. Nach bakteriologischen Untersuchungen enthielt 
(1885) das Wasser der Kaiserquelle im Reservoir am Rosenhügel 2,5 Keime 
in 1 ccm. Durch das Einpumpen von Schwarza wasser stieg die Zahl der 
Keime bis auf 128 und 250 und geht seitdem, auch wenn nicht gepumpt 
wird, nicht mehr auf die frühere Zahl zurück. Das Grundwasser des 
Steinfeldes ergab nur 1,1 Keime in 1 ccm. 

Der Plan des Stadtbauamtes, dem bestehenden Wassermangel durch 
Anlage einer Nutz Wasserleitung aus der Donau abzuhelfen, wird von der 
k. k. Gesellschaft der Aerzte und von dem Wiener Stadtphysikat deshalb 
bekämpft, weil leicht eine Verwechselung eintreten könne, und weil das 
Donauwasser zu Genusszwecken absolut nicht tauge und für viele Nute¬ 
zwecke (Spülwasser, Badewasser u. dgl.) gleichfalls als nicht unbedenklich 
zu bezeichnen sei. Fldm. 

Entwässerungsfr&gon aus der Umgebung von Berlin, Deutsche Bauzeitung, 
1889, Nro. 28. 

Eine wichtige Streitfrage über die Entwässerung ist zwischen der Stadt 
Charlottenburg und den Landgemeinden Schöneberg, Wilmersdorf und Frie¬ 
denau zum Abschluss gekommen. 

Trotzdem das Gelände dieser im Südwesten Berlins liegenden Gemeinden 
fast durchweg nur 2—4 m über Spreespiegel liegt und vielfach mit torfigen 
Schichten überdeckt ist, dringt die Bebauung daselbst von Jahr zu Jahr 


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— 365 — 

immer rascher vorwärts. Fast die einzige Entwässerung dieser Gegend, 
namentlich des gegenwärtig etwa 20,000 Einwohner zählenden Ortes Schöne¬ 
berg, bildet der mit Recht übel berüchtigte „schwarze Graben** Qerselbe hat 
einschliesslich eines Doppelarmes eine Länge von 12 km, hat ‘ein Gefälle 
von nur 1 : 3000, nimmt theils mit, theils ohne Erlaubniss Schmutzwässer 
aller Art auf und hat in Eolge dessen fast durchweg das Aussehen eines 
widerlichen Sumpfes. Um diesen unhaltbaren Zustand zu beseitigen, befahl 
die Polizei im Jahre 1886, statt des offenen Grabens einen verschlossenen 
Canal herzustellen. Ausserdem wurde der Stadt Gharlottenburg, in deren 
Gebiet der Graben in die Spree mündet, aufgegeben: „das Wasser vor 
dem Eintritt in die Spree von allen schwimmenden bezw. sinkfähigen Stoffen 
zu befreien und in eine in 15 cm mächtigen Schicht klare, geruchlose und 
nach ihrer Entnahme etwa 14 Tage lang in demselben Zustande für sich 
haltbare Flüssigkeit umzuwandeln.“ 

Die Klagen des Magistrats von Charlottenburg gegen diese Verfügung, 
namentlich dagegen, dass die Stadt Charlotten bürg allein die Kosten der 
Reinigung zu tragen habe, wurde sowohl von dem Herrn Oberpräsidenten 
als auch von dem Ober-Verwaltungsgerichte zurückgewiesen. Die Ersatz¬ 
ansprüche an die anderen Gemeinden im Rechtswege geltend zu machen, 
wurde unterlassen, vielmehr knüpfte die Stadt Charlottenburg mit den 
Gemeinden Schöneberg, Wilmersdorf und Friedenau Unterhandlungen an, 
und da diese Gemeinden vorläufig thatsächlich keine andere Entwässerung 
als den schwarzen Graben haben, andererseits sich aber von einer geregelten 
Entwässerung eine bedeutende Werth Vermehrung ihres Grund und Bodens 
versprachen, kam unter gegenseitigem Entgegenkommen folgender Vertrag 
zu Stande: Die Stadtgemeinde Charlottenburg nimmt die Wässer des 
schwarzen Grabens ohne Rücksicht auf Menge und Beschaffenheit bis zum 
Jahre 1904 in ihre Canäle auf und sorgt für die Fortschaflfimg der Wässer 
auf Rieselfelder. Die drei Landgemeinden zahlen für 1 km zugeführten 
Wassers 4 Pfg., in jedem der drei ersten Jahre jedoch die Pauschsumme 
von 20,000 M. Ausserdem verpflichten sich diese drei Gemeinden, unter 
Festsetzung einer entsprechenden Verzugsstrafe, bis zu dem genannten Jahre 
einen vollständigen, von den Behörden genehmigten Entwässerungsplan 
ihrer Gebiete fertig zu stellen. 

Unter sich haben die drei Landgemeinden nachstehenden Vertrag abge¬ 
schlossen : 

1. Die zu leistenden Zahlungen während der Dauer des Vertrages 
mit Charlottenburg, auch diejenigen für neu herzustellende Haupt¬ 
sammler im gemeinsamen Entwässerungsgebiete und für Aufstellung 
eines gemeinsammen Entwässerungsplanes, werden gleichmässig 
auf die Kopfzahl der Bewohner vertheilt. 

3. Es bleibt jeder Gemeinde unbenommen, diejenigen Theile ihres 
Gebietes von der Gemeinsamkeit auszuschliessen, deren natürliche 
Verfluth nicht der schwarze Graben bildet. 

Fldm. 


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— 366 


Frings, Reg.-Baumeister, Die Kanalisation von Düsseldorf, Vortrag gehalten 
im Vereiq**fc Gesundheitstechnik in Düsseldorf am 10. Sept. 1888. — Gesund¬ 
heits-Ingenieur 1889, Nro. 1. 

Der allgemeine Entwässerungsentwurf Düsseldorfs, der sich auf das 
ganze, nahezu 5000 ha grosse Stadtgebiet innerhalb der Gemeindegrenze 
erstreckt, zerfällt in zwei Aussensysteme, deren Bebauung noch in weiter 
Zukunft liegt, und in zwei Innensysteme, ein oberes und ein unteres, für 
welche der Bebauungsplan im Wesentlichen feststeht, ln dem oberen Systeme 
können die Kanäle mit dem Rheine bei allen Wasserständen in offener 
Verbindung bleiben, während in dem unteren Systeme diese Verbindung 
nur bis zu einem Rheinwasserstande von -f 6,0 m am Brückenpegel 
möglich ist. 

Nach den statistischen Aufzeichnungen für Köln (für Düsseldorf liegen 
keine vor) ist in den Jahren 1860 bis 1880 die Regenhöhe innerhalb einer 
Stunde nur einmal grösser gewesen als 40,6 mm und bei einem Rhein¬ 
wasserstande von mehr denn + 5,0 m am Düsseldorfer Pegel niemals 
grösser als 1,2 mm. 

Der Berechnung der Kanäle sind nun folgende Annahmen zu Grunde gelegt: 

1. Der grösste zu berücksichtigende stündliche Regenniederschlag 
beträgt 40,6 mm. Dabei gelangt in der Altstadt % und in der 
Neustadt V« der Regenmenge in die Kanäle. 

2. Bei mehr denn 1,2 mm Regenhöhe treten die Regenauslässe in 
Thätigkeit. 

3. Bis zu einer Regenhöhe von 1,2 mm fliesst in der Neustadt die 
Hälfte und in der Altstadt 4 /» der Regenmenge in die Kanäle. 

4. Die abzuführende Hauswasser-Menge beträgt für Kopf und Tag 
127,5 Liter, hiervon ist die Hälfte innerhalb 9 Stunden aufzu¬ 
nehmen. 

Die Sohlengefälle der Leitungen schwanken bei den Kanälen zwischen 
1 : 200 und 1 : 3000, bei den Thonrohrleitungen zwischen 1:100 und 1 : 1000. 

Zur Spülung der Kanäle, bieten die beiden Düsseiarme, sowie die Zier¬ 
gewässer im Innern der Stadt günstige Gelegenheit, so dass die städtische 
Wasserleitung hierzu nur in beschränktem Maasse benutzt zu werden braucht. 

Die Einleitung der Abwässer ohne Klärung in den Rheinstrom ist bis 
zum Eintritt wirklicher Uebelstände unter der Bedingung genehmigt, dass 
keine Aborte an die Kanäle angeschlossen werden, und dass schädliche 
Fabrikabwässer vor der Einleitung in die Kanäle gereinigt werden. 

Der Anschluss der Hausentwässerung an die Strassenkanäle kann nur 
für solche Grundstücke gefordert werden, welche nach 1875 entstanden 
sind. Die früher vielfach verbreitete Entwässerung in die Düsseiarme 
und die Zierteiche ist jetzt ganz beseitigt. Fldm. 

Eintaro Mori, Ueber pathogene Bakterien im Kanalwasser. Zeitschrift für 
Hygiene, VI. Bd. Seite 47. 

Verfasser fand im Berliner Kanalwasser drei für Mäuse und Meer¬ 
schweinchen tödtliche Bakterienarten, nämlich den Bacillus der Mäusesep- 


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— 367 - 

ticaemie (Kocli), einen dem F riedländer’sehen ähnlichen kapseltragen¬ 
den und einen dritten, welchen Verfasser als kurzen Kanalbacillus bezeichnet. 
Die beiden letzteren werden des genaueren beschrieben. 

Flatten. 

W. Rietschel, Untersuchungen von Filterstoffen für Lüftungs&nlagen, 

Gesundheits-Ingenieur 1889 Nro. 4 u. 8. 

Um den Druckverlust, der durch das Filtern von Luft hervorgerufen 
wird, genau messen zu können, hat Herr Prof. Rietschel in Charlotten¬ 
burg einen besonderen Apparat hergestellt. Durch ein fest eingespanntes, 
quadratisches Filtertuch von 0,25 qm Grösse wird vermittelst eines Saugers 
mehr oder weniger stark Luft getrieben. Der Luftdruck wird vor und 
hinter dem Filtertuch gemessen und die gefilterte Luftmenge wird durch 
genaue Anemometer festgestellt. 

ln erster Linie wurden die engmaschigen Filtertücher von K. und Th. 
Möller in Kupferhammer bei Brackwede untersucht. Es ist dies ein 
gerauheter Barchent, ein baumwollenes Gewebe, bei dem jeder Schussfaden 
abwechselnd über zwei und unter zwei Kettenfaden hingeht. Zur Ver¬ 
wendung kamen: 

1. Neue Möller’sehe Filtertücher, welche auf je 6 cm Länge 104 
Schussfaden und 164 Kettenfaden enthalten. 

2. Alte Möller’sehe Filtertücher, welche seit 17 Monaten im Ge¬ 
brauch und während dieser Zeit nur 3 bis 4mal ausgeklopft sind, 
und welche auf je 6 cm Länge 108 Kettenfäden enthalten. 

Nach Angabe des Herrn Möller verwendet derselbe jetzt nur noch 
Tücher mit 100 Kettenfaden auf 6 cm Länge, also Tücher, welche den 
Tüchern unter Position 2 nahezu entsprechen. 

Die Versuche ergaben zunächst die etwas auffallende Thatsache, dass 
das Verhältniss zwischen Druckverlust und Menge der gefilterten Luft das¬ 
selbe bleibt bei beliebiger Aenderung des Druckverlustes. 

Bezeichnet man also mit lo die auf 0° Temperatur und 760 mm 
Barometerstand ungerechnete Menge der stündlich gefilterten Luft bezogen 
auf 1 qm Filterfläche und mit h den Druckverlust in Millimeter einer 

Wassersäule, so ist ~ zwar abhängig von der Beschaffenheit des Tuches, 
lo 

aber unabhängig von h. 

Bei neuem Filtertuch war der Werth von zunächst gleich 0,002, 

lo 

nahm aber durch den Gebrauch sowie durch künstliche Verstaubung sehr 
rasch zu und stieg während der Versuche (115 Versuche von je 10 Minuten 

Dauer) bis zu 0,030. Bei dem gebrauchten Filtertuch war ^ zu¬ 
nächst = 0,02 und stieg bald auf 0,04, auf welcher Höhe es sich bis zum 
Schluss der Versuche erhielt. 


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— 368 — 


In der Praxis hat man vielfach — zu 0,002 angenommen. Nach den 

lo * 


Versuchen sollte man — nicht unter 0,04 annehmen. Während man also 
lo 

nach den bisherigen Annahmen bei 1 mm Druckverlust die Luftmenge 
während einer Stunde auf 1 qm Filterfläche zu ‘/o^o* = 500 cbm berechnete, 
ergaben sich nach den Versuchen nur \'o.o* = 25 cbm. Wollte man also 
das Möller'sehe Filtertuch zu Lüftungsanlagen mittels Temperaturunter¬ 
schied, sowie zu gewöhnlichen Luftheizungsanlagen verwenden, müsste man 
ausserordentlich grosse Filterflächen einrichten. 

Ausser dem Möller 1 sehen Filtertuch sind noch untersucht: 

1. Ein von dem Ingenieur Rösicke in Berlin vielfach angewandtes 
weitmaschiges, ungleiches, auf beiden Seiten gerauhetes, leinen¬ 
artiges Gewebe, welches durchschnittlich auf je 6 cm Länge 47 
wollene Schussfäden und 57 baumwollene Kettenfäden enthält. 

2. Ein gleichfalls vielfach benutztes, baumwollenes, gewöhnlich leinen¬ 
artiges Gewebe, sogenanntes Nesseltuch, bei dem auf je 6 cm Länge 
153 Ketten- oder Schussfäden kommen. 

Die Versuche ergaben eine verhältnissmässig grosse Durchlässigkeit 
dieser Stoffe. Auch konnte die Durchlässigkeit durch künstliche Verstaubung 
nur unbedeutend verringert werden, namentlich bei dem Nesseltuch, bei 
welchem wegen der glatten Beschaffenheit des Stoffes nur wenig Staub 


haften blieb. 


Man kann bei dem R ösi cke‘sehen Filtertuch -- zu 0,001 

lo 


und bei dem Nesseltuch zu 0,002 annehmen. 

Die von Dr. Petri angestellten Untersuchungen der Filtertücher auf 
Durchlässigkeit von Staub und Pilzsporen ergaben, dass das Möller‘sehe 
Filtertuch bei längerem Gebrauch nur gröbere Staubtheilchen und Pilz¬ 
sporen zurückhalten kann, dass das R ösicke’sche Tuch eine sehr bedeutende 
Durchlässigkeit für groben Staub besitzt, und dass das Nesseltuch ebenfalls, 
wenn auch in bedeutend geringerem Maasse als das Rösicke’sche Tuch, 
gröberen Staub durchlässt. Fldm. 


Assmann: Die Pflege der Meteorologie an klimatischen Kurorten. Das 

Wetter, meteorologische Zeitschrift, 5. Jahrgang. Braunschweig. 0. Salle. 

Die Bezeichnung „klimatischer Kurort“, die noch vor wenigen Jahr¬ 
zehnten der Ehrentitel einzelner durch Lage und Klima bevorzugter Orte 
war, ist allmählich derart verallgemeinert und leider auch gemisbraucht 
worden, dass es allen Beteiligten, den Ärzten sowohl wie dem heilung¬ 
suchenden Publikum, nicht zu verargen ist, wenn sie an Stelle der nur zu 
oft marktschreierischen Anpreisungen positive Unterlagen verlangen, aus 
welchen die Eigenart der wirksamen „Heilfaktoren“ frei von jeder Vor¬ 
eingenommenheit klar zu ersehen ist. Gewiss darf die äusserst wichtige 
Tatsache, dass veränderte Umgebung und veränderte Lebensführung allein 
gar manchen Krankheitsprozess zu beseitigen im Stande sind, niemals über- 


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sehen werden; fast durchweg entscheidet ja nicht der Ort wo, sondern die 
Art wie man lebt, über die Wahrscheinlichkeit gesund oder krank zu 
werden. Indessen wird man doch nicht leicht die Skepsis ernstlich so 
weit treiben, dass man die Wirksamkeit der s. g. klimatischen Faktoren 
ganz abstreitet, obwol ohne Frage die Gegenströmung gegen eine teils 
reclamenhafte, teils naive Auffassung und Verwertung der Klimatotherapie, 
wie sie uns so vielfach entgegentritt, diese letztere bereits etwas in Mis- 
kredit gebracht und manchen an die Grenze einer negirenden Anschauung 
geführt hat. 

Wir verlangen von einem klimatischen Kurorte, dass einerseits offen¬ 
kundige Schädlichkeiten der allgemeinen Verhältnisse an ihm fortfallen, 
dass eine Summe von Einrichtungen in Bezug auf Wohnung und Unter¬ 
kunft, Verpflegung, behaglichen Aufenthalt im Freien, passende Wege¬ 
anlagen, sachverständigen ärztlichen Beirat u. s. w. vorhanden ist, und 
dass seine klimatischen Eigenthümlichkeiten wirklich wertvolle, für die 
Heilung gewisser Krankheitsgruppen anerkannt wirksame Bedingungen ge¬ 
währen, welche sich an den gewöhnlichen Wohnstätten der Menschen gar 
nicht, oder doch nur in weniger ausgesprochener Weise vorfinden. Die 
sorgfältige und gewissenhafte Erforschung aller hier einschlägigen Verhält¬ 
nisse sollte wo möglich schon vorher erfolgt sein, ehe man sich das Recht 
nimmt, einen Ort als „klimatischen Kurort“ zu bezeichnen; jedenfalls muss 
sie dauernd fortgesetzt werden. Erst wenn dieser Forderung in richtiger 
Weise Genüge geschehen ist, und, wenn mit diesen meteorologischen Auf¬ 
zeichnungen genaue Beobachtungen über das Verhalten der Kranken un¬ 
mittelbar verbunden würden, was beispielsweise in Heilanstalten und 
Sanatorien unschwer zu erreichen wäre, würden wir allmählich eine 
wissenschaftliche Grundlage für die Erledigung der Frage von dem Einfluss 
von Wetter und Klima auf den Verlauf und die Heilung gewisser Krank¬ 
heiten und Siechtümer gewinnen, und nicht mehr wesentlich nach ein¬ 
seitigen, unkontrolierbaren „Erfahrungen“ urteilen. 

Ass mann erörtert nun zunächst die wichtigsten Punkte der allge¬ 
meinen Klimatologie, welche bei der Beurteilung des Wortes klimatischer 
Kurorte vor allen anderen ins Gewicht fallen, wobei er in der Hauptsache 
das bekannte Handbuch der Klimatologie von Jul. Hann zu Grunde legt. 
Der Luftdruck, die Lufttemperatur, der wichtige klimatische Faktor der 
Strahlungs-Intensität, der bisher nur gelegentlich und in wenig systema¬ 
tischer Weise zum Gegenstände eingehender Untersuchungen gemacht 
wurde; ferner die Wasserdampfverhältnisse der Atmosphäre und ihr Einfluss 
auf den menschlichen Organismus, die Luftbewegung (der Wind), die 
Niederschläge, die Bevölkerung, die Vegetation (der Wald) werden in klarer, 
übersichtlicher und sehr anregender Weise dargestellt, die sich gleichwol 
von Übertreibung und voreiligen Schlüssen femhält. Ass mann ist kein 
einseitiger Klimatologe, der in irgend welcher Kombination dieser Faktoren, 
oder gar in der, wenigstens für die in Betracht kommenden geographischen 
Lagen, vielfach noch streitigen, keinenfalls einwurfsfrei festgestellten und 


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anerkannten Einwirkung eines einzelnen klimatischen Faktors auf den 
Menschen die allein ausschlaggebenden Heilmittel eines klimatischen Kur¬ 
ortes sieht. Er betont, dass von den allgemeinen, jedem klimatischen Kur¬ 
orte unentbehrlichen Eigenschaften die vornehmste unter allen Umständen 
eine reine, möglichst staubfreie Luft sei. In dieser Eigenschaft haben wir 
in der Tat einen Heilfaktor von der allergrössten Bedeutung zu erblicken, 
von einer so grossen Bedeutung, dass er allein an Gewicht alle übrigen 
vollkommen anfwiegt. Die Staubfreiheit der Luft ist allerdings immer nur 
eine relative. Absolut staubfreie Luft finden wir nur an unbewohnten und 
meist auch unbewohnbaren Orten, beispielsweise im ewigen Eis und Schnee 
der höchsten Berggipfel oder in der Nähe der Pole. Reine Luft im prak¬ 
tischen Sinne, also möglichstes Fehlen der Staubbeimengung finden wir 
sowol am Meeresstrande, wo der tagüber wehende Seewind die denkbar 
reinste Luft herbeiführt, als auch im Walde, wo die Bedeckung des Bodens 
mit Vegetation und die grössere Luftruhe die Beimischung von Staub zur 
Luft erschwert, und die grössere Häufigkeit von Niederschlägen der Luft 
viele Staubkeime entzieht. Ferner finden wir im Gebirge relativ staubfreie 
Luft vor, was dem weniger leicht zerfallenden Gestein und der grösseren 
Niederschlags-Häufigkeit, sowie der Anwesenheit von Wäldern, auch wol, 
wie hinzuzufügen ist, der Abwesenheit von grossem Verkehrswegen und 
industriellen Anlagen zuzuschreiben ist, was meistenteils den tatsächlichen 
Verhältnissen entsprechen dürfte. — Als ferneres allgemeines Erfordernis 
eines klimatischen Kurortes meint Assmann den Gehalt der Luft an Ozon 
bezeichnen zu müssen, wenn es möglich wäre, dessen Mengeverhältnisse 
sicher festzustellen. Man könnte hier freilich fragen, ob denn die Wirkung 
des Ozons so sicher und klar festgestellt ist, dass man auf seine Anwesen¬ 
heit als klimatotherapeutisches Agens besondem Wert legen müsste. Für 
den Menschen selbst ist dieser Wert sicher zweifelhaft. Vielleicht ist freies 
Ozon in der Luft nur ein Zeichen und Beweis, dass diese Luft rein ist, 
weil der aktive Sauerstoff sonst zur Oxidation irgendwelcher Schädlichkeiten 
verbraucht worden wäre. Ebenso steht das dritte allgemeine Desiderat, 
die genügende Ventilation, mit der Reinheit der Luft in naher Beziehung. 
Hierin stehen offenbar Küstenorte und Gebirgshöhen den Wäldern und 
tiefem Tälern erheblich voran. Treten bei solchen Tälern noch besondere 
Eigentümlichkeiten des Erdbodens, mooriger, Malaria-, und andere Infections- 
keime bergender Untergrund hinzu, so werden sie zu klimatischen Kurorten 
überhaupt ungeeignet. — Auch die Niederschläge tragen offenbar nicht 
wenig zur Reinhaltung der Luft bei, obwol man sie meist nur von der 
unangenehmen Seite betrachtet. Sicher ist ein Ort, welcher wochenlang 
wolkenlosen Himmel hat, viel weniger gesundheitbefördemd als ein solcher, 
der in kurzen Pausen Niederschläge zu erwarten hat. 

Mit der Art der Anstellung meteorologischer Beobachtungen, wie sie 
vielfach oder fast durchweg an „klimatischen Kurorten* beliebt ist, erklärt 
sich Assmann durchaus nicht einverstanden. Man kann ihm gewiss nicht 
Unrecht geben, wenn er sagt: Nicht die Korrektheit der Resultate, sondern 


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— 371 - 


das Paradiren mit kunstvoll verzierten Kiosken und Pavillonen im „Kur¬ 
garten“, in welchen die Instrumente unter denkbar ungünstigsten (je nach¬ 
dem wol auch „günstigsten“ — Ref.) Bedingungen aufgestellt sind, ist die 
Hauptsache, für welche oft Summen weggeworfen werden, für die man 
ausgezeichnete Instrumente und Registrir-Apparate beschaffen könnte. Nicht 
der Wunsch, die Wahrheit zu erforschen, sondern das Bestreben, Witterungs¬ 
verhältnisse zu konstatieren, wie man sie gebraucht, diktiert in vielen 
Fällen den Entschluss zur Errichtung einer meteorologischen Station! 
Gerade die Beschaffung von Apparaten, welche die Beobachtung frei von 
der Willkür des Beobachters machen, würde die Zuverlässigkeit der Auf¬ 
zeichnungen erheblich steigern. 

Für die Anstellung der Beobachtungen erscheinen folgende Sätze be¬ 
sonders beherzigenswert und verdienen allgemeine Beachtung und An¬ 
erkennung : 

Der klimatische Kurort soll nur seiner selbst wegen 
meteorologische Beobachtungen anstellen lassen. Nicht 
die Förderung der meteorologischen Wissenschaft, sondern 
die Ergründung der aller lokalsten klimatischen Verhält¬ 
nisse soll deren Zweck sein. Das Tal, die Niederung, der 
Bergabhang, der Gipfel, welcher den Kurort beherbergt, 
soll erforscht —, also Detailstudium im engsten Rahmen 
getrieben werden! 

Abweichend von andern meteorologischen Stationen soll deshalb an 
Kurorten das Hauptaugenmerk auf folgende Punkte gerichtet werden: 

Sobald die Höhenlage eines Ortes einigermassen genau bekannt ist — 
auch hierin findet eigentümlicherweise nicht selten eine bewusste Täuschung 
statt, indem einzelne konkurrierende Höhenkurorte von Jahr zu Jahr ab¬ 
wechselnd höher werden — bedarf es zu klimatologischen Zwecken nicht 
der fortlaufenden Beobachtung des Barometers. Die praktisch vor¬ 
kommenden Barometerschwankungen haben offenbar keinerlei Einwirkung 
auf den menschlichen Organismus. Eine Änderung des Luftdrucks um 
20 mm in 24 Stunden gehört in Zentral-Europa schon zu den äusserst 
seltenen Vorkommnissen; sie entspricht einer solchen von 0,8 mm in 
1 Stunde. Man würde sich ziemlich den gleichen Wirkungen und „Ge¬ 
fahren“ aussetzen, wenn man im Laufe einer Stunde vom Erdgeschoss 
eines Hauses bis in das zweite Stockwerk desselben hinaufstiege! 

Viel wichtiger sind die Temperatur-Beobachtungen, obwol auch 
hier die Wirkung namentlich der Temperatur-Schwankungen bis ins Unge¬ 
heuerliche übertrieben worden sind. Wie erhebliche Schwankungen wir 
mit Leichtigkeit ohne Schaden in wenigen Minuten ertragen, ergiebt sich 
beispielsweise aus der einfachen Betrachtung, dass wir an gar nichts Be¬ 
sonderes denken, wenn wir im Winter aus einem geheizten Zimmer von 
20° C. in das—10° und tiefer temperierte Freie treten. Und doch ist 
das eine Schwankung von 30 ® G. und mehr in kürzester Zeit. In Ost¬ 
sibirien, einem Lande mit anerkanntermassen extremen Klima, sind nach 


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Ferd. Müller Lungenkrankheiten unbekannt, vielmehr fanden lungenkrank 
dorthin transportierte Personen nicht selten Heilung ihrer Krankheit! 

Der tägliche Gang der Lufttemperatur ist am zweckmässigsten mittels 
eines Richard’schen Thermometers in Gestalt einer continuirlichen Kurve 
festzustellen, zu dessen Kontrole 3 Ablesungen eines sorgfältig geprüften 
Thermometers, am besten um 7 Uhr morgens, 2 Uhr nachmittags und 
9 Uhr abends auszuführen sind. Für die richtige Aufstellung des Instru¬ 
mentes ist natürlich Sorge zu tragen. Zugleich mit diesen Ablesungen 
wird mittels des feuchten Thermometers der absolute Wasserdampfgehalt 
der Luft und die relative Feuchtigkeit gemessen, wozu sich als Kontrol- 
instrument ein Haarhygrometer nach Koppe empfiehlt. Ein Maximum- und 
ein Minimumthermometer dient zur Ermittelung der täglichen Temperatur- 
Schwankung. Dieselben sind am besten abends abzulesen. 

Von grosser Wichtigkeit, besonders für Gebirgsstationen, ist die Be¬ 
obachtung der Sonnenstrahlung und der nächtlichen Ausstrah¬ 
lung. Erstere wird durch ein „ Schwarzkugelthermometer im Vacuum* 
gemessen, dessen wesentliche Einrichtung der Name besagt. Durch die 
das Thermometer umgebende, luftleere Glashülle wird die dunkle Wärme¬ 
strahlung der Umgebung, die je nach der Örtlichkeit äusserst veränderlich 
ist, fast ganz unwirksam gemacht, während die leuchtende Strahlung fast 
ungeschwächt das Glas durchdringt; ausserdem wird die Wärme-Entziehung 
durch den Wind verhindert. Man misst so in der Tat die „Temperatur 
in der Sonne“ im Gegensatz zu der im Schatten. — Die nächtliche Aus¬ 
strahlung misst man durch ein auf den Erdboden gelegtes Minimum¬ 
thermometer. 

Die Windrichtung ermittelt man durch eine genügend frei auf¬ 
gestellte Windfahne, welche mittelst eines Schreibstiftes auf eine herab¬ 
sinkende Papiertrommel ihre Stände täglich selbsttätig aufzeichnet. Ein 
solcher Apparat lässt sich mit geringen Kosten herstellen. Die Aufstellung 
soll eine solche sein, dass die Windfahne die Richtung der lokalen Luft¬ 
ströme, wie sie die Bewohner des Kurortes treffen, wiedergiebt, nicht aber 
die der höhern Schichten der Atmosphäre, welche für die Meteorologie, 
aber nicht für die Klimatologie des Kurortes wissenswert sind. Die Wind¬ 
stärke könnte durch Schätzung nach der üblichen Beaufort’schen Skala, 
in welcher 0 Windstille, 4 mässiger, 8 stürmischer Wind, 12 Orkan be¬ 
deutet, oder durch eine Wild 'sehe Windstärketafel ausreichend ermittelt 
werden. 

Für die Konstatierung der BewölkungsVerhältnisse ist die Ver¬ 
wendung eines Campbell -Stocke’schen Sonnenschein - Autographen 
dringend zu empfehlen, welcher in einfachster Weise durch Anbrennen 
eines Papierstreifens mittels einer Glaskugel eine absolut zuverlässige Re¬ 
gistrierung des stattgehabten Sonnenscheins giebt. 

Will man auch für die Niederschläge eine authentische Aufzeich¬ 
nung haben, so beschaffe man den Hottinger’schen Pluviographen; 


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— 373 — 


andernfalls lasse man zu denselben Terminen wie die übrigen Apparate 
dreimal am Tage den Regenmesser beobachten. 

Als wesentlich neu, aber hochwichtig für klimatische Kurorte, empfehlen 
sich regelmässige Messungen des atmosphärischen Staubes, welche 
man allerdings zuverlässig nur in der Weise ausführen kann, dass man 
mittels eines Aspirators eine grosse Luftmenge, etwa 1 Gubikmeter, durch 
destilliertes Wasser führt, dasselbe im Wasserbade zur Trockne eindampft 
und den Rückstand durch Wägung bestimmt. Gelegentliche mikroskopische 
Untersuchungen des Rückstandes dürften wichtige Ergebnisse über die Natur 
des atmosphärischen Staubes ergeben. 

Meissen (Falkenstein i. T.). 

£. Cornet, Wie schützt man sich gegen die Schwindsucht? Hamburg, Verlags¬ 
anstalt und Druckerei A.~G. 1889. (Sammlung gemeinverständlicher, wissen¬ 
schaftlicher Vorträge.) 

Nachdem wir durch Robert Koch’s Entdeckung als den Erreger der 
Lungenschwindsucht einen bestimmt charakterisirten Bacillus kennen gelernt 
hatten, gingen die nächsten Erwartungen und Bestrebungen dahin, gegen 
den specifischen Pilz nun auch alsbald das specifische Gegenmittel zu finden. 
Bekanntermassen sind wir auf diesem jedenfalls möglichen Wege bisher 
leider nicht glücklich gewesen. Das viel gesuchte Mittel ist noch keines¬ 
wegs gefunden. Nicht wenige Forscher aber legten sich nun allmählich 
die Frage vor, ob wir denn nicht auf andere Weise der Verbreitung dieser 
schlimmsten aller Seuchen entgegen treten können, indem wir die Verbrei¬ 
tung des Krankheitserregers zu hindern oder zu mindern suchen. In dieser 
Hinsicht sind die Experimente Cornet’s, deren praktische Schluss¬ 
folgerungen in vorliegender Broschüre dargestellt sind, von hoher Bedeutung. 
Diese umfangreichen und in gewissenhaftester Weise angestellten Versuche 
haben in wie es scheint einwurfsfreier Weise bestätigt, was sämmtliehe 
hinsichtlich der Lebens- und Entwickelungsverhältnisse des Tuberkelbacillus 
bisher bekannten Forschungen erwarten Hessen. Der Inhalt dieser Versuche 
ist im Allgemeinen bereits in meiner Besprechung des „Taschenfläschens 
für Huster“ in einem früheren Hefte dieser Zeitschrift angegeben worden. 
Es wird aber immerhin von Interesse sein, einen etwas genaueren, zahlen- 
mässigen Einblick in sie zu gewinnen. 

Es wurde Staub aus Privatwohnungen von Schwindsüchtigen, aus 
Krankenhäusern, von Strassen u. s. w. gesammelt und derselbe auf Thiere 
in geeigneter Weise verimpft. Von 392 in dieser Weise geimpften Thieren 
wurden 59 tuberkulös, in 196 Fällen waren andere rasch tödtende Krank¬ 
heitskeime vorhanden, und nur in 137 Fällen war der Staub frei von 
Krankheitskeimen. Das Auffallendste und praktisch Wichtigste aber war 
der Umstand, dass sich Tuberkelbacillen nicht etwa überall vorfänden, wo 
sich Schwindsüchtige dauernd auf hielten, sondern dass sie einzig und allein 
dort zu finden waren, wo die betreffenden Patienten, wenn auch nicht 
immer, so doch hin und wieder entweder auf den Boden oder ins Taschen- 


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— 374 - 


tuch gespuckt hatten, dass aber in solchen Wohnungen, wo der Kranke 
niemals auf den Boden oder ins Taschentuch spuckte, sondern ausschliesslich 
in einen zweckmässigen Spucknapf seinen Auswurf entleerte, in keinem 
einzigen Falle, auch in der nächsten Umgebung des Patienten, Tuberkel¬ 
bacillen nachgewiesen werden konnten, dass dort also keine Gefahr der 
Ansteckung bestand. Ja, sogar in einigen sehr reinlich gehaltenen Kranken¬ 
sälen waren, obwohl sie mit zahlreichen Schwindsüchtigen belegt waren, 
keine Bacillen nachzuweisen. 

Damit aber ist der praktische Beweis erbracht, dass der Schwind¬ 
süchtige an sich keine Gefahr für seine Umgebung repräsentirt, dass seine 
Ausathmungsluft ungefährlich ist, dass sogar sein Auswurf unschädlich ist, 
so lange er feucht gehalten wird. Von dem Augenblicke aber, wo er 
getrocknet, ist, wenn auch nicht die Nothwendigkeit, so doch die Möglich¬ 
keit der Ansteckung gegeben. Mit andern Worten: die Ansteckungsfahigkeit 
der Schwindsucht ist nicht ein unabänderliches Naturgesetz, sondern wir 
haben die Mittel in der Hand, sie zu beschränken, sie aufzuheben, wir 
selbst sind Schuld daran, wenn sie in der bisherigen Weise fortbesteht. 

Die praktischen Consequenzen aus diesen Thalsachen gipfeln also in 
der Forderung, dass vor allem der Lungenkranke nie und unter keinen 
Umständen ins Taschentuch oder auf den Fussboden spuckt und dadurch 
Gelegenheit zur Vertrocknung und Verstaubung seines Auswurfes giebt. Der 
Auswurf soll nur in zweckmässig construirte Spucknäpfe entleert werden, 
die etwas Flüssigkeit enthalten, und ihrerseits regelmässig in den Abort 
auszuschütten und mit heissem Wasser zu reinigen sind. Der Schwind¬ 
süchtige wird um so leichter zu diesem Verfahren zu bringen sein, wenn 
er bedenkt, dass er im andern Falle ja nicht nur seine Umgebung, seine 
Familie, seine Angehörigen, die ihn pflegen, sondern vor allem auch sich 
selbst in die höchste Gefahr bringt. Denn er lebt ja gewissermassen im 
Mittelpunkte des von ihm ausgehenden Ansteckungskreises, und muss dem¬ 
gemäss seine zu Staub vertrockneten Bacillen am allermeisten selbst ein- 
athmen, mehr als jeder auch in seiner nächsten Nähe Befindliche. Seine 
kranke Lunge kann im Heilen begriffen sein, da athmet er wieder neue, 
seine eigenen Bacillen ein, die er ausgespuckt und vertrocknen lassen hat, 
und an hisher gesunden Stellen der Lunge beginnen neue Krankheitsprozesse, 
die sein Schicksal entscheiden können. Aber nicht nur der Schwindsüchtige, 
sondern Jeder, der eine vermehrte Absonderung seiner Schleimhäute, sei 
es auch nur in Folge des unschuldigsten Katarrhs das Bedürfhiss hat, aus¬ 
zuspucken, benutze für seinen Auswurf ausschliesslich einen Spucknapf. 
Diese Verallgemeinerung auf allen und jeden Auswurf ist um so mehr ge¬ 
boten, als manche, ja die meisten Schwindsüchtigen schon wochen- und 
monatelang auswerfen, bevor sie oder ihre Angehörigen eine Ahnung von 
der ernsten Natur des Leidens haben. 

Bezüglich der mannigfachen im übrigen sich ergebenden Forderungen 
und Folgerungen in Bezug auf die Gebrauchsgegenstände, Kleidung, Wäsche 
und Bett, Wohnung u. s. f. des Schwindsüchtigen, aber auch in Bezug auf 


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375 — 


Fabriken, Werkstätten, Kanzleien, Kasernen, Klöster, Strafanstalten, Gest¬ 
und Wirthshäuser, Verkaufsläden, viel besuchte Promenaden namentlich in 
Kurorten sei einerseits auf die bereits erwähnte Besprechung des w Taschen¬ 
fläschchens“ verwiesen, anderseits aber die Lectüre und möglichste Verbrei¬ 
tung der vorliegenden in gemeinverständlicher Weise gehaltenen Abhand¬ 
lung von Gomet angelegentlichst empfohlen. i 

Comet betont in seiner Arbeit noch, dass die Einrichtung eigener An¬ 
stalten für Lungenkranke möglichst zu fördern sei. Es ist klar, dass in einer 
Anstalt, wo alle von dem gleichen Ziele und Streben beseelt sind, wo das 
ganze Personal darauf geschult ist, auch die beste Garantie für die Ver¬ 
meidung alles dessen sich bietet, was den Schwindsüchtigen gefährlich 
machen würde, für ihn selbst und für seine Umgebung. Selbst das Zu¬ 
sammensein von anderweitig Kranken mit Lungenkranken an demselben 
Kurorte ist, bei richtigen Einrichtungen, unbedenklich, falfe nicht Aerzte und 
Verwaltungen einer besseren Einsicht in die NothWendigkeit dieser Einrich¬ 
tungen sich gewaltsam verschliessen. Meissen. 

Paltauf, Zur Aetiologie der Hadernkrankheit, Wiener klinische Wochenschrift. 
1888. Nro 18— 26. 

Eppinger, Pathologische Anatomie der sog. Hadernkrankheit, Wiener medi- 
cinische Wochenschrift 1888. Nro. 37—38. 

Paltauf berichtet über zwei Fälle von Hadernkrankheit. Es ist be¬ 
kannt, dass dieselbe vornehmlich bei Arbeitern in Papierfabriken und Lumpen¬ 
handlungen auftritt und z. Z. vonKraunhals (vgl. Jg. 1888 S. 118) auf die 
Bacillen des malignen Oedems zurückgeführt wurde. Verfasser konnte bei der 
Obduction (beide Kranke starben) sowohl die Identität des pathologischen 
Befundes mit dem von Kraunhals beschriebenen feststellen, als auch die 
Gegenwart von Milzbrandbacillen nach weisen. Paltauf nimmt an, 
dass die Bacillen durch die Athmungswege in den Körper gelangen, betont 
aber für die mit Eiterblasen der Haut complicirten Fälle die Möglichkeit 
einer primären Hautinfection. 

Auch Eppinger’s Kranke (acht) gingen sämmtlich zu Grunde. Sie 
starben innerhalb des 3. bis 7. Krankheitstages. Der Leichenbefund war 
genau so, wie ihn Paltauf beschreibt. Aus sieben Leichen gelang Ver¬ 
fasser die Reinzüchtung der Milzbrandbacillen, und glaubt Verfasser die 
Hadernkrankheit als Milzbrandinfection, speciell als primären 
Lungen-Milzbrand bezeichnen zu müssen. Flatten. 

Bordoni-Uffreduzzi, Ueber den Proteus hominis capsulatus und über eine 
neue durch ihn erzeugte Infektionskrankheit beim Menschen. Zeitschrift 
für Hygiene, 111. Band. Seite 333. 

Verfasser berichtet über zwei Personen, deren Krankheitserscheinungen 
in ihrem makroskopisch-anatomischen Befunde mit der Hadernkrankheit 
übereinstimmten und von welchen die eine mit hohem Fieber, Athemnoth 
und Kopfschmerz einsetzend nach vier Tagen, die andere nach fieberhafter 
Diarrhöe und nach zwei Tagen starb. 


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376 


Beim erst erwähnten Kranken zeigten sich vorwiegend Veränderungen 
der Schleimhäute der Athemwege, beim zweiten solche der Dannschleim¬ 
haut. In beiden fand Verfasser Stäbchen (Bacillen) ähnlich denjenigen des 
Milzbrands, die in Deckglaspräparation aus Blut- und Organsaft der damit 
geimpften Thiere eine deutliche Kapsel erkennen Hessen und besonderer 
tinktorieller Merkmale entbehrten. Sie fanden sich in den Blut- und Lymph- 
gefassen und zwischen den Gewebszellen, waren grösser als Milzbrand- 
bacillen und färbten sich nach Gram. Des genaueren berichtet Bordoni 
über die Eigenschaften ihrer Reinculturen. Dieselben erwiesen sich auch 
für Mäuse und Hunde, weniger für Kaninchen und Meerschweinchen als 
tödtlich. F1 a 11 e n. 

Dr. G. Kaufmann (Dozent in Zürich): Ueber den Schlangenbiss. Correspon- 
denzblatt f. Schufeizer Aerzte. 1888. Nr. 19 vom 1. Oct. S. 592 ff. 

Verf. stellte im Anschluss an zwei Fälle von Schlangenbiss (Kreuz¬ 
otter), welche beide günstig verliefen, Erhebungen über das Vorkommen 
des Schlangenbisses in der Schweiz an. Es ergab sich nach den Aufzeich¬ 
nungen des eidgenössischen statistischen Bureaus, dass in 10 Jahren, von 
1877—1886, in der Schweiz 8 Todesfälle durch Biss von giftigen Thieren, 
darunter 7 sicher durch Schlangenbiss, bekannt geworden sind. Bei näherer 
Durchsicht der Litteratur über diesen Gegenstand ergibt sich, dass von allen 
Gebissenen die meisten, 60 %, an Fuss und Zehen gebissen wurden, 28 % 
an Hand und Fingern. Was die Sterblichkeit betrifft, so betrug die¬ 
selbe bei 

den (seltenen) Bissen in’s Gesicht 66°/«, 

„ in Hand und Finger 20 °/o, 

„ in Fuss und Zehen 15,6 °/o. 

Die Gift Wirkung ist in den ersten beiden Tagen nach dem Bisse am 
heftigsten, und man kann an dem Satze festhalten, dass, wenn ein von 
einer Kreuzotter Gebissener die ersten zwei Tage überlebt, mit aller Wahr- 
scheinhchkeit ein günstiger Ausgang zu erwarten ist. Was die Behandlung 
von Gebissenen betrifft, so ist das Wichtigste, so früh als möglich in die 
gebissene Stelle tief einzuschneiden, und mit Glühmitteln (Thermocauter) 
oder Aetzmitteln (kaustisches Kali oder Ammoniak) das Gift zu zerstören 
suchen. Schmidt-Bonn. 

Dr. Don Bicardo Gomez de Figueroa, Les mines de mercure d'Almaden 
(Espagne). Journal d’hygiene, 1888, Nro. 629. 

Der Verfasser stellt nach eigenen Erfahrungen Thesen auf, von denen 
die wichtigsten hier hervorgehoben werden sollen: 

1) Diejenigen Arbeiter, welche in den Quecksilber-Bergwerken mit der 
Herausforderung des Quecksilbers beschäftigt sind, werden durch die Queck¬ 
silberdünste mehr geschädigt als diejenigen, welche über der Erde mit den 
Reductionsarbeiten des Metalls zu thun haben. 


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377 — 


2) Das Wesen der Krankheit findet der Verfasser in einer hochgradigen 
Anämie (Verminderung und Entartung der rothen Blutkörperchen, Ver¬ 
mehrung der farblosen Blutzellen und des Fibrius), ferner in organischen 
Veränderungen, vorzugsweise des Nervensystems, in Ernährungsstörungen, 
in schneller oder langsamer sich entwickelnder Vergiftung. 

3) Chronische Lungenentzündung wird sehr häufig beobachtet. 

4) Von 1883—1887 betrug die Mortalitätsziffer der Bergwerksbevölkerung 
von Almaden 16 Procent. 

Als Vorbeugemassregeln schlägt Verfasser vor: 

a. Verbesserung der Spitaleinrichtungen. 

b. Verbot der Errichtung von Wohnungen in der Umgebung der Berg¬ 
werke. Arbeiter, die das sechszehnte Lebensjahr noch nicht zurück¬ 
haben, sollen zur Beschäftigung in den Bergwerken nicht zugelassen 
werden. 

c. Kein Arbeiter soll länger als eine Stunde bei der Herausforderung 
des Quecksilbers täglich beschäftigt sein. 

d. Ueberwachung der Arbeiter durch einen Arzt und sofortige Ent¬ 
fernung aus dem Bergwerk und ärztliche Behandlung desselben so¬ 
bald sich die ersten Zeichen der Quecksilber-Vergiftung offenbaren. 

e. Verbot des Trinkens von Grubenwasser und Branntwein. 

f. Einrichtung von Hülfs- und Pensionskassen. 

Creutz (Eupen). 

Schiller, Experimentelle Untersuchungen über die Wirkungen des Wasser¬ 
gases auf den thierischen Organismus, Zeitschrift für Hygiene, 4. Band, 
Seite 441. 

In einer bei Zürich gelegenen Hutfabrik erkrankten die Hutformer 
häufig mit Kopfweh, Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, Schwächegefühl und 
Ohnmachtsanwandlungen. Da das Erhitzen der Hutformen durch Dowson- 
gasflammen besorgt wurde, die bisweilen erloschen und Gas ausströmen 
Hessen, vermuthete man in diesen die Ursache der Erkrankungen und be¬ 
auftragte das hygienische Institut zu Zürich mit einer diesbezüglichen 
Untersuchung. 

Das in Dowson-Generatoren durch Einleitung von überhitztem Wasser¬ 
dampf in Vergasungsschächte hergestellte und aus Wasserstoff, Kohlenoxyd 
und Luftstickstoflf zusammengesetzte Dowsongas, Halbwassergas, unterscheidet 
sich von dem eigentlichen Wassergas* dadurch, dass letzteres kaum Stick¬ 
stoff, wohl aber in Folge von Verunreinigungen kleine Mengen Kohlen¬ 
wasserstoffe und kleinste Mengen Schwefelwasserstoff enthält. Verfasser 
benutzte zu Thierversuchen beide Gasarten und verwendete sie sowohl bei 
constantem Volumen der Experimentalluft als auch mit beständiger Erneuerung 
derselben. 

Die Symptome der erkrankten Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, 
Mäuse und Frösche waren diejenigen der Kohlenoxydintoxikation. Wasser¬ 
gas erwies sich giftiger als Dowsongas. Von ersterem bewirkte ein Gehalt 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 26 


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378 


der Versuchsluft von 1 */©• bereits bald geringe Beschleunigung der Athmung 
und nach einigen Stunden Betäubung der Thiere, während die gleiche 
Menge Dowsongas keinerlei Vergiftserscheinungen hervorrief. 3%« Dowson- 
gas machten etwas schwerere Störungen als 1 */•© und Hessen bereits Kohlen¬ 
oxyd im Blute nachweisen, Wassergas (3°/©®) verursachte dagegen Betäu¬ 
bung und Krämpfe. Die höchste lethale Dosis betrug bei Kaninchen für 
Dowsongas etwa 1.5°/©, bei Wassergas l°/o. Bei den schwerer erkrankten 
Thieren trat Zuckerhamen und Eiweissharnen ein. 

Auch die Sectionen ergaben die der Kohlenoxydvergiftung eigentüm¬ 
lichen Veränderungen, überdies das Mengenverhältniss der weissen zu den 
rothen Blutkörperchen um so mehr zu Gunsten der ersteren verändert, je 
länger das Thier in der Versuchsatmosphäre sich aufgehalten hatte, endlich 
Texturerkrankungen der rothen Blutkörperchen. 

Der Leichenbefund entsprach übrigens genau dem Gehalte der Gase 
an Kohlenoxyd, welcher auf Kosten der Kohlensäure schwankte. 

Es enthielten: 



Dowsongas. 

Wassergas 


i. 

11. 


GO. 

5,4% 

6,1% 

bis 0,5°/© 

GO 

23,5% 

22,6% 

39-42°/© 

0 

0,6% 

0,5% 

_ _ 

H 

10,5% 

16,5% 

46-49 7© 

CH. 

0,8 % 

1,6% 


H.S 

0% 

? % 


N 

49,% 

52,3% 

5-9°/© 


Als Geruchszusatz zu den farblosen, geschmacklosen und geruchlosen 
Gasen hat sich Asa foetida bewährt. 

Bei Uebertragung der Gruber’sehen Werthe für Kohlenoxyd ergibt 
sich die noch zulässige Dosis für Wassergas bei 0,5°/©o, für Dowsongas 
bei 8,8°/oo. Flatten. 

Dr. Paul Schubert (Augenarzt in Nürnberg). Ueber Heftlage und Schrift¬ 
richtung. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 1889. Heft 2. S. 61 ff. Mit 
einer Figurentafel und zwei Schrifttafeln. 

Je nachdem beim Schreiben das Heft genau vor der Mitte des Körpers 
oder rechts von derselben liegt (Linkslagen kommen beim Schreiben mit der 
rechten Hand nicht vor) unterscheiden wir eine Mittel- und eine Rechtslage 
des Heftes; ferner je nachdem die Ränder des Heftes mit der Schulterlinie 
des Schreibenden gleich gerichtet sind oder nicht, grade und schräge Heft¬ 
lage. Es gibt also eine grade und schräge Mittellage, sowie eine grade und 
schräge Rechtslage des Heftes beim Schreiben. Nur in der ersteren, der 
graden Mittellage ist aufrecht stehende Schrift, Steilschrift, herstellbar, bei 
den anderen Heftlagen nur die heute allgemein übliche Rechtsschrift. 

Untersucht man die verschiedenen Heftlagen in Bezug auf ihre An¬ 
wendbarkeit in der Schule, so sind zunächst alle Rechtslagen schäd- 


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— 379 — 


lieh und zu verwerfen. Sie zwingen den Kopf dazu, sieh gleichfalls 
nach rechts zu drehen; die Schultern folgen mehr oder weniger; der rechte 
Arm gleitet am Pultrande nach rechts und bis zu einem gewissen Grade 
abwärts, der linke wird hinaufgeschoben; die linke Schulter hebt, die rechte 
senkt sich und die Wirbelsäule erfahrt eine Krümmung nach links u. s. w. 

Daraus entstehen: dauernde Verkrümmungen der Wirbelsäule und 
Schädigungen der Sehkraft. Verfasser weist des Näheren nach, dass die 
Rechtslage des Schreibheftes zu stärkerer Kurzsichtigkeit, namentlich des 
rechten Auges führt. Daraus erkläre sich auch,' dass in denjenigen Fällen 
von Kurzsichtigkeit, wo die Brechkraft beider Augen eine ungleiche ist 
(24°/o aller Fälle), meist das rechte Auge (in 61,6%) stärker kurzsichtig 
ist als das linke. 

Kann somit über die Schädlichkeit der Rechtslage kein Zweifel sein, 
so versucht Verfasser des weiteren den Nachweis zu führen, dass auch die 
schräge Mittellage schädlich sei. Denn bei derselben wird unwillkürlich 
der Kopf nach links geneigt, und erfährt die Wirbelsäule entsprechende 
Biegung und Drehung. Verfasser verwirft daher auch die schräge Mittellage, 
und fordert Einführung der geraden Mittellage und der dieser 
Lage entsprechenden Steilschrift. Diese Schreibart birgt nicht in sich 
selbst die Keime zu Schiefsitz, Schiefwuchs und Kurzsichtigkeit, wie dies 
bei der heute fast allgemein üblichen Schiefschrift der Fall ist. Es heisst 
in der That die Frage nach der Beseitigung des Schiefsitzes beim Schreiben 
an der Wurzel anfassen, wenn man die zum Schiefsitz immer wieder ver¬ 
anlassende Schreibweise, die liegende Schrift auf schräggelegtem Papier, 
verlässt und die Steilschrift in grader Mittellage einführt. 

Weshalb die Einführung der Steilschrift nicht möglich sein, und gegen 
die Bewegungsgesetze der menschlichen Hand verstossen sollte, ist in der That 
nicht abzusehen. Sehr zur Zeit verweist der Verfasser hier auf die That- 
sache, dass vom 8.—18. Jahrhundert nur Steilschrift üblich war. Eine 
Reihe von Schriftproben aus der Bibliothek des germanischen Museums in 
Nürnberg, welche mit einer Probe aus dem 8. Jahrhundert beginnend, in 
fortlaufender Reihe bis zur Neuzeit hin die allgemeine Anwendung der 
Steilschrift veranschaulichen, sind in dankenswerter Weise dem Aufsatz 
beigegeben, ebenso zwei bildliche Darstellungen von Schreibenden aus 
dem späteren Mittelalter. Die heute übliche Schräglage bürgerte erst vom 
17. Jahrhundert an sich allmählich ein. Der Grund hierzu war die grössere 
Bequemlichkeit der liegenden Schrift zum Schnellschreiben. Diese Rücksicht 
darf aber für die Schule nicht massgebend sein. Jedenfalls erscheinen die 
Gründe, welche für die Einführung der Steilschrift in grader Mittellage des 
Heftes sprechen, als die ungleich wichtigeren. Schmidt-Bonn. 

Dr. Paul Schubert (Augenarzt, Nürnberg): Ueber Heftlage und Schriftrich¬ 
tung. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege. 1889. Nr. 2. 

Der bereits durch mehrere Veröffentlichungen in obiger Frage bekannte 
Autor bricht auch in dieser gemeinverständlichen Abhandlung eine Lanze 
für die Steilschrift. 


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380 


Bekanntlich ist die allgemein übliche „Kurrentschrift“ eine Schief¬ 
schrift. Ihr Wesen liegt darin begründet, dass wir, um schnell und 
möglichst mühelos schreiben zu können, die Zeile in die Richtung des 
Federzuges bringen, d. h. das Heft oder Papier bei Mittenlage mit der 
obern Kante nach links drehen, auf die schräge Zeile aber gemäss dem 
Mechanismus unserer schreibenden Hand senkrechte Buchstaben — d. h. 
senkrecht zum vordem Pultrande bei unverdrehter Rumpfhaltung — stellen. 
Mit entsprechenden Modificationen kann die Schiefschrift in ungezwungener 
Weise auch in Rechtslage des Heftes entstehen; Linkslagen kommen 
bei rechtshändiger Federführung kaum vor. 

Rechtslagen des Heftes bedingen Verdrehungen des Kopfes und 
Rumpfes, was zu Kurzsichtigkeit und Rückgratverkrümmungen Anlass geben 
kann. Ueber die Unzulässigkeit der Rechtslagen sind, wie Schubert fest¬ 
stellt, alle Beurtheiler einig. 

Streitig ist nur immer noch die Frage, ob die für die Kurrentschrift 
geeignete schräge Mitten läge unbedenklich ist, oder ob eine gerade 
Mittenlage, bei der natürlich Kurrentschrift widersinnig ist und nur Steil¬ 
schrift gefordert werden kann, allein Empfehlung verdient. Während 
Berlin-Rembold und Andere fanden, dass eine Schiefhaltung des 
Kopfes durch die schräge Mittenlage des Heftes nicht bedingt werde, wollen 
Mayer und Schubert gefunden haben, dass dabei regelmässig eine Links¬ 
neigung des Kopfes stattfindet. Wenn nun auch, wie Schubert zugibt, 
eine mässige Schieflage des Heftes (30—40°) wenig bedenklich ist, so sieht 
er doch eine Gefahr der Schieflage überhaupt darin, dass sie von den Kin¬ 
dern so leicht übertrieben werden kann, wobei Schädigungen um so viel 
näher liegen. 

Dagegen erkennt Sch. den besonderen Vortheil der Steilschrift darin, 
dass sie in keiner andern Heftlage als in der geraden Mittenlage geschrieben 
werden kann (? Ref.), während die Schiefschrift auch in anderen, als ge¬ 
fährlich allgemein und ausnahmslos anerkannten Heftlagen entstehen kann. 

Durch Abdruck verschiedener Schriftproben aus früheren Jahrhunderten 
sucht dann Sch. zu beweisen, dass bis zum Ende des 16. Jahrhunderts alle 
Grundstriche in den Schriftstücken steil stehen, dass im 17. Jahrhundert 
eine leichte Rechtsneigung beginnt, und erst gegen Ende des 17. und 
im Laufe des 18. Jahrhunderts die Schrift sich immer mehr nach rechts 
neigt. Im allgemeinen wird dies gewiss richtig sein, weil die Schief¬ 
schrift, wie Sch. nicht bestreitet, dem Bedürfnisse schnell zu schreiben, ent¬ 
spricht, und weil erst allmälig im Laufe der Jahrhunderte das Schreiben 
Gemeingut Aller, Vielschreiben und Sclinellschreiben allgemeineres Bedurf- 
niss wurden. Dagegen steht es fest, dass beim Schnellschreiben auch schon 
in alter Zeit unwillkürlich Schiefschrift entstand. So erwähnte ich in dieser 
Zeitschrift (1884, Heft 2, „Die Kurrentschrift“), dass nach Faulmann 
(lllustrirte Geschichte der Schrift, Seite 548) die Römer die Schiefschrift 
bereits zu flüchtigen Notizen benutzten. 


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381 


Obwohl nun Sch. zugibt, dass die seit zwei Jahrhunderten allmälig 
wachsende Rechtsneigung der Grundstriche ihren Grund habe, da sie im 
Dienste der Schnellschrift stehe, hält er es doch für ungerechtfertigt, dem 
Kinde, welches zunächst nicht schnell zu schreiben nöthig hat, Auge und 
Rückgrat zu gefährden durch Heftlagen, welche ausschliesslich für Schnell¬ 
schrift Vortheil gewäliren. Er meint, dass ja auch noch Niemand auf den 
Gedanken gekommen wäre, die aus guten Gründen tief auf den Hals des 
Pferdes gebeugte Haltung des Jockey’s beim Reitunterrichte einzuführen. 

Ich meinerseits glaube, dass es auch schon beim Kinde die Natur mit 
der Heugabel austreiben hiesse, wenn man ihm die Kurrentschrift verbieten 
wollte; denn diese wird ihm nicht etwa künstlich anerzogen, sondern ent¬ 
spricht einem tief begründeten Bedürfnisse. Nur bei Rechtslagen des Heftes 
muss man verdreht sitzen: bei 30° geneigter Kurrentschrift, die allen Be¬ 
dürfnissen entspricht, hergestellt in entsprechend schräger Mittenlage, 
braucht man dies meinen Beobachtungen gemäss durchaus nicht. Aber 
auch die Steilschrift kann recht wohl in anderen Heftlagen als der geraden 
Mittenlage entstehen und zu Kopf- und Rumpfverdrehungen Anlass geben. 
Ueberwachung haben Kinder, wenn sie vor schädlichen Körperhaltungen 
namentlich beim Schreiben bewahrt werden sollen, immer nöthig; unter 
dieser Voraussetzung aber scheint mir die Steilschrift und die gerade 
Mittenlage des Heftes gar keine Vortheile zu bieten. 

Staffel (Wiesbaden). 

J. Daiber, Professor am Kgl. Katharinenstift in Stuttgart, Die Schreib- und 
Körperhaltungefrage. Ihr jetziger Stand — ihre künftige Lösung. Stuttgart, 
Schick har dt & Ebner, 1889. 151 Seiten. Preis M. 2,40. 

„Seit Jahrzehnten steht die Schreib- und Körperhaltungsfrage auf der 
Tagesordnung, ln ärztlichen Versammlungen, wie in Lehrer-Konferenzen, 
in den Sitzungen der Gemeinde- und Staatsbehörden wie in den Berathungen 
der Städtekammern ist dieser Frage wiederholt gedacht worden; ebenso ist 
dieselbe in Tagesblättern, Zeitschriften und Flugblättern, in einer Reihe 
medizinischer Werke mehr oder weniger eingehend zur Behandlung ge¬ 
kommen. Alle diese Kundgebungen aberhaben nicht vermocht, 
diese vielgestaltige, weitschichtige Frage in genügender 
Weise klarzustellen, und bis zum heutigen Tage sind die Ansichten 
in derselben noch so weit auseinander liegend, dass kaum abzusehen ist, 
wie der Kampf der Meinungen zum glücklichen Ende, die Frage selbst aber 
zu befriedigender Lösung gelangen soll. — Trotz der vielfach gewährten 
„Normalsubsellien“ ist die Schreibstellung der Schüler im ganzen doch die¬ 
selbe geblieben; ja es ist selbst wahrzunehmen, dass da, wo 
noch ältestes Sitzgeräth vorhanden, die Haltung beim Sch rei¬ 
ben oft weniger schlimm und verkehrt sich zeigt, als in 
Schulen mit neuester Einrichtung. 

„Diese Enttäuschung konnte zunächst nicht anders denn nur nieder¬ 
schlagend wirken, und so begreift es sich auch, dass Lehrer und Schul- 


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Vorsteher dieser Frage heute mehr als je zweifelnd und 
muthlos gegenüber stehen.“ 

Dieses einleitende Bekenntniss eines erfahrenen Schulmannes ist zu 
wichtig, um nicht vorab von demselben Kenntniss zu nehmen. Verfasser 
sieht aber diesen noch so wenig befriedigenden Stand der Dinge für einen 
dringenden Grund an, diese wichtige Frage neuerdings eingegend zu bear¬ 
beiten. 

Die Arbeit zerfallt in drei Theile. 

I. Lage und Richtung des Schreibheftes; Richtung der Schrift. 

Dieses Kapitel besteht wesentlich in einer Kritik des bekannten B erlin- 
Re mb old’ sehen .Berichtes“ (Untersuchungen über den Einfluss des 
Schreibens auf Auge und Körperhaltung des Schulkindes. Bericht an die 
zur Begutachtung dieses Gegenstandes niedergesetzte Kommission), in 
welchem unter anderm ausgesprochen war, .dass die rechtsschiefe Schrift, 
also die heutzutage übliche, bei schräger Medianlage des Heftes und leicht 
geneigter Tischplatte die den anatomischen Verhältnissen der Hand und 
des Armes wie den Bewegungsgesetzen der Augen am meisten entsprechende 
und daher die physiologische Schrift ist. “ 

Daiber bestreitet — wie manche Andere — die Richtigkeit der von 
Berlin-Rembold aufgestellten Sätze und hält die schräge Heftlage für die 
Wurzel manchen Unheils; er glaubt, dass die schiefe Schrift und schiefe 
Heftlage zu schiefer Schreibhaltung führe, und dass der Steilschrift bei 
gerader Medianlage des Heftes als .der der Organisation des menschlichen 
Körpers am meisten entsprechenden“ die Zukunft gehöre. 

Allzu wenig berücksichtigt Verfasser hier den doch ganz unleugbaren 
instinktiven Zwang zur Schieflegung des Papiers bei der grossen Mehrzahl 
aller Schreibenden. Verfasser gehört jedenfalls zu denjenigen Leuten, welche 
gewohnheitsmässig steil schreiben und also auch das Papier gerade vor 
sich hin legen. Gewohnheit thut viel, oft alles, aber durch diese Aus¬ 
nahmen wird die Regel nicht beseitigt. Nur ausnahmsweise wird 
Jemand dem Verfasser darin beipflichten, .dass hehufs Herstellung der 
Schriftformen sich am wenigsten Anstrengung für den thätigen Arm ergebe, 
wenn dieser nur leicht und lose mit dem Tisch in Berührung kommt und 
in der Art eines im Schultergelenk aufgehängten beweglichen Winkelhebels 
wirke.“ Die grosse Mehrzahl der Schreibenden wird diese Armführung für 
viel leichter ermüdend halten als das Schreiben bei etwas fester auf den 
Tisch aufgelegtem Unterarm, wobei dieser und die Hand um den in der 
Nähe des Ellbogens gelegenen Stützpunkt ein Stück eines Kreisbogens be¬ 
schreiben, dessen Sehne eben die Zeile ist. 

Wenn Verfasser ferner sagt, die allgemein gerühmte Schiefstellung der 
Schrift sei .sicher nur durch die verkehrte Heftlage in Gebrauch gekommen“, 
so sollte man fast glauben, er halte die schiefe Schrift nur für eine Schrulle, 
der zu Liebe erst die schräge Heftlage erfunden worden sei. Nein! Nicht 
die schiefe Schrift ist das Primäre; das Primäre ist die schräge Zeile, das 
Secundäre die schräge Schrift. Aus einem unvollkommenen Erfassen 


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383 


des Wesens der Kurrentschrift muss ich mir auch die schiefe Beurtheilung 
erklären, welche Verfasser dem Schwabacher Federhalter oder der Soen' 
necken’schen „Normalfeder* (?) angedeihen lässt. (Letztere ist eine Feder 
mit einem Knie, durch welches die Axe der Federspitze gegen die Axe 
des Schaftes resp. Federhalters um etwa 25° nach rechts abweicht.) Es 
muss nicht nur, wie Verfasser meint, „sehr bezweifelt werden, ob in dem 
Schwabacher Federhalter oder auch in der Soennecken’sehen „Normalfeder“ 
wirklich ein praktisches Mittel gegeben sei, bei gerader Mittellage des 
Heftes dennoch die Schrift in normalschiefer Richtung dar¬ 
zustellen“, sondern dieses Ziel ist ein in sich so widersinniges, dass jede 
angestrebte Erreichung desselben auch nur widersinnig sein kann. Die 
„Normalfeder“ hat weiter gar keinen Zweck, als dass sich ihre Spitze 
nicht schräg ab sch reibt, weil das Knie den Winkel zwischen Arm¬ 
oder Federhalteraxe und Buchstabenaxe ausgleicht. 

Ich glaube kaum, dass Verfasser durch seine Schrift neue Anhänger 
der Steilschrift gewinnen wird. Leider bleibt daher auch hiernach die 
Frage noch umstritten, wie es Verfasser in seiner Einleitung beklagt hat. 

II. Art und Charakter der Schrift. 

Wie der I. Theil im wesentlichen gegen Berlin-Rembold, so ist der 
II. Theil vorwiegend gegen Soennecken, den Verfasser des „Schrift- 
wesens“ und Vorkämpfer der Antiqua-Schrift, gerichtet. Mit Umsicht und 
Geschick tritt Daiber für die Beibehaltung der Frakturschrift ein, von der 
er nach weist, dass sie nicht erst, wie Soennecken behauptet hat, durch die 
Einwirkung des im 12. Jahrhundert aufblühenden gothischen Baustils auf¬ 
gekommen ist. dass sie vielmehr weit älteren Ursprungs ist, und schon in 
der karolingischen Zeit in Gebrauch war. Diese Frage hat übrigens kein 
hervorragenderes hygienisches Interesse und steht auch zur Körperhaltung 
kaum in irgend einer Beziehung, weshalb hier nicht näher auf dieselbe ein- 
gegangen werden soll. 

III. Zur L ösung der Schreib- und Körperhaltungsfrage 

ist nöthig: 

A. Regelung der Schultischfrage. 

Ausser den bekannten, nicht umstrittenen Forderungen bezüglich der 
Dimensionen der Schultische für die verschiedenen Körpergrössen der 
Schüler verlangt Verfasser unbedingt die „Engstellung des Tisches“, also 
eine starke negative Distanz und bezüglich der Banklehne sagt er: „Die Rück¬ 
lehne muss Kreuz und Schultern in gleicher Weise stützen und 
in der Art geformt und gestellt sein, dass sie auch beim 
Schreiben Verwendung finden kann.“ Verlangt damit also Ver¬ 
fasser die „Reclinationsstellung“, so muss es auffallen, dass er nicht auch 
die doch von den übrigen Anhängern der Reclinationsstellung betonte Noth- 
wendigkeit in Betracht zieht, dem hintenüber gelehnt Sitzenden die Tisch¬ 
platte entsprechend entgegenzubringen. Hält es Verfasser wirklich für 
möglich, dass die Schüler die beim Schreiben durchschnittlich erforderliche 


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Sehweite von 35—40 cm um 10—20 cm hinausschieben können, ohne 
sich an eine grössere Schrift zu gewöhnen? 

Erfreulich ist es, dass Verfasser von der Nothwendigkeit „der Schul¬ 
tisch muss beweglich hergestellt werden*, so sehr überzeugt ist, dass er 
alle Schwierigkeiten, welche sich in ökonomischer und diseiplinarischer 
Hinsicht dadurch ergeben, für gering anschlägt. Möchten nur alle Päda¬ 
gogen seine Ansicht theilen und sich die Mühe nicht verdriessen lassen, 
zur Beseitigung eines grossen Uebelstandes — der schlechten Schreib¬ 
haltung — einige kleinere Uebelstände in den Kauf zu nehmen, — es 
würde bald besser werden mit jenem Krebsschaden unserer Schuljugend, 
auch ohne „Reclinations-Schreibstellung.“ 

B. Regelung der Schreibarbeit. 

Verfasser giebt hier sehr beherzigenswerthe Winke für den Schreib* 
unterricht, Lehrplan der Schule, Prüfungs- und Zeugnisswesen, alles im 
Hinblick auf die Fernhaltung jeder Ueberbürdung mit Schreibarbeit. 

G. Regelung der Lehrerbildungsfrage. 

Ein Kapitel voll treffender Worte, von denen einige hier Platz finden 
mögen. „Wie sehr man . . . von dem zu erreichenden Ziele noch entfernt 
ist, zeigt sich in der Stellung, welche bis heute ein grosser Theil der 
Lehrer dem leiblichen Wohle ihrer Schüler gegenüber einzunehmen pflegt. 
Da ist z. B. beim Aufbau eines neuen Schulhauses dafür Sorge getragen 
worden, dass in sämmtlichen Schulräumen die so wichtige Erneuerung der 
Luft bequem und ohne jedwelche Belästigung für Lehrer oder Schüler zu 
bewerkstelligen ist, dass ferner der Zutritt des Aussenlichts den Bedürf¬ 
nissen der Schule möglichst angepasst und ebenso im Winter die Zimmer¬ 
temperatur aufs genaueste geregelt werden kann. Was nützen aber solche 
gewiss zweckdienliche Einrichtungen, so lange es dem Lehrer zu viel ist, 
zu rechter Zeit Hand oder Fuss zu rühren, um der Schule einen an sich 
gar geringen, in seinen Wirkungen jedoch höchst bedeutungsvollen Dienst 
zu leisten! Oder da finden sich in einer Schulklasse Tische, bei welchen 
die Sitzbank höher oder tiefer gestellt, und so auch die Sitzhöhe der 
Schüler nach Bedarf geregelt werden kann. Doch binnen zwanzig Jahren (!) 
ist es keinem der Lehrer, welche an diesen Tischen den Schreibunterricht 
ertheilt haben, in den Sinn gekommen, eine der vorhandenen Bankschrauben 
auf ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen, und noch stehen diese Tische alle 
unverrückt so da, wie sie der Fabrikant einst eingestellt hat. Oder da 
sind sämmtliche Klassen einer reichgegliederten Schulanstalt mit Tischen 
bester Qualität ausgestattet worden, und um dem Körpermaass der Schüler 
thunlichst gerecht zu werden, sind jeder einzelnen Klasse 3 verschiedene 
Tischgrössen gewährt. Doch was hilft solche Fürsorge, so lange es dem 
Lehrer noch beliebt, seine Schüler nicht anders denn nach der Lokation 
gesetzt vor sich zu sehen, oder so lange er es unbedenklich findet, dass 
jüngere und ältere Schüler ihre Klassenzimmer vertauschen, während die 
Tische ruhig an ihrem Platze stehen bleiben! — — — Forscht man aber 
nach den Ursachen solch manchfachen Versäumens, so findet man, dass in 


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manchen Fällen Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit den Lehrer seine 
Pflicht vergessen lassen, dass aber noch weit mehr einseitige, ver¬ 
kehrte Auffassung, Mangel klaren Verständnisses Grund sind 
der befremdenden Stellung, welche die Lehrerwelt den For¬ 
derungen der Schulgesundheitspflege gegenüber einzunehmen 
pflegt.“ 

Zur Abhülfe verlangt Verfasser, dass die Schulgesundheitspflege Lehr¬ 
gegenstand an den Lehrerbildungsanstalten werde. Wer soll aber diesen 
Unterricht ertheilen ? Dem Seminarlehrer fehlt die wissenschaftliche Grund¬ 
lage, auf der dieser Unterricht aufzubauen ist; dem Arzte fehlt es an prak¬ 
tischer Erfahrung bezüglich der Verwirklichung der schulhygieinischen For¬ 
derungen. Daher „muss auf der Hochschule ein Lehrstuhl errichtet werden 
für Schulgesundheitspflege, so dass nicht nur diejenigen Studirenden, die 
später als Schulärzte Verwendung finden wollen, sondern auch solche, 
welche später als Schulaufseher, Schulvorstände, Seminarlehrer und dergl. 
wirken sollen, die in diesem Fache nöthige Unterweisung empfangen können. 
Doch wird auch hier dem theoretischen Unterricht die praktische Ausführung 
sich zugesellen müssen, und zwar in der Art, dass mit dem Gesundheits¬ 
institut eine Schulanstalt verbunden wird, in welcher die vorgetragene 
Wissenschaft zur Anwendung gebracht und auf ihre Zweckmässigkeit geprüft 
werden kann.“ 

Von der Einführung der Gesundheitspflege als Lehrgegenstand in die 
Schulen erwartet Verfasser nicht viel; doch hält er es für die Pflicht der 
Schule, dass sie ihre Stimme erhebe, um die heran wachsende Jugend für 
eine vernünftige Körperpflege zu gewinnen, zu welchem Zwecke die Auf¬ 
nahme der Grundlehren der Gesundheitspflege in passender Form und Ord¬ 
nung ins Lesebuch, und die Ausarbeitung eines gediegenen Leitfadens für 
die Hand des Lehrers erwünscht ist. 

Im Schlusswort kommt Verfasser noch einmal auf die Wichtigkeit einer 
richtigen Schreibhaltung zurück, welche Frage nicht von der Tagesordnung 
verschwinden dürfe, sondern in irgend einer Weise zum Austrag kommen 
müsse. „Wie es damit aber auch werden mag, so wird man sich doch in 
keiner Weise der Hoffnung hingeben dürfen, dass irgendwie Einrichtungen 
getroffen werden könnten, welche die von den Schülern zu fordernde Schreib¬ 
haltung von selbst herbeiführten. Denn wird auch der Schultisch in der 
Art eingerichtet und sucht man ebenso die Schreibarbeit in der Weise zu 
regeln, wie dies der Organisation des jugendlichen Körpers sowie dem Maass 
seiner Kräfte entspricht, so ist die normale Schreibstellung wohl in dem 
Grade möglich, dass der Lehrer das Recht hat, dieselbe zu fordern; 
jedoch bleibt die Gefahr schlechten Schreibsitzens bestehen, und schliesslich 
wird es jede ernstliche Probe zu Tage bringen, dass es sich mit der Schreib¬ 
haltung unserer Schüler nicht anders verhält als mit der sittlichen Haltung 
derselben; es bedarf der stetig fortgesetzten Einwirkung von seiten des 
Lehrers, wenn dieselbe erreicht werden soll. Wird darum die normale 
Schreibhaltung von irgend einer Schulklasse erreicht und dauernd beibe- 


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halten, so ist dies eine sittliche That, die Lehrer und Schüler in gleicher 
Weise ehrt, da sie von beiden Seiten ebenso volle Hingabe als Selbstbe¬ 
herrschung in sich schliesst“. 

Treffliche Worte fürwahr! 

Auch derjenige, welcher mit dem Verfasser nicht in allen Punkten 
übereinstimmt, wird sein von tiefstem Interesse für den behandelten Gegen¬ 
stand, reichlicher Sachkenntnis und grosser Erfahrung zeugendes Buch 
nicht ohne grosse Befriedigung aus der Hand legen. Fänden sich unter den 
Pädagogen nur recht viele solcher Männer; es wäre eine Lust, für die Schul¬ 
gesundheitspflege zu wirken, wie es jetzt noch vielfach — keine Lust ist, 
und die Grösse und Wichtigkeit des Zieles würde ernsten Männern schon 
die Möglichkeit schaffen, sich über streitige Punkte bald zu einigen. 

' Staffel (Wiesbaden). 

Rector Julius Schmarje, Hauptlehrer in Hamburg, Steilschrift oder Schräg¬ 
schrift, ein schulhygienischer Beitrag. 

Dr. Paul Schubert, Augenarzt in Nürnberg, Zur Vertheidigung der Steil¬ 
schrift. 

Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 1889. Nro. 8. 

In vorstehenden beiden Abhandlungen wird die Discussion in der Streit¬ 
frage: Steilschrift oder Schrägschrift? weiter geführt. 

Rector Schmarje, dessen Ausführungen wesentlich Neues nicht ent¬ 
halten, fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen und Erfahrungen in 
folgenden Sätzen zusammen: 

1. Die Schnellschrift ist ein unabweisbares Bedürfniss, weil sie von 
der materiellen wie geistigen Kultur unserer Zeit gefordert wird. 

2. Eine senkrechte Schrift eignet sich zur Schnellschrift nicht, 

a) weil es unmöglich (? Ref.) ist, dabei die gerade Zeilen¬ 
richtung inne zu halten. 

b) weil sie die Thätigkeit des Auges zu sehr in Anspruch 
nimmt. (? Ref.) 

3. Die Schrägschrift entspricht völlig den Anforderungen, welche das 
Schreibbedürfniss stellt, denn 

a) sie ermöglicht es der Hand, mit Leichtigkeit und Präcision 
die Schreibbewegungen auszuführen. 

b) sie beansprucht als Mitwirkung des Auges nur eine kon* 
trollirende Thätigkeit. (? Ref.) 

c) sie ermöglicht bei schräger Mittellage des Heftes gerades 
Sitzen und ist dann ohne Gefahr für die Gesundheit des 
Schreibenden. 

4. Die Schule hat die Aufgabe, ihre Zöglinge mit einer zur Fertig¬ 
keit gewordenen, deutlichen und wohlgefälligen Kurrentschrift fär 
das Leben auszurüsten. Aus diesem Grunde muss auch sie die 
Schrägschrift wählen. 


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5. Die Schule hat in Erfüllung dieser Aufgabe ihre Maassnahmen so 
zu treffen, dass die Aneignung der schrägen Kurrentschrift die 
Körperhaltung und die Augen des Schulkindes nicht schädigt. 

Verfasser hat den Fehler begangen, dass er in seiner Abhandlung zu 
viel hat beweisen wollen; es ist daher nicht ausgeblieben, dass er sich 
namentlich auf dem für den Nichtfachmann stets schwierigen okulistischen 
Gebiete verschiedene Blössen gegeben hat. 

Diese Blössen werden von Schubert geschickt benutzt, um unter 
Aufdeckung derselben sich abermals für die Steilschrift in’s Zeug zu legen. 
Ein Eingehen auf die streitigen Punkte zwischen den beiden Autoren scheint 
mir hier nicht am Platze zu sein, weil dadurch neue Gesicjitspnnkte zur 
Klärung der eigentlichen Streitfrage nicht gewonnen werden. Das eine ist 
ja Schubert längst gelungen nachzuweisen, dass es nicht der von 
Berlin-Rembold behauptete diktatorische Einfluss der Augenbewegungs¬ 
gesetze ist, welcher die meisten Menschen veranlasst, die Grundstriche an¬ 
nähernd senkrecht zur „Grundlinie“ (Verbindungslinie der Augenmittel¬ 
punkte) zu ziehen, dass es vielmehr im Bau der Hand begründet liegt, 
wenn diese in der Regel die Grundstriche nach der Körpermitte des Schrei¬ 
benden hin richtet, welche Richtung ja für die meisten Fälle identisch ist mit 
der „Senkrechten zur Grundlinie“. Viel mehr lernen wir aber auch aus den 
neuesten Ausführungen Schubert’s nicht, und da die Schriftfrage keines¬ 
wegs mit jenem Berl in-Rembol d’schen „Gesetze“ steht und fallt, so 
stehen sich auch ferner in dieser Frage noch zwei Parteien mit entgegen¬ 
stehenden Ansichten über die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der 
Kurrentschrift hinsichtlich der Kopf- und Körperhaltung der Kinder gegen¬ 
über. 

„Die Steilschriftfrage ist reif“ sagt Schubert, „aus dem Stadium der 
Voruntersuchung herauszutreten und einer Prüfung im grossen Maassstabe 
unterzogen zu werden. Diese ist in vollem Gange. Die bayerische Regie¬ 
rung hat angeordnet, dass in einer Anzahl von Volksschulen Versuche mit 
Steilschrift gemacht werden, die im ersten Schuljahre beginnen und mindestens 
drei Jahre fortgeführt werden sollen, ln Wien wird ähnliches vörbereitet“. 

Beide Parteien werden den Endresultaten einer solchen „Prüfung im 
grossen Maassstabe“ mit Spannung entgegensehen. 

Staffel (Wiesbaden). 

Dr. Hermann Seidel, Die habituelle Skoliose. Monatsblatt für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege (Braunschweig). 1889. Nr. 1, 4, 6 u. 7. 

Der erste Theil dieser Arbeit beschäftigt sich mit dem Wesen und der 
Entstehung der seitlichen Rückgratverkrümmung oder Skoliose, insbesondere 
derjenigen Skoliose, welche als durch schiefe Haltung verursacht ange¬ 
sehen und daher habituelle Skoliose genannt wird. Im Gegensätze zu 
der immer noch in manchen Köpfen spukenden Anschauung, das Wesen 
der Skoliose bestehe in gestörtem Muskelantagonismus, in einem Kraft¬ 
unterschiede der Muskeln beider Rumpfhälften, stellt sich Verfasser ganz 


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auf den Boden der modernen Orthopädie, welche die habituelle Skoliose, 
ebenso wie die meisten Verkrümmungen der Beine und Füsse, als eine 
Belastungsdeformität auffasst, entstehend durch häufig wiederkehrende 
ungleichmässige Belastung der Wirbelsäule iu den Jahren des Wachsthums 
bei vorhandener Disposition: Schwäche des gesammten Knochen-, Gelenk - 
und Muskelapparates, zu der im einzelnen Falle noch besondere Momente 
hinzukommen können. 

Als häufigste Gelegenheit zu dieser ungleichmässigen Belastung der 
Wirbelsäule sieht Verf. in Uebereinstimmung mit anderen Autoren die 
Schreibhaltung der Kinder an, deren verschieden-asymmetrische Arten 
nach Volk mann und Schenk beschrieben und durch zwei in vielen 
neueren orthopädischen Abhandlungen wiederkehrende, von Wildberger 
herstaromende Abbildungen veranschaulicht werden. 

Diesen Ausführungen im Grossen und Ganzen zustimmend, möchte 
ich aber doch folgenden Passus nicht unbeanstandet lassen. Verf. sagt: 
„Das, worauf Mütter und Erzieher immer den Hauptwerth legen, die so¬ 
genannte gerade Haltung, ist durchaus nicht geeignet, die seitliche Inflexion 
hintenan zu halten. Statt dass das übermüdete Kind, dessen Rückenmuskeln 
den Dienst versagen, die natürliche Erschlaffung der Muskeln durch Vor¬ 
wärtsbeugen (krummen Rücken). erreichen darf’, eine Haltung, die am 
meisten geeignet ist, der sich entwickelnden Skoliose entgegenzuarbeiten, 
wird es fortwährend ermahnt, sich gerade zu halten. Da es durch seit¬ 
liche Einknickung der Wirbelsäule am raschesten und bei noch relativ auf¬ 
aufrechter Haltung die Fixation des Oberkörpers erreicht, so knickt es die 
Wirbelsäule seitlich ein, bis die natürlichen Hemmer eintreten, und sitzt 
nun zwar für das Auge der Mutter leidlich gerade da, aber in einer ab¬ 
solut schädlichen Stellung/ 

Das ist meines Erachtens doch eine recht bedenkliche Lehre für Mütter 
und Erzieher, dass man vom Geradesitzen leicht schief werde, und daher 
lieber krumm sitzen möge. Was würden unsere Mütter und Grossmütter 
dazu sagen, von denen man oft die selbstbewusste Aeusserung hörte: „wie 
hätte siclf »zu unserer Zeit« jemals ein junges Mädchen anlehnen dürfen! 
kerzengrade mussten wir sitzen; deshalb bekamen wir auch einen so 
starken Rücken und wurden nicht schief.“ Wenn wir als vernünftige Leute 
sowohl den Ausspruch unseres Autors wie denjenigen unserer Grossmütter 
selbstredend cum grano salis nehmen, so scheint mir doch das Salzkorn 
Wahrheit in der grossmütterlichen Lehre das grössere zu sein! Diese 
nicht ganz vereinzelte Anschauung von dem „Schiefwerden durch Gerade¬ 
halten“ beruht meines Erachtens lediglich auf der Unbekanntschaft mit 
einem völlig oder gar übertrieben „gerade“ aussehenden, zur Skoliose sehr 
disponirenden Haltungstypus, dem „flachen Rücken“. Nicht weil manche 
Kinder sich (scheinbar) so gerade halten, werden sie schief, sondern weil 
sie flachrückig sind; normal gebaute Kinder werden vom „Geradehalten“ 
sicher nicht schief; nur den Flachrückigen ist das leichte seitliche Ein¬ 
knicken, die skoliotische Ruhestellung eigen, und gerade deshalb, weil ihnen 


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wegen der Besonderheit ihres Baues die Krummhaltung im obem Theil 
ihrer Wirbelsäule weniger gut möglich ist. (Ausführlicher habe ich 
diese Fragen behandelt in einer im Druck befindlichen Schrift: Ueber 
menschliche Haltungstypen und ihre Beziehungen zu den Rückgratverkrüm¬ 
mungen, Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann.) Den Rath, lieber krumm 
zu sitzen als gerade, halte ich daher für abgeschmackt; wo das Gerade¬ 
halten erschwert und auf die Dauer nicht zu verlangen ist, wie im Sitzen, 
da soll man eben gute Lehnen schaffen. 

Im zweiten Theile seiner Abhandlung beschreibt Verf. des Näheren die 
Methode, wie man skoliotische oder der Skoliose verdächtige Kinder unter¬ 
sucht: ~ für den Laien, für den doch wohl der ganze Aufsatz bestimmt 
ist, meines Erachtens zu ausführlich, zu gelehrt und zu sehr mit medizi¬ 
nischen Fachausdrücken gespickt. Den Eltern und Erziehern diese Unter¬ 
suchungsmethoden eingehender auseinanderzusetzen halte ich für zwecklos. 
Zweck hat nur die Hervorhebung derjenigen Merkzeichen, welche die Eltern 
auf das mögliche oder thatsächliche Vorhandensein einer Skoliose aufmerk¬ 
sam machen können, und die Weisung, sich zur Erlangung von Gewiss¬ 
heit und etwaiger Abhülfe an einen sachverständigen Arzt zu wenden. Aus 
demselben Grunde scheint mir die dann gegebene Beschreibung der ein¬ 
zelnen Formen der Skoliose mit Illustrationen (meistens aus Lorenz, 
Pathologie und Therapie der seitlichen Rückgratverkrümmung) nicht recht 
am Platze zu sein. 

Der dritte Theil ist der Verhütung der Skoliose gewidmet. Mit Recht 
stellt Verf. hier die Forderung, der Jugend, namentlich der weiblichen, 
eine kräftigere Constitution zu geben, in den Vordergrund. „Ein Haupt¬ 
mittel zur Erreichung dieses Zieles ist das während des ganzen Schul¬ 
unterrichts methodisch geleitete Turnen. Täglich müsste mindestens eine 
Stunde der Uebung des Körpers gewidmet werden. Die Ruhepausen 
zwischen den einzelnen Stünden müssten mindestens 10—15 Minuten be¬ 
tragen. In dieser Zeit müssten die Kinder einen Rundgang oder einen 
kleinen Dauerlauf auf dem Schulhofe machen. Dem Spielen in freier Luft, 
besonders dem Ballspiel, dem Baden und Schwimmen, müsste ein grösserer 
Prozentsatz Zeit geopfert werden.“ 

Sodann plaidirt Verf. für gute Schulbänke, wobei die Albers’sche 
Schulbank und der Lorenz’sche Sitz mit „Reclinationsstellung“ (vergl. diese 
Zeitschrift 1889, Heft 1, Referat über Lorenz, Die heutige Schulbankfrage) 
als „besonders zweckmässig“ beschrieben und abgebildet werden. 

Hinsichtlich der Behandlung der Skoliose hält Verf. mit Recht dafür, 
dass „die sogenannte schwedische Heilgymnastik zum Zwecke der Heilung 
der Skoliose keine Berechtigung mehr hat.“ Das hatte sie allerdings nie, 
insofern sie nur darauf ausging, bestimmte, für „antagonistisch schwächer“ 
gehaltene Muskeln zu kräftigen; was aber nicht ausschliesst, dass auch die 
schwedische Heilgymnastik in nicht geradezu bornirter Hand neben illu¬ 
sorischen auch ganz rationellen Zwecken gerecht wird und ihre guten Er¬ 
folge hat, wenn gleichzeitig nicht andere, ebenso wichtige oder noch wich- 


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tigere Maassregeln versäumt werden. Doch stimme ich dem Verfasser völlig 
bei, da das Bessere des Guten Feind ist. „Die rationellste Behandlung ist 
das von Lorenz eingeführte (? Ref.) methodische Redressement der rigi¬ 
den Wirbelsäule, verbunden mit in der Zwischenzeit getragenen abnehm¬ 
baren Verbänden.“ Als bester dieser abnehmbaren Verbände wird das in 
Suspensionsstellung angelegte Gypsmieder bezeichnet. (Für denjenigen 
Orthopäden, welcher sich, wie Referent und neuerdings manche seiner 
Fachgenossen durch Errichtung einer eignen mechanischen Werkstätte zum 
Herrn der mechanischen Hülfemittel gemacht hat, dürfte das Gypsmieder 
doch mehr Nothbehelf sein; ich meinerseits halte unter Zugrundelegung 
einer rationellen gymnastischen und Lagerungsbehandlung das Hessing- 
Beely’sche Stützkorsett bei geeigneter, sachverständiger Ausführung dem 
Gypsmieder in mehrfacher Hinsicht für entschieden überlegen.) 

Staffel (Wiesbaden). 

Dr. Ernst Müller, Ueber Rückgratsverkrümmung. Tübinger Gesundheits¬ 
bücher. Verlag der Lau pp'sehen Buchhandlung in Tübingen, 1889. 

Auch diese, 85 Seiten umfassende Arbeit wendet sich an das Laien¬ 
publikum und beschäftigt sich so gut wie ausschliesslich mit der habituellen 
Skoliose. 

Nachdem Verfasser den Bau der normalen Wirbelsäule und die durch 
die Skoliose hervorgerufenen Veränderungen der Gestalt ausführlich be¬ 
schrieben hat, erörtert er in Kapitel 3 die Ursachen der Rückgratverkrümmung. 
Auch er fasst die habituelle Skoliose als Belastungsdeformität auf; einseitige 
Belastung bei zu grosser Weichheit des Knochens und zu schwacher Rücken* 
muskulatur bringt sie zu Stande. Desgleichen sieht Verfasser als haupt¬ 
sächlichste Veranlassung zur einseitigen Belastung die Schreibhaltung an. 
Dass zur Hervorbringung der Schiefschrift (Kurrentschrift) das Heft schief 
gelegt werden muss, wie Verfasser verlangt, ist selbstverständlich; wenn er 
aber sagt: „wird also das Heft gerade gelegt, so muss der Kopf nach rechts 
verdreht werden, entsprechend der Richtung der Grundstriche von rechts 
oben nach links unten“, so hat dies doch nur Sinn für den kaum noch 
für möglich zu haltenden Fall, dass ein Lehrer oder Erzieher bei gerader 
Heftlage Schiefschrift verlangen würde; so viel Kenntniss des Schriftwesens 
hat hoffentlich heutzutage jeder Schullehrer, um zu wissen, dass, wie die 
Schiefschrift nur bei schiefer Heftlage, so bei gerader Heftlage nur senk¬ 
rechte Schrift Berechtigung hat. 

ln Kapitel 5 (Verhütung und Behandlung der Rückgratverkrümmung) 
warnt Verfasser davor, dass ein im Wachsthum begriffenes Kind dazu ver¬ 
anlasst wird, grössere Lasten (z. B. kleinere Geschwister) zu tragen, indem 
er treffend darauf hinweist, dass jeder Landwirth und Pferdezüchter es für 
einen schweren Fehler halten würde, seine jungen Fohlen zur Arbeit zu 
verwenden, anstatt sie frei auf der Weide umherspringen zu lassen. Von 
den Thierzüchtern können in der That die Menschenzüchter noch recht viel 
lernen! Eingehender wird dann auch hier die Lehre vom schlechten und 


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guten Sitzen vorgetragen, nicht ohne die in letzter Zeit unvermeidliche 
Empfehlung der „Reclinationsstellung“ auch beim Schreiben. Auch dem 
Turnen wird sein gebührender Platz unter den Maassregeln zur Verhütung 
der Skoliose angewiesen. 

Was die Behandlung betrifft, so empfiehlt Verfasser, der sich sonst in 
seinem Werkchen nichts weniger als einen „ Muskeltheoretiker * erwiesen 
hatte, in erster Linie die schwedische Heilgymnastik und Massage, durch 
welche es ermöglicht werde „auf bestimmte Muskelgruppen kräftigend ein¬ 
zuwirken“. Eine Begründung der Noth wendigkeit, „auf bestimmte 
Muskeln kräftigend einzuwirken“, ist aber aus den Ausführungen des Ver¬ 
fassers nirgends zu ersehen. Wenn Verfasser dann ferner sagt: „In diesen 
(vom Arzte persönlich mit dem Kinde ausgeführten Widerstands-) Uebungen 
muss eine grosse Abwechslung auch bei einem und demselben Kinde ein- 
treten, um das Interesse des Kindes wach und die Gefahr der Langeweile 
fern zu halten“, so wird dadurch diese Behandlung als nicht viel mehr denn 
als eine „wohlgemeinte Spielerei“ charakterisirt. 

Viel mehr ist ja die „moderne“ Massage der Rückenmuskeln 
auch nicht. Abgesehen davon, dass die „Schwäche“ der Rückenmuskeln 
bei Skoliose häufiger in der Einbildung mancher Therapeuten besteht als sie 
thatsächlich nachzuweisen ist, und dass der Lehre von der „antagonistischen“ 
Schwäche „bestimmter Muskelgruppen“ jeder Boden fehlt, beweisen die 
Herren, welche täglich den nackten Rücken der Skoliotischen streichend, 
knetend und hackend zu bearbeiten rathen, doch recht wenig Vertrauen zu 
ihren Widerstandsbewegungen, wenn sie diese noch nicht für ausreichend 
halten, die Rückenmuskeln zu kräftigen. Doch wir leben ja in einer Zeit, 
in welcher die körperlichen Uebel, welche dem Schicksal, massirt zu werden, 
entgehen, anfangen zu den Ausnahmen zu gehören. 

Verfasser verfehlt dann aber nicht, darauf hinzuweisen, dass „in der 
neueren Zeit“ in der Behandlung der Skoliose „auch auf das Redressement, 
auf das Zurechtdrücken des verkrümmten Brustkorbs“ und auf Fixation 
durch ein möglichst genau angepasstes Gorset aus Gyps, Wasserglas oder 
Stoff mit eingelegten Schienen“ Nachdruck gelegt wird. Ferner wird die 
Betonung der Nothwendigkeit nicht vergessen, gleichzeitig den allgemeinen 
Kräftezustand des Patienten durch gute Ernährung, reichlichen Aufenthalt 
in frischer Luft, Bäder und Waschungen möglichst zu heben und auch auf 
die Willensenergie des Kindes entsprechend einzuwirken. 

Staffel (Wiesbaden.) 

Wegweiser zum h&uslichen Glück für M&dchen. Kurze Belehrung über alle 
Haus- und Handarbeit und Kochen, Gesundheits- und Krankenpflege, zugleich 
ein praktischer Leitfaden für den Haushaltungsunterricht. Herausgegeben von 
einer Commission des Verbandes „Arbeiterwohl*. M.-Gladbach u. Leipzig 1881, 
A. Riffarth. 240 S. Preis cart. 75 Pf. In Partien billiger. 

Vor 6 Jahren gab der Verband katholischer Industrieller und Arbeiter- 
freunde „Arbeiterwohl“ ein Buch heraus: „Das häusliche Glück. Voll¬ 
ständiger Haushaltungsunterricht nebst Anleitung zum Kochen“. Dasselbe 


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wurde seitdem schon in mehreren hunderttausend Stück, namentlich von 
industriellen Verbänden sowie von Schul- und Verwaltungsbehörde^ ver¬ 
breitet, und in erster Linie an junge Frauen aus dem Arbeiter- und Hand¬ 
werkerstand vertheilt. 

Das neue vorliegende Schriftchen hat in Ergänzung des früheren den 
Zweck, schon bei den Mädchen der Arbeiterstände, namentlich bei den 
jungen Fabrikarbeiterinnen, deren oft gänzliche Unerfahrenheit in allen 
Haushaltungsdingen so manche spätere unglückliche Ehe verschuldet, die 
grundlegenden Kenntnisse zur Führung eines geregelten Haushalts zu ver¬ 
breiten. Das Büchlein wird diesen seinen Zweck am ehesten da erreichen, 
wo durch Haushaltungs-Unterricht für Arbeitermädchen, wie er in dankens¬ 
wertester Weise schon verschiedenenorts, so u. A. vom „Bergischen Verein 
für Gemeinwohl“ eingerichtet ist, auch die praktische Anschauung und Hand¬ 
habung in all’ diesen Dingen geboten wird. 

Der kurze einleitende erste Theil des Buches gibt Ausführungen über 
„die nöthige Ausbildung des Herzens und Charakters“. Der zweite Haupt- 
theil bespricht in treffenden Vorschriften die Besorgung der Hausarbeit, die 
Besorgung der Kleider und Wäsche, und die Besorgung der täglichen 
Nahrung. Alles dies ist trotz der knappen Form in erschöpfender Weise 
und dazu in lichtvoller volkstümlicher Darstellung behandelt. Besonders 
sei an dieser Stelle betont, dass den Forderungen einer vernunfigemässen 
Gesundheitspflege in allem und kleinsten Rechnung getragen ist. Nament¬ 
lich ist die Anweisung zum Bereiten der täglichen Nahrung so recht für 
die Bedürfnisse des Arbeiters zusammengestellt. Höchstens dass hier dem 
„Panhas“ (am Niederrhein beliebtes Gericht aus Buchweizen, Wurstbrühe 
und Speck bereitet) als Ersatzmittel des Fleisches eine etwas zu warm 
gefärbte Empfehlung zu Theil geworden ist. Im dritten (Schluss-) Theil 
sind noch kurze Belehrungen über die Regelung der Haushaltsangaben, 
ferner über Gesundheitspflege, Krankenpflege und Verhalten bei plötzlichen 
Unglücksfällen enthalten. Ich möchte hier nur anmerken, dass man zur 
Aufbewahrung in der „Hausapotheke“ und zur Anwendung bei kleinen 
Wunden doch keine Charpie mehr empfehlen sollte. Kleine Päckchen des- 
inficirter Verbandwatte sind heute überall billig zu haben. Bei Verbrennungen 
würde ich statt des vom Verfasser empfohlenen Bestreichens der Haut mit 
Baumöl, Butter oder Schmalz und Darüberlegens „feiner, wiederholt in 
kaltes Wasser getauchter Leinwand“ die Anwendung des gebräuchlichsten 
Brandlinimentes: Leinöl mit gleichen Theilen Kalkwasser vorziehen. Dieses 
Liniment hält sich bei Thymolzusatz (0,1 °/o) z. B. und bei gutem Verschluss 
unbegrenzt lange, ist übrigens auch in den meisten Apotheken fertig vor- 
räthig. Dem möglichst reichlichen Bestreichen der verbrannten Stelle mit 
diesem Liniment würde dann noch das Einhüllen derselben mit einer Ver¬ 
bandwatte zu folgen haben. 

Das Büchlein hat ein handliches Format, ist gut gebunden, lesbar ge¬ 
druckt, und dazu im Preise so billig, dass der so wiinschenswerthen weiten 
Verbreitung desselben auch nach dieser Richtung hin aller möglicher Vor¬ 
schub geleistet ist. Schmi dt-Bonn. 


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Ein Streifzug 

durch das Gebiet moderner Städtereinigungsfragen. 

Von 

C. K. Aird. 

(Warschau.) 


(Fortsetzung und Schluss.) 

Es ist wohl natürlich, dass nichts eher zur Erkenntniss der 
hier fehlenden Wahrheit führen kann, als eine aufmerksame Ver¬ 
folgung aller Erscheinungen, welche unter verschiedenen Verhält¬ 
nissen das Fallen der Mortalitätsrate begleiten mögen. In Cardiff 
bewirkte die Canalisation z. B. nach den Aufzeichnungen der Herren 
Prof. Corfield und Dr. Parkes eine Verminderung der gesammten 
Sterblichkeit um 24%, in Newport (Monmouthshire) eine solche 
von 23 %, und zwar ist in beiden Städten in den Specialfächern 
aller Todesarten die Zahl der Todesfälle reducirt, nur grade das 
Scharlachfieber ausgenommen, denn die Scharlachmortalität stieg 
in Cardiff um 90, in Newport um 18%. Die Kindersterblichkeit 
erscheint in Cardiff um 22, in Newport um 21 % vermindert. In 
Merthyr Tydfil fiel die gesammte Mortalität um 12%%, die Sterb¬ 
lichkeit von Kindern unter einem . Jahr ist um 54% vermindert, 
wenn auch die Zahl der Todesfälle, welche Lungenkrankheiten bei 
Kindern bewirkten, um 16% gesteigert ist. Das Scharlachfieber 
zeigt aber auch in Merthyr Tydfil wieder eine Zunahme der Mor¬ 
talität um 60%. In allen diesen Städten ist die Canalisation durch 
grosse neue Schwemmcanäle des Systems „tout ä 1’egout” bewirkt. 
In Macclesfield wurde das Eimersystem zwar beibehalten, aber es 
wurde durch Anlage neuer Thonrohrcanäle doch immerhin ein be¬ 
deutender Fortschritt gemacht. Die Gesammtmortalität wurde um 
20% vermindert, die der Kinder unter einem Jahr um 23%, 

Centr&bl&tt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 27 


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— 394 


trotzdem hier wieder die Sterblichkeit der Lungenkranken um 14% 
gestiegen ist. Abweichend dagegen von den früher genannten Städten 
ist in Macclesfleld die Scharlachmortalität um 45 % gefallen, ln 
Croydon, wo die Gesammtraortalität um 20% gefallen ist, hat die 
Kindersterblichkeit eine Zunahme von 10% erfahren. Es werden 
zwar Sonderheiten in der neuzeitlichen Entwicklung der Stadt 
hierfür verantwortlich gemacht, nichtsdestoweniger lautet aber das 
Ende vom Liede, dass man noch nicht zu definitiven Schlüssen 
über den Einfluss von Canalisationsanlagen auf die Kindersterb¬ 
lichkeit im Besonderen gelangen könne. 

Es wäre wohl interessant zu wissen, innerhalb welcher Zeit¬ 
räume die oben notirten Mortalitätsreductionen sich ereignet haben, 
aber hierüber bleiben uns die Verfasser meines Leitfadens leider 
jede Auskunft schuldig. Die grösste Verminderung scheint fast 
überall die Typhusmortalität (typhoid fever) erfahren zu haben. 
Die gewaltige Abnahme der Sterblichkeit an Abdominaltyphus, die 
in Danzig beobachtet wurde (an der natürlich auch die neue Trink¬ 
wasserversorgung ihren Antheil hat) ist zu bekannt, um noch ein¬ 
mal in Ziffern vorgeführt zu werden. Aber die doch wohl weniger 
bekannten englischen Ergebnisse, welche Prof. Cor fiel d nach 
amtlichen Berichten mittheilt, sind zu interessant, als dass ich sie 
übergehen dürfte. In neun englischen Städten beobachtete man 
seit Einführung der Canalisation eine Abnahme der Typhusmorta¬ 
lität um mehr als 50%, in Salisbury sogar eine solche von 75%, 
und in 10 anderen Städten wurde die Zahl der Todesfälle um 
33—50% vermindert. An Ausnahmen fehlt es selbstverständlich 
auch nicht, ln Rugby betrug z. B. die Abnahme nur 10%, in 
Carlisle sogar nur 2 %. In Ghelmsford und Penzance aber hat die 
Typhusmortalität sogar noch um ein Geringes zugenommen, und 
in Worthing erreicht diese Zunahme die Höhe von 23 %. Es fehlt 
indessen nicht ganz an Erklärungen für diese auffallende Erschei¬ 
nung, indem nämlich in den genannten Orten entweder andere 
locale Uebelstände vorherrschen, welche die günstige Wirkung der 
Canalisationsanlagen aufheben, oder diese Entwässerungsanlagen 
selbst besitzen so schwerwiegende constructive Fehler, dass eine 
gleich vortheilhafte Wirkung derselben gar nicht erwartet werden 
kann. In Chelmsford ist die Anlage derart, dass die Keller mit 
Canalwasser theilweise überschwemmt werden, so oft die städtische 
Pumpanlage zeitweilig ausser Betrieb gesetzt wird, ln Worthing 
fehlt es vollständig an Vorkehrungen für die Ventilation der Strassen- 
canäle, und die Canalgase werden unvermeidlich in das Innere der 
Wohnungen hineingetrieben. In einem der amtlichen englischen 
Berichte ’) heisst es darüber: „Dass hierin die Ursache für den 


1) Ninth Report of the Medical Oflicer of the Privy Council. 


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— 395 - 

Fieberausbruch des Jahres 1865 zu erblicken war, dürfte als posi¬ 
tiv erwiesen zu betrachten sein, wenn wir hinzufügen, dass das 
Fieber fast ausschliesslich die besseren Häuser heimsuchte, welche 
höher gelegen sind und wo die Wassercloset-Anlagen im Inneren 
der Häuser sich befinden, während das Fieber die tiefer gelegenen 
Häuser, meist ärmerer Gattung, nahezu verschont hat. Im Zeit¬ 
alter der Abtrittsgruben war das nicht der Fall; damals wurden 
gerade die tiefer gelegenen ärmeren Häuser viel schwerer heim¬ 
gesucht als die anderen, und endlich verschwand auch das Fieber 
aus einzelnen Häusern, in denen es sich Monate lang gehalten hatte, 
sobald die Canäle mit Oeffnungen (für Ventilation) versehen wor¬ 
den waren.“ — Derartige Beobachtungen sind, wie gesagt, auch 
in neuerer Zeit in England so häufig gemacht worden, dass man 
nicht umhin können wird, dem Gegenstand auch bei uns mit 
grösster Aufmerksamkeit zu folgen. 

Noch wesentlich interessanter erscheint wohl der Umstand, 
dass auch eine andere, bisher in grossen Städten fast ständige 
Krankheit, die Phthisis, sich vor der Macht unserer Sanirungswerke 
beugen muss, und dass wir gerade hier einen ersten Fingerzeig zur 
Fesstellung der Ursache dieser Erscheinung finden konnten. Dr. 
Buchanan ist der Finder. Seine Untersuchungen haben nämlich 
ergeben, dass in Städten, wo durch die Canalisation eine Senkung 
des Grundwasserspiegels und also eine Trocknung des Bodens be¬ 
wirkt worden ist, auch eine entsprechende Abnahme im Auftreten 
der Phthisis constatirt werden kann. In Salisbury, Ely, Rugby, 
Banbury und anderen Städten ist die Zahl der Phthisistodesfälle 
um 30—50 °/o vermindert worden. Aehnliche interessante Be¬ 
obachtungen konnten auch in Leicester gemacht werden, während 
die Phthisis sich thatsächlich unveränderlich hielt, wo eine Regu¬ 
lirung oder Lenkung des Grundwasserspiegels nicht bewirkt worden 
war. Es ist dies namentlich deutlich merkbar, wenn man die Mor¬ 
talitätsliste von Städten mit grossen Schwemmcanälen neben die 
von anderen Städten legt, welche für Regenwasser nur eine Ober¬ 
flächenentwässerung, für das Hausabwasser eine ganz undurch¬ 
lässige Thonrohrleitung, für den Grundwasserspiegel aber gar nichts 
haben. Städte der letzteren Klasse und namentlich Stafford, Mor- 
peth, Ashby, Alnwick etc. haben fast ausnahmslos eine unverän¬ 
derte Sterblichkeitsrate an Phthisis zu verzeichnen. Fast aus¬ 
nahmslos, vielleicht aber sind Ausnahmen eben nur vorhanden, um # 
die Regel als solche zu begründen. 

Für Techniker der Canalisationsbranche müssen Verhältnisse 
gerade dieser Art zur Quelle sorgfältiger Studien werden; denn die 
Werke, welche sie zu schaffen haben, werden im Dienste der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege hergestellt, und wenn in diesem Felde 


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396 


Erfolge errungen werden sollen, so kommt viel darauf an, dass die 
Winke beachtet werden, welche hygienische Statistik ihnen liefert. 
Hier empfinden wir denn deutlich, welche grosse Bedeutung der 
Gründung von Vereinen für öffentliche Gesundheitspflege beizu¬ 
messen ist, in denen Aerzte und Techniker sich in gemeinschaft¬ 
licher Arbeit für das Wohl von Hunderttausenden die Hände reichen. 
Dass z. B. fast überall in deutschen Städten in neuerer Zeit das 
Schwemmsystem zur Ausführung gekommen ist und in anderen 
wieder kommen soll, das ist in erster Linie der lebhaften Thätig- 
keit in jenen wissenschaftlichen Vereinen zu verdanken, durch deren 
Vermittlung es zum allgemeinen Verständniss kommen konnte, dass 
dieses System allerdings noch weit von der Vollkommenheit ent¬ 
fernt ist, dass es aber immerhin als das Vollkommenste von dem 
betrachtet werden kann, was bis zum heutigen Tage auf dem 
Canalisationsgebiet entwickelt wurde. 

Die Verbesserungsbedürftigkeit dieses Schwemmsystems ist von 
unparteiischen und ruhig denkenden Beurtheilern nie bezweifelt 
worden. Es ist aber auch beachtenswerth, dass in erster Linie 
gerade die Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege noch weitere 
Verbesserungen der Methode fordern; ja, es sind eigentlich allein 
diese Interessen der Gesundheitspflege, die ja dem gegenwärtigen 
Stande des Systems schon viel verdanken, nicht aber die Interessen 
der Technik, die uns den schon so hoch entwickelten Stand des 
Schwemmsystems geschaffen hat. Die Technik erscheint immer 
als ein dienstbarer Geist. Hier fordert die Hygiene ganz unersätt¬ 
lich, und die Technik hat diesen Nimmersatt zufrieden zu stellen; 
nun, darin liegt wieder für Techniker der Städtereinigungsbranche 
eine kleine Mahnung, sich nicht auf die technische Schönheit und 
Correctheit oder gar auf die Billigkeit ihrer Methode und ihrer 
Bauten zu berufen, geschweige denn zu gestatten, dass es bei 
solchen Erfolgen sein Bewenden habe. Es kommt allein darauf an, 
eine Anlage zu schaffen, die in viel jahrelangem Betrieb der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege möglichst grosse Dienste leistet. Eben 
darin unterscheidet sich ja dieser Zweig der Technik von der Mehr¬ 
zahl seiner Nebenfächer, dass er nichts für die Augenweide schaffen 
und nicht momentane Schwierigkeiten durch künstliche Verwerthung 
einer schwierigen Regel überwinden soll. Im Canalisationsfach soll 
mit den allereinfachsten Mitteln eine gewaltige Aufgabe gelöst wer¬ 
den, und auch gleich derartig gelöst werden, dass sie auf viele 
•Jahrzehnte hinaus sich den Beifall aller Betheiligten sichert. Die 
Aufgabe lautet: „Du sollst von nun an Tag für Tag aus diesem 
Häusermeer mit möglichster Geschwindigkeit viele Tausende von 
Cubikmetern an Unrath und an schmutzigem Wasser schaffen, ohne 
die Bewohner irgendwie zu belästigen und ohne dass der Boden, 
auf dem wir wohnen, ohne dass das Wasser, das wir trinken, und 


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— 397 — 

ohne dass die Luft, die wir einathmen, in irgend einer Weise ver¬ 
unreinigt werde; und so, wie es eben den öffentlichen Interessen 
am dienlichsten ist, hast du auch die Schwankungen des Grund¬ 
wasserstandes zu reguliren und einzugrenzen.“ Die Hygiene for¬ 
dert, nun heisst es also: Technik hilf dir selbst! 

An dem gegenwärtigen Transport in grossen Schwemmcanälen, 
durch den ja viel geleistet wird, gibt es vom hygienischen Stand¬ 
punkt aus denn auch noch mancherlei auszusetzen, z. B. die 
Schwierigkeit, eine unbedingte Undurchlässigkeit der gemauerten 
Canäle zir garantiren, und die Schwierigkeit, die verunreinigte 
Canalluft am unzeitigen Entweichen aus Canälen und Röhren zu 
verhindern. Der Erfüllung beider Forderungen hofft man durch 
thunlichste Verkleinerung der Canalprofile näher zu kommen, und 
was die Canalgase an sich anbelangt, so würde man gerne nicht 
nur ihre Unschädlichmachung, sondern weit lieber gleich die Ver¬ 
hinderung ihrer Entstehung in’s Auge fassen, wenn dies sich mit 
der Erfüllung aller anderen Forderungen nur verbinden liesse. Der 
Erbauer der Canalisationsanlagen von Berlin, Stadtbaurath Hob¬ 
recht, suchte sich dem Ziele z. B. dadurch zu nähern, dass er 
seine sämmtlichen Gefälle in gewissen engen Grenzen hielt, wobei 
er möglichst gleichraässige Wasserstände in den Canälen zu er¬ 
zielen hoffte; ein grösseres Schwanken derselben sollte verhindert 
werden, um nicht einen unnöthig grossen Theil der Wandungen 
bald zu befeuchten und bald wieder der Luft zu exponiren. Dass 
diese Idee gerade in Berlin geboren wurde, das im Gegensatz zu 
mancher anderen Stadt fast so eben ist, als eine Billardtafel, ver- 
half ihr vielleicht zu einiger Bedeutung; aber wenn mit der Ver¬ 
meidung schärferer Gefälle nicht Vortheile anderer Art verbunden 
wären, so wäre hier ein wirklicher Vorzug schwer zu constatiren. 
— Ueber die Canalgasfrage ist in diesem Artikel zwar schon lang 
und breit gesprochen worden, aber gerade von der Bewegung der 
Gase aus den Hauptcanälen war vorläufig noch mit keinem Wort 
die Rede und ich möchte wenigstens die nach Prof. Corfield 
wichtigsten Factoren erwähnen, durch welche Canalgase veranlasst 
werden, aus Canal- und Rohrenleitungen in besonderen Mengen 
auszutreten. Da wären zunächst die Temperaturdiflferenzen zwischen 
Canal und Aussenluft, und zwar haben englische Erfahrungen, 
wohl ganz in Uebereinstimmung mit den deutschen, ergeben, dass 
diese Differenzen im Frühjahr oft gleich Null sind, und dass sich 
während der Tageszeit im Sommer in den Canälen eine niedrigere, 
im Herbst und Winter dagegen eine höhere Temperatur bemerk¬ 
bar macht. Des Weiteren wird darauf betont, dass durch die Ein¬ 
leitung heisser Flüssigkeiten in die Strassencanäle eine erhebliche 
Steigerung der Canalluft-Temperatur bewirkt wird, und ferner dass 
natürlich auch mit dem Schwanken des Wasserspiegels in den 


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— 398 


Strassencanälen während der einzelnen Nacht- und Tagesstunden 
ein Zuzug resp. eine Verdrängung der über dem Wasser sich be¬ 
wegenden Canalluft eintritt. Endlich werden die Schwankungen 
des Barometerstandes als wesentliche Factoren herangezogen. 

Ich glaube sagen zu dürfen, dass die Feststellung eines un¬ 
mittelbaren Zusammenhanges zwischen der unter Barometerschwan¬ 
kungen veränderlichen Abgabe gewisser eingeengter oder absorbirter 
übler Gase an die freie Atmosphäre und dem jeweiligen Stande 
der öffentlichen Gesundheit eine neuere Frucht der ^tztjährigen 
Beobachtungen ist. Dass Barometerschwankungen al^ sichtbare 
Repräsentanten ihrer uns jetzt interessirenden Ursachen gerade in 
ihrem Zusammenhänge mit der öffentlichen Gesundheit bei uns 
nicht frühzeitiger und aufmerksamer beobachtet wurden, erklärt 
sich aus der geringen Anregung, die hierzu geboten wird, da unsere 
Breiten für Untersuchungen dieser Art fast die denkbar ungünstigsten 
Verhältnisse bieten, und es kann nicht überraschen, dass die Fest¬ 
stellung einzelner wichtiger Thatsachen zuerst in tropischen Gegen¬ 
den gelungen zu sein scheint, in denen ja regelmässig wiederkeh¬ 
rende periodische Barometerschwankungen an Stelle unserer ewig 
neuen, fast möchte ich sagen durch jeden Zufall sehr wesentlich 
beeinflussten Veränderungen des Druckes der Atmosphäre treten. 
Es ist das den Engländern besonders nahe liegende Britisch Ost¬ 
indien, in dessen bedeutendsten, bereits canalisirten Städten die 
ersten erfolgreichen Untersuchungen gemacht sein dürften. In einem 
in mancher Hinsicht interessanten Vortrage, welchen der Ingenieur 
J. Wallace im August vorigen Jahres in Bombay hielt, führte er 
u. A. aus, dass in jener Stadt die tägliche periodische Barometer¬ 
schwankung 2,5 mm beträgt, was also dem Druck einer Wasser¬ 
säule von ca. 33.75 mm Höhe entspräche, und dies wäre schon 
mehr als das Doppelte des Druckes, unter dem sich z. B. das 
Leuchtgas in seinen gewöhnlichen Leitungen zu bewegen pflegt. 
Treten nun aber neben diesen periodischen Schwankungen auch 
noch plötzliche Witterungsumschläge auf, so stehen die Gase in 
den Strassencanälen von Bombay reichlich unter dem doppelten 
Druck, der also schon einer Wassersäule von 67.5 mm entspräche. 
Daraus zieht Wallace allerdings den offenbar irrthümlichen Schluss, 
dass in solchen Stunden die Canalgase auch unter diesem Druck 
in die menschlichen Behausungen getrieben würden, denn sie seien 
ja jetzt ganz gut im Stande, einen Wasserverschluss von 6,5 cm 
Tiefe zu durchschlagen. Es ist aber zu bemerken, dass von einem 
mechanischen „Durchschlagen“ keine Rede sein kann, so lange, wie 
das wohl in Bombay auch der Fall sein wird, die Luft im Innern 
der Gebäude, die selbst unter dem Druck der ganzen Atmosphäre 
steht, dem Wasserverschluss einen sicheren Gegendruck verschafft. 
Dies nebenbei; der Einfluss des Luftdruckes auf die Gase, welche 


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— 399 - 


in offenen Canälen sich bewegen und aus diesen, ohne dass ein 
Wasser Verschluss sie hinderte, heraustreten können, ist immerhin 
von grösserer Bedeutung, denn da bei Abnahme des äusseren Luft¬ 
druckes eine gesteigerte Abgabe absorbirter Gase, eine Expansion 
der nicht absorbirten, und bald eine höhere Erwärmung der durch 
Expansion in freieres Gebiet getriebenen Gase eintritt, so ist eine 
allgemeine vorübergehende Steigerung der Ausströmung von be¬ 
freiten Gasen unausbleiblich. Wallace geht nun gleich noch 
weiter, indem er auch eine ebenso gesteigerte Abgabe aller sonstigen 
von faulenden Stoffen herrührenden Gase und auch eine Ausströ¬ 
mung der Grundluft in die freie Atmosphäre bei niedrigeren Baro¬ 
meterständen in Betracht zieht, und er kommt auf diesem Wege 
zu dem Schluss, dass sich der Einfluss einer zeitweise so gestei¬ 
gerten Luftverunreinigung auf die Gesundheit auch beweisen lassen 
müsse, wenn dieselbe in der That ihrem schlechten Ruf ent¬ 
sprechend schädlich wirke. Und unter der weiteren Voraussetzung, 
dass ihm ein solcher Nachweis leichter bei kränklichen und kranken 
Menschen als bei gesunden glücken müsse, da erstere für Ein¬ 
flüsse der betreffenden Art doch meist empfänglicher oder empfind¬ 
licher sind, hat er die Mortalitätstabellen des Jamsetjee-Hospitals 
zu Bombay benutzt, welche für einen Zeitraum von ungefähr vier 
Jahren gelten. Von dem Inhalt dieser Tabellen wurden natürlich 
nur diejenigen Todesfälle, welche durch den üblichen Verlauf einer 
Krankheit eingetreten sind, gezählt, während jeder Todesfall durch 
Unglück, Gewaltthat, Gift etc. ausgeschlossen blieb. Und diese Be¬ 
mühungen haben nun zu folgendem Resultat geführt. In gra¬ 
phischen Darstellungen der Barometerschwankungen und der Mor¬ 
talität, die Wallace nach jenen Tabellen ausgearbeitet hat, zeigt 
sich eine sehr auffällige Coincidenz der beiden construirten Curven. 
Der tägliche maximale Druck der Atmosphäre erscheint Vormittags 
und Nachmittags um 10 Uhr. Das Minimum der periodischen 
Barometerschwankung wird dagegen einmal Vormittags um 4 Uhr 
erreicht, und das Maximum der Mortalität folgt in der fünften 
Morgenstunde. Das zweite Minimum des Luftdrucks fällt Nach¬ 
mittags zwischen die vierte und fünfte, das zweite Sterblichkeits¬ 
maximum aber zwischen die fünfte und die sechste Stunde. Ausser¬ 
dem ist nun die Sterblichkeit an den Vormittagen wesentlich 
grösser als in den Nachmittagsstunden, trotzdem das Nachmittags¬ 
minimum des Luftdrucks immerhin ein etwas grösseres ist, und 
Wallace glaubt die Erklärung hierfür in einer dritten Curve, der 
Curve der Tagestemperatur, zu finden. Die Letztere erreicht näm¬ 
lich ihren niedrigsten Stand frühmorgens zwischen fünf und sechs 
Uhr, und dies ist gerade die Periode der grössten Ausstrahlung 
von der Oberfläche der Erde. Alle üblen, von faulenden Stoffen 
aufsteigenden Gase erfahren eine plötzliche Abkühlung und lagern 


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- 400 — 


nahe der Oberfläche der Erde, bis sie durch die Sonnenstrahlen 
zu neuer Bewegung aufgewirbelt werden; daraus erklärt sich denn 
die Gefahr, welcher man sich aussetzt, wenn man in tropischen 
Gebieten dicht über dem Erdboden schläft, und daraus erklärt sich 
auch der Eintritt der maximalen Tagesmortalität von Bombay 
zwischen der fünften und sechsten Morgenstunde. — 

Die weitere Prüfung, Beurtheilung und Nutzanwendung dieser 
Notizen will ich nun gerne Medicinern überlassen. Wenn ich mich 
übrigens selbst auch ausser Stande sehe, die Richtigkeit derWal- 
lace’schen Theorie bis zur Einwandfreiheit zu begründen, so spüre 
ich dennoch grosse Neigung, mich seiner Meinung anzuschliessen. 
Es ist allerdings schwer glaublich, dass die Sache ganz so einfach 
sein sollte, als eben angedeutet wurde; bestimmte erwiesene That- 
sachen hat aber Wallace ganz auf seiner Seite. Nach unseren 
bisherigen Erfahrungen haben wir auch gewiss keine Ursache, an¬ 
dere Begleiterscheinungen der niedrigen Barometerstände allein für 
gefährlicher als den Zudrang von allen möglichen Miasmen zu 
halten; und die Canalgase in Städten könnten wenigstens in sofern 
in den Vordergrund treten, als sie in grossen Mengen gesammelt 
bereit sind, und als ihre Ausströmung viel leichter und mit Ueber- 
windung viel geringerer Hindernisse von Statten geht. 

Seitdem die hervorragendsten Vertreter der pathogenen Micro- 
organismen-Welt entdeckt sind, hat sich eine menschliche Neigung, 
fast jede Seuche diesen interessanten kleinen Gebilden zuzuschreiben, 
in einer Weise entwickelt, die vielleicht gerade dem Fernerstehen¬ 
den, dem ruhig und kaltblütig Zuschauenden am allerinteressantesten 
ist. Wenn ein Ingenieur ein neues Canalisationssystem erfunden 
hat, so kann man sicher sein, dass er sich bei einem oder dein 
anderen thatsächlichen Vorzug seiner Methode nicht begnügen wird. 
Nein, sein System ist gleich das einzig richtige, jedes andere sollte 
davor verschwinden, und der Erfinder scheint erstaunt, dass seine 
Ideen nicht sofort bei aller Welt den vorausgesetzten leichten Ein¬ 
gang finden. — Die Theorie von der Schädlichkeit der Canalgase 
nahm vorübergehend in Deutschland eine hervorragende Stellung 
ein; seitdem indessen die Wunder der Microorganismen-Welt sich 
offenbaren, scheint alles Interesse für die ältere Lehre ausgestorben. 
— Es gibt eine Theorie, der zufolge in gegebenen Fällen eine ge¬ 
fährliche Krankheit sich nur dann in einem Ort in Form einer Epi¬ 
demie verbreiten könne, wenn der Boden, über dem dieselbe sich 
bewegt, ein „siechhafter“ ist, wenn in ihm die Seuchenkeime sich 
befunden haben und wenn sie aus ihm in einer Manier heraus- 
prakticirt werden, über welche man sich schon sehr ereifert hat, 
trotzdem es bis heute noch gar nicht feststeht, ob die angeblich 
herausprakticirten Seuchenkeime in einem solchen Boden auch je¬ 
mals schon enthalten waren. Ich bin immer der unmassgeblichen 


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— 401 


Meinung, dass wir uns in derartigen Fällen mit der Voraussetzung 
einer schädlichen Mitwirkung der doch zweifellos vorhandenen und 
herausgetriebenen Bodengase wenigstens so lange begnügen könn¬ 
ten, bis die Existenz der im Boden nur vermutheten Microorganis- 
men von den Freunden derselben erwiesen ist. Nun, es ist jeden¬ 
falls nicht gut, die Theorie über die hervorragende Schädlichkeit 
von schlechten Gasen der so hochbedeutenden Lehre von patho¬ 
genen Microorganismen gegenüberzustellen, als ob sich die beiden 
nicht vereinigen Hessen. Aber man treibt ja auch Politik, trotz¬ 
dem sie bekanntlich den Charakter verdirbt, und so sei mir denn 
heute die Bemerkung gestattet, dass die Ergebnisse der Wallace’- 
schen Untersuchungen wohl geeignet erscheinen, meine einfache 
Auffassung von der Schädlichkeit aller fauligen Gase resp. der Luft¬ 
verunreinigung, welche dieselben bewirken, in natürlicherweise zu 
unterstützen. Oder wird vielleicht doch bei den besprochenen 
niedrigsten Barometerständen in Bombay erst eine Auswahl ver¬ 
schiedenartiger Microorganismen heraufbeschworen, die dann ein- 
geathmet binnen längstens einer Stunde eine merkliche Häufung 
der Mortalität bewirkt? — Wenn ich hier irre, so glaube ich noch 
immer in sehr ausgezeichneter Gesellschaft zu irren. Dr. Bucha- 
nan hat z. B. nichts dagegen einzuwenden, dass die Herren Prof. 
Corfield und Dr. Parkes seine Anschauung in seinen eigenen 
Worten wiedergeben, der zufolge in Croydon im Jahre 1875 eine 
Abdominaltyphus-Epidemie wesentlich durch das Eindringen von 
Canalgasen in die Häuser hervorgerufen und jedenfalls durch Canal¬ 
gase von Haus zu Haus verbreitet wurde. Und die Canalgase ent¬ 
halten doch gerade eine ungewöhnlich niedrige Zahl von Micro¬ 
organismen! Dr. Buchanan wendet sich gegen Thonrohrcanäle 1 ), 
bei denen im Gegensatz zu grossen Canälen geringere Wasser¬ 
quantitäten hinreichen, um bedeutende Mengen von Canalluft mit 
beträchtlichem Druck herauszutreiben, und er erklärt dann, dass 
hierdurch ebenso plötzliche Fieberausbrüche zu Stande kämen, wie 
solche bei der Verschleppung der Krankheit durch Wasser oder 
Milch beobachtet werden: „Croydon selbst machte diese Erfahrung, 
nachdem es seine Canäle gebaut hatte, ohne eine Ventilation der¬ 
selben zu bewirken. Und so hat sich auch in anderen Fällen, die 
zu meiner persönlichen Kenntniss kamen, das Fieber ständig ge¬ 
halten, nachdem mangelhaft ventilirte Rohrcanäle erbaut worden 
waren, z. B. in Rugby, Carlisle, Chelmsford, Penzance und Wor¬ 
thing und namentlich in den letztgenannten Orten, wo es in schwe¬ 
ren, plötzlichen und ausgebreiteten Epidemieen auftrat, ohne dass 
irgend eine andere Verbreitungsart als die durch Canäle in Frage 


1) Appendix to Report of Medical Ofäicers of Privy Council and Local 
Government Board. New Series Nr. 7. 


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- 402 — 


käme („without there being any question of other distribution than 
by sewers.“) — 

Dass aus Thonrohrcanälen Luft leicht unter einem bedeuten¬ 
deren Druck verdrängt wird, als aus gemauerten Strassencanälen 
in grösserem Profil, ist eine beachtenswertbe Thatsache, welche 
aber als Argument gegen die Construction der Ersteren auch nicht 
die geringste Bedeutung besitzt, und als solches wünschte wohl 
auch Dr. Buchanan seinen obigen Hinweis schwerlich verstanden 
zu sehen. Wäre das anders, so hätten wir hier vor allen Dingen 
einen Einwand gegen die Ausführung des „Separate System“ vor 
uns, während die praktische Möglichkeit, Regen- und Hauswasser 
vollständig zu trennen und Letzteres event. in eigenen Thonrohr¬ 
leitungen abzuführen, als gut erwiesen betrachtet werden kann, 
seitdem z. B. die Canalisation der nordamerikanischen Stadt Mem¬ 
phis (35,008 Einw. 1882) seit einer ganzen Reihe von Jahren 1 ) 
nach dem „separate System“ betrieben worden ist. Es zeigt sich, 
dass gegen die Leistungsfähigkeit, die Möglichkeit einer gründlichen 
Reinhaltung, Spülung und Ventilation und gegen die Baukosten der 
engen Leitungen keine triftigen Einwände zu machen sind. Ein 
gemauerter Hauptcanal von 0,50 m D. nimmt dort die Abwässer 
aus sämmtlichen Seitencanälen (0.15—0.40 m D.) in sich auf, die 
ausnahmslos als Thonrohrcanäle construirt worden sind. Die Haupt¬ 
entwässerungsleitungen der einzelnen Grundstücke haben den vor¬ 
geschriebenen Durchmesser von 10 cm. An sämmtlichen todtliegen- 
den Leitungsenden waren (bis 1882) zusammen 125 selbstthätige 
Spülapparate angebracht, deren jeder einmal in 24 Stunden etwa 
5001 vom städtischen Leitungswasser sturzweise in die Canäle ent¬ 
sendet. Diese Anlage ist allerdings für die Bewältigung der sehr 
bedeutenden Canal wassermenge von 180 1 pro Kopf und Tag be¬ 
rechnet 2 ). Dabei wird aber das Regenwasser allein durch Ober¬ 
flächenentwässerung bei Seite geschafft, was durch günstige Local¬ 
verhältnisse ermöglicht ist, und das Grundwasser andererseits ist 
nur in sofern berücksichtigt worden, als in die einmal für die 
Strassenleitung geöffnete Baugrube gleichzeitig auch gewöhnliche 
Drainröhren verlegt wurden, die gelegentlich von der Trace eines 
Rohrstranges abschwenken, um abfliessendes Grundwasser den öf¬ 
fentlichen Wasserläufen zuzuführen. 

Wer nun gleich dem Schreiber dieser Zeilen mehr von der 
Zukunfts-Canalisation einer Stadt erwartet, als dass es eben ge- 


1) Die Canalisirungsarbeiten begannen 1880. 

2) Im ganzen canalisirten Berlin betrug im Jahre 1887—88 dem amtlichen 
Verwaltungs-Berichte zu Folge die abgeführte Canalwassermenge (natürlich 
incl. Hegenwasser) durchschnittlich 103,31t p. Kopf und Tag; in einem einzelnen 
Bezirk der Stadt bis 170 lt; dem gegenüber steht eine Wasserversorgung von 
64,68 lt p. Kopf und Tag. 


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— 403 


linge, die städtischen Spülwässer auf recht billige Weise aus der 
Stadt herauszuführen und unschädlich zu machen, der wird in einer 
Canalisation, wie sie die Bewohner von Memphis besitzen, nur die 
praktische Lösung eines einzelnen Theils jener grossen Aufgabe er¬ 
blicken, die dem Techniker gestellt ist. Dass in grossen Städten 
anders für die Abführung des Regenwassers gesorgt werden muss, 
als durch Oberflächenentwässerung, liegt gewiss auf der Hand. 
Vom hygienischen Standpunkt aus wird ferner auch Niemand be¬ 
streiten, dass die Senkung und Regulirung des Grundwasserstandes 
von höchster Bedeutung ist, und die oberflächliche Abfertigung, 
welche diese Aufgabe in Memphis erfahren hat, ist nur zu beklagen, 
denn es ist hier möglicherweise wieder eine vortreffliche Gelegen¬ 
heit unbeachtet vorübergegangen, zu zeigen, wie bedeutende Re¬ 
sultate wir durch eine Sonderbehandlung des Grund wasser¬ 
st an des in wenigen Jahren erreichen könnten. Nachdem wir 
einmal den Einfluss der Grundwasserstände und Grundwasser¬ 
schwankungen auf den öffentlichen Gesundheitszustand erkannten, 
ist es aber sicherlich an der Zeit, die Regelung derselben auf 
Grund eingehender wissenschaftlicher Vorarbeiten und ganz unab¬ 
hängig von der Führung der Strassencanäle in Angriff zu nehmen. 
Die Letzteren sind zur Ableitung des Haus- und event. auch des 
Regenwassers bestimmt; was hat denn aber dies mit dem Grund¬ 
wasser zu thun? Dass neuverlegte Canäle dem Grundvvasser Ge¬ 
legenheit bieten, sich in der aufgelockerten Erde der Baugrube 
leichter zu bewegen und den Gesetzen der Natur im Allgemeinen 
zu folgen, das ist eine Thatsache, deren Entdeckung und Würdi¬ 
gung wir völlig dem Zufall verdanken; uns aber schon mit dem 
blossen Erkennen dieses vielverheissenden Umstandes zu begnügen, 
das entspräche wohl wenig dem Geist unserer Zeit. Die Führung der 
Strassenleitungen wird vielfach beeinflusst durch die natürlichen 
Gefalle, welche die einzelnen Strassenzüge und Plätze der zu cana- 
lisirenden Ortschaft besitzen; die vorteilhafteste Behandlung, 
welche dem Grundwasser zu Theil werden soll, kann aber unter 
Umständen ganz unabhängig von diesen Gefällen der Oberfläche 
erfolgen, denn sie hätte sich in erster Linie nach den geologischen 
Verhältnissen des Untergrundes zu richten. — Auch hier bekom¬ 
men wir etwas wie Altersschwäche des Systems tout ä Pegout zu 
spüren! — Die zu lösende Aufgabe ist gross und vielseitig, aber 
das sind auch die Mittel. Dort haben wir das Schwemmsystem, 
hier das Separate System, dort wieder die Systeme von Liernur* 
Stone und Berber mit vielfachen, .geistreichen Constructionen und 
hochzuschätzenden Einzelzügen. Seien wir also nur wählerisch in 
unseren Mitteln und nehmen wir von Allen das Beste, um selbst 
wieder Allen das Beste zu bieten. Die Localverhältnisse sind ja 
so unendlich variabel, dass wir von Allem, was wir an den ver- 


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— 404 — 


schiedenen Canalisationssystemen finden, auch kaum das Geringste 
geringschätzen können, es sei denn der Egoismus gewisser Erfinder. 
Und wenn wir endlich ausgerüstet mit solchen Mitteln zu einer wirk¬ 
sameren Lösung unserer Aufgabe schreiten, so wollen wir eventuell 
auch nicht mehr zurückschrecken vor einem definitiven Bruch mit 
dem System tout ä un seul egout. Nein, wer sich schon heute 
ein Bild machen kann von dem, was die Zukunft fordern wird, 
der wünscht gewiss nicht mehr, starr am Althergebrachten festzu¬ 
halten. Einst hatten wir ja ein Ziel, jetzt haben wir viele; einst 
galt es nur Schmutz hinauszuschaffen, jetzt gilt es die Gesundheit 
der Bewohner zu heben; in der That, die Aufgabe der Städte- 
canalisation (vor vielen Jahrhunderten unter alten Römern erkannt 
und geboren) ist so erstaunlich gewachsen und hat sich auch inner¬ 
lich so wesentlich verändert, dass schon lange kein Staat mehr 
mit den bezüglichen Anschauungen eines ehrsamen Römers ge¬ 
macht werden kann. Aber ein alter und dauerhafter Grundsatz 
jener Tage dürfte uns selbst in Zukunft noch richtig leiten, und 
dieser Grundsatz heisst: Divide et impera! 


III. 

Nach mannigfachen Abschweifungen werde ich auf diesem 
Streifzuge nun endlich zur Erörterung derjenigen Frage, welcher 
mein Leitfaden, das Werk der Herren Professor Corfield und 
Dr. Parkes, in erster Linie gewidmet ist, nämlich zur Frage der 
schliesslichen Beseitigung oder Unschädlichmachung, oder, noch besser, 
zur Frage der Verwerthung der städtischen Kanalwässer 
geführt. -- Wohl namentlich seitdem unter Anderen Lord Pal¬ 
mers ton durch seinen vielcitirten Ausspruch, „es seien die Kanal¬ 
wässer sehr werthvolle Massen, nur am Unrechten Ort,“ den eng¬ 
lischen Geschäftsgeist aufzuwecken und für den schliesslichen Ver¬ 
bleib von städtischen Abfallstoffen die ernste Aufmerksamkeit auch 
der weiteren Kreise zu erregen vermochte, ist man in England 
bemüht gewesen, ein vernünftiges Verfahren zur Bestimmung des 
wahren Werthes dieser Schmutzstoffe ausfindig zu machen, ein 
Verfahren, auf dessen Ergebnisse Schlüsse für den thatsächlichen 
practischen Werth der Düngersubstanz auf dem Weltmarkt basirt 
werden könnten. 

Die werthvollsten Bestandtheile des so] verschiedenartig zu¬ 
sammengesetzten Kanalwassers sind die einzelnen Formen und 
Verbindungen, in denen der Stickstoff hier Auftritt, und ferner die 


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— 405 — 

Phosphorsäure und die Kalisalze. Mit der blossen Bestimmung der 
Menge dieser Substanzen durch einige Analysen ist neueren Forde¬ 
rungen aber nicht mehr genügt; vielmehr wird seitens der Herren 
Prof. Corfield und Parkes auf einen Umstand aufmerksam 
gemacht, dem offenbar auch in England noch lange nicht die ver¬ 
diente Beachtung zu Theil werden konnte. Wenn es nämlich gilt, 
den landwirtschaftlichen Werth der Kanal Wässer einer Stadt zu 
bestimmen, so sind unbedingt auch gewisse Lokalverhältnisse, z. B. 
die Schwankungen des Wasserconsums zu den verschiedenen Tages¬ 
zeiten und die Regenfälle mit gebührender Vorsicht in Rechnung 
zu bringen. Es genügt deshalb nicht, in 24 Stunden ebensoviele 
Analysen des Kanalwassers und aus allen diesen Analysen ein 
Mittel zu nehmen, sondern bei der jedesmaligen Entnahme einer 
Probe sollte die zum Abfluss gelangende Wassermenge gemessen 
werden, und die einzelnen Proben sind dann wieder grade in dem¬ 
jenigen Verhältniss miteinander zu mischen, welches direct der 
Menge des zur Entnahmezeit abgeflossenen Kanalwassers entspricht. 
— So einleuchtend die Richtigkeit dieser Bemerkung aber ist, so 
selten ist ihre Nutzanwendung in der Praxis zu finden. Ich be¬ 
schränke mich — ohne die in verschiedenartig entwickelten und 
erschlossenen Landdistricten von Production und Consum und Ver¬ 
kehr sehr abhängigen, eigenen Werthe der Düngersubstanzen jetzt 
näher zu besprechen, — auf den Hinweis, dass die Herren.Prof. 
Corfield und Parkes den jährlichen Werth der Kanal Wässer 
von London auf höchstens 1,660,000 Pfd. Sterling taxiren, wogegen 
sich die Bestimmung eines so hervorragenden Gelehrten wie Liebig 
seiner Zeit bis zu der Summe von 4,081,430 Pfd. Sterling verirrt 
haben soll! 

Nehmen wir nun getrost diese Zahlen als „theoretische Werthe“ 
entgegen und rechnen wir für die Praxis nur mit einem Drittel jener 
Beträge, so kann doch immer nur eine Antwort auf die Frage ge¬ 
geben werden: „Sind wir berechtigt, solche Dungstoffe zu vergeuden, 
so lange es eine Möglichkeit gibt, sie uns nutzbar zu machen?“ — 
Und lässt sich auch diese Antwort so kurz nicht begründen, für 
den Einwand, dass die Ausnutzung dieser Dungstoffe mit Kosten 
verbunden sei, die dem Eigenwerth derselben sehr nahe kommt, 
haben wir immerhin noch die sicherlich schwerwiegende Erwide¬ 
rung bei der Hand: Selbst wegwerfen könnt Ihr diese 
Stoffe nicht umsonst! Selbst ihre Vergeudung bringt Kosten 
mit sich und fordert sogar zu Zeiten sehr empfindliche Opfer, die 
sich mit Geld überhaupt nicht mehr abwenden lassen! 

Dass die Ableitung der Kanalwässer in die Flüsse allgemein 
üblich war, so lange man sanitäre Nachtheile und Gefahren nicht 
ahnte, so lange man weder den Düngerwerth der vergeudeten 
Wassermassen erkannte, noch ein Bedürfniss empfand, diese Dung- 


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— 406 — 


Stoffe auszubeuten, das ist ja begreiflich. Dass aber auch heute 
— und namentlich in Deutschland, wo die Ausbeutung solcher 
Stoffe wohl leichter geschehen kann, als in England — die Nei¬ 
gung noch immer sich findet, an der einfachen Ableitung der 
Kanalwässer in Flussläufe festzuhalten, das ist erstaunlich! Die 
Erfahrungen, welche man vor Jahren in allen Theilen Englands 
gemacht hat und über welche in den vortrefflichen alten Berichten 
der Rivers Pollution Commissioners so eingehende und immer noch 
Verwunderung erregende Aufzeichnungen enthalten sind, — erinnern 
wir uns doch nur an die Thatsache, dass z. B. die Tarne bei 
Birmingham schliesslich zur einen Hälfte aus Kanalwässer — be¬ 
stand, dass man anderwärts eine Klage einreichen konnte, die mit 
dem Wasser des Flusses geschrieben war, — diese Erfahrungen 
sind trotz der erheblichen Abweichungen der beiden Länder in 
Bezug auf die Bevölkerungsdichtigkeit, die Industrie, den Welt¬ 
verkehr und die physikalische Beschaffenheit grade jetzt besonders 
zu beachten und zwar auch ganz speciell in Deutschland, das ja 
noch immer mit Riesenschritten auf eine grössere Zukunft zugeht. 

Die Schädlichkeit der Ausdünstungen eines verpesteten Flusses 
für die Gesundheit der strombefahrenden Bevölkerung ist oft be¬ 
zweifelt worden. Ich will nicht, wie früher, zum Beweise des 
Gegentheils auf tropische Verhältnisse verweisen, denn die Wahr¬ 
heit der Behauptung, dass auch die Themse in dieser Beziehung 
thatsächlich gesundheitsschädlich wirke, ist heute leider schon voll 
erwiesen. Und auch in Deutschland dürfen wir uns durch die 
Grösse unserer Ströme nicht in eine trügerische Sicherheit wiegen 
lassen. Je grösser ein Strom, um so grösser auch die Bedürfnisse, 
die er befriedigen muss; und je mehr wir auf die Bedeutung eines 
Flusslaufes angewiesen sind, um so grösser ist die Verpflichtung 
für eine dauernde Reinlichkeit in allen Theilen desselben zu sorgen. 
Meine bisherigen Beobachtungen berechtigen mich vollauf zu der 
Behauptung, dass es nicht schwer wäre, auch in Deutschland, und 
zwar heute schon, laute berechtigte Klagen über Verpestung und 
Ausdünstung von Flussläufen zu sammeln und in Form eines um¬ 
fangreichen Berichtes herauszugeben. Als z. B. der im Kanalisations¬ 
fach bekannt gewordene Civil-Ingenieur Herr J. Gordon im Jahre 
1885 auf dem Hygiene-Congress zu Leicester seinen Vortrag über 
die Kanalisation in Städten des Continents zu halten gedachte, 
sandte er Fragebogen an eine grosse Reihe von kanalisirten Städten, 
und er stellte unter Anderem auch die Frage, ob Klagen über Fluss¬ 
verunreinigung durch Einführung ungereinigter Kanalwässer bekannt 
geworden seien. Unter 39 ausgefüllten Fragebogen, die er ver¬ 
öffentlicht hat, findet sich diese Frage 19 mal bejaht und weitere 
9mal ohne jede Antwort; und unter jenen 19 Städten, welche 
offen anerkannten, dass sie durch Einleitung städtischer Abwässer 


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— 407 - 


schon eine fühlbare Flussverunreinigung zu Stande brachten, finden 
sich auch 15 deutsche verzeichnet, nämlich: Aachen, Bochum, 
Chemnitz, Köln, Crefeld, Dresden, Erfurt, Essen, Frankfurt, Halle, 
Hannover, Homburg, Leipzig, Stuttgart und Wiesbaden. — Und 
was nun speciell die wenigen, wirklich bedeutenden Hauptströme 
Deutschlands anbetrifft, (es ist ja aber wesentlich wichtiger, sich 
der riesigen Anzahl ihrer weniger bedeutenden Nebenflüsse zu 
erinnern) so dürfte allerdings noch viel Sand in ihnen zum Meere 
rinnen, bevor wir auf „englische Zustände“ kommen. Wenn wir 
aber dieses Ziel in unseren Verhältnissen und nach den Er¬ 
fahrungen Englands selbst nur zur Hälfte erreichen, so haben wir 
auch schon die schwer verantwortliche Nachlässigkeit und den 
einstigen Leichtsinn der Engländer dreimal überboten. — Und 
nichtsdestoweniger zeigt sich grade an hervorragenden Hafenstädten, 
welche Ursprung und Entwicklung allein der Bedeutung ihrer Fluss¬ 
mündung danken, eine bedenkliche Verunreinigung des süssen Ge¬ 
wässers, welche zudem durch Mischungen mit den salzigen Fluthen 
der See eine sehr bedeutende Förderung findet. Die Elbe bei 
Hamburg und Altona zum Beispiel! Aus eigener Erfahrung kann 
ich freilich nicht reden, aber ich verweise auf eine gewiss recht 
zuverlässige und zulässige Quelle; jenen Vortrag nämlich, welchen 
Herr Dr. Ferd. Hüppe vor der Versammlung von Gas- und 
Wasserfachmännern Deutschlands am 14./16. Juni 1887 gehalten 
hat 1 ); und wenn ich Herrn Hüppe dort recht verstehe (l.c/pag. 
129), so hat er sogar das Elbwasser, welches zur Wasserver¬ 
sorgung von Hamburg bestimmt war, gerochen, und wenn ich 
auch Herrn Kümmel dort ganz erfasse fl. c. pag. 133), so ist 
das, was Herr Hüppe gerochen hat, noch gar nichts gewesen. 
Aber — wie gesagt, ein Strom von dem Umfang der Elbe kann 
uns hier überhaupt gar nicht massgebend sein. Wenn erst aus 
solchen Strömen die Reinlichkeit schwindet, so können die Ver¬ 
treter der Flussschutzvereine mit gemischten Gefühlen ihre Häupter 
verhüllen. 

Weder in den Ausdünstungen eines verunreinigten Stromes, 
noch in der durch die Ablagerung putrider Schlammmassen be¬ 
dingten und ganz energischen Absorbtion des gelösten Sauerstoffes, 
welche erfahrungsgemäss dem Gedeihen der Fische und namentlich 
der jungen Brut derselben erheblichen Schaden zuzufügen pflegt, 
möchte ich nun den Schwerpunkt der Schädlichkeit erblicken. Die 
grösste Gefahr liegt vielmehr auch meiner unmassgeblichen Ueber- 
zeugung nach in der Möglichkeit einer Verbreitung von Seuchen 
durch den Genuss und Gebrauch des verunreinigten resp. inficirten 


1) Verhandlungen der XXVII. u. XXVIII. Jahres-Versammlung des Deutschen 
Vereins von Gas- und Wasserfachmännern. — Mönchen. Oldenbourg, 1889. 


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— 408 — 


Wassers. Nach Allem, was ich im Laufe dieser Arbeit über 
moderne Microorganismen - Jäger zu bemerken den Anlass finden 
musste, wird man mich wohl schwerlich noch selbst für einen 
solchen halten, auch wenn ich gestehe, dass es hauptsächlich auf 
diesem Gebiete ist, wo ich die Verschleppung pathogener Micro¬ 
organismen fürchte. Aber die eigenthümliche Thatsache, dass diese 
Anschauung in fachmännischen Kreisen noch immer selbst directe 
Gegner findet, zwingt mich, in wenigen Worten den einfachen 
Gedankengang vorzuführen, der mir zu meiner Stellungnahme ge¬ 
holfen hat und der wohl auch — wie ich natürlich meine — aus¬ 
schlaggebend für Unparteiische bleiben müsste. 

Dass einzelne Microorganismen die directe Ursache gewisser 
sehr gefährlicher Seuchen sind, steht fest, sodass auch eine Ver¬ 
breitung dieser Microorganismen unter Menschen einer Verbreitung 
der betreffenden Seuche nahezu gleichbedeutend ist. — Zwei Theo¬ 
rien über die Art, in der diese Seuchenverbreitung vor sich geht, 
haben sich in den Vordergrund gedrängt. Die eine stellt die Be¬ 
dingung eines Vorlebens der Seuchenkeime in „siechhaftem“ Boden 
auf; die andere nimmt die blosse Verbreitung der Keime durch 
den Verkehr und namentlich auch durch Nahrungsmittel, und so 
speciell wieder durch ein natürliches Wasser, welches getrunken 
wird, als zur Verschleppung der Seuche genügend an. — Das Vor¬ 
kommen der Keime im Wasser, ihre, wenn auch vielleicht beschränkte 
Lebensfähigkeit in demselben, und endlich die Thatsache einer so 
schon erfolgten Seuchenverschleppung ist erwiesen. Das Vorkommen 
der pathogenen Keime (Typhus, Cholera asiatica, und abgesehen von 
der Malaria) im Boden wurde aber bisher noch niemals nach¬ 
gewiesen, und handgreiflich ist damit der Vorsprung, den die eine 
Theorie vor der Anderen hat. Die Letztere blieb eben immer 
noch reine Theorie, die erstere hat sich der Praxis sehr genähert. 
Und mag dies nun als die Auffassung eines Laien erscheinen, in 
ihr spiegelt sich jedenfalls das Bild, welches sich jetzt einem durch 
keinerlei specialwissenschaftliche Grübeleien getrübten Auge von 
der Bewegung unserer Tage bietet. — Trotzdem es nun ferner viel 
leichter wäre, zu erklären, wie denn die Keime aus dem Wasser, 
als wie sie aus dem Boden in den Menschen gelangen, so wird 
dennoch die Wassertheorie von Bodentheoretikern mit einem fast 
möchte ich sagen blinden Eifer angegriffen. „Selbst wenn (!) die 
Seuchenkeime in einen Fluss gelangten“, heisst es, „wie sollten sie 
sich dort wohl halten in dem grossen Kampf um’s Dasein, den sie 
mit den sonstigen Microorganismen des Wassers auszufechten 
hätten?“ Und ich erwidere darauf nochmals: „Wenn einst die 
Bodentheoretiker so weit wie ihre Gegner sind, wenn einst das 
Vorleben von pathogenen Keimen im Erdreich nachgewiesen sein 
wird, dann bleibt auch Andern noch die Zeit, die Gegenfrage auf- 


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— 409 — 


zuwerfen, ob ein ebensolcher Kampf um’s Dasein nicht auch im 
Boden zu verfechten wäre.“ 

Wir haben uns nun einer Reihe von nackten Thatsachen zu 
erinnern, durch welche Bacteriologen in neuerer Zeit zur Würdigung 
ihrer Arbeiten zwingen konnten. Erinnern wir uns z. B., dass 
Herr Prof. Dr. Koch im Spreewasser oberhalb Berlins einst 125,000 
Keime pro cbcm. nachgewiesen hat; dass diese Anzahl, nachdem 
die Spree Berlin durchflossen hatte, auf 10,000,000 gestiegen war, 
und dass eine Reinigung auf dem weiteren Lauf der Spree bis 
Spandau nicht wieder eingetreten ist*)• ‘Erinnern wir uns der 
hochinteressanten Vorträge, welche von den Herren Dr. Hüppe, 
Prof. Pöhl (Petersburg), Brouardel (Paris), Dunard (Genf) 
und Kowalski (Wien) auf dem VII. internationalen Hygiene- 
Gongress zu Wien im Jahre 1887 über die Möglichkeit einer Ver¬ 
breitung des Typhus durch Wasser gehalten worden sind, eine 
Möglichkeit, welche bekanntlich seit langen, langen Jahren in Eng¬ 
land energische Vertreter fand a ). Erinnern wir uns der Typhus- 

1) Verhandlungen der XXVII. u. XXVIII. Jahres-Versammlung des Deutschen 
Vereins von Gas- und Wasserfachmännern. Pag. 129. 

* 2) Wie sehr diese Lehre in Frankreich Boden gewinnt, war Mitte August 
dieses Jahres für Leser französischer Blätter zu bemerken. Der „Figaro“ vom 
10. Aug. er. brachte unter dem Titel „Nos soldats et la fiävre typhoide“ einen 
Leitartikel, worin über zahlreiche Typhuserkrankungen in französischen Garni¬ 
sonen berichtet wird, welche erwiesenermassen zum grössten Theil durch den 
Genuss von verunreinigtem Trinkwasser verursacht waren. So wird u. A. von 
Dinan gemeldet, die heimgesuchte Gavallerie-Kaserne sei einmal auf früher ver¬ 
unreinigtem Boden errichtet, andererseits trage aber die Hauptschuld das ver¬ 
giftete Brunnenwasser, von dem nach Aussage eines hervorragenden Arztes einige 
Liter zur Vergiftung eines ganzen Regimentes genügt haben würden. — Dieser 
Artikel erfuhr nun eine Erwiderung durch keinen Geringeren als den Bürger¬ 
meister von Dinau (Figaro 13./VIII. er.). Er bestreitet mit aller Entschiedenheit, 
dass der von einer medicinischen Militär-Commission unter mehreren zur Ver¬ 
fügung gestellten Plätzen ausgewählte Baugrund der Kaserne ein ungesunder ge¬ 
wesen sei. Die diesbezüglichen Erklärungen des Artikels werden als völlig 

ir.correct zurückgewiesen, und darauf fahrt der Schreiber fort: „-La maladie 

presque indefinissable qui s’evit depuis six semaines sur notre garnison serait, 
au dire de votre correspondant, la consöquenee d’un empoisonnement par Peau 
du quartier des dragons; les medecins militaires 1’affirment et je le crois, malgre 
les objections nombreuses et graves, qu'a soulevöes cette explication. Mais les 
infiltrations d’urines et de mattiere fecale qui ont contamine cette eau s’expli- 
quent tout naturellement par ce fait, ä peine eroyable et pourtant vrai, que la 
citerne, dont les parois intörieures ne sont meme pas maqonnäes, 
est placöe a quelques mötres seulement et encontre bas des fosses d’aisance. DCs 
1879 on les signalait; depuis dix ans, ä plusieures reprises, le commandement, 
et les mödicins s’en sont plaints; enfin dans ces derniers teraps, des vidanges 
jetees pendant la nuit, ä Pinsu des chefs, sur les fumiers de la caserne, ont pu les 
rendre plus abondantes et plus dangereuses. — Est-ce la faute de la municipalitö. 
si Pon n’a pas remedie plustöt au mal en condamnant la citerne infeetöe? — — 
Agröez etc. 

Le maire de Dinan: 

Dinan, 11./VIII. 1889. J. M. Peigne, adjoint.“ 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. J&hrg. $8 


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— 410 — 


epidemie in Klosterneuburg und der Thatsache, dass dort endlich 
das Vorkommen von Typhuskeimen im Trinkwasser factisch nach- 
gewiesen wurde; erinnern wir uns endlich der neuesten Vorgänge, 
die sich in Wien in Sachen einer Ergänzung der Hochquellen- 
leitung abgespielt haben, wo Herr Prof. Dr. Weichselbauni auf 
Grund persönlicher Beobachtungen energisch gegen die weitere 
Einleitung von nicht-filtrirtem Schwarzawasser in die Hochquellen¬ 
leitung auftreten zu müssen glaubte. 

„Bei der Beurtheilung der hygienischen Beschaffenheit eines 
Trinkwassers“, erklärte er, „kommt in erster Linie nicht die Zahl 
sondern die Beschaffenheit der Bacterien in Betracht. Ein Wasser, 
welches pathogene Bacterien enthält, muss, gleichgiltig ob die Zahl 
der Letzteren mehr oder weniger als 100 per cbcm. beträgt, un¬ 
bedingt vom Genüsse ausgeschlossen werden. Das Hochquellen¬ 
wasser in Wien führte, solange demselben nicht Schwarzawasser 
beigemengt wurde, ganz geringe Mengen von Bacterien, höchstens 
50 per cbcm. Im vergangenen Winter betrug jedoch nach meinen 
Untersuchungen die Zahl der Bacterien während der Einleitung 
vonSchwarzawasser fast immer mehr als 300, an einigen Tagen 
sogar mehr als 3000. Auch hier war nicht die gesteigerte Zahl 
der Bacterien an und für sich das Bedenkliche; allein sie wies 
darauf hin, dass eine Verunreinigung des bacterienarmen Hoch¬ 
quellen -Wassers mit dem bacterienreichen Schwarzawasser statt¬ 
gefunden und somit die Möglichkeit gegeben war, dass aus Letzterem 
gelegentlich auch pathogene Keime in’s Trinkwasser von Wien ge¬ 
langen konnten. Wer weiss, dass an den Ufern der Schwarza 
oberhalb der Schöpfstelle eine grosse Anzahl menschlicher VVohn- 
stättten sich befindet, welche nicht blos die gewöhnlichen Abfälle 
und Schmutzwässer des Haushaltes sondern speciell den Inhalt der 
Aborte und Stallungen direct in die Schwarza entleeren — Ver¬ 
hältnisse, welche auch dem Herrn Baurath Mihatsch sehr wohl 
bekannt sind — der wird sicher die Möglichkeit nicht leugnen 
können, dass im Falle des Auftretens von Typhus in diesen An¬ 
siedlungen Krankheitskeime in die Schwarza und somit während 
des Schöpfens aus der Schwarza auch in die Hochquellenleitung 
gelangen; diese Möglichkeit ist es ja in erster Linie, welche die 
Einleitung von Schwarzawasser als sehr bedenklich erscheinen 
lässt.“ — Und diesen Bedenken hat sich seitdem auch die Regie¬ 
rung angeschlossen, indem sie die Stadt zur Filtration des Schwarza¬ 
wassers oder anderweitigem Ersatz desselben genöthigt hat. 

Somit erscheint denn der Beschluss durchaus berechtigt, welcher 
auf dein Wiener Hygiene-Gongress nach Discussion der einschlägigen 
Fragen ausgesprochen wurde und welcher lautete: „Bei der 
nachge wiesene n Möglichkeit der K r a n k h e i t s err e g u n g 
durch inficirtes Trink- und Gebrauchswasser ist die 


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411 


Sorge für gutes, unverdächtiges Wasser eine der wich¬ 
tigsten Massregeln der öffentlichen Gesundheitspflege!“ 
— Und im Anschluss hieran gestatte ich mir die weitere Frage: 
Welches Flusswasser, dem städtische Kanalwässer beigemengt sind, 
könnte wohl bei dem heutigen Stande der Wissenschaft als un¬ 
verdächtig bezeichnet werden? — Da endlich, wie das voll¬ 
kommen feststeht, die Filtration im grossen Massstabe einen un¬ 
bedingten Schutz gegen das Durchdringen von pathogenen Keimen 
nicht gewährt, so ist zu fordern, dass zur Steigerung der allge¬ 
meinen Sicherheit Kanal Wässer nur nach vorhergehender gründ¬ 
licher Reinigung in öffentliche Flussläufe abgeleitet werden. Die 
Flussverpestung in jeglicher Form schleicht sich leise und im Lauf 
von vielen Jahrzehnten herein und überwuchert wie ein Unkraut 
ertragreiche Ströme, und eben darum ist das Uebel gleich im Keime 
zu ersticken, denn Unkraut vergeht nicht*). 

In England bestimmte schon im Jahre 1876 eine Rivers Pollu¬ 
tion Prevention Act, dass fortan Kanalwässer in keinen Strom 
geleitet werden dürften, und es ist namentlich interessant, die dabei 
vorgebrachte Definition des Wortes „Strom“ näher kennen zu 
lernen; „Strom“ umfasst nämlich die See bis zu derjenigen Aus¬ 
dehnung, und den Gezeiten ausgesetzte Wasserläufe bis zu solchen 
Punkten, welche seitens der Local Government Board nach ört¬ 
licher Inspection oder aus sanitären Gründen im einzelnen Falle 
bestimmt werden würden. — Als ich oben bemerkte: Nicht einmal 
wegwerfen könnten wir diese Kanalstoflfe umsonst, geschah das 
besonders in Erinnerung des oft ganz gedankenlos angebrachten 

1) Ich erinnere daran, dass an Filteranlagen in dem riesigen Massstabe 
unserer Wasserwerke auf die Dauer nicht solche Ansprüche gestellt werden 
können, wie sie für Laboratoriums-Versuche Geltung erhalten, und fernerhin 
daran, dass Herr Dr. PI agge in seinem 1886 vor der Versammlung der deutschen 
Naturforscher und Aerzte gehaltenen Vortrage nicht nur die Unzuverlässigkeit 
von Sand und Kiesfiltern, wie er sie zu seinen Versuchen benutzte, betont hat, 
sondern dass er auch speciell constatirte, es hätten sowohl Typhus als Cholera- 
* keime die verschiedenen zu prüfenden Kohlenfilter mit dem zu filtrirenden Wasser 
passirt (cf. z. B. Ges.-Ing. 1886 Nr. 19, pag. 609). Den Beschluss des Wiener 
Hygiene-Ccngress habe ich aber zur Anknüpfung noch einer anderen Folgerung 
hier cilirt. Wenn Bacteriologen die Gefahr einer Verbreitung von Seuchen durch 
den Genuss von nicht filtrirtem Flussw'asser anerkennen, und wenn sie deshalb 
ein solches von der Wasserversorgung der Städte ausgeschlossen wissen wollen, 
so wird doch Niemand bestreiten, dass durch diese Massregel die besorgte Gefahr 
für Land- und Schiffsbewohner auch nicht im Geringsten gemindert wird. Wir 
bemühen uns aber für allgemeine, nicht städtische, Gesundheitspflege, und ich 
habe schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die Filtration des städtischen 
Fluss- und Trinkwassers selbst dem Städter eine immer nur bedingte Sicherheit 
gewährt, so lange die Schiffsbewohner sich oberhalb der Stadt die Seuche durch 
den Genuss des unfiltrirten Wassers holen können. Ich sehe also nur von Neuem 
die Verpflichtung, für die Reinigung nicht nur des Trinkwassers der Städter, 
sondern des ganzen Flusswassers nach besten Kräften einzutreten. 


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412 


Vorschlages, die städtischen Kanalwässer ungereinigt in das Meer 
abzuleiten. Ich habe aber schon früher einmal an den practischen 
Erfahrungen einer Reihe von Städten gezeigt, dass derartige Ver- 
sudhe fast immer nur die denkbar unangenehmsten Resultate er¬ 
gaben *)• Ich sprach dort von Liverpol, Dover, Hastings, Carnavon, 
Margate, Ipswich, Portsmouth, Providence (U. S.), Rio Janeiro, 
Marseille, Neapel und Barcelona, welche Städte ja alle zu ihrem 
mehr oder minder grossen Schaden erfahren mussten, dass es so 
lächerlich ist, von einer schier unendlichen Verdünnung der Kanal¬ 
wässer durch das Meer zu fabeln, wie es incorrect ist, von einem 
Flusslauf, der an Wasser per Sec. 1000 cbm. führt und dabei nur 
2 cbm. an städtischen Kanalwässern aufnimmt, zu behaupten, es 
träte hier eine 500 fache Verdünnung ein.“ Es fliessen Wässer 
wohl hunderte von Kilometern miteinander, ehe eine so innige Ver¬ 
mischung der beiden erreicht wird; und was demgegenüber das Meer 
anbetrifft, so ist es ganz falsch, Kanalwasser ungereinigt hinein zu 
leiten, so lange nicht eine deutlich erkennbare, kräftig abführende 
Küstenströmung vorhanden ist. Und wenn diese da ist, so will 
sie studirt sein, wie ein Strom hier zu Land. Soll ich nun obige 
Liste von fehlgeschlagenen Versuchen noch weiter ergänzen? Nein, 
diese Versuche werden gewiss noch nicht alle; und wenn meine 
Anforderungen in der That noch verfrüht sein sollten, so gereicht 
es so wenig zum Nutzen als zur Zierde der Menschheit, wenn ihre 
kleinen Schwächen in derartigen Dingen ohne die zwingendsten 
Gründe an’s Licht gezerrt werden. Also nur an zwei naheliegende 
Beispiele der Neuzeit möchte ich diesmal erinnern: Stralsund 
mit seinen ca. 35,000 Einwohnern entwickelt die Gabe den „Ocean 
zu vergiften“! Es leitet wenigstens seine Abwässer „ohne Nach¬ 
theile“ in das Binnengewässer der Ostsee, das dort 2,5 km. Breite 
besitzt. Aber, je nach der Windrichtung, (nicht einmal Ebbe und 
Fluth oder ein beträchtlicher Salzgehalt sind ja dort zu bekämpfen!) 
zeigt sich schon die Verunreinigung in der Umgebung der Mündungs¬ 
punkte, und man beeilt sich nun, mit einem Siebe die festeren 
Sinkstoffe zurück zu halten; wird doch nachher die Verunreinigung 
schon wesentlich weniger „sichtbar“ werden! 1 2 ). Dagegen macht 
es einen etwas erquickenden Eindruck, wenn man vom Seebad 
Norderney hört, dass es mit Anschluss des Regenwassers kanalisirt 
werden soll, dass Rieselanlagen auf den Dünen projectirt sind, 
weil es eben unerlässlich ist, die Gestade ganz sauber und frei zu 
erhalten, und dass mit Rücksicht auf diese Rieselanlagen nur 
süsses Wasser zur Spülung der Kanäle verwendet werden wird. 


1) Gesundheits-Ingenieur 1886, Nr. 23, 1. Der. 

2) Gesundheits-Ingenieur 1888, Nr. 15. 


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— 413 — 


Wo die Geldfrage mit dem Streben, das wissenschaftlich für 
gut Erkannte in die Praxis zu führen, in Wettbewerb tritt, wird 
die erstere fast immer die Oberhand haben, und gute Absicht und 
Fähigkeit müssen gleich stark vertreten und verbreitet sein, wenn 
in Küstenstädten wo nicht, wie in Norderney, financielle Rück¬ 
sichten des Ortes zur weitgehendsten Pflege der Umgebung ver¬ 
pflichten, selbst jeder Versuch unterbleibt, die ungereinigten Kanal¬ 
stoffe in das Meer abzuleiten. Das sagen wir nun heute, und 
wie viel mehr Anerkennung haben wir demnach einer Seestadt 
wie Danzig zu zollen, in der man auf diesem so neuen Gebiet schon 
vor jetzt 20 Jahren den künftigen Gang der Entwicklung und die 
eorrecteste Lösung der Städtereinigungsfrage erkannt, und, was 
gewiss sehr viel mehr ist, in die Wirklichkeit eingefühft hatte. Es 
war ein Unternehmen, welches jeden Fachmann auch heute noch 
mit Achtung erfüllt; und das namentlich wenn er beobachtet, wie 
jetzt wieder sehr ähnlich situirte, bedeutende Städte sich mit Händen 
und Füssen gegen eine gründliche, durchgreifende Lösung der Kana¬ 
lisationsfrage sträuben, indem sie den Wunsch nach fortgesetzter. 
Ableitung aller ihrer Schmutzwässer in einen verhältnissmässig 
kleinen und träge fliessenden Strom etwa mit dem Hinweis darauf 
zu rechtfertigen suchen, dass der Urin mit allen Wirthschafts- 
wässern schon seit Jahren dem nämlichen Flusslauf zugeführt werde, 
und dass im Urin doch ein viel grösserer Theil der organischen 
Bestandtlieile als in den festen Fäcalstoffen enthalten sei, welche 
Letzteren man jetzt nur hinzufügen möchte; dass allerdings — 
aber eben nur bei einem widrigen Winde — eine starke Strömung 
stromaufwärts erscheine, die sich selbst mehrere Meilen oberhalb 
der Stadt noch bemerkbar mache, dass dieser aber doch auch bei 
abfallendem Winde eine naturgemäss stärkere Strömung strom¬ 
abwärts entspreche; dass „die dem Körper durch Trinkwasser zu¬ 
geführte Feuchtigkeit nur einen Theil der erforderlichen ausmache, 
und der schädliche Einfluss von Trinkwasser in Folge des Gehaltes 
an organischen Stoffen und an gewissen Microorganismen auf 
die menschliche Gesundheit keineswegs vollständig erwiesen sei“, 
und endlich, dass für die Schiffsbevölkerung eine Entnahme 
von Flusswasser zu Genusszwecken durchaus nicht „unbedingt er¬ 
forderlich“ wäre! Was sind das für ausserordentlich vielsagende 
Gründe! 0, dass der Herr Verfasser der obigen Citate doch be¬ 
rufen würde, die Sanitätsgesetze Deutschlands zu rectificiren; da 
würden wir dann lesen: „Es ist männiglich gestattet, ein faulendes 
Fleisch auf dem Markt feilzubieten, sintemalen das Fleisch nur 
ejnen Theil der erforderlichen Nahrungsmittel ausmacht, auch der 
schädliche Einfluss des Fleisches in Folge von Fäulniss auf die 
menschliche Gesundheit noch keineswegs vollständig erwiesen ist, 
und übrigens der Genuss des erstandenen faulenden Fleisches für 


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— 414 


die Ortsbevölkerung ja durchaus nicht unbedingt erforderlich wird.“ 
Ja, wahrlich, hier weht uns noch der durchdringende und menschen¬ 
freundliche Geist jenes mittelalterlichen französischen Richters ent¬ 
gegen, der auf die Verlheidigung eines Bettlers, „er müsse doch 
etwas zu leben haben“, noch zu erwidern vermochte: Je n'en 
vois pas la necessite! 

Aber zurück zu unserem Thema! Im Gegentheil, möchte ich 
sagen, jene mächtigen Städte, die an der Ausmündung eines den 
Gezeiten freistehenden Stromes liegen, haben höchstens einige 
Gründe mehr, ihre Abwässer zu klären; handelt es sich doch 
bei Erwägungen auf diesem Felde nicht darum, ob sich heute oder 
morgen schon ein Nachtheil ergibt. Die vielseitig interessanten 
Ergebnisse der Londoner Beobachtungen geben in dieser Hinsicht 
vortreffliche Lehren. Als vor Jahren in England das Schlagwort 
erschien: Kein englischer Strom sei lang genug, um die Unschäd¬ 
lichmachung der eingeleiteten Kanalwässer durch natürliche Oxy¬ 
dation zu gestatten, da hatte man hier sofort die Erwiderung bei 
der Hand: „Sehr richtig! aber bei uns ist das ja ganz etwas 
Anderes! Vergleicht doch nur Deutschlands Ströme mit denen in 
England!“ — Nun, zunächt möchte ich bemerken, dass eine so 
unüberlegte Erwiderung mir sehr wenig Trost zu enthalten scheint. 
Oder sollen wir uns vielleicht bei dem Bewusstsein beruhigen, dass 
Kanalwässer, welche man in deutsche Ströme einleitet, erst dann 
durch Selbstreinigung des Flusses unschädlich werden, wenn sie 
eine Strecke von der Länge des grössten englischen Stroms durch¬ 
schwommen haben? — Und zweitens hat man nach den sehr zu¬ 
verlässigen Quellen der Herren Prof. C o r f i e 1 d und Parkes in 
London constatiren können, dass die an den Hauptauslässen in die 
Themse entleerten Kanalwässer der Metropolis rund dreissig Tage 
lang in der Mündung des Flusses oscilliren, bevor jener Theil, der 
nicht inzwischen unter Mitwirkung des salzigen Seewassers gefällt 
worden ist, sein eigentliches Ziel, das Meer, erreicht *). Was nützt 
also dem Continent die Länge seiner Ströme, wenn an der Mün¬ 
dung eingeführte Schmutzstoffe sich unter Umständen etwa 30 Tage 
lang aufwärts und abwärts bewegen. Und meinestheils habe ich 
die Ueberzeugung, dass schon im Laufe dieser Oscillationen die 


1) Die Einwirkung des Meerwassers auf die mit dem süssen Wasser ein¬ 
geführten städtischen Kanalwässer ist eine sehr energische. Es übt, nach den 
Beobachtungen englischer Fachleute, speciell durch seinen Gehalt an verschiedenen 
Salzen eine starke fallende Wirkung aus. Suspendirte Substanzen werden mit 
solcher Geschwindigkeit und Energie niedergeschlagen, dass der bekannte Ingenieur 
Herr B. Latham einst den Vorschlag machen konnte, die Unreinheiten der Ab¬ 
wässer Londons in Klärbassins eben durch künstliche Behandlung mit dem billigen 
Salzwasser der Nordsee unter Zusatz von Kalkmilch zu präcipitiren. Herr Latham 
schreibt diese Wirkung des Meerwassers in erster Linie dem Gehalt desselben 
an Chlormagnesium zu (Nordsee 2,9—3,8 gr. p. lt., Ostsee 0,65 gr., Mittelmeer 


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415 


suspendirten Stoffe von dem reineren Wasser mechanisch getrennt 
werden müssen, ja, dass sie deshalb sogar noch weit länger als jene 
hin- und hertreiben werden. Und setzen wir für diese suspendirten 
Stoffe und für unsere viel günstigeren Verhältnisse nur 20 an Stelle 
jener 30 Tage, so ist das immer noch ein Zeitraum, in dem 
schwimmende Stoffe von der Quelle bis zur Mündung den ganzen 
gewaltigen Rheinstrom zu Zeiten selbst zweimal durchreisen 
könnten ! 

Aber genug hiervon. Betrachten wir jetzt noch in Kürze die 
Mittel, welche uns zur Vermeidung einer Verunreinigung der Flüsse, 
d. h. zur Reinigung der Kanalwässer an die Hand gegeben, und 
die Erfolge, welche mit deren Hülfe bis dato erzielt worden sind. 
— Die chemische Klärung der ungeheuren Massen von städtischen 
Kanalwässern, um die man sich in England schon so lange und so 
eifrig bemüht hat, würde, wenn sie gelänge, zu einem Gegenstand 
von hoher volkswirthschaftlicher Bedeutung werden, und alle Inter- 
essirten können nur mit aufrichtigem Bedauern wahrnehmen, dass 
die Aussichten hierfür im Verschwinrlen sind. In Deutschland wird 
man wohl zweifellos noch jahrelang und in „kostbarer“ Geduld 
ruhig fort experimentiren, auch mögen die Versuche von allen 
Denen mit Theilnahme und Spannung beobachtet werden, denen 
die* Vorgeschichte der Versuche nicht weiter bekannt ist. Den 
übrigen Interessirten dagegen dürfte die Thatsache genügen, dass 
in England nicht Laien, sondern grade die allerbedeutendsten Fach¬ 
männer, und ich meine jetzt Chemiker, die sich grade mit 
dieser Frage specialistisch befassen, die eigene Hoffnung 
verloren und damit auch die Hoffnung der weiteren Kreise vernichtet 
haben. Ich verweise besonders auf die Erklärungen der Herren DDrs. 
Tidy, Roscoe, Dupre und Frankland, und namentlich auf 
die von Herrn Dibdin, dem ehemaligen Chemiker der Metropolitan 
Board of Works, gemachten Aussagen, denn Herr Dibdin» hat 
wohl gewiss die ehrliche Absicht gehabt, der Chemie auch auf 
diesem Felde zu einem Siege zu verhelfen, und an Mitteln und an 
Gelegenheit seine Experimente zu machen, hat es diesem Chemiker 
wahrhaftig nicht gefehlt. Und was kann er nun zu Gunsten seiner 
Fachgenossen sagen? „Seit Jahren haben Chemiker ihr Bestes 
gethan,’ um diese fauligen Stoffe uns nutzbar zu machen, und jetzt 
sind sie gezwungen es anzuerkennen, dass sie in Wirklichkeit wenig 


etwa 3,22 gr.) — Die nämlichen Salze haben aber nach den Mittheilungen der 
Herren Prof. Gorfield und Parkes auch eine wesentliche Verlangsamung des 
Oxydations- Processes zur Folge, und vielleicht ist eben hierdurch die Thatsache 
zu erklären, dass die Hafenwässer der Köstenstädte so leicht in der scheusslichsten 
Weise verunreinigt werden, und dass auch, wie erwiesen ist. die Microorganismen 
der Kanalwässer durchaus nicht etwa durch Einwirkung des Seewassers vernichtet 
werden. 


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416 


der Erklärung, „dass kein chemischer Klärungsprocess in der 
Praxis im Stande sei, mehr als ein ganz beschränktes Quantum 
vermögen!“ und seine Untersuchungen dienen ihm zur Bestätgiung 
der oxydirbaren organischen Substanzen zu entfernen, welche das 
(Londoner) Kanalwasser mit sich führt *).“ 

Vor Besprechung der chemischen Klärungsprocesse möchte ich 
zunächt daran erinnern, dass sie fast alle aus zwei zu unterschei¬ 
denden Vorgängen sich zusammensetzen, nämlich aus dem Zusatz 
gewisser Chemiealien, welche die wesentlichsten Dienste zu leisten 
haben, und einer mechanischen Behandlung der Kanalwässer durch 
Rührwerke, Filter und Klärbassins, welche nur die Einwirkung der 
Chemiealien erhöhen und erleichtern soll. Die Mechanik bleibt 
aber vollkommen untergeordnet, und wenn nur erst die Haupt¬ 
aufgaben der chemischen Reinigung und der Verwerthung der 
Dungstoffe gelöst sind, so wird uns auch das Bedürfniss einer 
Unterstützung durch mechanische Hülfswerke gewiss nicht in irgend 
einer Verlegenheit finden; und so wolle man auch mir jetzt ge¬ 
statten, die mechanische Seite der Frage hier mehr oder weniger 
bei Seite zu lassen. 

Was die Ghemicalien anbelangt, so würden wir in der Praxis 
ihrer Verwerthung vielleicht besser fahren, wenn bezüglich der 
Theorie volle Einigkeit herrschte; leider gehen aber die Ansichten 
der betheiligten Chemiker über die Art der gegenseitigen Beein¬ 
flussung der in Berührung gebrachten Substanzen noch ziemlich 
weit auseinander. — Das meistangewendete, und einst der billigsten 
Hülfsmittel ist der Kalk, der namentlich in Form von Kalkmilch 
den Kanalwässern zugeführt zu werden pflegt; und man beginnt 
in England die leichte Behandlung der Kanalwässer mit Kalk auch 
in solchen Fällen zu empfehlen, wo Rieselanlagen die eigentliche 
Reinigung bewirken sollen, und zwar namentlich dort, wo es sich 
um die Verrieselung der Abwässer von Industriestädten handelt, 
welche grössere Mengen von freien Säuren, Salzen und Metallen 
in Lösung enthalten, als dem Pflanzenwuchs zuträglich sind. Man 
erklärt sich die fällende und damit klärende Wirkung des Kalkes 
als die Folge seiner Verbindung mit der freien, theilweise auch mit 
der gebundenen Kohlensäure und ferner eben mit den organischen 
Substanzen der städtischen Abwässer. Hiergegen vertritt nun z. B. 
Dr. Tidy die Ueberzeugung, dass der Kalk sofort und zwar nur 
mit der Kohlensäure eine Verbindung eingehe und dass er dann 
nur noch als Schwerstoff in die Tiefe sinke und einiges mit sich 
zu Boden reisse, während er sonst zur Wirkung als Präcipitations- 
mittel schon vollständig werthlos geworden sei. — Herr Dibdin 


1) Cf. Minutes of Proceedings of the Inst, of Civ. Eng. Vol. 88. — Sep.- 
Abdck. „Disposal of Sewage Sludge“ pag. 7 u. pag. 105. London 1887. 


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— 417 — 


stellte in seinem Vortrage vor der Inst, of Civ.-Eng. den Grundsatz 
auf, dass nur so viel von dem zugefügten Kalk in Wirklichkeit 
verwerthet werde, als sich in Lösung befindet; suspendirt bei¬ 
gemischter Kalk sei wirkungslos, und bei der Zubereitung der Kalk¬ 
milch sei demnach Sorgfalt von Nöthen. Ebenso sei aber ein 
Zusatz von Kalk im Ueberschusse zu vermeiden, da hierdurch 
suspendirte Stoffe in Lösung übergeführt würden, anstatt von dem 
Klärmittel programmmässig gefallt zu werden *). — Den vielfach 
ausgesprochenen Satz, Kalk entwerthe den Düngerschlamm, indem 
er die Verflüchtigung des Ammoniaks fördere, bezeichnet Prol. 
Corfield als irrig; dagegen unterliegen die Rückstände der blossen 
Kalkbehandlung einer schnellen Zersetzung und Gährung, was nament¬ 
lich im Hinblick auf die Schwierigkeit der Unterbringung und Be¬ 
seitigung dieser Rückstände von Bedeutung ist. — Dr. A. Angell 1 2 3 ) 
wandte sich einst sehr energisch gegen jede Anwendung von Kalk 
zur Klärung des Kanalwassers, indem er u. A. geltend machte, 
dass durch seine lösende Wirkung die Schlammmassen vergrössert 
würden, dass er Dank seinen basischen Eigenschaften üble Gase 
freigebe, dass er durch Schaffung einer gewissen Alkalinität das 
vibrionische Leben der Gährung befördere und endlich, dass der 
durch Kalkbehandlung gewonnene Schlamm als Dünger auf die 
Dauer dem Lande nicht zuträglich sei. 

Man fühlt hierbei wohl, dass durch den Kalk an und für sich 
der angestrebte Zweck nicht erreichbar ist, und es sind nun zu¬ 
nächst zwei weitere Materialien, die man der Kalkmilch zu Hülfe 
gebracht hat: die schwefelsaure Thonerde und das schwefelsaure 
Eisenoxydul. Ueber die Bedeutung derselben sind Fachleute wieder 
durchaus abweichender Meinung, und während z. B. Herr Dibdin 
der schwefelsauren Thonerde eigentlich nur einen Scheinerfolg, 
einen Erfolg für das Auge, bewilligt 8 ), fallen andere seiner Collegen 
ein recht günstiges Urtheil, und die Herren Prof. Corfield und 
Parkes erklären, sie wirke als Präcipitationsmittel in der Weise, 
dass die schwefelsaure Thonerde in Verbindung mit dem Kalk im 
Kanalwasser die Bildung von schwefelsaurem Kalk bewirke, 
während ein Thonerdehydrat in Flockenform ausgeschieden werde, 
welches einen bedeutenden Theil der suspendirten und auch Einiges 
von den gelösten organischen Substanzen mit niederschlage. Immer¬ 
hin ist aber zu beachten, dass nach Dibdin mit Kalk und schwefel¬ 
saurer Thonerde im Werthe von 82,000 Pfund Sterling im Jahre 
erst derjenige Erfolg (an den Kanalwässern Londons z. B.) erzielt 
werden könne, den man unter Benutzung von Kalk in Verbindung 

1) Minutes of Proceedings of the Inst of Civ.-Eng. Vol. 88. Sep.-Abdrck. 
„Disposal of Sewage Sludge“ pag. 10. 

2) 1. c. pag. 51. 

3) Minutes of Proceedings etc. 1. c. pag. 7. 


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418 


mit Eisensalzen schon für die Summe von 31,000 Pfund Sterling 
zu Stande bringen würde, und der Kostenpunkt, daran brauche 
ich doch gewiss nicht zu erinnern, erhält in der Regel nur zu 
grosse Bedeutung. 

Nun komme ich weiter zu den Meinungsverschiedenheiten, 
welche bezüglich der Wirkung der Eisensalze bestehen. Nach dem 
schon mehrfach citirten Vortrage des Herrrn Dibdin würde Eisen¬ 
oxyd in zweierlei Form präcipitirt, nämlich einmal als Ferrooxyd 
(der niedrigeren Stufe der Oxydation) und einmal als Ferrioxyd 
(der höheren Stufe), je nach der Form, in welcher das Sulfat 
existirt. Das meist verwendete schwefelsaure Eisenoxydul liefere 
Ferrohydrat, welches durch den im Wasser gelösten Sauerstoff 
schnell in Ferrihydrat verwandelt werde. Nun habe es aber, und 
diese Ueberzeugung wird von Dr. Stevenson getheilt ! ), die eigen- 
thümliche Eigenschaft, den Sauerstoff an die organischen Substanzen 
des Kanalwassers abgeben zu können (cf. auch Tabelle Nr. 8 111), 
wobei es dann selbst wieder auf Ferrohydrat reducirt wird, und 
soweit scheint Einigkeit vorzuherrschen. Wenn aber jetzt Herr 
Dibdin behauptet, in dieser Art wirke das Salz weiter fort, indem 
es von Neuem wieder Sauerstoff aufnehme und abgebe, und aber¬ 
mals aufnehme und abermals gebe, so möchte Dr. Tidy doch um 
einen Beweis hierfür bitten. Die Anwendung von schwefelsaurem 
Eisenoxydul hat übrigens ihre Schattenseiten schon deutlich gezeigt. 
Vor allen Dingen gibt es dem Schlamm und dem Strom, der die 
Kanalwässer aufnimmt, ein schmutzig-schwarzes Aussehen, ein be¬ 
denklicher Umstand, der leicht beachtenswerthe Unannehmlich¬ 
keiten heraufbeschwören kann; und andererseits ist Dr. Steven¬ 
son der Ueberzeugung, dass die Anwendung des schwefelsauren 
Eisenoxyduls immer besser unterbleibt, wo die nachfolgende Ver¬ 
rieselung der Kanalwässer beabsichtigt wird. 

Dies wären also die meistverbreiteten Chemiealien zur Kanal- 
wasserpräcipitation; auf die Tausende von sonstigen Zuthaten, die 
von allen möglichen Erfindern und Speculanten theils offen, theils 
als Geheimmittel angepriesen werden, hier einzugehen, verbietet 
sich von selbst; sind doch die lächerlichsten Behauptungen über 
die angebliche Wunderwirkung der unschuldigsten Stoffe in die 
Welt gesetzt worden! Ich will z. B. nicht hoffen, dass sich irgend 
Jemand in ein tieferes Studium über die chemische Bedeutung und 
Wirkungsweise des im A-B-C-Process zur Kanalwasserklärung be¬ 
nutzten Thierblutes versenkt hat; es dürfte ihn sonst unangenehm 
überraschen, von dem Erfinder jenes Verfahrens, Herrn Sillar, 
selbst zu erfahren, dass ihn zu einer Anwendung von diesem ganz 
besonderen Saft allein eine Stelle in der Schrift getrieben hat, denn 

1) Prof. Corfield und Parkes. Treatment und Utilization of Sewage 
pag. 345. 


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„es stehe im Gesetz geschrieben, durch Blut werde Alles »gerei¬ 
nigt« werden“, („purged“ heisst allerdings bei uns auch „gesühnt“!). 
Eine derartige Meldung aus England erscheint aber nicht grade 
unglaublich, und es berührt Weniges so abstossend, wie solche 
dort drüben recht häutig beliebte Verquickung einer wissenschaft¬ 
lichen Untersuchung mit den prophetischen Worten der heiligen 
Schrift. Wenn nur Herr Sillar nicht unglücklicher Weise auf 
jene Stelle, anstatt eine andere, z. B. auf die Schriftworte 2 Mos. 
cap. 7 v. 20—21 gekommen wäre, so hätte sein blutiger Process 
vielleicht niemals das Licht dieser Welt erblickt. 

Für Fälle, in denen es unerlässlich ist, die etwa nachfolgende 
Fäulniss der im geklärten Wasser enthaltenen löslichen Substanzen 
nachdrücklich zu verhindern, erklärt Herr Dibdin nur zweierlei 
Mittel zu kennen, nämlich Permangansäure und Chlorkalk. Die 
Erstere, als permangansaures Kali oder Natron im Beisein von 
Schwefelsäure gebraucht, sei ganz harmlos % und geruchlos und, 
indem sie ihren eigentlichen Zweck erfülle, vernichte sie auch sich 
selbst. Grade umgekehrt verhält sich dagegen der Chlorkalk, denn 
er verursacht unangenehme Gerüche und wirkt vernichtend auf 
vegetabilisches und animalisches Leben. 

Namentlich die letztere Eigenschaft veranlasst den Chemiker 
der zu Grabe getragenen Metropolitan Board of Works sich sehr 
bestimmt gegen die Anwendung von Chlorkalk zu entscheiden, und 
es gewährt in der That einen eigenthümlichen Anblick, wenn man 
beobachtet, wie die Herren Chemiker dort drüben, jetzt, da sie 
die eigene Ohnmacht recht erkannten, sich Schutz suchend auf 
die Allmacht der Natur berufen. Da sie selbst die gelösten orga¬ 
nischen Substanzen der Kanalwässer nicht zu vernichten vermögen, 
erklären sie heute, dass dies überhaupt nur durch das vegetabi¬ 
lische und animalische Leben der Natur zu erreichen sei, und dieses 
also müsse nach allen Kräften gefördert werden. Die Herren DDrs. 
Dibdin, Angell, Dupre und Andere unternahmen es schon im 
Jahre 1887 die höchstinteressirten Zuhörer auf den Kanalwasser- 
Reinigungsprocess der Zukunft zu verweisen, der chemisch-biolo¬ 
gischer Natur sein werde. Nicht nach der Fällung der organischen 
Substanz, nicht nach der Production von brauchbarem Dünger¬ 
schlamm sei jetzt zu streben, sondern allein nach der Züchtung, 
Ernährung und Vermehrung des Bacterienlebens in der freien Natur. 
— Nun, zugestanden, dass die Wissenschaft bei den fabelhaften 
Fortschritten, die sie seit einer Reihe von Jahren gemacht hat, 
dieses hohe Ziel, vielleicht sogar in absehbarer Zeit schon erreichen 
könnte, so muss doch nichtsdestoweniger eine absolute Vernichtung 
der sehr gemischten Bacteriengesellschaft, wie sie sich jetzt in den 
Abwässern der Kanäle sehr breit macht, aus hygienischen Gründen 
gefordert werden. Und selbst wenn der gegenwärtige Stand der 


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Wissenschaften nicht mit vollendeter Klarheit und Sicherheit er¬ 
kennen lässt, welche Folgen wir anderenfalls zu erwarten haben, 
so werden wir die noch fehlende Weisheit ohne Zweifel am sicher¬ 
sten und schnellsten erreichen, wenn wir die Entwicklung unserer 
Projecte nur vertrauensvoll aus dem Schoosse der Vorsicht erwarten, 
denn die Vorsicht ist bekanntlich die Grossmutter der Weisheit.— 
Die natürliche Selbstreinigung der Flüsse ist aber auch höchstens 
bestimmt, eine natürliche Verunreinigung derselben wieder auszu¬ 
gleichen, und wenn man tausende und hunderttausende von Cubik- 
metern an Schmutzstoffen fortgesetzt absichtlich in die Flussläufe 
leitet, so muthet man der Allmacht der Natur schon zu, dass sie 
sich menschlichen Forderungen anbequeme. Das Umgekehrte natür¬ 
lich würde das Richtigere sein, und wenn also hier Chemiker, 
anstatt die Arbeiter der Natur zu entlasten, der Allmacht eine 
menschliche Unterstützung offeriren, so muss ich bekennen, dass 
ich der Erfolge nur mit einem Minimum von Hoffnung gewärtig 
bleibe. 

) 

Welchen Verlauf die jahrzehntelangen Bemühungen englischer 
Städte in der Kanalwasser-Reinigungsfrage genommen haben, ist 
wohl aus dem bisher Gesagten schon ersichtlich geworden; dessen 
ungeachtet füge ich in Tabellenform nach dem hochinteressanten 
Corfield’schen Werke die Ergebnisse bei, welche mit den wich¬ 
tigsten der in England erzielten Klärungsmethoden erreicht worden 
sind, und ich glaube, dass man an der Hand solchen Materials in 
vielen Fällen wird Voraussagen können, was wir noch in Deutsch¬ 
land zu erwarten haben. — Ich finde kaum den Muth, so lang¬ 
jährigen und gross angelegten Versuchen die wenig umfangreichen 
Experimente gegenüber zu stellen, welche man in Deutschland bis 
dato gemacht hat. Es zeigen sich hier aber schon heute die näm¬ 
lichen Erscheinungen, die auch in England sich geltend machten. 
Die Privat-Speculation bemächtigt sich des Gegenstandes, und Che¬ 
miker, die da glauben mit Hülfe einer Profit versprechenden Er¬ 
findung grosse Städte vor riesigen aber unnöthigen Ausgaben 
schützen zu können, halten den nach Strohhalmen greifenden Stadt- 
räthen ihre meistentheils gleichwerthigen Patente entgegen. Den 
stillen Beobachter dagegen erfüllt besten Falls lebhafter Missmuth 
gegenüber dem Gedanken, dass hier speculirt und probirt und ge¬ 
panscht werden soll, wie in England, ohne dass die dortigen Erfah¬ 
rungen und riesigen Ausgaben, wie man es erwarten sollte, ver- 
werthet würden. — In Frankfurt a. M. will man mit schwefelsaurer 
Thonerde und Kalkmilch unter mechanischer Mitwirkung von Klär¬ 
bassins präcipitiren; nun, man weiss dort also wenigstens ganz gut, 
was man will, und scheut sich auch nicht, sich darüber auszu¬ 
sprechen. Aber wenn auch, das Verfahren enthält erstens durch¬ 
aus nicht etwas Neues (cf. beifolgende Tabelle Nr. 16, 13, 14 und 


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— 421 


11), zweitens wurde schon auf der Basis der ersten Versuche ent¬ 
schieden, dass dort die Wirkung der Chemicalien kaum stärker sei, 
als die mechanische Wirkung der Klärbecken allein (cf. Ges.-Ing. 
1889, 15. April), und endlich hat der Erbauer, wie verlautet, schon 
im Voraus' der Anlage die Eigenschaft einer „freien technischen 
Lösung“ abgesprochen, und das gibt doch zu denken!-*- Das viel¬ 
umworbene Röckner-Rothe-System ist im Grunde genommen 
nur eine sinnreiche Lösung des mechanischen Theils dieser Reini¬ 
gungsfrage; in der Wahl der Chemicalien war man noch unent¬ 
schieden und man wird es auch vielfach in Zukunft sein. Die 
Ergebnisse waren theils sehr befriedigend, theils auch ganz uner¬ 
freulicher Art. — In Halle waren bedenkliche Misserfolge sehr 
bald zu verzeichnen. — In Wiesbaden steht man ziemlich unge¬ 
wöhnlichen, jedenfalls durchaus nicht „normalen“ und also auch 
durchaus nicht für anderwärts massgebenden Verhältnissen gegen¬ 
über, und im Uebrigen trifft man in den schnell emporkeimenden 
neuen Systemen noch vorwiegend auf Geheimnisskrämerei, auf 
Patente und Kalkmilch. — Was also schliesslich die nackten Resul¬ 
tate der langjährigen Bemühungen des In- und des Auslandes 
betrifft, so ist bezüglich der chemischen Klärung der Abwässer 
eigentlich nur ein einziger Grundsatz mit ununistösslicher Sicher¬ 
heit aufzustellen: Wo immer die chemische Reinigung städtischer 
Kanalwässer in Aussicht genommen wird, ist in erster Linie eine 
Regelung der Zusammensetzung der Abwässer anzustreben; d. h. 
wenn ein wirklich dauernder Erfolg erzielt werden soll (und wenn 
er es kann!), so darf unberechenbaren Factoren, oder bei uns: 
den atmosphärischen Niederschlägen keinerlei Einfluss auf die Zu¬ 
sammensetzung der Abwässer gestattet werden. 

Es sei mir nun in den noch folgenden Zeilen gestattet, mich 
über die Reinigung der Kanalwässer durch künstliche oder natür¬ 
liche Filtration in möglichster Kürze auszusprechen, denn eine 
Würdigung der ausführlichen Behandlung dieser Kapitel, welche 
dieselben in dem Werke der Herren Prof. Corfield und Parkes 
erfuhren, ist schon Raummangels wegen hier nicht zu erreichen. 
— Jede künstliche Filtration, d. h. jede Filtration durch die künst¬ 
lich bereitete Masse nur mechanisch wirksamer Filterschichten 
unter völligem Ausschluss von Pflanzen wuchs, hat sich in England 
als durchaus werthlos für die Reinigung so schmutziger Abwässer 
erwiesen, und es ist dies ganz besonders von jeglicher Aufwärts- 
Filtration zu berichten. — Den Uebergang von der künstlichen 
Filtration zu dem eigentlichen Rieselverfahren bildet die unbedingt 
zu den natürlichen Reinigungsprocessen zu zählende „inter- 
mittirende Abwärts-Filtration“ nach Bailey-Denton. Ich be¬ 
gegne noch immerfort in deutschen Schriften einer Wendung wie: 
„Die Bodenberieselung ohne Pflanzenbau, d. h. die intermittirende 


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Bodenfiltration“ und ich benutze deshalb noch einmal die Gelegen¬ 
heit, auf das Unrichtige dieser Ausdrucksweise nachdrücklich auf¬ 
merksam zu machen. Bodenberieselung ohne Pflanzenbau und 
intermittirende Bodenfiltration sind durchaus nicht immer identisch. 
Es ist das Erste wohl immer das Zweite; aber nicht immer wird 
das Zweite das Erste sein. Auf den Berliner Rieselfeldern begegnen 
wir doch allenthalben einer intermittirenden Bodenfiltration — das 
ist aber nichts weniger als Bodenberieselung ohne Pflanzenbau. 
Und grade jenes so werthvolle Special-Verfahren der intermitti¬ 
renden Abwärts-Filtration, dass einen sehr befähigten Vertreter in 
Herrn Bailey-Denton gefunden hat, ist ein Verfahren, welches 
seine immer noch fortdauernden Erfolge in erster Linie der Mit¬ 
arbeit animalischen und vegetabilischen Lebens verdankt, es ist 
ein durchaus natürlicher Process, und ich bin überzeugt, dass 
er auch in Deutschland eine freundlichere Beurtheilung erfahren 
wird, sobald es nur gelingt, auch in weiteren Kreisen die Identifi- 
cirung dieses Verfahrens mit einer „Bodenberieselung ohne Pflanzen¬ 
bau“ unmöglich zu machen *). 

„Ist es nicht schmachvoll“, hat Marc Aurel einst gefragt, 
„ist es nicht schmachvoll, dass der Baukünstler und der Arzt vor 
den Gesetzen seiner Kunst mehr Achtung besitzt, als der Mensch 
vor den Gesetzen seiner Vernunft, die er doch mit Göttern gemein 
hat?“ Heute hätte Marc Aurel sich wohl allgemeiner gefasst 
und von „vielen Vertretern der Wissenschaft“ gesprochen; aber 
eben weil diese, und zwar sowohl in als ausser ihrem Beruf, selbst 
Menschen sind, kann ich jene Worte, ohne den Sinn zu ver¬ 
letzen, auch in der Weise deuten, dass es schon vor 1700 Jahren 
gebildeten Leuten nur schmachvoll erschien, wenn Menschen ihre 
eigenen Gesetze und Grundsätze, oder ihre alten Gewohnheiten 
auch da noch befolgt und aufrecht erhalten wissen wollen, wenn 
diese mit der gesunden Vernunft sich im Widerspruch zeigen. — 
Was mich übrigens hier auf scheinbar so fernliegende Gedanken 
gebracht hat, ist etwas, das selbst noch die Götter mit uns nicht 
gemein haben dürften, nämlich städtische Rieselanlagen! Man schaffe 
sich nur ein Bild von der Entwicklung dieser Institution: Bei Edin¬ 
burgh existiren städtische Rieselanlagen ohne Schaden zu stiften seit 
ungefähr 200 Jahren. Bei Bunzlau existiren sehr ähnliche Anlagen, 
wenn ich mich recht besinne, seit 100 Jahren; in Mailand seit etwa 
50 Jahren, und als dann vor 25 Jahren endlich eine allgemeinere Ver- 
werthung derselben Methode unter neuzeitlicher Pflege und Ueber- 
wachung zu grösserem Nutzen in's Leben treten sollte, da erhob sich 
auf einmal ein Sturm der Entrüstung, der auch heute nicht vollständig 

1) Ausführlich beschrieben ist das B ai 1 ey - De n t o n'sche Verfahren, welche« 
nun auch in der Musterstadt * Pullmann (Chicago) Verwendung gefunden hat, 
im Centralblatt f. allg. Ges.-Pflege 1886. H. VII. pag. 201 u. folg. 


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— 423 — 


verschwunden ist. Jetzt plötzlich sollte dieses Verfahren nicht nur 
nutzlos bleiben, es sollte sich sogar für die Dauer oder für grössere 
Anlagen als unausführbar, aber mindestens gemeingefährlich er¬ 
weisen! — Nun, man wusste wohl recht gut: Es thut keinen 
Schaden; man wusste: Es ist öconomischer als die Ableitung aller 
Schmutzwässer und Dungstoffe in die Flüsse. Für die Wahrheit 
hatte man die vorzüglichsten Beläge und Proben der Praxis, nur 
wollte man wenig von der Wahrheit wissen. Die Theorie war 
grade damals dagegen gerichtet und theoretisch musste es also 
zweifellos stinken, der Boden musste versumpfen, die Brunnen 
mussten weit und breit vergiftet, und die allgemeine Gesundheit 
musste auf alle mögliche Weise geschädigt werden. Es durfte 
und sollte nicht sein, denn man hatte es einmal theoretisch un¬ 
möglich gemacht! Und jetzt? Und heute? Ja, jetzt sind nicht 
nur in England die Chemiker rathlos und muthlos geworden, es 
sind nicht nur in Deutschland und Frankreich vor Allem die 
Millionenstädte gewesen, welche endlich das Rieselverfahren, und 
dann allerdings gleich im grösstdenkbaren JVlass stabe, eingeführt 
haben, sondern vor Allem dort drüben im fernen Australien hat 
man mit weit offenen Armen die Vernunft aufgenommen und hat 
grade dadurch das alte Europa schon jetzt überflügelt. Das ist 
nun das Ende vom Lied, und mir scheint, das ist schmachvoll! 
Adelaide, mit ca. 70,000 Einwohnern reinigt seine sämmtlichen 
Abwässer mit dem besten Erfolg auf einem bedeutenden Rieselgut; 
auch Sidney (mit ca. 250,000 Bewohnern) hält zur Reinigung der 
städtischen Abwässer ein blühendes Rieselgut an der Küste des 
offenen Meeres in Betrieb, und Melbourne, die bedeutenste Haupt¬ 
stadt jenes Erdtheils, mit reichlich 300,000 Bewohnern, hat das 
Mutterland um Ueberlassung eines in Rieselanlagen erfahrenen 
Technikers dringend ersucht, (ln London hat man für Solche 
nicht genügende Verwendung, und so ist der in England’s fach¬ 
männischen Kreisen bekannte Civilingenieur Herr James Man- 
sergh diesem Rufe gefolgt.) 

Aber heute lässt sich die Rolle, welche wir bisher der blossen 
Vernunft bei unseren Unternehmungen eingeräumt haben, noch 
von einem etwas veränderten Standpunkt beleuchten. Wenn wir 
es bei der Unschädlichmachung der städtischen Abwässer in der 
That mit einer so schwierigen Aufgabe zu thun haben, erscheint 
es dann nicht völlig vernunftgemäss, wenn wir diese Arbeit vor 
Allem auf demjenigen Wege zu lösen versuchen, auf welchem die 
Natur selbst ohne Drang und ohne Zwang den bedeutendsten Theil 
dieser Lösung verrichtet? Wenn wir des vibrionischen Lebens der 
Abwässer zur Reinigung derselben bedürfen, — wo kann es sich 
nützlicher und ungefährlicher entfalten, als in den oberen Schichten 
des berieselten Bodens? Wenn wir der Mitwirkung des pflanz- 


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liehen Lebens bedürfen, — wo käme es besser zur Geltung, als 
auf berieselten Feldern? Wenn wir die reinigende Kraft des Sauer¬ 
stoffs brauchen, — wo finden wir ihn leichter und reichlicher, als 
in der freien Atmosphäre, als in der Luft, welche, den schmutzigen 
Abwässern folgend, die Poren des berieselten Bodens erfüllt? Ist 
da ein Vergleich auch nur denkbar, mit den geringfügigen Sauer¬ 
stoffmengen, welche das Wasser eines Flusslaufes in Lösung ent¬ 
hält, und welche dann erst den Fischen zu deren sichtbarem Nach¬ 
theil entzogen werden müssten? 

Da übrigens diesen Factoren, wie wohl festgestellt ist, die 
hervorragendste Rolle bei einer 'glücklichen Verwerthung und Un¬ 
schädlichmachung der Abwässer auf einem Rieselgut zufallt, so 
gerathen wir gleichsam von selbst auf das Resultat all der lang¬ 
jährigen englischen Rieselversuche, dass nämlich die physikalische 
Beschaffenheit des Bodens von der hervorragendsten Bedeutung für 
die beabsichtigte Reinigung der Abwässer ist, während die chemische 
Zusammensetzung des Erdreichs in einem ganz unwesentlichen 
Masse betheiligt erscheint. Und darin liegt auch ein Schlüssel für 
den eigenthümlichen Gegensatz, den wir z. B. zwischen den Dan- 
zigeiv Rieselanlagen einerseits und den Berliner und Breslauer 
Anlagen andererseits finden. Hier wie dort werden die Abwässer 
zur vollsten Zufriedenheit aller Interessirten gereinigt, hier wie dort 
haben sich die Drainwasser klar und die Rieselanlagen selbst durch¬ 
aus unschädlich gezeigt; aber während man in Danzig selten Wasser 
genug hat, findet sich in jenen beiden Städten nur zu häufig zu 
viel. In Danzig gelangen pro Kopf und Tag etwa 110 1. Kanal¬ 
wasser zum Abfluss und in Berlin etwa durchschnittlich 103. Die 
Verhältnisse sind einander also dort offenbar ähnlich; aber während 
man in Berlin nur die Abwässer von 306 Einwohnern pro Tag 
und ha. zu reinigen vermag, genügt in Danzig die nämliche Fläche 
dem Bedürfniss von nicht weniger als 075 Bewohnern *). 

Es ergibt sich hieraus einmal, dass die Pariser Abgeordneten 
der französichen Hauptstadt durchaus keine zu engen Grenzen ge¬ 
setzt haben, als sie das Maximum der zulässigen Bodenbewässerung 


1) Dieser gewiss interessante Vergleich stutzt sich einerseits auf die An¬ 
gaben des amtlichen Berichts der Verwaltung der Berliner Kanalisationswerke 
für das Betriebsjahr 1887/88; andererseits benutze ich diese Gelegenheit zu der 
Erklärung, dass über die Verhältnisse des Rieselgutes der Stadt Danzig in amt¬ 
lichen wie nichtamtlichen Berichten eine Fülle von unrichtigen Angaben cursirt; 
Thatsächlich hat das dort zur Berieselung bestimmte Terrain eine Ausdehnung 
von 264 ha. Wirklich berieselt wird eine planirte Fläche von rot. 145 ha. Die 
Stadt Danzig hat heute ca. 114,000 Einwohner, wovon 98,000 für das Rieselgut 
Abwässer liefern. — Um unrichtigen Folgerungen vorzubeugen und die Annahme 
einer Uebersättigung und Versumpfung des dortigen Terrains zu widerlegen, 
erinnere ich einmal daran, dass die Drainwässer stets in zufriedenstellender Rein¬ 
heit und Klarheit befunden worden sind (cf. z. B. den amtlichen Bericht über 


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auf 40,000 cbm. p. ha. und Jahr normirten (etwa 1000 Einwohner 
p. ha. und Tag)*), und ferner — da wir nun einmal die Verhält¬ 
nisse der drei ersten Städte Europa’s berühren — die schon von 
anderer Seite ausgesprochene Vermuthung, dass London wohl gut 
thäte, sich die für kanalisirte Städte günstigen Erfahrungen, welche 
man im Danziger Dünengebiet gesammelt hat, zu Herzen zu nehmen 
und ernstlich, aber etwas kurz zu erwägen, ob das alte Project 
einer Verrieselung der Abwässer Londons auf den Maplin-Sands 
für die Stadt nicht doch grade das rathsamste wäre 2 ). Und schliess¬ 
lich ergibt sich, dass gar nicht dringend genug davor gewarnt werden 
kann, dass man die Lösung dieser Frage der Reinigung städtischer 
Abwässer gewissermassen nach einem Schema zu erledigen ver¬ 
sucht, während die unberechenbare Natur uns ihre Hauptrolle schon 
in endlosen Variationen vor Augen geführt hat. Man kann weder 
für Städte im Allgemeinen erklären, nach chemischer Behandlung 
der Abwässer ist eine so und so vielfache Verdünnung von Nöthen 
— kaum kann man behaupten, dass solch eine Verdünnung in 
diesem oder jenem Falle erreicht worden sei, — noch hat es irgend 
welchen Werth für das ganz Allgemeine eine Anzahl von Bewoh¬ 
nern zu fixiren, deren Abwässer pro Tag und ha. auf Rieselgütern 
verbraucht werden dürfen. Wird diese Lösung vielmehr grade 
nicht nach veralteten „Grundsätzen“, sondern nur an der Hand 
der freien Vernunft angestrebt, so wird auch noch manch eine 
Ortschaft ganz wider alles Erwarten zur Reinigung ihrer Abwässer 
durch Rieselung greifen. 

Es ist mir unmöglich an dieser Stelle über Rieselanlagen zu 
schreiben, ohne wenigstens kurz von der in England herrschenden 
Stimmung über den Einfluss derselben auf die öffentliche Gesund¬ 
heit zu berichten. Es ist nämlich hochinteressant zu beobachten, 
wie dort Theorie und Praxis gemeinschaftlich Zug um Zug der 
Ueberzeugung Eingang verschaffen, dass Rieselanlagen sich in sani¬ 
tärer Beziehung nich schädlich, wohl aber möglicherweise grade 
nützlich erweisen 8 ). Wissenschaftliche Untersuchungen sowohl als 

die Vorarbeiten f. d. Anlagen zur Reinigung d. städt. Abwässer in Königsberg 
i. Pr. 1887 pag. 30), und andererseits an die längstbekannte Thatsache, dass, um 
eine landwirtschaftliche Bebauung dieser Rieselfläche zu ermöglichen, in den 
Sommermonaten noch Flusswasser gepumpt und mit dem städtischen Kanal* 
wasser gemischt werden muss. 

1) Beschlüsse der Abgeordneten-Kammer vom 25. Jan. 1888. Art. 4. 

2) Die „Maplin Sands* sind ein an der englischen Ostküste nördlich der 
Themsemündung gelegenes Dünengebiet, dass zur Berieselung mit dem Londoner 
Kanalwasser schon vor vielen Jahren vorgeschlagen wurde. Es wäre zum Theil 
allerdings erst der Nordsee zu entreissen. 

3) Die Mortalität der auf englischen Rieselgütern arbeitenden Bevölkerung 
während einer Betriebszeit von durchschnittlich 10 Jahren betrug z. B. nur 
3 pro 1000 und Jahr. — cf. Edwin Chadwick: „ Girculation und Stagnation. * — 
Cassel Sc Co. London 1889. p. 41. 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 29 


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- 426 - 


Beobachtungen der Praxis führen zu dem einen Resultat, dass 
die freie Atmosphäre über einem in solcher Ueppigkeit strotzenden 
Pflanzenwuchs einen mehr als gewöhnlichen Reichthum an Ozon 
enthält. Und der weitere Oedanke, dass auf so reich gedüngten 
Feldern unreine, organische Substanz den Pflanzenwuchs und damit 
eben die Production des Ozons vermehre, während dieser kaum 
entwickelte Ozon-Gehalt schon wieder durch Combustion und Oxy¬ 
dation für die Vernichtung der faulen organischen Materie wirke, 
dass also grade dem Untergang geweihte animalische und vege¬ 
tabilische Substanz der Atmosphäre die Reinheit sichert, indem sie 
wieder sich selbst vernichtet, dieser Gedanke scheint die „heiligen 
Kreise der Natur“ zu berühren, und etwas zu Grossartiges ist in 
seiner Entwicklung enthalten, als dass er nicht wirklich „natürlich“ 
erschiene. Auch dem geahnten nützlichen Einfluss auf die Gesund¬ 
heit kann jener Gedanke kaum entgegen wirken, und den englischen 
Ahnungen stelle ich jene Heimstätten für Reconvalescenten gegen¬ 
über, welche schon jetzt inmitten der Berliner Rieselanlagen eröffnet 
worden sind. Ja, was den Schreiber dieser Zeilen anbetrifft, so 
kann er sich eine schönere Lösung einer so schmutzigen Frage 
nicht denken, als jene blühenden Gefilde, in deren Mitte Genesende 
Erholung suchen, welche schon heute nur zu willig ihren Beitrag 
entrichten, um grade auf jenen Ländereien in gesunder, frischer 
Luft zu leben und Tag für Tag die Milch eben jener Kühe zu 
trinken, die mit dem einst gar so verrufenen Rieselgras ernährt 
worden sind — ja, tempora mutantur! *) 

Mein Streifzug ist beendet, und es erübrigt nur, dass ich mich 
verabschiede von dem werthvollen Werke, dass mir bis hierher als 
Leitfaden gedient hat, und dann von den Verfassern, denen ich für 
so vielseitige Anregungen und schätzbare Daten zu Dank ver¬ 
pflichtet bin. 

Jeder Leser dieser Zeilen wird mit empfunden haben, welchen 
Reichthum an werthvollen Mittheilungen dieses Werk aus dem 
gesammten Gebiet der Städtereinigungsfragen in sich aufgenommen 
hat, die es nun gesichtet und vereint und geordnet dem inter- 
essirten Leserkreis zuführt. Und jeder Leser des Werkes wird 
anerkennen, dass eigentlich in allen Branchen des Themas von den 
Verfassern sehr hochzuschätzende Winke geboten worden sind. 
Was aber der Leser meiner Zeilen kaum wissen dürfte und was 

1) Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass die hervorragende und ein¬ 
seitige Empfehlung der Berieselung den Ansichten der Mitglieder der Redaktion 
keineswegs vollständig entspricht, sondern dieselben sind auch jetzt noch der 
Meinung, dass jede Stadt die Frage des Verbleibes der Kanal Wässer in der Be¬ 
rücksichtigung alter lokalen Verhältnisse und Schwierigkeiten zu lösen bestrebt 
sein muss. — Die Redaktion. 


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427 — 


ich ihm mitzutheilen doch verpflichtet bin, das ist, dass dieses 
Buch in all seinen verschiedenartigen Kapiteln mit einer ganz 
aussergewöhnlichen Unparteilichkeit geschrieben wurde, einer Un¬ 
parteilichkeit, dte allerdings in der vorliegenden Besprechung, wie ich 
fürchte, zum Theil wieder verloren worden ist. Das von den Herren 
Prof. Corfield und Parkes behandelte Gebiet ist ausserdem ein 
so ausserordentlich weites und vielseitiges, dass eben darum von 
Vertretern eines einzelnen der mitinteressirten Specialfacher wohl 
nie eine so detaillirte und erschöpfende Behandlung des Ganzen in 
irgend einer Sprache geboten worden ist. Und dieser Gedanke, 
oder vielmehr der Gedanke, dass speciell in der deutschen Lite¬ 
ratur ein gleichbedeutendes und umfassendes Werk doch noch nicht 
existirt, liess mich lange überlegen, ob eine Uebersetzung dieser 
englischen Schrift nicht recht angebracht wäre. Aber ich habe 
schon im Stillen diese Frage verneint. Das Werk eignet sich kaum 
für eine Uebertragung iivs Deutsche — ja, ich fürchte, es käme 
garnicht lebensfähig durch die Hände der Drucker, denn in einem 
ganz eigenartigen Zuge dieser Schrift würden Deutsche wohl immer 
einen Fehler oder, gelinder gesagt, eine bedenkliche Schwäche 
desselben empfinden — dieses Buch ist zu englisch! Ganz eng- 
liche Versuche, die in englischen Orten an englischen Anlagen unter 
englischen Verhältnissen von englischen Fachleuten gemacht worden 
sind, werden hier noch für Engländer englisch besprochen. Ein 
rein englischer Geist durchweht diese Blätter, mit dem sich der 
Deutsche schwer einigen kann. 

Erinnert man sich aber des Weiteren, dass in meinem Streif¬ 
zug die pneumatischen Kanalisationen garnicht besprochen werden 
konnten, dass ich viele andere Kapitel, so die über den Einfluss von 
Kanalisationsanlagen auf die öffentliche Gesundheit, viele chemisch und 
landwirtschaftlich bedeutende Punkte nur flüchtig oder gar nicht zu 
berühren vermochte, so wird man in dem dies Alles umfassenden Werk 
nicht mit Unrecht eine „Geschichte und ein Handbuch der Kanali¬ 
sation in ihrem allerweitesten Umfang“ erblicken. Zur Herausgabe 
einer solchen Geschichte der Kanalisation durch deutsche Specia- 
listen aller einzelnen Gebiete, welche in erster Linie auf deutschen 
Erfahrungen und deutschen Versuchen basirte und in welcher sich 
der Geist rein deutscher Wissenschaft und deutscher Forschung 
dann natürlich verriete, zur Herausgabe eines solchen Werkes 
hoffte ich durch meine heutigen Zeilen mit anzuregen. — Wenn 
berufene Fachleute Deutschlands bei dieser Gelegenheit zum Besten 
des allgemeinen Wohls in offener Einigkeit zur Arbeit schreiten, 
wenn Techniker, Hygieniker, Chemiker und Landwirte und die 
Vertreter aller sonst noch betheiligten naturwissenschaftlichen For¬ 
schung sich für eine erschöpfende Behandlung der Geschichte ihrer 
Specialfelder bemühen wollten, so würden wir diesen Bestrebungen 
binnen Kurzem ein Werk von hervorragendster Bedeutung ver¬ 
danken. — Während heute in A. der Herr B. kanalisirt und in C. 


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I 


428 


der Herr D., von denen jeder immer noch die eigenen Melodien 
am liebsten vernimmt, würde nun die ganze Bewegung auf diesem 
weiten Gebiete in einem einzigen Unternehmen ein Centrum erhalten. 
Wir bekämen ein Werk, welches zum Ausgangspunkt für alle fach¬ 
wissenschaftlichen Bestrebungen und Forschungen der Zukunft 
würde, wir besässen ein Werk, aus welchem, weil Jeder es mit 
Ruhe und mit Zeit und Ueberlegung geniessen und, was noch viel 
mehr ist, auch aus nützen könnte, dem deutschen Volke mehr 
praclischer Nutzen hervorwachsen müsste, als aus einer ganzen 
Bibliothek von jenen wissenschaftlichen Vorträgen, wie sie über die 
nämlichen Themata in Vereinsversammlungen und internationalen 
Congressen so häufig erscheinen, wo, wenn kaum der Herr X. 
seine Hörer überzeugt und gewonnen hat, der Herr Z. schon ver¬ 
sichert, es sei das ein Irrthum, Herr X. habe sich hierin und darin 
getäuscht, denn er, der Herr Z., sei ganz abweichender Meinung. 
— Und wie oft wurde doch nun schon von Deutschland herüber 
auf die werthvollen, berühmt gewordenen englischen Blaubücher 
verwiesen! Sie entstehen, indem eine Regierungscommission alle 
hervorragenden Fachleute und alle sonst wichtigen Zeugen vor 
ihren Präsidentenstuhl ladet, sie ausfragt und die bei uns oft gradezu 
ängstlich gehütete Weisheit im Interesse des Gemeinwohls der 
Oeffentlichkeit preisgibt. Ein von Seiten der Commission diesen 
Aussagen noch angefügter Bericht verbindet das Ganze zur besseren 
Verwerthung. Wenn nun also auch hier zu Lande die Auserwähl¬ 
ten bereit sind, eirr Fundamentalwerk von ähnlicher oder vielmehr 
von einer noch grösseren Bedeutung zu schaffen, aus welchem sich 
jeder Interessirte durch einfaches Nachschlagen über die Beurtei¬ 
lung seines Falles an massgebender Stelle zu informiren vermag, 
so können sie auch hierbei von Neuem beweisen, dass es in Deutsch¬ 
land nicht üblich ist, auf einen Ruf der Regierung zu warten, wenn 
es nur gilt, von dem äusseren Anschein persönlicher Weisheit im 
Interesse des Gemeinwohls ein wenig zu opfern. 

Und nun schllesse ich denn endlich mit einer recht abgeleierten 
Schriftstellerphrase: „Wenn ich es vermocht habe, durch das, was 
ich sagte, auch nur einen kleinen Theil meiner Leser für den Vor¬ 
theil zu gewinnen, den uns ein gutes, ich möchte wohl sagen ein 
„classisches“ Werk über „Kanalisation von Städten in ihren) 
weitesten Umfange“ brächte, so habe ich auch den Zweck dieser 
Zeilen erreicht. 


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Notizen über englische Erfahrungen in der chemischen Klärung von städtischen Abwässern. 













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Sterblichkeit»-Statistik von 53 Städten der Provinzen Westfalen, 
Rheinland und Hessen - Na sh an pro Monat August 1889, 


Gewaltsam 
Tod durch 































TVachweUnuiff über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern ans 54 

Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat September 1889. 































Sterbliohkelts - Statistik yoh 54 Städten der ProTinzen Westfalen, 

Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat September 1889. 















































Kleinere Mittheilnngen, 


** Die Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes bringen 
in Nro. 26. d. J. eine interessante Zusammenstellung der seit der Wehr¬ 
und Heerordnung vom 28. Sept. 1875 alljährlich Untersuchten mit Hin¬ 
weisung auf Tauglichkeit und Untauglichkeit zum Dienste. 

Die hygienischen Bestrebungen der Neuzeit sollen, wie von manchen 
Seiten befürchtet wird, die körperliche Tüchtigkeit der GesammtbevÖlkerung 
mindern. Durch die wachsende Fürsorge gegen Säuglingskrankheiten und 
verheerende Seuchen des jugendlichen Alters verhindere man, wie behauptet 
wird, dass der weniger widerstandsfähige Nachwuchs dahinsterbe; während 
früher nur die kräftigsten Kinder das mannbare Alter erreichten, ziehe man 
heutzutage auch die schwächlichen gross und schaffe dadurch eine minder 
leistungsfähige Generation. 

Zur Entscheidung der Frage, oh eine solche Abnahme der körperlichen 
Tüchtigkeit bei der männlichen Bevölkerung in den letzten Jahren stattge¬ 
funden habe, eignen sich bis zu einem gewissen Grade die Ergebnisse des 
jährlichen Aushebungsgesch äftes. 

Im Deutschen Reiche werden Jahr für Jahr im Frühling und Sommer 
alle diejenigen männlichen Personen, welche im laufenden Kalenderjahre 
das 20. Lebensjahr vollenden, einer genauen Untersuchung auf ihre körper¬ 
liche Tüchtigkeit (zum Militärdienste) unterworfen. Diese Untersuchung 
wird gleichzeitig auf alle diejenigen jungen Leute ausgedehnt, über welche 
in den beiden Vorjahren noch keine bezügliche Entscheidung getroffen ist, 
mithin auch auf solche, welche das 21. oder 22. Lebensjahr vollenden. 

Die nach gleichbleibenden Vorschriften getroffenen Entscheidungen lauten 
im Wesentlichen: 

1. körperlich tauglich zum Dienste im stehenden Heere oder in 
der Flotte; 

2. bedingt tauglich, d. h. mit solchen bleibenden Fehlern oder 
Gebrechen behaftet, welche die Tauglichkeit zum Militärdienste 
(Kriegdienst) zwar nicht auflieben aber beschränken*); 

3. zeitig untauglich, d. h. entweder körperlich noch nicht der¬ 
artig entwickelt, dass die Entscheidung gefällt werden kann, oder 
vorübergehend krank; 

4. dauernd untauglich zum Dienst im Heere oder in der Flotte. 


*) ln der Heerordnung heisst es: „zwar die Gesundheit nicht beeinträchtigen, 
die Leistungsfähigkeit jedoch beschränken.* 


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440 — 


Zur Beurtheilung der in Rede stehenden Frage, ob die köiperliche 
Tüchtigkeit der männlichen Bevölkerung (von 20—22 Jahren abnehme oder 
nicht, sind lediglich die Zahlen der vorstehend mit 1. und 4. bezeichnten 
Kategorien zu verwerthen. 

Den bedingt tauglichen (Ziffer 2) werden nämlich diejenigen körperlich 
tauglichen Leute zugezählt, welche wegen häuslicher Verhältnisse in 
Friedenszeiten nicht oder nur in beschränktem Maasse zum Militärdienste 
herangezogen werden; den zeitig untauglichen (Ziffer 3) treten diejenigen 
tauglichen Leute hinzu, welchen aus gleichen Gründen eine vorübergehende 
Befreiung vom Militärdienste zugestanden wird. Hierzu kommt, dass im 
3ten Gestellungsjahre die überzählig gebliebenen und die wegen häuslicher 
Verhältnisse oder vorübergehender Unbrauchbarkeit zurückzustellenden Mann¬ 
schaften ebenfalls den bedingt tauglichen hinzugerechnet werden. 

Diese beiden Kategorien von Militärpflichtigen (Ziffer 2 und 3) ent¬ 
halten demnach sowohl körperlich Taugliche, als auch nicht vollkommen 
Taugliche und eignen sich daher nicht zu einer Beurtheilung des Tüchtig¬ 
keitsverhältnisses der untersuchten Bevölkerung. 

Die für körperlich tauglich zum Dienste im stehenden Heere oder 
in der Flotte befundenen Personen (Ziffer 1) zerfallen in: 

a) die zum Dienste ausgehobenen, 

b) die freiwillig zum Dienste eintretenden, 

c) die überzählig bleibenden. 

Diesen in den Listen nachgewiesenen Personen müssten hinzugezählt 
werden (wie aus dem Vorhergehenden sich ergiebt): 

d) die im 3ten Konkurrenzjahre überzählig bleibenden und 

e) diejenigen körperlich tauglichen Militärpflichtigen, welche wegen 
häuslicher Verhältnisse vom Dienste im stehenden Heere befreit bleiben. 
Indessen wird die Zahl der zu d und e genannten tauglichen Personen nicht 
bekannt gemacht. Nimmt man an, was erlaubt scheint, dass diese Zahlen 
alljährlich nahezu konstante sind, so fallen sie für Vergleiche nicht in’s 
Gewicht. 

Nachstehende Tabelle zeigt, wie viele von je 10,000 ärztlich unter¬ 
suchten jungen Leuten seit dem Inkraftreten der Wehr- und Heerordnung 
vom 28. September 1875 alljährlich 

A für körperlich tauglich zum Dienste im stehenden Heere etc. befunden, 

B für dauernd untauglich hierzu erklärt (ausgemustert) worden sind. 

In Spalte 2 sind nur die ärztlich auf ihre Tauglichkeit geprüften Mann¬ 
schaften aufgeführt, also die in den Listen stehenden Personen nach 
Abzug 1. der verzogenen, 2. der unermittelt gebliebenen und 3. der wegen 
entehrenden Strafen ausgeschlossenen Militärpflichtigen. 


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— 441 


1 

2 

3 

4 



Von je 10,000 untersuchten jungen 

Im 

wurden 

Leuten wurden erachtet für 

Jahre 

untersucht 

tauglich zum 

dauernd un- 



Dienste 

tauglich 

1876 

786,054 

2176 

1282 

1877 

782,482 

2182 

1141 

1878 

1 822,412 

2039 

1056 

1879 

857,374 

1950 

1100 

1880 

| 875,480 

1982 

1093 

1881 

! 864.812 

2044 

901 

1882 

851,801 

2081 

858 

1883 | 

1 869,572 

2057 j 

1 787 

1884 ! 

| 884,250 

2057 

767 

1885 i 

900,849 

2035 

1 743 

1886 

925,832 

2053 

754 

1887 , 

919,737 

2220 

i 684 


Die Tabelle zeigt Folgendes: 

1. Die Zahl der ffir dauernd untauglich erklärten Per¬ 
sonen hat von 1876 — 1887 ziemlich ununterbrochen abge- 
noinmen. (Der beträchtliche Unterschied zwischen 1880 und 1881 —von 
1093 bis 901 — wird dadurch erklärt, dass Leute mit Mindermaass bis 1880 
für untauglich zum Waffendienst erklärt wurden, seit 1881 nicht mehr.) 

2. Die Zahl der tauglich erklärten Personen hat seit 1879 
allmählich zugenom m en. (ln den ersten Jahren nach Erlass der neuen 
Wehr- lind Heerordnung sind zwar mehr Personen als in späteren Jahren 
für tauglich erklärt worden, dies dürfte aber durch die damalige Neuheit 
der bezüglichen Verhältnisse sich erklären lassen.) 


*** Über die Thätigkeit des Stadtarztes in Frankfurt a. M. 

haben wir früher wiederholt berichtet. Nachdem letzten Jah resberichte 
über die Verwaltung des Medizinal Wesens in Frankfurt a. M. (S. 65 ff.) hielt 
sich die Thätigkeit des Stadtarztes auch im Rechnungsjahre 1887/88 in 
den Grenzen, die ‘sich während des bis dahin fünfjährigen Bestehens dieser 
Stelle herausgebildet haben, und erstreckte sich im wesentlichen auf die 
Mitwirkung im Armenamte und bei der städtischen Krankenpflege, auf die 
städtischen Schulen und die übrigen zahlreichen sanitären Fragen, wie sie 
bei den verschiedenen Ämtern Vorkommen. Bezüglich dieser Thätigkeit 
können wir im allgemeinen auf unsere früheren Berichte verweisen und 
heben nur folgendes hervor. Der Stadtarzt (Dr. A. Spiess) hatte im 
Aufträge der verschiedenen städtischen Amtsstellen 503 ärztliche Unter¬ 
suchungen auszuführen. — lin Armenamte Teilnahme an allen Sitzungen 
des Plenums sowie der Kommissionen für offene und für geschlossene 
Armenpflege und der Pflegekinder-Kommission; Gutachten betr. Arbeits- 
nnd Erwerbsfahigkeit von Pfleglingen, Berichte über Wohnungsverhältnisse 
derselben u. a.; Sorge für städtische Pflege- und Waisenkinder und deren 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 30 


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— 442 — 


Unterbringung. Der Stadtarzt wirkte an der Errichtung einer städtischen 
Kinderherberge mit, in welcher das Armenamt Kinder vorübergehend, 
bis Landpflege der Kinder oder Waisenhauspflege ein tritt, die Mutter wieder 
aus dem Spital zu Hause ist u. s. w., unterbringen und beaufsichtigen 
kann. — 

Vierteljährige Beratungen mit den Armenärzten, Regelung des Urlaubs¬ 
und Stellvertretungswesens für die letzteren, Umarbeitung der Instruktion 
für die Armenärzte. — 

lm städtischen Krankenhause Aufsicht über die laufende Verwaltung 
der ärztlichen Angelegenheiten, bauliche Änderungen, Verbesserung des 
Desinfektions-Apparates, der Trinkwasser-Verhältnisse u. a. — 

Im städtischen Armenhause leitet der Stadtarzt die Krankenabteilung, 
welche in einem dazu neu gebauten Flügel des Hauses (zwei grosse Säle 
mit 40 Betten) untergebracht ist. — 

In der Entbindungsanstalt Eröffnung der von dem Stadtarzte ins Leben 
gerufenen Frauenklinik. — 

Im Irrenhause beschäftigte den Stadtarzt die stets wiederkehrende 
Überfüllung und teilweise Evakuirung der Anstalt, die Anstellung eines 
dritten Anstaltsarztes, der Entwurf einer neuen Verwaltungsordnung. — 

In den neuerbauten Volksschulen Prüfung der gelieferten Subsellien, 
der Brausebäder u. a. — 

Mitwirkung bei dem Bau und Umbau von Leichenhäusem, Herstellung 
von Eiskellern und Kühlvorrichtungen. — 

Von grösserem Interesse ist u. a. ferner eine Untersuchung der Ver¬ 
unreinigung des Mains durch die Abwässer der oberhalb Frankfurts am 
Main liegenden chemischen Fabriken, besonders der Fechenheimer Anilin¬ 
fabrik. Von der letzteren rührt, wie festgestellt wurde, die oft beobachtete 
Rotfarbung des Mainwassers her, auch führt diese Fabrik ständig dem 
Main sehr bedeutende Mengen von Arsenik zu. —. 

Noch ist u. a. zu erwähnen, dass der Stadtarzt die Medizinalstatistik 
der Stadt bearbeitet. W. 


*** Der städtische Qesundheitsrat in Frankfurt a. H. 

Mehrfach haben wir bereits in diesem Centralblatt auf die von dem Ärzt¬ 
lichen Verein zu Frankfurt a. M. herausgegebenen Jahresberichte über 
die Verwaltung des Medizinalwesens, die Krankenanstalten 
und die öffentlichen Gesundheitsverhältnisse der Stadt 
Frankfurt a. M. bezug genommen (vgl. 1886, S. 93; 1888, S. 174). 
In dem nunmehr uns vorliegenden XXXI. Jahrgang (Frankfurt, Sauerländer’s 
Verlag, 1888) behandelt der dritte Teil die öffentliche Gesundheitspflege. 
]n den städtischen Gesundheitsrat wurde im Jahre 1887 Professor 
Dr. Weigert gewählt. Von wichtigeren Gegenständen waren es nur zwei, 
die den städtischen Gesundheitsrat im Rechnungsjahr 1887/88 beschäftigten, 
die Kanalisation der Altstadt, speziell der nicht hoehwasserfreien 


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— 443 


Teile derselben, und die der Stadt Frankfurt durch die Ausdünstungen 
des Bockenheimer Grenzgrabens drohenden gesundheitlichen Ge¬ 
fahren. 

Der Kanalisation der Altstadt erwachsen erhebliche Bedenken dadurch, 
dass die meisten Strassen derselben nicht hoch wasserfrei sind. Oberbürger¬ 
meister Dr. Miquel wünschte ein Gutachten des Gesundheitsrates, ob 
auch ohne Eindeichung dieses Stadtteiles die Durchführung des Schwemm¬ 
kanalsystems in der Altstadt möglich sei, und wenn nicht, welches andere 
System zur Beseitigung der Abwässer und der Fäkalien alsdann in Anwen¬ 
dung gebracht werden könnte. Die Kommission kam zu dem Schlüsse, 
dass weder Tonnensystem, noch Gruben mit pneumatischer Entleerung, 
Liernursystem u. a. zu empfehlen wären, sondern nur der Ausbau des 
Kanalisationssystems im Anschlüsse an das allgemeine Sielnetz der Stadt. 
Das Bedenken, dass bei Hochwasser das Wasser des Mains in den tieferen 
Strassen von oben in die Kanäle laufen, diese füllen und trotz allen vor¬ 
zusehenden Abschlusses auch die Kanäle und Keller der höheren Strassen 
gefährden könne, musste zugegeben werden. Sollten die Gefahren that- 
sächlich sich als bedeutend herausstellen, so glaubte die Kommission 
schliesslich nichts anderes empfehlen zu dürfen, als dennoch den Stadtteil 
einzudeichen. 

Der Bericht über die gesundheitsgefährdende Beschaffenheit des Bocken¬ 
heimer Grenzgrabens ist im laufenden Rechnungsjahre nicht mehr erstattet 
worden. 

Andere Gegenstände, die den Gesundheitsrat beschäftigten, betrafen 
den Einfluss der Stauung des Maines auf die Brunnen und alten Kanäle 
der unteren Stadtteile, — die Beziehbarkeit von Wohnungen in neuerbauten 
Häusern, — die Heizungsanlagen in den Schulen, — die Errichtung eines 
Lassar’schen Volksbrausebades (eine Angelegenheit, die seitdem durch 
die Unterstützung eines Frankjirter Bürgers in dem auf seine Kosten auf 
dem Marienplatz errichteten Volksbrausebad ihre thatsächliche Verwirk¬ 
lichung gefunden hat), — die Anstalt zur Gewinnung tierischen Impfstoffs 
(auf welche verzichtet wurde, nachdem die Königlichen Behörden bestimmt 
hatten, dass das Provinzial-Impf-Institut in Kassel errichtet werde). W. 


Litteraturbericht. 


Ferd. Hueppe, Die Methoden der Bakterien-Forschung. Vierte Auflage, 
mit 2 Tafeln in Farbendruck und 68 Holzschnitten. Wiesbaden 1889. 

Wenn schon die früheren, rasch vergriffenen drei Auflagen des vor¬ 
liegenden Werkes sich durch die Vollständigkeit und Objektivität der 
Darstellung aller für den angehenden wie für den vorgeschritteneren Forscher 
beachtenswerthen Methoden der Bakterienuntersuchung auszeichneten, so 


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_. 444 _ 


hat der Verfasser in dieser neuen, ziemlich vollständigen Umarbeitung das¬ 
selbe Princip mit sehr dankenswerther Gonsequenz noch schärfer durch¬ 
geführt. Alle methodisen Fortschritte der letzten Jahre, welche haupt¬ 
sächlich im Ausbau der Einzelheiten bestanden, sind unter steter Berück¬ 
sichtigung der biologischen Grundlagen berücksichtigt, und an der Hand 
dieser Fortschritte wird zugleich die wissenschaftliche Gesammtrichtung 
klar gezeichnet, welche die Bakterien-Forschung jetzt nach dem vorläufigen 
Abschluss der bahnbrechenden Koch'sehen Entdeckungs - Epoche einzu¬ 
schlagen berufen ist. Namentlich fordert der Verf. eine eingehendere 
Wiederbeachtung auch der Pasteur’sehen und der Naegeli’schen Metho¬ 
dik, welche vielfach in der Freude über die bestechende Einfachheit der 
Koch’sehen Verfahren zu sehr bei Seite geschoben worden seien; dies 
werde „unwiderleglich durch die Thatsache gelehrt, dass die zweite und 
wirklich neueste Epoche in der Bakteriologie sich sogar im schroffen 
Gegensätze zur Koch'sehen Methodik und zum grundlegenden Gedanken 
der ersten Epocfie entwickelt habe*. Die zweite neueste Epoche datirt der 
Verf. bereits vom Jahre 1880, in welchem Jahre gleichzeitig und unabhän¬ 
gig von einander H. Büchner und Pasteur nach wiesen, dass pathogene 
Bakterien durch biologische und physikalisch-chemische Einflüsse derart 
beeinflusst werden können, dass sie schliesslich ihre Virulenz verlieren. 
Später gelang es dann Pasteur zu zeigen, dass auch eine Zunahme der 
Virulenz erfolgen kann, und die neueren und neuesten Versuche lassen an 
der Thatsache, dass sich Form- und Lebens-Eigenthiimlichkeiten in gewissen, 
nach den Arten schwankenden Graden verändern können, keinen Zweifel. 
Diese neue grundlegende Thatsache, an welche sich die ebenso gesicherte 
Thatsache einer Schutzimpfung durch Generationen mit verringerter 
Virulenz gegen die virulenten Stammkulturen anschliesst, sowie die neueren 
Beobachtungen von de Bary und Prazmowski betreffs der Entstehung 
neuer Varietäten von Bakterien unter deyi Einfluss wechselnder Stand¬ 
orte und Nährbedingungen, mussten zur Wiederaufnahme mancher für 
abgeschlossen geltender, wissenschaftlicher wie praktischer Fragen auf- 
fordem, während gleichzeitig die Forschungs-Ergebnisse Ganthier's und 
besonders Brieger’s über die Natur der von den Bakterien gebildeten 
Stoffwechselprodukte (Ptomaine, Toxine) neues Licht auf die Wirkungs¬ 
weise der pathogenen Mikroorganismen zu werfen beginnt. Mit Recht 
stellt H. angesichts der ausgedehnten Beziehungen, welche die Bakteriologie 
zu so vielen Zweigen der Heilkunde und der Naturforschung überhaupt 
gewonnen, als Zukunfts-Forderung die Errichtung besonderer Lehrstühle 
für Mikrobiologie auf und erklärt die jetzige Verbindung des bezüglichen 
Unterrichts mit der Hygieine oder mit der allgemeinen Pathologie für nur 
vorläufige Aushülfswege. 

In dem Abschnitte für „experimentelle Technik“, welcher den Haupt- 
theil des Werkes bildet, ist im Gegensatz zu allen anderen in Deutschland 
erschienenen Leitfäden auch die in Frankreich vorzugsweise geübte, übrigens 
in ihren Anfängen gleichfalls auf deutsche Versuche zurückzuführende 


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— 445 


Methode* der Verdünnung in Flüssigkeiten behufs Isolirung und 
besonders behufs genauer Zählung der in Flüssigkeiten oder in der Luft 
vorhandenen Keime eingehend beschrieben und gewürdigt. Aus dieser Ver¬ 
dünnungs-Methode in Verbindung mit den Gelatine-Objektträgerkulturen ist 
die Koch’sehe Methode der Plattenkulturen hervorgegangen, und die 
französischen Forscher der Pasteur’sehen Schule, besonders der durch 
seine bakteriologischen Luftuntersuchungen bekannte Miquel, behaupten 
auf Grund vergleichender Untersuchungen, dass namentlich für die Luft- 
und Wasser-Analyse die Verdünnung in Flüssigkeiten zuverlässigere Resul¬ 
tate ergebe als die Plattenmethode. Hueppe hat in Anerkennung gewisser 
Vortheile der ersleren bereits im Jahre 1885 eine Combination beider 
Methoden für Wasser- und Luft - Analysen vorgeschlagen und Miquel 
beschrieb dann später diese Verbindung als „procedö mixte welches er 
gegenüber der gewöhnlichen Plattenmethode sehr rühmt. Gegenwärtig 
sind, wie Verf. näher ausführt, so viele Verbindungs weisen beider Methoden 
verwirklicht, dass die Gegensätze ihre praktische Bedeutung verloren haben 
und nur im Uebereifer einiger Anhänger der einzelnen Richtungen noch 
ihren Ausdruck linden. 

ln den Bereich seiner, das Thema erschöpfenden Darlegung hat Verf. 
auch die Infektionsversuche an Thieren sowie die Schutzimpfungen gezögert. 
Der reiche Inhalt des Buches und seine für den wissenschaftlichen wie 
praktischen Nachschlage-Gebrauch, sehr zweckmässige Anordnung werden 
unterstützt durch eine Fülle gut ausgeführter Abbildungen, so dass dieser 
neuen Auflage eine noch dankbarere Aufnahme bei dem stets wachsenden 
Kreise der Bakterien-lnteressenten gesichert ist als sie bereits ihren Vor¬ 
gängerinnen innerhalb und ausserhalb Deutschlands zu Theil wurde. 

Finkelnburg. 

Schütz, Der Streptococcus der Druse des Pferdes. Zeitschrift für Hygiene, 
III. 4-27. 

Der von Verfasser entdeckte Goccus ist insofern von besonderer prak¬ 
tischer Bedeutung, als er die Unterscheidung der Druse von anderen mit 
ähnlichen Schleimhautprozessen einhergehenden Krankheiten des Pferdes 
sehr erleichtert. Von den übrigen bisher bekannten Streptococcen ist er 
durch Gultur unschwer zu entscheiden. Flatten. 

Globig, Ueber einen Kartoffelbacillus mit ungewöhnlich widerstandsfähigen 
Sporen. Zeitschrift für Hygiene, Rd. III. Seite 322. 

Verfasser fand an Kartoffeln, welche 2 1 /« Stunde in 1 °/oo Sublimatlösung 
gelegen hatten, dann gekocht und schliesslich im Dampfkochtopf mit strö¬ 
menden Dampf behandelt waren, oder aber ohne Sublijgatbehandlung 5 
Stunden in strömendem Wasserdampf gewesen, Bacillen, die trotz dieser 
Prozedur noch lebten. Unter ihnen war sowohl für Sublimat wie für 
strömenden Wasserdampf am widerstandsfähigsten ein verflüssigender Kar¬ 
toffelbacillus, dessen Reincultur sieb durch faltiges Aussehen, rötblichgelbe 


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446 


* bis rosarothe Farbe und einen an gekochten Schinken erinnernden Geruch 
kennzeichnet uud überaus schnell und reichlich Sporen bildet (rother Kar¬ 
toffelbacillus). Seine Sporen wurden durch l°/o* Sublimatlösung in 90 
Minuten, durch strömenden Dampf von 100° in 5*/*—6 Stunden getödtet, 
hielten 5°/o Carbollösung 14 Tage und die Einwirkung von gespanntem 
Dampf von 107—113° * 1 * Stunde aus. Dagegen unterlagen sie gespannten 
Dampf 

von 123° in 10 Minuten 
* 126° „ 3 

, 127° , 2 . 

„ 130® „ sofort. Flatten. 

Janowski (Kiew), Ueber den Bakteriengehalt des Schnees, Centralblatt für 
Bakteriologie. 1888. IV. Band, Nr. 18. 

Schmelck, Eine Gletscherbakterie, ibid. 

Janowski hält die bakteriologische Untersuchung des Schnees 
besonders in denjenigen Ländern für berechtigt, welche, wie Russland, 
jährlich mehrere Monate anhaltend mit Schnee bedeckt liegen. Dem Schnee 
wird dort Alles an Excrementen, Wirthschaftsüberresten u. dergl. über¬ 
antwortet, was anderorts dem Boden direct zugeführt wird. 

Verf. entnahm die Schneeproben an Stellen, die fern von den Woh¬ 
nungen lagen und von Verunreinigungen verschont blieben. Der Schnee 
wurde bei 30 ® geschmolzen und alsdann wie Wasser untersucht. Für 
frisch gefallenen Schnee belief sich die Zahl der Keime auf 34 bis 
384 pro ccm, war demnach geringer als im Eise (Fränkel, Bordoni-Uffre- 
duzzi). J. glaubt, dass ein Theil der Bakterien sich schon bei der Bildung 
des Schnees vorfinde, während andere Keime beim Fallen des Schnees aus 
der Luft mitgerissen werden, sodass dem Schnee ein ähnlicher reinigender 
Einfluss auf die Luft zukomme wie dem Regen. Während eines Schnee¬ 
gestöbers war der Keimgehalt erheblich höher wegen der von den nächsl- 
Jiegenden Gebäuden mitgerissenen Verunreinigungen. 

Die Untersuchung von Schnee, welcher bereits einige Tage 
lag und sich durch neu fallenden Schnee nicht vermehrt hatte, ergab 
(nach Entfernung der obersten 0,5 cm dicken Schicht mittelst steriler 
Glasplatte) kein wesentlich verschiedenes Resultat. Dagegen fiel in diesen 
Schneeproben die geringe Zahl und bisweilen das gänzliche Fehlen der ver¬ 
flüssigenden Arten auf. Bemerkenswerth erschienen darin ferner nicht 
verflüssigende grosse Kokken, welche auf Gelatine rosafarbene Colonien, 
in Strichimpfungen auf Agar breite weisse Streifen, ein wenig in rosa 
übergehend, bildeten. 

Schmelck fand in Eiswasserproben mehrerer Gletscher Norwegens 
fast ausschliessftch eine Bakterienart, nämlich grünen fluorescirenden 
Farbstoff bildende Bacillen, deren Gulturen Aehnlichkeit hatten mit den¬ 
jenigen des Bac. fluorescens liquefaciens. Verf. vermuthet in ihnen die 
Ursache des eigenthümliehen Grünes des Gletscherwassers. Flatten. 


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- 447 — 


Carl Fränkel, Die Einwirkung der Kohlensäure auf die Lebensthätigkeit 
der Mikroorganismen, Zeitschrift f. Hygiene. Band 5. Seite 332. 

Frankel erhielt bei seinen diesbezüglichen Versuchen folgendes 
Resultat: 

1) Eine geringe Zahl von Arten entwickelt sich im Kohlensäurestrom 
ebenso ausgiebig und schnell wie in der gewöhnlichen Luft, ob¬ 
schon auch bei ihnen eine gewisse Verlangsamung des Wachs¬ 
thums stattfindet. So verhielten sich u. A. die Typhusbakterien, 
der Hüppe’schen Milchsäurebacillus und die ächte Bierhefe. 

2) Bei einer weiteren Gruppe von Arten erschien das Wachsthum 
durch reine Kohlensäure erheblich verzögert oder beschränkt, 
z. B. bei Prodigiosus. . 

3) Andere Bakterien ertrugen die Einwirkung der Kohlensäure nur 
bei höherer Temperatur (37°). Dies gilt von den Bakterien der 
Hühnercholera, der Schweineseuche, der Kaninchensepticaemie, 
des Schweinrothlaufs und der Mäusesepti«jämie, des Menschenroth- 
laufs und mehreren Eitercoccen. 

4) Alle übrigen Mikroorganismen, die meisten Saprophyten, sowie 
die Milzbrand- und Choleraasiatica-bacillen, werden durch reine 
Kohlensäure unbedingt in ihrer Entwickelung gehemmt. 

Da auch streng anaerobe Arten, welche unter Wasserstoff üppig gedeihen, 
unter Kohlensäuere nicht wuchsen, ist anzunehmen, dass letztere nicht durch 
Verdrängung des Sauerstoffs, sondern als direktes Gift wirkt; sie wirkt 
keimtödtend. Letzteres erhellt auch daraus, dass in Versuchsreihen 
mit Verdrängung der Kohlsäure durch Luft eine nachträgliche Entwickelung 
der durch die Kohlensäure im Wachsen eingeschränkt gewesenen Culturen 
zwar eintrat, die Menge der dann entstandenen Colonien der Menge des 
angewandten Impfstoffes jedoch nicht entsprach. Genaue Zählungen an Platten - 
culturen ergaben bei fünf daraufhin untersuchten Arten, dass die Abnahme 
der Zahl der Keime eine ganz erhebliche war. Sporen oder sporenähnliche 
Gebilde fanden sich bei den betr. Milzbrand-Gulturen nicht vor. 

Die nach dem Vorstehenden in Frage kommende Verwendung der 
Kohlensäure als faulnisswidrigen Mittels erwies sich in einer hierfür aus¬ 
geführten Versuchsreihe als unzweckmässig, da die Fäulniss in den be¬ 
nützten Faulflüssigkeiten zwar in der Regel verzögert wurde, später abet 
doch fortschritt. 

Der von Frankel früher constatirte Mangel von Bakterien in tieferen 
Bodenschichten deutet in Erwägung vorstehend berichteter Resultate und 
des Kohlensäureichthums (bis 11 °/o) der Bodenluft auf einen Zusammen¬ 
hang zwischen letzterem und der Bakterienarmuth des Bodens. Versuche 
mit Milzbrandbakterien und Cholerabacillen, welche auch in einem Gemenge 
von 75*/o Kohlensäure und 25°/o gewöhnlicher Luft ohne weiteres wuchsen, 
Hessen indess eine derartige Beziehung für diese als unannehmbar erkennen. 

Die Functionen, die biologischen Leistungen der Bakterien 
zeigten sich im Kohlensäurestrome der Art, dass die verflüssigenden Arten 


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448 


die Erweichung der Gelatine auch unter Kohlensäure erreichten, dass pro 
digiosus und indicus in ‘ reiner Kohlensäure zwar noch ausgiebig wuchsen, 
aber keinen Farbstoff producirten, dagegen solchen bei Erneuerung des Luft¬ 
zutrittes wieder lieferten. Die pathogenen Bacterieir erfuhren keine Beein¬ 
trächtigung ihrer Virulanz. 

ln reinem Sauerstoff gediehen alle Arten mit Ausnahme der 
streng anaeroben; manche Hessen ein beschleunigtes Wachsthum erkennen; 
die verflüssigenden verflüssigten schneller; der Farbstoff von Prodigiosus 
war weniger intensiv und glänzend als in gewöhnlicher Luft. 

’ Flatten. 


Neuere Arbeiten zur Desinfectionspraxis. 

IV. 

1. Carl Fränkel, Untersuchungen über Brnnnendesinfection und den Keim- 
geh&lt des Grundwassers, Zeitschrift f. Hygiene, 6. Band. Seite 23. 

2. A. Walz, Zur Erklärung der Desinfeotionskraft des Wasserdampfes, 
Gesundheitsingenieur 1888. Nro. 14 u. Nr. 18, sowie 188!), Nr. 2. 

3. Prof. M. Gruber, Zur Erklärung der Desinfeotionskraft des Wasser¬ 
dampfes, ebenda. 

4. Dr. W. Budde, Die Bedeutung der Spannkraft, Temperatur und Bewe¬ 
gung des Dampfes bei Desinfection in Dampfapparaten, Archiv f. Hygiene. 
9. Band. Seite 292. 

5. G. van Overbeck de Meyer, Nouvelle dtuve ä desinfection. )e mouve- 
ment hygienique 1888. Seite 257. 

6. F. Levison, Der Einfluss der Desinfection mit strömendem und gespann¬ 
tem Wasserdampf auf verschiedene Kleiderstoffe. Zeitschrift f. Hygiene. 
6. Band. Seite 225. 

7. E. v. Esmarch, Die Milzbrandsporen als Testobject bei Prüfung von Des- 
inficientien, ebenda, 5. Band. Seite 67. 

8. Carl Fränkel, Die desinflcirenden Eigenschaften der Kresole, ein Beitrag 
zur Desinfectionsfrage, ebenda, 6. Band. Seite 521. 

9. A. Henle, Ueber Creolin und seine wirksamen Bestandtheile, Archiv f. 
Hygiene. Neunter Band, Seite 188. 

10. Dr. A. Lübbert, Die Ozynaphtoesäure. Fortschritte der Medicin 1888. 
Nro. 6. 

11. Dr. Behring, Ueber die Bestimmung des antiseptischen Werthes 
chemischer Präparate mit bes. Berücksichtigung einiger Quecksilber¬ 
salze. Deutsche medicinische Wochenschrift. Nro. 41 bis 43. 

12. Dr, S. von Gerlöczy, Versuche über die praktische Desinfection von 
Abfallstoffen. Deutsche Vierteljahrschrift f. ö. Gesundheitspflege. 21. Band. 
Seite 433. 

13. Dr. E. Pfuhl, Ueber die Desinfection der Typhus- und Choleraauslee¬ 
rungen mit Kalk, Zeitschrift für Hygiene. 6. Band. Seile 97. 

14. Uffelmann, Die Desinfection der Faeces, Berliner Klinische Wochenschrift. 
1889. Nro. 25. 

Fränkel (1) machte Versuche über Brunnendesinfection zunächst an 
zwei Röhrenbrunnen im hygienischen Institut zu Berlin. Das in die Brunnen 


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449 


eintretende Grund wasser, welches nach Steril isirung des Brunnenrohres mit 
Carbolschwefelsäure *) zur Prüfung gelangte, erwies sich bereits im 500. 
Liter (das 100. Liter liess Carbolsäure chemisch nicht mehr erkennen) •) 
völlig keimfrei und blieb dies noch bis zum 7. Tage nach der Desinfection. 
Eine Nachwirkung der Carbolsäure konnte mit Sicherheit ausgeschlossen 
werden, da in besagtes Wasser gebrachte Spreewasserbakterien üppig ge¬ 
diehen und mit ihm versetzte Gelatine sich als gleich guten Nährboden für 
Spaltpilze erwies wie reine Gelatine. Dass die Bakterien des Brunnenwassers 
von den Wandungen des Brunnenrohres, nicht aber aus dem Grundwasser 
stammten, ergab sich ferner, als 2 V* Woche nach einer Desinfection mit 
Carbolschwefelsäure, deren Wirkung sechs Tage anhielt — nach diesen 
sechs Tagen enthielt das 500. Liter des ausgepumpten Wassers wieder 220 
Keime pro cm 8 —. das Brunnenrohr ohne Anwendung von Carbolsäure 
mit einer langgestielten Bürste gereinigt wurde und darauf der Keimgehalt 
des ausgepumpten Wassers vom ersten bis zum 500. Liter von 780 pro ccm. 
auf Null fiel und das Wasser vier Tage hindurch keimfrei blieb. 

Frische, auf Agar aufgeschwemmte Heubacillen, Sporen von Bacillen 
der blauen Milch und Prodigiosus wurden in ein Brunnenrohr gegossen. 
Als nach neun Tagen 2 Liter Carbolschwefelsäure zugesetzt wurden, lieferte 
der Brunnen am Tage nachher keimfreies Wasser. Am zweekmässigsten wer¬ 
den Röhrenbrunnen daher zunächst rein mechanisch durch Ausbürsten und 
energisches Auspumpen gereinigt und nur wenn dies nicht genügt, die Des¬ 
infection mit Carbolschwefelsäure vorgenommen (1 bis 2 Liter concentrirte 
Mischung), die Pumpe dann wieder aufgeschraubt, der Brunnen einen Tag 
sich seihst überlassen und schliesslich 1 bis 2 Stunden hing ausgepumpt. 
Kalk ist nicht zu empfehlen, da er leicht die Röhren verstopft. 

Weit schwieriger der Desinfection zugänglich, selbst bei Anwendung 
grosser Mengen Carbolsäure, fand Fränke 1 die Kesselbrunnen, wozu 
besonders die grössere Wassermenge und die mehr weniger erhebliche 
Schlammschicht am Boden beiträgt. Dagegen waren Versuche mit 10 
Kgm. Kalk pro Brunnen erfolgreicher, indem das Brunnenwasser wenig¬ 
stens drei Tage lang keimfrei blieb. Gegen eine stattgefundene ein¬ 
malige Verunreinigung oder zur vorläufigen Reinigung eines Kesselbrunnens 
dürfte sich daher Kalk wohl eignen (vergl. Ministerial-Rundschreiben vom 
9. April 1888). 

Das Fehlen von Keimen im Gr und wasser kann nur der 
filtrirenden Kraft des Bodens zugeschrieben werden. Nach Analogie der 
Sandfilter ist dieselbe nicht dem Uebereinanderliegen zahlreicher Schichten, 
sondern einer zarten aber dichten Schlammhaut zu danken, welche sich aus 
dem Wasser niederschlägt und die Bakterien hindert in die Tiefe vorzu¬ 
dringen. Unbedingt diese Verhältnisse allenthalben vorauszusetzen, wäre 


1) rohe sog. 25°/o Carbolsäure mit den gleichen Mengen Schwefelsäure. 

2) In einem der Versuche überdauerte der Geruch nach Carbolsäure deren 
Nachweisbarkeit durch die Eisenchlorid-Reaktion. 


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- 450 — 


aber irrig, da zahlreiche Faktoren, Weite der Poren, Grobkörnigkeit des 
Kies, Geröll u. s. w. eine Filtration vielerorts nicht zulassen; doch sind dies 
die Ausnahmen. 

Ist im übrigen die Qualität des Grundwassers nicht gleichgültig, indem 
es zereetzungsfähige Substanzen durchströmen kann, so ist es wegen seines 
Mangels an Keimen keinesfalls unmittelbar infectionsverdächtig. Zu seiner 
Entnahme sind gute Röhrenbrunnen den höchst unvollkommenen und schwer 
zu desinßcirenden Kesselbrunnen zweifellos vorzuziehen. 

Gruber (3) äusserte bei völliger Anerkennung der Leistungsfähigkeit 
und des wichtigsten Konstructionsprincips der Walz-Winscheid'sehen Des- 
infectoren (Einleitung des Dampfes von oben zur Herstellung einer gün¬ 
stigen Gewichtsdifferenz zwischen Dampf und Luft) Zweifel bezüglich der 
Nothwendigkeit der Dampfüberhitzung. Unter Hinweis auf früher mit- 
getheilte Versuche, bei welchen schlechtes Heizmaterial die Wirksamkeit 
der UeberhitzungsVorrichtung vereitelte und dadurch die Desinfection um 
vieles verlangsamte, tritt Walz (2) für die Nothwendigkeit der Ueberhitzung 
ein und betont, dass die von G. besprochenen, durch Ueberdruck wirkenden 
Apparate wegen der Gefahr auseinandergedrückt zu werden nicht in Recht¬ 
eckform, sondern auf Kosten der Handlichkeit (u. A. schwieriges zeit¬ 
raubendes Abdichten der Thüren) mit rundem Querschnitt herzustellen 
wären. Des Weiteren wendet sich W. gegen die Annahme Koch’s, dass 
strömender Dampf in den Objecten Temperaturen bis 100° G. erzeuge; 
durch den Deckel sei im Koch’schen Desinfectionskessel die Strömung des 
Dampfes aufgehoben, der Deckel fungiere vielmehr als Sicherheitsventil und 
solle daher auch mehr als bisher belastet werden. Grub er erblickt dagegen 
in dem Deckel lediglich ein Mittel Wirbelbewegung. Mischung des Dampfes 
mit Luft und Abkühlung zu verhüten, glaubt aber, dass trotz des für die 
Desinfection poröser Objecte principiell irrelevanten Strömens des Dampfes 
dauernd Siedetemperatur in dem freien Desinfectionsraume des Koch'- 
schen Apparates bestehe und ein etwaiger durch den Deckel bedingter Ueber¬ 
druck des strömenden Dampfes im Innern höchstens mittels Differential-Mano¬ 
meters erkennbar sei. 

Diö günstigen Resultate v. Esmarch’s mit überhitztem Dampf (Zschr. 
f. Hygiene, Bd. IV) erkennt Walz nicht an, weil das von v. Esmarch 
benutzte Röhrensystem sich bei jedesmaligem Entfernen des Stopfens, 
welches jeder Versuch erforderte, neu mit Luft füllte und die von Wal z auf 300* 
bis 600° geschätzte Temperatur des benutzten Gasrohres eine Ueberhitzung 
der umgebenden Luft und daher eine Diffusion d. h. eine Vermischung von 
Dampf mit Luft bewirkt habe. Der Dampf resp. dessen Gemisch mit Luft 
habe überdies bei der Lichtung des Rohres von 38 mm und dem Durch¬ 
messer der Bakterienprobe von 30 mm nur in einem 4 mm messenden 
Wege und entgegen derjenigen Richtung strömen müssen, in welcher die 
in der Probe befindliche Luft entweichen wollte, so dass der strömende 


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— 451 


Dampf das Herausfallen der Luft aus dem Desinfeetionsobject habe hemmen 
müssen. Auch v. Esmarch arbeitete nach Walz’s Ausführungen mit 
Ueberdruck. 

Die verschiedenen Anwendungsweisen des Dampfes zur Desinfection 
verglich Budde (4) in einem grossen Herscher'schen Apparat an zu¬ 
sammengewickelten Wolldecken, indem er im Centrum, an der Peripherie 
und zwischen den Decken die Temperaturen bestimmte. Verfasser fand, 
dass ceteris paribus höhere Spannung des Dampfes die Wärme schneller 
in die Objecte eindringen liess, dass in gleichem Sinne Bewegung des 
Dampfes wirkt und erhielt die besten Resultate mit strömendem und zugleich 
stark gespanntem Dampf. Deshalb stellt nach Verf.’s Ansicht die ununter¬ 
brochene Einströmung von stark gespanntem Dampfe in, und die ununter¬ 
brochene Ausströmung desselben aus dem Desinfectionsraume die wirksamste 
Form der Anwendung des Dampfes dar. Sie ist auch für den Herscher’schen 
Ofen zweckmässiger als die allgemein übliche, bei welcher durch die Aus¬ 
blasungen das* Entweichen der Luft aus und das Eindringen des Dampfes 
in die Tiefe der Objecte erleichtert werden soll. Seine Annahme, dass 
bessere Erfolge erzielt würden, wenn die Ausblasungen nicht erst 5 bis 10 
Minuten nach dem Anfänge, sondern schon früher vorgenommen werden, 
fand Budde bestätigt. Je früher er ausblies, um so schneller wurden die 
hohen Temperaturen in den Objecten erreicht. 

Ausser dem zur Erklärung der Wirkung deä intermittirenden Druckes 
bislang herangezogenen Momente — nämlich dass durch den stark ge¬ 
spannten Dampf die Luft in den tieferen Maschen der Stoffe zusammenge¬ 
drückt imd eingesperrt werde und deshalb der Dampf und mit ihm die 
Wärme nur sehr schwierig eindringe, unter der der Ausblasung folgenden 
Druck Verminderung dann der grösste Theil der Luft entweiche und nun 
der wieder eingeführte gespannte Dampf leichter in die Objecte gelange — 
ist die Condensation von Belang. Da bei den benutzten Spannungs¬ 
graden das Condenswasser nur bis V*«®« von dem Raum ausfüllt, 

welcher der entsprechenden Menge gesättigten Dampfes zukam, und der Dampf 
je nach den kälteren Schichten, in welche er eindringt, sich condensirt, 
kommt es zu einer bedeutenden lokalen Druckverminderung, welche ausge¬ 
glichen wird durch Dampf und Luft, die aus den umgebenden Theilen her¬ 
beiströmen. Dadurch, dass dies an zahllosen Stellen zutrifft, werden Luft 
und Dampf leichter gemischt. Wird nun später neuer Dampf in den vom 
ersten Dampf entleerten Desinfectionsraum geleitet, so findet er die Poren der 
Objecte mit Dampf von niedrigerer Spannung gefüllt und trotz seiner dann 
erfolgenden Abkühlung kommt er unter dem beim fortgesetzten Zuleiten 
entstehenden Ueberdruck wieder unter eine Spannung, welche höher ist 
als die, welche dem Sättigungspunkte bei der betreffenden Temperatur ent¬ 
spricht. Dazu komme, dass der Dampf vom Beginn der Ausblasung an bis 
zur Erreichung des früheren Druckes strömt. 


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452 


Zu Gunsten dieser Auffassung sprachen Versuche, welche ergaben, dass 
die prozentische Gewichtszunahme der Wolldecken während 
der Desinfection ihrer Erwärmung im Innern einigermassen 
proportional ist. 

Als sicher und schnell wirksame empfiehlt Budde Apparate 
mit unausgesetzt strömendem und stark gespanntem Dampf 
bei auf Atmosphäre Ueberdruck eingestelltem Sicherheit«-Ventil, sowie 
Einführung des Dampfes durch eine Röhrenbrause au der Decke des 
Cylinders. 

van Overbeck's Desinfeetor (5) besteht aus einem in einem zweiten 
mit Kieselguhr bekleideten Kasten lixirten ebenfalls parallelepipedischen 
Eisenblechkasten. Der äussere Kasten trägt ein Wasserstands rohr und be¬ 
sitzt Einfluss- sowie Austrittsöthiung für Wasser. Der Raum zwischen 
beiden Kasten wird mit Wasser gefüllt, dessen Temperatur abgelesen werden 
kann. Dieselben sind mit einander verbunden durch ein rundes Loch in 
der oberen Wand des inneren Kastens. Aus einem um vieles engeren Loch 
an dessen Boden führt ein Kupferrohr ins Freie oder in einen Schornstein. 
Durch eine doppelwandige vertikale Tliüre wird der Desinfectionsraum be¬ 
schickt und strömt dann das mit beliebigem Material erhitzte Dampf als Wasser 
von oben nach unten durch denselben. In höchstens 18 Minuten wurden in 
einem so eonslruirten Apparat in einem 15 cm dicken Object 100° C. 
constatirt. 

Levison (6) prüfte den Einfluss der Wasserdampf-Desinfection auf die 
Zerreissbarkeit einer Anzahl von Kleiderstoffe. Die einzelnen Proben wurden 
zehnmal dem Desinfectionsprozess in dem Reck'schen oder Geneste - Her- 
scher’schen Apparat unterworfen. Flächserne Stoffe. Leinwand und Bett- 
zwillig litten am meisten, (die Proben sind nicht stets völlig gleichwerthig, 
da die einzelnen Stücke dieser Stoffe in verschiedene Grade zerreissbar 
sind). Ganz wollene Stoffe hatten unbedeutend eingebüsst, desgleichen halb¬ 
wollene Flanelle, während Hessians und Baumwollstoffe mit Ausnahme von 
•Barchent nach der Desinfection grössere Lasten trugen als zuvor, also an 
Güte gewonnen hatten. Aber auch diejenigen Stoffe, die am meisten ge¬ 
litten hatten, blieben völlig brauchbar. 

Siebenzehn verschieden alte Sorten Milzbrandsporen verglich Es mar ch 
(7) bezüglich ihrer Widerstandsfähigkeit gegen strömenden Wasserdampf 
und fünfprozentige Carbolsäure. Während ein Theil derselben in Garbol- 
säure schon am vierten Tage getödtet waren, blieben andere länger als 
einen Monat hindurch wachsthumsfähig. Einzelne Proben gingen in strö¬ 
mendem Dampf schon binnen drei Minuten zu Grunde, andere lebten noch 
nach 12 Minuten. Dabei verhielten sich die Sporen gleicher Herkunft an¬ 
scheinend gleich untereinander. Die Substanz, an der die Sporen einge¬ 
trocknet waren, war ohne Einfluss, desgleichen das Alter, der ursprüngliche 
Nährboden sowie die Dicke der Schicht, in welcher sie den Fäden anhingen. 


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453 


Auf Grund des Gesagten sind Desinfectionsapparate und desinficirende Flüssig¬ 
keiten zur Prüfung ihrer höheren oder geringeren desinficirenden Kraft nur 
mit denselben Milzbrandfäden zu prüfen. Verfassers Mittheilungen erklären 
überdies die theilweise von einander abweichenden Angaben der Autoren 
über die Widerstandsfähigkeit der Milzbrandsporen. 

Bei Gontrolversuchen über die desinficirende Fähigkeit der Schwef'el- 
Garbolsäure und diesbezüglichen Vergleichen zwischen ein bis fünfprozen¬ 
tiger heiss und kalt bereiteter Schwefel-Garbolsäure mit reinem Phenol und 
reiner Schwefelsäure fand Frankel (8) die ohne Abkühlung dargestellten 
Mischungen um vieles schwächer als die kalt bereiteten. Die letztere tödlete 
bei einer Goncentration von 5 °/o eine äusserst wiederstandsfähige Probe 
Milzbrandsporen (Laplace fand solche schon nach eintägigem Aufenthalt in 
4°/« Lösung todt, ein Unterschied, der sich aus den oben mitgetheilten 
Untersuchungen Esmarch's erklärt), welche in 5°/* Phenollösung länger 
als 40 Tage und in 1% Sublimatlösung länger als 20 Minuten lebensfähig 
blieben, in 24 Stunden. Die Muthmassung, dass dies den etwa entstehenden 
Phenolsulfosäuren zu danken sei und nicht der durch relativ geringe des¬ 
inficirende Kraft ausgezeichneten Schwefelsäure, veranlasste zu Versuchen mit 
1 bis o°/oigen wässerigen Lösungen eines Gemenges gleicher Theile Schwefel - 
säure und reinen Phenols. Kalt bereitet Hessen diese Mischungen nach 
wenigen Stunden PhenoLsulfosäure auskrystallisren; warm bereitet behielten 
sie ihre syrupartige Consistenz. Sie wurden verglichen mit gleichprozentigen 
Lösungen reiner Orthophenolsulfosäure (-Aseptoi)* und Paraphenolsulfosäure. 
Dabei war der erhebliche Einfluss der Sulfirung offenbar, indem Sporen, 
welche in 5°/o Phenollösung 40 Tage lebten, in der Phenolsulfosäurelösung 
schon nach 2 bis 9 Tagen abgestorben waren. Die Paraphenolsulfosäure 
war die weniger wirksame. Die Mittheilung Hüppe’s, welcher von 5°/* 
Aseptollösung nach 24stündiger Application eine deutliche Einwirkung auf 
Milzbrandsporen nicht constatiren konnte, erklärt sich nach Fränkel’s 
Ansicht aus der verschiedenen Herkunft der Sporen. 

In der Erwägung, dass die Ueberlegenheit der sulfirten Lösungen der 
rohen Garbolsäure über die analogen Lösungen des reinen Phenol's nur 
darauf beruhen könne, dass die rohe Garbolsäure selbst Körper von sehr 
hoher Desinfectionskraft enthält, deren Eigenschaften erst zu Tage treten, 
wenn die in Wasser fast unlösliche Garbolsäure durch den Zusatz der 
Schwefelsäure aufgeschlossen und in eine lösliche Substanz übergeführt 
werde, prüfte Verfasser die von 20° zu 20° gesondert aufgefangenen Pro¬ 
dukte der fraktionirten Destillation der rohen Garbolsäure. Von den in 
Wasser sämmtlich unlöslichen, durch Zusatz der gleichen Menge Schwefel¬ 
säure in der Kälte löslich gemachten Fraktionen erwiesen sich in 5% Lösung 
die zwischen 185° und 205° destillirten. welche fast die Hälfte der rohen 
Garbolsäure ausmachen, gegen Milzbrandsporen wirksamer als reines Phenol. 
Bei den übrigen Fraktionen erschien die milzbrandsporentödtende Eigenschaft 
überhaupt fraglich. Mit Rücksicht auf den Umstand, dass hei 188, 201 


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— 464 — 


und 198° die Siedepunkte der Kresole liegen, zog Verfasser o-, p-, und m- 
Kresol (bis 5 # /oige Mischungen mit Wasser) in das Bereich der Versuche 
und, als hierdurch trotz deren geringer Löslichkeit nicht unerheblich des- 
inficirende Flüssigkeiten erhalten wurden, in gleicher Weise Lösungen der 
Kresole mit Schwefelsäure. 2% Lösung von m-Kresol tödtete Milzbrand¬ 
sporen in 15 Stunden, 2°/o p-Kresol erreichte Entwickelungshemmung nach 
zehn Stunden; l°/ 0 Lösungen wirkten weniger intensiv, aber auch hier 
m-Kresol stärker als p-Kresol. Als Schwefelsäure-Verbindungen benutzte 
Fränkel wässerige Lösungen reiner Parakresolorthosulfosäure, einer Kresol- 
sulfosäure aus Rohkresol und einer Parakresolsulfosäure, Para- und ortho- 
kresolsulfosaurem Natrium, sowie mit concentrirter Ortho-, Meta- und 
Parakresolsulfosäure. Die erstgenannte, 7 # /oige, Lösung tödtete Milzbrand in 
2 Tagen, wirkte weniger stark als Kresol-Schwefelsäure-Mischung, die beiden 
folgenden Lösungen blieben hinter der ersten nicht weit zurück; dagegen 
wurde diese von den drei letztgenannten Substanzen übertrofTen. Dass dieser 
Effekt allein der unversehrten Sulfogruppe in der Kresolverbindung zukommt, 
erhellt daraus, dass Neutralisation die Wirkung der Säurelösungen aufhob. 
Des Weiteren ergaben Emulsionen von Wasser mit gleichen Mengen Schwefel¬ 
säure und Rohkresol aus Toluidinen eine intensive Wirkung (Tod der Sporen 
bei 5% nach 6 Stunden), die in keiner Weise vermindert wurde als die durch 
Filtriren von den öligen Theilen befreite Mischung zur Anwendung kam. 
0,3°/o Kresollösung tödtete in 5 Minuten Aureus, Pyocyaneus und Strepto¬ 
coccus Erysipelatis, während 2°/o Carbolschwefelsäure dazu 15 Minuten 
bedurfte. Die filtrirte Mischung enthielt die überwiegende Menge der zur 
Bereitung benützten Schwefelsäure noch in völlig freiem Zustande in Lösung 
und Hessen die diesbezüglichen Schwefelsäurebestimmungen unzweifelhaft 
erkennen, dass bei der Vereinigung von Schwefelsäure und dem benutzten Roh¬ 
kresol der Hauptsache nach nicht etwa eine neue Verbindung, eine Kresol - 
sulfosäure entstanden, sondern dass das Kresol und die Schwefelsäure jedes für 
sich erhalten geblieben, und nur das erstere durch die letztere in Lösung 
gebracht worden war. Da vorstehende Versuche sich auf kalt hergestellte 
Mischungen beziehen, so erklärt sich die geringe Wirksamkeit der nicht kalt 
hergestellten durch die Erwägung, dass bei der Erwärmung beim Mischen 
der Schwefelsäure nicht das in der rohen Garbolsäure steckende Kresol in 
Lösung übergeführt wird, sondern dass dabei die weniger wirksamen Kresol- 
sulfosäuren entstehen, ln der Schwefelsäure-Carbolmischung ist also das in 
Lösung gebrachte Kresol, nicht die Schwefelsäure, nicht die Kresolsulfo- 
säure das Desinficiens. 


Die Vorfrage zur Auffindung der wirksamen Bestandtheile des CreoKns, 
ob nämlich dem Zusammenwirken mehrerer in Gemischen vereinigter Des- 
infectionsmittel eine höhere desinficirende Kraft zukommen könne als der 
Lösung des stärksten der betr. Desinfectionsmittel, ob also Desinfectionsmittel 
geeignet sind, sich in ihrer desinficirenden Wirksamkeit zu unterstützen. 


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— 465 


konnte Henle (9) auf Grund diesbezüglicher Versuche bejahen. So er¬ 
reichte eine Lösung mit 0,5°/« Carbolsäure und 0,001 °/o Sublimat in fünf 
Minuten mehr als eine 0,001% Sublimatlösung in einer Stunde, eine 
Mischung mit 1 °/o Carbolsäure und 0,01% Sublimat mehr als 2% Carbol- 
säurelösung oder 0,02 °/o Sublimatlösung. 

Da die Ueberlegenheit des englischen Creolins über das deutsche in 
deren chemischen Zusammensetzung, sowohl in der Anwesenheit von 
Phenolen im englischen Creolin wie auch in der Verschiedenheit der emul- 
girenden Mittel (— beim englischen Harzseife, beim deutschen eine gummi¬ 
ähnliche Substanz —), zu vermuthen war, untersuchte Verfasser die Destil¬ 
lationsprodukte des Creolins (Seife, Creolinöl, Pyridin und Phenole) 
getrennt. Dieselben wurden einzeln und mit V* 0 /® Creolinemulsion com- 
binirt unter einander verglichen. Dabei ergab sich: 

1) Dass bereits Harzseife allein in 1,5% Lösung die Entwickelung von 
Typhusbacillen und Staphylococcus aureus zu hemmen vermochte, 2) dass 
Creolinölseifenlösung einfache Seifenlösung sowie Creolinöl-Gummiarabicum- 
lösung übertrifft, was sowohl auf der desinficirenden Kraft der Seife wie 
auch darauf beruht, dass die durch die Seife bewirkte Verthei]ung des 
Creolins eine feinere ist als die Vertheilung des Creolins in der Gummi- 
Emulsion, 3) dass die indifferenten aromatischen Kohlenwasserstoffe des 
deutschen Creolins denjenigen des englischen bezüglich ihrer antiseptischen 
Leistungsfähigkeit völlig gleichkommen, 4) dass die Gegenwart von Naph¬ 
thalin die Wirksamkeit der Emulsionen nicht beeinflusst, 5) dass die Wir¬ 
kung der Harzseife wie auch die des Creolinöls derjenigen des Creolins 
nachsteht, 6) dass die Pyridine dieselbe nicht vermehren, 7) dass die 
Phenole des Creolins (Siedepunkte bis 201°) reinem Phenol an antiseptischer 
Leistungsfähigkeit bedeutend überlegen sind, während käufliches Kresol 
zwar weniger intensiv als die Creolinphenole, jedoch weit stärker als reine 
Carbolsäure wirkt. 

In Uebereinstimmung mit der Thatsache, dass der Desinfectionswertli 
der Kresole mit ihrem Siedepunkte steigt und die an höheren Phenolen 
reiche rohe Carbolsäure ebenfalls in höherem Grade desinficirt als die reine 
Carbolsäure, fand Verfasser sodann, dass die fractionirten Destillate der rohen 
Carbolsäure ebenfalls mit dem höheren Siedepunkte eine höhere desinficirende 
Kraft aufweisen. Da die im Creolin enthaltenen Phenole durch Destillation 
von der Carbolsäure befreit sind, das Creolin also gerade die hochsiedenden 
Homologen des Phenols enthalten muss, so ist dadurch seine starke Des- 
infectionswirkung wohl erklärlich. Da des weiteren der Phenolgehalt etwa 
eine %% Creolinemulsion kaum %o% übersteigt, in dieser Concentration 
jedoch die Phenole die Keimzahl der Culturen nicht merkbar beeinflussen, 
so war für die Erklärung der Wirksamkeit des Creolins vor Allem die com- 
binirte Wirkung der Phenole mit derjenigen der Seife und des Creolinöls 
zu berücksichtigen. Thatsächlich erwies sich ein 10% Phenolgehalt der 
mit Harzseife und Phenol-Creolinölmischung von Verf. dargestellten Emul¬ 
sion ebenso desinfectionstüchtig wie das englische Creolin. Das Fortlassen 


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456 — 


eines der benutzten Körper genügte, um die Desinfectionskraft wesentlich zu 
schwächen. Derart imitirtes Creolin wirkt in 0,5°/« Lösung intensiver als 
l°/o Creolinöl-Seifenemulsion und 0,1 °/o Lösung der Phenole aus Creolin. 
Ersetzt man die Creolinphenole des imitirten Creolins durch Carbolsäure 
(0,5 Carbolsäure -f 2,5 Creolinöl -f 1,5 Harzseife), so ist das Produkt 
weit antiseptischer als die blosse Carbolsäure, steht aber dem erstbezeich- 
neten imitirten Creolin nach. Das Gleiche gilt von Mischungen gleicher 
Theile Creolinöl, Harzseife und Kresol (Kahlbaum). Die indifferenten aro¬ 
matischen Kohlenwasserstoffe des Artmann’schen Creolins kamen in imitirtem 
Creolin dem Creolinöl des englischen Präparates völlig gleich. 

Die Wirkung des imitirten Creolins steigt mit dem Prozentgehalt an 
Kresol fortwährend, bis derselbe 00°/o beträgt: mit höherem Kresolgehalt 
sinkt indess die Leistungsfähigkeit des Creolins. 

Die Phenole finden sich also im Creolin in einer Lage, 
in der sie weit mehr als unter gewöhnlichen Umständen zu 
leisten vermögen. 

Da wir sämmtliche Bestandthei le des englischen Creolins 
durch andere, welche dem englischen Creolin nicht ent¬ 
stammen, ersetzen und diese im Handel erhalten können, so 
ist Creolin in Zukunft nicht mehr als G eh e i m m i 11 ei zu be¬ 
tracht en. 

Wie Liibhert (10) fand, besitzt die r'-0xynaphtoesäure die Fähig¬ 
keit, in Fleischwasser-peptongelatine das Wachsthum sonst auf dieser üppig 
gedeihender Spaltpilze zu verhindern und rohen Hühnereiern beigerührt 
oder mit gehacktem Fleisch gemischt dort jegliche Fäulniss zu verhüten? 
2 # /o genügt um Harn, Fleischextraktzuckerlösung, Eiweiss- und Fetthaltige 
Substrate trotz Impfung mit Reinculturen von Eitercoccen, Hefen- oder 
Schimmelpilzen rein und klar zu erhalten und Milch vor Gerinnung zu 
bewahren. Dies gilt bei Zimmertemperatur wie bei höheren Wärmegraden 
und unter verschiedenen Licht Verhältnissen; es ist gleichgültig, ob die Säure 
den Substraten in Substanz oder in Lösung zugesetzt wird. In einpro¬ 
zentiger wässeriger Lösung blieben unausgenommene Weissfische monatelang 
unverändert; bereits faulende Fische verloren, in die Lösung gebracht, jeg- 
lischen Geruch und wurden an weiterer Zersetzung gehindert. Beeinträchtigt 
wird die Wirksamkeit der Säure durch Natriumphosphat. Ausser der Ent¬ 
wickelungshemmung konnte Verfasser noch eonstatiren, dass die Säure, 
sowohl trocken wie in Solution Aureus und Milzbrandbacillen tödtete. Sporen 
wurden durch wässerige Lösung in 30 bis 00 Minuten vernichtet, durch 
concentrirte alkoholische Lösung nicht beeinträchtigt. Bei höherer Tempe¬ 
ratur (55 °) wurden Sporen durch wässerige Lösung schon vor Ablauf von 
30 Minuten getödtet. Erhöht wird die Wirkung durch Lösung der Saure 
in Kaliseife. Bezüglich ihrer Giftigkeit erwähnt Verf., dass 1.0 in Substanz, 
0,4 in Alkohol oder 0,21 in Wasser, Kaninchen subcutan applicirt, diese 


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— 457 


nicht erkranken macht, während Mäuse an Brod, welches mit der Säure 
getränkt wurde, starben, desgleichen Fische in Wasser, welches mehr als 
0,007 °/o enthielt. 

Behring (11) führt aus, dass die verschiedenen Angaben über die ent¬ 
wickelungshemmende Wirkung zahlreicher antiseptischer Mittel auf pathogene 
Keime — beispielsweise fanden v. Esmarch und Eisenberg dieselbe für 
Pearson'sches Greolin bei 1: 5000 bis 1 : 1500, Behring bei 1 :175 bis 
1 :225 — sich wenigstens theilweise aus der Versuchsanordnung erklären. 
Während Verf.’s Creolinversuche an einem eiweisshaltigen Nährboden (Blut¬ 
serum) angestellt wurden, benutzten die anderen Beobachter hierzu eiweissfreie 
Nährsubstrate, so dass nach v. E.’s und E.’s Versuchen der Werth für Greolin 
den der Garbolsäure, welcher überall bei 1: 600 bis 1 : 900 angegeben wird, 
um ein mehrfaches übertrifft, dagegen nach Verf.’s Versuchen um das Vier¬ 
fache geringer als dieses sein würde. Soll ein Mittel bei der Wund¬ 
behandlung Verwendung finden, so ist seine Wirksamkeit auf einem Nähr¬ 
boden von einer den Körperflüssigkeiten ähnlichen Zusammensetzung, also 
auf Rinder-Blutserum festzustellen. Verf. verwendete dasselbe in Form des 
hängenden Tropfens und impfte es nach Zusatz des zu prüfenden Mittels 
mit Milzbrand. 

So fand B. die Wachsthumsgrenze für Milzbrandbacillen in mit Sublimat 
versetztem Blutserum bei Brüttemperatur nach zweitägiger Beobachtung bei 
einem Su bl imatgehalt von 1 : 10000. Bei längerer Beobachtungsdauer zer¬ 
setzt sich das Sublimat, und es genügt sein Anfangsgehalt von 1 : 10000 nicht 
mehr zur Wachsthumshemmung. 1 : 6000 verhindert noch nach 8 Tagen die 
Entwickelung der Milzbrandbacillen nicht mit Sicherheit. Bei analoger An¬ 
wendung von Fleischinfusspeptonkochsalzbouillon war bei Zimmertemperatur 
ein Gehalt von 1 :400000 ausreichend um jedes Wachsen für 2 Tage zu 
verhüten, dagegen 1: 100000 bei 36 0 nicht genügend. Wurde die Bouillon 
mit der sechsfachen Menge Wassers verdünnt, was übrigens deren Tauglich¬ 
keit als Nährboden nicht veränderte, so genügte */«•• °/«o. Uebrigens erwies 
sich Blutserum nach Zusatz von Wasser als weit besseren Milzbrand¬ 
nährboden denn zuvor, und war in dem verdünnten Serum der entwickelungs¬ 
hemmende Einfluss des Sublimats viel beträchtiger als in dem nicht ver¬ 
dünnten. Derselbe wächst proportional der Verdünnung. Es müssen 
demnach in der Bouillon wie auch im Blutserum Agentien vorhanden sein, 
welche die entwickelungshemmende Wirkung des Sublimats beeinträchtigen. 
In gekochter concentrirter Globulinlösung erwies sich der antiseptische 
Werth des Sublimats noch geringer als in vollem Blutserum. Auch in 
ihr nimmt er mit der Verdünnung gradweise zu. Während übrigens für 
die Milzbrandsporen die entwickelungshemmende und die desinficirende 
Wirkung einen sehr verschiedenen Sublimatgehalt erheischen, liegen die 
entsprechenden Werthe für sporenfreie Milzbrandbacillen nahe bei einander. 

Die Faktoren, von welchen nach Behring’s Versuchen mit Be¬ 
stimmtheit ein Einfluss auf die Grösse des die Entwickelungshemmung 

Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. VIII. Jahrg. 31 


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— 458 


bezeichnenden Werthps constatirt wurde, sind 1) die Zusammensetzung des 
Nährbodens, 2) die Temperatur, bei welcher das Milzbrandwachsthum be¬ 
obachtet worden ist, 3) die Dauer der Beobachtung, 4) die Art und Her¬ 
kunft des Impfmaterials. 

Für Sublimat fand Yerf. nach 2 x 24stündiger Beobachtung als 
niedrigste Zahl 1 :8000, als höchste 1: 15000; meistens weichen die Zahlen 
noch weniger von dem Durchschnittswerthe, (1:10000), ab; für 
Staphylococcus aureus ergab sich 1:5000, für Streptococcus 
pyogenes 1:10000 als Durchschnittswerth, doch sind die Werthe für 
Eitercoccen grösseren Schwankungen je nach der Provenienz der Coccen 
unterworfen. B. gibt die bei Milzbrandbacillen erhaltenen Differenzen der 
von ihr geprüften Quecksilberpräparate in einer ira nachstehenden gekürzten 
Tabelle wieder: 


| Entwickelungs- 

0,1 */.ige Lösungen in destillirtem Wasser J 

HgCls (Sublimat) 


1) Sublimat, HgCl*. | 1 :10000 

2) 1 Sublimat + 10 Kochsalz.| 1: 15000 

3) Alembroth’sches Salz.j 1: 12000 

4) t Sublimat + */* Cyankali. 1:12000 

5) 1 Sublimat 4- 1 Cyankali.; 1: 15000 

6) 1 Sublimat 4- 2 Cyankali. 1 :18000 

7) 1 Sublimat 4 - 5 Weinsäure. 1 :8000 

8) Quecksilbercyanid. j 1:18000 

9) Quecksilbercyanidcyankaliuni (Merck) j 1 :24000 

10) Quecksilberoxycyanid (Kahlbaum) .. , 1 *. 16000 

11) Nessler’s Reagens.] 1 : 20000 

12) Quecksilberformamid (Liebreich) ... 1 : 10000 

13) 1 Sozojodolquecksilber -j- 5 Kochsalz . (1: (*,000) 

14) 1 Sozojodolquecksilber 4- 3 Jodkalium (1 : 10000) 


ln den beiden letztgenannten Präparaten ist die entwickelungshemmende 
Wirkung fast ausschliesslich dem Quecksilber zuzuschreiben, da dem 
Sozojodol selbst kaum mehr Einfluss auf das Milzbrandwachsthum zu- 
kommt, als durch seine saueren Eigenschaften bedingt wird. Das Sozo- 
jodolnatrium hat noch keine Wirkung, wenn es im Verhältniss von 
1:100 im Blutserum enthalten ist. 

Zu Schluss seiner Arbeit bringt Verf. eine Tabelle über die ent- 
wickelungshemmende Wirkung 38 anderer von ihm geprüfter chemischer 
Präparate. 

v. Gerloczy (12) kam zu folgendem Resultat: Sublimat ist zur 
Desinfection von Excrementen, Kehricht, Sandgrubeninhalt u. dergl. nicht 
anwendbar, weil hierzu zu grosse Mengen erforderlich sein würden. Zweck¬ 
mässiger ist Cuprum sulfuricum, welches Canalflüssigkeit schon in einer 
Menge von 1 : 1000 völlig reinigt und dauernd steril macht. Für dieses 
Mittel spricht ferner der geringe Preis und die Unmöglichkeit es mit anderen 


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j 
















459 


Substanzen zu verwechseln. Für frische Excremente eignet sich ferner in 
hohem Masse siedend heisse Lauge. Krystallisirte Garbolsäure stand bei 
den vom Verf. untersuchten Objecten hinter dem schwefelsaueren Kupfer 
zurück; dagegen betont er die desodorirende Wirkung der rohen Garbol¬ 
säure. Verf. empfiehlt zur Desinfection und Desodorirung von Senkgruben 
bei aussergewöhnlichen Fällen, wie in Gholerazeiten, Guprum sulfuricum 
(40 kg per m * Senkgrube) und rohe Garbolsäure (20 kg pro m 8 ), für Canal¬ 
flüssigkeiten cuprum sulfuricum, für schlammige Ausgussrinnen rohe Carbol- 
säure (2 auf 1000 Schmutzwasser), für GanalÖffnungen und Schlammbehälter 
Ausspülung event. mit Zinkvitriol oder rohem Garbol, für Strassenkehricht 
Befeuchtung und Abfuhr, für frische Excremente Kupfervitriol (lg pro 
100 ccm) oder die dreifache Menge siedender Lauge. 

Zur Desinfection von Thyphus- und Gholeraausleerungen fand Pfuhl (13) 
den Zusatz von 2 Vol-Procent 20 °/« Kalkmilch (1 Theil Kalkhydrat auf 
4 Theile Wasser) als am meisten geeignet. Die Desinfection war in 
spätestens einer Stunde vollendet. Ist der zur Benutzung bestimmte Kalk 
von schlechter Beschaffenheit oder sind die qu, Excremente mit festen 
Ausleerungen bereits gemischt, so kann man die benutzte Kalkmenge als 
ausreichend bezeichnen, wenn nach ihrem Zusatz die Fäkalmassen deutlich 
alkalisch reagieren. 

Von zwei dünnen Entleerungen Typhöser, einer Entleerung von 
katarrhalischer Ruhr und breiigen Mischungen von Fäkalien, Urin und 
lebensfähigen Typhus- bezw. Gholerabakterien mischte Uffelmann (14) 
genau abgemessene Mengen mit gleich genau gemessenen Mengen von Des- 
infectionsmitteln und constatirte nach verschieden langer Zeit die Zahl der 
noch wachsthumsfahigen Keime. Verf. benutzte Schwefelsäure, Salzsäure, 
beide mit der gleichen oder doppelten Menge Wassers verdünnt, 5 °/o Carbol- 
säure, 2 °/oo Sublimat, 2 °/o salzsaure Sublimatlösung, 35 °/o Kalilauge, frisch 
bereiteten Aetzkalk, Kalkmilch, 12,5 •/• Greolinlösung und siedendes Wasser. 
Am wirksamsten erwiesen sich die Mineralsäuren, die in 2 bezw. 12 Stunden 
alle Keime getödtet hatten. Ihnen zunächst stand die saure Sublimatlösung 
und die mit der gleichen Wassermenge verdünnten Kalilauge. 5 •/• Garbol¬ 
säure hatte nach einer Stunde noch nicht alle Typhusbakterien getödtet, 
wohl aber nach 24 Stunden diese und fast alle anderen Keime. Greolin 
bedurfte dazu 24 Stunden, Aetzkalk in 2,5 °/o Lösung der gleichen Zeit, 
während nicht saure Sublimatlösung auch in 24 Stunden nicht stets alle 
Keime zu tödten vermochte. Ganz unwirksam war das blose Uebergiessen 
der Fäkalien mit siedendem Wasser. Von grösster Wichtigkeit war also 
die Dauer der Einwirkung, besonders bei Garbolsäure und Sublimatlösung. 
Erstere wirkte in 5 °/o Lösung ebenso wie nicht saure Sublimatlösung 
während der ersten 10—15 Minuten auf Fäkalien wider Erwarten 
schwach ein. Auch die sauere Lösung des Sublimats bedarf zu durch¬ 
greifender Wirksamkeit mehr als 15 Minuten. 


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460 


Zur sicheren Desinfection flüssiger oder dünnbreiiger Fäkalien schlägt 
Uffelraann daher vor, dieselben mit der gleichen Menge von mit Wasser 
im Verhältniss von 1 :1 oder 1: 2 verdünnter Schwefelsäure oder Salzsäure 
zu versetzen und 2 bezw. 12 Stunden, bei Anwendung von 5 •/• Carbul- 
säure oder 2,5 •/• Aetzkalk 24 Stunden, bei Benutzung von 2 •/•• saurer 
Sublimatlösung mindestens eine halbe Stunde stehen zu lassen. 

Flat ten. 

Georg Cornet, Die Sterblichkeits-Verhältnisse in den Krankenpflege-Orden. 

Zeitschrift für Hygiene, VI. Band. S. 65. 

Um einen Maassstab für die Grösse der Infectionsgefahr durch Tuber¬ 
kulose zu gewinnen, untersuchte Verfasser die Gesundheits- und Sterblichkeits- 
Verhältnisse der Krankenpflege-Orden, weil gerade dieser Beruf einen steten 
regen Verkehr mit Tuberkulosekranken mit sich bringt. Das Material 
hierzu fand Verfasser in den statistischen Erhebungen, welche S. Excellenz 
der Herr Staats-Minister v. Gossler im Februar 1888 verfügte. 

Da die ausserhalb jeder religiösen und weltlichen Gemeinschaft stehenden 
sogenannten freien Wärter und Wärterinnen nach Zahl und Person von 
Jahr zu Jahr ausserordentlich wechseln, wurden diese von der Statistik 
ausgeschlossen, desgleichen diejenigen Pflegerinnen, welche weltlichen Ver¬ 
bänden angehören. Hauptsächlich kommen demnach in Betracht die weib¬ 
lichen und männlichen katholischen Orden, für deren Mitglieder ein Aus¬ 
scheiden aus dem Orden etwas unerhörtes und exceptionelles ist, während 
die Verhältnisse der evangelischen Diakonissinnen, welche häufiger austreten, 
sich zu qu. Untersuchungen weniger eignen. Ueberdies ist die Zahl der 
katholischen Ordensschwestern und Brüder ausreichend, um ein richtiges 
Urtheil zu gewähren. Die diesbezüglich an die Klöster gestellten Fragen 
erstreckten sich auf einen Zeitraum von 25 Jahren und betrafen Todes¬ 
ursache, Alter, Klosterjahre, Krankheitsdauer und Beschäftigungsart der 
Verstorbenen, sowie Alter und Zahl des jährlichen Zugangs. 

In den Berichten von 38 Klöstern mit einer jährlichen Durchschnitts¬ 
zahl von 4028,80 Schwestern resp. Brüdern und einer Gesammtsumme von 
87,450 Personenjahren betrug die Zahl der Gestorbenen 2099, von welchen 
1320, also 62,88 °/o (fast */*) an Tuberkulose gelitten hatten, während im 
Allgemeinen nur 7» bis 7» der Einwohner im Staate an Tuberkulose sterben. 
Dieser Durchschnitt, */«, wurde in der Hälfte der Klöster noch übertrofTen 
und wuchs in einzelnen derselben auf 7« aller Todesfälle. 

Auffallend hoch erscheint ferner die Typhusmortalität mit 8,23*/• und 
diejenige für Krebs (2,38 °/©), während die übrigen Krankheiten die ge¬ 
wöhnlichen Werthe aufwiesen. 

Die Mehrzahl der Todesfälle betraf das Alter von 20 — 50 Jahren, 
während Todesfälle in höherem Alter nur vereinzelt vorkamen. Die Meisten 
starben 40 bis 50 Jahre alt. 

Im höheren Alter nimmt die Mortalität ab, entgegen der Thatsache, 
dass die absolute Mortalität im ganzen Staate bis zum 70. Jahre steigt 


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— 461 


Dies erklärt sich durch, die lawinenartige Anschwellung der Sterblichkeit in 
den ersten Pflegejahren, in Folge derer nur wenige ein mittleres oder gar 
höheres Alter erreichen und die absolute Zahl der in höherem Alter 
Gestorbenen bei der kleinen Zahl der das 50. Jahr Ueberlebenden sehr 
klein ausfallen kann. Addiert man zu den 2099 Todesfällen noch 162 Todes¬ 
fälle aus Klöstern, welche nur das Alter, nicht die Todesursache an¬ 
geben (und deshalb bei den übrigen Untersuchungen nicht geführt werden 
können), so beträgt für diese 2261 Todesfälle das Durchschnittsalter 
36,27 Lebensjahre, was ohne Weiteres eine vermehrte Sterblichkeit ergibt. 
Diese fällt noch mehr auf, weil diese 2261 Gestorbenen nicht etwa vor¬ 
wiegend schon in der Jugend krank waren, sondern im Gegentheil beim 
Eintritt in den Orden gesund und kräftig sein mussten. In einzelnen 
Klöstern betrug das Durchschnittsalter sogar nur 30, resp. 28 Jahre, war 
also niedriger als bei jeder anderen Berufsart. 

Die Ursache dieser hohen Mortalität ist das dominirende 
Auftreten der Tuberkulose. 

Dies illustriren nachstehende Zahlen (die absoluten Sterblichkeitszahlen 
der gesammten katholischen Krankenpflege-Orden). 


Nr. 

Todes¬ 

ursachen 

An genannten Todesursachen starben während der 
letzten 25 Jahre im Alter von 

• 

Summe 


BUH 

B 


B 

B 

KiSfffJ 


i) 

Toterkotae 

14 

164 

348 

525 

201 

ü 

19 

6 

1320 

2) 

Typhös... 

5 

41 

54 

47 

19 

n 

1 

— 

177 

6) 

Krehs.... 

1 

— 

2 

12 

15 

B 

1 


H 

Summe der 










Gestorbenen 

23 

1 

243 

472 

711 

347 

150 

100 

53 

2099 


Bei einem Vergleich der Mortalität im Staate und der im Kloster ergibt 
sich ferner, dass die relative Sterblichkeit vom 15. bis 20. Jahre, 
anf die gleiche Zahl Lebender berechnet, im Kloster die im Staate 
um das Vier fache, vom 20. bis 30. Jahre um das Dreifache über¬ 
trifft, vom 30. bis 40. Jahre doppelt so gross, vom 40. Jahre 
ab ungefähr gleich ist. Einen geringen Antheil an dieser hohen Stgrij- 
lichkeit hat noch der Unterleibstyphus, der um das Acht- bk Zehnfache 
steigt, und der Krebs. Zieht man von den Gesantfhtsummen der Ge¬ 
storbenen im Staat und Kloster die Tuberkulösen ab, so verschwinden die 
grossen Differenzen, zieht man noch die anderen eigens gezählten Infections- 
krankheiten ab, so stimmt der Rest für Staat und Kloster überein bis zunj 


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— 462 — 


40. Lebensjahre, vom 40. bis 60. Jahre ist sogar die Zahl der an anderen 
Krankheiten Gestorbenen im Kloster niedriger als irn übrigen Staate. 

Berücksichtigt man des Weiteren, dass diejenigen Verrichtungen im 
Krankenhause, die am meisten mit einer Infectionsgefahr verbunden sind, 
wie Reinigung der Krankensäle, Ordnen der Betten, Entfernen ev. bespuckter 
Taschentücher, vorzüglich in die ersten Abschnitte der Ordensthätigkeit 
fallen, da das zunehmende Alter die schwereren Arbeiten nicht mehr 
leisten kann, so wird dadurch erklärt, dass mit zunehmendem Alter der 
Schwestern die Zahl der Inlicirten unter ihnen abnimmt, während diese 
in den ersten Jahren steigt. 

Aus zahlreichen vom Verfasser beigebrachten Tabellen und graphischen 
Darstellungen geht die Richtigkeit des Gesagten hervor. Man ersieht daraus 
u. A., dass von den in der Statistik berücksichtigten Orden während 
25 Jahren von je 100 Krankenpflegern 63 an Tuberkulose starben. 
Bis zum 50. Lebensjahre machte sie thatsächlich nie weniger als die Hälfte, 
meist # /« der gesammten Todesursachen aus. 

Wir entnehmen den Ausführungen des Verfassers nachstehende Zusammen¬ 
stellung : 

Die Tuberkulose als Todesursache in jeder Altersklasse im % Verhältnis» 
zu den übrigen Todesursachen. 



Das Schwarze = Sterblichkeit an Tuberkulose. 

Das Hellere = Sterblichkeit an anderen Krankheiten. 

Zu dem gleichen Resultate gelangt man, wenn man unter Berücksich¬ 
tigung des verschiedenen Alters der Pflegerinnen beim Eintritt in den Orden 
die Tuberkulosesterblichkeit nach der Anzahl der Jahre berechnet, während 
welcher die Pflegerinnen im Orden thätig waren. Im ersten Halbjahre 


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— 463 


findet man die Sterblichkeit gering; dann steigt sie rapid, so dass sie 
schon innerhalb der ersten fünf Jahre mehr als 7* der Gesammtsterblich- 
keit ausmacht. Es starben in den ersten 10 Jahren fast zweimal so viel 
als in der ganzen übrigen Zeit mit. Auf ihren Höhepunkt tritt die Tuber¬ 
kulose Anfang des 3. Jahres. 

Endlich hat Verfasser die Absterbe-Ordnung in den Krankenpflege-Orden, 
sowie das in jedem Lebensjahre zu erwartende Durchschnittsalter dar¬ 
gestellt. Hiernach stirbt ein mit 17 Jahren sich der Krankenpflege 
widmendes gesundes Mädchen um 217» Jahre früher als die gleich- 
alterige übrige Bevölkerung, und eine Krankenpflegerin im 25. Lebens¬ 
jahre steht bezüglich des ihr noch bevorstehenden Lebens auf gleicher 
Stufe mit einer 58jährigen Person ausserhalb des Klosters, eine 
33jährige mit einer 62jährigen. Die Differenz der noch zu er¬ 
wartenden Lebensjahre steigt vom 17. bis 24. Lebensjahre auf 22 Jahre, 
geht dann allmählig herunter und beträgt in den fünfziger Jahren nur mehr 6. 

Bei richtiger Würdigung aller in Frage kommenden Faktoren kann 
die Ursache der vermehrten Tuberkulose- und Typhus- 
Mortalität einzig und allein in der Beschäftigung mit der 
Krankenpflege erblickt werden. Die Annahme, das Klosterleben 
an sich sei mit Gefahren für Gesundheit und Leben verbunden, ist völlig 
unbegründet. 

Bedenkt man, dass */♦ aller Krankenpflegerinnen tuberkulös werden, so 
ist anzunehmen, dass auch ein grosser Theil der Bettnachbaren der Tuber¬ 
kulösen im Krankenhause die Lungenschwindsucht acquirirt. 

Flatt en. 

Dr. Kruse in Norderney, Die C&n&lis&tion des Seebades Norderney. Eulen¬ 
berg ’s Viertelj. f. ger. M. u. öff. S. 1889. N. F. Bd. L. Supplementheft. 

Verfasser schildert die Versuche, die man in Norderney seit 1878 ge¬ 
macht hat, die Abfallstoffe und Schmutzwässer zu entfernen. Nachdem sich 
die bisherigen Massnahmen, wie Aufbewahrung der Fäkalien in gemauerten 
Gruben und Ableitung der Schmutzwässer in Canälen, später Einführung 
des Tonnensystems, als unzulänglich herausgestellt hatten, und zwar haupt¬ 
sächlich wohl deshalb, weil sie nicht allgemein eingeführt werden konnten, 
hat man sich jetzt entschlossen, Schwemmkanalisation mit Berieselung ein¬ 
zurichten. Interessant sind die Angaben über die ebenfalls geplante Ge¬ 
winnung von Trinkwasser durch Tiefbohrungen, die das Vorhandensein einer 
genügenden Menge trinkbaren Wassers nachgewiesen haben. 

Dr. Schultz. 


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464 — 


Verzeieiiniss der bei der Redaktion eingegangenen neuen ßiiclier et 


der 


Alanus, Die Heilung der Schwindsucht auf diätet. Wege. Berlin, Verlag vo 
Max Breitkreuz, 1889. M. 1.50. 

Braun-Fernwald, E. v., u. F. Kreisl, Klinische Beiträge zur manuellen 
Behandlung der Frauenkrankheiten. Mit 7 Holzschn. Wien, Verlag von 
M. Breitenstein, 1889. M. 1.50. 

Brenn ecke, Zur Reorganisation des Hebammenwesens. Magdeburg, Verlag 
der Faberischen Buchdruckerei, 1889. 

Brückner, Dr. Carl, Sanitätsrath in Ludwigslust. Neue und nalurgemässe 
Darlegung der Physiologie u. Pathologie des menschlichen Magens. Ludwigs¬ 
lust, Verlag der HinstorfTschen Hofbuchhandlung (C. Kober). 1889. 

Demuth, Dr., Landgerichtsarzt in Frankenthal, Ueber den Nährwerth 
Nahrungsmittel. Frankenthal, Verlag von Louis Göhring <fc Co., 1889. 

Elsner, Dr. Fritz, Die Praxis des Chemikers. 4. Aufl. Mit 139 Abbildungen. 

• Hamburg, Verlag von Leopold Voss. M. 9. —. 

Eulenburg und Bach, Schulgesundheitspflege, Lfrg. 1, 2. Berlin, Verlag 
von J. J. Heine, 1889. k Lfrg. M. 1.50. 

Gesundheits-Kalender für Freunde der Naturheilkunde für das Jahr 1890. Berlin. 
Verlag von Wilh. Issleib (Gustav Schuhr). 

Hirschberg, Henri, Der Zucker als Nahrungs- und Heilmittel. Jena, Verlag 
von Hermann Costenoble, 1889. M. 1. —. 

Lorenz. Taschenkalender für Aerzte. 2 Thle. III. Jahrg., 1890. Berlin, Verlag 
des Berliner Lith. Instituts (Julius Moser). M. 2. 

Mansfeld, Dr. M., Leiter der Untersuchungsanstalt für Nahrungs- und Genuss- 
mittel des Allg. Oest. Apotheker-Vereines und des Wiener Apotheker-Haupt- 
Gremiums. Die Untersuchung und Beurtheilung der wichtigsten Nalmings- 
und Genussmittel. Wien, Verlag von Carl Fromme, 1889. Gebunden. 

Mencke, Dr. Sanitätsrath, Welche Aufgaben erfüllt das Krankenhaus der kleinen 
Städte und wie ist es einzurichten. Mit G Tafeln Abb. u. 7 Holzschnitten. 
Berlin, Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin (Richard Schoetz). M. 5.—. 

Montada, A., Katechismus der Desinfection. Mit 4* Holzschnitten. Neuwied. 
Heuser’s Verlag (Louis Heuser). M. 1.50. 

Rosenthal, Dr. J., Professor der Physiologie und Gesundheitspflege an der 
Universität zu Erlangen. Vorlesungen über die öffentliche und private 
Gesundheitspflege. 2. verm. Auflage. Mit 72 Holzschn. Erlangen , Verlag 
von Eduard Besold, 1890. 

Ultzmann, Roh., Vorlesungen über die Krankheiten der Harnorgane. 2. Hell. 
Wien, Verlag von M. Breitenstein, 1889. M. 1.50. 

Gesundheit, Zeitschrift für öffentliche und private Hygiene. 1889. XIV. Jahrg. 
Nr. 14—19. G. L. Daube Sc Co., Frankfurt a. M. 

Vereinsblatt der Pfälzer Aerzte. 1889. II. Jahrg. Juli-Oktober. L. Göhring & Cie. 
Frankenthal. 

Impfzwanggegner, Organ des deutschen Impfzwanggegner-Vereins. Herausgegeben 
von Dr. med. Heinrich Oidtmann. Linnich. 1889. Nr. 7. 

Fortschritte der Medizin. 1889. Bd. 7. Nr. 19, 20. Fischer’s med. Buchhdlg. 
Berlin N. W. 

Medizinische Monatsschrift. Band I. Heft 7/9. Juli-September. New-York, Verlag 
der Medizinal Monthly Publishing Company. 17 to 27 Vandewater Street N.-Y. 

Professor Dr. Jaeger’s Monatsblatt. 8. Jahrgang. Nr. 9/10. 1889. Stuttgart, 

W. Kohlhammer. 

International Journal of Surgery, devoted exclusively to the theory and Prac 
of modern surgery. Vol. II. July/Sept. 1889. Nr. 7/9. 


NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheitspfle 
interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung an die Herr 
Mitarbeiter versandt, und Referate darüber, soweit der beschränkte Raum dieser 
Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine Verpflichtung zur Besprechung 
oder Rücksendung nicht besprochener Werke wird in keinem Falle übernommen: 
es muss in Fällen, wo aus besonderen Gründen keine Besprechung erfolgt, die 
Aufnahme des ausführlichen Titels, Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises 
an dieser Stelle den Herren Einsendern genügen. 

Die Verlagshandlung. 


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