Full text of "Chopin"
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in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/chopinweisOOweis
CHOPIN
VON
ADOLF WEISSMANN
DRITTE UND VIERTE AUFLAGE
UNIVERSITY OF TORONTO
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EDWARD JOHNSON
MUSIC LIBRARY
SCHUSTER Öc LOEFFLER IN BERLIN
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CHOPIN
Von demselben Verfasser erschien im gleichen Verlag:
Berlin als Musikstadt
Geschichte der Oper und des Konzerts von 1740 bis 1911
Mit 100 Bildern
INHALT
Seite
Chopin und wir 7
Heim und Heimat 11
Virtuosenträume 23
Zwischenspiel 29
Revolutionen 36
Salon und Konzert 42
Liaison 57
Das Ende 74
Zur Psychologie des Musikers 82
Tänze 105
Lieder ohne Worte 128
Der Bildner 135
Aus des Meisters Lehrjahren 143
Scherzo 160
Ewige Miniaturen 164
Wir und Chopin 177
Register zu Chopins Werken 181
Namenregister 184
Alle Rechte vorbehalten
Copyright by Schuster & Loeffler, Berlin 1912
CHOPIN UND WIR
Bücher sollen Bekenntnisse sein. Bekenntnisse, die man mit
dent vollen Bewußtsein ihrer möglichen Wirkung äußert. Innig mit
uns selbst verknüpft, sollen sie sich nur langsam loslösen ; dann aber
der Öffentlichkeit mit jener Schwungkraft sich mitteilen, die langer,
sehnsüchtiger Zurückhaltung entspricht. Kunstschriftstellerei zumal
sollte immer nur aus innerem Zwang strömen. Und die Musik-
schriftstellerei wäre fürwahr das ärmlichste aller Gewerbe, wenn
sie anders zu Werk ginge; denn sie, die ohnmächtig mit Worten
hantiert, kann noch leichter Werte töten, anstatt sie zu beleben.
Wer ein Buch über Chopin schreibt, weiß, daß er sich einem
Heiligtum nähert. Die Frauen sind es, die es hüten. Schon ist eine
dritte Generation zu seinem Schutz herangetreten. Und noch immer
ist Chopin lebendig wie damals, als zahlreiche Gräfinnen und Baro-
nessen sich darüber stritten, in wessen Armen er gestorben sei.
Soll aber nun darum dem Mann der Zutritt zu dem Heiligtum ver-
sagt sein? Gewiß wandte sich die lyrische Grundstimmung des
Werkes an die Frau. Da, wo sie sich unter salonhafter Hülle ver-
birgt, von leisem Parfüm umwoben ist, durfte er am allerehesten
auf weibliches Verständnis rechnen. Doch noch andere Werte ruhen
in ihm. Schien Chopin der Mehrzahl seiner Zeitgenossen nur eine
Episode zu sein, so rückte ihn das folgende Menschenalter in die
Reihe der großen Umstürzler im Gebiet der Tonkunst. Der schwache
Künstler, an dem von frühester Jugend an Krankheit zehrte, bis sie
ihn nach klassischem Vorbild vor Beginn reifster Männlichkeit als
Lichtgestalt entschweben ließ, zeigt Abgründe, an die sich robustere
Naturen nicht gewagt hatten. Liebte ihn also die Frau, so hatte
der künstlerisch empfindende Mann ihn zu werten. Ließen sich
dort Nerven von der Stimmung bezwingen, so mußte hier fein-
nervige Männlichkeit sich den Blick ungetrübt bewahren. Und es
geschah. Die Fähigkeit, hier erkennend mitzuempfinden, setzte dich-
terisches Schauen voraus; der Theoretiker mußte nachhinken. So
kam es, daß in eine deutsche Welt, die eine Brücke zwischen der
poetischen und der musikalischen Romantik noch nicht zu bauen
vermochte, Robert Schumann in der „Neuen Zeitschrift für Musik"
jenes schon sprichwörtliche „Hut ab, ihr Herren, ein Genie" hin-
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ausrief. Und Franz Liszt, der Kosmopolit, war freimütig genug,
dem dahingeschiedenen Dichter eine begeisterte Grabrede in Buch-
form nachzusenden, die den Dank eines Mitstrebenden für innere
Bereicherung aussprach.
Zwei Tondichter hatten gesprochen. Und wer im Reich der
Kunst sich mit ihnen verwandt fühlte, zollte Chopin seinen Tribut;
von Delacroix angefangen, wollte niemand ohne Gruß an ihm vor-
übergehen. Aber die Arbeit des Einordnens in die Musikgeschichte
mußte beginnen. Mag sein, daß dichterisches Empfinden sich da-
gegen sträubte. Chopin selbst, obwohl unliterarisch, wollte doch
ein literarisches Thema werden. Schon hatte die Familie des Dahin-
geschiedenen in seinem Sinn eifersüchtig auf jedes Wort in Liszts
„Chopin" geachtet. Doch es dauerte lange, ehe Gelehrsamkeit sich
getraute, den Nebel zu zerteilen. Es schien grausam, hier Wahr-
heit von Dichtung zu lösen. Die Phantastik behauptete ihr Recht
auf den modernen Raffael. Weibliches Fabulieren wollte Chopin,
dem tausend Herzen entgegengeschmachtet hatten, nicht freigeben.
Den Polen in ihm forderten die Polen für sich. Karasowski konnte
Liszts Sehergabe nicht überbieten; er zerteilte den Nebel nicht, ließ
den EHinstkreis der Anekdote um Chopin bestehen und schenkte
der wißbegierigen Welt als Biograph nur Briefe. Man wußte, daß
des Tondichters Nachlaß durch moskowitische Barbarei 1863 in War-
schau angetastet, wenn nicht zerstört war; man war also dem,
der die Briefe größtenteils vorher kopiert hatte, von Herzen dankbar.
Aber der Anspruch der Polen auf den Polen ließ sich nicht
halten. Chopin gehörte der Welt. Er hatte bei der Rückkehr aus
England, das den Todkranken wie einen Fremdling von Ort zu
Ort gehetzt hatte, anstatt ihn wie einen König zu ehren, die Eng-
länder verständnisloser als das Vieh genannt. Ein Engländer, Niecks,
gab dem Toten, was seine Landsleute dem noch Lebenden versagt
hatten ; er trat mit dem Rüstzeug der Gelehrsamkeit an Chopin
heran ; aber auch mit der verständnisvollen Liebe, die das Kunst-
werk vor Zerstückelung, vor Zerfaserung behütet.
Drei Jahrzehnte sind darüber hingegangen. Kärrner arbeiteten,
schmeichelten der Wißbegier; nicht immer führte die Liebe die Hand;
oft fehlte der Meißel des Bildhauers, und das Bild wurde uns ge-
trübt. Niecks ist nicht übertroffen worden; doch sind Namen wie
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Tarnowski, Hoesick, Karlowicz, Leichtentritt mit Ehren zu nennen.
Karlowicz und Hoesick vor allen haben den künftigen Biographen
durch neue Brieffunde den Boden geebnet. Bernard Scharlitt ver-
deutschte sie und brachte sie unter einen Hut. James Huneker
kennt sie noch nicht, glitt über den Menschen leicht hinweg, suchte
aber als belesener Sammler und geistvoller, allseitig gebildeter Kri-
tiker dem Werk gegenüber aus der Fülle fremder Meinungen und
selbst gewagter Theorien einen neuen Standpunkt zu gewinnen.
Und diesem Amerikaner reiht sich sein Landsmann Edgar Stillman-
Kelley an, der als komponierender Nachfahre den Meister durch
neue und beziehungsreiche Analyse zum Klassiker erhöhen will.
Ich gehe meinen eigenen Weg. Sagte ich ja doch eingangs,
daß dieses Buch ein Bekenntnis sei. Es gab Jahre, wo ich an
Chopin litt; Zeiten, da er sich mit dem Weltschmerz befreundete,
die Unentschlossenheit förderte. Das war in romanischen Ländern,
wo man Chopin einen besonderen Kultus weiht. In Deutschland
fand ich andere Verhältnisse vor. Hier ist Chopin noch mehr von
der Intimität des Salons in die weiten Hallen des Konzertsaals
gedrängt worden. Jahrmarktslärm umtobt ihn. Er ist noch recht
modern, fast aktuell; kein Pianist mag ihn entbehren; die berühm-
testen unter ihnen locken und siegen im Zeichen Chopins. Doch
er ist seinem eigentlichen Beruf entfremdet. Er, der sich von der
gemeinen Menge stolz und scheu zurückzog, muß vergröbert unter
ihr weilen : das sind die Folgen des Weltruhms. Aber auch die
Folgen der Liebe. Sie wäre nicht denkbar ohne innige Beziehung
zwischen dem Tondichter und unserer Zeit. Diese mag dem Werk
des Dichters auf den ersten Blick nicht günstig sein. Aber reizte
schon von jeher der weitsichtige Harmoniker, der die Wagner-Liszt-
Epoche vorahnend beherrscht, ihre Nerven, sein Wohlklang das Ohr,
so scheint jetzt auch seiner Lyrik die Bahn frei gemacht. In der
rascher schreitenden Dichtkunst wenigstens strebt die Lyrik mit Er-
folg in die Höhe und weckt wahlverwandtschaftlichen Nachhall.
Es ist also wohl an der Zeit, über Chopin zu schreiben ; noch
einmal zusammenzufassen, was aus eigenem Erlebnis und vielfach
bereichertem Tatbestand sich ergibt. Wir Modernen sind kühn ge-
nug, auf das Prunken mit fleißig gesammelten Einzelheiten zu ver-
zichten, aus der Biographie das Unwesentliche auszuscheiden und
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ein Bild nach unserer Art zu formen. Alles kennen, das Wertvolle
als Baustein benutzen, ist mein Leitspruch; die Brücke zu schlagen
zwischen dem Künstler und dem Menschen Chopin ; beiden ihr
Recht werden zu lassen, ein zweites Ziel. Denn wie sehr auch
Polnisches und Chopinsches in diesem Leben sich decken, seine
Künstlereigenart prägte auch dem Menschen, dem Frankreich mehr
als den Vater gab, seine Spur auf. Mag darum das Dasein dieses
Träumers die Ereignislosigkeit im weltlichen Sinn bedeuten, eine
Bagatelle ist es nicht. Reiche Frucht verheißt es uns; aber hier
wie in der so lockenden, so dankbaren Analyse des Kunstwerks
gfilt es eines nicht zu vergessen: daß wir ein Heiligtum betreten.
HEIM UND HEIMAT
Das Phantastische herrscht schon zu Anfang. Die Zweifel, die
sich an das Geburtsdatum Friedrich Chopins knüpfen, bezeichnen
sein frühestes Sichauflehnen gegen die rauhe Wirklichkeit. Gewiß
kümmerte er selbst sich um seinen Geburtstag nicht. Karasowski
hatte die Mitwelt mit der Angabe des 1. März 1809 in Sicherheit
gewiegt. Doch bald fanden sich Zweifler. Nun steht die Sache so,
daß der Taufschein Friedrich Franz Chopins den 22. Februar 1810
als Tag seiner Geburt für alle Zeiten festzustellen scheint. Ver-
stummen die Zweifler? Was damals in den Akten stand, brauchte
— ■ um das Wort einmal umzukehren — noch nicht wahr zu sein.
Chopins Schülerin, Jane Stirling, schreibt an dessen Schwester Luise,
am 1. März habe sich am Grabe des Meisters niemand eingefunden,
weil dieses Datum nicht bekannt sei (wohl aber der Namenstag) ;
sie selbst habe Kränze dort niedergelegt. Sollte dies nicht Beweis
genug für den verdächtigen 1. März sein? Der Familie war er
offenbar heilig.
Die polnische Welt, in die Chopin hineingeboren wurde, sah
trübe genug aus. Die fortgesetzten Teilungen Polens, die mißglück-
ten Erneuerungsversuche standen in traurigstem Gegensatz zu dem
glühenden Unabhängigkeitsdrang dieses noch halb orientalischen Vol-
kes, das wohl starker Impulse, aber nicht beharrlichen Aufschwungs
fähig war. Der Unterton der Wehmut also erklang stets in denen,
die denken konnten. Aber es war doch ein glückliches, zufriedenes
Elternpaar, das dem Neugeborenen zulächelte. Es geschah in einer
ärmlichen, weißgetünchten Dreizimmerwohnung in Zelazowa Wola,
dem Gut des Grafen Skarbeck, wo Nikolaus Chopin nach einem
pädagogischen Intermezzo bei der Starostin Laczynska Hauslehrer
geworden war und, an die dem Haus verwandte Wirtschaf-
terin Justine Krzyzanowska gewöhnt, sich mit ihr verheiratet hatte.
Also keine Ehe, die im Himmel geschlossen war; aber doch eine,
die sich auch in den seelischen und geistigen Grundlagen als für
den genialen Sprößling fruchtbar erwies. Man hat sich ernstlich
bemüht, dem Vater durch archivalische Studien wenigstens die pol-
nische Abkunft zu sichern; seine Vorfahren wurden an den Hof
Stanislaus Lesczynskis nach Lothringen gebracht. Soviel aber steht
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fest, daß Nikolaus Chopin 1770 in Nancy geboren, 1787 als Fran-
zose nach Warschau gekommen war und gerade seinem Franzosen-
tum seinen Lebensunterhalt verdankte. Man schätzte an ihm außer
seiner Kenntnis der Muttersprache auch die des Deutschen; man
lobte seine guten Manieren, die doch nicht äußerlich erworben waren,
sondern mit der Rechtlichkeit des Charakters in Einklang standen,
ihr entsprach auch die Richtung auf das National-Polnische, das
er in dankbarer Anhänglichkeit an seine Adoptivheimat seinem Unter-
richt im Gegensatz zu andern französischen Erziehern gab. Der
fremde Akzent, mit dem er das Polnische sprach, verlor sich nie ;
aber seine Gesinnung unterschied sich nicht von der seiner Um-
gebung. Seine meist französisch geschriebenen Briefe zeigen uns
einen streng rechtschaffenen Mann, in dem das Schulmeisterliche
durch künstlerische Neigungen zwar nicht aufgehoben, aber gemil-
dert war. Bildungsdrang lebte in ihm, und Sinn für Ordnung be-
herrschte ihn. Die Möglichkeit der Energie also hatte unser kleiner
Friedrich von seinem Vater geerbt. Diese Erbschaft war auch hier
nicht zu unterschätzen; sie begründete jenes Zielbewußtsein, das
als nationalpolnischer Charakterzug nicht zu gelten hat. Was die
Mutter ihm gab, wirkte tiefer und fand nur leise Hemmungen. Sie
war echte Polin und echtes Weib, mehr vom Gefühl als vom Ge-
danken geleitet, vornehm von Geburt und im Empfinden, voll Hin-
gabe für die Ihrigen und leidenschaftliche Liebhaberin der Musik,
die sie singend und klavierspielend betrieb. Von dieser Mutter
also, die französische Romanzen, Arien und Volkslieder mit zarter
Poesie wiedergab, am Klavichord zum Tanz aufspielte, erbte der
kleine Chopin künstlerische Feinnervigkeit. Die Mischung war gut,
und sie mußte auch den andern Kindern zugute kommen. Von
diesen war die um drei Jahre ältere Luise klug und literarisch
begabt, die jüngere Isabella nicht minder; nur daß beide mehr
nach der pädagogischen Seite abschwenkten ; und die jüngste, die
1813 geborene Emilie, folgte ihnen mit allen Zeichen eines unge-
wöhnlichen Talents. Der Vater, inzwischen 1810 zum Lehrer der
französischen Sprache am Lyzeum zu Warschau aufgerückt, hält
Pensionäre und zieht Vorteil aus dem erweiterten Gesichtskreis.
Schien also die Muse unserem Friedrich Chopin hold, so wollte
doch der Körper das Nervensystem nicht genügend stützen. Die
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Frühreife ist da ; aber auch die Fatalität des Musikers erscheint.
Im Kind wirft die künftige Größe ihre Schatten voraus. Ein Doppel-
leben beginnt. Kindliche Fröhlichkeit wird urplötzlich von der Stim-
mung unterbrochen, die sich in Weinen löst, sobald die Musik den
Kern des werdenden Menschen berührt. Die Schwäche dieses Kör-
pers ist offenbar; der Ausgleich wird nie zu schaffen sein: Alles
schläft. Da schleicht sich der Kleine in den Salon und hält im
Anschluß an das, was er am Tag gehört, Zwiesprache mit dem
Klavier. Das wache Träumen des Tages setzt sich nun, wo alles
Störende schweigt, in Schaffen um. Man bewundert, aber man
fürchtet auch. Die Eltern erkennen bald, daß sie dem Zwingenden
des Genies kein Hemmnis entgegensetzen können ; aber sie führen
besorgt den Kampf gegen den tückischen Feind, der es zu be-
drohen scheint. Oder sollten hier körperliche Schwäche und Fein-
nervigkeit im Bunde leben, die eine der andern Freundin sein?
Gewiß ist, daß im Haus des gebildeten Mannes, der öffentlich und
privatim lehrt und erzieht, auch die nüchterne geistige Nahrung
nicht vernachlässigt wird, die dem mittleren Staatsbürger nottut;
dem Träumer scheint sie nötiger als dem normalen Kind. Es fragt
sich nun, inwieweit sich das werdende Genie solchen Wissensstoff
aneignet, uud was es als zwecklos ausscheidet. Längst hat die Ro-
mantik von ihm Besitz ergriffen. Sie liegt in der Warschauer Luft.
Mochte diese auch nicht ausschließlich von Parfüms geschwängert
sein, wohnte auch inmitten prächtiger Paläste Schmutz, Armut und
Unkultur, so gedieh doch gerade in jenen Tagen dort ein geistiges
Leben, das dem Freiheitsdrang sehnsüchtig-unklarer, aber tief-poeti-
scher Naturen seinen Ursprung verdankte. Kasimir Brudzinski war
ihr Wortführer. Kein Wunder, daß Nikolaus Chopins Haus als
natürlicher Mittelpunkt eines wissenschaftlich und künstlerisch gleich
interessierten Kreises galt. Die Kollegen des Vaters, der Rektor
Dr. Samuel Linde, Maler und Musiker gaben sich hier ein Stelldich-
ein. Die Kinder aus vornehmen Familien, die hier erzogen und
unterrichtet wurden, vermittelten ihm die Beziehungen mit dem
Adel des Landes. So vereinten sich Geistes- und Geburtsaristo-
kratie, ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis von allen Pein-
lichkeiten zu befreien ; und die Mittel reichten hin, diesem regen
Treiben einen würdigen Rahmen zu schaffen. Bald aber mußten
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die Eltern ihren kleinen Sohn als den Magneten betrachten, der
künstlerische Naturen ins Haus zog. Seine Begabung entfaltete sich
in wunderbarer Weise. Sie klammerte sich an alles, was ihr die
Möglichkeit bot, sich über das rein Instinktmäßige zum Bewußten
zu erheben. Hatte zuerst die Mutter Phantasie und Finger in Be-
wegung gesetzt, so mußte später die kleine Luise, ihm gegenüber
eine Respektsperson, als Lehrmeisterin im Klavierspiel herhalten.
Und als bald genug auch diese Lehrquelle erschöpft war, trat der
Berufsmusiker an ihre Stelle. Er hieß Albert Zywny, war 1756
in Böhmen geboren und brachte für sein Amt als beste Eigenschaft
die unbedingte Verehrung für die deutsche Musik mit. Das war von
besonderem Wert in einem Land wie Polen, dem in der Tonkunst
die starke Tradition fehlte. Wie überall schwärmte man hier für
die italienische Melodie, die in den Opern Rossinis und geringerer
Geister zu Ehren gebracht wurde. Nicht immer übrigens zu Ehren.
Denn man war in Warschau sehr genügsam, lebte im Genuß der
unvollkommenen Oberflächlichkeit und ließ sich auch von den aus-
ländischen Meistern, die die Hauptstadt des Großherzogtums von
Zeit zu Zeit aufsuchten, in ihm nicht stören.
Zywny also, ein braver Musikhandwerker, wies unserm kleinen
Chopin den Weg zu Bach. Er hatte die ungeniale Gewissenhaftig-
keit, die ein fruchtbares Zusammenarbeiten mit dem Genie gewähr-
leistet. Die Klavierhand Friedrichs verbündet sich seiner Phantasie
und zwingt den Tasten ohne geisttötende Übungen ihre Geheimnisse
ab. Ja, sie stürmt über das Hindernis geringer Spannungskraft
hinweg und sucht Akkorde in weiten Lagen, die dem unbegrenzten
Sinn für Wohlklang entsprechen. Jene aufregenden Scharmützel des
Geistes mit dem Stoff beginnen; die ersten Ideen erscheinen, ver-
wickeln sich, fliehen, sobald die Feder sie aufs Papier bannen will
Der lehrende Zuschauer sitzt daneben; er hat die orthographische
Gewandtheit ohne die Phantasie. Die Ideen, wie sie auf ihn über-
gesprungen sind, treten nun wieder fein säuberlich dem kleinen
Komponisten vor die Augen. Es sind nicht dieselben, die seine
Phantasie, sein Ohr ersann. Er bessert hier, er bessert dort. Pe-
danterie hat den kühnen Schritt nicht gewagt, der ihm natürlich
erscheint. Allmählich schließen Kühnheit und Regel ein Kompromiß.
So entstehen die Polonäsen, die Tänze, die Märsche, deren Form
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unserm Genie die Umgebung leiht, deren Inhalt sich aber zu weiten
beginnt. Das ist erster Klavierunterricht. Der achtjährige Chopin
ist eine Lokalberühmtheit geworden, wie 1818 sein glänzendes De-
büt mit einem Konzert von Adalbert Gyrowetz beweist. Echt kind-
liche Streiche vervollständigen das Bild dieses Knaben. Die Kind-
lichkeit steigert sich hier als Reaktion auf die erhöhte Nerven-
tätigkeit im Gebiet des Unbewußten bis zur Wildheit. Unser Szo-
penek — so wird er polonisiert — tritt 1823 ins Lyzeum ein und
lernt, was den mittleren Staatsbürger ziert. Er hat seinen Beruf
längst begriffen und behandelt die Schule mit einer gewissen Über-
legenheit. „Niemals", so schreibt er 1828, „ist mir der Gedanke
in den Sinn gekommen, dieser echte Schartekenkramer, dieser Philo-
loge, der einzig im Schiller hockt, könnte die Feder in die Hand
nehmen, um an den beinah wie eine elende Peitsche ausgelassenen
Zimbalisten, an den, der bisher noch keine einzige Lateinseite durch-
gelesen, an jenes Ferkel, das, an der Schlempe Fett ansetzend,
diesen Speck wenigstens um den zehnten Teil berauben will, einen
Brief zu schreiben." Der Adressat ist Jan Matuszynski, ein Freund
fürs Leben, einer, der auch wirklich als Arzt der Gelehrsamkeit
treu bleibt und ihm in Paris die Sehnsucht nach der Heimat mildert
Der Ort, der ihn so fröhlich stimmt, ist Szafarnia, das Landgut der
Eltern eines Schulkollegen, wo er seine Ferien verbringt und frei
von Lyzeumssorgen als ausgelassener Zimbalist dahinlebt. So scheint
es. Aber diese Wochen verstreichen ihm nicht ungenutzt. Sein
Genius läßt ihn hier die Seele des Volkes belauschen; der Träumer
in ihm ist wach und schlürft gierig den Trank, der bald, durch
den Filter des Schaffenden hindurchgegangen, ein an ihm selbst
und an den Zeitgenossen zehrendes narkotisches Gift werden soll.
Wenn im masorischen Dorf Bauern und Herrschaftim Mazurek
sich drehen, Geigen, Bässe und Dudelsack mehr schreien als spielen,
dann erschließt sich dem Tondichter der tiefere Sinn dieser Dis-
harmonie; das innere Ohr eint sich dem äußeren; die Phantasie
ist am Werk und baut für die Zukunft vor. Dies alles, das Zwin-
gende in ihm, verschweigt er dem Freund und spielt sich nur als
den ausgelassenen Zimbalisten auf. Eine solche Briefseite verrät
den ganzen Menschen. Echt polnisch kann er sich in Äußerungen
freundschaftlichen Gefühls nicht genug tun, er drückt seinen lieben,
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teuren Jas auf zwanzig Meilen an die Lippen; er ist heiter ohne
scheinbaren Nebensinn, macht sich über die Deutschen lustig, spricht
von allem, was sein Gegenüber unterhalten kann; nur von seinem
Innersten «spricht er nicht. Hier nicht. Denn es wird Zeiten geben,
da das drängende Innere den Wall des Schweigens durchbricht
Auch der Volkston, der in seiner Mazurka erklingt, setzt sich ins
Wort um. Wir hören Derbheiten, die uns mit dem vornehmen Ton
in Widerspruch zu stehen scheinen. Wie ja auch das Schweigen
über sich selbst im letzten Grund polnisch und hier nur individuell
gesteigert ist. Die in Chopins, des jüngsten, Briefen stets wieder-
kehrende Wendung: „dies aber bleibt unter uns", zeigt uns bereits
eine natürliche Schwäche, das Fehlen breiteren Menschtums, mit
de-m unbekümmertes Draufgängertum sich paaren muß. Etwas
Leises ist in ihm. Den Lyzeum schul er, der Freundschaften fürs
Leben knüpft, zieht es — wir sehen das zornige Gesicht des päd-
agogisch denkenden Vaters — zu den Mädchen, wie dem Jüngling
und Mann die Frauen ein unentbehrlicher Schmuck des Lebens sein
werden. Das ist polnische Ritterlichkeit, die in einem Musiker von
äußerster Reizsamkeit schöpferische Bedeutung gewinnt. „Sanft, ge-
fühlvoll, über alle Maßen vornehm, besaß Chopin in seinem fünf-
zehnten Lebensjahr alle Reize der Jugend, die jedoch mit dem Ernst
des Alters merkwürdig gepaart waren. Ebenso wie sein Geist war
aber auch sein Körper von außerordentlicher Zartheit. Doch dieser
Mangel der physischen Entwicklung bewahrte ihm eine gewisse,
sozusagen geschlechts- und alterslose Schönheit . . . Gleichsam ein
Engel von schlanken, ätherisch-olympischen Formen, mit dem schönen
Antlitz einer traurigen Frau, das zu gleicher Zeit von einem zärt-
lichen und strengen, jungfräulich-keuschen und leidenschaftlichen Zug
umspielt wurde. " So sah ihn eine grande dame. Er selbst ist von
seiner körperlichen Vollkommenheit nicht ebenso überzeugt. Sein
Spott verschont die eigene Person nicht. „Oft setzen sich Fliegen
auf meine hervorragende Nase", schreibt der Fünfzehnjährige an
einen Freund. Diese Nase, ein Erbteil, das auf geistige Überlegen-
heit deutet, macht ihm auch später noch zu schaffen. Aber eine
Zeichnung aus dem Jahr 1828 bestätigt den Eindruck, dem hier
Worte geliehen wurden. Äußerlich also scheint er der großen Welt
bestimmt. Nur in dieser Luft kann er atmen. Hier ist es ihm ge-
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stattet, unter der Maske der Höflichkeit, ja Freundlichkeit die Zuckun-
gen seines überempfindlichen Nervensystems zu verbergen ; eine
artistische Technik, die ihm zur zweiten Natur wird und ganz natür-
lich in seine Kunst übergeht. Hier darf er auch jene geistige Öko-
nomie treiben, die einer hohen Begabung Bedürfnis ist. Freilich
wird er sich nie ganz mit seinem Kreis decken: er hat Anspruch
auf das „se faire pardonner", läßt als Causeur die großen Pausen
eintreten, die wie in der Musik durch das, was ihnen vorangegangen
ist, bedeutungsvoll werden. In dieser polnischen Adelsgesellschaft
aber lebte, bei allem Anschluß, den der angeborene Witz, der Trieb
zur Äußerlichkeit sie an das Franzosentum suchen und finden ließ,
noch etwas von der bete humaine, wenn auch nur in der Gestalt der
schmeichlerischen Katze. Erstarrte Formen gab es nicht. Der kleine,
doch zur Reife gediehene Friedrich rügte sich als etwas Besonderes
in sie, und die auf einen kleinen Kreis begrenzte, dann aber un-
begrenzte Herzensgüte — Ökonomie der Seele — entschädigte für
die Verschlossenheit und das Mit-halbem-Ohr-Hinhören, das man-
chen verstimmt haben mochte. So war Friedrich Chopin in den
Salons der Czartoryski, Czetvertyrski, Radziwill, der Skarbek, Wo-
licki, Pruszak heimisch geworden; ja, er hatte als Schützling der
Fürstin Lowiczka selbst das Barbarenherz des Großfürsten Constan-
tin mit seiner Musik begütigen dürfen; und hier war ihm auch in
der Person der jungen Komtesse Alexandra de Moriolles, der Toch-
ter des Prinzenerziehers, eine jener holden Göttinnen erschienen,
die ihn auf seinem Wege geleiten und ihm die Feder führen. Denn
auch in der musikalischen Laufbahn ist eine neue Etappe erreicht.
Zwei Wohltätigkeitskonzerte des Jahres 1825 zeigen ihn der Öffent-
lichkeit als den werdenden Tondichter; in einer von ihnen macht
er die Zuhörer, die seinen fragmentarischen Vortrag des f-moll-
Konzerts von Moscheies höchst beifällig aufnehmen, zu Zeugen einer
freien Fantasie auf dem Älopantalon, einem harmoniumartigen In-
strument. Und die Warschauer Welt liest im gleichen Jahre auch
den Namen des Komponisten auf seinem op. 1, Rondo c-moll, das
nach mancherlei musikalischen Heimlichkeiten und halböffentlichen
Versuchen den ersten mannhaften Schritt bedeutet. Diese Kühnheit
hatte gute Gründe. Zywny hatte vor den Fortschritten seines
Schülers, dessen Phantasie die frauenhaft beweglichen und fein-
Wtissmain, Chopin 2
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gegliederten Hände zum Siebenmeilenschritt zwang, die Waffen
strecken müssen; es genügte ihm, den Weg von Bach zu Haydn,
Mozart, Beethoven gewiesen, Hummel und Ries als ihre Nachfolger
empfohlen zu haben. Der dreizehnjährige Chopin stand allein. Aber
den Künstler verlangte es bald wieder nach neuer Leitung; die Phan-
tasie forderte die spanischen Schnürstiefel des Kontrapunkts; wer
in der Vollgriffigkeit der Akkorde sein Heil sucht, sich am Wohl-
klang berauscht, sieht seine Sicherheit bedroht, wenn er an Bach
und an das horizontale Verhältnis der Stimmen denkt. Es war einer
gekommen, der an Bach dachte, ohne dem Genie den Schraub-
stock anzulegen. Der gute Geist Joseph Eisner war die natürliche
Fortsetzung des ersten Klavierlehrers. Hier war Steigerung im
Können mit kluger Einsicht verbunden. Eisner, 1769 in Grottkau
geboren, war allmählich von Schlesien über Österreich nach Poien
gelangt und hatte, als utilite mit allen Regeln der Kunst vertraut ge-
worden, seine Kraft darangesetzt, Warschau als Musikstadt auf eigene
Füße zu stellen. Seine Phantasie war fruchtbar genug, um ein hüb-
sches Quantum Kompositionen zu liefern, die sich von der Kirche
bis zum Theater erstreckten. Sie erschütterten die Welt nicht, sollen
aber neben der gründlichen Kenntnis des reinen Satzes bewiesen
haben, daß die Regel nicht ihr Tyrann war. Für die Oper bekannte
er sich zum neueren italienischen, für alles andere zum deutschen
Stil, und als Pädagoge überhaupt zu dem Grundsatz, daß man die
Natur zur Originalität nicht zwingen könne. Wo sie aber von selbst
gedieh, wie in seinem neuen Schüler Chopin, da konnte die Harke
das fruchtbare Erdreich vor Unkraut bewahren. Eisner war, nach
seines Zöglings Ansicht, ein Lehrer, von dem auch der größte Esel
etwas lernen müsse ; vor ihm verneigt er sich auch dann, als er
sich längst des rechten Weges und der eigenen Überlegenheit be-
wußt geworden ist. Der Meister hatte dem Schüler wohl schon
Rat geliehen, bevor sich ihm 1826 die Pforten des Konservatoriums
öffneten, dessen Direktor Eisner seit 1821 war. Denn schon Cho-
pins opus 1 laßt nichts von der Unsicherheit im Klaviersatz spüren,
die den Gang der Ideen bei Anfängern hemmt. Freilich waren
Chopin und das Klavier Freunde, die sich ä demi-mot ver-
standen.
Doch die Gesundheit mahnt. Zum erstenmal ist das Gleich-
19
gewicht zwischen Körper und üeist ernstlich gestört. Die schwach-
brüstige Emilie wird 1826 nach Bad Reinerz in Schlesien geschickt
und Friedrich geleitet zwei Schwestern unter der Hut der Mutter.
Der Kranke unterzieht sich der Kur ohne üble Laune und ist, wie
ein Brief an seinen Schulkameraden W. v. Kolberg zeigt, glück-
lich, seine polnische Nörgelsucht persönlich karikierend betätigen
zu können. Unter den Musikern hat es ihm „ein hagerer Fagottist
mit einer schnupftabaktriefenden Sattelnase" angetan; auch die Ge-
sellschaft seiner Landsleute stimmt ihn angenehm, sein Aussehen
bessert sich, und es bleibt, wie er seinem Lehrer Eisner schreibt,
nur zu beklagen, daß die Klaviere in Reinerz seinen Versuchen,
ihnen Wohlklang zu entlocken, hartnäckig widerstehen. Die Marter
hat bald ein Ende, und ein Besuch in Stryszewo, an den sich ein
noch wichtigerer in Antonin, dem Gut des Fürsten Radziwill, knüpft,
bildet den Abschluß der ersten bescheidenen Auslandreise des jungen
Chopin. Fürst Radziwill, der Komponist der Faustmusik, Statthalter
von Posen und eine unter den Berliner Musikern hochangesehene
Persönlichkeit, soll unserm Friedrich nach Liszts Darstellung mehr
als ein Gönner, ein freigebiger Förderer gewesen sein. Die Familie
Chopins, von der polnischen Noblesse angekränkelt, hat diese keines-
wegs ehrenrührige Behauptung mit Entschiedenheit in das Reich
d-er Legende verwiesen. Sie scheint auch zweifelhaft, wenn man in:
Briefwechsel der sorgfältigen Behandlung finanzieller Fragen be-
gegnet. Tatsache ist, daß Fürst Radziwill, ein häufiger Gast War-
schaus, der Lokalberühmtheit Chopin nähertrat und der ungewöhn-
lichen Erscheinung aufmerksame Sympathie schenkte.
Die Ereignisse in Warschau überstürzen sich nicht. Der Kon-
servatoriumsschüler überwindet, wie sich von selbst versteht, den
Lyzeumszögling; der entzückte Eisner läßt ihm mehr und mehr freie
Hand. Chopin glänzt in den Salons, lebt ein Doppelleben, oder viel-
mehr lebt seinem Genius. Aus dem Traumleben seiner Seele führt
kaum eine Brücke zur Wirklichkeit, deren Anprall er unter Um-
ständen wie einen physischen Schmerz empfindet. Von den Dingen
der Welt ist es fast ausschließlich der Mensch, der ihn zur Reaktion
reizt. Wie er mit merkwürdiger zeichnerischer Begabung Karikatu-
ren hinwirft — ein Akt der Gegenwehr? — , so fesselt das häusliche
Theaterspiel den Mimiker in ihm. Der Schauspieler im modernen
2*
20
Musiker erscheint. Das Witzige und das Schwärmerische, das
Heine im geringsten Polen entdeckte, findet hier eine höhere
Synthese.
„Jetzt aber schreibe ich Dir wie ein Wahnsinniger, denn ich
weiß tatsächlich nicht, was mit mir geschieht. Ich reise heute nach
Berlin!"; diese Ankündigung lesen wir nach einer kurzen Einleitung
in einem Schreiben vom 9. September 1828 an Titus Wojciechowski.
Wieder einer von jenen Freunden, denen er romantischen Gefühls-
überschwang widmet. Der Küsse unendliche Zahl, die schranken-
lose Hingabe erinnert an die geschlechtslose Schönheit, von der jene
feine Beobachterin sprach. Romantisches Empfinden, polnische Zärt-
lichkeit ist hier wiederum individuell gesteigert. Und das Feminine
in Chopin sucht Halt an einem Menschen, den wie Titus, einen zu-
künftigen Landwirt, ein starker Wirklichkeitssinn auszeichnet. Die
Männlichkeit dieses Freundes wehrt sich, wie Chopins sanftes
Schmollen und immer stürmischeres Drängen beweist, bei aller auf-
richtigen Zuneigung gegen solchen Überschwang; er ist kühler,
^kritischer, aber doch so musikalisch, daß ihm nicht ohne Qrund, nicht
ohne Stolz vorzugsweise die Chronik des Geschaffenen, Fertigen, in
vielen Fällen auch die Entscheidung über Einzelheiten anvertraut
wird. Aber es ist rührend zu sehen, wie beharrlich der Dichter den
Tatmenschen, der doch immer noch Pole ist, weich zu machen
sucht. „Erbarm Dich doch und schreib mitunter ein Wörtchen,
sei's auch nur ein halbes, wenigstens einen Buchstaben, auch dieser
wird mir teuer sein." Was ist uns Titus Wojciechowski! Und
wieviel gilt uns der Schreiber, dem die Freundschaft der ganzen
Welt gehört! Die Welt vernimmt aus diesen Briefen allerlei: für
die Reise nach Berlin, die ihn in so wahnsinnige Aufregung versetzt,
wird hier das Programm mitgeteilt: „Um eine Oper von Spontini
mit anzuhören, — reise ich mit der Diligence — zur Erprobung
meiner Kräfte." Wir sehen : dem Genius wird die musikalische
Heimat zu eng. Nicht die große Stadt lockt ihn, sondern die Aus-
sicht, die Fühler nach der Welt auszustrecken, ihr zuzurufen : anch'
io . . .
Naturforscherversammlung in Berlin; unter Alexander von Hum-
boldts Leitung. Auch der Professor Jarocki aus Warschau, Freund
der Familie Chopin, nimmt die Einladung an. Friedrich Chopin wird
21
ihm anvertraut. Die Zoologen langweilen, die Musiker reizen ihn.
Er soll sie durch Professor Lichtenstein, der als Freund Webers
eine Nebenpersönlichkeit der Musikgeschichte ist, kennen lernen.
Aber das gesellschaftliche Chaos vereitelt dies. Und scheu beob-
achtet der junge geniale Bruder in Apoll, der den Weltruhm in der
Tasche hat, die abgestempelten Berühmtheiten Mendelssohn, Spon-
tini und Zelter. Die Naturforscher haben es zu büßen, daß sie
ihn langweilen. „Ein Fröschchen, besaß er die Pfoten eines Bären."
So rächte er sich an dem Professor, der im Eifer des Gesprächs
mit seinen Fingern auf Chopins Teller herumscharrte. Von den
Berlinerinnen sagt er: „Sie putzen sich wohl, doch es ist wahrlich
um die herrlichen, feingeschnittenen Musselins für solche Leder-
puppen schade. " Der Karikaturist ist an der Arbeit, nagelt Form-
losigkeit und Ungrazie fest. Darin erschöpft sich sein schriftstelle-
risches, sein zeichnerisches Talent. Sonst gewinnt ihm die Ber-
liner Wirklichkeit wenig ab; den Dichter in ihm verurteilt sie zum
Schweigen. Er sucht Klaviere, möchte gern der Schlesingerschen
Musikalienhandlung mehr als einen flüchtigen Besuch abstatten; in
der Bibliothek entdeckt er einen eigenhändigen Brief Kosziuskos.
„Das Wichtigste aber ist, daß ich bereits ein Oratorium in der
Singakademie, den Cortez, Cimarosas „il matrimonio segreto" und
Onslows „Kolporteur" mit Befriedigung mit angehört habe. Hän-
deis „Cäcilienfest"-Oratorium nähert sich jedoch am meisten dem
Ideale, das ich mir von erhabener Musik gebildet." Die Auf-
führung fordert manches „Wenn" und „Aber" heraus. „Dies wird
wohl erst in Paris wegfallen." Doch zu einem Akt der Klug-
heit reicht immer noch die Zeit: „Ich habe auch den Redak-
teur einer Berliner Musikzeitung gesehen und mit ihm einige
Worte gewechselt." Sollte es der Beethovenapostel Marx ge-
wesen sein?
Dem jungen Chopin sagt das damalige musikalische Berlin nicht
viel. Ein frostiger Hauch weht ihn von der Stadt der Bildung
und Gelehrsamkeit an. Ein feiner Instinkt läßt ihn ahnen, daß
hier unromantische Nüchternheit wohnt, trotz E. T. A. Hoffmann,
der, vom Schicksal nach Warschau verschlagen, der polnischen Haupt-
stadt eine feurige klassische Lektion gehalten hatte. Ahnt er, daß
es hier einen Kritiker Ludwig Rellstab gibt, der wenige Jahre dar-
22
auf versuchen wird, Chopins Poesie mit Keulenschlägen zu töten,
weil sie seiner Grammatik widerspricht? Er kehrt mit Erfahrun-
gen heim; die Sehnsucht nach der Welt verläßt ihn nicht; es gärt
in ihm; sehen wir zu, wie der Träumer und Stürmer sich aus-
einandersetzen.
23
VIRTUOSENTRÄUME
So sind wir denn wieder in Warschau; in dem Warschau, das
als echter Krähwinkel mit den Allüren der Großstadt den Klein-
krieg eifersüchtiger Musikanten für musikalischen Fortschritt hält;
wo hier ein Kapellmeister Kurpinski, dort ein zugewanderter ita-
lienischer Gesanglehrer Soliva das Intrigenspiel kleinhirniger Men-
schen betreibt. Selbst die Patriarchengestalt eines Eisner ist dem
Streit dieser Duodezdirigenten und patentierten Stimmverderber nicht
entrückt. Die Presse, die sich zu ihrem Sprachrohr macht, schafft
dem Publikum die — menschlicher Bosheit, und wäre es auch die
liebenswürdigste — unentbehrliche Unterhaltung. Theater und Oper
nähren sich von ausländischen Brocken, und das sonst so reizbare
polnische Nationalgefühl gibt sich zufrieden.
Diesem Treiben also fühlt sich das junge Genie fremder denn
je. „Ich renne von Annas zu Kaiphas und bin heute auf einen
Abend bei Wincengerod, von der ich auf einen zweiten zu Fräu-
lein Kicka fahre. Du weißt, wie das schmeckt, wenn man schlafen
will und um eine Improvisation gebeten wird. Es allen recht
machen! Nicht häufig kommen mir solche Gedanken, wie sie mir
oft des Morgens an Deinem Pantaleon so leicht unter die Finger
kommen. Wohin ich mich auch wende — überall die elenden In-
strumente Lesczynskis! Ich habe auch nicht eins gefunden, das im
Ton dem unsrigen oder dem Pantaleon Deiner Schwester gleich-
käme ..." So klagt er seinem Titus. Der hätte ihn die eherne
Rücksichtslosigkeit lehren können, die ein schwacher Musiker seiner
Konstitution dem Salon gegenüber noch nicht aufbringt. Kleinere
Geister wissen sich zu wehren ; er aber, der Überempfindliche, von
Stimmungen mehr als andere Abhängige soll Phantasie und Kla-
vier zu einem Bündnis zwingen, zu dem sie sich in glücklicher
Stunde von selbst zusammenschließen. Und in seiner Mappe ruhen
bereits, mehr oder weniger abgeschlossen, jene Erstlinge, die sich
nach einer Opuszahl sehnen. Seinem Titus erzählt er von ihnen,
aber die Öffentlichkeit hat noch keinen Anteil daran, und der
Monograph tut recht, erst dann, wenn sie sich in salonfähiger Klei-
dung zeigen — denn diese ersten Musenkinder sind im besten
Fall nur salonfähig — den Schleier von ihnen zu ziehen.
24
Stärkere Hemmungen hat der Auslandsdrang des Virtuosen noch
nicht zu überwinden. Freundschaft, selbst die romantischste, kann
ihn nicht halten; zumal wenn die Männlichkeit jenes Tatmenschen,
zum Entschluß drängt und das Aufgeben der Unentschlossenheit,
als ein Zugeständnis an die Freundschaft betrachtet. Auch die Liebe
schlingt noch nicht ihre Bande um ihn, wie sie ihn einige Monate
später beseligend hemmen wird. Ja, der Bericht über die Ver-
führung einer Gouvernante, die nur deshalb nicht auf seine Rech-
nung zu setzen ist, weil die äußeren Reize der jungen Dame nicht
lockend genug waren, zeigt, wie er wohl imstande wäre, seinen
natürlichen Instinkten unbekümmert und unromantisch zu gehorchen.
Dagegen gibt es Positives genug, was ihn zum Aufbruch mahnt.
Fremde Virtuosen lassen sich hören und regen seinen Ehrgeiz an.
Hummel, ein Meister, der ihn als Komponist und als Pianist dank-
bar stimmen muß, Jünger Mozarts, zu dem er sich freudig bekennt,
hat 1828 mehrmals im Warschauer Theater gespielt. Der große'
Paganini, dem er schon in Berlin entgegengeharrt, erfüllt 1829 seine
Sehnsucht. Sie setzen sich in inneres Erlebnis um, ohne, soweit
unsere Briefkenntnis reicht, einen Erguß in Worten hervorzurufen.
Stephen Heller konzertiert im gleichen Jahr. Und endlich entläßt
das Warschauer Konservatorium ihn, den begabtesten seiner Zög-
linge, mit dem musikalischen Handwerkszeug, das seinem Genie
längst natürliches Ausdrucksmittel geworden ist, ihm die Schwin-
gen zu freiem Flug gestärkt hat.
Wir dürfen uns daher nicht wundern, ihn schon am letzten
Juli des Jahres 1829 in Wien zu finden. Dort ist nicht lange vor-
her Beethovens sterbliche Hülle beigesetzt worden. Ob unseren
Friedrich Chopin die Schauer der Ehrfurcht packen werden? Nein,
davon ist nichts zu spüren. Der echte Beethoven war ihm kaum
vertraut, und wäre er es gewesen, so hätte den so anders Ge-
stimmten das nicht hindern können, sich dem Vollgenuß der ersten
Virtuosenerfolge hinzugeben. Aber auch der Komponist kann um
so kühner aller Tradition und Pietät entsagen, als er sich von
unstillbarem Verlegerheißhunger ermutigt sieht : „Haslinger behauptet,
es werde für meine Kompositionen von Vorteil sein, wenn Wien
sie hören wird, die Zeitungen würden sogleich lobend über mich
schreiben, wofür alle bürgen ... Er bürgt mir dafür, daß gegen-
25
vvärtigf der geeignetste Zeitpunkt sei, weil die Wiener nach neuer
Musik lechzen." Man denke: die Wiener lechzen nach neuer Musik,
nachdem sie eben nicht nur Beethoven, auch Schubert zu Grabe
getragen haben. Würfel, ein Warschauer Musiker, nun Kapellmeister
am Kärntnertheater, versichert ihm das, und es wird wohl wahr
sein. So räumt leicht geschmeichelte Virtuoseneitelkeit und unbe-
schwerte Jugendlust bald die seelischen Hemmungen hinweg, die
sich zwischen Chopin und ein öffentliches Auftreten stellen. Ein
üedanke, den er kaum zu fassen wagt, wird ausgeführt. Was wer-
den die Seinigen, was wird Eisner davon denken? „Seid um meine
Person und um meinen Ruhm unbesorgt." So schreibt er zwischen
dem ersten und dem zweiten Konzert, läßt Eisner um Verzeihung
bitten, freut sich der Hochachtung der Journalisten, die sich von
Berufs wegen noch nicht haben vernehmen lassen, quittiert ent-
zückt über irgendein privates Lob, gerade weil es von deutscher
Seite kommt, und hat vor allen Dingen selbst das Gefühl, den
ersten Schritt nicht umsonst getan zu haben. Beethovens Prome-
theusouvertüre, die er wohl bei diesem Anlaß zum ersten Male
hört, hat seine erste musikalische Akademie eingeleitet. Seine Va-
riationen über „la ci darem la mano" und sein Krakoviak, rondeau
de concert, sollen die gewöhnlichen Gesangsnummern umrahmen.
Das Orchester weiß sich aber in den Stimmen des letzten Werkes
nicht zurechtzufinden und macht dem unbekannten Komponisten
Schwierigkeiten, die von ihm kurzerhand dadurch beseitigt werden,
daß er eine freie Fantasie an die Stelle des Rondos setzt. Selbst
auf die Streikenden springt der Funke über, und sie stimmen in den
lauten Beifall des Publikums ein. So folgt der ersten Akademie
eine zweite auf dem Fuß ; man läßt sich diese glänzende Zug-
kraft nicht entgehen, die nichts fordert, viel einbringt und die Kenner
durch alle Schnörkel hindurch eine neue Welt schauen läßt. Die
Variationen bewilligt er noch einmal als ritterlicher Freund der
Frauen ; und auch die Schuld des Krakoviak löst er ein. Es ist
nicht ohne Reiz, Zeuge der Ausbrüche von Lebenslust, der Freude
über seine Triumphe zu sein ; wir gönnen sie dem Künstler, in dem
solche Stimmungen später nur flüchtig auftauchen, von Herzen. „Man
verspricht mir gute Rezensionen. Ich war heute bei einem Jour-
nalisten; zum Glück habe ich ihm gefallen." Die guten Rezensionen
26
ließen ein wenig auf sich warten; aber sie kamen, bestärkten das
Gefühl der Befriedigung, das Musiker, Freunde, er selbst im in-
neren genährt, und deuteten, die einen eindrucksvoller, die anderein
vorsichtiger, auf seine Eigenart. Der leise Vorwurf, den Stimmen
aus dem Publikum ihm zu verstehen gaben, daß er nämlich den
an das Pauken der großen Pianofortevirtuosen gewöhnten Ohren
zu wenig kräftig gespielt habe, wandelt sich ihm sofort in ein Lob.
Der Graf Moritz Lichnowsky, „derselbe, der Beethovens bester Freund
war," spendet ihm gleich anderen Mitgliedern der Aristokratie höchste
Anerkennung, will ihm aber nach dem ersten Konzert seinen eigenen
Flügel zur Verfügung stellen. Wir begreifen : auch der Freund des
großen, knorrigen Beethoven verlangt, aus ganz anderem Grund
als die gemeine Menge, Größe des Tones. Chopin lehnt geschmeichelt
ab: es sei eben nur seine Art zu spielen. „Ich weiß, daß ich den
Damen und den Künstlern gefallen habe." Oder: „Die Gelehrten
und die Gefühlvollen habe ich für mich eingenommen." Die Er-
kenntnis der eigenen Art ist ihm aus dem Dämmerlicht getreten.
Der edlen Frau, der er sich verwandt fühlt, weiht er den Inhalt
seiner Musik ; mag den jungen Künstler auch nur ein kokettes Lächeln
entlohnen, es kann ihm Quelle des Schaffens werden. Aber heilig ist
ihm die Tonkunst; die seinige soll das Parfüm des Salons atmen, ohne
von ihm betäubt zu werden, soll Anschluß an die Meister der Ver-
gangenheit suchen. So zeichnet sich ihm in klaren Umrissen das
Wesen seiner Kunst. Er sieht sich verstanden ; auch von den Deut-
schen, denen er als Pole stets etwas am Zeuge flickt. Seine Emp-
findlichkeit ist um so leichter gereizt, wenn in dem Lobeshymnus
ein Mißton erklingt. Er fehlt nicht. Aber zum erstenmal spricht
der Briefschreiber mit einer unaufhörlich sprudelnden Naivität, die
uns einen Ersatz für schriftstellerisches Können bietet, da Wien
ihn begeistert. Anders als in Berlin tritt er — und er berichtet es
stolz — in der geselligen, lebhaften Donaustadt den Musikern Gyro-
wetz, Franz Lachner, Konradin Kreutzer, Schuppanzigh, Seyfried,
Leopoldine Blahetka näher, fühlt sich als einer von ihnen. Der
würdige Schulmeister Czerny wird von dem genialen Antipoden,
der Leute solchen Schlages aus dem Sattel heben soll, trotz aller
Güte bekrittelt: „ein guter Mensch, sonst nichts." Der Freuden-
rausch, die Steigerung des Selbstgefühls dauert auch nach dem ruh-
27
renden Abschied von Wien an. Prag, wo er dem Slawentum mit
einem Mazurek seine Reverenz bezeigt, führt ihm auf einen Streich
den ansässigen Musiker Pixis und den berühmten Dresdner Kol-
legen Alexander August Kiengel zu. Der spielt ihm zwei Stunden
lang seine Fugen vor. „Er spielt hübsch, ich würde mir jedoch
einen besseren wünschen (darüber aber Stillschweigen !). Doch
immerhin : Eine schöne Bekanntschaft, ich schätze sie mehr als die
des armen Czerny (doch darüber Stillschweigen)." Es fehlt unter-
wegs nicht an angenehmen Zwischenfällen, die den Karikaturisten
reizen. Der Niederschlag aller Empfindungen wird Titus Wojcie-
chowski vorbehalten. Er bekennt ihm, daß nach Krakau (der Polen-
stadt) Wien ihn „betäubt, geblendet, betört", seine Sehnsucht nach
der Heimat, nach den Seinigen, nach dem Freunde zum: Schweigen
gebracht habe. Wirklich? Aber der lebensfrohe Chopin vergißt
den anderen, der eben in jenen Wiener Tagen in sein Tagebuch
folgendes geschrieben hatte:
„Heute war es schön im Prater, eine Menge von Leuten, die
mich nichts angehen. Das Grün bezauberte mich, der Frühlings-
duft und die Unschuld in der Natur weckten in mir Gefühle aus
meinen Kindheitstagen. Ein Gewitter war im Anzüge, ich kehrte
daher nach Hause zurück. Das Gewitter verzog sich, und mich
erfaßt jetzt Trauer. Warum ? Selbst die Musik erfreut mich heute
nicht; es ist schon so spät, und ich habe noch nicht das Bedürfnis
zu schlafen. Ich weiß nicht, was mir eigentlich fehlt, und ich habe
vor kurzem doch das dritte Jahrzehnt begonnen! Die Zeitungen
und Plakate kündigen schon mein in zwei Tagen stattfindendes Kon-
zert an, aber mich geht das so wenig wie möglich an. Ich beachte
die Komplimente nicht mehr, die mich immer fader dünken. Ich
sehne mich nach dem Tode und möchte meine Eltern noch einmal
wiedersehen. Konstanzes Bild steht mir vor Augen, ich glaubte
sie nicht mehr zu lieben, und doch umschwebt sie mich noch immer.
Alles, was ich bis jetzt von der Fremde kennen gelernt, dünkt mich
so kalt, so unerträglich und weckt nur Sehnsucht nach der Heimat,
nach all den herrlichen Augenblicken, die ich dort nicht zu schätzen
wußte. Was mir einstmals groß schien, kommt mir heute so all-
täglich vor, die Menschen hier sind nicht die meinigen, sie sind
wohl gut, aber gut aus Gewohnheit, tun alles so ordentlich, ach
28
gar zu ordentlich, flach, mittelmäßig, was mich vollends aus der
Fassung bringt. Nicht einmal riechen kann ich die Mittelmäßig-
keit. So traurig bin ich, kann mir keinen Rat scharfen!"
Wir haben Chopin bei einem Selbstgespräch belauscht. Es ist
so charakteristisch, enthüllt den Grund seines Wesens so klar, daß
nichts in ihm verschwiegen werden darf; nicht der Bedeutung des
Gedankenganges wegen, die ohne weiteres preiszugeben ist. Ja,
diese Gedanken müssen begrenzt sein, weil sie der Stimmung ent-
strömen, ihr die Logik entleihen. Und nicht etwa einer erhabenen
Stimmung, sondern einem nervösen Ermattungszustand der Puber-
täts jähre, dem sich Chopin nach weiblicher Art willenlos überläßt.
Die Reizbarkeit eines Polen, eines durch Zärtlichkeit Verwöhnten,
im besonderen Einzelfall gesteigert. Der Groll gegen eine Welt,
deren flaches Empfinden sein Feingefühl verletzt, glimmt im Künst-
ler unter der Maske der Höflichkeit, Liebenswürdigkeit, Fröhlichkeit
fort. Aber die Lyrik gleitet — selten genug — in das Wort. Ein
Frauenname taucht auf: Konstanze. Wie sie, die kaum Geschaute,
die vergessen Geglaubte, ihm den männlichen Entschluß zur Reise
nach Wien noch nicht durchkreuzt hat und ihn doch heimsucht,
so wird sie auch die Muse sein, die ihn auf seinem \{/eg ins
künstlerische Neuland geleitet.
29
ZWISCHENSPIEL
Wir wohnen nun einem ganz einzigen Schauspiel bei: Chopin
im Kampf zwischen Vernunft und Herz. Der Pole in ihm hängt
mit allen Fasern an der Scholle; das Genie, das für seine Kunst
aus der heimatlichen den Saft gesogen hat, fühlt sich von dem
brennenden Ehrgeiz nach musikalischem Weltbürgertum, von dem
Glauben an eine hohe Sendung getrieben; endlich kommt die erste
Liebe, durchdringt, verklärt sein Scharfen und läßt in dem Ringen-
den die Wagschale nach der Seite des Gefühls sinken: doch rafft
er sich auf und folgt dem inneren Dämon, der ihn zwingt, den
Weltruhm mit ewiger Entbehrung zu erkaufen. Wohl nirgends er-
scheint uns der gebrochene Wille des Musikers in so hellem Licht
wie in jenen Briefen, die er nun ganz selbstverständlich an den
Tatmenschen Titus Wojciechowski richtet, als an den einzigen, der
stark genug ist, in ihm die Entscheidung herbeizuführen. So meint
er wenigstens; denn das Zwingende ist in ihm, und nur die Billi-
gung bleibt auf der andern Seite nicht aus. Der Normalmensch
mit dem undurchkreuzten Willen, mit der gut bürgerlichen Welt-
kfugheit mag diese Ergüsse überlegen als kindlich belächeln; uns
andere aber reizt gerade der Mangel an Klugheit, dieses unverhüllte
Sichpreisgeben mit dem Gefühl, als ob wirklich noch immer nicht
alles gesagt sei. Der Schreiber setzt die Feder an, ohne sie je
in ihrem Lauf zu hemmen, bringt die Willenskraft nicht auf, Inhalt
und Form zu prüfen; er will nicht feilen, er will nicht Logiker
noch Künstler sein. Auch den holden Selbstbetrug vorgetäuschter
Wirklichkeitshemmungen verschleiert er nicht vor dem Freund; und
hier ersteigt romantische Freundschaft den Gipfel. Sie kann es auch ;
denn jene erste Liebe und sie befehden sich noch nicht; noch ruft
nicht unzweideutige Erotik den Mann herrisch zu sich, zwingt ihn
nicht mit den stärksten Waffen nieder. Hier wie dort, in der Freund-
schaft, in der Liebe, waltet Poesie, und sie deckt zart den Schleier
über die letzten Ursprünge des Gefühls. So kann es geschehen,
daß die Sprache der Liebe und die der Freundschaft von dem
gleichen Kapital zehren ; ja, der Vertraute wird begehrt, die Ge-
liebte nur verehrt; freilich mit einer Hingabe, die keine Hingabe
fordert; mit einer Sehnsucht, der Erfüllung kein Lohn wäre. Seines
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Freundes harrt er „mit rasiertem Schnurrbart", er muß sich „waschen
gehen", um seines Kusses würdig zu sein. Wer lächeln möchte,
liest nicht eben lange danach die stolzen Worte: „Ich habe eine
große Etüde nach meiner Art komponiert." Chopin blickt nach
den Fenstern von Titus' Wohnung, bewahrt seine Briefe stets an
seiner Brust; sehnt sich nach ihm stärker denn je. Aber die Sehn-
sucht erklärt sich leicht: die Stürme in seinem Herzen wollen auch
in Worten austoben ; ehe sie es gekönnt, sind sie Musik geworden.
Es ist Musik, die ihm die Pforten zum Weltruhm zu öffnen scheint;
er braucht jetzt, nur jetzt, wo der Dämon ihn quält, die Bestätigung
dieses seines Gefühls. Der Freund muß ihm sagen, ob die innere
Stimme nicht trügt. Über dem f-moll-Konzert schwebt als guter
Geist sein Ideal. Ihm dient er bereits seit einem halben Jahr treu,
ohne mit ihm zu sprechen ; von ihm träumt er, seinem Andenken
gilt das Adagio. „Schenke der mit + bezeichneten Stelle Deine
Aufmerksamkeit. Ausser Dir weiss niemand davon." Sein träu-
mendes Ich gewinnt mehr und mehr die Oberhand: „Wie oft, ach,
halte ich die Nacht für den Tag und den Tag für die Nacht; wie
oft lebe ich im Traum und schlafe am Tag, ja schlimmer noch,
als wenn ich schliefe, weil ich immer dasselbe fühle; — und an-
statt in dieser Betäubung etwa wie im Schlaf Erquickung zu finden,
quäle ich mich nur noch mehr und werde immer schwächer . . ."
Aber sein träumendes und sein schaffendes Ich sind innig verwandt
In diesen sturmbewegten Wochen und Monaten vermag seiner Ge-
danken Fülle selbst die große Form zu befruchten; die beiden Kon-
zerte werden geboren; seine Eigenart leuchtet auch in dem auf,
was später die Welt erschauern macht. Als einmal in den Pariser
letzten Leidensjahren die Erinnerung an diese Zeit erwacht, nennt
er sie eine glückliche Zeit. Und vergißt doch, daß er damals schrieb:
„Ich würde gern die meine Fröhlichkeit vergiftenden Gedanken ver-
scheuchen, fühle aber trotz alledem eine Wonne darin, mit ihnen
zu kosen ; ich weiss selbst nicht, was mir fehlt " Die Ruhe-
losigkeit des Schaffenden ist sein Glück- Auch in dem schwer-
mütigen Polen lebt der kindliche Optimismus, ohne den es keinen
Künstler gibt.
Von diesem Hintergrunde der Erregungen heben sich die we-
nigen, aber doch schwerwiegenden Ereignisse ab, die den Abschied
31
von der Heimat vorbereiten. Hinter den Kulissen ein Hinzögern
von Woche zu Woche, von Monat zu Monat; auf der Bühne neben
den Gleichgültigkeiten des Salonlebens künstlerische Erscheinungen,
die mehr sind als flüchtige Schatten; und endlich die Kraftprobe
dreier Konzerte, das ausdrucksvollste Lebewohl an Polen.
Fürst Radziwill hat ihn höflichst nach Berlin eingeladen: „de
belles paroles", sagt der Fremden gegenüber so vveltkluge Chopin.
Aber ein kurzer Aufenthalt in Antonin wird ihn gewiß anregen.
Der Herbst 1829 findet ihn dort, wo der Musiker-Gentleman dem
Gast den ihn überraschenden „Faust" zeigt, er und seine gütige
Gattin das junge Genie mit den feinen Manieren verhätscheln. Doch
nicht nur sie. Es erscheinen jene Nebensonnen, die sein „Ideal"
wohl verträgt: eine kleinere, die Prinzessin Wanda, der er mit
„wahrer Wonne" die Fingerchen stellt; eine größere, die Prinzessin
Elise, jenes ätherische Wesen, das in der Geschichte der Hohen-
zollern eine Rolle zu spielen begann und, sehr früh von jeder Erden-
schwere befreit, ein bedeutendes Blatt in Chopins Lebenserinnerungen
darstellt. Die f-moll-Polonäse, keine von den starken, wird ihr Lieb-
lingsstück, das er ihr täglich vorspielen muß. Titus besitzt das
Manuskript, höchste Eile tut not. Ein Mazur in Kaiisch : „unter
anderem war der Tanz des Jaxa Marcinkowski sehenswert, der in
dreckigen Stiefeln bis zur Erschöpfung sich drehte" . . . und er
ist wieder in Warschau. Hier bemüht sich seit einiger Zeit der
Pianist und Etüdenkomponist Joseph Kristoph Keßler, ein geborener
Augsburger, der Oberflächlichkeit durch musikalische Freitagabende
zu steuern. Man spielt Hummel, Ries, des Prinzen Louis Ferdi-
nand Quartett, ja auch Beethovens B-dur-Trio, und Chopin gesteht:
„Etwas ähnlich Großes habe ich noch nicht gehört, Beethoven ver-
spottet darin die ganze Welt". Hummel, der Klavier-Causeur par
excellence, kehrt auch sonst in den Warschauer musikalischen Unter-
haltungen wieder; Spohr mit seiner tiefergreifenden Romantik singt
sich in Chopins Herz hinein, und nur seine Finger wehren sich
gegen die Widerhaarigkeit des Klaviersatzes. Am 17. März 1830
tritt endlich der Vielbewunderte selbst auf. Sein Klavierkonzert in
f-moll, das ihn mit den großen Meistern im Wettbewerb zeigt, ist
die Hauptnummer des Programms; es bringt neben den üblichen
Zwischengerichten auch die Fantasie über polnische Volksweisen.
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Alan spart nicht mit Lob; aber auch die Heuchelei hat ihren Anteil
daran. Denn zum erstenmal muß unser Genie erfahren, daß zwischen
seiner Musik und der polnischen eine Scheidewand sich aufrichtet;
daß die seinige, im Kern polnisch, sich über die Scholle erhebt und
um so weniger verständlich ist, als ihr im Namen der Phantasie
das Weltbürgerrecht zuerkannt wird. Nur der Klangsinn vermag
zu urteilen; und er stellt fest, daß Chopins Klavierspiel nicht kräftig
genug sei. Im zweiten Konzert, wo er ein anderes Instrument
spielt, verschiebt sich der Eindruck nach dieser Seite ein wenig.
Doch das f-moll-Konzert, das er wiederholt, bleibt — außer dem
Adagio — nicht minder rätselhaft; der Rondeau Krakowiak schlägt
ein, auch eine Improvisation über polnische Volkslieder, die den Ab-
schluß bildet, gefällt; nur ihm selbst nicht, dem Dichter, den seine
Umgebung nicht hoch genug stimmte. Der Kassenerfolg übersteigt
alle Erwartung; ihn läßt er kalt. Sein Freund und Kollege Or-
lowski, ein echter Landsmann, reinigt die polnischen Themen von
allem Zubehör und macht aus ihnen Mazurken und Galoppaden.
Chopin lehnt sich vergeblich gegen die Zwangspopularität auf, wie
er auch nicht hindern kann, daß ihm in gebundener und ungebun-
dener' Form öffentlich gehuldigt wird. Nur sein Porträt verweigert
er, um ihm die enge Berührung mit Butter und Käse zu ersparen.
Warum sollten die Zeitungen klüger sein als das Publikum? Ihre
Artikel sind ein einziger Lobeshymnus, in dem auch die Entglei-
sungen nicht fehlen. Doch findet sich in einem die Behauptung:
wie die Deutschen auf Mozart, so würden dereinst die Polen auf
Chopin stolz sein. „Offenbarer Unsinn !", meint der also Gefeierte,
der, obwohl geschmeichelt, die Äußerungen der Lokalpresse nicht
für voll nimmt. Ein drittes Konzert steht in Sicht. Aber es soll auf
sich warten lassen; es soll der Ausklang sein. Indes packt ih«
das Fieber, die Reisepläne, in denen Italien mehr als einmal auf-
taucht, versinken wieder in Vergessenheit, in Unentschlossenheit;
doch diesmal rechtfertigt sie sich mit der Unruhe des Schaffenden :
sein neues e-moll-Konzert läßt ihn nicht los, es muß ihn ganz be-
friedigen, wie es ihn erfüllt; in allen Teilen vollendet sein. Da-
hinter steht die Lichtgestalt seiner Konstanze. Ist sie nicht sein
„Ideal", so nennt er sie einfach Fräulein Gladkowska. Eine Zwei-
teilung der Persönlichkeit tritt ein: das „Ideal" schwebt in seinem
33
Traumland, wird kaum körperlich, wenn es ihm einen Blick, ein
Bändchen schenkt; doch die Sängerin Konstanze Gladkowska, die
zum Menschen und Musiker spricht, unterliegt auch dem Urteil.
Die Welt fordert die fromme Lüge: zu seiner Gymnasiastenliebe
Alexandra de Moriolles bekennt er sich offen, um auch den be-
obachtenden und neckenden Eltern sein „Ideal" nicht preiszugeben.
Die Warschauer Landtagssession ist Vorwand zu Festlichkeiten. Aus-
ländisches Virtuosentum läßt sich hören. Aber auch die Damen
Gladkowska und Wolkow, beide Konservatoristinnen, werden die
weltbedeutenden Bretter zieren. Neuer Grund zur Unruhe; neuer
Anlaß, die Solivaschülerinnen auf ihre Fähigkeiten zu prüfen, zu-
mal eine Königin des Gesanges, Henriette Sontag, ihr Kommen
angekündigt hat.
Die Sontag wird ihm eine Nebensonne. Die Frau und ihre
Kunst fließen ihm zusammen. Paganinis Verzierungen, gibt er zu,
wirken gewaltiger. Die Art der Sontag ist geringer. Aber man
höre den ritterlichen, künstlerisch tieferregten Kritiker: „Man hat
die Empfindung, als hauchte sie in das Parterre den Duft von
frischen Blumen und liebkoste mit der Wonne ihrer Stimme." Ly-
rische Dichtung! Gemach, auch sie wird sich in Schaffen umsetzen.
Kein Glied in der Perlenkette ihrer Koloraturen entgeht ihm. Und
er wird nicht müde, seinen Titus zu locken, sie ihm zu schildern.
Sie darf es wagen, seinem „Ideal" — nein, der Sängerin Konstanze
Gladkowska Ratschläge zu erteilen, ihr ihren Beistand anzubieten.
„Das ist eine Koketterie solchen Grades, daß sie schon völlig in
Natürlichkeit übergeht ... im Morgenneglige ist Fräulein Sontag
millionenmal hübscher und angenehmer als im Galakleid des Abends."
In dieses Chaos von Empfindungen und auch in den Briefwechsel
reißt ein Landaufenthalt in Poturzyn bei Titus Wojciechowski eine
Lücke. Eine Sehnsucht ist gestillt; der andern zu leben, ist hier
der Ort. Chopin, der kein Freilichtmusiker ist, findet in der Land-
schaft an sich nichts, was an sein Inneres anknüpft. Aber starke
Erregung weiß Gegenstände zu beleben; seine Grundstimmung über-
trägt sich auf sie. Die Trauerweide unter den Fenstern will ihm
nicht aus dem Sinn. Zu jener romantischen Arbaleta, mit der ihn
Titus neckt, kehrt die Erinnerung sehnsüchtig zurück. Man darf
annehmen, daß der Tatmensch dem Dichter das Rückgrat zu stärken
Weissmann, Chopin 3
34
versucht hat. Umsonst. Da sind die Damen Gladkowska und Wol-
kow, deren Bühnenleistungen kritisch liebevoll verfolgt werden ; da
ist sein e-moll-Konzert, das nun alle Etappen bis zur Aufführung
zu durchlaufen hat. Da ist das stärkste, das erschreckendste Argu-
ment: „Ich bilde mir ein, daß ich Warschau verlasse, um nie wieder
heimzukehren." Und endlich wieder das Empfindungschaos, das
sich aus Frohsinn und Schwermut zusammenballt und jede Samm-
lung verhindert. Das Salonleben mit seinen Nachtwachen, vor denen
Titus ihn einsichtig warnt, steigert die Unfähigkeit, sich zusammenzu-
raffen. Nun, da die Ausflüchte dem Freunde die Zornesröte ins
Gesicht treiben, findet sich als willkommener Anlaß zum Aufschub
der Abreise der Zustand allgemeiner Unruhe in Europa, in dem
die Julirevolution nachzittert: Pässe sind allerhöchstens nach Öster-
reich und Preußen zu beschaffen. So, das Gewissen wäre wieder
einmal beruhigt. Das Abschiedskonzert rückt heran. Es amüsiert
ihn, eifersüchtige Duodezmusiker zur Orchesterprobe seines e-moli-
Konzerts zusammenzuladen, obwohl ihm ihr Urteil, ausgenommen
das Eisners, gleichgültig ist.
Am 11. Oktober 1830 — der Reisekoffer ist gekauft, die Aus-
stattung fertig, er will alle seine „Schätze" zurücklassen, will ziehen
trotz allen Tränen und Lamentos — steht Chopin zum letztenmal
vor dem > Warschauer Publikum. Die Damen Wolkow und Glad-
kowska erweisen sich ihm so gefällig, durch ihren Gesang die un-
glücklichen Klarinetten- und Fagottsoli überflüssig zu machen. Soliva
hat mit der Partitur des e-moll-Konzerts seine liebe Not gehabt
Es geht alles ausgezeichnet. Die Abschiedsstimmung stärkt den
Musikverstand so, daß nicht nur die Phantasie über polnische The-
men zündet, sondern auch das Konzertstück den Wall des Miß-
verstehens zu durchbrechen scheint. Und man bedenke, wie die Nähe
der beiden eben erblühenden Schönheiten, die Mitwirkung der weiß-
gekleideten, mit Rosen im Haar geschmückten Gladkowska ihn trug,
ihn beseligte! „Diesmal habe ich mich selbst, das Orchester hat
sich, und das Parterre uns verstanden." Selbst die wohleinstudierte
Verbeugung gelingt; diese Paganiniskrupel schweigen.
Abschiedsstimmung. Ob er im letzten Augenblick ans Nimmer-
wiedersehen dachte? Seine Schwermut ist vergeßlich. Die Zukunft
erscheint ihm heiter und rosig. Ringe sind getauscht worden. Aber
35
auch die Frist von acht Tagen, die er sich gesetzt, verstreicht
ohne daß er sich vom Platz rührt. Am 1. November 1830 erst
verläßt er Warschau. Es geschieht mit einer Feierlichkeit, die Hoch-
achtung, Liebe und Wehmut in sichtbare Zeichen zusammenfaßt.
Eisner und die Lieben geben ihm bis Wola kurz hinter Warschau
das Geleit. Dort huldigen ihm die Konservatoriumsschüler mit einer
Elsnerschen Kantate. Ein Abschiedsmahl ist ihnen allen bereitet.
Ein Pokal mit polnischer Erde, die Mahnung, des Vaterlandes nicht
zu vergessen, werden Chopin mit auf den Weg gegeben. Der
Wagen entzieht ihn den Tränen, den Umarmungen, den Blicken.
In Kaiisch trifft er Titus: der Mann der Tat führt den Dichter in
die Welt hinaus.
1*
REVOLUTIONEN
Er geht zunächst nach Wien. War es nicht dort, wo er den
ersten Virtuosentraum träumte? Wo man ihn verhimmelt, gehät-
schelt hatte und seiner harrte? Die Reiseunterbrechungen werden
gern in den Kauf genommen. Einflußreiche Bekanntschaften Re-
vue passieren zu lassen, sich in seinem jungen Ruhm zu sonnen, ist
ehrenvoll und kann Gewinn bringen. Gern stellt er dem Lustspiel
des Lebens das Spiel auf der Bühne gegenüber. In Breslau eilt
er unverzüglich in die Oper; macht dem alten Kapellmeister
Schnabel, Eisners * Freund, dem Organisten Adolf Friedrich Hesse
seine Aufwartung, läßt sich feiern und belächelt die musikalische
Harmlosigkeit der Leute. In Dresden kann er so herablassend nicht
mehr sein: zwischen der „Stummen" im Theater und einer Schülerin
Kiengels hat er zu wählen. Seine Ritterlichkeit führt ihn selbst-
verständlich in das Haus dieser ihm von früher her nicht unbekannten
Dame. Dort „flimmerten ihm die Stricknadeln vor den Augen" ;
Glatzen und Brillen erregen seine Lachlust, und eine italienische
Primadonna singt „nicht übel". Der Hofkapellmeister Morlacchi
läßt ihn die eigene Vesperkomposition und Kastratengesang ge-
nießen; die Oper und die Kirchenmusik finden seinen Beifall nicht.
Außer den polnischen Landsleuten, dem Geiger Rolla entgeht nur
Kiengel der Schärfe seiner Kritik; der berühmte Kollege hört ihn
seine Konzerte spielen und bittet sich ihre Partituren aus. Er wird
durch die seltene Art seines Anschlags an das Spiel Fields er-
innert; Chopins Virtuosentum überrascht ihn so, daß er alle Hebel
in Bewegung setzt, um Dresden den Genuß seiner Kunst zu ver-
schaffen. Der Versuch mißlingt. „Außer der Gemäldegalerie habe
ich mir in Dresden nichts zum zweiten Male angesehen; das ,Grüne
Gewölbe* braucht man sich nicht mehr als einmal anzusehen." Kein
Wort davon, ob die Sixtinische Madonna in ihm anklingt; ein höchst
beredtes Schweigen und doch ein höchst merkwürdiges, wo ein
Geist dem andern sich zu nähern scheint. Der Karikaturist ist viel
redseliger.
In Wien trifft er Ende November ein. Erstes Stimmungsbild:
„Meinem Hofarzt Jan Matuszynski, Ritter des Jaceck-Ordens mit
den Klössen 1. Klasse, in seinem Palais, wenn er zu Euch kommt"
37
So ulkt am 22. November der Übermütige schon auf der Adresse.
„Aeskulap, falls Du keinen Brief an mich geschrieben, so sollen
Dich Teufel holen, soll der Blitz in Radom einschlagen, soll Dir der
Kopf an der Kappe reissen . . . Ach, Du Schinder! Warst wohl
im Theater? Hast wohl lorgnettiert, mit anderen karessiert! Mit
den Augen geblitzt . . . ! War dem so, dann fahre ein Blitz in Dich
drein, dann bist Du meiner Anhänglichkeit nicht wert." Hier ist
mehr als ein Gran Sehnsucht; ein Eifersüchte In und doch ein Über-
sprudeln der Laune; Tirus ist bei ihm, „neunzig Grad Reaumur
herrschen im Innern", der Ruhm winkt, und das „Hundstagsfieber"
allgemeiner Verliebtheit bedroht ihn angesichts der vielen hübschen
Mädchen. Dieser Ton hält an ; gern läßt er sich raten, nicht ohne
Honorar zu spielen, wie er dem vorsichtigen Verleger Haslinger
mit dem Motto „bezahl, Bestie!" gegenübertritt. Allein weder die
Wiener Unternehmer noch Haslinger kümmern sich um seine hinter-
hältige Tatkraft ; er lernt das Strohfeuer Wiener Begeisterung kennen.
Während die Konzertchancen erwogen werden, sein Selbstgefühl
einen Angriff erdulden muß, eine geschwollene Nase seiner Eitel-
keit ein Schnippchen schlägt, tritt der Salonmensch Chopin in seine
Rechte. Es ist ein ruheloses Leben, das er nun führt. Aber zwischen
den Polen, die seine Sehnsucht mildern; den Musikern, unter denen
der Geiger Slavik, ein zweiter Paganini, und der Cellist Merk ihm
ebenbürtig scheinen ; den Mäcenen, unter denen ihm der Beethoven-
freund Dr. Malfatti am nächsten steht, enteilen ihm die Wochen. Er
haust aus Sparsamkeitsrücksichten im vierten Stock auf dem Kohl-
markt, läßt sich im Schlafrock von dem jungen Hummel zeichnen,
empfängt die Besucher, arbeitet wenig, blickt auf den schönsten
Spazierweg hinab, darf sich der nächsten Nachbarschaft der be-
kanntesten Verleger rühmen, plant Duette, besucht das Theater, hält
Zwiesprache mit seinem Graffschen Klavier und schreibt Mazureks.
Er sieht mit Bedauern, daß es mit dem Wiener Ernst nicht eben
weit her ist, daß Lanner und Strauß und ihre Walzer alles rings-
herum beschatten. Der Rückschlag bleibt nicht aus. Und er kommt
um so sicherer, als der Warschauer Aufstand vom 29. November
ihm seinen Freund Titus entführt hat. Der ist ohne ein Wort ge-
gangen. Der Mann der Tat hat seiner Pflicht genügt und will sich
nun nicht nutzlos mit dem Dichter belasten. Chopin eilt ihm nach,
38
muß aber bald umkehren, da er ihn nicht mehr erreichen kann. Den
Eltern verschweigt er die Herzensnot. Die Sehnsucht spricht sich
aus, aber auch der Witz versucht sich zu behaupten. So in der
Schilderung eines Mazurs: „Slavik lag bald wie ein Hammel auf
dem Fussboden, und irgend eine deutsche Komtessa mit grosser Nase
und löcheriger Physiognomie stelzte, indem sie (wie dies einstens
Mode gewesen) mit zwei Fingerchen graziös das Kleidchen hielt
und den Kopf steif zum Tänzer wendete, so dass die Halsknochen,
wo nur einer konnte, hervorkrochen, mit ihren längen und mageren
Beinen irgend einen merkwürdigen Watzer-pas. Sie ist jedoch eine
ehrbare Person, würdig, gelehrt, plappert viel und besitzt usage
de monde." Das hat gewiß mehr als episodenhaften Reiz und kann
dem Biographen nicht entgehen. Doch lassen wir uns nicht täuschen.
Die Eltern sollen nicht unruhig werden, sollen annehmen, daß Ge-
sundheit und Laune vorzüglich sind. In diesen revolutionären Zeiten
ist der Trieb, sich dem Freund mitzuteilen, sich bei ihm auszuweinen,
den Zwang abzuschütteln, noch stark; und die Briefe bedeuten dann
für ein Leben, dessen Schwerpunkt im Seelischen liegt, die sicherste
Quelle. Nicht lange mehr, und sie versiegt. Ganz merkwürdig fügt
es sich, daß zu jeder Zeit der rechte Beichtvater dasteht. Als es
galt, sich loszureißen, sich zusammenzuraffen, aufs hohe Meer hin-
auszusegeln, war es Titus. Nun, da die Brücken abgebrochen sind,
die Sehnsucht nach Konstanze ihn peinigt, die er leichtsinnig um der
hohen, nun plötzlich zweifelhaften Sendung hinter sich gelassen,
ist es Jas — Jan Matuszynski. Jenen fürchtete er als seinen Tyrannen ;
liebte ihn als seinen Tatkraftspender. Diesem fühlt er sich an
Schwäche, an Weichheit verwandt. „Wir sind beide aus dem näm-
lichen Ton, und Du weisst, wie oft ich schon auseinander gegangen
bin. . . . Ach, aus meinem Ton kann doch bestenfalls nur ein Häus-
chen für ein Kätzchen gemacht werden." Ihm also gibt er sich rest-
los. Und nun muß man sehen, was das Empfindungschaos im
schlimmsten Fall gebiert. Weihnachten 1830. Er sitzt mutterseelen-
allein im Schlafrock, nagt an dem Ring und schreibt. Schreibt ruck-
weise, in Zwischenräumen von mehreren Tagen; wird sich des Stim-
mungswechsels bewußt, streicht aber nichts, nimmt nichts zurück.
Der Romantiker hängt nicht nur an lieben Menschen und Dingen,
er hängt auch an den Worten, an den Improvisationen der Laune
39
und der Sehnsucht. Spiegelbild des Inneren sind sie alle. Hören
wir: „Alle Diners, Abende, Konzerte, Tanzunterhaltungen, deren ich
bis über die Ohren habe, langweilen mich : so wehmütig, dumpf und
trübe ist's mir hier. Ich liebe dies, doch nicht in so grausamer
Weise." Konstanze erscheint ihm : „Beruhige sie, sage ihr, dass,
solange meine Kräfte hinreichen, dass ich bis zum Tode . . . dass
ich nach meinem Tode meine Asche unter ihre Füsse streuen werde.
Doch das ist noch zu wenig, was Du ihr sagen könntest, ich will
selber schreiben." Schreiben oder nicht schreiben? ist nun die Frage.
Eine Polin in Wien, Constanze Bayer, deren Noten, Taschentücher,
Servietten den teuren Namen tragen, wird ihm Anlaß zum Kultus
der Abwesenden. Mitternachtsstimmung im Stephansdom, im Aus-
druck nicht leicht von einem Musiker erreicht: „Es herrschte Stille,
nur das Schreiten des die Lampen anzündenden Küsters störte meine
Lethargie . . . Hinter mir Gräber, unter mir Gräber, nur — über
mir kein Grab . . . Eine düstere Harmonie erklang in meinem
Inneren — ich fühlte mehr denn je mein Verwaistsein und sog mich
in diesen erhabenen Anblick, bis Licht und Menschen sich zu häufen
begannen." Der Tag verscheucht mit eins die religiösen Schauer.
Der Salon ruft. Die frohe Laune bricht durch. Die Sängerin
Sabine Heinefetter wird mustergültig beurteilt; Alois Schmitt mit
gleichgültigen Worten abgetan. Für Sigismund Thalberg spitzt er
die Feder: „Denn Thalberg zum Beispiel spielt wohl tüchtig, ist aber
nicht mein Mann. Er ist jünger als ich, gefällt den Damen sehr,
macht aus der „Stummen von Portici" ein Potpourri, gibt das Piano
mit dem Pedal, nicht mit der Hand wieder, nimmt Decimen, wie ich
Octaven, trägt Brillanthemdenknöpfe und — Moscheies imponiert
ihm nicht. Kern Wunder daher, daß ihm nur das Tutti meines Kon-
zerts gefallen hat, er schreibt nämlich auch Konzerte." Drei Tage
später haben die Wiener ihre Polenfeindschaft zu büßen. Schluß . .
Doch nein! „Ich kann mich noch immer nicht von meinem Jas los-
reissen. Const . . . (ich vermag selbst den Namen nicht hinzu-
schreiben, meine Hand ist dessen unwürdig). Ach, ich raufe mir die
Haare aus bei dem Gedanken, dass sie meiner vielleicht hat vergessen
können." Auch jetzt noch wird der Schluß aufgeschoben, und das
Schreiben wäre durch eine ganz lustige Schilderung seines süßen,
durch leibliche Genüsse gewürzten Wiener Nichtstuns gekrönt, aber:
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„Falls es nicht durchaus notwendig1 ist, so übergib ihr das Billett
nicht. Ich weiss nicht, was ich dort geschrieben habe. Du darfst es
lesen. Es ist vielleicht das erste und letzte." So endet ein Briefy
der in seinem Stimmungsmosaik einzig ist.
Wien, das den Polen nicht hold war; Chopin, den die Wiener
Luft betäubt hatte; beides brachte zuwege, daß seine Konzertchancen
immer mehr sanken. Er sucht nach Gründen vor den Eltern, deren
Kasse stark mitempfindet; vor Elsuer, der als Komponist auch auf
die Vermittelung Chopins rechnet. Polnische Musik wird in Wien
ohne sein Zutun von Unberufenen angekündigt, verunstaltet, ent-
weiht; und die Galle steigt ihm auf. Wäre nicht Freund Mal-
fatti, der sein behagliches Landhaus einer halben Öffentlichkeit er-
schließt, es wäre ein noch traurigerer Abschied von Wien. „Eine
gewaltige Anzahl von fremden Zuhörern lauschte auf der Terrasse
diesem Konzerte. Der Mond schien wundervoll, die Springbrunnen
schlugen hoch empor, der herrliche Duft der hinausgestellten Oran-
gerie erfüllte die Atmosphäre, mit einem Wort: eine bezaubernde
Nacht, die herrlichste Umgebung." Man sieht: hier mischen sich
die Reize des Frühlings denen der Tonkunst, und sie lockt auch die
Sybariten. Es war ein gewählter Kreis, der Malfattis Namenstag
mit ihm beging; es waren gewählte Künstler, in deren Reihe Chopin
stand. In Bibliotheken wird unser bedrücktes Genie durch die An-
wesenheit Chopinscher Autographen überrascht; eine neue Hans-
wurstiade — er kopiert Wiener Generale so, daß es zwerchfell-
erschütternd wirkt — bringt den Mimiker zu Ehren ; der Lebens-
durst erwacht stets wieder, aber auch der Trübsinn meldet sich
selbst den Eltern gegenüber. Die Paßfrage, die dem Weltfremden
doppelt peinlich wird, ist erledigt; London ist angebliches Reiseziel,
Paris das wirkliche. Noch lächelt Chopin die Möglichkeit einer
Rückkehr in die Heimat; sein Gefühl sträubt sich gegen Malfattis
Überzeugung, der Künstler sei Kosmopolit.
Der junge Musiker, dessen Männlichkeit durch einseitige Fa-
vorits nach außen hin gehoben wird — auf der linken, dem Publikum
abgewandten Seite, sagt er, seien sie überflüssig — gelangt Ende
Juli 1831 durch die Fährnisse der Cholera hindurch nach München.
Der Aufenthalt ist flüchtig, aber fruchtbar. Gerade die Planlosig-
keit begünstigt ihn; Chopin spielt sein e-moll-Konzert, und der Bei-
41
fall der Urteilsfähigen belohnt ihn. In Stuttgart erreicht ihn die
Kunde von der Einnahme Warschaus durch die Russen. Es ist der
grausamste Schlag, den das Schicksal gegen ihn führen kann. Polen-
tum und Weltbürgertum kämpfen in dem Einsamen; wir wissen, wie
die Entscheidung fällt. Aber wir ahnen nicht, wie es ihn niederwirft.
Gehäufte Interjektionen, wie er sie nach Ausbruch der Revolution
in fieberhafter Erregung durch seinen Jas den Aufständischen zu-
schreien läßt, bereiten den letzten Ausbruch vor; einer nächtlichen
Beratung in Wien vor Titus' Abreise hat er selbst beigewohnt. Jenes
Stammeln schon zeigte die Wut eines Ohnmächtigen, Entschluß-
unfähigen. Ihn vom Schauplatz zu entfernen, war Pflicht der Selbst-
erhaltung. Aber ohnmächtige Wut kann sich noch bis zur Denk-
unfähigkeit steigern; es ist das wilde Sichaufraffen eines Menschen,
der im Bann der Stimmung lebt Das Schwarzseherische, sonst
durch das Auf und Ab des Lebens, durch kindlichen Übermut ge-
händigt, zeugt im krampfhaften Anfall die fixe Idee. Sein Tagebuch
läßt uns die Nachtseite dieser Natur schauen: „Die Grossstadt zer-
stört, verbrannt, Jas und Wiluss gewiss auf den Wällen gefallen!
Marcell in Gefangenschaft! Sowinski, diese treue Seele, in den
Händen jener Schufte! Paszkiewicz, der Hund von Mohilew, nimmt
die teure Stadt ein! Moskau befiehlt der Welt! O Gott, bist Du da?
Bist da — und rächst Dich nicht! Bist Du der moskowitischen
Verbrechen noch nicht satt? Oder — oder — bist Du am Ende
gar selbst — ein Moskowiter? !" — Dann irrt die Einbildungskraft
vom Vater, von der Mutter, die Hunger leiden, von der toten
Schwester Emilie, deren Grab er geschändet sieht, zu den Lebenden,
zu Konstanze, die Opfer der entmenschten moskowitischen Soldateska
geworden sind. Sie irrt und irrt. Und wenn die Ohnmacht, die
Spannung am höchsten, setzt das Schaffen ein. In die Lücken des
Denkens tritt die stärkste Reizsamkeit. Das Genie schreit, ächzt
zwei Präludien (op. 28, Nr. 2 und 24) und eine Etüde (op. 10 Nr. 12),
Stimmungsbilder von unerhörter Ausdruckskraft, in die Welt hinaus.
Er hat dem Vaterland den Tribut gezahlt. Polentum und Welt-
bürgertum schließen Frieden. Also gewappnet, seiner Sendung be-
wußt, im Kern fertig, mit Meisterwerken und Entwürfen beladen,
betritt Chopin Paris.
SALON UND KONZERT
Paris 1831! Wir sind in der Hauptstadt der Welt. Wir sind
da, wo alle Fäden zusammenlaufen. Niemals, nirgends mehr wird
Zivilisation in bengalischer Beleuchtung erscheinen wie hier; niemals
wird es einen Rausch geben wie in jenen Tagen nach dem Juliauf-
ruhr. Während ein Regime dem andern gefolgt ist, träumt man von
Napoleon, von der Revolution ; Republikaner, Karlisten, Philippisten,
Saint-Simonisten leben nebeneinander; man geniert sich nicht, man
verspottet den König Louis Philippe, der hinter seinen bürgerlichen
Allüren ein allzu königliches Herz verbirgt. „Freiheit" ist noch immer
das Losungswort; niemand weiß, was es gebären wird. Wird Frank-
reich, das an Glanz und Pracht gewöhnte Frankreich, jemals wieder
republikanisch werden können? General Ramorino, unehelicher Sohn
des Marschalls Lannes, der in Warschau für die Polen mitgefochten
hat, dem die Deutschen überall gehuldigt, die Franzosen die Pferde
ausgespannt haben, zieht in Paris ein. Er muß sich vor dem En-
thusiasmus des Volkes flüchten ; eine Menge von jungen Leuten
und der gesamte Pöbel geleitet ihn mit der Trikolore. Die Polizei
tritt in Tätigkeit; die Läden werden geschlossen; in Pfeifen, Johlen,
dem Absingen der Marseillaise kündet sich die Unzufriedenheit der
drohenden Volksmasse.
Aber diese gärenden Leidenschaften, diese vulkanischen Er-
regungen, der Lärm, der auch an sonst ruhigen Tagen auf den Boule-
vards tobte, schaffen eine Atmosphäre, in der geistige Strömungen
durcheinanderwirbeln. Auch die Grundlagen der Kunst sind er-
schüttert; die Romantik, in Deutschland eine zarte, blaue Blume,
nimmt hier glühende Farbe an; die Fesseln der Form werden ab-
geworfen. Delacroix wird Wortführer der neuen Schule in der Male-
rei, Victor Hugo verkündet neue Ideale in der Dichtung, und Ber-
lioz geht der Tonkunst mit der Fackel voran. Die alten Götter werden
abgesetzt; Auber und Rossini beherrschen die Oper. Das Geld zir-
kuliert nicht; aber die Welt des Scheines ist mächtiger denn je. Man
opfert das Gold für das Gold der Kehle; was an ersten Primadonnen
und Tenören lebt, will hier mittun, will von der großen Welt be-
jubelt werden, den Glanz genießen und mehren. Die Malibran, die
Pasta, die Schröder-Devrient, Nourrit, Rubini, Lablache entzünden
43
sich am Wettstreit. In der italienischen, in der Großen Oper, in der
Opera comique lebt künstlerischer Schaffensdrang im Dienst des
Genusses. Und die großen Instrumentalvirtuosen Herz, Liszt, Kalk-
brenner, Baillot, Beriot neben den vielen andern, die in Paris wenig-
stens zeitweise von der Sonne des Erfolges bestrahlt werden möch-
ten, lassen ihre Künste spielen, berauschen sich an dem koketten
Lächeln schöner Frauen. Aber es sind nicht nur Scheinwerte, die
hier gelten. Ein Habeneck wird der Apostel Beethovens; ein, zwei,
drei Orchester mühen sich dem Streben der Neuzeit den Kollektiv-
ausdruck zu leihen. Die Salons ein Abbild dieser fiebrigen Buntheit;
sie schöpfen von allem, was in der Kunst bemerkt wird, den Rahm
ab; das Flüstern genußfroher Lippen, das Rauschen duftiger Ge-
wänder, die Entfaltung aller gesellschaftlichen Talente geben jene
Suggestion, von der gerade die phantastischste aller Künste, die
Musik, am meisten sich nährt.
Hier also soll Chopin heimisch werden. Das Bild verwirrt ihn.
Der Anblick eines zerlumpten, erregten Pöbels stößt ihn, den Fein-
fühligen, ab, obwohl ihm die Motive, die Sympathien für Polen,
natürlich schmeicheln. Er, der den revolutionären Geist jüngst in
sich aufkochen sah, muß sich doch gestehen, daß ihm der Zweck
die Mittel nicht heiligt. Auch der Prunk, der Glanz, das Parfüm
betäuben ihn wohl. Aber den Geist, der das Halbdunkel liebt,
blendet die Fülie des Lichts. Wird für den echten Dichter in Paris,
wo Scheinwerte noch immer stärker wirken als Werte, Raum sein?
Es gibt Stimmungen des Salons, die ihn reizen ; kokettes Flüstern
lockender Frauen kann auch seiner Kunst ein würdiger Rahmen
sein. Doch wo findet er die Ellenbogenkraft, um jenes: öte-toi que
je m'y mette aussprechen zu können, das allein den Erfolg verbürgt?
„Ich bin, was meine Gefühle betrifft, den anderen gegenüber stets
in Synkopen", sagt er geist- und selbsterkenntnisreich von sich. Wird
eine Natur, die sich in der Verschleierung des Innern wohlfühlt,
in diesem ruhmredigen, rückhaltlosen Paris nicht tausendmal in ihrer
Empfindlichkeit verletzt werden?
So steht der Dichter inmitten des Wirbels der Lichtstadt. Er
muß sich freilich sagen, daß er so ganz einsam nicht ist. Wahl-
verwandtschaft hatte polnische Emigranten, und zwar auch blau-
bKitige, in Paris ein schirmendes Dach suchen und finden lassen.
44
Das Hotel Lambert, in dem der gütige Fürst Adam Czartoryski
residiert, vereinigt die besten unter ihnen. Eine Empfehlung ebnet
ihm den Weg zu den alteingesessenen Musikern ; zu ihrem Haupte
Cherubini. Unser Chopin spricht von ihnen sehr bald mit der Re-
spektlosigkeit, die dem Pariser Klima angemessen, die im letzten
Grund Folge seines künstlerischen Selbstgefühls ist. Mit dem Heiß-
hunger eines Menschen, der in Warschau, Berlin, Wien immer noch
einen Rest von Provinz empfunden hatte, stürmt er in die Oper.
Seinen Hang zur reinen, zur italienischen Melodie muß er um jeden
Preis — und er zahlt wirklich 24 Franken — befriedigt sehen. Es
ist nicht eitel Genußsucht, die ihn dahin treibt. Diese Melodie, mit
dem höchsten Maß von Ausdruck gesungen, faßt irgendwo in seiner
Seele Wurzel, 'mischt sich dem Nationalen und geht, an Gehalt
und Form bereichert, neugeboren aus seinem Geist wieder hervor;
die Koloraturen, die andern ausdrucksloses Getändel sind, befruchten
in ihrem Steigen und Fallen die Phantasie, die ihnen neues Leben
schenken wird. Wie, wenn er selbst Schöpfer einer Oper würde?
Einer nationalen Oper? Der Gedanke wird erwogen, aber in künst-
lerischer Selbsterkenntnis wieder zurückgestellt. Wir erhalten stau-
nenswerte Beweise einer Selbstkritik des Genies, das seinen Schaffens-
kreis, unbeirrt von fremden Einmischungen, bestimmt abgrenzt. Man
höre: der Pianist sucht ganz natürlich zunächst die Gesellschaft der
Pianisten. Sein Können an dem der berühmtesten zu messen, sein
höchst persönliches Klavierspiel in die pianistische Kultur einzu-
reihen, ist sein begreiflicher Ehrgeiz. Aber nicht Liszt, nicht Herz,
nicht Hiller erschüttern sein Selbstvertrauen, sondern Friedrich Kalk-
brenner, den seine Kollegen wegen seines pfauenhaften Sichspreizens
verhöhnen, und den ein Witzling einen in den Dreck gefallenen
Bonbon nennt. Er ist der vollkommenste Mechanismus, ganz Ruhe,
ganz Klangschönheit, unabhängig von Stimmung und Hemmnissen.
Er schlägt Chopin, der kein vollkommener Mechanismus, aber ein
Meister der Stimmung ist, einen dreijährigen Unterricht vor. Die
Muse lächelt ironisch ob dieses Mißverständnisses. Und die Freunde
sind entrüstet. Erregter Briefwechsel zwischen Vater, Schwester
Luise, die sich von Eisner beraten lassen, und Friedrich. Eisner sieht
hier eine Taktik des Virtuosenneides ; befürchtet, man werde das
Genie in Frankreich zu fesseln suchen; Chopins Leistungen auf dem
45
Gebiet der Klaviermusik seien nur ein erster Schritt auf dem Weg
zum Weltruhm; die nationale Oper erwarte von ihm Taten; sein
Platz sei zwischen Mozart und Rossini. Ruhig, aber bestimmt ant-
wortet Friedrich: er wolle keine Kopie Kalkbrenners werden, er
könne es gar nicht, da er entschlossen sei, sich eine neue Welt zu
schaffen. Aber schon die Klugheit gebiete ihm, zunächst seinen Weg
als Pianist zu suchen; so werde er am besten dem eigenen Schaffen
dienen. Das Beispiel Meyerbeers, dem eben mit „Robert der Teu-
fel" der große Wurf gelungen sei, lehre, daß man sich zum Bühnen-
erfolg langsam emportasten müsse. Auch von anderer Seite, vom
polnischen Dichter Witwicki, dessen Texte er in diesen letzten Jahren
komponiert hat, wird er in den Tagen der Unterdrückung des Polen-
tums auf die polnische Nationaloper hingewiesen. Umsonst. Er ist
zur Klarheit über sich vorgedrungen. Und schließlich fällt der ganze
Kalkbrennersche Vorschlag, nachdem Chopin einen Blick in die Schule
des vollkommenen Mechanismus getan hat. Es ist ein Triumph der
Freunde. Oder vielmehr jener, die sein Herz zu besitzen glauben.
Felix Mendelssohn, Franz Liszt, Ferdinand Hiller, Osborne, ein jeder
6ucht etwas von ihm zu erhaschen ; der Kern dieses so unsagbar an-
ziehenden Menschen, der so kindlich ausgelassen, so fröhlich sein
kann, entschlüpft ihnen immer wieder. Dem Cellisten Auguste
Franchomme glückfs ein wenig besser, doch nicht ganz. Noch
berichtet er seinem Titus über diese Pariser Eindrücke; noch er-
zählt er von einem Abenteuer, dem er ausgewichen ist; noch klagt
er über seine elende Gesundheit; bittet um ein Lebenszeichen, da
ihm jemand fehle, mit dem er seufzen könne; er quäle sich, weil
sein Zärtlichkeitsbedürfnis unbefriedigt sei. Was ihn aber am hef-
tigsten quälen müßte, die Verheiratung seiner angebeteten Konstanze
mit einem simplen Kaufmann Grabowski, läßt ihn nur die Worte
niederschreiben: „Das bildet kein Hindernis für platonische Neigun-
gen." Die Muse hat ihre Sendung erfüllt; die Zweiteilung tritt
wieder ein; das Ideal schwebt, verschwimmt im Hintergrund; der
Mensch Konstanze ist gut bürgerlich geworden. Dann wird Chopin
für uns so gut wie stumm. Er taucht in dem Pariser Strudel unter,
ohne zu versinken. Der Nebel teilt sich hier und da. Die pol-
nischen Landsleute sehen ein Stück von dem wahren Chopin. Die
Welt muß die kärglichen Brocken sammeln, die von dem Tisch
46
jener Reichen, durch den Umgang mit ihm Gesegneten, fallen. Oder
sie muß aus dem, was der Vater antwortet, Rückschlüsse auf sein
Leben ziehen. Nur auf sein äußeres. Der alte Chopin bittet den
Sohn, dem Salon nicht den Schlaf zu opfern ; im Interesse seiner
Gesundheit und in dem seiner Kunst. Er mahnt ihn zur Spar-
samkeit, damit er sorgenfrei seinem Schaffen leben könne. Diese
väterlichen Ermahnungen, ein Brief, den er an seinen Schulfreund
richtet, zeigen uns, daß Chopin ohne Aufwendung von Ellenbogen-
kraft, allein durch die Zauber seiner Kunst und seiner Persönlich-
keit sich die höchsten Gesellschaftskreise erschlossen hat. „Dies
ist jedoch für mich heut das Notwendigste, denn von dort rührt
augenblicklich der gute Geschmack her; Du besitzest sofort ein
größeres Talent, wenn Du Dich in der englischen oder österreichi-
schen Botschaft hast hören lassen ; Du spielst sofort besser, wenn
Dich die Fürstin Vaudemont (die Letzte des altadligen Geschlechts
der Montmorency) protegiert hat." Die Leute vom Hof schätzen
ihn, widmen ihm ihre Kompositionen ; Kalkbrenner hat Chopins Ma-
zurka (op. 7 Nr. 1) variiert; vollendete Künstler wollen von ihm
lernen, setzen seinen Namen neben den Fields; doch weiß er genau,
wie fern der Gipfel noch liegt, weil er sehr scharfsichtig für fremde
Lücken ist; („seine Favorits auf der linken Seite wollen nicht wach-
sen"). „Ich habe heute fünf Unterrichtsstunden zu geben; Du
denkst gewiß, daß ich mir ein Vermögen machen werde? — Das
Cabriolet und die weißen Handschuhe, ohne welche Du hier kernen
guten Ton haben würdest, kosten mehr. Ich liebe die Karlisten,
hasse die Philippisten, bin selber Revolutionist, mache mir daher
aus dem Gelde nichts, viel mehr dagegen aus der Freundschaft,
um die ich Dich flehentlich bitte." Sein Inneres scheint sich, da
die Forderungen des Salons an ihn herantreten, mehr und mehr
einzukapseln. Es ist mehr Straffheit in ihm ; das Stimmungschaos
sucht und findet keinen Abfluß mehr. Die Regellosigkeit ist von
der Ordnung abgelöst; das Genie erkennt die Zeit als seine Ty-
rannin an; es hat sich in die Fron des Stundengebens gefügt.
Gefügt? Und schon will sich das Mitgefühl bei uns melden. Es
dünkt uns eine Entweihung der Poesie, daß sie sich durch die
Lehre mitteilen soll. Aber sie tut es gar nicht. Nur die Gebärde
dieses Spiel ist nachzuahmen, ihr Wesen, ihr Zauber nicht Nicht
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der Ton, der aus der liebenden Umarmung des Klaviers geboren
wird; nicht der Duft, der aus diesem elfenartigen Huschen über
die Tastatur aufsteigt ; nicht der tiefe Urgrund von Sehnsucht, Poesie
und Musik, dem die Phrase berauschend entströmt. In der Kalk-
brenneraffäre hatte der Vater an den Sohn geschrieben: „Du weisst
auch, dass das Mechanische des Spiels Dich wenig Zeit gekostet
hat, und dass Dein Geist sich mehr beschäftigt hat als Deine Finger.
Wenn andere ganze Tage zugebracht haben, um ein Klavier in
Tätigkeit zu setzen, so hast du selten eine ganze Stunde dazu ver-
wendet, die Werke anderer auszuführen. " Ein Pädagoge spricht's;
er weiß das Gewicht dieser Worte zu schätzen ; und gerade seine
Einsicht von dem Wert des nicht Anerziehbaren will dem ver-
götterten Sohn sein Künstlertum hüten. Dieser aber sieht es nicht
bedroht, wenn er, was sein Genie ihn hatte ahnen lassen, nun
noch einmal rückschauend durchdenkt. Wird es ihm gelingen, die
Fäden zu entwirren, die zwischen seiner Technik und seiner
Musik laufen? Wird sich seine Art, die Finger zu setzen, die das
Revolutionäre seiner Kunst spiegelt, in den allgemeinen Strom
pianistischer Kultur zurücklenken lassen? Denn nun gestattet ihm
sein Selbstgefühl schon, die Methodik seiner Kunst von sich selbst
aus zu entwickeln. Es gab einen Augenblick, da er schwankte ;
damals, als er in jener wohltönenden Zierpuppe Kalkbrenner den
vollendeten Mechanismus sah; die Ausschaltung von Arm- und Hand-
gelenk, jene vollkommene Ruhe ist ihm nun nicht höchstes Ziel
mehr. Sein Mechanismus ist in seiner Art vollendet, lückenlos;
und er sucht ihn als Lehrer des Klavierspiels fest zu begründen.
Da ist es nun nicht ohne Reiz zu sehen, wie der Komponist den
vierten Finger, das Kreuz der Pianisten, von dem quälenden Ehr-
geiz befreit, es den anderen gleichzutun. Das ist eine höchst per-
sönliche Angelegenheit; Chopin verrät uns einmal, daß ihm dieser
vierte Finger (trotz allen, auch gewaltsamen und mechanischen Gegen-
maßregeln) den Gehorsam verweigert. Er dekretiert kurz: der vierte
sei ein der Rücksicht bedürftiges Sonderwesen. Und er packt ihm
doch auch in seinen Etüden ein gut Teil Arbeit auf. Das Bahn-
brechende seines eng mit den harmonischen Krümmungen, mit dem
gesteigerten Ausdruck seiner Musik verknüpften Fingersatzes ist zu-
nächst sein Geheimnis. Aber es ist da und läßt sich durch kein
48
Veto der Gewohnheitsfanatiker aus dem Wege räumen. So macht
sein Streben, sich selbst aus dem Nebel zu flüchten, von seiner
Musik aus die Methodik des Klavierspiels zu durchleuchten, den
Virtuosen, und gerade den Virtuosen zum Klavierlehrer. Seine Schü-
ler werden den Ehrgeiz, stürmende Bravour zu entfalten, für den
Einblick in ein Märchenland opfern; werden in Bach, Cramer, Mo-
zart, Hummel, Field und wenigen Erwählten die Vorstufen zu dieser
Glückseligkeit sehen ; werden vielleicht, wenn nicht seltene Seher-
gabe sie dem Meister eint, ewig antichambrieren müssen ; werden
endlich Apostel seiner Kunst sein.
Doch noch ein anderes erleichtert, versüßt ihm seine Pflicht:
der Reiz der grande dame. Mag er über jene Aristokraten, die
seinem Talent erst die Weihe geben, spötteln; in dieser Luft atmet
er, der Edel- und der Adelsmensch verschwimmen ihm selbst da,
wo das Geistige, das Seelische, das Künstlerische ihn nicht an-
ziehn, in einen Begriff. Und auch da noch, wo stärkere Anreize
nicht fehlen, kann Derbheit, Unfeinheit ihn bis zum Bruch abstoßen.
Die Vornehmheit seiner Manieren, die Gewähltheit seiner Kleidung
verschmelzen mit ihm selbst. Wüßten wir's nicht aus manchem
uns gebliebenen entschuldigenden Billett, wir könnten leicht erraten,
daß diese Frauen der Aristokratie Salonpflichten und Bequemlich-
keit über alles stellten, ihre Lektionen absagten oder verschoben.
Aber ihre Billetts waren ihm gewiß teuer. Sie erinnerten ihn an
die leise Erotik, die jedes Wort der Unterhaltung belebte; an jenes
Parfüm, das ihn berauschte, als er der schönen Schreiberin die
Finger führte; an kokettes Lächeln, an leichtes Zittern, wenn der
Dichter in Tönen sprach. So wird ihm die Musikstunde ein mon-
daines Vergnügen, eine Fortsetzung des Salons. Ihm entnimmt er
den Zuschnitt des Lebens.
Und vom Salon spinnt sich der Faden weiter zum Konzert.
Setzte er sich den neugierigen Blicken der Menge aus, sie, die er
verachtet, würde Rache an ihm nehmen; sie würde ihn einschüch-
tern, ihr heftiger Atem ihn ersticken, lähmen, stumm machen. Nie
würde er sie niederschmettern wie Liszt. Er sagt es ihm selbst;
er fürchtet es immer. Ganz kann er sie nicht ausschließen. Aber
den Kern des Publikums müssen immer jene durch den Adel der
Geburt oder des Geistes Bevorrechteten, Feinfühligen bilden, in
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deren Herz seine Musik, sein Spiel als fruchtbarer Keim sich senkt.
Seine Konzertschicksale wechseln ; nicht immer findet sich jener
Gleichklang zwischen dem Gebenden und den Nehmenden, den auch,
wo alles andre stimmt, eine glückliche Stunde herbeiführen muß.
Die Reizbarkeit des Dichters leidet schon vorher; sie leidet noch
stärker nachher, wenn ein kritisches Wort, und sei es auch das
kiseste, an seine Empfindlichkeit rührt. Aber er muß jetzt, wo
es gilt, sich die Bahn freizumachen, den Wettstreit mit den Größten
wagen. So spielt er am 26. Februar 1832 zum erstenmal in der
Salle Pleyel. Fast nur Polen umgeben ihn und jene Mitstrebenden,
die den Dichter ehren. Geschieht doch hier das Seltsame, das
sogar den Neid schweigen läßt: ein Virtuose spinnt sich im Kon-
zert ganz in seine Traumwelt ein, verwebt andere in sie; so daß
ein Begeisterter ihm einmal schreibt: „on est seul avec vous au
milieu de la foule." Der Eintritt Chopins in die Pariser öffentliche
Musik vollzieht sich im Halbdunkel; das Programm ist nicht fest-
zustellen. Wenn er hielt, was er in einem Brief versprach, spielte
er sein f-moll-Konzert, seine Variationen in B und — Marche suivie
d'une Polonaise von Kalkbrenner mit dem Komponisten. Der durfte
nicht beiseitegeschoben werden, wie die Freunde gewünscht hätten.
Gewiß ist, daß das erste Auftreten Chopins trotz dem gröberen
Geschütz, das in Form von Virtuosensoli aufgefahren wurde, den
Polen als reinste, zarteste Sensationslosigkeit in den Mittelpunkt
rückte. Der vielbeachtete Kritiker Fetis gibt der Pariser Welt sach-
lich bekannt, daß hier neue, eigenartige Gedanken, in kühne Modu-
lationen, glänzende Passagen gehüllt, zunächst noch in der Form von
Improvisationen sich zeigen. Der Begeistertste ist Liszt: „Der stür-
mischste Beifall schien unserem Enthusiasmus nicht zu genügen ge-
genüber diesem genialen Musiker, der eine neue Phase des poeti-
schen Empfindens, gepaart mit den glücklichsten Neuerungen des
Formalen seiner Kunst, enthüllte." Es sind inhaltsschwere Worte,
aus der Erinnerung geschöpft und von dem Bewußtsein eingegeben,
daß der Sprecher Chopin tief verschuldet war. Hier dämmert Liszt
die Erkenntnis auf, wie sehr das Dramatische seines Spiels sich
von diesem Reichtum der Anschlagsnuancen befruchten ließe; be-
reit und fähig, dem Phänomen bis auf den Grund seines Wesens
zu folgen, entdeckt er die Quelle in einem Lyrisraus, den er nicht
Weissmann, Chopin 4
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geahnt hatte, den er nun in sein eigenes Reich überträgt. Auch
Felix Mendelssohn, der mit der Muttermilch des Berliner Rationalis-
mus Aufgezogene, begreift das Grundeigentümliche der Erscheinung;
auch er versucht sich mit Beethovens G-dur-Konzert, mit seiner
so ganz anders romantischen Sommernachtstraumouvertüre auf dem
schlüpfrigen Pariser Parkett, ist aber vorurteilsfrei genug, hier freu-
dig einzustimmen.
Diesem ersten Schritt in die Öffentlichkeit folgt mancher an-
dere. Mochte auch der dämonische Paganini in den Märztagen
1832 die ganze Virtuosenwelt in die Knie zwingen, für den Dichter
scheint noch Raum in diesem Paris mit dem erregten und nicht
immer ermutigenden Spiel hinter den Kulissen. Chopin wird da
und dort begehrt: einmal, am 20. Mai, stellt er sich in den Dienst
vornehm etikettierter Wohltätigkeit; ein anderes Mal vereinigt er
sich im Dezember mit Hiller und Liszt zum Vortrag eines Konzerts'
für drei Klaviere von Bach ; dann spielt er zum Besten der englischen
Schauspielerin Fräulein Smithson, mit der Berlioz' Geschicke sich
verknüpfen; beteiligt sich im April 1833 an der Seite der Gebrüder
Herz und Liszt an einem Quartett für acht Hände auf zwei Ka-
vieren. Es ist kein Stil in diesen echt pariserischen Konzerten; und
gewiß hätte sich der Dichter nicht in dieses Joch spannen lassen,
wären nicht die inneren Widerstände gegen solchen Flitter und
Kram zeitweilig in ihm geschwächt gewesen. Noch ist er ein Sklave
der Gesellschaft. Später wird er sie beherrschen.
Inzwischen hat Field, der angebliche, niegekannte Vater Cho-
pinschen Spiels, 1832 Paris mit seiner unromantischen Zartheit in
sanfte Träume gewiegt; hat der aus Italien heimgekehrte Berlioz
die Musikwelt am 9. Dezember des gleichen Jahres mit der kühnen
„Symphonie phantastique" zum zweiten-, mit „Lelio" zum ersten-
mal überrascht. Chopin steht abseits. Seine Romantik hat mit dieser
nur die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, das Abstreifen be-
engender Fesseln gemein; sie lehnt sich gegen das Allzudeutliche
des Stoffes, gegen den Umweg über die Literatur, gegen alles Ge-
waltsame und Unmotivierte auf. Für ihn ist Berlioz einer, der
die Feder aufs Notenpapier spritzen läßt, ohne zu fragen, wie's
gerät. Ein Fall von Selbsteinkapselung des Genies; und nicht der
einzige. Das hindert aber nicht persönliche Beziehungen.
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Unseres Chopin Selbstvertrauen steigt. Der Scheinwerfer der
Öffentlichkeit hat vermocht, was Ellen bogen kraft nicht 'zustande ge-
bracht hätte: die Verleger beachten ihn. Was schüchtern in seiner
Mappe ruhte, kommt von 1832 an rasch ans Tageslicht. Doch
nicht das Allereigenste, das in die Welt hinausstrebt, schafft ihm
den Beginn der Volkstümlichkeit: eine blaue Blume, ohne betäu-
benden Duft, aber anmutig und liebreizend, das Es-dur-Nocturne
op. 9 Nr. 2 gefällt allgemein, weil es nicht aufrüttelt. Der Dichter
muß sich bescheiden ; er muß die Gunst des Schicksals preisen,
das wenigstens eine sanfte Melodie mit ihren glitzernden Ornamenten
zur Scheidemünze werden läßt. Die gemeine Menge wird sich des
Faßbaren bemächtigen ; wird es mit seinen tausenderlei Liebkosun-
gen erdrücken ; wird es klavierspielend, geigend, singend zum Kling-
klang erniedrigen.
Der Zeitpunkt rückt heran, da der Atem der Öffentlichkeit ihn
belästigt. Im dritten von Berlioz' Conservatoire-Konzerten, am 7. De-
zember 1834, spielt Chopin zwischen den Werken des Konzertgebers
das Larghetto aus einem seiner Konzerte; er bleibt im Dunkel. Er
läßt nicht nach. Vielleicht hilft Gewohnheit, die Schrecken des öffent-
lichen Spiels zu verscheuchen. Aber das ist Selbsttäuschung des
Dichters, die sich rächt. Ein Konzert in der italienischen Oper
am 5. April 1835 in der glänzendsten Umgebung vollendet das grau-
same Werk der Ernüchterung: sein e-moll-Konzert versinkt in der
Fülle der Genüsse. Kaum, daß eine Hand sich rührt. Seine leise
Sprache, sein selbstvergessenes Dahinträumen scheidet ihn endgültig
von der Menge; er kommt nicht zu ihr, also versteht sie ihn nicht.
Weltentrückt achtete er der Eiseskälte nicht; wie der letzte Ton
verklungen, macht sie ihn erstarren. Der Dichter zieht sich ver-
wundet auf sich selbst zurück. Und fast nur dann, wenn er begehrt
wird, wenn die Feinfühligen, die Poetischen ihn rufen, erscheint
er ihnen wieder — in Paris wenigstens.
Und die Poetischen, die Feinfühligen haben sich um ihn ge-
schart. Welch eine Anmut in dem Briefchen, das er 1833 Auguste
Franchomme sendet! Ihn hat er einmal des Abends improvisie-
rend in sein Märchenland geführt und nicht mehr aus den Augen
gelassen. Welch ein harmonischer Dreiklang in jener Epistel, die
Chopin und Liszt 1833 gemeinsam an Hiller richten! Der eine
4*
52
nimmt dem anderen die Feder aus der Hand; Liszt spielt in diesem
Augenblick des anderen Etüden und „versetzt ihn ausserhalb seiner
ehrbaren Gedanken". Chopin „möchte ihm seine Art der Wieder-
gabe der eigenen Etüden stehlen". Der Spieler, der das liest, läßt
das Lob nicht auf sich sitzen und feiert den Komponisten. Dieser
wehrt ab. Ein Postskriptum : „Ich begegnete gestern Heine, der
mir auftrug, Sie zu grüßen herzlich und herzlich." Herzlich und
herzlich! Deutsch gesagt und deutsch empfunden. Es ist die echte
Hingabe des Freiheitsmenschen, der nach Deutschland geschrieben
hatte: „Die Polen! Das Blut zittert mir in den Adern, wenn ich
das Wort niederschreibt"; es ist ein Echo des Dichters, in dessen
Herz Wehmut und Sehnsucht drängen ; es ist endlich ein Gruß
des Ironikers, der in dem spöttelnden Polen einen Geistesverwandten
gefunden hat.
Wie ein Schatten huscht in diesem Kreis Vincenzo Bellini vor-
über. Mit „Norma" hat er sich in Chopins Herz eingesungen. Der
hörte aus seiner Melodie mehr nur als den Ton : den Adel der Seele,
den Ausdruck heraus; und sah den feinen, mädchenhaften Genossen
aus Genieland 33jährig vorauseilen, wohin, das fühlte er, auch er
ihm nach kurzer Spanne Zeit folgen würde.
Doch nein! Ist er nicht gesünder, kräftiger denn je? Hat
er der Welt nicht gegen den Einspruch des Innersten so oft mit
dem gesteigerten Kraftgefühl des zum Mann Heranwachsenden als
echter Virtuose getrotzt? Sein Jas, 1834 an die Ecole de mede-
cine in Paris berufen, findet ihn in der Chaussee d'Antin erstarkt
wieder. Chopin jauchzt auf, da er mit ihm, dem aus dem gleichen,
Ton wie er Geschaffenen, seufzen darf. Die Heimat wird ihm vor-
getäuscht. Der Vater ist froh und trägt dem Freunde auf, Hüter
des Sohnes zu sein, der mit Briefen kargt. Keiner von den Polen
kann ihm sein, was der Freund ihm ist. Aber die Gräfin Plater,
die gütige Fee der Künstler, die zu ihm spricht: „Si j'etais jeune
et jolie, mon petit Chopin, je te prendrais pour mari, Hiller pour
ami, et Liszt pour amant"; der Fürst Valentin Radziwill, der ihm,
sagt man, den Weg zum Hause Rothschild ebnete; die Czartorys-
kis und andere Aristokraten mit ihrer Mischung von Vornehmheit
und Zärtlichkeit hätscheln ihn, freuen sich seiner Ausgelassenheit
und trösten ihn. Es gibt Landsleute, die sich an seine Kasse wen-
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den; nicht umsonst. Geld ist ihm eine imaginäre Größe, die nur
daiwi feste Gestalt gewinnt, wenn seine vornehme Lebenshaltung
gefährdet wird. Und seine Güte versagt sich den Kindern seiner
Heimat gegenüber nie. Nur dann, wenn der Künstler in ihm durch
sie leidet — was nicht selten geschieht — droht er die Geduld
zu verlieren. Schon in den ersten Pariser Tagen hatte er sich
in der Kunst der Selbstbeherrschung üben müssen. „Wenn ich
an Dich schreibe, ist es mir zuwider, dass just die Glocke ertönt
und ein gewisses Etwas, großgewachsen, korpulent, mit Schnurr-
bärtchen hereinkriecht — sich ans Klavier setzt und, ohne selbst
zu wissen was - improvisiert — sinnlos haut, paukt, sich herum-
wirft, die Hände übereinanderlegt, mit einem gewaltigen Finger,
der dort irgendwo in der Ukraine für die Ökonom-Peitsche oder
die Zügel bestimmt war, fünf Minuten lang auf einer Taste herum-
schlägt ... Da hast Du das Portrait des Sowinski, der kein an-
deres Verdienst hat, als seine gute Figur und sein gutes Herz. Wenn
ich jemals den Charlatanismus oder den Stumpfsinn in der Kunst
mir vorzustellen vermochte, so ist es gewiss nie so ausgezeichnet
der Fall gewesen wie jetzt, wo ich ihn häufig hören muss, während
ich mich wasche und dann im Zimmer auf- und abgehe. Die Ohren
erröten mir — ich möchte ihn zur Tür hinausdrücken und muss
mich massigen, ja sogar liebenswürdig sein." Albert Sowinski, der
Verfasser des Werkes „Les Musiciens polonais", hat also den
Zorn Chopins nicht zu spüren. Wie die meisten unter denen nicht,
die ihn reizen. Jeder zügellose Ausbruch der Leidenschaft erregt
ihm, dem von stärksten Zu- und Abneigungen Beherrschten, Ab-
scheu. Nur in Sachen der Kunst kennt er kein Pardon. Totenblaß
zerbricht er Bleistifte, spricht heftige, grausame Worte und — findet
nach wenigen Minuten die Haltung wieder. Das letzte Sichversagen
des Slawentums, während man andere mit Zärtlichkeit, Liebens-
würdigkeit schmeichlerisch zu sich zieht, führt zu diesen Folge-
rungen ; aber nie gab es sich fesselnder als hier.
Die Selbstbeherrschung hat noch mehr Anlaß sich zu üben:
von Deutschland kommen die Stimmen der überschwenglichen An-
hänger wie der boshaftesten Gegner zu ihm herüber. Robert Schu-
mann spendet schon seinen Don-Juan-Variationen begeisterten Bei-
fall ; Chopin verstand hier nicht, was der deutsche Romantiker ihm
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andichtete: „. . . . von dem fünften Takt des Adagio sagte er,
dass Don Juan Zerline in Des-dur küsst. Die Gräfin Plater fragte
mich gestern, wo sich dieses Des-dur bei ihr befinde." Doch bald
muß er sich glücklich schätzen, einen zwar phantastischen, aber
doch sachverständigen Lobredner von unerschütterlicher Hingabe ge-
funden zu haben. Wälzt doch Ludwig Rellstab, der Berliner an-
gesehene rationalistische Kritiker, in mehreren Nummern seiner
Musikzeitschrift „Iris" die schwersten Blöcke kritischen Unverständ-
nisses heran; wenn er Mazurken und Etüden sieht, fürchtet er Ver-
renkung der Finger und Zerreißung des Trommelfells, anstatt für
sich selbst und seinen Ruf zu fürchten. Spurlos gehen diese An-
griffe an Chopin nicht vorüber. Ein Anhänger zahlt Rellstab in
einer Zuschrift nicht mit gleicher, sondern mit doppelter Münze, mit
Schmähungen. Der Vater berichtet dem Sohn, der Empfänger halte
Chopin für den Schreiber, ohne zu bedenken, daß schon seine gute
Erziehung diesen Gedanken ausschließen müsse. Ein Freund Rell-
stabs vermittelt. Jedenfalls weist der alte Chopin immer wieder
auf Deutschland hin als auf das Land, von dem' Friedrich ernsteste
Würdigung und sichersten Ruhm zu erwarten habe; wo er denn
auch konzertieren müsse. Dieses Land ist Chopin noch vertrauter
geworden. Hiller hatte ihn 1834 zum Niederrheinischen Musikfest
gezogen, wo inmitten des akademischen Schadowkreises der zu-
erst Unbeachtete, Stumme nach wenigen Takten seines Spiels die
andern vor Staunen stumm macht. Im Sommer 1835 fliegt er in
Karlsbad Vater und Mutter nach langer Trennung in die Arme.
Und schreibt an die in Warschau Zurückgebliebenen : „Unsere Freude
ist unbeschreiblich. Wir umarmen einander ein über das andere
Mal — und was vermag man denn mehr! Schade nur, dass wir
es nicht alle zusammen tun. Wie ist doch Gott uns gnädig! Was
ich schreibe, ist ordnungslos, es ist aber besser, heute an nichts
anderes zu denken: das Glück geniessen, das man erlebt hat! Das
ist das einzige, was ich heute besitze. Dieselben Eltern, immer
dieselben, nur daß sie mir ein wenig gealtert sind. Wir gehen zu-
sammen aus, führen Frau Mütterchen am Arme, sprechen von Euch,
ahmen den schlimmen Neffen nach, erzählen uns, wie oft eines
an das andre gedacht hat. Wir trinken und speisen zusammen,
cajolieren miteinander. Ich bin au comble de mon bonheur. Die
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nämlichen Gewohnheiten, die nämlichen Bewegungen, unter denen
ich aufgewachsen bin, dieselbe Hand, die von mir solange nicht
geküsst wurde."
Er ist nach Deutschland gegangen, um Polen zu finden. Und
noch einmal streckt er die Hand nach dem Vaterland aus: er möchte
sich die Lebensgefährtin aus der Heimat holen. Nach so vielen
Frauen, deren Duft ihn berauschte, die Frau, die ihm Verkörperung
seines Begriffs von weiblicher Hoheit sein sollte: Maria Wodzinska,
mit der er einst in Warschau Versteck gespielt, der er als seiner
schätzenswerten Kollegin einen kleinen Walzer geschickt, deren
Thema ihn zu Phantasien begeistert hat, sie ist die Erwählte. Ihr
Bruder Anton, in Paris und in Spanien oft der Hilfe bedürftig,
wird ihm Vorwand zum Austausch von Freundlichkeiten. Und in
jenem Sommer 1835 beginnt das Liebesspiel. Wir können es nun
in Briefen verfolgen. Der liebenswürdige, schalkhafte, zärtliche, an-
mutige Chopin wird in Dresden nach polnischer Art gehätschelt;
erobert scheinbar die junge Komtesse, überreicht ihr das Manu-
skript des As-dur-Walzers (op. 69 Nr. 1) ; hat, wie die alte Gräfin
schreibt, nach seiner Abreise eine fühlbare Lücke zurückgelassen ;
ist ihr „vierter Sohn Friedrich". Der also Verabschiedete eilt mit
übervollem Herzen nach Leipzig, sieht den Schumann- und Mendels-
sohnkreis und spielt zum Entzücken der Anwesenden. 1836 spinnt
sich das Liebesspiel weiter. Marienbad. Die Dämmerstunde, die
Stunde, in der die Göttin am liebsten zu ihm herniedersteigt, die
Ideen ungerufen erwachen, ist auch jene, in der sich die Herzen
zu finden scheinen. Er fragt: Ihre dunklen Augen, ihr sinnlicher
Mund, alles spricht: „Ja". Die Mutter hört's und willigt ein, for-
dert aber Schweigen. Wiederum ein Sprung nach Leipzig, wo er
Robert Schumann trifft. Die Dämmerstunde, die den Glücklichen
in der Erinnerung heimsucht, wird der alten Gräfin später peinlich.
So ernst hat sie's nicht gemeint. Sie ist Polin. Sie ist Mutter. Die
Gesundheit Chopins scheint ihr erschüttert. Sie empfiehlt ihm Ku-
ren, ausgiebige Nachtruhe. Marie sendet warme Pantoffeln. Nur
mehr als flüchtige Grüße, unverbindliche Verbindlichkeiten, Bitte
um Autographen sendet sie nicht. Er ist viel dringlicher, viel ernster,
viel begeisterter ; porträtiert sie in seiner f-moll-Etude (op. 25 Nr. 2) ;
widmet ihr sein cis-moll-Nocturne (op. 27, Nr. 1). Ist es wahr.
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daß sie, wie Hoesick wissen will, bald darauf in Genf mit dem:
polnischen Dichter Slowacki, einem halben Doppelgänger Chopins,
andere Liebesfreuden kostete? So daß wir kaum sagen können, der
Gegenstand der Liebe habe gewechselt? Der Graf Friedrich Skar-
bek war doch glücklicher als er: sie heiratete ihn wirklich. Aber
doch immer nicht so glücklich, daß sie ihm treu blieb. Diese Ehe
wurde bald geschieden. Genug: Chopin, der in Polen die Gefährtin
des Daseins suchte, der sie mit dem ganzen Reichtum seines Her-
zens, mit seinem ganzen unberührten Idealismus beschenken wollte,
war an eine schmeichlerische Katze geraten. Unter dem Titel „moia
bieda" (mein Unglück) faßte er selbst das Bündel Wodzinski-Briefe
zusammen.
Er ist reif für die Tragödie des Lebens.
LIAISON
Und ganz natürlich knüpft sich, was folgt, an das Vorange-
gangene. Wie wenn sie den ursächlichen Zusammenhang zwischen
versagtem Eheglück und der künftigen Liaison bezeugen wollten,
liegen uns zwei Briefe vor, beide an Mitglieder der Familie Wod-
zinski gerichtet; der eine an Anton, der andere an die Gräfin,
Beide bestätigen das eine: Chopin ist krank. Die Ärzte haben ihm
Ems verordnet. Auch die Freunde sehen es. Ein Brief des Marquis
de Custine, seines Bewunderers sans phrase (und Bekannten der
George Sand) kann nur aus dieser Zeit stammen : „Vous etes ma-
lade; vous pourriez surtout le devenir bien plus serieusement; vous
etes sur la limite des chagrins de Päme et des maux du corps."
Er will ihn über den Rhein nach Ems bringen; dort werde er sicher
genesen. Eine Randbemerkung Chopins zum ersten der Briefe darf
nicht verschwiegen werden : „Ich gehe vielleicht für ein paar Tage
zu George Sand . . ." Schon sein elftägiger Aufenthalt in Lon-
don mit Camille Pleyel im Juli verlief seltsam in den Augen der
Welt: ein Musiker von Ruf bleibt der Londoner Gesellschaft un-
sichtbar, begnügt sich damit, einen Blick in den Musikbetrieb zu
tun, und verschwindet.
Wir sind mitten in der George-Sand- Affäre; und sehen zu-
gleich den Anfang des Siechtums; die Dämmerung im Dasein des
Meisters.
Chopin und George Sand! Es ist eine Angelegenheit, die eine
Spür von Trivialität in das Leben des Tondichters bringt. Bisher
hatte wohl einmal Orlowski nach der Heimat schreiben können :
„Er verdreht allen Französinnen die Köpfe, und die Männer sind
eifersüchtig auf ihn"; oder der Geiger Artöt aus Moskau an ihn
selbst: „Wissen Sie, dass Sie mich höllisch eifersüchtig machen?
Ueberall wohin man kommt, beschäftigt sich jeder Weiberrock mit
Chopin : Kennen Sie Chopin ? O Gott, wie gern möchte ich Chopin
kerwien lernen." Der Vielbegehrte blieb ganz und gar nicht un-
berührt davon, aber er ließ sich nicht ketten; denn, wie Liszt noch
von dem Dahingeschiedenen rühmt: „Er hat sich an keiner Affaire,
an keinem Drama beteiligt . . . ; er entschlüpfte allen Banden, allen
Freundschaften, die ihn hätten fesseln können; er sprach weder
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von Liebe noch von Freundschaft/' Das stimmt eben zu seiner
Weltfremdheit und Weltfeindlichkeit, zu seiner Abneigung gegen das
Triviale, zur ganzen Phantastik seines verschleierten Daseins.
Und doch! Eine Frau brachte den Dichter ins Gerede von
Paris und in das der Welt. Diese sah in ihm die Fortsetzung
Alfred de Mussets als Geliebten der Sand; hielt sich an die merk-
würdige Ähnlichkeit der Beziehung eines Mannweibes zu einem
Schwächeren. Und vergaß nur eines, daß eben der polygame Musset
Chopin so ganz unähnlich war; bis sein Leiden sie belehrte.
Das Netz von Trivialitäten, in das Chopin wider Willen all-
mählich geriet, hat sich in den letzten Jahren noch verdichtet. Man
darf sagen: es ist fast alles aufgehellt. Briefe der George Sand,
ihrer Tochter, haben, was der Meister nur andeutete, schonungs-
los aufgedeckt; und es ist ein Glück, daß er aus all dieser üblen
Nachrede, ohne ernstlich Schaden zu nehmen, ja gereinigt hervor-
ging. Wem Chopin lieb ist, der wird hier doppelt haushälterisch
sein ; denn weder erhöht noch berührt es überhaupt seinen mensch-
lichen Wert, wenn George Sand der Nachwelt selbst in erschreckend-
ster Gestalt erscheint.
Sie hat ohnehin längst beides, ihren Ruhm und ihren Ruf, ein-
gebüßt. Sie steht in dem wreiten Museum dichterischer Halbbegabun-
gen, hat aber als menschliche Merkwürdigkeit mit ihrer Mischung
von Bohemetum und Ordnungssinn, von glühender Einbildungskraft
und kühlster Berechnung Anspruch auf den Nachruhm.
Schon ihre Körperlichkeit verrät die Widersprüche ihrer Natur.
Daß sie eine schöne Frau war, bezeugen Musset und Heine. Der
eine liebt in ihr das Rassige, das braune, bleiche, olivenfarbigje
Gesicht „mit bronzeartigen Reflexen und Augen so groß wie die
einer Indianerin". Doch diese Augen, die nach Heine in einem
Gesicht von griechischer Regelmäßigkeit wohnen, sind stille, sanfte
Augen, „die weder an Sodom noch Gomorrha erinnern". Aber
diese Ruhe und Würde scheint auch für den wohlwollendsten Be-
trachter nicht ganz ungetrübt zu sein. Denn schon die nicht eben
klassische, gewöhnliche Nase bildet den Übergang zu dem, was der
Ausdruck ihres Instinktlebens ist: im Mund noch kämpft das Harte
mit dem Weiblichen so, daß die Anmut sich flüchtet; „die etwas
hängende Unterlippe", gesteht selbst der hier besonders freund-
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liehe Heine, „verrät ermüdete Sinnlichkeit. Das Kinn ist vollfleischig,
doch schön gemessen. " Sie verzichtet gänzlich auf Esprit und Witz,
die ihr ja unter den Französinnen den Vorrang nicht einräumen
würden; sparsam in dem, was sie sagt, saugt sie den Inhalt fremder
Rede ganz in sich ein, um ihn in eigene Münze umzuprägen.
Die Selbstsucht, die sich hier äußert, bleibt nicht rein literarisch;
sie hat ihre Quelle im Menschlichen, und hier tritt sie durch nichts
gemildert auf. Die Schriftstellerin empfindet das Fehlen starker
geistiger Grundlagen; obwohl aufs Ernste gerichtet, vermag ihr
Denken an sich nicht die letzte Unerbittlichkeit aufzubringen, noch
verfügt es über einen reichen, durch Kenntnisse vermittelten Stoff,
über den es frei schalten könnte. Selbstsüchtig baut sie sich ihre
voraussetzungslose Lebensweisheit auf; ihre Tatkraft bleibt am
Menschlichen, Allzumenschlichen haften und versagt, wenn sie die
Gebilde ihrer Phantasie aus der Fülle fesselnder Einzelheiten in
die charakteristische, bleibende Form gießen möchte. Geburt und
Erziehung — sie stammt in letzter Linie vom Marechal de Saxe
und der dame de l'opera Fräulein de Verrieres, und hatte eine
Mutter, die als Tochter eines Pariser Vogelhändlers erst viele Stufen
bis zu anständiger Bürgerlichkeit emporsteigen mußte — lehren die
kleine Dupin, im Ungewöhnlichen das Übliche zu sehen; und eine
lästige Ehe mit dem ihr gleichgültigen Herrn Dudevant macht sie
reif für ein Leben, in dem sie die letzten Folgerungen aus solchen
Schicksalen zieht. Sie hat gelernt, sich auf sich selbst zu stellen.
Sie schüttelt jeden Zwang ab, haßt alles Konventionelle. Sie ver-
tauscht die weibliche Kleidung gegen die männliche ; tritt mit eiser-
nen Absätzen auf. Und während sie sich vom Instinkt, vom Sturm
ihrer Leidenschaften treiben läßt, bewahrt sie sich die Kraft zu herr-
schen, zu beobachten und zu schildern. Von 1831 an, wo* sie den
Mann nach gütlichem Übereinkommen verläßt, macht sie in diesem
bunten, erregten Paris zugleich ihre literarischen und ihre erotischen
Lehrjahre durch und gilt bald als Meisterin. Kurze Pausen treten
ein, wenn sie in Nohant, ihrem in Berry gelegenen Grundbesitz, den
Gatten und die beiden kleinen Kinder Maurice und Solange wieder-
sieht. Sie hat mehrere Spielarten des Liebesgenusses erprobt, Jüngere
umgarnt und beherrscht und ist als Aurore Dudevant und als die
berühmte Schriftstellerin George Sand zweiunddreißig Jahre alt ge-
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worden. Sie streift nun auch die letzte Fessel ab und erzwingt die
Scheidung von ihrem Mann, die sie materiell unabhängiger macht.
Sie könnte nun, zumal sie die Maske der Keuschheit liebt — schon
die ruhigen Augen und die Einfachheit ihrer Rede sagen das —
die Ehe mit einem Objekt ihrer Leidenschaft schließen. Doch sie
kann nicht den Schatten eines Zwanges ertragen. „Ich aber bean-
spruche, jetzt und für immer, die stolze und schrankenlose Unab-
hängigkeit, die Ihr allein zu genießen das Recht zu haben glaubt.
Ich würde sie nicht jedermann raten; aber, soweit es mich betrifft,
soll kein Liebesverhältnis jene Unabhängigkeit auch nur im mindesten
beschränken. Ich gedenke meine Bedingungen so hart und so klar
zu stellen, daß kein Mann kühn oder gemein genug sein wird, sie
anzunehmen."
Die ermüdete Sinnlichkeit verlangt von der Einbildungskraft
neu gespeist zu werden; und diese stellt die gleiche Forderung an
ihre Sinnlichkeit. Polen ihrer Bekanntschaft sprechen von den pol-
nischen Frauen mit leuchtenden Augen, mit leise durchschimmernder
Erregung; erzählen von den lässigen, atembeklemmenden, schlangen-
haften Bewegungen dieser Körper, die ihre Sehnsucht doch mit
Anmut und Geist verhüllen. Es ist anbetende Ritterlichkeit in ihren
Worten. Liszt, der Kenner, stimmt ein. Und wie er selbst in Chopins
Musik den höchsten Ausdruck solcher Anbetung verehrt, teilt er
seinen Rausch George Sand mit, die zugleich Freundin der Gräfin
d'Agoult ist. Diese so völlig neue Note, die sehnsüchtig anbetende
Keuschheit, fehlt im Album ihrer erlebten und geschilderten Liebes-
genüsse. Sie will Chopin erobern ; ihn beherrschen. Hier gibt's
stärkste Widerstände zu überwinden. Sie, die in Selbstanbetung
lebt, will dieses Gefühl von einem Dichter geheiligt und bis zur
Vergötterung ihrer selbst gesteigert sehen. Die Forderung ihrer
Einbildungskraft, das Toben der Sinne übertönt ihr den Widerspruch,
daß der, den sie programmgemäß zu demütigen hat, ihr diesen ganz
reinen Kultus nicht mehr weihen kann, weil er nach ihrer eigenen.
Logik zu „niedrig" wäre.
Das sind die Vorgänge, die sich in der Seele der Frau ab-
gespielt haben. Erst die Tatsachen: Begegnung, Kampf und Sieg-
entziehen sich den forschenden Blicken derer, die in jeden Winkel
hineinleuchten wollen. Die Einleitung durfte auch nach dem Willen
61
der Sand das Legendenhafte nicht verlieren. Gewiß ist, daß die
Sand die Widerstände nicht hoch genug angeschlagen hat, und daß
Chopin nur nach langem Widerstreben mit dieser Frau bekannt ge-
worden ist. Wie er ihr nicht mehr entschlüpfen konnte, fand er sie
unangenehm ; dann ließ er sich von ihr in Ketten legen. Die Ab-
neigung des so unendlich Feinfühligen, in Kleidung und Formen
Überempfindlichen gegen diese unweibliche Verächterin des Ge-
schmacks, der Eleganz und der Sitte ist leicht zu begreifen. Aber
gerade weil sie von ihren Geschlechtsgenossinnen rücksichtslos und
erfolgreich abrückte, triumphierte sie über ihn.
Chopin hat zu jener Zeit den kritischen Augenblick seines Lebens
erreicht. Er träumt nicht mehr allein von der Poesie der Liebe.
Inmitten der Zärtlichkeit von Eltern, Geschwistern und Freunden
aufgewachsen, sehnt er sich nach dem ruhigen Glück der Ehe.
Das Bohemetum ist ihm zuwider; der Dichter fühlt sich den tausend
Kleinigkeiten des Lebens gegenüber machtlos; auch sein Scharfen
soll sich aus dem festen Grund von Liebe, Sorglosigkeit und Ord-
nung erheben. Poesie und Prosa fließen hier zusammen. Aber noch
mehr: viel Sinnlichkeit ist in ihm aufgespeichert; auch im Leben seiner
Sinne ist Unrast, die den geschwächten Körper des Schwindsüch-
tigen noch heftiger quält und schüttelt. Dem Traum von dem Glück
in Polen an der Seite Marie Wodzinskas ist die Ernüchterung ge-
folgt. Er ist ein wenig mürbe, für den neuen Eindruck empfäng-
licher geworden. Nun tritt ihm die Herrennatur einer George Sand
gegenüber. Nur so lange, als sie begehrlich den Entweichenden suchte,
unterschied sie sich nicht von den anderen Frauen. Nun aber, wo
sie ihre Augen ruhig auf ihn heftet, empfindet er das Mißbehagen
dessen, der nicht erliegen möchte, sich in inneren Zuckungen windet
und erliegt. Hier ist Rasse und Kraftgefühl; seine Sinne geraten in
Aufruhr, weil er, der Schwache, zum erstenmal einen starken Arm
über sich fühlt. Hier ist aber auch Ruhm, Phantasie und Geistigkeit;
so braucht auch der ideale Mann nicht zu darben. Und wie er einst
von seinem Titus als von einem Tatmenschen alle Entscheidungen
erwartet hatte, legt er sie nun in die Hände dieses Mannwreibes, in
dem das Weib ihn mit den stärksten Ketten der Sinnlichkeit fesselt,
die Herrscherin ihn vertrauensvoll stimmt. Es wäre die höhere Ein-
heit, die letzte Zusammenfassung alles Wünschenswerten, wenn die
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Poesie, die ihm dies alles zuletzt wieder verklärt, auch in dieser
seltsamen Frau den Schleier über Leidenschaft und Geist breitete.
Im Dichter, der in seiner Abneigung gegen eine Liaison sich fast dem
gutbürgerlichen Ideal nähert, keimt der Gedanke an eine dauernde
Vereinigung auf. Die Dichterin hat aber in ihrem nun befriedigten
Herrschergefühl die Kraft wiedererlangt, ihr Programm durchzu-
führen : das Programm der schrankenlosen Unabhängigkeit. Sie kann
ihn, wenn sie sich selbst den Reiz der unbedingten Hingabe Chopins
an sie nicht rauben oder kürzen will, nicht völlig demütigen, muß also
zu kleinen Abstrichen bereit sein. Und darf es um so mehr, als
diesem zarten, willenlosen Geschöpf gegenüber allmählich etwas wie
Muttergefühl in ihr erwacht. Er selbst, dessen Wünsche an ihrer
selbstsüchtigen Unerschütterlichkeit scheitern, glaubt nun einen wirt-
schaftlichen und moralischen Ersatz der Ehe für sich retten zu können.
George Sand, die wirtschaftlichste aller Romantikerinnen, stellt später
ihr Zusammenleben auf die Grundlage eines Vertrages, der dem*
Dichter Ruhe und Sorglosigkeit, ihr selbst aber Bewegungsfreiheit
gewährleistet; doch erst dann, nachdem eine günstige Auskunft sie
über die seelischen Voraussetzungen in Chopin beruhigt hat.
Es stimmt traurig, unsern Dichter in den sicheren Hafen einer
solchen Scheinehe einlaufen zu sehen. Aber es ist nicht zu befürch-
ten, daß sein Bestes an ihr Schaden nimmt; es gibt etwas Unberühr-
tes, ein Allerheiligstes in ihm, in das keine Trivialität eindringen
kann. Gewiß : die Kontraste waren so scharf, daß sie sich nicht er-
gänzten. Und die poetische Halbbegabung der George Sand litt
trotz stärkstem Bemühen auf dem Gebiet der Musik Schiffbruch.
Dieser Musik vor allem, die an einen Sinn sich wandte, der ihr fehlte.
Ihr also war der Zugang in das Allerheiligste versperrt. Seine
Eigenart ist längst fest umrissen, zur Meisterschaft aufgestiegen, in
Werken ausgesprochen, die den Flug in die Welt entweder schon
vollendet haben oder in Kürze beginnen werden. Und der Ersatz
der Heimat, der dem Ruhebedürftigen, Kranken vorschwebte, wurde
ihm gewährt. Ja, zunächst wahrte auch die Sand den Schein der
Poesie. Im Jahre 1847 aber konnte sie Grzymala, dem vertraute-
sten Freund des leidenden Chopin, folgendes schreiben: „Seit sieben
Jahren lebe ich mit ihm wie eine Jungfrau. Wenn irgend ein Weib
in der Welt ihm unbedingtes Vertrauen hätte einflößen sollen, so
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bin ich es, doch hat er das niemals begreifen wollen. Ich weiss es
nur zu gut, daß viele Leute mich beschuldigen: die einen, dass
ich ihn durch die Heftigkeit meiner sinnlichen Triebe zu gründe
gerichtet, die andern, dass ich ihn durch meine Launenhaftigkeit
zur Verzweiflung gebracht hätte. Ich vermute, dass Du wohl weisst,
wie viel an diesem Gerede Wahres ist. Was nun ihn betrifft, so
beklagt er sich mir gegenüber, ich hätte ihn durch Verweigerung
meiner Liebkosungen zugrunde gerichtet, während ich die absolute
Gewissheit habe, dass ich ihn unzweifelhaft getötet hätte, wenn
ich anders vorgegangen wäre."
Dieses Bekenntnis soll hierher gesetzt werden, weil es die Zeit
des echten Liebeslebens klar abgrenzt. Das Mißtrauen, das sich
allen Äußerungen der Frau gegenüber erhebt, muß hier schweigen.
Und wenn wir in den Worten : „Seit sieben Jahren lebe ich mit ihm
wie eine Jungfrau" das „ihm" unterstreichen, wissen wir, daß die
Qualen des Verschmähten sich bis zur Unerträglichkeit steigerten.
„Seine Seele", sagt sie in dem gleichen Schreiben, „ist ganz Poesie
und Musik". Sie hatte diesen neuen Reiz der Liebe bald ausgekostet,
ließ dann der Poesie und der Musik ihr Recht, zog aus seinem Idealis-
mus die eigennützigen Schlüsse und tröstete sich mit dem Bewußtsein,
einem Hilflosen — soweit sie selbst seine Tasche nicht angriff —
eine wirtschaftliche Stütze gewesen zu sein ; dem kranken Dichter
die Kraft zum Schaffen nicht entzogen zu haben. Sollen wir nun
das Geschick preisen, das Chopin in seinem Kampf um das Lebens-
glück vor seelische und körperliche Hemmungen gestellt hat? Diese
Frage bleibe zunächst unbeantwortet. Betrachten wir dieses Bünd-
nis als ein unabweisbares Ereignis und begleiten wir, ohne die
Frau zu hassen, den Meister, den wir lieben, von der Poesie zur
Prosa.
Hatte ihm nun einmal sein Instinktleben den Bruch mit ein-
gewurzelten Anschauungen diktiert, so fand doch der Dichter sich
selbst sofort wieder. Die große Welt wurde von seinem Innersten
ausgeschlossen ; nichts Unzartes, Eindeutiges wurde von ihm nach
außen hin geduldet; und diese Eltern, die sich nicht mehr zur Pa-
riser Freiheit bekehren konnten, durften in ihrem Empfinden nicht
verletzt, in ihrem stillen Glück nicht beunruhigt werden. Für sie war
George Sand immer nur die mütterliche Freundin, die den Sohn be-
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hütete; sie heißt in den Briefen „die Herrin des Hauses"; ein Titel,
der ja auch ihrer schrankenlosen Unabhängigkeit entsprach.
Der poesievolle Auftakt dieses Neben- und Gegeneinanderlebens
ist Palma auf Majorka. Die Krankheit Chopins oder die des Sohnes
der Sand, Maurice, oder die beider ist der äußere Anlaß zur Reise.
Aber der Wechsel der Szenerie, die Weltflucht, die Abgeschieden-
heit, schon immer die stärksten Bundesgenossen der Liebe, sind
auch der neugeschaffenen Gemeinschaft hold. Chopin hatte sich mit
dem Empfang von 2000 Franken Pleyel zur Vollendung seiner „Pre-
ludes" verpflichtet. Aber dieser Zwang wird nicht empfunden, wo
die Reize einer südlichen Natur ihm, dem Stimmungsmenschen,
himmlisches Behagen schaffen. Seine Sehnsucht nach Sonnenschein
ist erfüllt. Auch die Dichterin zwingt sich von den leidenschaftlichen
Menschen zur Natur zurück und ist im fruchtbaren Schaffensrausch
bereit, sich selbst, nicht zu vergessen, aber zu mildern und anzu-
passen. Selbst dann, als Chopin krank wird „wie ein Hund", seine
bedrohliche Bronchitis die Reisenden aus der Vilia „Son Vent" in
das Kloster Valdemosa treibt und manche Unbequemlichkeit ver-
ursacht, fühlt sie sich noch nicht als Märtyrerin. In dem Kranken
aber wird die Phantastik des Ortes, die schon die Dichterin hoch
stimmt, besonders mächtig. „Zwischen Fels und Meer, in einem
gewaltigen verlassenen Karthäuserkloster, kannst Du Dir mich in
einer Zelle, deren Türe größer ist als in Paris die Haustore, un-
frisiert ohne weisse Handschuhe und blass wie immer vorstellen.
Die Zelle hat die Form eines Sarges mit einem! hohen, verstaubten
Gewölbe. Ein kleines Fenster, vor diesem Orangenbäume, Palmen
und Zypressen. Dem Fenster gegenüber, unterhalb einer Filigran-
rosette im maurischen Stil, steht ein Bett. Daneben ein alter, wür-
diger, intouchabler Schreibkasten, der sich kaum benützen lässt, auf
ihm ein Bleileuchter (der Luxus ist hier gross!) mit einer kleinen
Kerze. Bachs Werke, mein Gekritzel, nicht mir gehöriges Gerumpel.
Eine Stille — man kann schreien — es bleibt immer still. Kurz, ich
schreibe an Dich von einer ganz merkwürdigen Stätte aus." . . .
„Unter dem hiesigen Himmel durchdringt Dich ein eigenartiges poe-
tisches Gefühl, das alles hier zu atmen scheint; Adler schweben,
von (niemandem verscheucht, täglich majestätisch über unsern Häup-
tern dahin!"
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Die Liebe beseligt und stützt ihn. Doch es gibt Augenblicke,
wo den Jenseitigen die Schauer der Einsamkeit packen und die
Phantasie Schreckbilder aus den Tasten herausträumt. Die Krank-
heit lähmt und fördert zugleich die Arbeitskraft, weil sie den Auf-
ruhr der Nerven hervorruft. Kehrt er zur Wirklichkeit zurück, dann
kann sein Verhältnis zu ihr befremden. Er hat in Julian Fontana,
einem Warschauer Jugendfreund, einen musikalischen Vertrauens-
mann in Paris gefunden, dessen unbedingte Arbeitswilligkeit er er-
barmungslos ausnützt. Der empfindet wohl, daß er Ewigkeitswerte
zu schützen hat. Und wie muß er sie schützen! Es gibt keinen
größeren Gegensatz als die verträumte Stimmung, aus der ein
Chopinsches Werk strömt, und jene unerbittliche Rücksichtslosigkeit,
mit der es der Komponist auf den Markt bringt. Der Stolz des
Genies, das alle Andersgearteten, alle, die Geldgeschäfte treiben,
zu seinen Lohndienern erniedrigt, kann sich, obwohl ihm selbst un-
bewußt, nicht hüllenloser zeigen. Die Vorsicht im Verkehr mit den
Verlegern, die ihm sein Vater in den Briefen der ersten Pariser
Jahre empfohlen hatte; die Freundschaft mit Heine und anderen,
die in ihrem Sold standen; die Gemeinschaft mit der wirtschaftlichen
Romantikerin George Sand hatten reiche Früchte getragen. Aber
wenn selbst all dies in Rechnung gebracht wird, so werden doch
gewisse Lücken des Menschtums, gewisse Seiten des schmeichle-
rischen, unaufrichtigen Polentums sich nicht verwischen lassen. Eine
wahre Blütenlese von Schimpfwörtern geht in diesen Briefen über
die Verleger nieder, in denen er doch gelegentlich mehr als nur Ge-
schäftsleute erprobt hat. Wenn sie Juden sind wie Maurice Schle-
singer, gelten sie dem judenfeindlichen Polen an sich als Lumpen.
Sind sie es nicht und nehmen doch ihren Vorteil wahr, wie Pleyel
oder Probst, dann macht er sie zu Gesinnungsjuden und will lieber
mit den wirklichen zu tun haben. Und seiner geschäftlichen Weisheit
letzter Schluß ist: „Doch ich seh auf dies alles. Deutsche
Halunken, jüdische Schurken, Bluthunde, Schinder u. s.w.!" Nicht
viel besser ergeht es dem Verwandten des Komponisten Mosch eles,
dem Bankier Leo, dessen Güte er an sich erfahren hat. Ins Gebiet
der, wie er selbst meint, originellen Scherze aber gehört folgende
briefliche Äußerung: „Falls Moscheies bereits in Paris ist, so lass
ihm ein Klystier aus Neukomms Oratorium, angerichtet mit (Berlioz')
WeisBmann, Chopin 5
66
Cellini und Döhlers Konzert verabreichen. Er wird dann gewiss
auf den Locus gehen und irgend einen Valentin machen . . . Dein
mehr denn je langnasiger Ch." Der Ausdruck der Verachtung Cho-
pins für die Musik seiner Zeit kann nicht gut stärker sein.
Fontana erledigt pünktlich alles, was ihm aufgetragen war. Auch
der Schlußrefrain der gesamten Korrespondenz: „Stillschweigen über
mich vor allen, nicht näheren Bekannten, Wortkargheit vor den not-
wendig Eingeweihten" klang ihm beständig im Ohr. Die Verleger
durften nicht unter Chopin als einen Verlorenen einen Strich machen,
und die andern sollten in dem boshaften Paris zu übler Nachrede
keinen Anlaß haben. Hören wir nicht den Knaben wieder, der
weltklug die Angehörigen immer wieder von neuem zum Schweigen
über seine ungünstigen Urteile verpflichtet? Nur daß jetzt sein Liebes-
sehnen erfüllt ist, die Poesie, die in seinem Herzen wohnt, den Er-
guß in Worten nicht mehr sucht. So ist Weltklugheit nicht mehr
von dem versöhnenden Stimmungschaos eines innerlich Zerrissenen
umrahmt, und die Entspannung von allem nervenzehrenden Erleben,
Träumen und Arbeiten vollzieht sich blank und hart. Doch läßt uns
eben das, was er verschweigt, wieder den Weg von diesen nicht
immer erfreulichen Menschlichkeiten zu jenem Chopin zurückfinden,
den wir vergöttern.
Der ist nun als Schwerkranker mit seiner Begleitung Anfang
März 1839 nach Marseille gelangt. Dort genügt er einer traurigen
Pflicht. Der berühmte Tenorist Adolphe Nourrit hatte sich in einem
Anfall von Schwermut über seinen erbleichenden Stern in Neapel
durch einen Sturz aus dem Fenster getötet. Als die Leiche Mar-
seille passiert, wird für ihn ein Trauergottesdienst abgehalten, und
kein Geringerer als Chopin, der Bewunderer seiner Kantilene, sitzt
an der Orgel. Dann sieht er bei einem Ausflug nach Genua ein
Stückchen des einst erträumten Italiens, das ja seiner Begleiterin ver-
trauter ist. Nohant, der Landsitz der George Sand, ist wie selbst-
verständlich das letzte Reiseziel. Hier soll der gesundheitlich Ge-
besserte noch einen Nachklang des Liebesfrühlings erleben.
Wie auf diesen Frühling sehr bald Sommer, Herbst und ein
langer Winter folgten, das ist die Geschichte der nächsten sieben
Jahre. Nohant und Paris lösen sich nun fast regelmäßig ab.
Chopin, den nicht nur die Pflicht, sondern sein ganzes Wesen stets
67
an die Stadt mahnt, liebt das Land nicht und ersehnt doch ruhelos
immer den Wechsel. In Nohant kann er unbelastet vom Unterricht
komponieren ; und George Sand, die stets Gastfreie, schafft ihm,
wie es ihr selbst längst Bedürfnis ist, in einem Kreis feingeistiger,
ja bedeutender Menschen einen Ersatz für den Salon. Wer bei ihr
einkehrt, hat freies Verfügungsrecht über das Haus wie über sich
selbst. Fischen, Jagen, Billardspielen, Ausflüge sind die Beschäf-
tigungen, die den Müßiggang erträglich, ja genußreich machen. Aber
es gibt auch Anlässe, sich im Dienst der Kunst zusammenzufinden.
Wo ein Chopin, ein Liszt, ein Delacroix, eine Viardot-Garcia, Balzac,
Pierre Leroux und George Sand weilen, wird man erfinderisch. Man
improvisiert Stücke nach einer hinter der Bühne angeschlagenen
Skizze; Liszt und Chopin sorgen für die Bühnenmusik, und es ist nicht
ohne Belang, zu erfahren, daß unser Tondichter eine Einleitungs-
pantomime ersann und da, wo die Worte fehlten, mit staunenswert
beredtem Ton Bewegungen schuf, erriet und ihnen folgte. Ereig-
nislos fließt ihm sonst das Leben hin; nur in seiner Seele spielt sich
Dramatisches ab, und in sie ist auch dem, der zu lesen versteht,
mancher Blick verstattet. Sein „temperament sauvage" muß sich
mit vielem abfinden. Unter den Menschen, die George Sand zu sich
ladet, sind manche ihm gleichgültig, andere ihm unangenehm, zu-
weilen peinlich. Er muß sie ertragen um der Herrin des Hauses
willen, die er liebt und die ihm sehr bald ihre mütterliche Zuneigung
schenkt. Sie empfindet so mütterlich, daß sie 1842 mit ihm nach
dem Künstlerquartier Cite d'Orleans zieht. Das Zusammenleben ver-
liert alles Anstößige; George Sands Freundin, Madame Marliani,
nimmt an den Mahlzeiten teil, die sie oft selbst zubereitet. Chopin
bewegt sich als ein mit geschmackvoller Eleganz gekleideter Mann
von pariserischer Tournüre in seinen Zimmern, die mit ihrer Fülle
reizender Niedlichkeiten sein persönliches „cachet" tragen ; er ar-
beitet, er empfängt in diesen Räumen, die Blumenduft atmen, seine
Schülerinnen, Schüler und Freunde; und die minder elegante Freun-
din lebt in den ihrigen, wie sie es gewohnt ist, ihrem Schaffen und
ihren Beziehungen. Als Mannweib gestattet sie sich in Gesellschaft
auch den Genuß einer Zigarre, die Chopin sich selbst verbietet;
sein Feingefühl verläßt ihn nie, auch wenn ihre herrische Derbheit
es ihm erschwert. Der sonst so Stolze wird der Starken gegenüber
68
zum Sklaven. Das Pariser Geschwätz, die medisance, darf ihn nicht
ganz kalt lassen; und da die feine Malice ihm angeboren ist, findet
auch Unerhebliches, Kleinliches durch diese Pforte Eingang bei ihm.
Wer die Pariser Briefe an seine Angehörigen liest, sieht, daß es
auch einen Ausgang findet. Die Seinigen werden mit dieser Chronik,
die selbst Wissenschaftliches, Politisches von fernher streift, abge-
speist, während ihnen der innere Mensch meist entschlüpft. Der
Vater klagt beständig darüber, daß der Sohn ihn mit Briefen so kurz
halte. Was hat er den Seinigen noch von sich zu sagen? Und wie
mühsam ringt er sich die Worte ab; wie oft zerreißt er schon Ge-
schriebenes, weil es ihm den inneren Zustand und die körperliche
Hinfälligkeit zu verraten scheint! Schwester Luise freilich, die ihm
so nahe ist, wird bald reif sein, in das Geheimnis seiner großen Liebe
-eingeweiht zu werden.
Um Chopin wird es leer. In Jan Matuszynski verliert er 1842
den Gefährten seiner körperlichen und Vertrauten seiner seelischen
Leiden. Sie waren beide, wie Chopin einst sagte, aus dem gleichen
Ton geschaffen. Isfs allzu kühn anzunehmen, daß der Austausch
von Zärtlichkeiten zwischen den polnischen Freunden Krankheits-
keime übertrug und manchen frühen Tod verschuldete? Es ist ein
allgemeines Hinsterben unter diesen Polen, deren Siechtum wie eine
Übertragung der Schicksale der Nation ins Persönliche anmutet; in
die Romantik tritt hart und grausam der Tod. Chopins Vater stirbt
als ein Mann von 74 Jahren 1844. Diesen Riß empfindet der Schwer-
kranke um so tiefer, als eine Welt ihn räumlich und seelisch nun
längst schon von den Lieben scheidet. George Sand spricht für
den Gebrochenen und findet den Anlaß, in einem wohlgesetzten
Schreiben ihrer mütterlichen Zuneigung für den Armen, Hilflosen
Ausdruck zu geben. Schwester Luise kommt bald darauf mit ihrer
Familie nach Nohant und wird durch den Augenschein belehrt, daß
alles in Ordnung ist. Chopin lebt ein wenig auf und zehrt noch lange
von der Erinnerung an diesen Besuch.
Die Schatten des Todes, die den Meister heimsuchen; die
.seelische Ernüchterung, die sich einstellt; die wachsende Reizbar-
keit, die den Menschen zu einem Nervenbündel werden läßt; alles
dies steigert vornehme Zurückhaltung bis zu menschenfeindlichem
Mißtrauen. So zieht der einst Gesellige sich nun mehr und mehr
69>
von denen zurück, die irgendwo und irgendwann sein Mißfallen er-
regt haben ; er sperrt sich auch wie mit einer Mauer gegen alles ab,
was sich seinem Wesen erst aufnötigen muß. Aber es gibt Entfrem-
dungen, die der Nachwelt peinlich sind. Wir erinnern uns jener
ersten Pariser Jahre, die Liszt und Chopin zusammenführten; den-
ken an jene schönen Worte, die der Virtuose dem neuerschienenen
Genie widmete. Nun, auch diese Kameradschaft ist getrübt und
einem kühlen Verkehr zwischen Kollegen gewichen. Wenn wir den
Gründen dieser Abkühlung nachspüren, stoßen wir auf Dinge, die
uns die Hohenpriester der Kunst in unwürdiger Kleinlichkeit zeigen.
Frauenklatsch spielt hier hinein ; auch ein Verstoß Liszts, des Un-
genierten, gegen die Form, indem er Chopins Wohnung in dessen Ab-
wesenheit zu einem Stelldichein benutzte, wird als Grund angeführt.
Aber schließlich war es doch der Künstlerneid, der beide trennte.
Chopin, der Reizbare, mag hier stärker belastet sein als Liszt. In
dem Künstler war ein Stachel zurückgeblieben. Seine Virtuosen-
träume hatten sich nicht verwirklicht. Die Menge, die ihm den
Atem benahm, hatte er aufgesucht, aber ohne sie zu bezwingen.
Was half es ihm, daß er sich vorhielt, wie sehr sein unnachahm-
liches Klavierspiel der Abglanz seines Lyrismus sei! Der Verzicht
auf den Jubel der Massen in diesem glänzenden Paris war schwer;
und dem Komponisten hatte doch auch das Ideal vorgeschwebt,
aus eigenen Mitteln für seine Musik zu werben, sie vor dem Publi-
kum mit der eigenen Stimmung zu erfüllen. Gewiß: Liszt setzte
sich noch immer mit Begeisterung für sie ein; aber der Drama-
tiker in ihm verschob das Schwergewicht nach der Seite der eigenen
Persönlichkeit und ließ selbst die Notentreue darunter leiden. Es
war für Chopin nicht leicht, sich ohne Groll an dieses Fehlen alles
Dramatischen in ihm selbst zu erinnern. Liszts Gegenwart allein
erinnerte ihn daran. Auch wenn kein Wort fiel, brannte der Stachel.
Dann kamen die Mißverständnisse; der Vorwurf der Ruhmredig-
keit wird oft genug ausgesprochen. Der Name Liszt kehrt in der
Korrespondenz häufig wieder. Der Vater rät zur Klugheit und
warnt vor dem Abbruch aller Beziehungen. Einmal fragt Hiller,
der gehört hat, daß beide zusammen gesehen worden seien, an,
ob dies nicht ein Scherz sei. Und Chopin schreibt: „Liszt lässt
sich in Bonn ,Er lebe hoch* schreien, wo Beethoven ein Denk-
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mal errichtet wird und auch gekrönte Häupter erwartet werden."
Der längst mit mißtrauischen Blicken Verfolgte hat nichts unver-
sucht gelassen, den ehemaligen Freund für sich umzustimmen. Als
Chopin 1841 nach längerer Pause — seit 1838 zum ersten Male
— wieder mit seiner Kunst vor das Forum der Wenigen tritt,,
bittet Liszt den Kritiker Legouve, ihm für diesen Abend sein Amt
abzutreten. „H vous donnera un royaume", meint der gegen seinen
Willen Entthronte. „Oui, dans son empire", antwortet unser Meister,
der ein kleines Attentat argwöhnt. Wer von Liszt kommt wie der
geistreiche Wilhelm von Lenz, der mit Chopin dessen Mazurken
studiert, wird als Spion vorsichtig behandelt. Aber er dringt bis
vor das Allerheiligste und unterrichtet die Nachwelt redselig von
dem Erlebten.
Wenn selbst der reizbare Chopin der letzten Lebensjahre einem
neuen Mann Einlaß in seinen Kreis gewährt, mußte starke Ge-
meinsamkeit der Neigungen, des Empfindens die Hemmungen aus
dem Weg räumen. Der Maler Delacroix durfte sich der Freund-
schaft Chopins rühmen. „Mit Chopin, einem Manne von hoher
Bedeutung," sagt er, „führe ich unendlich lange Zwiegespräche;
er ist der echteste Künstler, dem ich noch je begegnet bin. Er
ist einer der Wenigen, die man bewundern und achten kann." Ein
Billett von seiner Hand kleidet die Sehnsucht nach dem Freund
in folgende ungewöhnliche Worte: „Recevez mille vceux, non pas
comme tout le monde les fait: ceux d'un cceur qui vous aime
bien, bien. J'espere vous voir ce soir; mais ce moment est ca-
pable de me faire devenir fou." So ist auch der Zauber, der von
dem reizbaren Chopin ausgeht, noch stark genug. Am meisten spü-
ren ihn die polnischen Landsleute, denen er sich nie versagt; vor
ihnen legt er auch die Schminke des Franzosentums ab und plau-
dert in der Heimatsprache, die ihm allein den letzten Ausdruck
für alles, was er sagen möchte, herzugeben scheint. Aber schon
der polnische Musiker hat den Stolz des großen Landsmanns zu
erfahren: seine polnische Musik hat sich von der Scholle los-
gelöst und Weltbürgerrecht erworben; er mag mit den Orlowski,
Sowinski u. a., die sich mit dem Rohmaterial begnügen, nicht ver-
wechselt werden. Dem Adel, den Platers, Czartoryskas, Potockas,
de Beauvais, den Apponyis, Esterhazys, den Rothschilds bleibt er
71
treu. Er kann das Mondäne nicht missen. Die Verfeinerung1 des
äußeren Menschen, die auf den inneren übergreift, ist seinem Wesen
verschwistert. Schülerinnen und Schüler vergöttern ihn. Gehören
sie dem Adelsmilieu an, dann berauscht ihn noch immer ihr Duft,
und ihre künstlerische Unfähigkeit ficht ihn nicht an; aber wenn
das echte Talent kommt, wie der kleine Filtsch, der Liszt für seinen
Ruhm fürchten ließ, oder Friederike Müller geb. Streicher, die sich
leidenschaftlich zu Chopin bekennt, dann fällt die Hülle ab; der
Meister träumt seinen Kindertraum wieder, er spielt weltentrückt
Bachsche Präludien, der Dichter erwacht in dem Klavierlehrer, der
Meister im Maestro. Sein Schüler Adolf Gutmann, der wohl nicht
mehr war als ein kräftig dreinhauender Durchschnittspianist, wird von
Chopin zärtlich geliebt; freilich als einer von denen, die ihn wie der
berufsmäßige Elegiker Auguste Franchomme, in Paris von jener
ersten sorglosen Zeit in die tristere Gegenwart geleiten. Gegen
seine Kunstgenossen schließt er sich ab; man hält ihn für hoch-
mütig. Er wehrt sich nicht dagegen.
Nur aus der Stimmung heraus vermag er zu musizieren. Wer
ihn dazu zwingen will, den enttäuscht er durch das hartnäckige
Selbstbewußtsein des Künstlers. Wenn der Schwärm der Schwätzer
sich verlaufen hat, dann reinigt, weiht, krönt er den Abend durch
sein Spiel; und wie im Dämmerlicht die Silhouetten der feinen Ge-
nießer verschwimmen, so flüchtet sich auch seine Phantasie ins
Halbdunkel; nun reicht die Schwäche des Körpers bis in die Finger-
spitzen, die, von jeder Schwere befreit, ganz Ausdruck, ganz Poesie
werden.
Das ist die Poesie der Krankheit; aber ihre Prosa wird immer
unheimlicher. Hatte er schon 1839 in seinem Brief an Fontana
seine schwarzen Gedanken nicht bannen können und den ersticken-
den Husten in der neuen Wohnung gefürchtet; erzählt er 1841,
ihm habe geträumt, daß er im Spital gestorben sei; so werden
jetzt die Träume zum Albdruck, der ihn nicht mehr freigibt. Ge-
wiß: so mancher Breitschultrige, Stärkere aus seinem Freundes-
kreis, wie der Geiger Artöt, ist von der Schwindsucht dahingerafft
worden, und er selbst, der ewig Leidende atmet immer noch. Auch
das Gängelband, an dem er wie ein Kind „mit einer dickwattierten
Mütze auf dem Schädel" geführt sein wollte, hat sich nicht, wie
72
er geglaubt hat, „in Stelzen und Krücken" verwandelt; aber schlim-
mer noch: er muß sich die Treppen hinauftragen lassen und ist
hilfloser denn je. Und die Frau, die sich ihrer Muttergefühle rühmte
und auch in den Anschreiben an die Seinigen noch bis zum Über-
druß rühmt, hält diese Probe auf ihre mütterliche Zuneigung nicht
aus. Die robuste Gesundheit in dem Körper der alternden Frau
sucht und schafft sich neue Auswege; unsaubere Dinge werden im
Haus von ihr nicht nur geduldet, sondern begünstigt. Da ist ihr
Sohn Maurice, dem sie in der Person einer Verwandten eine Mä-
tresse zuführt; da ist ihre erblühte Tochter Solange, die, zwischen
zwei Verlobten hin und her geschoben, sich für den brutalen Bild-
hauer-Unteroffizier Clesinger entscheiden muß, der sie sich gefügig
gemacht hat. Unser Chopin ist sich der mütterlichen Gefühle seiner
Wohltäterin längst bewußt, ist ihrer müde geworden; seine Zu-
neigung gehört der Tochter, deren Erlebnisse er nicht ahnt, und
die er nun vor dieser Ehe schützen möchte. Die Mutter pocht
auf ihre Autorität; Parteien bilden sich; harte Worte fallen. In
den Freundeskreis Chopins und bis nach Warschau ist das Gerücht
von der Lockerung des Verhältnisses gedrungen. Chopin erklärt:
„A propos dessen, worüber Luise mich in ihrem Briefe befragt,
so ist alles unwahr und entspricht absolut nicht den Tatsachen/'
Aber die Symptome der körperlichen und seelischen Leiden werden
bedenklicher: „Ich weiss nicht, wie es kommt, dass ich nichts rechtes
schaffen kann, und dennoch faullenze ich nicht . . ., sitze vielmehr
ganze Tage und Abende in meinem Zimmer", so klagt er den Sei-
nigen. Und seinem Freunde Franchomme: „Mein Guter, ich tue
mein Möglichstes, um zu arbeiten, aber ich komme nicht von der
Stelle; und wenn dieser Zustand anhält, so werden meine ferneren
Produktionen nicht mehr an den Gesang der Grasmücken noch
auch an gebrochenes Porzellan erinnern. Ich muß mich darein er-
geben." Es ist die niedrige Prosa der Umgebung, die Ernüchte-
rung der Seele, die Mißhandlung seines Gemütslebens, die dem
Dahinsiechenden das Gehirn ausdörrt. Jene Werke, in denen nach
Liszt „plus de volonte que d'inspiration" lebt, sind in diesen Jahren
wachsender Herzensleere und Enttäuschung geboren. Nun ist alles
so weit gediehen, daß eine Bagatelle die letzten Verbindungsfäden
zerreißt: Chopin schützt die verheiratete Tochter gegen die rohe
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Mutter. Die quittiert mit völliger Absage an den Mann, der sehend
und darum willensstark geworden ist. Man braucht keinen Stein
auf die Frau zu werfen, die 1847 schreibt: „Sieh, welcher Art meine
Lage in diesem unglücklichen Freundschaftsverhältnis ist, in dem
ich mich nach jeder Hinsicht zu seiner Sklavin gemacht habe . . .
Ich bin beim Märtyrertum angelangt!" Seine „tolle Anhänglichkeit"
wendet sich an Sinne, die erkaltet sind. Noch nie haben ihre Be-
ziehungen zu einem Mann eine solche Dauer erreicht; noch nie
sind solche Opfer von ihr gefordert worden; nie aber auch hat
sich ein anbetender Dichter zu solcher Sklaverei erniedrigt. Ihre
Herrschernatur ist längst befriedigt; und der Idealismus, den sie
ersteigen konnte, längst überboten. Doch er wollte in seiner Hilf-
losigkeit und Schwäche die Fesseln nicht abwerfen. Hier mußte
mit Entschiedenheit und unter dem Deckmantel einer frommen Lüge,
die doch nicht einmal eine ganze Lüge war, nachgeholfen werden.
Sie war die Stärkere, und sie tat es.
So endete die Liaison.
DAS ENDE
Der Künstler Chopin ist gebrochen. Es bleibt der hinsterbende
Mensch. Die nach dem Gemälde Ary Scherfers nachgeschaffene
Kopie Stattlers — das Kunstwerk selbst ist in Warschau den Flam-
men anheimgefallen — zeigt die feinen Züge um die tragische Note
bereichert; das tränenvolle Auge läßt den Beschauer ergreifende
Schicksale ahnen und lenkt seinen Blick ab von den Spuren, die
Siechtum eingegraben hat, ohne die sichtbare Erinnerung an die
früheren Reize dieses Gesichtes auszulöschen.
Verschleiern hilft nichts mehr: die Klage über George Sand
bricht nun auch in den Briefen an die Angehörigen hervor. Weih-
nachten, die Zeit, da er sich immer am stärksten nach der Heimat
sehnt, drückt ihm auch jetzt die Feder in die Hand. Er weiß
nun, daß ein Gewaltakt ihn hatte entfernen sollen; er betrachtet
die Frau nun mit der ganzen Schärfe seines Urteils, aber nicht
ohne diesem „merkwürdigen Geschöpf", das „Unheil im eigenen
Leben und in dem der Tochter stiftet", mildernde Umstände zu-
zubilligen. Für sich selbst bedauert er (vor den Seinigen) nichts;
„nur dass sie die Tochter, diese so wohlgepflegte, vor so vielen
Stürmen bewahrte Pflanze mit der Mutterhand durch Unverstand
und Leichtfertigkeit gebrochen hat, die man wohl einer zwanzig-
jährigen, niemals aber einer vierzigjährigen Frau verzeihen kann",
ist ihm leid. Diese Frau will Memoiren schreiben? Das scheint
ihm ein wenig verfrüht. Ihre übrige journalistische und schrift-
stellerische Geschäftigkeit findet bei ihm stets ein Echo. Trotz ih-
rem Roman „Lucrezia Floriani", der nach einer begründeten Mei-
nung ein liebloses Zerrbild Chopins bot. Selbst der aktuelle Reiz
dieser selbstsüchtigen PseudoCharakteristik schwand bald.
Die Zeichen der Teilnahme für den Todkranken, dem nun auch
die doppelt fühlbare Bitterkeit des Alleinseins nicht erspart bleibt,
mehren sich. Aber gewiß gab es unter den mancherlei Freundschafts-
beweisen, die sein Lebensabschluß ihm brachte, keinen wohltäti-
geren, verständnisvolleren als den sanften Zwang der Freunde, an
ihrer Spitze Pleyel, noch einmal öffentlich zu spielen. War schon
der schaffende Künstler gelähmt, so sollte ihm doch der Empfin-
dungsaustausch mit einem gleichgesinnten Kreise die Lust am Da-
sein erneuern. Und sie selbst, die ihn anregten, hatten wohl das
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starke Bewußtsein der Denkwürdigkeit dieser Stunde, da der Schat-
ten eines Genies von der Pariser Welt Abschied nahm. Die Poesie
der Krankheit, die schon im intimen Salon ihren Zauber geübt hatte,
sollte in dem größeren diese Kunst ins Ätherische steigern. Liebe-
voll wird die Stimmung vorbereitet, aus der ein höchster Gleich-
klang erwachsen kann. Chopin wird von jeder Sorge für das Ar-
rangement entlastet; er wird ein Klavier, das er zu Haus erprobt
hat, vorfinden; er wird nur bekannte Gesichter um sich sehen; nichts
soll ihn fremd anmuten, nichts ihm die Stimmung trüben. Er weiß,
daß eine Woche vor dem Konzert keiner der 300 verfügbaren Plätze
zu 20 Franken mehr zu haben ist; und hört, daß mancher, der aus-
geschlossen bleibt, auf einen zweiten Abend vertröstet wird. Die
Lust am Dasein ist ihm für einen Augenblick erwacht. Und er
spielt am 16. Februar 1848 mit krampfhaft gesteigerter Kraft, in-
mitten der Toilettenpracht und des Blumenduftes ; die Stimmung des
Salons hat ihn getragen; im Künstlerzimmer bricht er zusammen.
Nicht lange darauf begegnen sich Chopin und George Sand
wie zufällig in dem Haus einer gemeinsamen Freundin, Madame
Marliani, der Gattin des spanischen Konsuls in Paris. 13er Meister
grüßt und teilt ihr mit, daß Solange Mutter geworden sei und sich
wohlbefinde. Frau Sand fragt Chopin, wie es ihm gehe. „Ich be-
finde mich wohl", antwortet er und läßt sich bei diesen Worten
vom Concierge die Tür öffnen. Man darf annehmen, daß nach
ihrem Willen die Unterhaltung noch nicht beendet sein sollte. Aber
er hatte ihr nichts mehr oder zuviel zu sagen; die Frostdecke darf
nicht schmelzen, und er zahlt hier mit der Münze der Unhöflich-
keit, um den Gefühlsausbruch zu verhindern. Das ist die nüchterne
Schlußszene des Dramas, in dem es nur innere Katastrophen gibt.
Die widerstandsfähigere Natur der Frau bleibt von ihnen verschont.
Doch Chopin leidet noch mehr. Er reiht sich an seinem Lebens-
abend auch darin den großen Meistern der Vergangenheit an, daß
die Not an seine Tür pocht. Der mondaine Künstler hatte stets
mit vollen Händen ausgegeben. Nun zwingt ihn sein Siechtum
zu Maßnahmen der Vorsorge. Er hat eine reiche englische Schü-
lerin Jane Stirling; keine von den Frauen, deren Duft ihn berauschte;
langweilig, aber gemütvoll und anhänglich. In England, so scheint
es, schätzt man ihn und verlangt nach ihm. Und so erleben wir
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das erschütternde Schauspiel, daß ein vom Tod Gezeichneter sich
den Strapazen einer Londoner Season aussetzt, sich von Gesell-
schaft zu Gesellschaft schleppt und um einen Sparpfennig kämpft,
während er in seiner Wohnung fast „die Seele aushustet", von
Kopfschmerz und Schlaflosigkeit geplagt ist. Zu diesen körperlichen
und seelischen Qualen tritt noch die Sorge um seine Landsleute.
Die revolutionäre Bewegung in Posen erregt sein polnisches Herz
aufs heftigste. Noch vor der Abreise von Paris hatte er an Fon-
tana geschrieben: „. . . . es wird nicht ohne schreckliche Dinge
abgehen, am Ende aber von alledem ist ein glänzendes, grosses,
mit einem Worte — Polen da." Es ist, als ob seine Kindheits-
erinnerungen besonders mächtig in ihm würden ; als ob sein schwär-
merisches, unpolitisches Nationalgefühl nun beim Ausklang seines
Daseins sich noch vertiefen müßte.
Der Meister hat in London die ganze Kunstfremdheit des Adels
zu spüren. Er macht sich als vornehm gekleideter Künstler fast
verdächtig: . . . „meine minderen Collegen, die hier von oben
herab behandelt zu werden pflegen, sind die Ursache, dass ich für
irgend einen Dilettanten gehalten werde; binnen kurzem werde ich
gewiss irgend ein Grandseigneur sein, weil ich reine Schuhe habe
und keine Visitenkarten mit der Aufschrift herumtrage: erteilt Unter-
richt zu Hause, spielt auf Soireen u. s. w." Er unterrichtet, soweit
seine Kraft reicht; aber er wird selbst gelegentlich um sein Hono-
rar betrogen. Die Herzogin von Southerland, die ihn bei einer
Soiree als Sehens- und Hörenswürdigkeit herumgehen läßt, stellt
ihn der Königin vor. Selbst den Todkranken blendet soviel Reichtum
und Glanz, soviel ordengeschmücktes Hofschranzentum. Die Presse
ist ihm bis auf einige traurige Ausnahmen günstig. Die philharmo-
nische Gesellschaft lädt ihn ein, mit Orchester zu spielen; er aber
zeigt sich so hoher Ehre unwürdig und lehnt ab, weil ihm nur
eine, und zwar öffentliche Probe bewilligt wird. Überdies hätte
dieser Raum seinen zarten Ton völlig verschlungen. Da er Empfind-
lichkeiten verletzt hat, bleibt ihm auch der Hof verschlossen; und
Privatkonzerte müssen ihn für diesen Verlust entschädigen. Aber
inmitten der vornehmen Langeweile stößt er doch hier und da auf
Menschen, denen Chopin mehr ist als ein bloßer Begriff oder ein
mehr oder minder gleichgültiger Name. Jenny Lind, die er in der
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„Sonambula" hört, entzückt ihn in schwedischen Volksliedern durch
den Erdgeruch einer Kunst, die ihm nun über die nationalpolnische
zu denken gibt; die ihm bekannte Pauline Viardot singt Chopinsche
Mazurken in Covent Garden und überhäuft den Meister mit Freund-
lichkeiten. Auch der Sinn für Merkwürdigkeiten ist in ihm nicht
erstorben, und ein letzter Rest von Humor leuchtet in ihm auf.
So wenn er Lady Byron trifft: „Wir sympathisieren sozusagen mit-
einander und unterhalten uns wie die Oans mit dem Ferkel, sie
auf englisch und ich auf französisch. Ich begreife es, dass Byron
ihrer überdrüssig wurde." Aber im Grunde kann nichts mehr seine
Todestraurigkeit verscheuchen: „Ich kann nicht trauriger werden,
als ich bereits bin, eine wirkliche Freude habe ich seit langem
nicht mehr empfunden. Eigentlich fühle ich überhaupt gar nichts
mehr, vegetiere vielmehr nur und warte geduldig mein Ende ab."
So leicht wird's ihm freilich nicht gemacht. Der langsam Hin-
sterbende muß reiselustiger werden, als er es je in leidlich ge-
sunden Tagen gewesen war. Mit Schluß der Season übersiedelt
er nach Schottland, nach Schloß Calder House bei Edinburgh, dessen
Besitzer, Lord Torphichen, Schwager seiner fürsorglichen, sehr bibel-
festen Plagegeister Jane Stirling und ihrer Schwester Mrs. Erkine
ist. Von da stöhnt er: „Von einem musikalischen Gedanken keine
Spur — ich bin aus meinem Geleise und komme mir vor wie ein
Esel auf einem Maskenball oder wie eine E-Saite der Violine auf
einem Kontrabass." Er findet noch die Kraft, über seine lange
Nase und den nichtausgebildeten vierten Finger als das einzige,
was ihm geblieben sei, zu scherzen. Er bedauert, daß er den Eng-
ländern zuliebe, die nur nach Pfunden rechnen, keine Maschine mehr
werden könne. Diese ahnenreichen Menschen, deren Unterhaltung
stets „eine Wendung ins Genealogische nimmt," können selbst ihm,
dem Fanatiker der Vornehmheit, bei all ihrer Zartheit das Gefühl
frostiger Einsamkeit nicht nehmen. Dem polnischen Arzt Dr. Ly-
scynski in Edinburgh, einem halben Engländer, schließt er sich um
so inniger an. Am 28. August spielt er in Manchester, am 27. Sep-
tember in Glasgow, am 4. Oktober in Edinburgh; wirklich überall
wie die E-Saite auf dem Kontrabaß, als ein Beifall und Geld er-
bettelnder Virtuose auf Reisen. Kohlengeruch und Nebel saugen
das Fluidum auf; er selbst, kraft- und stimmungslos, kann kein
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Chopin mehr sein. Dazwischen wechselt er den Aufenthalt: wird
vom Fürsten Alexander Czartoryski auf dessen Landsitz Johnstone
Castle, dann nach Stirling Castle geladen; rafft sich für Augen-
blicke auf, sucht etwas von der Landschaft zu erhaschen, die ihm
der Nebel meist verhüllt; seine Schwäche hat sich so gesteigert,
daß er von seinem getreuen Daniel wie ein Kind getragen, an-
und ausgekleidet wird. Dabei muß er sich von Zeit zu Zeit für
soviel Gastfreundschaft erkenntlich zeigen und spielen ; das gelingt
ihm nur, wenn er seine ganze Körper- und Seelenkraft zusammen-
rafft. Und seine Schottinnen! „Sie werden mich aus Höflichkeit
erdrücken, und ich werde es ihnen aus Höflichkeit nicht versagen."
Ganz blind für die Reize der Frauen macht ihn auch sein trauriger
Zustand nicht: er findet „beautes du diable et diables sans beaute".
Unter seinen Freunden, zu denen nun die von ihm väterlich
geliebte Solange getreten ist, vertraut er sich in den letzten Jahren
dem Grafen Albert Grzymala am rückhaltlosesten an. Auch zu ihm
ist die seltsame Kunde gedrungen, daß Chopin heiraten wolle. Jane
Stirling, die biedere Stirling seine Gattin? Der Todkranke wehrt
sich gegen diesen Verdacht in einem erschütternden Schreiben: „Ich
kann im Spital krepieren, werde jedoch eine brotlose Gattin nicht
hinterlassen . . . Ich klage Dir nicht, allein Du hast es verlangt,
deshalb kläre ich Dich darüber auf, dass ich dem Sarge näher bin
als dem Ehebett." In London, wohin er seit Anfang November
wieder zurückgekehrt ist, opfert er sich noch einmal für seine pol-
nischen Landsleute. Geschwollene Füße kündigen das letzte Sta-
dium der Krankheit an. Paris ist seine Sehnsucht. Ja seine Hoff-
nung. Endlich — es ist Januar 1849 — kann er an Grzymala
schreiben: „Gib, bitte den Auftrag, dass die Betttücher und Kissen
trocken seien! Lass Fichtenzapfen kaufen. Frau Etienne soll nichts
sparen, damit ich bei meiner Ankunft mich erwärmen kann."
Er ist nun in seinem Paris, betreut von den Freunden und
nach der Art der Schwindsüchtigen gern bereit, sich hoffnungsfreudig'
stimmen zu lassen. Doch Dr. Molin, sein Arzt, stirbt plötzlich,
und sein Mißtrauen gegen die übrigen Ärzte ist durch nichts zu er-
schüttern. Arzneien nimmt er nicht mehr; ärztliches Wissen gilt
ihm ebensoviel wie die Harmlosigkeit seiner Pflegerin Matuszewska,
die zu sagen pflegt, „dass der Herr Jesus die Sache gewiss zum Guten
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wenden werde, und dass vielleicht auch ein Pflaster aus Honig
und Mehl helfen könnte." Chopin fährt zuweilen im Bois de Bou-
logne spazieren; und Delacroix begleitet ihn auch wohl einmal,
als Tagebuchschreiber auf jedes Wort lauschend; auch auf George
Sand gerät das Gespräch, und Chopin meint, daß ihr Gewissen sie
nie beunruhigen werde. Dann wieder bleibt er so gut wie stumm,
leidet aber unter der Langenweile. Doch findet ihn das Frühjahr
so weit gekräftigt, daß er der Erstaufführung von Meyerbeers „Pro-
phet" beiwohnen kann; er stößt ihn ab.
Ein zweimaliger Wohnungswechsel beweist, daß noch nicht jede
Hoffnung in ihm zerstört ist. Vom Square d'Orleans zieht er im!
Sommer nach der Rue Chaillot 74 in die Nähe der Elysäischen
Felder, wieder Ende September nach der Place Vendome Nr. 12,
immer den Tod vor Augen und doch noch einen Hoffnungsschimmer
im Herzen. Zur Arbeit unfähig, mit seinen Ersparnissen zu Ende,
ist er nun auf fremde Hilfe angewiesen. Es ist nicht leicht, ihn
zur Annahme auch nur eines Teiles der 25 000 Franken zu bewegen,
die Jane Stirling ihm ohne Namensnennung spendet. Unter den
Besuchern erfreut ihn besonders Jenny Lind; freigebig läßt sie ihn
hören, was er wünscht. Die Cholera entvölkert Paris. Sie rafft
auch Kalkbrenner hin wie die Catalani, die eben noch mit Madame
Rothschild bei Chopin zusammengetroffen war. Solange Clesinger,
Marcelline Czartoryska, der Öfchter Cyprian Norwid, Karl und Elise
Gavard, Delacroix, Gutmann lassen sich bei ihm sehen; dieser aller-
dings viel seltener, als der Meister ihn erwartete. Endlich kommt
auch seine Schwester Luise aus Warschau. Er hat sie gerufen mit
einem Briefe, der unter der Maske eines herzbewegenden Humors
nur das eine sagt: „Ich bin krank, und kein Arzt vermag mir zu
helfen wie Ihr." Also: Luise kommt und sieht, daß der Bruder
nicht zu retten ist. Und seltsam! Auch Titus, der letzte Freund
aus glücklicheren Jahren, will ihn in Paris aufsuchen, nachdem /er
erfahren hat, daß Chopin außerstande ist, mit ihm in Ostende zu-
sammenzutreffen. Sein Kommen scheitert an der Paßfrage.
Und nun ist alles auf das Ende gefaßt. Selbst Chopin, der
eben noch Hoffnung geschöpft hatte. Seine Stimme wird leiser
und leiser, sein Atem schwerer und keuchender, von peinigenden
Hustenanfällen gehemmt. Es ist, als ob er sterben sollte, wie er
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gelebt hatte: im Salon. Er war oft fälschlich tot gesagt worden;
nun, da der Tod wirklich kam, hatten sich die Freunde längst
zusammengefunden, und er sah liebe Gesichter um sich. Nur die
Mutter fehlte. Mit unermüdlicher Hartnäckigkeit sucht der polnische
Abbe Alexander Jelowiecki den der Religion Entwöhnten dem ka-
tholischen Glauben zurückzugewinnen. Da der Geistliche in der
Schwäche des Sterbenden eine Bundesgenossin findet, gelingt es
ihm, seine Seele vom Fegefeuer zu retten; als ob sie nicht schon
längst durch ihren künstlerischen Inhalt jedem religiösen Streit ent-
rückt gewesen wäre. Die grand monde erscheint: die Gräfin Del-
phine Potocka, in ein weißes klassisches Gewand gehüllt, ist von
Nizza herbeigeeilt. Der Meister ist glücklich, sie, die ihm geistig
und seelisch verwandte bezaubernde Schönheit, zu sehen und wünscht
sie zu hören. Mit tränenerstickter Stimme entspricht sie diesem
Wunsche. Chopin gibt seine letzten Verordnungen. Er möchte seine
Manuskripte nicht veröffentlicht sehen ; Mozarts Requiem soll bei
der Trauerfeier für ihn erklingen; sein Herz soll in Warschau bei-
gesetzt werden. Endlich schreibt er folgende (stets falsch gelesenen)
Worte: „Comme cette terre m'etouffera, je vous conjure de faire
ouvrir mon oorps pour je sois pas enterre vif." Er, wie einst sein
Vater, fürchtete, lebendig begraben zu werden. Dann quält ihn der
Gedanke an die Mutter. Mit den Worten : „Matka, moia biedna
Matka!" stirbt er in der Nacht zum 17. Oktober 1849. Nicht lauge
darauf sind von seinen Zügen die Spuren des Leidens gewichen.
Er hat die ewige Jugend zurückgewonnen. Der Maler Taddäus
Kwiatkowski hält sie in einem Aquarell fest: wie eine junge Frau
ruht Chopin, doch ohne Trauer, ohne Sehnsucht; aber nun, wo
das geschlossene Auge das Beherrschende verloren hat, packt die
Silhouette mit den kühn geschwungenen Linien den Beschauer. Dar-
auf nimmt der Bildhauer Clesinger, der Gatte Solanges, die Toten-
maske ab.
Das künstlerische Paris, obwohl längst auf den Heimgang des
Meisters gefaßt, stand unter dem Eindruck eines Ereignisses. Das
Monumentale, Weltgeschichtliche in ihm freilich harrte noch der
Entdeckung. Unter denen, die Chopins öffentlich gedachten, faud
Berlioz besonders tief empfundene Worte. Am 30. Oktober wurde
der Meister beigesetzt, und man ehrte die Wünsche des Abgeschie-
81
denen; nur daß bei der Trauerfeier in der Madeleine die berühm-
testen Sänger und Sängerinnen in die Klage miteinstimmten. Und
neben Mozarts Requiem begleiteten der von Henri Reber instrumen-
tierte Trauermarsch aus der b-moll-Sonate, die Preludes Nr. 4 und
6 die Feier. Als der Sarg in die Gruft gesenkt wurde, sandte man
ihm den Becher polnischer Erde nach, den Chopin einst beim Ab-
schied aus Warschau empfangen hatte. Auf dem Friedhof Pere
Lachaise ruht er in unmittelbarer Nähe von Bellini und inmitten
der großen Meister französischer Tonkunst. Sein Herz wurde in
die Heiligkreuzkirche in Warschau gebracht.
Am 17. Oktober 1850 ward das von Clesinger geschaffene Denk-
mal enthüllt. Er war nicht der kongeniale Künstler, dem Liebe
und Verständnis die Hand führte. So gab er auch der Statue der
Frau nicht Geist vom Geist Chopins; so wußte er auch sein Frauen-
ideal nicht zu formen, wie er es nicht ahnte.
Aber dies alles ist ohne Belang. Chopin steht in der Reihe
der Meister, die nicht vom Denkmal — und es entstanden deren
an manchen Stätten — ihre Verlebendigung und Verewigung er-
hoffen. Er lebt in unsern Herzen.
Weissmann, Chopin
ZUR PSYCHOLOGIE DES MUSIKERS
Der Mensch und der Musiker! Es scheint, als ob die Kluft
zwischen ihnen unüberbrückbar sei. Es war eine fable convenue
geworden, daß die einseitige Begabung für die tönend bewegte
Form den Menschen verkümmern lasse. Erst im neunzehnten Jahr-
hundert rächte der Mensch den Musiker. Doch nicht so sehr, daß
jener Glaube ganz ausgerottet worden wäre. Der nachschaffende
Tonkünstler stützte ihn immer wieder durch seine geistige Leere,
durch seine menschliche Niedrigkeit, durch seine unbedenkliche Ge-
nußsucht. Und die wenigen, die aus solcher Enge in ein höheres
Dasein flüchteten, konnten die eingewurzelte Überzeugung nicht er-
schüttern. Schien es doch, als ob der heilige Wahnsinn des Schaffens
durch allzu viel Bewußtheit nicht gestört werden dürfe; als ob der
Tonkünstler, der zu denken beginne, die Sicherheit des musikalischen
Instinkts einbüße.
Wir haben nun das Dasein eines Meisters, das so reich an
innerem Erleben war, vor uns abrollen sehen. Wir ahnten, daß
vom Menschen zum Musiker hier eine Brücke führen müsse. Nicht
alle übrigens ahnen es. Auch der große Künstler Chopin hatte
die Folgen dieses Vorurteils zu spüren. Er wurde zum Kind er-
niedrigt, mit dessen Launen man sich nicht zu beschäftigen habe; oder
zu einem pathologischen Wesen, das seine körperliche und geistige
Gesundheit auf dem Altar der Kunst opferte. Beides ist eine Ent-
weihung des Künstlers. Den Musiker ganz aus dem Menschen er-
klären zu wollen, vergebliches Bemühen. Und ein Zeichen besonderer
Verständnislosigkeit da, wo Phantasie und Stimmung sich gegen
jede Sektion wehren. Aber dem Künstler auf den Krücken des
Menschtums sich zu nähern, ist nicht nur lockend; der moderne
Musiker kann hier ein Stück eigenen Wesens sich spiegeln sehen.
Es ist die höchste Steigerung nervösen und doch so unendlich
fruchtbaren Musikertums, die wir in Chopin erleben.
Es gilt zunächst die Erscheinung gegen den größten Meister
abzugrenzen. Den unbefangenen Eindruck, den er von Beethoven
empfing, kleidete Goethe in die Worte: „Zusammengefaßter, ener-
gischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. Ich be-
greife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehen muß."
83
Wir hören hier, wie Chopin nicht war. Stärkere Gegensätze
zwischen zwei Meistern sind nicht denkbar. Wir wissen auch, daß
da, wo das breitere Menschtum war, sich aus solchem Grunde
ein ganz anderes, umfassenderes Musikertum erhob. Die Energie
des Menschen gab dem Künstler den eisernen Griff, unerhörte Stoffe
in gewaltige Formen zu zwingen. Sie lieh ihm den Ausdruck für
die großen Leidenschaften, sie machte ihn fähig, Ichgefühl und
Menschheitsgefühl in seinem Schaffen zu verschmelzen.
Vor solcher Größe schreckt Chopin zurück. Der unverhüllte
Ausdruck der Leidenschaft stößt ihn ab. Sein Menschtum ist kleiner;
seine Tatkraft schwächer. Er steht der Welt fremd, aber nicht
wunderlich gegenüber.
Und nun, da wir ihn vor dem Titanen gedemütigt haben, stellen
wir Chopin wieder auf sein hohes Piedestal. Betrachten wir ihn
von da aus, wo er wieder der Titan gegenüber den andern ist.
Hatte dort kraftvolles Germanentum ihn bezwungen, so darf der
aristokratische Pole und Halbfranzose die Huldigung fast aller derer
entgegennehmen, die nach ihm kamen.
Nein, er war weder ein Kind, noch ein pathologisches Wesen.
Aber er hatte von beiden so viel, wie ein echter Künstler braucht;
und um so mehr, als dieser seltsamste aller Musiker intensivstes,
nervenzerstörendes Schaffen in wenige Dezennien pressen mußte.
Er bewies, daß höchster Nervenverbrauch und ungeschwächte Naivi-
tät nebeneinander leben können ; er ist das einzige Beispiel für
eine wundervolle Fügung des Geschickes, die den so oft als entartet
verunglimpften modernen Menschen mit Stolz erfüllen darf. Denn
selbst Wagner, als Gesamterscheinung stärker, kann ihm den ersten
Rang nicht streitig machen.
Schon wieder meldet sich ein anderer Name. Es ist Zeit, Chopin
für sich allein als Menschen zu betrachten.
Wie stand es nun um sein geistiges Leben? Wie um sein
Instinktleben? Sind sie beide des Künstlers würdig?
Der Musiker muß ein Sonderwesen bleiben ; oder er verneint
die Grundlagen einer Kunst, die auch ihn als Abtrünnigen abschüt-
teln wird. Als Kollektivum bildet er einen Staat im Staate; er
empört sich gegen die Gesamtheit. Wer diesen Satz aufstellt, kann.
6*
84
sich ohne weiteres auf Chopin berufen. Wenige Künstler vermoch-
ten wie er mit unfehlbarem Instinkt das ihrem Wesen Entsprechende
zu wählen, das ihm Widersprechende beiseitezuschieben. Durch den
Vater mit gallischem, durch die Mutter mit polnischem Volkstum
verknüpft, hat er die Anlage zum geistreichen Apercu geerbt. Sein
Organismus ist schwach und auf äußerste Ökonomie angewiesen.
In dem Kind zeigt die Magnetnadel sehr bald nach einer Richtung.
Der Sieg des Unbewußten über das Bewußte in ihm ist entschieden.
Jede Empfindung setzt sich unmittelbar in Ton Vorstellungen um.
Sein Träumen, das ihn ganz beherrscht, ist im geistigen Sinn in-
haltsleer. Wie es ihm den Willen durchkreuzt, da es die Aller-
weltslogik durch quälende Tonreihen und ein übermächtiges Emp-
findungschaos plötzlich unterbricht, so lähmt es ihm auch die Tat-
kraft, weil es an den Nerven zehrt. Er schaut sich in der Welt
um; nichts von ihr strömt stofflich in seine Kunst. Ihre Quellen
sind in ihm selbst. Er braucht nicht die Kenntnis des Menschen,
nicht die der Natur; weder die Wissenschaft noch die Literatur
noch endlich die bildende Kunst können ihm dienen. Und da ihn
mit der wirklichen und mit der geistigen Welt nichts verbindet,
da er von sich selbst aus schaffen und bilden muß, ist der Verbrauch
an Nerven doppelt so groß als der eines anderen Künstlers. Das
Traum-Ich regelt den Verkehr mit der materiellen und mit der gei-
stigen Wirklichkeit.
Wir haben hier die stärkste geistige Isolierung, deren ein Künst-
ler fähig ist. Und wenn die moderne Musik gerade durch den
Gedanken befruchtet worden ist, so erleben wir hier, daß ein moder-
ner Musiker mit reinem Instinkt, der alle Mittelglieder verschmäht,
sich der Phantasie aufzwingt. Wie anders Wagner und Liszt, die
ihn doch als Nervenverwandte grüßen! Beide, obwohl jener eine echt
germanische, dieser eine kosmopolitische Natur, werden durch das
Dramatische in ihrem Schaffen gestützt; bei aller Phantastik suchen
sie doch, jeder in seiner Weise, Stoff für ihre Kunst aufzusaugen.
Gezwungen schrittweise vorzugehen, führen sie nicht nur dem Geist
neue Quellen zu; sie setzen dem Flug der Phantasie eine starke
Logik entgegen, die ihn zuweilen hemmt, und sie stellen das Un-
bewußte zuletzt immer wieder unter die Kontrolle des Bewußten.
Ein Hang zur Deduktion und zur Synthese läßt sie auch die Grund-
85
lagen ihrer Kunst begründen. Nichts von alledem finden wir in
Chopin. Seine schwächere körperliche und geistige Struktur streckt
sehr früh vor allem Außermusikalischen die Warfen. Die reizbare
Anlage prägt die Kindheitseindrücke in einen Fonds von Schwermut
um, die alle Gefühle und Vorstellungen in ihm färbt. Das Lyrische
wird der Grundton seines Wesens. Vom Stofflichen nicht befruchtet
noch gehindert, kann es sich hemmungslos ausbreiten. Es zehrt
an der Energie des Denkens. Es läßt ihn geistig verarmen. Und
während dort der Austausch zwischen dem Tag- und dem Traum-
leben der Seele sich unter dem Schutz des Tages-Ich vollzieht, wird
in Chopin das Schwergewicht nach der Seite des Unbewußten ver-
schoben. Er gesteht selbst, daß das Nacht- und Tagesleben ihm zu-
weilen ineinanderfließen. Seine Schlaflosigkeit hemmt den Ausgleich
noch mehr. Er selbst spricht von den „espaces imaginaires", von
den eingebildeten Räumen, in denen er fast stets weilt. Er schämt
sich dessen nicht; er schiebt es auf das Nationale. „Bin ich doch
ein echter blinder Masure." Es treten Grenzzustände ein; und da
in ihm eine wühlende Unruhe ist, die sich bis zum Schmerzgefühl
steigert, erscheint das Gleichgewicht des denkenden Menschen in
Ausnahmefällen durch Wahnvorstellungen gestört. So hätte jener
Gefühlsausbruch nach der Einnahme von Warschau in ihm eine
Katastrophe herbeiführen können, wenn nicht eben geistige Reserven
die vorübergehende Trübung allmählich beseitigt hätten. Mag aber
dieser bedrohliche Übergriff des Unbewußten den Geist in ihm zu-
weilen lahm legen, die Spuren seiner geistigen Bedeutung vermochte
es nicht zu verwischen. Die weibliche Richtung seines Empfindungs-
lebens ist zwar nicht zu bestreiten. In jenen Jugendbriefen zumal
sahen wir ein erschreckendes Chaos, sobald der innerste Mensch
sich hüllenlos gab; auf einem Ozean von Stimmungen schwammen
die Gedankenreihen. Es ist ihm nicht möglich, sich von Kindheits-
eindrücken, von Vorurteilen, vom Aberglauben loszureißen. Nicht
nur mit Polen, nicht nur mit den Seinigen bleibt er innig verknüpft.
Träume haben eine Macht über ihn, die sein Denken vergebens
bannen will. Deutsche und Juden benörgelt er stets, auch wenn die
Lebenserfahrung ihn schwankend machen könnte. Aber es ist nicht
ohne Reiz, zu sehen, wie der systematische Deutsche Richard Wagner
den Judenhaß fast wissenschaftlich begründet, während er bei Cho-
86
pin nicht in die Tiefe dringt und nur in der Mißstimmung des Wirk-
lichkeitsmüden geäußert wird.
Fehlte nun aber wirklich Chopin der philosophische Zug der
Persönlichkeit, der auch den Großen in der Kunst eigen ist?
Denn mochte auch der Musiker immer seiner eigensten Stellung
innerhalb der künstlerischen Welt gemäß am liebsten und über-
zeugendsten in Tönen reden, das breite geistige Fundament war
selbst hinter seinem Stammeln zu erkennen, sobald er zum land-
läufigen Ausdrucksmittel griff. Und auch Chopin versagt hier nicht.
Wer im Bann von Vorurteilen lebte wie er, gerät leicht in den Ver-
dacht, daß ihm Lust und Fähigkeiten fehlten, an die Welträtsel zu
rühren. Aber unser Meister scheute auch die Auseinandersetzung
mit der Gottheit nicht. Sobald sein innerer Dämon ihn freigab,
suchte er, was seinem Denken an Übung und Folgerichtigkeit fehlte,
durch den Aphorismus nachzuholen. Aus dem engen religiösen Hori-
zont der Heimat trat er in die mit Voltairismus geschwängerte Pa-
riser Luft. Innerlich am Autoritätsglauben haftend, als echter Roman-
tiker mit der katholischen Mystik eng verknüpft, ringt er sich doch
gegen den Schluß seines Daseins zu der pessimistischen Lebens-
weisheit empor: „Das Schlimmste daran ist: dass wir das Werk eines
berühmten Geigenmachers, irgendeines Stradivarius sui generis sind,
der nicht mehr da ist, uns zu reparieren . . ."
Nur ein geistig Bedeutender kann seine Weltweisheit so geist-
reich formen.
Der allem Stofflichen, Außermusikalischen abgewandte Lyrismus
seiner Kunst verpflichtet ihn mehr als jeden andern Künstler zum
Schweigen über sein eigenes Schaffen. Wie er nie über Liebe, über
Freundschaft sprach und nur den Vertrautesten gegenüber die letzte
Hülle fallen ließ, so konnte er ganz natürlich den Kern seiner Schöp-
fungen nicht bloßlegen. Nur selten bricht er das Schweigen ; seinem
Titus verstattete er in jener Zeit der ersten Liebe einen Einblick in
seine geistige Werkstatt. Aber wie sonderbar mutet es uns an,
wenn der Tondichter die Grabesstimmung im letzten Satz seiner
b-moll-Sonate, eine der herrlichsten musikalischen Seltsamkeiten, mit
den dürren Worten bezeichnet: „Nach dem Marsch plaudern die
linke und die rechte Hand unisono." Hier ist ein Maß von Zurück-
haltung, die wir einem fremden Kritiker sehr verübeln würden. Und
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fremden Schöpfungen gegenüber wird er selbst ein überaus scharf-
sinniger Kritiker. Nur, wenn sie seinem Empfinden stracks zuwider-
laufen, erwacht in dem Kritiker der durch die Tat erstarkte Künst-
ler und unterbindet das Urteil. So würdigt er Beethoven nur, wo er
sich ihm episodenhaft als Kantilenensänger nähert; und weder das
Bewußtsein der Dankesschuld, die er an den Chopinenthusiasten
Robert Schumann abzutragen hatte, noch das der innigen Verwandt-
schaft mit dem Romantiker konnte seine Geringschätzung für dessen
Musik in wohlwollende Anerkennung wandeln. Es ist die gran-
dioseste Einseitigkeit, der wir in der Geschichte der Tonkunst je
begegnen.
Müssen wir nun aber dem Urteil Liszts zustimmen, der Chopin
die Neigung und die Fähigkeit zu ästhetischen Verallgemeinerungen
absprach? Mag sein, daß er sich mit ihm, dem durchaus spekula-
tiven Geist, über ästhetische Fragen nicht auseinandersetzte. In der
Zeit glühendsten Schaffensdranges vertraute er seinem Instinkt und
hielt alles Kunstgeschwätz für belanglos. Aber in der Pariser Kunst-
atmosphäre, in den Tagen, da Berlioz mit dem geistreichen Wort
dem eigenen Schaffen beisprang, konnte Chopin als Ästhetiker auch
nicht ganz stumm bleiben. Daß er es in den letzten Jahren seines
Daseins nicht war, bezeugt sein inniger Verkehr mit Delacroix. Der
Maler mit dem eindringenden Kunstverstand berichtet uns nicht nur
von endlosen Gesprächen, die er mit Chopin geführt hat; er verrät uns
auch, daß musikalische Fragen sie in Spannung gehalten haben. Und
Chopin bekennt, daß die Liebe zu Mozart ihr Freundschaftsverhält-
nis noch fester geknüpft habe. Gewiß mied er nutzlosen Streit; ge-
wiß ersetzte er systematischen Aufbau einer Ästhetik durch apho-
ristische Äußerungen. Aber bewußter, nur in den Grenzen seiner
Künstlernatur gehaltener Kunstverstand beherrschte ihn und war
fähig, sich auch in Worten zu behaupten. Und er schritt noch weiter.
Denn der Klavierlehrer Chopin, der sich für erfolgreich hielt, suchte
noch in den letzten Tagen seine Erfahrungen zusammenzufassen und
skizzierte eine „Methode der Methoden".
Immer mehr weitet sich für uns nun Chopins Horizont. Tritt
schon in seinen Briefen die Ironie des geistreichen Polen hervor,
die selbst vor Derbheiten nicht zurückschreckt, so wird seine erstaun-
liche Gabe, Menschen zu charakterisieren, gerühmt. Seine Künstler-
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porträts, die er ohne die andern Hilfsmittel des Schauspielers, nur
durch die nervöse Beweglichkeit seiner Gesichtszüge, durch die Ge-
lenkigkeit seines Körpers zustande bringt, sind von erstaunlicher
Schlagkraft und werden zu einer begehrten Nummer im Unterhal-
tungsprogramm des Salons. Polnische Nörgelei steigert sich im
Künstler zur Gabe plastischer Wirkung. Er, der im Reich des Un-
bewußten zu leben gewohnt ist, stößt sich, wenn er zur Wirklichkeit
zurückkehrt, an den Menschen, erkennt sofort seine Schwächen, die
ihm lästig werden, und bannt sie in feste Form. Und es ist nur
begreiflich, daß er auch als Karikaturenzeichner seinen Mann stellt.
All dies aber, wie die ausgelassene Fröhlichkeit, die es hervorruft,
dient seinem Nervensystem zur Entspannung und wird, bevor es
seiner Kunst zufließen kann, von der allmächtigen Lyrik aufgesogen.
Dieselbe grandiose Einseitigkeit zeigt sein Verhältnis zur Lite-
ratur. Chopin treibt seine Abneigung gegen das Wort bis zur Idio-
synkrasie. Da er sich weder geben noch binden will, scheut er, wie
glaubhaft versichert wird, große Entfernungen nicht, um der schrift-
lichen Mitteilung überhoben zu sein. Wo er sie nicht umgehen kann,
und selbst in Briefen an die Angehörigen, führt er wahre Kämpfe mit
sich selbst. Dann aber erhält sein Stil durchaus persönliche Prägung.
Er erreicht Gipfel des Hochliterarischen. Er bewegt sich auch in
den Niederungen der chronique scandaleuse mit der Schwatzhaftig-
keit der Frau und mit der Liebe zum Wortwitz, der im Klangsinn
möglichst die Lücken des Wissens deckt. Schon in Warschau, das
ihm freilich musikalisch nicht genügte, zieht er den Umgang der
Literaten, deren Stimmung ihn ergreift, dem der Musiker vor. Seine
Begabung liegt sonst ganz brach; Bücher, selbst polnische, laden
ihn nicht zur Lektüre, und es ist gewiß, daß er in Paris außer den
George Sandschen Romanen, zu denen ihn der Zwang der Liebe
führte, kaum ein Buch gelesen hat. So stellt sich uns sein geistiges
Leben dar. Eine Fülle von Anlagen, die aber jede stoffliche Be-
reicherung, jede vervollkommnende Übung ablehnen, weil das Traum-
Ich die Tatkraft des Nervenmenschen aufzehrt, der fein und schwach
organisierte Künstler zu geistiger Isolierung gezwungen ist.
Sein Instinktleben wird durch einen Schleier verhüllt. Doch
nicht so, daß uns die Einsicht in Chopins Seele getrübt wäre.
Stärkste Sympathien und Antipathien verraten das unruhige Hin-
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und Herwogen in dieser Psyche, die, von den Nerven beherrscht,
nur die Extreme kennt. Man darf den Einfluß der Nerventätigkeit
auf den Charakter des modernen Musikers nicht gering veranschlagen.
Stimmung und Mißstimmung sind 90 mächtig, daß sie auch das Ethos
gefährden. Wo alles auf das Ich bezogen wird, tritt die Verschiebung
des innerlichen Gleichgewichts von selbst ein. In Beethoven, dem
Grenzpunkt zwischen Klassizismus und Romantik, wird sie durch
die breite Basis, auf der sein Mensch- und Musikertum ruht, noch
verhindert. In Richard Wagner sinkt die Wagschale nach der Seite
der Selbstsucht. Kleinliche Eitelkeit, persönliche Gehässigkeit sind
die Formen, in denen sie sich äußert. Sympathien und Antipathien,
extreme Stimmungen finden kein Gegengewicht mehr. Chopin,
geistig kleiner, ist dank seiner schwächeren, feineren Struktur nicht
ohne Hemmungen. Seine Aristokratennatur gestattet ihm rücksichts-
loses Draufgängertum nicht; sie bindet ihn noch an die Form. Wenn
auch hier kleinliche Eitelkeit, persönliche Abneigung sich äußern,
geschieht es unter der Maske der Höflichkeit oder so, daß die
Klippe umschifft wird. Bricht der Sturm dennoch einmal los, so
sorgt ein starker Fonds von Herzensgüte dafür, daß der Anprall
nicht vernichtet.
Aber Chopin und Wagner begegnen sich an anderen Punkten
wieder. Der Stimmungsmusiker kann ohne eine Umgebung, die sein
Nervensystem in Schwingung versetzt, nicht leben. Der Aristokrat
in Chopin stimmte zu. Nirgends enthüllt er uns diese Seite seines
Wesens mehr als in jenen Briefen an Fontana, die genaueste An-
weisungen für die Garderobe des Schreibers wie für die Ausstattung
der Wohnung enthalten. Feinster Geschmack, Vermeidung alles Auf-
fallenden ist das Motto dieser Anordnungen, während dort, in dem
salonfeindlichen Demokraten, das Sensationelle nicht fehlt.
Wir sind nun bei dem stärksten aller Instinkte, bei dem ero-
tischen angelangt. Musik als der ursprünglichste Ausdruck der Er-
regung, als lebendigstes Zeugnis für den Dämon, der uns quält,
spricht dank ihrer Stofflosigkeit am eindringlichsten zu unserer Sinn-
lichkeit. Je mehr ein schrankenloses Ich in den Mittelpunkt des
Schaffens tritt, desto mehr schwächen sich die Hemmungen ab. In
den Klassikern strebt das Melos bereits zur Architektur hin; es ist
schon in der Anlage so weit entsinnlicht, daß es die Ruhe der Ge-
90
staltung nicht gefährdet; und der nach allen Regeln der Kunst bis
in alle Einzelheiten vollendete Bau zeigt, wie sich Sinnlichkeit ins
Transzendentale gewandt hat. So wird uns Johann Sebastian Bach,
der den Kultus der Form zur höchsten Meisterschaft führt, zum Ur-
bild musikalischer Keuschheit; von ihm zieht sich eine Linie bis zu
Brahms hin. Auf diesem Weg sah sich Mozart von seinem Sinnen-
leben stark bedroht, ohne in seiner Klassikerruhe erschüttert zu
werden; und Brahms hatte die Romantik vorüberziehen sehen, ohne
von der metaphysischen Straße abzuirren. Die Romantik, die das
Ich zum künstlerischen Maßstab macht, erregt die Erotik des Musi-
kers aufs tiefste. Das leidenschaftlichere Melos atmet nicht mehr
die Sehnsucht, einem formvollendeten Bau zu dienen ; von der Sinn-
lichkeit stärker durchtränkt, führt es ein selbstherrliches Dasein. Der
Nervenmensch spricht und duldet keinen Einspruch. Nur die Poesie
kann das Unheil teilweise abwenden; und wenn zu ihr ausnahms-
weise die Sehnsucht nach Klassizismus sich gesellt wie in Robert
Schumann, dann hat die Musik wieder die hohe Stufe des Idealis-
mus erreicht, sie ist übersinnliche Romantik geworden. In Wagner
dagegen konnte selbst die Poesie die starken sinnlichen Zauber seiner
Tonsprache nicht bannen.
Wie sehr die Erotik Chopin schüttelt, zeigt schon sein Lebens-
weg. In keiner Periode seines Daseins fehlt die Frau, die ihn be-
geisterte. Ja, er entzündete sich an weiblichen Reizen so leicht, daß
sein Triebleben stets durch mehrere Leidenschaftsobjekte in Auf-
ruhr geriet. Und doch trieb er die Enthaltsamkeit bis zur Askese.
Haben wir nicht manches Geständnis des jungen Mannes gehört, der
vor jedem Abenteuer im letzten Augenblick zurückschreckte? Paris,
das den Zwanzigjährigen gewiß locken konnte, ging spurlos an ihm
vorüber; der erfolgreiche, sehnsüchtig begehrte Virtuose, der so
viele andere, Liszt an der Spitze, in dem Pariser Strudel untertauchen
sah, wich jeder Liaison aus. Wenn auch sonst väterliche Seelen-
kenntnis nicht bis in das Sexualleben der Kinder reicht, so ist doch
eine Stelle in einem Brief des alten Chopin auf Treu und Glauben
hinzunehmen. Während er ihn vor den ausgedehnten Nachtwachen
im Salon aus gesundheitlichen Gründen warnt, fügt er' hinzu:
„. . . ich bin überzeugt, dass kein anderer Exzess Dir schaden kann,
denn Du gestattest Dir keinen. " Brutale Sicherheit widersprach
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nichr nur dem Wesen eines Menschen, dessen Organismus ihn zur
Zurückhaltung mahnte; sie widersprach auch dem weiblichen Zug,
der die Erotik zielunsicher machte und eine letzte Schamhaftigkeit
hemmend vor den Genuß stellte. Die Liebe zu den Blumen, die
in seinem Salon nicht fehlen durften, spricht klar für das Weibliche
in ihm; sie sind hier das Symbol der Poesie, die auch über das
Leben seiner Sinne wachte. Und unerfüllte Erotik strömte in sein
Schaffen, schuf jene Wunder der Musik, vor denen wir noch immer
staunend stehen.
Denn wie dieser Mensch gerade diese Musik nicht schaffen
mußte, aber konnte, und was ihr Wesen ist, das eben soll hier
gezeigt werden. Sein Geistes-, sein Triebleben drängten nur nach
einem Punkt hin : zum musikalischen Schaffen. Die Verarmung des
Geistes zugunsten der Stimmung; die Herrschaft des Unbewußten,
die Abwendung von allem Zweck- und Absichtsvollen, die sich so
steigerte, daß für den bewußten Menschen nur eine allerdings desto
stärker betonte Lebensklugheit übrigblieb : dies alles hatte nur ein
Ziel: einen grossen, eigenartigen Künstler zu zeugen. Der Schwer-
mut als Grundlage des Schaffens brauchte nicht fruchtbar zu sein.
Ja, durch diese willenlose Hingabe an ein schmerzliches Gefühl,
die ein echt weiblicher Zug ist, wird der Kreis der schöpferischen
Empfindungen verengt; und die Einseitigkeit, die das hervorruft,
wird noch gefährlicher durch das Fehlen geistigen Nährstoffes. Hier
aber setzt eben die Energie des berufenen Künstlers ein. Die Tat-
kraft, die der bewußte Mensch sparte und als schwacher Organis-
mus sparen mußte, wandte sich ganz dem Unbewußten zu. Die
Sammlung wurde gesteigert. Und da sie einem engen Kreis galt,
wurde jene einzige Seltsamkeit geboren, die, liebevoll gepflegt und
nuancenreich gestaltet, der Gefahr entging, einseitige und ermü-
dende Manier zu werden.
Man kann in der Tat in der Musikgeschichte keine größere
Konzentration auf kleinstem Raum finden. Das Kind schon ver-
senkt sich mit Inbrunst ins Klavier; und diese Liebe ist die einzige,
der er bis ans Lebensende treu bleibt. Er legt ihm das Ohr ans
Herz und erwirbt jenes unerhörte Fingergefühl, das sich mit allen
musikalischen Vorstellungen verknüpft Diese Verknüpfung ist so
eng, daß jedes andere Instrument, und sei es auch die liebe mensch-
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liehe Stimme, ihm sofort fremdes Gebiet scheint. In der Begrenzt-
heit der Klaviatur also ist er gewohnt, seine Empfindungen sich
ausleben zu lassen. Sie sind noch nicht entschieden von der Schwer-
mut gefärbt. Oberstes Gesetz seiner Phantasien ist der Wohlklang;
ein an die Tasten gebundener Wohlklang. Hört er singen, dann
bannt er es auf die Tasten. Hier also liegen die Quellen seines
Schaffens, seines Klavierstils und -Spiels. Aus dem Klavier ge-
schöpfter Wohlklang ist ihm höchstes Ausdrucksmittel.
Das nationalpolnische zaj gibt sehr bald den Grundton an. Die
Volkskunst sucht seine Phantasie heim. Und indem er den Wohl-
klang durch weit auseinanderliegende Intervalle zu bereichern sucht,
beginnt die Eigenart zu keimen.
Bis dahin ist der Instinkt übermächtig in ihm. Aber der Künstler
ruft nach der Tradition. Er fühlt, daß er in die Irre gehen würde,
wenn das Handwerk ihn nicht stützte. Nun treten die Elemente
hinzu, die den Kunstverstand entwickeln und schärfen. Die Be-
schäftigung mit Bach ist der nachhaltigste Kindheitseindruck; Bach
wird sein musikalisches Glaubensbekenntnis. Chopin lernt die Wun-
der der Mehrstimmigkeit kennen. Wie wird sich nun diese musi-
kalische Unsinnlichkeit, die den Kunstverstand in ihm überzeugt,
mit seiner ureigenen musikalischen Sinnlichkeit mischen? Natür-
lich muß sich die Mehrstimmigkeit vor dem Wohlklange beugen,
sich in die von ihm geschaffenen Klangkombinationen fügen. Das
wird später einmal geschehen. Für jetzt schöpft er aus Bach nur
den Sinn für die Form und die transzendentale Stimmung, die selbst
chromatisch auftritt. Viel stärker spricht zu der Klangphantasie des
Knaben die reine Schönheit Mozartscher Kantilene. Ist Bach der
Meister, vor dessen bewußtem Können er sich verneigt, weil es
ihm den Stützpunkt gibt, so wird Mozart das Ideal musikalischer
Schönheit, das ihm bis ans Lebensende vorschwebt. Aber sein
Fingergefühl wird von Hummelschen Klavierpassagen lebhaft an-
geregt. Die feingegliederten Hände, die auf weibliches Plaudern
und Fabulieren angewiesen scheinen, greifen sie gierig auf und
suchen sie für den eigenen Klavierstil fruchtbar zu machen. Er
träumt den Virtuosentraum, und sein Schaffen bewegt sich in der
Richtung dieses Traumes. Die Koloraturpassagen überwuchern noch
das Thematische.
93
Doch schon hat ihn die Leidenschaft erfaßt. Die Sehnsucht
nach dem Weib wird ihm unbewußt die Nährmutter seiner Kunst,
die aus der Scholle emporwächst. Erst in dem Augenblick, wo
sie sieghaft durchbricht, wird Chopin ganz ein Eigner. Vorgebaut
wurde dem Ausdruck des leidenschaftlichen Begehrens durch den
Sinnenrausch des Wohlklangs, der schon die tastenden Versuche
des Knaben durchbebt. Freilich: die Aristokratennatur des Schaf-
fenden haßt alles Rückhaltlose. Aber die Leidenschaft, die in ihm
tobt, ist auch zurückgehalten noch durchsichtig, verführerisch genug.
Worin beruht nun die Leidenschaftlichkeit der neueroberten Ton-
sprache? Der sinnliche Wohlklang beherrscht sie auch jetzt noch;
aber er ist durch neue Mittel tausendfach bereichert. Die akkord-
liche Grundlage, die seinem Sinn für Harmonie am besten ent-
spricht, bleibt seinem Klavierstil erhalten. Alles neu Hinzutretende
durchdringt er kühn mit seinem Geist. Die Bachsche Transzenden-
talität muß sich unter das Joch seiner Stimmung beugen. Sein
Chroma ist von dem leidenschaftlichen Wohlklangsucher und er-
regten Ausdruckskünstler nicht nur in eigene Münze umgeprägt wor-
den ; ganz neue Steigerungen ergeben sich ihm aus der Mischung mit
dem Mollton, mit den übermäßigen Schritten des Slawentums. Die
Modulationen rücken eng zusammen; die frei einsetzende Disso-
nanz schreckt ihn nicht mehr; Vorhalte, Durchgangsharmonien, Quer-
stände, die vieldeutige Enharmonik werden das Rüstzeug vorwärts-
stürmender Leidenschaft. Aber sie legt sich selbst Zügel an. Da
ist kein sinnloses Springen von Tonalität zu Tonalität; sondern der
in der musikalischen Grammatik und Orthographie erstarkte Sinn
für das Gesetzmäßige läßt ihn die musikalische Folgerichtigkeit nicht
durchbrechen. Und was ist aus der Bachschen Mehrstimmigkeit ge-
worden? Auch sie ein Mittel, uns sanft zu umschmeicheln. Sie setzt
ein, wo sie die Vollgriffigkeit des Akkordes bis zum Sirenengesang
steigern kann, setzt ab, wenn sie ihre Sendung erfüllt hat; und
das Unisono enthüllt dem Hörer neue Klangwunder. Es ist nicht
mehr ein Gegeneinander von Stimmen, sondern von Stimmungen.
Jede Oktave wird in ihrem Timbre belauscht, zu ihrer eigenen
Sprache gezwungen. Alt- und Tenorlage sprechen mit der eindring-
lichen Beredsamkeit des Cellos und des Horns. Und jene dicken
Baßpassagen, die uns im Reich der transzendentalen Mehrstimmig-
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keit so unhold im Ohr klangen, mußten vor den ganz neuen Forde-
rungen musikalischer Sinnlichkeit weichen. Chopins Baßpassagen
treten sparsam auf, aber sie klingen; und auch sonst haben die
oft weit ausladenden Bässe sich dem Gesetz eines vergeistigten,
verzweigten, abwechslungsreichen Wohlklanges zu fügen, das sie
zwingt, Diener des Akkords zu sein. Über alledem thront die
Chopinsche Kantilene. Der Nervenmensch kann ihr nicht mehr ganz
jene Mozartsche Reinheit schenken, die er verehrt. Die Sehnsucht
nach der Schlichtheit des Gesanges ist da, aber die Krümmungen,
die Schlangenlinien des Themas zeigen die Spuren des Kampfes,
die die Leidenschaft mit ihr führt. Diese so neuen, nervösen, ro-
mantischen Themen nähern sich uns lockend und werben immer
dringlicher um unsere Gunst. Denn hatte schon die Poesie und
Anmut ihre Sinnlichkeit geadelt, so kommt nun der in den Salons
heimische Aristokrat, der Liebhaber geschmackvollen Zierats, be-
hängt sie bei jeder Wiederkehr mit Perlenketten, mit einern Reich-
tum, der nichts Pomphaftes hat, mit einem Prunk, der ihre Schön-
heit um so verführerischer macht. Die von Hummel und Paganini
angehäuften Passagenschätze, die Skalen des italienischen Zier-
gesangs, denen er zu lauschen nimmer müde ist, sind das Material,
die sein Geist, sein Ohr, seine Poesie, seine Seelengrazie in die
Sphäre der Ausdrucksmusik emporheben.
So erschließt uns ein Blick auf ein mit Chopinscher Musik ge-
fülltes Notenzeilensystem Wunder über Wunder. Wohin wir schauen,
tönt uns eine neue Welt entgegen ; treten Melodie, Harmonie, Rhyth-
mus in sinnlich-verführerischem Gewand auf, ohne je in die Niede-
rungen des Trivialen hinabzugleiten.
Denn auch sein Rhythmus wird das Abbild seines Wesens.
Das Überspringen von einem Extrem zum andern setzt sich sofort
in rhythmische Formen um. Die harmonischen Rückungen, die sie
trennen, mildern ein wenig die Hastigkeit des Schrittes. Die Weh-
mut lebf sich aus wie die Sehnsucht, die Leidenschaft wie die Ver-
zweiflung, das Träumen wie das Stürmen, aber auch der fröhliche
Geist, der in dem traurigen Herzen wohnte; und selbst der naive
Kindheitsglaube, den sein Philosophettieren mit einer dünnen, wider-
standsunfähigen Schicht bedeckte. Es ist eine ununterbrochene Logik
im kleinen da. Aber auch gegen sie empört sich schon der ge-
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brochene Wille, das unentschlossene Zögern des Menschen, das selbst
im Musiker nicht zu bannen ist. Das Rubato, das sanfte Hin- und
Herschaukeln, das den Rhythmus oft in seinen Grundfesten er-
schüttert, bezeugt es ebenso wie die Allmählichkeit der Entschließung
von der Dominante zur Tonika, die oft den Beginn Chopinscher
Tonwerke so spannend macht. Und wie strebt der Dominantakkord
auseinander, um seine Klangmöglichkeiten zu entfalten? Je enger der
Raum, auf dem dieses Feuerwerk von Geist sich entzündet, dieser
leidenschaftliche Wechsel des Rhythmus und der Harmonie sich sinn-
lich-reizvoll und doch so gesetzmäßig vollzieht, desto tiefer die Wir-
kung. Sie findet kein starkes Gegengewicht in der Ironie, die in
jähen Akzentverschiebungen überraschend, blitzartig aufleuchtet. Der
Mensch, der sich nicht entschleiern wollte, konnte sie noch be-
tonen ; auf den Musiker, der sich fast Völlig entschleiern muß, dringt
die Flut der Empfindungen ein, und die lächelnde Schwermut, die
wogende Leidenschaft behalten das letzte Wort. Ebenso sicher
unterliegen der derbe Volkston wie die emporstrebende Männlich-
keit der beherrschenden Gesamtstimmung, dem „zal", das ihn immer
mächtiger ergreift, je länger die Sehnsucht nach der Heimat ihn
verzehrt.
So kam es, daß diese Musik die Instinkte der Genießer, der
Frauen zumal, heftig aufrüttelte, während der Schaffende selbst seinen
Idealen unbeirrt nachging. Es zog ihn hin, und er folgte nicht
nur instinktiv, sondern mit voller Bewußtheit. Was läge näher,
als diese bewußte Künstlerschaft in einem oft kindlichen, von gegen-
sätzlichen Stimmungen so stark beherrschten Nervenmenschen zu
leugnen! Zeigt dem Kenner schon der Einblick in seine Werke,
wie planvoll der Meister vorwärtsschritt, so erzählt uns George Sand
von den Qualen, die den Weg von der Skizze zum Werk bezeichnen.
Unerwartet tauchten ihm die Gedanken am Klavier oder bei einem
Spaziergang auf; wollte er sie aber aufs Papier bannen, dann er-
wachte die Selbstkritik und peinigte ihn um so stärker, als ja seine
Unentschlossenheit notwendig auch auf sein Schaffen übergriff. Takt
für Takt prüft er; sein Schreiben und sein Streichen halten sich
die Wage. Er jagt im Zimmer umher, er tobt, er weint, wenn
sich die gewünschte Fassung nicht findet. Seine bis zur Unleser-
lichkeit korrigierten Manuskripte, seine tausendmal durchbrochenen
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Spinngewebe sprechen von seinen Kämpfen, von seinen Qualen.
Und die Fehler, die in die Ausgaben übergingen, sind die Folge
dieser Änderungen, die auch dem hingebungsvollsten Freunde die
Erfüllung seiner Wünsche unmöglich machten. Auch da noch, in
dem Halbdunkel seiner Manuskripte, ist nach so viel Arbeit im-
pressionistischer Zauber und ein Rest von Phantastik. Und wie legt
er seinem Freund Fontana ans Herz, sie vor jeder Beschädigung,
vor jeder Unsauberkeit zu bewahren! Sie waren ihm heilig. Er
hatte als echter Künstler gerade das Detail bedacht und gepflegt
und durch den sorgfältigsten aller Klaviersätze die Interpreten vor
der Willkür gewarnt; nun schickt er sein Werk als etwas Voll-
kommenes in die Welt, das unberührt bleiben muß.
Man kann das Erwachen des Individualitätsbewußtseins in
Chopin nicht früh genug ansetzen. Wir erinnern uns jenes pol-
nischen Musikers Sowinski, der unser Genie durch seine Musik pei-
nigte. „Womit er mich jedoch in die grösste Erregung versetzt,"
schreibt er im Jahre 1831 von Paris an seinen Freund Titus, „das
ist seine Sammlung von sinnlosen, überaus schlecht akkompagnier-
ten, ohne die geringste Kenntnis von Harmonie und Prosodie zu-
sammengesetzten Wirtshausliedern mit Kontredance-Schlüssen, die
er eine Sammlung polnischer Lieder nennt. Du weißt, wie sehr ich
unsere Nationalmusik zu erfassen mich bestrebt, und dass ich dies
auch zum Teil erreicht habe; stelle Dir daher vor, wie angenehm es
mir ist, wenn er mitunter bald hier, bald dort etwas von mir erwischt,
dessen Schönheit häufig in der Begleitung liegt, und es mit Dreh-
orgelprovinzgeschmack spielt . . ." Hier spricht sich so bewunderns-
wert früh nicht nur der feste Wille aus, sich eine neue Welt zu
bauen, sondern auch die tiefe Einsicht in den Kern und Wert des
eigenen Schaffens; der Haß gegen alles Gewöhnliche und die Ab-
lehnung des rein Materiellen, auch wenn es dem Mutterschoß pol-
nischen Volkstums entstammt. Er weiß, daß der Reiz seiner Musik
häufig in den begleitenden Stimmen liegt; Harmonie und Prosodie
sind die Flügel, auf denen sich das Nationalpolnische zum All-
gemeingültigen erhebt. Die starre Schwermut der slawischen Volks-
musik muß sich in eitel Beweglichkeit auflösen. Dazu kann nicht
nur die kokette Grazie helfen, die dem Halbfranzosen im Blut liegt.
Es gäbe dann eine Mischung des im künstlerischen Sinn Unver-
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einbaren ; es würde eine Lücke klaffen. Seine tiefere geistige und
seelische Individualität ist die Mittlerin, die beides zusammenschließt.
Der Wille zum Bahnbrechenden also ist da; die unerschütter-
liche Überzeugung, daß es ihm gegönnt sei, in die Reihe der größten
Meister zu treten. Hierzu stimmt es, daß der halbwüchsige Knabe
sich an praktischen Übungen nicht genügen läßt, sondern auch zu
den Lehrbüchern greift, die der theoretischen Weisheit letzten Schluß
enthalten. Sie hinken zwar den Meistern nach, aber sie geben ein
Stück Musikgeschichte. Ihr will er angehören. Nie noch ist ein
so starker Gegensatz zwischen den Träumen des Erfinders und dem
Gestalten des Künstlers dagewesen.
Wir erst erkennen, wie dieser Wille zum Bahnbrechenden sich
erfüllt hat. Wir erst wissen, daß Chopin in die Reihe der großen
Meister eingerückt ist. Als Pfadfinder in der Harmonik reicht er
über Liszt und Wagner hinaus. Sein Ohr ist unbeirrt von außer-
musikalischen Vorstellungen; so kann die Phantasie sich im kleinen
Tastenreich hemmungslos ausleben. Selbst Wagner mit seiner um-
fassenden Geistigkeit legt den Grund zu jener Zufallsharmonik,
die sich in sein geniales Werk natürlich einfügt, aber im Schaffen
minderer Geister, lahmer Erfinder mit getrübtem Gehör in Willkür
ausartet. Das Ohr empfindet diese Überreize nicht mehr; und es
ist erstaunt, wenn es nun die logische Kühnheit Chopinscher Har-
monik auf sich wirken läßt. Sein Tonbewußtsein schreitet über das
Verbot der Quintenparallelen nicht hinweg, sondern formt es nach
seinen persönlichen Forderungen, die nun von der genießenden Nach-
welt bestätigt werden. In diesem Tropenwald gedeiht kein Un-
kraut. Auch das Seltsamste wird durch den feinen Takt des Ohres
und des Herzens zum Einfachen geadelt; zu einem Einfachen frei-
lich, das die Spuren innerer Unrast, schwerer Leiden trägt. Und
das Neue, bald Beispiellose geschieht: in den chromatischen Krüm-
mungen trocknet der melodische Quell nicht ein, verteilt noch immer
die Phantasie ihre Gaben gleichmäßig an den Melodiker wie an den
Harmoniker. Wie sündhaft und wie unnütz darum die Klangana-
tomie, das Steckenpferd der Chopinphilologen ! Laßt diese phan-
tasievolle Gesetzmäßigkeit in euch nachhallen — so wird euch die
Gegenwart genußreich, die Zukunft hoffnungsvoll sein.
Aber es gibt Punkte, wo Wagner und Chopin sich wieder grüßen.
Weissmann, Chopin 7
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Wenn die Erotik zu Klängen drängt, müssen diese nervösen Na-
turen zusammenklingen. Um so mehr, als sie ja den Qenuß für
ihre Kunst opfern. Wie dem Ausdruck Chopinscher Liebesleiden-
schaft noch der Blumenduft entströmt, so ist Wagnersche Liebes-
lyrik durch den Zug ins Metaphysische, Übermenschliche verklärt.
Die ewige Sehnsucht ist ihnen gemein. Sprach sie sich schon in
dem Hang zum Überspringen der Oktave bis zur None und weiter
aus, so noch viel eindringlicher in den fortlaufenden Dissonanzen,
in den schweratmenden Vorhalten.
Aber schon meldet sich auch der Gegensatz. Der Zufalls-
harmoniker Wagner hat da, wo er den Hymnus der Liebe singt,
im „Tristan", den Vorhalt echt deutsch in ein System gebracht,
die unendliche Melodie der Leidenschaft aus ihm entwickelt. Es
ist die Form der Formlosigkeit; wie auch seine Mehrstimmigkeit
mit der dramatischen Gesetzen gehorchenden Motivarbeit stets ver-
kettet ist. Die Architektur also trennt beide, die eben noch die
Stimmung zusammengeführt hatte ; denn für seinen Riesenbau
brauchte Wagner ein neues Gerüst.
Aber über die Chopinsche Architektur ist mehr noch als ein
Wort zu sagen. Prosodie, erklärte er doch, sei das andere Mittel,
Musik zu einem künstlerischen Wert zu prägen. Auch die Form
ist ihm heilig; eine tiefe Sehnsucht nach dem Klassischen lebt in
ihm. Er will nichts zerstören ; auch er möchte bauen. So rückt
er von der Schulromantik ab. Und es ist erstaunlich, wie nun im
Aufbau des Gerüstes der Ausdrucksmusiker seinen ganzen Geist
zur Mittätigkeit zwingt; wir begreifen sofort die unendliche Mühe,
die die Struktur ihn kostet. Sein leidenschaftdurchtränktes Thema
wehrt sich echt romantisch gegen die herkömmliche Entwicklung.
Wie nun? Rhythmus, Modulation, Passagen werden ihn, genial er-
dacht, vor dem Chaos retten. Aber sie könnten es nicht, wenn
nicht eben die Prosodie ihn stützte. Er wurde nicht müde, die
Musik auf die Sprache zu beziehen; auf ihre Hebungen und Sen-
kungen, auf ihre Cäsuren, auf die Zeichen der Abschnitte, auf ihre
Haupt- und Nebensätze hinzuweisen. Er ließ die Dissonanzen, die
ihm selbst noch bedeutungsvoll schienen, stärker betonen als die
Synkopen, die Zeichen zurückgehaltener Erregung. Er mahnte an
den natürlichen Akzent. So belebte der Geist die Phrase, die aus
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dem Traumland gekommen war. Wissen wir etwas von den Ge-
sprächen, die zwischen Chopin und Bellini geführt wurden? j«Je-
nem Bellini, der als einziger vorwagnerscher Italiener sich die Verse
vorsagte, um aus ihnen die Melodie zu schöpfen? Vielleicht blühte
so in Chopins Geist der Gedanke auf, der keimhaft in ihm ruhte.
Gewiß ist, daß Chopins vielgestaltiger Rhythmus das Knochengerüst
hergab, auf dem sich alle diese Herrlichkeiten des polyharmonischen
Wohlklangs entfalten konnten. Die Liebe zum Tanz, zu der kleinen
gedrungenen Form, die ihn nun auch mit dem Gallischen verknüpfte,
frischte in ihm immer wieder die Fähigkeit auf, rhythmisch vielseitig
zu sein. Doch die Lücken der Logik, die den willenlosen, unruh-
vollen Briefschreiber kennzeichnen, spielen auch hier hinein. Reicht
so der Atem für die große Form nicht aus, so ist doch die bewußte
Verwendung reizender Ersatzmittel nicht nur ein Zeugnis für den Ernst
und Scharfsinn des Schaffenden, sondern eine Quelle ungetrübten
Genusses. Von den vollendeten Miniaturen zu schweigen, in denen
auch die Spuren des Kampfes nicht auftauchen. Der musikalische
Aphorismus, der sich dort in den Gesamtbau nicht fügte, ist hier
formbildend geworden.
So entrann dieser echteste Impressionist der Gefahr, im Farben-
reichtum zu versinken. Mit den Vertretern der polnischen Roman-
tik hielt er oft Zwiesprache. Ihre Verse setzte der sonst ganz
Unliterarische in Musik; in eine übertragene Musik, die ihn nicht
unsterblich machen würde. Er bleibt unliterarisch. Aber die ro-
mantische Stimmung saugt er in sich auf. Wie er, allem Stoff-
lichen fremd, aus dem, was ihn umgibt, den Duft einatmet. Der ro-
mantische Hang zum Fremdartigen beherrscht ihn von Kindheit auf.
Sein Kolorit wird nun berauschend. Aber sein innerer Rhythmus,
sein Formensinn bewahrt ihn vor dem uferlosen Impressionismus
der Literarischen. Und er wird auch hier bahnbrechend. Ja, diese
Rhythmenfülle und Farbensattheit erreicht nun auf umgekehrtem Weg
das, was die Literarischen nicht immer erfolgreich, häufig mit Ver-
gewaltigung des Ohres suchten : aus dieser vom Gehör gespeisten
Stimmungsmusik steigen Bilder auf: das Unfaßbare wird faßbar.
Freilich: man muß nicht dilettantisch das Programm in Chopin hin-
einzwängen. Er ist immer auch rein musikalisch ein Geist, der die
Empfänglichen zu sich zieht. Wir verstehen nun aber wieder, wie
7*
100
dieser erfindungsreiche Impressionist mit Delacroix sich fand; und
mit Heine, der von ihm sagt: „Polen gab ihm seinen chevaleresken
Sinn und seinen geschichtlichen Schmerz, Frankreich gab ihm seine
leichte Anmut, seine Grazie, Deutschland gab ihm den romantischen
Tiefsinu . . . Die Natur aber gab ihm eine zierliche, schlanke, etwas
schmächtige Gestalt, das edelste Herz und das Genie. Ja, dem
Chopin muß man Genie zusprechen in der vollen Bedeutung des
Wortes; er ist nicht bloss Virtuose, er ist auch Poet, er kann uns
die Poesie, die in seiner Seele lebt, zur Anschauung bringen, er
ist Tondichter, und nichts gleicht dem Genuss, den er uns ver-
schaffte, wenn er am Klavier sitzt und improvisiert. Er ist alsdann
weder Pole, noch Franzose; noch Deutscher, er verrät dann einen
weit höheren Ursprung, man merkt alsdann, er stammt aus dem
Lande Mozart's, Raphael's, Goethe's, sein wahres Vaterland ist das
Traumreich der Poesie." So feierte der Dichter des Heimwehs,
der Romantiker, den Seelenverwandten.
Doch die Romantik zehrt an den Nerven des Feinorganisierten ;
die Fülle von Phantasie, Stimmung, Wohlklang, Anmut, von Geist
und Arbeit, die in seinem Werk ruht, führt allzu früh die Erschöpfung
herbei. Eine Zeit kommt, da das einst fruchtbare gestaltende Be-
wußte das Unbewußte überwuchert; eine Überspannung der Tat-
kraft beginnt; das Verzweigte wird zum Künstlichen. Das Chroma,
in dem die Erfindung sich tausendfarbig brach, wurde ihr nun ge-
fährlich; das Gefäß war zu klein, der Raum zu eng, um soviel
Nervenarbeit zu fassen. Doch ehe noch das Genie mehr als die
Spuren des Niederganges zeigte; ehe es das traurige Schauspiel
eines Meisters bot, der die eigenartige Routine, die Manier, an die
Stelle sich stets erneuernder, schöpferischer Eigenart setzte, nahm
ihm der Tod die Feder aus der Hand.
Aber von dem lebendigen Chopin möchte ich immer wieder
und noch recht lange sprechen. Wenn der Meister in dem kleinen
Tastenreich ein König wurde, der bald alle Musiker mit seinem1
Besitz belehnte, so fordert er auch, daß wir ihn zu seinem Ur-
eigensten, zu seinem Klavier zurückgeleiten. Erstaunlich, wie sein
Wirken jetzt noch in der gesamten Pianistenwelt nachzittert; wie weit
101
die Ausläufer seiner Klaviertechnik reichen. Mensch, Musik und Spiel
bildeten eine künstlerische Dreieinigkeit, die sich nun auch das Mecha-
nische unterwarf.
Denn ein Mechanisches gab es für Chopin gar nicht. Für
seine Schüler wohi; sie mußte er erst an den schöpferischen Ur-
quell führen, aus dem sein Klavierspiel strömte. Oft war der Weg
vergeblich, und die unwillige Mahnung, nicht mechanisch zu üben,
wandte sich an Musikanten, die in der bekannten geistigen Bedürf-
nislosigkeit ihre Finger bewegten, um ihr Gehirn zu entlasten. Ge-
lang es dem Maestro, sie zum materiellen Wohlklang zu erziehen,
so brauchte er wenigstens ihr Spiel nicht mit den ärgerlichen Worten
zu unterbrechen, die ihm einmal entschlüpften : „Bellt da etwa ein
Hund?"
Der Meister des Kolorits, der Beseelung und Vergeistigung des
Klaviertons, der nach sprachlichen Sätzen gestalteten Phrase, der
Impressionist rechnete auf die selbstverständliche Handhabung neuer
Mittel. Er mußte sich notwendig von den Komponisten trennen,
die vom Klavier nur die andeutende Skizze verlangten, sich dann
undankbar von ihm abwandten und dem zukunftsreichen Orchester
zustrebten. Seine Sammlung wurde nun auch hier ganz folgerichtig
so fruchtbar, daß sie revolutionär wirkte. Aber die Revolution mußte
sich ohne Gewaltsamkeit vollziehen. Das aus den vielfachen Ver-
ästelungen der Chromatik, Enharmonik und Mehrstimmigkeit ge-
borene Kolorit löste sich stolpernden Händen in seine Atome auf;
ja, selbst denen, die in der herkömmlichen Musik heimisch waren,
Meistern wie Moscheies erschien es als eine künstliche Trübung
des Althergebrachten, als etwas Willkürliches, das die Kreise der
Klassischen störte. Sollte das Wunderbare sich als ein Natürliches
in die musikalische Weltordnung einfügen, sollte, was der Dichter
erträumt, nun von den anderen nachgedichtet werden, dann mußten
unmerkliche Übergänge das Seltsame dem Ohr und der Phantasie
annehmbar machen. Die Finger hatten sich von der Tyrannei des
Herkommens zu befreien; die weit auseinanderliegenden Intervalle
mußten ihnen auf neuen Wegen erreichbar sein ; sie konnten oft
von Taste zu Taste gleiten, ohne sich abzulösen; der Daumen war
kein absoluter Herrscher mehr; er mußte sich unter das parlamen-
tarische Regime beugen, das den anderen gestattete, ohne seine
102
Hilfe überzusetzen ; aber die Anmut der Hand durfte nicht gestört
werden. Floß so der Strom der glänzenden neuen Passagen dahin;
hatten die harmonischen Rückungen nicht mehr unter dem Zwang
eines veralteten Fingersatzes zu leiden, dann deckte sie die am
Legate und Stakkato erstarkte Dynamik, die feinstfühlige Abstufung
des Klanges mit dem Blütenstaub der Poesie. Noch war es Klang-
poesie, der Chopin mit seinem System von überraschenden Bin-
dungen, mit dem atemverlängernden Pedal den Weg zu den Tasten
gebahnt hatte. Dem Salon, den Frauen winkten neue Genußmöglich-
keiten. Der Dichter dachte auch an sie; aber er dachte noch weiter:
an sich und an die Zukunft.
Wie Chopin seine dem Gehör und Fingergefühl entstammte,
von ihm entwickelte Ausdruckstechnik in dem Reich seiner Poesie
zu Edelmetall prägte, sahen wir; aber die Worte Liszts: „Wenn
seine zerstreuten Finger über die Tasten glitten und ihnen plötz-
lich einige rührende Akkorde entlockten, konnte er bemerken, wie
die heimlichen Tränen der verliebten jungen Mädchen, der ver-
nachlässigten jungen Frauen flössen" rühmen nur den Salonspieler.
Der Chopinkreis beschuldigte Liszt, in seinem schönen Buch über
den eben entschlafenen Meister den Reformator des Klavierspiels,
den Erfinder einer neuen Anschlagstechnik absichtlich verschwiegen
zu haben. Immer wieder taucht der Verdacht des Künstlerneides
auf, der sich bis zu den ungerechten Worten verstieg: „II a crache
sur l'assiette pour en degoüter les autres."
Gewiß setzt Liszt mehr dem Tondichter als dem Klavierspieler
ein Denkmal. Der Bezwinger der Masse sah in sich den geborenen
Mittler auch dieser Kunst. Was er ihr als Pianist verdankte, ver-
schwieg er nicht; aber er betonte es auch nicht.
Um so leidenschaftlicher klingt der Hymnus, den der Dichter-
Kritiker Robert Schumann auf den Klavierspieler Chopin anstimmt.
Er konnte es bei all seiner Verehrung für Clara, die, was der
Gatte entdeckt, mit Liebe und Können in ihrem Garten pflegte. Er
nennt sein Spiel einzig wie seine Kompositionen und sagt von dem
Vortrag der As-dur-Etude op. 25 Nr. 1 : „Denke man sich, eine
Aeolsharfe hätte alle Tonleitern und es würfe diese die Hand des
Künstlers in allerhand phantastischen Verzierungen durcheinander,
doch so, dass immer ein tieferer Grundton und eine weich fort-
103
singende höhere Stimme hörbar, und man hat ungefähr ein Bild
seines Spiels. — — — Man irrt aber, wenn man meint, er hätte
da jede der kleinen Noten deutlich hören lassen; es war mehr ein
Wogen des As-dur-Akkordes; vom Pedal hier und da von neuem
in die Höhe gehoben ; aber durch die Harmonien hindurch ver-
nahm man in großen Tönen Melodie, wundersame, und nur in
der Mitte trat einmal neben jenem Hauptgesang auch eine Tenor-
stimme aus den Akkorden deutlicher hervor. Nach der Etüde wird's
einem wie nach einem sel'gen Bild, im Traume gesehen, das man,
schon halb wach, noch einmal erhaschen möchte; reden ließ sich
wenig darüber und loben gar nicht!" Wie „ein träumender Seher"
sitze Chopin am Klavier; und um sich gleichsam mit Gewalt von
seinem Traum loszumachen, fahre er nach dem Schluß jedes Stückes
mit einem Finger über die pfeifende Klaviatur. Erklingt da nicht
zum Schluß in Chopin wieder die ironische Note Heines?
Aber der Gewaltakt bringt den inneren Dämon nicht zum
Schweigen.
Dem Dichter am Klavier sträubten sich einmal die Haare, als
während seines Spiels der Diener auf den Zehenspitzen hereintrat
und eine Karte auf den Flügel legte, erzählt Friederike Müller. Hier
hören wir wieder, welcher Steigerung seine Weltentrücktheit, das
seh: -ankenlose Wirken des Unbewußten in ihm fähig war, wenn
Schaffender und Nachschaffender zur Einheit zusammentraten. Aber
das geschah nicht nur im Dienst eigener Musik. Fremde brauchte
nur stark in ihm anzuklingen, um ihn zu selbstsüchtigster Selbstent-
äußerung zu stimmen. Dann gab es wieder Augenblicke, wo das
Bewußtsein seiner Umgebung nicht schwand; wo er kokett war.
Das Spiel wurde salonhaft, es bestach durch eine anmutige Glätte,
die dem Plätschern der Causerie entsprach : das Feminine äußerte
sich untief; ohne die Farbe, die ihm ein veredelter Geist verlieh.
Er selbst kannte diese Stufen auf der Skala des Nervenmenschen:
war er in Stimmung, dann liebte er den Pleyel, der sich den Ton
durch lebhaftes Drängen, durch zärtliches Zureden entschöpfen ließ ;
war er es nicht, dann verließ er sich auf die ewig gleiche Liebens-
würdigkeit des Erard, der sich ganz redselig, zwanglos, ohne mecha-
nische Hemmungen gab. Diese Augenblicke brauchen wir nicht
zu belauschen; obwohl hier auch den Oberflächlichen, Unpersön-
104
liehen die Möglichkeit winkte, anzuknüpfen und zu entwickeln. Die
klavierspielende Frau als Typus darf sich auf solche Salonstimmun-
gen berufen. In jenen anderen aber erreicht das Spiel einen Gipfel,
auf den ihm selbst die Notenfixierung nicht folgen kann. Das Per-
sönliche des Klaviersatzes, dessen sorgsames Gewebe jede Zwei-
deutigkeit auszuschließen schien, steigert sich zu einem Höchstpersön-
lichen der Ausführung. Das ist ein ganz einziger Fall. Liszts Sorg-
losigkeit in der Niederschrift, ein Ausdruck seiner mangelnden Samm-
lung, ein Abbild seiner beherrschenden Weltlichkeit, schließt das
Vieldeutige ein; er ist duldsam und entgegenkommend. Chopin muß
es wider Willen sein. Sein Rhythmus, seine Dynamik, sein im-
pressionistisches Dahingleiten, seine vergeistigte Schwäche, die doch
Licht und Schatten wirksam verteilte, waren unübertragbar.
Unübertragbar wie diese ganze Erscheinung, in der es eine
höhere Logik gab: die Logik des im letzten Grunde unerklärlichen
Genies.
TÄNZE
MAZURKEN, WALZER, POLONAISEN, ECOSSAISEN,
BOLERO, TARANTELLA
„Die Mazureks schicke ich Euch nicht, weil ich sie nicht ko-
piert habe: sie sind nicht zum Tanzen;" schreibt Chopin Ende des
Jahres 1830 von Wien aus an die Seinigen.
Chopin konnte nur der Zwang zum Tänzer machen. Aber die
Stimmung des Tanzes ergriff ihn schon früh, und er nahm ihn
mit sich in die Welt der Poesie, streifte ihm alles Banale ab, ver-
innerlichte ihn und faßte ihn in einen goldenen Reif. Denn das
masovische Volk war zu jener Zeit der Natur noch näher als jetzt.
Stampfende Lustigkeit, rücksichtslose Derbheit vertrugen sich mit
sentimentalem Schwärmen. Und in dieser Naturnähe gedieh der
Tanz als die Form, in der wilde Leidenschaftlichkeit zunächst auf-
begehrt und sich mitteilt. Der Mazur kann es an Alter mit dem
Krakoviak und der Polonäse nicht aufnehmen; aber er steht den
Herzen und den Sinnen am nächsten. Er war banal; doch er zün-
dete. Ja, Liszt, der den Polinnen Rosen streut, wird lyrischer Dich-
ter, wenn er diese Frauen sich im Tanze wiegen sieht. Die Mischung
von Orientalischem und Pariserischem beflügelt seine Phantasie, be-
rauscht seine Sinne noch in der Erinnerung. „Wo wäre die Frau,"
ruft er aus, „die einen Mazur nicht mit mehr von Erregung als
von Ermüdung brennenden Wangen beendet hätte?"
Wir begreifen den Aufruhr der Sinne Liszts, in dem das Dra-
matische auch in der Liebe immer zu Taten drängt. „La danse
la plus chastement amoureuse" nennt er den Mazur und schwächt
damit das Aufreizende des Tanzes ein wenig ab. Aber das Weib
bleibt die Göttin, die ihn schafft und beherrscht.
Für Chopin, den Polen, hat er einen ganz andern Sinn. Das
Ewig-Weibliche des Mazurs berückt auch ihn. Aber der Musiker
ringt ihm eine neue Sprache ab. Alle Sehnsüchte seines Herzens
faßt er hier in der prägnantesten der Formen zusammen. Dieser Tanz
geleitet ihn von dem ersten Erwachen künstlerischer Bewußtheit
bis zum letzten Atemzug. Es ist Musik, die den Entbehrenden
mit der Heimat verknüpft. Es sind höchst persönliche Bekennt-
nisse: das Gelöbnis ewiger Treue. Sein totes Herz sollte Warschau
106
gehören ; aber seine lebendigen Mazurken keimen in Polen fort.
„La Pologne n'est malheureuse qu'en masse; chacun de ses enfants
a son etoile particuliere." Dieses Wort eines Begeisterten wird am
stärksten durch seine Mazurken bestätigt. Zunächst scheinen sie
sich von allem Westeuropäischen zu entfernen ; aber der hastig auf-
wärtssteigende Meister kann nicht anders, als die Kostbarkeiter seiner
Kunst hier zusammentragen. Was nun da auf kleinstem Raum vor
sich geht, ist so erstaunlich, daß diese Kabinettstücke an sich einen
Weltruhm begründen könnten. Der Dreivierteltakt wird von Haus
aus durch den punktierten Rhythmus mit dem nach dem Ende ge-
rückten Schwerpunkt und durch die Achteltriole gewürzt. Gewiß,
er kann nun die Glieder freier strecken, er kann ausgelassen lustig,
er kann aufreizend leidenschaftlich werden. Aber er vegetiert in
seinen frischen Farben ; er wird in Gesundheit alt, bis der deutsche
Walzermichel sich ihm paart und als der Stärkere einen Bastard
zeugt. Schon bekämpft den Mazur auch die Drehorgel, die das
primitive Dorforchester, Baß und Geige, aus dem Felde schlägt.
So muß er ein gesellschaftliches Wesen werden. Seine Lebens-
fähigkeit ist damit nicht gesteigert. Aber ein Chopin kann ihn aller
irdischen Sorgen entheben. Sinnend hat er das Schauspiel sich in
voller Freiheit hingebender Körper betrachtet. Diese Beweglichkeit
in die Form fließen zu lassen, ist das Ziel, das Werk des Dichters.
Gerade in der stärksten Gebundenheit des Raumes und der
Form wachsen ihm die Schwingen. Wo die Phantasie Feste feiert,
die Stimmungsextreme einander ablösen, jubelt auch der skan-
dierende Theoriebeflissene. Die Mazurken sind sein Paradies. Lassen
wir es ihm. Aber unsere Freude darf er nicht stören. Hüten auch
wir uns vor dem Hineindichten von Dramen in diese buntschil-
lernden Seelengemälde! Die 1832 erschienenen, doch, wie wir wissen,
schon vorher komponierten Mazurkas op. 6 und op. 7 mit 4 und
5 Nummern kündigen den Verherrlicher des Nationalen an. Frische
ist da, aber durch Feinheit gedämpft. Das Bündnis der Triole mit
dem punktierten Rhythmus tritt sofort chromatisch abwärtsschrei-
tend, in wechselnder Gestalt auf. Mittelstimmen mit ihrem Schwan-
ken zwischen Fis und F hüllen die Umgebung in das Zwielicht,
das sie allem Trivialen entrückt. Es dringt noch weiter. Da weicht
der Mollton einem kindlich-fröhlichen Fis-dur. Ein Glöckchenspiel
107
mit Vorschlägen ; der Baß rückt in die Altlage auf. Aber auch
dieses Spiel erhält — nur ein Genie vermag die plötzliche Ver-
wandlung zu vollziehen — durch ein Herabgleiten der zweiten
Stimme in den beiden letzten Viertelnoten die tragische Farbe, die
es für die Verknüpfung mit dem Hauptthema reif macht. In Nr. 2
klingen dem Dichter die DudelsaCkquinten ans Ohr. Aber eine leise
Cellokantilene gibt den klagenden Unterton. Der Schalk schweigt
auch hier nicht. Er spielt mit Vierteln und Achteln (Takt 17 und
18) und kann die nicht Taktfesten außer Fassung bringen. Er zö-
gert, doch es ist ein Zögern, das durch wechselnde Reize span-
nend wird. Aber die Dudelsackquinten haben es ihm angetan. Es
geht nun, in Nr. 3, so derb her, wie wir es von dem lustigen Cim-
balisten nur erwarten können. Wir hören das Stampfen, das Jauch-
zen der Bauern. Glinka schöpft aus dieser Quelle. Aber auch Grieg.
A\an könnte die absteigenden Bässe, die das da capo des nobleren
Themas begleiten, als Motto über sein Schaffen setzen. Nur daß
sie eben dem beweglicheren Geist, dem feurigeren Temperament,
den rascheren Stimmungen unseres Chopin ein Intermezzo, der düste-
ren Starrheit des nordischen Tondichters das A und O seiner Phan-
tasie bedeuten. Da — ein Schwinden der wehmütigen Melodie
in es-moll. und (in op. 6 Nr. 4) der Tondichter steht vor uns,
in sich versunken, traurig, im Innersten wühlend. Der Tanzrhyth-'
mus hat seine Prägnanz eingebüßt, er ist ganz Seele geworden: doch
das rauscht in einem Presto, ma non troppo vorüber; schon ist's
vorbei. Opus 7 Nr. 1. Das Steckenpferd des Konservatoristen. Ja-
gendlust, die sich in B-dur auslebt. Doch darf, was von Philister-
händen nur allzuoft betastet wird, unter ihnen nicht leiden. Die
Sprünge übers Ziel hinaus sind kein alltäglicher, sie sind ein sehr
geistreicher Spaß. Und die Heimlichkeiten fehlen nicht: ein Alier-
heiligstes, in das der Alltagsmensch nicht eindringt. Eine kurze
Sotto-voce-Phrase ist's, von mystischer Farbe, im seltsamsten Orgel-
punkt, der sich nach der Regel nicht leicht an den freudigen Wieder-
ausklang knüpfen läßt. Und wieder (Nr. 2) Wehmut, aber ohne
Dumpfheit. Tritt sie auch in der Chromatik des Nachsatzes klagend
und ächzend auf, so löst sie sich bald mit beschwingteren Bässen,
mit lichteren Farben, mit klangreichen Triolen aus ihrer Unbeweg-
lichkeit. Das Schwanken der Seele, das ausgesprochen Slawische
108
der Stimmung läßt einen festen Pakt mit einer entschiedenen Ton-
art nicht zu. Aber der westeuropäische Geist findet nach a-moll
zurück. Die Todestraurigkeit hält an. In Nr. 3 wird der Vor-
hang nicht gleich aufgezogen. Eine Einleitungfigur in wechseln-
dem rhythmischem Gewand, von stöhnenden Vierteln abgelöst; über
Gitarrenklängen schwebt die Mazurka. Das Weib singt sie, sanft,
einfach. Der Bauer jauchzt sie nieder; das Cello führt in weitem
Bogen zur Todestraurigkeit zurück. Aber wie zwanglos gleitet das
f nach e, den Rest mit sich ziehend! In der nächsten Nummer
(4) hat der Salonmensch das Wort. Er scheint der kokett dahin-
plätschernden Rede zu lauschen. Doch — ein Weilchen zieht sich
der Dichter auf sich selbst zurück; er träumt in vier A-dur-Takten,
wie nur er träumen kann. Aber die andern plaudern in As-dur
weiter. Nummer 5 schließt das Opus ab, mit einer Einfachheit
und Ruhe, als wäre nichts geschehen.
Das sind die Herrlichkeiten von op. 6 und 7. Sie bekennen
die Blutsverwandtschaft mit der polnischen Heimat, aber ihr Ty-
pisches, das sich oft taktelang behauptet, ist von dem Dichter durch-
kreuzt, ihre Stimmungskontraste sind durch eine kunstvolle Plötz-
lichkeit der Übergänge bezeichnet. Der ganze Chopin lebt in ihnen,
ohne den bohrenden Schmerz, aber mit dem Unterton fruchtbarer
Wehmut; auch das Halbdunkel liegt über ihnen.
In den 1834 veröffentlichten vier Mazurkas von op. 17 ent-
decken wir bereits Familienähnlichkeiten. Wie könnte es auch anders
sein, wo musikalische Inzucht, obwohl Edelinzucht, herrscht! Aber
man betrachte einmal außer dem Spiel reizender Mittelstimmen, die
das wiederkehrende Thema zieren, die Coda der ersten Nummer
mit ihren munter hüpfenden Halbtonschritten. Da überragt der Pole
seine Landsleute wieder um Haupteslänge. Aus Nummer 2 klingt
eine rührende Bitte heraus. Aber ihre Dringlichkeit kleidet sich
in verführerische Chromatik, der man nicht widerstehen kann. Auf
die Familienähnlichkeit berufe ich mich für die folgende As-dur-
Mazurka und gleite zu Nummer 4. An sie knüpft die Legende an.
Nach ihr ist sie eine dramatische Szene: Ein polnischer Jude mit
Kaftan und Pantoffeln steht vor der Tür seines Wirtshauses und
sieht einen klagenden betrunkenen Bauern, der sein Kunde ist. „Was
ist dues?" fragt er. Ein Hochzeitszug mit Geige und Dudelsack
109
unterbricht die Klagen, die bald darauf wieder einsetzen. Hier hat
der Harmoniensucher harte Nüsse zu knacken. Er findet die Ton-
art nicht. Ein fragender F-dur-Sextakkord führt ihn irre. Aber
die a-moll-Stimmung ist nicht zu verkennen. Das Koloraturenwerk
kann dem mauschelnden Juden oder dem stöhnenden Bauern an-
gehören. Wenn aber Klagen so reizvoll auftreten wie in den non-
chalanten abwärtsgleitenden Triolen der poco ritenuto-Takte, dann
wandeln sie Trauer in Jubel. Mit einer Frage, im Zwielicht, im
F-dur-Sextakkord klingt das urpolnische Stück aus.
Eine neue Epoche ist beschlossen.
1835 erscheinen vier Mazurken als opus 24. Die erste in g-moll
kann nur wieder empfohlen, sie braucht nicht gedeutet zu werden ;
in der zweiten aber grüßen uns Kirchentonarten : das Lydische mit
Mixolydischem gemischt. Der Eisnerschüler verrät sich; auch das
stets gläubige Kind. Weihrauchduft mischt sich mit Parfüm. Wir
halten den Atem an, wenn das Intervall f-ces immer wieder lockend
zu uns spricht. Die Enharmonik löst das Rätsel; sie stellt den
Kirchenton wieder her. Aber die Unruhe weicht nicht mehr von
uns. Unsere Sinne empören sich gegen alles, was recht ist. Sie
werden von der Eleganz der Nr. 3 beschwichtigt. Aber nur einen
Augenblick. Denn, was nun in b-moll auf uns einstürmt, strömt
einen narkotischen Duft aus, der uns die Sprache lähmt. Was nützt
es uns, auf die Quellen hinzudeuten? Von der leisen Gegenbewe-
gung aus dem Dominant-Unisono zu sprechen, die wie sehnsüch-
tiges Zusammenstreben zweier Liebender ist; von dem langsam mit
der Oberstimme fortsingenden Thema, das uns schrittweise erobert;
von den punktierten, doppelt punktierten Rhythmen des Nachsatzes ;
von den Wundern der Mehrstimmigkeit, der Einstimmigkeit, der
con anima-Phrase, die alle Hebel der Harmonik und Dynamik in
Bewegung setzt, uns zu willenloser Hingabe zu überreden ; endlich
von diesem vieldeutigen B-dur-Schluß, der unbegleitet, kraftlos, ent-
sagungsvoll verhaucht! Das war ein Gipfel, ein begeistertes Zu-
sammenraffen aller Mittel, uns zu bezwingen; die Paarung
von gesündestem Überschwang des Rhythmus mit harmonischer
Überreife.
Wiederum Pause. Es ist 1838 geworden. Opus 30 und 33
mit je vier Mazurken werden der Welt bekannt. Das Seelische,
110
das Verfeinerte kämpft schon gegen den Rhythmus. Das zal der
c-moll-Mazurka ist ein stilles Weinen. Aus der nächsten hörte man
den Ruf des Kuckucks heraus. Eine hartnäckige Terz verriet ihn.
Aber dieser Kuckuck ist ein vollendeter Musiker mit so empfind-
lichen Nerven, daß er für eine und dieselbe Phrase vierfache Deu-
tung findet. Sagen wir also lieber: spannendes Zögern des Dich-
ters. Ist er in Nr. 3 ganz kleinlaut geworden? Fast scheint es
so. Typisches zeigt sich; und schon fühlen wir uns wieder unter
den Bauern Masoviens. Aber die Welt um Chopin hat sich ver-
düstert. Derbe Lustigkeit wagt sich nicht mehr hervor; umhar-
monisiert, unpunktiert, in Trauer gekleidet, innerlich gebrochen wankt
das Thema einher. Ein seltsames Frage- und Antwortspiel: slen^
tando; es sind Geisterstimmen, die ihn rufen. Und wieder stehen
wir auf einem Gipfel. Wieder verlieren wir den Atem. Es ist das
höchste, was uns der Meister an Mazurken in der mittleren Periode
schenkt. In cis-moll. Kein Takt ohne die besondere Chopinsche
Farbe. Aber das Geheimnisvolle, das Erotische, Lockende, Betäu-
bende hat an Kraft noch gewonnen. Der punktierte Rhythmus hat
sein Draufgängertum verloren. Ein chromatisches Sichanschmiegen
der in ihrem Wert gekürzten Note an die schöne Nachbarin. Auch die
Gitarrenklänge dienen dem Frohsinn nicht mehr. Feinheit der Ge-
staltung, harmonische Umdeutung des Themas, ein paar Takte rüh-
render, aufreizender Triller und die revolutionären Quinten, die gegen
den Schluß hin eine ganze Welt von Pedanten mit prachtvollem
Wohlklang herausfordern, bedrohen das Leben unserer Sinne. Und
wieder — in op. 33 Nr. 1 — stille Trauer. Aber wir trauen un-
seren Ohren nicht: in hartem D-dur singt jetzt Chopin. Ist es
möglich, daß er, der nun doppelt Rätselvolle, sich unbedenklichem
Frohsinn ergibt? Daß er alles Klagen vergißt? Gewiß ist,
daß in dieser fein organisierten Umgebung, unter allen diesen von
Nervenzuckungen heimgesuchten Mitgliedern einer Aristokraten-
familie, unsere Mazurka als ein aus der Art geschlagenes Kind da-
steht. Ihr Zögern ist ohne Ungeduld, ohne Nerven. Die endlos
wiederholte Phrase verzichtet auf stimmungsvolles Modulieren; sie
gibt sich einfach. Tritt wohl einmal laut, einmal leise und nur
ein einziges Mal in acht abgegrenzten Takten schwankend auf. Sie
strotzt von Gesundheit. Und sie gefällt doch; denn ihre Freude
111
ist durch den Adel der Geburt und der Seele salonfähig ge-
worden.
Man möchte es nicht glauben, daß jene Nr. 3 mit ihrem mil-
den C-dur, mit ihrem schleppenden Gang, den heftigsten Streit zwi-
schen Chopin und Meyerbeer heraufbeschwören konnte. Aber als
der berühmte Komponist, dem Polen herzlich zugetan, diese Ma-
zurka des Zweivierteltaktes verdächtigte, war Chopins Gleichgewicht
erschüttert. Der Vater schützte sein Kind mit dem Zorn, dessen
nur die Liebe fähig ist. Wir scheiden ohne stärkere Erregung von
diesem Stück. Das nächste aber, das letzte des opus 33, hat wieder
Nerven, unvermittelten Stimmungswechsel, ein fast hysterisches Sich-
dehnen und Sichzusammenkrampfen. Und hier lebte sich auch die
Einbildungskraft dichtender Landsleute aus. Einmal sollte ein Dra-
goner, verschmähter Liebhaber, sich ertränkt haben. Ein andermal
war's eine häusliche Szene, bei der es ohne Schläge, ohne weib-
liches Stöhnen nicht abgeht; am Ende steht die Versöhnung. So
ließ sich Tragisches und Komisches herauslesen. Wir aber, von
dieser Wandelbarkeit der Kommentare ergötzt, sind wieder gebannt
von dem traditionslosen Aufeinanderprallen der Tonarten. H-moll,
B-dur, H-dur, h-moll ; und wie sie sich vertragen ! Der Meister
darf seinem Genie so unbedingt vertrauen, daß er die linke Hand
allein den Ausgleich schaffen läßt. Der Baß spricht mit der Be-
redsamkeit vollgriffiger Akkorde.
Opus 41 ist 1840 der Welt geschenkt worden. Der Dichter
hört den Rhythmus der Mazurka nur von fern noch anklingen, seine
Seele greift bis an ihre Wurzeln. Er träumt nun wieder in cis-moll,
wendet es aber gern ins Phrygische. Der Bau dehnt sich, die
Stimmung soll künstlerisch voll ausgenutzt, in Edelwerte umgeprägt
werden. Der Trieb zum Klassischen leitet ihn; kanonische Formen
treten auf und verklingen bald. Das zal hat nicht immer die Kraft
zum Klassischen. In Nr. 2 ist wieder ein Schweben der Tonarten,
impressionistischer Zauber. Die Weihe der Kirche umfängt uns im
Orgelton der Bässe; die Scheindurharmonie wird uns nicht täuschen,
die Unruhe wühlt, sie steigert sich bis zum verzweiflungsvollen
Aufschrei im Dominant-a-moll-Akkord, der den Widerspruch des be-
herrschenden E-moll niederkämpfen möchte. Von H-dur-Kadenzen
wie von Säulen eingeschlossen ist Nr. 3. Und damit der Bau nicht
112
wankt, stützen sie auch das Innere. Es könnte ohne sie nicht stehen.
Es ist nicht so reich, daß wir länger hier verweilen möchten. Mit
Nr. 4, in As-dur, scheint in gefälliger Causerie die Ruhe äußerlich
wiedergewonnen.
Nun sehen wir sie nicht mehr, die stampfenden Bauern ; hören
ihr Jauchzen nicht mehr. Der Weltbürger wider Willen weiß, daß
er die Heimat nur in sich selbst wieder erwecken kann. Den Altar
der Liebe hat er in Frankreich errichtet. Bei opus 50 angelangt
(dessen Erscheinungsjahr nicht feststeht), können wir die letzte Blüte
Chopinscher Nervenkunst wie einen Rausch auf uns wirken lassen.
Westeuropäische Kultur hat das Slawische endgültig zu sich her-
übergerettet. Haben Leiden das Rückgrat geschwächt, so breiten
sie über die Harmonien, über den mehrstimmigen Gesang den
Schleier, der uns tiefe Geheimnisse verhüllt. Nicht in Nr. 1, wo
die Anmut leise spricht, eine Cellokantilene in sanfter Coda ver-
klingt; nicht in der folgenden, wo der Salon durch den Dichter ver-
klärt wird. Aber in Nr. 3 cis-moll, der Göttin, die am freigebigsten
Mazurken schenkt. Diese ist mein Liebling. Ich liebe sie wie einen
teuren Kranken, den ein Windhauch uns rauben könnte. Der Rhyth-
mus ist schwach; die Nerven des Dichters zehren an ihm. Er
ruft Bach, den Bach der Präludien zu Hilfe. Vielleicht kann kontra-
punktische Gläubigkeit ihn stützen. Sie kann es, wie stark auch
die Gegensätze sein mögen. Imitationen bezeichnen den Weg, den
der Klassizismus in Chopins Geist wandelt. Aber sie sind so ganz
Ausdruck, so ganz Wohlklang geworden; sie atmen den betäuben-
den Duft der Liebessehnsucht. Der jugendliche Rhythmus strebt
empor; aber er wird wehrlos vor dem Schmeicheln der Gis-dur-
Kantilene. Kehrt nun die kontrapunktische Verknüpfung wieder, so
ist sie verzweigter, farbiger; die Mazurka mahnt, doch sie mahnt
in lieblichem H-dur, ohne Härte, ohne Derbheit. Sie rankt sich
in reizenden Bögen zum Anfang zurück. Aber die Phantasie weiß
auch jetzt noch zu schmücken; sie setzt, wo perlende Passagen
uns melodisch genug schienen, in zwei Vierteln eine Oberstimme
auf, die wie sehnsüchtiges Streben in die Höhe ist. Sie hat uns
eine höchste Steigerung aufgespart. Der Thomaskantor muß noch
einmal — o Schmach ! — der Erotik Vorspanndienste leisten. Muß
die Perücke abwerfen; muß das Werk des Dichters lächelnd be-
113
trachten. Die Imitation gleitet in Tristan-Harmonien mit hastigem
Atem vorüber. Nicht sogleich findet sich die Ruhe ein. Die Sehn-
sucht nach dem Klassizismus besinnt sich. Ein Unisono. Es ist
zu spät. Der Rest von Gotik überzeugt nicht mehr. Welch eine
Fülle von Ausdruck, von Anmut; und mit wieviel Meisterschaft
sind die Bausteine zusammengefügt!
Der Dichter ist aber auch wachsender Ironiker. Und vielleicht
bricht diese Note in keiner der späteren Mazurkas so schneidend
hervor wie in der ersten Nummer des opus 56, das 1844 erschien.
Da herrscht ein Stimmungschaos, das nur die Künstlerhand zur Ein-
heit zwingen konnte. Er hält uns in Spannung; er nasführt uns.
Wie lange dauert es, ehe wir bei H-dur landen; und wie heuch-
lerisch-spielend ist der Mittelteil, der uns in Es-, dann in G-dur
über die wahre Stimmung täuschen möchte! Das bezaubernde Klin-
gen, in das sich alles löst, und durch das Brahms' absteigende
Sexten zeitweilig hindurchschimmern, läuft bei aller Weltlichkeit nicht
Gefahr, ins Salonhafte zu münden. Da ist eine begleitende, kontra-
punktierende Stimme, die alle Philisterbedenken zum Schweigen
bringt. Wie Philister überhaupt vor dem, was nun folgt, kopf-
schüttelnd stehen werden. Sind wir in Nr. 2 nach Masovien zurück-
gekehrt? Es ist Täuschung. Die Imitation treibt ihr Wesen wie-
der. Sie überwältigt legatissimo und piano auch die Derbheit. Das
Künstliche überwuchert im dritten so, daß selbst die gestaltende
Meisterhand versagt. Aber suchet, und ihr werdet des Feinen über-
genug finden.
Wo musikalische Inzucht, obwohl Edel-Inzucht, herrscht, ist auch
Erschöpfung. So mag von dem, was nun kommt, nicht allzuviel die
Rede sein. Freilich: nur Chopin konnte selbst erschöpft Höhepunkte
erklimmen, wie sie sich auch in diesem 1846 veröffentlichten opus 59
zeigen. Im ersten Stück reicht der Atem nicht aus; im zweiten ist
mehr mondaine Lust, die in Übergängen, Ausweichungen graziös
und mit höchster Meisterschaft spricht. Im dritten gar (fis-moll)
ist beneidenswerte Vollendung. Da hat ein glücklicher Moment
einen schönen, entwicklungsfähigen Gedanken geboren, und der
Künstler hat ihn wieder in ein klassisches Gewand gehüllt. Da spürt
man keine Zuckungen, die Gegensätzliches kühn einander entgegen-
führen ; die Leidenschaft besinnt sich auf sich selber, und die Chro-
Wcissmann, Chopin 8
114
matik, die Mehrstimmigkeit, die Imitation sind des Dichters selbst-
verständliche und eigentümliche Sprache geworden. Da liegt, in-
mitten architektonischer Pracht, ein kleines Traumland, Gefilde der
Seligen, von denen der Abschied schwer fällt. Ja, auch im op. 63
vom Jahre 1847, das nach Chopins Willen sein Schwanengesang in
dieser Gattung sein sollte, gibt es noch ein Erwachen der Frische.
Drei Stücke sind's, die wieder Sturm gegen alles Herkommen läuten.
Ich habe mich für das letzte, durch eine ganz herrliche Engführung
mit Querstand gekrönte in cis-moll entschieden. Hatte Polen je
geahnt, daß sein Geist sich so klässisch-unklassisch veredeln ließe?
Diese Mazurka durfte nicht als Schwanengesang gelten. Man
suchte auch andere hervor. Fontana im unedlen Wettstreit mit Fran-
chomme, den er um seinen Platz im Herzen Chopins beneidete,
ist bei seiner Sammelarbeit auch auf heimliche Mazurken geraten.
Er gab sie 1855 heraus. Sie gehören verschiedenen Lebensaltern
an. In opus 67 und opus 68 faßte er sie zu je vier Nummern
zusammen. Sieben andere erschienen ohne Opuszahl. Alle haben
sie die Familienähnlichkeit für sich und trüben das Bild des Mei-
sters nicht.
„Kanonen unter Blumen eingesenkt", nannte Schümann Cho-
pins Werke. Die Mazurken bestätigen laut dieses verständnisvolle
Wort des Mitromantikers. Sie enthüllen des Meisters Kern. Sie
sind eine begeisterte halböffentliche Huldigung an die rhythmische
Unrhythmik des Rubato. Sie stellten die Welt vor Rätsel, die dem
Theoretiker von heute kaum lösbar scheinen. Sie betonten die Na-
tionalität zuweilen konventionell, meist aber mit einer Schärfe, die
ihnen den Weg zur genießenden Mitwelt zu sperren schien. Aber
sie erreichten das schier Unmögliche, die Überbrückung der Gegen-
sätze durch kühnste Kreuzung der Harmonien und Rhythmen mit
der westeuropäischen Kultur eines Höchstkultivierten. Ein solches
Schauspiel' ward noch nie gesehen. Es war ein Triumph der Fein-
nervigkeit; ein glänzender Epilog auf das gestorbene Polen, ein
bahnbrechendes Eintreten für den Kunstwert osteuropäischen Kolorits.
Jubeln wir aber nicht zu laut. Die Mazurken genießen den
Weltruhm ; doch sie werden nur von wenigen verstanden, emp-
funden. Die Landsleute sangen sie; eine Viardot, eine Sembrich
taten als Künstlerinnen desgleichen. Wen sie nicht berauschen, der
115
lasse die Hand von ihnen. Man schleppe diese bescheidenen Revo-
lutionäre, diese Kinder des Dichters, sie vor allem nicht, in die
weiten Säle. Sie verlieren den Atem. Ihre Lungenkraft versagt,
wenn sie zur Masse sprechen sollen.
Wir haben nun tausend schlimme Erinnerungen zu bannen. Wir
denken an stümpernde Oberflächlichkeit, an peinliche Bürgerstuben-
trivialität; an geöffnete Fenster, die uns vom Pedal zum Tonbrei
entstellte Melodiefetzen zutrugen. Wir sind beim Walzer. Der Wal-
zer von Chopin ist musikalischer Ausbeutungsgegenstand geworden.
Er hat dem Meister die Volkstümlichkeit geschaffen. In Deutsch-
land vor allem. Die Gründe scheinen klar. Dieser Tanz an sich
führt hier ein fast selbstherrliches Dasein. Der geistreichen, den
Wallungen des Blutes mehr ausgesetzten Polin liegt die pikantere
Mazurka in den Gliedern ; der phlegmatischeren, gemütvolleren, mehr
hausmütterlichen Deutschen der gemessenere Walzer. Der slawi-
sche Einschlag hat auch bei uns manche Wandlung, manche Spiel-
art hervorgerufen. Aber der Grundcharakter verwischt sich nicht.
Er erhält sich selbst in übelduftenden Tanzsälen, wo die Instinkte
die lebendige, stimmungzeugende Unterströmung bedeuten.
Kein Zweifel, daß Chopin auch in seinem Walzer nicht zur ge-
meinen Menge hinabsteigt. Aber die Mazurka hemmt ihm den Flug
der Phantasie. Diese entzündet sich nicht mehr an übermäßigen
Quarten und Sekunden, an großen Septimen, aber sie bleibt am
Rhythmus hängen und wendet wohl einmal sehnsüchtig den Blick
nach der lebenspendenden Heimat zurück. Was er vom Franzosen-
tum ererbt hat, gleitet nun in die Form hinein. Der französische
Salon, in dem er heimisch ist, stimmt ihn zur Lebenslust. Noch
ist er der Träumer, der in das Gewühl sinnend hineinschaut; aber
diese eleganten, in ihrer zur zweiten Natur gewordenen Künstlich-
keit sich wiegenden französischen Frauen machen ihn einen Augen-
blick seinen Idealen abwendig.
Trotzdem bekehrt er sich noch nicht zu den Allerweltsidealen ;
aber sie bekehren sich zu ihm. Paris hat seinen Nimbus. Es streckt
seine Fühler bis in die geringste Bürgerstube aus, wo es die Sehn-
8*
116
sucht nach dem Salon weckt. Der Spießbürger braucht nicht mehr
vor der Scheidewand einer fremdartigen Harmonik zurückzuschrecken.
Und die klavierspielende Frau sieht hier ihre linke Hand, die ihren
Überschwang im Klassischen ein wenig zügelte, von der allzu tätigen
Mitarbeit entlastet. Das Einfach-Akkordliche wird liebevoll mit dem
Pedal gedeckt. Der Halbfranzose Chopin, wir merkten es schon,
ein Freund der B-Tonarten, läßt sich am liebsten von As-dur ein-
fangen, sobald der Salon ihn ruft. Das geschah auch in jenen Ma-
zurken, die dem wehmütigen Unterton nur flüchtigen Unterschlupf
gewährten. Im Walzer ist As-dur Königin ; sie thront in dreien,
unter denen zwei den Ruhm des Meisters laut künden : in op. 34, 1
und op. 42; in dem geringeren op. 64, 3. Auch ihr melancholisches
Widerspiel f-moll erscheint, phantasiebeflügelnd : in op. 69, 1 und
in dem schwächeren op. 70, 2. Das benachbarte Des-dur hat ein
leichtbeschwingtes Kind geboren: op. 64 Nr. 1. Es-dur kann sich
einer größeren Nummer op. 18 rühmen, und im ferneren Ges-dur er-
klingen op. 70, 1 und op. 70 Nr. 3. Schleicht sich die Wehmut
auch in diese Form ein, dann gibt es einen Walzer in a-moll op. 34
Nr. 2, einen in cis-moll op. 64 Nr. 2, einen in h-moll op. 69 Nr. 2
und schließlich ein nummerloses ceuvre posthume in e-moll.
Die Dominante tastet sich vorwärts. Wird das nun eine Mazurka
oder ein Walzer? Es wird die (1834 veröffentlichte) grande Valse
brillante op. 18: einen ganzen Satz hindurch währt die Unsicherheit;
dann fällt die Entscheidung. Das scheint undurchkreuzte Jugendlust.
Wer will, kann aus der wiederkehrenden Eintastenpassage das Schnat-
tern der Salongänschen heraushören. Aber der Karikaturist wird
liebenswürdiger. In- Des-dur verbeugt er sich graziös, nicht ohne
ein leises Lächeln über die beredten Mündchen. Doch seine Liebens-
würdigkeit steigert sich bis zu stärkerem Mitempfinden. Er spricht
„con anima". Hier in diesen Mittelsätzen verrät er sich. Und die
koketten Vorschläge, die sich nun halb ironisch an dem nächsten
Thema emporwinden, bis sie sich chromatisch wieder zu dem leisen
Bekenntnis hinabsenken, können nur das Werk eines Genies sein.
Selbst die Schwermut läßt sich nicht bis zu völliger Undurchsichtig-
keit niederkämpfen. In einer Ges-dur-Episode erscheint sie wie durch
einen Schleier, in ihrer vollendeten Anmut. Doch die Schatten ent-
fliehen; Salongänschengeschnatter, Ironie, Koketterie und der Ein-
117
gangsrhythmus vertragen sich und streben in holdem Verein dem har-
monischen, allzu harmonischen Ende zu.
Von den drei Walzern des op. 34, die im Jahre 1838 erschienen,
ist Nummer 1 ein Treffer. Ein lautes Pochen ; dann spielt auch
schon die Vorliebe für den Septimenakkord in das Passagenwesen
hinein. Sie ist bis in seine tiefsten Werke hinein zu verfolgen. Diese
gebrochenen Septimen, die in weitem Bogen auf und ab jagen,
haben Spannung, Stimmung und Eleganz. Hier im Ballsaal löst sich
ihr Rätsel sofort. Der Wohlklang feiert; über zwei Takte hinweg
erstreckt sich das Ornament. Aber auch die Hemmungen des Wal-
zers treten auf. Wo er ins Punktierte hineingerät, wird er von einer
zögernden, unbeholfenen Unbeweglichkeit. Die Melancholie ist hier
die Retterin. Und glücklicherweise ruht in der Brillanz des Haupt-
themas ein Schatz, der nur von einem Könner gehoben zu werden
braucht. Die jauchzende Passagenseligkeit, die zu einem geistreichen
Spiel mit Bruchstücken, zu einem leisen Verklingen führt, gibt den
befriedigenden Abschluß.
Den a-moll-Walzer liebte Chopin sehr. Die patriotische Sehnsucht
zeugt die Liebe; aber von der Höhe des Weltruhmes betrachtet,
versinkt dieses Stück. Die Schwermut, die sich wohl auch in Sep-
tolen gegen den Rhythmus vergißt, ist hier des genialen Aufschwungs
unfähig. Ein leichtes, anmutiges Modulieren steht dem aufrühre-
rischen Mazurkenkomponisten nicht gut zu Gesicht. Die klagenden
Cellopassagen, die eine letzte Rückkehr des Leidmotivs anbahnen,
betonen nur den weibischen Charakter des ungeübten Händen dop-
pelt willkommenen Walzers. Aber Chopin rafft sich auf. So sehr,
daß nun die nächste und letzte Nummer von op. 34 fast poesielos,
hart klingt. Wir sind in F-dur. Leere Passagen winden sich zweck-
los über drei Oktaven. Sollte die platte Banalität sich in den vor-
nehmen Ballsaal verirrt haben? Die Seele des Dichters müht sich
mit halbem Gelingen, sie in seine Welt zu übertragen ; selbst die
Kraft zu erobernder Koketterie versagt.
Ein langer, langer Triller rüttelt uns auf. Opus 42, ein Gewinn
des Jahres 1840. Das Signal hat nicht getrogen. Wie zärtlich
schmiegt sich hier der Mann an das Weib! Er gewichtiger in takt-
widrigen Vierteln, sie beschwingter in halb entschlüpfenden Achteln.
In voller Freiheit schweben sie dahin. Wieder tauchen die gebroche-
HS
nen Septimenakkorde auf; es ist ein ununterbrochenes Schwärmen
und Sichvviegen. Kaum gönnt man sich eine kurze, durch gewinnen-
des Plaudern angefüllte Pause; und wieder werden die Körper ge-
hoben, getragen. Sie ruhen noch einmal. Die Bitten werden dring-
licher, energischer. Neues Entschweben. Der Dichter spricht. Die
Stimmung springt auf ihn über. Seine Schwermut lächelt. Er wird
der wahre Eroberer. In jubelnden Passagen klingt das Stück aus.
George Sand durfte viel fordern. Sie durfte auch einen Walzer
fordern. Sie hatte, erzählt man, einen kleinen Hund, der den eigenen
Schwanz zu erhaschen suchte. Als er eines Abends seine unterhal-
tenden Sprünge machte, sollte er nach der Freundin Wunsch auch
als begeisternde Muse auf die Nachwelt kommen. So entstand der
Valse au petit chien in Des-dur op. Nr. 1, mit zwei Genossen im
Jahr 1847 erschienen. Die Tradition hat ihn zum Minutenwalzer
erniedrigt, an dem nun die Finger von Unberufenen ihr Vernich-
tungswerk beginnen durften. Er verdient ein besseres Schicksal. Die
Phantasie kann die Sprünge des reizenden Hündchens wiedererken-
nen : die Passagen sind duftig, entzückend. Und das zärtliche Inter-
mezzo läßt dem Gefühl soviel Spielraum, wie nötig ist, um über
einen zögernden Triller hinweg zu den spielerischen Krümmungen
zurückzukehren. Das Charmante dem Charmanten: der Gräfin Del-
phine Potocka gehört dieses Opus zu eigen.
Bisher war in den Walzern dem Slawischen nur ein bescheide-
ner Tribut gezahlt worden. Die großen Nummern stammten aus
dem Pariser Salon. Es schien, als dürfte Chopins Inneres sich in
dieser seiner Afterform der Mazurka ohne Entweihung nicht ent-
hüllen. Aber einmal sollte sich auch hier die Sehnsucht künstlerisch
voll ausleben. Der Walzer op. 64 Nr. 2 in cis-moll ist auch ohne
jähen Stimmungswechsel ein schillernder Edelstein. Die Schwer-
mut lähmt zwar den Willen zur Entwicklung; müde setzt der Meister
den ersten Satz mit den langsamen, im Halbtonschritt schleichenden
Passagen neben den zweiten mit seinen sanften Bögen, setzt ihn nach
einer nur schwach tröstenden, fast noch schwermütigeren Episode
noch einmal hin und — gibt ein da capo des ersten und des zweiten
Satzes. Es ist ein starres Hinbrüten, das monomanische Wiederholen
eines Wortes, im Leben unerträglich, krankhaft und menschenfeind-
lich; in der Kunst, Ausdruck geworden, hat es eine höhere Sen-
110
düng erfüllt. Nicht die höchste. Aber die Erschöpfung dringt auch
in die leichtere Salonform. Unser Meister, der sich überreizt gegen
die bunte Welt absperrte, konnte nun auch den gefälligen Plauderton
nicht mehr aufbringen. Das Leiden unterbindet die Oberflächlichkeit.
Er wendet sich in op. 64 Nr. 3 an die Königin As-dur; sie spendet
ihm nur Phrasen, weil er ihr nicht von Herzen huldigt. Diese
Phrasen laufen nun auf Stelzen, wenn auch wohlklingend weiter,
haschen nach allen Mitteln, sich gefällig zu erweisen, bedienen sich
einer andern Tonart, versuchen es in allen Stimmungen. Umsonst;
sie überzeugen nicht — sie sagen nur, daß ein Auserwählter sich
vornehm herabließ.
Chopins Härte gegen sich selbst reichte nicht so weit, hier zu
verdammen. Künstlich geworden, liebte er die Künstlichkeit. Aber
war er nicht zu hart gegen einige seiner als Waisen zurückgelassenen
Walzerkinder? So gegen das in f-moll op. 69 Nr. 1, dessen An-
spruchslosigkeit gefällt, gegen das in Qes-dur op. 70 Nr. 1, das es
an Anmut und Ideen mit manchem legitimen aufnehmen könnte;
und selbst gegen das in e-moll, das er vielleicht in ruhigerer Stunde
mit den Reizen eines klingenderen Klaviersatzes hätte ausstatten
müssen, um es für den Wettbewerb mit den übrigen zu stählen ? Die
übrigen mit und ohne Opuszahl seien vergessen. Die Unsterblich-
keit ist weder mit ihnen noch mit den glücklicheren Sprößlingen
dieser Familie verknüpft.
Ein anderes, buntes, glänzendes Bild: Der polnische Wojwode
im Nationalkostüm, die Mütze mit der stolzen, wippenden Reiher-
feder geschmückt, um die Hüften den blitzenden Gürtel, schreitet
in roten Stiefeln gravitätisch dahin. Er schlägt die Ärmelstulpen
zurück, streicht seinen Schnurrbart, reicht der Edeldame die Hand.
Er sucht mit ihr zu entweichen, andere folgen ihm; läßt die Neben-
buhler an sich passieren, durchbricht ihre Reihen. Denn er ist
Führer. Da ruft ein Kühner laut in den Saal hinein ; er entthront den
Herrscher, entführt ihm von Rechts wegen die vornehmste der Tän-
zerinnen. Auch ihm kann es ergehen wie dem eben Entthronten.
120
Aber er entwaffnet einen neuen Aufrührer, indem er den Tanz auflöst.
Es ist die Idealpolonäse mit ihrer Ritterlichkeit, mit ihrer Würde,
ihrem Prunk, ihrer Farbenpracht und mit ihrem Hang zur Gesetzlosig-
keit, lebendig geschildert von dem polnischen Dichter Mickiewicz in
seinem Epos „Pan Tadeusz", phantastisch nachgedichtet von Liszt
Größe und Verfall des polnischen Staates zeichnen sich in ihrem
Lebensweg nach. Wie stolz mag das Schreiten der Edlen gewesen
sein, als sie — so nimmt man an — zum erstenmal 1574 in solchem
feierlichen Umzug Heinrich von Anjou nach der Thronbesteigung
huldigten! Und wie krampfhaft mußte sich die Polonäse zur Würde
zwingen, als eben die für sie charakteristische Gesetzlosigkeit Polen
in Stücke schlug, die nun minder schwärmerischen Nachbarn zu-
fielen ! In jenen Tagen suchten die Kosciuszko-, die Oginski-Polonäse
zu befreiender Tat zu entflammen. Aber schon war dieser Tasnz
weltbürgerlich geworden wie das Reich, dem er entstammt war,
in den europäischen Staatenbau einzugehen drohte. Sein Weltbürger-
tum, das in Weber einen tatkräftigen, stimmungsvollen Fürsprecher
fand, hatte ihn für den inneren Verfall trösten müssen. Musikalisch
gewachsen, war die Polonäse doch zu einer inhaltslosen Formel, zu
einer grande promenade herabgesunken.
Gewiß, Leidenschaft hatte sie nie geatmet. Sie war stets der
Tanz der reifen Männer, nie der einer stürmischen Jugend gewesen.
Der Mann auf der Höhe des Lebens gewann in ihr zurück, was die
Mazurka seinem Geschlecht genommen hatte. In ihr verbildlichte
er sich selbst als die kraftvolle Stütze des Staates; das Martialische
jubelte. Aber selbst hier war der Riß, der durch diese Menschen
ging, nicht zu verdecken. Diese Männlichkeit hatte Nerven ; sie
konnte helden-, aber auch wankelmütig sein. Sie beugte sich schließ-
lich ritterlich vor der Frau als der wahren Herrscherin.
Und wieder hat Chopin versunkener Herrlichkeit einen Epilog
gedichtet. Seine Polonäse wurde ein für die große Welt be-
stimmtes politisches Bekenntnis, wie die Mazurken sein Polen-
elend intimer aussprechen. Dort wollte er als Mann hinausschreien,
was er sich hier als Nervenmensch tagebuchmäßig von der Seele
geschrieben hatte. Er wollte es. Wir kennen seine Vergangen-
heit als politisches Wesen. Seine Nerven, die eines Künstlers, hatten
das Übergewicht; sein Wille war gebrochen; sein Unbewußtes war
121
so stark, daß es wohl Reflexbewegungen, nicht aber Taten gestattete.
Man hatte ihn vom Schauplatz der Kämpfe entfernt, weil er selbst
in dieser von Wallungen bis zur Entschlußunfähigkeit zermürbten
Umgebung ein Hemmschuh gewesen wäre. Die Polen durften auf ihn
als ihren Tvrtäus rechnen; einen ewigen Tyrtäus, der zwar nicht ih-
ren Mannesmut. aber ihre kunstfreundlichen Nerven aufrütteln konnte.
Es scheint nun einen Augenblick seltsam, daß der allem Stoff-
lichen abgewandte Tondichter sich von gravitätisch im National-
kostüm einherschreitenden polnischen Rittern, von kampflustigen
und kampftüchtigen Revolutionären zu künstlerischer Tat begeistern
läßt. Wird das Undramatische und das Unmännliche in ihm sich
gegen diese Art Tondichtung nicht wehren ? Ja, aber es wird nun
doppelt reizvoll sein zu sehen, wie die leidenschaftslose Würde der
Urpolonäse hier ins Lyrische oder ins Hysterische abbiegt, oder,
wo sie es nicht will, die charakteristischen Züge des Meisters unter-
gräbt. Schwer gepanzert, pomphaft ausgerüstet, die Klaviatur er-
schütternd ziehen diese Tongemälde vorüber; dann wollen sie, in den
Wirkungsbereich des Orchesters übergreifend, Liszts dramatische,
demagogische Tastensprache dem Eigenwesen entsprechend über-
nehmen. Oder sie bieten im neuen Rhythmus alle Reize der auf-
rührerischen Stimmungschromatik und feinen Klangfreudigkeit auf
und vergessen das politische Bekenntnis über wehmütigen Träumen.
Im neuen Rhythmus. Denn dieser ihm neue wird von ihm selbst
nun wieder erneut, seine auf dem zweiten Viertel betonte Dreiviertel-
bewegung zur Mannigfaltigkeit gezwungen.
In Antonin beim Fürsten Radziwill ist 1829 op. 3, Introduktion
und Polonäse für Klavier und Cello in C-dur, komponiert, im Jahre
1833 veröffentlicht worden. Hier, umgeben von den ihn verhät-
schelnden Damen, hat Jung-Chopin noch keine politischen Sorgen.
Er will sich angenehm machen. Da schwelgt er in der unproble-
matischsten aller Tonarten auf die unproblematischste Weise in Hum-
melscher Passagenplauderei. Der neckische, dem Klavierspieler sehr
willkommene Wechsel zwischen Terzen und einfachen Noten, eine
Dreiklangbegeisterung mit mäßig aufregenden Halbtönen, ein zu-
weilen unterbrochenes Unisono sind die Requisiten des Salonkom-
ponisten. Auch in der Es-dur-Polonäse op. 22 (Grande Polonaise
precedee d'un Andante spianato mit Orchester) scheinen die Sorgen
122
nicht eben drückend. Zunächst in einem nocturneartigen Satz er-
leben wir etwas bei Chopin recht Seltenes: seine Träume sind vom
Albdruck nicht gestört. In lieblichem G-dur-Sechsachteltakt, mit der
einfachsten, nur kühner geschwungenen Begleitung, mit kleinen Ver-
zierungen fließt es dahin. Wo es aber nicht fließt, im Mittelsatz,
spricht es im Dreivierteltakt mit innigster Befriedigung „semplice"
und bekräftigt es in der Schlußwendung. Der Übergang zur Polo-
näse vollzieht sich mit einem allzu plötzlichen Ruck, den sich der
Klavierkomponist nicht verzeihen würde. Aber das Tutti des Or-
chesters läßt ihn zu den leersten Wendungen greifen. Leere Phrasen
fehlen zwar auch in der nun folgenden Polonäse nicht. Doch der
Hummelschüler ist noch koketter, selbstbewußter geworden. Die
B-Tonart steigert seine Überredungskraft, er tänzelt in völliger rhyth-
mischer Freiheit vor der holden Weiblichkeit, spendet freigebig
Schmuck als Selbstzweck, unterstützt den Wohlklang der Rede mit
Terzengängen, mit zweistimmigem Triller, mit Oktavenschritten und
wäre überhaupt nur ein Phraseur, wenn nicht zwei Episoden einen
Schatten von Schwermut vorüberhuschen ließen. Doch sie soll ihn
nur interessanter, unterhaltender machen; sie soll seine Rede nur
würzen. Und sie tut es so sehr, daß dieses Stück, ohne aufzurühren,
den Frauen, denen es gehört, ein wahrer Freudenspender ist. Chopin
spielte es 1835 in einem Habeneck-Konzert, 1836 erschien es. Seine
Geburtsstunde liegt gewiß weit zurück. Xaver Scharwenka versuchte
das Orchester minder überflüssig zu machen, als es ist. Es gelang
ihm nicht.
Cis-moll — op. 26. Der Nervenmensch spricht. Er versetzt
dem Rhythmus einen Stoß, wandelt Heldenmut in zuckendes Sich-
aufraffen. Er nimmt nach einem Aufschrei einen neuen Ansatz; zur
Männlichkeit, gerät aber ins Empfindsame. Leiser Groll, der sich
bis zum Zorn steigert, dann aber wieder zurücksinkt, in E-dur beim
Weibe verraucht. Sie tröstet den Dichter auch in einem Des-dur-
Satz, der nun mit seiner wohlklingenden Dreistimmigkeit, mit seinem
reichen Modulieren, mit seinen ausdrucksvollen Baßpassagen auch
das Scheinheldentum im Sybaritismus enden läßt. Aber diese Polo-
näse, 1836 veröffentlicht, ist ein echter Chopin. Wie die folgende
in es-moll, die mit ihr ein Paar bildet. Sie hat zwar mehr Haltung;
sie umgibt das Feminine mit dem Wall einer Form; aber der Bau
19'
zeigt doch einige Risse. Interjektionen leiten leise, doch vielsagend
ein. Eine rhythmische Figur, ein betontes Achtel, das zwei Sech-
zehntel hinter sich herzieht, sorgt nun wieder für die heroische
Pose. Sie wird nicht überall gewahrt. Der Oes-Aufschrei zeigt, daß
die staatliche Ordnung von solchem Aufruhr nichts zu fürchten hat.
Und das Des-dur-Pianissimo, bald enharmonisch wachsend, kann, so
reizvoll der Aufstieg über A-dur nach F-dur zu dem erneuten und
von der heroischen Figur unterstützten Ges-Schrei auch sein mag.
den Verdacht nicht beseitigen, als scheiterte hier der Tyrannen-
sturz an der Ohnmacht des Willens. Der Stimmungswechsel in
H-dur meldet nun ganz freimütig, daß der Lyrismus den Helden ge-
schwächt hat. Er sucht zwar mit einigen Takten das Revolutionäre
in sich zu entfachen. Er wirft sich noch einmal in die Brust. Aber
seine Kraft bricht sich am eigenen Dämon. In Zuckungen, in un-
vermitteltem Tempowechsel, in Fermaten, im ff-Sichaufbäumen und
im pp-, ja ppp-Zusammensinken bekennt er seine Gebrochenheit,
seine Unzulänglichkeit.
Doch in der A-dur-Polonäse op. 40 Nr. 1, mit der folgenden
c-moll im Jahre 1840 erschienen, tritt der Held auf, wie Polen ihn
ersehnt. Auch die unproblematischen Wesen, die nach Vorwänden
zur Befriedigung der Kraftmeierei suchen. Leider muß ich nun ge-
stehen, daß dieser Chopin mir meine Wünsche durchkreuzt. Alles
drängt nach dem Martialischen: A-dur, die helle, grelle, fanfaren-
gleiche Tonart lenkt die Phantasie auf sehr Materielles hin. Die
Überlieferung schwankt, ob diese oder die As-dur-Polonäse ihn selbst
durch die Vision, die sie heraufbeschwur, wie ein Schreckgespenst
aus dem Zimmer gejagt hat. Mir scheint, es kann nur diese sein.
Sie hat namentlich in den letzten Takten den würdigen, gemessenen
Polonäsenrhythmus, sie bringt Fanfarenlärm und Trommelwirbel, sie
dröhnt uns in den Ohren. Von selbst steigen die Gestalten der
Ritter und Edelfrauen auf, von selbst hebt sich der Vorhang, hinter
dem das Schaugepräge polnischer Umzüge erscheint. Auf den von
Chopin verwöhnten Klangsinn dringen die harten Cis-Oktaven mit
schneidender Schärfe ein. Es ist wie ein Blitzen von Klingen. Und
man hat Mühe, mit dem Blick auf ein wenig reichere Modulationen,
auf kühn auseinanderstrebende Oktavengänge zu dem Chopin, den
man liebt, zurückzukehren.
124
Der aber läßt nicht auf sich warten. Der Quartsextakkord des
e-moll-Dreiklangs tritt mit verdoppeltem Grundton in schweren
Achteln auf. Das Schicksal singt in den Bässen die traurige Melodie
dazu. Wir wissen: jenem Heroismus ist ein um so stärkerer Zu-
sammenbruch gefolgt. Jedoch klingt es jetzt lange wie stille Re-
signation; und mag auch eine Oberstimme zuweilen klagend hinzu-
treten, der majestätische Schritt wird nicht gestört. Erst im Nach-
satz verdrängt das schmerzliche Gefühl des Rückschauenden die
scheinbare Ergebung. Doch nur drei Takte währt der Helden-
krampf; dann umfängt uns ein Halbschatten, von dem noch die
seltsamen Farben sich abheben; die Geister, die er vorhin rief,
sprechen nun selbst Trostesworte. Das Halbdunkel dauert an, aber
der düstere Ton weicht dem helleren: G-dur; und über dem Orgel-
punkt schwebt die Geistermelodie, von den Männern, von den Frauen
gesungen. Dann huschen sie davon: in Sechzehntelpaaren, die Takt
an Takt, Taktteil an Taktteil knüpfen. Es ist Klangzauber, der die
verflossene A-dur-Derbheit vergessen machen möchte. Aber noch
tröstlicher ist, was nach der wiederholten Schicksalsmelodie eintritt:
eine rührende As-dur-Kantilene, durchbrochen von einem pp auf-
tretenden heroischen Motiv, das nun in benachbarten Halbtönen
seinen Tatendrang niederzwingen muß. Ein Durchgangs-C-dur, das
wie die Morgenröte nach der Geisterstunde ist, führt zum erstenmal
eine jener schön geschwungenen, singenden Baßpassagen mit sich,
die sich allmählich zu einer Reihe zusammenschließen: eines der
schönsten Beispiele für die Freiheit und Durchsichtigkeit des mehr-
stimmigen Satzes, wie sie noch nie durch die Welt geklungen. Und
das Ende ist grandios : das Schicksal predigt noch einmal Ergebung,
aber diesem Ruf mischt sich eine Klage, wie sie nur aus dem Munde
von Helden kommen kann. Polen ist zu Grabe getragen.
War hier bei allem Schmerz Würde, die sich in ruhigerer Ent-
wickelung aussprach, so geht es durch die nun folgende, im Jahre
1841 erschienene fis-moll-Polonäse wie ein Fieber, wie die stärkste
Auflehnung gegen das Geschick. Der Aufschrei wird formbildend.
Der Albdruck gibt Stimmung und Farbe. Uferlos strömt die Emp-
findung dahin. Die Triolenfigur, die in rasendem Schritt, außer
Atem, im Unisono bei einem schwungvoll vorbereiteten ff anlangt,
sagt genug. Der Klaviersatz zeigt die Spuren der seelischen Ver-
125
wüstung. Es ist etwas Gärendes in ihm. Eben sausen unter einer
Oktavenskala schwer und unbeholfen Dominant-Sechzehntel auf die
Tasten nieder, und im nächsten Takt schon erzählt eine klingende
Dreistimmigkeit von dem König der Klavierkomponisten. Die Ver-
schwendung in Oktavenpassagen, die selbst verdoppelt auftreten,
zuweilen ohne den Zügel des Rhythmus einherstürmen, empört sich
auch gegen die von Chopin selbst gestellten Forderungen. Er malt
hier, vom Klavier fast gehemmt, al fresco. Aber selbst dann zünden
die gleitenden Skalen, die hallenden Triller in den Bässen wie die
Blitze des Genies. Der leidende Mensch schweigt plötzlich. Die
Fieberphantasien lassen nun wieder eine freundliche Vision auf-
steigen. Die Mazurka kündigt sich an; über dem Orgelpunkt in E
als Dominante von A-dur erhebt sich Kirchengesang: Heimat. Hoch
zu Roß rücken zunächst die Ritter und die Damen heran. Eine
endlos wiederholte Zweiunddreißigstel-Figur mit abgestoßenem A
malt Pferdegetrappel. Sie finden sich zur Mazurka zusammen. Die
hat alles Wirtshausmäßige, ja alle Pikanterie abgestreift; sie hat
etwas Überirdisches. Der Mittel- und Höhenlage des Klaviers werden
ihre tiefsten Geheimnisse entlockt. Zerlegte Dreiklänge, Terzen und
Sexten, Dezimenspannungen werden aufgeboten ; es ist ein seliges
Träumen. Da pfeift es über die Klaviatur. Die Fieberphantasien
verscheuchen dieses Bild. Aber auch, was vorhin al fresco erschien,
läßt sich verklären : in milden Wohlklang löst sich wilde Zerrissenheit.
Und nun die As-dur-Polonäse op. 53: noch einmal ein Hymnus
auf das Martialische? Nein, die Tonart schon winkt eine stärkere
Phantasie herbei. Da ist alles weit differenzierter. Da ist Span-
nung: die Dominante macht alle erdenklichen Umwege, unter denen
die chromatischen Sexten die fesselndsten sind, ehe sie sich auflöst;
Glanz: Vollgriffigkeit, die alle Register ausnützt; Ornament, das sich
selbstbewußt aller Bedenken des Taktes entschlägt; eine Oktaven-
herrlichkeit, die eherner Ausdruck geworden ist; Stimmung: in einer
lyrischen Episode versucht das Zwielicht, der Wechsel zwischen Dur
und Moll sich gegen eitel Helligkeit zu behaupten ; endlich formale
Meisterschaft. Wenn die Anstrengungen mehrerer Generationen
dieses unfehlbare Paradestück nicht töten konnten, so bezeugt das
seine Urkraft. Man kann aber nur mahnen, daß wenigstens ein ge-
messener Schritt, wie er dem Komponisten vorschwebte, die
126
Klavierorgien mäßige. Veröffentlicht wurde das Werk im
Jahr 1843.
Wie in allen Gattungen, so läßt sich auch in der Polonäse die
Erschöpfung erkennen. Opus 61, Polonaise-Fantaisie genannt und
1845 veröffentlicht, kann auch unter diesem weitherzigen Titel nicht
als geschlossenes Meisterwerk gelten. Allerdings sprengen hier die
inneren Werte die Form. Schwärmerische Unklarheit kann nicht
bezaubernder schwach sein als in den gebrochenen Akkorden des
Anfangs, die, vom Pedal unterstützt, wieder in das Reich Wagners
führen. Der Klangwunder gibt es die Fülle. Ein heroisches Motiv
möchte gern die Säule sein, die den Bau trägt. Aber ehe der kräftige
Aufschwung mit den punktierten Bässen, der Hymnus auf ein glän-
zendes Polen erreicht wird, hat sich der ganze Seelenreichtum eines
Einzigen im wechselnden Kolorit in nie geahnter Tastenlyrik aus-
gelebt. Echtester Chopin; echter als jener heldenhafte.
Er mußte hier mit leeren Händen zusehen. Für den Glanz,
den er ersehnte, versagte die eigene physische Kraft. Die Klavier-
heroen hatten das Wort. Die Polonäsen — in deren Reihe noch
drei als op. 71 bezeichnete und zwei nummerlose Früharbeiten
stehen — forderten das ganze Europa heraus. Sie waren oft Ten-
denzstücke, mit einem starken Zug ins Dramatische; und als solche
nur halb geglückt. Der Kampf zwischen seinem Eigenwesen und
einem Stoff, den sein moralisches Gewissen ihm1 diktierte, wird frei-
lich so ausgekämpft, daß die Öffentlichkeit noch lange schauen und
horchen wird. Wir ahnen hier, warum Chopin nicht der Schöpfer
einer nationalen Oper geworden ist. Klangsinn und Feinsinn wandten
sich gegen das Orchester und das Handfeste. Die Politik konnte
diesen Charakter nur verderben. In den Mazurkas, diesen halböffent-
lichen Kundgebungen, war etwas Zwingendes; in den Polonäsen
zuweilen etwas Erzwungenes. Aber Stimmung und Kolorit retteten
ihren Weltruhm.
* *
*
Die Liebe zum Tanz verlockte Chopin auch zu Streifzügen in
fremdes Gebiet. Romantischer Hang wollte sich mit Eigenem nicht
begnügen. Aber das Eigene hemmte ihn. Sein Kolorit war in der
Durchdringung von Nationalem mit Persönlichem1 so erstarkt, daß
127
die kühle Hand fehlte, die allein das Spiel mit Farben beherrscht;
oder daß der Kopf zu kühl blieb, um auch aus dem Fremdnationalen
einen Eigenwert zu prägen.
Drei Ecossaisen, 1826 entstanden, als op. 72 Nr. 3 1855 ver-
öffentlicht, würden in einem Salonalbum für Anspruchslose keine
üble Figur machen, wenn die Schlußtakte reicher gekleidet einher-
gingen. Es war sinn- und pietätlos, sie der Welt bekanntzugeben.
Für den Bolero op. 19 sorgt Chopin selbst im Jahr 1834. Er
suchte Spanien nicht mit der Seele. Es sei denn, daß der dort
kämpfende Anton Wodzinski sie auf Umwegen dorthin trug. Doch
scheint das Stück, leicht beschwingt, wie es ist, früher geboren zu
sein. Schumann nannte es zart, liebetrunken, fand in ihm südliche
Glut und Schüchternheit. Seine Phantasie war hier allzu hellsichtig.
Denn das Südliche haben Geringere mit dem sicheren Instinkt der
Alleskönner besser getroffen als unser Meister. Aber Rhythmus,
Buntheit und Eleganz sind darin ; Vorzüge, die so gesteigert Chopin
mindestens nicht belasten.
Und nicht anders steht es um die Tarantella op. 43, die 1841 er-
schien. Schumann sagte von ihr: „Ein Stück in Chopins tollster
Manier; man sieht den wirbelnden, vom Wahnsinn besessenen
Tänzer vor sich, es wird einem selbst wirblich dabei zumut.
Schöne Musik darf das freilich niemand nennen, aber dem Meister
verzeihen wir wohl auch einmal seine wilden Phantasien, er darf
auch einmal die Nachtseiten seines Inneren sehen lassen." Hier
irrt Schumann wieder. Wir finden, daß das hübsche Musik ist
Aber wirblig wird uns dabei nicht zumute. Und die Nachtseiten
seines Innern entschleiert Chopin noch ganz anders, erschüttern-
der. As-dur zaubert hier Salonstimmung und Farbensinn her-
vor. Dieser Rhythmus wurde dem Meister (nach eigenem Ge-
ständnis) sauer; aber er bezwang ihn. Sollten die chromatischen,
abwärts jagenden Skalen, die sich um Querstände nicht kümmern,
Schumann außer Fassung gebracht haben? Oder jene Crescendo-
Stelle, die das letzte FF vorbereitet? Wir sind unempfindlicher.
Dank Chopin selbst, der in seinen Mazurken solche Kühnheiten
weit überboten hat.
Denn sein Tanz war der Vater seiner Musik.
LIEDER OHNE WORTE
(NOTTURNOS — BERCEUSE)
Treibhausluft. Dunkelrote herabgelassene Vorhänge. Ein matter
Schein erhellt das Boudoir. Eine Frau in duftigem Gewand, in
Schwüle fast erstickend. Ein bleicher Dichter singt ihr das ewige
Lied von der Liebe.
Oder: die Schatten der Nacht haben sich herabgesenkt. Stun-
den quälender Schlaflosigkeit, in denen den Dichter die Schrecken
des Alleinseins, die Pein des Verschmähtseins packen ; ein Aufschrei,
ein leises Weinen, ein stilles Gebet.
Das Chopinsche Notturno durchbebt alles dies und noch mehr.
Es geht gegen die gesellschaftliche und staatliche Ordnung. Es
kann verheerend wirken, wenn es auf Wehrlose eindringt; aber es
ist durch die deutsche Sentimentalität entgiftet worden; auch da-
durch, daß die Geheimnisse, die es ausspricht, der Öffentlichkeit
unter Bravournummern preisgegeben werden.
Das Erschlaffende dieser lyrischen Gedichte strömt nicht allein
aus dem Unterton der Wehmut. Das Liedmäßige beherrscht sie
ganz. Die Melodie dehnt, streckt und krümmt sich wollüstig in
weitem Bogen; sie ist die Göttin, der hier Altäre errichtet werden.
Sie braucht nicht einmal die Unterstützung von Mittelstimmen, die
ihr bereitwilligst gespendet werden. Sie zieht sich über schön ge-
schwungenen Baßfiguren hin, mit einem Klangreiz, der durch nichts
gehemmt wird. Auch durch den Rhythmus nicht, der träge ist,
nur selten mit Überraschungen auf der Lauer liegt. Träge wie
die Melodie, die oft strophisch wiederkehrt, dann aber in einer
duftigen Umhüllung, in einem Dunst von Parfüm sich lockend zu
uns wendet und die Sinne schwinden machen möchte. Und die
Wortlosigkeit dieser Lieder läßt die Empfindung ins Uferlose aus-
schweifen. Suchten sich Schrecken und Qualen nicht auch den Aus-
weg in einer erschütternden Sprache, in einem packenden Rhyth-
mus, in kühnen Modulationen ; erschlösse sich nicht auch vom Fenster
aus der Blick auf lachende Fluren, so verdiente dieser Chopin alle
Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden. Keine Frage auch, daß
er hier ganz ein Eigner ist. Denn was bedeutet die Vaterschaft
Fields dem Notturno? So viel, daß Chopin nur zu erscheinen
129
brauchte, um jene Dichtungen bis auf den Namen hinwegzuwehen.
Er fand die Form vor, füllte sie mit wehmütiger Romantik und
dehnte sie nach den eigenen Bedürfnissen. Und wenn Field den
Schöpfer des aus dem Idyllischen ins Höchstpersönliche entarteten
Notturnos ein Krankenzimmertalent nannte, so gesteht er damit,
daß er sich in ihm nicht wiedererkennt.
Aber in dem hier stärker begrenzten Kreis schöpferischer Emp-
findungen gibt es staunenswerte Mannigfaltigkeit. Wer seine Art
so verzweigen kann, wie es gleich in den drei das op. 9 bilden-
den Stücken geschieht, der macht das Kranke lockend und be-
neidenswert.
Die Treibhausatmosphäre des b-moll-Notturnos umfängt uns
schon in den Sechsachteln, die den niedersteigenden Auftakt bilden.
Und sie führen zu einem müden Verweilen auf der gleichen Note,
dem ein neuer Abstieg folgt. Es ist der künstlerische Triumph
der Willensschwäche, der hier verkündet wird. Die Fülle von klei-
nen Noten, die, wie Sterne glitzernd, bis zu zweiundzwanzig an Zahl,
unbekümmert um die Baßbewegung vorüberziehen, vollenden den
Eindruck. Aber um so tiefer greift die Fortsetzung des Gedankens,
um so stärker packt die Steigerung in des3 und f3. Der Zwischen-
satz ist das unerhörteste Sichversenken in das Herz des Tasten-
reiches, in die Mittellage des Klaviers. Es wird zu einem Wesen mit
einem Nervensystem, das dem geringsten Reiz antwortet. Inner-
halb dieses engen Raumes schleichen die Finger, aber in eindringlichen
Oktaven, von Des- nach D-dur, betasten leise G-dur, wenden sich
nach Desdur zurück. Die Entwicklung steht still. Aber diese
Finger haben nun Mensch und Instrument so innig zu verschmelzen,
daß jeder Druck die inneren Schwingungen bezeugt. Der Bann löst
sich nur scheinbar, wenn in beschleunigterem Tempo ein neuer
Weg versucht, Terzen und Sexten herbeigerufen werden, der fast
unbewegliche Baß seine Lage ein wenig verändert. . . . Und der-
selbe Chopin schreibt nun ein Es-dur-Notturno, in dem er sich mit
Anmut an der Oberfläche hält, ohne Rückfälle ins Schmerzliche. Auch
das lieben die Frauen. Wenn aber der melancholische Dichter in die
leichte Plauderei ein Scherzwort einfließen läßt wie im dritten Stück,
das sich tänzelnd an chromatischer Ausschmückung des Leichtiro-
nischen nicht genug tun kann, dann scheint er wirklich ganz in
W e i s s m a n n , Chopin 9
130
das Lager der Salonmenschen abgeschwenkt. Bis er in einer von
stürmischen Sechsachteln alla breve begleiteten Episode wieder ein-
mal in eine Ecke flüchtet und seinen wilden Schmerz herausstöhnt.
Seelenfrieden atmet die Schlußkadenz, bereit, die ganze Tastenwelt
zu umarmen.
Diese drei Notturnos, 1833 veröffentlicht, sprechen von sehr
weit auseinanderstrebenden Gefühlen ; in ihrem schroffen Widerspruch
zwischen dem stark betonten Salonhaften und dem Weichen erzäh-
len sie uns von weit früherer Zeit.
Es wäre durchaus unchopinsch, den Wegspuren dieser Not-
turno-Lyrik bis ins einzelne zu folgen. Hier gibt es Unaussprech-
liches, durch einen Schleier Verhülltes, stark Durchpulstes, was zu
beredtem Schweigen oder nur zu leisen Andeutungen verpflichtet.
Es gibt aber auch jene Strecken, die durch verengtes, verweib-
lichtes Gefühlsleben nicht ermattend, doch matt wirken.
Unvermittelte Gegensätze zwischen der Ruhe und dem Sturm,
wie sie in Nr. 1 des 1834 erschienenen op. 15 auftreten, überraschen
nicht mehr. Nur daß hier bei allen Reizen des Klaviersatzes dem
ersten Teil die Nerven, dem mittleren die Überredungskraft im Lei-
denschaftlichen zu fehlen scheinen. Wie hat hier aber unser Dichter
im folgenden Stück (Fis-dur) die Nerven wiedergewonnen! Die
Boudoirplauderei mit koketten Verbeugungen, mit zartem Geflüster
kann sich musikalisch nicht anmutiger geben. Sollen wir ihm nach
alledem glauben, was er im doppio movimento, im merkwürdigsten
aller Klaviersätze vor sich hinspricht? Hier wird er wieder nach-
denklich, setzt die tragische Miene auf, stöhnt, atmet schwer, um
zum entzückendsten Salongespräch zurückzukehren. Das tragisch-
figurierte Ornament, wie der feinsinnige Louis Ehlert es nennt, ist
von dem anderen sehr reichen abgelöst worden. Das g-moll-Not-
turno sagt mir nun wieder wenig. Diese ungezählten Ausrufungs-
zeichen, dieses gläubige Händefalten mit Orgelbegleitung rührt trotz
allen harmonischen Feinheiten nichts in mir auf; die große Leiden-
schaft trägt es nicht.
Dagegen möchte man vor dem cis-moll-Notturno op. 27 Nr. 1
selbstdie Hände falten. Da haben wir wieder das Seelendrama, das
Hin- und Herwogen, das schwungvolle Sicherheben und das düstere
Hinbrüten. Hier darf die Phantasie schweifen; und sie landet bei
131
den Schauern der Nacht. Der Dichter lieget mit offenen Augen da.
Diese schweren, in weiter Spannung steigenden und fallenden Bässe ;
die leise Klage, die sich darüber erhebt, und unter der später eine
andere klagende Stimme sich hinzieht, erzählen von Liebesleid und
Einsamkeit Im Halbschlaf spinnt sich dieser Gedankengang fort;
Traumbilder steigen auf mit ihrer farbigen Bildhaftigkeit. Über den
bewegten Baßtriolen rückt die Phrase, die ein zweites Motiv mit
sich führt, um eine Quart nach oben, erreicht, an Kraft wachsend,
die höhere Oktave, ersteigt mit herberem Rhythmus eine neue Quart
und erklimmt noch eine weitere Terz; freilich in der Stimmung so
gewandelt, daß es nun wie Jubel klingt: Hoffnung. Sie jauchzt
in lautem Des-dur empor; ganz wundervoll blitzt plötzlich mit einer
kühnen Wendung das sonnenhelle C-dur auf. Aber die Helligkeit
wird durch ein pp um den strahlenden Glanz gebracht. Wie könnte
es auch anders sein, wo die Schwermut jede Freude dämpft! Schon
meldet sich die Trostlosigkeit: eine Baßkadenz, die wie ein Kampf
mit dem Albdruck ist, führt zu cis-moll und zu dem wachen Träu-
men zurück. Aber der Dichter spricht sich nun selbst Trost zu:
Cis-dur. Er findet ihn im Glauben.
Die Enharmonik geleitet uns zwanglos nach Des-dur (Nr. 2) :
Die Schauer der Nacht sind verflogen. Was wir hier hören, braucht
nicht gesagt zu werden. Das Wollüstige dieses Zwiegesanges raubt
den Frauen die Besinnung. Ahnungslose junge Mädchen können
hier wissend werden. Und wenn Chopin als Interpret wirklich,
von den Vortragszeichen abweichend, den leise verhauchenden Schluß
in einen Jubelhymnus von steigenden Sexten verwandelte, konnte
er da den narkotischen Rausch bannen, den diese tönende Sinn-
lichkeit, diese Häufung aller Mittel des Wohlklangs über uns
brachte ?
Die beiden Gesänge von Liebesqual und Liebesfreude erschienen
im bedeutungsvollen Jahr 1836, als der Meister zwischen „Ja" und
„Nein'" der Geliebten schwebte.
Die Ernüchterung naht: op. 32 Nr. 1. Hier ist das ewige Lied
von der Liebe zur Litanei geworden. Und die rezitativische Schluß-
dissonanz ist ein Hohngelächter auf alles Vorangegangene. So fügt
sich auch das vornehme As-dur-Notturno als Partnerin passend an:
Schäferpoesie, in die ein wenig überzeugendes, allzu gleichförmiges
132
piü agitato vergebens Bresche zu legen sucht. Ein lieblicher Gedanke,
erstarrte Form.
Von diesen 1837 veröffentlichten Dokumenten phantasielähmen-
der Verstimmung führt der Weg hinan: zu op. 37 mit zwei Stücken.
Zunächst, zwar in g-moll, singt die Schwermut ihr Lied mit jener
durch Dekoratives kaum abwechslungsreicher gewordenen Beharr-
lichkeit; aber es ist ein echtes Lied voll Edelmetall. Und das gläu-
bige Händefalten wird durch kühnes Vorwärtsschreiten künstlerisch
wertvoller; den tröstlichen Aufblick in gebrochenem G-dur-Schluß-
akkord begrüßen wir als wohltuenden Ausklang.
Hier ist gut verweilen. Das G-dur klingt weiter. Und wir
sind im Sonnenreich. Aber der Klavierspieler hat sich vorzusehen.
Dieses Auf- und Abwärtsgleiten in zweistimmigen Gängen führt ihn
an Klippen ; hier ist ein Zickzackweg, mit hundert Überraschungen,
die sich in eitel Harmonie auflösen sollen. O, es währt lange,
bis wir bei C-dur, bei jener ruhigen Kantilene anlangen, unter der
es wie Orgelton erklingt. War das wirklich ein normannisches Volks-
lied? Im Augenblick, wo Chopin sich seiner bemächtigt, hört es
auf, es zu sein. Es wird leidgeboren, unruhevoll, schillert als Edel-
stein in leuchtenden Farben. So strahlt dem Stimmungsmusiker die
Sonne, wenn er Fields Pfade verläßt. Auch das war ein Gipfel;
den er im Jahr 1840 erreichte.
Abwärts führt nun langsam die Straße. Denn in dem c-moll-
Notturno op. 48 Nr. 1, das mit so schönem Pathos in majestä-
tischem Schritt beginnt, vermag man da, wo es dramatisch werden
möchte, den Hauch höheren Chopinschen Geistes nicht zu spüren.
Da steht für eine männliche Entwicklung Oktavengetön, dem Be-
weglichkeit fehlt; und wo es absetzt, tritt nichts ein, was uns er-
schauern macht. Höchstens die Klaviatur wird erschüttert; und der
Tastenkünstler jubelt, weil doch nun einmal der Notturnokomponist
an die weiten Konzerthallen zu denken schien. Schien; aber er
sprach wohl mit sich selbst. Und noch immer so, daß ein kleinerer
Geist mit diesem Monolog prunken könnte. Wie mit dem Frage-
und Antwortspiel des Mittelsatzes, das die folgende Nummer ein
wenig von der Manier befreit. Das sind die Nocturnen des Jahres
1842.
Hier gerade, im Reich der reinen Melodie, mußte allmählich
133
der Verlust der Naivität den Grund unterwühlen. Das Gewebe
verästelt sich, und der Gesang, der darüber schwebt, hat nicht mehr
die Lebenskraft, die ihn frisch erhält. In op. 55 Nr. 1 herrscht
eine gewisse schablonenhafte Kunstlosigkeit ; aber die f-moll-Kanti-
lene ist nicht ohne starken narkotischen Reiz. Phantasie gab ihn
immer her. Der Zauberer kennt die betäubende Mischung und kre-
denzt sie ohne Unterlaß. Auch die Nachfolgerin in Es-dur, vor-
nehm in der Haltung, reich in der Gestaltung und an kolorierendem
Schmuck zieht zu sich hin; wie op. 62 Nr. 1, das mit einer spannen-
den Frage beginnt, auf die eine vielfach gewundene Antwort er-
folgt; wie das E-dur-Notturno, das im Mittelsatz leidenschaftlich
in die Höhe strebt und mit seiner verzweigten, in der Tenorlage
wühlenden Mehrstimmigkeit den Tumult im Innern erregt; ein
Meisterstück, das ich liebe. Von diesen beiden Paaren erschien
das erste 1844, das zweite 1846.
In alledem schwingt noch so viel Musik, zittert so viel Er-
regung, daß es unmöglich ist zu verneinen. Und das düstere, farb-
lose eintönige e-moll-Notturno (op. 72 Nr. 1), also oeuvre post-
hume, steht nur darum abseits, weil es in des Dichters Zauber-
garten ein bescheidenes Blümchen ist: der Grabgesang des Not-
turnos, und doch nur ein tastender Frühversuch.
Aber: es gibt noch etwas anderes Abseitsstehendes. Nicht be-
scheiden, stolz ist es als ein Werk des reifen Meisters. Ein Werk?
Und doch nur eine, nein, die Berceuse, das opus 57 vom Jahre
1845. Es gehört mit dem Herzen dem Kreis der Nocturnen an; aber
es scheut ihre Gemeinschaft, weil es ohne Mittelsatz in prunkvoller
Einfachheit einhergeht. Man darf ruhig behaupten, daß die Ton-
kunst etwas Ähnliches nicht kennt. Ein Lied, das nicht in den
Schlaf, sondern in die Hypnose wiegen will. Obstinate Baßfigur,
zerlegter Dreiklang und Dominantakkord, darüber ein anmutiges Mo-
tiv, an dem alle Ausschmückungskünste erprobt werden. Doch so,
daß es an verführerischem Reiz gewinnt; das dringt nun bis zu
einem letzten Haltepunkt auf den Hörer ein, als kategorischer
Imperativ des Gefühls, als die reichste Monotonie. Das ist eine
neue Art motivischer, in die Zukunft weisender Entwicklung. Man
sagte, daß er nur mit harmonischem Wechsel umgarnen könne?
Hier habt ihr das Gegenteil. Die Berceuse wird dem Schwach-
134
nervigen als stärkster Trank gereicht. Sie mit dem ihr durch die
Tonart verschwisterten Des-dur-Notturno.
Fragen wir uns nochmals, wie sich die Notturnos in Chopins
Gesamtscharfen einfügen, so glaube ich, daß sie unter ihrer grandiosen
Umgebung zu leiden haben. Diese oft im Tiefsten aufrührende Ly-
rik spricht verschieden zu den verschiedenen Lebensaltern, pocht
stark und nicht vergeblich bei den Frauen an, befragt leise den
Instinkt der Empfänglichen. Im Salon liebevoll gepflegt, kann sie
Wunder wirken. Zarte Finger, zartes Empfinden machen sie beredt.
Aber, klein an Wuchs, werden sie den Wettbewerb mit jenen Werken
vergeblich wagen, in die der Meister sein Eigenstes trug, um es in
gedehnter künstlerischer Form auf der Grundlage eines größeren
Menschtums m höheren Wert umzuprägen.
DER BILDNER
BALLADEN — IMPROMPTUS — BARCAROLE —
F-MOLL-FANTASIE
Neue, kühne Gedanken zu einem neuen Bau zu fügen, ist des
Ausdrucksmusikers höchstes Ziel. Chopin, dem eine Überfülle von
Erleben oft die Gestaltungskraft schwächte, erreichte es in den Bal-
laden. Sie sind ein Neues, aus der Seele des Dichters geschöpft.
In ihnen reckt sich der empfindende und der schaffende Mensch
zur Größe auf. Zur Größe im Episodischen.
Aus der Seele des Dichters sind sie geschöpft, sagte ich. Zu-
nächst scheint es, als ob es nicht die eigene sei. Dichtungen von
Mickiewicz haben Chopin nach seinem Bekenntnis zur Ballade an-
geregt. So daß nun nicht der Traum, sondern das Bild, das äußere
Geschehen das Wunderbare gezeugt hätte? Aber dem ist nicht
so. Hier machen ihn nicht mehr Wirklichkeiten aus Polens Glanz-
zeit zum Sklaven eines starren, männlichen Rhythmus, dem er träu-
merisch gern zu entweichen sucht; die poetische Stimmung durch-
strömt die Phantasie; diese streift im freien Flug alles Belastende-
Bildhafte ab und ersteigt auf gekrümmten Pfaden Höhen, von denen
der Ausgangspunkt nicht mehr zu erkennen ist. Nicht einmal der
schaurige Hintergrund hebt sich immer deutlich ab. Das Vorbild
entschwindet allmählich auch dem Blick des Balladenschöpfers. Er
läßt den Erzähler schweigen, nimmt ihm die Harfe aus der Hand
und gießt nun all sein Leid in die Form hinein. Auch die Ballade
spiegelt, je weiter sie in seinem Künstlerdasein vorrückt, die Tra-
gödie des Lebens. „Reif sein ist alles'', heißt ihr ungeschriebenes
Motto. Die erste op. 23 in g-moll erscheint 1836, die zweite op. 38
in F-dur 1840, die dritte op. 47 in As-dur 1842, die vierte op. 52
in f-moll 1843.
Schwer und dumpf steigt die rezitativische Einleitung empor.
Mit einer schrillen Dissonanz, einem Es, das sich hart gegen das
D stößt, klingt sie aus und in die Erzählung hinein. Ordnungs-
menschen wollten dieses störrische, aufrührerische Es zu einem D
sänftigen. Als ob sie nicht da, wo der Rhapsode vom Ton des
ruhigen Erzählers zu dem eines innerlich erregten Mitschöpters über-
geht, durch den g-moll-Einklang in ihrem Gewissen völlig beruhigt
136
würden. Bewußt schob der Meister die Lösung soweit hinaus, be-
wußt verwertet er die Mittel der Spannung. Er, der Rhapsode,
fühlt die Finger an der Harfe erbeben, der Akkord versagt sich
ihm; er läßt sich von den eigenen Seufzern zu einem wundervollen
Auf und Ab tränenvoller Passagen hinreißen. Die Naturgewalten
rufen hinein: Quarten des Basses. Die Elfen erscheinen: ihr Si-
renengesang, sottovoce geflüstert, zwingt von selbst wieder zur
Harfenharmonie. Der Erzähler glaubt die Ruhe wieder gefunden
zu haben. Aber er vermag der inneren Schwingungen nicht mehr
Herr zu werden. Das Elfengeflüster ist selbst zur Naturgewalt ge-
worden. Was eben geflüsterter Sirenengesang war, hat als stärk-
stes Erlebnis den ganzen Menschen niedergezwungen. Nichts kann
es mehr hemmen. Der Erzähler besinnt sich. Er greift in die
Saiten. Aber ein Sturm bricht los, der die ganze Natur schüttelt.
Die Harfe zerschellt ihm. — Atemlos haben wir diese Entfesselung
des Rhythmus, das Aufschreien der Dissonanzen in der Oktaven-
gegenbewegung, die sich in eine fortreißende Oktavenmitbewegung
verwandelt, mitangehört. Das war ein künstlerisch gebändigter
Krampf. Unter den Wehen einer Verzweiflung und Erschütterung,
die Sprache und Denken lähmten, ist ein Meisterwerk geboren: die
echteste aller Balladen.
Denn schon in der nächsten, in F-dur, scheint ein Riß zu klaffen.
Idyllisch-Nocturnenhaftes will sich mit Balladesk-Leidenschaftlichem
nicht mischen. Sollte also Schumann recht haben, der sich erinnerte,
daß die freundliche F-dur-Stimmung, als er diese Ballade von Cho-
pin hörte, durch nichts Stürmisches getrübt war und auch rein ver-
klang? Aber scheiden sich auch die Wege, so ist doch jeder von
ihnen aussichtsreich, mit so viel Meisterschaft angelegt, daß sie
schließlich zusammenführen. Wer ahnt, daß jenes volksliedmäßige An-
dantino bei der Rückkehr erst sinnend innehalten, dann ernst weiter-
ziehen, dann wie von Furien gepeitscht sich zu lichter Höhe eines
B-dur-Hymnus durchringen würde, um sich im geheimnisvollen Halb-
dunkel zu verlieren ? Und doch wieder, nach scheinbarer Ruhepause,
den Wirbelstürmen preisgegeben zu sein? Es ist, als ob der Dich-
ter selbst den Weg des Knaben nachzeichnen wollte, dessen kind-
licher Frohsinn durch die Herbheit des Lebens zerstört wurde. Aber
jene Leidenschaft, die in a-moll aufstrebt, gebärdet sich nicht nur
. 137
wild; sie ist wie ein schleichendes Gift. Sie tastet sich, in Terzen
aufsteigend, von wühlenden Septakkorden gehoben, zu einem ff-
Gipfel empor. Von dieser Höhe herab singt sie ihre Klage
über einer hartnäckigen Baßskala, die im Verein mit ihr die
Sinne betört; der chromatische Übergang vollendet das Werk. Ein
Übergang, der doch stutzig macht. Aber die Leidenschaft ruft auch
das Hauptthema zu Hilfe. Es hat nun Nerven genug, ihm zu dienen.
Es donnert im Baß, und lange absteigende Oktaventriller kündigen
an, daß für die Ruhe, für die Freude in dieser Welt kein Raum ist.
Aber für den Musiker beginnt hier gerade das Glück: eine erschüt-
ternde, schillernde, tobende Zweistimmigkeit, der nichts Früheres
und Späteres an die Seite zu setzen ist. Weltvernichtung. Trau-
rig in a-moll schreitet das Andantino ein paar Takte; dann ver-
sinkt alles.
As-dur. Die grand monde; wo oft der Walzertakt reizend träu-
men ließ, soll der Geist der Ballade sich niederlassen. Hinter
Ritter Eros sollen die Parzen stehen, immer im Begriff, den Faden
zu zerschneiden. Anmut fehlt dem einleitenden Salongespräch ge-
wiß nicht; aber unbefangene Koketterie, durch silberhelles Lachen
erwidert. Ein Hintergedanke spielt in die Causerie hinein. Auch
in den schönen Damen kommt die Salonstimmung nicht auf. Da
— in jener Ecke hat Eros seine Netze ausgeworfen. Stammelndes
Geständnis; schüchterne Pausen; Seufzer. Dieses Geständnis wird
wiederholt. Abseits vom Gewühl der Menschen, deren Rede an
unser Ohr dringt, vollzieht sich scheinbar etwas Dramatisches. Aber
wir sind ja in der grand monde. Die Dame lehnt sich gegen alles
Tragische auf. Schon ist sie im Gewühl verschwunden, Eros und
die Parzen stehen mit leeren Händen da. Das Mondaine hat ge-
siegt. — Wohl nirgends hat Chopin dem Salon so vornehm ohne Kühl-
heit und so meisterlich zugleich gehuldigt wie In dieser Ballade. Sem
As-dur hält allen Stürmen stand. Mit einem Sextakkord von langem
Atem schließt er das gezwungene Ballgespräch ab, aber doch so,
daß wir das lyrische Intermezzo ahnen. Die bittende und schmei-
chelnde F-dur-Phrase legt, von Bindungen und Modulationen ge-
schoben, einen staunenswerten Weg zurück. Sie gelangt bis nach
cis-moll, wo sie zuerst über rollenden Bässen weinerlich dahinzieht,
dann unter schreiendem Diskant grollt: ein Liebeskampfduett, das
138
sich nun im Halbton dramatisch, aber nicht verführerisch, fortsetzt
und grandios wachsend das jubelnde As-dur erreicht.
Hier beobachtete unser Meister noch. In der f-moll-Ballade,
dem Hymnus auf die Erotik des Schwermütigen, berauscht er sich
selbst so sehr am Duft der Blumen seines Zaubergartens, daß er
nicht eine einzige von ihnen zum Vorteil der Gesamtwirkung zu ent-
fernen vermag. Und wir andern, wir bleiben bei jeder stehen, be-
trachten ihre strahlende Anmut, ihren feingegliederten Bau, atmen
ihren Atem und können nicht von ihr scheiden. Es ist ein Fall, wo
die unendliche Steigerung des Farbenrausches als Echo krankhafter
Unruhe den zusammenfassenden Kunstverstand hemmt. Er darf sich
im einzelnen verausgaben. Und wie tut er es! Ehe das echte Bal-
ladenthema erscheint, hat ein siebentaktiger, fragender, lockender
Einleitungsgesang unser Gleichgewicht ins Wanken gebracht. Und
das Thema selbst geht mit seinem Gefolge von Mittelstimmen ver-
schlungene Wege, die den Begleitenden mehr und mehr ins Reich
des Unbewußten führen. Er läßt sich willenlos einen Augenblick
nieder, um bei einer B-dur-Stelle zu verweilen. Aber liier in dieser
schwebenden, fiebrigen Stimmung findet er nicht Ruhe ; es treibt
ihn weiter. Er staunt bei einem Ornament, das sich ihm in lauter
Ausdruck, Spannung, Sehnsucht auflöst; und hält bei einer kano-
nischen Wendung, die nur Vorwand ist, ihn zu verführen. Lang,
lang ist der Weg, auf dem es von Perlen flimmert. Ein letzter Ruhe-
punkt: C-dur mit F-dur-Dominantstimmung durchsetzt. Das Ziel
winkt. Aber ehe wir anlangen, schütteln wir den Rausch ab. Denn
die Ruhe, die wir nun wandeln, führen allzu rasch zur Welt zurück.
Virtuosen-, Allerweltspassagen stehen am Ende. Die Nerven riefen
ihm Halt zu, und der Künstler nahm die von ihm selbst in seinen
Frühwerken abgegriffene Münze. In der Darstellung dieses Werkes
die Synthese zu schaffen, ist nicht leicht; wem es aber mit kunst-
vollem Phrasieren gelingt, der preise sich glücklich, den Schlüssel
zu diesem Zaubergarten zu besitzen.
Man kann den Ton ein wenig dämpfen, wenn man von den
Impromptus spricht. Nicht als ob sie nicht auch die gestaltende
Hand eines Meisters rühmten. Ja, sie tun es laut und halten den
139
Genießenden im Bann. Aber sie spielen sich nicht auf dem Hinter-
grund des Unterbewußtseins ab, sie schreien nicht ein Seelenweh
heraus, und sie sind dem Geisterreich ferner. Hier stellt der Musik-
wissenschaftler fest, daß der Name, die Gattung durch Franz Schu-
bert kunstfähig geworden sei. Gewiß ; aber ich kann versichern, daß
es mir unmöglich ist, an ihn, den Verehrten, zu denken, wenn ich
ein Chopinsches Impromptu höre; so sehr haben sein Geist und
mit ihm die Form sich gewandelt. Es sind Miniaturstücke und doch
keine; Notturnos und doch keine. Sie stehen wie ein Bindeglied
/wischen Ballade und Notturno. Und sie sind in ihrer Art vollendet;
sie geben ein großes Stück echtesten Chopins. Das Oberflächliche
des Salons, das ihn reizte, setzt sich nun wieder in ein träumendes
Selbstgespräch um, das sich oft zum behorchten Zwiegespräch weitet,
verdünnt. Dann lächelt die Anmut, dann spielt die Schwermut, und
wir sind entzückt.
Wie gleich im ersten op. 29 vom Jahr 1838. Es steht ja wieder
in dem bevorzugten Salon-As-dur; und die Möglichkeiten der Klang-
entfaltung tauchen von selbst auf. Zweistimmiger Satz, der nur
dann und wann einen neuen Partner heranzieht. Ein liebliches Pas-
sagensturzbad ergießt sich über uns ; die reizend dissonierenden An-
fangsachtel des zweiten Triolenaktteils steigern den prickelnden Reiz
dieses Dialogs, der bald reiner Wohlklang ist, dann sich chromatisch
verwickelt, endlich zur Reverie melancholique hinunterströmt. Sie
bekennt sich selbstherrlich zum Nocturnengeist. Acht Takte spricht
sie langsam, pausenlos, in der glänzenden Sonorität der Mittellage,
aber ohne Mittelstimmen; eine Eroberung der Phantasie, wie sie der
Rhythmus nicht ahnen ließ. Doch sie überrascht noch stärker. Unter
der Maske der Ruhe vollzieht sich der Stimmungswechsel rascher
denn je, und der Gedanke tritt, sich fortsetzend, in immer reicherem
Gewand auf. So erfand der frische Chopin; kokett, süß und doch
nicht untief.
Im Jahr 1840 ist auch das Impromptu tiefer, poetischer gewor-
den. Mit Glockengeläut werden wir empfangen. Aber der katho-
lische Glaube ist von tausend Innenströmungen durchkreuzt. Seine
Mystik bleibt ihm erhalten; sie ist Ferment Chopinscher Stimmung
geworden. So gibt es Choralartiges; aber auch die Engel haben
Nerven, und ihr Gesang spricht nicht für die Felsenfestigkeit des
140
Bekenntnisses. Um so erstaunlicher wirkt nun die erheuchelte Männ-
lichkeit des jubelnden, marschartigen D-dur-Satzes. Erheuchelt dar-
um, weil schon das zweite ff mit seiner G-dur-Stimmung das Drauf-
gängertum in Frage stellt. Wes Zutrauen aber noch nicht wankte, der
betrachte einmal die tastenden Takte, die von diesem Satz nach
F-dur führen. Es ist wie ein vorübergehendes Halbirresein, das wir
belauschen. Sollte aber der überwachende Kunstverstand hier nicht
nachträglich die Blößen verdeckt haben? Sollte da nicht dem Ab-
schreiber ein kleiner Fehler untergelaufen sein? Jedoch: nach F-dur
gewandt, kehrt die Andacht des Beginns sich mehr dem Weltlichen
zu. Es gewinnt auch die Oberhand in dem Passagenjubel, den ein
melodischer Baß geleitet. Dann faltet unser Chopin wieder die
Hände. Wir sind noch ungläubiger als er. Die Linie des Stückes
wird schon ein wenig durch die Farbe gestört; aber doch nicht so,
daß wir im Genuß dieses op. 36 in Fis-clur gekürzt würden.
Das Ges-dur-Impromptu op. 51, im Jahr 1843 erschienen, ist
künstlicher. Es zeigt die gleiche Meisterschaft im Gebrauch der ele-
ganten, herablassenden und doch nervösen Phrase, die etwa dem
Walzer op. 64 Nr. 3 das Überzeugende nimmt. Nur daß im Im-
promptu Chopin noch frischer ist und das Erwachen der Manier
tatkräftig bekämpft, ohne sie dem Blick des Kenners gänzlich zu
entziehen. Die Verzweigtheit und doch ungeschwächte Durchsich-
tigkeit dieses Klavierstils übt ihren alten Zauber; und eine G-dur-
Durchgangsharmonie, die weitere zeugt, läßt sich nicht ohne die ge-
wohnten süßen Schauer vernehmen. Auch die Gläubigkeit spielt
leise hinein. Und die Cellokantilene des Mittelsatzes verrät, daß die
Herablassung doch ein sehr naives menschliches, frauliches Emp-
finden verbirgt.
Auch die Impromptus ziehen hinter sich ein nachgelassenes
Werk, eine Bastard-Komposition, her: Fantaisie-Impromptu genannt,
als op. 66 numeriert, von zarten jungen Mädchen oft mißhandelt.
Und man begreift auch warum. Es liegt zuviel Handgreifliches
darin; am meisten in der unverblümten Melodik des Mittelteils, die
leicht zur Karikatur wird. Aber die kämpfenden Rhythmen der Eck-
sätze, der schön vorbereitete Cis-dur-Ausklang des Schlusses haben
diesem passagenreichen Stück etwas Legitimes gegeben.
141
Chopin wird von Italien heimgesucht: die Barcarole erscheint
1846 als opus 60. Die nachschaffende, nachdichtende Phantasie
braucht hier nicht zweifelnd umherzuirren ; sie wird durch den
schaukelnden Rhythmus auf den rechten Weg gewiesen. Aber die
zahlreichen Barcarolenkomponisten schauen starr dem Höhenflug des
Geistes nach. Er läßt sie so weit hinter sich. Die Zeiten sind da-
hin, wo ein fremder Rhythmus unseren Meister beengte. Der Takt
fängt sich nun in dem dichten Klangnetz, er wird ganz eingesponnen
von der seltsamen Poesie des hellsichtigen Genius. Nicht das Meer
tönt ihm im Ohr, — wie könnte es auch? — sondern die Sehnsucht,
mit einer geliebten Frau auf den Wellen dahinzugleiten. Cis in
klingender Oktave wird angeschlagen ; noch trägt es das Pedal, und
schon singen zwei Menschen ihre Liebe heraus. Sie besteigen um-
schlungen die Barke; der Schaukelrhythmus setzt ein. Terzen- und
Sextenzusammenklänge, zweistimmige Triller, Sottovoce - Plauderei,
leidenschaftliche Wechselrede, Aufjauchzen, das alles wäre ja nicht
neu, träte es nicht in neuer Farbe, in befruchtendem Fis-dur, in
einer hinreißenden Paarung von Belcanto und Ausdruckskoloratur
auf. Es ist, als hätte der neue Rhythmus einen Zuwachs an Kraft
gebracht. Von Erschöpfung ist in diesem Spätwerk keine Spur. Nein,
alle Enttäuschungen des Daseins, alles, was er nicht erlebt, scheint
zu einem letzten sehnsüchtigen Aufschwung zu drängen. Und wir
danken dem Genius ob dieser ewigen Sehnsucht.
Auch die andere, die Sehnsucht nach der Heimat, hatte sich in
einem umfassenden Meisterwerk erfüllt: in der f-moll-Fantasie op. 49
vom Jahre 1842. Chopin gewährt der Phantasie, sich in ungebunde-
ner großer Form auszuleben. Als ob er sie je zu der gebundenen hätte
zwingen können. So durfte sie denn einmal zügellos werden? Aber
siehe da! Gerade hier ersehnt sie nichts Geringeres als ein monu-
mentales Kunstwerk; sie nimmt mit der Fessellosigkeit des Rhythmus
auch das Verantwortungsgefühl für den Nachruhm, sie überwacht den
Künstler und treibt ihn zur Straffheit. Sie steht ja auch im Solde
der großen Idee. Der Meister soll einmal die Männlichkeit der
Polonäse durch die Poesie des Klanges und des Herzens verklären,
doch so, daß die Umfassungsmauern nicht wanken. Es gelingt, ob-
wohl die innere Zerrissenheit, der elementare Aufschrei an ihnen
rütteln.
142
Im Eingang steht die Trauer, aber sie hat Würde; am Ausgang
die Hoffnung, aber sie hat Größe. Innerhalb dieser Stimmungs-
kontraste geschieht Außerordentliches. Aus dem rhythmisch ge-
faßten Schmerz quillt der Trost: jene zweitaktige Phrase, die sich
langsam herabsenkt, einen Gipfel erreicht, denselben Weg noch ein-
mal wandelt, spendet ihn ; aber es ist etwas Verschleiertes, Be-
wegendes in ihr; die Erhebung wird gelähmt, das Trauermarsch-
tempo hält an. Fermaten künden Großes. Das Schicksal spricht
in den Bässen inhaltschwere Worte. Die Voraussage hat nicht ge-
trogen. Der Ernst und die Würde behaupten sich nicht mehr. Die
persönlichen Schmerzen triumphieren über die der polnischen Welt.
Aber wie stets bei Chopin regt sich auch hier im Unglück der fröh-
liche Geist. Er zaubert in einer von Triolen begleiteten As-dur-
Stelle Klangwunder hervor, die selbst unter reichen Schätzen ihre
glitzernde Pracht nicht verlieren. Gebietet er auch dem Schmerz
Haltung? Der hat die klangfreudige Sorglosigkeit mit einer disso-
nanzenreichen Hetzjagd von Triolen erwidert. Nun gebärdet er sich
noch wild genug, aber er zwingt sich zu einem maskierten Marsch-
tempo So kann auch der Aufschwung nicht fehlen. Nach einem
ehernen Beethovenschen Es-dur-Akkord streben die Oktaven zu herr-
lichem Zusammenklang auseinander. Der Aufschrei droht den rhyth-
mischen Faden zu zerreißen. Aber der Meister bändigt in seiner
Art, doch noch stärker, den Aufruhr der Kinder seiner Phantasie.
Sie haben seine Nerven, seine Stimmung; sie lösen sich ab, treten
auf, ohne je zu ermüden. Sie sind entwicklungsfähige Organismen
von Chopins Gnaden. Weise hat der Künstler durch eine lyrische
H-dur-Episode, einen Wiederklang der Gefaßtheit, die atembeklem-
mende Steigerung des Schlußteils vorbereitet. Er zündet und tröstet.
Die große Idee hat die Grundpfeiler des Baues hergegeben : den
Marschrhythmus, der stets leise mahnt. Sie hat auch dem rein
Spielerischen den Eintritt verwehrt. So entstand ein Meisterwerk.
AUS DES MEISTERS LEHRJAHREN
RONDOS, VARIATIONEN, KONZERTE, SONATEN, LIEDER
Dort ein Meister, hier ein Ringender.
Zu den mancherlei Sehnsüchten, die Chopins Leben und Scharfen
durchziehen, tritt noch eine andere große: die, in der Reihe der
Klassiker zu stehen. Sie lastet wie ein Albdruck auf ihm von der
Kindheit bis zum Tode. Er möchte dem simpelsten Konservato-
risten gleichsein in der handwerklichen Schnellfertigkeit, Sonaten-
sätze zu bauen. Der simple Konservatorist aber schlägt ihn im Tempo,
weil er nicht gegen eine starke Natur, gegen eine entschiedene Per-
sönlichkeit in sich zu ringen hat.
So früh auch Chopin den Kampf gegen die theoretische Unsicher-
heit aufnimmt, es ist bereits zu spät, den Ausdrucksmusiker in ihm
in Fesseln zu legen. Die Frühreife der klassischen Zeit kennzeichnet
sich durch das geniale Insichaufsaugen des rein Formalen; die der
romantischen durch den gesteigerten Klangsinn, der die Tatkraft
bindet, die Spannung erhöht und die Aufmerksamkeit von der ge-
raden Richtung ablenkt. Im Fall Chopin ist Frühreife Überreife des
Innen-, des Nervenlebens geworden. Und nun hat der Wille, die
Lehre mit dem Individuum zu durchdringen, eine ungeheure Auf-
gabe zu lösen : er möchte ein Früheres, stark Betontes in ein Streck-
bett zwingen. Ein wohlgeschulter, mit der Form vertrauter Musiker
ist da, aber sein ausgewachsenes Unbewußtes stößt sich gegen das
erworbene Bewußte und nur halb Unbewußte.
Etwas anderes noch hemmt seinen Schritt: der Rhythmus des
polnischen Tanzes, der auf die Miniatur hindrängt. Er zieht den
musikalischen Gedanken an sich, flößt ihm Geist von seinem Geist
ein, umfriedigt und bezaubert ihn so, daß es nur dem noch stärkeren
Individuum in Chopin gelingt, ihn aus dieser Umarmung zu lösen.
Das normale Wachstum des Gedankens ist jedenfalls behindert. Er
hat den Kampf gegen sich selbst zu führen.
Es ist verlockend, diesem Zweikampf zuzuschauen. Im Grunde
ruht er nie. Aber er kann erbittert da werden, wo Chopin ernst-
lich in die Spur deutscher Klassiker tritt. Zuweilen streckt das Genie
die Waffen und entlastet das Schulmäßige von der Bürde des Per-
144
sönlichen; stets, wenn ein fremdes Instrument seinen Klangsinn be-
irrt, seinen Mittelstimmeninstinkt zurückstößt. Aber in der strengen
Sonatenform kann die Reibung am heftigsten werden. Dann gibfs
Funken und Blitze wie in der h-moll- und besonders in der b-moll-
Sonate.
Der Weg zu diesen Höhen, die Vulkangipfel sind, führt über
die Tummelplätze der Rondos und Variationen, über die lieblichen
Auen der Konzerte. Man darf, um unermüdet anzulangen, nicht viel
rasten; es hieße sich gegen Chopin versündigen, wollte ich zu retten
versuchen, woran sein Herz nicht mehr hing und was dem All-
gemeinempfinden fernliegen muß. Ein Chopin, der den Menschen
nicht schüttelt, ist verloren.
Das Rondo ist's, das er dem leichtbeschwingten Hummel ent-
leiht. Gleich mit seinem op. 1 vom Jahre 1825 springt er in diese
Form hinein. Er hätte freilich etwas weiter, zu Mozart, seinem
Gott, gehen können. Da hätte er auch diesen loser gedachten und
gefügten Bau musikalisch verinnerlicht gefunden. Aber die Lust
am Fabulieren treibt ihn zu dem Mozartepigonen, den er auch als
Erben des höheren Geistes verehrt. Der tänzelnde Charakter des
Stückes, das dem typisch-nationalen Modell nicht treu bleibt, erzählt
von der frohen Laune seines Schöpfers; wie der flüssige passagen-
reiche Klavierstil von der zielsicheren Klangphantasie eines schon
schreibfähigen Meisterschülers. Aber es ist noch nicht so echt wie
das Rondo ä la Mazur op. 5, das er der Komtesse Alexandra jde
Moriolles verehrt hat. Eine übermäßige Quart im ersten Takt schon
meldet dem Westeuropäer, daß wir im Reich des Mazurs sind. Der
läßt unserm genialen Gernegroß sofort die Flügel wachsen. Er
spendet im kleinen mit vollen Händen. Da findet sich Erstaunliches
im Satz; zuerst da, wo der Baß — ben marcato — das Signal ztu
einer Durchführung gibt. Da klettert das Motto kühn empor, da
laufen die Mittelstimmen sich krümmend ohne jede Scheu unter
dem Diskant hin. Und was individuell ist, klingt, weil Meister Hum-
mel dahinter steht und selbst an der Chromatik nicht ganz un-
schuldig ist. Aber so reizend die Einfälle, so gewinnend der Klang
ist, es fügt sich nicht zusammen, es bleibt wundervolles Material für
die Zukunft, wo die Passagen nicht so selbstherrlich auftreten und
sich einem tieferen Geist unterordnen. Bald darauf besinnt sich auch
145
der Mazur, er wird kleiner, gediegener, wächst aus sich selbst her-
aus und setzt sich auf den Thron.
Aber diese Auseinandersetzung mit dem unterhaltenden Rondo
dauert an. Man darf die Fantasie über polnische Weisen op. 13,
den Krakowiak, Rondo de Concert op. 14 und das op. 16 Rondo
in Es-dur als Erscheinungen des Jahres 1834 und als Glieder einer
Familie aneinanderreihen. Gewiß, die Fantasie und der Krakowiak
liebäugeln mit dem Orchester; aber es bedeutet ihnen nichts. Sie
wurzeln fest im Nationalen, so fest, daß sie für das Weltbürgertum
nicht zu retten sind. Und das Rondo in Es-dur, das ohne Orchester
geboren ist, es aber später von Richard Burmeister zum Geschenk
erhalten hat, gibt sich kosmopolitischer. Aber sie haben doch das
Keimhafte gemein. Der echte Chopin findet, sich in ihnen, aber
unter einem Passagengerüst, das ihm den Atem benimmt. Und
diese Passagen selbst sind zulcunftsträchtig. Man wird im Kra-
kowiak, diesem bäuerlichen Ableger der Polonäse, sein besonderes
Unisono bemerken; in der polnischen Fantasie zahlreiche Themen-
embryos, die sich später in anderer Umgebung glänzend entwickeln;
im Hauptthema des Es-dur-Rondos einen Blutsverwandten des Rondo-
themas im letzten Satz des e-moll-Konzerts grüßen. Und man wird
endlich überall den leicht gezimmerten Bau erkennen, der durch
die Salongattung nicht allein zu rechtfertigen ist.
Auch hier hinkt ein Opus posthumum nach: Rondo in C-dur
für zwei Klaviere op. 73. In den Briefen des jungen Chopin wird
es nicht ohne Stolz erwähnt. Es stand ja auch gebunden in der Auto-
graphensammlung des Wiener Musikgelehrten Alois Fuchs. Der
Selbstkritik des Vollkünstlers hielt es nicht stand. Sein Urteil hat
die Nachwelt nur zu bestätigen.
Das waren Vorpostengefechte auf dem nicht gefährlichen Boden
des Rondos.
Für die Variation schien niemand geschaffen wie Chopin. Hier,
meint man, müsse das Unlogische fruchtbar werden, ein Feuerwerk
entzünden. Aber man irrt Welches Ideal der Variation dem reifen
Meister vorschwebte, zeigt ja die Berceuse. Da war die Kunst
musikalischer Ornamentik so weit gediehen, daß sie eine Innen-
entwicklung ersetzte. Dem Thema so auf den Leib zu rücken, es
zu dehnen, zu recken, wie es das Formenspiel will, das war Chopin
Weissmunn, Chopin 1 0
146
nicht gegeben. Auch verpflichtete ihn künstlerische Sparsamkeit,
die unbegrenzten Möglichkeiten der Ausdrucksveränderung, über die
er gebot, in anderem Rahmen zu entfalten. Seltsamerweise aber
hatte gerade „Ein Werk II", seine Variationen über „La ci darem
la mano" vom Jahre 1830, Robert Schumann zum begeisterten
Apostel Chopins gemacht. Man muß nun, um einen Kunstkritiker
von solchem Gewicht nicht Lügen zu strafen, den weiten Weg fast
ein Jahrhundert zurück antreten. Da mochte der Glanz der neuen
Verzierungen blenden. Die Triolensechzehntel, die sich unter der
Kantilene hinziehen, sind gewiß nicht minder reizend als die chro-
matischen Zweiunddreißigstel, die sich oft gegen den Takt empören.
Doch wenn Schumann schreibt: „Hier aber war's mir, als blickten
mich lauter fremde Augen, Blumenaugen, Basiliskenaugen, Pfauen-
augen, Mädchenaugen wundersam an; an manchen Stellen ward es
lichter — ich glaubte Mozarts „La ci darem la mano" durch hundert
Akkorde geschlungen zu sehen, Leporello schien mich ordentlich
wie anzublinzeln, und Don Juan flog im weißen Mantel an mir vor-
über", so wird der zeitgenössische Chopinverehrer ein wenig ver-
dutzt wie der Gefeierte selbst. Sind wir durch Liszt verdorben? Die
letzte b-moll-Variation (Adagio) hat Farbe; sie läßt in der Tat hinter
Vierundsechzigstel-Ungetümen etwas wie Tragik aufsteigen ; das ab-
schließende Alla Polacca mit Weberschem Einschlag aber ertränkt
sie wieder in einem Meer von Tönen. Das Orchester ist um so
schweigsamer. Doch der Variationen-Chopin kann noch sorgloser
sein. Variations brillantes sur le Rondeau favori: „Je vends des
scapulaires" de Ludovic de Herold et Halevy erschienen 1833 als
op. 12. Eine im Salonmenschen von damals verständliche Verbeu-
gung vor der Virtuosensitte, die Volkstümlichkeit von Opernmelo-
dien zur Entfaltung von Fingerakrobatenkünsten auszunützen. Welch
ein Glück, daß die mißglückte Komposition den müden Pulsschlag
eines unbeteiligten Herzens verrät! Es fehlen die dröhnenden Blen-
der. Solche Schwächen ehren. Und Liszt, der es in diesem Genre
bis zur Hexerei brachte, fühlte das auch. Er gab später die doppelte
Buchführung des Künstlers auf. Aber selbst an diesem ungewöhn-
lichen Ort baut sich der echte Rondo-Chopin ein Nest. Das Scherzo
vivace pp gehört ihm ganz zu eigen.
Die Temperatur wird wärmer. Über den Chopin der Rondos
147
und Variationen wäre der Gereifte selbst mit einem Scherz hinweg-
gekommen ; an dem der Klavierkonzerte hing ein großes Stück Mensch
und Künstler. Gewiß: jene den ersten Erscheinungen vorgesetzten
Opuszahlen sind meist Verschleierungen; bei der wunderbaren Rasch-
heit der Entwicklung eines Ausnahmemusikers, in dem das Nur-
virtuose sofort durch den Vorsprung des drängenden Geistes ge-
schwächt, ja erstickt wurde, nicht eben folgenschwer. Und die Kla-
vierkonzerte spielen in jene Kompromißzeit hinein ; wir waren Zeugen
ihres Entstehens. Auch ihre Numerierung besorgt er unbekümmert
um den Ordnungssinn nachrechnender Philologen. Er wollte das
e-moll-Konzert Kalkbrenner widmen, der an ihm seinerzeit klipp
und klar den verbesserungsbedürftigen Fingermechanismus des An-
kömmlings bewiesen hatte. So wurde dieses Zweitgeborene sein
opus 11 und erschien 1833, während das ältere f-moll-Konzert 1836
als opus 21 veröffentlicht wurde. So schwer trat in die Welt, was
mit dem hastigen Atem eines Verliebten geschaffen war. Freilich:
Constanze Gladkowska war längst ehrsame Bürgersfrau geworden.
Für diese Konzerte wappnet er sich mit dem ganzen Rüstzeug
des an Vorbildern erstarkten Musikers. Er will mit den ersten
in die Schranke treten. Und es ist schmerzlich, sagen zu müssen,
daß sie, reizend im Detail, im wesentlichen versagten : in ihrer Massen-
wirkungsfähigkeit. Man glaube nicht, daß erst unsere Zeit pietät-
los auf ihre Schwächen weist. Gewiß : heute sind die zarten Finger
selten, die Werke dieser Art mit ihrer ganzen Feinnervigkeit liebe-
voll und beredsam auseinanderfalten und zusammenfügen; heute hat
das übermächtige Orchester mehr denn je das Klavier zu sich em-
porgehoben mit der Drohung, es in ein Nichts zu zerschellen, wenn
es seinen Lockungen widersteht; heute hat auch das Publikum sich
unter solchen Einflüssen gewandelt. Aber die Hindernisse für ihre
Zukunft waren im Keim da; sie lagen schließlich in Chopins Seele
selbst.
Das Klavierkonzert jener Zeit hatte die entscheidende Wen-
dung gemacht. Hummel war von Beethoven nicht abgelöst, aber
verdrängt worden. Und Liszt winkte schon; mindestens der Geist
der Zeit, der ihn gebar. Es gab zwei Wege, das Klavierkonzert
der Vergänglichkeit zu entrücken : die symphonische Gestaltung, die
Rede und Gegenrede der beiden Partner sich logisch folgen ließ ;
10*
148
dieser Weg war der sicherste. Oder ein meist homophones, aber
farbiges Orchester mußte dem Klavier mit dem Anspruch auf Oleich-
berechtigung gegenübertreten, immer bereit, die Herrschaft an sich
zu reißen, wenn diese Forderung unerfüllt blieb. Beide Wege sind
Chopin verschlossen. Sein ganzes Wesen ist auf Intimität gestellt.
Sein Tastenreich hebt sich scharf gegen die Masse ab. Es hatte
seine Spannkraft, seine Aufmerksamkeit, sein Können und seinen
Farbensinn so aufgesogen, daß in die Grenzgebiete nichts über-
floß. Sie verarmten aus Mangel an Nahrungszufuhr. Wenn er dann
im Virtuosendrang zum Orchester griff, schaute es ihn fremd an.
So hemmt ihm die Poesie des Empfindens und des Klanges nicht nur
die baumeisterliche Entwicklung, sie entzog ihm auch eifersüchtig die
Mittel, siegreich in die große Welt zu ziehen. So sind auch diese
beiden Werke die einzigen Beispiele des intimen Klavierkonzerts;
einzig schon darum, weil ihr innerer Wert sie immer wieder der Ver-
gessenheit entreißt, wenn der Zeitgeschmack sich noch entschlosse-
ner von ihnen abzuwenden droht.
So umzäunt darf die Begeisterung über die Poesie dieses Zwie-
gesprächs, das fast immer nur ein Zwiegespräch zwischen dem
Komponisten und seinem besten Freund bleibt, um so ungehemmter
ausströmen.
Man gestatte mir, mit Chopin zugleich aufzusteigen: das f-moll-
Konzert, ein Kind der Liebe, bewegt mich tiefer als sein Bruder in
e-moll. Sie sind beide in dasselbe Gerüst gespannt. Aber diese
Ähnlichkeit der Technik, der Ausdruck mangelnder Bewegungsfrei-
heit zügelt die Expansion nicht. Wie der Nachklang Spohrs edler
melodischer Linie das Thema nicht hindert, ins Polnisch-Schwär-
merische abzubiegen und dem Meister untreu in die Passagenbahn
einzulenken. Kaum ist das erste Orchestertutti verhallt, so schlägt
dem Klavierkomponisten sein Gewissen für die Masse nicht mehr.
Eben noch schien es, als wollte das schwermütige Hauptthema sich
in der Symmetrie des Weiterbaus gefallen ; da setzen jene Läufe ein,
die das Intervallverhältnis in den beiden Händen nach den Regeln
des besten Tons mit einem graziösen Auseinanderführen der Quinte
gestalten. Nicht immer geschieht es so parallel und in so sanften
Formen, auch gewundener, chromatischer; stets aber so zauberhaft
im Klang, daß uns der Weg zum zweiten Thema wie mit Blumen
149
bestreut ist. Und dieses lächelt unter Tränen. Die sehnsüchtige
None im letzten Achtel des poco ritenuto-Taktes enthüllt uns das
innere Beben und deutet zugleich auf die Blutsverwandtschaft dieses
Frühwerks mit allen anderen bis zu den letzten Pariser Schöpfungen
des Schmerzes. Dann wird sie von tausend Leidenskindern um-
geben sein; wird die Spannung nicht mehr niederkämpfen können.
— Wieder scheint dem Gedanken eine ruhige Entfaltung gegönnt,
da steigt ein Passagenwohlklang aus dem andern hervor, Kantilenen
umkränzen ihn, die Logik im Episodischen, die Kleinmalerei treibt ihr
loses Spiel. Was hilft es, daß das klassische Gewissen und das des
Konzertschreibers ihn zur Ordnung und zur Rücksicht mahnen!
Hölzerne Tutti halten ihn" nicht auf. Auch die eigene Genialität
nicht, die ihn das Hauptthema bei der Rückkehr plötzlich zum zweiten
umlenken läßt.
Einzig aber steht das Larghetto da. Ließ sich bisher die Paten-
schaft deutscher Meister auch hinter dem Eigenen erkennen, so
tritt hier sein lyrisches Selbst ungeschminkt auf. Im Sprachbereich
der Liebe von Nervenmenschen ist dieser Ton der denkbar reinste.
Ja, der junge Chopin spielt sich hier gegen den späteren aus. In-
brünstig, als ein Ahnungsvoller, aber noch nicht Wissender, singt
er sein Innerstes hinaus; mit einem durch Mozart schönheitstrunkenen
Geist und doch mit einem Gefühlsüberschwang, der unruhevoll und
rubatosüchtig alle Fesseln des Taktes und der Notenlinie abstreifen
möchte. Zögernde Schüchternheit und leidenschaftliche Anbetung
suchen beide nach dem reichsten Ornament, das der des Schmuckes
frohen jungen Polin angemessen wäre. Und träumende Sehnsucht
schafft eine Szene, die vom Lyrischen zum Dramatischen aufsteigt:
ein rezitativisches Unisono zweier Herzen und Stimmen, das bittet,
drängt und jauchzt; alles mit dem Ungestüm eines Neunzehnjährigen,
der als Genie seine intime Musik, die junge Opernerfahrung eines
Theatergängers und das holde Traumbild der werdenden Opern-
sängerin zu verschmelzen weiß. So bleibt er auch nicht im Thea-
tralischen haften. Das rundet sich wieder im Sinn des Eingangs,
doch noch gesteigert ab. Nur, daß dieses Larghetto von wenigen
Orchestertakten echt bühnenmäßig umrahmt wird. Es bleibt eine
Merkwürdigkeit, die den Vorzug hat, so schön und ergreifend zu
sein, daß der Mangel an klassischer Haltung im Mittelsatz eines
150
Konzerts niemandem mehr bewußt wird. Nun kann sich die Phan-
tasie des Passagen erf inders im Finale wieder ausleben. Das ist ein
ununterbrochenes Jubilieren. Wie prachtvoll weiß das As-dur-Triolen-
thema, obwohl in der Einstimmigkeit der beiden Hände einher-
hüpfend, das Klavier an der klangreichsten Stelle zu treffen ; und mit
welcher Anmut wendet es sich nach einem getrübten C-dur, um den
Rückweg zum ersten Thema anzutreten! Aber — o Wunder —
es gleitet auch ins erste Hörn, das nun, wirklich einmal geist-
reich, das Zeichen zu einer wahren Triolenjagd mit leichter Chro-
matik und unter dem Schutz der aus dem Gedanken nachklingenden
Terz gibt. So erfindet, so schafft ein Feuergeist, von der ersten
Liebe entflammt.
Wer diesen gesunden Rausch hat auf sich wirken lassen, den
mag auch das e-moll-Konzert in seinen Bann zwingen, doch ohne
zu überraschen. Die heroische Absicht des ersten Satzes erfüllt sich
nicht; sie wird von dem schwermütigen Unterton durchkreuzt. Aber
der Nachklassiker bekämpft hier inmitten aller Spielfreudigkeit durch
sinnvollere Themen entwicklung erfolgreicher den Hang zu Seiten-
sprüngen. Die wunderschöne E-dur-Romanze ist nicht wie jenes
Larghetto die Frucht innerer Spannungen. Sie gestattet dem sonst
so programmlosen und wortkargen Komponisten selbst die Deutung:
er vertraut sie seinem Titus an: „Es ist mehr romantisch, ruhig,
melancholisch; es soll den Eindruck eines liebevollen Hinblickens
auf eine Stätte machen, die tausende von angenehmen Erinnerungen
wachruft. Es ist wie ein Hinträumen in einer schönen, mond-
beglänzten Frühlingsnacht." Also : die Stimmung eines Tieck, in das
Reich des Musikers emporgehoben. Hier fehlen auch neben der
Pracht ausgezierten Gesanges die glitzernden Sterne nicht; die in
den hohen Lagen schwebenden, mit Vorschlägen geschmückten
Viertel Der ganze Zauber der Frühlingsnacht kann dem Empfäng-
lichen, wenn auch nicht im Konzertsaal, aufsteigen. Der Rondo-
komponist hat das Schlußwort. * Er holt nur mit ganz anderem
Schwünge aus. Da sprüht es wieder Passagenblitze; da vergißt sich
der fröhliche Geist in ihm in gedehnterer Form und so espritvoll,
daß der Genießer eingesteht, er sei auf die reizendste Art über-
rumpelt worden.
Freilich tut es dem orchesterfreudigen und dabei um die Zu-
151
kunft dieser Konzerte besorgten Modernen noch immer weh, die
Wirkung solcher Werke durch das Mißverhältnis der konzertieren-
den Partner geschwächt, wenn nicht untergraben zu sehen. So ist
an ihnen von erlauchten Geistern wie Klindworth und Tausig herum-
operiert worden. Begreiflicherweise berührte das pietätvoll den Kern
dieser Salon-Klavierkonzerte nicht; sie spotteten in ausdrucksvoller
Schwäche aller Kräftigungsversuche. Aber das nun weniger zurück-
haltende Orchester schob doch mindestens das Chopinsche sanft
beiseite.
Der Meister war in weiser Selbsterkenntnis des Experimen-
tierens sehr bald müde geworden. Und das 1842 erschienene
Allegro de Concert op. 46 ist das lebendigste Zeugnis für den Kampf,
den ein gewissenhafter Künstler mit Stoff, Form und Mitteln zu führen
hatte; durch erbittertes Ringen ist doch nur ein Pyrrhussieg er-
fochten. Das Bild drängt sich schon darum auf, weil wir nun wieder
Chopin als Herold der Nation am Werke sehen. Heldenhaft wollte
er auch einmal im großen Zuge sein ; da taucht die helle, grelle Ton-
art A-dur von selbst auf. Aber der weit gedachte Rahmen und, was
ihn ein hohes Ziel dünkte, die Verherrlichung des martialischen
Polen, wies ihn auf das Orchester. Die Klangphantasie des Meisters
fühlt sich durch die Ferne der Obertasten vereinsamt; sie irrt in er-
heuchelter Männlichkeit umher; und sie wird durch das fremde Ge-
sicht des Adoptivpartners ernüchtert. Das geschah, wie der Brief-
wechsel anzudeuten scheint, nicht lange nach den Klavierkonzerten.
Der falsche Freund wird entlassen ; der wahre soll in seine Spur
treten, weil nun einmal der Gedanke Gestalt angenommen hat und
ausgeführt worden ist. So wird der vom Orchester abgezogene
Klaviersatz massig und steif wie eine Übertreibung des in der A-dur-
Polonäse peinlich empfundenen. Der gereifte Chopin versucht das
Passagenungestüm des einstigen Hummelianers um der größeren
formalen Straffheit willen zu dämpfen. Mindestens setzt er seinen
wildjagenden Sechzehnteln mit def gewachsenen Harmonik spar-
sam neue Lichter auf; die Achteltriolen sind noch beredter. Da-
mit wird aber der martiaüsche Ton, der wohl schon früher durch
das Spielerische zum Koketten erweicht und veredelt worden war,
stellenweise ins Nervöse gezogen. Bei solchen Klängen atmen wir
auf. Die Unausgeglichenheit des Charakters, die auch auf die Form
152
übergreift, trübt die Freude an diesem Werk. Aber seine Meta-
morphose war noch nicht beendet. Jean Nicode wollte Chopins Zu-
kunftsgewissen sein : er stellte das Orchester wieder her und schob
siebzig eigene Takte ein. Mit dem Erfolg, daß dieses verunglückte
dritte Klavierkonzert gewöhnlich wieder nach des Meisters Wunsch
behandelt wird. Er wollte das, wofür er schwer gerungen hatte,
sein Schmerzenskind, nicht opfern; sonst stände es ganz gewiß unter
den ceuvres posthumes.
Wir sind nun bei der Sonate; also bei der Form, die unsern
Chopin zur größten Selbstentäußerung hätte zwingen müssen, wenn
eben ein Willensakt das Eigenste im Künstler unterdrücken könnte.
Ein erst 1851 veröffentlichtes op. 4, Grande Sonate in c-moll, zeigjt
Chopin an der Klippe völlig gescheitert. Da ist ein ewiges Sich-
winden der leeren Phrase unter einer drückenden Last, und nur ein
Larghetto im Fünfvierteltakt könnte als Ehrenrettung des Kompo-
nisten gelten, wenn er dieser überhaupt bedürfte. Ließ hier die
innere Gärung selbst den Klaviersatz im' unkrautbewachsenen Steppen-
land mit versanden, so stellt sich die Kraft zum Konventionellen
sofort ein, sobald das Instrument zur Rücksicht auf zwei unbekannte
Mitbewerber gezwungen ist. So wird sich das mit dem Sonaten-
versuch ungefähr gleichaltrige, 1830 erschienene Trio op. 8 in g-moll
das Lob jedes braven Musikanten als anständige Musik verdienen.
Ja, hier und da wird der Eingeweihte wohl merken, wie das ge-
fesselte Genie der Wohlanständigkeit entschlüpfen möchte.
Langsam rückt der große Augenblick der stärksten Reibung her-
an. Ein ganzes Jahrzehnt geht dahin. Die 1839 begonnene b-moll-
Sonate erscheint 1840. Man bedenke: indes hat sich die Tragik des
Lebens ihre Sprache geschaffen. Ein Künstler, geschüttelt von inne-
ren Kämpfen, ein Meister von schier unbegrenzter Ausdrucksfähig-
keit, ein überzeugter Aufrührer im Reich der Harmonik und der
Tasten möchte noch einmal in seiner Art klassisch werden. Nun
wird die Form nicht mehr ihn, sondern er die Form bändigen.
Bändigen, nicht meistern. Die unbeschreibliche Erregung wird der
Tyrann sein, der sich alle die kleinen und großen Künste der Sonaten-
schreiber unterwirft. Sie ist mächtiger als er selbst. Die g-moll-
153
Ballade war die letzte Schöpfung sich kreuzender, sich bedrängen-
der Kräfte des Ausdrucks und der Form. Nun aber wird der An-
prall so heftig, daß die Zerstörung den Weg des Schaffens bezeichnet.
Stücke fliegen ab; aber ein erschütterndes Ganzes wird aus dem
Chaos geboren.
Die b-moll-Sonate ist ein künstlerischer Widerschein von Schreck-
bildern der Phantasie. Der Aufschrei, ein Reflex der Denkohnmacht,
die den Menschen zum pathologischen Kind demütigt, tritt hier
entfesselt und gebunden zugleich auf. Wie auf einer Insel, abge-
schieden von allem Leben des Geistes, thront der Kunstverstand.
Aber die Wirkungen sind so elementar, daß sie, Dezennien über-
springend, noch heute niederwerfen können. Die gellende Har-
monik ist, weil aus Abgrundtiefen des Unterbewußtseins geschöpft,
unnachahmlich. Unnachahmlich wie das Überschreiten des Taktes,
das der Verwüstung des inneren Rhythmus entspricht. Dabei wird
doch der klassische Sonatenbau in seinen Umrissen geschont. Ein
erstes Thema führt zum zweiten; einen Abschluß, eine Krönung
schafft der grandiose Einfall. Der Durchführungsteil verschlingt zwar
die Reprise. Aber gesetzmäßig tritt das in der Stimmung veränderte
zweite Thema auf und zieht den grandiosen Einfall organisch nach
sich. Das in seinem Dasein gekürzte Leitmotiv wird durch ein
wuchtiges Auftreten in den Bässen belöhnt, und das Tonalitäts-
bewußtsein durch einen glänzenden B-dur-Schluß befriedigt. Doch
innerhalb dieser Umfassungsmauern spielt sich Unerhörtes ab. Mit
der Schwungkraft eines von der Nervenspannung zu übermensch-
licher Anstrengung Getriebenen rast das keuchende Motiv nach einer
gehaltenen, gespenstischen Einleitung davon. Es hetzt unklassisch
würdelos, unbekümmert um die Entfaltung der äußersten Möglich-
keiten zu dem rührenden Des-dur-Thema, das, sich prachtvoll deh-
nend, den scheinbaren Ruhepunkt des Innern bezeichnet. Dann
heben sich plötzlich auf den Schwingen des Sechsvierteltaktes die
harmonischsten Dominantschlüsse empor, fordern eine atembeklem-
mende Gegenbewegung heraus und werden so zu einem Hämmern,
das die Klaviatur sprengen möchte und, unentschlossen irrend, von
der Enharmonik geleitet, ein Des-dur erreicht. Doch auch jetzt
noch krachen die rückleitende Dominante und die Tonika des Beginns
so hart aufeinander, daß das Schreckbitd wieder alle guten Geister
154
verjagt. Wer aber weiter vordringt, dem treten andere Erscheinun-
gen aus dem Schattenreich entgegen. Dieser Durchführungsteil, in
dem es zuerst wie Drängen von Dämonen gegen das Weib ist,
peitscht die Modulationen hintereinander her, stampft wie in Todes-
ängsten alles nieder und rettet sich über die Brücke des Sechs-
viertelthemas ins Licht: nach B-dur; die rührende Kantilene setzt
vorläufig den Schauern der Nacht ein Ziel.
Kaum ist nun von diesem vorläufigen Haltepunkt aus eine ruhige
Schlußentwicklung geglückt, so setzt von neuem hämmernd in es-
moll das Scherzo ein. Vier eigensinnig pochende Achtel gebären
eine ganze Kette chromatischer Sexten, die über die Klaviatur hin-
stürmen. Wer aber die Übermacht des Grausigen beklagen möchte,
den bezwingt das Trio in Des-dur mit seinem sanften Schweben ;
einer der herrlichsten Chopinschen Lyrismen, gehoben von dem
Reiz der Mittelstimmen und auf den Fittichen zarter Harmonien
wieder nach Des-dur zurückgetragen. Hier die Beredsamkeit des
Cellos, dort die Chromatik von Oktaven fügen die Bausteine zu-
sammen.
Nach der prächtigen Wildheit und dem holden Schwärmen des
Scherzos hören wir anstatt eines Adagios jenen Trauermarsch, dessen
zweifelhafte Volkstümlichkeit wie ein Hohn auf seine Umgebung
ist. Das Seltsame ist geschehen, daß ein Sonatensatz, von seinen
vornehmen Brüdern losgelöst, in der Gasse endet. Gewiß: er war
immer nur ein Stiefbruder, nicht für die Gemeinschaft der Familie,
sondern für ein Sonderdasein bestimmt. Aber ein Großer wie Liszt
hatte ihn laut gerühmt: „Man fühlt, daß es nicht der Tod eines
Helden ist, den man beweint, während andere Helden da sind,
ihn zu rächen; sondern der einer ganzen Generation, die dahin-
gesunken ist und nur die Frauen, die Kinder und die Priester zu-
rückläßt." Das ist wahr, aber ich glaube, daß gerade das Un-
heroische ihn herabgedrückt hat. Den Tröstungen des Des-dur-
Teils hat das Tempo des Schreitens die Chopinsche Überredungskraft
geraubt. Er ist süßlich, weichlich zur Litanei geboren. Aber wür-
dige Trauer umrahmt ihn, trägt auch ihn zu Grabe. Und wenn
Trommelwirbel und Glockengeläut verklungen sind, ist nun auch
für das Finale der rechte Sinn eingekehrt. Es ist in seinem leisen
Dahinrauschen die größte Kühnheit, die je in die klassische Welt
155
hinausgerufen wurde. Die Geister hatten bis jetzt den Bildner nur
bedroht und zu keuchender Hast gezwungen. Nun wollen sie ihm
den Griffel aus der Hand schlagen. Er kann sie noch gepeinigt, ver-
ängstigt aufs Papier bannen. Den Meister der Form wollen sie
töten. Der aber bleibt ein Meister der Farbe. Haupt- und Mittel-
satz zu schaffen reicht die Kraft nicht hin. Aber er rafft hastig
sein Unisono, seine Chromatik zusammen, läßt beide im Bunde durch
die Notenzeilen jagen. Ein zweimaliges röchelndes Atmen, und sie
verenden in b-moll, im Quartsextakkord. Der Zukunft aber ist ein
vorahnendes, impressionistisches Meisterwerk geboren. Das Noten-
bild selbst wird zur hingeworfenen Skizze. Die Köpfe beleben sich,
und der Maler grüßt den Musiker. Wie selbstverständlich tobten
die Klassiker. Aber einer, der ein Dichter war, sprach aus dem
Zwiespalt eines ehrlichen, Bach und Beethoven ergebenen Herzens
heraus folgende Worte: „Und doch gestehe man es sich, auch aus
diesem melodie- und freudelosen Satze weht uns ein eigener, grau-
siger Geist an, der, was sich gegen ihn auflehnen möchte, mit
überlegener Faust niederhält, daß wir wie gebannt und ohne zu
murren bis zum Schlüsse gehorchen — aber auch ohne zu loben ;
denn Musik ist das nicht. So schließt die Sonate, wie sie ange-
fangen hat, rätselhaft, einer Sphinx gleich mit spöttischem Lächeln."
Schumann sagte es. Auch er kannte die grausigen Nachtgedanken,
auch er starrte entsetzt ins Leere. Der glatte Mendelssohn aber
wandte sich angewidert ab.
Dieses Tongemälde im Sonatengewand, einzig auch bei Chopin,
stieß sich nicht nur gegen die Form ; es strebte als getreuer Ab-
druck eines Jenseits des Geistes über die Tasten hinaus. Die
pochenden Oktaven, die schweren Baßfiguren, der fast völlige Ver-
zicht auf feineres Satzgewebe, auf verführerisches Passagenwerk der
rechten Hand sind aus Zwangsvorstellungen geboren, die den Fa-
natiker des Wohlklangs aus seinem Gleis heraustreiben. Anders
die h-moll-Sonate op. 58. Hier ist der Anprall der Stimmung gegen
die Form lange nicht mehr so heftig; hier durfte der Meister sich
auf die Forderungen des Ohres wieder besinnen. Und doch er-
schien diese Sonate 1845 und war gewiß nicht lange vorher, also
in einer Zeit inneren Jammers entstanden. Die Wege dieses Geistes
waren unberechenbar; und die Laune wollte es, daß dem Sonaten-
156
Schreiber Nocturnenhaftes, Lyrisches, Fröhliches in die Feder floß.
Nur im ersten Satz wird der lebensfähige Gedanke, der sich ein
breites Bett graben will, in seinem natürlichen Lauf gehemmt. Aber
hier ballt sich nicht, wie in der b-moll-Sonate, die Faust eines im
Krampf Gewachsenen und zur Eile, zur Straffheit Mahnenden. Hier
darf das Thema zunächst seine vier Sechzehnte! ruhig entfalten.
Aber sie steigen zur enharmonischen Umdeutung empor. Es ist
der erste Schritt vom Wege. Der Freund des Klaviers möchte gar
zu gern, ohne den Strom abzulenken, seine Nebenkünste üben. Zwar
glückt es ihm, in Achtelfiguren über aufwärts rollenden chroma-
tischen Skalen die Erinnerung an das Thema wachzurufen ; bald aber
schwächt sie sich ab; und erst dann, wenn der zweite Einfall naht
tropfen jene Sechzehntel in langer Reihe herunter. Lauschen wir
nun nicht wieder entzückt dem Kantilenensänger Chopin? Er ent-
schlägt sich aller quälenden Sonatengedanken. Da sind sie nun,
die weiten Bögen der Bässe, die der Oberstimme so reizend Ja
sagen. Der Melodienfluß ist nicht mehr zu hemmen. Jener I>dur-
Gesang treibt Zweige ; nun laufen auch schon die Mittelstimmen
anmutig unter dem Diskant hin; nun wirft auch schon die Linke
der Rechten eine Handvoll Noten zu. Und mit diesem melodischen
Spiel ä la Chopin landen wir beim Strich. Da aber meldet sich
der ganze Ernst der Sonate: diesem Durchführungsteil fehlt die
treibende Macht, die den andern über sich selbst hinaustrug. Das
Spielerische möchte sich dem Schulgemäßen paaren. Langsam hilft
sich der in seinem Wachstum so bald behinderte Hauptgedanke
an den Krücken harmonischer Rückungen weiter und mündet end-
lich in Des-dur bei dem fröhlichen Seitenthema. Dieses wird ver-
kürzt und vergrößert fortgeschoben, es findet auch die hilfreichen
Passagen wieder, die es glatt zu dem zweiten Thema in H-dur
herunterführen. Nun gibt's keine Stockungen mehr. Anmut, Wohl-
laut und Glanz kehren zurück, und ein accelerando mit stärkster
Betonung des H-dur und der leitmotivischen Sechszehntelfigur zwingt
den Schlußpunkt herbei.
Es war ein heftiges Ringen eben nur da, wo ein echt klassischer
Geist gerade unbestrittener Sieger gewesen wäre : im Durchführungs-
teil; sonst war's ein liebenswürdiges Ausweichen, das schmeichelnd
alle Bedenken beschwichtigte. Sie können sich auch im Es-dur-
157
Scherzo nicht mehr regen, das die Finger durch anmutige Krüm-
mungen der Linie bis zu prächtigem Einklang dahinjagt; das die
übersprudelnde Laune plötzlich sinnend, träumend, anbetend, lockend
mit Orgelpunkten, Bindungen und geheimnisvollen Mittelstimmen
unterbricht. Die Treibhausluft des Notturnos benimmt us im Largo
den Atem ; ja, hier möchten wir bei allem Reiz des Gesangs, bei
allem Zauber der Stimmung leise abwehren. Allzu schwer, allzu
müde ist der Schritt; allzu künstlich wird das Fehlen der Kontraste
verschleiert, die das klassische Gewissen fordert. Der große Ly-
riker war nie ein Adagiokomponist. Hier wird der Spieler gebeten,
chopinscher als Chopin zu sein, liebevoll gestaltend zu verhüllen,
die Spuren der Erschöpfung zu verwischen; Gegensätze aus den
Tasten herauszuträumen. Er wird durch den Schwung des Finales
belohnt, das den kühnen Sprung aus dem Traumland in den Kon-
zertsaal vollführt. Es kokettiert im stürmischen Sechsachtelschritt
mit dem Ernst, legt dem Pianisten in jauchzenden Passagen kleine
Steine in den Weg, die er nun bedächtig mit dem Fingersatz beiseite-
räumt, um desto ungezügelter seiner Virtuosenlust zu leben. Dieses
Finale läßt alle Sünden gegen den heiligen Geist der Sonate vergessen.
So hat der Kampf Chopins mit der Sonatenform zwei einzige
Werke geschaffen: eines, das aufrüttelt; ein anderes, das entzückt.
Und eines noch, 1847 als op. 65 erschienen. Es war das letzte,
das er mit seinem Namen deckte: die g-moll-Sonate für Klavier
und Cello, Auguste Franchomme dargeboten. Noch einmal sollen
die Sehnsucht nach dem Klassischen, die Anhänglichkeit an den
Freund, die Liebe zu dessen melancholischem Instrument sich zu
künstlerischem Tun zusammenfinden; noch einmal läßt er die
Schwermut wie im Jugendtrio in g-moll austönen. Und mit den
ersten Takten schon weist auch das Klavier seinen Partner auf
jene herrliche Zeit zurück, da er sein f-moll-Konzert schuf; es
wiederholt fast wortgetreu die Antwort auf das Hauptthema nach
dem Tutti des ersten Satzes, wie wenn es sagen wollte: sieh, was
ich damals ahnte, nun hat sich's ganz erfüllt. Dann aber schwebt
er mit gesenkten Flügeln dahin. Die Liebe zum Cello hat er ja
hunderte von Malen in seinen ureigensten Werken wie durch einen
Schleier bekannt; sie ist so gänzlich von ihnen aufgesogen, daß
die Phantasie im offenen Bekenntnis erlahmt. Die kurzen Licht-
158
blicke im Scherzo und in den Außensätzen können pietätvolle Weh-
mut nicht in herzliche Zustimmung wandeln.
Im Schaffen des werdenden Meisters gibt es so manches, was
seine Spur bezeichnet. So seine Lieder. Wir besitzen 17 von ihm,
im op. 74 vereinigt. Fontana wollte, um Chopins abergläubische
Abneigung gegen die Zahl 7 zu ehren, eines von ihnen fallen lassen.
Schließlich scheint doch die Neigung zum Geldgewinn die Beden-
ken der Hinterbliebenen überwogen zu haben. Diese Lieder auf
Texte von Mickiewicz, Zaleski und Witwicki rechnen meist nicht
auf unsere Teilnahme. Das Feinnervige haben sie schon unter den
Händen des Bearbeiters eingebüßt: der Klaviersatz rührt fast durch-
wegs von dem überaus geschäftigen Fontana her. Die Manuskripte
mit den halbnackten Melodien waren unter den Freunden verstreut.
Sollte man sie veröffentlichen, und wer sollte sie druckfähig machen?
Auf die erste Frage erfolgte selbstverständlich die bejahende Ant-
wort. Begründet wurde sie damit, daß diese Melodien privatim
oft gesungen worden waren. Um die zweite erhob sich ein Streit.
Franchomme wollte es übernehmen. Fontana bestritt ihm Recht
und Fähigkeit dazu. Er sei als Nichtpole der Aufgabe nicht ge-
wachsen ; er habe sich an Chopin herangeschmeichelt, um sich, durch
den Nimbus dieser Künstlerfreundschaft gehoben, bessere Erwerbs-
quellen zu schaffen.
So viel Erbauliches knüpfte sich an das, was der Liebe zur
Heimat und schon dort entstammt war. In manchen Liedern läßt
sich noch die leitende Hand auch im Klavierpart spüren. So at-
met in Nr. 6 „Aus meinen Augen" das Nachspiel den echten Geist
des Notturnos und der Mittelstimmen. Und während sonst der
von ihm so gehaßte Stil der Orlowski, Sowinski usw. hier gegen
Chopins Willen als der seinige in die Welt tritt, zeigt Nr. 9 (Eine
Melodie), im Jahr 1847 entstanden, das merkwürdige chromatische
Herumtasten einer getrübten Phantasie auch einmal in der Sing-
stimme. Die liebe Einfachheit des „Lithauischen Liedes" , Nr. 16,
das dem Strophischen untreu wird, wie die des Nr. 1 „Mädchens
Wunsch" haben ihnen ein wenig zu Rang und Namen verholfen.
Alles dies ist deutsch von Ferdinand Gumbert bearbeitet.
159
Aber wenn je, so hat hier Liszt ein wahres Werk der Barm-
herzigkeit geübt. Er faßte sechs aus dieser Erbschaft zusammen
und schmückte sie in seiner Art in den „Chants polonais". Hier
war nicht dem Unsterblichen wie in Schubert der Weg zu bahnen;
hier war melodischer Besitz wenigstens für die Gegenwart zu retten.
So schlüpfte auch das Chopinsche Lied in die Hülle, die ihm künst-
liche Wärme gab.
Wir schauen uns um und erblicken noch einige Reste, die der
Meister sorglos zurückließ, und die man hastig auflas: so einen
Trauermarsch in c-moll, Variations sur „un air allemand" usw. Die
Liebe deckt den Mantel über sie. Sie darf sich selbst da, wo wir
einem Ringenden folgten, auf ganz andere Rechtstitel berufen.
SCHERZO
Ein langer, langer Aufschrei — das erste Scherzo.
Spott, Karikatur, Selbstironie waren die Warfen Chopins im
Kampf gegen Leben und Menschen. Sie hielt sich auch der Musiker
als Schild gegen den Pöbel vor. So verbirgt die Mazurka oft hinter
der Anmut ein spöttisches Lächeln. Konnte aber wirklich, wie Liszt
klagt, der Künstler den Menschen nicht rächen? Fand das Dämo-
nische in ihm, das ihn in seltenen Augenblicken bis zur Raserei
trieb, keinen Ausweg? Wie das geschah, wie es dann aufblitzte,
das sagte ja die b-moll-Sonate. Im Scherzo hatte dort ein Tobender
gegen die Wände der Erdenzelle gepocht, gegen die Begrenztheit
seines schwachen Körpers gewütet. Die beherrschte Leidenschaft
eines Beethoven trug den großen Bau der Sonaten und Sympho-
nien; und sein Humor lachte grimmig auf. Chopin aber wagte
nur jenes eine Mal im großen Stil zu trotzen. Er hatte längst den
kühnen Einfall gehabt, den Aufschrei in eine andere Form zu zwin-
gen. Sie nannte er nun in prachtvoller Ironie „Scherzo". Den
höhnenden Zuruf an die Gottheit wollte er klassisch werden lassen ;
in einem Typus, der so gestaltet als seine Schöpfung gelten muß.
Aber schwach, wie er war, blieb er sich nicht treu. Jenes
Scherzo der b-moll-Sonate hatte uns in seinem Trio Chopin wieder
auf den Knien, wenn nicht vor der Gottheit, so vor der Göttin
Weib gezeigt. Nichts in ihm war beständiger als der Stimmungs-
wechsel. Aber die stärksten, ja fast unvereinbare Gegensätze faßte
die Nervenkraft dieses seltsamen Meisters zusammen : auf dem klein-
sten Raum in der Mazurka, auf dem größeren im weitgedehnten
Scherzo.
Es ist nicht reiner Zufall, daß sich dies innerhalb des Drei-
vierteltaktes abspielt. Auch im Scherzo klingt die Idee des Tanzes
nach; aber eines grausigen Tanzes, der die Rachegeister durch-
einanderwirbeln, die Bewohner der Hölle mit verzerrten Gesichtern
auftreten läßt. Chopin, der die Hände so gläubig falten konnte,
wenn er nicht im Salon war, hatte oft unter der Vision zukünftiger
Qualen schwer zu leiden. Der Unglaube des Künstlers mit dem
geheimen Katholizismus ruhte auf tönernem Boden; wie er den
Aberglauben mit sich führte, so auch den schrecklichen Gedanken
161
an die Nemesis, gesteigert durch die Mittätigkeit einer ruhelosen,
karikierenden Phantasie. Nur ein zerriebener Mensch konnte das
Scherzo schaffen. Und es ist nicht anzunehmen, daß das erste in
ihrer Reihe, das 1835 veröffentlichte in h-moll op. 20, viel früher
entstanden war.
Es mutet auch unter Chopinschen Merkwürdigkeiten merk-
würdig genug an. Das Dämonische schafft sich neue Wege. Es
stürmt ja presto con fuoco dahin, es rückt die Noten zusammen.
So darf es sich auch blitzartig und doch nicht zerstörend aus Cho-
pinschem Geist noch kühnere Passagen formen. Die Intervalle wei-
ten sich noch, die Chromatik erleuchtet sie. Das Sprunghafte fügt
sich zur Impression. Aber sie genügt dem klassisch Gestimmten
nicht. Drei Achtel, die das Zeichen zur Teufelsjagd gegeben haben,
zeugen nach kurzem Aufatmen den artikulierten Aufschrei zweier
Höllengeister, einen fratzenhaften Durchführungsteil. Da bricht der
Sterbliche zusammen. Ein schwermütiges Unisono; und er singt
ein längst vergessenes Lied, ein polnisches Weihnachtslied. In Fis
läuten ihm die Glöckchen dazu. Das Kindliche, das Einfache regt
sich nun wieder. Aber auch das Schreckliche. Es scheint sich in
zerlegten Septakkorden zu mildern. Da kündigt dumpfes Grollen
etwas Grausiges an. Und schon schüttelt auch wieder ein Krampf
den Dichter. Ein chromatischer Lauf pfeift über die Klaviatur. Der
Spuk ist aus.
Keines der anderen wirkt so elementar wie dieses Scherzo;
keines wühlt wie dieses als Tongemälde in den Tasten wider die
Tasten. Das folgende in b-moll op. 31 vom Jahre 1838 ist durch
Gouvernantenhände entweiht, gezähmt worden. Die Koketterie des
Gesanges, der Wohllaut der Des-dur-Spannungen, das träumende
A-dur-Intermezzo scheinen wirklich die Wildheit zu vereiteln, die
uns die schwungvolle Triolenfigur des Beginns verhieß. Schwer
löst sich aus der Melancholie der rezitativischen cis-moll-Phrase der
echte Scherzo-Rhythmus. Er kämpft mit der Schwermut des Ge-
sanges. Und wie anmutig schwingen sich, von der Säule der A-
dur-Dominante gestützt, über singenden, klingenden Bässen die Pas-
sagen in die Höhe, um sich doch wieder in den tiefen Abgrund der
Dominante, ins Kontra-E zu stürzen! Dann, nach neuem Anhieb,
Stufe um Stufe herunterrückend, steigen und stürzen sie wieder,
WeisBmann, Chopin 11
162
immer wilder, immer chromatischer. Wo vorhin noch der Scherzo-
Rhythmus mit der Kantilene stritt, reißt die wachsende Erregung
beides mit sich. Sie treibt von A-dur kühn nach b-moll zurück,
sie führt einen prachtvollen Unisonosturm herauf, der verrauscht,
um das Ganze, Tragödie und Komödie, von vorn beginnen zu lassen
mit seinen stampfenden Vollgriffigkeiten, mit seinem dröhnenden
Triller und seiner schmeichelnden Koketterie. Aber der Dämon wen-
det Lyrisches ins Oroteske, jagt von Des-dur nach A-dur, von da
wieder nach Des-dur zurück, wo rasend gewordene Achtel, häm-
mernde Akkorde, gellende Schreie im Jubel ausklingen.
Hart im Raum stoßen sich auch die Gegensätze im cis-moll-
Scherzo op. 39. Es erschien 1840. Aber geschrieben wurde es in
Majorka. Wer das weiß, der möchte der Poesie des Klosters Val-
demosa nachspüren. Sie umfängt uns im Mittelteil, wo wechselnder
Glockenklang und herabsteigende Engelstimmen sich abzulösen schei-
nen, wo die ausgebreitete Pracht der Dominantklänge die Sinne
zu sich lockt: eine vom Pedal getragene, vergrößerte neue Har-
monie, beiden Händen in gleicher Weise anvertraut. Die dämo-
nische Wildheit, die sich von Anfang an in Quartolen gegen den
Rhythmus stößt, in scharfem Oktavenritt vom Klavier die höchste
Energie erzwingt, will diese Poesie nicht nur umrahmen, sie möchte
auch mitgestaltend klassisch in sie hineinspielen.
Hier gelingt es ihr nur halb, trotz dem Harnionienzauber, den
solche Stimmungspaarung erschafft. Aber das letzte Stück der
Straße, die zum cis-moll-Gipfel, zur vulkanischen Höhe hinaufführt,
berauscht uns durch den narkotischen Duft einer Tropenvegetation.
Aus der Kontrabaßregion wachsen prachtvolle Notenketten empor,
die immer wieder orgelpunktmäßig tief unten bei Gis münden ; und
darüber müssen die Glocken, die der Andacht tönen möchten, in
der Sprache der Liebe reden. Dieser Zusammenklang von gläu-
bigem Sinn und glücklich sündiger Kreatur, den Mephisto endlich
hohnlachend zerstört, ist einer von jenen Punkten, die von dem
Mangel einer letzten Synthese in diesem Werk siegesgewiß ab-
lenken.
Im vierten Scherzo aber, in E-dur, vom Jahre 1843 ist die Aus-
druckskraft im Dämonischen erlahmt; die Grazie will sich für sie
einsetzen; doch auch sie flattert schwunglos, nach Stützpunkten
163
suchend, umher; der Triller entfaltet sich reizvoll zum rhythmischen
Achtelschritt; der Schluß entwickelt sich imposant. Aber hier sinkt
großartiger Spott zurück vor dem besseren Selbst des Tondichters,
der die Eintönigkeit der Farbe, des Ausdrucks fühlt, wenn Nacht-
gedanken ihn peinigend begeistern.
So konnten nur vier Scherzi entstehen, und nicht alle von
gleichem Rang. Sie sind nicht gesundem Kraftgefühl, sondern der
Wut des aufgepeitschten Nervenmenschen entsprungen. Aber fort-
reißend und fortzeugend haben sie nicht nur das Klavierscherzo
als Eigengattung der Welt geschenkt; auch das Orchesterscherzo
der Modernen lebt von solchem Vorbild der Stimmung. Der große
Lyriker brauchte nur abzuschweifen, um selbst einer unlyrischen
Zeit, deren Phantasie der Scherzorhythmus am sichersten beflügelt,
den Weg zu weisen.
IV
EWIGE MINIATUREN
PRELUDES — ETÜDEN
Der Revolutionär Chopin wirft alle Ordnung über den Haufen.
Frühreif und nach kurzem Schwanken zum Gipfel einer Eigenkunst
aufgestiegen, verursacht er denen Beklemmungen, die um der lie-
ben Regel willen sein Schaffen stufenweise betrachten möchten. Wie
er sich von der Stimmung treiben läßt, verlangt er von seinen
Nachfahren, daß selbst ihre Kapiteleinteilung seinen Geist atme. Er
ist so wundervoll untraditionell. Übernimmt er traditionelle For-
men, dann haucht er ihnen so viel vom Leben seiner Stimmung
ein, daß sie sich nicht wiedererkennen ; sie reihen sich wie selbst-
verständlich denen an, die er selbst ersann. Und endlich widerspricht
die Tatsache seiner Größe zum ersten Mal dem, wie es schien,
ehernen Gesetz, daß nur Werke von langem Atem den Anspruch
auf Fortdauer begründen könnten. Chopins Größe liegt in der Mi-
niatur. Unter den Miniaturen aber sind die Präludien und Etüden
mit lapidarer Schrift in den Annalen des Schaffens verzeichnet. Sie
haben anders als jene Mazurken, die hier das Einlaßtor in Chopins
Reich bedeuten, die nationale Tracht abgestreift und bergen das na-
tionale Herz eines Eigenen unter weltbürgerlicher Hülle.
Das Präludium bezeugt am stärksten den Zwang der künst-
lerischen, romantischen Persönlichkeit, die Form zum Abdruck des
Ichs zu machen. Die Verehrung für Bach, die er als Kind schon
eingesogen und wachsend in sich bestätigt und erneut hatte, klingt
im Namen nach. Wie er ihm Liebe und Kraft zu den Mittelstimmen
dankte, so sah er in ihm die Grundlage des klaviertechnischen Ge-
rüsts; korrigierte er, über die Fehler der angeblichen Kenner lächelnd,
die Pariser Bachausgabe; spielte er Bachs Präludien, wenn der Geist
über ihn kam. Sie geleiten ihn, wie wir ja aus seinem eigenen
Mund hörten, auch nach Majorka. Dort aber sind fast alle Stücke
des op. 28 unter schweren Wehen, wenn nicht geboren, so doch
nach der Skizze vollendet worden. Ein Meister in der Vollkraft
der Ideen und des von ihnen befruchteten, sie gestaltenden Könnens
flüchtet sich in der Not seines Herzens zu dem ehrsamen, gläubigen
Thomaskantor; die Gespenster schrecken ihn, und er schreibt angst-
voll, mit gesträubtem Haar Präludien nieder. Hätte er's je ge-
165
könnt, hier kann er nicht mehr die Vorlage nachzeichnen. Das
einstige Choralvorspiel, die freie Fantasie, die zur Fuge überleitet,
wird ihm nichts weiter als der Antrieb, seiner Stimmung in völliger
Freiheit zu leben. Die Übersinnlichkeit der Fuge, aus der Welt-
entrücktheit geschöpft, schwebt ihm nicht vor; weltentrückt, über-
sinnlich ist auch er, aber so, daß nicht höchste Selbstentäußerung,
sondern höchste Steigerung des Selbst ihn über das Dasein erhebt
Schweigt dort das Instinktleben, so ist es hier in seinem Urgrund
entschleiert. Nirgends wie in den Präludien erscheint die Erregung,
die Pein, die Beseligung des Künstlers so schrankenlos festgebannt.
Sie versuchen klassisch zu sein, indem sie anders als die bunten
Mazurken nicht in sich selbst, sondern nur gegeneinander kontrastie-
ren. Aber sie erhellen seine Psyche mit dem Blitzlicht des Genies.
Sie geben in ihrer ewig wechselnden Gestalt Zeugnis von der Ver-
zweigtheit seiner Empfindung. Sie verraten die innere Hast und
Ruhelosigkeit. Keuchend setzt er oft nur eine Skizze hin; zuweilen
erreicht er einen Schein von Geschlossenheit. Immer aber ist das
Präludium das treue, schlagkräftige Echo eines überreichen Unter-
bewußtseins.
Begreiflich ist's nach alledem, daß die Nachempfinder hier ihren
Drang zur Verbildlichung mehr als irgendwo befriedigen wollten. Die
aufreizende Vielg^staltigkeit des Rhythmus, die bunte Pracht der
Modulation sprechen eindringlich zur Phantasie. Mögen aber die
von Julius Kapp mitgeteilten Aufzeichnungen Laura Kahrers, einer
Schülerin Hans von Bülows, zu den „Preludes" sich noch so sehr
auf Liszt und die Chopinschüler Wilhelm von Lenz und Madame
de Kalergis berufen, sie gelten nicht viel mehr als andere Deutungen.
Der scharfsinnig analysierende Bülow hatte mit Chopin auch als
Interpret wenig gemein; sein Unterbewußtsein geriet durch ihn nicht
in Mitschwingung. Und die Quelle, aus der ihm die Mitteilungen
zuflössen, ist individuell getrübt; der fesselnde und gesprächige Lenz
vor allem verdient das Mißtrauen der Nachwelt. Konnte überhaupt
Chopin jene Stimmung, die seine Präludien geboren hatte, später
im Unterricht immer wieder in sich hervorrufen? Er stand ihnen
dann als ein Rückschauender ebenso fremd gegenüber wie jene an-
dern, die ihn gierig ausfragten. Nur wenige Stücke scheinen sich
der Vieldeutigkeit zu entziehen; doch auch in sie hat der Genius
166
ein Letztes getragen, das dem Programm das Bindende nimmt. Aber
wie der Kunstverstand sie alle nach Tonarten aneinanderreihte, das
ist sein klassisches Programm.
Chopin grüßt Bach in C-dur. Es ist wie die Widmung an
den Meister, eine Verbeugung vor der Tradition, die der klarsten
Diatonik den Vortritt läßt. Die Phantasie soll zeigen, was sie auch
unter dem Joch leisten kann. Und sie findet selbst in dieser Klar-
heit, die das Halbdunkel gefährdet, noch den Weg zur Höhe. Man
unterbindet ihren Hang, sich in Modulationen zu ergehen? Out,
dann wird sie sich rhythmisch ausleben. — Agitato stürmt sie da-
hin; zur Eile treibt sie noch einmal; Triolen verschränkt sie in-
einander und läßt in der Mitte das Klavier mit klangvoller Stimme
seine Melodie singen. Singen mit wechselndem Ausdruck, mit viel-
fältiger Abstufung und so, daß Bach, dem doch gehuldigt worden
ist, grämlich dreinschaut.
Und er ist bald genug vergessen. Denn im zweiten (a-moil)
Präludium wird alles Klassische niedergerissen. Es ist eines von
denen, die sich der ohnmächtige Revolutionär auf die Kunde von
der Einnahme von Warschau von der Seele schrieb. Nicht im ersten
Toben des Schmerzes, das ihn donnernde Passagen, heftige Inter-
jektionen hinausschreien ließ; sondern in der Gebrochenheit, die
ihm folgte. Die Lähmung des Denkens durch eine fixe Idee, die Ge-
mütsstarrheit setzt sich in eine musikalische Sprache um, die zu echt
und zu neu war, um nicht auch Chopingläubige stutzig zu machen.
Man darf wohl sagen, daß nirgends in der gesamten Musikliteratur
der Grenzzustand des Geistes durch den Musiker in flagranti er-
tappt worden ist wie hier. Die Zwangsvorstellung zeugt das im
gewöhnlichen Sinn Häßliche; eine Chromatik, die zwecklos und träge
in den Tasten wühlt wie das Motiv, das, an sich ohne Rundung, in
verschiedenen Tonstufen dieselbe unfruchtbare Frage an das Schick-
sal richtet. Die entgleiste Phantasie des Wahnsinnigen findet den
Weg zur Tonart nicht mehr; Zwielicht und Schatten bekämpfen
sich; G und Gis, D und Dis stoßen sich hart im Akkord. Die
Bässe tasten umher; ihr Atem setzt aus. Umherirrend landen sie in
a-moll.
Der Kunstverstand, der hinterher dieses ergreifende Dokument
der Denklähmung und Willensohnmacht billigte, erschütterte unbe-
167
wußt die Grundlagen der Ästhetik und baute dem modernsten Re-
alismus vor.
Der fröhliche Geist und das traurige Herz lösen sich nun weiter
ab. Diese vollendeten Stimmungsbilder, die oft nur aus wenigen
Takten bestehen, wollen liebevoll betrachtet, nicht zerfasert werden.
Wer ihre Poesie nicht empfindet, dem ist sie nicht einzuimpfen. Das
entzückende Salongespräch in G-dur bedarf der Deutung nicht. Wer
im e-moll-Präludium wirklich an einen Erstickungsanfall denken will,
dem entgeht das Eigenste dieser Dichtung: sie spricht von tieferem
Leid: von dem der Liebe. Eine Analogie findet sich bereits: die
idee fixe. Während aber in jener a-moll-Skizze des Irren ein un-
melodisches Leitmotiv bohrend umherzog, läßt sich hier ein melo-
disches vom Geist des Vorhalts zweimal hinuntertragen. Wer, der
in Chopin heimisch ist, spürt da nicht den schweren Atem eines
Sehnsuchtsvollen? Weiterziehend, begrüßen -wir das jauchzende
D-dur-Präludium, in dem Passagen sich neckisch nähern und fliehen ;
den Grabgesang in h-moll, wo nun wirklich in dem leise fortklingen-
den H der Oberstimme das Sterbeglöckchen läutet, das in A-dur,
dessen naive Lust am Tanz nicht mißzuverstehen ist.
Da halten wir still. In fis-moil schreit und bebt ein in seinem
seelischen Gleichgewicht Erschütterter. Dieses Präludium ist aus
;iefster Seelenangst geboren. Es trägt uns mitten in die Phantastik
von Majorka. George Sand war, so heißt es, mit ihrem Sohn Mau-
rice ausgegangen, von einem Gewitter überrascht worden und erst
am folgenden Tag zurückgekehrt. Sie trafen einen Halbirren an.
Entgeistert, mit wirrem Haar starrte er sie an und ging ihnen mit
den Worten entgegen: „Ich wußte wohl, daß ihr gestorben seid/'
Dann soll er dieses Präludium gespielt haben, das ein ununterbroche-
ner Sturm des Rhythmus und der Modulation ist; und der traurige
Gesang, der sich zwischen ihnen hinzieht, hat etwas Atemloses. Doch
es war ein musikalisch unversehrter Geist, ein Meister gefühlter
Farbe, der ihn schuf.
Von hier zum gläubigen Hinsinken (in E-dur) ist es nur ein
Schritt. Aber ahnten wir je, daß das Gebet des Einsamen uns so
tief ergreifen könne? Es tönt durch die weiten Hallen des Klosters
Valdemosa; es sucht der Zerrissenheit Herr zu werden. Unter der
Singstimme, die den Glauben kraftvoll betont, strömt des Herzens
168
Pein aus; und der Musiker geht staunend den verschlungenen har-
monischen Pfaden nach, die in zwölf Takten Ausblicke in ein Wun-
derland eröffnen. So erstarrt ihm auch das Lächeln über die selt-
same Deutung der angeblich Eingeweihten: hier soll Chopin, in der
Oberzeugung, er könne nichts mehr erfinden, sich den Kopf mit
einem Hammer zerschlagen haben, um nachzusehen, woran es fehle.
Nein, es ist Verständnislosigkeit, die das Lyrische ins Dramatische
wenden will.
In cis-moll gibt's eine Begegnung zwischen Chopin und jenem
Schumann, dem er innerlich fremd war: „Vogel als Prophet" und
dieses Präludium mit seinen flatternden Sechzehnteln, die ganz gut,
wie man sie deutete, einem Nachtfalter gehören können, scheinen
aus der gleichen Romantik erwachsen. Wer aber tiefer dringt, dem
entweicht hier Chopin, wo Schumann, der Seher, den Blick noch
verträgt. Auch die Libelle, die im folgenden — in H-dur — einen
Bach umkreisen soll, mag man gelten lassen; es ist eine unbeschreib-
liche Anmut in diesem Stück mit den reizenden Krümmungen der
Bässe. So ließe sich wohl auch an ein Schäkern zwischen Lieben-
den denken.
Im folgenden (gis-moll) Präludium dagegen wollte man Schwer-
ter blitzen sehen; George Sand, die Ungetreue, wäre die Ursache
dieses phantastischen Duells gewesen. Als ob Chopin je einen Men-
schen zum Vertrauten seiner Eifersuchtsqualen gemacht hätte. Ein
rasender, echt polnischer Tanz ist's, der uns ein stürmendes Innere
verrät; und aus dem Grund von Schwermut, aus dem Moll steigen
immer neue Kühnheiten auf, wie sie nur der Mazurkenkomponist
ersinnen konnte. Dieser Sturm hat in einer prachtvollen Schluß-
wendung ausgetobt; und schon hören wir in Fis-dur den Sänger der
Nocturnes unter Tränen lächelnd eine seiner schönsten Weisen an-
stimmen. Die Gespenster bedrängen ihn ; die LInisonostimmung im
letzten Satz der b-moll-Sonate taucht in es-moll, aber skizzenhaft
und weniger erschütternd auf.
Auch die Sammlung der Präludien enthält Stücke, die von ganzen
Generationen, nicht immer pietätvoll, betastet worden sind. So das
in Des-dur. Hier sollen Regentropfen das wiederholte As, das durch
enharmonische Verwechslung sich dann in Gis wandelt, geschaffen
haben. Gut; aber wenn je Natur durch ein Temperament gesehen
169
wurde, so geschah es hier. Lösen wir von dieser Phantasie die
Schicht von Banalität; erfreuen wir uns an der Lieblichkeit des Ge-
sanges, empfinden wir die düstere, gespenstische Stimmung des
Mittelteils, in dem der Geist des Kartäuserklosters sich mit dem
Klang jener Tropfen zu mischen scheint. Dann wird der Über-
gang zum b-molI-Präludium, in dem Passagen über hastenden, schwer
akzentuierten Bässen heulen, nicht schwer sein. Es ist ein Wunder.
Von Majorka fliegen wir nach Paris. Das As-dur-Präludium
ist nur hübsch, nur anmutig; das einzige, in dem das kleine Format
des Gedankens und die übermäßige Sorgfalt der Ausführung sich
widersprechen. Mag sein, daß eine Liebesszene auf dem Notre-
Dame-Platz geschildert ist, obwohl die Sprache der Liebe in Chopin
anders klingt. Da er aber nicht sich selbst meinte, braucht die
Kühlheit nicht zu befremden. Und der Ton der Glocken scheint
in dem orgelpunktmäßigen tiefen As, das lange über den Harmonien
schwebt, unverkennbar.
Ganz anders dramatisch aber, drängend, alle Grenzen über-
schreitend, ist der rezitativische Sturm des f-moll-Präludiums. Der
Balladengeist erwacht. Will da jemand einen Unglücklichen sich
von der Höhe eines Turms in die Tiefe stürzen sehen, so dürfen
wir ihm zustimmen ; aber auch das Ringen mit dem Schicksal, an
dem die Kraft des Sterblichen zerschellt, kann keinen packenderen
Nachklang finden. Von da zu dem Es-dur-Zauber des nächsten
Stückes ist's unendlich weit. Der zweistimmige Satz erlebt einen
neuen Triumph ; und ein kaum für Augenblicke getrübtes Glücks-
gefühl sucht nach den höchsten Spannungen. Dem Himmelhoch-
jauchzenden folgt die Todestraurigkeit: ein Trauermarsch c-moll von
zwölf Takten, der aber volltönig, nuancenreich einherschreitet.
Ins Herz geschlossen habe ich das folgende Präludium in B-dur.
Es hält sich in einem wundervollen clair-obscur. Die Bässe mit den
auseinanderstrebenden Achteln; die nervöse Harmonisierung, die der
Tonart etwas Schwebendes gibt; die Ges-dur-Episode, die sich auf
das b-moIl-Nocturne beruft; und das Schluß-Crescendo, das doch
wieder dem schmeichelnden Celloton weicht; all dies erbittet Zärt-
)ichkeit.
Der Schluß der Präludien rückt heran. Zweimal läutet es Sturm ;
m g-moll und d-moll. Und dazwischen schwebt jenes entzückende
170
F-dur-lntermezzo, das uns für den Schhiß noch einen kleinen Scherz
aufspart: einen Augenblick erheuchelt es einen Übergang nach B-dur,
um der Erwartungsvollen durch vollendete Harmlosigkeit zu spotten.
Aber von der Leidenschaft wird es überschrien. Grollend in
ohnmächtiger Wut fährt der Meister in die Bässe: hier haben sie,
die Stützen der Harmonien, das Sinnbild der Kraft, das Wort. Ein-
mal sind es Oktaven, die über die Hälfte der Klaviatur sausen und
in einem nach As-dur weisenden Des ihren Gipfel erklimmen. Das
andere Mal umkrampft die linke Hand alles, was ihr in der Region
des d-moll-Akkords erreichbar ist. Und die rechte schleudert Blitze.
Koloraturen und chromatische Terzen streifen ihre spielerische Ver-
gangenheit ab und bieten sich einem musikalisch bis an die Zähne
Gewappneten als Rüstzeug dar. Die Welt scheint in ihren Fugen
zu krachen. Denn dieses Präludium ward geboren aus der ersten
Verzweiflung über den Fall Warschaus ; da schäumte es noch in ihm
auf. Da sah er die Russen über Lebende und Tote hinwegstampfen.
Die Fland des Baumeisters ist aber noch nicht erlahmt. Der Schrei
ist künstlerisch gebändigt. Unter Kanonendonner, mit dreimal
pochendem Kontra-D versinkt die Welt.
Nach solchen Vorgängern vom Jahre 1839 kann ein 1841 nach-
geborenes Prelude in cis-moll kaum beachtet werden. Es ist ohne
Schlagkraft, halb Nocturne, halb Prelude, mit Nerven durchsetzt,
aber vom starken Melodiker nicht zusammengehalten. Anders tob-
ten die Stürme, leuchtete die Sonne, fiel der Regen, schreckten die Ge-
spenster in Majorka als in Nohant.
Der sterbende Chopin erscheint uns. Und zugleich der unsterb-
liche. Jener wollte mit einer Methode der Methoden, die nur Skizze
blieb, den Weg zur pianistischen Vollendung weisen ; dieser hatte
seinen ersten und letzten Willen in dem Schatz seiner Etüden nieder-
gelegt.
In Chopins Werken ist überall und nirgends die Etüde. Über-
all: denn es gab nur einen Chopin; den, der mit seinem Herzblut
schrieb, der in jeder Note die Schwingungen seiner Seele verriet.
Wo die Notenköpfe sich immer dichter folgten, die Passagen jube!-
171
ten und klagten, die Bässe in weiten Bögen von ewiger Sehnsucht
sprachen, da lächelte eine heimliche Etüde. Nirgends: denn Ohr,
Fingergefühl und Nerven dieses Unvergleichlichen konnten die land-
läufige Studie, die sich dem Teufel Technik verschrieb, nicht schaffen.
Das zwingende Genie in ihm duldete nicht die Scheidung zwischen
Nützlichem und üroßem; es konnte nicht anders als bahnbrechend
sein. „Ausdruck bis in die Fingerspitzen" war das Motto, das über
seinem Schaffen schwebte. Dieser Ausdruck war sein Ausdruck.
Und ein Künstler, der ihn vom Wohlklang tragen ließ, hatte sich
als Etudenkomponist selbst die Bahn vorgeschrieben. Aber der be-
geisterte Nervenmensch, der im Reich des Rhythmus und der Har-
monie ein beherrschender Neuerer war, fühlte hier ein Gesetz über
sich. Er hütete sich vor der Einseitigkeit. Gewiß : als Maestro hatte
er ein Zusammengehen des Geistes mit den Fingern gefordert. Aber
derselbe Kunstverstand, der den Weg von der Skizze zum Werk
so peinlich überwachte, leitete auch den Etudenkomponisten, der
an die Lernenden der Gegenwart und der Zukunft dachte. Ja, hier
war er siegreicher als dort. Hier gab ihm die technische Idee die
Kraft, in kleinen Stimmungsbildern alles, was ihm dem höchsten
Ausdruck zu dienen schien, nebeneinander zu setzen. Er will die
Finger durch das Gewissen des Anschlags leiten lassen. Wer diese
vierundzwanzig Etüden, denen sich noch drei für die Methode von
Moscheies und Fetis geschriebene anreihen, in ihrer Gesamtheit über-
schaut, staunt und staunt. Da mußten die Clementi, Cramer u. a.
sich selbstverständlich in eine dunkle Ecke flüchten. Waren sie
aber darum ganz aus dem Feld geschlagen? Das Reich Chopins
war groß; und die unbegrenzte Liebe zum Klavier hatte ihn hellsich-
tig gemacht. Ein Ahnungsvoller schuf das Mögliche zum Natür-
lichen um; lenkte von der geraden Straße in Seitenwege ab; schenkte
den Fingern die völlige Bewegungsfreiheit, die der Ausdruck fordert.
Durfte so der Nervenmensch der Zukunft das neue technische Funda-
ment mit seinen schier unbegrenzten Möglichkeiten frohlockend be-
trachten, so blieb doch eine grandiose Einseitigkeit: diese Technik
diente nur einer Kunst, die in der Linie der Chopinschen lag. Sie
konnte den Adepten in einen Zauberwald Iocken, aus dem er nicht
wieder herausfand. Der Dichtergeist, der diese Kunst gebar, hatte
die transzendentale Mehrstimmigkeit in eine höchst sinnliche um-
172
prägen müssen ; damit war der linken Hand, die dort unermüdlich
und gleichberechtigt mitschaffte, nur die Rolle einer schönen, hin-
gebenden Geliebten zugewiesen. Ihre Arbeitsleistung war begrenzt;
meist hatte sie mit der Rechten mitzugehen, sich von ihr tragen zu
lassen ; sprach sie allein, dann mied sie fast stets jene Skalen, die
das Pedal in wüstem Lärm unter sich begraben würde; die Ober-
tasten in stetem Wechsel mit den Untertasten stützen die perlen-
den Läufe ; Krümmungen und Spannungen, die zu belasten scheinen
und doch entlasten, gebot der Dichter; und das Pedal, das den
Klang bat zu verweilen, erwiderte seine Willigkeit mit Nachsicht
für die Schwächen der Linken. Zweimal nur scheint diese hier
tonangebend: in op. 10 Nr. 12, wo der Wutanfall des Patrioten
wieder einmal alle Schranken niederreißen möchte, und in op. 25
Nr. 7, wo das Klavier den Spuren des Cellos folgt. So öffnen diese
Etuden-Poesien die Pforten in ein Wunderland, aber sie sperren den
Weg zur Heimat der Musik, wenn sie der Lernende nicht schon vor-
her aufgesucht hat. Chopin wußte das. Er selbst war ja von ihr
ausgezogen und hatte den Inventionen, dem wohltemperierten Klavier
die von allen bestätigte außerordentliche Ebenheit seines Passagen-
spiels zu danken. Er wußte es; und bei allem Bewußtsein von dem
Schwergewicht des Eigenen ließ er seine Schüler von Cramer zu
sich aufsteigen. Er achtete auch Moscheies. Diese beiden suchten
ja auf dem Weg des Herkommens die Etüde aus sandigem Grund
zu lösen. Dem antipianistischen Titanen Beethoven vorzubauen, galt
dem Selbstsicheren an sich wenig; aber Mozartscher Kantilene durch
verfeinerten Anschlag die Bahn frei zu machen, dünkte ihn er-
strebenswert.
Dies alles sich im Angesicht Chopinscher Etüden und mit ihrem
zauberischen Klang im Ohr vorzuhalten, ist nicht leicht. Um so
freudiger aber muß man bekennen, daß sie das Ideal der Klavier-
musik überhaupt darstellen. Sie zeigen bisher die letzte Lösung des
Problems, wie Poesie und Technik sich so umschlingen können,
daß alles Gärende, alles Mißklingende von selbst entweicht; sie
sind einzig. Bedenken wir aber, daß diese zur Hälfte 1833, zur
andern 1837 erschienenen Gedichte ein Teil des Reichtums waren,
den Chopin von Warschau nach Paris trug, dann fühlen wir erst
recht, wie diese Erscheinung sich abseits von allem Gewöhnlichen,
173
nur Talentvollen hält. Jugendliche Frische und höchste Originali-
tät gepaart: es ist das Höchste, was die Kunst leisten kann.
Auch die Etüden teilen sich wie die mit ihnen in der Physio-
gnomie und Schlagkraft innig verwandten Präludien einer gleich-
gestimmten Seele sofort mit; auch sie müssen als Ganzes empfunden
werden, um nichts von ihren leuchtenden Farben einzubüßen.
C-dur-Jubel. Wieder läßt Chopin klassisch dem Vorzeichenlosen
das erste Wort. Aber da schreitet er auch wieder mit Dezimen über
jedes Vorbild hinaus. Die weit auseinanderliegenden Akkorde, die er
als Kind schon suchte, sind hier zu Nutz und Frommen aller seiner
Freunde in großen Lettern niedergeschrieben. Und wie mußte sein
Geist die Finger beherrschen, wenn er diese Spannungen mit seiner
kleinen Hand bewältigte! War er da nicht (nach Worten Stephen
Hellers) die Schlange, die eine Beute ergriff? Auch die nächste
Etüde in a-moll mochte er für sich selbst erfunden haben. Dem
störrischen vierten Finger war sie bestimmt, der in Gemeinschaft
mit dem dritten und fünften der herrlichsten, berauschendsten Chro-
matik zu dienen hatte. Festgebannt als Stütze der Harmonie blieb
der entthronte Daumen. So vereint leuchten sie in Wagners Reich
hinein. Aber in der folgenden schon (in E-dur) muß der technische
Zweck sich ganz und gar vor der Poesie flüchten. Hier ersann er
ja nach eigenem Geständnis die schönste, herrlichste Melodie. Sie
rief ihm die Vision der Heimat herbei. Alles, womit Chopin ver-
führt, hier liegt es ja in zarter Umhüllung vor uns. Es ist, als ob
dem Komponisten der Etudengeist bei der Niederschrift erstarrt
wäre. Der Blick auf die Doppelgriffe der Sechzehntelnoten läßt einen
Sturm ahnen ; aber ein Lento ma non troppo hält die Finger zurück,
und ein Duft strömt uns zu, daß wir uns nur hingeben können. Wir
möchten sehen und entdecken den Zauber in den Mittelstimmen,
die der wechselnden Oberstimme meist in gleichen Sechzehntelpaaren
folgen und in der Umarmung die seltsamsten Zwielichtklänge schaf-
fen. Es kommt Bewegung hinein ; ist's die Etüde oder die Leiden-
schaft, die diese überraschenden, vorahnenden verminderten Sept-
akkorde zeugte? Aber wieder senkt sich, nur noch berauschender,
das Halbdunkel nieder. Der Dominantklang ist der Zauberer. Er
gibt Spannungen und läßt dann die Seele durch Schwebungen er-
zittern.
174
Nachdem ich hier, wo ich liebte, verweilt habe, mag ein Streif-
zug durch die folgenden Etüden genügen. Ihr Wesen haben sie
uns längst enthüllt. In cis-moll ist der Rhythmus straff, und die
Finger scheinen zu schwerer Arbeitsleistung angehalten. Doch der
erste Eindruck trügt, und der Geist braucht nicht zu darben. In
Ges-dur hat die Phantasie die seltsame Kaprize gehabt, die Ober-
tasten nicht zu verlassen. War's wirklich nur eine Laune oder eine
Liebeserklärung an den von ihm bevorzugten Teil der Tastatur?
Sie wurde auch erwidert. Das silberne Lachen anmutiger Damen
braucht sich kein anderes Echo zu wünschen. Aber der Flug wird
durch die fehlende Septime gehemmt. Die Nerven schweigen. Die
freieren Bässe mühen sich vergeblich ab, in die Salonstimmung
Bresche zu legen. Chopin selbst dachte nicht hoch von dieser weib-
lichen Fingern willkommenen Etüde; als Clara Schumann während
seiner Abwesenheit sie in Paris im Konzert als einziges Muster der
Gattung vorführte, war er von dieser Wahl nicht eben erbaut. Der
nächsten aber, in es-moll, mag er sein Herz geschenkt haben. Sie
ist aus dem Urgrund seiner Seele geschöpft, sie hat eine schwer-
mütige Melodik, sie ist von einer gewundenen Figur geleitet, sie
lächelt im E-dur-Mittelteil unter Tränen. Wo der Wille zum Auf-
schwung gebrochen ist, das Schwelgen in der Wehmut die Erobe-
rungszüge auf der Klaviatur eindämmt, macht die Herzensnot er-
finderisch im Modulieren; hier ist's gut sich zu versenken. Wir
sind nun wieder in C-dur. Aber wieviel hat hier der fröhliche Geist
des Dichters hineingeheimnißt? Während er im Fingerwechsel auf
derselben Taste dem Handgelenk schwere Prüfungen auferlegt, läßt
er mit Glöckchenklang einen Schlitten dahinjagen. Durch die Steppe
nach Sibirien, wie Hoesick meint? Nein, solche Tragik liegt nicht
dahinter. Fröhlichkeit wird Jubel in der folgenden F-dur-Etude,
die nicht vor Rätsel stellt. Die Schwermut der Nr. 9 in f-moll mit
starken Baßspannungen scheint mir nicht verzweigt genug. Aber die
in As-dur führt wieder ein Feuerwerk des Geistes herbei. Pikante
Gegensätze des Anschlags, des Rhythmus, das enharmonische Glei-
ten nach E-dur, das zärtliche Sichanschmiegen der beiden Partner
lenken liebenswürdig von den Klippen ab, an denen der Maestro
schalkhaft vorbeisegelt. Süße Arpeggien dringen ans Ohr; der
Zauber einer Serenata, dargebracht von dem feinsinnigsten aller
175
Musiker. Es ist die Es-dur-Etude Nr. 11. Beschlossen aber wird das
op. 10 mit einer Huldigung an das Vaterland, die als Revolutions-
etude mit ihren grollenden Bässen, ihren artikulierten Schreien einzig
dasteht und die Brücke bildet zu dem Schöpfer der g-moll-Ballade,
der b-moll-Sonate und der Scherzi.
Wie friedvoll leitet jene von Schumann so fein nachempfundene
As-dur-Etude das op. 25 ein! Es ist eine Dreiklangseligkeit, die doch
die gemeine Menge fernhält. Der Hirt, der die Schalmei blies,
war ein Dichter. Marie Wodzinska ist die Muse, die der zweiten
in f-moll ihre beschwingte Anmut auf dem Grund polnischer Schwer-
mut lieh. Gewiß mehr Seele, als sie besaß. Robert Schumann hin-
gegen wollte hier ein Kind leise, reizend, träumerisch im Schlafe
singen hören. Wie muß unser Meister selbst im Spiel diese Perlen
aneinandergereiht haben! Ein Notenbild wie das der folgenden in
F-dur ward noch nie gesehen. Da lacht wieder der Schalk, der meist
um zwei Achtel rhythmisch merkwürdig und harmonisch fesselnd
herumkomponiert. Hastig atmet die in a-moll, die Legati und Stak-
kati sich feindüch und doch freundlich gegenübertreten läßt. Mit
dem Ornament spielt ein wenig ironisch die in e-moll. Und die in
gis-moll mit ihren Terzenketten ist ein Wunder, das immer nur von
Meisterhänden und von einem Geist, der das Halbdunkel liebt, neu
geschaffen werden kann. Die nocturnenhafte Melancholie im fol-
genden cis-moll-Stück singt sich in mitempfindende Seelen von selbst
ein. Im Des-dur-Vivace jauchzen die Sexten ; feiert der Klangsinn ;
und nicht zum wenigsten da, wo Quinten- und Oktavenparallelen
vom Sforzando herabsteigen: eine Herausforderung von stärkster
Überzeugungskraft an die Philister. Eine reizende, kaskadengleiche
Jagd von einfachen, doppelten Noten und Oktaven ruft in Ges-dur
Nr. 9 den Geist des Frohsinns herbei ; aber vertraut dem leichten
Handgelenk. Der Gespenster-Chopin fehlte bisher. Hier in den
wild jagenden Oktaven der h-moll-Etude steht er vor uns; und wie
immer sinkt er auch diesmal vor der Gottheit auf die Knie. War
hier der Krampfanfall das Zeugende, so möchte in den beiden Schluß-
nummern die männliche Kraft Großes gebären. Und es gelingt ihr
im Reich der Miniatur. In a-moll: ein Gebet zu Gott; erst leise
einstimmig gesprochen, dann vierstimmig, choralartig wiederholt;
über diesem Glaubensmotiv jagen in wilden Sprüngen die Passagen
176
hin; ein Donner dröhnt über die Tasten; der Wind pfeift. In c-moH
graben sich beide Hände ohne Unterlaß rasend, weitausgreifend,
Säulen aufrichtend, den Weg. Wer in Chopins Seele zu lesen versteht,
fühlt hier und dort den Aufruhr des polnischen Herzens. So endeten
die Präludien ; so auch jeder Teil der Etüden. Wie weit war doch1
der Weg von der gesunden Kraft des heiligen Sebastian zum ner-
vösen Aufschwung, zur Farbenfreudigkeit des unheiligen Chopin!
Die drei nachhinkenden Etüden in f-moll, Des-dur und As-dur
stören den Kreis, aber sie versöhnen bald, die letzte zumal durch
Charme und Klang, die sie den andern als ebenbürtige Genossin
anreihen.
Nach den Wundern der Präludien und Etüden, die zwei Welten
umfassen und auseinanderreißen, fällt der Vorhang.
WIR UND CHOPIN
Und nun richtet, wer aus starkem Trieb einem Meister der Ver-
gangenheit den neuen Epilog geschrieben hat, an sich die bange
Frage: „Wie stehen die Lebenden zu ihm?" Denn in ihrer Hand ruht
die Entscheidung. Sie dürfen, was als erstarrte Form ihr seelisches
Sein nicht mehr berührt, ablehnen. Akte der Pietät verbietet der
heilige Geist der Kunst, der die Entwicklung, die Entfaltung neuer
Kräfte will. Vor den Richterstuhl der Zeit also tritt auch Chopin ;
nicht jener, der nur für das Klavier dichtete, sondern der Musiker:
wieviel an ihm ist lebendig? Was sagt er den Menschen der Gegen-
wart, und was verheißt er der Zukunft?
Der bangen Frage wird die freudige Antwort: hier hat ein
Eigener so tief geschürft, daß er Schrittmacher der Modernen wurde.
Hier liegt eine Erbschaft vor uns, von der wir auch als Fürsprecher
des Fortschritts noch lange zehren.
Es gibt eine Romantik des Gemütes, die vielen abzusterben be-
ginnt. Robert Schumann, der tiefe deutsche Tondichter, scheint
leider stückweise solchem Schicksal verfallen. Aber es gibt eine
Romantik der Nerven, die uns gefangen hält Sie ist es, die uns
fest an Chopin, Berlioz, Liszt und Wagner kettet; die weltbürger-
liche, die fremdem Boden entsproß, zu uns kam und weiter Zweige
treibt. Diese Nervenromantik verehrt in Chopin ihren Vater. So
sehr, daß all das Sehnen unserer Zeit, ihre Kraft und ihre Schwähe
von ihm vorgeahnt ist.
Der Rausch der Enharmonik, den der Meister heraufführte, war
ein holder, aber gefährlicher Rausch. Während er die Nerven be-
törte, narrte er das Ohr. Die Umschlingung zweier Tongeschlechter
auf einer Stufe trug als Frucht gesteigerten Ausdruck, vertiefte Stim-
mung, glühenden Farbenreiz. Aber sie bedrohte die Feinhörigkeit
nicht minder als die Chromatik, die das Tonbewußtsein erschütterte.
Wie geschah es nun, daß jener Chopin selbst unter den Folgen seiner
Eroberungen nicht litt? Aus dem Gesang sog er, auch hier voran-
leuchtend, die Thematik, an ihm erneuerte er die Kraft der Erfindung;
an Mozart rankte er sich empor, solange er atmete. Aber es kam
auch ihm ein Augenblick, da Chromatik und Enharmonik den In-
stinktmusiker übermannte. Er drohte künstlich, nur geistreich zu
Weissmann, Chopin 12
178
werden. Die Selbstkritik machte ihn trostlos. Er fühlte die Mög-
lichkeiten seiner Kunst erschöpft. Auf dem Klavier, dem Reich
seiner schönen Träume, war jeder Weg begangen; es war umgittert,
es ließ ihn nicht entweichen.
Aber es gärte in ihm. Der Nervenmensch, der Dichter, konnte
der dunklen Gefühle Gewalt nicht mehr meistern. Dann entsagte
er dem' Wohlklang, dann streifte er die Fesseln ab und bekannte
die Unzulänglichkeit des Mittels, über das er allein gebot. Es ist
irrig zu glauben, daß Chopin nie unklaviermäßig gewesen sei. Er
war es dann, wenn der Sturm im Innern alles überschrie. Dann gab
er, der Zauberer des Wohlklangs, selbst dem Orchester das Zeichen,
daß es einzusetzen habe; dann barst ihm das Instrument unter den
Händen. Denn seine Stärke war es, daß er dem Klavier nie die
Sprache des Orchesters restlos abringen konnte. Es gab in ihm
Hemmungen der Innerlichkeit, die ihm ungeheure Blöcke in den
Weg stellten. Liszt, der Dramatiker, kannte sie nicht; er durfte
lyrisch ä la Chopin sein und doch ungestraft in Oktaven schwelgen.
Aber er stürmte gegen die Intimität des Tasteninstruments.
Der moderne Musiker, der hier ein Stück eigener Tragik fühlt,
ist dem Meister verschuldet für die Erkenntnis, daß die Verzweigt-
heit des Nervenlebens das Orchester fordert. Wagner war es ge-
gönnt, die Lösung zu bringen, die Liszt nur äußerlich gelang.
So wäre denn Chopin von der Entwicklung wieder zurück-
gestoßen? Aber die Sehergabe des Nervenmenschen reichte noch
weiter, über Wagner hinaus. Die Verästelung des Innern führte ihn
zu Kühnheiten, die den kühnsten Träumen Moderner vorbauten.
Dieser Musiker mit dem unerschütterlichen Tonalitätsbewußtsein läßt
sich vom Ausdruck gelegentlich bis zur Verneinung der Tonalität
treiben. Er wird so sehr Impressionist, daß ihm das Vorzeichen zu-
weilen nur noch Vorwand wird, ein Labyrinth zu durchschreiten, in
dem ihn ein souveränes Ohr vor dem Abirren bewahrt; und der starke
Rhythmiker sprang ihm hilfreich bei; auch er bereit, im Dienst des
Ausdrucks Vielgestaltiges nebeneinander zu setzen. Die physio-
logische Schwäche des feinfühligen Menschen befähigte ihn, „den
femininen Einschlag" des modernen Mannes und Musikers vorzu-
ahnen.
Doch scheint es überflüssig, den Meister noch länger vor der
179
Zeit zu rechtfertigen. Nötig aber ist's zu fragen, wie wir so köst-
lichen Besitz zu hegen haben. Denn überall da, wo Chopin er selbst,
wo er der Dichter des intimen Salons ist, hat er noch heute die
werbende Kraft, die außer ihm nur Wagner besitzt. Wie er, wendet
er sich an den Urgrund unseres Wesens, wie er, zwingt er mit seinem
Ich zu bedingungsloser Hingabe des anderen Ichs; zu einem fana-
tischen Bekenntnis, das keine anderen Götter neben ihm duldet. Wer
unsere geheimsten Wünsche, unsere Liebessehnsucht errät, macht
uns ungerecht gegen andere, die, größer, umfassender, mehr Ent-
sagung fordern.
Dem Weib schienen hier alle Kostbarkeiten zu Füßen gelegt
zu sein. Es verstand sogleich den Sinn der Huldigung. Sie war
nicht bedingungslos. So tat das Weib dem Musiker Chopin nur zu
oft weh. Es verzerrte ins Sentimentale oder ins Haltlose, was dieser
Feind des Melodramatischen als Dichter ausgesprochen hatte. In
ihm steckt doch ein gut Teil Gesundheit; und nur wer das fühlt,
wird sich vor dem Übermaß des Rubato hüten; wird den unver-
gleichlichen Rhythmiker ehren. Und wird auch unerschlafft den
Weg zur anderen Musik zurückfinden, den ihm der Genius zu
sperren schien.
Wie wir solchen Reichtum nützen sollen, sagt uns also der
Musiker mit dem starken Willen zur Gestaltung. Er war Welt-
bürger. Hatte er sich nach eigenem Geständnis den Franzosen wie
seinen Landsleuten angeschmiegt, so wollte er sich auch den Lor-
beer von der Welt, nicht nur von den Polen reichen lassen. Das ist
denen zu erwidern, die, wie Hoesick, ihn immer wieder als National-
polen für sich beanspruchen.
Wo ist die Tradition des Chopinspiels? Der Reiz dieser Indi-
vidualität, die in Noten nicht zu bannen war, ist nicht mehr in die
Welt zurückzuzaubern. Seine Schüler, selbst der feinsinnige Mikuli,
boten kaum einen schwachen Widerschein von ihr. Aber überall
klingt sein Werk wie am ersten Tage. Aus dem Klavier geboren^
wird es klingen, solange dieses Instrument noch Sitz und Stimme
unter den andern hat. Es erschließt sich denen, die der Poesie
des Klanges nachgehen, wie denen, die dem Dichtergeist nahen
möchten. Es sind die wenigsten. Denn das Klavier als kostbarster
Hausrat ist verdrängt. Und der Konzertsaal lebt von der Masse;
12*
180
sie läßt sich leichter vom Klang als von der Dichtung erobern. Ein
Wladimir von Pachmann gibt den seltenen, vollendeten Salon-Cho-
pin, ein Emil Sauer betont ihn, oft allzu männlich, mit straffem
Rhythmus. In beiden ist die überredende Koketterie, das ununter-
brochene Hinblicken auf die Umgebung, die sie zur Causerie stimmt.
Ihr Klang erbittet den Nachklang. Ein Moriz Rosenthal lebt in den
Mazurkas, die er, sonst eine allzu bewußte und deutliche Kraft-
natur, mit ihrem Duft den Tasten abschmeichelt. Ein Godowski
empfindet in Chopin das Spielerische und das Netz der Mittelstim-
men; er sucht es zu steigern und wurde in der Virtuosenlust ein
wenig pietätlos, als er die Technik von der Poesie löste und des
Meisters Etüden verdoppelte, ineinander verschränkte. Josef Pem-
baur, Konrad Ansorge endlich möchten den Pulsschlag des Her-
zens in Chopin hören. Und ihre Inbrunst wird belohnt. Doch Pem-
baur ist dem Meister näher, weil er auch das einzelne liebevoll pflegt.
Der Dichter aber, der einzige, nickt allen zu, die ihn ehren.
Er kennt viele Wege, die zu ihm führen, und jubelt über den satteren
Klang der neuen Klaviatur, die er vorfühlte. Er wohnt nun in reichen
Palästen wie in den stillen Wohnungen ; er entzückt Musiker, knüpft
Freundschaften, verklärt die Liebe. Nicht überall lebt er in zartem
Dämmerlicht; aber er hat gewonnen, was er ersehnte: den Weltruhm.
REGISTER ZU CHOPINS WERKEN
Aliegro de Concert op. 46 in A
151. 152.
Ballade
op. 23 in g 135. 136. 152. 174.
„ 38 in F 135. 136. 137.
„ 47 in As 135. 136. 137.
„ 52 in f 135. 138.
Barcarole op. 60 in Fis 141.
Berceuse op. 57 in Des 133. 134.
145.
Bolero op. 19 in C 127.
Ecossaisen op. 72. 127.
Etüde
op. 10 Nr. 1 in C 173.
, 2 „ a 173.
, 3 „ E 173. 174.
4 „ eis 174.
5 „ Ges 174.
6 ,, es 174.
7 „ C 174.
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10 „ As 175.
11 „ Es 175.
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, 2 „ f 55. 175.
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4 „ a 175.
5 „ e 175.
6 „ gis 175.
7 „ eis 172. 175.
8 „ Des 175.
9 „ Ges 175.
10 h 175. 176.
11 „ a 175. 176.
12 „ c 175. 176.
Etüde
in f 175. 176.
„ As 175. 176.
„ Des 175. 176.
Impromptu
op. 29 in As 139. 140.
„ 36 „ Fis 139. 140.
„ 51 „ Ges 140.
Introduktion u. Polonäse f. Klavier
u. Violoncello op. 3 in C 121.
Konzert für Klavier und Orchester
op. 11 in e 30. 33. 34. 40. 41.
51. 147—150. 151—152.
op. 21 in f 30. 31. 49. 146—152.
Krakowiak op. 14 in F 25. 26. 32.
145.
Lieder 158. 159.
Mazurka
op. 6 Nr. 1 in fis 106. 107.
., „ „ 2 „ eis 106. 107.
„ „ „ 3 „ E 106. 108.
„ „ „ 4 „ es 107. 108.
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„ 17 „ 1 „ B 108.
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in G (1S25) 114.
„ B (1825) 114.
„ D (1829/30) 114.
„ C (1833) 114.
„ a (ä Gailiard) 114.
„ a (Notre temps Nr. 2) 114.
Notturno
op. 9 Nr. 1 in b 129. 130. 169-.
Es 51. 129. 130.
15
27
131.
H 129. 130.
F 130.
Fis 130.
g 130.
eis 55. 56. 130.
op. 27 Nr. 2 in Des 131. 134.
32 „ 1 „ H 131.
„ „ 2 „ As 131.
37 „ 1 „ g 132.
,, „2,0 132.
48 „ 1 „ c 132.
„ „ 2 „ fis 132.
55 „ 1 „ f 133.
„ „ 2 „ Es 133.
62 „ 1 „ H 133.
„ „ 2 „ E 133.
72 „ 1 „ e (1827) 133.
Phantasie
op. 13 in A 145.
„ 49 „ f 142.
Phantasie-Impromptu op. 66 in eis
140.
Polonäse
op. 22 in Es 121. 122.
26 Nr. 1 in eis 122.
„ „ 2 „ es 122. 123.
40 „ 1 „ A 123. 151.
„ „ 2 „ c 124.
44 in fis 124. 125.
53 „ As 125. 126.
71 Nr. 1 in d 126.
„ „ 2 „ B 126.
.. ,. 3 „ f 126.
183
Polonäse
in gis (1822) 126.
„ b (1826) 126.
Polonäse-Phantasie op.61 in As 126.
Präludium
op. 28 Nr. 1 in C 166.
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Rondo
op. 1 in c 17. 18. 144.
„ 5 „ F 144.' 145.
„ 16 „ Es 145.
„ 73 „ C 145.
Scherzo
op. 2
0 in
h 161
. 175.
Scherzo
op. 31 in b 161. 175.
„ 39 „ eis 162. 175.
„ 54 „ E 162. 163. 175.
Sonate
op. 4 in c 152.
„ 35 „ b 81. 86. 144. 153 bis
156. 160. 169. 175.
op. 58 in h 144. 155—158.
„ 65 „ g für Klavier und
Violoncello 157. 158.
Tarantelle op. 43 in As 127.
Trauermarsch op. 72 in c 159.
Trio für Klavier, Violine, Violon-
cello op. 8 in g 152. 157.
Variationen op. 12 in B 49. 146.
„ über La ci darem la mano
op. 2 in B 25. 146. 147.
Variationen über ein deutsches
Thema in E 159.
Walzer
op. 18 in E 116.
„ 34 Nr. 1 in A 116.
„ „ „ 2 „ a 116.
„ „ „ 3 „ F 116.
„ 42 in As 116. 117.
„ 64 Nr. 1 in Des 116.117.118.
„ „ „ 2 „ eis 116. 118.
„ „ „ 3 „ As 116. 118. 119.
140.
op. 69 Nr. 1 in f 55. 116. 119.
„ „ „ 2 „ h 116. 119.
u 70 „ 1 „ Ges 116. 119.
„ „ „ 2 „ f 116. 119.
„ „ „ 3 „ Des 116. 119.
in E (1829) 119.
„ e 116. 119.
NAMENREGISTER
d'Agoult, Marie 60.
Ansorge, Konrad 180.
Artot, Geiger 57. 71.
Auber 42.
Bach 14. 18. 48. 50. 71. 90. 92.
93. 112. 155. 164. 165. 166. 168.
Baillot 43.
Balzac 67.
Beethoven 18. 24. 26. 31. 37. 43.
50. 69. 82. 87. 89. 142. 147.
155. 160. 172.
Bellini 52. 81. 99.
Beriot 43.
Berlin 19. 20. 21. 24. 26. 31. 44.
Berlioz 42. 50. 51. 65. 80. 87. 177.
Blahetka, Leopoldine 26.
Böhmen 14.
Bonn 69.
Brahms 90. 113.
Breslau 36.
Brodzinski, Kasimir 13.
Bülovv, Hans v. 165.
Burmeister, Richard 145.
Byron 77.
Catalani 79.
Cherubini 44.
Chopin, Emilie (Schwester) 12.19.
41.
Isabella (Schwester) 12.
- Justine (Mutter) 11. 12. 14. 41.
54. 80. 84.
Luise (Schwester) 11. 12. 13.
44. 68. 69. 71. 80.
— Nikolaus (Vater) 11. 12. 13. 41.
44. 45. 55. 65. 68. 80. 84. 90.
Cimarosa 21.
Clementi 171.
Clesinger 72. 80.
Cramer 48. 171. 172.
Custine, Marquis de 57.
Czartoryski 17. 44. 52. 70. 78. 79.
Czerny 26. 27.
Delacroix 8. 42. 67. 70. 79. 87. 100.
Döhler 66.
Dresden 36. 55.
Dudevant 59.
Edinburgh 77.
Ehlert, Louis 130.
Eisner, Joseph 18. 19. 23. 25. 34.
35. 36. 40. 44. 109.
Ems 57.
England 8. 75.
Erkine Mrs. 77.
Fetis 49. 171.
Field 36. 48. 50. 129. 132.
Filtsch 71.
Fontana, Julian 65. 66. 71. 76. 89.
96. 114. 158.
Franchomme, Auguste 45. 51. 71.
72. 114. 157. 158.
«Fuchs, Alois 145.
Gavard 79.
Genf 56.
Genua 66.
Gladkowska, Konstanze 28. 32. 33.
34. 39. 41. 45. 147.
Glasgow 77.
Glinka 107.
Godowski, Leopold 180.
Goethe 82.
Grieg 107.
Grzymala, Graf Albert 62. 78.
Gumbert 158.
185-
Gutmann, Adolf 71. 79.
Gyrowetz 15. 26.
Habeneck 43. 122.
Halevy 146.
Händel 21.
Haslinger, Tobias 24. 37.
Haydn IS.
Heine 20. 52. 58. 59. 65. 100. 103.
Heinefetter, Sabine 39.
Heller 24. 173.
Herold 146.
Herz 43. 44. 50.
Hesse, Ad. Friedr. 36.
Hiller 44. -15. 50. 51. 69.
Hoesick 9. 56. 174. 179.
Hoffmann, E. T. A. 21.
Hugo, Victor 42.
Humboldt, Alexander v. 20.
Huneker 9.
Hummel 18. 24. 31. 37. 48. 92.
94. 121. 144. 147. 151.
Jarocki, Prof. 20.
Jelowiecki, Abbe 80.
Italien 32. 50. 66. 141.
Kahrer, Laura 165.
Kalergis, Mme. 165.
Kaiisch 35.
Kalkbrenner 43. 46. 47. 49. 51.
79. 147.
Kapp, Julius 165.
Karasowski 8. 11.
Karlowicz 9.
Karlsbad 54.
Keßler, Jos. Kristoph 31.
Kiengel, Alex. Aug. 27. 36.
Klindworth 151.
Kolberg, W. von 19.
Kosziusko 21.
Krakau 27.
Kreutzer 26.
Kurpinski, Kapellm. 23.
Kwiatkowski, Taddäus 80.
Lablache 43.
Lachner 26.
Lanner 42.
Legouve 70.
Leichtentritt 9.
Leipzig 55.
Lenz, Wilh. v. 70. 165.
Leo, Bankier 65.
Leroux, Pierre 67.
Lescynski, Stanislaus li.
Lichnowsky, Graf Moritz 26.
Lichtenstein, Prof. 21.
Lind, Jenny 76. 79.
Linde, Samuel 13.
Liszt 8. 9. 19. 43. 44. 45 u. ff .
84. 87. 90. 97. 102 u. ff. 120.
121. 146. 147. 154. 159. 160. 165.
177. 178.
London 40. 57. 76. 77. 78.
Louis Ferdinand, Prinz von Preu-
ßen 31.
Lyszynski, Arzt 77.
Malfatti, Dr. 37. 40.
Malibran 42.
Manchester 77.
Marienbad 55.
Marliani, Madame 67. 75.
Marseille 66.
Marx 21.
Matuzcynski, Jan 15. 36. 38. 68.
Mendelssohn 21. 45. 50. 55. 155.
Merk, Cellist 37.
186
Meyerbeer 45. 79. 111.
Mickiewicz, Dichter 120. 134.158.
Mikuli 179.
Molin, Arzt 78.
Moriolles, Alexandra de 17. 33.
144.
Morlacchi, Kapellmeister 36.
Moscheies 17. 39. 65. 101. 171.
172.
Moskau 41. 57.
Mozart 18. 24. 32. 45. 48. 80. 81.
87. 90. 92 u. ff. 144. 146. 172.
177.
Müller, Friederike 71. 103.
München 40.
Musset 58.
Nancy 12.
Neapel 66.
Neukomm 65.
Nicode 152.
Niecks 8.
Nizza 80.
Nohant 59. 66. 67. 68. 170.
Norwid, Cyprian 79.
Nourrit 42. 66.
Onslow 21.
Orlowski 32. 57. 70. 158.
Osborne 45.
Ostende 79.
Pachmann, Wladimir v. 180.
Paganini 24. 33. 34. 37. 50. 94.
Palma auf Majorka 64. 162. 164.
167. 169. 170.
Paris 15. 21. 30. 40. 41 u. ff. 51
u. ff. 58. 59. 65 u. ff. 75 u. ff. 87.
88. 90. 96. 115. 169. 172. 174.
Pasta 42.
Pembaur, Josef 180.
Pixis 27.
Plater, Gräfin 52, 54. 70.
Pleyel, Camille 57. 64. 65. 79.
Polen 11. 12. 15. 31. 55. 56. 61.
76. 100. 111. 120. 124. 135.
Potocka, Gräfin Delphine 80. 118.
Prag 27.
Probst, Verleger 65.
Radziwill, Fürst 17. 19. 31. 52.
121.
— Prinzeß Elise 31.
— Prinzeß Wanda 31.
Reber, Henri 81.
Rellstab 21. 54.
Ries 18. 31.
Rolla, Geiger 36.
Rosenthal, Moriz 180.
Rossini 14. 42. 45.
Rubini 42.
Sauer, Emil 180.
Sand, George 57 u. ff. 74 u. ff. 79.
88. 95. 118. 167. 168.
— Maurice 59. 64. 72. 167.
— Solange 58. 59. 72 u. ff. 78.
79. 80.
Scharlitt, Bernard 9.
Scharwenka, Xaver 122.
Scheffer, Ary 74.
Schiller 15.
Schlesinger, Maurice 65.
Schmitt, Alois 39.
Schnabel, Kapellmeister 36.
Schottland 77.
Schröder-Devrient, Wilhelmine 42.
Schubert 25. 139. 159.
187
Schumann 7. 53. 55. 87. 90. 102.
114. 127. 136. 146. 155. 168.
175. 177.
— Clara 174.
Schuppanzigh 26.
Sembrich, Marcella 114.
Seyfried 26.
Skarbeck 11. 17. 56.
Slavik, Geiger 37.
Slowacki, Dichter 56.
Smithson, Henriette 50.
Soliva, Gesangslehrer 23. 33. 34.
Sontag, Henriette 33.
Sowinski, Albert 53. 70. 96. 158.
Spanien 55. 127.
Spohr 31. 148.
Spontini 20. 21.
Stattler 74.
Stirling, Jane 11. 75 u. ff.
Strauß, Johann 37.
Stuttgart 41.
Tarnowski 9.
Tausig 151.
Thalberg 39.
Tieck 150.
Torphichen, Lord 77.
Viardot, Pauline 67. 77. 114.
Wagner 9. 83. 84. 89 u. ff. 97u.ff.
126. 173. 177 u. ff.
Warschau 8. 12 u. ff. 31 u. ff. 37.
41. 42. 44. 54. 65. 72. 74. 79u,ff.
85. 88. 105. 166. 170. 172.
Weber 21. 146.
Wien 24 u. ff. 36. 37. 39 u. ff. 44.
105.
Witwicki, Dichter 45. 158.
Wodzinski, Anton 56. 57. 127.
Wodzinska, Maria 55. 56. 57. 61.
175.
Wojciechowski, Titus 20. 23. 27.
u. ff. 33 u. ff. 41. 45. 61. 79.
86. 96. 150.
Wolicki 17.
Würfel, Kapellmeister 25.
Zelazowa Wola 11. 35.
Zaleski, Dichter 158.
Zelter 21.
Zywny, Albert 14. 15. 17.
im gleichen Verlag erschien von demselben Verfasser:
BERLIN ALS MUSIKSTADT
Geschichte der Oper und des Konzertes von 1740 bis 191 1
Mit 102 Bildern
Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark
Eine eminent wertvolle Gabe! Sie nötigt mich zum Dran-
geben aller Reserviertheit und zu der überzeugtesten Aufforderung an alle
ernstlich für das Musikleben unserer Zeit interessierten Leser: Kauft und
lest, was in seinem meisterhaft klar, kurz und bündig
geschriebenen historisch-kritischen Resümee „Die Musik der Weltstadt"
ein wahrhaft Wissender über alles Berliner Musikleben zu sagen gewüßt
hat. Ich habe Dr. Weißmanns Schilderung als eine ganz aktuelle Musik-
geschichtschreibung erfunden, an den vielen scharf charakterisierenden Be-
wertungen moderner Größen Freude gehabt und den scharfsinnigen Erörte-
rungen des Verfassers größtenteils vorbehaltlos zustimmen müssen.
Prof. Arthur Smolian in der Leipziger Zeitung
Das großangelegte, verdienstliche Werk, die Frucht un-
endlich mühsamer Sammeltätigkeit, mannigfach verzweigter Studien, schwie-
riger kritischer Untersuchung, ungewöhnlichen Fleißes und vieler Mühe
stellt sich uns hier in gewinnend liebenswürdiger Form dar. Diese Studien
zur Geschichte der Kunst sind selbst zu einem Kunstwerk geworden.
Berliner Börsen-Courier
Von diesem Buche gilt in Wahrheit das Wort, daß es eine Lücke
ausfüllt, die wir längst empfanden; eine solche Geschichte der
Musik im Zusammenhange besaßen wir bisher nicht! Es ist ein Ver-
dienst, sie geschrieben zu haben, und dem Verfasser ist dies besonders
hoch anzurechnen, da nach Inhalt und Form das Werk gleich vortreff-
lich ist. Es war keine leichte Arbeit, die er geleistet hat. Der zu be-
wältigende Stoff lag zum Teil versteckt, zum Teil ungeordnet da. Das läßt
der Autor den Leser indes nicht merken, da er ihn auf glattem, ebenem
Wege dahinführt.
Norddeutsche Allgemeine Zeitung
Ein höchst beachtenswertes Buch, das die erste zusammenhängende
Darstellung der Entwickelung des musikalischen Berlins ist. Weißmann hat
mit diesem großangelegten Werk eine Arbeit geleistet, die schon
der Quantität nach außerordentlich achtunggebietend ist! Das schwierige
Problem, bei wissenschaftlicher Gründlichkeit das überreiche Material inter-
essant und anregend darzustellen, hat Weißmann vollkommen gelöst. Die
Gruppierung des Stoffes, der mühselig und geduldig aus den alten Zeitungen,
Zeitschriften, Memoirenwerken und Biographien zusammengetragen werden
mußte, ist klug und übersichtlich. Manche Kapitel bringen Neues und
Interessantes ans Licht. Das Schlußkapitel gehört zum Geistreich-
s t c n , was in letzter Zeit über Musik, Musiker und öffentlichen Musik-
betrieb geschrieben worden ist. Das ganze Buch aber ist ein
kulturgeschichtliches Dokument.
Roland von Berlin
„Berlin als Musikstadt" ist ein schön ausgestattetes Buch, in welchem
die musikalischen Ereignisse von 1740 bis zur Gegenwart mit großer Sach-
k e n n t n i s und einer Fülle interessanter Details dargestellt werden.
Rheinische Musik- und Theater-Zeitung
In ebenso ausführlicher, wie anregender Weise wird die allmähliche
Entwickelung der Oper, der Konzerte, werden die verschiedenen Kunst-
strömunger und Anschauungen geschildert. Ein gediegener Bilderschmuck
macht das nicht bloß für das Berliner Musikleben, sondern auch für die
Entwickelung der Musik überhaupt hochinteressante
Werk noch besonders wertvoll.
Hannoverscher Courier
Es ist keine statistische Aufzählung, kein dürrer Katalog, den uns
Weißmann vorlegt. Frisch und flott geschrieben, gründlich, ohne Pedan-
terie, von unbefangenem Standpunkt, in scharfpointierten Urteilen er-
weist sich das Buch als eine unterhaltende und inhaltsreiche Lektüre,
als eine musikalische Kulturgeschichte.
Berliner Tageblatt
Alle Hauptpunkte unserer Musikentwicklung vereinigt Weißmann mit
seiner prägnanten Sprache zu einem lebendig-wirkenden Ganzen und schafft
so ein Werk, das nicht nur für den Musiker und Musikfreund von hohem
Wert ist, sondern das jeden Gebildeten interessieren und fesseln muß,
da es ein gewaltiges Stück Berliner Kulturgeschichte um-
faßt. Das durchaus zeitgemäße, vornehm ausgestattete Werk dürfte bald
in keiner Bibliothek fehlen.
Berliner Börsenzeitung
Eine Fülle von gründlicher Detailarbeit ist in dieses inter-
essante Buch versenkt. An unzähligen Stellen des Bandes tauchen De-
tails auf, die der Verfasser aus den verborgensten Quellen geschöpft hat,
und mit das Reizvollste an dem Werke ist die Art und Weise, in der er
längst Verschollenes mit unserer heutigen Zeit in Verbindung zu bringen
weiß. Alles in allem eine sehr willkommene, ernste und tief-
gründige Arbeit, die kommenden Zeiten tatsächlich als wertvolle
Quelle der Musikgeschichte dienen können wird.
Hamburger Fremdenblatt
Der Band birgt neben manchem, was als historisches Material bekannt
ist, eine reiche Fülle von Einzelheiten, die auf Grund glücklichen und mit
viel Sachkenntnis unternommenen Quellenstudiums wirklich als eine wert-
volle Bereicherung des mu s i k ge s ch i chtliche n Wissens
dankbar begrüßt werden kann. Das flott und anregend geschriebene
Buch ist die Erfüllung eines kulturgeschichtlichen Be-
dürfnisses.
Berliner Morgenpost
Die Leistung als Ganzes verdient Lob und Anerkennung. Was
man sonst in Musikgeschichtswerken, Zeitungen und Zeitschriften sich
zusammensuchen mußte, ist hier sauber zusammengetragen und mit Abzug
allen gelehrten Beiwerks wiedergegeben.
Die Musik
Jeder Musiker und Musikliebhaber wird dem Herausgeber für die in
ihrer Art einzige Darstellung der Musikentwicklung Berlins,
die eine Musik- und Kulturgeschichte ersten Ranges ist,
seine Dankbarkeit nicht vorenthalten können.
Aus Posener Landen
Was dieser zeitgemäßen Publikation ihren besonderen Wert ver-
leiht, ist die durchaus angewandte Beobachtungs- und Darstellungsmethode,
die ohne Rücksicht auf Lebende oder Tote sich lediglich in den Dienst
der Wahrheit stellt und gerade deshalb ein lebhaftes Für und Wider der
Meinungen entfesseln dürfte.
Breslauer Zeitung
Weißmann hat hier eine gewaltige Aufgabe, deren Behandlung
nach pedantisch wissenschaftlichen Gesichtspunkten ermüdend, ja abstoßend
gewirkt hätte, im guten, feuilletonistischen Stile temperamentvoll bewältigt.
Seine Darstellung der überreichen Materie ist flott, energisch, anregend,
ohne dabei der auf gründlichem Quellenstudium beruhenden Sicherheit im
Vortrag des Tatsächlichen zu entbehren. Nirgends begnügt sich Weißmann
mit der Aufzählung von Daten und Geschehnissen, sondern überall durch-
dringt er die Erzählung mit Kritik, Ausblicken, Schlußfolgerungen. Mei-
sterlich sind insbesondere die Kapitel geraten, die der Königlichen Oper
gewidmet sind. Bemerkt sei, daß das Buch glänzend ausgestattet
ist und im Anhang eine große Anzahl kulturhistorisch und persönlich
interessanter Bilder und Porträts vereinigt.
Breslauer Morgen-Zeitung
Dies Buch darf als ein wertvoller Beitrag zur Musikgeschichte gelten:
es bietet eine reiche Fülle von Anregung und Belehrung in vornehmster
Form. Der reiche Bilderschmuck bietet noch eine besondere Anziehungs-
kraft dieses prächtigen Musikbuches.
Wiesbadener Tagblatt
Dem Verfasser ist als dankenswertestes Verdienst nachzurühmen, daß
er das ungeheure Material aus dem Staube der Archive in das Leben über-
setzt hat, wobei ihm sein scharfer kritischer Geist und seine lebendige
Erzählungskunst reiche Dienste leisteten. Der Verlag hat das Werk mit
mehr als hundert Bildern geschmückt, die die gesamte Musikentwicklung
der Reichshauptstadt von Friedrich dem Großen bis auf den heutigen Tag
verfolgen. j
Tagespost, Graz
MUSIKER- BIOGRAPHIEN
■p Ar^T-T von ANDRE P1RRO. Herausgegeben von Bernhard Engelke.
D/Av-^ll 2. Auflage. Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark.
- Eines der vortrefflichsten Bach-Bücher unserer Zeit. Wiesbadener Tagblatt.
DCCTUn\/ü\l von PAUL BEKKER. 17. Auflage. Ge-
tSlllJ/ 1 \r\\J V C/1N heftet 12 Mark, gebd. in Halbleinen 15 Mk.,
in Kunftleder 18 Mark.
•»Das Beste, was wir über Beethoven besitzen.«. Zeitschr. der intern. Musikgesellschaft.
DDDT ir\*7 von JULIUS KAPP. Mit 70 Bildern. 3. Auflage.
DE/KLIUL Geheftet 12 Mark, gebunden 14 Mark.
» Diese Biographie ist ein literarisches Denkmal erster Ordnung.* Hannov. Tageblatt.
DD A T—TX/TQ von J.A. FÜLLER. Mit 150 Bildern. 4. Auflage. Ge-
DK/-\iliVl0 heftet 4 Mark, gebunden 6 Mark.
»Der erfahrene Musiker und kenntnisreiche Historiker gab ein Buch von ruhigster
Sachlichkeit.* Allgemeine Zeitung.
r^UnDTM von ADOLF WEISSMANN. 4. Auflage. Geheftet
V^iivJrllN 5 Mark, gebunden 7 Mark.
»Ein unnachahmlich zart schwingendes Poem. Dies Buch zu lesen ist ein Genuss.*
Nord und Süd.
T T07T von JULIUS KAPP. 7. Auflage. Geheftet 8 Mark, gebunden
»Nicht eine, sondern die Liszt- Biographie, auf die wir alle längst warteten.*
Breslauer Zeitung.
\Ä A T-TT "DD von RICHARD SPECHT. 8. Auflage. Geheftet
M/\ilLdJ/K 8 Mark, gebunden 10 Mark.
»Dieses Buch ist etwas Besseres als eine Lebens geschickte : ein Porträt, unentbehr-
lich für alle, die Gustav Mahler lieben.* Dresdner Neueste Nachrichten.
MENDELSSOHN "°° WALTER DÄ«uÄ
Die Trias der lyrischen Romantiker ist mit diesem Buch geschlossen aus der
Feder dessen, der Schubert und Schumann mustergiltig darstellte.
Schuster & Loeffler, Verlag, Berlin
Geheftet
Mark.
MUSIKER- BIOGRAPHIEN
\IH7ADT AUF DEM THEATER. Von ERNST LERT.
lVI W Z^-VIV 1 Mit 39 Bildern. 2. Aufl. Geh. 12 Mark, geb. 15 Mark.
»Ein ausser gewöhnlich kluges und starkes Buch. Es gibt eine umfassende Ana-
lyse der Persönlichkeit Mozarts und entwickelt ein Bild des gesamten inneren
Lebens dieses überwältigenden Genies.* Münchener Allgemeine Zeitung.
D A C^ AXTTXTT von JULIUS KAPP. Mit 60 Bildern. 4. Auflage.
i /AW/AINIINI Geheftet 6 Mark, gebunden 7.50 Mark.
»Das erste vollständige, das klassische Paganini-Werk ! Kein Musikfreund wird
an dieser Biographie vorübergehen können, die wirklich eine geschichtliche Lücke
schliesst.a Grazer Tagespost.
QPUT TPHT DT von WALTER DAHMS. 5.Auflage. C
O^riLlDC/IVl 12 Mark, gebunden 14
•»Ein mit Herz und Verstand entzückend geschriebenes Buch, jedenfalls das beste
über Schubert.«. . Pester Lloyd.
CpUT T\J A XTlSj von WALTER DAHMS. Mit 158 Bildern.
O^/UU. lVl/AlN IN 3. Auflage. Geheftet 12 Mk., gebunden 14 Mk.
Das beste Werk, das bis jetzt über Schumann erschienen ist.«. Kölnische Zeitung.
CTD ATTCC vonMAXSTEINITZER. Mit einem Porträt.
v3 1 IVi'-VLJ.OO 8 Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 6 Mark.
» Wer sich mit moderner Musik beschäftigt, wer ein geklärtes Verhältnis zu Strauss
gewinnen will, tnuss dieses Buch lesen. Die Darstellung ist lebendig bewegt,
leicht verständlich und genussreich.«. Niederrheinische Nachrichten.
VY/Ar}l\TpD von JULIUS KAPP. 12. Auflage. Geheftet 6 Mark,
»Ein Buch, das an Wohlfeilkeit und Vollständigkeit alle bisherigen Biographien
Übertrift. Ein Meisterwerke Berliner Tageblatt.
WEBER von ERNST LERT. <In Vorbereitung.)
Der Dramatiker, Regisseur, Kapellmeister — diese drei Grundzüge sind die
Stufen, auf denen Lcrt sein Weber-Buch aufbauen wird.
W/OT Rvon ERNST DE CSEy. 6. Auflage. Geheftet 6 Mark,
W V^ i^i1 gebunden 8 Mark.
»Schlechthin die klassische Biographie Hugo Wolfs. « Münchner Post.
Schuster & Loeffler, Verlag, Berlin
1776. Druck der Berliner Buch- und Kunstdruckerei, G.m.b.H., Berlin W 35 — Zossen.
s<y.tL
77/
ML
C54W3
1912
Weissraann, Adolf
Chopin 3. und 4. Aufl.
Mu*i
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6Jb
■'•eissmann, Adolf
Chopir 3.64. Aufl.
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