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Full text of "Chopin"

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VERLEGT  BEI 
HUSTER  X  LOEFELER 
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Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/chopinweisOOweis 


CHOPIN 


VON 


ADOLF    WEISSMANN 


DRITTE    UND    VIERTE    AUFLAGE 


UNIVERSITY  OF  TORONTO 

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EDWARD  JOHNSON 
MUSIC  LIBRARY 


SCHUSTER    Öc    LOEFFLER     IN     BERLIN 


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CHOPIN 


Von  demselben  Verfasser  erschien  im  gleichen  Verlag: 

Berlin  als  Musikstadt 

Geschichte  der  Oper  und  des  Konzerts  von  1740  bis  1911 
Mit  100  Bildern 


INHALT 


Seite 

Chopin  und  wir 7 

Heim  und  Heimat 11 

Virtuosenträume 23 

Zwischenspiel     29 

Revolutionen 36 

Salon  und  Konzert 42 

Liaison 57 

Das  Ende 74 

Zur  Psychologie  des  Musikers 82 

Tänze 105 

Lieder  ohne   Worte 128 

Der  Bildner 135 

Aus  des  Meisters  Lehrjahren 143 

Scherzo 160 

Ewige  Miniaturen 164 

Wir  und  Chopin 177 

Register  zu  Chopins  Werken 181 

Namenregister 184 


Alle  Rechte  vorbehalten 
Copyright  by  Schuster  &  Loeffler,  Berlin  1912 


CHOPIN  UND  WIR 

Bücher  sollen  Bekenntnisse  sein.  Bekenntnisse,  die  man  mit 
dent  vollen  Bewußtsein  ihrer  möglichen  Wirkung  äußert.  Innig  mit 
uns  selbst  verknüpft,  sollen  sie  sich  nur  langsam  loslösen ;  dann  aber 
der  Öffentlichkeit  mit  jener  Schwungkraft  sich  mitteilen,  die  langer, 
sehnsüchtiger  Zurückhaltung  entspricht.  Kunstschriftstellerei  zumal 
sollte  immer  nur  aus  innerem  Zwang  strömen.  Und  die  Musik- 
schriftstellerei  wäre  fürwahr  das  ärmlichste  aller  Gewerbe,  wenn 
sie  anders  zu  Werk  ginge;  denn  sie,  die  ohnmächtig  mit  Worten 
hantiert,  kann  noch  leichter  Werte  töten,  anstatt  sie  zu  beleben. 

Wer  ein  Buch  über  Chopin  schreibt,  weiß,  daß  er  sich  einem 
Heiligtum  nähert.  Die  Frauen  sind  es,  die  es  hüten.  Schon  ist  eine 
dritte  Generation  zu  seinem  Schutz  herangetreten.  Und  noch  immer 
ist  Chopin  lebendig  wie  damals,  als  zahlreiche  Gräfinnen  und  Baro- 
nessen sich  darüber  stritten,  in  wessen  Armen  er  gestorben  sei. 
Soll  aber  nun  darum  dem  Mann  der  Zutritt  zu  dem  Heiligtum  ver- 
sagt sein?  Gewiß  wandte  sich  die  lyrische  Grundstimmung  des 
Werkes  an  die  Frau.  Da,  wo  sie  sich  unter  salonhafter  Hülle  ver- 
birgt, von  leisem  Parfüm  umwoben  ist,  durfte  er  am  allerehesten 
auf  weibliches  Verständnis  rechnen.  Doch  noch  andere  Werte  ruhen 
in  ihm.  Schien  Chopin  der  Mehrzahl  seiner  Zeitgenossen  nur  eine 
Episode  zu  sein,  so  rückte  ihn  das  folgende  Menschenalter  in  die 
Reihe  der  großen  Umstürzler  im  Gebiet  der  Tonkunst.  Der  schwache 
Künstler,  an  dem  von  frühester  Jugend  an  Krankheit  zehrte,  bis  sie 
ihn  nach  klassischem  Vorbild  vor  Beginn  reifster  Männlichkeit  als 
Lichtgestalt  entschweben  ließ,  zeigt  Abgründe,  an  die  sich  robustere 
Naturen  nicht  gewagt  hatten.  Liebte  ihn  also  die  Frau,  so  hatte 
der  künstlerisch  empfindende  Mann  ihn  zu  werten.  Ließen  sich 
dort  Nerven  von  der  Stimmung  bezwingen,  so  mußte  hier  fein- 
nervige  Männlichkeit  sich  den  Blick  ungetrübt  bewahren.  Und  es 
geschah.  Die  Fähigkeit,  hier  erkennend  mitzuempfinden,  setzte  dich- 
terisches Schauen  voraus;  der  Theoretiker  mußte  nachhinken.  So 
kam  es,  daß  in  eine  deutsche  Welt,  die  eine  Brücke  zwischen  der 
poetischen  und  der  musikalischen  Romantik  noch  nicht  zu  bauen 
vermochte,  Robert  Schumann  in  der  „Neuen  Zeitschrift  für  Musik" 
jenes  schon   sprichwörtliche  „Hut  ab,  ihr  Herren,   ein  Genie"  hin- 


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ausrief.  Und  Franz  Liszt,  der  Kosmopolit,  war  freimütig  genug, 
dem  dahingeschiedenen  Dichter  eine  begeisterte  Grabrede  in  Buch- 
form nachzusenden,  die  den  Dank  eines  Mitstrebenden  für  innere 
Bereicherung  aussprach. 

Zwei  Tondichter  hatten  gesprochen.  Und  wer  im  Reich  der 
Kunst  sich  mit  ihnen  verwandt  fühlte,  zollte  Chopin  seinen  Tribut; 
von  Delacroix  angefangen,  wollte  niemand  ohne  Gruß  an  ihm  vor- 
übergehen. Aber  die  Arbeit  des  Einordnens  in  die  Musikgeschichte 
mußte  beginnen.  Mag  sein,  daß  dichterisches  Empfinden  sich  da- 
gegen sträubte.  Chopin  selbst,  obwohl  unliterarisch,  wollte  doch 
ein  literarisches  Thema  werden.  Schon  hatte  die  Familie  des  Dahin- 
geschiedenen in  seinem  Sinn  eifersüchtig  auf  jedes  Wort  in  Liszts 
„Chopin"  geachtet.  Doch  es  dauerte  lange,  ehe  Gelehrsamkeit  sich 
getraute,  den  Nebel  zu  zerteilen.  Es  schien  grausam,  hier  Wahr- 
heit von  Dichtung  zu  lösen.  Die  Phantastik  behauptete  ihr  Recht 
auf  den  modernen  Raffael.  Weibliches  Fabulieren  wollte  Chopin, 
dem  tausend  Herzen  entgegengeschmachtet  hatten,  nicht  freigeben. 
Den  Polen  in  ihm  forderten  die  Polen  für  sich.  Karasowski  konnte 
Liszts  Sehergabe  nicht  überbieten;  er  zerteilte  den  Nebel  nicht,  ließ 
den  EHinstkreis  der  Anekdote  um  Chopin  bestehen  und  schenkte 
der  wißbegierigen  Welt  als  Biograph  nur  Briefe.  Man  wußte,  daß 
des  Tondichters  Nachlaß  durch  moskowitische  Barbarei  1863  in  War- 
schau angetastet,  wenn  nicht  zerstört  war;  man  war  also  dem, 
der  die  Briefe  größtenteils  vorher  kopiert  hatte,  von  Herzen  dankbar. 

Aber  der  Anspruch  der  Polen  auf  den  Polen  ließ  sich  nicht 
halten.  Chopin  gehörte  der  Welt.  Er  hatte  bei  der  Rückkehr  aus 
England,  das  den  Todkranken  wie  einen  Fremdling  von  Ort  zu 
Ort  gehetzt  hatte,  anstatt  ihn  wie  einen  König  zu  ehren,  die  Eng- 
länder verständnisloser  als  das  Vieh  genannt.  Ein  Engländer,  Niecks, 
gab  dem  Toten,  was  seine  Landsleute  dem  noch  Lebenden  versagt 
hatten ;  er  trat  mit  dem  Rüstzeug  der  Gelehrsamkeit  an  Chopin 
heran ;  aber  auch  mit  der  verständnisvollen  Liebe,  die  das  Kunst- 
werk vor  Zerstückelung,  vor  Zerfaserung  behütet. 

Drei  Jahrzehnte  sind  darüber  hingegangen.  Kärrner  arbeiteten, 
schmeichelten  der  Wißbegier;  nicht  immer  führte  die  Liebe  die  Hand; 
oft  fehlte  der  Meißel  des  Bildhauers,  und  das  Bild  wurde  uns  ge- 
trübt.    Niecks  ist  nicht  übertroffen  worden;  doch  sind  Namen  wie 


9 

Tarnowski,  Hoesick,  Karlowicz,  Leichtentritt  mit  Ehren  zu  nennen. 
Karlowicz  und  Hoesick  vor  allen  haben  den  künftigen  Biographen 
durch  neue  Brieffunde  den  Boden  geebnet.  Bernard  Scharlitt  ver- 
deutschte sie  und  brachte  sie  unter  einen  Hut.  James  Huneker 
kennt  sie  noch  nicht,  glitt  über  den  Menschen  leicht  hinweg,  suchte 
aber  als  belesener  Sammler  und  geistvoller,  allseitig  gebildeter  Kri- 
tiker dem  Werk  gegenüber  aus  der  Fülle  fremder  Meinungen  und 
selbst  gewagter  Theorien  einen  neuen  Standpunkt  zu  gewinnen. 
Und  diesem  Amerikaner  reiht  sich  sein  Landsmann  Edgar  Stillman- 
Kelley  an,  der  als  komponierender  Nachfahre  den  Meister  durch 
neue  und  beziehungsreiche  Analyse  zum  Klassiker  erhöhen  will. 

Ich  gehe  meinen  eigenen  Weg.  Sagte  ich  ja  doch  eingangs, 
daß  dieses  Buch  ein  Bekenntnis  sei.  Es  gab  Jahre,  wo  ich  an 
Chopin  litt;  Zeiten,  da  er  sich  mit  dem  Weltschmerz  befreundete, 
die  Unentschlossenheit  förderte.  Das  war  in  romanischen  Ländern, 
wo  man  Chopin  einen  besonderen  Kultus  weiht.  In  Deutschland 
fand  ich  andere  Verhältnisse  vor.  Hier  ist  Chopin  noch  mehr  von 
der  Intimität  des  Salons  in  die  weiten  Hallen  des  Konzertsaals 
gedrängt  worden.  Jahrmarktslärm  umtobt  ihn.  Er  ist  noch  recht 
modern,  fast  aktuell;  kein  Pianist  mag  ihn  entbehren;  die  berühm- 
testen unter  ihnen  locken  und  siegen  im  Zeichen  Chopins.  Doch 
er  ist  seinem  eigentlichen  Beruf  entfremdet.  Er,  der  sich  von  der 
gemeinen  Menge  stolz  und  scheu  zurückzog,  muß  vergröbert  unter 
ihr  weilen :  das  sind  die  Folgen  des  Weltruhms.  Aber  auch  die 
Folgen  der  Liebe.  Sie  wäre  nicht  denkbar  ohne  innige  Beziehung 
zwischen  dem  Tondichter  und  unserer  Zeit.  Diese  mag  dem  Werk 
des  Dichters  auf  den  ersten  Blick  nicht  günstig  sein.  Aber  reizte 
schon  von  jeher  der  weitsichtige  Harmoniker,  der  die  Wagner-Liszt- 
Epoche  vorahnend  beherrscht,  ihre  Nerven,  sein  Wohlklang  das  Ohr, 
so  scheint  jetzt  auch  seiner  Lyrik  die  Bahn  frei  gemacht.  In  der 
rascher  schreitenden  Dichtkunst  wenigstens  strebt  die  Lyrik  mit  Er- 
folg in  die  Höhe  und  weckt  wahlverwandtschaftlichen  Nachhall. 

Es  ist  also  wohl  an  der  Zeit,  über  Chopin  zu  schreiben ;  noch 
einmal  zusammenzufassen,  was  aus  eigenem  Erlebnis  und  vielfach 
bereichertem  Tatbestand  sich  ergibt.  Wir  Modernen  sind  kühn  ge- 
nug, auf  das  Prunken  mit  fleißig  gesammelten  Einzelheiten  zu  ver- 
zichten,  aus  der  Biographie  das   Unwesentliche   auszuscheiden   und 


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ein  Bild  nach  unserer  Art  zu  formen.  Alles  kennen,  das  Wertvolle 
als  Baustein  benutzen,  ist  mein  Leitspruch;  die  Brücke  zu  schlagen 
zwischen  dem  Künstler  und  dem  Menschen  Chopin ;  beiden  ihr 
Recht  werden  zu  lassen,  ein  zweites  Ziel.  Denn  wie  sehr  auch 
Polnisches  und  Chopinsches  in  diesem  Leben  sich  decken,  seine 
Künstlereigenart  prägte  auch  dem  Menschen,  dem  Frankreich  mehr 
als  den  Vater  gab,  seine  Spur  auf.  Mag  darum  das  Dasein  dieses 
Träumers  die  Ereignislosigkeit  im  weltlichen  Sinn  bedeuten,  eine 
Bagatelle  ist  es  nicht.  Reiche  Frucht  verheißt  es  uns;  aber  hier 
wie  in  der  so  lockenden,  so  dankbaren  Analyse  des  Kunstwerks 
gfilt  es  eines  nicht  zu  vergessen:  daß   wir  ein  Heiligtum  betreten. 


HEIM  UND  HEIMAT 

Das  Phantastische  herrscht  schon  zu  Anfang.  Die  Zweifel,  die 
sich  an  das  Geburtsdatum  Friedrich  Chopins  knüpfen,  bezeichnen 
sein  frühestes  Sichauflehnen  gegen  die  rauhe  Wirklichkeit.  Gewiß 
kümmerte  er  selbst  sich  um  seinen  Geburtstag  nicht.  Karasowski 
hatte  die  Mitwelt  mit  der  Angabe  des  1.  März  1809  in  Sicherheit 
gewiegt.  Doch  bald  fanden  sich  Zweifler.  Nun  steht  die  Sache  so, 
daß  der  Taufschein  Friedrich  Franz  Chopins  den  22.  Februar  1810 
als  Tag  seiner  Geburt  für  alle  Zeiten  festzustellen  scheint.  Ver- 
stummen die  Zweifler?  Was  damals  in  den  Akten  stand,  brauchte 
— ■  um  das  Wort  einmal  umzukehren  —  noch  nicht  wahr  zu  sein. 
Chopins  Schülerin,  Jane  Stirling,  schreibt  an  dessen  Schwester  Luise, 
am  1.  März  habe  sich  am  Grabe  des  Meisters  niemand  eingefunden, 
weil  dieses  Datum  nicht  bekannt  sei  (wohl  aber  der  Namenstag) ; 
sie  selbst  habe  Kränze  dort  niedergelegt.  Sollte  dies  nicht  Beweis 
genug  für  den  verdächtigen  1.  März  sein?  Der  Familie  war  er 
offenbar  heilig. 

Die  polnische  Welt,  in  die  Chopin  hineingeboren  wurde,  sah 
trübe  genug  aus.  Die  fortgesetzten  Teilungen  Polens,  die  mißglück- 
ten Erneuerungsversuche  standen  in  traurigstem  Gegensatz  zu  dem 
glühenden  Unabhängigkeitsdrang  dieses  noch  halb  orientalischen  Vol- 
kes, das  wohl  starker  Impulse,  aber  nicht  beharrlichen  Aufschwungs 
fähig  war.  Der  Unterton  der  Wehmut  also  erklang  stets  in  denen, 
die  denken  konnten.  Aber  es  war  doch  ein  glückliches,  zufriedenes 
Elternpaar,  das  dem  Neugeborenen  zulächelte.  Es  geschah  in  einer 
ärmlichen,  weißgetünchten  Dreizimmerwohnung  in  Zelazowa  Wola, 
dem  Gut  des  Grafen  Skarbeck,  wo  Nikolaus  Chopin  nach  einem 
pädagogischen  Intermezzo  bei  der  Starostin  Laczynska  Hauslehrer 
geworden  war  und,  an  die  dem  Haus  verwandte  Wirtschaf- 
terin Justine  Krzyzanowska  gewöhnt,  sich  mit  ihr  verheiratet  hatte. 
Also  keine  Ehe,  die  im  Himmel  geschlossen  war;  aber  doch  eine, 
die  sich  auch  in  den  seelischen  und  geistigen  Grundlagen  als  für 
den  genialen  Sprößling  fruchtbar  erwies.  Man  hat  sich  ernstlich 
bemüht,  dem  Vater  durch  archivalische  Studien  wenigstens  die  pol- 
nische Abkunft  zu  sichern;  seine  Vorfahren  wurden  an  den  Hof 
Stanislaus  Lesczynskis  nach  Lothringen  gebracht.     Soviel  aber  steht 


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fest,  daß  Nikolaus  Chopin  1770  in  Nancy  geboren,  1787  als  Fran- 
zose nach  Warschau  gekommen  war  und  gerade  seinem  Franzosen- 
tum  seinen  Lebensunterhalt  verdankte.  Man  schätzte  an  ihm  außer 
seiner  Kenntnis  der  Muttersprache  auch  die  des  Deutschen;  man 
lobte  seine  guten  Manieren,  die  doch  nicht  äußerlich  erworben  waren, 
sondern  mit  der  Rechtlichkeit  des  Charakters  in  Einklang  standen, 
ihr  entsprach  auch  die  Richtung  auf  das  National-Polnische,  das 
er  in  dankbarer  Anhänglichkeit  an  seine  Adoptivheimat  seinem  Unter- 
richt im  Gegensatz  zu  andern  französischen  Erziehern  gab.  Der 
fremde  Akzent,  mit  dem  er  das  Polnische  sprach,  verlor  sich  nie ; 
aber  seine  Gesinnung  unterschied  sich  nicht  von  der  seiner  Um- 
gebung. Seine  meist  französisch  geschriebenen  Briefe  zeigen  uns 
einen  streng  rechtschaffenen  Mann,  in  dem  das  Schulmeisterliche 
durch  künstlerische  Neigungen  zwar  nicht  aufgehoben,  aber  gemil- 
dert war.  Bildungsdrang  lebte  in  ihm,  und  Sinn  für  Ordnung  be- 
herrschte ihn.  Die  Möglichkeit  der  Energie  also  hatte  unser  kleiner 
Friedrich  von  seinem  Vater  geerbt.  Diese  Erbschaft  war  auch  hier 
nicht  zu  unterschätzen;  sie  begründete  jenes  Zielbewußtsein,  das 
als  nationalpolnischer  Charakterzug  nicht  zu  gelten  hat.  Was  die 
Mutter  ihm  gab,  wirkte  tiefer  und  fand  nur  leise  Hemmungen.  Sie 
war  echte  Polin  und  echtes  Weib,  mehr  vom  Gefühl  als  vom  Ge- 
danken geleitet,  vornehm  von  Geburt  und  im  Empfinden,  voll  Hin- 
gabe für  die  Ihrigen  und  leidenschaftliche  Liebhaberin  der  Musik, 
die  sie  singend  und  klavierspielend  betrieb.  Von  dieser  Mutter 
also,  die  französische  Romanzen,  Arien  und  Volkslieder  mit  zarter 
Poesie  wiedergab,  am  Klavichord  zum  Tanz  aufspielte,  erbte  der 
kleine  Chopin  künstlerische  Feinnervigkeit.  Die  Mischung  war  gut, 
und  sie  mußte  auch  den  andern  Kindern  zugute  kommen.  Von 
diesen  war  die  um  drei  Jahre  ältere  Luise  klug  und  literarisch 
begabt,  die  jüngere  Isabella  nicht  minder;  nur  daß  beide  mehr 
nach  der  pädagogischen  Seite  abschwenkten ;  und  die  jüngste,  die 
1813  geborene  Emilie,  folgte  ihnen  mit  allen  Zeichen  eines  unge- 
wöhnlichen Talents.  Der  Vater,  inzwischen  1810  zum  Lehrer  der 
französischen  Sprache  am  Lyzeum  zu  Warschau  aufgerückt,  hält 
Pensionäre  und  zieht  Vorteil  aus  dem  erweiterten  Gesichtskreis. 
Schien  also  die  Muse  unserem  Friedrich  Chopin  hold,  so  wollte 
doch  der  Körper  das  Nervensystem   nicht  genügend  stützen.     Die 


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Frühreife  ist  da ;  aber  auch  die  Fatalität  des  Musikers  erscheint. 
Im  Kind  wirft  die  künftige  Größe  ihre  Schatten  voraus.  Ein  Doppel- 
leben beginnt.  Kindliche  Fröhlichkeit  wird  urplötzlich  von  der  Stim- 
mung unterbrochen,  die  sich  in  Weinen  löst,  sobald  die  Musik  den 
Kern  des  werdenden  Menschen  berührt.  Die  Schwäche  dieses  Kör- 
pers ist  offenbar;  der  Ausgleich  wird  nie  zu  schaffen  sein:  Alles 
schläft.  Da  schleicht  sich  der  Kleine  in  den  Salon  und  hält  im 
Anschluß  an  das,  was  er  am  Tag  gehört,  Zwiesprache  mit  dem 
Klavier.  Das  wache  Träumen  des  Tages  setzt  sich  nun,  wo  alles 
Störende  schweigt,  in  Schaffen  um.  Man  bewundert,  aber  man 
fürchtet  auch.  Die  Eltern  erkennen  bald,  daß  sie  dem  Zwingenden 
des  Genies  kein  Hemmnis  entgegensetzen  können ;  aber  sie  führen 
besorgt  den  Kampf  gegen  den  tückischen  Feind,  der  es  zu  be- 
drohen scheint.  Oder  sollten  hier  körperliche  Schwäche  und  Fein- 
nervigkeit  im  Bunde  leben,  die  eine  der  andern  Freundin  sein? 
Gewiß  ist,  daß  im  Haus  des  gebildeten  Mannes,  der  öffentlich  und 
privatim  lehrt  und  erzieht,  auch  die  nüchterne  geistige  Nahrung 
nicht  vernachlässigt  wird,  die  dem  mittleren  Staatsbürger  nottut; 
dem  Träumer  scheint  sie  nötiger  als  dem  normalen  Kind.  Es  fragt 
sich  nun,  inwieweit  sich  das  werdende  Genie  solchen  Wissensstoff 
aneignet,  uud  was  es  als  zwecklos  ausscheidet.  Längst  hat  die  Ro- 
mantik von  ihm  Besitz  ergriffen.  Sie  liegt  in  der  Warschauer  Luft. 
Mochte  diese  auch  nicht  ausschließlich  von  Parfüms  geschwängert 
sein,  wohnte  auch  inmitten  prächtiger  Paläste  Schmutz,  Armut  und 
Unkultur,  so  gedieh  doch  gerade  in  jenen  Tagen  dort  ein  geistiges 
Leben,  das  dem  Freiheitsdrang  sehnsüchtig-unklarer,  aber  tief-poeti- 
scher Naturen  seinen  Ursprung  verdankte.  Kasimir  Brudzinski  war 
ihr  Wortführer.  Kein  Wunder,  daß  Nikolaus  Chopins  Haus  als 
natürlicher  Mittelpunkt  eines  wissenschaftlich  und  künstlerisch  gleich 
interessierten  Kreises  galt.  Die  Kollegen  des  Vaters,  der  Rektor 
Dr.  Samuel  Linde,  Maler  und  Musiker  gaben  sich  hier  ein  Stelldich- 
ein. Die  Kinder  aus  vornehmen  Familien,  die  hier  erzogen  und 
unterrichtet  wurden,  vermittelten  ihm  die  Beziehungen  mit  dem 
Adel  des  Landes.  So  vereinten  sich  Geistes-  und  Geburtsaristo- 
kratie, ein  ursprüngliches  Abhängigkeitsverhältnis  von  allen  Pein- 
lichkeiten zu  befreien ;  und  die  Mittel  reichten  hin,  diesem  regen 
Treiben   einen   würdigen   Rahmen   zu   schaffen.     Bald   aber  mußten 


14 

die  Eltern  ihren  kleinen  Sohn  als  den  Magneten  betrachten,  der 
künstlerische  Naturen  ins  Haus  zog.  Seine  Begabung  entfaltete  sich 
in  wunderbarer  Weise.  Sie  klammerte  sich  an  alles,  was  ihr  die 
Möglichkeit  bot,  sich  über  das  rein  Instinktmäßige  zum  Bewußten 
zu  erheben.  Hatte  zuerst  die  Mutter  Phantasie  und  Finger  in  Be- 
wegung gesetzt,  so  mußte  später  die  kleine  Luise,  ihm  gegenüber 
eine  Respektsperson,  als  Lehrmeisterin  im  Klavierspiel  herhalten. 
Und  als  bald  genug  auch  diese  Lehrquelle  erschöpft  war,  trat  der 
Berufsmusiker  an  ihre  Stelle.  Er  hieß  Albert  Zywny,  war  1756 
in  Böhmen  geboren  und  brachte  für  sein  Amt  als  beste  Eigenschaft 
die  unbedingte  Verehrung  für  die  deutsche  Musik  mit.  Das  war  von 
besonderem  Wert  in  einem  Land  wie  Polen,  dem  in  der  Tonkunst 
die  starke  Tradition  fehlte.  Wie  überall  schwärmte  man  hier  für 
die  italienische  Melodie,  die  in  den  Opern  Rossinis  und  geringerer 
Geister  zu  Ehren  gebracht  wurde.  Nicht  immer  übrigens  zu  Ehren. 
Denn  man  war  in  Warschau  sehr  genügsam,  lebte  im  Genuß  der 
unvollkommenen  Oberflächlichkeit  und  ließ  sich  auch  von  den  aus- 
ländischen Meistern,  die  die  Hauptstadt  des  Großherzogtums  von 
Zeit  zu  Zeit  aufsuchten,  in  ihm  nicht  stören. 

Zywny  also,  ein  braver  Musikhandwerker,  wies  unserm  kleinen 
Chopin  den  Weg  zu  Bach.  Er  hatte  die  ungeniale  Gewissenhaftig- 
keit, die  ein  fruchtbares  Zusammenarbeiten  mit  dem  Genie  gewähr- 
leistet. Die  Klavierhand  Friedrichs  verbündet  sich  seiner  Phantasie 
und  zwingt  den  Tasten  ohne  geisttötende  Übungen  ihre  Geheimnisse 
ab.  Ja,  sie  stürmt  über  das  Hindernis  geringer  Spannungskraft 
hinweg  und  sucht  Akkorde  in  weiten  Lagen,  die  dem  unbegrenzten 
Sinn  für  Wohlklang  entsprechen.  Jene  aufregenden  Scharmützel  des 
Geistes  mit  dem  Stoff  beginnen;  die  ersten  Ideen  erscheinen,  ver- 
wickeln sich,  fliehen,  sobald  die  Feder  sie  aufs  Papier  bannen  will 
Der  lehrende  Zuschauer  sitzt  daneben;  er  hat  die  orthographische 
Gewandtheit  ohne  die  Phantasie.  Die  Ideen,  wie  sie  auf  ihn  über- 
gesprungen sind,  treten  nun  wieder  fein  säuberlich  dem  kleinen 
Komponisten  vor  die  Augen.  Es  sind  nicht  dieselben,  die  seine 
Phantasie,  sein  Ohr  ersann.  Er  bessert  hier,  er  bessert  dort.  Pe- 
danterie hat  den  kühnen  Schritt  nicht  gewagt,  der  ihm  natürlich 
erscheint.  Allmählich  schließen  Kühnheit  und  Regel  ein  Kompromiß. 
So   entstehen  die  Polonäsen,  die  Tänze,  die  Märsche,  deren  Form 


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unserm  Genie  die  Umgebung  leiht,  deren  Inhalt  sich  aber  zu  weiten 
beginnt.  Das  ist  erster  Klavierunterricht.  Der  achtjährige  Chopin 
ist  eine  Lokalberühmtheit  geworden,  wie  1818  sein  glänzendes  De- 
büt mit  einem  Konzert  von  Adalbert  Gyrowetz  beweist.  Echt  kind- 
liche Streiche  vervollständigen  das  Bild  dieses  Knaben.  Die  Kind- 
lichkeit steigert  sich  hier  als  Reaktion  auf  die  erhöhte  Nerven- 
tätigkeit im  Gebiet  des  Unbewußten  bis  zur  Wildheit.  Unser  Szo- 
penek  —  so  wird  er  polonisiert  —  tritt  1823  ins  Lyzeum  ein  und 
lernt,  was  den  mittleren  Staatsbürger  ziert.  Er  hat  seinen  Beruf 
längst  begriffen  und  behandelt  die  Schule  mit  einer  gewissen  Über- 
legenheit. „Niemals",  so  schreibt  er  1828,  „ist  mir  der  Gedanke 
in  den  Sinn  gekommen,  dieser  echte  Schartekenkramer,  dieser  Philo- 
loge, der  einzig  im  Schiller  hockt,  könnte  die  Feder  in  die  Hand 
nehmen,  um  an  den  beinah  wie  eine  elende  Peitsche  ausgelassenen 
Zimbalisten,  an  den,  der  bisher  noch  keine  einzige  Lateinseite  durch- 
gelesen, an  jenes  Ferkel,  das,  an  der  Schlempe  Fett  ansetzend, 
diesen  Speck  wenigstens  um  den  zehnten  Teil  berauben  will,  einen 
Brief  zu  schreiben."  Der  Adressat  ist  Jan  Matuszynski,  ein  Freund 
fürs  Leben,  einer,  der  auch  wirklich  als  Arzt  der  Gelehrsamkeit 
treu  bleibt  und  ihm  in  Paris  die  Sehnsucht  nach  der  Heimat  mildert 
Der  Ort,  der  ihn  so  fröhlich  stimmt,  ist  Szafarnia,  das  Landgut  der 
Eltern  eines  Schulkollegen,  wo  er  seine  Ferien  verbringt  und  frei 
von  Lyzeumssorgen  als  ausgelassener  Zimbalist  dahinlebt.  So  scheint 
es.  Aber  diese  Wochen  verstreichen  ihm  nicht  ungenutzt.  Sein 
Genius  läßt  ihn  hier  die  Seele  des  Volkes  belauschen;  der  Träumer 
in  ihm  ist  wach  und  schlürft  gierig  den  Trank,  der  bald,  durch 
den  Filter  des  Schaffenden  hindurchgegangen,  ein  an  ihm  selbst 
und  an  den  Zeitgenossen  zehrendes  narkotisches  Gift  werden  soll. 
Wenn  im  masorischen  Dorf  Bauern  und  Herrschaftim  Mazurek 
sich  drehen,  Geigen,  Bässe  und  Dudelsack  mehr  schreien  als  spielen, 
dann  erschließt  sich  dem  Tondichter  der  tiefere  Sinn  dieser  Dis- 
harmonie; das  innere  Ohr  eint  sich  dem  äußeren;  die  Phantasie 
ist  am  Werk  und  baut  für  die  Zukunft  vor.  Dies  alles,  das  Zwin- 
gende in  ihm,  verschweigt  er  dem  Freund  und  spielt  sich  nur  als 
den  ausgelassenen  Zimbalisten  auf.  Eine  solche  Briefseite  verrät 
den  ganzen  Menschen.  Echt  polnisch  kann  er  sich  in  Äußerungen 
freundschaftlichen  Gefühls  nicht  genug  tun,  er  drückt  seinen  lieben, 


16 

teuren  Jas  auf  zwanzig  Meilen  an  die  Lippen;  er  ist  heiter  ohne 
scheinbaren  Nebensinn,  macht  sich  über  die  Deutschen  lustig,  spricht 
von  allem,  was  sein  Gegenüber  unterhalten  kann;  nur  von  seinem 
Innersten  «spricht  er  nicht.  Hier  nicht.  Denn  es  wird  Zeiten  geben, 
da  das  drängende  Innere  den  Wall  des  Schweigens  durchbricht 
Auch  der  Volkston,  der  in  seiner  Mazurka  erklingt,  setzt  sich  ins 
Wort  um.  Wir  hören  Derbheiten,  die  uns  mit  dem  vornehmen  Ton 
in  Widerspruch  zu  stehen  scheinen.  Wie  ja  auch  das  Schweigen 
über  sich  selbst  im  letzten  Grund  polnisch  und  hier  nur  individuell 
gesteigert  ist.  Die  in  Chopins,  des  jüngsten,  Briefen  stets  wieder- 
kehrende Wendung:  „dies  aber  bleibt  unter  uns",  zeigt  uns  bereits 
eine  natürliche  Schwäche,  das  Fehlen  breiteren  Menschtums,  mit 
de-m  unbekümmertes  Draufgängertum  sich  paaren  muß.  Etwas 
Leises  ist  in  ihm.  Den  Lyzeum  schul  er,  der  Freundschaften  fürs 
Leben  knüpft,  zieht  es  —  wir  sehen  das  zornige  Gesicht  des  päd- 
agogisch denkenden  Vaters  —  zu  den  Mädchen,  wie  dem  Jüngling 
und  Mann  die  Frauen  ein  unentbehrlicher  Schmuck  des  Lebens  sein 
werden.  Das  ist  polnische  Ritterlichkeit,  die  in  einem  Musiker  von 
äußerster  Reizsamkeit  schöpferische  Bedeutung  gewinnt.  „Sanft,  ge- 
fühlvoll, über  alle  Maßen  vornehm,  besaß  Chopin  in  seinem  fünf- 
zehnten Lebensjahr  alle  Reize  der  Jugend,  die  jedoch  mit  dem  Ernst 
des  Alters  merkwürdig  gepaart  waren.  Ebenso  wie  sein  Geist  war 
aber  auch  sein  Körper  von  außerordentlicher  Zartheit.  Doch  dieser 
Mangel  der  physischen  Entwicklung  bewahrte  ihm  eine  gewisse, 
sozusagen  geschlechts-  und  alterslose  Schönheit  .  .  .  Gleichsam  ein 
Engel  von  schlanken,  ätherisch-olympischen  Formen,  mit  dem  schönen 
Antlitz  einer  traurigen  Frau,  das  zu  gleicher  Zeit  von  einem  zärt- 
lichen und  strengen,  jungfräulich-keuschen  und  leidenschaftlichen  Zug 
umspielt  wurde. "  So  sah  ihn  eine  grande  dame.  Er  selbst  ist  von 
seiner  körperlichen  Vollkommenheit  nicht  ebenso  überzeugt.  Sein 
Spott  verschont  die  eigene  Person  nicht.  „Oft  setzen  sich  Fliegen 
auf  meine  hervorragende  Nase",  schreibt  der  Fünfzehnjährige  an 
einen  Freund.  Diese  Nase,  ein  Erbteil,  das  auf  geistige  Überlegen- 
heit deutet,  macht  ihm  auch  später  noch  zu  schaffen.  Aber  eine 
Zeichnung  aus  dem  Jahr  1828  bestätigt  den  Eindruck,  dem  hier 
Worte  geliehen  wurden.  Äußerlich  also  scheint  er  der  großen  Welt 
bestimmt.    Nur  in  dieser  Luft  kann  er  atmen.    Hier  ist  es  ihm  ge- 


17 

stattet,  unter  der  Maske  der  Höflichkeit,  ja  Freundlichkeit  die  Zuckun- 
gen seines  überempfindlichen  Nervensystems  zu  verbergen ;  eine 
artistische  Technik,  die  ihm  zur  zweiten  Natur  wird  und  ganz  natür- 
lich in  seine  Kunst  übergeht.  Hier  darf  er  auch  jene  geistige  Öko- 
nomie treiben,  die  einer  hohen  Begabung  Bedürfnis  ist.  Freilich 
wird  er  sich  nie  ganz  mit  seinem  Kreis  decken:  er  hat  Anspruch 
auf  das  „se  faire  pardonner",  läßt  als  Causeur  die  großen  Pausen 
eintreten,  die  wie  in  der  Musik  durch  das,  was  ihnen  vorangegangen 
ist,  bedeutungsvoll  werden.  In  dieser  polnischen  Adelsgesellschaft 
aber  lebte,  bei  allem  Anschluß,  den  der  angeborene  Witz,  der  Trieb 
zur  Äußerlichkeit  sie  an  das  Franzosentum  suchen  und  finden  ließ, 
noch  etwas  von  der  bete  humaine,  wenn  auch  nur  in  der  Gestalt  der 
schmeichlerischen  Katze.  Erstarrte  Formen  gab  es  nicht.  Der  kleine, 
doch  zur  Reife  gediehene  Friedrich  rügte  sich  als  etwas  Besonderes 
in  sie,  und  die  auf  einen  kleinen  Kreis  begrenzte,  dann  aber  un- 
begrenzte Herzensgüte  —  Ökonomie  der  Seele  —  entschädigte  für 
die  Verschlossenheit  und  das  Mit-halbem-Ohr-Hinhören,  das  man- 
chen verstimmt  haben  mochte.  So  war  Friedrich  Chopin  in  den 
Salons  der  Czartoryski,  Czetvertyrski,  Radziwill,  der  Skarbek,  Wo- 
licki,  Pruszak  heimisch  geworden;  ja,  er  hatte  als  Schützling  der 
Fürstin  Lowiczka  selbst  das  Barbarenherz  des  Großfürsten  Constan- 
tin  mit  seiner  Musik  begütigen  dürfen;  und  hier  war  ihm  auch  in 
der  Person  der  jungen  Komtesse  Alexandra  de  Moriolles,  der  Toch- 
ter des  Prinzenerziehers,  eine  jener  holden  Göttinnen  erschienen, 
die  ihn  auf  seinem  Wege  geleiten  und  ihm  die  Feder  führen.  Denn 
auch  in  der  musikalischen  Laufbahn  ist  eine  neue  Etappe  erreicht. 
Zwei  Wohltätigkeitskonzerte  des  Jahres  1825  zeigen  ihn  der  Öffent- 
lichkeit als  den  werdenden  Tondichter;  in  einer  von  ihnen  macht 
er  die  Zuhörer,  die  seinen  fragmentarischen  Vortrag  des  f-moll- 
Konzerts  von  Moscheies  höchst  beifällig  aufnehmen,  zu  Zeugen  einer 
freien  Fantasie  auf  dem  Älopantalon,  einem  harmoniumartigen  In- 
strument. Und  die  Warschauer  Welt  liest  im  gleichen  Jahre  auch 
den  Namen  des  Komponisten  auf  seinem  op.  1,  Rondo  c-moll,  das 
nach  mancherlei  musikalischen  Heimlichkeiten  und  halböffentlichen 
Versuchen  den  ersten  mannhaften  Schritt  bedeutet.  Diese  Kühnheit 
hatte  gute  Gründe.  Zywny  hatte  vor  den  Fortschritten  seines 
Schülers,    dessen    Phantasie    die   frauenhaft   beweglichen    und    fein- 

Wtissmain,   Chopin  2 


18 

gegliederten  Hände  zum  Siebenmeilenschritt  zwang,  die  Waffen 
strecken  müssen;  es  genügte  ihm,  den  Weg  von  Bach  zu  Haydn, 
Mozart,  Beethoven  gewiesen,  Hummel  und  Ries  als  ihre  Nachfolger 
empfohlen  zu  haben.  Der  dreizehnjährige  Chopin  stand  allein.  Aber 
den  Künstler  verlangte  es  bald  wieder  nach  neuer  Leitung;  die  Phan- 
tasie forderte  die  spanischen  Schnürstiefel  des  Kontrapunkts;  wer 
in  der  Vollgriffigkeit  der  Akkorde  sein  Heil  sucht,  sich  am  Wohl- 
klang berauscht,  sieht  seine  Sicherheit  bedroht,  wenn  er  an  Bach 
und  an  das  horizontale  Verhältnis  der  Stimmen  denkt.  Es  war  einer 
gekommen,  der  an  Bach  dachte,  ohne  dem  Genie  den  Schraub- 
stock anzulegen.  Der  gute  Geist  Joseph  Eisner  war  die  natürliche 
Fortsetzung  des  ersten  Klavierlehrers.  Hier  war  Steigerung  im 
Können  mit  kluger  Einsicht  verbunden.  Eisner,  1769  in  Grottkau 
geboren,  war  allmählich  von  Schlesien  über  Österreich  nach  Poien 
gelangt  und  hatte,  als  utilite  mit  allen  Regeln  der  Kunst  vertraut  ge- 
worden, seine  Kraft  darangesetzt,  Warschau  als  Musikstadt  auf  eigene 
Füße  zu  stellen.  Seine  Phantasie  war  fruchtbar  genug,  um  ein  hüb- 
sches Quantum  Kompositionen  zu  liefern,  die  sich  von  der  Kirche 
bis  zum  Theater  erstreckten.  Sie  erschütterten  die  Welt  nicht,  sollen 
aber  neben  der  gründlichen  Kenntnis  des  reinen  Satzes  bewiesen 
haben,  daß  die  Regel  nicht  ihr  Tyrann  war.  Für  die  Oper  bekannte 
er  sich  zum  neueren  italienischen,  für  alles  andere  zum  deutschen 
Stil,  und  als  Pädagoge  überhaupt  zu  dem  Grundsatz,  daß  man  die 
Natur  zur  Originalität  nicht  zwingen  könne.  Wo  sie  aber  von  selbst 
gedieh,  wie  in  seinem  neuen  Schüler  Chopin,  da  konnte  die  Harke 
das  fruchtbare  Erdreich  vor  Unkraut  bewahren.  Eisner  war,  nach 
seines  Zöglings  Ansicht,  ein  Lehrer,  von  dem  auch  der  größte  Esel 
etwas  lernen  müsse ;  vor  ihm  verneigt  er  sich  auch  dann,  als  er 
sich  längst  des  rechten  Weges  und  der  eigenen  Überlegenheit  be- 
wußt geworden  ist.  Der  Meister  hatte  dem  Schüler  wohl  schon 
Rat  geliehen,  bevor  sich  ihm  1826  die  Pforten  des  Konservatoriums 
öffneten,  dessen  Direktor  Eisner  seit  1821  war.  Denn  schon  Cho- 
pins opus  1  laßt  nichts  von  der  Unsicherheit  im  Klaviersatz  spüren, 
die  den  Gang  der  Ideen  bei  Anfängern  hemmt.  Freilich  waren 
Chopin  und  das  Klavier  Freunde,  die  sich  ä  demi-mot  ver- 
standen. 

Doch   die  Gesundheit  mahnt.     Zum   erstenmal   ist  das  Gleich- 


19 

gewicht  zwischen  Körper  und  üeist  ernstlich  gestört.  Die  schwach- 
brüstige  Emilie  wird  1826  nach  Bad  Reinerz  in  Schlesien  geschickt 
und  Friedrich  geleitet  zwei  Schwestern  unter  der  Hut  der  Mutter. 
Der  Kranke  unterzieht  sich  der  Kur  ohne  üble  Laune  und  ist,  wie 
ein  Brief  an  seinen  Schulkameraden  W.  v.  Kolberg  zeigt,  glück- 
lich, seine  polnische  Nörgelsucht  persönlich  karikierend  betätigen 
zu  können.  Unter  den  Musikern  hat  es  ihm  „ein  hagerer  Fagottist 
mit  einer  schnupftabaktriefenden  Sattelnase"  angetan;  auch  die  Ge- 
sellschaft seiner  Landsleute  stimmt  ihn  angenehm,  sein  Aussehen 
bessert  sich,  und  es  bleibt,  wie  er  seinem  Lehrer  Eisner  schreibt, 
nur  zu  beklagen,  daß  die  Klaviere  in  Reinerz  seinen  Versuchen, 
ihnen  Wohlklang  zu  entlocken,  hartnäckig  widerstehen.  Die  Marter 
hat  bald  ein  Ende,  und  ein  Besuch  in  Stryszewo,  an  den  sich  ein 
noch  wichtigerer  in  Antonin,  dem  Gut  des  Fürsten  Radziwill,  knüpft, 
bildet  den  Abschluß  der  ersten  bescheidenen  Auslandreise  des  jungen 
Chopin.  Fürst  Radziwill,  der  Komponist  der  Faustmusik,  Statthalter 
von  Posen  und  eine  unter  den  Berliner  Musikern  hochangesehene 
Persönlichkeit,  soll  unserm  Friedrich  nach  Liszts  Darstellung  mehr 
als  ein  Gönner,  ein  freigebiger  Förderer  gewesen  sein.  Die  Familie 
Chopins,  von  der  polnischen  Noblesse  angekränkelt,  hat  diese  keines- 
wegs ehrenrührige  Behauptung  mit  Entschiedenheit  in  das  Reich 
d-er  Legende  verwiesen.  Sie  scheint  auch  zweifelhaft,  wenn  man  in: 
Briefwechsel  der  sorgfältigen  Behandlung  finanzieller  Fragen  be- 
gegnet. Tatsache  ist,  daß  Fürst  Radziwill,  ein  häufiger  Gast  War- 
schaus, der  Lokalberühmtheit  Chopin  nähertrat  und  der  ungewöhn- 
lichen  Erscheinung  aufmerksame  Sympathie  schenkte. 

Die  Ereignisse  in  Warschau  überstürzen  sich  nicht.  Der  Kon- 
servatoriumsschüler überwindet,  wie  sich  von  selbst  versteht,  den 
Lyzeumszögling;  der  entzückte  Eisner  läßt  ihm  mehr  und  mehr  freie 
Hand.  Chopin  glänzt  in  den  Salons,  lebt  ein  Doppelleben,  oder  viel- 
mehr lebt  seinem  Genius.  Aus  dem  Traumleben  seiner  Seele  führt 
kaum  eine  Brücke  zur  Wirklichkeit,  deren  Anprall  er  unter  Um- 
ständen wie  einen  physischen  Schmerz  empfindet.  Von  den  Dingen 
der  Welt  ist  es  fast  ausschließlich  der  Mensch,  der  ihn  zur  Reaktion 
reizt.  Wie  er  mit  merkwürdiger  zeichnerischer  Begabung  Karikatu- 
ren hinwirft  —  ein  Akt  der  Gegenwehr?  — ,  so  fesselt  das  häusliche 
Theaterspiel  den  Mimiker  in  ihm.     Der  Schauspieler  im  modernen 

2* 


20 

Musiker  erscheint.  Das  Witzige  und  das  Schwärmerische,  das 
Heine  im  geringsten  Polen  entdeckte,  findet  hier  eine  höhere 
Synthese. 

„Jetzt  aber  schreibe  ich  Dir  wie  ein  Wahnsinniger,  denn  ich 
weiß  tatsächlich  nicht,  was  mit  mir  geschieht.  Ich  reise  heute  nach 
Berlin!";  diese  Ankündigung  lesen  wir  nach  einer  kurzen  Einleitung 
in  einem  Schreiben  vom  9.  September  1828  an  Titus  Wojciechowski. 
Wieder  einer  von  jenen  Freunden,  denen  er  romantischen  Gefühls- 
überschwang widmet.  Der  Küsse  unendliche  Zahl,  die  schranken- 
lose Hingabe  erinnert  an  die  geschlechtslose  Schönheit,  von  der  jene 
feine  Beobachterin  sprach.  Romantisches  Empfinden,  polnische  Zärt- 
lichkeit ist  hier  wiederum  individuell  gesteigert.  Und  das  Feminine 
in  Chopin  sucht  Halt  an  einem  Menschen,  den  wie  Titus,  einen  zu- 
künftigen Landwirt,  ein  starker  Wirklichkeitssinn  auszeichnet.  Die 
Männlichkeit  dieses  Freundes  wehrt  sich,  wie  Chopins  sanftes 
Schmollen  und  immer  stürmischeres  Drängen  beweist,  bei  aller  auf- 
richtigen Zuneigung  gegen  solchen  Überschwang;  er  ist  kühler, 
^kritischer,  aber  doch  so  musikalisch,  daß  ihm  nicht  ohne  Qrund,  nicht 
ohne  Stolz  vorzugsweise  die  Chronik  des  Geschaffenen,  Fertigen,  in 
vielen  Fällen  auch  die  Entscheidung  über  Einzelheiten  anvertraut 
wird.  Aber  es  ist  rührend  zu  sehen,  wie  beharrlich  der  Dichter  den 
Tatmenschen,  der  doch  immer  noch  Pole  ist,  weich  zu  machen 
sucht.  „Erbarm  Dich  doch  und  schreib  mitunter  ein  Wörtchen, 
sei's  auch  nur  ein  halbes,  wenigstens  einen  Buchstaben,  auch  dieser 
wird  mir  teuer  sein."  Was  ist  uns  Titus  Wojciechowski!  Und 
wieviel  gilt  uns  der  Schreiber,  dem  die  Freundschaft  der  ganzen 
Welt  gehört!  Die  Welt  vernimmt  aus  diesen  Briefen  allerlei:  für 
die  Reise  nach  Berlin,  die  ihn  in  so  wahnsinnige  Aufregung  versetzt, 
wird  hier  das  Programm  mitgeteilt:  „Um  eine  Oper  von  Spontini 
mit  anzuhören,  —  reise  ich  mit  der  Diligence  —  zur  Erprobung 
meiner  Kräfte."  Wir  sehen :  dem  Genius  wird  die  musikalische 
Heimat  zu  eng.  Nicht  die  große  Stadt  lockt  ihn,  sondern  die  Aus- 
sicht, die  Fühler  nach  der  Welt  auszustrecken,  ihr  zuzurufen :  anch' 
io  .  .  . 

Naturforscherversammlung  in  Berlin;  unter  Alexander  von  Hum- 
boldts Leitung.  Auch  der  Professor  Jarocki  aus  Warschau,  Freund 
der  Familie  Chopin,  nimmt  die  Einladung  an.   Friedrich  Chopin  wird 


21 

ihm  anvertraut.  Die  Zoologen  langweilen,  die  Musiker  reizen  ihn. 
Er  soll  sie  durch  Professor  Lichtenstein,  der  als  Freund  Webers 
eine  Nebenpersönlichkeit  der  Musikgeschichte  ist,  kennen  lernen. 
Aber  das  gesellschaftliche  Chaos  vereitelt  dies.  Und  scheu  beob- 
achtet der  junge  geniale  Bruder  in  Apoll,  der  den  Weltruhm  in  der 
Tasche  hat,  die  abgestempelten  Berühmtheiten  Mendelssohn,  Spon- 
tini  und  Zelter.  Die  Naturforscher  haben  es  zu  büßen,  daß  sie 
ihn  langweilen.  „Ein  Fröschchen,  besaß  er  die  Pfoten  eines  Bären." 
So  rächte  er  sich  an  dem  Professor,  der  im  Eifer  des  Gesprächs 
mit  seinen  Fingern  auf  Chopins  Teller  herumscharrte.  Von  den 
Berlinerinnen  sagt  er:  „Sie  putzen  sich  wohl,  doch  es  ist  wahrlich 
um  die  herrlichen,  feingeschnittenen  Musselins  für  solche  Leder- 
puppen schade. "  Der  Karikaturist  ist  an  der  Arbeit,  nagelt  Form- 
losigkeit und  Ungrazie  fest.  Darin  erschöpft  sich  sein  schriftstelle- 
risches, sein  zeichnerisches  Talent.  Sonst  gewinnt  ihm  die  Ber- 
liner Wirklichkeit  wenig  ab;  den  Dichter  in  ihm  verurteilt  sie  zum 
Schweigen.  Er  sucht  Klaviere,  möchte  gern  der  Schlesingerschen 
Musikalienhandlung  mehr  als  einen  flüchtigen  Besuch  abstatten;  in 
der  Bibliothek  entdeckt  er  einen  eigenhändigen  Brief  Kosziuskos. 
„Das  Wichtigste  aber  ist,  daß  ich  bereits  ein  Oratorium  in  der 
Singakademie,  den  Cortez,  Cimarosas  „il  matrimonio  segreto"  und 
Onslows  „Kolporteur"  mit  Befriedigung  mit  angehört  habe.  Hän- 
deis „Cäcilienfest"-Oratorium  nähert  sich  jedoch  am  meisten  dem 
Ideale,  das  ich  mir  von  erhabener  Musik  gebildet."  Die  Auf- 
führung fordert  manches  „Wenn"  und  „Aber"  heraus.  „Dies  wird 
wohl  erst  in  Paris  wegfallen."  Doch  zu  einem  Akt  der  Klug- 
heit reicht  immer  noch  die  Zeit:  „Ich  habe  auch  den  Redak- 
teur einer  Berliner  Musikzeitung  gesehen  und  mit  ihm  einige 
Worte  gewechselt."  Sollte  es  der  Beethovenapostel  Marx  ge- 
wesen sein? 

Dem  jungen  Chopin  sagt  das  damalige  musikalische  Berlin  nicht 
viel.  Ein  frostiger  Hauch  weht  ihn  von  der  Stadt  der  Bildung 
und  Gelehrsamkeit  an.  Ein  feiner  Instinkt  läßt  ihn  ahnen,  daß 
hier  unromantische  Nüchternheit  wohnt,  trotz  E.  T.  A.  Hoffmann, 
der,  vom  Schicksal  nach  Warschau  verschlagen,  der  polnischen  Haupt- 
stadt eine  feurige  klassische  Lektion  gehalten  hatte.  Ahnt  er,  daß 
es  hier  einen  Kritiker  Ludwig  Rellstab  gibt,  der  wenige  Jahre  dar- 


22 


auf  versuchen  wird,  Chopins  Poesie  mit  Keulenschlägen  zu  töten, 
weil  sie  seiner  Grammatik  widerspricht?  Er  kehrt  mit  Erfahrun- 
gen heim;  die  Sehnsucht  nach  der  Welt  verläßt  ihn  nicht;  es  gärt 
in  ihm;  sehen  wir  zu,  wie  der  Träumer  und  Stürmer  sich  aus- 
einandersetzen. 


23 
VIRTUOSENTRÄUME 

So  sind  wir  denn  wieder  in  Warschau;  in  dem  Warschau,  das 
als  echter  Krähwinkel  mit  den  Allüren  der  Großstadt  den  Klein- 
krieg eifersüchtiger  Musikanten  für  musikalischen  Fortschritt  hält; 
wo  hier  ein  Kapellmeister  Kurpinski,  dort  ein  zugewanderter  ita- 
lienischer Gesanglehrer  Soliva  das  Intrigenspiel  kleinhirniger  Men- 
schen betreibt.  Selbst  die  Patriarchengestalt  eines  Eisner  ist  dem 
Streit  dieser  Duodezdirigenten  und  patentierten  Stimmverderber  nicht 
entrückt.  Die  Presse,  die  sich  zu  ihrem  Sprachrohr  macht,  schafft 
dem  Publikum  die  —  menschlicher  Bosheit,  und  wäre  es  auch  die 
liebenswürdigste  —  unentbehrliche  Unterhaltung.  Theater  und  Oper 
nähren  sich  von  ausländischen  Brocken,  und  das  sonst  so  reizbare 
polnische  Nationalgefühl  gibt  sich  zufrieden. 

Diesem  Treiben  also  fühlt  sich  das  junge  Genie  fremder  denn 
je.  „Ich  renne  von  Annas  zu  Kaiphas  und  bin  heute  auf  einen 
Abend  bei  Wincengerod,  von  der  ich  auf  einen  zweiten  zu  Fräu- 
lein Kicka  fahre.  Du  weißt,  wie  das  schmeckt,  wenn  man  schlafen 
will  und  um  eine  Improvisation  gebeten  wird.  Es  allen  recht 
machen!  Nicht  häufig  kommen  mir  solche  Gedanken,  wie  sie  mir 
oft  des  Morgens  an  Deinem  Pantaleon  so  leicht  unter  die  Finger 
kommen.  Wohin  ich  mich  auch  wende  —  überall  die  elenden  In- 
strumente Lesczynskis!  Ich  habe  auch  nicht  eins  gefunden,  das  im 
Ton  dem  unsrigen  oder  dem  Pantaleon  Deiner  Schwester  gleich- 
käme ..."  So  klagt  er  seinem  Titus.  Der  hätte  ihn  die  eherne 
Rücksichtslosigkeit  lehren  können,  die  ein  schwacher  Musiker  seiner 
Konstitution  dem  Salon  gegenüber  noch  nicht  aufbringt.  Kleinere 
Geister  wissen  sich  zu  wehren ;  er  aber,  der  Überempfindliche,  von 
Stimmungen  mehr  als  andere  Abhängige  soll  Phantasie  und  Kla- 
vier zu  einem  Bündnis  zwingen,  zu  dem  sie  sich  in  glücklicher 
Stunde  von  selbst  zusammenschließen.  Und  in  seiner  Mappe  ruhen 
bereits,  mehr  oder  weniger  abgeschlossen,  jene  Erstlinge,  die  sich 
nach  einer  Opuszahl  sehnen.  Seinem  Titus  erzählt  er  von  ihnen, 
aber  die  Öffentlichkeit  hat  noch  keinen  Anteil  daran,  und  der 
Monograph  tut  recht,  erst  dann,  wenn  sie  sich  in  salonfähiger  Klei- 
dung zeigen  —  denn  diese  ersten  Musenkinder  sind  im  besten 
Fall   nur   salonfähig   —   den   Schleier   von    ihnen   zu   ziehen. 


24 

Stärkere  Hemmungen  hat  der  Auslandsdrang  des  Virtuosen  noch 
nicht  zu  überwinden.  Freundschaft,  selbst  die  romantischste,  kann 
ihn  nicht  halten;  zumal  wenn  die  Männlichkeit  jenes  Tatmenschen, 
zum  Entschluß  drängt  und  das  Aufgeben  der  Unentschlossenheit, 
als  ein  Zugeständnis  an  die  Freundschaft  betrachtet.  Auch  die  Liebe 
schlingt  noch  nicht  ihre  Bande  um  ihn,  wie  sie  ihn  einige  Monate 
später  beseligend  hemmen  wird.  Ja,  der  Bericht  über  die  Ver- 
führung einer  Gouvernante,  die  nur  deshalb  nicht  auf  seine  Rech- 
nung zu  setzen  ist,  weil  die  äußeren  Reize  der  jungen  Dame  nicht 
lockend  genug  waren,  zeigt,  wie  er  wohl  imstande  wäre,  seinen 
natürlichen  Instinkten  unbekümmert  und  unromantisch  zu  gehorchen. 
Dagegen  gibt  es  Positives  genug,  was  ihn  zum  Aufbruch  mahnt. 
Fremde  Virtuosen  lassen  sich  hören  und  regen  seinen  Ehrgeiz  an. 
Hummel,  ein  Meister,  der  ihn  als  Komponist  und  als  Pianist  dank- 
bar stimmen  muß,  Jünger  Mozarts,  zu  dem  er  sich  freudig  bekennt, 
hat  1828  mehrmals  im  Warschauer  Theater  gespielt.  Der  große' 
Paganini,  dem  er  schon  in  Berlin  entgegengeharrt,  erfüllt  1829  seine 
Sehnsucht.  Sie  setzen  sich  in  inneres  Erlebnis  um,  ohne,  soweit 
unsere  Briefkenntnis  reicht,  einen  Erguß  in  Worten  hervorzurufen. 
Stephen  Heller  konzertiert  im  gleichen  Jahr.  Und  endlich  entläßt 
das  Warschauer  Konservatorium  ihn,  den  begabtesten  seiner  Zög- 
linge, mit  dem  musikalischen  Handwerkszeug,  das  seinem  Genie 
längst  natürliches  Ausdrucksmittel  geworden  ist,  ihm  die  Schwin- 
gen zu  freiem  Flug  gestärkt  hat. 

Wir  dürfen  uns  daher  nicht  wundern,  ihn  schon  am  letzten 
Juli  des  Jahres  1829  in  Wien  zu  finden.  Dort  ist  nicht  lange  vor- 
her Beethovens  sterbliche  Hülle  beigesetzt  worden.  Ob  unseren 
Friedrich  Chopin  die  Schauer  der  Ehrfurcht  packen  werden?  Nein, 
davon  ist  nichts  zu  spüren.  Der  echte  Beethoven  war  ihm  kaum 
vertraut,  und  wäre  er  es  gewesen,  so  hätte  den  so  anders  Ge- 
stimmten das  nicht  hindern  können,  sich  dem  Vollgenuß  der  ersten 
Virtuosenerfolge  hinzugeben.  Aber  auch  der  Komponist  kann  um 
so  kühner  aller  Tradition  und  Pietät  entsagen,  als  er  sich  von 
unstillbarem  Verlegerheißhunger  ermutigt  sieht :  „Haslinger  behauptet, 
es  werde  für  meine  Kompositionen  von  Vorteil  sein,  wenn  Wien 
sie  hören  wird,  die  Zeitungen  würden  sogleich  lobend  über  mich 
schreiben,  wofür  alle  bürgen   ...    Er  bürgt  mir  dafür,  daß  gegen- 


25 

vvärtigf  der  geeignetste  Zeitpunkt  sei,  weil  die  Wiener  nach  neuer 
Musik  lechzen."  Man  denke:  die  Wiener  lechzen  nach  neuer  Musik, 
nachdem  sie  eben  nicht  nur  Beethoven,  auch  Schubert  zu  Grabe 
getragen  haben.  Würfel,  ein  Warschauer  Musiker,  nun  Kapellmeister 
am  Kärntnertheater,  versichert  ihm  das,  und  es  wird  wohl  wahr 
sein.  So  räumt  leicht  geschmeichelte  Virtuoseneitelkeit  und  unbe- 
schwerte Jugendlust  bald  die  seelischen  Hemmungen  hinweg,  die 
sich  zwischen  Chopin  und  ein  öffentliches  Auftreten  stellen.  Ein 
üedanke,  den  er  kaum  zu  fassen  wagt,  wird  ausgeführt.  Was  wer- 
den die  Seinigen,  was  wird  Eisner  davon  denken?  „Seid  um  meine 
Person  und  um  meinen  Ruhm  unbesorgt."  So  schreibt  er  zwischen 
dem  ersten  und  dem  zweiten  Konzert,  läßt  Eisner  um  Verzeihung 
bitten,  freut  sich  der  Hochachtung  der  Journalisten,  die  sich  von 
Berufs  wegen  noch  nicht  haben  vernehmen  lassen,  quittiert  ent- 
zückt über  irgendein  privates  Lob,  gerade  weil  es  von  deutscher 
Seite  kommt,  und  hat  vor  allen  Dingen  selbst  das  Gefühl,  den 
ersten  Schritt  nicht  umsonst  getan  zu  haben.  Beethovens  Prome- 
theusouvertüre, die  er  wohl  bei  diesem  Anlaß  zum  ersten  Male 
hört,  hat  seine  erste  musikalische  Akademie  eingeleitet.  Seine  Va- 
riationen über  „la  ci  darem  la  mano"  und  sein  Krakoviak,  rondeau 
de  concert,  sollen  die  gewöhnlichen  Gesangsnummern  umrahmen. 
Das  Orchester  weiß  sich  aber  in  den  Stimmen  des  letzten  Werkes 
nicht  zurechtzufinden  und  macht  dem  unbekannten  Komponisten 
Schwierigkeiten,  die  von  ihm  kurzerhand  dadurch  beseitigt  werden, 
daß  er  eine  freie  Fantasie  an  die  Stelle  des  Rondos  setzt.  Selbst 
auf  die  Streikenden  springt  der  Funke  über,  und  sie  stimmen  in  den 
lauten  Beifall  des  Publikums  ein.  So  folgt  der  ersten  Akademie 
eine  zweite  auf  dem  Fuß ;  man  läßt  sich  diese  glänzende  Zug- 
kraft nicht  entgehen,  die  nichts  fordert,  viel  einbringt  und  die  Kenner 
durch  alle  Schnörkel  hindurch  eine  neue  Welt  schauen  läßt.  Die 
Variationen  bewilligt  er  noch  einmal  als  ritterlicher  Freund  der 
Frauen ;  und  auch  die  Schuld  des  Krakoviak  löst  er  ein.  Es  ist 
nicht  ohne  Reiz,  Zeuge  der  Ausbrüche  von  Lebenslust,  der  Freude 
über  seine  Triumphe  zu  sein ;  wir  gönnen  sie  dem  Künstler,  in  dem 
solche  Stimmungen  später  nur  flüchtig  auftauchen,  von  Herzen.  „Man 
verspricht  mir  gute  Rezensionen.  Ich  war  heute  bei  einem  Jour- 
nalisten; zum  Glück  habe  ich  ihm  gefallen."    Die  guten  Rezensionen 


26 

ließen  ein  wenig  auf  sich  warten;  aber  sie  kamen,  bestärkten  das 
Gefühl  der  Befriedigung,  das  Musiker,  Freunde,  er  selbst  im  in- 
neren genährt,  und  deuteten,  die  einen  eindrucksvoller,  die  anderein 
vorsichtiger,  auf  seine  Eigenart.  Der  leise  Vorwurf,  den  Stimmen 
aus  dem  Publikum  ihm  zu  verstehen  gaben,  daß  er  nämlich  den 
an  das  Pauken  der  großen  Pianofortevirtuosen  gewöhnten  Ohren 
zu  wenig  kräftig  gespielt  habe,  wandelt  sich  ihm  sofort  in  ein  Lob. 
Der  Graf  Moritz  Lichnowsky,  „derselbe,  der  Beethovens  bester  Freund 
war,"  spendet  ihm  gleich  anderen  Mitgliedern  der  Aristokratie  höchste 
Anerkennung,  will  ihm  aber  nach  dem  ersten  Konzert  seinen  eigenen 
Flügel  zur  Verfügung  stellen.  Wir  begreifen :  auch  der  Freund  des 
großen,  knorrigen  Beethoven  verlangt,  aus  ganz  anderem  Grund 
als  die  gemeine  Menge,  Größe  des  Tones.  Chopin  lehnt  geschmeichelt 
ab:  es  sei  eben  nur  seine  Art  zu  spielen.  „Ich  weiß,  daß  ich  den 
Damen  und  den  Künstlern  gefallen  habe."  Oder:  „Die  Gelehrten 
und  die  Gefühlvollen  habe  ich  für  mich  eingenommen."  Die  Er- 
kenntnis der  eigenen  Art  ist  ihm  aus  dem  Dämmerlicht  getreten. 
Der  edlen  Frau,  der  er  sich  verwandt  fühlt,  weiht  er  den  Inhalt 
seiner  Musik ;  mag  den  jungen  Künstler  auch  nur  ein  kokettes  Lächeln 
entlohnen,  es  kann  ihm  Quelle  des  Schaffens  werden.  Aber  heilig  ist 
ihm  die  Tonkunst;  die  seinige  soll  das  Parfüm  des  Salons  atmen,  ohne 
von  ihm  betäubt  zu  werden,  soll  Anschluß  an  die  Meister  der  Ver- 
gangenheit suchen.  So  zeichnet  sich  ihm  in  klaren  Umrissen  das 
Wesen  seiner  Kunst.  Er  sieht  sich  verstanden ;  auch  von  den  Deut- 
schen, denen  er  als  Pole  stets  etwas  am  Zeuge  flickt.  Seine  Emp- 
findlichkeit ist  um  so  leichter  gereizt,  wenn  in  dem  Lobeshymnus 
ein  Mißton  erklingt.  Er  fehlt  nicht.  Aber  zum  erstenmal  spricht 
der  Briefschreiber  mit  einer  unaufhörlich  sprudelnden  Naivität,  die 
uns  einen  Ersatz  für  schriftstellerisches  Können  bietet,  da  Wien 
ihn  begeistert.  Anders  als  in  Berlin  tritt  er  —  und  er  berichtet  es 
stolz  —  in  der  geselligen,  lebhaften  Donaustadt  den  Musikern  Gyro- 
wetz,  Franz  Lachner,  Konradin  Kreutzer,  Schuppanzigh,  Seyfried, 
Leopoldine  Blahetka  näher,  fühlt  sich  als  einer  von  ihnen.  Der 
würdige  Schulmeister  Czerny  wird  von  dem  genialen  Antipoden, 
der  Leute  solchen  Schlages  aus  dem  Sattel  heben  soll,  trotz  aller 
Güte  bekrittelt:  „ein  guter  Mensch,  sonst  nichts."  Der  Freuden- 
rausch, die  Steigerung  des  Selbstgefühls  dauert  auch  nach  dem  ruh- 


27 

renden  Abschied  von  Wien  an.  Prag,  wo  er  dem  Slawentum  mit 
einem  Mazurek  seine  Reverenz  bezeigt,  führt  ihm  auf  einen  Streich 
den  ansässigen  Musiker  Pixis  und  den  berühmten  Dresdner  Kol- 
legen Alexander  August  Kiengel  zu.  Der  spielt  ihm  zwei  Stunden 
lang  seine  Fugen  vor.  „Er  spielt  hübsch,  ich  würde  mir  jedoch 
einen  besseren  wünschen  (darüber  aber  Stillschweigen !).  Doch 
immerhin :  Eine  schöne  Bekanntschaft,  ich  schätze  sie  mehr  als  die 
des  armen  Czerny  (doch  darüber  Stillschweigen)."  Es  fehlt  unter- 
wegs nicht  an  angenehmen  Zwischenfällen,  die  den  Karikaturisten 
reizen.  Der  Niederschlag  aller  Empfindungen  wird  Titus  Wojcie- 
chowski  vorbehalten.  Er  bekennt  ihm,  daß  nach  Krakau  (der  Polen- 
stadt) Wien  ihn  „betäubt,  geblendet,  betört",  seine  Sehnsucht  nach 
der  Heimat,  nach  den  Seinigen,  nach  dem  Freunde  zum:  Schweigen 
gebracht  habe.  Wirklich?  Aber  der  lebensfrohe  Chopin  vergißt 
den  anderen,  der  eben  in  jenen  Wiener  Tagen  in  sein  Tagebuch 
folgendes  geschrieben  hatte: 

„Heute  war  es  schön  im  Prater,  eine  Menge  von  Leuten,  die 
mich  nichts  angehen.  Das  Grün  bezauberte  mich,  der  Frühlings- 
duft und  die  Unschuld  in  der  Natur  weckten  in  mir  Gefühle  aus 
meinen  Kindheitstagen.  Ein  Gewitter  war  im  Anzüge,  ich  kehrte 
daher  nach  Hause  zurück.  Das  Gewitter  verzog  sich,  und  mich 
erfaßt  jetzt  Trauer.  Warum  ?  Selbst  die  Musik  erfreut  mich  heute 
nicht;  es  ist  schon  so  spät,  und  ich  habe  noch  nicht  das  Bedürfnis 
zu  schlafen.  Ich  weiß  nicht,  was  mir  eigentlich  fehlt,  und  ich  habe 
vor  kurzem  doch  das  dritte  Jahrzehnt  begonnen!  Die  Zeitungen 
und  Plakate  kündigen  schon  mein  in  zwei  Tagen  stattfindendes  Kon- 
zert an,  aber  mich  geht  das  so  wenig  wie  möglich  an.  Ich  beachte 
die  Komplimente  nicht  mehr,  die  mich  immer  fader  dünken.  Ich 
sehne  mich  nach  dem  Tode  und  möchte  meine  Eltern  noch  einmal 
wiedersehen.  Konstanzes  Bild  steht  mir  vor  Augen,  ich  glaubte 
sie  nicht  mehr  zu  lieben,  und  doch  umschwebt  sie  mich  noch  immer. 
Alles,  was  ich  bis  jetzt  von  der  Fremde  kennen  gelernt,  dünkt  mich 
so  kalt,  so  unerträglich  und  weckt  nur  Sehnsucht  nach  der  Heimat, 
nach  all  den  herrlichen  Augenblicken,  die  ich  dort  nicht  zu  schätzen 
wußte.  Was  mir  einstmals  groß  schien,  kommt  mir  heute  so  all- 
täglich vor,  die  Menschen  hier  sind  nicht  die  meinigen,  sie  sind 
wohl  gut,   aber  gut  aus   Gewohnheit,    tun   alles   so  ordentlich,   ach 


28 

gar  zu  ordentlich,  flach,  mittelmäßig,  was  mich  vollends  aus  der 
Fassung  bringt.  Nicht  einmal  riechen  kann  ich  die  Mittelmäßig- 
keit.    So   traurig  bin  ich,  kann   mir  keinen   Rat  scharfen!" 

Wir  haben  Chopin  bei  einem  Selbstgespräch  belauscht.  Es  ist 
so  charakteristisch,  enthüllt  den  Grund  seines  Wesens  so  klar,  daß 
nichts  in  ihm  verschwiegen  werden  darf;  nicht  der  Bedeutung  des 
Gedankenganges  wegen,  die  ohne  weiteres  preiszugeben  ist.  Ja, 
diese  Gedanken  müssen  begrenzt  sein,  weil  sie  der  Stimmung  ent- 
strömen, ihr  die  Logik  entleihen.  Und  nicht  etwa  einer  erhabenen 
Stimmung,  sondern  einem  nervösen  Ermattungszustand  der  Puber- 
täts  jähre,  dem  sich  Chopin  nach  weiblicher  Art  willenlos  überläßt. 
Die  Reizbarkeit  eines  Polen,  eines  durch  Zärtlichkeit  Verwöhnten, 
im  besonderen  Einzelfall  gesteigert.  Der  Groll  gegen  eine  Welt, 
deren  flaches  Empfinden  sein  Feingefühl  verletzt,  glimmt  im  Künst- 
ler unter  der  Maske  der  Höflichkeit,  Liebenswürdigkeit,  Fröhlichkeit 
fort.  Aber  die  Lyrik  gleitet  —  selten  genug  —  in  das  Wort.  Ein 
Frauenname  taucht  auf:  Konstanze.  Wie  sie,  die  kaum  Geschaute, 
die  vergessen  Geglaubte,  ihm  den  männlichen  Entschluß  zur  Reise 
nach  Wien  noch  nicht  durchkreuzt  hat  und  ihn  doch  heimsucht, 
so  wird  sie  auch  die  Muse  sein,  die  ihn  auf  seinem  \{/eg  ins 
künstlerische  Neuland   geleitet. 


29 
ZWISCHENSPIEL 

Wir  wohnen  nun  einem  ganz  einzigen  Schauspiel  bei:  Chopin 
im  Kampf  zwischen  Vernunft  und  Herz.  Der  Pole  in  ihm  hängt 
mit  allen  Fasern  an  der  Scholle;  das  Genie,  das  für  seine  Kunst 
aus  der  heimatlichen  den  Saft  gesogen  hat,  fühlt  sich  von  dem 
brennenden  Ehrgeiz  nach  musikalischem  Weltbürgertum,  von  dem 
Glauben  an  eine  hohe  Sendung  getrieben;  endlich  kommt  die  erste 
Liebe,  durchdringt,  verklärt  sein  Scharfen  und  läßt  in  dem  Ringen- 
den die  Wagschale  nach  der  Seite  des  Gefühls  sinken:  doch  rafft 
er  sich  auf  und  folgt  dem  inneren  Dämon,  der  ihn  zwingt,  den 
Weltruhm  mit  ewiger  Entbehrung  zu  erkaufen.  Wohl  nirgends  er- 
scheint uns  der  gebrochene  Wille  des  Musikers  in  so  hellem  Licht 
wie  in  jenen  Briefen,  die  er  nun  ganz  selbstverständlich  an  den 
Tatmenschen  Titus  Wojciechowski  richtet,  als  an  den  einzigen,  der 
stark  genug  ist,  in  ihm  die  Entscheidung  herbeizuführen.  So  meint 
er  wenigstens;  denn  das  Zwingende  ist  in  ihm,  und  nur  die  Billi- 
gung bleibt  auf  der  andern  Seite  nicht  aus.  Der  Normalmensch 
mit  dem  undurchkreuzten  Willen,  mit  der  gut  bürgerlichen  Welt- 
kfugheit  mag  diese  Ergüsse  überlegen  als  kindlich  belächeln;  uns 
andere  aber  reizt  gerade  der  Mangel  an  Klugheit,  dieses  unverhüllte 
Sichpreisgeben  mit  dem  Gefühl,  als  ob  wirklich  noch  immer  nicht 
alles  gesagt  sei.  Der  Schreiber  setzt  die  Feder  an,  ohne  sie  je 
in  ihrem  Lauf  zu  hemmen,  bringt  die  Willenskraft  nicht  auf,  Inhalt 
und  Form  zu  prüfen;  er  will  nicht  feilen,  er  will  nicht  Logiker 
noch  Künstler  sein.  Auch  den  holden  Selbstbetrug  vorgetäuschter 
Wirklichkeitshemmungen  verschleiert  er  nicht  vor  dem  Freund;  und 
hier  ersteigt  romantische  Freundschaft  den  Gipfel.  Sie  kann  es  auch ; 
denn  jene  erste  Liebe  und  sie  befehden  sich  noch  nicht;  noch  ruft 
nicht  unzweideutige  Erotik  den  Mann  herrisch  zu  sich,  zwingt  ihn 
nicht  mit  den  stärksten  Waffen  nieder.  Hier  wie  dort,  in  der  Freund- 
schaft, in  der  Liebe,  waltet  Poesie,  und  sie  deckt  zart  den  Schleier 
über  die  letzten  Ursprünge  des  Gefühls.  So  kann  es  geschehen, 
daß  die  Sprache  der  Liebe  und  die  der  Freundschaft  von  dem 
gleichen  Kapital  zehren ;  ja,  der  Vertraute  wird  begehrt,  die  Ge- 
liebte nur  verehrt;  freilich  mit  einer  Hingabe,  die  keine  Hingabe 
fordert;  mit  einer  Sehnsucht,  der  Erfüllung  kein  Lohn  wäre.    Seines 


30 

Freundes  harrt  er  „mit  rasiertem  Schnurrbart",  er  muß  sich  „waschen 
gehen",  um  seines  Kusses  würdig  zu  sein.  Wer  lächeln  möchte, 
liest  nicht  eben  lange  danach  die  stolzen  Worte:  „Ich  habe  eine 
große  Etüde  nach  meiner  Art  komponiert."  Chopin  blickt  nach 
den  Fenstern  von  Titus'  Wohnung,  bewahrt  seine  Briefe  stets  an 
seiner  Brust;  sehnt  sich  nach  ihm  stärker  denn  je.  Aber  die  Sehn- 
sucht erklärt  sich  leicht:  die  Stürme  in  seinem  Herzen  wollen  auch 
in  Worten  austoben ;  ehe  sie  es  gekönnt,  sind  sie  Musik  geworden. 
Es  ist  Musik,  die  ihm  die  Pforten  zum  Weltruhm  zu  öffnen  scheint; 
er  braucht  jetzt,  nur  jetzt,  wo  der  Dämon  ihn  quält,  die  Bestätigung 
dieses  seines  Gefühls.  Der  Freund  muß  ihm  sagen,  ob  die  innere 
Stimme  nicht  trügt.  Über  dem  f-moll-Konzert  schwebt  als  guter 
Geist  sein  Ideal.  Ihm  dient  er  bereits  seit  einem  halben  Jahr  treu, 
ohne  mit  ihm  zu  sprechen ;  von  ihm  träumt  er,  seinem  Andenken 
gilt  das  Adagio.  „Schenke  der  mit  +  bezeichneten  Stelle  Deine 
Aufmerksamkeit.  Ausser  Dir  weiss  niemand  davon."  Sein  träu- 
mendes Ich  gewinnt  mehr  und  mehr  die  Oberhand:  „Wie  oft,  ach, 
halte  ich  die  Nacht  für  den  Tag  und  den  Tag  für  die  Nacht;  wie 
oft  lebe  ich  im  Traum  und  schlafe  am  Tag,  ja  schlimmer  noch, 
als  wenn  ich  schliefe,  weil  ich  immer  dasselbe  fühle;  —  und  an- 
statt in  dieser  Betäubung  etwa  wie  im  Schlaf  Erquickung  zu  finden, 
quäle  ich  mich  nur  noch  mehr  und  werde  immer  schwächer  .  .  ." 
Aber  sein  träumendes  und  sein  schaffendes  Ich  sind  innig  verwandt 
In  diesen  sturmbewegten  Wochen  und  Monaten  vermag  seiner  Ge- 
danken Fülle  selbst  die  große  Form  zu  befruchten;  die  beiden  Kon- 
zerte werden  geboren;  seine  Eigenart  leuchtet  auch  in  dem  auf, 
was  später  die  Welt  erschauern  macht.  Als  einmal  in  den  Pariser 
letzten  Leidensjahren  die  Erinnerung  an  diese  Zeit  erwacht,  nennt 
er  sie  eine  glückliche  Zeit.  Und  vergißt  doch,  daß  er  damals  schrieb: 
„Ich  würde  gern  die  meine  Fröhlichkeit  vergiftenden  Gedanken  ver- 
scheuchen, fühle  aber  trotz  alledem  eine  Wonne  darin,  mit  ihnen 
zu  kosen ;  ich  weiss  selbst  nicht,  was  mir  fehlt "  Die  Ruhe- 
losigkeit des  Schaffenden  ist  sein  Glück-  Auch  in  dem  schwer- 
mütigen Polen  lebt  der  kindliche  Optimismus,  ohne  den  es  keinen 
Künstler  gibt. 

Von  diesem  Hintergrunde  der  Erregungen  heben  sich  die  we- 
nigen, aber  doch  schwerwiegenden  Ereignisse  ab,  die  den  Abschied 


31 

von  der  Heimat  vorbereiten.  Hinter  den  Kulissen  ein  Hinzögern 
von  Woche  zu  Woche,  von  Monat  zu  Monat;  auf  der  Bühne  neben 
den  Gleichgültigkeiten  des  Salonlebens  künstlerische  Erscheinungen, 
die  mehr  sind  als  flüchtige  Schatten;  und  endlich  die  Kraftprobe 
dreier  Konzerte,   das   ausdrucksvollste   Lebewohl   an    Polen. 

Fürst  Radziwill  hat  ihn  höflichst  nach  Berlin  eingeladen:  „de 
belles  paroles",  sagt  der  Fremden  gegenüber  so  vveltkluge  Chopin. 
Aber  ein  kurzer  Aufenthalt  in  Antonin  wird  ihn  gewiß  anregen. 
Der  Herbst  1829  findet  ihn  dort,  wo  der  Musiker-Gentleman  dem 
Gast  den  ihn  überraschenden  „Faust"  zeigt,  er  und  seine  gütige 
Gattin  das  junge  Genie  mit  den  feinen  Manieren  verhätscheln.  Doch 
nicht  nur  sie.  Es  erscheinen  jene  Nebensonnen,  die  sein  „Ideal" 
wohl  verträgt:  eine  kleinere,  die  Prinzessin  Wanda,  der  er  mit 
„wahrer  Wonne"  die  Fingerchen  stellt;  eine  größere,  die  Prinzessin 
Elise,  jenes  ätherische  Wesen,  das  in  der  Geschichte  der  Hohen- 
zollern  eine  Rolle  zu  spielen  begann  und,  sehr  früh  von  jeder  Erden- 
schwere befreit,  ein  bedeutendes  Blatt  in  Chopins  Lebenserinnerungen 
darstellt.  Die  f-moll-Polonäse,  keine  von  den  starken,  wird  ihr  Lieb- 
lingsstück, das  er  ihr  täglich  vorspielen  muß.  Titus  besitzt  das 
Manuskript,  höchste  Eile  tut  not.  Ein  Mazur  in  Kaiisch :  „unter 
anderem  war  der  Tanz  des  Jaxa  Marcinkowski  sehenswert,  der  in 
dreckigen  Stiefeln  bis  zur  Erschöpfung  sich  drehte"  .  .  .  und  er 
ist  wieder  in  Warschau.  Hier  bemüht  sich  seit  einiger  Zeit  der 
Pianist  und  Etüdenkomponist  Joseph  Kristoph  Keßler,  ein  geborener 
Augsburger,  der  Oberflächlichkeit  durch  musikalische  Freitagabende 
zu  steuern.  Man  spielt  Hummel,  Ries,  des  Prinzen  Louis  Ferdi- 
nand Quartett,  ja  auch  Beethovens  B-dur-Trio,  und  Chopin  gesteht: 
„Etwas  ähnlich  Großes  habe  ich  noch  nicht  gehört,  Beethoven  ver- 
spottet darin  die  ganze  Welt".  Hummel,  der  Klavier-Causeur  par 
excellence,  kehrt  auch  sonst  in  den  Warschauer  musikalischen  Unter- 
haltungen wieder;  Spohr  mit  seiner  tiefergreifenden  Romantik  singt 
sich  in  Chopins  Herz  hinein,  und  nur  seine  Finger  wehren  sich 
gegen  die  Widerhaarigkeit  des  Klaviersatzes.  Am  17.  März  1830 
tritt  endlich  der  Vielbewunderte  selbst  auf.  Sein  Klavierkonzert  in 
f-moll,  das  ihn  mit  den  großen  Meistern  im  Wettbewerb  zeigt,  ist 
die  Hauptnummer  des  Programms;  es  bringt  neben  den  üblichen 
Zwischengerichten   auch   die   Fantasie   über  polnische   Volksweisen. 


32 

Alan  spart  nicht  mit  Lob;  aber  auch  die  Heuchelei  hat  ihren  Anteil 
daran.  Denn  zum  erstenmal  muß  unser  Genie  erfahren,  daß  zwischen 
seiner  Musik  und  der  polnischen  eine  Scheidewand  sich  aufrichtet; 
daß  die  seinige,  im  Kern  polnisch,  sich  über  die  Scholle  erhebt  und 
um  so  weniger  verständlich  ist,  als  ihr  im  Namen  der  Phantasie 
das  Weltbürgerrecht  zuerkannt  wird.  Nur  der  Klangsinn  vermag 
zu  urteilen;  und  er  stellt  fest,  daß  Chopins  Klavierspiel  nicht  kräftig 
genug  sei.  Im  zweiten  Konzert,  wo  er  ein  anderes  Instrument 
spielt,  verschiebt  sich  der  Eindruck  nach  dieser  Seite  ein  wenig. 
Doch  das  f-moll-Konzert,  das  er  wiederholt,  bleibt  —  außer  dem 
Adagio  —  nicht  minder  rätselhaft;  der  Rondeau  Krakowiak  schlägt 
ein,  auch  eine  Improvisation  über  polnische  Volkslieder,  die  den  Ab- 
schluß bildet,  gefällt;  nur  ihm  selbst  nicht,  dem  Dichter,  den  seine 
Umgebung  nicht  hoch  genug  stimmte.  Der  Kassenerfolg  übersteigt 
alle  Erwartung;  ihn  läßt  er  kalt.  Sein  Freund  und  Kollege  Or- 
lowski,  ein  echter  Landsmann,  reinigt  die  polnischen  Themen  von 
allem  Zubehör  und  macht  aus  ihnen  Mazurken  und  Galoppaden. 
Chopin  lehnt  sich  vergeblich  gegen  die  Zwangspopularität  auf,  wie 
er  auch  nicht  hindern  kann,  daß  ihm  in  gebundener  und  ungebun- 
dener' Form  öffentlich  gehuldigt  wird.  Nur  sein  Porträt  verweigert 
er,  um  ihm  die  enge  Berührung  mit  Butter  und  Käse  zu  ersparen. 
Warum  sollten  die  Zeitungen  klüger  sein  als  das  Publikum?  Ihre 
Artikel  sind  ein  einziger  Lobeshymnus,  in  dem  auch  die  Entglei- 
sungen nicht  fehlen.  Doch  findet  sich  in  einem  die  Behauptung: 
wie  die  Deutschen  auf  Mozart,  so  würden  dereinst  die  Polen  auf 
Chopin  stolz  sein.  „Offenbarer  Unsinn !",  meint  der  also  Gefeierte, 
der,  obwohl  geschmeichelt,  die  Äußerungen  der  Lokalpresse  nicht 
für  voll  nimmt.  Ein  drittes  Konzert  steht  in  Sicht.  Aber  es  soll  auf 
sich  warten  lassen;  es  soll  der  Ausklang  sein.  Indes  packt  ih« 
das  Fieber,  die  Reisepläne,  in  denen  Italien  mehr  als  einmal  auf- 
taucht, versinken  wieder  in  Vergessenheit,  in  Unentschlossenheit; 
doch  diesmal  rechtfertigt  sie  sich  mit  der  Unruhe  des  Schaffenden : 
sein  neues  e-moll-Konzert  läßt  ihn  nicht  los,  es  muß  ihn  ganz  be- 
friedigen, wie  es  ihn  erfüllt;  in  allen  Teilen  vollendet  sein.  Da- 
hinter steht  die  Lichtgestalt  seiner  Konstanze.  Ist  sie  nicht  sein 
„Ideal",  so  nennt  er  sie  einfach  Fräulein  Gladkowska.  Eine  Zwei- 
teilung der  Persönlichkeit  tritt  ein:  das  „Ideal"  schwebt  in  seinem 


33 

Traumland,  wird  kaum  körperlich,  wenn  es  ihm  einen  Blick,  ein 
Bändchen  schenkt;  doch  die  Sängerin  Konstanze  Gladkowska,  die 
zum  Menschen  und  Musiker  spricht,  unterliegt  auch  dem  Urteil. 
Die  Welt  fordert  die  fromme  Lüge:  zu  seiner  Gymnasiastenliebe 
Alexandra  de  Moriolles  bekennt  er  sich  offen,  um  auch  den  be- 
obachtenden und  neckenden  Eltern  sein  „Ideal"  nicht  preiszugeben. 
Die  Warschauer  Landtagssession  ist  Vorwand  zu  Festlichkeiten.  Aus- 
ländisches Virtuosentum  läßt  sich  hören.  Aber  auch  die  Damen 
Gladkowska  und  Wolkow,  beide  Konservatoristinnen,  werden  die 
weltbedeutenden  Bretter  zieren.  Neuer  Grund  zur  Unruhe;  neuer 
Anlaß,  die  Solivaschülerinnen  auf  ihre  Fähigkeiten  zu  prüfen,  zu- 
mal eine  Königin  des  Gesanges,  Henriette  Sontag,  ihr  Kommen 
angekündigt   hat. 

Die  Sontag  wird  ihm  eine  Nebensonne.  Die  Frau  und  ihre 
Kunst  fließen  ihm  zusammen.  Paganinis  Verzierungen,  gibt  er  zu, 
wirken  gewaltiger.  Die  Art  der  Sontag  ist  geringer.  Aber  man 
höre  den  ritterlichen,  künstlerisch  tieferregten  Kritiker:  „Man  hat 
die  Empfindung,  als  hauchte  sie  in  das  Parterre  den  Duft  von 
frischen  Blumen  und  liebkoste  mit  der  Wonne  ihrer  Stimme."  Ly- 
rische Dichtung!  Gemach,  auch  sie  wird  sich  in  Schaffen  umsetzen. 
Kein  Glied  in  der  Perlenkette  ihrer  Koloraturen  entgeht  ihm.  Und 
er  wird  nicht  müde,  seinen  Titus  zu  locken,  sie  ihm  zu  schildern. 
Sie  darf  es  wagen,  seinem  „Ideal"  —  nein,  der  Sängerin  Konstanze 
Gladkowska  Ratschläge  zu  erteilen,  ihr  ihren  Beistand  anzubieten. 
„Das  ist  eine  Koketterie  solchen  Grades,  daß  sie  schon  völlig  in 
Natürlichkeit  übergeht  ...  im  Morgenneglige  ist  Fräulein  Sontag 
millionenmal  hübscher  und  angenehmer  als  im  Galakleid  des  Abends." 
In  dieses  Chaos  von  Empfindungen  und  auch  in  den  Briefwechsel 
reißt  ein  Landaufenthalt  in  Poturzyn  bei  Titus  Wojciechowski  eine 
Lücke.  Eine  Sehnsucht  ist  gestillt;  der  andern  zu  leben,  ist  hier 
der  Ort.  Chopin,  der  kein  Freilichtmusiker  ist,  findet  in  der  Land- 
schaft an  sich  nichts,  was  an  sein  Inneres  anknüpft.  Aber  starke 
Erregung  weiß  Gegenstände  zu  beleben;  seine  Grundstimmung  über- 
trägt sich  auf  sie.  Die  Trauerweide  unter  den  Fenstern  will  ihm 
nicht  aus  dem  Sinn.  Zu  jener  romantischen  Arbaleta,  mit  der  ihn 
Titus  neckt,  kehrt  die  Erinnerung  sehnsüchtig  zurück.  Man  darf 
annehmen,  daß  der  Tatmensch  dem  Dichter  das  Rückgrat  zu  stärken 

Weissmann,  Chopin  3 


34 

versucht  hat.  Umsonst.  Da  sind  die  Damen  Gladkowska  und  Wol- 
kow,  deren  Bühnenleistungen  kritisch  liebevoll  verfolgt  werden ;  da 
ist  sein  e-moll-Konzert,  das  nun  alle  Etappen  bis  zur  Aufführung 
zu  durchlaufen  hat.  Da  ist  das  stärkste,  das  erschreckendste  Argu- 
ment: „Ich  bilde  mir  ein,  daß  ich  Warschau  verlasse,  um  nie  wieder 
heimzukehren."  Und  endlich  wieder  das  Empfindungschaos,  das 
sich  aus  Frohsinn  und  Schwermut  zusammenballt  und  jede  Samm- 
lung verhindert.  Das  Salonleben  mit  seinen  Nachtwachen,  vor  denen 
Titus  ihn  einsichtig  warnt,  steigert  die  Unfähigkeit,  sich  zusammenzu- 
raffen. Nun,  da  die  Ausflüchte  dem  Freunde  die  Zornesröte  ins 
Gesicht  treiben,  findet  sich  als  willkommener  Anlaß  zum  Aufschub 
der  Abreise  der  Zustand  allgemeiner  Unruhe  in  Europa,  in  dem 
die  Julirevolution  nachzittert:  Pässe  sind  allerhöchstens  nach  Öster- 
reich und  Preußen  zu  beschaffen.  So,  das  Gewissen  wäre  wieder 
einmal  beruhigt.  Das  Abschiedskonzert  rückt  heran.  Es  amüsiert 
ihn,  eifersüchtige  Duodezmusiker  zur  Orchesterprobe  seines  e-moli- 
Konzerts  zusammenzuladen,  obwohl  ihm  ihr  Urteil,  ausgenommen 
das  Eisners,  gleichgültig  ist. 

Am  11.  Oktober  1830  —  der  Reisekoffer  ist  gekauft,  die  Aus- 
stattung fertig,  er  will  alle  seine  „Schätze"  zurücklassen,  will  ziehen 
trotz  allen  Tränen  und  Lamentos  —  steht  Chopin  zum  letztenmal 
vor  dem  >  Warschauer  Publikum.  Die  Damen  Wolkow  und  Glad- 
kowska erweisen  sich  ihm  so  gefällig,  durch  ihren  Gesang  die  un- 
glücklichen Klarinetten-  und  Fagottsoli  überflüssig  zu  machen.  Soliva 
hat  mit  der  Partitur  des  e-moll-Konzerts  seine  liebe  Not  gehabt 
Es  geht  alles  ausgezeichnet.  Die  Abschiedsstimmung  stärkt  den 
Musikverstand  so,  daß  nicht  nur  die  Phantasie  über  polnische  The- 
men zündet,  sondern  auch  das  Konzertstück  den  Wall  des  Miß- 
verstehens zu  durchbrechen  scheint.  Und  man  bedenke,  wie  die  Nähe 
der  beiden  eben  erblühenden  Schönheiten,  die  Mitwirkung  der  weiß- 
gekleideten, mit  Rosen  im  Haar  geschmückten  Gladkowska  ihn  trug, 
ihn  beseligte!  „Diesmal  habe  ich  mich  selbst,  das  Orchester  hat 
sich,  und  das  Parterre  uns  verstanden."  Selbst  die  wohleinstudierte 
Verbeugung  gelingt;   diese   Paganiniskrupel   schweigen. 

Abschiedsstimmung.  Ob  er  im  letzten  Augenblick  ans  Nimmer- 
wiedersehen dachte?  Seine  Schwermut  ist  vergeßlich.  Die  Zukunft 
erscheint  ihm  heiter  und  rosig.    Ringe  sind  getauscht  worden.   Aber 


35 

auch  die  Frist  von  acht  Tagen,  die  er  sich  gesetzt,  verstreicht 
ohne  daß  er  sich  vom  Platz  rührt.  Am  1.  November  1830  erst 
verläßt  er  Warschau.  Es  geschieht  mit  einer  Feierlichkeit,  die  Hoch- 
achtung, Liebe  und  Wehmut  in  sichtbare  Zeichen  zusammenfaßt. 
Eisner  und  die  Lieben  geben  ihm  bis  Wola  kurz  hinter  Warschau 
das  Geleit.  Dort  huldigen  ihm  die  Konservatoriumsschüler  mit  einer 
Elsnerschen  Kantate.  Ein  Abschiedsmahl  ist  ihnen  allen  bereitet. 
Ein  Pokal  mit  polnischer  Erde,  die  Mahnung,  des  Vaterlandes  nicht 
zu  vergessen,  werden  Chopin  mit  auf  den  Weg  gegeben.  Der 
Wagen  entzieht  ihn  den  Tränen,  den  Umarmungen,  den  Blicken. 
In  Kaiisch  trifft  er  Titus:  der  Mann  der  Tat  führt  den  Dichter  in 
die  Welt  hinaus. 


1* 


REVOLUTIONEN 

Er  geht  zunächst  nach  Wien.  War  es  nicht  dort,  wo  er  den 
ersten  Virtuosentraum  träumte?  Wo  man  ihn  verhimmelt,  gehät- 
schelt hatte  und  seiner  harrte?  Die  Reiseunterbrechungen  werden 
gern  in  den  Kauf  genommen.  Einflußreiche  Bekanntschaften  Re- 
vue passieren  zu  lassen,  sich  in  seinem  jungen  Ruhm  zu  sonnen,  ist 
ehrenvoll  und  kann  Gewinn  bringen.  Gern  stellt  er  dem  Lustspiel 
des  Lebens  das  Spiel  auf  der  Bühne  gegenüber.  In  Breslau  eilt 
er  unverzüglich  in  die  Oper;  macht  dem  alten  Kapellmeister 
Schnabel,  Eisners  *  Freund,  dem  Organisten  Adolf  Friedrich  Hesse 
seine  Aufwartung,  läßt  sich  feiern  und  belächelt  die  musikalische 
Harmlosigkeit  der  Leute.  In  Dresden  kann  er  so  herablassend  nicht 
mehr  sein:  zwischen  der  „Stummen"  im  Theater  und  einer  Schülerin 
Kiengels  hat  er  zu  wählen.  Seine  Ritterlichkeit  führt  ihn  selbst- 
verständlich in  das  Haus  dieser  ihm  von  früher  her  nicht  unbekannten 
Dame.  Dort  „flimmerten  ihm  die  Stricknadeln  vor  den  Augen" ; 
Glatzen  und  Brillen  erregen  seine  Lachlust,  und  eine  italienische 
Primadonna  singt  „nicht  übel".  Der  Hofkapellmeister  Morlacchi 
läßt  ihn  die  eigene  Vesperkomposition  und  Kastratengesang  ge- 
nießen; die  Oper  und  die  Kirchenmusik  finden  seinen  Beifall  nicht. 
Außer  den  polnischen  Landsleuten,  dem  Geiger  Rolla  entgeht  nur 
Kiengel  der  Schärfe  seiner  Kritik;  der  berühmte  Kollege  hört  ihn 
seine  Konzerte  spielen  und  bittet  sich  ihre  Partituren  aus.  Er  wird 
durch  die  seltene  Art  seines  Anschlags  an  das  Spiel  Fields  er- 
innert; Chopins  Virtuosentum  überrascht  ihn  so,  daß  er  alle  Hebel 
in  Bewegung  setzt,  um  Dresden  den  Genuß  seiner  Kunst  zu  ver- 
schaffen. Der  Versuch  mißlingt.  „Außer  der  Gemäldegalerie  habe 
ich  mir  in  Dresden  nichts  zum  zweiten  Male  angesehen;  das  ,Grüne 
Gewölbe*  braucht  man  sich  nicht  mehr  als  einmal  anzusehen."  Kein 
Wort  davon,  ob  die  Sixtinische  Madonna  in  ihm  anklingt;  ein  höchst 
beredtes  Schweigen  und  doch  ein  höchst  merkwürdiges,  wo  ein 
Geist  dem  andern  sich  zu  nähern  scheint.  Der  Karikaturist  ist  viel 
redseliger. 

In  Wien  trifft  er  Ende  November  ein.  Erstes  Stimmungsbild: 
„Meinem  Hofarzt  Jan  Matuszynski,  Ritter  des  Jaceck-Ordens  mit 
den  Klössen  1.  Klasse,  in  seinem  Palais,  wenn  er  zu  Euch  kommt" 


37 

So  ulkt  am  22.  November  der  Übermütige  schon  auf  der  Adresse. 
„Aeskulap,  falls  Du  keinen  Brief  an  mich  geschrieben,  so  sollen 
Dich  Teufel  holen,  soll  der  Blitz  in  Radom  einschlagen,  soll  Dir  der 
Kopf  an  der  Kappe  reissen  .  .  .  Ach,  Du  Schinder!  Warst  wohl 
im  Theater?  Hast  wohl  lorgnettiert,  mit  anderen  karessiert!  Mit 
den  Augen  geblitzt  .  .  . !  War  dem  so,  dann  fahre  ein  Blitz  in  Dich 
drein,  dann  bist  Du  meiner  Anhänglichkeit  nicht  wert."  Hier  ist 
mehr  als  ein  Gran  Sehnsucht;  ein  Eifersüchte  In  und  doch  ein  Über- 
sprudeln der  Laune;  Tirus  ist  bei  ihm,  „neunzig  Grad  Reaumur 
herrschen  im  Innern",  der  Ruhm  winkt,  und  das  „Hundstagsfieber" 
allgemeiner  Verliebtheit  bedroht  ihn  angesichts  der  vielen  hübschen 
Mädchen.  Dieser  Ton  hält  an ;  gern  läßt  er  sich  raten,  nicht  ohne 
Honorar  zu  spielen,  wie  er  dem  vorsichtigen  Verleger  Haslinger 
mit  dem  Motto  „bezahl,  Bestie!"  gegenübertritt.  Allein  weder  die 
Wiener  Unternehmer  noch  Haslinger  kümmern  sich  um  seine  hinter- 
hältige Tatkraft ;  er  lernt  das  Strohfeuer  Wiener  Begeisterung  kennen. 
Während  die  Konzertchancen  erwogen  werden,  sein  Selbstgefühl 
einen  Angriff  erdulden  muß,  eine  geschwollene  Nase  seiner  Eitel- 
keit ein  Schnippchen  schlägt,  tritt  der  Salonmensch  Chopin  in  seine 
Rechte.  Es  ist  ein  ruheloses  Leben,  das  er  nun  führt.  Aber  zwischen 
den  Polen,  die  seine  Sehnsucht  mildern;  den  Musikern,  unter  denen 
der  Geiger  Slavik,  ein  zweiter  Paganini,  und  der  Cellist  Merk  ihm 
ebenbürtig  scheinen ;  den  Mäcenen,  unter  denen  ihm  der  Beethoven- 
freund  Dr.  Malfatti  am  nächsten  steht,  enteilen  ihm  die  Wochen.  Er 
haust  aus  Sparsamkeitsrücksichten  im  vierten  Stock  auf  dem  Kohl- 
markt, läßt  sich  im  Schlafrock  von  dem  jungen  Hummel  zeichnen, 
empfängt  die  Besucher,  arbeitet  wenig,  blickt  auf  den  schönsten 
Spazierweg  hinab,  darf  sich  der  nächsten  Nachbarschaft  der  be- 
kanntesten Verleger  rühmen,  plant  Duette,  besucht  das  Theater,  hält 
Zwiesprache  mit  seinem  Graffschen  Klavier  und  schreibt  Mazureks. 
Er  sieht  mit  Bedauern,  daß  es  mit  dem  Wiener  Ernst  nicht  eben 
weit  her  ist,  daß  Lanner  und  Strauß  und  ihre  Walzer  alles  rings- 
herum beschatten.  Der  Rückschlag  bleibt  nicht  aus.  Und  er  kommt 
um  so  sicherer,  als  der  Warschauer  Aufstand  vom  29.  November 
ihm  seinen  Freund  Titus  entführt  hat.  Der  ist  ohne  ein  Wort  ge- 
gangen. Der  Mann  der  Tat  hat  seiner  Pflicht  genügt  und  will  sich 
nun  nicht  nutzlos  mit  dem  Dichter  belasten.     Chopin  eilt  ihm  nach, 


38 

muß  aber  bald  umkehren,  da  er  ihn  nicht  mehr  erreichen  kann.  Den 
Eltern  verschweigt  er  die  Herzensnot.  Die  Sehnsucht  spricht  sich 
aus,  aber  auch  der  Witz  versucht  sich  zu  behaupten.  So  in  der 
Schilderung  eines  Mazurs:  „Slavik  lag  bald  wie  ein  Hammel  auf 
dem  Fussboden,  und  irgend  eine  deutsche  Komtessa  mit  grosser  Nase 
und  löcheriger  Physiognomie  stelzte,  indem  sie  (wie  dies  einstens 
Mode  gewesen)  mit  zwei  Fingerchen  graziös  das  Kleidchen  hielt 
und  den  Kopf  steif  zum  Tänzer  wendete,  so  dass  die  Halsknochen, 
wo  nur  einer  konnte,  hervorkrochen,  mit  ihren  längen  und  mageren 
Beinen  irgend  einen  merkwürdigen  Watzer-pas.  Sie  ist  jedoch  eine 
ehrbare  Person,  würdig,  gelehrt,  plappert  viel  und  besitzt  usage 
de  monde."  Das  hat  gewiß  mehr  als  episodenhaften  Reiz  und  kann 
dem  Biographen  nicht  entgehen.  Doch  lassen  wir  uns  nicht  täuschen. 
Die  Eltern  sollen  nicht  unruhig  werden,  sollen  annehmen,  daß  Ge- 
sundheit und  Laune  vorzüglich  sind.  In  diesen  revolutionären  Zeiten 
ist  der  Trieb,  sich  dem  Freund  mitzuteilen,  sich  bei  ihm  auszuweinen, 
den  Zwang  abzuschütteln,  noch  stark;  und  die  Briefe  bedeuten  dann 
für  ein  Leben,  dessen  Schwerpunkt  im  Seelischen  liegt,  die  sicherste 
Quelle.  Nicht  lange  mehr,  und  sie  versiegt.  Ganz  merkwürdig  fügt 
es  sich,  daß  zu  jeder  Zeit  der  rechte  Beichtvater  dasteht.  Als  es 
galt,  sich  loszureißen,  sich  zusammenzuraffen,  aufs  hohe  Meer  hin- 
auszusegeln, war  es  Titus.  Nun,  da  die  Brücken  abgebrochen  sind, 
die  Sehnsucht  nach  Konstanze  ihn  peinigt,  die  er  leichtsinnig  um  der 
hohen,  nun  plötzlich  zweifelhaften  Sendung  hinter  sich  gelassen, 
ist  es  Jas  —  Jan  Matuszynski.  Jenen  fürchtete  er  als  seinen  Tyrannen  ; 
liebte  ihn  als  seinen  Tatkraftspender.  Diesem  fühlt  er  sich  an 
Schwäche,  an  Weichheit  verwandt.  „Wir  sind  beide  aus  dem  näm- 
lichen Ton,  und  Du  weisst,  wie  oft  ich  schon  auseinander  gegangen 
bin.  .  .  .  Ach,  aus  meinem  Ton  kann  doch  bestenfalls  nur  ein  Häus- 
chen  für  ein  Kätzchen  gemacht  werden."  Ihm  also  gibt  er  sich  rest- 
los. Und  nun  muß  man  sehen,  was  das  Empfindungschaos  im 
schlimmsten  Fall  gebiert.  Weihnachten  1830.  Er  sitzt  mutterseelen- 
allein im  Schlafrock,  nagt  an  dem  Ring  und  schreibt.  Schreibt  ruck- 
weise, in  Zwischenräumen  von  mehreren  Tagen;  wird  sich  des  Stim- 
mungswechsels bewußt,  streicht  aber  nichts,  nimmt  nichts  zurück. 
Der  Romantiker  hängt  nicht  nur  an  lieben  Menschen  und  Dingen, 
er  hängt  auch  an  den  Worten,  an  den  Improvisationen  der  Laune 


39 

und  der  Sehnsucht.  Spiegelbild  des  Inneren  sind  sie  alle.  Hören 
wir:  „Alle  Diners,  Abende,  Konzerte,  Tanzunterhaltungen,  deren  ich 
bis  über  die  Ohren  habe,  langweilen  mich :  so  wehmütig,  dumpf  und 
trübe  ist's  mir  hier.  Ich  liebe  dies,  doch  nicht  in  so  grausamer 
Weise."  Konstanze  erscheint  ihm :  „Beruhige  sie,  sage  ihr,  dass, 
solange  meine  Kräfte  hinreichen,  dass  ich  bis  zum  Tode  .  .  .  dass 
ich  nach  meinem  Tode  meine  Asche  unter  ihre  Füsse  streuen  werde. 
Doch  das  ist  noch  zu  wenig,  was  Du  ihr  sagen  könntest,  ich  will 
selber  schreiben."  Schreiben  oder  nicht  schreiben?  ist  nun  die  Frage. 
Eine  Polin  in  Wien,  Constanze  Bayer,  deren  Noten,  Taschentücher, 
Servietten  den  teuren  Namen  tragen,  wird  ihm  Anlaß  zum  Kultus 
der  Abwesenden.  Mitternachtsstimmung  im  Stephansdom,  im  Aus- 
druck nicht  leicht  von  einem  Musiker  erreicht:  „Es  herrschte  Stille, 
nur  das  Schreiten  des  die  Lampen  anzündenden  Küsters  störte  meine 
Lethargie  .  .  .  Hinter  mir  Gräber,  unter  mir  Gräber,  nur  —  über 
mir  kein  Grab  .  .  .  Eine  düstere  Harmonie  erklang  in  meinem 
Inneren  —  ich  fühlte  mehr  denn  je  mein  Verwaistsein  und  sog  mich 
in  diesen  erhabenen  Anblick,  bis  Licht  und  Menschen  sich  zu  häufen 
begannen."  Der  Tag  verscheucht  mit  eins  die  religiösen  Schauer. 
Der  Salon  ruft.  Die  frohe  Laune  bricht  durch.  Die  Sängerin 
Sabine  Heinefetter  wird  mustergültig  beurteilt;  Alois  Schmitt  mit 
gleichgültigen  Worten  abgetan.  Für  Sigismund  Thalberg  spitzt  er 
die  Feder:  „Denn  Thalberg  zum  Beispiel  spielt  wohl  tüchtig,  ist  aber 
nicht  mein  Mann.  Er  ist  jünger  als  ich,  gefällt  den  Damen  sehr, 
macht  aus  der  „Stummen  von  Portici"  ein  Potpourri,  gibt  das  Piano 
mit  dem  Pedal,  nicht  mit  der  Hand  wieder,  nimmt  Decimen,  wie  ich 
Octaven,  trägt  Brillanthemdenknöpfe  und  —  Moscheies  imponiert 
ihm  nicht.  Kern  Wunder  daher,  daß  ihm  nur  das  Tutti  meines  Kon- 
zerts gefallen  hat,  er  schreibt  nämlich  auch  Konzerte."  Drei  Tage 
später  haben  die  Wiener  ihre  Polenfeindschaft  zu  büßen.  Schluß  .  . 
Doch  nein!  „Ich  kann  mich  noch  immer  nicht  von  meinem  Jas  los- 
reissen.  Const  .  .  .  (ich  vermag  selbst  den  Namen  nicht  hinzu- 
schreiben, meine  Hand  ist  dessen  unwürdig).  Ach,  ich  raufe  mir  die 
Haare  aus  bei  dem  Gedanken,  dass  sie  meiner  vielleicht  hat  vergessen 
können."  Auch  jetzt  noch  wird  der  Schluß  aufgeschoben,  und  das 
Schreiben  wäre  durch  eine  ganz  lustige  Schilderung  seines  süßen, 
durch  leibliche  Genüsse  gewürzten  Wiener  Nichtstuns  gekrönt,  aber: 


40 

„Falls  es  nicht  durchaus  notwendig1  ist,  so  übergib  ihr  das  Billett 
nicht.  Ich  weiss  nicht,  was  ich  dort  geschrieben  habe.  Du  darfst  es 
lesen.  Es  ist  vielleicht  das  erste  und  letzte."  So  endet  ein  Briefy 
der  in  seinem  Stimmungsmosaik  einzig  ist. 

Wien,  das  den  Polen  nicht  hold  war;  Chopin,  den  die  Wiener 
Luft  betäubt  hatte;  beides  brachte  zuwege,  daß  seine  Konzertchancen 
immer  mehr  sanken.  Er  sucht  nach  Gründen  vor  den  Eltern,  deren 
Kasse  stark  mitempfindet;  vor  Elsuer,  der  als  Komponist  auch  auf 
die  Vermittelung  Chopins  rechnet.  Polnische  Musik  wird  in  Wien 
ohne  sein  Zutun  von  Unberufenen  angekündigt,  verunstaltet,  ent- 
weiht; und  die  Galle  steigt  ihm  auf.  Wäre  nicht  Freund  Mal- 
fatti,  der  sein  behagliches  Landhaus  einer  halben  Öffentlichkeit  er- 
schließt, es  wäre  ein  noch  traurigerer  Abschied  von  Wien.  „Eine 
gewaltige  Anzahl  von  fremden  Zuhörern  lauschte  auf  der  Terrasse 
diesem  Konzerte.  Der  Mond  schien  wundervoll,  die  Springbrunnen 
schlugen  hoch  empor,  der  herrliche  Duft  der  hinausgestellten  Oran- 
gerie erfüllte  die  Atmosphäre,  mit  einem  Wort:  eine  bezaubernde 
Nacht,  die  herrlichste  Umgebung."  Man  sieht:  hier  mischen  sich 
die  Reize  des  Frühlings  denen  der  Tonkunst,  und  sie  lockt  auch  die 
Sybariten.  Es  war  ein  gewählter  Kreis,  der  Malfattis  Namenstag 
mit  ihm  beging;  es  waren  gewählte  Künstler,  in  deren  Reihe  Chopin 
stand.  In  Bibliotheken  wird  unser  bedrücktes  Genie  durch  die  An- 
wesenheit Chopinscher  Autographen  überrascht;  eine  neue  Hans- 
wurstiade  —  er  kopiert  Wiener  Generale  so,  daß  es  zwerchfell- 
erschütternd wirkt  —  bringt  den  Mimiker  zu  Ehren ;  der  Lebens- 
durst erwacht  stets  wieder,  aber  auch  der  Trübsinn  meldet  sich 
selbst  den  Eltern  gegenüber.  Die  Paßfrage,  die  dem  Weltfremden 
doppelt  peinlich  wird,  ist  erledigt;  London  ist  angebliches  Reiseziel, 
Paris  das  wirkliche.  Noch  lächelt  Chopin  die  Möglichkeit  einer 
Rückkehr  in  die  Heimat;  sein  Gefühl  sträubt  sich  gegen  Malfattis 
Überzeugung,  der  Künstler  sei  Kosmopolit. 

Der  junge  Musiker,  dessen  Männlichkeit  durch  einseitige  Fa- 
vorits  nach  außen  hin  gehoben  wird  —  auf  der  linken,  dem  Publikum 
abgewandten  Seite,  sagt  er,  seien  sie  überflüssig  —  gelangt  Ende 
Juli  1831  durch  die  Fährnisse  der  Cholera  hindurch  nach  München. 
Der  Aufenthalt  ist  flüchtig,  aber  fruchtbar.  Gerade  die  Planlosig- 
keit begünstigt  ihn;  Chopin  spielt  sein  e-moll-Konzert,  und  der  Bei- 


41 

fall  der  Urteilsfähigen  belohnt  ihn.  In  Stuttgart  erreicht  ihn  die 
Kunde  von  der  Einnahme  Warschaus  durch  die  Russen.  Es  ist  der 
grausamste  Schlag,  den  das  Schicksal  gegen  ihn  führen  kann.  Polen- 
tum  und  Weltbürgertum  kämpfen  in  dem  Einsamen;  wir  wissen,  wie 
die  Entscheidung  fällt.  Aber  wir  ahnen  nicht,  wie  es  ihn  niederwirft. 
Gehäufte  Interjektionen,  wie  er  sie  nach  Ausbruch  der  Revolution 
in  fieberhafter  Erregung  durch  seinen  Jas  den  Aufständischen  zu- 
schreien  läßt,  bereiten  den  letzten  Ausbruch  vor;  einer  nächtlichen 
Beratung  in  Wien  vor  Titus'  Abreise  hat  er  selbst  beigewohnt.  Jenes 
Stammeln  schon  zeigte  die  Wut  eines  Ohnmächtigen,  Entschluß- 
unfähigen. Ihn  vom  Schauplatz  zu  entfernen,  war  Pflicht  der  Selbst- 
erhaltung. Aber  ohnmächtige  Wut  kann  sich  noch  bis  zur  Denk- 
unfähigkeit steigern;  es  ist  das  wilde  Sichaufraffen  eines  Menschen, 
der  im  Bann  der  Stimmung  lebt  Das  Schwarzseherische,  sonst 
durch  das  Auf  und  Ab  des  Lebens,  durch  kindlichen  Übermut  ge- 
händigt, zeugt  im  krampfhaften  Anfall  die  fixe  Idee.  Sein  Tagebuch 
läßt  uns  die  Nachtseite  dieser  Natur  schauen:  „Die  Grossstadt  zer- 
stört, verbrannt,  Jas  und  Wiluss  gewiss  auf  den  Wällen  gefallen! 
Marcell  in  Gefangenschaft!  Sowinski,  diese  treue  Seele,  in  den 
Händen  jener  Schufte!  Paszkiewicz,  der  Hund  von  Mohilew,  nimmt 
die  teure  Stadt  ein!  Moskau  befiehlt  der  Welt!  O  Gott,  bist  Du  da? 
Bist  da  —  und  rächst  Dich  nicht!  Bist  Du  der  moskowitischen 
Verbrechen  noch  nicht  satt?  Oder  —  oder  —  bist  Du  am  Ende 
gar  selbst  —  ein  Moskowiter? !"  —  Dann  irrt  die  Einbildungskraft 
vom  Vater,  von  der  Mutter,  die  Hunger  leiden,  von  der  toten 
Schwester  Emilie,  deren  Grab  er  geschändet  sieht,  zu  den  Lebenden, 
zu  Konstanze,  die  Opfer  der  entmenschten  moskowitischen  Soldateska 
geworden  sind.  Sie  irrt  und  irrt.  Und  wenn  die  Ohnmacht,  die 
Spannung  am  höchsten,  setzt  das  Schaffen  ein.  In  die  Lücken  des 
Denkens  tritt  die  stärkste  Reizsamkeit.  Das  Genie  schreit,  ächzt 
zwei  Präludien  (op.  28,  Nr.  2  und  24)  und  eine  Etüde  (op.  10  Nr.  12), 
Stimmungsbilder  von  unerhörter  Ausdruckskraft,  in  die  Welt  hinaus. 
Er  hat  dem  Vaterland  den  Tribut  gezahlt.  Polentum  und  Welt- 
bürgertum schließen  Frieden.  Also  gewappnet,  seiner  Sendung  be- 
wußt, im  Kern  fertig,  mit  Meisterwerken  und  Entwürfen  beladen, 
betritt  Chopin  Paris. 


SALON  UND  KONZERT 

Paris  1831!  Wir  sind  in  der  Hauptstadt  der  Welt.  Wir  sind 
da,  wo  alle  Fäden  zusammenlaufen.  Niemals,  nirgends  mehr  wird 
Zivilisation  in  bengalischer  Beleuchtung  erscheinen  wie  hier;  niemals 
wird  es  einen  Rausch  geben  wie  in  jenen  Tagen  nach  dem  Juliauf- 
ruhr. Während  ein  Regime  dem  andern  gefolgt  ist,  träumt  man  von 
Napoleon,  von  der  Revolution ;  Republikaner,  Karlisten,  Philippisten, 
Saint-Simonisten  leben  nebeneinander;  man  geniert  sich  nicht,  man 
verspottet  den  König  Louis  Philippe,  der  hinter  seinen  bürgerlichen 
Allüren  ein  allzu  königliches  Herz  verbirgt.  „Freiheit"  ist  noch  immer 
das  Losungswort;  niemand  weiß,  was  es  gebären  wird.  Wird  Frank- 
reich, das  an  Glanz  und  Pracht  gewöhnte  Frankreich,  jemals  wieder 
republikanisch  werden  können?  General  Ramorino,  unehelicher  Sohn 
des  Marschalls  Lannes,  der  in  Warschau  für  die  Polen  mitgefochten 
hat,  dem  die  Deutschen  überall  gehuldigt,  die  Franzosen  die  Pferde 
ausgespannt  haben,  zieht  in  Paris  ein.  Er  muß  sich  vor  dem  En- 
thusiasmus des  Volkes  flüchten ;  eine  Menge  von  jungen  Leuten 
und  der  gesamte  Pöbel  geleitet  ihn  mit  der  Trikolore.  Die  Polizei 
tritt  in  Tätigkeit;  die  Läden  werden  geschlossen;  in  Pfeifen,  Johlen, 
dem  Absingen  der  Marseillaise  kündet  sich  die  Unzufriedenheit  der 
drohenden  Volksmasse. 

Aber  diese  gärenden  Leidenschaften,  diese  vulkanischen  Er- 
regungen, der  Lärm,  der  auch  an  sonst  ruhigen  Tagen  auf  den  Boule- 
vards tobte,  schaffen  eine  Atmosphäre,  in  der  geistige  Strömungen 
durcheinanderwirbeln.  Auch  die  Grundlagen  der  Kunst  sind  er- 
schüttert; die  Romantik,  in  Deutschland  eine  zarte,  blaue  Blume, 
nimmt  hier  glühende  Farbe  an;  die  Fesseln  der  Form  werden  ab- 
geworfen. Delacroix  wird  Wortführer  der  neuen  Schule  in  der  Male- 
rei, Victor  Hugo  verkündet  neue  Ideale  in  der  Dichtung,  und  Ber- 
lioz  geht  der  Tonkunst  mit  der  Fackel  voran.  Die  alten  Götter  werden 
abgesetzt;  Auber  und  Rossini  beherrschen  die  Oper.  Das  Geld  zir- 
kuliert nicht;  aber  die  Welt  des  Scheines  ist  mächtiger  denn  je.  Man 
opfert  das  Gold  für  das  Gold  der  Kehle;  was  an  ersten  Primadonnen 
und  Tenören  lebt,  will  hier  mittun,  will  von  der  großen  Welt  be- 
jubelt werden,  den  Glanz  genießen  und  mehren.  Die  Malibran,  die 
Pasta,  die  Schröder-Devrient,   Nourrit,   Rubini,   Lablache   entzünden 


43 

sich  am  Wettstreit.  In  der  italienischen,  in  der  Großen  Oper,  in  der 
Opera  comique  lebt  künstlerischer  Schaffensdrang  im  Dienst  des 
Genusses.  Und  die  großen  Instrumentalvirtuosen  Herz,  Liszt,  Kalk- 
brenner, Baillot,  Beriot  neben  den  vielen  andern,  die  in  Paris  wenig- 
stens zeitweise  von  der  Sonne  des  Erfolges  bestrahlt  werden  möch- 
ten, lassen  ihre  Künste  spielen,  berauschen  sich  an  dem  koketten 
Lächeln  schöner  Frauen.  Aber  es  sind  nicht  nur  Scheinwerte,  die 
hier  gelten.  Ein  Habeneck  wird  der  Apostel  Beethovens;  ein,  zwei, 
drei  Orchester  mühen  sich  dem  Streben  der  Neuzeit  den  Kollektiv- 
ausdruck zu  leihen.  Die  Salons  ein  Abbild  dieser  fiebrigen  Buntheit; 
sie  schöpfen  von  allem,  was  in  der  Kunst  bemerkt  wird,  den  Rahm 
ab;  das  Flüstern  genußfroher  Lippen,  das  Rauschen  duftiger  Ge- 
wänder, die  Entfaltung  aller  gesellschaftlichen  Talente  geben  jene 
Suggestion,  von  der  gerade  die  phantastischste  aller  Künste,  die 
Musik,  am  meisten  sich  nährt. 

Hier  also  soll  Chopin  heimisch  werden.  Das  Bild  verwirrt  ihn. 
Der  Anblick  eines  zerlumpten,  erregten  Pöbels  stößt  ihn,  den  Fein- 
fühligen, ab,  obwohl  ihm  die  Motive,  die  Sympathien  für  Polen, 
natürlich  schmeicheln.  Er,  der  den  revolutionären  Geist  jüngst  in 
sich  aufkochen  sah,  muß  sich  doch  gestehen,  daß  ihm  der  Zweck 
die  Mittel  nicht  heiligt.  Auch  der  Prunk,  der  Glanz,  das  Parfüm 
betäuben  ihn  wohl.  Aber  den  Geist,  der  das  Halbdunkel  liebt, 
blendet  die  Fülie  des  Lichts.  Wird  für  den  echten  Dichter  in  Paris, 
wo  Scheinwerte  noch  immer  stärker  wirken  als  Werte,  Raum  sein? 
Es  gibt  Stimmungen  des  Salons,  die  ihn  reizen ;  kokettes  Flüstern 
lockender  Frauen  kann  auch  seiner  Kunst  ein  würdiger  Rahmen 
sein.  Doch  wo  findet  er  die  Ellenbogenkraft,  um  jenes:  öte-toi  que 
je  m'y  mette  aussprechen  zu  können,  das  allein  den  Erfolg  verbürgt? 
„Ich  bin,  was  meine  Gefühle  betrifft,  den  anderen  gegenüber  stets 
in  Synkopen",  sagt  er  geist-  und  selbsterkenntnisreich  von  sich.  Wird 
eine  Natur,  die  sich  in  der  Verschleierung  des  Innern  wohlfühlt, 
in  diesem  ruhmredigen,  rückhaltlosen  Paris  nicht  tausendmal  in  ihrer 
Empfindlichkeit  verletzt  werden? 

So  steht  der  Dichter  inmitten  des  Wirbels  der  Lichtstadt.  Er 
muß  sich  freilich  sagen,  daß  er  so  ganz  einsam  nicht  ist.  Wahl- 
verwandtschaft hatte  polnische  Emigranten,  und  zwar  auch  blau- 
bKitige,   in    Paris  ein   schirmendes   Dach   suchen   und  finden   lassen. 


44 

Das  Hotel  Lambert,  in  dem  der  gütige  Fürst  Adam  Czartoryski 
residiert,  vereinigt  die  besten  unter  ihnen.  Eine  Empfehlung  ebnet 
ihm  den  Weg  zu  den  alteingesessenen  Musikern ;  zu  ihrem  Haupte 
Cherubini.  Unser  Chopin  spricht  von  ihnen  sehr  bald  mit  der  Re- 
spektlosigkeit, die  dem  Pariser  Klima  angemessen,  die  im  letzten 
Grund  Folge  seines  künstlerischen  Selbstgefühls  ist.  Mit  dem  Heiß- 
hunger eines  Menschen,  der  in  Warschau,  Berlin,  Wien  immer  noch 
einen  Rest  von  Provinz  empfunden  hatte,  stürmt  er  in  die  Oper. 
Seinen  Hang  zur  reinen,  zur  italienischen  Melodie  muß  er  um  jeden 
Preis  —  und  er  zahlt  wirklich  24  Franken  —  befriedigt  sehen.  Es 
ist  nicht  eitel  Genußsucht,  die  ihn  dahin  treibt.  Diese  Melodie,  mit 
dem  höchsten  Maß  von  Ausdruck  gesungen,  faßt  irgendwo  in  seiner 
Seele  Wurzel,  'mischt  sich  dem  Nationalen  und  geht,  an  Gehalt 
und  Form  bereichert,  neugeboren  aus  seinem  Geist  wieder  hervor; 
die  Koloraturen,  die  andern  ausdrucksloses  Getändel  sind,  befruchten 
in  ihrem  Steigen  und  Fallen  die  Phantasie,  die  ihnen  neues  Leben 
schenken  wird.  Wie,  wenn  er  selbst  Schöpfer  einer  Oper  würde? 
Einer  nationalen  Oper?  Der  Gedanke  wird  erwogen,  aber  in  künst- 
lerischer Selbsterkenntnis  wieder  zurückgestellt.  Wir  erhalten  stau- 
nenswerte Beweise  einer  Selbstkritik  des  Genies,  das  seinen  Schaffens- 
kreis, unbeirrt  von  fremden  Einmischungen,  bestimmt  abgrenzt.  Man 
höre:  der  Pianist  sucht  ganz  natürlich  zunächst  die  Gesellschaft  der 
Pianisten.  Sein  Können  an  dem  der  berühmtesten  zu  messen,  sein 
höchst  persönliches  Klavierspiel  in  die  pianistische  Kultur  einzu- 
reihen, ist  sein  begreiflicher  Ehrgeiz.  Aber  nicht  Liszt,  nicht  Herz, 
nicht  Hiller  erschüttern  sein  Selbstvertrauen,  sondern  Friedrich  Kalk- 
brenner, den  seine  Kollegen  wegen  seines  pfauenhaften  Sichspreizens 
verhöhnen,  und  den  ein  Witzling  einen  in  den  Dreck  gefallenen 
Bonbon  nennt.  Er  ist  der  vollkommenste  Mechanismus,  ganz  Ruhe, 
ganz  Klangschönheit,  unabhängig  von  Stimmung  und  Hemmnissen. 
Er  schlägt  Chopin,  der  kein  vollkommener  Mechanismus,  aber  ein 
Meister  der  Stimmung  ist,  einen  dreijährigen  Unterricht  vor.  Die 
Muse  lächelt  ironisch  ob  dieses  Mißverständnisses.  Und  die  Freunde 
sind  entrüstet.  Erregter  Briefwechsel  zwischen  Vater,  Schwester 
Luise,  die  sich  von  Eisner  beraten  lassen,  und  Friedrich.  Eisner  sieht 
hier  eine  Taktik  des  Virtuosenneides ;  befürchtet,  man  werde  das 
Genie  in  Frankreich  zu  fesseln  suchen;  Chopins  Leistungen  auf  dem 


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Gebiet  der  Klaviermusik  seien  nur  ein  erster  Schritt  auf  dem  Weg 
zum  Weltruhm;  die  nationale  Oper  erwarte  von  ihm  Taten;  sein 
Platz  sei  zwischen  Mozart  und  Rossini.  Ruhig,  aber  bestimmt  ant- 
wortet Friedrich:  er  wolle  keine  Kopie  Kalkbrenners  werden,  er 
könne  es  gar  nicht,  da  er  entschlossen  sei,  sich  eine  neue  Welt  zu 
schaffen.  Aber  schon  die  Klugheit  gebiete  ihm,  zunächst  seinen  Weg 
als  Pianist  zu  suchen;  so  werde  er  am  besten  dem  eigenen  Schaffen 
dienen.  Das  Beispiel  Meyerbeers,  dem  eben  mit  „Robert  der  Teu- 
fel" der  große  Wurf  gelungen  sei,  lehre,  daß  man  sich  zum  Bühnen- 
erfolg langsam  emportasten  müsse.  Auch  von  anderer  Seite,  vom 
polnischen  Dichter  Witwicki,  dessen  Texte  er  in  diesen  letzten  Jahren 
komponiert  hat,  wird  er  in  den  Tagen  der  Unterdrückung  des  Polen- 
tums  auf  die  polnische  Nationaloper  hingewiesen.  Umsonst.  Er  ist 
zur  Klarheit  über  sich  vorgedrungen.  Und  schließlich  fällt  der  ganze 
Kalkbrennersche  Vorschlag,  nachdem  Chopin  einen  Blick  in  die  Schule 
des  vollkommenen  Mechanismus  getan  hat.  Es  ist  ein  Triumph  der 
Freunde.  Oder  vielmehr  jener,  die  sein  Herz  zu  besitzen  glauben. 
Felix  Mendelssohn,  Franz  Liszt,  Ferdinand  Hiller,  Osborne,  ein  jeder 
6ucht  etwas  von  ihm  zu  erhaschen ;  der  Kern  dieses  so  unsagbar  an- 
ziehenden Menschen,  der  so  kindlich  ausgelassen,  so  fröhlich  sein 
kann,  entschlüpft  ihnen  immer  wieder.  Dem  Cellisten  Auguste 
Franchomme  glückfs  ein  wenig  besser,  doch  nicht  ganz.  Noch 
berichtet  er  seinem  Titus  über  diese  Pariser  Eindrücke;  noch  er- 
zählt er  von  einem  Abenteuer,  dem  er  ausgewichen  ist;  noch  klagt 
er  über  seine  elende  Gesundheit;  bittet  um  ein  Lebenszeichen,  da 
ihm  jemand  fehle,  mit  dem  er  seufzen  könne;  er  quäle  sich,  weil 
sein  Zärtlichkeitsbedürfnis  unbefriedigt  sei.  Was  ihn  aber  am  hef- 
tigsten quälen  müßte,  die  Verheiratung  seiner  angebeteten  Konstanze 
mit  einem  simplen  Kaufmann  Grabowski,  läßt  ihn  nur  die  Worte 
niederschreiben:  „Das  bildet  kein  Hindernis  für  platonische  Neigun- 
gen." Die  Muse  hat  ihre  Sendung  erfüllt;  die  Zweiteilung  tritt 
wieder  ein;  das  Ideal  schwebt,  verschwimmt  im  Hintergrund;  der 
Mensch  Konstanze  ist  gut  bürgerlich  geworden.  Dann  wird  Chopin 
für  uns  so  gut  wie  stumm.  Er  taucht  in  dem  Pariser  Strudel  unter, 
ohne  zu  versinken.  Der  Nebel  teilt  sich  hier  und  da.  Die  pol- 
nischen Landsleute  sehen  ein  Stück  von  dem  wahren  Chopin.  Die 
Welt   muß   die   kärglichen   Brocken   sammeln,    die   von   dem   Tisch 


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jener  Reichen,  durch  den  Umgang  mit  ihm  Gesegneten,  fallen.  Oder 
sie  muß  aus  dem,  was  der  Vater  antwortet,  Rückschlüsse  auf  sein 
Leben  ziehen.  Nur  auf  sein  äußeres.  Der  alte  Chopin  bittet  den 
Sohn,  dem  Salon  nicht  den  Schlaf  zu  opfern ;  im  Interesse  seiner 
Gesundheit  und  in  dem  seiner  Kunst.  Er  mahnt  ihn  zur  Spar- 
samkeit, damit  er  sorgenfrei  seinem  Schaffen  leben  könne.  Diese 
väterlichen  Ermahnungen,  ein  Brief,  den  er  an  seinen  Schulfreund 
richtet,  zeigen  uns,  daß  Chopin  ohne  Aufwendung  von  Ellenbogen- 
kraft, allein  durch  die  Zauber  seiner  Kunst  und  seiner  Persönlich- 
keit sich  die  höchsten  Gesellschaftskreise  erschlossen  hat.  „Dies 
ist  jedoch  für  mich  heut  das  Notwendigste,  denn  von  dort  rührt 
augenblicklich  der  gute  Geschmack  her;  Du  besitzest  sofort  ein 
größeres  Talent,  wenn  Du  Dich  in  der  englischen  oder  österreichi- 
schen Botschaft  hast  hören  lassen ;  Du  spielst  sofort  besser,  wenn 
Dich  die  Fürstin  Vaudemont  (die  Letzte  des  altadligen  Geschlechts 
der  Montmorency)  protegiert  hat."  Die  Leute  vom  Hof  schätzen 
ihn,  widmen  ihm  ihre  Kompositionen ;  Kalkbrenner  hat  Chopins  Ma- 
zurka (op.  7  Nr.  1)  variiert;  vollendete  Künstler  wollen  von  ihm 
lernen,  setzen  seinen  Namen  neben  den  Fields;  doch  weiß  er  genau, 
wie  fern  der  Gipfel  noch  liegt,  weil  er  sehr  scharfsichtig  für  fremde 
Lücken  ist;  („seine  Favorits  auf  der  linken  Seite  wollen  nicht  wach- 
sen"). „Ich  habe  heute  fünf  Unterrichtsstunden  zu  geben;  Du 
denkst  gewiß,  daß  ich  mir  ein  Vermögen  machen  werde?  —  Das 
Cabriolet  und  die  weißen  Handschuhe,  ohne  welche  Du  hier  kernen 
guten  Ton  haben  würdest,  kosten  mehr.  Ich  liebe  die  Karlisten, 
hasse  die  Philippisten,  bin  selber  Revolutionist,  mache  mir  daher 
aus  dem  Gelde  nichts,  viel  mehr  dagegen  aus  der  Freundschaft, 
um  die  ich  Dich  flehentlich  bitte."  Sein  Inneres  scheint  sich,  da 
die  Forderungen  des  Salons  an  ihn  herantreten,  mehr  und  mehr 
einzukapseln.  Es  ist  mehr  Straffheit  in  ihm ;  das  Stimmungschaos 
sucht  und  findet  keinen  Abfluß  mehr.  Die  Regellosigkeit  ist  von 
der  Ordnung  abgelöst;  das  Genie  erkennt  die  Zeit  als  seine  Ty- 
rannin an;  es  hat  sich  in  die  Fron  des  Stundengebens  gefügt. 
Gefügt?  Und  schon  will  sich  das  Mitgefühl  bei  uns  melden.  Es 
dünkt  uns  eine  Entweihung  der  Poesie,  daß  sie  sich  durch  die 
Lehre  mitteilen  soll.  Aber  sie  tut  es  gar  nicht.  Nur  die  Gebärde 
dieses  Spiel  ist  nachzuahmen,  ihr  Wesen,  ihr  Zauber  nicht    Nicht 


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der  Ton,  der  aus  der  liebenden  Umarmung  des  Klaviers  geboren 
wird;  nicht  der  Duft,  der  aus  diesem  elfenartigen  Huschen  über 
die  Tastatur  aufsteigt ;  nicht  der  tiefe  Urgrund  von  Sehnsucht,  Poesie 
und  Musik,  dem  die  Phrase  berauschend  entströmt.  In  der  Kalk- 
brenneraffäre hatte  der  Vater  an  den  Sohn  geschrieben:  „Du  weisst 
auch,  dass  das  Mechanische  des  Spiels  Dich  wenig  Zeit  gekostet 
hat,  und  dass  Dein  Geist  sich  mehr  beschäftigt  hat  als  Deine  Finger. 
Wenn  andere  ganze  Tage  zugebracht  haben,  um  ein  Klavier  in 
Tätigkeit  zu  setzen,  so  hast  du  selten  eine  ganze  Stunde  dazu  ver- 
wendet, die  Werke  anderer  auszuführen. "  Ein  Pädagoge  spricht's; 
er  weiß  das  Gewicht  dieser  Worte  zu  schätzen ;  und  gerade  seine 
Einsicht  von  dem  Wert  des  nicht  Anerziehbaren  will  dem  ver- 
götterten Sohn  sein  Künstlertum  hüten.  Dieser  aber  sieht  es  nicht 
bedroht,  wenn  er,  was  sein  Genie  ihn  hatte  ahnen  lassen,  nun 
noch  einmal  rückschauend  durchdenkt.  Wird  es  ihm  gelingen,  die 
Fäden  zu  entwirren,  die  zwischen  seiner  Technik  und  seiner 
Musik  laufen?  Wird  sich  seine  Art,  die  Finger  zu  setzen,  die  das 
Revolutionäre  seiner  Kunst  spiegelt,  in  den  allgemeinen  Strom 
pianistischer  Kultur  zurücklenken  lassen?  Denn  nun  gestattet  ihm 
sein  Selbstgefühl  schon,  die  Methodik  seiner  Kunst  von  sich  selbst 
aus  zu  entwickeln.  Es  gab  einen  Augenblick,  da  er  schwankte ; 
damals,  als  er  in  jener  wohltönenden  Zierpuppe  Kalkbrenner  den 
vollendeten  Mechanismus  sah;  die  Ausschaltung  von  Arm-  und  Hand- 
gelenk, jene  vollkommene  Ruhe  ist  ihm  nun  nicht  höchstes  Ziel 
mehr.  Sein  Mechanismus  ist  in  seiner  Art  vollendet,  lückenlos; 
und  er  sucht  ihn  als  Lehrer  des  Klavierspiels  fest  zu  begründen. 
Da  ist  es  nun  nicht  ohne  Reiz  zu  sehen,  wie  der  Komponist  den 
vierten  Finger,  das  Kreuz  der  Pianisten,  von  dem  quälenden  Ehr- 
geiz befreit,  es  den  anderen  gleichzutun.  Das  ist  eine  höchst  per- 
sönliche Angelegenheit;  Chopin  verrät  uns  einmal,  daß  ihm  dieser 
vierte  Finger  (trotz  allen,  auch  gewaltsamen  und  mechanischen  Gegen- 
maßregeln) den  Gehorsam  verweigert.  Er  dekretiert  kurz:  der  vierte 
sei  ein  der  Rücksicht  bedürftiges  Sonderwesen.  Und  er  packt  ihm 
doch  auch  in  seinen  Etüden  ein  gut  Teil  Arbeit  auf.  Das  Bahn- 
brechende seines  eng  mit  den  harmonischen  Krümmungen,  mit  dem 
gesteigerten  Ausdruck  seiner  Musik  verknüpften  Fingersatzes  ist  zu- 
nächst sein   Geheimnis.     Aber  es   ist  da  und  läßt  sich  durch  kein 


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Veto  der  Gewohnheitsfanatiker  aus  dem  Wege  räumen.  So  macht 
sein  Streben,  sich  selbst  aus  dem  Nebel  zu  flüchten,  von  seiner 
Musik  aus  die  Methodik  des  Klavierspiels  zu  durchleuchten,  den 
Virtuosen,  und  gerade  den  Virtuosen  zum  Klavierlehrer.  Seine  Schü- 
ler werden  den  Ehrgeiz,  stürmende  Bravour  zu  entfalten,  für  den 
Einblick  in  ein  Märchenland  opfern;  werden  in  Bach,  Cramer,  Mo- 
zart, Hummel,  Field  und  wenigen  Erwählten  die  Vorstufen  zu  dieser 
Glückseligkeit  sehen ;  werden  vielleicht,  wenn  nicht  seltene  Seher- 
gabe sie  dem  Meister  eint,  ewig  antichambrieren  müssen ;  werden 
endlich   Apostel   seiner   Kunst  sein. 

Doch  noch  ein  anderes  erleichtert,  versüßt  ihm  seine  Pflicht: 
der  Reiz  der  grande  dame.  Mag  er  über  jene  Aristokraten,  die 
seinem  Talent  erst  die  Weihe  geben,  spötteln;  in  dieser  Luft  atmet 
er,  der  Edel-  und  der  Adelsmensch  verschwimmen  ihm  selbst  da, 
wo  das  Geistige,  das  Seelische,  das  Künstlerische  ihn  nicht  an- 
ziehn,  in  einen  Begriff.  Und  auch  da  noch,  wo  stärkere  Anreize 
nicht  fehlen,  kann  Derbheit,  Unfeinheit  ihn  bis  zum  Bruch  abstoßen. 
Die  Vornehmheit  seiner  Manieren,  die  Gewähltheit  seiner  Kleidung 
verschmelzen  mit  ihm  selbst.  Wüßten  wir's  nicht  aus  manchem 
uns  gebliebenen  entschuldigenden  Billett,  wir  könnten  leicht  erraten, 
daß  diese  Frauen  der  Aristokratie  Salonpflichten  und  Bequemlich- 
keit über  alles  stellten,  ihre  Lektionen  absagten  oder  verschoben. 
Aber  ihre  Billetts  waren  ihm  gewiß  teuer.  Sie  erinnerten  ihn  an 
die  leise  Erotik,  die  jedes  Wort  der  Unterhaltung  belebte;  an  jenes 
Parfüm,  das  ihn  berauschte,  als  er  der  schönen  Schreiberin  die 
Finger  führte;  an  kokettes  Lächeln,  an  leichtes  Zittern,  wenn  der 
Dichter  in  Tönen  sprach.  So  wird  ihm  die  Musikstunde  ein  mon- 
daines  Vergnügen,  eine  Fortsetzung  des  Salons.  Ihm  entnimmt  er 
den  Zuschnitt  des  Lebens. 

Und  vom  Salon  spinnt  sich  der  Faden  weiter  zum  Konzert. 
Setzte  er  sich  den  neugierigen  Blicken  der  Menge  aus,  sie,  die  er 
verachtet,  würde  Rache  an  ihm  nehmen;  sie  würde  ihn  einschüch- 
tern, ihr  heftiger  Atem  ihn  ersticken,  lähmen,  stumm  machen.  Nie 
würde  er  sie  niederschmettern  wie  Liszt.  Er  sagt  es  ihm  selbst; 
er  fürchtet  es  immer.  Ganz  kann  er  sie  nicht  ausschließen.  Aber 
den  Kern  des  Publikums  müssen  immer  jene  durch  den  Adel  der 
Geburt  oder  des  Geistes  Bevorrechteten,   Feinfühligen    bilden,    in 


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deren  Herz  seine  Musik,  sein  Spiel  als  fruchtbarer  Keim  sich  senkt. 
Seine  Konzertschicksale  wechseln ;  nicht  immer  findet  sich  jener 
Gleichklang  zwischen  dem  Gebenden  und  den  Nehmenden,  den  auch, 
wo  alles  andre  stimmt,  eine  glückliche  Stunde  herbeiführen  muß. 
Die  Reizbarkeit  des  Dichters  leidet  schon  vorher;  sie  leidet  noch 
stärker  nachher,  wenn  ein  kritisches  Wort,  und  sei  es  auch  das 
kiseste,  an  seine  Empfindlichkeit  rührt.  Aber  er  muß  jetzt,  wo 
es  gilt,  sich  die  Bahn  freizumachen,  den  Wettstreit  mit  den  Größten 
wagen.  So  spielt  er  am  26.  Februar  1832  zum  erstenmal  in  der 
Salle  Pleyel.  Fast  nur  Polen  umgeben  ihn  und  jene  Mitstrebenden, 
die  den  Dichter  ehren.  Geschieht  doch  hier  das  Seltsame,  das 
sogar  den  Neid  schweigen  läßt:  ein  Virtuose  spinnt  sich  im  Kon- 
zert ganz  in  seine  Traumwelt  ein,  verwebt  andere  in  sie;  so  daß 
ein  Begeisterter  ihm  einmal  schreibt:  „on  est  seul  avec  vous  au 
milieu  de  la  foule."  Der  Eintritt  Chopins  in  die  Pariser  öffentliche 
Musik  vollzieht  sich  im  Halbdunkel;  das  Programm  ist  nicht  fest- 
zustellen. Wenn  er  hielt,  was  er  in  einem  Brief  versprach,  spielte 
er  sein  f-moll-Konzert,  seine  Variationen  in  B  und  —  Marche  suivie 
d'une  Polonaise  von  Kalkbrenner  mit  dem  Komponisten.  Der  durfte 
nicht  beiseitegeschoben  werden,  wie  die  Freunde  gewünscht  hätten. 
Gewiß  ist,  daß  das  erste  Auftreten  Chopins  trotz  dem  gröberen 
Geschütz,  das  in  Form  von  Virtuosensoli  aufgefahren  wurde,  den 
Polen  als  reinste,  zarteste  Sensationslosigkeit  in  den  Mittelpunkt 
rückte.  Der  vielbeachtete  Kritiker  Fetis  gibt  der  Pariser  Welt  sach- 
lich bekannt,  daß  hier  neue,  eigenartige  Gedanken,  in  kühne  Modu- 
lationen, glänzende  Passagen  gehüllt,  zunächst  noch  in  der  Form  von 
Improvisationen  sich  zeigen.  Der  Begeistertste  ist  Liszt:  „Der  stür- 
mischste Beifall  schien  unserem  Enthusiasmus  nicht  zu  genügen  ge- 
genüber diesem  genialen  Musiker,  der  eine  neue  Phase  des  poeti- 
schen Empfindens,  gepaart  mit  den  glücklichsten  Neuerungen  des 
Formalen  seiner  Kunst,  enthüllte."  Es  sind  inhaltsschwere  Worte, 
aus  der  Erinnerung  geschöpft  und  von  dem  Bewußtsein  eingegeben, 
daß  der  Sprecher  Chopin  tief  verschuldet  war.  Hier  dämmert  Liszt 
die  Erkenntnis  auf,  wie  sehr  das  Dramatische  seines  Spiels  sich 
von  diesem  Reichtum  der  Anschlagsnuancen  befruchten  ließe;  be- 
reit und  fähig,  dem  Phänomen  bis  auf  den  Grund  seines  Wesens 
zu  folgen,  entdeckt  er  die  Quelle  in  einem  Lyrisraus,  den  er  nicht 

Weissmann,   Chopin  4 


50 

geahnt  hatte,  den  er  nun  in  sein  eigenes  Reich  überträgt.  Auch 
Felix  Mendelssohn,  der  mit  der  Muttermilch  des  Berliner  Rationalis- 
mus Aufgezogene,  begreift  das  Grundeigentümliche  der  Erscheinung; 
auch  er  versucht  sich  mit  Beethovens  G-dur-Konzert,  mit  seiner 
so  ganz  anders  romantischen  Sommernachtstraumouvertüre  auf  dem 
schlüpfrigen  Pariser  Parkett,  ist  aber  vorurteilsfrei  genug,  hier  freu- 
dig einzustimmen. 

Diesem  ersten  Schritt  in  die  Öffentlichkeit  folgt  mancher  an- 
dere. Mochte  auch  der  dämonische  Paganini  in  den  Märztagen 
1832  die  ganze  Virtuosenwelt  in  die  Knie  zwingen,  für  den  Dichter 
scheint  noch  Raum  in  diesem  Paris  mit  dem  erregten  und  nicht 
immer  ermutigenden  Spiel  hinter  den  Kulissen.  Chopin  wird  da 
und  dort  begehrt:  einmal,  am  20.  Mai,  stellt  er  sich  in  den  Dienst 
vornehm  etikettierter  Wohltätigkeit;  ein  anderes  Mal  vereinigt  er 
sich  im  Dezember  mit  Hiller  und  Liszt  zum  Vortrag  eines  Konzerts' 
für  drei  Klaviere  von  Bach ;  dann  spielt  er  zum  Besten  der  englischen 
Schauspielerin  Fräulein  Smithson,  mit  der  Berlioz'  Geschicke  sich 
verknüpfen;  beteiligt  sich  im  April  1833  an  der  Seite  der  Gebrüder 
Herz  und  Liszt  an  einem  Quartett  für  acht  Hände  auf  zwei  Ka- 
vieren. Es  ist  kein  Stil  in  diesen  echt  pariserischen  Konzerten;  und 
gewiß  hätte  sich  der  Dichter  nicht  in  dieses  Joch  spannen  lassen, 
wären  nicht  die  inneren  Widerstände  gegen  solchen  Flitter  und 
Kram  zeitweilig  in  ihm  geschwächt  gewesen.  Noch  ist  er  ein  Sklave 
der  Gesellschaft.     Später  wird   er  sie   beherrschen. 

Inzwischen  hat  Field,  der  angebliche,  niegekannte  Vater  Cho- 
pinschen  Spiels,  1832  Paris  mit  seiner  unromantischen  Zartheit  in 
sanfte  Träume  gewiegt;  hat  der  aus  Italien  heimgekehrte  Berlioz 
die  Musikwelt  am  9.  Dezember  des  gleichen  Jahres  mit  der  kühnen 
„Symphonie  phantastique"  zum  zweiten-,  mit  „Lelio"  zum  ersten- 
mal überrascht.  Chopin  steht  abseits.  Seine  Romantik  hat  mit  dieser 
nur  die  Sehnsucht  nach  dem  Ungewöhnlichen,  das  Abstreifen  be- 
engender Fesseln  gemein;  sie  lehnt  sich  gegen  das  Allzudeutliche 
des  Stoffes,  gegen  den  Umweg  über  die  Literatur,  gegen  alles  Ge- 
waltsame und  Unmotivierte  auf.  Für  ihn  ist  Berlioz  einer,  der 
die  Feder  aufs  Notenpapier  spritzen  läßt,  ohne  zu  fragen,  wie's 
gerät.  Ein  Fall  von  Selbsteinkapselung  des  Genies;  und  nicht  der 
einzige.    Das  hindert  aber  nicht  persönliche  Beziehungen. 


51 

Unseres  Chopin  Selbstvertrauen  steigt.  Der  Scheinwerfer  der 
Öffentlichkeit  hat  vermocht,  was  Ellen  bogen  kraft  nicht  'zustande  ge- 
bracht hätte:  die  Verleger  beachten  ihn.  Was  schüchtern  in  seiner 
Mappe  ruhte,  kommt  von  1832  an  rasch  ans  Tageslicht.  Doch 
nicht  das  Allereigenste,  das  in  die  Welt  hinausstrebt,  schafft  ihm 
den  Beginn  der  Volkstümlichkeit:  eine  blaue  Blume,  ohne  betäu- 
benden Duft,  aber  anmutig  und  liebreizend,  das  Es-dur-Nocturne 
op.  9  Nr.  2  gefällt  allgemein,  weil  es  nicht  aufrüttelt.  Der  Dichter 
muß  sich  bescheiden ;  er  muß  die  Gunst  des  Schicksals  preisen, 
das  wenigstens  eine  sanfte  Melodie  mit  ihren  glitzernden  Ornamenten 
zur  Scheidemünze  werden  läßt.  Die  gemeine  Menge  wird  sich  des 
Faßbaren  bemächtigen ;  wird  es  mit  seinen  tausenderlei  Liebkosun- 
gen erdrücken ;  wird  es  klavierspielend,  geigend,  singend  zum  Kling- 
klang erniedrigen. 

Der  Zeitpunkt  rückt  heran,  da  der  Atem  der  Öffentlichkeit  ihn 
belästigt.  Im  dritten  von  Berlioz'  Conservatoire-Konzerten,  am  7.  De- 
zember 1834,  spielt  Chopin  zwischen  den  Werken  des  Konzertgebers 
das  Larghetto  aus  einem  seiner  Konzerte;  er  bleibt  im  Dunkel.  Er 
läßt  nicht  nach.  Vielleicht  hilft  Gewohnheit,  die  Schrecken  des  öffent- 
lichen Spiels  zu  verscheuchen.  Aber  das  ist  Selbsttäuschung  des 
Dichters,  die  sich  rächt.  Ein  Konzert  in  der  italienischen  Oper 
am  5.  April  1835  in  der  glänzendsten  Umgebung  vollendet  das  grau- 
same Werk  der  Ernüchterung:  sein  e-moll-Konzert  versinkt  in  der 
Fülle  der  Genüsse.  Kaum,  daß  eine  Hand  sich  rührt.  Seine  leise 
Sprache,  sein  selbstvergessenes  Dahinträumen  scheidet  ihn  endgültig 
von  der  Menge;  er  kommt  nicht  zu  ihr,  also  versteht  sie  ihn  nicht. 
Weltentrückt  achtete  er  der  Eiseskälte  nicht;  wie  der  letzte  Ton 
verklungen,  macht  sie  ihn  erstarren.  Der  Dichter  zieht  sich  ver- 
wundet auf  sich  selbst  zurück.  Und  fast  nur  dann,  wenn  er  begehrt 
wird,  wenn  die  Feinfühligen,  die  Poetischen  ihn  rufen,  erscheint 
er  ihnen  wieder  —  in  Paris  wenigstens. 

Und  die  Poetischen,  die  Feinfühligen  haben  sich  um  ihn  ge- 
schart. Welch  eine  Anmut  in  dem  Briefchen,  das  er  1833  Auguste 
Franchomme  sendet!  Ihn  hat  er  einmal  des  Abends  improvisie- 
rend in  sein  Märchenland  geführt  und  nicht  mehr  aus  den  Augen 
gelassen.  Welch  ein  harmonischer  Dreiklang  in  jener  Epistel,  die 
Chopin   und   Liszt   1833   gemeinsam    an    Hiller   richten!     Der   eine 

4* 


52 

nimmt  dem  anderen  die  Feder  aus  der  Hand;  Liszt  spielt  in  diesem 
Augenblick  des  anderen  Etüden  und  „versetzt  ihn  ausserhalb  seiner 
ehrbaren  Gedanken".  Chopin  „möchte  ihm  seine  Art  der  Wieder- 
gabe der  eigenen  Etüden  stehlen".  Der  Spieler,  der  das  liest,  läßt 
das  Lob  nicht  auf  sich  sitzen  und  feiert  den  Komponisten.  Dieser 
wehrt  ab.  Ein  Postskriptum :  „Ich  begegnete  gestern  Heine,  der 
mir  auftrug,  Sie  zu  grüßen  herzlich  und  herzlich."  Herzlich  und 
herzlich!  Deutsch  gesagt  und  deutsch  empfunden.  Es  ist  die  echte 
Hingabe  des  Freiheitsmenschen,  der  nach  Deutschland  geschrieben 
hatte:  „Die  Polen!  Das  Blut  zittert  mir  in  den  Adern,  wenn  ich 
das  Wort  niederschreibt";  es  ist  ein  Echo  des  Dichters,  in  dessen 
Herz  Wehmut  und  Sehnsucht  drängen ;  es  ist  endlich  ein  Gruß 
des  Ironikers,  der  in  dem  spöttelnden  Polen  einen  Geistesverwandten 
gefunden  hat. 

Wie  ein  Schatten  huscht  in  diesem  Kreis  Vincenzo  Bellini  vor- 
über. Mit  „Norma"  hat  er  sich  in  Chopins  Herz  eingesungen.  Der 
hörte  aus  seiner  Melodie  mehr  nur  als  den  Ton :  den  Adel  der  Seele, 
den  Ausdruck  heraus;  und  sah  den  feinen,  mädchenhaften  Genossen 
aus  Genieland  33jährig  vorauseilen,  wohin,  das  fühlte  er,  auch  er 
ihm  nach  kurzer  Spanne  Zeit  folgen  würde. 

Doch  nein!  Ist  er  nicht  gesünder,  kräftiger  denn  je?  Hat 
er  der  Welt  nicht  gegen  den  Einspruch  des  Innersten  so  oft  mit 
dem  gesteigerten  Kraftgefühl  des  zum  Mann  Heranwachsenden  als 
echter  Virtuose  getrotzt?  Sein  Jas,  1834  an  die  Ecole  de  mede- 
cine  in  Paris  berufen,  findet  ihn  in  der  Chaussee  d'Antin  erstarkt 
wieder.  Chopin  jauchzt  auf,  da  er  mit  ihm,  dem  aus  dem  gleichen, 
Ton  wie  er  Geschaffenen,  seufzen  darf.  Die  Heimat  wird  ihm  vor- 
getäuscht. Der  Vater  ist  froh  und  trägt  dem  Freunde  auf,  Hüter 
des  Sohnes  zu  sein,  der  mit  Briefen  kargt.  Keiner  von  den  Polen 
kann  ihm  sein,  was  der  Freund  ihm  ist.  Aber  die  Gräfin  Plater, 
die  gütige  Fee  der  Künstler,  die  zu  ihm  spricht:  „Si  j'etais  jeune 
et  jolie,  mon  petit  Chopin,  je  te  prendrais  pour  mari,  Hiller  pour 
ami,  et  Liszt  pour  amant";  der  Fürst  Valentin  Radziwill,  der  ihm, 
sagt  man,  den  Weg  zum  Hause  Rothschild  ebnete;  die  Czartorys- 
kis  und  andere  Aristokraten  mit  ihrer  Mischung  von  Vornehmheit 
und  Zärtlichkeit  hätscheln  ihn,  freuen  sich  seiner  Ausgelassenheit 
und  trösten  ihn.    Es  gibt  Landsleute,  die  sich  an  seine  Kasse  wen- 


53 

den;  nicht  umsonst.  Geld  ist  ihm  eine  imaginäre  Größe,  die  nur 
daiwi  feste  Gestalt  gewinnt,  wenn  seine  vornehme  Lebenshaltung 
gefährdet  wird.  Und  seine  Güte  versagt  sich  den  Kindern  seiner 
Heimat  gegenüber  nie.  Nur  dann,  wenn  der  Künstler  in  ihm  durch 
sie  leidet  —  was  nicht  selten  geschieht  —  droht  er  die  Geduld 
zu  verlieren.  Schon  in  den  ersten  Pariser  Tagen  hatte  er  sich 
in  der  Kunst  der  Selbstbeherrschung  üben  müssen.  „Wenn  ich 
an  Dich  schreibe,  ist  es  mir  zuwider,  dass  just  die  Glocke  ertönt 
und  ein  gewisses  Etwas,  großgewachsen,  korpulent,  mit  Schnurr- 
bärtchen  hereinkriecht  —  sich  ans  Klavier  setzt  und,  ohne  selbst 
zu  wissen  was  -  improvisiert  —  sinnlos  haut,  paukt,  sich  herum- 
wirft, die  Hände  übereinanderlegt,  mit  einem  gewaltigen  Finger, 
der  dort  irgendwo  in  der  Ukraine  für  die  Ökonom-Peitsche  oder 
die  Zügel  bestimmt  war,  fünf  Minuten  lang  auf  einer  Taste  herum- 
schlägt ...  Da  hast  Du  das  Portrait  des  Sowinski,  der  kein  an- 
deres Verdienst  hat,  als  seine  gute  Figur  und  sein  gutes  Herz.  Wenn 
ich  jemals  den  Charlatanismus  oder  den  Stumpfsinn  in  der  Kunst 
mir  vorzustellen  vermochte,  so  ist  es  gewiss  nie  so  ausgezeichnet 
der  Fall  gewesen  wie  jetzt,  wo  ich  ihn  häufig  hören  muss,  während 
ich  mich  wasche  und  dann  im  Zimmer  auf-  und  abgehe.  Die  Ohren 
erröten  mir  —  ich  möchte  ihn  zur  Tür  hinausdrücken  und  muss 
mich  massigen,  ja  sogar  liebenswürdig  sein."  Albert  Sowinski,  der 
Verfasser  des  Werkes  „Les  Musiciens  polonais",  hat  also  den 
Zorn  Chopins  nicht  zu  spüren.  Wie  die  meisten  unter  denen  nicht, 
die  ihn  reizen.  Jeder  zügellose  Ausbruch  der  Leidenschaft  erregt 
ihm,  dem  von  stärksten  Zu-  und  Abneigungen  Beherrschten,  Ab- 
scheu. Nur  in  Sachen  der  Kunst  kennt  er  kein  Pardon.  Totenblaß 
zerbricht  er  Bleistifte,  spricht  heftige,  grausame  Worte  und  —  findet 
nach  wenigen  Minuten  die  Haltung  wieder.  Das  letzte  Sichversagen 
des  Slawentums,  während  man  andere  mit  Zärtlichkeit,  Liebens- 
würdigkeit schmeichlerisch  zu  sich  zieht,  führt  zu  diesen  Folge- 
rungen ;  aber  nie  gab  es  sich  fesselnder  als  hier. 

Die  Selbstbeherrschung  hat  noch  mehr  Anlaß  sich  zu  üben: 
von  Deutschland  kommen  die  Stimmen  der  überschwenglichen  An- 
hänger wie  der  boshaftesten  Gegner  zu  ihm  herüber.  Robert  Schu- 
mann spendet  schon  seinen  Don-Juan-Variationen  begeisterten  Bei- 
fall ;  Chopin  verstand  hier  nicht,  was  der  deutsche  Romantiker  ihm 


54 

andichtete:  „.  .  .  .  von  dem  fünften  Takt  des  Adagio  sagte  er, 
dass  Don  Juan  Zerline  in  Des-dur  küsst.  Die  Gräfin  Plater  fragte 
mich  gestern,  wo  sich  dieses  Des-dur  bei  ihr  befinde."  Doch  bald 
muß  er  sich  glücklich  schätzen,  einen  zwar  phantastischen,  aber 
doch  sachverständigen  Lobredner  von  unerschütterlicher  Hingabe  ge- 
funden zu  haben.  Wälzt  doch  Ludwig  Rellstab,  der  Berliner  an- 
gesehene rationalistische  Kritiker,  in  mehreren  Nummern  seiner 
Musikzeitschrift  „Iris"  die  schwersten  Blöcke  kritischen  Unverständ- 
nisses heran;  wenn  er  Mazurken  und  Etüden  sieht,  fürchtet  er  Ver- 
renkung der  Finger  und  Zerreißung  des  Trommelfells,  anstatt  für 
sich  selbst  und  seinen  Ruf  zu  fürchten.  Spurlos  gehen  diese  An- 
griffe an  Chopin  nicht  vorüber.  Ein  Anhänger  zahlt  Rellstab  in 
einer  Zuschrift  nicht  mit  gleicher,  sondern  mit  doppelter  Münze,  mit 
Schmähungen.  Der  Vater  berichtet  dem  Sohn,  der  Empfänger  halte 
Chopin  für  den  Schreiber,  ohne  zu  bedenken,  daß  schon  seine  gute 
Erziehung  diesen  Gedanken  ausschließen  müsse.  Ein  Freund  Rell- 
stabs  vermittelt.  Jedenfalls  weist  der  alte  Chopin  immer  wieder 
auf  Deutschland  hin  als  auf  das  Land,  von  dem'  Friedrich  ernsteste 
Würdigung  und  sichersten  Ruhm  zu  erwarten  habe;  wo  er  denn 
auch  konzertieren  müsse.  Dieses  Land  ist  Chopin  noch  vertrauter 
geworden.  Hiller  hatte  ihn  1834  zum  Niederrheinischen  Musikfest 
gezogen,  wo  inmitten  des  akademischen  Schadowkreises  der  zu- 
erst Unbeachtete,  Stumme  nach  wenigen  Takten  seines  Spiels  die 
andern  vor  Staunen  stumm  macht.  Im  Sommer  1835  fliegt  er  in 
Karlsbad  Vater  und  Mutter  nach  langer  Trennung  in  die  Arme. 
Und  schreibt  an  die  in  Warschau  Zurückgebliebenen :  „Unsere  Freude 
ist  unbeschreiblich.  Wir  umarmen  einander  ein  über  das  andere 
Mal  —  und  was  vermag  man  denn  mehr!  Schade  nur,  dass  wir 
es  nicht  alle  zusammen  tun.  Wie  ist  doch  Gott  uns  gnädig!  Was 
ich  schreibe,  ist  ordnungslos,  es  ist  aber  besser,  heute  an  nichts 
anderes  zu  denken:  das  Glück  geniessen,  das  man  erlebt  hat!  Das 
ist  das  einzige,  was  ich  heute  besitze.  Dieselben  Eltern,  immer 
dieselben,  nur  daß  sie  mir  ein  wenig  gealtert  sind.  Wir  gehen  zu- 
sammen aus,  führen  Frau  Mütterchen  am  Arme,  sprechen  von  Euch, 
ahmen  den  schlimmen  Neffen  nach,  erzählen  uns,  wie  oft  eines 
an  das  andre  gedacht  hat.  Wir  trinken  und  speisen  zusammen, 
cajolieren  miteinander.     Ich  bin  au  comble  de  mon  bonheur.     Die 


55 

nämlichen  Gewohnheiten,  die  nämlichen  Bewegungen,  unter  denen 
ich  aufgewachsen  bin,  dieselbe  Hand,  die  von  mir  solange  nicht 
geküsst  wurde." 

Er  ist  nach  Deutschland  gegangen,  um  Polen  zu  finden.  Und 
noch  einmal  streckt  er  die  Hand  nach  dem  Vaterland  aus:  er  möchte 
sich  die  Lebensgefährtin  aus  der  Heimat  holen.  Nach  so  vielen 
Frauen,  deren  Duft  ihn  berauschte,  die  Frau,  die  ihm  Verkörperung 
seines  Begriffs  von  weiblicher  Hoheit  sein  sollte:  Maria  Wodzinska, 
mit  der  er  einst  in  Warschau  Versteck  gespielt,  der  er  als  seiner 
schätzenswerten  Kollegin  einen  kleinen  Walzer  geschickt,  deren 
Thema  ihn  zu  Phantasien  begeistert  hat,  sie  ist  die  Erwählte.  Ihr 
Bruder  Anton,  in  Paris  und  in  Spanien  oft  der  Hilfe  bedürftig, 
wird  ihm  Vorwand  zum  Austausch  von  Freundlichkeiten.  Und  in 
jenem  Sommer  1835  beginnt  das  Liebesspiel.  Wir  können  es  nun 
in  Briefen  verfolgen.  Der  liebenswürdige,  schalkhafte,  zärtliche,  an- 
mutige Chopin  wird  in  Dresden  nach  polnischer  Art  gehätschelt; 
erobert  scheinbar  die  junge  Komtesse,  überreicht  ihr  das  Manu- 
skript des  As-dur-Walzers  (op.  69  Nr.  1) ;  hat,  wie  die  alte  Gräfin 
schreibt,  nach  seiner  Abreise  eine  fühlbare  Lücke  zurückgelassen ; 
ist  ihr  „vierter  Sohn  Friedrich".  Der  also  Verabschiedete  eilt  mit 
übervollem  Herzen  nach  Leipzig,  sieht  den  Schumann-  und  Mendels- 
sohnkreis und  spielt  zum  Entzücken  der  Anwesenden.  1836  spinnt 
sich  das  Liebesspiel  weiter.  Marienbad.  Die  Dämmerstunde,  die 
Stunde,  in  der  die  Göttin  am  liebsten  zu  ihm  herniedersteigt,  die 
Ideen  ungerufen  erwachen,  ist  auch  jene,  in  der  sich  die  Herzen 
zu  finden  scheinen.  Er  fragt:  Ihre  dunklen  Augen,  ihr  sinnlicher 
Mund,  alles  spricht:  „Ja".  Die  Mutter  hört's  und  willigt  ein,  for- 
dert aber  Schweigen.  Wiederum  ein  Sprung  nach  Leipzig,  wo  er 
Robert  Schumann  trifft.  Die  Dämmerstunde,  die  den  Glücklichen 
in  der  Erinnerung  heimsucht,  wird  der  alten  Gräfin  später  peinlich. 
So  ernst  hat  sie's  nicht  gemeint.  Sie  ist  Polin.  Sie  ist  Mutter.  Die 
Gesundheit  Chopins  scheint  ihr  erschüttert.  Sie  empfiehlt  ihm  Ku- 
ren, ausgiebige  Nachtruhe.  Marie  sendet  warme  Pantoffeln.  Nur 
mehr  als  flüchtige  Grüße,  unverbindliche  Verbindlichkeiten,  Bitte 
um  Autographen  sendet  sie  nicht.  Er  ist  viel  dringlicher,  viel  ernster, 
viel  begeisterter ;  porträtiert  sie  in  seiner  f-moll-Etude  (op.  25  Nr.  2) ; 
widmet   ihr   sein   cis-moll-Nocturne   (op.   27,   Nr.    1).     Ist   es   wahr. 


56 

daß  sie,  wie  Hoesick  wissen  will,  bald  darauf  in  Genf  mit  dem: 
polnischen  Dichter  Slowacki,  einem  halben  Doppelgänger  Chopins, 
andere  Liebesfreuden  kostete?  So  daß  wir  kaum  sagen  können,  der 
Gegenstand  der  Liebe  habe  gewechselt?  Der  Graf  Friedrich  Skar- 
bek  war  doch  glücklicher  als  er:  sie  heiratete  ihn  wirklich.  Aber 
doch  immer  nicht  so  glücklich,  daß  sie  ihm  treu  blieb.  Diese  Ehe 
wurde  bald  geschieden.  Genug:  Chopin,  der  in  Polen  die  Gefährtin 
des  Daseins  suchte,  der  sie  mit  dem  ganzen  Reichtum  seines  Her- 
zens, mit  seinem  ganzen  unberührten  Idealismus  beschenken  wollte, 
war  an  eine  schmeichlerische  Katze  geraten.  Unter  dem  Titel  „moia 
bieda"  (mein  Unglück)  faßte  er  selbst  das  Bündel  Wodzinski-Briefe 
zusammen. 

Er  ist  reif  für  die  Tragödie  des  Lebens. 


LIAISON 

Und  ganz  natürlich  knüpft  sich,  was  folgt,  an  das  Vorange- 
gangene. Wie  wenn  sie  den  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen 
versagtem  Eheglück  und  der  künftigen  Liaison  bezeugen  wollten, 
liegen  uns  zwei  Briefe  vor,  beide  an  Mitglieder  der  Familie  Wod- 
zinski  gerichtet;  der  eine  an  Anton,  der  andere  an  die  Gräfin, 
Beide  bestätigen  das  eine:  Chopin  ist  krank.  Die  Ärzte  haben  ihm 
Ems  verordnet.  Auch  die  Freunde  sehen  es.  Ein  Brief  des  Marquis 
de  Custine,  seines  Bewunderers  sans  phrase  (und  Bekannten  der 
George  Sand)  kann  nur  aus  dieser  Zeit  stammen :  „Vous  etes  ma- 
lade; vous  pourriez  surtout  le  devenir  bien  plus  serieusement;  vous 
etes  sur  la  limite  des  chagrins  de  Päme  et  des  maux  du  corps." 
Er  will  ihn  über  den  Rhein  nach  Ems  bringen;  dort  werde  er  sicher 
genesen.  Eine  Randbemerkung  Chopins  zum  ersten  der  Briefe  darf 
nicht  verschwiegen  werden :  „Ich  gehe  vielleicht  für  ein  paar  Tage 
zu  George  Sand  .  .  ."  Schon  sein  elftägiger  Aufenthalt  in  Lon- 
don mit  Camille  Pleyel  im  Juli  verlief  seltsam  in  den  Augen  der 
Welt:  ein  Musiker  von  Ruf  bleibt  der  Londoner  Gesellschaft  un- 
sichtbar, begnügt  sich  damit,  einen  Blick  in  den  Musikbetrieb  zu 
tun,  und  verschwindet. 

Wir  sind  mitten  in  der  George-Sand- Affäre;  und  sehen  zu- 
gleich den  Anfang  des  Siechtums;  die  Dämmerung  im  Dasein  des 
Meisters. 

Chopin  und  George  Sand!  Es  ist  eine  Angelegenheit,  die  eine 
Spür  von  Trivialität  in  das  Leben  des  Tondichters  bringt.  Bisher 
hatte  wohl  einmal  Orlowski  nach  der  Heimat  schreiben  können : 
„Er  verdreht  allen  Französinnen  die  Köpfe,  und  die  Männer  sind 
eifersüchtig  auf  ihn";  oder  der  Geiger  Artöt  aus  Moskau  an  ihn 
selbst:  „Wissen  Sie,  dass  Sie  mich  höllisch  eifersüchtig  machen? 
Ueberall  wohin  man  kommt,  beschäftigt  sich  jeder  Weiberrock  mit 
Chopin :  Kennen  Sie  Chopin  ?  O  Gott,  wie  gern  möchte  ich  Chopin 
kerwien  lernen."  Der  Vielbegehrte  blieb  ganz  und  gar  nicht  un- 
berührt davon,  aber  er  ließ  sich  nicht  ketten;  denn,  wie  Liszt  noch 
von  dem  Dahingeschiedenen  rühmt:  „Er  hat  sich  an  keiner  Affaire, 
an  keinem  Drama  beteiligt  .  .  . ;  er  entschlüpfte  allen  Banden,  allen 
Freundschaften,   die    ihn   hätten   fesseln   können;    er   sprach   weder 


58 

von  Liebe  noch  von  Freundschaft/'  Das  stimmt  eben  zu  seiner 
Weltfremdheit  und  Weltfeindlichkeit,  zu  seiner  Abneigung  gegen  das 
Triviale,  zur  ganzen  Phantastik  seines  verschleierten   Daseins. 

Und  doch!  Eine  Frau  brachte  den  Dichter  ins  Gerede  von 
Paris  und  in  das  der  Welt.  Diese  sah  in  ihm  die  Fortsetzung 
Alfred  de  Mussets  als  Geliebten  der  Sand;  hielt  sich  an  die  merk- 
würdige  Ähnlichkeit  der  Beziehung  eines  Mannweibes  zu  einem 
Schwächeren.  Und  vergaß  nur  eines,  daß  eben  der  polygame  Musset 
Chopin  so  ganz  unähnlich  war;  bis  sein  Leiden  sie  belehrte. 

Das  Netz  von  Trivialitäten,  in  das  Chopin  wider  Willen  all- 
mählich geriet,  hat  sich  in  den  letzten  Jahren  noch  verdichtet.  Man 
darf  sagen:  es  ist  fast  alles  aufgehellt.  Briefe  der  George  Sand, 
ihrer  Tochter,  haben,  was  der  Meister  nur  andeutete,  schonungs- 
los aufgedeckt;  und  es  ist  ein  Glück,  daß  er  aus  all  dieser  üblen 
Nachrede,  ohne  ernstlich  Schaden  zu  nehmen,  ja  gereinigt  hervor- 
ging. Wem  Chopin  lieb  ist,  der  wird  hier  doppelt  haushälterisch 
sein ;  denn  weder  erhöht  noch  berührt  es  überhaupt  seinen  mensch- 
lichen Wert,  wenn  George  Sand  der  Nachwelt  selbst  in  erschreckend- 
ster Gestalt  erscheint. 

Sie  hat  ohnehin  längst  beides,  ihren  Ruhm  und  ihren  Ruf,  ein- 
gebüßt. Sie  steht  in  dem  wreiten  Museum  dichterischer  Halbbegabun- 
gen, hat  aber  als  menschliche  Merkwürdigkeit  mit  ihrer  Mischung 
von  Bohemetum  und  Ordnungssinn,  von  glühender  Einbildungskraft 
und  kühlster  Berechnung  Anspruch  auf  den  Nachruhm. 

Schon  ihre  Körperlichkeit  verrät  die  Widersprüche  ihrer  Natur. 
Daß  sie  eine  schöne  Frau  war,  bezeugen  Musset  und  Heine.  Der 
eine  liebt  in  ihr  das  Rassige,  das  braune,  bleiche,  olivenfarbigje 
Gesicht  „mit  bronzeartigen  Reflexen  und  Augen  so  groß  wie  die 
einer  Indianerin".  Doch  diese  Augen,  die  nach  Heine  in  einem 
Gesicht  von  griechischer  Regelmäßigkeit  wohnen,  sind  stille,  sanfte 
Augen,  „die  weder  an  Sodom  noch  Gomorrha  erinnern".  Aber 
diese  Ruhe  und  Würde  scheint  auch  für  den  wohlwollendsten  Be- 
trachter nicht  ganz  ungetrübt  zu  sein.  Denn  schon  die  nicht  eben 
klassische,  gewöhnliche  Nase  bildet  den  Übergang  zu  dem,  was  der 
Ausdruck  ihres  Instinktlebens  ist:  im  Mund  noch  kämpft  das  Harte 
mit  dem  Weiblichen  so,  daß  die  Anmut  sich  flüchtet;  „die  etwas 
hängende    Unterlippe",   gesteht   selbst   der   hier   besonders   freund- 


59 

liehe  Heine,  „verrät  ermüdete  Sinnlichkeit.  Das  Kinn  ist  vollfleischig, 
doch  schön  gemessen. "  Sie  verzichtet  gänzlich  auf  Esprit  und  Witz, 
die  ihr  ja  unter  den  Französinnen  den  Vorrang  nicht  einräumen 
würden;  sparsam  in  dem,  was  sie  sagt,  saugt  sie  den  Inhalt  fremder 
Rede  ganz  in  sich  ein,  um  ihn  in  eigene  Münze  umzuprägen. 

Die  Selbstsucht,  die  sich  hier  äußert,  bleibt  nicht  rein  literarisch; 
sie  hat  ihre  Quelle  im  Menschlichen,  und  hier  tritt  sie  durch  nichts 
gemildert  auf.  Die  Schriftstellerin  empfindet  das  Fehlen  starker 
geistiger  Grundlagen;  obwohl  aufs  Ernste  gerichtet,  vermag  ihr 
Denken  an  sich  nicht  die  letzte  Unerbittlichkeit  aufzubringen,  noch 
verfügt  es  über  einen  reichen,  durch  Kenntnisse  vermittelten  Stoff, 
über  den  es  frei  schalten  könnte.  Selbstsüchtig  baut  sie  sich  ihre 
voraussetzungslose  Lebensweisheit  auf;  ihre  Tatkraft  bleibt  am 
Menschlichen,  Allzumenschlichen  haften  und  versagt,  wenn  sie  die 
Gebilde  ihrer  Phantasie  aus  der  Fülle  fesselnder  Einzelheiten  in 
die  charakteristische,  bleibende  Form  gießen  möchte.  Geburt  und 
Erziehung  —  sie  stammt  in  letzter  Linie  vom  Marechal  de  Saxe 
und  der  dame  de  l'opera  Fräulein  de  Verrieres,  und  hatte  eine 
Mutter,  die  als  Tochter  eines  Pariser  Vogelhändlers  erst  viele  Stufen 
bis  zu  anständiger  Bürgerlichkeit  emporsteigen  mußte  —  lehren  die 
kleine  Dupin,  im  Ungewöhnlichen  das  Übliche  zu  sehen;  und  eine 
lästige  Ehe  mit  dem  ihr  gleichgültigen  Herrn  Dudevant  macht  sie 
reif  für  ein  Leben,  in  dem  sie  die  letzten  Folgerungen  aus  solchen 
Schicksalen  zieht.  Sie  hat  gelernt,  sich  auf  sich  selbst  zu  stellen. 
Sie  schüttelt  jeden  Zwang  ab,  haßt  alles  Konventionelle.  Sie  ver- 
tauscht die  weibliche  Kleidung  gegen  die  männliche ;  tritt  mit  eiser- 
nen Absätzen  auf.  Und  während  sie  sich  vom  Instinkt,  vom  Sturm 
ihrer  Leidenschaften  treiben  läßt,  bewahrt  sie  sich  die  Kraft  zu  herr- 
schen, zu  beobachten  und  zu  schildern.  Von  1831  an,  wo*  sie  den 
Mann  nach  gütlichem  Übereinkommen  verläßt,  macht  sie  in  diesem 
bunten,  erregten  Paris  zugleich  ihre  literarischen  und  ihre  erotischen 
Lehrjahre  durch  und  gilt  bald  als  Meisterin.  Kurze  Pausen  treten 
ein,  wenn  sie  in  Nohant,  ihrem  in  Berry  gelegenen  Grundbesitz,  den 
Gatten  und  die  beiden  kleinen  Kinder  Maurice  und  Solange  wieder- 
sieht. Sie  hat  mehrere  Spielarten  des  Liebesgenusses  erprobt,  Jüngere 
umgarnt  und  beherrscht  und  ist  als  Aurore  Dudevant  und  als  die 
berühmte  Schriftstellerin  George  Sand  zweiunddreißig  Jahre  alt  ge- 


60 

worden.  Sie  streift  nun  auch  die  letzte  Fessel  ab  und  erzwingt  die 
Scheidung  von  ihrem  Mann,  die  sie  materiell  unabhängiger  macht. 
Sie  könnte  nun,  zumal  sie  die  Maske  der  Keuschheit  liebt  —  schon 
die  ruhigen  Augen  und  die  Einfachheit  ihrer  Rede  sagen  das  — 
die  Ehe  mit  einem  Objekt  ihrer  Leidenschaft  schließen.  Doch  sie 
kann  nicht  den  Schatten  eines  Zwanges  ertragen.  „Ich  aber  bean- 
spruche, jetzt  und  für  immer,  die  stolze  und  schrankenlose  Unab- 
hängigkeit, die  Ihr  allein  zu  genießen  das  Recht  zu  haben  glaubt. 
Ich  würde  sie  nicht  jedermann  raten;  aber,  soweit  es  mich  betrifft, 
soll  kein  Liebesverhältnis  jene  Unabhängigkeit  auch  nur  im  mindesten 
beschränken.  Ich  gedenke  meine  Bedingungen  so  hart  und  so  klar 
zu  stellen,  daß  kein  Mann  kühn  oder  gemein  genug  sein  wird,  sie 
anzunehmen." 

Die  ermüdete  Sinnlichkeit  verlangt  von  der  Einbildungskraft 
neu  gespeist  zu  werden;  und  diese  stellt  die  gleiche  Forderung  an 
ihre  Sinnlichkeit.  Polen  ihrer  Bekanntschaft  sprechen  von  den  pol- 
nischen Frauen  mit  leuchtenden  Augen,  mit  leise  durchschimmernder 
Erregung;  erzählen  von  den  lässigen,  atembeklemmenden,  schlangen- 
haften  Bewegungen  dieser  Körper,  die  ihre  Sehnsucht  doch  mit 
Anmut  und  Geist  verhüllen.  Es  ist  anbetende  Ritterlichkeit  in  ihren 
Worten.  Liszt,  der  Kenner,  stimmt  ein.  Und  wie  er  selbst  in  Chopins 
Musik  den  höchsten  Ausdruck  solcher  Anbetung  verehrt,  teilt  er 
seinen  Rausch  George  Sand  mit,  die  zugleich  Freundin  der  Gräfin 
d'Agoult  ist.  Diese  so  völlig  neue  Note,  die  sehnsüchtig  anbetende 
Keuschheit,  fehlt  im  Album  ihrer  erlebten  und  geschilderten  Liebes- 
genüsse. Sie  will  Chopin  erobern ;  ihn  beherrschen.  Hier  gibt's 
stärkste  Widerstände  zu  überwinden.  Sie,  die  in  Selbstanbetung 
lebt,  will  dieses  Gefühl  von  einem  Dichter  geheiligt  und  bis  zur 
Vergötterung  ihrer  selbst  gesteigert  sehen.  Die  Forderung  ihrer 
Einbildungskraft,  das  Toben  der  Sinne  übertönt  ihr  den  Widerspruch, 
daß  der,  den  sie  programmgemäß  zu  demütigen  hat,  ihr  diesen  ganz 
reinen  Kultus  nicht  mehr  weihen  kann,  weil  er  nach  ihrer  eigenen. 
Logik  zu  „niedrig"  wäre. 

Das  sind  die  Vorgänge,  die  sich  in  der  Seele  der  Frau  ab- 
gespielt haben.  Erst  die  Tatsachen:  Begegnung,  Kampf  und  Sieg- 
entziehen sich  den  forschenden  Blicken  derer,  die  in  jeden  Winkel 
hineinleuchten  wollen.    Die  Einleitung  durfte  auch  nach  dem  Willen 


61 

der  Sand  das  Legendenhafte  nicht  verlieren.  Gewiß  ist,  daß  die 
Sand  die  Widerstände  nicht  hoch  genug  angeschlagen  hat,  und  daß 
Chopin  nur  nach  langem  Widerstreben  mit  dieser  Frau  bekannt  ge- 
worden ist.  Wie  er  ihr  nicht  mehr  entschlüpfen  konnte,  fand  er  sie 
unangenehm ;  dann  ließ  er  sich  von  ihr  in  Ketten  legen.  Die  Ab- 
neigung des  so  unendlich  Feinfühligen,  in  Kleidung  und  Formen 
Überempfindlichen  gegen  diese  unweibliche  Verächterin  des  Ge- 
schmacks, der  Eleganz  und  der  Sitte  ist  leicht  zu  begreifen.  Aber 
gerade  weil  sie  von  ihren  Geschlechtsgenossinnen  rücksichtslos  und 
erfolgreich  abrückte,  triumphierte  sie  über  ihn. 

Chopin  hat  zu  jener  Zeit  den  kritischen  Augenblick  seines  Lebens 
erreicht.  Er  träumt  nicht  mehr  allein  von  der  Poesie  der  Liebe. 
Inmitten  der  Zärtlichkeit  von  Eltern,  Geschwistern  und  Freunden 
aufgewachsen,  sehnt  er  sich  nach  dem  ruhigen  Glück  der  Ehe. 
Das  Bohemetum  ist  ihm  zuwider;  der  Dichter  fühlt  sich  den  tausend 
Kleinigkeiten  des  Lebens  gegenüber  machtlos;  auch  sein  Scharfen 
soll  sich  aus  dem  festen  Grund  von  Liebe,  Sorglosigkeit  und  Ord- 
nung erheben.  Poesie  und  Prosa  fließen  hier  zusammen.  Aber  noch 
mehr:  viel  Sinnlichkeit  ist  in  ihm  aufgespeichert;  auch  im  Leben  seiner 
Sinne  ist  Unrast,  die  den  geschwächten  Körper  des  Schwindsüch- 
tigen noch  heftiger  quält  und  schüttelt.  Dem  Traum  von  dem  Glück 
in  Polen  an  der  Seite  Marie  Wodzinskas  ist  die  Ernüchterung  ge- 
folgt. Er  ist  ein  wenig  mürbe,  für  den  neuen  Eindruck  empfäng- 
licher geworden.  Nun  tritt  ihm  die  Herrennatur  einer  George  Sand 
gegenüber.  Nur  so  lange,  als  sie  begehrlich  den  Entweichenden  suchte, 
unterschied  sie  sich  nicht  von  den  anderen  Frauen.  Nun  aber,  wo 
sie  ihre  Augen  ruhig  auf  ihn  heftet,  empfindet  er  das  Mißbehagen 
dessen,  der  nicht  erliegen  möchte,  sich  in  inneren  Zuckungen  windet 
und  erliegt.  Hier  ist  Rasse  und  Kraftgefühl;  seine  Sinne  geraten  in 
Aufruhr,  weil  er,  der  Schwache,  zum  erstenmal  einen  starken  Arm 
über  sich  fühlt.  Hier  ist  aber  auch  Ruhm,  Phantasie  und  Geistigkeit; 
so  braucht  auch  der  ideale  Mann  nicht  zu  darben.  Und  wie  er  einst 
von  seinem  Titus  als  von  einem  Tatmenschen  alle  Entscheidungen 
erwartet  hatte,  legt  er  sie  nun  in  die  Hände  dieses  Mannwreibes,  in 
dem  das  Weib  ihn  mit  den  stärksten  Ketten  der  Sinnlichkeit  fesselt, 
die  Herrscherin  ihn  vertrauensvoll  stimmt.  Es  wäre  die  höhere  Ein- 
heit, die  letzte  Zusammenfassung  alles  Wünschenswerten,  wenn  die 


62 

Poesie,  die  ihm  dies  alles  zuletzt  wieder  verklärt,  auch  in  dieser 
seltsamen  Frau  den  Schleier  über  Leidenschaft  und  Geist  breitete. 
Im  Dichter,  der  in  seiner  Abneigung  gegen  eine  Liaison  sich  fast  dem 
gutbürgerlichen  Ideal  nähert,  keimt  der  Gedanke  an  eine  dauernde 
Vereinigung  auf.  Die  Dichterin  hat  aber  in  ihrem  nun  befriedigten 
Herrschergefühl  die  Kraft  wiedererlangt,  ihr  Programm  durchzu- 
führen :  das  Programm  der  schrankenlosen  Unabhängigkeit.  Sie  kann 
ihn,  wenn  sie  sich  selbst  den  Reiz  der  unbedingten  Hingabe  Chopins 
an  sie  nicht  rauben  oder  kürzen  will,  nicht  völlig  demütigen,  muß  also 
zu  kleinen  Abstrichen  bereit  sein.  Und  darf  es  um  so  mehr,  als 
diesem  zarten,  willenlosen  Geschöpf  gegenüber  allmählich  etwas  wie 
Muttergefühl  in  ihr  erwacht.  Er  selbst,  dessen  Wünsche  an  ihrer 
selbstsüchtigen  Unerschütterlichkeit  scheitern,  glaubt  nun  einen  wirt- 
schaftlichen und  moralischen  Ersatz  der  Ehe  für  sich  retten  zu  können. 
George  Sand,  die  wirtschaftlichste  aller  Romantikerinnen,  stellt  später 
ihr  Zusammenleben  auf  die  Grundlage  eines  Vertrages,  der  dem* 
Dichter  Ruhe  und  Sorglosigkeit,  ihr  selbst  aber  Bewegungsfreiheit 
gewährleistet;  doch  erst  dann,  nachdem  eine  günstige  Auskunft  sie 
über  die  seelischen   Voraussetzungen  in  Chopin  beruhigt  hat. 

Es  stimmt  traurig,  unsern  Dichter  in  den  sicheren  Hafen  einer 
solchen  Scheinehe  einlaufen  zu  sehen.  Aber  es  ist  nicht  zu  befürch- 
ten, daß  sein  Bestes  an  ihr  Schaden  nimmt;  es  gibt  etwas  Unberühr- 
tes, ein  Allerheiligstes  in  ihm,  in  das  keine  Trivialität  eindringen 
kann.  Gewiß :  die  Kontraste  waren  so  scharf,  daß  sie  sich  nicht  er- 
gänzten. Und  die  poetische  Halbbegabung  der  George  Sand  litt 
trotz  stärkstem  Bemühen  auf  dem  Gebiet  der  Musik  Schiffbruch. 
Dieser  Musik  vor  allem,  die  an  einen  Sinn  sich  wandte,  der  ihr  fehlte. 
Ihr  also  war  der  Zugang  in  das  Allerheiligste  versperrt.  Seine 
Eigenart  ist  längst  fest  umrissen,  zur  Meisterschaft  aufgestiegen,  in 
Werken  ausgesprochen,  die  den  Flug  in  die  Welt  entweder  schon 
vollendet  haben  oder  in  Kürze  beginnen  werden.  Und  der  Ersatz 
der  Heimat,  der  dem  Ruhebedürftigen,  Kranken  vorschwebte,  wurde 
ihm  gewährt.  Ja,  zunächst  wahrte  auch  die  Sand  den  Schein  der 
Poesie.  Im  Jahre  1847  aber  konnte  sie  Grzymala,  dem  vertraute- 
sten Freund  des  leidenden  Chopin,  folgendes  schreiben:  „Seit  sieben 
Jahren  lebe  ich  mit  ihm  wie  eine  Jungfrau.  Wenn  irgend  ein  Weib 
in  der  Welt  ihm  unbedingtes  Vertrauen   hätte  einflößen  sollen,  so 


63 

bin  ich  es,  doch  hat  er  das  niemals  begreifen  wollen.  Ich  weiss  es 
nur  zu  gut,  daß  viele  Leute  mich  beschuldigen:  die  einen,  dass 
ich  ihn  durch  die  Heftigkeit  meiner  sinnlichen  Triebe  zu  gründe 
gerichtet,  die  andern,  dass  ich  ihn  durch  meine  Launenhaftigkeit 
zur  Verzweiflung  gebracht  hätte.  Ich  vermute,  dass  Du  wohl  weisst, 
wie  viel  an  diesem  Gerede  Wahres  ist.  Was  nun  ihn  betrifft,  so 
beklagt  er  sich  mir  gegenüber,  ich  hätte  ihn  durch  Verweigerung 
meiner  Liebkosungen  zugrunde  gerichtet,  während  ich  die  absolute 
Gewissheit  habe,  dass  ich  ihn  unzweifelhaft  getötet  hätte,  wenn 
ich  anders  vorgegangen  wäre." 

Dieses  Bekenntnis  soll  hierher  gesetzt  werden,  weil  es  die  Zeit 
des  echten  Liebeslebens  klar  abgrenzt.  Das  Mißtrauen,  das  sich 
allen  Äußerungen  der  Frau  gegenüber  erhebt,  muß  hier  schweigen. 
Und  wenn  wir  in  den  Worten :  „Seit  sieben  Jahren  lebe  ich  mit  ihm 
wie  eine  Jungfrau"  das  „ihm"  unterstreichen,  wissen  wir,  daß  die 
Qualen  des  Verschmähten  sich  bis  zur  Unerträglichkeit  steigerten. 
„Seine  Seele",  sagt  sie  in  dem  gleichen  Schreiben,  „ist  ganz  Poesie 
und  Musik".  Sie  hatte  diesen  neuen  Reiz  der  Liebe  bald  ausgekostet, 
ließ  dann  der  Poesie  und  der  Musik  ihr  Recht,  zog  aus  seinem  Idealis- 
mus die  eigennützigen  Schlüsse  und  tröstete  sich  mit  dem  Bewußtsein, 
einem  Hilflosen  —  soweit  sie  selbst  seine  Tasche  nicht  angriff  — 
eine  wirtschaftliche  Stütze  gewesen  zu  sein ;  dem  kranken  Dichter 
die  Kraft  zum  Schaffen  nicht  entzogen  zu  haben.  Sollen  wir  nun 
das  Geschick  preisen,  das  Chopin  in  seinem  Kampf  um  das  Lebens- 
glück vor  seelische  und  körperliche  Hemmungen  gestellt  hat?  Diese 
Frage  bleibe  zunächst  unbeantwortet.  Betrachten  wir  dieses  Bünd- 
nis als  ein  unabweisbares  Ereignis  und  begleiten  wir,  ohne  die 
Frau  zu  hassen,  den  Meister,  den  wir  lieben,  von  der  Poesie  zur 
Prosa. 

Hatte  ihm  nun  einmal  sein  Instinktleben  den  Bruch  mit  ein- 
gewurzelten Anschauungen  diktiert,  so  fand  doch  der  Dichter  sich 
selbst  sofort  wieder.  Die  große  Welt  wurde  von  seinem  Innersten 
ausgeschlossen ;  nichts  Unzartes,  Eindeutiges  wurde  von  ihm  nach 
außen  hin  geduldet;  und  diese  Eltern,  die  sich  nicht  mehr  zur  Pa- 
riser Freiheit  bekehren  konnten,  durften  in  ihrem  Empfinden  nicht 
verletzt,  in  ihrem  stillen  Glück  nicht  beunruhigt  werden.  Für  sie  war 
George  Sand  immer  nur  die  mütterliche  Freundin,  die  den  Sohn  be- 


64 

hütete;  sie  heißt  in  den  Briefen  „die  Herrin  des  Hauses";  ein  Titel, 
der  ja  auch  ihrer  schrankenlosen  Unabhängigkeit  entsprach. 

Der  poesievolle  Auftakt  dieses  Neben-  und  Gegeneinanderlebens 
ist  Palma  auf  Majorka.  Die  Krankheit  Chopins  oder  die  des  Sohnes 
der  Sand,  Maurice,  oder  die  beider  ist  der  äußere  Anlaß  zur  Reise. 
Aber  der  Wechsel  der  Szenerie,  die  Weltflucht,  die  Abgeschieden- 
heit, schon  immer  die  stärksten  Bundesgenossen  der  Liebe,  sind 
auch  der  neugeschaffenen  Gemeinschaft  hold.  Chopin  hatte  sich  mit 
dem  Empfang  von  2000  Franken  Pleyel  zur  Vollendung  seiner  „Pre- 
ludes"  verpflichtet.  Aber  dieser  Zwang  wird  nicht  empfunden,  wo 
die  Reize  einer  südlichen  Natur  ihm,  dem  Stimmungsmenschen, 
himmlisches  Behagen  schaffen.  Seine  Sehnsucht  nach  Sonnenschein 
ist  erfüllt.  Auch  die  Dichterin  zwingt  sich  von  den  leidenschaftlichen 
Menschen  zur  Natur  zurück  und  ist  im  fruchtbaren  Schaffensrausch 
bereit,  sich  selbst,  nicht  zu  vergessen,  aber  zu  mildern  und  anzu- 
passen. Selbst  dann,  als  Chopin  krank  wird  „wie  ein  Hund",  seine 
bedrohliche  Bronchitis  die  Reisenden  aus  der  Vilia  „Son  Vent"  in 
das  Kloster  Valdemosa  treibt  und  manche  Unbequemlichkeit  ver- 
ursacht, fühlt  sie  sich  noch  nicht  als  Märtyrerin.  In  dem  Kranken 
aber  wird  die  Phantastik  des  Ortes,  die  schon  die  Dichterin  hoch 
stimmt,  besonders  mächtig.  „Zwischen  Fels  und  Meer,  in  einem 
gewaltigen  verlassenen  Karthäuserkloster,  kannst  Du  Dir  mich  in 
einer  Zelle,  deren  Türe  größer  ist  als  in  Paris  die  Haustore,  un- 
frisiert ohne  weisse  Handschuhe  und  blass  wie  immer  vorstellen. 
Die  Zelle  hat  die  Form  eines  Sarges  mit  einem!  hohen,  verstaubten 
Gewölbe.  Ein  kleines  Fenster,  vor  diesem  Orangenbäume,  Palmen 
und  Zypressen.  Dem  Fenster  gegenüber,  unterhalb  einer  Filigran- 
rosette im  maurischen  Stil,  steht  ein  Bett.  Daneben  ein  alter,  wür- 
diger, intouchabler  Schreibkasten,  der  sich  kaum  benützen  lässt,  auf 
ihm  ein  Bleileuchter  (der  Luxus  ist  hier  gross!)  mit  einer  kleinen 
Kerze.  Bachs  Werke,  mein  Gekritzel,  nicht  mir  gehöriges  Gerumpel. 
Eine  Stille  —  man  kann  schreien  —  es  bleibt  immer  still.  Kurz,  ich 
schreibe  an  Dich  von  einer  ganz  merkwürdigen  Stätte  aus."  .  .  . 
„Unter  dem  hiesigen  Himmel  durchdringt  Dich  ein  eigenartiges  poe- 
tisches Gefühl,  das  alles  hier  zu  atmen  scheint;  Adler  schweben, 
von  (niemandem  verscheucht,  täglich  majestätisch  über  unsern  Häup- 
tern dahin!" 


65 

Die  Liebe  beseligt  und  stützt  ihn.  Doch  es  gibt  Augenblicke, 
wo  den  Jenseitigen  die  Schauer  der  Einsamkeit  packen  und  die 
Phantasie  Schreckbilder  aus  den  Tasten  herausträumt.  Die  Krank- 
heit lähmt  und  fördert  zugleich  die  Arbeitskraft,  weil  sie  den  Auf- 
ruhr der  Nerven  hervorruft.  Kehrt  er  zur  Wirklichkeit  zurück,  dann 
kann  sein  Verhältnis  zu  ihr  befremden.  Er  hat  in  Julian  Fontana, 
einem  Warschauer  Jugendfreund,  einen  musikalischen  Vertrauens- 
mann in  Paris  gefunden,  dessen  unbedingte  Arbeitswilligkeit  er  er- 
barmungslos ausnützt.  Der  empfindet  wohl,  daß  er  Ewigkeitswerte 
zu  schützen  hat.  Und  wie  muß  er  sie  schützen!  Es  gibt  keinen 
größeren  Gegensatz  als  die  verträumte  Stimmung,  aus  der  ein 
Chopinsches  Werk  strömt,  und  jene  unerbittliche  Rücksichtslosigkeit, 
mit  der  es  der  Komponist  auf  den  Markt  bringt.  Der  Stolz  des 
Genies,  das  alle  Andersgearteten,  alle,  die  Geldgeschäfte  treiben, 
zu  seinen  Lohndienern  erniedrigt,  kann  sich,  obwohl  ihm  selbst  un- 
bewußt, nicht  hüllenloser  zeigen.  Die  Vorsicht  im  Verkehr  mit  den 
Verlegern,  die  ihm  sein  Vater  in  den  Briefen  der  ersten  Pariser 
Jahre  empfohlen  hatte;  die  Freundschaft  mit  Heine  und  anderen, 
die  in  ihrem  Sold  standen;  die  Gemeinschaft  mit  der  wirtschaftlichen 
Romantikerin  George  Sand  hatten  reiche  Früchte  getragen.  Aber 
wenn  selbst  all  dies  in  Rechnung  gebracht  wird,  so  werden  doch 
gewisse  Lücken  des  Menschtums,  gewisse  Seiten  des  schmeichle- 
rischen, unaufrichtigen  Polentums  sich  nicht  verwischen  lassen.  Eine 
wahre  Blütenlese  von  Schimpfwörtern  geht  in  diesen  Briefen  über 
die  Verleger  nieder,  in  denen  er  doch  gelegentlich  mehr  als  nur  Ge- 
schäftsleute erprobt  hat.  Wenn  sie  Juden  sind  wie  Maurice  Schle- 
singer, gelten  sie  dem  judenfeindlichen  Polen  an  sich  als  Lumpen. 
Sind  sie  es  nicht  und  nehmen  doch  ihren  Vorteil  wahr,  wie  Pleyel 
oder  Probst,  dann  macht  er  sie  zu  Gesinnungsjuden  und  will  lieber 
mit  den  wirklichen  zu  tun  haben.   Und  seiner  geschäftlichen  Weisheit 

letzter  Schluß   ist:  „Doch  ich  seh auf  dies  alles.     Deutsche 

Halunken,  jüdische  Schurken,  Bluthunde,  Schinder  u. s.w.!"  Nicht 
viel  besser  ergeht  es  dem  Verwandten  des  Komponisten  Mosch eles, 
dem  Bankier  Leo,  dessen  Güte  er  an  sich  erfahren  hat.  Ins  Gebiet 
der,  wie  er  selbst  meint,  originellen  Scherze  aber  gehört  folgende 
briefliche  Äußerung:  „Falls  Moscheies  bereits  in  Paris  ist,  so  lass 
ihm  ein  Klystier  aus  Neukomms  Oratorium,  angerichtet  mit  (Berlioz') 

WeisBmann,  Chopin  5 


66 

Cellini  und  Döhlers  Konzert  verabreichen.  Er  wird  dann  gewiss 
auf  den  Locus  gehen  und  irgend  einen  Valentin  machen  .  .  .  Dein 
mehr  denn  je  langnasiger  Ch."  Der  Ausdruck  der  Verachtung  Cho- 
pins für  die  Musik  seiner  Zeit  kann  nicht  gut  stärker  sein. 

Fontana  erledigt  pünktlich  alles,  was  ihm  aufgetragen  war.  Auch 
der  Schlußrefrain  der  gesamten  Korrespondenz:  „Stillschweigen  über 
mich  vor  allen,  nicht  näheren  Bekannten,  Wortkargheit  vor  den  not- 
wendig Eingeweihten"  klang  ihm  beständig  im  Ohr.  Die  Verleger 
durften  nicht  unter  Chopin  als  einen  Verlorenen  einen  Strich  machen, 
und  die  andern  sollten  in  dem  boshaften  Paris  zu  übler  Nachrede 
keinen  Anlaß  haben.  Hören  wir  nicht  den  Knaben  wieder,  der 
weltklug  die  Angehörigen  immer  wieder  von  neuem  zum  Schweigen 
über  seine  ungünstigen  Urteile  verpflichtet?  Nur  daß  jetzt  sein  Liebes- 
sehnen erfüllt  ist,  die  Poesie,  die  in  seinem  Herzen  wohnt,  den  Er- 
guß in  Worten  nicht  mehr  sucht.  So  ist  Weltklugheit  nicht  mehr 
von  dem  versöhnenden  Stimmungschaos  eines  innerlich  Zerrissenen 
umrahmt,  und  die  Entspannung  von  allem  nervenzehrenden  Erleben, 
Träumen  und  Arbeiten  vollzieht  sich  blank  und  hart.  Doch  läßt  uns 
eben  das,  was  er  verschweigt,  wieder  den  Weg  von  diesen  nicht 
immer  erfreulichen  Menschlichkeiten  zu  jenem  Chopin  zurückfinden, 
den  wir  vergöttern. 

Der  ist  nun  als  Schwerkranker  mit  seiner  Begleitung  Anfang 
März  1839  nach  Marseille  gelangt.  Dort  genügt  er  einer  traurigen 
Pflicht.  Der  berühmte  Tenorist  Adolphe  Nourrit  hatte  sich  in  einem 
Anfall  von  Schwermut  über  seinen  erbleichenden  Stern  in  Neapel 
durch  einen  Sturz  aus  dem  Fenster  getötet.  Als  die  Leiche  Mar- 
seille passiert,  wird  für  ihn  ein  Trauergottesdienst  abgehalten,  und 
kein  Geringerer  als  Chopin,  der  Bewunderer  seiner  Kantilene,  sitzt 
an  der  Orgel.  Dann  sieht  er  bei  einem  Ausflug  nach  Genua  ein 
Stückchen  des  einst  erträumten  Italiens,  das  ja  seiner  Begleiterin  ver- 
trauter ist.  Nohant,  der  Landsitz  der  George  Sand,  ist  wie  selbst- 
verständlich das  letzte  Reiseziel.  Hier  soll  der  gesundheitlich  Ge- 
besserte noch  einen  Nachklang  des  Liebesfrühlings  erleben. 

Wie  auf  diesen  Frühling  sehr  bald  Sommer,  Herbst  und  ein 
langer  Winter  folgten,  das  ist  die  Geschichte  der  nächsten  sieben 
Jahre.  Nohant  und  Paris  lösen  sich  nun  fast  regelmäßig  ab. 
Chopin,  den  nicht  nur  die  Pflicht,  sondern  sein  ganzes  Wesen  stets 


67 

an  die  Stadt  mahnt,  liebt  das  Land  nicht  und  ersehnt  doch  ruhelos 
immer  den  Wechsel.  In  Nohant  kann  er  unbelastet  vom  Unterricht 
komponieren ;  und  George  Sand,  die  stets  Gastfreie,  schafft  ihm, 
wie  es  ihr  selbst  längst  Bedürfnis  ist,  in  einem  Kreis  feingeistiger, 
ja  bedeutender  Menschen  einen  Ersatz  für  den  Salon.  Wer  bei  ihr 
einkehrt,  hat  freies  Verfügungsrecht  über  das  Haus  wie  über  sich 
selbst.  Fischen,  Jagen,  Billardspielen,  Ausflüge  sind  die  Beschäf- 
tigungen, die  den  Müßiggang  erträglich,  ja  genußreich  machen.  Aber 
es  gibt  auch  Anlässe,  sich  im  Dienst  der  Kunst  zusammenzufinden. 
Wo  ein  Chopin,  ein  Liszt,  ein  Delacroix,  eine  Viardot-Garcia,  Balzac, 
Pierre  Leroux  und  George  Sand  weilen,  wird  man  erfinderisch.  Man 
improvisiert  Stücke  nach  einer  hinter  der  Bühne  angeschlagenen 
Skizze;  Liszt  und  Chopin  sorgen  für  die  Bühnenmusik,  und  es  ist  nicht 
ohne  Belang,  zu  erfahren,  daß  unser  Tondichter  eine  Einleitungs- 
pantomime ersann  und  da,  wo  die  Worte  fehlten,  mit  staunenswert 
beredtem  Ton  Bewegungen  schuf,  erriet  und  ihnen  folgte.  Ereig- 
nislos fließt  ihm  sonst  das  Leben  hin;  nur  in  seiner  Seele  spielt  sich 
Dramatisches  ab,  und  in  sie  ist  auch  dem,  der  zu  lesen  versteht, 
mancher  Blick  verstattet.  Sein  „temperament  sauvage"  muß  sich 
mit  vielem  abfinden.  Unter  den  Menschen,  die  George  Sand  zu  sich 
ladet,  sind  manche  ihm  gleichgültig,  andere  ihm  unangenehm,  zu- 
weilen peinlich.  Er  muß  sie  ertragen  um  der  Herrin  des  Hauses 
willen,  die  er  liebt  und  die  ihm  sehr  bald  ihre  mütterliche  Zuneigung 
schenkt.  Sie  empfindet  so  mütterlich,  daß  sie  1842  mit  ihm  nach 
dem  Künstlerquartier  Cite  d'Orleans  zieht.  Das  Zusammenleben  ver- 
liert alles  Anstößige;  George  Sands  Freundin,  Madame  Marliani, 
nimmt  an  den  Mahlzeiten  teil,  die  sie  oft  selbst  zubereitet.  Chopin 
bewegt  sich  als  ein  mit  geschmackvoller  Eleganz  gekleideter  Mann 
von  pariserischer  Tournüre  in  seinen  Zimmern,  die  mit  ihrer  Fülle 
reizender  Niedlichkeiten  sein  persönliches  „cachet"  tragen ;  er  ar- 
beitet, er  empfängt  in  diesen  Räumen,  die  Blumenduft  atmen,  seine 
Schülerinnen,  Schüler  und  Freunde;  und  die  minder  elegante  Freun- 
din lebt  in  den  ihrigen,  wie  sie  es  gewohnt  ist,  ihrem  Schaffen  und 
ihren  Beziehungen.  Als  Mannweib  gestattet  sie  sich  in  Gesellschaft 
auch  den  Genuß  einer  Zigarre,  die  Chopin  sich  selbst  verbietet; 
sein  Feingefühl  verläßt  ihn  nie,  auch  wenn  ihre  herrische  Derbheit 
es  ihm  erschwert.    Der  sonst  so  Stolze  wird  der  Starken  gegenüber 


68 

zum  Sklaven.  Das  Pariser  Geschwätz,  die  medisance,  darf  ihn  nicht 
ganz  kalt  lassen;  und  da  die  feine  Malice  ihm  angeboren  ist,  findet 
auch  Unerhebliches,  Kleinliches  durch  diese  Pforte  Eingang  bei  ihm. 
Wer  die  Pariser  Briefe  an  seine  Angehörigen  liest,  sieht,  daß  es 
auch  einen  Ausgang  findet.  Die  Seinigen  werden  mit  dieser  Chronik, 
die  selbst  Wissenschaftliches,  Politisches  von  fernher  streift,  abge- 
speist, während  ihnen  der  innere  Mensch  meist  entschlüpft.  Der 
Vater  klagt  beständig  darüber,  daß  der  Sohn  ihn  mit  Briefen  so  kurz 
halte.  Was  hat  er  den  Seinigen  noch  von  sich  zu  sagen?  Und  wie 
mühsam  ringt  er  sich  die  Worte  ab;  wie  oft  zerreißt  er  schon  Ge- 
schriebenes, weil  es  ihm  den  inneren  Zustand  und  die  körperliche 
Hinfälligkeit  zu  verraten  scheint!  Schwester  Luise  freilich,  die  ihm 
so  nahe  ist,  wird  bald  reif  sein,  in  das  Geheimnis  seiner  großen  Liebe 
-eingeweiht  zu  werden. 

Um  Chopin  wird  es  leer.  In  Jan  Matuszynski  verliert  er  1842 
den  Gefährten  seiner  körperlichen  und  Vertrauten  seiner  seelischen 
Leiden.  Sie  waren  beide,  wie  Chopin  einst  sagte,  aus  dem  gleichen 
Ton  geschaffen.  Isfs  allzu  kühn  anzunehmen,  daß  der  Austausch 
von  Zärtlichkeiten  zwischen  den  polnischen  Freunden  Krankheits- 
keime übertrug  und  manchen  frühen  Tod  verschuldete?  Es  ist  ein 
allgemeines  Hinsterben  unter  diesen  Polen,  deren  Siechtum  wie  eine 
Übertragung  der  Schicksale  der  Nation  ins  Persönliche  anmutet;  in 
die  Romantik  tritt  hart  und  grausam  der  Tod.  Chopins  Vater  stirbt 
als  ein  Mann  von  74  Jahren  1844.  Diesen  Riß  empfindet  der  Schwer- 
kranke um  so  tiefer,  als  eine  Welt  ihn  räumlich  und  seelisch  nun 
längst  schon  von  den  Lieben  scheidet.  George  Sand  spricht  für 
den  Gebrochenen  und  findet  den  Anlaß,  in  einem  wohlgesetzten 
Schreiben  ihrer  mütterlichen  Zuneigung  für  den  Armen,  Hilflosen 
Ausdruck  zu  geben.  Schwester  Luise  kommt  bald  darauf  mit  ihrer 
Familie  nach  Nohant  und  wird  durch  den  Augenschein  belehrt,  daß 
alles  in  Ordnung  ist.  Chopin  lebt  ein  wenig  auf  und  zehrt  noch  lange 
von  der  Erinnerung  an  diesen  Besuch. 

Die  Schatten  des  Todes,  die  den  Meister  heimsuchen;  die 
.seelische  Ernüchterung,  die  sich  einstellt;  die  wachsende  Reizbar- 
keit, die  den  Menschen  zu  einem  Nervenbündel  werden  läßt;  alles 
dies  steigert  vornehme  Zurückhaltung  bis  zu  menschenfeindlichem 
Mißtrauen.    So  zieht  der  einst  Gesellige  sich  nun  mehr  und  mehr 


69> 

von  denen  zurück,  die  irgendwo  und  irgendwann  sein  Mißfallen  er- 
regt haben ;  er  sperrt  sich  auch  wie  mit  einer  Mauer  gegen  alles  ab, 
was  sich  seinem  Wesen  erst  aufnötigen  muß.  Aber  es  gibt  Entfrem- 
dungen, die  der  Nachwelt  peinlich  sind.  Wir  erinnern  uns  jener 
ersten  Pariser  Jahre,  die  Liszt  und  Chopin  zusammenführten;  den- 
ken an  jene  schönen  Worte,  die  der  Virtuose  dem  neuerschienenen 
Genie  widmete.  Nun,  auch  diese  Kameradschaft  ist  getrübt  und 
einem  kühlen  Verkehr  zwischen  Kollegen  gewichen.  Wenn  wir  den 
Gründen  dieser  Abkühlung  nachspüren,  stoßen  wir  auf  Dinge,  die 
uns  die  Hohenpriester  der  Kunst  in  unwürdiger  Kleinlichkeit  zeigen. 
Frauenklatsch  spielt  hier  hinein ;  auch  ein  Verstoß  Liszts,  des  Un- 
genierten, gegen  die  Form,  indem  er  Chopins  Wohnung  in  dessen  Ab- 
wesenheit zu  einem  Stelldichein  benutzte,  wird  als  Grund  angeführt. 
Aber  schließlich  war  es  doch  der  Künstlerneid,  der  beide  trennte. 
Chopin,  der  Reizbare,  mag  hier  stärker  belastet  sein  als  Liszt.  In 
dem  Künstler  war  ein  Stachel  zurückgeblieben.  Seine  Virtuosen- 
träume hatten  sich  nicht  verwirklicht.  Die  Menge,  die  ihm  den 
Atem  benahm,  hatte  er  aufgesucht,  aber  ohne  sie  zu  bezwingen. 
Was  half  es  ihm,  daß  er  sich  vorhielt,  wie  sehr  sein  unnachahm- 
liches Klavierspiel  der  Abglanz  seines  Lyrismus  sei!  Der  Verzicht 
auf  den  Jubel  der  Massen  in  diesem  glänzenden  Paris  war  schwer; 
und  dem  Komponisten  hatte  doch  auch  das  Ideal  vorgeschwebt, 
aus  eigenen  Mitteln  für  seine  Musik  zu  werben,  sie  vor  dem  Publi- 
kum mit  der  eigenen  Stimmung  zu  erfüllen.  Gewiß:  Liszt  setzte 
sich  noch  immer  mit  Begeisterung  für  sie  ein;  aber  der  Drama- 
tiker in  ihm  verschob  das  Schwergewicht  nach  der  Seite  der  eigenen 
Persönlichkeit  und  ließ  selbst  die  Notentreue  darunter  leiden.  Es 
war  für  Chopin  nicht  leicht,  sich  ohne  Groll  an  dieses  Fehlen  alles 
Dramatischen  in  ihm  selbst  zu  erinnern.  Liszts  Gegenwart  allein 
erinnerte  ihn  daran.  Auch  wenn  kein  Wort  fiel,  brannte  der  Stachel. 
Dann  kamen  die  Mißverständnisse;  der  Vorwurf  der  Ruhmredig- 
keit wird  oft  genug  ausgesprochen.  Der  Name  Liszt  kehrt  in  der 
Korrespondenz  häufig  wieder.  Der  Vater  rät  zur  Klugheit  und 
warnt  vor  dem  Abbruch  aller  Beziehungen.  Einmal  fragt  Hiller, 
der  gehört  hat,  daß  beide  zusammen  gesehen  worden  seien,  an, 
ob  dies  nicht  ein  Scherz  sei.  Und  Chopin  schreibt:  „Liszt  lässt 
sich   in   Bonn    ,Er  lebe  hoch*     schreien,   wo  Beethoven  ein   Denk- 


70 

mal  errichtet  wird  und  auch  gekrönte  Häupter  erwartet  werden." 
Der  längst  mit  mißtrauischen  Blicken  Verfolgte  hat  nichts  unver- 
sucht gelassen,  den  ehemaligen  Freund  für  sich  umzustimmen.  Als 
Chopin  1841  nach  längerer  Pause  —  seit  1838  zum  ersten  Male 
—  wieder  mit  seiner  Kunst  vor  das  Forum  der  Wenigen  tritt,, 
bittet  Liszt  den  Kritiker  Legouve,  ihm  für  diesen  Abend  sein  Amt 
abzutreten.  „H  vous  donnera  un  royaume",  meint  der  gegen  seinen 
Willen  Entthronte.  „Oui,  dans  son  empire",  antwortet  unser  Meister, 
der  ein  kleines  Attentat  argwöhnt.  Wer  von  Liszt  kommt  wie  der 
geistreiche  Wilhelm  von  Lenz,  der  mit  Chopin  dessen  Mazurken 
studiert,  wird  als  Spion  vorsichtig  behandelt.  Aber  er  dringt  bis 
vor  das  Allerheiligste  und  unterrichtet  die  Nachwelt  redselig  von 
dem  Erlebten. 

Wenn  selbst  der  reizbare  Chopin  der  letzten  Lebensjahre  einem 
neuen  Mann  Einlaß  in  seinen  Kreis  gewährt,  mußte  starke  Ge- 
meinsamkeit der  Neigungen,  des  Empfindens  die  Hemmungen  aus 
dem  Weg  räumen.  Der  Maler  Delacroix  durfte  sich  der  Freund- 
schaft Chopins  rühmen.  „Mit  Chopin,  einem  Manne  von  hoher 
Bedeutung,"  sagt  er,  „führe  ich  unendlich  lange  Zwiegespräche; 
er  ist  der  echteste  Künstler,  dem  ich  noch  je  begegnet  bin.  Er 
ist  einer  der  Wenigen,  die  man  bewundern  und  achten  kann."  Ein 
Billett  von  seiner  Hand  kleidet  die  Sehnsucht  nach  dem  Freund 
in  folgende  ungewöhnliche  Worte:  „Recevez  mille  vceux,  non  pas 
comme  tout  le  monde  les  fait:  ceux  d'un  cceur  qui  vous  aime 
bien,  bien.  J'espere  vous  voir  ce  soir;  mais  ce  moment  est  ca- 
pable  de  me  faire  devenir  fou."  So  ist  auch  der  Zauber,  der  von 
dem  reizbaren  Chopin  ausgeht,  noch  stark  genug.  Am  meisten  spü- 
ren ihn  die  polnischen  Landsleute,  denen  er  sich  nie  versagt;  vor 
ihnen  legt  er  auch  die  Schminke  des  Franzosentums  ab  und  plau- 
dert in  der  Heimatsprache,  die  ihm  allein  den  letzten  Ausdruck 
für  alles,  was  er  sagen  möchte,  herzugeben  scheint.  Aber  schon 
der  polnische  Musiker  hat  den  Stolz  des  großen  Landsmanns  zu 
erfahren:  seine  polnische  Musik  hat  sich  von  der  Scholle  los- 
gelöst und  Weltbürgerrecht  erworben;  er  mag  mit  den  Orlowski, 
Sowinski  u.  a.,  die  sich  mit  dem  Rohmaterial  begnügen,  nicht  ver- 
wechselt werden.  Dem  Adel,  den  Platers,  Czartoryskas,  Potockas, 
de  Beauvais,  den  Apponyis,  Esterhazys,  den  Rothschilds  bleibt  er 


71 

treu.  Er  kann  das  Mondäne  nicht  missen.  Die  Verfeinerung1  des 
äußeren  Menschen,  die  auf  den  inneren  übergreift,  ist  seinem  Wesen 
verschwistert.  Schülerinnen  und  Schüler  vergöttern  ihn.  Gehören 
sie  dem  Adelsmilieu  an,  dann  berauscht  ihn  noch  immer  ihr  Duft, 
und  ihre  künstlerische  Unfähigkeit  ficht  ihn  nicht  an;  aber  wenn 
das  echte  Talent  kommt,  wie  der  kleine  Filtsch,  der  Liszt  für  seinen 
Ruhm  fürchten  ließ,  oder  Friederike  Müller  geb.  Streicher,  die  sich 
leidenschaftlich  zu  Chopin  bekennt,  dann  fällt  die  Hülle  ab;  der 
Meister  träumt  seinen  Kindertraum  wieder,  er  spielt  weltentrückt 
Bachsche  Präludien,  der  Dichter  erwacht  in  dem  Klavierlehrer,  der 
Meister  im  Maestro.  Sein  Schüler  Adolf  Gutmann,  der  wohl  nicht 
mehr  war  als  ein  kräftig  dreinhauender  Durchschnittspianist,  wird  von 
Chopin  zärtlich  geliebt;  freilich  als  einer  von  denen,  die  ihn  wie  der 
berufsmäßige  Elegiker  Auguste  Franchomme,  in  Paris  von  jener 
ersten  sorglosen  Zeit  in  die  tristere  Gegenwart  geleiten.  Gegen 
seine  Kunstgenossen  schließt  er  sich  ab;  man  hält  ihn  für  hoch- 
mütig.    Er  wehrt  sich  nicht  dagegen. 

Nur  aus  der  Stimmung  heraus  vermag  er  zu  musizieren.  Wer 
ihn  dazu  zwingen  will,  den  enttäuscht  er  durch  das  hartnäckige 
Selbstbewußtsein  des  Künstlers.  Wenn  der  Schwärm  der  Schwätzer 
sich  verlaufen  hat,  dann  reinigt,  weiht,  krönt  er  den  Abend  durch 
sein  Spiel;  und  wie  im  Dämmerlicht  die  Silhouetten  der  feinen  Ge- 
nießer verschwimmen,  so  flüchtet  sich  auch  seine  Phantasie  ins 
Halbdunkel;  nun  reicht  die  Schwäche  des  Körpers  bis  in  die  Finger- 
spitzen, die,  von  jeder  Schwere  befreit,  ganz  Ausdruck,  ganz  Poesie 
werden. 

Das  ist  die  Poesie  der  Krankheit;  aber  ihre  Prosa  wird  immer 
unheimlicher.  Hatte  er  schon  1839  in  seinem  Brief  an  Fontana 
seine  schwarzen  Gedanken  nicht  bannen  können  und  den  ersticken- 
den Husten  in  der  neuen  Wohnung  gefürchtet;  erzählt  er  1841, 
ihm  habe  geträumt,  daß  er  im  Spital  gestorben  sei;  so  werden 
jetzt  die  Träume  zum  Albdruck,  der  ihn  nicht  mehr  freigibt.  Ge- 
wiß: so  mancher  Breitschultrige,  Stärkere  aus  seinem  Freundes- 
kreis, wie  der  Geiger  Artöt,  ist  von  der  Schwindsucht  dahingerafft 
worden,  und  er  selbst,  der  ewig  Leidende  atmet  immer  noch.  Auch 
das  Gängelband,  an  dem  er  wie  ein  Kind  „mit  einer  dickwattierten 
Mütze  auf  dem  Schädel"  geführt  sein   wollte,  hat  sich  nicht,  wie 


72 

er  geglaubt  hat,  „in  Stelzen  und  Krücken"  verwandelt;  aber  schlim- 
mer noch:  er  muß  sich  die  Treppen  hinauftragen  lassen  und  ist 
hilfloser  denn  je.  Und  die  Frau,  die  sich  ihrer  Muttergefühle  rühmte 
und  auch  in  den  Anschreiben  an  die  Seinigen  noch  bis  zum  Über- 
druß rühmt,  hält  diese  Probe  auf  ihre  mütterliche  Zuneigung  nicht 
aus.  Die  robuste  Gesundheit  in  dem  Körper  der  alternden  Frau 
sucht  und  schafft  sich  neue  Auswege;  unsaubere  Dinge  werden  im 
Haus  von  ihr  nicht  nur  geduldet,  sondern  begünstigt.  Da  ist  ihr 
Sohn  Maurice,  dem  sie  in  der  Person  einer  Verwandten  eine  Mä- 
tresse zuführt;  da  ist  ihre  erblühte  Tochter  Solange,  die,  zwischen 
zwei  Verlobten  hin  und  her  geschoben,  sich  für  den  brutalen  Bild- 
hauer-Unteroffizier Clesinger  entscheiden  muß,  der  sie  sich  gefügig 
gemacht  hat.  Unser  Chopin  ist  sich  der  mütterlichen  Gefühle  seiner 
Wohltäterin  längst  bewußt,  ist  ihrer  müde  geworden;  seine  Zu- 
neigung gehört  der  Tochter,  deren  Erlebnisse  er  nicht  ahnt,  und 
die  er  nun  vor  dieser  Ehe  schützen  möchte.  Die  Mutter  pocht 
auf  ihre  Autorität;  Parteien  bilden  sich;  harte  Worte  fallen.  In 
den  Freundeskreis  Chopins  und  bis  nach  Warschau  ist  das  Gerücht 
von  der  Lockerung  des  Verhältnisses  gedrungen.  Chopin  erklärt: 
„A  propos  dessen,  worüber  Luise  mich  in  ihrem  Briefe  befragt, 
so  ist  alles  unwahr  und  entspricht  absolut  nicht  den  Tatsachen/' 
Aber  die  Symptome  der  körperlichen  und  seelischen  Leiden  werden 
bedenklicher:  „Ich  weiss  nicht,  wie  es  kommt,  dass  ich  nichts  rechtes 
schaffen  kann,  und  dennoch  faullenze  ich  nicht  .  .  .,  sitze  vielmehr 
ganze  Tage  und  Abende  in  meinem  Zimmer",  so  klagt  er  den  Sei- 
nigen. Und  seinem  Freunde  Franchomme:  „Mein  Guter,  ich  tue 
mein  Möglichstes,  um  zu  arbeiten,  aber  ich  komme  nicht  von  der 
Stelle;  und  wenn  dieser  Zustand  anhält,  so  werden  meine  ferneren 
Produktionen  nicht  mehr  an  den  Gesang  der  Grasmücken  noch 
auch  an  gebrochenes  Porzellan  erinnern.  Ich  muß  mich  darein  er- 
geben." Es  ist  die  niedrige  Prosa  der  Umgebung,  die  Ernüchte- 
rung der  Seele,  die  Mißhandlung  seines  Gemütslebens,  die  dem 
Dahinsiechenden  das  Gehirn  ausdörrt.  Jene  Werke,  in  denen  nach 
Liszt  „plus  de  volonte  que  d'inspiration"  lebt,  sind  in  diesen  Jahren 
wachsender  Herzensleere  und  Enttäuschung  geboren.  Nun  ist  alles 
so  weit  gediehen,  daß  eine  Bagatelle  die  letzten  Verbindungsfäden 
zerreißt:   Chopin   schützt  die   verheiratete   Tochter  gegen   die  rohe 


73 

Mutter.  Die  quittiert  mit  völliger  Absage  an  den  Mann,  der  sehend 
und  darum  willensstark  geworden  ist.  Man  braucht  keinen  Stein 
auf  die  Frau  zu  werfen,  die  1847  schreibt:  „Sieh,  welcher  Art  meine 
Lage  in  diesem  unglücklichen  Freundschaftsverhältnis  ist,  in  dem 
ich  mich  nach  jeder  Hinsicht  zu  seiner  Sklavin  gemacht  habe  .  .  . 
Ich  bin  beim  Märtyrertum  angelangt!"  Seine  „tolle  Anhänglichkeit" 
wendet  sich  an  Sinne,  die  erkaltet  sind.  Noch  nie  haben  ihre  Be- 
ziehungen zu  einem  Mann  eine  solche  Dauer  erreicht;  noch  nie 
sind  solche  Opfer  von  ihr  gefordert  worden;  nie  aber  auch  hat 
sich  ein  anbetender  Dichter  zu  solcher  Sklaverei  erniedrigt.  Ihre 
Herrschernatur  ist  längst  befriedigt;  und  der  Idealismus,  den  sie 
ersteigen  konnte,  längst  überboten.  Doch  er  wollte  in  seiner  Hilf- 
losigkeit und  Schwäche  die  Fesseln  nicht  abwerfen.  Hier  mußte 
mit  Entschiedenheit  und  unter  dem  Deckmantel  einer  frommen  Lüge, 
die  doch  nicht  einmal  eine  ganze  Lüge  war,  nachgeholfen  werden. 
Sie  war  die  Stärkere,  und  sie  tat  es. 
So  endete  die  Liaison. 


DAS  ENDE 

Der  Künstler  Chopin  ist  gebrochen.  Es  bleibt  der  hinsterbende 
Mensch.  Die  nach  dem  Gemälde  Ary  Scherfers  nachgeschaffene 
Kopie  Stattlers  —  das  Kunstwerk  selbst  ist  in  Warschau  den  Flam- 
men anheimgefallen  —  zeigt  die  feinen  Züge  um  die  tragische  Note 
bereichert;  das  tränenvolle  Auge  läßt  den  Beschauer  ergreifende 
Schicksale  ahnen  und  lenkt  seinen  Blick  ab  von  den  Spuren,  die 
Siechtum  eingegraben  hat,  ohne  die  sichtbare  Erinnerung  an  die 
früheren   Reize  dieses  Gesichtes  auszulöschen. 

Verschleiern  hilft  nichts  mehr:  die  Klage  über  George  Sand 
bricht  nun  auch  in  den  Briefen  an  die  Angehörigen  hervor.  Weih- 
nachten, die  Zeit,  da  er  sich  immer  am  stärksten  nach  der  Heimat 
sehnt,  drückt  ihm  auch  jetzt  die  Feder  in  die  Hand.  Er  weiß 
nun,  daß  ein  Gewaltakt  ihn  hatte  entfernen  sollen;  er  betrachtet 
die  Frau  nun  mit  der  ganzen  Schärfe  seines  Urteils,  aber  nicht 
ohne  diesem  „merkwürdigen  Geschöpf",  das  „Unheil  im  eigenen 
Leben  und  in  dem  der  Tochter  stiftet",  mildernde  Umstände  zu- 
zubilligen. Für  sich  selbst  bedauert  er  (vor  den  Seinigen)  nichts; 
„nur  dass  sie  die  Tochter,  diese  so  wohlgepflegte,  vor  so  vielen 
Stürmen  bewahrte  Pflanze  mit  der  Mutterhand  durch  Unverstand 
und  Leichtfertigkeit  gebrochen  hat,  die  man  wohl  einer  zwanzig- 
jährigen, niemals  aber  einer  vierzigjährigen  Frau  verzeihen  kann", 
ist  ihm  leid.  Diese  Frau  will  Memoiren  schreiben?  Das  scheint 
ihm  ein  wenig  verfrüht.  Ihre  übrige  journalistische  und  schrift- 
stellerische Geschäftigkeit  findet  bei  ihm  stets  ein  Echo.  Trotz  ih- 
rem Roman  „Lucrezia  Floriani",  der  nach  einer  begründeten  Mei- 
nung ein  liebloses  Zerrbild  Chopins  bot.  Selbst  der  aktuelle  Reiz 
dieser  selbstsüchtigen   PseudoCharakteristik  schwand  bald. 

Die  Zeichen  der  Teilnahme  für  den  Todkranken,  dem  nun  auch 
die  doppelt  fühlbare  Bitterkeit  des  Alleinseins  nicht  erspart  bleibt, 
mehren  sich.  Aber  gewiß  gab  es  unter  den  mancherlei  Freundschafts- 
beweisen, die  sein  Lebensabschluß  ihm  brachte,  keinen  wohltäti- 
geren, verständnisvolleren  als  den  sanften  Zwang  der  Freunde,  an 
ihrer  Spitze  Pleyel,  noch  einmal  öffentlich  zu  spielen.  War  schon 
der  schaffende  Künstler  gelähmt,  so  sollte  ihm  doch  der  Empfin- 
dungsaustausch mit  einem  gleichgesinnten  Kreise  die  Lust  am  Da- 
sein erneuern.     Und  sie  selbst,  die  ihn  anregten,  hatten  wohl  das 


75 

starke  Bewußtsein  der  Denkwürdigkeit  dieser  Stunde,  da  der  Schat- 
ten eines  Genies  von  der  Pariser  Welt  Abschied  nahm.  Die  Poesie 
der  Krankheit,  die  schon  im  intimen  Salon  ihren  Zauber  geübt  hatte, 
sollte  in  dem  größeren  diese  Kunst  ins  Ätherische  steigern.  Liebe- 
voll wird  die  Stimmung  vorbereitet,  aus  der  ein  höchster  Gleich- 
klang erwachsen  kann.  Chopin  wird  von  jeder  Sorge  für  das  Ar- 
rangement entlastet;  er  wird  ein  Klavier,  das  er  zu  Haus  erprobt 
hat,  vorfinden;  er  wird  nur  bekannte  Gesichter  um  sich  sehen;  nichts 
soll  ihn  fremd  anmuten,  nichts  ihm  die  Stimmung  trüben.  Er  weiß, 
daß  eine  Woche  vor  dem  Konzert  keiner  der  300  verfügbaren  Plätze 
zu  20  Franken  mehr  zu  haben  ist;  und  hört,  daß  mancher,  der  aus- 
geschlossen bleibt,  auf  einen  zweiten  Abend  vertröstet  wird.  Die 
Lust  am  Dasein  ist  ihm  für  einen  Augenblick  erwacht.  Und  er 
spielt  am  16.  Februar  1848  mit  krampfhaft  gesteigerter  Kraft,  in- 
mitten der  Toilettenpracht  und  des  Blumenduftes ;  die  Stimmung  des 
Salons  hat  ihn  getragen;   im   Künstlerzimmer  bricht   er  zusammen. 

Nicht  lange  darauf  begegnen  sich  Chopin  und  George  Sand 
wie  zufällig  in  dem  Haus  einer  gemeinsamen  Freundin,  Madame 
Marliani,  der  Gattin  des  spanischen  Konsuls  in  Paris.  13er  Meister 
grüßt  und  teilt  ihr  mit,  daß  Solange  Mutter  geworden  sei  und  sich 
wohlbefinde.  Frau  Sand  fragt  Chopin,  wie  es  ihm  gehe.  „Ich  be- 
finde mich  wohl",  antwortet  er  und  läßt  sich  bei  diesen  Worten 
vom  Concierge  die  Tür  öffnen.  Man  darf  annehmen,  daß  nach 
ihrem  Willen  die  Unterhaltung  noch  nicht  beendet  sein  sollte.  Aber 
er  hatte  ihr  nichts  mehr  oder  zuviel  zu  sagen;  die  Frostdecke  darf 
nicht  schmelzen,  und  er  zahlt  hier  mit  der  Münze  der  Unhöflich- 
keit,  um  den  Gefühlsausbruch  zu  verhindern.  Das  ist  die  nüchterne 
Schlußszene  des  Dramas,  in  dem  es  nur  innere  Katastrophen  gibt. 
Die  widerstandsfähigere  Natur  der  Frau  bleibt  von  ihnen  verschont. 

Doch  Chopin  leidet  noch  mehr.  Er  reiht  sich  an  seinem  Lebens- 
abend auch  darin  den  großen  Meistern  der  Vergangenheit  an,  daß 
die  Not  an  seine  Tür  pocht.  Der  mondaine  Künstler  hatte  stets 
mit  vollen  Händen  ausgegeben.  Nun  zwingt  ihn  sein  Siechtum 
zu  Maßnahmen  der  Vorsorge.  Er  hat  eine  reiche  englische  Schü- 
lerin Jane  Stirling;  keine  von  den  Frauen,  deren  Duft  ihn  berauschte; 
langweilig,  aber  gemütvoll  und  anhänglich.  In  England,  so  scheint 
es,  schätzt  man  ihn  und  verlangt  nach   ihm.     Und  so  erleben  wir 


76 

das  erschütternde  Schauspiel,  daß  ein  vom  Tod  Gezeichneter  sich 
den  Strapazen  einer  Londoner  Season  aussetzt,  sich  von  Gesell- 
schaft zu  Gesellschaft  schleppt  und  um  einen  Sparpfennig  kämpft, 
während  er  in  seiner  Wohnung  fast  „die  Seele  aushustet",  von 
Kopfschmerz  und  Schlaflosigkeit  geplagt  ist.  Zu  diesen  körperlichen 
und  seelischen  Qualen  tritt  noch  die  Sorge  um  seine  Landsleute. 
Die  revolutionäre  Bewegung  in  Posen  erregt  sein  polnisches  Herz 
aufs  heftigste.  Noch  vor  der  Abreise  von  Paris  hatte  er  an  Fon- 
tana  geschrieben:  „.  .  .  .  es  wird  nicht  ohne  schreckliche  Dinge 
abgehen,  am  Ende  aber  von  alledem  ist  ein  glänzendes,  grosses, 
mit  einem  Worte  —  Polen  da."  Es  ist,  als  ob  seine  Kindheits- 
erinnerungen besonders  mächtig  in  ihm  würden ;  als  ob  sein  schwär- 
merisches, unpolitisches  Nationalgefühl  nun  beim  Ausklang  seines 
Daseins  sich  noch  vertiefen  müßte. 

Der  Meister  hat  in  London  die  ganze  Kunstfremdheit  des  Adels 
zu  spüren.  Er  macht  sich  als  vornehm  gekleideter  Künstler  fast 
verdächtig:  .  .  .  „meine  minderen  Collegen,  die  hier  von  oben 
herab  behandelt  zu  werden  pflegen,  sind  die  Ursache,  dass  ich  für 
irgend  einen  Dilettanten  gehalten  werde;  binnen  kurzem  werde  ich 
gewiss  irgend  ein  Grandseigneur  sein,  weil  ich  reine  Schuhe  habe 
und  keine  Visitenkarten  mit  der  Aufschrift  herumtrage:  erteilt  Unter- 
richt zu  Hause,  spielt  auf  Soireen  u.  s.  w."  Er  unterrichtet,  soweit 
seine  Kraft  reicht;  aber  er  wird  selbst  gelegentlich  um  sein  Hono- 
rar betrogen.  Die  Herzogin  von  Southerland,  die  ihn  bei  einer 
Soiree  als  Sehens-  und  Hörenswürdigkeit  herumgehen  läßt,  stellt 
ihn  der  Königin  vor.  Selbst  den  Todkranken  blendet  soviel  Reichtum 
und  Glanz,  soviel  ordengeschmücktes  Hofschranzentum.  Die  Presse 
ist  ihm  bis  auf  einige  traurige  Ausnahmen  günstig.  Die  philharmo- 
nische Gesellschaft  lädt  ihn  ein,  mit  Orchester  zu  spielen;  er  aber 
zeigt  sich  so  hoher  Ehre  unwürdig  und  lehnt  ab,  weil  ihm  nur 
eine,  und  zwar  öffentliche  Probe  bewilligt  wird.  Überdies  hätte 
dieser  Raum  seinen  zarten  Ton  völlig  verschlungen.  Da  er  Empfind- 
lichkeiten verletzt  hat,  bleibt  ihm  auch  der  Hof  verschlossen;  und 
Privatkonzerte  müssen  ihn  für  diesen  Verlust  entschädigen.  Aber 
inmitten  der  vornehmen  Langeweile  stößt  er  doch  hier  und  da  auf 
Menschen,  denen  Chopin  mehr  ist  als  ein  bloßer  Begriff  oder  ein 
mehr  oder  minder  gleichgültiger  Name.     Jenny  Lind,  die  er  in  der 


77 

„Sonambula"  hört,  entzückt  ihn  in  schwedischen  Volksliedern  durch 
den  Erdgeruch  einer  Kunst,  die  ihm  nun  über  die  nationalpolnische 
zu  denken  gibt;  die  ihm  bekannte  Pauline  Viardot  singt  Chopinsche 
Mazurken  in  Covent  Garden  und  überhäuft  den  Meister  mit  Freund- 
lichkeiten. Auch  der  Sinn  für  Merkwürdigkeiten  ist  in  ihm  nicht 
erstorben,  und  ein  letzter  Rest  von  Humor  leuchtet  in  ihm  auf. 
So  wenn  er  Lady  Byron  trifft:  „Wir  sympathisieren  sozusagen  mit- 
einander und  unterhalten  uns  wie  die  Oans  mit  dem  Ferkel,  sie 
auf  englisch  und  ich  auf  französisch.  Ich  begreife  es,  dass  Byron 
ihrer  überdrüssig  wurde."  Aber  im  Grunde  kann  nichts  mehr  seine 
Todestraurigkeit  verscheuchen:  „Ich  kann  nicht  trauriger  werden, 
als  ich  bereits  bin,  eine  wirkliche  Freude  habe  ich  seit  langem 
nicht  mehr  empfunden.  Eigentlich  fühle  ich  überhaupt  gar  nichts 
mehr,  vegetiere  vielmehr  nur  und  warte  geduldig  mein  Ende  ab." 
So  leicht  wird's  ihm  freilich  nicht  gemacht.  Der  langsam  Hin- 
sterbende muß  reiselustiger  werden,  als  er  es  je  in  leidlich  ge- 
sunden Tagen  gewesen  war.  Mit  Schluß  der  Season  übersiedelt 
er  nach  Schottland,  nach  Schloß  Calder  House  bei  Edinburgh,  dessen 
Besitzer,  Lord  Torphichen,  Schwager  seiner  fürsorglichen,  sehr  bibel- 
festen Plagegeister  Jane  Stirling  und  ihrer  Schwester  Mrs.  Erkine 
ist.  Von  da  stöhnt  er:  „Von  einem  musikalischen  Gedanken  keine 
Spur  —  ich  bin  aus  meinem  Geleise  und  komme  mir  vor  wie  ein 
Esel  auf  einem  Maskenball  oder  wie  eine  E-Saite  der  Violine  auf 
einem  Kontrabass."  Er  findet  noch  die  Kraft,  über  seine  lange 
Nase  und  den  nichtausgebildeten  vierten  Finger  als  das  einzige, 
was  ihm  geblieben  sei,  zu  scherzen.  Er  bedauert,  daß  er  den  Eng- 
ländern zuliebe,  die  nur  nach  Pfunden  rechnen,  keine  Maschine  mehr 
werden  könne.  Diese  ahnenreichen  Menschen,  deren  Unterhaltung 
stets  „eine  Wendung  ins  Genealogische  nimmt,"  können  selbst  ihm, 
dem  Fanatiker  der  Vornehmheit,  bei  all  ihrer  Zartheit  das  Gefühl 
frostiger  Einsamkeit  nicht  nehmen.  Dem  polnischen  Arzt  Dr.  Ly- 
scynski  in  Edinburgh,  einem  halben  Engländer,  schließt  er  sich  um 
so  inniger  an.  Am  28.  August  spielt  er  in  Manchester,  am  27.  Sep- 
tember in  Glasgow,  am  4.  Oktober  in  Edinburgh;  wirklich  überall 
wie  die  E-Saite  auf  dem  Kontrabaß,  als  ein  Beifall  und  Geld  er- 
bettelnder Virtuose  auf  Reisen.  Kohlengeruch  und  Nebel  saugen 
das    Fluidum    auf;    er  selbst,   kraft-   und   stimmungslos,    kann   kein 


78 

Chopin  mehr  sein.  Dazwischen  wechselt  er  den  Aufenthalt:  wird 
vom  Fürsten  Alexander  Czartoryski  auf  dessen  Landsitz  Johnstone 
Castle,  dann  nach  Stirling  Castle  geladen;  rafft  sich  für  Augen- 
blicke auf,  sucht  etwas  von  der  Landschaft  zu  erhaschen,  die  ihm 
der  Nebel  meist  verhüllt;  seine  Schwäche  hat  sich  so  gesteigert, 
daß  er  von  seinem  getreuen  Daniel  wie  ein  Kind  getragen,  an- 
und  ausgekleidet  wird.  Dabei  muß  er  sich  von  Zeit  zu  Zeit  für 
soviel  Gastfreundschaft  erkenntlich  zeigen  und  spielen ;  das  gelingt 
ihm  nur,  wenn  er  seine  ganze  Körper-  und  Seelenkraft  zusammen- 
rafft. Und  seine  Schottinnen!  „Sie  werden  mich  aus  Höflichkeit 
erdrücken,  und  ich  werde  es  ihnen  aus  Höflichkeit  nicht  versagen." 
Ganz  blind  für  die  Reize  der  Frauen  macht  ihn  auch  sein  trauriger 
Zustand  nicht:  er  findet  „beautes  du  diable  et  diables  sans  beaute". 

Unter  seinen  Freunden,  zu  denen  nun  die  von  ihm  väterlich 
geliebte  Solange  getreten  ist,  vertraut  er  sich  in  den  letzten  Jahren 
dem  Grafen  Albert  Grzymala  am  rückhaltlosesten  an.  Auch  zu  ihm 
ist  die  seltsame  Kunde  gedrungen,  daß  Chopin  heiraten  wolle.  Jane 
Stirling,  die  biedere  Stirling  seine  Gattin?  Der  Todkranke  wehrt 
sich  gegen  diesen  Verdacht  in  einem  erschütternden  Schreiben:  „Ich 
kann  im  Spital  krepieren,  werde  jedoch  eine  brotlose  Gattin  nicht 
hinterlassen  .  .  .  Ich  klage  Dir  nicht,  allein  Du  hast  es  verlangt, 
deshalb  kläre  ich  Dich  darüber  auf,  dass  ich  dem  Sarge  näher  bin 
als  dem  Ehebett."  In  London,  wohin  er  seit  Anfang  November 
wieder  zurückgekehrt  ist,  opfert  er  sich  noch  einmal  für  seine  pol- 
nischen Landsleute.  Geschwollene  Füße  kündigen  das  letzte  Sta- 
dium der  Krankheit  an.  Paris  ist  seine  Sehnsucht.  Ja  seine  Hoff- 
nung. Endlich  —  es  ist  Januar  1849  —  kann  er  an  Grzymala 
schreiben:  „Gib,  bitte  den  Auftrag,  dass  die  Betttücher  und  Kissen 
trocken  seien!  Lass  Fichtenzapfen  kaufen.  Frau  Etienne  soll  nichts 
sparen,  damit  ich  bei  meiner  Ankunft  mich  erwärmen  kann." 

Er  ist  nun  in  seinem  Paris,  betreut  von  den  Freunden  und 
nach  der  Art  der  Schwindsüchtigen  gern  bereit,  sich  hoffnungsfreudig' 
stimmen  zu  lassen.  Doch  Dr.  Molin,  sein  Arzt,  stirbt  plötzlich, 
und  sein  Mißtrauen  gegen  die  übrigen  Ärzte  ist  durch  nichts  zu  er- 
schüttern. Arzneien  nimmt  er  nicht  mehr;  ärztliches  Wissen  gilt 
ihm  ebensoviel  wie  die  Harmlosigkeit  seiner  Pflegerin  Matuszewska, 
die  zu  sagen  pflegt,  „dass  der  Herr  Jesus  die  Sache  gewiss  zum  Guten 


79 

wenden  werde,  und  dass  vielleicht  auch  ein  Pflaster  aus  Honig 
und  Mehl  helfen  könnte."  Chopin  fährt  zuweilen  im  Bois  de  Bou- 
logne  spazieren;  und  Delacroix  begleitet  ihn  auch  wohl  einmal, 
als  Tagebuchschreiber  auf  jedes  Wort  lauschend;  auch  auf  George 
Sand  gerät  das  Gespräch,  und  Chopin  meint,  daß  ihr  Gewissen  sie 
nie  beunruhigen  werde.  Dann  wieder  bleibt  er  so  gut  wie  stumm, 
leidet  aber  unter  der  Langenweile.  Doch  findet  ihn  das  Frühjahr 
so  weit  gekräftigt,  daß  er  der  Erstaufführung  von  Meyerbeers  „Pro- 
phet" beiwohnen  kann;   er  stößt  ihn  ab. 

Ein  zweimaliger  Wohnungswechsel  beweist,  daß  noch  nicht  jede 
Hoffnung  in  ihm  zerstört  ist.  Vom  Square  d'Orleans  zieht  er  im! 
Sommer  nach  der  Rue  Chaillot  74  in  die  Nähe  der  Elysäischen 
Felder,  wieder  Ende  September  nach  der  Place  Vendome  Nr.  12, 
immer  den  Tod  vor  Augen  und  doch  noch  einen  Hoffnungsschimmer 
im  Herzen.  Zur  Arbeit  unfähig,  mit  seinen  Ersparnissen  zu  Ende, 
ist  er  nun  auf  fremde  Hilfe  angewiesen.  Es  ist  nicht  leicht,  ihn 
zur  Annahme  auch  nur  eines  Teiles  der  25  000  Franken  zu  bewegen, 
die  Jane  Stirling  ihm  ohne  Namensnennung  spendet.  Unter  den 
Besuchern  erfreut  ihn  besonders  Jenny  Lind;  freigebig  läßt  sie  ihn 
hören,  was  er  wünscht.  Die  Cholera  entvölkert  Paris.  Sie  rafft 
auch  Kalkbrenner  hin  wie  die  Catalani,  die  eben  noch  mit  Madame 
Rothschild  bei  Chopin  zusammengetroffen  war.  Solange  Clesinger, 
Marcelline  Czartoryska,  der  Öfchter  Cyprian  Norwid,  Karl  und  Elise 
Gavard,  Delacroix,  Gutmann  lassen  sich  bei  ihm  sehen;  dieser  aller- 
dings viel  seltener,  als  der  Meister  ihn  erwartete.  Endlich  kommt 
auch  seine  Schwester  Luise  aus  Warschau.  Er  hat  sie  gerufen  mit 
einem  Briefe,  der  unter  der  Maske  eines  herzbewegenden  Humors 
nur  das  eine  sagt:  „Ich  bin  krank,  und  kein  Arzt  vermag  mir  zu 
helfen  wie  Ihr."  Also:  Luise  kommt  und  sieht,  daß  der  Bruder 
nicht  zu  retten  ist.  Und  seltsam!  Auch  Titus,  der  letzte  Freund 
aus  glücklicheren  Jahren,  will  ihn  in  Paris  aufsuchen,  nachdem  /er 
erfahren  hat,  daß  Chopin  außerstande  ist,  mit  ihm  in  Ostende  zu- 
sammenzutreffen.    Sein    Kommen   scheitert  an   der   Paßfrage. 

Und  nun  ist  alles  auf  das  Ende  gefaßt.  Selbst  Chopin,  der 
eben  noch  Hoffnung  geschöpft  hatte.  Seine  Stimme  wird  leiser 
und  leiser,  sein  Atem  schwerer  und  keuchender,  von  peinigenden 
Hustenanfällen  gehemmt.     Es  ist,  als  ob  er  sterben  sollte,  wie  er 


80 

gelebt  hatte:  im  Salon.  Er  war  oft  fälschlich  tot  gesagt  worden; 
nun,  da  der  Tod  wirklich  kam,  hatten  sich  die  Freunde  längst 
zusammengefunden,  und  er  sah  liebe  Gesichter  um  sich.  Nur  die 
Mutter  fehlte.  Mit  unermüdlicher  Hartnäckigkeit  sucht  der  polnische 
Abbe  Alexander  Jelowiecki  den  der  Religion  Entwöhnten  dem  ka- 
tholischen Glauben  zurückzugewinnen.  Da  der  Geistliche  in  der 
Schwäche  des  Sterbenden  eine  Bundesgenossin  findet,  gelingt  es 
ihm,  seine  Seele  vom  Fegefeuer  zu  retten;  als  ob  sie  nicht  schon 
längst  durch  ihren  künstlerischen  Inhalt  jedem  religiösen  Streit  ent- 
rückt gewesen  wäre.  Die  grand  monde  erscheint:  die  Gräfin  Del- 
phine Potocka,  in  ein  weißes  klassisches  Gewand  gehüllt,  ist  von 
Nizza  herbeigeeilt.  Der  Meister  ist  glücklich,  sie,  die  ihm  geistig 
und  seelisch  verwandte  bezaubernde  Schönheit,  zu  sehen  und  wünscht 
sie  zu  hören.  Mit  tränenerstickter  Stimme  entspricht  sie  diesem 
Wunsche.  Chopin  gibt  seine  letzten  Verordnungen.  Er  möchte  seine 
Manuskripte  nicht  veröffentlicht  sehen ;  Mozarts  Requiem  soll  bei 
der  Trauerfeier  für  ihn  erklingen;  sein  Herz  soll  in  Warschau  bei- 
gesetzt werden.  Endlich  schreibt  er  folgende  (stets  falsch  gelesenen) 
Worte:  „Comme  cette  terre  m'etouffera,  je  vous  conjure  de  faire 
ouvrir  mon  oorps  pour  je  sois  pas  enterre  vif."  Er,  wie  einst  sein 
Vater,  fürchtete,  lebendig  begraben  zu  werden.  Dann  quält  ihn  der 
Gedanke  an  die  Mutter.  Mit  den  Worten :  „Matka,  moia  biedna 
Matka!"  stirbt  er  in  der  Nacht  zum  17.  Oktober  1849.  Nicht  lauge 
darauf  sind  von  seinen  Zügen  die  Spuren  des  Leidens  gewichen. 
Er  hat  die  ewige  Jugend  zurückgewonnen.  Der  Maler  Taddäus 
Kwiatkowski  hält  sie  in  einem  Aquarell  fest:  wie  eine  junge  Frau 
ruht  Chopin,  doch  ohne  Trauer,  ohne  Sehnsucht;  aber  nun,  wo 
das  geschlossene  Auge  das  Beherrschende  verloren  hat,  packt  die 
Silhouette  mit  den  kühn  geschwungenen  Linien  den  Beschauer.  Dar- 
auf nimmt  der  Bildhauer  Clesinger,  der  Gatte  Solanges,  die  Toten- 
maske ab. 

Das  künstlerische  Paris,  obwohl  längst  auf  den  Heimgang  des 
Meisters  gefaßt,  stand  unter  dem  Eindruck  eines  Ereignisses.  Das 
Monumentale,  Weltgeschichtliche  in  ihm  freilich  harrte  noch  der 
Entdeckung.  Unter  denen,  die  Chopins  öffentlich  gedachten,  faud 
Berlioz  besonders  tief  empfundene  Worte.  Am  30.  Oktober  wurde 
der  Meister  beigesetzt,  und  man  ehrte  die  Wünsche  des  Abgeschie- 


81 

denen;  nur  daß  bei  der  Trauerfeier  in  der  Madeleine  die  berühm- 
testen Sänger  und  Sängerinnen  in  die  Klage  miteinstimmten.  Und 
neben  Mozarts  Requiem  begleiteten  der  von  Henri  Reber  instrumen- 
tierte Trauermarsch  aus  der  b-moll-Sonate,  die  Preludes  Nr.  4  und 
6  die  Feier.  Als  der  Sarg  in  die  Gruft  gesenkt  wurde,  sandte  man 
ihm  den  Becher  polnischer  Erde  nach,  den  Chopin  einst  beim  Ab- 
schied aus  Warschau  empfangen  hatte.  Auf  dem  Friedhof  Pere 
Lachaise  ruht  er  in  unmittelbarer  Nähe  von  Bellini  und  inmitten 
der  großen  Meister  französischer  Tonkunst.  Sein  Herz  wurde  in 
die  Heiligkreuzkirche  in  Warschau  gebracht. 

Am  17.  Oktober  1850  ward  das  von  Clesinger  geschaffene  Denk- 
mal enthüllt.  Er  war  nicht  der  kongeniale  Künstler,  dem  Liebe 
und  Verständnis  die  Hand  führte.  So  gab  er  auch  der  Statue  der 
Frau  nicht  Geist  vom  Geist  Chopins;  so  wußte  er  auch  sein  Frauen- 
ideal nicht  zu  formen,  wie  er  es  nicht  ahnte. 

Aber  dies  alles  ist  ohne  Belang.  Chopin  steht  in  der  Reihe 
der  Meister,  die  nicht  vom  Denkmal  —  und  es  entstanden  deren 
an  manchen  Stätten  —  ihre  Verlebendigung  und  Verewigung  er- 
hoffen.   Er  lebt  in  unsern  Herzen. 


Weissmann,  Chopin 


ZUR  PSYCHOLOGIE  DES  MUSIKERS 

Der  Mensch  und  der  Musiker!  Es  scheint,  als  ob  die  Kluft 
zwischen  ihnen  unüberbrückbar  sei.  Es  war  eine  fable  convenue 
geworden,  daß  die  einseitige  Begabung  für  die  tönend  bewegte 
Form  den  Menschen  verkümmern  lasse.  Erst  im  neunzehnten  Jahr- 
hundert rächte  der  Mensch  den  Musiker.  Doch  nicht  so  sehr,  daß 
jener  Glaube  ganz  ausgerottet  worden  wäre.  Der  nachschaffende 
Tonkünstler  stützte  ihn  immer  wieder  durch  seine  geistige  Leere, 
durch  seine  menschliche  Niedrigkeit,  durch  seine  unbedenkliche  Ge- 
nußsucht. Und  die  wenigen,  die  aus  solcher  Enge  in  ein  höheres 
Dasein  flüchteten,  konnten  die  eingewurzelte  Überzeugung  nicht  er- 
schüttern. Schien  es  doch,  als  ob  der  heilige  Wahnsinn  des  Schaffens 
durch  allzu  viel  Bewußtheit  nicht  gestört  werden  dürfe;  als  ob  der 
Tonkünstler,  der  zu  denken  beginne,  die  Sicherheit  des  musikalischen 
Instinkts  einbüße. 

Wir  haben  nun  das  Dasein  eines  Meisters,  das  so  reich  an 
innerem  Erleben  war,  vor  uns  abrollen  sehen.  Wir  ahnten,  daß 
vom  Menschen  zum  Musiker  hier  eine  Brücke  führen  müsse.  Nicht 
alle  übrigens  ahnen  es.  Auch  der  große  Künstler  Chopin  hatte 
die  Folgen  dieses  Vorurteils  zu  spüren.  Er  wurde  zum  Kind  er- 
niedrigt, mit  dessen  Launen  man  sich  nicht  zu  beschäftigen  habe;  oder 
zu  einem  pathologischen  Wesen,  das  seine  körperliche  und  geistige 
Gesundheit  auf  dem  Altar  der  Kunst  opferte.  Beides  ist  eine  Ent- 
weihung des  Künstlers.  Den  Musiker  ganz  aus  dem  Menschen  er- 
klären zu  wollen,  vergebliches  Bemühen.  Und  ein  Zeichen  besonderer 
Verständnislosigkeit  da,  wo  Phantasie  und  Stimmung  sich  gegen 
jede  Sektion  wehren.  Aber  dem  Künstler  auf  den  Krücken  des 
Menschtums  sich  zu  nähern,  ist  nicht  nur  lockend;  der  moderne 
Musiker  kann  hier  ein  Stück  eigenen  Wesens  sich  spiegeln  sehen. 
Es  ist  die  höchste  Steigerung  nervösen  und  doch  so  unendlich 
fruchtbaren  Musikertums,  die  wir  in  Chopin   erleben. 

Es  gilt  zunächst  die  Erscheinung  gegen  den  größten  Meister 
abzugrenzen.  Den  unbefangenen  Eindruck,  den  er  von  Beethoven 
empfing,  kleidete  Goethe  in  die  Worte:  „Zusammengefaßter,  ener- 
gischer, inniger  habe  ich  noch  keinen  Künstler  gesehen.  Ich  be- 
greife recht  gut,  wie  er  gegen  die  Welt  wunderlich  stehen  muß." 


83 

Wir  hören  hier,  wie  Chopin  nicht  war.  Stärkere  Gegensätze 
zwischen  zwei  Meistern  sind  nicht  denkbar.  Wir  wissen  auch,  daß 
da,  wo  das  breitere  Menschtum  war,  sich  aus  solchem  Grunde 
ein  ganz  anderes,  umfassenderes  Musikertum  erhob.  Die  Energie 
des  Menschen  gab  dem  Künstler  den  eisernen  Griff,  unerhörte  Stoffe 
in  gewaltige  Formen  zu  zwingen.  Sie  lieh  ihm  den  Ausdruck  für 
die  großen  Leidenschaften,  sie  machte  ihn  fähig,  Ichgefühl  und 
Menschheitsgefühl  in  seinem  Schaffen  zu  verschmelzen. 

Vor  solcher  Größe  schreckt  Chopin  zurück.  Der  unverhüllte 
Ausdruck  der  Leidenschaft  stößt  ihn  ab.  Sein  Menschtum  ist  kleiner; 
seine  Tatkraft  schwächer.  Er  steht  der  Welt  fremd,  aber  nicht 
wunderlich   gegenüber. 

Und  nun,  da  wir  ihn  vor  dem  Titanen  gedemütigt  haben,  stellen 
wir  Chopin  wieder  auf  sein  hohes  Piedestal.  Betrachten  wir  ihn 
von  da  aus,  wo  er  wieder  der  Titan  gegenüber  den  andern  ist. 
Hatte  dort  kraftvolles  Germanentum  ihn  bezwungen,  so  darf  der 
aristokratische  Pole  und  Halbfranzose  die  Huldigung  fast  aller  derer 
entgegennehmen,  die  nach  ihm  kamen. 

Nein,  er  war  weder  ein  Kind,  noch  ein  pathologisches  Wesen. 
Aber  er  hatte  von  beiden  so  viel,  wie  ein  echter  Künstler  braucht; 
und  um  so  mehr,  als  dieser  seltsamste  aller  Musiker  intensivstes, 
nervenzerstörendes  Schaffen  in  wenige  Dezennien  pressen  mußte. 
Er  bewies,  daß  höchster  Nervenverbrauch  und  ungeschwächte  Naivi- 
tät nebeneinander  leben  können ;  er  ist  das  einzige  Beispiel  für 
eine  wundervolle  Fügung  des  Geschickes,  die  den  so  oft  als  entartet 
verunglimpften  modernen  Menschen  mit  Stolz  erfüllen  darf.  Denn 
selbst  Wagner,  als  Gesamterscheinung  stärker,  kann  ihm  den  ersten 
Rang  nicht  streitig  machen. 

Schon  wieder  meldet  sich  ein  anderer  Name.  Es  ist  Zeit,  Chopin 
für  sich   allein   als  Menschen   zu   betrachten. 

Wie  stand  es  nun  um  sein  geistiges  Leben?  Wie  um  sein 
Instinktleben?    Sind  sie  beide  des  Künstlers  würdig? 

Der  Musiker  muß  ein  Sonderwesen  bleiben ;  oder  er  verneint 
die  Grundlagen  einer  Kunst,  die  auch  ihn  als  Abtrünnigen  abschüt- 
teln wird.  Als  Kollektivum  bildet  er  einen  Staat  im  Staate;  er 
empört  sich  gegen  die  Gesamtheit.    Wer  diesen  Satz  aufstellt,  kann. 

6* 


84 

sich  ohne  weiteres  auf  Chopin  berufen.  Wenige  Künstler  vermoch- 
ten wie  er  mit  unfehlbarem  Instinkt  das  ihrem  Wesen  Entsprechende 
zu  wählen,  das  ihm  Widersprechende  beiseitezuschieben.  Durch  den 
Vater  mit  gallischem,  durch  die  Mutter  mit  polnischem  Volkstum 
verknüpft,  hat  er  die  Anlage  zum  geistreichen  Apercu  geerbt.  Sein 
Organismus  ist  schwach  und  auf  äußerste  Ökonomie  angewiesen. 
In  dem  Kind  zeigt  die  Magnetnadel  sehr  bald  nach  einer  Richtung. 
Der  Sieg  des  Unbewußten  über  das  Bewußte  in  ihm  ist  entschieden. 
Jede  Empfindung  setzt  sich  unmittelbar  in  Ton  Vorstellungen  um. 
Sein  Träumen,  das  ihn  ganz  beherrscht,  ist  im  geistigen  Sinn  in- 
haltsleer. Wie  es  ihm  den  Willen  durchkreuzt,  da  es  die  Aller- 
weltslogik  durch  quälende  Tonreihen  und  ein  übermächtiges  Emp- 
findungschaos plötzlich  unterbricht,  so  lähmt  es  ihm  auch  die  Tat- 
kraft, weil  es  an  den  Nerven  zehrt.  Er  schaut  sich  in  der  Welt 
um;  nichts  von  ihr  strömt  stofflich  in  seine  Kunst.  Ihre  Quellen 
sind  in  ihm  selbst.  Er  braucht  nicht  die  Kenntnis  des  Menschen, 
nicht  die  der  Natur;  weder  die  Wissenschaft  noch  die  Literatur 
noch  endlich  die  bildende  Kunst  können  ihm  dienen.  Und  da  ihn 
mit  der  wirklichen  und  mit  der  geistigen  Welt  nichts  verbindet, 
da  er  von  sich  selbst  aus  schaffen  und  bilden  muß,  ist  der  Verbrauch 
an  Nerven  doppelt  so  groß  als  der  eines  anderen  Künstlers.  Das 
Traum-Ich  regelt  den  Verkehr  mit  der  materiellen  und  mit  der  gei- 
stigen Wirklichkeit. 

Wir  haben  hier  die  stärkste  geistige  Isolierung,  deren  ein  Künst- 
ler fähig  ist.  Und  wenn  die  moderne  Musik  gerade  durch  den 
Gedanken  befruchtet  worden  ist,  so  erleben  wir  hier,  daß  ein  moder- 
ner Musiker  mit  reinem  Instinkt,  der  alle  Mittelglieder  verschmäht, 
sich  der  Phantasie  aufzwingt.  Wie  anders  Wagner  und  Liszt,  die 
ihn  doch  als  Nervenverwandte  grüßen!  Beide,  obwohl  jener  eine  echt 
germanische,  dieser  eine  kosmopolitische  Natur,  werden  durch  das 
Dramatische  in  ihrem  Schaffen  gestützt;  bei  aller  Phantastik  suchen 
sie  doch,  jeder  in  seiner  Weise,  Stoff  für  ihre  Kunst  aufzusaugen. 
Gezwungen  schrittweise  vorzugehen,  führen  sie  nicht  nur  dem  Geist 
neue  Quellen  zu;  sie  setzen  dem  Flug  der  Phantasie  eine  starke 
Logik  entgegen,  die  ihn  zuweilen  hemmt,  und  sie  stellen  das  Un- 
bewußte zuletzt  immer  wieder  unter  die  Kontrolle  des  Bewußten. 
Ein  Hang  zur  Deduktion  und  zur  Synthese  läßt  sie  auch  die  Grund- 


85 

lagen  ihrer  Kunst  begründen.  Nichts  von  alledem  finden  wir  in 
Chopin.  Seine  schwächere  körperliche  und  geistige  Struktur  streckt 
sehr  früh  vor  allem  Außermusikalischen  die  Warfen.  Die  reizbare 
Anlage  prägt  die  Kindheitseindrücke  in  einen  Fonds  von  Schwermut 
um,  die  alle  Gefühle  und  Vorstellungen  in  ihm  färbt.  Das  Lyrische 
wird  der  Grundton  seines  Wesens.  Vom  Stofflichen  nicht  befruchtet 
noch  gehindert,  kann  es  sich  hemmungslos  ausbreiten.  Es  zehrt 
an  der  Energie  des  Denkens.  Es  läßt  ihn  geistig  verarmen.  Und 
während  dort  der  Austausch  zwischen  dem  Tag-  und  dem  Traum- 
leben der  Seele  sich  unter  dem  Schutz  des  Tages-Ich  vollzieht,  wird 
in  Chopin  das  Schwergewicht  nach  der  Seite  des  Unbewußten  ver- 
schoben. Er  gesteht  selbst,  daß  das  Nacht-  und  Tagesleben  ihm  zu- 
weilen ineinanderfließen.  Seine  Schlaflosigkeit  hemmt  den  Ausgleich 
noch  mehr.  Er  selbst  spricht  von  den  „espaces  imaginaires",  von 
den  eingebildeten  Räumen,  in  denen  er  fast  stets  weilt.  Er  schämt 
sich  dessen  nicht;  er  schiebt  es  auf  das  Nationale.  „Bin  ich  doch 
ein  echter  blinder  Masure."  Es  treten  Grenzzustände  ein;  und  da 
in  ihm  eine  wühlende  Unruhe  ist,  die  sich  bis  zum  Schmerzgefühl 
steigert,  erscheint  das  Gleichgewicht  des  denkenden  Menschen  in 
Ausnahmefällen  durch  Wahnvorstellungen  gestört.  So  hätte  jener 
Gefühlsausbruch  nach  der  Einnahme  von  Warschau  in  ihm  eine 
Katastrophe  herbeiführen  können,  wenn  nicht  eben  geistige  Reserven 
die  vorübergehende  Trübung  allmählich  beseitigt  hätten.  Mag  aber 
dieser  bedrohliche  Übergriff  des  Unbewußten  den  Geist  in  ihm  zu- 
weilen lahm  legen,  die  Spuren  seiner  geistigen  Bedeutung  vermochte 
es  nicht  zu  verwischen.  Die  weibliche  Richtung  seines  Empfindungs- 
lebens ist  zwar  nicht  zu  bestreiten.  In  jenen  Jugendbriefen  zumal 
sahen  wir  ein  erschreckendes  Chaos,  sobald  der  innerste  Mensch 
sich  hüllenlos  gab;  auf  einem  Ozean  von  Stimmungen  schwammen 
die  Gedankenreihen.  Es  ist  ihm  nicht  möglich,  sich  von  Kindheits- 
eindrücken, von  Vorurteilen,  vom  Aberglauben  loszureißen.  Nicht 
nur  mit  Polen,  nicht  nur  mit  den  Seinigen  bleibt  er  innig  verknüpft. 
Träume  haben  eine  Macht  über  ihn,  die  sein  Denken  vergebens 
bannen  will.  Deutsche  und  Juden  benörgelt  er  stets,  auch  wenn  die 
Lebenserfahrung  ihn  schwankend  machen  könnte.  Aber  es  ist  nicht 
ohne  Reiz,  zu  sehen,  wie  der  systematische  Deutsche  Richard  Wagner 
den  Judenhaß  fast  wissenschaftlich  begründet,  während  er  bei  Cho- 


86 

pin  nicht  in  die  Tiefe  dringt  und  nur  in  der  Mißstimmung  des  Wirk- 
lichkeitsmüden geäußert  wird. 

Fehlte  nun  aber  wirklich  Chopin  der  philosophische  Zug  der 
Persönlichkeit,  der  auch  den  Großen  in  der  Kunst  eigen  ist? 
Denn  mochte  auch  der  Musiker  immer  seiner  eigensten  Stellung 
innerhalb  der  künstlerischen  Welt  gemäß  am  liebsten  und  über- 
zeugendsten in  Tönen  reden,  das  breite  geistige  Fundament  war 
selbst  hinter  seinem  Stammeln  zu  erkennen,  sobald  er  zum  land- 
läufigen Ausdrucksmittel  griff.  Und  auch  Chopin  versagt  hier  nicht. 
Wer  im  Bann  von  Vorurteilen  lebte  wie  er,  gerät  leicht  in  den  Ver- 
dacht, daß  ihm  Lust  und  Fähigkeiten  fehlten,  an  die  Welträtsel  zu 
rühren.  Aber  unser  Meister  scheute  auch  die  Auseinandersetzung 
mit  der  Gottheit  nicht.  Sobald  sein  innerer  Dämon  ihn  freigab, 
suchte  er,  was  seinem  Denken  an  Übung  und  Folgerichtigkeit  fehlte, 
durch  den  Aphorismus  nachzuholen.  Aus  dem  engen  religiösen  Hori- 
zont der  Heimat  trat  er  in  die  mit  Voltairismus  geschwängerte  Pa- 
riser Luft.  Innerlich  am  Autoritätsglauben  haftend,  als  echter  Roman- 
tiker mit  der  katholischen  Mystik  eng  verknüpft,  ringt  er  sich  doch 
gegen  den  Schluß  seines  Daseins  zu  der  pessimistischen  Lebens- 
weisheit empor:  „Das  Schlimmste  daran  ist:  dass  wir  das  Werk  eines 
berühmten  Geigenmachers,  irgendeines  Stradivarius  sui  generis  sind, 
der  nicht  mehr  da  ist,  uns  zu  reparieren  .  .  ." 

Nur  ein  geistig  Bedeutender  kann  seine  Weltweisheit  so  geist- 
reich formen. 

Der  allem  Stofflichen,  Außermusikalischen  abgewandte  Lyrismus 
seiner  Kunst  verpflichtet  ihn  mehr  als  jeden  andern  Künstler  zum 
Schweigen  über  sein  eigenes  Schaffen.  Wie  er  nie  über  Liebe,  über 
Freundschaft  sprach  und  nur  den  Vertrautesten  gegenüber  die  letzte 
Hülle  fallen  ließ,  so  konnte  er  ganz  natürlich  den  Kern  seiner  Schöp- 
fungen nicht  bloßlegen.  Nur  selten  bricht  er  das  Schweigen ;  seinem 
Titus  verstattete  er  in  jener  Zeit  der  ersten  Liebe  einen  Einblick  in 
seine  geistige  Werkstatt.  Aber  wie  sonderbar  mutet  es  uns  an, 
wenn  der  Tondichter  die  Grabesstimmung  im  letzten  Satz  seiner 
b-moll-Sonate,  eine  der  herrlichsten  musikalischen  Seltsamkeiten,  mit 
den  dürren  Worten  bezeichnet:  „Nach  dem  Marsch  plaudern  die 
linke  und  die  rechte  Hand  unisono."  Hier  ist  ein  Maß  von  Zurück- 
haltung, die  wir  einem  fremden  Kritiker  sehr  verübeln  würden.  Und 


87 

fremden  Schöpfungen  gegenüber  wird  er  selbst  ein  überaus  scharf- 
sinniger Kritiker.  Nur,  wenn  sie  seinem  Empfinden  stracks  zuwider- 
laufen, erwacht  in  dem  Kritiker  der  durch  die  Tat  erstarkte  Künst- 
ler und  unterbindet  das  Urteil.  So  würdigt  er  Beethoven  nur,  wo  er 
sich  ihm  episodenhaft  als  Kantilenensänger  nähert;  und  weder  das 
Bewußtsein  der  Dankesschuld,  die  er  an  den  Chopinenthusiasten 
Robert  Schumann  abzutragen  hatte,  noch  das  der  innigen  Verwandt- 
schaft mit  dem  Romantiker  konnte  seine  Geringschätzung  für  dessen 
Musik  in  wohlwollende  Anerkennung  wandeln.  Es  ist  die  gran- 
dioseste Einseitigkeit,  der  wir  in  der  Geschichte  der  Tonkunst  je 
begegnen. 

Müssen  wir  nun  aber  dem  Urteil  Liszts  zustimmen,  der  Chopin 
die  Neigung  und  die  Fähigkeit  zu  ästhetischen  Verallgemeinerungen 
absprach?  Mag  sein,  daß  er  sich  mit  ihm,  dem  durchaus  spekula- 
tiven Geist,  über  ästhetische  Fragen  nicht  auseinandersetzte.  In  der 
Zeit  glühendsten  Schaffensdranges  vertraute  er  seinem  Instinkt  und 
hielt  alles  Kunstgeschwätz  für  belanglos.  Aber  in  der  Pariser  Kunst- 
atmosphäre, in  den  Tagen,  da  Berlioz  mit  dem  geistreichen  Wort 
dem  eigenen  Schaffen  beisprang,  konnte  Chopin  als  Ästhetiker  auch 
nicht  ganz  stumm  bleiben.  Daß  er  es  in  den  letzten  Jahren  seines 
Daseins  nicht  war,  bezeugt  sein  inniger  Verkehr  mit  Delacroix.  Der 
Maler  mit  dem  eindringenden  Kunstverstand  berichtet  uns  nicht  nur 
von  endlosen  Gesprächen,  die  er  mit  Chopin  geführt  hat;  er  verrät  uns 
auch,  daß  musikalische  Fragen  sie  in  Spannung  gehalten  haben.  Und 
Chopin  bekennt,  daß  die  Liebe  zu  Mozart  ihr  Freundschaftsverhält- 
nis noch  fester  geknüpft  habe.  Gewiß  mied  er  nutzlosen  Streit;  ge- 
wiß ersetzte  er  systematischen  Aufbau  einer  Ästhetik  durch  apho- 
ristische Äußerungen.  Aber  bewußter,  nur  in  den  Grenzen  seiner 
Künstlernatur  gehaltener  Kunstverstand  beherrschte  ihn  und  war 
fähig,  sich  auch  in  Worten  zu  behaupten.  Und  er  schritt  noch  weiter. 
Denn  der  Klavierlehrer  Chopin,  der  sich  für  erfolgreich  hielt,  suchte 
noch  in  den  letzten  Tagen  seine  Erfahrungen  zusammenzufassen  und 
skizzierte  eine  „Methode  der  Methoden". 

Immer  mehr  weitet  sich  für  uns  nun  Chopins  Horizont.  Tritt 
schon  in  seinen  Briefen  die  Ironie  des  geistreichen  Polen  hervor, 
die  selbst  vor  Derbheiten  nicht  zurückschreckt,  so  wird  seine  erstaun- 
liche Gabe,  Menschen  zu  charakterisieren,  gerühmt.    Seine  Künstler- 


88 

porträts,  die  er  ohne  die  andern  Hilfsmittel  des  Schauspielers,  nur 
durch  die  nervöse  Beweglichkeit  seiner  Gesichtszüge,  durch  die  Ge- 
lenkigkeit seines  Körpers  zustande  bringt,  sind  von  erstaunlicher 
Schlagkraft  und  werden  zu  einer  begehrten  Nummer  im  Unterhal- 
tungsprogramm des  Salons.  Polnische  Nörgelei  steigert  sich  im 
Künstler  zur  Gabe  plastischer  Wirkung.  Er,  der  im  Reich  des  Un- 
bewußten zu  leben  gewohnt  ist,  stößt  sich,  wenn  er  zur  Wirklichkeit 
zurückkehrt,  an  den  Menschen,  erkennt  sofort  seine  Schwächen,  die 
ihm  lästig  werden,  und  bannt  sie  in  feste  Form.  Und  es  ist  nur 
begreiflich,  daß  er  auch  als  Karikaturenzeichner  seinen  Mann  stellt. 
All  dies  aber,  wie  die  ausgelassene  Fröhlichkeit,  die  es  hervorruft, 
dient  seinem  Nervensystem  zur  Entspannung  und  wird,  bevor  es 
seiner  Kunst  zufließen  kann,  von  der  allmächtigen  Lyrik  aufgesogen. 

Dieselbe  grandiose  Einseitigkeit  zeigt  sein  Verhältnis  zur  Lite- 
ratur. Chopin  treibt  seine  Abneigung  gegen  das  Wort  bis  zur  Idio- 
synkrasie. Da  er  sich  weder  geben  noch  binden  will,  scheut  er,  wie 
glaubhaft  versichert  wird,  große  Entfernungen  nicht,  um  der  schrift- 
lichen Mitteilung  überhoben  zu  sein.  Wo  er  sie  nicht  umgehen  kann, 
und  selbst  in  Briefen  an  die  Angehörigen,  führt  er  wahre  Kämpfe  mit 
sich  selbst.  Dann  aber  erhält  sein  Stil  durchaus  persönliche  Prägung. 
Er  erreicht  Gipfel  des  Hochliterarischen.  Er  bewegt  sich  auch  in 
den  Niederungen  der  chronique  scandaleuse  mit  der  Schwatzhaftig- 
keit  der  Frau  und  mit  der  Liebe  zum  Wortwitz,  der  im  Klangsinn 
möglichst  die  Lücken  des  Wissens  deckt.  Schon  in  Warschau,  das 
ihm  freilich  musikalisch  nicht  genügte,  zieht  er  den  Umgang  der 
Literaten,  deren  Stimmung  ihn  ergreift,  dem  der  Musiker  vor.  Seine 
Begabung  liegt  sonst  ganz  brach;  Bücher,  selbst  polnische,  laden 
ihn  nicht  zur  Lektüre,  und  es  ist  gewiß,  daß  er  in  Paris  außer  den 
George  Sandschen  Romanen,  zu  denen  ihn  der  Zwang  der  Liebe 
führte,  kaum  ein  Buch  gelesen  hat.  So  stellt  sich  uns  sein  geistiges 
Leben  dar.  Eine  Fülle  von  Anlagen,  die  aber  jede  stoffliche  Be- 
reicherung, jede  vervollkommnende  Übung  ablehnen,  weil  das  Traum- 
Ich  die  Tatkraft  des  Nervenmenschen  aufzehrt,  der  fein  und  schwach 
organisierte  Künstler  zu  geistiger  Isolierung  gezwungen  ist. 

Sein  Instinktleben  wird  durch  einen  Schleier  verhüllt.  Doch 
nicht  so,  daß  uns  die  Einsicht  in  Chopins  Seele  getrübt  wäre. 
Stärkste  Sympathien  und  Antipathien  verraten  das  unruhige  Hin- 


89 

und  Herwogen  in  dieser  Psyche,  die,  von  den  Nerven  beherrscht, 
nur  die  Extreme  kennt.  Man  darf  den  Einfluß  der  Nerventätigkeit 
auf  den  Charakter  des  modernen  Musikers  nicht  gering  veranschlagen. 
Stimmung  und  Mißstimmung  sind  90  mächtig,  daß  sie  auch  das  Ethos 
gefährden.  Wo  alles  auf  das  Ich  bezogen  wird,  tritt  die  Verschiebung 
des  innerlichen  Gleichgewichts  von  selbst  ein.  In  Beethoven,  dem 
Grenzpunkt  zwischen  Klassizismus  und  Romantik,  wird  sie  durch 
die  breite  Basis,  auf  der  sein  Mensch-  und  Musikertum  ruht,  noch 
verhindert.  In  Richard  Wagner  sinkt  die  Wagschale  nach  der  Seite 
der  Selbstsucht.  Kleinliche  Eitelkeit,  persönliche  Gehässigkeit  sind 
die  Formen,  in  denen  sie  sich  äußert.  Sympathien  und  Antipathien, 
extreme  Stimmungen  finden  kein  Gegengewicht  mehr.  Chopin, 
geistig  kleiner,  ist  dank  seiner  schwächeren,  feineren  Struktur  nicht 
ohne  Hemmungen.  Seine  Aristokratennatur  gestattet  ihm  rücksichts- 
loses Draufgängertum  nicht;  sie  bindet  ihn  noch  an  die  Form.  Wenn 
auch  hier  kleinliche  Eitelkeit,  persönliche  Abneigung  sich  äußern, 
geschieht  es  unter  der  Maske  der  Höflichkeit  oder  so,  daß  die 
Klippe  umschifft  wird.  Bricht  der  Sturm  dennoch  einmal  los,  so 
sorgt  ein  starker  Fonds  von  Herzensgüte  dafür,  daß  der  Anprall 
nicht  vernichtet. 

Aber  Chopin  und  Wagner  begegnen  sich  an  anderen  Punkten 
wieder.  Der  Stimmungsmusiker  kann  ohne  eine  Umgebung,  die  sein 
Nervensystem  in  Schwingung  versetzt,  nicht  leben.  Der  Aristokrat 
in  Chopin  stimmte  zu.  Nirgends  enthüllt  er  uns  diese  Seite  seines 
Wesens  mehr  als  in  jenen  Briefen  an  Fontana,  die  genaueste  An- 
weisungen für  die  Garderobe  des  Schreibers  wie  für  die  Ausstattung 
der  Wohnung  enthalten.  Feinster  Geschmack,  Vermeidung  alles  Auf- 
fallenden ist  das  Motto  dieser  Anordnungen,  während  dort,  in  dem 
salonfeindlichen   Demokraten,   das  Sensationelle  nicht  fehlt. 

Wir  sind  nun  bei  dem  stärksten  aller  Instinkte,  bei  dem  ero- 
tischen angelangt.  Musik  als  der  ursprünglichste  Ausdruck  der  Er- 
regung, als  lebendigstes  Zeugnis  für  den  Dämon,  der  uns  quält, 
spricht  dank  ihrer  Stofflosigkeit  am  eindringlichsten  zu  unserer  Sinn- 
lichkeit. Je  mehr  ein  schrankenloses  Ich  in  den  Mittelpunkt  des 
Schaffens  tritt,  desto  mehr  schwächen  sich  die  Hemmungen  ab.  In 
den  Klassikern  strebt  das  Melos  bereits  zur  Architektur  hin;  es  ist 
schon  in  der  Anlage  so  weit  entsinnlicht,  daß  es  die  Ruhe  der  Ge- 


90 

staltung  nicht  gefährdet;  und  der  nach  allen  Regeln  der  Kunst  bis 
in  alle  Einzelheiten  vollendete  Bau  zeigt,  wie  sich  Sinnlichkeit  ins 
Transzendentale  gewandt  hat.  So  wird  uns  Johann  Sebastian  Bach, 
der  den  Kultus  der  Form  zur  höchsten  Meisterschaft  führt,  zum  Ur- 
bild musikalischer  Keuschheit;  von  ihm  zieht  sich  eine  Linie  bis  zu 
Brahms  hin.  Auf  diesem  Weg  sah  sich  Mozart  von  seinem  Sinnen- 
leben stark  bedroht,  ohne  in  seiner  Klassikerruhe  erschüttert  zu 
werden;  und  Brahms  hatte  die  Romantik  vorüberziehen  sehen,  ohne 
von  der  metaphysischen  Straße  abzuirren.  Die  Romantik,  die  das 
Ich  zum  künstlerischen  Maßstab  macht,  erregt  die  Erotik  des  Musi- 
kers aufs  tiefste.  Das  leidenschaftlichere  Melos  atmet  nicht  mehr 
die  Sehnsucht,  einem  formvollendeten  Bau  zu  dienen ;  von  der  Sinn- 
lichkeit stärker  durchtränkt,  führt  es  ein  selbstherrliches  Dasein.  Der 
Nervenmensch  spricht  und  duldet  keinen  Einspruch.  Nur  die  Poesie 
kann  das  Unheil  teilweise  abwenden;  und  wenn  zu  ihr  ausnahms- 
weise die  Sehnsucht  nach  Klassizismus  sich  gesellt  wie  in  Robert 
Schumann,  dann  hat  die  Musik  wieder  die  hohe  Stufe  des  Idealis- 
mus erreicht,  sie  ist  übersinnliche  Romantik  geworden.  In  Wagner 
dagegen  konnte  selbst  die  Poesie  die  starken  sinnlichen  Zauber  seiner 
Tonsprache  nicht  bannen. 

Wie  sehr  die  Erotik  Chopin  schüttelt,  zeigt  schon  sein  Lebens- 
weg. In  keiner  Periode  seines  Daseins  fehlt  die  Frau,  die  ihn  be- 
geisterte. Ja,  er  entzündete  sich  an  weiblichen  Reizen  so  leicht,  daß 
sein  Triebleben  stets  durch  mehrere  Leidenschaftsobjekte  in  Auf- 
ruhr geriet.  Und  doch  trieb  er  die  Enthaltsamkeit  bis  zur  Askese. 
Haben  wir  nicht  manches  Geständnis  des  jungen  Mannes  gehört,  der 
vor  jedem  Abenteuer  im  letzten  Augenblick  zurückschreckte?  Paris, 
das  den  Zwanzigjährigen  gewiß  locken  konnte,  ging  spurlos  an  ihm 
vorüber;  der  erfolgreiche,  sehnsüchtig  begehrte  Virtuose,  der  so 
viele  andere,  Liszt  an  der  Spitze,  in  dem  Pariser  Strudel  untertauchen 
sah,  wich  jeder  Liaison  aus.  Wenn  auch  sonst  väterliche  Seelen- 
kenntnis nicht  bis  in  das  Sexualleben  der  Kinder  reicht,  so  ist  doch 
eine  Stelle  in  einem  Brief  des  alten  Chopin  auf  Treu  und  Glauben 
hinzunehmen.  Während  er  ihn  vor  den  ausgedehnten  Nachtwachen 
im  Salon  aus  gesundheitlichen  Gründen  warnt,  fügt  er'  hinzu: 
„.  .  .  ich  bin  überzeugt,  dass  kein  anderer  Exzess  Dir  schaden  kann, 
denn   Du   gestattest   Dir  keinen. "     Brutale   Sicherheit   widersprach 


91 

nichr  nur  dem  Wesen  eines  Menschen,  dessen  Organismus  ihn  zur 
Zurückhaltung  mahnte;  sie  widersprach  auch  dem  weiblichen  Zug, 
der  die  Erotik  zielunsicher  machte  und  eine  letzte  Schamhaftigkeit 
hemmend  vor  den  Genuß  stellte.  Die  Liebe  zu  den  Blumen,  die 
in  seinem  Salon  nicht  fehlen  durften,  spricht  klar  für  das  Weibliche 
in  ihm;  sie  sind  hier  das  Symbol  der  Poesie,  die  auch  über  das 
Leben  seiner  Sinne  wachte.  Und  unerfüllte  Erotik  strömte  in  sein 
Schaffen,  schuf  jene  Wunder  der  Musik,  vor  denen  wir  noch  immer 
staunend  stehen. 

Denn  wie  dieser  Mensch  gerade  diese  Musik  nicht  schaffen 
mußte,  aber  konnte,  und  was  ihr  Wesen  ist,  das  eben  soll  hier 
gezeigt  werden.  Sein  Geistes-,  sein  Triebleben  drängten  nur  nach 
einem  Punkt  hin :  zum  musikalischen  Schaffen.  Die  Verarmung  des 
Geistes  zugunsten  der  Stimmung;  die  Herrschaft  des  Unbewußten, 
die  Abwendung  von  allem  Zweck-  und  Absichtsvollen,  die  sich  so 
steigerte,  daß  für  den  bewußten  Menschen  nur  eine  allerdings  desto 
stärker  betonte  Lebensklugheit  übrigblieb :  dies  alles  hatte  nur  ein 
Ziel:  einen  grossen,  eigenartigen  Künstler  zu  zeugen.  Der  Schwer- 
mut als  Grundlage  des  Schaffens  brauchte  nicht  fruchtbar  zu  sein. 
Ja,  durch  diese  willenlose  Hingabe  an  ein  schmerzliches  Gefühl, 
die  ein  echt  weiblicher  Zug  ist,  wird  der  Kreis  der  schöpferischen 
Empfindungen  verengt;  und  die  Einseitigkeit,  die  das  hervorruft, 
wird  noch  gefährlicher  durch  das  Fehlen  geistigen  Nährstoffes.  Hier 
aber  setzt  eben  die  Energie  des  berufenen  Künstlers  ein.  Die  Tat- 
kraft, die  der  bewußte  Mensch  sparte  und  als  schwacher  Organis- 
mus sparen  mußte,  wandte  sich  ganz  dem  Unbewußten  zu.  Die 
Sammlung  wurde  gesteigert.  Und  da  sie  einem  engen  Kreis  galt, 
wurde  jene  einzige  Seltsamkeit  geboren,  die,  liebevoll  gepflegt  und 
nuancenreich  gestaltet,  der  Gefahr  entging,  einseitige  und  ermü- 
dende Manier  zu  werden. 

Man  kann  in  der  Tat  in  der  Musikgeschichte  keine  größere 
Konzentration  auf  kleinstem  Raum  finden.  Das  Kind  schon  ver- 
senkt sich  mit  Inbrunst  ins  Klavier;  und  diese  Liebe  ist  die  einzige, 
der  er  bis  ans  Lebensende  treu  bleibt.  Er  legt  ihm  das  Ohr  ans 
Herz  und  erwirbt  jenes  unerhörte  Fingergefühl,  das  sich  mit  allen 
musikalischen  Vorstellungen  verknüpft  Diese  Verknüpfung  ist  so 
eng,  daß  jedes  andere  Instrument,  und  sei  es  auch  die  liebe  mensch- 


92 

liehe  Stimme,  ihm  sofort  fremdes  Gebiet  scheint.  In  der  Begrenzt- 
heit der  Klaviatur  also  ist  er  gewohnt,  seine  Empfindungen  sich 
ausleben  zu  lassen.  Sie  sind  noch  nicht  entschieden  von  der  Schwer- 
mut gefärbt.  Oberstes  Gesetz  seiner  Phantasien  ist  der  Wohlklang; 
ein  an  die  Tasten  gebundener  Wohlklang.  Hört  er  singen,  dann 
bannt  er  es  auf  die  Tasten.  Hier  also  liegen  die  Quellen  seines 
Schaffens,  seines  Klavierstils  und  -Spiels.  Aus  dem  Klavier  ge- 
schöpfter Wohlklang  ist  ihm  höchstes   Ausdrucksmittel. 

Das  nationalpolnische  zaj  gibt  sehr  bald  den  Grundton  an.  Die 
Volkskunst  sucht  seine  Phantasie  heim.  Und  indem  er  den  Wohl- 
klang durch  weit  auseinanderliegende  Intervalle  zu  bereichern  sucht, 
beginnt  die  Eigenart  zu  keimen. 

Bis  dahin  ist  der  Instinkt  übermächtig  in  ihm.  Aber  der  Künstler 
ruft  nach  der  Tradition.  Er  fühlt,  daß  er  in  die  Irre  gehen  würde, 
wenn  das  Handwerk  ihn  nicht  stützte.  Nun  treten  die  Elemente 
hinzu,  die  den  Kunstverstand  entwickeln  und  schärfen.  Die  Be- 
schäftigung mit  Bach  ist  der  nachhaltigste  Kindheitseindruck;  Bach 
wird  sein  musikalisches  Glaubensbekenntnis.  Chopin  lernt  die  Wun- 
der der  Mehrstimmigkeit  kennen.  Wie  wird  sich  nun  diese  musi- 
kalische Unsinnlichkeit,  die  den  Kunstverstand  in  ihm  überzeugt, 
mit  seiner  ureigenen  musikalischen  Sinnlichkeit  mischen?  Natür- 
lich muß  sich  die  Mehrstimmigkeit  vor  dem  Wohlklange  beugen, 
sich  in  die  von  ihm  geschaffenen  Klangkombinationen  fügen.  Das 
wird  später  einmal  geschehen.  Für  jetzt  schöpft  er  aus  Bach  nur 
den  Sinn  für  die  Form  und  die  transzendentale  Stimmung,  die  selbst 
chromatisch  auftritt.  Viel  stärker  spricht  zu  der  Klangphantasie  des 
Knaben  die  reine  Schönheit  Mozartscher  Kantilene.  Ist  Bach  der 
Meister,  vor  dessen  bewußtem  Können  er  sich  verneigt,  weil  es 
ihm  den  Stützpunkt  gibt,  so  wird  Mozart  das  Ideal  musikalischer 
Schönheit,  das  ihm  bis  ans  Lebensende  vorschwebt.  Aber  sein 
Fingergefühl  wird  von  Hummelschen  Klavierpassagen  lebhaft  an- 
geregt. Die  feingegliederten  Hände,  die  auf  weibliches  Plaudern 
und  Fabulieren  angewiesen  scheinen,  greifen  sie  gierig  auf  und 
suchen  sie  für  den  eigenen  Klavierstil  fruchtbar  zu  machen.  Er 
träumt  den  Virtuosentraum,  und  sein  Schaffen  bewegt  sich  in  der 
Richtung  dieses  Traumes.  Die  Koloraturpassagen  überwuchern  noch 
das  Thematische. 


93 

Doch  schon  hat  ihn  die  Leidenschaft  erfaßt.  Die  Sehnsucht 
nach  dem  Weib  wird  ihm  unbewußt  die  Nährmutter  seiner  Kunst, 
die  aus  der  Scholle  emporwächst.  Erst  in  dem  Augenblick,  wo 
sie  sieghaft  durchbricht,  wird  Chopin  ganz  ein  Eigner.  Vorgebaut 
wurde  dem  Ausdruck  des  leidenschaftlichen  Begehrens  durch  den 
Sinnenrausch  des  Wohlklangs,  der  schon  die  tastenden  Versuche 
des  Knaben  durchbebt.  Freilich:  die  Aristokratennatur  des  Schaf- 
fenden haßt  alles  Rückhaltlose.  Aber  die  Leidenschaft,  die  in  ihm 
tobt,  ist  auch  zurückgehalten  noch  durchsichtig,  verführerisch  genug. 

Worin  beruht  nun  die  Leidenschaftlichkeit  der  neueroberten  Ton- 
sprache? Der  sinnliche  Wohlklang  beherrscht  sie  auch  jetzt  noch; 
aber  er  ist  durch  neue  Mittel  tausendfach  bereichert.  Die  akkord- 
liche Grundlage,  die  seinem  Sinn  für  Harmonie  am  besten  ent- 
spricht, bleibt  seinem  Klavierstil  erhalten.  Alles  neu  Hinzutretende 
durchdringt  er  kühn  mit  seinem  Geist.  Die  Bachsche  Transzenden- 
talität  muß  sich  unter  das  Joch  seiner  Stimmung  beugen.  Sein 
Chroma  ist  von  dem  leidenschaftlichen  Wohlklangsucher  und  er- 
regten Ausdruckskünstler  nicht  nur  in  eigene  Münze  umgeprägt  wor- 
den ;  ganz  neue  Steigerungen  ergeben  sich  ihm  aus  der  Mischung  mit 
dem  Mollton,  mit  den  übermäßigen  Schritten  des  Slawentums.  Die 
Modulationen  rücken  eng  zusammen;  die  frei  einsetzende  Disso- 
nanz schreckt  ihn  nicht  mehr;  Vorhalte,  Durchgangsharmonien,  Quer- 
stände, die  vieldeutige  Enharmonik  werden  das  Rüstzeug  vorwärts- 
stürmender Leidenschaft.  Aber  sie  legt  sich  selbst  Zügel  an.  Da 
ist  kein  sinnloses  Springen  von  Tonalität  zu  Tonalität;  sondern  der 
in  der  musikalischen  Grammatik  und  Orthographie  erstarkte  Sinn 
für  das  Gesetzmäßige  läßt  ihn  die  musikalische  Folgerichtigkeit  nicht 
durchbrechen.  Und  was  ist  aus  der  Bachschen  Mehrstimmigkeit  ge- 
worden? Auch  sie  ein  Mittel,  uns  sanft  zu  umschmeicheln.  Sie  setzt 
ein,  wo  sie  die  Vollgriffigkeit  des  Akkordes  bis  zum  Sirenengesang 
steigern  kann,  setzt  ab,  wenn  sie  ihre  Sendung  erfüllt  hat;  und 
das  Unisono  enthüllt  dem  Hörer  neue  Klangwunder.  Es  ist  nicht 
mehr  ein  Gegeneinander  von  Stimmen,  sondern  von  Stimmungen. 
Jede  Oktave  wird  in  ihrem  Timbre  belauscht,  zu  ihrer  eigenen 
Sprache  gezwungen.  Alt-  und  Tenorlage  sprechen  mit  der  eindring- 
lichen Beredsamkeit  des  Cellos  und  des  Horns.  Und  jene  dicken 
Baßpassagen,  die  uns  im  Reich  der  transzendentalen  Mehrstimmig- 


94 

keit  so  unhold  im  Ohr  klangen,  mußten  vor  den  ganz  neuen  Forde- 
rungen musikalischer  Sinnlichkeit  weichen.  Chopins  Baßpassagen 
treten  sparsam  auf,  aber  sie  klingen;  und  auch  sonst  haben  die 
oft  weit  ausladenden  Bässe  sich  dem  Gesetz  eines  vergeistigten, 
verzweigten,  abwechslungsreichen  Wohlklanges  zu  fügen,  das  sie 
zwingt,  Diener  des  Akkords  zu  sein.  Über  alledem  thront  die 
Chopinsche  Kantilene.  Der  Nervenmensch  kann  ihr  nicht  mehr  ganz 
jene  Mozartsche  Reinheit  schenken,  die  er  verehrt.  Die  Sehnsucht 
nach  der  Schlichtheit  des  Gesanges  ist  da,  aber  die  Krümmungen, 
die  Schlangenlinien  des  Themas  zeigen  die  Spuren  des  Kampfes, 
die  die  Leidenschaft  mit  ihr  führt.  Diese  so  neuen,  nervösen,  ro- 
mantischen Themen  nähern  sich  uns  lockend  und  werben  immer 
dringlicher  um  unsere  Gunst.  Denn  hatte  schon  die  Poesie  und 
Anmut  ihre  Sinnlichkeit  geadelt,  so  kommt  nun  der  in  den  Salons 
heimische  Aristokrat,  der  Liebhaber  geschmackvollen  Zierats,  be- 
hängt sie  bei  jeder  Wiederkehr  mit  Perlenketten,  mit  einern  Reich- 
tum, der  nichts  Pomphaftes  hat,  mit  einem  Prunk,  der  ihre  Schön- 
heit um  so  verführerischer  macht.  Die  von  Hummel  und  Paganini 
angehäuften  Passagenschätze,  die  Skalen  des  italienischen  Zier- 
gesangs, denen  er  zu  lauschen  nimmer  müde  ist,  sind  das  Material, 
die  sein  Geist,  sein  Ohr,  seine  Poesie,  seine  Seelengrazie  in  die 
Sphäre  der  Ausdrucksmusik  emporheben. 

So  erschließt  uns  ein  Blick  auf  ein  mit  Chopinscher  Musik  ge- 
fülltes Notenzeilensystem  Wunder  über  Wunder.  Wohin  wir  schauen, 
tönt  uns  eine  neue  Welt  entgegen ;  treten  Melodie,  Harmonie,  Rhyth- 
mus in  sinnlich-verführerischem  Gewand  auf,  ohne  je  in  die  Niede- 
rungen des  Trivialen  hinabzugleiten. 

Denn  auch  sein  Rhythmus  wird  das  Abbild  seines  Wesens. 
Das  Überspringen  von  einem  Extrem  zum  andern  setzt  sich  sofort 
in  rhythmische  Formen  um.  Die  harmonischen  Rückungen,  die  sie 
trennen,  mildern  ein  wenig  die  Hastigkeit  des  Schrittes.  Die  Weh- 
mut lebf  sich  aus  wie  die  Sehnsucht,  die  Leidenschaft  wie  die  Ver- 
zweiflung, das  Träumen  wie  das  Stürmen,  aber  auch  der  fröhliche 
Geist,  der  in  dem  traurigen  Herzen  wohnte;  und  selbst  der  naive 
Kindheitsglaube,  den  sein  Philosophettieren  mit  einer  dünnen,  wider- 
standsunfähigen Schicht  bedeckte.  Es  ist  eine  ununterbrochene  Logik 
im   kleinen   da.     Aber  auch  gegen   sie  empört  sich  schon  der  ge- 


95 

brochene  Wille,  das  unentschlossene  Zögern  des  Menschen,  das  selbst 
im  Musiker  nicht  zu  bannen  ist.  Das  Rubato,  das  sanfte  Hin-  und 
Herschaukeln,  das  den  Rhythmus  oft  in  seinen  Grundfesten  er- 
schüttert, bezeugt  es  ebenso  wie  die  Allmählichkeit  der  Entschließung 
von  der  Dominante  zur  Tonika,  die  oft  den  Beginn  Chopinscher 
Tonwerke  so  spannend  macht.  Und  wie  strebt  der  Dominantakkord 
auseinander,  um  seine  Klangmöglichkeiten  zu  entfalten?  Je  enger  der 
Raum,  auf  dem  dieses  Feuerwerk  von  Geist  sich  entzündet,  dieser 
leidenschaftliche  Wechsel  des  Rhythmus  und  der  Harmonie  sich  sinn- 
lich-reizvoll und  doch  so  gesetzmäßig  vollzieht,  desto  tiefer  die  Wir- 
kung. Sie  findet  kein  starkes  Gegengewicht  in  der  Ironie,  die  in 
jähen  Akzentverschiebungen  überraschend,  blitzartig  aufleuchtet.  Der 
Mensch,  der  sich  nicht  entschleiern  wollte,  konnte  sie  noch  be- 
tonen ;  auf  den  Musiker,  der  sich  fast  Völlig  entschleiern  muß,  dringt 
die  Flut  der  Empfindungen  ein,  und  die  lächelnde  Schwermut,  die 
wogende  Leidenschaft  behalten  das  letzte  Wort.  Ebenso  sicher 
unterliegen  der  derbe  Volkston  wie  die  emporstrebende  Männlich- 
keit der  beherrschenden  Gesamtstimmung,  dem  „zal",  das  ihn  immer 
mächtiger  ergreift,  je  länger  die  Sehnsucht  nach  der  Heimat  ihn 
verzehrt. 

So  kam  es,  daß  diese  Musik  die  Instinkte  der  Genießer,  der 
Frauen  zumal,  heftig  aufrüttelte,  während  der  Schaffende  selbst  seinen 
Idealen  unbeirrt  nachging.  Es  zog  ihn  hin,  und  er  folgte  nicht 
nur  instinktiv,  sondern  mit  voller  Bewußtheit.  Was  läge  näher, 
als  diese  bewußte  Künstlerschaft  in  einem  oft  kindlichen,  von  gegen- 
sätzlichen Stimmungen  so  stark  beherrschten  Nervenmenschen  zu 
leugnen!  Zeigt  dem  Kenner  schon  der  Einblick  in  seine  Werke, 
wie  planvoll  der  Meister  vorwärtsschritt,  so  erzählt  uns  George  Sand 
von  den  Qualen,  die  den  Weg  von  der  Skizze  zum  Werk  bezeichnen. 
Unerwartet  tauchten  ihm  die  Gedanken  am  Klavier  oder  bei  einem 
Spaziergang  auf;  wollte  er  sie  aber  aufs  Papier  bannen,  dann  er- 
wachte die  Selbstkritik  und  peinigte  ihn  um  so  stärker,  als  ja  seine 
Unentschlossenheit  notwendig  auch  auf  sein  Schaffen  übergriff.  Takt 
für  Takt  prüft  er;  sein  Schreiben  und  sein  Streichen  halten  sich 
die  Wage.  Er  jagt  im  Zimmer  umher,  er  tobt,  er  weint,  wenn 
sich  die  gewünschte  Fassung  nicht  findet.  Seine  bis  zur  Unleser- 
lichkeit  korrigierten  Manuskripte,  seine  tausendmal  durchbrochenen 


96 

Spinngewebe  sprechen  von  seinen  Kämpfen,  von  seinen  Qualen. 
Und  die  Fehler,  die  in  die  Ausgaben  übergingen,  sind  die  Folge 
dieser  Änderungen,  die  auch  dem  hingebungsvollsten  Freunde  die 
Erfüllung  seiner  Wünsche  unmöglich  machten.  Auch  da  noch,  in 
dem  Halbdunkel  seiner  Manuskripte,  ist  nach  so  viel  Arbeit  im- 
pressionistischer Zauber  und  ein  Rest  von  Phantastik.  Und  wie  legt 
er  seinem  Freund  Fontana  ans  Herz,  sie  vor  jeder  Beschädigung, 
vor  jeder  Unsauberkeit  zu  bewahren!  Sie  waren  ihm  heilig.  Er 
hatte  als  echter  Künstler  gerade  das  Detail  bedacht  und  gepflegt 
und  durch  den  sorgfältigsten  aller  Klaviersätze  die  Interpreten  vor 
der  Willkür  gewarnt;  nun  schickt  er  sein  Werk  als  etwas  Voll- 
kommenes in  die  Welt,  das  unberührt  bleiben   muß. 

Man  kann  das  Erwachen  des  Individualitätsbewußtseins  in 
Chopin  nicht  früh  genug  ansetzen.  Wir  erinnern  uns  jenes  pol- 
nischen Musikers  Sowinski,  der  unser  Genie  durch  seine  Musik  pei- 
nigte. „Womit  er  mich  jedoch  in  die  grösste  Erregung  versetzt," 
schreibt  er  im  Jahre  1831  von  Paris  an  seinen  Freund  Titus,  „das 
ist  seine  Sammlung  von  sinnlosen,  überaus  schlecht  akkompagnier- 
ten,  ohne  die  geringste  Kenntnis  von  Harmonie  und  Prosodie  zu- 
sammengesetzten Wirtshausliedern  mit  Kontredance-Schlüssen,  die 
er  eine  Sammlung  polnischer  Lieder  nennt.  Du  weißt,  wie  sehr  ich 
unsere  Nationalmusik  zu  erfassen  mich  bestrebt,  und  dass  ich  dies 
auch  zum  Teil  erreicht  habe;  stelle  Dir  daher  vor,  wie  angenehm  es 
mir  ist,  wenn  er  mitunter  bald  hier,  bald  dort  etwas  von  mir  erwischt, 
dessen  Schönheit  häufig  in  der  Begleitung  liegt,  und  es  mit  Dreh- 
orgelprovinzgeschmack spielt  .  .  ."  Hier  spricht  sich  so  bewunderns- 
wert früh  nicht  nur  der  feste  Wille  aus,  sich  eine  neue  Welt  zu 
bauen,  sondern  auch  die  tiefe  Einsicht  in  den  Kern  und  Wert  des 
eigenen  Schaffens;  der  Haß  gegen  alles  Gewöhnliche  und  die  Ab- 
lehnung des  rein  Materiellen,  auch  wenn  es  dem  Mutterschoß  pol- 
nischen Volkstums  entstammt.  Er  weiß,  daß  der  Reiz  seiner  Musik 
häufig  in  den  begleitenden  Stimmen  liegt;  Harmonie  und  Prosodie 
sind  die  Flügel,  auf  denen  sich  das  Nationalpolnische  zum  All- 
gemeingültigen erhebt.  Die  starre  Schwermut  der  slawischen  Volks- 
musik muß  sich  in  eitel  Beweglichkeit  auflösen.  Dazu  kann  nicht 
nur  die  kokette  Grazie  helfen,  die  dem  Halbfranzosen  im  Blut  liegt. 
Es  gäbe  dann  eine  Mischung  des   im   künstlerischen  Sinn   Unver- 


97 

einbaren ;  es  würde  eine  Lücke  klaffen.  Seine  tiefere  geistige  und 
seelische  Individualität  ist  die  Mittlerin,  die  beides  zusammenschließt. 

Der  Wille  zum  Bahnbrechenden  also  ist  da;  die  unerschütter- 
liche Überzeugung,  daß  es  ihm  gegönnt  sei,  in  die  Reihe  der  größten 
Meister  zu  treten.  Hierzu  stimmt  es,  daß  der  halbwüchsige  Knabe 
sich  an  praktischen  Übungen  nicht  genügen  läßt,  sondern  auch  zu 
den  Lehrbüchern  greift,  die  der  theoretischen  Weisheit  letzten  Schluß 
enthalten.  Sie  hinken  zwar  den  Meistern  nach,  aber  sie  geben  ein 
Stück  Musikgeschichte.  Ihr  will  er  angehören.  Nie  noch  ist  ein 
so  starker  Gegensatz  zwischen  den  Träumen  des  Erfinders  und  dem 
Gestalten  des  Künstlers  dagewesen. 

Wir  erst  erkennen,  wie  dieser  Wille  zum  Bahnbrechenden  sich 
erfüllt  hat.  Wir  erst  wissen,  daß  Chopin  in  die  Reihe  der  großen 
Meister  eingerückt  ist.  Als  Pfadfinder  in  der  Harmonik  reicht  er 
über  Liszt  und  Wagner  hinaus.  Sein  Ohr  ist  unbeirrt  von  außer- 
musikalischen Vorstellungen;  so  kann  die  Phantasie  sich  im  kleinen 
Tastenreich  hemmungslos  ausleben.  Selbst  Wagner  mit  seiner  um- 
fassenden Geistigkeit  legt  den  Grund  zu  jener  Zufallsharmonik, 
die  sich  in  sein  geniales  Werk  natürlich  einfügt,  aber  im  Schaffen 
minderer  Geister,  lahmer  Erfinder  mit  getrübtem  Gehör  in  Willkür 
ausartet.  Das  Ohr  empfindet  diese  Überreize  nicht  mehr;  und  es 
ist  erstaunt,  wenn  es  nun  die  logische  Kühnheit  Chopinscher  Har- 
monik auf  sich  wirken  läßt.  Sein  Tonbewußtsein  schreitet  über  das 
Verbot  der  Quintenparallelen  nicht  hinweg,  sondern  formt  es  nach 
seinen  persönlichen  Forderungen,  die  nun  von  der  genießenden  Nach- 
welt bestätigt  werden.  In  diesem  Tropenwald  gedeiht  kein  Un- 
kraut. Auch  das  Seltsamste  wird  durch  den  feinen  Takt  des  Ohres 
und  des  Herzens  zum  Einfachen  geadelt;  zu  einem  Einfachen  frei- 
lich, das  die  Spuren  innerer  Unrast,  schwerer  Leiden  trägt.  Und 
das  Neue,  bald  Beispiellose  geschieht:  in  den  chromatischen  Krüm- 
mungen trocknet  der  melodische  Quell  nicht  ein,  verteilt  noch  immer 
die  Phantasie  ihre  Gaben  gleichmäßig  an  den  Melodiker  wie  an  den 
Harmoniker.  Wie  sündhaft  und  wie  unnütz  darum  die  Klangana- 
tomie, das  Steckenpferd  der  Chopinphilologen !  Laßt  diese  phan- 
tasievolle  Gesetzmäßigkeit  in  euch  nachhallen  —  so  wird  euch  die 
Gegenwart  genußreich,   die  Zukunft  hoffnungsvoll   sein. 

Aber  es  gibt  Punkte,  wo  Wagner  und  Chopin  sich  wieder  grüßen. 

Weissmann,  Chopin  7 


98 

Wenn  die  Erotik  zu  Klängen  drängt,  müssen  diese  nervösen  Na- 
turen zusammenklingen.  Um  so  mehr,  als  sie  ja  den  Qenuß  für 
ihre  Kunst  opfern.  Wie  dem  Ausdruck  Chopinscher  Liebesleiden- 
schaft noch  der  Blumenduft  entströmt,  so  ist  Wagnersche  Liebes- 
lyrik durch  den  Zug  ins  Metaphysische,  Übermenschliche  verklärt. 
Die  ewige  Sehnsucht  ist  ihnen  gemein.  Sprach  sie  sich  schon  in 
dem  Hang  zum  Überspringen  der  Oktave  bis  zur  None  und  weiter 
aus,  so  noch  viel  eindringlicher  in  den  fortlaufenden  Dissonanzen, 
in  den  schweratmenden  Vorhalten. 

Aber  schon  meldet  sich  auch  der  Gegensatz.  Der  Zufalls- 
harmoniker  Wagner  hat  da,  wo  er  den  Hymnus  der  Liebe  singt, 
im  „Tristan",  den  Vorhalt  echt  deutsch  in  ein  System  gebracht, 
die  unendliche  Melodie  der  Leidenschaft  aus  ihm  entwickelt.  Es 
ist  die  Form  der  Formlosigkeit;  wie  auch  seine  Mehrstimmigkeit 
mit  der  dramatischen  Gesetzen  gehorchenden  Motivarbeit  stets  ver- 
kettet ist.  Die  Architektur  also  trennt  beide,  die  eben  noch  die 
Stimmung  zusammengeführt  hatte ;  denn  für  seinen  Riesenbau 
brauchte  Wagner  ein  neues  Gerüst. 

Aber  über  die  Chopinsche  Architektur  ist  mehr  noch  als  ein 
Wort  zu  sagen.  Prosodie,  erklärte  er  doch,  sei  das  andere  Mittel, 
Musik  zu  einem  künstlerischen  Wert  zu  prägen.  Auch  die  Form 
ist  ihm  heilig;  eine  tiefe  Sehnsucht  nach  dem  Klassischen  lebt  in 
ihm.  Er  will  nichts  zerstören ;  auch  er  möchte  bauen.  So  rückt 
er  von  der  Schulromantik  ab.  Und  es  ist  erstaunlich,  wie  nun  im 
Aufbau  des  Gerüstes  der  Ausdrucksmusiker  seinen  ganzen  Geist 
zur  Mittätigkeit  zwingt;  wir  begreifen  sofort  die  unendliche  Mühe, 
die  die  Struktur  ihn  kostet.  Sein  leidenschaftdurchtränktes  Thema 
wehrt  sich  echt  romantisch  gegen  die  herkömmliche  Entwicklung. 
Wie  nun?  Rhythmus,  Modulation,  Passagen  werden  ihn,  genial  er- 
dacht, vor  dem  Chaos  retten.  Aber  sie  könnten  es  nicht,  wenn 
nicht  eben  die  Prosodie  ihn  stützte.  Er  wurde  nicht  müde,  die 
Musik  auf  die  Sprache  zu  beziehen;  auf  ihre  Hebungen  und  Sen- 
kungen, auf  ihre  Cäsuren,  auf  die  Zeichen  der  Abschnitte,  auf  ihre 
Haupt-  und  Nebensätze  hinzuweisen.  Er  ließ  die  Dissonanzen,  die 
ihm  selbst  noch  bedeutungsvoll  schienen,  stärker  betonen  als  die 
Synkopen,  die  Zeichen  zurückgehaltener  Erregung.  Er  mahnte  an 
den  natürlichen  Akzent.     So  belebte  der  Geist  die  Phrase,  die  aus 


99 

dem  Traumland  gekommen  war.  Wissen  wir  etwas  von  den  Ge- 
sprächen, die  zwischen  Chopin  und  Bellini  geführt  wurden?  j«Je- 
nem  Bellini,  der  als  einziger  vorwagnerscher  Italiener  sich  die  Verse 
vorsagte,  um  aus  ihnen  die  Melodie  zu  schöpfen?  Vielleicht  blühte 
so  in  Chopins  Geist  der  Gedanke  auf,  der  keimhaft  in  ihm  ruhte. 
Gewiß  ist,  daß  Chopins  vielgestaltiger  Rhythmus  das  Knochengerüst 
hergab,  auf  dem  sich  alle  diese  Herrlichkeiten  des  polyharmonischen 
Wohlklangs  entfalten  konnten.  Die  Liebe  zum  Tanz,  zu  der  kleinen 
gedrungenen  Form,  die  ihn  nun  auch  mit  dem  Gallischen  verknüpfte, 
frischte  in  ihm  immer  wieder  die  Fähigkeit  auf,  rhythmisch  vielseitig 
zu  sein.  Doch  die  Lücken  der  Logik,  die  den  willenlosen,  unruh- 
vollen Briefschreiber  kennzeichnen,  spielen  auch  hier  hinein.  Reicht 
so  der  Atem  für  die  große  Form  nicht  aus,  so  ist  doch  die  bewußte 
Verwendung  reizender  Ersatzmittel  nicht  nur  ein  Zeugnis  für  den  Ernst 
und  Scharfsinn  des  Schaffenden,  sondern  eine  Quelle  ungetrübten 
Genusses.  Von  den  vollendeten  Miniaturen  zu  schweigen,  in  denen 
auch  die  Spuren  des  Kampfes  nicht  auftauchen.  Der  musikalische 
Aphorismus,  der  sich  dort  in  den  Gesamtbau  nicht  fügte,  ist  hier 
formbildend  geworden. 

So  entrann  dieser  echteste  Impressionist  der  Gefahr,  im  Farben- 
reichtum zu  versinken.  Mit  den  Vertretern  der  polnischen  Roman- 
tik hielt  er  oft  Zwiesprache.  Ihre  Verse  setzte  der  sonst  ganz 
Unliterarische  in  Musik;  in  eine  übertragene  Musik,  die  ihn  nicht 
unsterblich  machen  würde.  Er  bleibt  unliterarisch.  Aber  die  ro- 
mantische Stimmung  saugt  er  in  sich  auf.  Wie  er,  allem  Stoff- 
lichen fremd,  aus  dem,  was  ihn  umgibt,  den  Duft  einatmet.  Der  ro- 
mantische Hang  zum  Fremdartigen  beherrscht  ihn  von  Kindheit  auf. 
Sein  Kolorit  wird  nun  berauschend.  Aber  sein  innerer  Rhythmus, 
sein  Formensinn  bewahrt  ihn  vor  dem  uferlosen  Impressionismus 
der  Literarischen.  Und  er  wird  auch  hier  bahnbrechend.  Ja,  diese 
Rhythmenfülle  und  Farbensattheit  erreicht  nun  auf  umgekehrtem  Weg 
das,  was  die  Literarischen  nicht  immer  erfolgreich,  häufig  mit  Ver- 
gewaltigung des  Ohres  suchten :  aus  dieser  vom  Gehör  gespeisten 
Stimmungsmusik  steigen  Bilder  auf:  das  Unfaßbare  wird  faßbar. 
Freilich:  man  muß  nicht  dilettantisch  das  Programm  in  Chopin  hin- 
einzwängen. Er  ist  immer  auch  rein  musikalisch  ein  Geist,  der  die 
Empfänglichen  zu  sich  zieht.    Wir  verstehen  nun  aber  wieder,  wie 

7* 


100 

dieser  erfindungsreiche  Impressionist  mit  Delacroix  sich  fand;  und 
mit  Heine,  der  von  ihm  sagt:  „Polen  gab  ihm  seinen  chevaleresken 
Sinn  und  seinen  geschichtlichen  Schmerz,  Frankreich  gab  ihm  seine 
leichte  Anmut,  seine  Grazie,  Deutschland  gab  ihm  den  romantischen 
Tiefsinu  .  .  .  Die  Natur  aber  gab  ihm  eine  zierliche,  schlanke,  etwas 
schmächtige  Gestalt,  das  edelste  Herz  und  das  Genie.  Ja,  dem 
Chopin  muß  man  Genie  zusprechen  in  der  vollen  Bedeutung  des 
Wortes;  er  ist  nicht  bloss  Virtuose,  er  ist  auch  Poet,  er  kann  uns 
die  Poesie,  die  in  seiner  Seele  lebt,  zur  Anschauung  bringen,  er 
ist  Tondichter,  und  nichts  gleicht  dem  Genuss,  den  er  uns  ver- 
schaffte, wenn  er  am  Klavier  sitzt  und  improvisiert.  Er  ist  alsdann 
weder  Pole,  noch  Franzose;  noch  Deutscher,  er  verrät  dann  einen 
weit  höheren  Ursprung,  man  merkt  alsdann,  er  stammt  aus  dem 
Lande  Mozart's,  Raphael's,  Goethe's,  sein  wahres  Vaterland  ist  das 
Traumreich  der  Poesie."  So  feierte  der  Dichter  des  Heimwehs, 
der  Romantiker,  den  Seelenverwandten. 

Doch  die  Romantik  zehrt  an  den  Nerven  des  Feinorganisierten ; 
die  Fülle  von  Phantasie,  Stimmung,  Wohlklang,  Anmut,  von  Geist 
und  Arbeit,  die  in  seinem  Werk  ruht,  führt  allzu  früh  die  Erschöpfung 
herbei.  Eine  Zeit  kommt,  da  das  einst  fruchtbare  gestaltende  Be- 
wußte das  Unbewußte  überwuchert;  eine  Überspannung  der  Tat- 
kraft beginnt;  das  Verzweigte  wird  zum  Künstlichen.  Das  Chroma, 
in  dem  die  Erfindung  sich  tausendfarbig  brach,  wurde  ihr  nun  ge- 
fährlich; das  Gefäß  war  zu  klein,  der  Raum  zu  eng,  um  soviel 
Nervenarbeit  zu  fassen.  Doch  ehe  noch  das  Genie  mehr  als  die 
Spuren  des  Niederganges  zeigte;  ehe  es  das  traurige  Schauspiel 
eines  Meisters  bot,  der  die  eigenartige  Routine,  die  Manier,  an  die 
Stelle  sich  stets  erneuernder,  schöpferischer  Eigenart  setzte,  nahm 
ihm  der  Tod  die  Feder  aus  der  Hand. 


Aber  von  dem  lebendigen  Chopin  möchte  ich  immer  wieder 
und  noch  recht  lange  sprechen.  Wenn  der  Meister  in  dem  kleinen 
Tastenreich  ein  König  wurde,  der  bald  alle  Musiker  mit  seinem1 
Besitz  belehnte,  so  fordert  er  auch,  daß  wir  ihn  zu  seinem  Ur- 
eigensten, zu  seinem  Klavier  zurückgeleiten.  Erstaunlich,  wie  sein 
Wirken  jetzt  noch  in  der  gesamten  Pianistenwelt  nachzittert;  wie  weit 


101 

die  Ausläufer  seiner  Klaviertechnik  reichen.  Mensch,  Musik  und  Spiel 
bildeten  eine  künstlerische  Dreieinigkeit,  die  sich  nun  auch  das  Mecha- 
nische unterwarf. 

Denn  ein  Mechanisches  gab  es  für  Chopin  gar  nicht.  Für 
seine  Schüler  wohi;  sie  mußte  er  erst  an  den  schöpferischen  Ur- 
quell führen,  aus  dem  sein  Klavierspiel  strömte.  Oft  war  der  Weg 
vergeblich,  und  die  unwillige  Mahnung,  nicht  mechanisch  zu  üben, 
wandte  sich  an  Musikanten,  die  in  der  bekannten  geistigen  Bedürf- 
nislosigkeit ihre  Finger  bewegten,  um  ihr  Gehirn  zu  entlasten.  Ge- 
lang es  dem  Maestro,  sie  zum  materiellen  Wohlklang  zu  erziehen, 
so  brauchte  er  wenigstens  ihr  Spiel  nicht  mit  den  ärgerlichen  Worten 
zu  unterbrechen,  die  ihm  einmal  entschlüpften :  „Bellt  da  etwa  ein 
Hund?" 

Der  Meister  des  Kolorits,  der  Beseelung  und  Vergeistigung  des 
Klaviertons,  der  nach  sprachlichen  Sätzen  gestalteten  Phrase,  der 
Impressionist  rechnete  auf  die  selbstverständliche  Handhabung  neuer 
Mittel.  Er  mußte  sich  notwendig  von  den  Komponisten  trennen, 
die  vom  Klavier  nur  die  andeutende  Skizze  verlangten,  sich  dann 
undankbar  von  ihm  abwandten  und  dem  zukunftsreichen  Orchester 
zustrebten.  Seine  Sammlung  wurde  nun  auch  hier  ganz  folgerichtig 
so  fruchtbar,  daß  sie  revolutionär  wirkte.  Aber  die  Revolution  mußte 
sich  ohne  Gewaltsamkeit  vollziehen.  Das  aus  den  vielfachen  Ver- 
ästelungen der  Chromatik,  Enharmonik  und  Mehrstimmigkeit  ge- 
borene Kolorit  löste  sich  stolpernden  Händen  in  seine  Atome  auf; 
ja,  selbst  denen,  die  in  der  herkömmlichen  Musik  heimisch  waren, 
Meistern  wie  Moscheies  erschien  es  als  eine  künstliche  Trübung 
des  Althergebrachten,  als  etwas  Willkürliches,  das  die  Kreise  der 
Klassischen  störte.  Sollte  das  Wunderbare  sich  als  ein  Natürliches 
in  die  musikalische  Weltordnung  einfügen,  sollte,  was  der  Dichter 
erträumt,  nun  von  den  anderen  nachgedichtet  werden,  dann  mußten 
unmerkliche  Übergänge  das  Seltsame  dem  Ohr  und  der  Phantasie 
annehmbar  machen.  Die  Finger  hatten  sich  von  der  Tyrannei  des 
Herkommens  zu  befreien;  die  weit  auseinanderliegenden  Intervalle 
mußten  ihnen  auf  neuen  Wegen  erreichbar  sein ;  sie  konnten  oft 
von  Taste  zu  Taste  gleiten,  ohne  sich  abzulösen;  der  Daumen  war 
kein  absoluter  Herrscher  mehr;  er  mußte  sich  unter  das  parlamen- 
tarische  Regime   beugen,   das   den    anderen   gestattete,   ohne  seine 


102 

Hilfe  überzusetzen ;  aber  die  Anmut  der  Hand  durfte  nicht  gestört 
werden.  Floß  so  der  Strom  der  glänzenden  neuen  Passagen  dahin; 
hatten  die  harmonischen  Rückungen  nicht  mehr  unter  dem  Zwang 
eines  veralteten  Fingersatzes  zu  leiden,  dann  deckte  sie  die  am 
Legate  und  Stakkato  erstarkte  Dynamik,  die  feinstfühlige  Abstufung 
des  Klanges  mit  dem  Blütenstaub  der  Poesie.  Noch  war  es  Klang- 
poesie, der  Chopin  mit  seinem  System  von  überraschenden  Bin- 
dungen, mit  dem  atemverlängernden  Pedal  den  Weg  zu  den  Tasten 
gebahnt  hatte.  Dem  Salon,  den  Frauen  winkten  neue  Genußmöglich- 
keiten. Der  Dichter  dachte  auch  an  sie;  aber  er  dachte  noch  weiter: 
an  sich  und  an  die  Zukunft. 

Wie  Chopin  seine  dem  Gehör  und  Fingergefühl  entstammte, 
von  ihm  entwickelte  Ausdruckstechnik  in  dem  Reich  seiner  Poesie 
zu  Edelmetall  prägte,  sahen  wir;  aber  die  Worte  Liszts:  „Wenn 
seine  zerstreuten  Finger  über  die  Tasten  glitten  und  ihnen  plötz- 
lich einige  rührende  Akkorde  entlockten,  konnte  er  bemerken,  wie 
die  heimlichen  Tränen  der  verliebten  jungen  Mädchen,  der  ver- 
nachlässigten jungen  Frauen  flössen"  rühmen  nur  den  Salonspieler. 
Der  Chopinkreis  beschuldigte  Liszt,  in  seinem  schönen  Buch  über 
den  eben  entschlafenen  Meister  den  Reformator  des  Klavierspiels, 
den  Erfinder  einer  neuen  Anschlagstechnik  absichtlich  verschwiegen 
zu  haben.  Immer  wieder  taucht  der  Verdacht  des  Künstlerneides 
auf,  der  sich  bis  zu  den  ungerechten  Worten  verstieg:  „II  a  crache 
sur  l'assiette  pour  en  degoüter  les  autres." 

Gewiß  setzt  Liszt  mehr  dem  Tondichter  als  dem  Klavierspieler 
ein  Denkmal.  Der  Bezwinger  der  Masse  sah  in  sich  den  geborenen 
Mittler  auch  dieser  Kunst.  Was  er  ihr  als  Pianist  verdankte,  ver- 
schwieg er  nicht;  aber  er  betonte   es  auch  nicht. 

Um  so  leidenschaftlicher  klingt  der  Hymnus,  den  der  Dichter- 
Kritiker  Robert  Schumann  auf  den  Klavierspieler  Chopin  anstimmt. 
Er  konnte  es  bei  all  seiner  Verehrung  für  Clara,  die,  was  der 
Gatte  entdeckt,  mit  Liebe  und  Können  in  ihrem  Garten  pflegte.  Er 
nennt  sein  Spiel  einzig  wie  seine  Kompositionen  und  sagt  von  dem 
Vortrag  der  As-dur-Etude  op.  25  Nr.  1 :  „Denke  man  sich,  eine 
Aeolsharfe  hätte  alle  Tonleitern  und  es  würfe  diese  die  Hand  des 
Künstlers  in  allerhand  phantastischen  Verzierungen  durcheinander, 
doch  so,   dass   immer  ein   tieferer   Grundton   und   eine   weich   fort- 


103 

singende  höhere  Stimme  hörbar,  und  man  hat  ungefähr  ein  Bild 
seines  Spiels.  —  —  —  Man  irrt  aber,  wenn  man  meint,  er  hätte 
da  jede  der  kleinen  Noten  deutlich  hören  lassen;  es  war  mehr  ein 
Wogen  des  As-dur-Akkordes;  vom  Pedal  hier  und  da  von  neuem 
in  die  Höhe  gehoben ;  aber  durch  die  Harmonien  hindurch  ver- 
nahm man  in  großen  Tönen  Melodie,  wundersame,  und  nur  in 
der  Mitte  trat  einmal  neben  jenem  Hauptgesang  auch  eine  Tenor- 
stimme aus  den  Akkorden  deutlicher  hervor.  Nach  der  Etüde  wird's 
einem  wie  nach  einem  sel'gen  Bild,  im  Traume  gesehen,  das  man, 
schon  halb  wach,  noch  einmal  erhaschen  möchte;  reden  ließ  sich 
wenig  darüber  und  loben  gar  nicht!"  Wie  „ein  träumender  Seher" 
sitze  Chopin  am  Klavier;  und  um  sich  gleichsam  mit  Gewalt  von 
seinem  Traum  loszumachen,  fahre  er  nach  dem  Schluß  jedes  Stückes 
mit  einem  Finger  über  die  pfeifende  Klaviatur.  Erklingt  da  nicht 
zum  Schluß  in  Chopin  wieder  die  ironische  Note  Heines? 

Aber  der  Gewaltakt  bringt  den  inneren  Dämon  nicht  zum 
Schweigen. 

Dem  Dichter  am  Klavier  sträubten  sich  einmal  die  Haare,  als 
während  seines  Spiels  der  Diener  auf  den  Zehenspitzen  hereintrat 
und  eine  Karte  auf  den  Flügel  legte,  erzählt  Friederike  Müller.  Hier 
hören  wir  wieder,  welcher  Steigerung  seine  Weltentrücktheit,  das 
seh: -ankenlose  Wirken  des  Unbewußten  in  ihm  fähig  war,  wenn 
Schaffender  und  Nachschaffender  zur  Einheit  zusammentraten.  Aber 
das  geschah  nicht  nur  im  Dienst  eigener  Musik.  Fremde  brauchte 
nur  stark  in  ihm  anzuklingen,  um  ihn  zu  selbstsüchtigster  Selbstent- 
äußerung zu  stimmen.  Dann  gab  es  wieder  Augenblicke,  wo  das 
Bewußtsein  seiner  Umgebung  nicht  schwand;  wo  er  kokett  war. 
Das  Spiel  wurde  salonhaft,  es  bestach  durch  eine  anmutige  Glätte, 
die  dem  Plätschern  der  Causerie  entsprach :  das  Feminine  äußerte 
sich  untief;  ohne  die  Farbe,  die  ihm  ein  veredelter  Geist  verlieh. 
Er  selbst  kannte  diese  Stufen  auf  der  Skala  des  Nervenmenschen: 
war  er  in  Stimmung,  dann  liebte  er  den  Pleyel,  der  sich  den  Ton 
durch  lebhaftes  Drängen,  durch  zärtliches  Zureden  entschöpfen  ließ ; 
war  er  es  nicht,  dann  verließ  er  sich  auf  die  ewig  gleiche  Liebens- 
würdigkeit des  Erard,  der  sich  ganz  redselig,  zwanglos,  ohne  mecha- 
nische Hemmungen  gab.  Diese  Augenblicke  brauchen  wir  nicht 
zu  belauschen;   obwohl   hier  auch   den   Oberflächlichen,    Unpersön- 


104 

liehen  die  Möglichkeit  winkte,  anzuknüpfen  und  zu  entwickeln.  Die 
klavierspielende  Frau  als  Typus  darf  sich  auf  solche  Salonstimmun- 
gen berufen.  In  jenen  anderen  aber  erreicht  das  Spiel  einen  Gipfel, 
auf  den  ihm  selbst  die  Notenfixierung  nicht  folgen  kann.  Das  Per- 
sönliche des  Klaviersatzes,  dessen  sorgsames  Gewebe  jede  Zwei- 
deutigkeit auszuschließen  schien,  steigert  sich  zu  einem  Höchstpersön- 
lichen der  Ausführung.  Das  ist  ein  ganz  einziger  Fall.  Liszts  Sorg- 
losigkeit in  der  Niederschrift,  ein  Ausdruck  seiner  mangelnden  Samm- 
lung, ein  Abbild  seiner  beherrschenden  Weltlichkeit,  schließt  das 
Vieldeutige  ein;  er  ist  duldsam  und  entgegenkommend.  Chopin  muß 
es  wider  Willen  sein.  Sein  Rhythmus,  seine  Dynamik,  sein  im- 
pressionistisches Dahingleiten,  seine  vergeistigte  Schwäche,  die  doch 
Licht  und  Schatten   wirksam   verteilte,   waren   unübertragbar. 

Unübertragbar  wie  diese  ganze  Erscheinung,  in  der  es  eine 
höhere  Logik  gab:  die  Logik  des  im  letzten  Grunde  unerklärlichen 
Genies. 


TÄNZE 

MAZURKEN,  WALZER,  POLONAISEN,  ECOSSAISEN, 

BOLERO,  TARANTELLA 

„Die  Mazureks  schicke  ich  Euch  nicht,  weil  ich  sie  nicht  ko- 
piert habe:  sie  sind  nicht  zum  Tanzen;"  schreibt  Chopin  Ende  des 
Jahres  1830  von  Wien  aus  an  die  Seinigen. 

Chopin  konnte  nur  der  Zwang  zum  Tänzer  machen.  Aber  die 
Stimmung  des  Tanzes  ergriff  ihn  schon  früh,  und  er  nahm  ihn 
mit  sich  in  die  Welt  der  Poesie,  streifte  ihm  alles  Banale  ab,  ver- 
innerlichte  ihn  und  faßte  ihn  in  einen  goldenen  Reif.  Denn  das 
masovische  Volk  war  zu  jener  Zeit  der  Natur  noch  näher  als  jetzt. 
Stampfende  Lustigkeit,  rücksichtslose  Derbheit  vertrugen  sich  mit 
sentimentalem  Schwärmen.  Und  in  dieser  Naturnähe  gedieh  der 
Tanz  als  die  Form,  in  der  wilde  Leidenschaftlichkeit  zunächst  auf- 
begehrt und  sich  mitteilt.  Der  Mazur  kann  es  an  Alter  mit  dem 
Krakoviak  und  der  Polonäse  nicht  aufnehmen;  aber  er  steht  den 
Herzen  und  den  Sinnen  am  nächsten.  Er  war  banal;  doch  er  zün- 
dete. Ja,  Liszt,  der  den  Polinnen  Rosen  streut,  wird  lyrischer  Dich- 
ter, wenn  er  diese  Frauen  sich  im  Tanze  wiegen  sieht.  Die  Mischung 
von  Orientalischem  und  Pariserischem  beflügelt  seine  Phantasie,  be- 
rauscht seine  Sinne  noch  in  der  Erinnerung.  „Wo  wäre  die  Frau," 
ruft  er  aus,  „die  einen  Mazur  nicht  mit  mehr  von  Erregung  als 
von  Ermüdung  brennenden  Wangen  beendet  hätte?" 

Wir  begreifen  den  Aufruhr  der  Sinne  Liszts,  in  dem  das  Dra- 
matische auch  in  der  Liebe  immer  zu  Taten  drängt.  „La  danse 
la  plus  chastement  amoureuse"  nennt  er  den  Mazur  und  schwächt 
damit  das  Aufreizende  des  Tanzes  ein  wenig  ab.  Aber  das  Weib 
bleibt  die  Göttin,  die  ihn  schafft  und  beherrscht. 

Für  Chopin,  den  Polen,  hat  er  einen  ganz  andern  Sinn.  Das 
Ewig-Weibliche  des  Mazurs  berückt  auch  ihn.  Aber  der  Musiker 
ringt  ihm  eine  neue  Sprache  ab.  Alle  Sehnsüchte  seines  Herzens 
faßt  er  hier  in  der  prägnantesten  der  Formen  zusammen.  Dieser  Tanz 
geleitet  ihn  von  dem  ersten  Erwachen  künstlerischer  Bewußtheit 
bis  zum  letzten  Atemzug.  Es  ist  Musik,  die  den  Entbehrenden 
mit  der  Heimat  verknüpft.  Es  sind  höchst  persönliche  Bekennt- 
nisse: das  Gelöbnis  ewiger  Treue.    Sein  totes  Herz  sollte  Warschau 


106 

gehören ;  aber  seine  lebendigen  Mazurken  keimen  in  Polen  fort. 
„La  Pologne  n'est  malheureuse  qu'en  masse;  chacun  de  ses  enfants 
a  son  etoile  particuliere."  Dieses  Wort  eines  Begeisterten  wird  am 
stärksten  durch  seine  Mazurken  bestätigt.  Zunächst  scheinen  sie 
sich  von  allem  Westeuropäischen  zu  entfernen ;  aber  der  hastig  auf- 
wärtssteigende Meister  kann  nicht  anders,  als  die  Kostbarkeiter  seiner 
Kunst  hier  zusammentragen.  Was  nun  da  auf  kleinstem  Raum  vor 
sich  geht,  ist  so  erstaunlich,  daß  diese  Kabinettstücke  an  sich  einen 
Weltruhm  begründen  könnten.  Der  Dreivierteltakt  wird  von  Haus 
aus  durch  den  punktierten  Rhythmus  mit  dem  nach  dem  Ende  ge- 
rückten Schwerpunkt  und  durch  die  Achteltriole  gewürzt.  Gewiß, 
er  kann  nun  die  Glieder  freier  strecken,  er  kann  ausgelassen  lustig, 
er  kann  aufreizend  leidenschaftlich  werden.  Aber  er  vegetiert  in 
seinen  frischen  Farben ;  er  wird  in  Gesundheit  alt,  bis  der  deutsche 
Walzermichel  sich  ihm  paart  und  als  der  Stärkere  einen  Bastard 
zeugt.  Schon  bekämpft  den  Mazur  auch  die  Drehorgel,  die  das 
primitive  Dorforchester,  Baß  und  Geige,  aus  dem  Felde  schlägt. 
So  muß  er  ein  gesellschaftliches  Wesen  werden.  Seine  Lebens- 
fähigkeit ist  damit  nicht  gesteigert.  Aber  ein  Chopin  kann  ihn  aller 
irdischen  Sorgen  entheben.  Sinnend  hat  er  das  Schauspiel  sich  in 
voller  Freiheit  hingebender  Körper  betrachtet.  Diese  Beweglichkeit 
in  die  Form  fließen  zu  lassen,  ist  das  Ziel,  das  Werk  des  Dichters. 
Gerade  in  der  stärksten  Gebundenheit  des  Raumes  und  der 
Form  wachsen  ihm  die  Schwingen.  Wo  die  Phantasie  Feste  feiert, 
die  Stimmungsextreme  einander  ablösen,  jubelt  auch  der  skan- 
dierende Theoriebeflissene.  Die  Mazurken  sind  sein  Paradies.  Lassen 
wir  es  ihm.  Aber  unsere  Freude  darf  er  nicht  stören.  Hüten  auch 
wir  uns  vor  dem  Hineindichten  von  Dramen  in  diese  buntschil- 
lernden Seelengemälde!  Die  1832  erschienenen,  doch,  wie  wir  wissen, 
schon  vorher  komponierten  Mazurkas  op.  6  und  op.  7  mit  4  und 
5  Nummern  kündigen  den  Verherrlicher  des  Nationalen  an.  Frische 
ist  da,  aber  durch  Feinheit  gedämpft.  Das  Bündnis  der  Triole  mit 
dem  punktierten  Rhythmus  tritt  sofort  chromatisch  abwärtsschrei- 
tend, in  wechselnder  Gestalt  auf.  Mittelstimmen  mit  ihrem  Schwan- 
ken zwischen  Fis  und  F  hüllen  die  Umgebung  in  das  Zwielicht, 
das  sie  allem  Trivialen  entrückt.  Es  dringt  noch  weiter.  Da  weicht 
der  Mollton   einem  kindlich-fröhlichen   Fis-dur.     Ein   Glöckchenspiel 


107 

mit  Vorschlägen ;  der  Baß  rückt  in  die  Altlage  auf.  Aber  auch 
dieses  Spiel  erhält  —  nur  ein  Genie  vermag  die  plötzliche  Ver- 
wandlung zu  vollziehen  —  durch  ein  Herabgleiten  der  zweiten 
Stimme  in  den  beiden  letzten  Viertelnoten  die  tragische  Farbe,  die 
es  für  die  Verknüpfung  mit  dem  Hauptthema  reif  macht.  In  Nr.  2 
klingen  dem  Dichter  die  DudelsaCkquinten  ans  Ohr.  Aber  eine  leise 
Cellokantilene  gibt  den  klagenden  Unterton.  Der  Schalk  schweigt 
auch  hier  nicht.  Er  spielt  mit  Vierteln  und  Achteln  (Takt  17  und 
18)  und  kann  die  nicht  Taktfesten  außer  Fassung  bringen.  Er  zö- 
gert, doch  es  ist  ein  Zögern,  das  durch  wechselnde  Reize  span- 
nend wird.  Aber  die  Dudelsackquinten  haben  es  ihm  angetan.  Es 
geht  nun,  in  Nr.  3,  so  derb  her,  wie  wir  es  von  dem  lustigen  Cim- 
balisten  nur  erwarten  können.  Wir  hören  das  Stampfen,  das  Jauch- 
zen der  Bauern.  Glinka  schöpft  aus  dieser  Quelle.  Aber  auch  Grieg. 
A\an  könnte  die  absteigenden  Bässe,  die  das  da  capo  des  nobleren 
Themas  begleiten,  als  Motto  über  sein  Schaffen  setzen.  Nur  daß 
sie  eben  dem  beweglicheren  Geist,  dem  feurigeren  Temperament, 
den  rascheren  Stimmungen  unseres  Chopin  ein  Intermezzo,  der  düste- 
ren Starrheit  des  nordischen  Tondichters  das  A  und  O  seiner  Phan- 
tasie bedeuten.  Da  —  ein  Schwinden  der  wehmütigen  Melodie 
in  es-moll.  und  (in  op.  6  Nr.  4)  der  Tondichter  steht  vor  uns, 
in  sich  versunken,  traurig,  im  Innersten  wühlend.  Der  Tanzrhyth-' 
mus  hat  seine  Prägnanz  eingebüßt,  er  ist  ganz  Seele  geworden:  doch 
das  rauscht  in  einem  Presto,  ma  non  troppo  vorüber;  schon  ist's 
vorbei.  Opus  7  Nr.  1.  Das  Steckenpferd  des  Konservatoristen.  Ja- 
gendlust,  die  sich  in  B-dur  auslebt.  Doch  darf,  was  von  Philister- 
händen  nur  allzuoft  betastet  wird,  unter  ihnen  nicht  leiden.  Die 
Sprünge  übers  Ziel  hinaus  sind  kein  alltäglicher,  sie  sind  ein  sehr 
geistreicher  Spaß.  Und  die  Heimlichkeiten  fehlen  nicht:  ein  Alier- 
heiligstes,  in  das  der  Alltagsmensch  nicht  eindringt.  Eine  kurze 
Sotto-voce-Phrase  ist's,  von  mystischer  Farbe,  im  seltsamsten  Orgel- 
punkt, der  sich  nach  der  Regel  nicht  leicht  an  den  freudigen  Wieder- 
ausklang  knüpfen  läßt.  Und  wieder  (Nr.  2)  Wehmut,  aber  ohne 
Dumpfheit.  Tritt  sie  auch  in  der  Chromatik  des  Nachsatzes  klagend 
und  ächzend  auf,  so  löst  sie  sich  bald  mit  beschwingteren  Bässen, 
mit  lichteren  Farben,  mit  klangreichen  Triolen  aus  ihrer  Unbeweg- 
lichkeit.     Das   Schwanken   der  Seele,   das   ausgesprochen   Slawische 


108 

der  Stimmung  läßt  einen  festen  Pakt  mit  einer  entschiedenen  Ton- 
art nicht  zu.  Aber  der  westeuropäische  Geist  findet  nach  a-moll 
zurück.  Die  Todestraurigkeit  hält  an.  In  Nr.  3  wird  der  Vor- 
hang nicht  gleich  aufgezogen.  Eine  Einleitungfigur  in  wechseln- 
dem rhythmischem  Gewand,  von  stöhnenden  Vierteln  abgelöst;  über 
Gitarrenklängen  schwebt  die  Mazurka.  Das  Weib  singt  sie,  sanft, 
einfach.  Der  Bauer  jauchzt  sie  nieder;  das  Cello  führt  in  weitem 
Bogen  zur  Todestraurigkeit  zurück.  Aber  wie  zwanglos  gleitet  das 
f  nach  e,  den  Rest  mit  sich  ziehend!  In  der  nächsten  Nummer 
(4)  hat  der  Salonmensch  das  Wort.  Er  scheint  der  kokett  dahin- 
plätschernden  Rede  zu  lauschen.  Doch  —  ein  Weilchen  zieht  sich 
der  Dichter  auf  sich  selbst  zurück;  er  träumt  in  vier  A-dur-Takten, 
wie  nur  er  träumen  kann.  Aber  die  andern  plaudern  in  As-dur 
weiter.  Nummer  5  schließt  das  Opus  ab,  mit  einer  Einfachheit 
und  Ruhe,  als  wäre  nichts  geschehen. 

Das  sind  die  Herrlichkeiten  von  op.  6  und  7.  Sie  bekennen 
die  Blutsverwandtschaft  mit  der  polnischen  Heimat,  aber  ihr  Ty- 
pisches, das  sich  oft  taktelang  behauptet,  ist  von  dem  Dichter  durch- 
kreuzt, ihre  Stimmungskontraste  sind  durch  eine  kunstvolle  Plötz- 
lichkeit der  Übergänge  bezeichnet.  Der  ganze  Chopin  lebt  in  ihnen, 
ohne  den  bohrenden  Schmerz,  aber  mit  dem  Unterton  fruchtbarer 
Wehmut;  auch  das  Halbdunkel  liegt  über  ihnen. 

In  den  1834  veröffentlichten  vier  Mazurkas  von  op.  17  ent- 
decken wir  bereits  Familienähnlichkeiten.  Wie  könnte  es  auch  anders 
sein,  wo  musikalische  Inzucht,  obwohl  Edelinzucht,  herrscht!  Aber 
man  betrachte  einmal  außer  dem  Spiel  reizender  Mittelstimmen,  die 
das  wiederkehrende  Thema  zieren,  die  Coda  der  ersten  Nummer 
mit  ihren  munter  hüpfenden  Halbtonschritten.  Da  überragt  der  Pole 
seine  Landsleute  wieder  um  Haupteslänge.  Aus  Nummer  2  klingt 
eine  rührende  Bitte  heraus.  Aber  ihre  Dringlichkeit  kleidet  sich 
in  verführerische  Chromatik,  der  man  nicht  widerstehen  kann.  Auf 
die  Familienähnlichkeit  berufe  ich  mich  für  die  folgende  As-dur- 
Mazurka  und  gleite  zu  Nummer  4.  An  sie  knüpft  die  Legende  an. 
Nach  ihr  ist  sie  eine  dramatische  Szene:  Ein  polnischer  Jude  mit 
Kaftan  und  Pantoffeln  steht  vor  der  Tür  seines  Wirtshauses  und 
sieht  einen  klagenden  betrunkenen  Bauern,  der  sein  Kunde  ist.  „Was 
ist  dues?"   fragt  er.     Ein  Hochzeitszug  mit  Geige  und   Dudelsack 


109 

unterbricht  die  Klagen,  die  bald  darauf  wieder  einsetzen.  Hier  hat 
der  Harmoniensucher  harte  Nüsse  zu  knacken.  Er  findet  die  Ton- 
art nicht.  Ein  fragender  F-dur-Sextakkord  führt  ihn  irre.  Aber 
die  a-moll-Stimmung  ist  nicht  zu  verkennen.  Das  Koloraturenwerk 
kann  dem  mauschelnden  Juden  oder  dem  stöhnenden  Bauern  an- 
gehören. Wenn  aber  Klagen  so  reizvoll  auftreten  wie  in  den  non- 
chalanten abwärtsgleitenden  Triolen  der  poco  ritenuto-Takte,  dann 
wandeln  sie  Trauer  in  Jubel.  Mit  einer  Frage,  im  Zwielicht,  im 
F-dur-Sextakkord  klingt  das  urpolnische  Stück  aus. 

Eine  neue   Epoche  ist  beschlossen. 

1835  erscheinen  vier  Mazurken  als  opus  24.  Die  erste  in  g-moll 
kann  nur  wieder  empfohlen,  sie  braucht  nicht  gedeutet  zu  werden ; 
in  der  zweiten  aber  grüßen  uns  Kirchentonarten :  das  Lydische  mit 
Mixolydischem  gemischt.  Der  Eisnerschüler  verrät  sich;  auch  das 
stets  gläubige  Kind.  Weihrauchduft  mischt  sich  mit  Parfüm.  Wir 
halten  den  Atem  an,  wenn  das  Intervall  f-ces  immer  wieder  lockend 
zu  uns  spricht.  Die  Enharmonik  löst  das  Rätsel;  sie  stellt  den 
Kirchenton  wieder  her.  Aber  die  Unruhe  weicht  nicht  mehr  von 
uns.  Unsere  Sinne  empören  sich  gegen  alles,  was  recht  ist.  Sie 
werden  von  der  Eleganz  der  Nr.  3  beschwichtigt.  Aber  nur  einen 
Augenblick.  Denn,  was  nun  in  b-moll  auf  uns  einstürmt,  strömt 
einen  narkotischen  Duft  aus,  der  uns  die  Sprache  lähmt.  Was  nützt 
es  uns,  auf  die  Quellen  hinzudeuten?  Von  der  leisen  Gegenbewe- 
gung aus  dem  Dominant-Unisono  zu  sprechen,  die  wie  sehnsüch- 
tiges Zusammenstreben  zweier  Liebender  ist;  von  dem  langsam  mit 
der  Oberstimme  fortsingenden  Thema,  das  uns  schrittweise  erobert; 
von  den  punktierten,  doppelt  punktierten  Rhythmen  des  Nachsatzes ; 
von  den  Wundern  der  Mehrstimmigkeit,  der  Einstimmigkeit,  der 
con  anima-Phrase,  die  alle  Hebel  der  Harmonik  und  Dynamik  in 
Bewegung  setzt,  uns  zu  willenloser  Hingabe  zu  überreden ;  endlich 
von  diesem  vieldeutigen  B-dur-Schluß,  der  unbegleitet,  kraftlos,  ent- 
sagungsvoll verhaucht!  Das  war  ein  Gipfel,  ein  begeistertes  Zu- 
sammenraffen aller  Mittel,  uns  zu  bezwingen;  die  Paarung 
von  gesündestem  Überschwang  des  Rhythmus  mit  harmonischer 
Überreife. 

Wiederum  Pause.  Es  ist  1838  geworden.  Opus  30  und  33 
mit  je  vier  Mazurken   werden   der   Welt  bekannt.     Das   Seelische, 


110 

das  Verfeinerte  kämpft  schon  gegen  den  Rhythmus.  Das  zal  der 
c-moll-Mazurka  ist  ein  stilles  Weinen.  Aus  der  nächsten  hörte  man 
den  Ruf  des  Kuckucks  heraus.  Eine  hartnäckige  Terz  verriet  ihn. 
Aber  dieser  Kuckuck  ist  ein  vollendeter  Musiker  mit  so  empfind- 
lichen Nerven,  daß  er  für  eine  und  dieselbe  Phrase  vierfache  Deu- 
tung findet.  Sagen  wir  also  lieber:  spannendes  Zögern  des  Dich- 
ters. Ist  er  in  Nr.  3  ganz  kleinlaut  geworden?  Fast  scheint  es 
so.  Typisches  zeigt  sich;  und  schon  fühlen  wir  uns  wieder  unter 
den  Bauern  Masoviens.  Aber  die  Welt  um  Chopin  hat  sich  ver- 
düstert. Derbe  Lustigkeit  wagt  sich  nicht  mehr  hervor;  umhar- 
monisiert, unpunktiert,  in  Trauer  gekleidet,  innerlich  gebrochen  wankt 
das  Thema  einher.  Ein  seltsames  Frage-  und  Antwortspiel:  slen^ 
tando;  es  sind  Geisterstimmen,  die  ihn  rufen.  Und  wieder  stehen 
wir  auf  einem  Gipfel.  Wieder  verlieren  wir  den  Atem.  Es  ist  das 
höchste,  was  uns  der  Meister  an  Mazurken  in  der  mittleren  Periode 
schenkt.  In  cis-moll.  Kein  Takt  ohne  die  besondere  Chopinsche 
Farbe.  Aber  das  Geheimnisvolle,  das  Erotische,  Lockende,  Betäu- 
bende hat  an  Kraft  noch  gewonnen.  Der  punktierte  Rhythmus  hat 
sein  Draufgängertum  verloren.  Ein  chromatisches  Sichanschmiegen 
der  in  ihrem  Wert  gekürzten  Note  an  die  schöne  Nachbarin.  Auch  die 
Gitarrenklänge  dienen  dem  Frohsinn  nicht  mehr.  Feinheit  der  Ge- 
staltung, harmonische  Umdeutung  des  Themas,  ein  paar  Takte  rüh- 
render, aufreizender  Triller  und  die  revolutionären  Quinten,  die  gegen 
den  Schluß  hin  eine  ganze  Welt  von  Pedanten  mit  prachtvollem 
Wohlklang  herausfordern,  bedrohen  das  Leben  unserer  Sinne.  Und 
wieder  —  in  op.  33  Nr.  1  —  stille  Trauer.  Aber  wir  trauen  un- 
seren Ohren  nicht:  in  hartem  D-dur  singt  jetzt  Chopin.  Ist  es 
möglich,  daß  er,  der  nun  doppelt  Rätselvolle,  sich  unbedenklichem 
Frohsinn  ergibt?  Daß  er  alles  Klagen  vergißt?  Gewiß  ist, 
daß  in  dieser  fein  organisierten  Umgebung,  unter  allen  diesen  von 
Nervenzuckungen  heimgesuchten  Mitgliedern  einer  Aristokraten- 
familie, unsere  Mazurka  als  ein  aus  der  Art  geschlagenes  Kind  da- 
steht. Ihr  Zögern  ist  ohne  Ungeduld,  ohne  Nerven.  Die  endlos 
wiederholte  Phrase  verzichtet  auf  stimmungsvolles  Modulieren;  sie 
gibt  sich  einfach.  Tritt  wohl  einmal  laut,  einmal  leise  und  nur 
ein  einziges  Mal  in  acht  abgegrenzten  Takten  schwankend  auf.  Sie 
strotzt  von   Gesundheit.     Und  sie   gefällt  doch;   denn   ihre  Freude 


111 

ist  durch  den  Adel  der  Geburt  und  der  Seele  salonfähig  ge- 
worden. 

Man  möchte  es  nicht  glauben,  daß  jene  Nr.  3  mit  ihrem  mil- 
den C-dur,  mit  ihrem  schleppenden  Gang,  den  heftigsten  Streit  zwi- 
schen Chopin  und  Meyerbeer  heraufbeschwören  konnte.  Aber  als 
der  berühmte  Komponist,  dem  Polen  herzlich  zugetan,  diese  Ma- 
zurka des  Zweivierteltaktes  verdächtigte,  war  Chopins  Gleichgewicht 
erschüttert.  Der  Vater  schützte  sein  Kind  mit  dem  Zorn,  dessen 
nur  die  Liebe  fähig  ist.  Wir  scheiden  ohne  stärkere  Erregung  von 
diesem  Stück.  Das  nächste  aber,  das  letzte  des  opus  33,  hat  wieder 
Nerven,  unvermittelten  Stimmungswechsel,  ein  fast  hysterisches  Sich- 
dehnen und  Sichzusammenkrampfen.  Und  hier  lebte  sich  auch  die 
Einbildungskraft  dichtender  Landsleute  aus.  Einmal  sollte  ein  Dra- 
goner, verschmähter  Liebhaber,  sich  ertränkt  haben.  Ein  andermal 
war's  eine  häusliche  Szene,  bei  der  es  ohne  Schläge,  ohne  weib- 
liches Stöhnen  nicht  abgeht;  am  Ende  steht  die  Versöhnung.  So 
ließ  sich  Tragisches  und  Komisches  herauslesen.  Wir  aber,  von 
dieser  Wandelbarkeit  der  Kommentare  ergötzt,  sind  wieder  gebannt 
von  dem  traditionslosen  Aufeinanderprallen  der  Tonarten.  H-moll, 
B-dur,  H-dur,  h-moll ;  und  wie  sie  sich  vertragen !  Der  Meister 
darf  seinem  Genie  so  unbedingt  vertrauen,  daß  er  die  linke  Hand 
allein  den  Ausgleich  schaffen  läßt.  Der  Baß  spricht  mit  der  Be- 
redsamkeit vollgriffiger   Akkorde. 

Opus  41  ist  1840  der  Welt  geschenkt  worden.  Der  Dichter 
hört  den  Rhythmus  der  Mazurka  nur  von  fern  noch  anklingen,  seine 
Seele  greift  bis  an  ihre  Wurzeln.  Er  träumt  nun  wieder  in  cis-moll, 
wendet  es  aber  gern  ins  Phrygische.  Der  Bau  dehnt  sich,  die 
Stimmung  soll  künstlerisch  voll  ausgenutzt,  in  Edelwerte  umgeprägt 
werden.  Der  Trieb  zum  Klassischen  leitet  ihn;  kanonische  Formen 
treten  auf  und  verklingen  bald.  Das  zal  hat  nicht  immer  die  Kraft 
zum  Klassischen.  In  Nr.  2  ist  wieder  ein  Schweben  der  Tonarten, 
impressionistischer  Zauber.  Die  Weihe  der  Kirche  umfängt  uns  im 
Orgelton  der  Bässe;  die  Scheindurharmonie  wird  uns  nicht  täuschen, 
die  Unruhe  wühlt,  sie  steigert  sich  bis  zum  verzweiflungsvollen 
Aufschrei  im  Dominant-a-moll-Akkord,  der  den  Widerspruch  des  be- 
herrschenden E-moll  niederkämpfen  möchte.  Von  H-dur-Kadenzen 
wie  von  Säulen  eingeschlossen  ist  Nr.  3.     Und  damit  der  Bau  nicht 


112 

wankt,  stützen  sie  auch  das  Innere.  Es  könnte  ohne  sie  nicht  stehen. 
Es  ist  nicht  so  reich,  daß  wir  länger  hier  verweilen  möchten.  Mit 
Nr.  4,  in  As-dur,  scheint  in  gefälliger  Causerie  die  Ruhe  äußerlich 
wiedergewonnen. 

Nun  sehen  wir  sie  nicht  mehr,  die  stampfenden  Bauern ;  hören 
ihr  Jauchzen  nicht  mehr.  Der  Weltbürger  wider  Willen  weiß,  daß 
er  die  Heimat  nur  in  sich  selbst  wieder  erwecken  kann.  Den  Altar 
der  Liebe  hat  er  in  Frankreich  errichtet.  Bei  opus  50  angelangt 
(dessen  Erscheinungsjahr  nicht  feststeht),  können  wir  die  letzte  Blüte 
Chopinscher  Nervenkunst  wie  einen  Rausch  auf  uns  wirken  lassen. 
Westeuropäische  Kultur  hat  das  Slawische  endgültig  zu  sich  her- 
übergerettet. Haben  Leiden  das  Rückgrat  geschwächt,  so  breiten 
sie  über  die  Harmonien,  über  den  mehrstimmigen  Gesang  den 
Schleier,  der  uns  tiefe  Geheimnisse  verhüllt.  Nicht  in  Nr.  1,  wo 
die  Anmut  leise  spricht,  eine  Cellokantilene  in  sanfter  Coda  ver- 
klingt; nicht  in  der  folgenden,  wo  der  Salon  durch  den  Dichter  ver- 
klärt wird.  Aber  in  Nr.  3  cis-moll,  der  Göttin,  die  am  freigebigsten 
Mazurken  schenkt.  Diese  ist  mein  Liebling.  Ich  liebe  sie  wie  einen 
teuren  Kranken,  den  ein  Windhauch  uns  rauben  könnte.  Der  Rhyth- 
mus ist  schwach;  die  Nerven  des  Dichters  zehren  an  ihm.  Er 
ruft  Bach,  den  Bach  der  Präludien  zu  Hilfe.  Vielleicht  kann  kontra- 
punktische Gläubigkeit  ihn  stützen.  Sie  kann  es,  wie  stark  auch 
die  Gegensätze  sein  mögen.  Imitationen  bezeichnen  den  Weg,  den 
der  Klassizismus  in  Chopins  Geist  wandelt.  Aber  sie  sind  so  ganz 
Ausdruck,  so  ganz  Wohlklang  geworden;  sie  atmen  den  betäuben- 
den Duft  der  Liebessehnsucht.  Der  jugendliche  Rhythmus  strebt 
empor;  aber  er  wird  wehrlos  vor  dem  Schmeicheln  der  Gis-dur- 
Kantilene.  Kehrt  nun  die  kontrapunktische  Verknüpfung  wieder,  so 
ist  sie  verzweigter,  farbiger;  die  Mazurka  mahnt,  doch  sie  mahnt 
in  lieblichem  H-dur,  ohne  Härte,  ohne  Derbheit.  Sie  rankt  sich 
in  reizenden  Bögen  zum  Anfang  zurück.  Aber  die  Phantasie  weiß 
auch  jetzt  noch  zu  schmücken;  sie  setzt,  wo  perlende  Passagen 
uns  melodisch  genug  schienen,  in  zwei  Vierteln  eine  Oberstimme 
auf,  die  wie  sehnsüchtiges  Streben  in  die  Höhe  ist.  Sie  hat  uns 
eine  höchste  Steigerung  aufgespart.  Der  Thomaskantor  muß  noch 
einmal  —  o  Schmach !  —  der  Erotik  Vorspanndienste  leisten.  Muß 
die   Perücke   abwerfen;   muß   das   Werk   des   Dichters  lächelnd  be- 


113 

trachten.  Die  Imitation  gleitet  in  Tristan-Harmonien  mit  hastigem 
Atem  vorüber.  Nicht  sogleich  findet  sich  die  Ruhe  ein.  Die  Sehn- 
sucht nach  dem  Klassizismus  besinnt  sich.  Ein  Unisono.  Es  ist 
zu  spät.  Der  Rest  von  Gotik  überzeugt  nicht  mehr.  Welch  eine 
Fülle  von  Ausdruck,  von  Anmut;  und  mit  wieviel  Meisterschaft 
sind  die  Bausteine  zusammengefügt! 

Der  Dichter  ist  aber  auch  wachsender  Ironiker.  Und  vielleicht 
bricht  diese  Note  in  keiner  der  späteren  Mazurkas  so  schneidend 
hervor  wie  in  der  ersten  Nummer  des  opus  56,  das  1844  erschien. 
Da  herrscht  ein  Stimmungschaos,  das  nur  die  Künstlerhand  zur  Ein- 
heit zwingen  konnte.  Er  hält  uns  in  Spannung;  er  nasführt  uns. 
Wie  lange  dauert  es,  ehe  wir  bei  H-dur  landen;  und  wie  heuch- 
lerisch-spielend  ist  der  Mittelteil,  der  uns  in  Es-,  dann  in  G-dur 
über  die  wahre  Stimmung  täuschen  möchte!  Das  bezaubernde  Klin- 
gen, in  das  sich  alles  löst,  und  durch  das  Brahms'  absteigende 
Sexten  zeitweilig  hindurchschimmern,  läuft  bei  aller  Weltlichkeit  nicht 
Gefahr,  ins  Salonhafte  zu  münden.  Da  ist  eine  begleitende,  kontra- 
punktierende Stimme,  die  alle  Philisterbedenken  zum  Schweigen 
bringt.  Wie  Philister  überhaupt  vor  dem,  was  nun  folgt,  kopf- 
schüttelnd stehen  werden.  Sind  wir  in  Nr.  2  nach  Masovien  zurück- 
gekehrt? Es  ist  Täuschung.  Die  Imitation  treibt  ihr  Wesen  wie- 
der. Sie  überwältigt  legatissimo  und  piano  auch  die  Derbheit.  Das 
Künstliche  überwuchert  im  dritten  so,  daß  selbst  die  gestaltende 
Meisterhand  versagt.  Aber  suchet,  und  ihr  werdet  des  Feinen  über- 
genug finden. 

Wo  musikalische  Inzucht,  obwohl  Edel-Inzucht,  herrscht,  ist  auch 
Erschöpfung.  So  mag  von  dem,  was  nun  kommt,  nicht  allzuviel  die 
Rede  sein.  Freilich:  nur  Chopin  konnte  selbst  erschöpft  Höhepunkte 
erklimmen,  wie  sie  sich  auch  in  diesem  1846  veröffentlichten  opus  59 
zeigen.  Im  ersten  Stück  reicht  der  Atem  nicht  aus;  im  zweiten  ist 
mehr  mondaine  Lust,  die  in  Übergängen,  Ausweichungen  graziös 
und  mit  höchster  Meisterschaft  spricht.  Im  dritten  gar  (fis-moll) 
ist  beneidenswerte  Vollendung.  Da  hat  ein  glücklicher  Moment 
einen  schönen,  entwicklungsfähigen  Gedanken  geboren,  und  der 
Künstler  hat  ihn  wieder  in  ein  klassisches  Gewand  gehüllt.  Da  spürt 
man  keine  Zuckungen,  die  Gegensätzliches  kühn  einander  entgegen- 
führen ;  die  Leidenschaft  besinnt  sich  auf  sich  selber,  und  die  Chro- 

Wcissmann,  Chopin  8 


114 

matik,  die  Mehrstimmigkeit,  die  Imitation  sind  des  Dichters  selbst- 
verständliche und  eigentümliche  Sprache  geworden.  Da  liegt,  in- 
mitten architektonischer  Pracht,  ein  kleines  Traumland,  Gefilde  der 
Seligen,  von  denen  der  Abschied  schwer  fällt.  Ja,  auch  im  op.  63 
vom  Jahre  1847,  das  nach  Chopins  Willen  sein  Schwanengesang  in 
dieser  Gattung  sein  sollte,  gibt  es  noch  ein  Erwachen  der  Frische. 
Drei  Stücke  sind's,  die  wieder  Sturm  gegen  alles  Herkommen  läuten. 
Ich  habe  mich  für  das  letzte,  durch  eine  ganz  herrliche  Engführung 
mit  Querstand  gekrönte  in  cis-moll  entschieden.  Hatte  Polen  je 
geahnt,  daß  sein  Geist  sich  so  klässisch-unklassisch  veredeln  ließe? 

Diese  Mazurka  durfte  nicht  als  Schwanengesang  gelten.  Man 
suchte  auch  andere  hervor.  Fontana  im  unedlen  Wettstreit  mit  Fran- 
chomme,  den  er  um  seinen  Platz  im  Herzen  Chopins  beneidete, 
ist  bei  seiner  Sammelarbeit  auch  auf  heimliche  Mazurken  geraten. 
Er  gab  sie  1855  heraus.  Sie  gehören  verschiedenen  Lebensaltern 
an.  In  opus  67  und  opus  68  faßte  er  sie  zu  je  vier  Nummern 
zusammen.  Sieben  andere  erschienen  ohne  Opuszahl.  Alle  haben 
sie  die  Familienähnlichkeit  für  sich  und  trüben  das  Bild  des  Mei- 
sters nicht. 

„Kanonen  unter  Blumen  eingesenkt",  nannte  Schümann  Cho- 
pins Werke.  Die  Mazurken  bestätigen  laut  dieses  verständnisvolle 
Wort  des  Mitromantikers.  Sie  enthüllen  des  Meisters  Kern.  Sie 
sind  eine  begeisterte  halböffentliche  Huldigung  an  die  rhythmische 
Unrhythmik  des  Rubato.  Sie  stellten  die  Welt  vor  Rätsel,  die  dem 
Theoretiker  von  heute  kaum  lösbar  scheinen.  Sie  betonten  die  Na- 
tionalität zuweilen  konventionell,  meist  aber  mit  einer  Schärfe,  die 
ihnen  den  Weg  zur  genießenden  Mitwelt  zu  sperren  schien.  Aber 
sie  erreichten  das  schier  Unmögliche,  die  Überbrückung  der  Gegen- 
sätze durch  kühnste  Kreuzung  der  Harmonien  und  Rhythmen  mit 
der  westeuropäischen  Kultur  eines  Höchstkultivierten.  Ein  solches 
Schauspiel'  ward  noch  nie  gesehen.  Es  war  ein  Triumph  der  Fein- 
nervigkeit;  ein  glänzender  Epilog  auf  das  gestorbene  Polen,  ein 
bahnbrechendes  Eintreten  für  den  Kunstwert  osteuropäischen  Kolorits. 

Jubeln  wir  aber  nicht  zu  laut.  Die  Mazurken  genießen  den 
Weltruhm ;  doch  sie  werden  nur  von  wenigen  verstanden,  emp- 
funden. Die  Landsleute  sangen  sie;  eine  Viardot,  eine  Sembrich 
taten  als  Künstlerinnen  desgleichen.    Wen  sie  nicht  berauschen,  der 


115 

lasse  die  Hand  von  ihnen.  Man  schleppe  diese  bescheidenen  Revo- 
lutionäre, diese  Kinder  des  Dichters,  sie  vor  allem  nicht,  in  die 
weiten  Säle.  Sie  verlieren  den  Atem.  Ihre  Lungenkraft  versagt, 
wenn  sie  zur  Masse  sprechen  sollen. 


Wir  haben  nun  tausend  schlimme  Erinnerungen  zu  bannen.  Wir 
denken  an  stümpernde  Oberflächlichkeit,  an  peinliche  Bürgerstuben- 
trivialität; an  geöffnete  Fenster,  die  uns  vom  Pedal  zum  Tonbrei 
entstellte  Melodiefetzen  zutrugen.  Wir  sind  beim  Walzer.  Der  Wal- 
zer von  Chopin  ist  musikalischer  Ausbeutungsgegenstand  geworden. 
Er  hat  dem  Meister  die  Volkstümlichkeit  geschaffen.  In  Deutsch- 
land vor  allem.  Die  Gründe  scheinen  klar.  Dieser  Tanz  an  sich 
führt  hier  ein  fast  selbstherrliches  Dasein.  Der  geistreichen,  den 
Wallungen  des  Blutes  mehr  ausgesetzten  Polin  liegt  die  pikantere 
Mazurka  in  den  Gliedern ;  der  phlegmatischeren,  gemütvolleren,  mehr 
hausmütterlichen  Deutschen  der  gemessenere  Walzer.  Der  slawi- 
sche Einschlag  hat  auch  bei  uns  manche  Wandlung,  manche  Spiel- 
art hervorgerufen.  Aber  der  Grundcharakter  verwischt  sich  nicht. 
Er  erhält  sich  selbst  in  übelduftenden  Tanzsälen,  wo  die  Instinkte 
die  lebendige,  stimmungzeugende  Unterströmung  bedeuten. 

Kein  Zweifel,  daß  Chopin  auch  in  seinem  Walzer  nicht  zur  ge- 
meinen Menge  hinabsteigt.  Aber  die  Mazurka  hemmt  ihm  den  Flug 
der  Phantasie.  Diese  entzündet  sich  nicht  mehr  an  übermäßigen 
Quarten  und  Sekunden,  an  großen  Septimen,  aber  sie  bleibt  am 
Rhythmus  hängen  und  wendet  wohl  einmal  sehnsüchtig  den  Blick 
nach  der  lebenspendenden  Heimat  zurück.  Was  er  vom  Franzosen- 
tum  ererbt  hat,  gleitet  nun  in  die  Form  hinein.  Der  französische 
Salon,  in  dem  er  heimisch  ist,  stimmt  ihn  zur  Lebenslust.  Noch 
ist  er  der  Träumer,  der  in  das  Gewühl  sinnend  hineinschaut;  aber 
diese  eleganten,  in  ihrer  zur  zweiten  Natur  gewordenen  Künstlich- 
keit sich  wiegenden  französischen  Frauen  machen  ihn  einen  Augen- 
blick seinen   Idealen  abwendig. 

Trotzdem  bekehrt  er  sich  noch  nicht  zu  den  Allerweltsidealen ; 
aber  sie  bekehren  sich  zu  ihm.  Paris  hat  seinen  Nimbus.  Es  streckt 
seine  Fühler  bis  in  die  geringste  Bürgerstube  aus,  wo  es  die  Sehn- 

8* 


116 

sucht  nach  dem  Salon  weckt.  Der  Spießbürger  braucht  nicht  mehr 
vor  der  Scheidewand  einer  fremdartigen  Harmonik  zurückzuschrecken. 
Und  die  klavierspielende  Frau  sieht  hier  ihre  linke  Hand,  die  ihren 
Überschwang  im  Klassischen  ein  wenig  zügelte,  von  der  allzu  tätigen 
Mitarbeit  entlastet.  Das  Einfach-Akkordliche  wird  liebevoll  mit  dem 
Pedal  gedeckt.  Der  Halbfranzose  Chopin,  wir  merkten  es  schon, 
ein  Freund  der  B-Tonarten,  läßt  sich  am  liebsten  von  As-dur  ein- 
fangen, sobald  der  Salon  ihn  ruft.  Das  geschah  auch  in  jenen  Ma- 
zurken,  die  dem  wehmütigen  Unterton  nur  flüchtigen  Unterschlupf 
gewährten.  Im  Walzer  ist  As-dur  Königin ;  sie  thront  in  dreien, 
unter  denen  zwei  den  Ruhm  des  Meisters  laut  künden :  in  op.  34,  1 
und  op.  42;  in  dem  geringeren  op.  64,  3.  Auch  ihr  melancholisches 
Widerspiel  f-moll  erscheint,  phantasiebeflügelnd :  in  op.  69,  1  und 
in  dem  schwächeren  op.  70,  2.  Das  benachbarte  Des-dur  hat  ein 
leichtbeschwingtes  Kind  geboren:  op.  64  Nr.  1.  Es-dur  kann  sich 
einer  größeren  Nummer  op.  18  rühmen,  und  im  ferneren  Ges-dur  er- 
klingen op.  70,  1  und  op.  70  Nr.  3.  Schleicht  sich  die  Wehmut 
auch  in  diese  Form  ein,  dann  gibt  es  einen  Walzer  in  a-moll  op.  34 
Nr.  2,  einen  in  cis-moll  op.  64  Nr.  2,  einen  in  h-moll  op.  69  Nr.  2 
und   schließlich    ein   nummerloses  ceuvre   posthume   in   e-moll. 

Die  Dominante  tastet  sich  vorwärts.  Wird  das  nun  eine  Mazurka 
oder  ein  Walzer?  Es  wird  die  (1834  veröffentlichte)  grande  Valse 
brillante  op.  18:  einen  ganzen  Satz  hindurch  währt  die  Unsicherheit; 
dann  fällt  die  Entscheidung.  Das  scheint  undurchkreuzte  Jugendlust. 
Wer  will,  kann  aus  der  wiederkehrenden  Eintastenpassage  das  Schnat- 
tern der  Salongänschen  heraushören.  Aber  der  Karikaturist  wird 
liebenswürdiger.  In-  Des-dur  verbeugt  er  sich  graziös,  nicht  ohne 
ein  leises  Lächeln  über  die  beredten  Mündchen.  Doch  seine  Liebens- 
würdigkeit steigert  sich  bis  zu  stärkerem  Mitempfinden.  Er  spricht 
„con  anima".  Hier  in  diesen  Mittelsätzen  verrät  er  sich.  Und  die 
koketten  Vorschläge,  die  sich  nun  halb  ironisch  an  dem  nächsten 
Thema  emporwinden,  bis  sie  sich  chromatisch  wieder  zu  dem  leisen 
Bekenntnis  hinabsenken,  können  nur  das  Werk  eines  Genies  sein. 
Selbst  die  Schwermut  läßt  sich  nicht  bis  zu  völliger  Undurchsichtig- 
keit  niederkämpfen.  In  einer  Ges-dur-Episode  erscheint  sie  wie  durch 
einen  Schleier,  in  ihrer  vollendeten  Anmut.  Doch  die  Schatten  ent- 
fliehen;  Salongänschengeschnatter,   Ironie,   Koketterie  und  der   Ein- 


117 

gangsrhythmus  vertragen  sich  und  streben  in  holdem  Verein  dem  har- 
monischen, allzu  harmonischen  Ende  zu. 

Von  den  drei  Walzern  des  op.  34,  die  im  Jahre  1838  erschienen, 
ist  Nummer  1  ein  Treffer.  Ein  lautes  Pochen ;  dann  spielt  auch 
schon  die  Vorliebe  für  den  Septimenakkord  in  das  Passagenwesen 
hinein.  Sie  ist  bis  in  seine  tiefsten  Werke  hinein  zu  verfolgen.  Diese 
gebrochenen  Septimen,  die  in  weitem  Bogen  auf  und  ab  jagen, 
haben  Spannung,  Stimmung  und  Eleganz.  Hier  im  Ballsaal  löst  sich 
ihr  Rätsel  sofort.  Der  Wohlklang  feiert;  über  zwei  Takte  hinweg 
erstreckt  sich  das  Ornament.  Aber  auch  die  Hemmungen  des  Wal- 
zers treten  auf.  Wo  er  ins  Punktierte  hineingerät,  wird  er  von  einer 
zögernden,  unbeholfenen  Unbeweglichkeit.  Die  Melancholie  ist  hier 
die  Retterin.  Und  glücklicherweise  ruht  in  der  Brillanz  des  Haupt- 
themas ein  Schatz,  der  nur  von  einem  Könner  gehoben  zu  werden 
braucht.  Die  jauchzende  Passagenseligkeit,  die  zu  einem  geistreichen 
Spiel  mit  Bruchstücken,  zu  einem  leisen  Verklingen  führt,  gibt  den 
befriedigenden  Abschluß. 

Den  a-moll-Walzer  liebte  Chopin  sehr.  Die  patriotische  Sehnsucht 
zeugt  die  Liebe;  aber  von  der  Höhe  des  Weltruhmes  betrachtet, 
versinkt  dieses  Stück.  Die  Schwermut,  die  sich  wohl  auch  in  Sep- 
tolen  gegen  den  Rhythmus  vergißt,  ist  hier  des  genialen  Aufschwungs 
unfähig.  Ein  leichtes,  anmutiges  Modulieren  steht  dem  aufrühre- 
rischen Mazurkenkomponisten  nicht  gut  zu  Gesicht.  Die  klagenden 
Cellopassagen,  die  eine  letzte  Rückkehr  des  Leidmotivs  anbahnen, 
betonen  nur  den  weibischen  Charakter  des  ungeübten  Händen  dop- 
pelt willkommenen  Walzers.  Aber  Chopin  rafft  sich  auf.  So  sehr, 
daß  nun  die  nächste  und  letzte  Nummer  von  op.  34  fast  poesielos, 
hart  klingt.  Wir  sind  in  F-dur.  Leere  Passagen  winden  sich  zweck- 
los über  drei  Oktaven.  Sollte  die  platte  Banalität  sich  in  den  vor- 
nehmen Ballsaal  verirrt  haben?  Die  Seele  des  Dichters  müht  sich 
mit  halbem  Gelingen,  sie  in  seine  Welt  zu  übertragen ;  selbst  die 
Kraft  zu  erobernder  Koketterie  versagt. 

Ein  langer,  langer  Triller  rüttelt  uns  auf.  Opus  42,  ein  Gewinn 
des  Jahres  1840.  Das  Signal  hat  nicht  getrogen.  Wie  zärtlich 
schmiegt  sich  hier  der  Mann  an  das  Weib!  Er  gewichtiger  in  takt- 
widrigen Vierteln,  sie  beschwingter  in  halb  entschlüpfenden  Achteln. 
In  voller  Freiheit  schweben  sie  dahin.   Wieder  tauchen  die  gebroche- 


HS 

nen  Septimenakkorde  auf;  es  ist  ein  ununterbrochenes  Schwärmen 
und  Sichvviegen.  Kaum  gönnt  man  sich  eine  kurze,  durch  gewinnen- 
des Plaudern  angefüllte  Pause;  und  wieder  werden  die  Körper  ge- 
hoben, getragen.  Sie  ruhen  noch  einmal.  Die  Bitten  werden  dring- 
licher, energischer.  Neues  Entschweben.  Der  Dichter  spricht.  Die 
Stimmung  springt  auf  ihn  über.  Seine  Schwermut  lächelt.  Er  wird 
der  wahre  Eroberer.     In  jubelnden  Passagen  klingt  das  Stück  aus. 

George  Sand  durfte  viel  fordern.  Sie  durfte  auch  einen  Walzer 
fordern.  Sie  hatte,  erzählt  man,  einen  kleinen  Hund,  der  den  eigenen 
Schwanz  zu  erhaschen  suchte.  Als  er  eines  Abends  seine  unterhal- 
tenden Sprünge  machte,  sollte  er  nach  der  Freundin  Wunsch  auch 
als  begeisternde  Muse  auf  die  Nachwelt  kommen.  So  entstand  der 
Valse  au  petit  chien  in  Des-dur  op.  Nr.  1,  mit  zwei  Genossen  im 
Jahr  1847  erschienen.  Die  Tradition  hat  ihn  zum  Minutenwalzer 
erniedrigt,  an  dem  nun  die  Finger  von  Unberufenen  ihr  Vernich- 
tungswerk  beginnen  durften.  Er  verdient  ein  besseres  Schicksal.  Die 
Phantasie  kann  die  Sprünge  des  reizenden  Hündchens  wiedererken- 
nen :  die  Passagen  sind  duftig,  entzückend.  Und  das  zärtliche  Inter- 
mezzo läßt  dem  Gefühl  soviel  Spielraum,  wie  nötig  ist,  um  über 
einen  zögernden  Triller  hinweg  zu  den  spielerischen  Krümmungen 
zurückzukehren.  Das  Charmante  dem  Charmanten:  der  Gräfin  Del- 
phine Potocka  gehört  dieses  Opus  zu  eigen. 

Bisher  war  in  den  Walzern  dem  Slawischen  nur  ein  bescheide- 
ner Tribut  gezahlt  worden.  Die  großen  Nummern  stammten  aus 
dem  Pariser  Salon.  Es  schien,  als  dürfte  Chopins  Inneres  sich  in 
dieser  seiner  Afterform  der  Mazurka  ohne  Entweihung  nicht  ent- 
hüllen. Aber  einmal  sollte  sich  auch  hier  die  Sehnsucht  künstlerisch 
voll  ausleben.  Der  Walzer  op.  64  Nr.  2  in  cis-moll  ist  auch  ohne 
jähen  Stimmungswechsel  ein  schillernder  Edelstein.  Die  Schwer- 
mut lähmt  zwar  den  Willen  zur  Entwicklung;  müde  setzt  der  Meister 
den  ersten  Satz  mit  den  langsamen,  im  Halbtonschritt  schleichenden 
Passagen  neben  den  zweiten  mit  seinen  sanften  Bögen,  setzt  ihn  nach 
einer  nur  schwach  tröstenden,  fast  noch  schwermütigeren  Episode 
noch  einmal  hin  und  —  gibt  ein  da  capo  des  ersten  und  des  zweiten 
Satzes.  Es  ist  ein  starres  Hinbrüten,  das  monomanische  Wiederholen 
eines  Wortes,  im  Leben  unerträglich,  krankhaft  und  menschenfeind- 
lich;  in   der  Kunst,  Ausdruck  geworden,   hat  es   eine  höhere  Sen- 


110 

düng  erfüllt.  Nicht  die  höchste.  Aber  die  Erschöpfung  dringt  auch 
in  die  leichtere  Salonform.  Unser  Meister,  der  sich  überreizt  gegen 
die  bunte  Welt  absperrte,  konnte  nun  auch  den  gefälligen  Plauderton 
nicht  mehr  aufbringen.  Das  Leiden  unterbindet  die  Oberflächlichkeit. 
Er  wendet  sich  in  op.  64  Nr.  3  an  die  Königin  As-dur;  sie  spendet 
ihm  nur  Phrasen,  weil  er  ihr  nicht  von  Herzen  huldigt.  Diese 
Phrasen  laufen  nun  auf  Stelzen,  wenn  auch  wohlklingend  weiter, 
haschen  nach  allen  Mitteln,  sich  gefällig  zu  erweisen,  bedienen  sich 
einer  andern  Tonart,  versuchen  es  in  allen  Stimmungen.  Umsonst; 
sie  überzeugen  nicht  —  sie  sagen  nur,  daß  ein  Auserwählter  sich 
vornehm   herabließ. 

Chopins  Härte  gegen  sich  selbst  reichte  nicht  so  weit,  hier  zu 
verdammen.  Künstlich  geworden,  liebte  er  die  Künstlichkeit.  Aber 
war  er  nicht  zu  hart  gegen  einige  seiner  als  Waisen  zurückgelassenen 
Walzerkinder?  So  gegen  das  in  f-moll  op.  69  Nr.  1,  dessen  An- 
spruchslosigkeit gefällt,  gegen  das  in  Qes-dur  op.  70  Nr.  1,  das  es 
an  Anmut  und  Ideen  mit  manchem  legitimen  aufnehmen  könnte; 
und  selbst  gegen  das  in  e-moll,  das  er  vielleicht  in  ruhigerer  Stunde 
mit  den  Reizen  eines  klingenderen  Klaviersatzes  hätte  ausstatten 
müssen,  um  es  für  den  Wettbewerb  mit  den  übrigen  zu  stählen  ?  Die 
übrigen  mit  und  ohne  Opuszahl  seien  vergessen.  Die  Unsterblich- 
keit ist  weder  mit  ihnen  noch  mit  den  glücklicheren  Sprößlingen 
dieser  Familie  verknüpft. 


Ein  anderes,  buntes,  glänzendes  Bild:  Der  polnische  Wojwode 
im  Nationalkostüm,  die  Mütze  mit  der  stolzen,  wippenden  Reiher- 
feder geschmückt,  um  die  Hüften  den  blitzenden  Gürtel,  schreitet 
in  roten  Stiefeln  gravitätisch  dahin.  Er  schlägt  die  Ärmelstulpen 
zurück,  streicht  seinen  Schnurrbart,  reicht  der  Edeldame  die  Hand. 
Er  sucht  mit  ihr  zu  entweichen,  andere  folgen  ihm;  läßt  die  Neben- 
buhler an  sich  passieren,  durchbricht  ihre  Reihen.  Denn  er  ist 
Führer.  Da  ruft  ein  Kühner  laut  in  den  Saal  hinein ;  er  entthront  den 
Herrscher,  entführt  ihm  von  Rechts  wegen  die  vornehmste  der  Tän- 
zerinnen.   Auch   ihm  kann   es   ergehen   wie  dem  eben   Entthronten. 


120 

Aber  er  entwaffnet  einen  neuen  Aufrührer,  indem  er  den  Tanz  auflöst. 
Es  ist  die  Idealpolonäse  mit  ihrer  Ritterlichkeit,  mit  ihrer  Würde, 
ihrem  Prunk,  ihrer  Farbenpracht  und  mit  ihrem  Hang  zur  Gesetzlosig- 
keit, lebendig  geschildert  von  dem  polnischen  Dichter  Mickiewicz  in 
seinem  Epos  „Pan  Tadeusz",  phantastisch  nachgedichtet  von  Liszt 
Größe  und  Verfall  des  polnischen  Staates  zeichnen  sich  in  ihrem 
Lebensweg  nach.  Wie  stolz  mag  das  Schreiten  der  Edlen  gewesen 
sein,  als  sie  —  so  nimmt  man  an  —  zum  erstenmal  1574  in  solchem 
feierlichen  Umzug  Heinrich  von  Anjou  nach  der  Thronbesteigung 
huldigten!  Und  wie  krampfhaft  mußte  sich  die  Polonäse  zur  Würde 
zwingen,  als  eben  die  für  sie  charakteristische  Gesetzlosigkeit  Polen 
in  Stücke  schlug,  die  nun  minder  schwärmerischen  Nachbarn  zu- 
fielen !  In  jenen  Tagen  suchten  die  Kosciuszko-,  die  Oginski-Polonäse 
zu  befreiender  Tat  zu  entflammen.  Aber  schon  war  dieser  Tasnz 
weltbürgerlich  geworden  wie  das  Reich,  dem  er  entstammt  war, 
in  den  europäischen  Staatenbau  einzugehen  drohte.  Sein  Weltbürger- 
tum, das  in  Weber  einen  tatkräftigen,  stimmungsvollen  Fürsprecher 
fand,  hatte  ihn  für  den  inneren  Verfall  trösten  müssen.  Musikalisch 
gewachsen,  war  die  Polonäse  doch  zu  einer  inhaltslosen  Formel,  zu 
einer  grande  promenade  herabgesunken. 

Gewiß,  Leidenschaft  hatte  sie  nie  geatmet.  Sie  war  stets  der 
Tanz  der  reifen  Männer,  nie  der  einer  stürmischen  Jugend  gewesen. 
Der  Mann  auf  der  Höhe  des  Lebens  gewann  in  ihr  zurück,  was  die 
Mazurka  seinem  Geschlecht  genommen  hatte.  In  ihr  verbildlichte 
er  sich  selbst  als  die  kraftvolle  Stütze  des  Staates;  das  Martialische 
jubelte.  Aber  selbst  hier  war  der  Riß,  der  durch  diese  Menschen 
ging,  nicht  zu  verdecken.  Diese  Männlichkeit  hatte  Nerven ;  sie 
konnte  helden-,  aber  auch  wankelmütig  sein.  Sie  beugte  sich  schließ- 
lich ritterlich  vor  der  Frau  als  der  wahren  Herrscherin. 

Und  wieder  hat  Chopin  versunkener  Herrlichkeit  einen  Epilog 
gedichtet.  Seine  Polonäse  wurde  ein  für  die  große  Welt  be- 
stimmtes politisches  Bekenntnis,  wie  die  Mazurken  sein  Polen- 
elend intimer  aussprechen.  Dort  wollte  er  als  Mann  hinausschreien, 
was  er  sich  hier  als  Nervenmensch  tagebuchmäßig  von  der  Seele 
geschrieben  hatte.  Er  wollte  es.  Wir  kennen  seine  Vergangen- 
heit als  politisches  Wesen.  Seine  Nerven,  die  eines  Künstlers,  hatten 
das  Übergewicht;  sein  Wille  war  gebrochen;  sein  Unbewußtes  war 


121 

so  stark,  daß  es  wohl  Reflexbewegungen,  nicht  aber  Taten  gestattete. 
Man  hatte  ihn  vom  Schauplatz  der  Kämpfe  entfernt,  weil  er  selbst 
in  dieser  von  Wallungen  bis  zur  Entschlußunfähigkeit  zermürbten 
Umgebung  ein  Hemmschuh  gewesen  wäre.  Die  Polen  durften  auf  ihn 
als  ihren  Tvrtäus  rechnen;  einen  ewigen  Tyrtäus,  der  zwar  nicht  ih- 
ren Mannesmut.  aber  ihre  kunstfreundlichen  Nerven  aufrütteln  konnte. 

Es  scheint  nun  einen  Augenblick  seltsam,  daß  der  allem  Stoff- 
lichen abgewandte  Tondichter  sich  von  gravitätisch  im  National- 
kostüm einherschreitenden  polnischen  Rittern,  von  kampflustigen 
und  kampftüchtigen  Revolutionären  zu  künstlerischer  Tat  begeistern 
läßt.  Wird  das  Undramatische  und  das  Unmännliche  in  ihm  sich 
gegen  diese  Art  Tondichtung  nicht  wehren  ?  Ja,  aber  es  wird  nun 
doppelt  reizvoll  sein  zu  sehen,  wie  die  leidenschaftslose  Würde  der 
Urpolonäse  hier  ins  Lyrische  oder  ins  Hysterische  abbiegt,  oder, 
wo  sie  es  nicht  will,  die  charakteristischen  Züge  des  Meisters  unter- 
gräbt. Schwer  gepanzert,  pomphaft  ausgerüstet,  die  Klaviatur  er- 
schütternd ziehen  diese  Tongemälde  vorüber;  dann  wollen  sie,  in  den 
Wirkungsbereich  des  Orchesters  übergreifend,  Liszts  dramatische, 
demagogische  Tastensprache  dem  Eigenwesen  entsprechend  über- 
nehmen. Oder  sie  bieten  im  neuen  Rhythmus  alle  Reize  der  auf- 
rührerischen Stimmungschromatik  und  feinen  Klangfreudigkeit  auf 
und  vergessen  das  politische  Bekenntnis  über  wehmütigen  Träumen. 
Im  neuen  Rhythmus.  Denn  dieser  ihm  neue  wird  von  ihm  selbst 
nun  wieder  erneut,  seine  auf  dem  zweiten  Viertel  betonte  Dreiviertel- 
bewegung zur   Mannigfaltigkeit  gezwungen. 

In  Antonin  beim  Fürsten  Radziwill  ist  1829  op.  3,  Introduktion 
und  Polonäse  für  Klavier  und  Cello  in  C-dur,  komponiert,  im  Jahre 
1833  veröffentlicht  worden.  Hier,  umgeben  von  den  ihn  verhät- 
schelnden Damen,  hat  Jung-Chopin  noch  keine  politischen  Sorgen. 
Er  will  sich  angenehm  machen.  Da  schwelgt  er  in  der  unproble- 
matischsten aller  Tonarten  auf  die  unproblematischste  Weise  in  Hum- 
melscher Passagenplauderei.  Der  neckische,  dem  Klavierspieler  sehr 
willkommene  Wechsel  zwischen  Terzen  und  einfachen  Noten,  eine 
Dreiklangbegeisterung  mit  mäßig  aufregenden  Halbtönen,  ein  zu- 
weilen unterbrochenes  Unisono  sind  die  Requisiten  des  Salonkom- 
ponisten. Auch  in  der  Es-dur-Polonäse  op.  22  (Grande  Polonaise 
precedee  d'un  Andante  spianato  mit  Orchester)  scheinen  die  Sorgen 


122 

nicht  eben  drückend.  Zunächst  in  einem  nocturneartigen  Satz  er- 
leben wir  etwas  bei  Chopin  recht  Seltenes:  seine  Träume  sind  vom 
Albdruck  nicht  gestört.  In  lieblichem  G-dur-Sechsachteltakt,  mit  der 
einfachsten,  nur  kühner  geschwungenen  Begleitung,  mit  kleinen  Ver- 
zierungen fließt  es  dahin.  Wo  es  aber  nicht  fließt,  im  Mittelsatz, 
spricht  es  im  Dreivierteltakt  mit  innigster  Befriedigung  „semplice" 
und  bekräftigt  es  in  der  Schlußwendung.  Der  Übergang  zur  Polo- 
näse vollzieht  sich  mit  einem  allzu  plötzlichen  Ruck,  den  sich  der 
Klavierkomponist  nicht  verzeihen  würde.  Aber  das  Tutti  des  Or- 
chesters läßt  ihn  zu  den  leersten  Wendungen  greifen.  Leere  Phrasen 
fehlen  zwar  auch  in  der  nun  folgenden  Polonäse  nicht.  Doch  der 
Hummelschüler  ist  noch  koketter,  selbstbewußter  geworden.  Die 
B-Tonart  steigert  seine  Überredungskraft,  er  tänzelt  in  völliger  rhyth- 
mischer Freiheit  vor  der  holden  Weiblichkeit,  spendet  freigebig 
Schmuck  als  Selbstzweck,  unterstützt  den  Wohlklang  der  Rede  mit 
Terzengängen,  mit  zweistimmigem  Triller,  mit  Oktavenschritten  und 
wäre  überhaupt  nur  ein  Phraseur,  wenn  nicht  zwei  Episoden  einen 
Schatten  von  Schwermut  vorüberhuschen  ließen.  Doch  sie  soll  ihn 
nur  interessanter,  unterhaltender  machen;  sie  soll  seine  Rede  nur 
würzen.  Und  sie  tut  es  so  sehr,  daß  dieses  Stück,  ohne  aufzurühren, 
den  Frauen,  denen  es  gehört,  ein  wahrer  Freudenspender  ist.  Chopin 
spielte  es  1835  in  einem  Habeneck-Konzert,  1836  erschien  es.  Seine 
Geburtsstunde  liegt  gewiß  weit  zurück.  Xaver  Scharwenka  versuchte 
das  Orchester  minder  überflüssig  zu  machen,  als  es  ist.  Es  gelang 
ihm  nicht. 

Cis-moll  —  op.  26.  Der  Nervenmensch  spricht.  Er  versetzt 
dem  Rhythmus  einen  Stoß,  wandelt  Heldenmut  in  zuckendes  Sich- 
aufraffen. Er  nimmt  nach  einem  Aufschrei  einen  neuen  Ansatz;  zur 
Männlichkeit,  gerät  aber  ins  Empfindsame.  Leiser  Groll,  der  sich 
bis  zum  Zorn  steigert,  dann  aber  wieder  zurücksinkt,  in  E-dur  beim 
Weibe  verraucht.  Sie  tröstet  den  Dichter  auch  in  einem  Des-dur- 
Satz,  der  nun  mit  seiner  wohlklingenden  Dreistimmigkeit,  mit  seinem 
reichen  Modulieren,  mit  seinen  ausdrucksvollen  Baßpassagen  auch 
das  Scheinheldentum  im  Sybaritismus  enden  läßt.  Aber  diese  Polo- 
näse, 1836  veröffentlicht,  ist  ein  echter  Chopin.  Wie  die  folgende 
in  es-moll,  die  mit  ihr  ein  Paar  bildet.  Sie  hat  zwar  mehr  Haltung; 
sie  umgibt  das  Feminine  mit  dem  Wall  einer  Form;  aber  der  Bau 


19' 


zeigt  doch  einige  Risse.  Interjektionen  leiten  leise,  doch  vielsagend 
ein.  Eine  rhythmische  Figur,  ein  betontes  Achtel,  das  zwei  Sech- 
zehntel hinter  sich  herzieht,  sorgt  nun  wieder  für  die  heroische 
Pose.  Sie  wird  nicht  überall  gewahrt.  Der  Oes-Aufschrei  zeigt,  daß 
die  staatliche  Ordnung  von  solchem  Aufruhr  nichts  zu  fürchten  hat. 
Und  das  Des-dur-Pianissimo,  bald  enharmonisch  wachsend,  kann,  so 
reizvoll  der  Aufstieg  über  A-dur  nach  F-dur  zu  dem  erneuten  und 
von  der  heroischen  Figur  unterstützten  Ges-Schrei  auch  sein  mag. 
den  Verdacht  nicht  beseitigen,  als  scheiterte  hier  der  Tyrannen- 
sturz  an  der  Ohnmacht  des  Willens.  Der  Stimmungswechsel  in 
H-dur  meldet  nun  ganz  freimütig,  daß  der  Lyrismus  den  Helden  ge- 
schwächt hat.  Er  sucht  zwar  mit  einigen  Takten  das  Revolutionäre 
in  sich  zu  entfachen.  Er  wirft  sich  noch  einmal  in  die  Brust.  Aber 
seine  Kraft  bricht  sich  am  eigenen  Dämon.  In  Zuckungen,  in  un- 
vermitteltem Tempowechsel,  in  Fermaten,  im  ff-Sichaufbäumen  und 
im  pp-,  ja  ppp-Zusammensinken  bekennt  er  seine  Gebrochenheit, 
seine  Unzulänglichkeit. 

Doch  in  der  A-dur-Polonäse  op.  40  Nr.  1,  mit  der  folgenden 
c-moll  im  Jahre  1840  erschienen,  tritt  der  Held  auf,  wie  Polen  ihn 
ersehnt.  Auch  die  unproblematischen  Wesen,  die  nach  Vorwänden 
zur  Befriedigung  der  Kraftmeierei  suchen.  Leider  muß  ich  nun  ge- 
stehen, daß  dieser  Chopin  mir  meine  Wünsche  durchkreuzt.  Alles 
drängt  nach  dem  Martialischen:  A-dur,  die  helle,  grelle,  fanfaren- 
gleiche Tonart  lenkt  die  Phantasie  auf  sehr  Materielles  hin.  Die 
Überlieferung  schwankt,  ob  diese  oder  die  As-dur-Polonäse  ihn  selbst 
durch  die  Vision,  die  sie  heraufbeschwur,  wie  ein  Schreckgespenst 
aus  dem  Zimmer  gejagt  hat.  Mir  scheint,  es  kann  nur  diese  sein. 
Sie  hat  namentlich  in  den  letzten  Takten  den  würdigen,  gemessenen 
Polonäsenrhythmus,  sie  bringt  Fanfarenlärm  und  Trommelwirbel,  sie 
dröhnt  uns  in  den  Ohren.  Von  selbst  steigen  die  Gestalten  der 
Ritter  und  Edelfrauen  auf,  von  selbst  hebt  sich  der  Vorhang,  hinter 
dem  das  Schaugepräge  polnischer  Umzüge  erscheint.  Auf  den  von 
Chopin  verwöhnten  Klangsinn  dringen  die  harten  Cis-Oktaven  mit 
schneidender  Schärfe  ein.  Es  ist  wie  ein  Blitzen  von  Klingen.  Und 
man  hat  Mühe,  mit  dem  Blick  auf  ein  wenig  reichere  Modulationen, 
auf  kühn  auseinanderstrebende  Oktavengänge  zu  dem  Chopin,  den 
man  liebt,  zurückzukehren. 


124 

Der  aber  läßt  nicht  auf  sich  warten.  Der  Quartsextakkord  des 
e-moll-Dreiklangs  tritt  mit  verdoppeltem  Grundton  in  schweren 
Achteln  auf.  Das  Schicksal  singt  in  den  Bässen  die  traurige  Melodie 
dazu.  Wir  wissen:  jenem  Heroismus  ist  ein  um  so  stärkerer  Zu- 
sammenbruch gefolgt.  Jedoch  klingt  es  jetzt  lange  wie  stille  Re- 
signation; und  mag  auch  eine  Oberstimme  zuweilen  klagend  hinzu- 
treten, der  majestätische  Schritt  wird  nicht  gestört.  Erst  im  Nach- 
satz verdrängt  das  schmerzliche  Gefühl  des  Rückschauenden  die 
scheinbare  Ergebung.  Doch  nur  drei  Takte  währt  der  Helden- 
krampf; dann  umfängt  uns  ein  Halbschatten,  von  dem  noch  die 
seltsamen  Farben  sich  abheben;  die  Geister,  die  er  vorhin  rief, 
sprechen  nun  selbst  Trostesworte.  Das  Halbdunkel  dauert  an,  aber 
der  düstere  Ton  weicht  dem  helleren:  G-dur;  und  über  dem  Orgel- 
punkt schwebt  die  Geistermelodie,  von  den  Männern,  von  den  Frauen 
gesungen.  Dann  huschen  sie  davon:  in  Sechzehntelpaaren,  die  Takt 
an  Takt,  Taktteil  an  Taktteil  knüpfen.  Es  ist  Klangzauber,  der  die 
verflossene  A-dur-Derbheit  vergessen  machen  möchte.  Aber  noch 
tröstlicher  ist,  was  nach  der  wiederholten  Schicksalsmelodie  eintritt: 
eine  rührende  As-dur-Kantilene,  durchbrochen  von  einem  pp  auf- 
tretenden heroischen  Motiv,  das  nun  in  benachbarten  Halbtönen 
seinen  Tatendrang  niederzwingen  muß.  Ein  Durchgangs-C-dur,  das 
wie  die  Morgenröte  nach  der  Geisterstunde  ist,  führt  zum  erstenmal 
eine  jener  schön  geschwungenen,  singenden  Baßpassagen  mit  sich, 
die  sich  allmählich  zu  einer  Reihe  zusammenschließen:  eines  der 
schönsten  Beispiele  für  die  Freiheit  und  Durchsichtigkeit  des  mehr- 
stimmigen Satzes,  wie  sie  noch  nie  durch  die  Welt  geklungen.  Und 
das  Ende  ist  grandios :  das  Schicksal  predigt  noch  einmal  Ergebung, 
aber  diesem  Ruf  mischt  sich  eine  Klage,  wie  sie  nur  aus  dem  Munde 
von  Helden  kommen  kann.    Polen  ist  zu  Grabe  getragen. 

War  hier  bei  allem  Schmerz  Würde,  die  sich  in  ruhigerer  Ent- 
wickelung  aussprach,  so  geht  es  durch  die  nun  folgende,  im  Jahre 
1841  erschienene  fis-moll-Polonäse  wie  ein  Fieber,  wie  die  stärkste 
Auflehnung  gegen  das  Geschick.  Der  Aufschrei  wird  formbildend. 
Der  Albdruck  gibt  Stimmung  und  Farbe.  Uferlos  strömt  die  Emp- 
findung dahin.  Die  Triolenfigur,  die  in  rasendem  Schritt,  außer 
Atem,  im  Unisono  bei  einem  schwungvoll  vorbereiteten  ff  anlangt, 
sagt  genug.     Der  Klaviersatz  zeigt  die  Spuren  der  seelischen  Ver- 


125 

wüstung.  Es  ist  etwas  Gärendes  in  ihm.  Eben  sausen  unter  einer 
Oktavenskala  schwer  und  unbeholfen  Dominant-Sechzehntel  auf  die 
Tasten  nieder,  und  im  nächsten  Takt  schon  erzählt  eine  klingende 
Dreistimmigkeit  von  dem  König  der  Klavierkomponisten.  Die  Ver- 
schwendung in  Oktavenpassagen,  die  selbst  verdoppelt  auftreten, 
zuweilen  ohne  den  Zügel  des  Rhythmus  einherstürmen,  empört  sich 
auch  gegen  die  von  Chopin  selbst  gestellten  Forderungen.  Er  malt 
hier,  vom  Klavier  fast  gehemmt,  al  fresco.  Aber  selbst  dann  zünden 
die  gleitenden  Skalen,  die  hallenden  Triller  in  den  Bässen  wie  die 
Blitze  des  Genies.  Der  leidende  Mensch  schweigt  plötzlich.  Die 
Fieberphantasien  lassen  nun  wieder  eine  freundliche  Vision  auf- 
steigen. Die  Mazurka  kündigt  sich  an;  über  dem  Orgelpunkt  in  E 
als  Dominante  von  A-dur  erhebt  sich  Kirchengesang:  Heimat.  Hoch 
zu  Roß  rücken  zunächst  die  Ritter  und  die  Damen  heran.  Eine 
endlos  wiederholte  Zweiunddreißigstel-Figur  mit  abgestoßenem  A 
malt  Pferdegetrappel.  Sie  finden  sich  zur  Mazurka  zusammen.  Die 
hat  alles  Wirtshausmäßige,  ja  alle  Pikanterie  abgestreift;  sie  hat 
etwas  Überirdisches.  Der  Mittel-  und  Höhenlage  des  Klaviers  werden 
ihre  tiefsten  Geheimnisse  entlockt.  Zerlegte  Dreiklänge,  Terzen  und 
Sexten,  Dezimenspannungen  werden  aufgeboten ;  es  ist  ein  seliges 
Träumen.  Da  pfeift  es  über  die  Klaviatur.  Die  Fieberphantasien 
verscheuchen  dieses  Bild.  Aber  auch,  was  vorhin  al  fresco  erschien, 
läßt  sich  verklären :  in  milden  Wohlklang  löst  sich  wilde  Zerrissenheit. 
Und  nun  die  As-dur-Polonäse  op.  53:  noch  einmal  ein  Hymnus 
auf  das  Martialische?  Nein,  die  Tonart  schon  winkt  eine  stärkere 
Phantasie  herbei.  Da  ist  alles  weit  differenzierter.  Da  ist  Span- 
nung: die  Dominante  macht  alle  erdenklichen  Umwege,  unter  denen 
die  chromatischen  Sexten  die  fesselndsten  sind,  ehe  sie  sich  auflöst; 
Glanz:  Vollgriffigkeit,  die  alle  Register  ausnützt;  Ornament,  das  sich 
selbstbewußt  aller  Bedenken  des  Taktes  entschlägt;  eine  Oktaven- 
herrlichkeit, die  eherner  Ausdruck  geworden  ist;  Stimmung:  in  einer 
lyrischen  Episode  versucht  das  Zwielicht,  der  Wechsel  zwischen  Dur 
und  Moll  sich  gegen  eitel  Helligkeit  zu  behaupten ;  endlich  formale 
Meisterschaft.  Wenn  die  Anstrengungen  mehrerer  Generationen 
dieses  unfehlbare  Paradestück  nicht  töten  konnten,  so  bezeugt  das 
seine  Urkraft.  Man  kann  aber  nur  mahnen,  daß  wenigstens  ein  ge- 
messener   Schritt,     wie    er    dem    Komponisten    vorschwebte,    die 


126 

Klavierorgien      mäßige.       Veröffentlicht     wurde     das      Werk     im 
Jahr   1843. 

Wie  in  allen  Gattungen,  so  läßt  sich  auch  in  der  Polonäse  die 
Erschöpfung  erkennen.  Opus  61,  Polonaise-Fantaisie  genannt  und 
1845  veröffentlicht,  kann  auch  unter  diesem  weitherzigen  Titel  nicht 
als  geschlossenes  Meisterwerk  gelten.  Allerdings  sprengen  hier  die 
inneren  Werte  die  Form.  Schwärmerische  Unklarheit  kann  nicht 
bezaubernder  schwach  sein  als  in  den  gebrochenen  Akkorden  des 
Anfangs,  die,  vom  Pedal  unterstützt,  wieder  in  das  Reich  Wagners 
führen.  Der  Klangwunder  gibt  es  die  Fülle.  Ein  heroisches  Motiv 
möchte  gern  die  Säule  sein,  die  den  Bau  trägt.  Aber  ehe  der  kräftige 
Aufschwung  mit  den  punktierten  Bässen,  der  Hymnus  auf  ein  glän- 
zendes Polen  erreicht  wird,  hat  sich  der  ganze  Seelenreichtum  eines 
Einzigen  im  wechselnden  Kolorit  in  nie  geahnter  Tastenlyrik  aus- 
gelebt.    Echtester  Chopin;  echter  als  jener  heldenhafte. 

Er  mußte  hier  mit  leeren  Händen  zusehen.  Für  den  Glanz, 
den  er  ersehnte,  versagte  die  eigene  physische  Kraft.  Die  Klavier- 
heroen hatten  das  Wort.  Die  Polonäsen  —  in  deren  Reihe  noch 
drei  als  op.  71  bezeichnete  und  zwei  nummerlose  Früharbeiten 
stehen  —  forderten  das  ganze  Europa  heraus.  Sie  waren  oft  Ten- 
denzstücke,  mit  einem  starken  Zug  ins  Dramatische;  und  als  solche 
nur  halb  geglückt.  Der  Kampf  zwischen  seinem  Eigenwesen  und 
einem  Stoff,  den  sein  moralisches  Gewissen  ihm1  diktierte,  wird  frei- 
lich so  ausgekämpft,  daß  die  Öffentlichkeit  noch  lange  schauen  und 
horchen  wird.  Wir  ahnen  hier,  warum  Chopin  nicht  der  Schöpfer 
einer  nationalen  Oper  geworden  ist.  Klangsinn  und  Feinsinn  wandten 
sich  gegen  das  Orchester  und  das  Handfeste.  Die  Politik  konnte 
diesen  Charakter  nur  verderben.  In  den  Mazurkas,  diesen  halböffent- 
lichen Kundgebungen,  war  etwas  Zwingendes;  in  den  Polonäsen 
zuweilen  etwas  Erzwungenes.    Aber  Stimmung  und  Kolorit  retteten 

ihren  Weltruhm. 

*  * 

* 

Die  Liebe  zum  Tanz  verlockte  Chopin  auch  zu  Streifzügen  in 
fremdes  Gebiet.  Romantischer  Hang  wollte  sich  mit  Eigenem  nicht 
begnügen.  Aber  das  Eigene  hemmte  ihn.  Sein  Kolorit  war  in  der 
Durchdringung  von  Nationalem  mit  Persönlichem1  so   erstarkt,  daß 


127 

die  kühle  Hand  fehlte,  die  allein  das  Spiel  mit  Farben  beherrscht; 
oder  daß  der  Kopf  zu  kühl  blieb,  um  auch  aus  dem  Fremdnationalen 
einen   Eigenwert  zu   prägen. 

Drei  Ecossaisen,  1826  entstanden,  als  op.  72  Nr.  3  1855  ver- 
öffentlicht, würden  in  einem  Salonalbum  für  Anspruchslose  keine 
üble  Figur  machen,  wenn  die  Schlußtakte  reicher  gekleidet  einher- 
gingen.   Es  war  sinn-  und  pietätlos,  sie  der  Welt  bekanntzugeben. 

Für  den  Bolero  op.  19  sorgt  Chopin  selbst  im  Jahr  1834.  Er 
suchte  Spanien  nicht  mit  der  Seele.  Es  sei  denn,  daß  der  dort 
kämpfende  Anton  Wodzinski  sie  auf  Umwegen  dorthin  trug.  Doch 
scheint  das  Stück,  leicht  beschwingt,  wie  es  ist,  früher  geboren  zu 
sein.  Schumann  nannte  es  zart,  liebetrunken,  fand  in  ihm  südliche 
Glut  und  Schüchternheit.  Seine  Phantasie  war  hier  allzu  hellsichtig. 
Denn  das  Südliche  haben  Geringere  mit  dem  sicheren  Instinkt  der 
Alleskönner  besser  getroffen  als  unser  Meister.  Aber  Rhythmus, 
Buntheit  und  Eleganz  sind  darin ;  Vorzüge,  die  so  gesteigert  Chopin 
mindestens  nicht  belasten. 

Und  nicht  anders  steht  es  um  die  Tarantella  op.  43,  die  1841  er- 
schien. Schumann  sagte  von  ihr:  „Ein  Stück  in  Chopins  tollster 
Manier;  man  sieht  den  wirbelnden,  vom  Wahnsinn  besessenen 
Tänzer  vor  sich,  es  wird  einem  selbst  wirblich  dabei  zumut. 
Schöne  Musik  darf  das  freilich  niemand  nennen,  aber  dem  Meister 
verzeihen  wir  wohl  auch  einmal  seine  wilden  Phantasien,  er  darf 
auch  einmal  die  Nachtseiten  seines  Inneren  sehen  lassen."  Hier 
irrt  Schumann  wieder.  Wir  finden,  daß  das  hübsche  Musik  ist 
Aber  wirblig  wird  uns  dabei  nicht  zumute.  Und  die  Nachtseiten 
seines  Innern  entschleiert  Chopin  noch  ganz  anders,  erschüttern- 
der. As-dur  zaubert  hier  Salonstimmung  und  Farbensinn  her- 
vor. Dieser  Rhythmus  wurde  dem  Meister  (nach  eigenem  Ge- 
ständnis) sauer;  aber  er  bezwang  ihn.  Sollten  die  chromatischen, 
abwärts  jagenden  Skalen,  die  sich  um  Querstände  nicht  kümmern, 
Schumann  außer  Fassung  gebracht  haben?  Oder  jene  Crescendo- 
Stelle,  die  das  letzte  FF  vorbereitet?  Wir  sind  unempfindlicher. 
Dank  Chopin  selbst,  der  in  seinen  Mazurken  solche  Kühnheiten 
weit  überboten  hat. 

Denn  sein  Tanz  war  der  Vater  seiner  Musik. 


LIEDER  OHNE  WORTE 
(NOTTURNOS  —  BERCEUSE) 

Treibhausluft.  Dunkelrote  herabgelassene  Vorhänge.  Ein  matter 
Schein  erhellt  das  Boudoir.  Eine  Frau  in  duftigem  Gewand,  in 
Schwüle  fast  erstickend.  Ein  bleicher  Dichter  singt  ihr  das  ewige 
Lied  von  der  Liebe. 

Oder:  die  Schatten  der  Nacht  haben  sich  herabgesenkt.  Stun- 
den quälender  Schlaflosigkeit,  in  denen  den  Dichter  die  Schrecken 
des  Alleinseins,  die  Pein  des  Verschmähtseins  packen ;  ein  Aufschrei, 
ein  leises  Weinen,  ein  stilles  Gebet. 

Das  Chopinsche  Notturno  durchbebt  alles  dies  und  noch  mehr. 
Es  geht  gegen  die  gesellschaftliche  und  staatliche  Ordnung.  Es 
kann  verheerend  wirken,  wenn  es  auf  Wehrlose  eindringt;  aber  es 
ist  durch  die  deutsche  Sentimentalität  entgiftet  worden;  auch  da- 
durch, daß  die  Geheimnisse,  die  es  ausspricht,  der  Öffentlichkeit 
unter  Bravournummern  preisgegeben  werden. 

Das  Erschlaffende  dieser  lyrischen  Gedichte  strömt  nicht  allein 
aus  dem  Unterton  der  Wehmut.  Das  Liedmäßige  beherrscht  sie 
ganz.  Die  Melodie  dehnt,  streckt  und  krümmt  sich  wollüstig  in 
weitem  Bogen;  sie  ist  die  Göttin,  der  hier  Altäre  errichtet  werden. 
Sie  braucht  nicht  einmal  die  Unterstützung  von  Mittelstimmen,  die 
ihr  bereitwilligst  gespendet  werden.  Sie  zieht  sich  über  schön  ge- 
schwungenen Baßfiguren  hin,  mit  einem  Klangreiz,  der  durch  nichts 
gehemmt  wird.  Auch  durch  den  Rhythmus  nicht,  der  träge  ist, 
nur  selten  mit  Überraschungen  auf  der  Lauer  liegt.  Träge  wie 
die  Melodie,  die  oft  strophisch  wiederkehrt,  dann  aber  in  einer 
duftigen  Umhüllung,  in  einem  Dunst  von  Parfüm  sich  lockend  zu 
uns  wendet  und  die  Sinne  schwinden  machen  möchte.  Und  die 
Wortlosigkeit  dieser  Lieder  läßt  die  Empfindung  ins  Uferlose  aus- 
schweifen. Suchten  sich  Schrecken  und  Qualen  nicht  auch  den  Aus- 
weg in  einer  erschütternden  Sprache,  in  einem  packenden  Rhyth- 
mus, in  kühnen  Modulationen ;  erschlösse  sich  nicht  auch  vom  Fenster 
aus  der  Blick  auf  lachende  Fluren,  so  verdiente  dieser  Chopin  alle 
Vorwürfe,  die  gegen  ihn  erhoben  wurden.  Keine  Frage  auch,  daß 
er  hier  ganz  ein  Eigner  ist.  Denn  was  bedeutet  die  Vaterschaft 
Fields    dem    Notturno?     So   viel,    daß    Chopin    nur    zu    erscheinen 


129 

brauchte,  um  jene  Dichtungen  bis  auf  den  Namen  hinwegzuwehen. 
Er  fand  die  Form  vor,  füllte  sie  mit  wehmütiger  Romantik  und 
dehnte  sie  nach  den  eigenen  Bedürfnissen.  Und  wenn  Field  den 
Schöpfer  des  aus  dem  Idyllischen  ins  Höchstpersönliche  entarteten 
Notturnos  ein  Krankenzimmertalent  nannte,  so  gesteht  er  damit, 
daß  er  sich  in  ihm  nicht  wiedererkennt. 

Aber  in  dem  hier  stärker  begrenzten  Kreis  schöpferischer  Emp- 
findungen gibt  es  staunenswerte  Mannigfaltigkeit.  Wer  seine  Art 
so  verzweigen  kann,  wie  es  gleich  in  den  drei  das  op.  9  bilden- 
den Stücken  geschieht,  der  macht  das  Kranke  lockend  und  be- 
neidenswert. 

Die  Treibhausatmosphäre  des  b-moll-Notturnos  umfängt  uns 
schon  in  den  Sechsachteln,  die  den  niedersteigenden  Auftakt  bilden. 
Und  sie  führen  zu  einem  müden  Verweilen  auf  der  gleichen  Note, 
dem  ein  neuer  Abstieg  folgt.  Es  ist  der  künstlerische  Triumph 
der  Willensschwäche,  der  hier  verkündet  wird.  Die  Fülle  von  klei- 
nen Noten,  die,  wie  Sterne  glitzernd,  bis  zu  zweiundzwanzig  an  Zahl, 
unbekümmert  um  die  Baßbewegung  vorüberziehen,  vollenden  den 
Eindruck.  Aber  um  so  tiefer  greift  die  Fortsetzung  des  Gedankens, 
um  so  stärker  packt  die  Steigerung  in  des3  und  f3.  Der  Zwischen- 
satz ist  das  unerhörteste  Sichversenken  in  das  Herz  des  Tasten- 
reiches, in  die  Mittellage  des  Klaviers.  Es  wird  zu  einem  Wesen  mit 
einem  Nervensystem,  das  dem  geringsten  Reiz  antwortet.  Inner- 
halb dieses  engen  Raumes  schleichen  die  Finger,  aber  in  eindringlichen 
Oktaven,  von  Des-  nach  D-dur,  betasten  leise  G-dur,  wenden  sich 
nach  Desdur  zurück.  Die  Entwicklung  steht  still.  Aber  diese 
Finger  haben  nun  Mensch  und  Instrument  so  innig  zu  verschmelzen, 
daß  jeder  Druck  die  inneren  Schwingungen  bezeugt.  Der  Bann  löst 
sich  nur  scheinbar,  wenn  in  beschleunigterem  Tempo  ein  neuer 
Weg  versucht,  Terzen  und  Sexten  herbeigerufen  werden,  der  fast 
unbewegliche  Baß  seine  Lage  ein  wenig  verändert.  .  .  .  Und  der- 
selbe Chopin  schreibt  nun  ein  Es-dur-Notturno,  in  dem  er  sich  mit 
Anmut  an  der  Oberfläche  hält,  ohne  Rückfälle  ins  Schmerzliche.  Auch 
das  lieben  die  Frauen.  Wenn  aber  der  melancholische  Dichter  in  die 
leichte  Plauderei  ein  Scherzwort  einfließen  läßt  wie  im  dritten  Stück, 
das  sich  tänzelnd  an  chromatischer  Ausschmückung  des  Leichtiro- 
nischen  nicht   genug   tun  kann,   dann   scheint   er  wirklich   ganz  in 

W  e  i  s  s  m  a  n  n  ,   Chopin  9 


130 

das  Lager  der  Salonmenschen  abgeschwenkt.  Bis  er  in  einer  von 
stürmischen  Sechsachteln  alla  breve  begleiteten  Episode  wieder  ein- 
mal in  eine  Ecke  flüchtet  und  seinen  wilden  Schmerz  herausstöhnt. 
Seelenfrieden  atmet  die  Schlußkadenz,  bereit,  die  ganze  Tastenwelt 
zu  umarmen. 

Diese  drei  Notturnos,  1833  veröffentlicht,  sprechen  von  sehr 
weit  auseinanderstrebenden  Gefühlen  ;  in  ihrem  schroffen  Widerspruch 
zwischen  dem  stark  betonten  Salonhaften  und  dem  Weichen  erzäh- 
len sie  uns  von  weit  früherer  Zeit. 

Es  wäre  durchaus  unchopinsch,  den  Wegspuren  dieser  Not- 
turno-Lyrik bis  ins  einzelne  zu  folgen.  Hier  gibt  es  Unaussprech- 
liches, durch  einen  Schleier  Verhülltes,  stark  Durchpulstes,  was  zu 
beredtem  Schweigen  oder  nur  zu  leisen  Andeutungen  verpflichtet. 
Es  gibt  aber  auch  jene  Strecken,  die  durch  verengtes,  verweib- 
lichtes  Gefühlsleben  nicht  ermattend,  doch  matt  wirken. 

Unvermittelte  Gegensätze  zwischen  der  Ruhe  und  dem  Sturm, 
wie  sie  in  Nr.  1  des  1834  erschienenen  op.  15  auftreten,  überraschen 
nicht  mehr.  Nur  daß  hier  bei  allen  Reizen  des  Klaviersatzes  dem 
ersten  Teil  die  Nerven,  dem  mittleren  die  Überredungskraft  im  Lei- 
denschaftlichen zu  fehlen  scheinen.  Wie  hat  hier  aber  unser  Dichter 
im  folgenden  Stück  (Fis-dur)  die  Nerven  wiedergewonnen!  Die 
Boudoirplauderei  mit  koketten  Verbeugungen,  mit  zartem  Geflüster 
kann  sich  musikalisch  nicht  anmutiger  geben.  Sollen  wir  ihm  nach 
alledem  glauben,  was  er  im  doppio  movimento,  im  merkwürdigsten 
aller  Klaviersätze  vor  sich  hinspricht?  Hier  wird  er  wieder  nach- 
denklich, setzt  die  tragische  Miene  auf,  stöhnt,  atmet  schwer,  um 
zum  entzückendsten  Salongespräch  zurückzukehren.  Das  tragisch- 
figurierte Ornament,  wie  der  feinsinnige  Louis  Ehlert  es  nennt,  ist 
von  dem  anderen  sehr  reichen  abgelöst  worden.  Das  g-moll-Not- 
turno  sagt  mir  nun  wieder  wenig.  Diese  ungezählten  Ausrufungs- 
zeichen, dieses  gläubige  Händefalten  mit  Orgelbegleitung  rührt  trotz 
allen  harmonischen  Feinheiten  nichts  in  mir  auf;  die  große  Leiden- 
schaft trägt  es  nicht. 

Dagegen  möchte  man  vor  dem  cis-moll-Notturno  op.  27  Nr.  1 
selbstdie  Hände  falten.  Da  haben  wir  wieder  das  Seelendrama,  das 
Hin-  und  Herwogen,  das  schwungvolle  Sicherheben  und  das  düstere 
Hinbrüten.     Hier  darf  die  Phantasie  schweifen;  und  sie  landet  bei 


131 

den  Schauern  der  Nacht.  Der  Dichter  lieget  mit  offenen  Augen  da. 
Diese  schweren,  in  weiter  Spannung  steigenden  und  fallenden  Bässe ; 
die  leise  Klage,  die  sich  darüber  erhebt,  und  unter  der  später  eine 
andere  klagende  Stimme  sich  hinzieht,  erzählen  von  Liebesleid  und 
Einsamkeit  Im  Halbschlaf  spinnt  sich  dieser  Gedankengang  fort; 
Traumbilder  steigen  auf  mit  ihrer  farbigen  Bildhaftigkeit.  Über  den 
bewegten  Baßtriolen  rückt  die  Phrase,  die  ein  zweites  Motiv  mit 
sich  führt,  um  eine  Quart  nach  oben,  erreicht,  an  Kraft  wachsend, 
die  höhere  Oktave,  ersteigt  mit  herberem  Rhythmus  eine  neue  Quart 
und  erklimmt  noch  eine  weitere  Terz;  freilich  in  der  Stimmung  so 
gewandelt,  daß  es  nun  wie  Jubel  klingt:  Hoffnung.  Sie  jauchzt 
in  lautem  Des-dur  empor;  ganz  wundervoll  blitzt  plötzlich  mit  einer 
kühnen  Wendung  das  sonnenhelle  C-dur  auf.  Aber  die  Helligkeit 
wird  durch  ein  pp  um  den  strahlenden  Glanz  gebracht.  Wie  könnte 
es  auch  anders  sein,  wo  die  Schwermut  jede  Freude  dämpft!  Schon 
meldet  sich  die  Trostlosigkeit:  eine  Baßkadenz,  die  wie  ein  Kampf 
mit  dem  Albdruck  ist,  führt  zu  cis-moll  und  zu  dem  wachen  Träu- 
men zurück.  Aber  der  Dichter  spricht  sich  nun  selbst  Trost  zu: 
Cis-dur.    Er  findet  ihn  im  Glauben. 

Die  Enharmonik  geleitet  uns  zwanglos  nach  Des-dur  (Nr.  2) : 
Die  Schauer  der  Nacht  sind  verflogen.  Was  wir  hier  hören,  braucht 
nicht  gesagt  zu  werden.  Das  Wollüstige  dieses  Zwiegesanges  raubt 
den  Frauen  die  Besinnung.  Ahnungslose  junge  Mädchen  können 
hier  wissend  werden.  Und  wenn  Chopin  als  Interpret  wirklich, 
von  den  Vortragszeichen  abweichend,  den  leise  verhauchenden  Schluß 
in  einen  Jubelhymnus  von  steigenden  Sexten  verwandelte,  konnte 
er  da  den  narkotischen  Rausch  bannen,  den  diese  tönende  Sinn- 
lichkeit, diese  Häufung  aller  Mittel  des  Wohlklangs  über  uns 
brachte  ? 

Die  beiden  Gesänge  von  Liebesqual  und  Liebesfreude  erschienen 
im  bedeutungsvollen  Jahr  1836,  als  der  Meister  zwischen  „Ja"  und 
„Nein'"  der  Geliebten  schwebte. 

Die  Ernüchterung  naht:  op.  32  Nr.  1.  Hier  ist  das  ewige  Lied 
von  der  Liebe  zur  Litanei  geworden.  Und  die  rezitativische  Schluß- 
dissonanz ist  ein  Hohngelächter  auf  alles  Vorangegangene.  So  fügt 
sich  auch  das  vornehme  As-dur-Notturno  als  Partnerin  passend  an: 
Schäferpoesie,  in  die  ein  wenig  überzeugendes,  allzu  gleichförmiges 


132 

piü  agitato  vergebens  Bresche  zu  legen  sucht.  Ein  lieblicher  Gedanke, 
erstarrte  Form. 

Von  diesen  1837  veröffentlichten  Dokumenten  phantasielähmen- 
der Verstimmung  führt  der  Weg  hinan:  zu  op.  37  mit  zwei  Stücken. 
Zunächst,  zwar  in  g-moll,  singt  die  Schwermut  ihr  Lied  mit  jener 
durch  Dekoratives  kaum  abwechslungsreicher  gewordenen  Beharr- 
lichkeit; aber  es  ist  ein  echtes  Lied  voll  Edelmetall.  Und  das  gläu- 
bige Händefalten  wird  durch  kühnes  Vorwärtsschreiten  künstlerisch 
wertvoller;  den  tröstlichen  Aufblick  in  gebrochenem  G-dur-Schluß- 
akkord  begrüßen  wir  als  wohltuenden   Ausklang. 

Hier  ist  gut  verweilen.  Das  G-dur  klingt  weiter.  Und  wir 
sind  im  Sonnenreich.  Aber  der  Klavierspieler  hat  sich  vorzusehen. 
Dieses  Auf-  und  Abwärtsgleiten  in  zweistimmigen  Gängen  führt  ihn 
an  Klippen ;  hier  ist  ein  Zickzackweg,  mit  hundert  Überraschungen, 
die  sich  in  eitel  Harmonie  auflösen  sollen.  O,  es  währt  lange, 
bis  wir  bei  C-dur,  bei  jener  ruhigen  Kantilene  anlangen,  unter  der 
es  wie  Orgelton  erklingt.  War  das  wirklich  ein  normannisches  Volks- 
lied? Im  Augenblick,  wo  Chopin  sich  seiner  bemächtigt,  hört  es 
auf,  es  zu  sein.  Es  wird  leidgeboren,  unruhevoll,  schillert  als  Edel- 
stein in  leuchtenden  Farben.  So  strahlt  dem  Stimmungsmusiker  die 
Sonne,  wenn  er  Fields  Pfade  verläßt.  Auch  das  war  ein  Gipfel; 
den  er  im  Jahr  1840  erreichte. 

Abwärts  führt  nun  langsam  die  Straße.  Denn  in  dem  c-moll- 
Notturno  op.  48  Nr.  1,  das  mit  so  schönem  Pathos  in  majestä- 
tischem Schritt  beginnt,  vermag  man  da,  wo  es  dramatisch  werden 
möchte,  den  Hauch  höheren  Chopinschen  Geistes  nicht  zu  spüren. 
Da  steht  für  eine  männliche  Entwicklung  Oktavengetön,  dem  Be- 
weglichkeit fehlt;  und  wo  es  absetzt,  tritt  nichts  ein,  was  uns  er- 
schauern macht.  Höchstens  die  Klaviatur  wird  erschüttert;  und  der 
Tastenkünstler  jubelt,  weil  doch  nun  einmal  der  Notturnokomponist 
an  die  weiten  Konzerthallen  zu  denken  schien.  Schien;  aber  er 
sprach  wohl  mit  sich  selbst.  Und  noch  immer  so,  daß  ein  kleinerer 
Geist  mit  diesem  Monolog  prunken  könnte.  Wie  mit  dem  Frage- 
und  Antwortspiel  des  Mittelsatzes,  das  die  folgende  Nummer  ein 
wenig  von  der  Manier  befreit.  Das  sind  die  Nocturnen  des  Jahres 
1842. 

Hier  gerade,   im   Reich  der  reinen   Melodie,   mußte  allmählich 


133 

der  Verlust  der  Naivität  den  Grund  unterwühlen.  Das  Gewebe 
verästelt  sich,  und  der  Gesang,  der  darüber  schwebt,  hat  nicht  mehr 
die  Lebenskraft,  die  ihn  frisch  erhält.  In  op.  55  Nr.  1  herrscht 
eine  gewisse  schablonenhafte  Kunstlosigkeit ;  aber  die  f-moll-Kanti- 
lene  ist  nicht  ohne  starken  narkotischen  Reiz.  Phantasie  gab  ihn 
immer  her.  Der  Zauberer  kennt  die  betäubende  Mischung  und  kre- 
denzt sie  ohne  Unterlaß.  Auch  die  Nachfolgerin  in  Es-dur,  vor- 
nehm in  der  Haltung,  reich  in  der  Gestaltung  und  an  kolorierendem 
Schmuck  zieht  zu  sich  hin;  wie  op.  62  Nr.  1,  das  mit  einer  spannen- 
den Frage  beginnt,  auf  die  eine  vielfach  gewundene  Antwort  er- 
folgt; wie  das  E-dur-Notturno,  das  im  Mittelsatz  leidenschaftlich 
in  die  Höhe  strebt  und  mit  seiner  verzweigten,  in  der  Tenorlage 
wühlenden  Mehrstimmigkeit  den  Tumult  im  Innern  erregt;  ein 
Meisterstück,  das  ich  liebe.  Von  diesen  beiden  Paaren  erschien 
das  erste  1844,  das  zweite  1846. 

In  alledem  schwingt  noch  so  viel  Musik,  zittert  so  viel  Er- 
regung, daß  es  unmöglich  ist  zu  verneinen.  Und  das  düstere,  farb- 
lose eintönige  e-moll-Notturno  (op.  72  Nr.  1),  also  oeuvre  post- 
hume,  steht  nur  darum  abseits,  weil  es  in  des  Dichters  Zauber- 
garten ein  bescheidenes  Blümchen  ist:  der  Grabgesang  des  Not- 
turnos, und   doch  nur   ein  tastender  Frühversuch. 

Aber:  es  gibt  noch  etwas  anderes  Abseitsstehendes.  Nicht  be- 
scheiden, stolz  ist  es  als  ein  Werk  des  reifen  Meisters.  Ein  Werk? 
Und  doch  nur  eine,  nein,  die  Berceuse,  das  opus  57  vom  Jahre 
1845.  Es  gehört  mit  dem  Herzen  dem  Kreis  der  Nocturnen  an;  aber 
es  scheut  ihre  Gemeinschaft,  weil  es  ohne  Mittelsatz  in  prunkvoller 
Einfachheit  einhergeht.  Man  darf  ruhig  behaupten,  daß  die  Ton- 
kunst etwas  Ähnliches  nicht  kennt.  Ein  Lied,  das  nicht  in  den 
Schlaf,  sondern  in  die  Hypnose  wiegen  will.  Obstinate  Baßfigur, 
zerlegter  Dreiklang  und  Dominantakkord,  darüber  ein  anmutiges  Mo- 
tiv, an  dem  alle  Ausschmückungskünste  erprobt  werden.  Doch  so, 
daß  es  an  verführerischem  Reiz  gewinnt;  das  dringt  nun  bis  zu 
einem  letzten  Haltepunkt  auf  den  Hörer  ein,  als  kategorischer 
Imperativ  des  Gefühls,  als  die  reichste  Monotonie.  Das  ist  eine 
neue  Art  motivischer,  in  die  Zukunft  weisender  Entwicklung.  Man 
sagte,  daß  er  nur  mit  harmonischem  Wechsel  umgarnen  könne? 
Hier  habt   ihr  das   Gegenteil.     Die    Berceuse    wird   dem   Schwach- 


134 

nervigen  als  stärkster  Trank  gereicht.     Sie  mit  dem  ihr  durch  die 
Tonart  verschwisterten  Des-dur-Notturno. 

Fragen  wir  uns  nochmals,  wie  sich  die  Notturnos  in  Chopins 
Gesamtscharfen  einfügen,  so  glaube  ich,  daß  sie  unter  ihrer  grandiosen 
Umgebung  zu  leiden  haben.  Diese  oft  im  Tiefsten  aufrührende  Ly- 
rik spricht  verschieden  zu  den  verschiedenen  Lebensaltern,  pocht 
stark  und  nicht  vergeblich  bei  den  Frauen  an,  befragt  leise  den 
Instinkt  der  Empfänglichen.  Im  Salon  liebevoll  gepflegt,  kann  sie 
Wunder  wirken.  Zarte  Finger,  zartes  Empfinden  machen  sie  beredt. 
Aber,  klein  an  Wuchs,  werden  sie  den  Wettbewerb  mit  jenen  Werken 
vergeblich  wagen,  in  die  der  Meister  sein  Eigenstes  trug,  um  es  in 
gedehnter  künstlerischer  Form  auf  der  Grundlage  eines  größeren 
Menschtums  m   höheren  Wert  umzuprägen. 


DER  BILDNER 

BALLADEN  —  IMPROMPTUS  —  BARCAROLE     — 
F-MOLL-FANTASIE 

Neue,  kühne  Gedanken  zu  einem  neuen  Bau  zu  fügen,  ist  des 
Ausdrucksmusikers  höchstes  Ziel.  Chopin,  dem  eine  Überfülle  von 
Erleben  oft  die  Gestaltungskraft  schwächte,  erreichte  es  in  den  Bal- 
laden. Sie  sind  ein  Neues,  aus  der  Seele  des  Dichters  geschöpft. 
In  ihnen  reckt  sich  der  empfindende  und  der  schaffende  Mensch 
zur  Größe  auf.    Zur  Größe  im   Episodischen. 

Aus  der  Seele  des  Dichters  sind  sie  geschöpft,  sagte  ich.  Zu- 
nächst scheint  es,  als  ob  es  nicht  die  eigene  sei.  Dichtungen  von 
Mickiewicz  haben  Chopin  nach  seinem  Bekenntnis  zur  Ballade  an- 
geregt. So  daß  nun  nicht  der  Traum,  sondern  das  Bild,  das  äußere 
Geschehen  das  Wunderbare  gezeugt  hätte?  Aber  dem  ist  nicht 
so.  Hier  machen  ihn  nicht  mehr  Wirklichkeiten  aus  Polens  Glanz- 
zeit zum  Sklaven  eines  starren,  männlichen  Rhythmus,  dem  er  träu- 
merisch gern  zu  entweichen  sucht;  die  poetische  Stimmung  durch- 
strömt die  Phantasie;  diese  streift  im  freien  Flug  alles  Belastende- 
Bildhafte  ab  und  ersteigt  auf  gekrümmten  Pfaden  Höhen,  von  denen 
der  Ausgangspunkt  nicht  mehr  zu  erkennen  ist.  Nicht  einmal  der 
schaurige  Hintergrund  hebt  sich  immer  deutlich  ab.  Das  Vorbild 
entschwindet  allmählich  auch  dem  Blick  des  Balladenschöpfers.  Er 
läßt  den  Erzähler  schweigen,  nimmt  ihm  die  Harfe  aus  der  Hand 
und  gießt  nun  all  sein  Leid  in  die  Form  hinein.  Auch  die  Ballade 
spiegelt,  je  weiter  sie  in  seinem  Künstlerdasein  vorrückt,  die  Tra- 
gödie des  Lebens.  „Reif  sein  ist  alles'',  heißt  ihr  ungeschriebenes 
Motto.  Die  erste  op.  23  in  g-moll  erscheint  1836,  die  zweite  op.  38 
in  F-dur  1840,  die  dritte  op.  47  in  As-dur  1842,  die  vierte  op.  52 
in   f-moll   1843. 

Schwer  und  dumpf  steigt  die  rezitativische  Einleitung  empor. 
Mit  einer  schrillen  Dissonanz,  einem  Es,  das  sich  hart  gegen  das 
D  stößt,  klingt  sie  aus  und  in  die  Erzählung  hinein.  Ordnungs- 
menschen wollten  dieses  störrische,  aufrührerische  Es  zu  einem  D 
sänftigen.  Als  ob  sie  nicht  da,  wo  der  Rhapsode  vom  Ton  des 
ruhigen  Erzählers  zu  dem  eines  innerlich  erregten  Mitschöpters  über- 
geht, durch  den  g-moll-Einklang  in  ihrem  Gewissen  völlig  beruhigt 


136 

würden.  Bewußt  schob  der  Meister  die  Lösung  soweit  hinaus,  be- 
wußt verwertet  er  die  Mittel  der  Spannung.  Er,  der  Rhapsode, 
fühlt  die  Finger  an  der  Harfe  erbeben,  der  Akkord  versagt  sich 
ihm;  er  läßt  sich  von  den  eigenen  Seufzern  zu  einem  wundervollen 
Auf  und  Ab  tränenvoller  Passagen  hinreißen.  Die  Naturgewalten 
rufen  hinein:  Quarten  des  Basses.  Die  Elfen  erscheinen:  ihr  Si- 
renengesang, sottovoce  geflüstert,  zwingt  von  selbst  wieder  zur 
Harfenharmonie.  Der  Erzähler  glaubt  die  Ruhe  wieder  gefunden 
zu  haben.  Aber  er  vermag  der  inneren  Schwingungen  nicht  mehr 
Herr  zu  werden.  Das  Elfengeflüster  ist  selbst  zur  Naturgewalt  ge- 
worden. Was  eben  geflüsterter  Sirenengesang  war,  hat  als  stärk- 
stes Erlebnis  den  ganzen  Menschen  niedergezwungen.  Nichts  kann 
es  mehr  hemmen.  Der  Erzähler  besinnt  sich.  Er  greift  in  die 
Saiten.  Aber  ein  Sturm  bricht  los,  der  die  ganze  Natur  schüttelt. 
Die  Harfe  zerschellt  ihm.  —  Atemlos  haben  wir  diese  Entfesselung 
des  Rhythmus,  das  Aufschreien  der  Dissonanzen  in  der  Oktaven- 
gegenbewegung, die  sich  in  eine  fortreißende  Oktavenmitbewegung 
verwandelt,  mitangehört.  Das  war  ein  künstlerisch  gebändigter 
Krampf.  Unter  den  Wehen  einer  Verzweiflung  und  Erschütterung, 
die  Sprache  und  Denken  lähmten,  ist  ein  Meisterwerk  geboren:  die 
echteste  aller   Balladen. 

Denn  schon  in  der  nächsten,  in  F-dur,  scheint  ein  Riß  zu  klaffen. 
Idyllisch-Nocturnenhaftes  will  sich  mit  Balladesk-Leidenschaftlichem 
nicht  mischen.  Sollte  also  Schumann  recht  haben,  der  sich  erinnerte, 
daß  die  freundliche  F-dur-Stimmung,  als  er  diese  Ballade  von  Cho- 
pin hörte,  durch  nichts  Stürmisches  getrübt  war  und  auch  rein  ver- 
klang? Aber  scheiden  sich  auch  die  Wege,  so  ist  doch  jeder  von 
ihnen  aussichtsreich,  mit  so  viel  Meisterschaft  angelegt,  daß  sie 
schließlich  zusammenführen.  Wer  ahnt,  daß  jenes  volksliedmäßige  An- 
dantino  bei  der  Rückkehr  erst  sinnend  innehalten,  dann  ernst  weiter- 
ziehen, dann  wie  von  Furien  gepeitscht  sich  zu  lichter  Höhe  eines 
B-dur-Hymnus  durchringen  würde,  um  sich  im  geheimnisvollen  Halb- 
dunkel zu  verlieren  ?  Und  doch  wieder,  nach  scheinbarer  Ruhepause, 
den  Wirbelstürmen  preisgegeben  zu  sein?  Es  ist,  als  ob  der  Dich- 
ter selbst  den  Weg  des  Knaben  nachzeichnen  wollte,  dessen  kind- 
licher Frohsinn  durch  die  Herbheit  des  Lebens  zerstört  wurde.  Aber 
jene  Leidenschaft,  die  in  a-moll  aufstrebt,   gebärdet  sich  nicht  nur 


.    137 

wild;  sie  ist  wie  ein  schleichendes  Gift.  Sie  tastet  sich,  in  Terzen 
aufsteigend,  von  wühlenden  Septakkorden  gehoben,  zu  einem  ff- 
Gipfel  empor.  Von  dieser  Höhe  herab  singt  sie  ihre  Klage 
über  einer  hartnäckigen  Baßskala,  die  im  Verein  mit  ihr  die 
Sinne  betört;  der  chromatische  Übergang  vollendet  das  Werk.  Ein 
Übergang,  der  doch  stutzig  macht.  Aber  die  Leidenschaft  ruft  auch 
das  Hauptthema  zu  Hilfe.  Es  hat  nun  Nerven  genug,  ihm  zu  dienen. 
Es  donnert  im  Baß,  und  lange  absteigende  Oktaventriller  kündigen 
an,  daß  für  die  Ruhe,  für  die  Freude  in  dieser  Welt  kein  Raum  ist. 
Aber  für  den  Musiker  beginnt  hier  gerade  das  Glück:  eine  erschüt- 
ternde, schillernde,  tobende  Zweistimmigkeit,  der  nichts  Früheres 
und  Späteres  an  die  Seite  zu  setzen  ist.  Weltvernichtung.  Trau- 
rig in  a-moll  schreitet  das  Andantino  ein  paar  Takte;  dann  ver- 
sinkt alles. 

As-dur.  Die  grand  monde;  wo  oft  der  Walzertakt  reizend  träu- 
men ließ,  soll  der  Geist  der  Ballade  sich  niederlassen.  Hinter 
Ritter  Eros  sollen  die  Parzen  stehen,  immer  im  Begriff,  den  Faden 
zu  zerschneiden.  Anmut  fehlt  dem  einleitenden  Salongespräch  ge- 
wiß nicht;  aber  unbefangene  Koketterie,  durch  silberhelles  Lachen 
erwidert.  Ein  Hintergedanke  spielt  in  die  Causerie  hinein.  Auch 
in  den  schönen  Damen  kommt  die  Salonstimmung  nicht  auf.  Da 
—  in  jener  Ecke  hat  Eros  seine  Netze  ausgeworfen.  Stammelndes 
Geständnis;  schüchterne  Pausen;  Seufzer.  Dieses  Geständnis  wird 
wiederholt.  Abseits  vom  Gewühl  der  Menschen,  deren  Rede  an 
unser  Ohr  dringt,  vollzieht  sich  scheinbar  etwas  Dramatisches.  Aber 
wir  sind  ja  in  der  grand  monde.  Die  Dame  lehnt  sich  gegen  alles 
Tragische  auf.  Schon  ist  sie  im  Gewühl  verschwunden,  Eros  und 
die  Parzen  stehen  mit  leeren  Händen  da.  Das  Mondaine  hat  ge- 
siegt. —  Wohl  nirgends  hat  Chopin  dem  Salon  so  vornehm  ohne  Kühl- 
heit und  so  meisterlich  zugleich  gehuldigt  wie  In  dieser  Ballade.  Sem 
As-dur  hält  allen  Stürmen  stand.  Mit  einem  Sextakkord  von  langem 
Atem  schließt  er  das  gezwungene  Ballgespräch  ab,  aber  doch  so, 
daß  wir  das  lyrische  Intermezzo  ahnen.  Die  bittende  und  schmei- 
chelnde F-dur-Phrase  legt,  von  Bindungen  und  Modulationen  ge- 
schoben, einen  staunenswerten  Weg  zurück.  Sie  gelangt  bis  nach 
cis-moll,  wo  sie  zuerst  über  rollenden  Bässen  weinerlich  dahinzieht, 
dann  unter  schreiendem   Diskant  grollt:   ein   Liebeskampfduett,  das 


138 

sich  nun  im  Halbton  dramatisch,  aber  nicht  verführerisch,  fortsetzt 
und  grandios  wachsend  das  jubelnde  As-dur  erreicht. 

Hier  beobachtete  unser  Meister  noch.  In  der  f-moll-Ballade, 
dem  Hymnus  auf  die  Erotik  des  Schwermütigen,  berauscht  er  sich 
selbst  so  sehr  am  Duft  der  Blumen  seines  Zaubergartens,  daß  er 
nicht  eine  einzige  von  ihnen  zum  Vorteil  der  Gesamtwirkung  zu  ent- 
fernen vermag.  Und  wir  andern,  wir  bleiben  bei  jeder  stehen,  be- 
trachten ihre  strahlende  Anmut,  ihren  feingegliederten  Bau,  atmen 
ihren  Atem  und  können  nicht  von  ihr  scheiden.  Es  ist  ein  Fall,  wo 
die  unendliche  Steigerung  des  Farbenrausches  als  Echo  krankhafter 
Unruhe  den  zusammenfassenden  Kunstverstand  hemmt.  Er  darf  sich 
im  einzelnen  verausgaben.  Und  wie  tut  er  es!  Ehe  das  echte  Bal- 
ladenthema erscheint,  hat  ein  siebentaktiger,  fragender,  lockender 
Einleitungsgesang  unser  Gleichgewicht  ins  Wanken  gebracht.  Und 
das  Thema  selbst  geht  mit  seinem  Gefolge  von  Mittelstimmen  ver- 
schlungene Wege,  die  den  Begleitenden  mehr  und  mehr  ins  Reich 
des  Unbewußten  führen.  Er  läßt  sich  willenlos  einen  Augenblick 
nieder,  um  bei  einer  B-dur-Stelle  zu  verweilen.  Aber  liier  in  dieser 
schwebenden,  fiebrigen  Stimmung  findet  er  nicht  Ruhe ;  es  treibt 
ihn  weiter.  Er  staunt  bei  einem  Ornament,  das  sich  ihm  in  lauter 
Ausdruck,  Spannung,  Sehnsucht  auflöst;  und  hält  bei  einer  kano- 
nischen Wendung,  die  nur  Vorwand  ist,  ihn  zu  verführen.  Lang, 
lang  ist  der  Weg,  auf  dem  es  von  Perlen  flimmert.  Ein  letzter  Ruhe- 
punkt: C-dur  mit  F-dur-Dominantstimmung  durchsetzt.  Das  Ziel 
winkt.  Aber  ehe  wir  anlangen,  schütteln  wir  den  Rausch  ab.  Denn 
die  Ruhe,  die  wir  nun  wandeln,  führen  allzu  rasch  zur  Welt  zurück. 
Virtuosen-,  Allerweltspassagen  stehen  am  Ende.  Die  Nerven  riefen 
ihm  Halt  zu,  und  der  Künstler  nahm  die  von  ihm  selbst  in  seinen 
Frühwerken  abgegriffene  Münze.  In  der  Darstellung  dieses  Werkes 
die  Synthese  zu  schaffen,  ist  nicht  leicht;  wem  es  aber  mit  kunst- 
vollem Phrasieren  gelingt,  der  preise  sich  glücklich,  den  Schlüssel 
zu  diesem  Zaubergarten  zu  besitzen. 


Man  kann  den  Ton  ein  wenig  dämpfen,  wenn  man  von  den 
Impromptus  spricht.  Nicht  als  ob  sie  nicht  auch  die  gestaltende 
Hand  eines  Meisters  rühmten.     Ja,  sie  tun  es  laut  und  halten  den 


139 

Genießenden  im  Bann.  Aber  sie  spielen  sich  nicht  auf  dem  Hinter- 
grund des  Unterbewußtseins  ab,  sie  schreien  nicht  ein  Seelenweh 
heraus,  und  sie  sind  dem  Geisterreich  ferner.  Hier  stellt  der  Musik- 
wissenschaftler fest,  daß  der  Name,  die  Gattung  durch  Franz  Schu- 
bert kunstfähig  geworden  sei.  Gewiß ;  aber  ich  kann  versichern,  daß 
es  mir  unmöglich  ist,  an  ihn,  den  Verehrten,  zu  denken,  wenn  ich 
ein  Chopinsches  Impromptu  höre;  so  sehr  haben  sein  Geist  und 
mit  ihm  die  Form  sich  gewandelt.  Es  sind  Miniaturstücke  und  doch 
keine;  Notturnos  und  doch  keine.  Sie  stehen  wie  ein  Bindeglied 
/wischen  Ballade  und  Notturno.  Und  sie  sind  in  ihrer  Art  vollendet; 
sie  geben  ein  großes  Stück  echtesten  Chopins.  Das  Oberflächliche 
des  Salons,  das  ihn  reizte,  setzt  sich  nun  wieder  in  ein  träumendes 
Selbstgespräch  um,  das  sich  oft  zum  behorchten  Zwiegespräch  weitet, 
verdünnt.  Dann  lächelt  die  Anmut,  dann  spielt  die  Schwermut,  und 
wir  sind  entzückt. 

Wie  gleich  im  ersten  op.  29  vom  Jahr  1838.  Es  steht  ja  wieder 
in  dem  bevorzugten  Salon-As-dur;  und  die  Möglichkeiten  der  Klang- 
entfaltung tauchen  von  selbst  auf.  Zweistimmiger  Satz,  der  nur 
dann  und  wann  einen  neuen  Partner  heranzieht.  Ein  liebliches  Pas- 
sagensturzbad ergießt  sich  über  uns ;  die  reizend  dissonierenden  An- 
fangsachtel des  zweiten  Triolenaktteils  steigern  den  prickelnden  Reiz 
dieses  Dialogs,  der  bald  reiner  Wohlklang  ist,  dann  sich  chromatisch 
verwickelt,  endlich  zur  Reverie  melancholique  hinunterströmt.  Sie 
bekennt  sich  selbstherrlich  zum  Nocturnengeist.  Acht  Takte  spricht 
sie  langsam,  pausenlos,  in  der  glänzenden  Sonorität  der  Mittellage, 
aber  ohne  Mittelstimmen;  eine  Eroberung  der  Phantasie,  wie  sie  der 
Rhythmus  nicht  ahnen  ließ.  Doch  sie  überrascht  noch  stärker.  Unter 
der  Maske  der  Ruhe  vollzieht  sich  der  Stimmungswechsel  rascher 
denn  je,  und  der  Gedanke  tritt,  sich  fortsetzend,  in  immer  reicherem 
Gewand  auf.  So  erfand  der  frische  Chopin;  kokett,  süß  und  doch 
nicht  untief. 

Im  Jahr  1840  ist  auch  das  Impromptu  tiefer,  poetischer  gewor- 
den. Mit  Glockengeläut  werden  wir  empfangen.  Aber  der  katho- 
lische Glaube  ist  von  tausend  Innenströmungen  durchkreuzt.  Seine 
Mystik  bleibt  ihm  erhalten;  sie  ist  Ferment  Chopinscher  Stimmung 
geworden.  So  gibt  es  Choralartiges;  aber  auch  die  Engel  haben 
Nerven,   und   ihr  Gesang  spricht  nicht  für  die   Felsenfestigkeit  des 


140 

Bekenntnisses.  Um  so  erstaunlicher  wirkt  nun  die  erheuchelte  Männ- 
lichkeit des  jubelnden,  marschartigen  D-dur-Satzes.  Erheuchelt  dar- 
um, weil  schon  das  zweite  ff  mit  seiner  G-dur-Stimmung  das  Drauf- 
gängertum in  Frage  stellt.  Wes  Zutrauen  aber  noch  nicht  wankte,  der 
betrachte  einmal  die  tastenden  Takte,  die  von  diesem  Satz  nach 
F-dur  führen.  Es  ist  wie  ein  vorübergehendes  Halbirresein,  das  wir 
belauschen.  Sollte  aber  der  überwachende  Kunstverstand  hier  nicht 
nachträglich  die  Blößen  verdeckt  haben?  Sollte  da  nicht  dem  Ab- 
schreiber ein  kleiner  Fehler  untergelaufen  sein?  Jedoch:  nach  F-dur 
gewandt,  kehrt  die  Andacht  des  Beginns  sich  mehr  dem  Weltlichen 
zu.  Es  gewinnt  auch  die  Oberhand  in  dem  Passagenjubel,  den  ein 
melodischer  Baß  geleitet.  Dann  faltet  unser  Chopin  wieder  die 
Hände.  Wir  sind  noch  ungläubiger  als  er.  Die  Linie  des  Stückes 
wird  schon  ein  wenig  durch  die  Farbe  gestört;  aber  doch  nicht  so, 
daß  wir  im  Genuß  dieses  op.  36  in  Fis-clur  gekürzt  würden. 

Das  Ges-dur-Impromptu  op.  51,  im  Jahr  1843  erschienen,  ist 
künstlicher.  Es  zeigt  die  gleiche  Meisterschaft  im  Gebrauch  der  ele- 
ganten, herablassenden  und  doch  nervösen  Phrase,  die  etwa  dem 
Walzer  op.  64  Nr.  3  das  Überzeugende  nimmt.  Nur  daß  im  Im- 
promptu Chopin  noch  frischer  ist  und  das  Erwachen  der  Manier 
tatkräftig  bekämpft,  ohne  sie  dem  Blick  des  Kenners  gänzlich  zu 
entziehen.  Die  Verzweigtheit  und  doch  ungeschwächte  Durchsich- 
tigkeit dieses  Klavierstils  übt  ihren  alten  Zauber;  und  eine  G-dur- 
Durchgangsharmonie,  die  weitere  zeugt,  läßt  sich  nicht  ohne  die  ge- 
wohnten süßen  Schauer  vernehmen.  Auch  die  Gläubigkeit  spielt 
leise  hinein.  Und  die  Cellokantilene  des  Mittelsatzes  verrät,  daß  die 
Herablassung  doch  ein  sehr  naives  menschliches,  frauliches  Emp- 
finden verbirgt. 

Auch  die  Impromptus  ziehen  hinter  sich  ein  nachgelassenes 
Werk,  eine  Bastard-Komposition,  her:  Fantaisie-Impromptu  genannt, 
als  op.  66  numeriert,  von  zarten  jungen  Mädchen  oft  mißhandelt. 
Und  man  begreift  auch  warum.  Es  liegt  zuviel  Handgreifliches 
darin;  am  meisten  in  der  unverblümten  Melodik  des  Mittelteils,  die 
leicht  zur  Karikatur  wird.  Aber  die  kämpfenden  Rhythmen  der  Eck- 
sätze, der  schön  vorbereitete  Cis-dur-Ausklang  des  Schlusses  haben 
diesem   passagenreichen   Stück   etwas   Legitimes   gegeben. 


141 

Chopin  wird  von  Italien  heimgesucht:  die  Barcarole  erscheint 
1846  als  opus  60.  Die  nachschaffende,  nachdichtende  Phantasie 
braucht  hier  nicht  zweifelnd  umherzuirren ;  sie  wird  durch  den 
schaukelnden  Rhythmus  auf  den  rechten  Weg  gewiesen.  Aber  die 
zahlreichen  Barcarolenkomponisten  schauen  starr  dem  Höhenflug  des 
Geistes  nach.  Er  läßt  sie  so  weit  hinter  sich.  Die  Zeiten  sind  da- 
hin, wo  ein  fremder  Rhythmus  unseren  Meister  beengte.  Der  Takt 
fängt  sich  nun  in  dem  dichten  Klangnetz,  er  wird  ganz  eingesponnen 
von  der  seltsamen  Poesie  des  hellsichtigen  Genius.  Nicht  das  Meer 
tönt  ihm  im  Ohr,  —  wie  könnte  es  auch?  —  sondern  die  Sehnsucht, 
mit  einer  geliebten  Frau  auf  den  Wellen  dahinzugleiten.  Cis  in 
klingender  Oktave  wird  angeschlagen ;  noch  trägt  es  das  Pedal,  und 
schon  singen  zwei  Menschen  ihre  Liebe  heraus.  Sie  besteigen  um- 
schlungen  die  Barke;  der  Schaukelrhythmus  setzt  ein.  Terzen-  und 
Sextenzusammenklänge,  zweistimmige  Triller,  Sottovoce  -  Plauderei, 
leidenschaftliche  Wechselrede,  Aufjauchzen,  das  alles  wäre  ja  nicht 
neu,  träte  es  nicht  in  neuer  Farbe,  in  befruchtendem  Fis-dur,  in 
einer  hinreißenden  Paarung  von  Belcanto  und  Ausdruckskoloratur 
auf.  Es  ist,  als  hätte  der  neue  Rhythmus  einen  Zuwachs  an  Kraft 
gebracht.  Von  Erschöpfung  ist  in  diesem  Spätwerk  keine  Spur.  Nein, 
alle  Enttäuschungen  des  Daseins,  alles,  was  er  nicht  erlebt,  scheint 
zu  einem  letzten  sehnsüchtigen  Aufschwung  zu  drängen.  Und  wir 
danken  dem  Genius  ob  dieser  ewigen  Sehnsucht. 

Auch  die  andere,  die  Sehnsucht  nach  der  Heimat,  hatte  sich  in 
einem  umfassenden  Meisterwerk  erfüllt:  in  der  f-moll-Fantasie  op.  49 
vom  Jahre  1842.  Chopin  gewährt  der  Phantasie,  sich  in  ungebunde- 
ner großer  Form  auszuleben.  Als  ob  er  sie  je  zu  der  gebundenen  hätte 
zwingen  können.  So  durfte  sie  denn  einmal  zügellos  werden?  Aber 
siehe  da!  Gerade  hier  ersehnt  sie  nichts  Geringeres  als  ein  monu- 
mentales Kunstwerk;  sie  nimmt  mit  der  Fessellosigkeit  des  Rhythmus 
auch  das  Verantwortungsgefühl  für  den  Nachruhm,  sie  überwacht  den 
Künstler  und  treibt  ihn  zur  Straffheit.  Sie  steht  ja  auch  im  Solde 
der  großen  Idee.  Der  Meister  soll  einmal  die  Männlichkeit  der 
Polonäse  durch  die  Poesie  des  Klanges  und  des  Herzens  verklären, 
doch  so,  daß  die  Umfassungsmauern  nicht  wanken.  Es  gelingt,  ob- 
wohl die  innere  Zerrissenheit,  der  elementare  Aufschrei  an  ihnen 
rütteln. 


142 

Im  Eingang  steht  die  Trauer,  aber  sie  hat  Würde;  am  Ausgang 
die  Hoffnung,  aber  sie  hat  Größe.  Innerhalb  dieser  Stimmungs- 
kontraste geschieht  Außerordentliches.  Aus  dem  rhythmisch  ge- 
faßten Schmerz  quillt  der  Trost:  jene  zweitaktige  Phrase,  die  sich 
langsam  herabsenkt,  einen  Gipfel  erreicht,  denselben  Weg  noch  ein- 
mal wandelt,  spendet  ihn ;  aber  es  ist  etwas  Verschleiertes,  Be- 
wegendes in  ihr;  die  Erhebung  wird  gelähmt,  das  Trauermarsch- 
tempo hält  an.  Fermaten  künden  Großes.  Das  Schicksal  spricht 
in  den  Bässen  inhaltschwere  Worte.  Die  Voraussage  hat  nicht  ge- 
trogen. Der  Ernst  und  die  Würde  behaupten  sich  nicht  mehr.  Die 
persönlichen  Schmerzen  triumphieren  über  die  der  polnischen  Welt. 
Aber  wie  stets  bei  Chopin  regt  sich  auch  hier  im  Unglück  der  fröh- 
liche Geist.  Er  zaubert  in  einer  von  Triolen  begleiteten  As-dur- 
Stelle  Klangwunder  hervor,  die  selbst  unter  reichen  Schätzen  ihre 
glitzernde  Pracht  nicht  verlieren.  Gebietet  er  auch  dem  Schmerz 
Haltung?  Der  hat  die  klangfreudige  Sorglosigkeit  mit  einer  disso- 
nanzenreichen Hetzjagd  von  Triolen  erwidert.  Nun  gebärdet  er  sich 
noch  wild  genug,  aber  er  zwingt  sich  zu  einem  maskierten  Marsch- 
tempo So  kann  auch  der  Aufschwung  nicht  fehlen.  Nach  einem 
ehernen  Beethovenschen  Es-dur-Akkord  streben  die  Oktaven  zu  herr- 
lichem Zusammenklang  auseinander.  Der  Aufschrei  droht  den  rhyth- 
mischen Faden  zu  zerreißen.  Aber  der  Meister  bändigt  in  seiner 
Art,  doch  noch  stärker,  den  Aufruhr  der  Kinder  seiner  Phantasie. 
Sie  haben  seine  Nerven,  seine  Stimmung;  sie  lösen  sich  ab,  treten 
auf,  ohne  je  zu  ermüden.  Sie  sind  entwicklungsfähige  Organismen 
von  Chopins  Gnaden.  Weise  hat  der  Künstler  durch  eine  lyrische 
H-dur-Episode,  einen  Wiederklang  der  Gefaßtheit,  die  atembeklem- 
mende Steigerung  des  Schlußteils  vorbereitet.  Er  zündet  und  tröstet. 
Die  große  Idee  hat  die  Grundpfeiler  des  Baues  hergegeben :  den 
Marschrhythmus,  der  stets  leise  mahnt.  Sie  hat  auch  dem  rein 
Spielerischen  den   Eintritt  verwehrt.     So  entstand  ein   Meisterwerk. 


AUS  DES  MEISTERS  LEHRJAHREN 
RONDOS,  VARIATIONEN,  KONZERTE,  SONATEN,  LIEDER 

Dort  ein  Meister,  hier  ein  Ringender. 

Zu  den  mancherlei  Sehnsüchten,  die  Chopins  Leben  und  Scharfen 
durchziehen,  tritt  noch  eine  andere  große:  die,  in  der  Reihe  der 
Klassiker  zu  stehen.  Sie  lastet  wie  ein  Albdruck  auf  ihm  von  der 
Kindheit  bis  zum  Tode.  Er  möchte  dem  simpelsten  Konservato- 
risten gleichsein  in  der  handwerklichen  Schnellfertigkeit,  Sonaten- 
sätze zu  bauen.  Der  simple  Konservatorist  aber  schlägt  ihn  im  Tempo, 
weil  er  nicht  gegen  eine  starke  Natur,  gegen  eine  entschiedene  Per- 
sönlichkeit in  sich  zu  ringen  hat. 

So  früh  auch  Chopin  den  Kampf  gegen  die  theoretische  Unsicher- 
heit aufnimmt,  es  ist  bereits  zu  spät,  den  Ausdrucksmusiker  in  ihm 
in  Fesseln  zu  legen.  Die  Frühreife  der  klassischen  Zeit  kennzeichnet 
sich  durch  das  geniale  Insichaufsaugen  des  rein  Formalen;  die  der 
romantischen  durch  den  gesteigerten  Klangsinn,  der  die  Tatkraft 
bindet,  die  Spannung  erhöht  und  die  Aufmerksamkeit  von  der  ge- 
raden Richtung  ablenkt.  Im  Fall  Chopin  ist  Frühreife  Überreife  des 
Innen-,  des  Nervenlebens  geworden.  Und  nun  hat  der  Wille,  die 
Lehre  mit  dem  Individuum  zu  durchdringen,  eine  ungeheure  Auf- 
gabe zu  lösen :  er  möchte  ein  Früheres,  stark  Betontes  in  ein  Streck- 
bett zwingen.  Ein  wohlgeschulter,  mit  der  Form  vertrauter  Musiker 
ist  da,  aber  sein  ausgewachsenes  Unbewußtes  stößt  sich  gegen  das 
erworbene   Bewußte  und  nur  halb   Unbewußte. 

Etwas  anderes  noch  hemmt  seinen  Schritt:  der  Rhythmus  des 
polnischen  Tanzes,  der  auf  die  Miniatur  hindrängt.  Er  zieht  den 
musikalischen  Gedanken  an  sich,  flößt  ihm  Geist  von  seinem  Geist 
ein,  umfriedigt  und  bezaubert  ihn  so,  daß  es  nur  dem  noch  stärkeren 
Individuum  in  Chopin  gelingt,  ihn  aus  dieser  Umarmung  zu  lösen. 
Das  normale  Wachstum  des  Gedankens  ist  jedenfalls  behindert.  Er 
hat  den  Kampf  gegen  sich  selbst  zu  führen. 

Es  ist  verlockend,  diesem  Zweikampf  zuzuschauen.  Im  Grunde 
ruht  er  nie.  Aber  er  kann  erbittert  da  werden,  wo  Chopin  ernst- 
lich in  die  Spur  deutscher  Klassiker  tritt.  Zuweilen  streckt  das  Genie 
die  Waffen  und  entlastet  das  Schulmäßige  von  der  Bürde  des  Per- 


144 

sönlichen;  stets,  wenn  ein  fremdes  Instrument  seinen  Klangsinn  be- 
irrt, seinen  Mittelstimmeninstinkt  zurückstößt.  Aber  in  der  strengen 
Sonatenform  kann  die  Reibung  am  heftigsten  werden.  Dann  gibfs 
Funken  und  Blitze  wie  in  der  h-moll-  und  besonders  in  der  b-moll- 
Sonate. 

Der  Weg  zu  diesen  Höhen,  die  Vulkangipfel  sind,  führt  über 
die  Tummelplätze  der  Rondos  und  Variationen,  über  die  lieblichen 
Auen  der  Konzerte.  Man  darf,  um  unermüdet  anzulangen,  nicht  viel 
rasten;  es  hieße  sich  gegen  Chopin  versündigen,  wollte  ich  zu  retten 
versuchen,  woran  sein  Herz  nicht  mehr  hing  und  was  dem  All- 
gemeinempfinden fernliegen  muß.  Ein  Chopin,  der  den  Menschen 
nicht  schüttelt,  ist  verloren. 

Das  Rondo  ist's,  das  er  dem  leichtbeschwingten  Hummel  ent- 
leiht. Gleich  mit  seinem  op.  1  vom  Jahre  1825  springt  er  in  diese 
Form  hinein.  Er  hätte  freilich  etwas  weiter,  zu  Mozart,  seinem 
Gott,  gehen  können.  Da  hätte  er  auch  diesen  loser  gedachten  und 
gefügten  Bau  musikalisch  verinnerlicht  gefunden.  Aber  die  Lust 
am  Fabulieren  treibt  ihn  zu  dem  Mozartepigonen,  den  er  auch  als 
Erben  des  höheren  Geistes  verehrt.  Der  tänzelnde  Charakter  des 
Stückes,  das  dem  typisch-nationalen  Modell  nicht  treu  bleibt,  erzählt 
von  der  frohen  Laune  seines  Schöpfers;  wie  der  flüssige  passagen- 
reiche Klavierstil  von  der  zielsicheren  Klangphantasie  eines  schon 
schreibfähigen  Meisterschülers.  Aber  es  ist  noch  nicht  so  echt  wie 
das  Rondo  ä  la  Mazur  op.  5,  das  er  der  Komtesse  Alexandra  jde 
Moriolles  verehrt  hat.  Eine  übermäßige  Quart  im  ersten  Takt  schon 
meldet  dem  Westeuropäer,  daß  wir  im  Reich  des  Mazurs  sind.  Der 
läßt  unserm  genialen  Gernegroß  sofort  die  Flügel  wachsen.  Er 
spendet  im  kleinen  mit  vollen  Händen.  Da  findet  sich  Erstaunliches 
im  Satz;  zuerst  da,  wo  der  Baß  —  ben  marcato  —  das  Signal  ztu 
einer  Durchführung  gibt.  Da  klettert  das  Motto  kühn  empor,  da 
laufen  die  Mittelstimmen  sich  krümmend  ohne  jede  Scheu  unter 
dem  Diskant  hin.  Und  was  individuell  ist,  klingt,  weil  Meister  Hum- 
mel dahinter  steht  und  selbst  an  der  Chromatik  nicht  ganz  un- 
schuldig ist.  Aber  so  reizend  die  Einfälle,  so  gewinnend  der  Klang 
ist,  es  fügt  sich  nicht  zusammen,  es  bleibt  wundervolles  Material  für 
die  Zukunft,  wo  die  Passagen  nicht  so  selbstherrlich  auftreten  und 
sich  einem  tieferen  Geist  unterordnen.    Bald  darauf  besinnt  sich  auch 


145 

der  Mazur,  er  wird  kleiner,  gediegener,  wächst  aus  sich  selbst  her- 
aus und  setzt  sich  auf  den  Thron. 

Aber  diese  Auseinandersetzung  mit  dem  unterhaltenden  Rondo 
dauert  an.  Man  darf  die  Fantasie  über  polnische  Weisen  op.  13, 
den  Krakowiak,  Rondo  de  Concert  op.  14  und  das  op.  16  Rondo 
in  Es-dur  als  Erscheinungen  des  Jahres  1834  und  als  Glieder  einer 
Familie  aneinanderreihen.  Gewiß,  die  Fantasie  und  der  Krakowiak 
liebäugeln  mit  dem  Orchester;  aber  es  bedeutet  ihnen  nichts.  Sie 
wurzeln  fest  im  Nationalen,  so  fest,  daß  sie  für  das  Weltbürgertum 
nicht  zu  retten  sind.  Und  das  Rondo  in  Es-dur,  das  ohne  Orchester 
geboren  ist,  es  aber  später  von  Richard  Burmeister  zum  Geschenk 
erhalten  hat,  gibt  sich  kosmopolitischer.  Aber  sie  haben  doch  das 
Keimhafte  gemein.  Der  echte  Chopin  findet,  sich  in  ihnen,  aber 
unter  einem  Passagengerüst,  das  ihm  den  Atem  benimmt.  Und 
diese  Passagen  selbst  sind  zulcunftsträchtig.  Man  wird  im  Kra- 
kowiak, diesem  bäuerlichen  Ableger  der  Polonäse,  sein  besonderes 
Unisono  bemerken;  in  der  polnischen  Fantasie  zahlreiche  Themen- 
embryos, die  sich  später  in  anderer  Umgebung  glänzend  entwickeln; 
im  Hauptthema  des  Es-dur-Rondos  einen  Blutsverwandten  des  Rondo- 
themas im  letzten  Satz  des  e-moll-Konzerts  grüßen.  Und  man  wird 
endlich  überall  den  leicht  gezimmerten  Bau  erkennen,  der  durch 
die  Salongattung  nicht  allein  zu  rechtfertigen  ist. 

Auch  hier  hinkt  ein  Opus  posthumum  nach:  Rondo  in  C-dur 
für  zwei  Klaviere  op.  73.  In  den  Briefen  des  jungen  Chopin  wird 
es  nicht  ohne  Stolz  erwähnt.  Es  stand  ja  auch  gebunden  in  der  Auto- 
graphensammlung des  Wiener  Musikgelehrten  Alois  Fuchs.  Der 
Selbstkritik  des  Vollkünstlers  hielt  es  nicht  stand.  Sein  Urteil  hat 
die  Nachwelt  nur  zu  bestätigen. 

Das  waren  Vorpostengefechte  auf  dem  nicht  gefährlichen  Boden 
des  Rondos. 

Für  die  Variation  schien  niemand  geschaffen  wie  Chopin.  Hier, 
meint  man,  müsse  das  Unlogische  fruchtbar  werden,  ein  Feuerwerk 
entzünden.  Aber  man  irrt  Welches  Ideal  der  Variation  dem  reifen 
Meister  vorschwebte,  zeigt  ja  die  Berceuse.  Da  war  die  Kunst 
musikalischer  Ornamentik  so  weit  gediehen,  daß  sie  eine  Innen- 
entwicklung  ersetzte.  Dem  Thema  so  auf  den  Leib  zu  rücken,  es 
zu  dehnen,  zu  recken,  wie  es  das  Formenspiel  will,  das  war  Chopin 

Weissmunn,   Chopin  1 0 


146 

nicht  gegeben.  Auch  verpflichtete  ihn  künstlerische  Sparsamkeit, 
die  unbegrenzten  Möglichkeiten  der  Ausdrucksveränderung,  über  die 
er  gebot,  in  anderem  Rahmen  zu  entfalten.  Seltsamerweise  aber 
hatte  gerade  „Ein  Werk  II",  seine  Variationen  über  „La  ci  darem 
la  mano"  vom  Jahre  1830,  Robert  Schumann  zum  begeisterten 
Apostel  Chopins  gemacht.  Man  muß  nun,  um  einen  Kunstkritiker 
von  solchem  Gewicht  nicht  Lügen  zu  strafen,  den  weiten  Weg  fast 
ein  Jahrhundert  zurück  antreten.  Da  mochte  der  Glanz  der  neuen 
Verzierungen  blenden.  Die  Triolensechzehntel,  die  sich  unter  der 
Kantilene  hinziehen,  sind  gewiß  nicht  minder  reizend  als  die  chro- 
matischen Zweiunddreißigstel,  die  sich  oft  gegen  den  Takt  empören. 
Doch  wenn  Schumann  schreibt:  „Hier  aber  war's  mir,  als  blickten 
mich  lauter  fremde  Augen,  Blumenaugen,  Basiliskenaugen,  Pfauen- 
augen, Mädchenaugen  wundersam  an;  an  manchen  Stellen  ward  es 
lichter  —  ich  glaubte  Mozarts  „La  ci  darem  la  mano"  durch  hundert 
Akkorde  geschlungen  zu  sehen,  Leporello  schien  mich  ordentlich 
wie  anzublinzeln,  und  Don  Juan  flog  im  weißen  Mantel  an  mir  vor- 
über", so  wird  der  zeitgenössische  Chopinverehrer  ein  wenig  ver- 
dutzt wie  der  Gefeierte  selbst.  Sind  wir  durch  Liszt  verdorben?  Die 
letzte  b-moll-Variation  (Adagio)  hat  Farbe;  sie  läßt  in  der  Tat  hinter 
Vierundsechzigstel-Ungetümen  etwas  wie  Tragik  aufsteigen ;  das  ab- 
schließende Alla  Polacca  mit  Weberschem  Einschlag  aber  ertränkt 
sie  wieder  in  einem  Meer  von  Tönen.  Das  Orchester  ist  um  so 
schweigsamer.  Doch  der  Variationen-Chopin  kann  noch  sorgloser 
sein.  Variations  brillantes  sur  le  Rondeau  favori:  „Je  vends  des 
scapulaires"  de  Ludovic  de  Herold  et  Halevy  erschienen  1833  als 
op.  12.  Eine  im  Salonmenschen  von  damals  verständliche  Verbeu- 
gung vor  der  Virtuosensitte,  die  Volkstümlichkeit  von  Opernmelo- 
dien zur  Entfaltung  von  Fingerakrobatenkünsten  auszunützen.  Welch 
ein  Glück,  daß  die  mißglückte  Komposition  den  müden  Pulsschlag 
eines  unbeteiligten  Herzens  verrät!  Es  fehlen  die  dröhnenden  Blen- 
der. Solche  Schwächen  ehren.  Und  Liszt,  der  es  in  diesem  Genre 
bis  zur  Hexerei  brachte,  fühlte  das  auch.  Er  gab  später  die  doppelte 
Buchführung  des  Künstlers  auf.  Aber  selbst  an  diesem  ungewöhn- 
lichen Ort  baut  sich  der  echte  Rondo-Chopin  ein  Nest.  Das  Scherzo 
vivace  pp  gehört  ihm  ganz  zu  eigen. 

Die  Temperatur  wird  wärmer.    Über  den  Chopin  der  Rondos 


147 

und  Variationen  wäre  der  Gereifte  selbst  mit  einem  Scherz  hinweg- 
gekommen ;  an  dem  der  Klavierkonzerte  hing  ein  großes  Stück  Mensch 
und  Künstler.  Gewiß:  jene  den  ersten  Erscheinungen  vorgesetzten 
Opuszahlen  sind  meist  Verschleierungen;  bei  der  wunderbaren  Rasch- 
heit der  Entwicklung  eines  Ausnahmemusikers,  in  dem  das  Nur- 
virtuose sofort  durch  den  Vorsprung  des  drängenden  Geistes  ge- 
schwächt, ja  erstickt  wurde,  nicht  eben  folgenschwer.  Und  die  Kla- 
vierkonzerte spielen  in  jene  Kompromißzeit  hinein ;  wir  waren  Zeugen 
ihres  Entstehens.  Auch  ihre  Numerierung  besorgt  er  unbekümmert 
um  den  Ordnungssinn  nachrechnender  Philologen.  Er  wollte  das 
e-moll-Konzert  Kalkbrenner  widmen,  der  an  ihm  seinerzeit  klipp 
und  klar  den  verbesserungsbedürftigen  Fingermechanismus  des  An- 
kömmlings bewiesen  hatte.  So  wurde  dieses  Zweitgeborene  sein 
opus  11  und  erschien  1833,  während  das  ältere  f-moll-Konzert  1836 
als  opus  21  veröffentlicht  wurde.  So  schwer  trat  in  die  Welt,  was 
mit  dem  hastigen  Atem  eines  Verliebten  geschaffen  war.  Freilich: 
Constanze  Gladkowska  war  längst  ehrsame  Bürgersfrau  geworden. 

Für  diese  Konzerte  wappnet  er  sich  mit  dem  ganzen  Rüstzeug 
des  an  Vorbildern  erstarkten  Musikers.  Er  will  mit  den  ersten 
in  die  Schranke  treten.  Und  es  ist  schmerzlich,  sagen  zu  müssen, 
daß  sie,  reizend  im  Detail,  im  wesentlichen  versagten :  in  ihrer  Massen- 
wirkungsfähigkeit. Man  glaube  nicht,  daß  erst  unsere  Zeit  pietät- 
los auf  ihre  Schwächen  weist.  Gewiß :  heute  sind  die  zarten  Finger 
selten,  die  Werke  dieser  Art  mit  ihrer  ganzen  Feinnervigkeit  liebe- 
voll und  beredsam  auseinanderfalten  und  zusammenfügen;  heute  hat 
das  übermächtige  Orchester  mehr  denn  je  das  Klavier  zu  sich  em- 
porgehoben mit  der  Drohung,  es  in  ein  Nichts  zu  zerschellen,  wenn 
es  seinen  Lockungen  widersteht;  heute  hat  auch  das  Publikum  sich 
unter  solchen  Einflüssen  gewandelt.  Aber  die  Hindernisse  für  ihre 
Zukunft  waren  im  Keim  da;  sie  lagen  schließlich  in  Chopins  Seele 
selbst. 

Das  Klavierkonzert  jener  Zeit  hatte  die  entscheidende  Wen- 
dung gemacht.  Hummel  war  von  Beethoven  nicht  abgelöst,  aber 
verdrängt  worden.  Und  Liszt  winkte  schon;  mindestens  der  Geist 
der  Zeit,  der  ihn  gebar.  Es  gab  zwei  Wege,  das  Klavierkonzert 
der  Vergänglichkeit  zu  entrücken :  die  symphonische  Gestaltung,  die 
Rede  und  Gegenrede  der  beiden  Partner  sich  logisch  folgen  ließ ; 

10* 


148 

dieser  Weg  war  der  sicherste.  Oder  ein  meist  homophones,  aber 
farbiges  Orchester  mußte  dem  Klavier  mit  dem  Anspruch  auf  Oleich- 
berechtigung gegenübertreten,  immer  bereit,  die  Herrschaft  an  sich 
zu  reißen,  wenn  diese  Forderung  unerfüllt  blieb.  Beide  Wege  sind 
Chopin  verschlossen.  Sein  ganzes  Wesen  ist  auf  Intimität  gestellt. 
Sein  Tastenreich  hebt  sich  scharf  gegen  die  Masse  ab.  Es  hatte 
seine  Spannkraft,  seine  Aufmerksamkeit,  sein  Können  und  seinen 
Farbensinn  so  aufgesogen,  daß  in  die  Grenzgebiete  nichts  über- 
floß. Sie  verarmten  aus  Mangel  an  Nahrungszufuhr.  Wenn  er  dann 
im  Virtuosendrang  zum  Orchester  griff,  schaute  es  ihn  fremd  an. 
So  hemmt  ihm  die  Poesie  des  Empfindens  und  des  Klanges  nicht  nur 
die  baumeisterliche  Entwicklung,  sie  entzog  ihm  auch  eifersüchtig  die 
Mittel,  siegreich  in  die  große  Welt  zu  ziehen.  So  sind  auch  diese 
beiden  Werke  die  einzigen  Beispiele  des  intimen  Klavierkonzerts; 
einzig  schon  darum,  weil  ihr  innerer  Wert  sie  immer  wieder  der  Ver- 
gessenheit entreißt,  wenn  der  Zeitgeschmack  sich  noch  entschlosse- 
ner von  ihnen  abzuwenden  droht. 

So  umzäunt  darf  die  Begeisterung  über  die  Poesie  dieses  Zwie- 
gesprächs, das  fast  immer  nur  ein  Zwiegespräch  zwischen  dem 
Komponisten  und  seinem  besten  Freund  bleibt,  um  so  ungehemmter 
ausströmen. 

Man  gestatte  mir,  mit  Chopin  zugleich  aufzusteigen:  das  f-moll- 
Konzert,  ein  Kind  der  Liebe,  bewegt  mich  tiefer  als  sein  Bruder  in 
e-moll.  Sie  sind  beide  in  dasselbe  Gerüst  gespannt.  Aber  diese 
Ähnlichkeit  der  Technik,  der  Ausdruck  mangelnder  Bewegungsfrei- 
heit zügelt  die  Expansion  nicht.  Wie  der  Nachklang  Spohrs  edler 
melodischer  Linie  das  Thema  nicht  hindert,  ins  Polnisch-Schwär- 
merische abzubiegen  und  dem  Meister  untreu  in  die  Passagenbahn 
einzulenken.  Kaum  ist  das  erste  Orchestertutti  verhallt,  so  schlägt 
dem  Klavierkomponisten  sein  Gewissen  für  die  Masse  nicht  mehr. 
Eben  noch  schien  es,  als  wollte  das  schwermütige  Hauptthema  sich 
in  der  Symmetrie  des  Weiterbaus  gefallen ;  da  setzen  jene  Läufe  ein, 
die  das  Intervallverhältnis  in  den  beiden  Händen  nach  den  Regeln 
des  besten  Tons  mit  einem  graziösen  Auseinanderführen  der  Quinte 
gestalten.  Nicht  immer  geschieht  es  so  parallel  und  in  so  sanften 
Formen,  auch  gewundener,  chromatischer;  stets  aber  so  zauberhaft 
im  Klang,  daß  uns  der  Weg  zum  zweiten  Thema  wie  mit  Blumen 


149 

bestreut  ist.  Und  dieses  lächelt  unter  Tränen.  Die  sehnsüchtige 
None  im  letzten  Achtel  des  poco  ritenuto-Taktes  enthüllt  uns  das 
innere  Beben  und  deutet  zugleich  auf  die  Blutsverwandtschaft  dieses 
Frühwerks  mit  allen  anderen  bis  zu  den  letzten  Pariser  Schöpfungen 
des  Schmerzes.  Dann  wird  sie  von  tausend  Leidenskindern  um- 
geben sein;  wird  die  Spannung  nicht  mehr  niederkämpfen  können. 
—  Wieder  scheint  dem  Gedanken  eine  ruhige  Entfaltung  gegönnt, 
da  steigt  ein  Passagenwohlklang  aus  dem  andern  hervor,  Kantilenen 
umkränzen  ihn,  die  Logik  im  Episodischen,  die  Kleinmalerei  treibt  ihr 
loses  Spiel.  Was  hilft  es,  daß  das  klassische  Gewissen  und  das  des 
Konzertschreibers  ihn  zur  Ordnung  und  zur  Rücksicht  mahnen! 
Hölzerne  Tutti  halten  ihn"  nicht  auf.  Auch  die  eigene  Genialität 
nicht,  die  ihn  das  Hauptthema  bei  der  Rückkehr  plötzlich  zum  zweiten 
umlenken  läßt. 

Einzig  aber  steht  das  Larghetto  da.  Ließ  sich  bisher  die  Paten- 
schaft deutscher  Meister  auch  hinter  dem  Eigenen  erkennen,  so 
tritt  hier  sein  lyrisches  Selbst  ungeschminkt  auf.  Im  Sprachbereich 
der  Liebe  von  Nervenmenschen  ist  dieser  Ton  der  denkbar  reinste. 
Ja,  der  junge  Chopin  spielt  sich  hier  gegen  den  späteren  aus.  In- 
brünstig, als  ein  Ahnungsvoller,  aber  noch  nicht  Wissender,  singt 
er  sein  Innerstes  hinaus;  mit  einem  durch  Mozart  schönheitstrunkenen 
Geist  und  doch  mit  einem  Gefühlsüberschwang,  der  unruhevoll  und 
rubatosüchtig  alle  Fesseln  des  Taktes  und  der  Notenlinie  abstreifen 
möchte.  Zögernde  Schüchternheit  und  leidenschaftliche  Anbetung 
suchen  beide  nach  dem  reichsten  Ornament,  das  der  des  Schmuckes 
frohen  jungen  Polin  angemessen  wäre.  Und  träumende  Sehnsucht 
schafft  eine  Szene,  die  vom  Lyrischen  zum  Dramatischen  aufsteigt: 
ein  rezitativisches  Unisono  zweier  Herzen  und  Stimmen,  das  bittet, 
drängt  und  jauchzt;  alles  mit  dem  Ungestüm  eines  Neunzehnjährigen, 
der  als  Genie  seine  intime  Musik,  die  junge  Opernerfahrung  eines 
Theatergängers  und  das  holde  Traumbild  der  werdenden  Opern- 
sängerin zu  verschmelzen  weiß.  So  bleibt  er  auch  nicht  im  Thea- 
tralischen haften.  Das  rundet  sich  wieder  im  Sinn  des  Eingangs, 
doch  noch  gesteigert  ab.  Nur,  daß  dieses  Larghetto  von  wenigen 
Orchestertakten  echt  bühnenmäßig  umrahmt  wird.  Es  bleibt  eine 
Merkwürdigkeit,  die  den  Vorzug  hat,  so  schön  und  ergreifend  zu 
sein,   daß   der  Mangel  an   klassischer   Haltung   im   Mittelsatz  eines 


150 

Konzerts  niemandem  mehr  bewußt  wird.  Nun  kann  sich  die  Phan- 
tasie des  Passagen erf inders  im  Finale  wieder  ausleben.  Das  ist  ein 
ununterbrochenes  Jubilieren.  Wie  prachtvoll  weiß  das  As-dur-Triolen- 
thema,  obwohl  in  der  Einstimmigkeit  der  beiden  Hände  einher- 
hüpfend,  das  Klavier  an  der  klangreichsten  Stelle  zu  treffen ;  und  mit 
welcher  Anmut  wendet  es  sich  nach  einem  getrübten  C-dur,  um  den 
Rückweg  zum  ersten  Thema  anzutreten!  Aber  —  o  Wunder  — 
es  gleitet  auch  ins  erste  Hörn,  das  nun,  wirklich  einmal  geist- 
reich, das  Zeichen  zu  einer  wahren  Triolenjagd  mit  leichter  Chro- 
matik  und  unter  dem  Schutz  der  aus  dem  Gedanken  nachklingenden 
Terz  gibt.  So  erfindet,  so  schafft  ein  Feuergeist,  von  der  ersten 
Liebe  entflammt. 

Wer  diesen  gesunden  Rausch  hat  auf  sich  wirken  lassen,  den 
mag  auch  das  e-moll-Konzert  in  seinen  Bann  zwingen,  doch  ohne 
zu  überraschen.  Die  heroische  Absicht  des  ersten  Satzes  erfüllt  sich 
nicht;  sie  wird  von  dem  schwermütigen  Unterton  durchkreuzt.  Aber 
der  Nachklassiker  bekämpft  hier  inmitten  aller  Spielfreudigkeit  durch 
sinnvollere  Themen entwicklung  erfolgreicher  den  Hang  zu  Seiten- 
sprüngen. Die  wunderschöne  E-dur-Romanze  ist  nicht  wie  jenes 
Larghetto  die  Frucht  innerer  Spannungen.  Sie  gestattet  dem  sonst 
so  programmlosen  und  wortkargen  Komponisten  selbst  die  Deutung: 
er  vertraut  sie  seinem  Titus  an:  „Es  ist  mehr  romantisch,  ruhig, 
melancholisch;  es  soll  den  Eindruck  eines  liebevollen  Hinblickens 
auf  eine  Stätte  machen,  die  tausende  von  angenehmen  Erinnerungen 
wachruft.  Es  ist  wie  ein  Hinträumen  in  einer  schönen,  mond- 
beglänzten  Frühlingsnacht."  Also :  die  Stimmung  eines  Tieck,  in  das 
Reich  des  Musikers  emporgehoben.  Hier  fehlen  auch  neben  der 
Pracht  ausgezierten  Gesanges  die  glitzernden  Sterne  nicht;  die  in 
den  hohen  Lagen  schwebenden,  mit  Vorschlägen  geschmückten 
Viertel  Der  ganze  Zauber  der  Frühlingsnacht  kann  dem  Empfäng- 
lichen, wenn  auch  nicht  im  Konzertsaal,  aufsteigen.  Der  Rondo- 
komponist hat  das  Schlußwort.  *  Er  holt  nur  mit  ganz  anderem 
Schwünge  aus.  Da  sprüht  es  wieder  Passagenblitze;  da  vergißt  sich 
der  fröhliche  Geist  in  ihm  in  gedehnterer  Form  und  so  espritvoll, 
daß  der  Genießer  eingesteht,  er  sei  auf  die  reizendste  Art  über- 
rumpelt worden. 

Freilich  tut  es  dem  orchesterfreudigen   und  dabei   um  die  Zu- 


151 

kunft  dieser  Konzerte  besorgten  Modernen  noch  immer  weh,  die 
Wirkung  solcher  Werke  durch  das  Mißverhältnis  der  konzertieren- 
den Partner  geschwächt,  wenn  nicht  untergraben  zu  sehen.  So  ist 
an  ihnen  von  erlauchten  Geistern  wie  Klindworth  und  Tausig  herum- 
operiert worden.  Begreiflicherweise  berührte  das  pietätvoll  den  Kern 
dieser  Salon-Klavierkonzerte  nicht;  sie  spotteten  in  ausdrucksvoller 
Schwäche  aller  Kräftigungsversuche.  Aber  das  nun  weniger  zurück- 
haltende Orchester  schob  doch  mindestens  das  Chopinsche  sanft 
beiseite. 

Der  Meister  war  in  weiser  Selbsterkenntnis  des  Experimen- 
tierens  sehr  bald  müde  geworden.  Und  das  1842  erschienene 
Allegro  de  Concert  op.  46  ist  das  lebendigste  Zeugnis  für  den  Kampf, 
den  ein  gewissenhafter  Künstler  mit  Stoff,  Form  und  Mitteln  zu  führen 
hatte;  durch  erbittertes  Ringen  ist  doch  nur  ein  Pyrrhussieg  er- 
fochten. Das  Bild  drängt  sich  schon  darum  auf,  weil  wir  nun  wieder 
Chopin  als  Herold  der  Nation  am  Werke  sehen.  Heldenhaft  wollte 
er  auch  einmal  im  großen  Zuge  sein ;  da  taucht  die  helle,  grelle  Ton- 
art A-dur  von  selbst  auf.  Aber  der  weit  gedachte  Rahmen  und,  was 
ihn  ein  hohes  Ziel  dünkte,  die  Verherrlichung  des  martialischen 
Polen,  wies  ihn  auf  das  Orchester.  Die  Klangphantasie  des  Meisters 
fühlt  sich  durch  die  Ferne  der  Obertasten  vereinsamt;  sie  irrt  in  er- 
heuchelter Männlichkeit  umher;  und  sie  wird  durch  das  fremde  Ge- 
sicht des  Adoptivpartners  ernüchtert.  Das  geschah,  wie  der  Brief- 
wechsel anzudeuten  scheint,  nicht  lange  nach  den  Klavierkonzerten. 
Der  falsche  Freund  wird  entlassen ;  der  wahre  soll  in  seine  Spur 
treten,  weil  nun  einmal  der  Gedanke  Gestalt  angenommen  hat  und 
ausgeführt  worden  ist.  So  wird  der  vom  Orchester  abgezogene 
Klaviersatz  massig  und  steif  wie  eine  Übertreibung  des  in  der  A-dur- 
Polonäse  peinlich  empfundenen.  Der  gereifte  Chopin  versucht  das 
Passagenungestüm  des  einstigen  Hummelianers  um  der  größeren 
formalen  Straffheit  willen  zu  dämpfen.  Mindestens  setzt  er  seinen 
wildjagenden  Sechzehnteln  mit  def  gewachsenen  Harmonik  spar- 
sam neue  Lichter  auf;  die  Achteltriolen  sind  noch  beredter.  Da- 
mit wird  aber  der  martiaüsche  Ton,  der  wohl  schon  früher  durch 
das  Spielerische  zum  Koketten  erweicht  und  veredelt  worden  war, 
stellenweise  ins  Nervöse  gezogen.  Bei  solchen  Klängen  atmen  wir 
auf.    Die  Unausgeglichenheit  des  Charakters,  die  auch  auf  die  Form 


152 

übergreift,  trübt  die  Freude  an  diesem  Werk.  Aber  seine  Meta- 
morphose war  noch  nicht  beendet.  Jean  Nicode  wollte  Chopins  Zu- 
kunftsgewissen sein :  er  stellte  das  Orchester  wieder  her  und  schob 
siebzig  eigene  Takte  ein.  Mit  dem  Erfolg,  daß  dieses  verunglückte 
dritte  Klavierkonzert  gewöhnlich  wieder  nach  des  Meisters  Wunsch 
behandelt  wird.  Er  wollte  das,  wofür  er  schwer  gerungen  hatte, 
sein  Schmerzenskind,  nicht  opfern;  sonst  stände  es  ganz  gewiß  unter 
den  ceuvres  posthumes. 


Wir  sind  nun  bei  der  Sonate;  also  bei  der  Form,  die  unsern 
Chopin  zur  größten  Selbstentäußerung  hätte  zwingen  müssen,  wenn 
eben  ein  Willensakt  das  Eigenste  im  Künstler  unterdrücken  könnte. 
Ein  erst  1851  veröffentlichtes  op.  4,  Grande  Sonate  in  c-moll,  zeigjt 
Chopin  an  der  Klippe  völlig  gescheitert.  Da  ist  ein  ewiges  Sich- 
winden der  leeren  Phrase  unter  einer  drückenden  Last,  und  nur  ein 
Larghetto  im  Fünfvierteltakt  könnte  als  Ehrenrettung  des  Kompo- 
nisten gelten,  wenn  er  dieser  überhaupt  bedürfte.  Ließ  hier  die 
innere  Gärung  selbst  den  Klaviersatz  im'  unkrautbewachsenen  Steppen- 
land mit  versanden,  so  stellt  sich  die  Kraft  zum  Konventionellen 
sofort  ein,  sobald  das  Instrument  zur  Rücksicht  auf  zwei  unbekannte 
Mitbewerber  gezwungen  ist.  So  wird  sich  das  mit  dem  Sonaten- 
versuch  ungefähr  gleichaltrige,  1830  erschienene  Trio  op.  8  in  g-moll 
das  Lob  jedes  braven  Musikanten  als  anständige  Musik  verdienen. 
Ja,  hier  und  da  wird  der  Eingeweihte  wohl  merken,  wie  das  ge- 
fesselte Genie   der  Wohlanständigkeit  entschlüpfen   möchte. 

Langsam  rückt  der  große  Augenblick  der  stärksten  Reibung  her- 
an. Ein  ganzes  Jahrzehnt  geht  dahin.  Die  1839  begonnene  b-moll- 
Sonate  erscheint  1840.  Man  bedenke:  indes  hat  sich  die  Tragik  des 
Lebens  ihre  Sprache  geschaffen.  Ein  Künstler,  geschüttelt  von  inne- 
ren Kämpfen,  ein  Meister  von  schier  unbegrenzter  Ausdrucksfähig- 
keit, ein  überzeugter  Aufrührer  im  Reich  der  Harmonik  und  der 
Tasten  möchte  noch  einmal  in  seiner  Art  klassisch  werden.  Nun 
wird  die  Form  nicht  mehr  ihn,  sondern  er  die  Form  bändigen. 
Bändigen,  nicht  meistern.  Die  unbeschreibliche  Erregung  wird  der 
Tyrann  sein,  der  sich  alle  die  kleinen  und  großen  Künste  der  Sonaten- 
schreiber unterwirft.     Sie  ist  mächtiger  als   er  selbst.     Die  g-moll- 


153 

Ballade  war  die  letzte  Schöpfung  sich  kreuzender,  sich  bedrängen- 
der Kräfte  des  Ausdrucks  und  der  Form.  Nun  aber  wird  der  An- 
prall so  heftig,  daß  die  Zerstörung  den  Weg  des  Schaffens  bezeichnet. 
Stücke  fliegen  ab;  aber  ein  erschütterndes  Ganzes  wird  aus  dem 
Chaos  geboren. 

Die  b-moll-Sonate  ist  ein  künstlerischer  Widerschein  von  Schreck- 
bildern der  Phantasie.  Der  Aufschrei,  ein  Reflex  der  Denkohnmacht, 
die  den  Menschen  zum  pathologischen  Kind  demütigt,  tritt  hier 
entfesselt  und  gebunden  zugleich  auf.  Wie  auf  einer  Insel,  abge- 
schieden von  allem  Leben  des  Geistes,  thront  der  Kunstverstand. 
Aber  die  Wirkungen  sind  so  elementar,  daß  sie,  Dezennien  über- 
springend, noch  heute  niederwerfen  können.  Die  gellende  Har- 
monik ist,  weil  aus  Abgrundtiefen  des  Unterbewußtseins  geschöpft, 
unnachahmlich.  Unnachahmlich  wie  das  Überschreiten  des  Taktes, 
das  der  Verwüstung  des  inneren  Rhythmus  entspricht.  Dabei  wird 
doch  der  klassische  Sonatenbau  in  seinen  Umrissen  geschont.  Ein 
erstes  Thema  führt  zum  zweiten;  einen  Abschluß,  eine  Krönung 
schafft  der  grandiose  Einfall.  Der  Durchführungsteil  verschlingt  zwar 
die  Reprise.  Aber  gesetzmäßig  tritt  das  in  der  Stimmung  veränderte 
zweite  Thema  auf  und  zieht  den  grandiosen  Einfall  organisch  nach 
sich.  Das  in  seinem  Dasein  gekürzte  Leitmotiv  wird  durch  ein 
wuchtiges  Auftreten  in  den  Bässen  belöhnt,  und  das  Tonalitäts- 
bewußtsein  durch  einen  glänzenden  B-dur-Schluß  befriedigt.  Doch 
innerhalb  dieser  Umfassungsmauern  spielt  sich  Unerhörtes  ab.  Mit 
der  Schwungkraft  eines  von  der  Nervenspannung  zu  übermensch- 
licher Anstrengung  Getriebenen  rast  das  keuchende  Motiv  nach  einer 
gehaltenen,  gespenstischen  Einleitung  davon.  Es  hetzt  unklassisch 
würdelos,  unbekümmert  um  die  Entfaltung  der  äußersten  Möglich- 
keiten zu  dem  rührenden  Des-dur-Thema,  das,  sich  prachtvoll  deh- 
nend, den  scheinbaren  Ruhepunkt  des  Innern  bezeichnet.  Dann 
heben  sich  plötzlich  auf  den  Schwingen  des  Sechsvierteltaktes  die 
harmonischsten  Dominantschlüsse  empor,  fordern  eine  atembeklem- 
mende Gegenbewegung  heraus  und  werden  so  zu  einem  Hämmern, 
das  die  Klaviatur  sprengen  möchte  und,  unentschlossen  irrend,  von 
der  Enharmonik  geleitet,  ein  Des-dur  erreicht.  Doch  auch  jetzt 
noch  krachen  die  rückleitende  Dominante  und  die  Tonika  des  Beginns 
so  hart  aufeinander,  daß  das  Schreckbitd  wieder  alle  guten  Geister 


154 

verjagt.  Wer  aber  weiter  vordringt,  dem  treten  andere  Erscheinun- 
gen aus  dem  Schattenreich  entgegen.  Dieser  Durchführungsteil,  in 
dem  es  zuerst  wie  Drängen  von  Dämonen  gegen  das  Weib  ist, 
peitscht  die  Modulationen  hintereinander  her,  stampft  wie  in  Todes- 
ängsten alles  nieder  und  rettet  sich  über  die  Brücke  des  Sechs- 
viertelthemas ins  Licht:  nach  B-dur;  die  rührende  Kantilene  setzt 
vorläufig  den  Schauern  der  Nacht  ein  Ziel. 

Kaum  ist  nun  von  diesem  vorläufigen  Haltepunkt  aus  eine  ruhige 
Schlußentwicklung  geglückt,  so  setzt  von  neuem  hämmernd  in  es- 
moll  das  Scherzo  ein.  Vier  eigensinnig  pochende  Achtel  gebären 
eine  ganze  Kette  chromatischer  Sexten,  die  über  die  Klaviatur  hin- 
stürmen. Wer  aber  die  Übermacht  des  Grausigen  beklagen  möchte, 
den  bezwingt  das  Trio  in  Des-dur  mit  seinem  sanften  Schweben ; 
einer  der  herrlichsten  Chopinschen  Lyrismen,  gehoben  von  dem 
Reiz  der  Mittelstimmen  und  auf  den  Fittichen  zarter  Harmonien 
wieder  nach  Des-dur  zurückgetragen.  Hier  die  Beredsamkeit  des 
Cellos,  dort  die  Chromatik  von  Oktaven  fügen  die  Bausteine  zu- 
sammen. 

Nach  der  prächtigen  Wildheit  und  dem  holden  Schwärmen  des 
Scherzos  hören  wir  anstatt  eines  Adagios  jenen  Trauermarsch,  dessen 
zweifelhafte  Volkstümlichkeit  wie  ein  Hohn  auf  seine  Umgebung 
ist.  Das  Seltsame  ist  geschehen,  daß  ein  Sonatensatz,  von  seinen 
vornehmen  Brüdern  losgelöst,  in  der  Gasse  endet.  Gewiß:  er  war 
immer  nur  ein  Stiefbruder,  nicht  für  die  Gemeinschaft  der  Familie, 
sondern  für  ein  Sonderdasein  bestimmt.  Aber  ein  Großer  wie  Liszt 
hatte  ihn  laut  gerühmt:  „Man  fühlt,  daß  es  nicht  der  Tod  eines 
Helden  ist,  den  man  beweint,  während  andere  Helden  da  sind, 
ihn  zu  rächen;  sondern  der  einer  ganzen  Generation,  die  dahin- 
gesunken  ist  und  nur  die  Frauen,  die  Kinder  und  die  Priester  zu- 
rückläßt." Das  ist  wahr,  aber  ich  glaube,  daß  gerade  das  Un- 
heroische ihn  herabgedrückt  hat.  Den  Tröstungen  des  Des-dur- 
Teils  hat  das  Tempo  des  Schreitens  die  Chopinsche  Überredungskraft 
geraubt.  Er  ist  süßlich,  weichlich  zur  Litanei  geboren.  Aber  wür- 
dige Trauer  umrahmt  ihn,  trägt  auch  ihn  zu  Grabe.  Und  wenn 
Trommelwirbel  und  Glockengeläut  verklungen  sind,  ist  nun  auch 
für  das  Finale  der  rechte  Sinn  eingekehrt.  Es  ist  in  seinem  leisen 
Dahinrauschen   die  größte   Kühnheit,  die  je  in  die  klassische  Welt 


155 

hinausgerufen  wurde.  Die  Geister  hatten  bis  jetzt  den  Bildner  nur 
bedroht  und  zu  keuchender  Hast  gezwungen.  Nun  wollen  sie  ihm 
den  Griffel  aus  der  Hand  schlagen.  Er  kann  sie  noch  gepeinigt,  ver- 
ängstigt aufs  Papier  bannen.  Den  Meister  der  Form  wollen  sie 
töten.  Der  aber  bleibt  ein  Meister  der  Farbe.  Haupt-  und  Mittel- 
satz zu  schaffen  reicht  die  Kraft  nicht  hin.  Aber  er  rafft  hastig 
sein  Unisono,  seine  Chromatik  zusammen,  läßt  beide  im  Bunde  durch 
die  Notenzeilen  jagen.  Ein  zweimaliges  röchelndes  Atmen,  und  sie 
verenden  in  b-moll,  im  Quartsextakkord.  Der  Zukunft  aber  ist  ein 
vorahnendes,  impressionistisches  Meisterwerk  geboren.  Das  Noten- 
bild selbst  wird  zur  hingeworfenen  Skizze.  Die  Köpfe  beleben  sich, 
und  der  Maler  grüßt  den  Musiker.  Wie  selbstverständlich  tobten 
die  Klassiker.  Aber  einer,  der  ein  Dichter  war,  sprach  aus  dem 
Zwiespalt  eines  ehrlichen,  Bach  und  Beethoven  ergebenen  Herzens 
heraus  folgende  Worte:  „Und  doch  gestehe  man  es  sich,  auch  aus 
diesem  melodie-  und  freudelosen  Satze  weht  uns  ein  eigener,  grau- 
siger Geist  an,  der,  was  sich  gegen  ihn  auflehnen  möchte,  mit 
überlegener  Faust  niederhält,  daß  wir  wie  gebannt  und  ohne  zu 
murren  bis  zum  Schlüsse  gehorchen  —  aber  auch  ohne  zu  loben ; 
denn  Musik  ist  das  nicht.  So  schließt  die  Sonate,  wie  sie  ange- 
fangen hat,  rätselhaft,  einer  Sphinx  gleich  mit  spöttischem  Lächeln." 
Schumann  sagte  es.  Auch  er  kannte  die  grausigen  Nachtgedanken, 
auch  er  starrte  entsetzt  ins  Leere.  Der  glatte  Mendelssohn  aber 
wandte  sich  angewidert  ab. 

Dieses  Tongemälde  im  Sonatengewand,  einzig  auch  bei  Chopin, 
stieß  sich  nicht  nur  gegen  die  Form ;  es  strebte  als  getreuer  Ab- 
druck eines  Jenseits  des  Geistes  über  die  Tasten  hinaus.  Die 
pochenden  Oktaven,  die  schweren  Baßfiguren,  der  fast  völlige  Ver- 
zicht auf  feineres  Satzgewebe,  auf  verführerisches  Passagenwerk  der 
rechten  Hand  sind  aus  Zwangsvorstellungen  geboren,  die  den  Fa- 
natiker des  Wohlklangs  aus  seinem  Gleis  heraustreiben.  Anders 
die  h-moll-Sonate  op.  58.  Hier  ist  der  Anprall  der  Stimmung  gegen 
die  Form  lange  nicht  mehr  so  heftig;  hier  durfte  der  Meister  sich 
auf  die  Forderungen  des  Ohres  wieder  besinnen.  Und  doch  er- 
schien diese  Sonate  1845  und  war  gewiß  nicht  lange  vorher,  also 
in  einer  Zeit  inneren  Jammers  entstanden.  Die  Wege  dieses  Geistes 
waren  unberechenbar;  und  die  Laune  wollte  es,  daß  dem  Sonaten- 


156 

Schreiber  Nocturnenhaftes,  Lyrisches,  Fröhliches  in  die  Feder  floß. 
Nur  im  ersten  Satz  wird  der  lebensfähige  Gedanke,  der  sich  ein 
breites  Bett  graben  will,  in  seinem  natürlichen  Lauf  gehemmt.  Aber 
hier  ballt  sich  nicht,  wie  in  der  b-moll-Sonate,  die  Faust  eines  im 
Krampf  Gewachsenen  und  zur  Eile,  zur  Straffheit  Mahnenden.  Hier 
darf  das  Thema  zunächst  seine  vier  Sechzehnte!  ruhig  entfalten. 
Aber  sie  steigen  zur  enharmonischen  Umdeutung  empor.  Es  ist 
der  erste  Schritt  vom  Wege.  Der  Freund  des  Klaviers  möchte  gar 
zu  gern,  ohne  den  Strom  abzulenken,  seine  Nebenkünste  üben.  Zwar 
glückt  es  ihm,  in  Achtelfiguren  über  aufwärts  rollenden  chroma- 
tischen Skalen  die  Erinnerung  an  das  Thema  wachzurufen ;  bald  aber 
schwächt  sie  sich  ab;  und  erst  dann,  wenn  der  zweite  Einfall  naht 
tropfen  jene  Sechzehntel  in  langer  Reihe  herunter.  Lauschen  wir 
nun  nicht  wieder  entzückt  dem  Kantilenensänger  Chopin?  Er  ent- 
schlägt sich  aller  quälenden  Sonatengedanken.  Da  sind  sie  nun, 
die  weiten  Bögen  der  Bässe,  die  der  Oberstimme  so  reizend  Ja 
sagen.  Der  Melodienfluß  ist  nicht  mehr  zu  hemmen.  Jener  I>dur- 
Gesang  treibt  Zweige ;  nun  laufen  auch  schon  die  Mittelstimmen 
anmutig  unter  dem  Diskant  hin;  nun  wirft  auch  schon  die  Linke 
der  Rechten  eine  Handvoll  Noten  zu.  Und  mit  diesem  melodischen 
Spiel  ä  la  Chopin  landen  wir  beim  Strich.  Da  aber  meldet  sich 
der  ganze  Ernst  der  Sonate:  diesem  Durchführungsteil  fehlt  die 
treibende  Macht,  die  den  andern  über  sich  selbst  hinaustrug.  Das 
Spielerische  möchte  sich  dem  Schulgemäßen  paaren.  Langsam  hilft 
sich  der  in  seinem  Wachstum  so  bald  behinderte  Hauptgedanke 
an  den  Krücken  harmonischer  Rückungen  weiter  und  mündet  end- 
lich in  Des-dur  bei  dem  fröhlichen  Seitenthema.  Dieses  wird  ver- 
kürzt und  vergrößert  fortgeschoben,  es  findet  auch  die  hilfreichen 
Passagen  wieder,  die  es  glatt  zu  dem  zweiten  Thema  in  H-dur 
herunterführen.  Nun  gibt's  keine  Stockungen  mehr.  Anmut,  Wohl- 
laut und  Glanz  kehren  zurück,  und  ein  accelerando  mit  stärkster 
Betonung  des  H-dur  und  der  leitmotivischen  Sechszehntelfigur  zwingt 
den  Schlußpunkt  herbei. 

Es  war  ein  heftiges  Ringen  eben  nur  da,  wo  ein  echt  klassischer 
Geist  gerade  unbestrittener  Sieger  gewesen  wäre :  im  Durchführungs- 
teil; sonst  war's  ein  liebenswürdiges  Ausweichen,  das  schmeichelnd 
alle   Bedenken    beschwichtigte.     Sie   können   sich    auch    im    Es-dur- 


157 

Scherzo  nicht  mehr  regen,  das  die  Finger  durch  anmutige  Krüm- 
mungen der  Linie  bis  zu  prächtigem  Einklang  dahinjagt;  das  die 
übersprudelnde  Laune  plötzlich  sinnend,  träumend,  anbetend,  lockend 
mit  Orgelpunkten,  Bindungen  und  geheimnisvollen  Mittelstimmen 
unterbricht.  Die  Treibhausluft  des  Notturnos  benimmt  us  im  Largo 
den  Atem ;  ja,  hier  möchten  wir  bei  allem  Reiz  des  Gesangs,  bei 
allem  Zauber  der  Stimmung  leise  abwehren.  Allzu  schwer,  allzu 
müde  ist  der  Schritt;  allzu  künstlich  wird  das  Fehlen  der  Kontraste 
verschleiert,  die  das  klassische  Gewissen  fordert.  Der  große  Ly- 
riker war  nie  ein  Adagiokomponist.  Hier  wird  der  Spieler  gebeten, 
chopinscher  als  Chopin  zu  sein,  liebevoll  gestaltend  zu  verhüllen, 
die  Spuren  der  Erschöpfung  zu  verwischen;  Gegensätze  aus  den 
Tasten  herauszuträumen.  Er  wird  durch  den  Schwung  des  Finales 
belohnt,  das  den  kühnen  Sprung  aus  dem  Traumland  in  den  Kon- 
zertsaal vollführt.  Es  kokettiert  im  stürmischen  Sechsachtelschritt 
mit  dem  Ernst,  legt  dem  Pianisten  in  jauchzenden  Passagen  kleine 
Steine  in  den  Weg,  die  er  nun  bedächtig  mit  dem  Fingersatz  beiseite- 
räumt, um  desto  ungezügelter  seiner  Virtuosenlust  zu  leben.  Dieses 
Finale  läßt  alle  Sünden  gegen  den  heiligen  Geist  der  Sonate  vergessen. 

So  hat  der  Kampf  Chopins  mit  der  Sonatenform  zwei  einzige 
Werke  geschaffen:  eines,  das  aufrüttelt;  ein  anderes,  das  entzückt. 

Und  eines  noch,  1847  als  op.  65  erschienen.  Es  war  das  letzte, 
das  er  mit  seinem  Namen  deckte:  die  g-moll-Sonate  für  Klavier 
und  Cello,  Auguste  Franchomme  dargeboten.  Noch  einmal  sollen 
die  Sehnsucht  nach  dem  Klassischen,  die  Anhänglichkeit  an  den 
Freund,  die  Liebe  zu  dessen  melancholischem  Instrument  sich  zu 
künstlerischem  Tun  zusammenfinden;  noch  einmal  läßt  er  die 
Schwermut  wie  im  Jugendtrio  in  g-moll  austönen.  Und  mit  den 
ersten  Takten  schon  weist  auch  das  Klavier  seinen  Partner  auf 
jene  herrliche  Zeit  zurück,  da  er  sein  f-moll-Konzert  schuf;  es 
wiederholt  fast  wortgetreu  die  Antwort  auf  das  Hauptthema  nach 
dem  Tutti  des  ersten  Satzes,  wie  wenn  es  sagen  wollte:  sieh,  was 
ich  damals  ahnte,  nun  hat  sich's  ganz  erfüllt.  Dann  aber  schwebt 
er  mit  gesenkten  Flügeln  dahin.  Die  Liebe  zum  Cello  hat  er  ja 
hunderte  von  Malen  in  seinen  ureigensten  Werken  wie  durch  einen 
Schleier  bekannt;  sie  ist  so  gänzlich  von  ihnen  aufgesogen,  daß 
die   Phantasie   im   offenen   Bekenntnis   erlahmt.     Die   kurzen   Licht- 


158 

blicke  im  Scherzo  und  in  den  Außensätzen  können  pietätvolle  Weh- 
mut nicht  in  herzliche  Zustimmung  wandeln. 


Im  Schaffen  des  werdenden  Meisters  gibt  es  so  manches,  was 
seine  Spur  bezeichnet.  So  seine  Lieder.  Wir  besitzen  17  von  ihm, 
im  op.  74  vereinigt.  Fontana  wollte,  um  Chopins  abergläubische 
Abneigung  gegen  die  Zahl  7  zu  ehren,  eines  von  ihnen  fallen  lassen. 
Schließlich  scheint  doch  die  Neigung  zum  Geldgewinn  die  Beden- 
ken der  Hinterbliebenen  überwogen  zu  haben.  Diese  Lieder  auf 
Texte  von  Mickiewicz,  Zaleski  und  Witwicki  rechnen  meist  nicht 
auf  unsere  Teilnahme.  Das  Feinnervige  haben  sie  schon  unter  den 
Händen  des  Bearbeiters  eingebüßt:  der  Klaviersatz  rührt  fast  durch- 
wegs von  dem  überaus  geschäftigen  Fontana  her.  Die  Manuskripte 
mit  den  halbnackten  Melodien  waren  unter  den  Freunden  verstreut. 
Sollte  man  sie  veröffentlichen,  und  wer  sollte  sie  druckfähig  machen? 
Auf  die  erste  Frage  erfolgte  selbstverständlich  die  bejahende  Ant- 
wort. Begründet  wurde  sie  damit,  daß  diese  Melodien  privatim 
oft  gesungen  worden  waren.  Um  die  zweite  erhob  sich  ein  Streit. 
Franchomme  wollte  es  übernehmen.  Fontana  bestritt  ihm  Recht 
und  Fähigkeit  dazu.  Er  sei  als  Nichtpole  der  Aufgabe  nicht  ge- 
wachsen ;  er  habe  sich  an  Chopin  herangeschmeichelt,  um  sich,  durch 
den  Nimbus  dieser  Künstlerfreundschaft  gehoben,  bessere  Erwerbs- 
quellen zu  schaffen. 

So  viel  Erbauliches  knüpfte  sich  an  das,  was  der  Liebe  zur 
Heimat  und  schon  dort  entstammt  war.  In  manchen  Liedern  läßt 
sich  noch  die  leitende  Hand  auch  im  Klavierpart  spüren.  So  at- 
met in  Nr.  6  „Aus  meinen  Augen"  das  Nachspiel  den  echten  Geist 
des  Notturnos  und  der  Mittelstimmen.  Und  während  sonst  der 
von  ihm  so  gehaßte  Stil  der  Orlowski,  Sowinski  usw.  hier  gegen 
Chopins  Willen  als  der  seinige  in  die  Welt  tritt,  zeigt  Nr.  9  (Eine 
Melodie),  im  Jahr  1847  entstanden,  das  merkwürdige  chromatische 
Herumtasten  einer  getrübten  Phantasie  auch  einmal  in  der  Sing- 
stimme. Die  liebe  Einfachheit  des  „Lithauischen  Liedes" ,  Nr.  16, 
das  dem  Strophischen  untreu  wird,  wie  die  des  Nr.  1  „Mädchens 
Wunsch"  haben  ihnen  ein  wenig  zu  Rang  und  Namen  verholfen. 
Alles   dies   ist  deutsch   von   Ferdinand   Gumbert   bearbeitet. 


159 

Aber  wenn  je,  so  hat  hier  Liszt  ein  wahres  Werk  der  Barm- 
herzigkeit geübt.  Er  faßte  sechs  aus  dieser  Erbschaft  zusammen 
und  schmückte  sie  in  seiner  Art  in  den  „Chants  polonais".  Hier 
war  nicht  dem  Unsterblichen  wie  in  Schubert  der  Weg  zu  bahnen; 
hier  war  melodischer  Besitz  wenigstens  für  die  Gegenwart  zu  retten. 
So  schlüpfte  auch  das  Chopinsche  Lied  in  die  Hülle,  die  ihm  künst- 
liche Wärme  gab. 

Wir  schauen  uns  um  und  erblicken  noch  einige  Reste,  die  der 
Meister  sorglos  zurückließ,  und  die  man  hastig  auflas:  so  einen 
Trauermarsch  in  c-moll,  Variations  sur  „un  air  allemand"  usw.  Die 
Liebe  deckt  den  Mantel  über  sie.  Sie  darf  sich  selbst  da,  wo  wir 
einem  Ringenden  folgten,  auf  ganz  andere  Rechtstitel  berufen. 


SCHERZO 

Ein  langer,  langer  Aufschrei  —  das   erste  Scherzo. 

Spott,  Karikatur,  Selbstironie  waren  die  Warfen  Chopins  im 
Kampf  gegen  Leben  und  Menschen.  Sie  hielt  sich  auch  der  Musiker 
als  Schild  gegen  den  Pöbel  vor.  So  verbirgt  die  Mazurka  oft  hinter 
der  Anmut  ein  spöttisches  Lächeln.  Konnte  aber  wirklich,  wie  Liszt 
klagt,  der  Künstler  den  Menschen  nicht  rächen?  Fand  das  Dämo- 
nische in  ihm,  das  ihn  in  seltenen  Augenblicken  bis  zur  Raserei 
trieb,  keinen  Ausweg?  Wie  das  geschah,  wie  es  dann  aufblitzte, 
das  sagte  ja  die  b-moll-Sonate.  Im  Scherzo  hatte  dort  ein  Tobender 
gegen  die  Wände  der  Erdenzelle  gepocht,  gegen  die  Begrenztheit 
seines  schwachen  Körpers  gewütet.  Die  beherrschte  Leidenschaft 
eines  Beethoven  trug  den  großen  Bau  der  Sonaten  und  Sympho- 
nien; und  sein  Humor  lachte  grimmig  auf.  Chopin  aber  wagte 
nur  jenes  eine  Mal  im  großen  Stil  zu  trotzen.  Er  hatte  längst  den 
kühnen  Einfall  gehabt,  den  Aufschrei  in  eine  andere  Form  zu  zwin- 
gen. Sie  nannte  er  nun  in  prachtvoller  Ironie  „Scherzo".  Den 
höhnenden  Zuruf  an  die  Gottheit  wollte  er  klassisch  werden  lassen ; 
in  einem  Typus,  der  so  gestaltet  als  seine  Schöpfung  gelten  muß. 

Aber  schwach,  wie  er  war,  blieb  er  sich  nicht  treu.  Jenes 
Scherzo  der  b-moll-Sonate  hatte  uns  in  seinem  Trio  Chopin  wieder 
auf  den  Knien,  wenn  nicht  vor  der  Gottheit,  so  vor  der  Göttin 
Weib  gezeigt.  Nichts  in  ihm  war  beständiger  als  der  Stimmungs- 
wechsel. Aber  die  stärksten,  ja  fast  unvereinbare  Gegensätze  faßte 
die  Nervenkraft  dieses  seltsamen  Meisters  zusammen :  auf  dem  klein- 
sten Raum  in  der  Mazurka,  auf  dem  größeren  im  weitgedehnten 
Scherzo. 

Es  ist  nicht  reiner  Zufall,  daß  sich  dies  innerhalb  des  Drei- 
vierteltaktes abspielt.  Auch  im  Scherzo  klingt  die  Idee  des  Tanzes 
nach;  aber  eines  grausigen  Tanzes,  der  die  Rachegeister  durch- 
einanderwirbeln, die  Bewohner  der  Hölle  mit  verzerrten  Gesichtern 
auftreten  läßt.  Chopin,  der  die  Hände  so  gläubig  falten  konnte, 
wenn  er  nicht  im  Salon  war,  hatte  oft  unter  der  Vision  zukünftiger 
Qualen  schwer  zu  leiden.  Der  Unglaube  des  Künstlers  mit  dem 
geheimen  Katholizismus  ruhte  auf  tönernem  Boden;  wie  er  den 
Aberglauben  mit  sich  führte,  so  auch  den  schrecklichen  Gedanken 


161 

an  die  Nemesis,  gesteigert  durch  die  Mittätigkeit  einer  ruhelosen, 
karikierenden  Phantasie.  Nur  ein  zerriebener  Mensch  konnte  das 
Scherzo  schaffen.  Und  es  ist  nicht  anzunehmen,  daß  das  erste  in 
ihrer  Reihe,  das  1835  veröffentlichte  in  h-moll  op.  20,  viel  früher 
entstanden   war. 

Es  mutet  auch  unter  Chopinschen  Merkwürdigkeiten  merk- 
würdig genug  an.  Das  Dämonische  schafft  sich  neue  Wege.  Es 
stürmt  ja  presto  con  fuoco  dahin,  es  rückt  die  Noten  zusammen. 
So  darf  es  sich  auch  blitzartig  und  doch  nicht  zerstörend  aus  Cho- 
pinschem  Geist  noch  kühnere  Passagen  formen.  Die  Intervalle  wei- 
ten sich  noch,  die  Chromatik  erleuchtet  sie.  Das  Sprunghafte  fügt 
sich  zur  Impression.  Aber  sie  genügt  dem  klassisch  Gestimmten 
nicht.  Drei  Achtel,  die  das  Zeichen  zur  Teufelsjagd  gegeben  haben, 
zeugen  nach  kurzem  Aufatmen  den  artikulierten  Aufschrei  zweier 
Höllengeister,  einen  fratzenhaften  Durchführungsteil.  Da  bricht  der 
Sterbliche  zusammen.  Ein  schwermütiges  Unisono;  und  er  singt 
ein  längst  vergessenes  Lied,  ein  polnisches  Weihnachtslied.  In  Fis 
läuten  ihm  die  Glöckchen  dazu.  Das  Kindliche,  das  Einfache  regt 
sich  nun  wieder.  Aber  auch  das  Schreckliche.  Es  scheint  sich  in 
zerlegten  Septakkorden  zu  mildern.  Da  kündigt  dumpfes  Grollen 
etwas  Grausiges  an.  Und  schon  schüttelt  auch  wieder  ein  Krampf 
den  Dichter.  Ein  chromatischer  Lauf  pfeift  über  die  Klaviatur.  Der 
Spuk  ist  aus. 

Keines  der  anderen  wirkt  so  elementar  wie  dieses  Scherzo; 
keines  wühlt  wie  dieses  als  Tongemälde  in  den  Tasten  wider  die 
Tasten.  Das  folgende  in  b-moll  op.  31  vom  Jahre  1838  ist  durch 
Gouvernantenhände  entweiht,  gezähmt  worden.  Die  Koketterie  des 
Gesanges,  der  Wohllaut  der  Des-dur-Spannungen,  das  träumende 
A-dur-Intermezzo  scheinen  wirklich  die  Wildheit  zu  vereiteln,  die 
uns  die  schwungvolle  Triolenfigur  des  Beginns  verhieß.  Schwer 
löst  sich  aus  der  Melancholie  der  rezitativischen  cis-moll-Phrase  der 
echte  Scherzo-Rhythmus.  Er  kämpft  mit  der  Schwermut  des  Ge- 
sanges. Und  wie  anmutig  schwingen  sich,  von  der  Säule  der  A- 
dur-Dominante  gestützt,  über  singenden,  klingenden  Bässen  die  Pas- 
sagen in  die  Höhe,  um  sich  doch  wieder  in  den  tiefen  Abgrund  der 
Dominante,  ins  Kontra-E  zu  stürzen!  Dann,  nach  neuem  Anhieb, 
Stufe   um    Stufe   herunterrückend,   steigen    und    stürzen    sie    wieder, 

WeisBmann,   Chopin  11 


162 

immer  wilder,  immer  chromatischer.  Wo  vorhin  noch  der  Scherzo- 
Rhythmus  mit  der  Kantilene  stritt,  reißt  die  wachsende  Erregung 
beides  mit  sich.  Sie  treibt  von  A-dur  kühn  nach  b-moll  zurück, 
sie  führt  einen  prachtvollen  Unisonosturm  herauf,  der  verrauscht, 
um  das  Ganze,  Tragödie  und  Komödie,  von  vorn  beginnen  zu  lassen 
mit  seinen  stampfenden  Vollgriffigkeiten,  mit  seinem  dröhnenden 
Triller  und  seiner  schmeichelnden  Koketterie.  Aber  der  Dämon  wen- 
det Lyrisches  ins  Oroteske,  jagt  von  Des-dur  nach  A-dur,  von  da 
wieder  nach  Des-dur  zurück,  wo  rasend  gewordene  Achtel,  häm- 
mernde Akkorde,  gellende  Schreie   im   Jubel   ausklingen. 

Hart  im  Raum  stoßen  sich  auch  die  Gegensätze  im  cis-moll- 
Scherzo  op.  39.  Es  erschien  1840.  Aber  geschrieben  wurde  es  in 
Majorka.  Wer  das  weiß,  der  möchte  der  Poesie  des  Klosters  Val- 
demosa  nachspüren.  Sie  umfängt  uns  im  Mittelteil,  wo  wechselnder 
Glockenklang  und  herabsteigende  Engelstimmen  sich  abzulösen  schei- 
nen, wo  die  ausgebreitete  Pracht  der  Dominantklänge  die  Sinne 
zu  sich  lockt:  eine  vom  Pedal  getragene,  vergrößerte  neue  Har- 
monie, beiden  Händen  in  gleicher  Weise  anvertraut.  Die  dämo- 
nische Wildheit,  die  sich  von  Anfang  an  in  Quartolen  gegen  den 
Rhythmus  stößt,  in  scharfem  Oktavenritt  vom  Klavier  die  höchste 
Energie  erzwingt,  will  diese  Poesie  nicht  nur  umrahmen,  sie  möchte 
auch   mitgestaltend   klassisch   in   sie  hineinspielen. 

Hier  gelingt  es  ihr  nur  halb,  trotz  dem  Harnionienzauber,  den 
solche  Stimmungspaarung  erschafft.  Aber  das  letzte  Stück  der 
Straße,  die  zum  cis-moll-Gipfel,  zur  vulkanischen  Höhe  hinaufführt, 
berauscht  uns  durch  den  narkotischen  Duft  einer  Tropenvegetation. 
Aus  der  Kontrabaßregion  wachsen  prachtvolle  Notenketten  empor, 
die  immer  wieder  orgelpunktmäßig  tief  unten  bei  Gis  münden ;  und 
darüber  müssen  die  Glocken,  die  der  Andacht  tönen  möchten,  in 
der  Sprache  der  Liebe  reden.  Dieser  Zusammenklang  von  gläu- 
bigem Sinn  und  glücklich  sündiger  Kreatur,  den  Mephisto  endlich 
hohnlachend  zerstört,  ist  einer  von  jenen  Punkten,  die  von  dem 
Mangel  einer  letzten  Synthese  in  diesem  Werk  siegesgewiß  ab- 
lenken. 

Im  vierten  Scherzo  aber,  in  E-dur,  vom  Jahre  1843  ist  die  Aus- 
druckskraft im  Dämonischen  erlahmt;  die  Grazie  will  sich  für  sie 
einsetzen;    doch    auch   sie  flattert   schwunglos,    nach   Stützpunkten 


163 

suchend,  umher;  der  Triller  entfaltet  sich  reizvoll  zum  rhythmischen 
Achtelschritt;  der  Schluß  entwickelt  sich  imposant.  Aber  hier  sinkt 
großartiger  Spott  zurück  vor  dem  besseren  Selbst  des  Tondichters, 
der  die  Eintönigkeit  der  Farbe,  des  Ausdrucks  fühlt,  wenn  Nacht- 
gedanken ihn  peinigend  begeistern. 

So  konnten  nur  vier  Scherzi  entstehen,  und  nicht  alle  von 
gleichem  Rang.  Sie  sind  nicht  gesundem  Kraftgefühl,  sondern  der 
Wut  des  aufgepeitschten  Nervenmenschen  entsprungen.  Aber  fort- 
reißend und  fortzeugend  haben  sie  nicht  nur  das  Klavierscherzo 
als  Eigengattung  der  Welt  geschenkt;  auch  das  Orchesterscherzo 
der  Modernen  lebt  von  solchem  Vorbild  der  Stimmung.  Der  große 
Lyriker  brauchte  nur  abzuschweifen,  um  selbst  einer  unlyrischen 
Zeit,  deren  Phantasie  der  Scherzorhythmus  am  sichersten  beflügelt, 
den  Weg  zu  weisen. 


IV 


EWIGE  MINIATUREN 
PRELUDES  —  ETÜDEN 

Der  Revolutionär  Chopin  wirft  alle  Ordnung  über  den  Haufen. 
Frühreif  und  nach  kurzem  Schwanken  zum  Gipfel  einer  Eigenkunst 
aufgestiegen,  verursacht  er  denen  Beklemmungen,  die  um  der  lie- 
ben Regel  willen  sein  Schaffen  stufenweise  betrachten  möchten.  Wie 
er  sich  von  der  Stimmung  treiben  läßt,  verlangt  er  von  seinen 
Nachfahren,  daß  selbst  ihre  Kapiteleinteilung  seinen  Geist  atme.  Er 
ist  so  wundervoll  untraditionell.  Übernimmt  er  traditionelle  For- 
men, dann  haucht  er  ihnen  so  viel  vom  Leben  seiner  Stimmung 
ein,  daß  sie  sich  nicht  wiedererkennen ;  sie  reihen  sich  wie  selbst- 
verständlich denen  an,  die  er  selbst  ersann.  Und  endlich  widerspricht 
die  Tatsache  seiner  Größe  zum  ersten  Mal  dem,  wie  es  schien, 
ehernen  Gesetz,  daß  nur  Werke  von  langem  Atem  den  Anspruch 
auf  Fortdauer  begründen  könnten.  Chopins  Größe  liegt  in  der  Mi- 
niatur. Unter  den  Miniaturen  aber  sind  die  Präludien  und  Etüden 
mit  lapidarer  Schrift  in  den  Annalen  des  Schaffens  verzeichnet.  Sie 
haben  anders  als  jene  Mazurken,  die  hier  das  Einlaßtor  in  Chopins 
Reich  bedeuten,  die  nationale  Tracht  abgestreift  und  bergen  das  na- 
tionale  Herz    eines    Eigenen   unter    weltbürgerlicher    Hülle. 

Das  Präludium  bezeugt  am  stärksten  den  Zwang  der  künst- 
lerischen, romantischen  Persönlichkeit,  die  Form  zum  Abdruck  des 
Ichs  zu  machen.  Die  Verehrung  für  Bach,  die  er  als  Kind  schon 
eingesogen  und  wachsend  in  sich  bestätigt  und  erneut  hatte,  klingt 
im  Namen  nach.  Wie  er  ihm  Liebe  und  Kraft  zu  den  Mittelstimmen 
dankte,  so  sah  er  in  ihm  die  Grundlage  des  klaviertechnischen  Ge- 
rüsts; korrigierte  er,  über  die  Fehler  der  angeblichen  Kenner  lächelnd, 
die  Pariser  Bachausgabe;  spielte  er  Bachs  Präludien,  wenn  der  Geist 
über  ihn  kam.  Sie  geleiten  ihn,  wie  wir  ja  aus  seinem  eigenen 
Mund  hörten,  auch  nach  Majorka.  Dort  aber  sind  fast  alle  Stücke 
des  op.  28  unter  schweren  Wehen,  wenn  nicht  geboren,  so  doch 
nach  der  Skizze  vollendet  worden.  Ein  Meister  in  der  Vollkraft 
der  Ideen  und  des  von  ihnen  befruchteten,  sie  gestaltenden  Könnens 
flüchtet  sich  in  der  Not  seines  Herzens  zu  dem  ehrsamen,  gläubigen 
Thomaskantor;  die  Gespenster  schrecken  ihn,  und  er  schreibt  angst- 
voll,   mit    gesträubtem    Haar    Präludien    nieder.     Hätte    er's   je   ge- 


165 

könnt,  hier  kann  er  nicht  mehr  die  Vorlage  nachzeichnen.  Das 
einstige  Choralvorspiel,  die  freie  Fantasie,  die  zur  Fuge  überleitet, 
wird  ihm  nichts  weiter  als  der  Antrieb,  seiner  Stimmung  in  völliger 
Freiheit  zu  leben.  Die  Übersinnlichkeit  der  Fuge,  aus  der  Welt- 
entrücktheit geschöpft,  schwebt  ihm  nicht  vor;  weltentrückt,  über- 
sinnlich ist  auch  er,  aber  so,  daß  nicht  höchste  Selbstentäußerung, 
sondern  höchste  Steigerung  des  Selbst  ihn  über  das  Dasein  erhebt 
Schweigt  dort  das  Instinktleben,  so  ist  es  hier  in  seinem  Urgrund 
entschleiert.  Nirgends  wie  in  den  Präludien  erscheint  die  Erregung, 
die  Pein,  die  Beseligung  des  Künstlers  so  schrankenlos  festgebannt. 
Sie  versuchen  klassisch  zu  sein,  indem  sie  anders  als  die  bunten 
Mazurken  nicht  in  sich  selbst,  sondern  nur  gegeneinander  kontrastie- 
ren. Aber  sie  erhellen  seine  Psyche  mit  dem  Blitzlicht  des  Genies. 
Sie  geben  in  ihrer  ewig  wechselnden  Gestalt  Zeugnis  von  der  Ver- 
zweigtheit seiner  Empfindung.  Sie  verraten  die  innere  Hast  und 
Ruhelosigkeit.  Keuchend  setzt  er  oft  nur  eine  Skizze  hin;  zuweilen 
erreicht  er  einen  Schein  von  Geschlossenheit.  Immer  aber  ist  das 
Präludium  das  treue,  schlagkräftige  Echo  eines  überreichen  Unter- 
bewußtseins. 

Begreiflich  ist's  nach  alledem,  daß  die  Nachempfinder  hier  ihren 
Drang  zur  Verbildlichung  mehr  als  irgendwo  befriedigen  wollten.  Die 
aufreizende  Vielg^staltigkeit  des  Rhythmus,  die  bunte  Pracht  der 
Modulation  sprechen  eindringlich  zur  Phantasie.  Mögen  aber  die 
von  Julius  Kapp  mitgeteilten  Aufzeichnungen  Laura  Kahrers,  einer 
Schülerin  Hans  von  Bülows,  zu  den  „Preludes"  sich  noch  so  sehr 
auf  Liszt  und  die  Chopinschüler  Wilhelm  von  Lenz  und  Madame 
de  Kalergis  berufen,  sie  gelten  nicht  viel  mehr  als  andere  Deutungen. 
Der  scharfsinnig  analysierende  Bülow  hatte  mit  Chopin  auch  als 
Interpret  wenig  gemein;  sein  Unterbewußtsein  geriet  durch  ihn  nicht 
in  Mitschwingung.  Und  die  Quelle,  aus  der  ihm  die  Mitteilungen 
zuflössen,  ist  individuell  getrübt;  der  fesselnde  und  gesprächige  Lenz 
vor  allem  verdient  das  Mißtrauen  der  Nachwelt.  Konnte  überhaupt 
Chopin  jene  Stimmung,  die  seine  Präludien  geboren  hatte,  später 
im  Unterricht  immer  wieder  in  sich  hervorrufen?  Er  stand  ihnen 
dann  als  ein  Rückschauender  ebenso  fremd  gegenüber  wie  jene  an- 
dern, die  ihn  gierig  ausfragten.  Nur  wenige  Stücke  scheinen  sich 
der  Vieldeutigkeit  zu   entziehen;   doch   auch   in   sie   hat  der  Genius 


166 

ein  Letztes  getragen,  das  dem  Programm  das  Bindende  nimmt.  Aber 
wie  der  Kunstverstand  sie  alle  nach  Tonarten  aneinanderreihte,  das 
ist  sein  klassisches  Programm. 

Chopin  grüßt  Bach  in  C-dur.  Es  ist  wie  die  Widmung  an 
den  Meister,  eine  Verbeugung  vor  der  Tradition,  die  der  klarsten 
Diatonik  den  Vortritt  läßt.  Die  Phantasie  soll  zeigen,  was  sie  auch 
unter  dem  Joch  leisten  kann.  Und  sie  findet  selbst  in  dieser  Klar- 
heit, die  das  Halbdunkel  gefährdet,  noch  den  Weg  zur  Höhe.  Man 
unterbindet  ihren  Hang,  sich  in  Modulationen  zu  ergehen?  Out, 
dann  wird  sie  sich  rhythmisch  ausleben.  —  Agitato  stürmt  sie  da- 
hin; zur  Eile  treibt  sie  noch  einmal;  Triolen  verschränkt  sie  in- 
einander und  läßt  in  der  Mitte  das  Klavier  mit  klangvoller  Stimme 
seine  Melodie  singen.  Singen  mit  wechselndem  Ausdruck,  mit  viel- 
fältiger Abstufung  und  so,  daß  Bach,  dem  doch  gehuldigt  worden 
ist,  grämlich  dreinschaut. 

Und  er  ist  bald  genug  vergessen.  Denn  im  zweiten  (a-moil) 
Präludium  wird  alles  Klassische  niedergerissen.  Es  ist  eines  von 
denen,  die  sich  der  ohnmächtige  Revolutionär  auf  die  Kunde  von 
der  Einnahme  von  Warschau  von  der  Seele  schrieb.  Nicht  im  ersten 
Toben  des  Schmerzes,  das  ihn  donnernde  Passagen,  heftige  Inter- 
jektionen hinausschreien  ließ;  sondern  in  der  Gebrochenheit,  die 
ihm  folgte.  Die  Lähmung  des  Denkens  durch  eine  fixe  Idee,  die  Ge- 
mütsstarrheit  setzt  sich  in  eine  musikalische  Sprache  um,  die  zu  echt 
und  zu  neu  war,  um  nicht  auch  Chopingläubige  stutzig  zu  machen. 
Man  darf  wohl  sagen,  daß  nirgends  in  der  gesamten  Musikliteratur 
der  Grenzzustand  des  Geistes  durch  den  Musiker  in  flagranti  er- 
tappt worden  ist  wie  hier.  Die  Zwangsvorstellung  zeugt  das  im 
gewöhnlichen  Sinn  Häßliche;  eine  Chromatik,  die  zwecklos  und  träge 
in  den  Tasten  wühlt  wie  das  Motiv,  das,  an  sich  ohne  Rundung,  in 
verschiedenen  Tonstufen  dieselbe  unfruchtbare  Frage  an  das  Schick- 
sal richtet.  Die  entgleiste  Phantasie  des  Wahnsinnigen  findet  den 
Weg  zur  Tonart  nicht  mehr;  Zwielicht  und  Schatten  bekämpfen 
sich;  G  und  Gis,  D  und  Dis  stoßen  sich  hart  im  Akkord.  Die 
Bässe  tasten  umher;  ihr  Atem  setzt  aus.  Umherirrend  landen  sie  in 
a-moll. 

Der  Kunstverstand,  der  hinterher  dieses  ergreifende  Dokument 
der  Denklähmung  und  Willensohnmacht  billigte,   erschütterte  unbe- 


167 

wußt  die  Grundlagen  der  Ästhetik  und  baute  dem  modernsten  Re- 
alismus vor. 

Der  fröhliche  Geist  und  das  traurige  Herz  lösen  sich  nun  weiter 
ab.  Diese  vollendeten  Stimmungsbilder,  die  oft  nur  aus  wenigen 
Takten  bestehen,  wollen  liebevoll  betrachtet,  nicht  zerfasert  werden. 
Wer  ihre  Poesie  nicht  empfindet,  dem  ist  sie  nicht  einzuimpfen.  Das 
entzückende  Salongespräch  in  G-dur  bedarf  der  Deutung  nicht.  Wer 
im  e-moll-Präludium  wirklich  an  einen  Erstickungsanfall  denken  will, 
dem  entgeht  das  Eigenste  dieser  Dichtung:  sie  spricht  von  tieferem 
Leid:  von  dem  der  Liebe.  Eine  Analogie  findet  sich  bereits:  die 
idee  fixe.  Während  aber  in  jener  a-moll-Skizze  des  Irren  ein  un- 
melodisches Leitmotiv  bohrend  umherzog,  läßt  sich  hier  ein  melo- 
disches vom  Geist  des  Vorhalts  zweimal  hinuntertragen.  Wer,  der 
in  Chopin  heimisch  ist,  spürt  da  nicht  den  schweren  Atem  eines 
Sehnsuchtsvollen?  Weiterziehend,  begrüßen  -wir  das  jauchzende 
D-dur-Präludium,  in  dem  Passagen  sich  neckisch  nähern  und  fliehen ; 
den  Grabgesang  in  h-moll,  wo  nun  wirklich  in  dem  leise  fortklingen- 
den H  der  Oberstimme  das  Sterbeglöckchen  läutet,  das  in  A-dur, 
dessen   naive   Lust  am  Tanz  nicht  mißzuverstehen   ist. 

Da  halten  wir  still.  In  fis-moil  schreit  und  bebt  ein  in  seinem 
seelischen  Gleichgewicht  Erschütterter.  Dieses  Präludium  ist  aus 
;iefster  Seelenangst  geboren.  Es  trägt  uns  mitten  in  die  Phantastik 
von  Majorka.  George  Sand  war,  so  heißt  es,  mit  ihrem  Sohn  Mau- 
rice ausgegangen,  von  einem  Gewitter  überrascht  worden  und  erst 
am  folgenden  Tag  zurückgekehrt.  Sie  trafen  einen  Halbirren  an. 
Entgeistert,  mit  wirrem  Haar  starrte  er  sie  an  und  ging  ihnen  mit 
den  Worten  entgegen:  „Ich  wußte  wohl,  daß  ihr  gestorben  seid/' 
Dann  soll  er  dieses  Präludium  gespielt  haben,  das  ein  ununterbroche- 
ner Sturm  des  Rhythmus  und  der  Modulation  ist;  und  der  traurige 
Gesang,  der  sich  zwischen  ihnen  hinzieht,  hat  etwas  Atemloses.  Doch 
es  war  ein  musikalisch  unversehrter  Geist,  ein  Meister  gefühlter 
Farbe,  der  ihn  schuf. 

Von  hier  zum  gläubigen  Hinsinken  (in  E-dur)  ist  es  nur  ein 
Schritt.  Aber  ahnten  wir  je,  daß  das  Gebet  des  Einsamen  uns  so 
tief  ergreifen  könne?  Es  tönt  durch  die  weiten  Hallen  des  Klosters 
Valdemosa;  es  sucht  der  Zerrissenheit  Herr  zu  werden.  Unter  der 
Singstimme,  die  den  Glauben  kraftvoll  betont,  strömt  des  Herzens 


168 

Pein  aus;  und  der  Musiker  geht  staunend  den  verschlungenen  har- 
monischen Pfaden  nach,  die  in  zwölf  Takten  Ausblicke  in  ein  Wun- 
derland eröffnen.  So  erstarrt  ihm  auch  das  Lächeln  über  die  selt- 
same Deutung  der  angeblich  Eingeweihten:  hier  soll  Chopin,  in  der 
Oberzeugung,  er  könne  nichts  mehr  erfinden,  sich  den  Kopf  mit 
einem  Hammer  zerschlagen  haben,  um  nachzusehen,  woran  es  fehle. 
Nein,  es  ist  Verständnislosigkeit,  die  das  Lyrische  ins  Dramatische 
wenden  will. 

In  cis-moll  gibt's  eine  Begegnung  zwischen  Chopin  und  jenem 
Schumann,  dem  er  innerlich  fremd  war:  „Vogel  als  Prophet"  und 
dieses  Präludium  mit  seinen  flatternden  Sechzehnteln,  die  ganz  gut, 
wie  man  sie  deutete,  einem  Nachtfalter  gehören  können,  scheinen 
aus  der  gleichen  Romantik  erwachsen.  Wer  aber  tiefer  dringt,  dem 
entweicht  hier  Chopin,  wo  Schumann,  der  Seher,  den  Blick  noch 
verträgt.  Auch  die  Libelle,  die  im  folgenden  —  in  H-dur  —  einen 
Bach  umkreisen  soll,  mag  man  gelten  lassen;  es  ist  eine  unbeschreib- 
liche Anmut  in  diesem  Stück  mit  den  reizenden  Krümmungen  der 
Bässe.  So  ließe  sich  wohl  auch  an  ein  Schäkern  zwischen  Lieben- 
den  denken. 

Im  folgenden  (gis-moll)  Präludium  dagegen  wollte  man  Schwer- 
ter blitzen  sehen;  George  Sand,  die  Ungetreue,  wäre  die  Ursache 
dieses  phantastischen  Duells  gewesen.  Als  ob  Chopin  je  einen  Men- 
schen zum  Vertrauten  seiner  Eifersuchtsqualen  gemacht  hätte.  Ein 
rasender,  echt  polnischer  Tanz  ist's,  der  uns  ein  stürmendes  Innere 
verrät;  und  aus  dem  Grund  von  Schwermut,  aus  dem  Moll  steigen 
immer  neue  Kühnheiten  auf,  wie  sie  nur  der  Mazurkenkomponist 
ersinnen  konnte.  Dieser  Sturm  hat  in  einer  prachtvollen  Schluß- 
wendung ausgetobt;  und  schon  hören  wir  in  Fis-dur  den  Sänger  der 
Nocturnes  unter  Tränen  lächelnd  eine  seiner  schönsten  Weisen  an- 
stimmen. Die  Gespenster  bedrängen  ihn ;  die  LInisonostimmung  im 
letzten  Satz  der  b-moll-Sonate  taucht  in  es-moll,  aber  skizzenhaft 
und  weniger  erschütternd  auf. 

Auch  die  Sammlung  der  Präludien  enthält  Stücke,  die  von  ganzen 
Generationen,  nicht  immer  pietätvoll,  betastet  worden  sind.  So  das 
in  Des-dur.  Hier  sollen  Regentropfen  das  wiederholte  As,  das  durch 
enharmonische  Verwechslung  sich  dann  in  Gis  wandelt,  geschaffen 
haben.     Gut;  aber  wenn  je  Natur  durch  ein  Temperament  gesehen 


169 

wurde,  so  geschah  es  hier.  Lösen  wir  von  dieser  Phantasie  die 
Schicht  von  Banalität;  erfreuen  wir  uns  an  der  Lieblichkeit  des  Ge- 
sanges, empfinden  wir  die  düstere,  gespenstische  Stimmung  des 
Mittelteils,  in  dem  der  Geist  des  Kartäuserklosters  sich  mit  dem 
Klang  jener  Tropfen  zu  mischen  scheint.  Dann  wird  der  Über- 
gang zum  b-molI-Präludium,  in  dem  Passagen  über  hastenden,  schwer 
akzentuierten  Bässen  heulen,  nicht  schwer  sein.     Es  ist  ein  Wunder. 

Von  Majorka  fliegen  wir  nach  Paris.  Das  As-dur-Präludium 
ist  nur  hübsch,  nur  anmutig;  das  einzige,  in  dem  das  kleine  Format 
des  Gedankens  und  die  übermäßige  Sorgfalt  der  Ausführung  sich 
widersprechen.  Mag  sein,  daß  eine  Liebesszene  auf  dem  Notre- 
Dame-Platz  geschildert  ist,  obwohl  die  Sprache  der  Liebe  in  Chopin 
anders  klingt.  Da  er  aber  nicht  sich  selbst  meinte,  braucht  die 
Kühlheit  nicht  zu  befremden.  Und  der  Ton  der  Glocken  scheint 
in  dem  orgelpunktmäßigen  tiefen  As,  das  lange  über  den  Harmonien 
schwebt,  unverkennbar. 

Ganz  anders  dramatisch  aber,  drängend,  alle  Grenzen  über- 
schreitend, ist  der  rezitativische  Sturm  des  f-moll-Präludiums.  Der 
Balladengeist  erwacht.  Will  da  jemand  einen  Unglücklichen  sich 
von  der  Höhe  eines  Turms  in  die  Tiefe  stürzen  sehen,  so  dürfen 
wir  ihm  zustimmen ;  aber  auch  das  Ringen  mit  dem  Schicksal,  an 
dem  die  Kraft  des  Sterblichen  zerschellt,  kann  keinen  packenderen 
Nachklang  finden.  Von  da  zu  dem  Es-dur-Zauber  des  nächsten 
Stückes  ist's  unendlich  weit.  Der  zweistimmige  Satz  erlebt  einen 
neuen  Triumph ;  und  ein  kaum  für  Augenblicke  getrübtes  Glücks- 
gefühl sucht  nach  den  höchsten  Spannungen.  Dem  Himmelhoch- 
jauchzenden folgt  die  Todestraurigkeit:  ein  Trauermarsch  c-moll  von 
zwölf  Takten,   der  aber  volltönig,    nuancenreich    einherschreitet. 

Ins  Herz  geschlossen  habe  ich  das  folgende  Präludium  in  B-dur. 
Es  hält  sich  in  einem  wundervollen  clair-obscur.  Die  Bässe  mit  den 
auseinanderstrebenden  Achteln;  die  nervöse  Harmonisierung,  die  der 
Tonart  etwas  Schwebendes  gibt;  die  Ges-dur-Episode,  die  sich  auf 
das  b-moIl-Nocturne  beruft;  und  das  Schluß-Crescendo,  das  doch 
wieder  dem  schmeichelnden  Celloton  weicht;  all  dies  erbittet  Zärt- 
)ichkeit. 

Der  Schluß  der  Präludien  rückt  heran.  Zweimal  läutet  es  Sturm  ; 
m  g-moll  und  d-moll.     Und  dazwischen   schwebt  jenes  entzückende 


170 

F-dur-lntermezzo,  das  uns  für  den  Schhiß  noch  einen  kleinen  Scherz 
aufspart:  einen  Augenblick  erheuchelt  es  einen  Übergang  nach  B-dur, 
um  der  Erwartungsvollen  durch  vollendete  Harmlosigkeit  zu  spotten. 

Aber  von  der  Leidenschaft  wird  es  überschrien.  Grollend  in 
ohnmächtiger  Wut  fährt  der  Meister  in  die  Bässe:  hier  haben  sie, 
die  Stützen  der  Harmonien,  das  Sinnbild  der  Kraft,  das  Wort.  Ein- 
mal sind  es  Oktaven,  die  über  die  Hälfte  der  Klaviatur  sausen  und 
in  einem  nach  As-dur  weisenden  Des  ihren  Gipfel  erklimmen.  Das 
andere  Mal  umkrampft  die  linke  Hand  alles,  was  ihr  in  der  Region 
des  d-moll-Akkords  erreichbar  ist.  Und  die  rechte  schleudert  Blitze. 
Koloraturen  und  chromatische  Terzen  streifen  ihre  spielerische  Ver- 
gangenheit ab  und  bieten  sich  einem  musikalisch  bis  an  die  Zähne 
Gewappneten  als  Rüstzeug  dar.  Die  Welt  scheint  in  ihren  Fugen 
zu  krachen.  Denn  dieses  Präludium  ward  geboren  aus  der  ersten 
Verzweiflung  über  den  Fall  Warschaus ;  da  schäumte  es  noch  in  ihm 
auf.  Da  sah  er  die  Russen  über  Lebende  und  Tote  hinwegstampfen. 
Die  Fland  des  Baumeisters  ist  aber  noch  nicht  erlahmt.  Der  Schrei 
ist  künstlerisch  gebändigt.  Unter  Kanonendonner,  mit  dreimal 
pochendem    Kontra-D   versinkt  die  Welt. 

Nach  solchen  Vorgängern  vom  Jahre  1839  kann  ein  1841  nach- 
geborenes Prelude  in  cis-moll  kaum  beachtet  werden.  Es  ist  ohne 
Schlagkraft,  halb  Nocturne,  halb  Prelude,  mit  Nerven  durchsetzt, 
aber  vom  starken  Melodiker  nicht  zusammengehalten.  Anders  tob- 
ten die  Stürme,  leuchtete  die  Sonne,  fiel  der  Regen,  schreckten  die  Ge- 
spenster in  Majorka  als  in  Nohant. 


Der  sterbende  Chopin  erscheint  uns.  Und  zugleich  der  unsterb- 
liche. Jener  wollte  mit  einer  Methode  der  Methoden,  die  nur  Skizze 
blieb,  den  Weg  zur  pianistischen  Vollendung  weisen ;  dieser  hatte 
seinen  ersten  und  letzten  Willen  in  dem  Schatz  seiner  Etüden  nieder- 
gelegt. 

In  Chopins  Werken  ist  überall  und  nirgends  die  Etüde.  Über- 
all: denn  es  gab  nur  einen  Chopin;  den,  der  mit  seinem  Herzblut 
schrieb,  der  in  jeder  Note  die  Schwingungen  seiner  Seele  verriet. 
Wo  die  Notenköpfe  sich  immer  dichter  folgten,  die  Passagen  jube!- 


171 

ten  und  klagten,  die  Bässe  in  weiten  Bögen  von  ewiger  Sehnsucht 
sprachen,  da  lächelte  eine  heimliche  Etüde.  Nirgends:  denn  Ohr, 
Fingergefühl  und  Nerven  dieses  Unvergleichlichen  konnten  die  land- 
läufige Studie,  die  sich  dem  Teufel  Technik  verschrieb,  nicht  schaffen. 
Das  zwingende  Genie  in  ihm  duldete  nicht  die  Scheidung  zwischen 
Nützlichem  und  üroßem;  es  konnte  nicht  anders  als  bahnbrechend 
sein.  „Ausdruck  bis  in  die  Fingerspitzen"  war  das  Motto,  das  über 
seinem  Schaffen  schwebte.  Dieser  Ausdruck  war  sein  Ausdruck. 
Und  ein  Künstler,  der  ihn  vom  Wohlklang  tragen  ließ,  hatte  sich 
als  Etudenkomponist  selbst  die  Bahn  vorgeschrieben.  Aber  der  be- 
geisterte Nervenmensch,  der  im  Reich  des  Rhythmus  und  der  Har- 
monie ein  beherrschender  Neuerer  war,  fühlte  hier  ein  Gesetz  über 
sich.  Er  hütete  sich  vor  der  Einseitigkeit.  Gewiß :  als  Maestro  hatte 
er  ein  Zusammengehen  des  Geistes  mit  den  Fingern  gefordert.  Aber 
derselbe  Kunstverstand,  der  den  Weg  von  der  Skizze  zum  Werk 
so  peinlich  überwachte,  leitete  auch  den  Etudenkomponisten,  der 
an  die  Lernenden  der  Gegenwart  und  der  Zukunft  dachte.  Ja,  hier 
war  er  siegreicher  als  dort.  Hier  gab  ihm  die  technische  Idee  die 
Kraft,  in  kleinen  Stimmungsbildern  alles,  was  ihm  dem  höchsten 
Ausdruck  zu  dienen  schien,  nebeneinander  zu  setzen.  Er  will  die 
Finger  durch  das  Gewissen  des  Anschlags  leiten  lassen.  Wer  diese 
vierundzwanzig  Etüden,  denen  sich  noch  drei  für  die  Methode  von 
Moscheies  und  Fetis  geschriebene  anreihen,  in  ihrer  Gesamtheit  über- 
schaut, staunt  und  staunt.  Da  mußten  die  Clementi,  Cramer  u.  a. 
sich  selbstverständlich  in  eine  dunkle  Ecke  flüchten.  Waren  sie 
aber  darum  ganz  aus  dem  Feld  geschlagen?  Das  Reich  Chopins 
war  groß;  und  die  unbegrenzte  Liebe  zum  Klavier  hatte  ihn  hellsich- 
tig gemacht.  Ein  Ahnungsvoller  schuf  das  Mögliche  zum  Natür- 
lichen um;  lenkte  von  der  geraden  Straße  in  Seitenwege  ab;  schenkte 
den  Fingern  die  völlige  Bewegungsfreiheit,  die  der  Ausdruck  fordert. 
Durfte  so  der  Nervenmensch  der  Zukunft  das  neue  technische  Funda- 
ment mit  seinen  schier  unbegrenzten  Möglichkeiten  frohlockend  be- 
trachten, so  blieb  doch  eine  grandiose  Einseitigkeit:  diese  Technik 
diente  nur  einer  Kunst,  die  in  der  Linie  der  Chopinschen  lag.  Sie 
konnte  den  Adepten  in  einen  Zauberwald  Iocken,  aus  dem  er  nicht 
wieder  herausfand.  Der  Dichtergeist,  der  diese  Kunst  gebar,  hatte 
die  transzendentale   Mehrstimmigkeit  in   eine   höchst   sinnliche    um- 


172 

prägen  müssen ;  damit  war  der  linken  Hand,  die  dort  unermüdlich 
und  gleichberechtigt  mitschaffte,  nur  die  Rolle  einer  schönen,  hin- 
gebenden Geliebten  zugewiesen.  Ihre  Arbeitsleistung  war  begrenzt; 
meist  hatte  sie  mit  der  Rechten  mitzugehen,  sich  von  ihr  tragen  zu 
lassen ;  sprach  sie  allein,  dann  mied  sie  fast  stets  jene  Skalen,  die 
das  Pedal  in  wüstem  Lärm  unter  sich  begraben  würde;  die  Ober- 
tasten in  stetem  Wechsel  mit  den  Untertasten  stützen  die  perlen- 
den Läufe ;  Krümmungen  und  Spannungen,  die  zu  belasten  scheinen 
und  doch  entlasten,  gebot  der  Dichter;  und  das  Pedal,  das  den 
Klang  bat  zu  verweilen,  erwiderte  seine  Willigkeit  mit  Nachsicht 
für  die  Schwächen  der  Linken.  Zweimal  nur  scheint  diese  hier 
tonangebend:  in  op.  10  Nr.  12,  wo  der  Wutanfall  des  Patrioten 
wieder  einmal  alle  Schranken  niederreißen  möchte,  und  in  op.  25 
Nr.  7,  wo  das  Klavier  den  Spuren  des  Cellos  folgt.  So  öffnen  diese 
Etuden-Poesien  die  Pforten  in  ein  Wunderland,  aber  sie  sperren  den 
Weg  zur  Heimat  der  Musik,  wenn  sie  der  Lernende  nicht  schon  vor- 
her aufgesucht  hat.  Chopin  wußte  das.  Er  selbst  war  ja  von  ihr 
ausgezogen  und  hatte  den  Inventionen,  dem  wohltemperierten  Klavier 
die  von  allen  bestätigte  außerordentliche  Ebenheit  seines  Passagen- 
spiels zu  danken.  Er  wußte  es;  und  bei  allem  Bewußtsein  von  dem 
Schwergewicht  des  Eigenen  ließ  er  seine  Schüler  von  Cramer  zu 
sich  aufsteigen.  Er  achtete  auch  Moscheies.  Diese  beiden  suchten 
ja  auf  dem  Weg  des  Herkommens  die  Etüde  aus  sandigem  Grund 
zu  lösen.  Dem  antipianistischen  Titanen  Beethoven  vorzubauen,  galt 
dem  Selbstsicheren  an  sich  wenig;  aber  Mozartscher  Kantilene  durch 
verfeinerten  Anschlag  die  Bahn  frei  zu  machen,  dünkte  ihn  er- 
strebenswert. 

Dies  alles  sich  im  Angesicht  Chopinscher  Etüden  und  mit  ihrem 
zauberischen  Klang  im  Ohr  vorzuhalten,  ist  nicht  leicht.  Um  so 
freudiger  aber  muß  man  bekennen,  daß  sie  das  Ideal  der  Klavier- 
musik überhaupt  darstellen.  Sie  zeigen  bisher  die  letzte  Lösung  des 
Problems,  wie  Poesie  und  Technik  sich  so  umschlingen  können, 
daß  alles  Gärende,  alles  Mißklingende  von  selbst  entweicht;  sie 
sind  einzig.  Bedenken  wir  aber,  daß  diese  zur  Hälfte  1833,  zur 
andern  1837  erschienenen  Gedichte  ein  Teil  des  Reichtums  waren, 
den  Chopin  von  Warschau  nach  Paris  trug,  dann  fühlen  wir  erst 
recht,  wie  diese  Erscheinung  sich  abseits  von  allem  Gewöhnlichen, 


173 

nur  Talentvollen  hält.  Jugendliche  Frische  und  höchste  Originali- 
tät gepaart:  es  ist  das  Höchste,  was  die  Kunst  leisten  kann. 

Auch  die  Etüden  teilen  sich  wie  die  mit  ihnen  in  der  Physio- 
gnomie und  Schlagkraft  innig  verwandten  Präludien  einer  gleich- 
gestimmten Seele  sofort  mit;  auch  sie  müssen  als  Ganzes  empfunden 
werden,  um  nichts  von  ihren  leuchtenden  Farben  einzubüßen. 

C-dur-Jubel.  Wieder  läßt  Chopin  klassisch  dem  Vorzeichenlosen 
das  erste  Wort.  Aber  da  schreitet  er  auch  wieder  mit  Dezimen  über 
jedes  Vorbild  hinaus.  Die  weit  auseinanderliegenden  Akkorde,  die  er 
als  Kind  schon  suchte,  sind  hier  zu  Nutz  und  Frommen  aller  seiner 
Freunde  in  großen  Lettern  niedergeschrieben.  Und  wie  mußte  sein 
Geist  die  Finger  beherrschen,  wenn  er  diese  Spannungen  mit  seiner 
kleinen  Hand  bewältigte!  War  er  da  nicht  (nach  Worten  Stephen 
Hellers)  die  Schlange,  die  eine  Beute  ergriff?  Auch  die  nächste 
Etüde  in  a-moll  mochte  er  für  sich  selbst  erfunden  haben.  Dem 
störrischen  vierten  Finger  war  sie  bestimmt,  der  in  Gemeinschaft 
mit  dem  dritten  und  fünften  der  herrlichsten,  berauschendsten  Chro- 
matik  zu  dienen  hatte.  Festgebannt  als  Stütze  der  Harmonie  blieb 
der  entthronte  Daumen.  So  vereint  leuchten  sie  in  Wagners  Reich 
hinein.  Aber  in  der  folgenden  schon  (in  E-dur)  muß  der  technische 
Zweck  sich  ganz  und  gar  vor  der  Poesie  flüchten.  Hier  ersann  er 
ja  nach  eigenem  Geständnis  die  schönste,  herrlichste  Melodie.  Sie 
rief  ihm  die  Vision  der  Heimat  herbei.  Alles,  womit  Chopin  ver- 
führt, hier  liegt  es  ja  in  zarter  Umhüllung  vor  uns.  Es  ist,  als  ob 
dem  Komponisten  der  Etudengeist  bei  der  Niederschrift  erstarrt 
wäre.  Der  Blick  auf  die  Doppelgriffe  der  Sechzehntelnoten  läßt  einen 
Sturm  ahnen ;  aber  ein  Lento  ma  non  troppo  hält  die  Finger  zurück, 
und  ein  Duft  strömt  uns  zu,  daß  wir  uns  nur  hingeben  können.  Wir 
möchten  sehen  und  entdecken  den  Zauber  in  den  Mittelstimmen, 
die  der  wechselnden  Oberstimme  meist  in  gleichen  Sechzehntelpaaren 
folgen  und  in  der  Umarmung  die  seltsamsten  Zwielichtklänge  schaf- 
fen. Es  kommt  Bewegung  hinein ;  ist's  die  Etüde  oder  die  Leiden- 
schaft, die  diese  überraschenden,  vorahnenden  verminderten  Sept- 
akkorde  zeugte?  Aber  wieder  senkt  sich,  nur  noch  berauschender, 
das  Halbdunkel  nieder.  Der  Dominantklang  ist  der  Zauberer.  Er 
gibt  Spannungen  und  läßt  dann  die  Seele  durch  Schwebungen  er- 
zittern. 


174 

Nachdem  ich  hier,  wo  ich  liebte,  verweilt  habe,  mag  ein  Streif- 
zug durch  die  folgenden  Etüden  genügen.  Ihr  Wesen  haben  sie 
uns  längst  enthüllt.  In  cis-moll  ist  der  Rhythmus  straff,  und  die 
Finger  scheinen  zu  schwerer  Arbeitsleistung  angehalten.  Doch  der 
erste  Eindruck  trügt,  und  der  Geist  braucht  nicht  zu  darben.  In 
Ges-dur  hat  die  Phantasie  die  seltsame  Kaprize  gehabt,  die  Ober- 
tasten nicht  zu  verlassen.  War's  wirklich  nur  eine  Laune  oder  eine 
Liebeserklärung  an  den  von  ihm  bevorzugten  Teil  der  Tastatur? 
Sie  wurde  auch  erwidert.  Das  silberne  Lachen  anmutiger  Damen 
braucht  sich  kein  anderes  Echo  zu  wünschen.  Aber  der  Flug  wird 
durch  die  fehlende  Septime  gehemmt.  Die  Nerven  schweigen.  Die 
freieren  Bässe  mühen  sich  vergeblich  ab,  in  die  Salonstimmung 
Bresche  zu  legen.  Chopin  selbst  dachte  nicht  hoch  von  dieser  weib- 
lichen Fingern  willkommenen  Etüde;  als  Clara  Schumann  während 
seiner  Abwesenheit  sie  in  Paris  im  Konzert  als  einziges  Muster  der 
Gattung  vorführte,  war  er  von  dieser  Wahl  nicht  eben  erbaut.  Der 
nächsten  aber,  in  es-moll,  mag  er  sein  Herz  geschenkt  haben.  Sie 
ist  aus  dem  Urgrund  seiner  Seele  geschöpft,  sie  hat  eine  schwer- 
mütige Melodik,  sie  ist  von  einer  gewundenen  Figur  geleitet,  sie 
lächelt  im  E-dur-Mittelteil  unter  Tränen.  Wo  der  Wille  zum  Auf- 
schwung gebrochen  ist,  das  Schwelgen  in  der  Wehmut  die  Erobe- 
rungszüge auf  der  Klaviatur  eindämmt,  macht  die  Herzensnot  er- 
finderisch im  Modulieren;  hier  ist's  gut  sich  zu  versenken.  Wir 
sind  nun  wieder  in  C-dur.  Aber  wieviel  hat  hier  der  fröhliche  Geist 
des  Dichters  hineingeheimnißt?  Während  er  im  Fingerwechsel  auf 
derselben  Taste  dem  Handgelenk  schwere  Prüfungen  auferlegt,  läßt 
er  mit  Glöckchenklang  einen  Schlitten  dahinjagen.  Durch  die  Steppe 
nach  Sibirien,  wie  Hoesick  meint?  Nein,  solche  Tragik  liegt  nicht 
dahinter.  Fröhlichkeit  wird  Jubel  in  der  folgenden  F-dur-Etude, 
die  nicht  vor  Rätsel  stellt.  Die  Schwermut  der  Nr.  9  in  f-moll  mit 
starken  Baßspannungen  scheint  mir  nicht  verzweigt  genug.  Aber  die 
in  As-dur  führt  wieder  ein  Feuerwerk  des  Geistes  herbei.  Pikante 
Gegensätze  des  Anschlags,  des  Rhythmus,  das  enharmonische  Glei- 
ten nach  E-dur,  das  zärtliche  Sichanschmiegen  der  beiden  Partner 
lenken  liebenswürdig  von  den  Klippen  ab,  an  denen  der  Maestro 
schalkhaft  vorbeisegelt.  Süße  Arpeggien  dringen  ans  Ohr;  der 
Zauber   einer   Serenata,   dargebracht   von   dem    feinsinnigsten    aller 


175 

Musiker.  Es  ist  die  Es-dur-Etude  Nr.  11.  Beschlossen  aber  wird  das 
op.  10  mit  einer  Huldigung  an  das  Vaterland,  die  als  Revolutions- 
etude  mit  ihren  grollenden  Bässen,  ihren  artikulierten  Schreien  einzig 
dasteht  und  die  Brücke  bildet  zu  dem  Schöpfer  der  g-moll-Ballade, 
der  b-moll-Sonate  und  der  Scherzi. 

Wie  friedvoll  leitet  jene  von  Schumann  so  fein  nachempfundene 
As-dur-Etude  das  op.  25  ein!  Es  ist  eine  Dreiklangseligkeit,  die  doch 
die  gemeine  Menge  fernhält.  Der  Hirt,  der  die  Schalmei  blies, 
war  ein  Dichter.  Marie  Wodzinska  ist  die  Muse,  die  der  zweiten 
in  f-moll  ihre  beschwingte  Anmut  auf  dem  Grund  polnischer  Schwer- 
mut lieh.  Gewiß  mehr  Seele,  als  sie  besaß.  Robert  Schumann  hin- 
gegen wollte  hier  ein  Kind  leise,  reizend,  träumerisch  im  Schlafe 
singen  hören.  Wie  muß  unser  Meister  selbst  im  Spiel  diese  Perlen 
aneinandergereiht  haben!  Ein  Notenbild  wie  das  der  folgenden  in 
F-dur  ward  noch  nie  gesehen.  Da  lacht  wieder  der  Schalk,  der  meist 
um  zwei  Achtel  rhythmisch  merkwürdig  und  harmonisch  fesselnd 
herumkomponiert.  Hastig  atmet  die  in  a-moll,  die  Legati  und  Stak- 
kati  sich  feindüch  und  doch  freundlich  gegenübertreten  läßt.  Mit 
dem  Ornament  spielt  ein  wenig  ironisch  die  in  e-moll.  Und  die  in 
gis-moll  mit  ihren  Terzenketten  ist  ein  Wunder,  das  immer  nur  von 
Meisterhänden  und  von  einem  Geist,  der  das  Halbdunkel  liebt,  neu 
geschaffen  werden  kann.  Die  nocturnenhafte  Melancholie  im  fol- 
genden cis-moll-Stück  singt  sich  in  mitempfindende  Seelen  von  selbst 
ein.  Im  Des-dur-Vivace  jauchzen  die  Sexten ;  feiert  der  Klangsinn ; 
und  nicht  zum  wenigsten  da,  wo  Quinten-  und  Oktavenparallelen 
vom  Sforzando  herabsteigen:  eine  Herausforderung  von  stärkster 
Überzeugungskraft  an  die  Philister.  Eine  reizende,  kaskadengleiche 
Jagd  von  einfachen,  doppelten  Noten  und  Oktaven  ruft  in  Ges-dur 
Nr.  9  den  Geist  des  Frohsinns  herbei ;  aber  vertraut  dem  leichten 
Handgelenk.  Der  Gespenster-Chopin  fehlte  bisher.  Hier  in  den 
wild  jagenden  Oktaven  der  h-moll-Etude  steht  er  vor  uns;  und  wie 
immer  sinkt  er  auch  diesmal  vor  der  Gottheit  auf  die  Knie.  War 
hier  der  Krampfanfall  das  Zeugende,  so  möchte  in  den  beiden  Schluß- 
nummern die  männliche  Kraft  Großes  gebären.  Und  es  gelingt  ihr 
im  Reich  der  Miniatur.  In  a-moll:  ein  Gebet  zu  Gott;  erst  leise 
einstimmig  gesprochen,  dann  vierstimmig,  choralartig  wiederholt; 
über  diesem  Glaubensmotiv  jagen  in  wilden  Sprüngen  die  Passagen 


176 

hin;  ein  Donner  dröhnt  über  die  Tasten;  der  Wind  pfeift.  In  c-moH 
graben  sich  beide  Hände  ohne  Unterlaß  rasend,  weitausgreifend, 
Säulen  aufrichtend,  den  Weg.  Wer  in  Chopins  Seele  zu  lesen  versteht, 
fühlt  hier  und  dort  den  Aufruhr  des  polnischen  Herzens.  So  endeten 
die  Präludien ;  so  auch  jeder  Teil  der  Etüden.  Wie  weit  war  doch1 
der  Weg  von  der  gesunden  Kraft  des  heiligen  Sebastian  zum  ner- 
vösen   Aufschwung,    zur   Farbenfreudigkeit   des    unheiligen  Chopin! 

Die  drei  nachhinkenden  Etüden  in  f-moll,  Des-dur  und  As-dur 
stören  den  Kreis,  aber  sie  versöhnen  bald,  die  letzte  zumal  durch 
Charme  und  Klang,  die  sie  den  andern  als  ebenbürtige  Genossin 
anreihen. 

Nach  den  Wundern  der  Präludien  und  Etüden,  die  zwei  Welten 
umfassen  und  auseinanderreißen,  fällt  der  Vorhang. 


WIR  UND  CHOPIN 

Und  nun  richtet,  wer  aus  starkem  Trieb  einem  Meister  der  Ver- 
gangenheit den  neuen  Epilog  geschrieben  hat,  an  sich  die  bange 
Frage:  „Wie  stehen  die  Lebenden  zu  ihm?"  Denn  in  ihrer  Hand  ruht 
die  Entscheidung.  Sie  dürfen,  was  als  erstarrte  Form  ihr  seelisches 
Sein  nicht  mehr  berührt,  ablehnen.  Akte  der  Pietät  verbietet  der 
heilige  Geist  der  Kunst,  der  die  Entwicklung,  die  Entfaltung  neuer 
Kräfte  will.  Vor  den  Richterstuhl  der  Zeit  also  tritt  auch  Chopin ; 
nicht  jener,  der  nur  für  das  Klavier  dichtete,  sondern  der  Musiker: 
wieviel  an  ihm  ist  lebendig?  Was  sagt  er  den  Menschen  der  Gegen- 
wart, und  was  verheißt  er  der  Zukunft? 

Der  bangen  Frage  wird  die  freudige  Antwort:  hier  hat  ein 
Eigener  so  tief  geschürft,  daß  er  Schrittmacher  der  Modernen  wurde. 
Hier  liegt  eine  Erbschaft  vor  uns,  von  der  wir  auch  als  Fürsprecher 
des  Fortschritts  noch  lange  zehren. 

Es  gibt  eine  Romantik  des  Gemütes,  die  vielen  abzusterben  be- 
ginnt. Robert  Schumann,  der  tiefe  deutsche  Tondichter,  scheint 
leider  stückweise  solchem  Schicksal  verfallen.  Aber  es  gibt  eine 
Romantik  der  Nerven,  die  uns  gefangen  hält  Sie  ist  es,  die  uns 
fest  an  Chopin,  Berlioz,  Liszt  und  Wagner  kettet;  die  weltbürger- 
liche, die  fremdem  Boden  entsproß,  zu  uns  kam  und  weiter  Zweige 
treibt.  Diese  Nervenromantik  verehrt  in  Chopin  ihren  Vater.  So 
sehr,  daß  all  das  Sehnen  unserer  Zeit,  ihre  Kraft  und  ihre  Schwähe 
von  ihm  vorgeahnt  ist. 

Der  Rausch  der  Enharmonik,  den  der  Meister  heraufführte,  war 
ein  holder,  aber  gefährlicher  Rausch.  Während  er  die  Nerven  be- 
törte, narrte  er  das  Ohr.  Die  Umschlingung  zweier  Tongeschlechter 
auf  einer  Stufe  trug  als  Frucht  gesteigerten  Ausdruck,  vertiefte  Stim- 
mung, glühenden  Farbenreiz.  Aber  sie  bedrohte  die  Feinhörigkeit 
nicht  minder  als  die  Chromatik,  die  das  Tonbewußtsein  erschütterte. 
Wie  geschah  es  nun,  daß  jener  Chopin  selbst  unter  den  Folgen  seiner 
Eroberungen  nicht  litt?  Aus  dem  Gesang  sog  er,  auch  hier  voran- 
leuchtend, die  Thematik,  an  ihm  erneuerte  er  die  Kraft  der  Erfindung; 
an  Mozart  rankte  er  sich  empor,  solange  er  atmete.  Aber  es  kam 
auch  ihm  ein  Augenblick,  da  Chromatik  und  Enharmonik  den  In- 
stinktmusiker übermannte.     Er  drohte   künstlich,   nur   geistreich   zu 

Weissmann,  Chopin  12 


178 

werden.  Die  Selbstkritik  machte  ihn  trostlos.  Er  fühlte  die  Mög- 
lichkeiten seiner  Kunst  erschöpft.  Auf  dem  Klavier,  dem  Reich 
seiner  schönen  Träume,  war  jeder  Weg  begangen;  es  war  umgittert, 
es  ließ  ihn  nicht  entweichen. 

Aber  es  gärte  in  ihm.  Der  Nervenmensch,  der  Dichter,  konnte 
der  dunklen  Gefühle  Gewalt  nicht  mehr  meistern.  Dann  entsagte 
er  dem'  Wohlklang,  dann  streifte  er  die  Fesseln  ab  und  bekannte 
die  Unzulänglichkeit  des  Mittels,  über  das  er  allein  gebot.  Es  ist 
irrig  zu  glauben,  daß  Chopin  nie  unklaviermäßig  gewesen  sei.  Er 
war  es  dann,  wenn  der  Sturm  im  Innern  alles  überschrie.  Dann  gab 
er,  der  Zauberer  des  Wohlklangs,  selbst  dem  Orchester  das  Zeichen, 
daß  es  einzusetzen  habe;  dann  barst  ihm  das  Instrument  unter  den 
Händen.  Denn  seine  Stärke  war  es,  daß  er  dem  Klavier  nie  die 
Sprache  des  Orchesters  restlos  abringen  konnte.  Es  gab  in  ihm 
Hemmungen  der  Innerlichkeit,  die  ihm  ungeheure  Blöcke  in  den 
Weg  stellten.  Liszt,  der  Dramatiker,  kannte  sie  nicht;  er  durfte 
lyrisch  ä  la  Chopin  sein  und  doch  ungestraft  in  Oktaven  schwelgen. 
Aber  er  stürmte  gegen   die  Intimität   des  Tasteninstruments. 

Der  moderne  Musiker,  der  hier  ein  Stück  eigener  Tragik  fühlt, 
ist  dem  Meister  verschuldet  für  die  Erkenntnis,  daß  die  Verzweigt- 
heit des  Nervenlebens  das  Orchester  fordert.  Wagner  war  es  ge- 
gönnt, die  Lösung  zu  bringen,  die  Liszt  nur  äußerlich  gelang. 

So  wäre  denn  Chopin  von  der  Entwicklung  wieder  zurück- 
gestoßen? Aber  die  Sehergabe  des  Nervenmenschen  reichte  noch 
weiter,  über  Wagner  hinaus.  Die  Verästelung  des  Innern  führte  ihn 
zu  Kühnheiten,  die  den  kühnsten  Träumen  Moderner  vorbauten. 
Dieser  Musiker  mit  dem  unerschütterlichen  Tonalitätsbewußtsein  läßt 
sich  vom  Ausdruck  gelegentlich  bis  zur  Verneinung  der  Tonalität 
treiben.  Er  wird  so  sehr  Impressionist,  daß  ihm  das  Vorzeichen  zu- 
weilen nur  noch  Vorwand  wird,  ein  Labyrinth  zu  durchschreiten,  in 
dem  ihn  ein  souveränes  Ohr  vor  dem  Abirren  bewahrt;  und  der  starke 
Rhythmiker  sprang  ihm  hilfreich  bei;  auch  er  bereit,  im  Dienst  des 
Ausdrucks  Vielgestaltiges  nebeneinander  zu  setzen.  Die  physio- 
logische Schwäche  des  feinfühligen  Menschen  befähigte  ihn,  „den 
femininen  Einschlag"  des  modernen  Mannes  und  Musikers  vorzu- 
ahnen. 

Doch  scheint  es  überflüssig,  den  Meister  noch  länger  vor  der 


179 

Zeit  zu  rechtfertigen.  Nötig  aber  ist's  zu  fragen,  wie  wir  so  köst- 
lichen Besitz  zu  hegen  haben.  Denn  überall  da,  wo  Chopin  er  selbst, 
wo  er  der  Dichter  des  intimen  Salons  ist,  hat  er  noch  heute  die 
werbende  Kraft,  die  außer  ihm  nur  Wagner  besitzt.  Wie  er,  wendet 
er  sich  an  den  Urgrund  unseres  Wesens,  wie  er,  zwingt  er  mit  seinem 
Ich  zu  bedingungsloser  Hingabe  des  anderen  Ichs;  zu  einem  fana- 
tischen Bekenntnis,  das  keine  anderen  Götter  neben  ihm  duldet.  Wer 
unsere  geheimsten  Wünsche,  unsere  Liebessehnsucht  errät,  macht 
uns  ungerecht  gegen  andere,  die,  größer,  umfassender,  mehr  Ent- 
sagung fordern. 

Dem  Weib  schienen  hier  alle  Kostbarkeiten  zu  Füßen  gelegt 
zu  sein.  Es  verstand  sogleich  den  Sinn  der  Huldigung.  Sie  war 
nicht  bedingungslos.  So  tat  das  Weib  dem  Musiker  Chopin  nur  zu 
oft  weh.  Es  verzerrte  ins  Sentimentale  oder  ins  Haltlose,  was  dieser 
Feind  des  Melodramatischen  als  Dichter  ausgesprochen  hatte.  In 
ihm  steckt  doch  ein  gut  Teil  Gesundheit;  und  nur  wer  das  fühlt, 
wird  sich  vor  dem  Übermaß  des  Rubato  hüten;  wird  den  unver- 
gleichlichen Rhythmiker  ehren.  Und  wird  auch  unerschlafft  den 
Weg  zur  anderen  Musik  zurückfinden,  den  ihm  der  Genius  zu 
sperren  schien. 

Wie  wir  solchen  Reichtum  nützen  sollen,  sagt  uns  also  der 
Musiker  mit  dem  starken  Willen  zur  Gestaltung.  Er  war  Welt- 
bürger. Hatte  er  sich  nach  eigenem  Geständnis  den  Franzosen  wie 
seinen  Landsleuten  angeschmiegt,  so  wollte  er  sich  auch  den  Lor- 
beer von  der  Welt,  nicht  nur  von  den  Polen  reichen  lassen.  Das  ist 
denen  zu  erwidern,  die,  wie  Hoesick,  ihn  immer  wieder  als  National- 
polen für  sich  beanspruchen. 

Wo  ist  die  Tradition  des  Chopinspiels?  Der  Reiz  dieser  Indi- 
vidualität, die  in  Noten  nicht  zu  bannen  war,  ist  nicht  mehr  in  die 
Welt  zurückzuzaubern.  Seine  Schüler,  selbst  der  feinsinnige  Mikuli, 
boten  kaum  einen  schwachen  Widerschein  von  ihr.  Aber  überall 
klingt  sein  Werk  wie  am  ersten  Tage.  Aus  dem  Klavier  geboren^ 
wird  es  klingen,  solange  dieses  Instrument  noch  Sitz  und  Stimme 
unter  den  andern  hat.  Es  erschließt  sich  denen,  die  der  Poesie 
des  Klanges  nachgehen,  wie  denen,  die  dem  Dichtergeist  nahen 
möchten.  Es  sind  die  wenigsten.  Denn  das  Klavier  als  kostbarster 
Hausrat  ist  verdrängt.     Und  der  Konzertsaal  lebt  von  der  Masse; 

12* 


180 

sie  läßt  sich  leichter  vom  Klang  als  von  der  Dichtung  erobern.  Ein 
Wladimir  von  Pachmann  gibt  den  seltenen,  vollendeten  Salon-Cho- 
pin, ein  Emil  Sauer  betont  ihn,  oft  allzu  männlich,  mit  straffem 
Rhythmus.  In  beiden  ist  die  überredende  Koketterie,  das  ununter- 
brochene Hinblicken  auf  die  Umgebung,  die  sie  zur  Causerie  stimmt. 
Ihr  Klang  erbittet  den  Nachklang.  Ein  Moriz  Rosenthal  lebt  in  den 
Mazurkas,  die  er,  sonst  eine  allzu  bewußte  und  deutliche  Kraft- 
natur, mit  ihrem  Duft  den  Tasten  abschmeichelt.  Ein  Godowski 
empfindet  in  Chopin  das  Spielerische  und  das  Netz  der  Mittelstim- 
men; er  sucht  es  zu  steigern  und  wurde  in  der  Virtuosenlust  ein 
wenig  pietätlos,  als  er  die  Technik  von  der  Poesie  löste  und  des 
Meisters  Etüden  verdoppelte,  ineinander  verschränkte.  Josef  Pem- 
baur,  Konrad  Ansorge  endlich  möchten  den  Pulsschlag  des  Her- 
zens in  Chopin  hören.  Und  ihre  Inbrunst  wird  belohnt.  Doch  Pem- 
baur  ist  dem  Meister  näher,  weil  er  auch  das  einzelne  liebevoll  pflegt. 
Der  Dichter  aber,  der  einzige,  nickt  allen  zu,  die  ihn  ehren. 
Er  kennt  viele  Wege,  die  zu  ihm  führen,  und  jubelt  über  den  satteren 
Klang  der  neuen  Klaviatur,  die  er  vorfühlte.  Er  wohnt  nun  in  reichen 
Palästen  wie  in  den  stillen  Wohnungen ;  er  entzückt  Musiker,  knüpft 
Freundschaften,  verklärt  die  Liebe.  Nicht  überall  lebt  er  in  zartem 
Dämmerlicht;  aber  er  hat  gewonnen,  was  er  ersehnte:  den  Weltruhm. 


REGISTER  ZU  CHOPINS  WERKEN 


Aliegro  de  Concert  op.  46  in  A 

151.  152. 
Ballade 
op.  23  in  g  135.   136.  152.  174. 
„    38  in  F  135.  136.  137. 
„    47  in  As  135.   136.   137. 
„    52  in  f  135.  138. 
Barcarole  op.  60  in  Fis  141. 
Berceuse  op.  57  in  Des  133.  134. 

145. 
Bolero  op.  19  in  C  127. 
Ecossaisen  op.  72.  127. 
Etüde 
op.  10  Nr.  1  in  C  173. 
,    2  „  a  173. 
,    3  „  E    173.    174. 

4  „  eis   174. 

5  „  Ges   174. 

6  ,,   es    174. 

7  „  C  174. 

8  »  F  174. 

9  „  f  174. 

10  „    As  175. 

11  „   Es  175. 

12  „  c  41.   172.   175. 
25     .,    1    „  As  101.  175. 

,    2  „  f  55.  175. 
,    3  „  F   175. 

4  „  a  175. 

5  „  e  175. 

6  „  gis  175. 

7  „  eis  172.   175. 

8  „   Des  175. 

9  „  Ges  175. 

10  h  175.   176. 

11  „  a   175.    176. 

12  „  c  175.    176. 


Etüde 

in  f  175.    176. 

„   As  175.  176. 

„   Des  175.  176. 
Impromptu 

op.  29  in  As  139.  140. 
„    36    „   Fis  139.  140. 

„    51    „  Ges  140. 
Introduktion  u.  Polonäse  f.  Klavier 

u.  Violoncello  op.  3  in  C  121. 
Konzert  für  Klavier  und  Orchester 

op.  11   in  e  30.  33.  34.  40.  41. 
51.  147—150.   151—152. 

op.  21  in  f  30.  31.  49.  146—152. 
Krakowiak  op.  14  in  F  25.  26.  32. 

145. 
Lieder  158.  159. 
Mazurka 

op.  6    Nr.  1  in  fis    106.    107. 

.,     „      „    2   „  eis   106.    107. 

„     „      „    3  „  E   106.    108. 

„     „      „    4  „   es  107.  108. 

„7      „    1   „  B  46.  107.  108. 

„     „      „    2  „  a  107.  108. 

„     „      „    3  „  f   107.    108. 

„     „      „    4  „  As  107.  108. 

,,     „      ,,    5   „  C   108. 

„    17     „    1  „  B  108. 

„     „      ,,    2  „   e  108. 

„     „      „    3   „  As   108. 

„     „      „    4   „  a  108.  109. 

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9        C  109 

„     „     „    3  „  As  109. 

„     „     „    4  „  b  109. 

„    30     „    1    „  c  109.    110. 

„     „      „    2  „  h  109.  110. 


182 


Mazurka 

op.  30  Nr.  3  in  Des  110.  111 
4  „  eis  110.  111, 


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f  114. 

in  G  (1S25)  114. 

„    B  (1825)  114. 

„    D  (1829/30)  114. 

„  C  (1833)  114. 

„   a  (ä  Gailiard)   114. 

„   a  (Notre  temps  Nr.  2)  114. 


Notturno 
op.  9    Nr.  1  in  b  129.  130.  169-. 
Es  51.  129.  130. 


15 


27 
131. 


H  129.  130. 

F  130. 

Fis  130. 

g  130. 

eis  55.  56.  130. 


op.  27  Nr.  2  in  Des  131.  134. 
32     „    1   „  H  131. 
„      „    2  „  As  131. 
37     „    1    „  g  132. 
,,     „2,0  132. 
48     „    1    „  c  132. 
„     „    2  „  fis  132. 
55     „    1    „  f  133. 
„      „    2  „  Es  133. 
62     „    1   „  H  133. 
„     „    2  „  E  133. 
72     „    1    „  e  (1827)  133. 
Phantasie 
op.  13  in  A  145. 
„    49  „  f  142. 
Phantasie-Impromptu  op.  66  in  eis 

140. 
Polonäse 
op.  22  in  Es  121.  122. 
26  Nr.  1  in  eis  122. 
„      „    2  „  es  122.  123. 
40     „    1    „  A  123.   151. 
„     „    2  „  c  124. 
44  in  fis  124.  125. 
53   „  As    125.    126. 
71  Nr.  1  in  d  126. 
„     „    2  „  B  126. 
..      ,.    3  „  f  126. 


183 


Polonäse 

in  gis  (1822)  126. 

„   b  (1826)   126. 
Polonäse-Phantasie  op.61  in  As  126. 
Präludium 

op.  28  Nr.     1  in  C  166. 


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,  B  169. 

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,    22   , 

,  g  169.  170. 

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,    23   , 

,    F  170. 

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,  d  41.   170. 

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,     45   , 

,  eis  170. 

Rondo 

op.  1  in  c  17.  18.   144. 

„     5  „  F  144.'  145. 

„  16  „  Es  145. 

„  73  „  C  145. 

Scherzo 

op.  2 

0  in 

h  161 

.   175. 

Scherzo 

op.  31  in  b  161.  175. 
„    39  „  eis   162.    175. 
„    54  „  E  162.  163.  175. 
Sonate 
op.     4  in  c  152. 
„     35  „  b  81.  86.  144.  153  bis 

156.  160.  169.  175. 
op.  58  in  h  144.  155—158. 
„     65  „  g    für    Klavier    und 
Violoncello  157.  158. 
Tarantelle  op.  43  in  As  127. 
Trauermarsch  op.  72  in  c  159. 
Trio  für  Klavier,  Violine,  Violon- 
cello op.  8  in  g  152.  157. 
Variationen  op.   12  in  B  49.  146. 
„      über  La  ci  darem  la  mano 
op.  2  in  B  25.  146.  147. 
Variationen  über  ein  deutsches 

Thema  in  E  159. 
Walzer 

op.  18  in  E  116. 
„     34  Nr.  1  in  A  116. 
„     „      „    2   „  a  116. 
„     „      „    3  „  F  116. 
„     42  in  As  116.  117. 
„    64  Nr.  1  in  Des  116.117.118. 
„     „      „    2  „  eis   116.   118. 
„     „      „    3   „  As  116. 118. 119. 
140. 
op.  69  Nr.  1  in  f  55.    116.    119. 
„     „      „    2  „  h  116.  119. 
u    70     „    1    „  Ges  116.  119. 
„     „      „    2  „  f  116.  119. 
„     „     „    3  „  Des  116.  119. 
in  E  (1829)  119. 
„  e  116.  119. 


NAMENREGISTER 


d'Agoult,  Marie  60. 

Ansorge,   Konrad   180. 

Artot,  Geiger  57.  71. 

Auber  42. 

Bach  14.   18.  48.   50.  71.  90.   92. 

93.  112.  155.  164.  165.  166.  168. 
Baillot  43. 
Balzac  67. 
Beethoven  18.  24.  26.  31.  37.  43. 

50.    69.    82.    87.    89.    142.    147. 

155.   160.    172. 
Bellini  52.  81.  99. 
Beriot  43. 

Berlin  19.  20.  21.  24.  26.  31.  44. 
Berlioz  42.  50.  51.  65.  80.  87.  177. 
Blahetka,  Leopoldine  26. 
Böhmen  14. 
Bonn  69. 
Brahms  90.  113. 
Breslau  36. 

Brodzinski,  Kasimir  13. 
Bülovv,  Hans  v.  165. 
Burmeister,  Richard  145. 
Byron  77. 
Catalani  79. 
Cherubini  44. 
Chopin,  Emilie  (Schwester)  12.19. 

41. 

Isabella  (Schwester)  12. 
-  Justine  (Mutter)  11.  12.  14.  41. 

54.  80.  84. 
Luise  (Schwester)   11.  12.   13. 

44.  68.  69.  71.  80. 
—  Nikolaus  (Vater)  11.  12.  13.  41. 

44.  45.  55.  65.  68.  80.  84.  90. 
Cimarosa  21. 
Clementi  171. 


Clesinger  72.  80. 

Cramer  48.  171.  172. 

Custine,  Marquis  de  57. 

Czartoryski  17.  44.  52.  70.  78.  79. 

Czerny  26.  27. 

Delacroix  8.  42.  67.  70.  79.  87.  100. 

Döhler  66. 

Dresden  36.  55. 

Dudevant  59. 

Edinburgh  77. 

Ehlert,  Louis  130. 

Eisner,  Joseph  18.  19.  23.  25.  34. 

35.  36.  40.  44.  109. 
Ems   57. 
England  8.  75. 
Erkine  Mrs.  77. 
Fetis  49.  171. 

Field  36.  48.   50.   129.   132. 
Filtsch  71. 
Fontana,  Julian  65.  66.  71.  76.  89. 

96.  114.   158. 
Franchomme,  Auguste  45.  51.  71. 

72.  114.  157.  158. 
«Fuchs,  Alois  145. 
Gavard  79. 
Genf  56. 
Genua  66. 
Gladkowska,  Konstanze  28.  32. 33. 

34.  39.  41.  45.   147. 
Glasgow  77. 
Glinka  107. 

Godowski,  Leopold  180. 
Goethe  82. 
Grieg  107. 

Grzymala,  Graf  Albert  62.  78. 
Gumbert  158. 


185- 


Gutmann,  Adolf  71.  79. 

Gyrowetz  15.  26. 

Habeneck  43.  122. 

Halevy  146. 

Händel  21. 

Haslinger,  Tobias  24.  37. 

Haydn    IS. 

Heine  20.  52.  58.  59.  65.  100.  103. 

Heinefetter,  Sabine  39. 

Heller  24.  173. 

Herold  146. 

Herz  43.  44.  50. 

Hesse,  Ad.  Friedr.  36. 

Hiller  44.  -15.  50.  51.  69. 

Hoesick  9.  56.  174.  179. 

Hoffmann,  E.  T.  A.  21. 

Hugo,  Victor  42. 

Humboldt,   Alexander   v.   20. 

Huneker  9. 

Hummel   18.   24.   31.   37.   48.   92. 

94.   121.    144.   147.   151. 
Jarocki,  Prof.  20. 
Jelowiecki,  Abbe  80. 
Italien  32.   50.   66.    141. 
Kahrer,  Laura  165. 
Kalergis,  Mme.   165. 
Kaiisch   35. 
Kalkbrenner  43.    46.    47.    49.    51. 

79.  147. 
Kapp,  Julius   165. 
Karasowski  8.   11. 
Karlowicz  9. 
Karlsbad  54. 

Keßler,  Jos.   Kristoph  31. 
Kiengel,  Alex.  Aug.  27.  36. 
Klindworth  151. 
Kolberg,  W.  von  19. 


Kosziusko  21. 

Krakau  27. 

Kreutzer  26. 

Kurpinski,  Kapellm.  23. 

Kwiatkowski,  Taddäus  80. 

Lablache  43. 

Lachner  26. 

Lanner  42. 

Legouve  70. 

Leichtentritt  9. 

Leipzig  55. 

Lenz,  Wilh.  v.  70.  165. 

Leo,  Bankier  65. 

Leroux,   Pierre  67. 

Lescynski,    Stanislaus    li. 

Lichnowsky,  Graf  Moritz  26. 

Lichtenstein,  Prof.   21. 

Lind,  Jenny  76.  79. 

Linde,   Samuel    13. 

Liszt  8.  9.  19.  43.  44.  45  u.  ff . 
84.  87.  90.  97.  102  u.  ff.  120. 
121.  146.  147.  154.  159.  160.  165. 
177.  178. 

London  40.  57.  76.  77.  78. 

Louis  Ferdinand,  Prinz  von  Preu- 
ßen 31. 

Lyszynski,  Arzt  77. 

Malfatti,  Dr.  37.  40. 

Malibran  42. 

Manchester  77. 

Marienbad    55. 

Marliani,  Madame  67.  75. 

Marseille  66. 

Marx  21. 

Matuzcynski,  Jan   15.  36.  38.  68. 

Mendelssohn  21.  45.  50.  55.  155. 

Merk,  Cellist  37. 


186 


Meyerbeer  45.  79.  111. 

Mickiewicz,  Dichter  120.  134.158. 

Mikuli  179. 

Molin,  Arzt  78. 

Moriolles,   Alexandra  de   17.   33. 

144. 
Morlacchi,  Kapellmeister  36. 
Moscheies   17.   39.   65.    101.    171. 

172. 
Moskau  41.   57. 
Mozart  18.  24.  32.  45.  48.  80.  81. 

87.  90.  92  u.  ff.  144.  146.  172. 

177. 
Müller,  Friederike  71.   103. 
München  40. 
Musset  58. 
Nancy  12. 
Neapel  66. 
Neukomm  65. 
Nicode   152. 
Niecks  8. 
Nizza  80. 

Nohant  59.  66.  67.  68.  170. 
Norwid,   Cyprian   79. 
Nourrit  42.  66. 
Onslow  21. 

Orlowski  32.   57.  70.   158. 
Osborne  45. 
Ostende  79. 

Pachmann,  Wladimir  v.   180. 
Paganini  24.  33.  34.  37.  50.  94. 
Palma  auf  Majorka  64.  162.  164. 

167.  169.  170. 
Paris  15.  21.  30.  40.  41  u.  ff.  51 

u.  ff.  58.  59.  65  u.  ff.  75  u.  ff.  87. 

88.  90.  96.  115.   169.   172.  174. 
Pasta  42. 


Pembaur,  Josef  180. 
Pixis  27. 

Plater,  Gräfin  52,  54.  70. 
Pleyel,  Camille  57.  64.  65.  79. 
Polen  11.  12.  15.  31.  55.  56.  61. 
76.  100.  111.  120.  124.  135. 

Potocka,  Gräfin  Delphine  80.  118. 
Prag  27. 

Probst,  Verleger  65. 
Radziwill,   Fürst   17.    19.   31.   52. 
121. 

—  Prinzeß  Elise  31. 

—  Prinzeß  Wanda  31. 
Reber,  Henri  81. 
Rellstab  21.  54. 

Ries  18.  31. 
Rolla,  Geiger  36. 
Rosenthal,  Moriz  180. 
Rossini  14.  42.  45. 
Rubini  42. 
Sauer,  Emil  180. 

Sand,  George  57  u.  ff.  74  u.  ff.  79. 
88.  95.  118.  167.  168. 

—  Maurice  59.  64.  72.  167. 

—  Solange  58.   59.   72  u.  ff.   78. 
79.  80. 

Scharlitt,  Bernard  9. 
Scharwenka,  Xaver  122. 
Scheffer,  Ary  74. 
Schiller  15. 

Schlesinger,  Maurice  65. 
Schmitt,  Alois  39. 
Schnabel,  Kapellmeister  36. 
Schottland  77. 

Schröder-Devrient,  Wilhelmine  42. 
Schubert  25.   139.   159. 


187 


Schumann  7.  53.  55.  87.  90.  102. 

114.    127.    136.    146.    155.    168. 

175.  177. 
—  Clara  174. 
Schuppanzigh  26. 
Sembrich,  Marcella   114. 
Seyfried  26. 
Skarbeck  11.  17.  56. 
Slavik,   Geiger  37. 
Slowacki,  Dichter  56. 
Smithson,  Henriette  50. 
Soliva,  Gesangslehrer  23.  33.  34. 
Sontag,   Henriette   33. 
Sowinski,  Albert  53.  70.  96.  158. 
Spanien  55.  127. 
Spohr  31.  148. 
Spontini  20.  21. 
Stattler  74. 

Stirling,  Jane  11.  75  u.  ff. 
Strauß,  Johann  37. 
Stuttgart  41. 
Tarnowski  9. 
Tausig  151. 
Thalberg  39. 


Tieck  150. 

Torphichen,  Lord  77. 
Viardot,  Pauline  67.  77.   114. 
Wagner  9.  83.  84.  89  u.  ff.  97u.ff. 

126.  173.  177  u.  ff. 
Warschau  8.  12  u.  ff.  31  u.  ff.  37. 

41.  42.  44.  54.  65.  72.  74.  79u,ff. 

85.  88.   105.   166.   170.   172. 
Weber  21.   146. 

Wien  24  u.  ff.  36.  37.  39  u.  ff.  44. 

105. 
Witwicki,  Dichter  45.  158. 
Wodzinski,  Anton  56.  57.   127. 
Wodzinska,  Maria  55.  56.  57.  61. 

175. 
Wojciechowski,  Titus  20.  23.  27. 

u.  ff.  33  u.  ff.  41.  45.  61.  79. 

86.  96.  150. 
Wolicki  17. 

Würfel,  Kapellmeister  25. 
Zelazowa  Wola  11.  35. 
Zaleski,  Dichter  158. 
Zelter  21. 
Zywny,  Albert   14.   15.    17. 


im  gleichen  Verlag   erschien  von  demselben  Verfasser: 

BERLIN  ALS  MUSIKSTADT 

Geschichte  der  Oper  und  des  Konzertes  von  1740  bis  191 1 

Mit   102   Bildern 
Geheftet  6  Mark,  gebunden  8  Mark 

Eine  eminent  wertvolle  Gabe!  Sie  nötigt  mich  zum  Dran- 
geben aller  Reserviertheit  und  zu  der  überzeugtesten  Aufforderung  an  alle 
ernstlich  für  das  Musikleben  unserer  Zeit  interessierten  Leser:  Kauft  und 
lest,  was  in  seinem  meisterhaft  klar,  kurz  und  bündig 
geschriebenen  historisch-kritischen  Resümee  „Die  Musik  der  Weltstadt" 
ein  wahrhaft  Wissender  über  alles  Berliner  Musikleben  zu  sagen  gewüßt 
hat.  Ich  habe  Dr.  Weißmanns  Schilderung  als  eine  ganz  aktuelle  Musik- 
geschichtschreibung erfunden,  an  den  vielen  scharf  charakterisierenden  Be- 
wertungen moderner  Größen  Freude  gehabt  und  den  scharfsinnigen  Erörte- 
rungen des  Verfassers  größtenteils  vorbehaltlos  zustimmen  müssen. 

Prof.  Arthur  Smolian  in  der  Leipziger  Zeitung 

Das  großangelegte,  verdienstliche  Werk,  die  Frucht  un- 
endlich mühsamer  Sammeltätigkeit,  mannigfach  verzweigter  Studien,  schwie- 
riger kritischer  Untersuchung,  ungewöhnlichen  Fleißes  und  vieler  Mühe 
stellt  sich  uns  hier  in  gewinnend  liebenswürdiger  Form  dar.  Diese  Studien 
zur  Geschichte  der  Kunst  sind  selbst  zu  einem  Kunstwerk  geworden. 

Berliner  Börsen-Courier 

Von  diesem  Buche  gilt  in  Wahrheit  das  Wort,  daß  es  eine  Lücke 
ausfüllt,  die  wir  längst  empfanden;  eine  solche  Geschichte  der 
Musik  im  Zusammenhange  besaßen  wir  bisher  nicht!  Es  ist  ein  Ver- 
dienst, sie  geschrieben  zu  haben,  und  dem  Verfasser  ist  dies  besonders 
hoch  anzurechnen,  da  nach  Inhalt  und  Form  das  Werk  gleich  vortreff- 
lich ist.  Es  war  keine  leichte  Arbeit,  die  er  geleistet  hat.  Der  zu  be- 
wältigende Stoff  lag  zum  Teil  versteckt,  zum  Teil  ungeordnet  da.  Das  läßt 
der  Autor  den  Leser  indes  nicht  merken,  da  er  ihn  auf  glattem,  ebenem 
Wege  dahinführt. 

Norddeutsche  Allgemeine  Zeitung 

Ein  höchst  beachtenswertes  Buch,  das  die  erste  zusammenhängende 
Darstellung  der  Entwickelung  des  musikalischen  Berlins  ist.  Weißmann  hat 
mit  diesem  großangelegten  Werk  eine  Arbeit  geleistet,  die  schon 
der  Quantität  nach  außerordentlich  achtunggebietend  ist!  Das  schwierige 
Problem,  bei  wissenschaftlicher  Gründlichkeit  das  überreiche  Material  inter- 
essant und  anregend  darzustellen,  hat  Weißmann  vollkommen  gelöst.  Die 
Gruppierung  des  Stoffes,  der  mühselig  und  geduldig  aus  den  alten  Zeitungen, 
Zeitschriften,  Memoirenwerken  und  Biographien  zusammengetragen  werden 
mußte,  ist  klug  und  übersichtlich.  Manche  Kapitel  bringen  Neues  und 
Interessantes   ans   Licht.     Das   Schlußkapitel   gehört   zum   Geistreich- 


s  t  c  n  ,  was  in  letzter  Zeit  über  Musik,  Musiker  und  öffentlichen  Musik- 
betrieb geschrieben  worden  ist.  Das  ganze  Buch  aber  ist  ein 
kulturgeschichtliches    Dokument. 

Roland  von  Berlin 

„Berlin  als  Musikstadt"  ist  ein  schön  ausgestattetes  Buch,  in  welchem 
die  musikalischen  Ereignisse  von  1740  bis  zur  Gegenwart  mit  großer  Sach- 
k  e  n  n  t  n  i  s  und  einer  Fülle  interessanter  Details  dargestellt  werden. 

Rheinische  Musik-  und  Theater-Zeitung 

In  ebenso  ausführlicher,  wie  anregender  Weise  wird  die  allmähliche 
Entwickelung  der  Oper,  der  Konzerte,  werden  die  verschiedenen  Kunst- 
strömunger  und  Anschauungen  geschildert.  Ein  gediegener  Bilderschmuck 
macht  das  nicht  bloß  für  das  Berliner  Musikleben,  sondern  auch  für  die 
Entwickelung  der  Musik  überhaupt  hochinteressante 
Werk  noch  besonders  wertvoll. 

Hannoverscher  Courier 

Es  ist  keine  statistische  Aufzählung,  kein  dürrer  Katalog,  den  uns 
Weißmann  vorlegt.  Frisch  und  flott  geschrieben,  gründlich,  ohne  Pedan- 
terie, von  unbefangenem  Standpunkt,  in  scharfpointierten  Urteilen  er- 
weist sich  das  Buch  als  eine  unterhaltende  und  inhaltsreiche  Lektüre, 
als  eine  musikalische  Kulturgeschichte. 

Berliner  Tageblatt 

Alle  Hauptpunkte  unserer  Musikentwicklung  vereinigt  Weißmann  mit 
seiner  prägnanten  Sprache  zu  einem  lebendig-wirkenden  Ganzen  und  schafft 
so  ein  Werk,  das  nicht  nur  für  den  Musiker  und  Musikfreund  von  hohem 
Wert  ist,  sondern  das  jeden  Gebildeten  interessieren  und  fesseln  muß, 
da  es  ein  gewaltiges  Stück  Berliner  Kulturgeschichte  um- 
faßt. Das  durchaus  zeitgemäße,  vornehm  ausgestattete  Werk  dürfte  bald 
in  keiner  Bibliothek  fehlen. 

Berliner  Börsenzeitung 

Eine  Fülle  von  gründlicher  Detailarbeit  ist  in  dieses  inter- 
essante Buch  versenkt.  An  unzähligen  Stellen  des  Bandes  tauchen  De- 
tails auf,  die  der  Verfasser  aus  den  verborgensten  Quellen  geschöpft  hat, 
und  mit  das  Reizvollste  an  dem  Werke  ist  die  Art  und  Weise,  in  der  er 
längst  Verschollenes  mit  unserer  heutigen  Zeit  in  Verbindung  zu  bringen 
weiß.  Alles  in  allem  eine  sehr  willkommene,  ernste  und  tief- 
gründige Arbeit,  die  kommenden  Zeiten  tatsächlich  als  wertvolle 
Quelle   der   Musikgeschichte   dienen   können    wird. 

Hamburger  Fremdenblatt 

Der  Band  birgt  neben  manchem,  was  als  historisches  Material  bekannt 
ist,  eine  reiche  Fülle  von  Einzelheiten,  die  auf  Grund  glücklichen  und  mit 
viel  Sachkenntnis  unternommenen  Quellenstudiums  wirklich  als  eine  wert- 
volle Bereicherung  des  mu  s  i  k  ge  s  ch  i  chtliche  n  Wissens 
dankbar    begrüßt    werden    kann.      Das    flott    und    anregend    geschriebene 


Buch   ist   die    Erfüllung   eines   kulturgeschichtlichen    Be- 
dürfnisses. 

Berliner  Morgenpost 

Die  Leistung  als  Ganzes  verdient  Lob  und  Anerkennung.  Was 
man  sonst  in  Musikgeschichtswerken,  Zeitungen  und  Zeitschriften  sich 
zusammensuchen  mußte,  ist  hier  sauber  zusammengetragen  und  mit  Abzug 
allen   gelehrten    Beiwerks   wiedergegeben. 

Die  Musik 

Jeder  Musiker  und  Musikliebhaber  wird  dem  Herausgeber  für  die  in 
ihrer  Art  einzige  Darstellung  der  Musikentwicklung  Berlins, 
die  eine  Musik-  und  Kulturgeschichte  ersten  Ranges  ist, 
seine  Dankbarkeit  nicht  vorenthalten  können. 

Aus  Posener  Landen 

Was  dieser  zeitgemäßen  Publikation  ihren  besonderen  Wert  ver- 
leiht, ist  die  durchaus  angewandte  Beobachtungs-  und  Darstellungsmethode, 
die  ohne  Rücksicht  auf  Lebende  oder  Tote  sich  lediglich  in  den  Dienst 
der  Wahrheit  stellt  und  gerade  deshalb  ein  lebhaftes  Für  und  Wider  der 
Meinungen   entfesseln  dürfte. 

Breslauer  Zeitung 

Weißmann  hat  hier  eine  gewaltige  Aufgabe,  deren  Behandlung 
nach  pedantisch  wissenschaftlichen  Gesichtspunkten  ermüdend,  ja  abstoßend 
gewirkt  hätte,  im  guten,  feuilletonistischen  Stile  temperamentvoll  bewältigt. 
Seine  Darstellung  der  überreichen  Materie  ist  flott,  energisch,  anregend, 
ohne  dabei  der  auf  gründlichem  Quellenstudium  beruhenden  Sicherheit  im 
Vortrag  des  Tatsächlichen  zu  entbehren.  Nirgends  begnügt  sich  Weißmann 
mit  der  Aufzählung  von  Daten  und  Geschehnissen,  sondern  überall  durch- 
dringt er  die  Erzählung  mit  Kritik,  Ausblicken,  Schlußfolgerungen.  Mei- 
sterlich sind  insbesondere  die  Kapitel  geraten,  die  der  Königlichen  Oper 
gewidmet  sind.  Bemerkt  sei,  daß  das  Buch  glänzend  ausgestattet 
ist  und  im  Anhang  eine  große  Anzahl  kulturhistorisch  und  persönlich 
interessanter  Bilder  und  Porträts  vereinigt. 

Breslauer  Morgen-Zeitung 

Dies  Buch  darf  als  ein  wertvoller  Beitrag  zur  Musikgeschichte  gelten: 
es  bietet  eine  reiche  Fülle  von  Anregung  und  Belehrung  in  vornehmster 
Form.  Der  reiche  Bilderschmuck  bietet  noch  eine  besondere  Anziehungs- 
kraft   dieses    prächtigen    Musikbuches. 

Wiesbadener  Tagblatt 

Dem  Verfasser  ist  als  dankenswertestes  Verdienst  nachzurühmen,  daß 
er  das  ungeheure  Material  aus  dem  Staube  der  Archive  in  das  Leben  über- 
setzt hat,  wobei  ihm  sein  scharfer  kritischer  Geist  und  seine  lebendige 
Erzählungskunst  reiche  Dienste  leisteten.  Der  Verlag  hat  das  Werk  mit 
mehr  als  hundert  Bildern  geschmückt,  die  die  gesamte  Musikentwicklung 
der  Reichshauptstadt  von  Friedrich  dem  Großen  bis  auf  den  heutigen  Tag 
verfolgen.  j 

Tagespost,  Graz 


MUSIKER- BIOGRAPHIEN 

■p  Ar^T-T    von  ANDRE  P1RRO.     Herausgegeben  von  Bernhard  Engelke. 
D/Av-^ll  2.  Auflage.     Geheftet  6  Mark,  gebunden  8  Mark. 

-  Eines  der  vortrefflichsten  Bach-Bücher    unserer  Zeit.  Wiesbadener   Tagblatt. 

DCCTUn\/ü\l  von  PAUL  BEKKER.    17.  Auflage.  Ge- 
tSlllJ/  1    \r\\J  V  C/1N   heftet  12  Mark,   gebd.  in  Halbleinen  15  Mk., 

in  Kunftleder  18  Mark. 

•»Das  Beste,  was  wir  über  Beethoven  besitzen.«.   Zeitschr.  der  intern.  Musikgesellschaft. 

DDDT    ir\*7   von   JULIUS  KAPP.     Mit   70  Bildern.     3.  Auflage. 
DE/KLIUL  Geheftet  12  Mark,  gebunden  14  Mark. 

» Diese  Biographie  ist  ein  literarisches  Denkmal  erster  Ordnung.*    Hannov.  Tageblatt. 

DD   A  T—TX/TQ  von  J.A.  FÜLLER.    Mit  150 Bildern.    4.  Auflage.    Ge- 
DK/-\iliVl0  heftet  4  Mark,  gebunden  6  Mark. 

»Der  erfahrene  Musiker  und  kenntnisreiche  Historiker  gab  ein  Buch  von  ruhigster 
Sachlichkeit.*  Allgemeine  Zeitung. 

r^UnDTM  von  ADOLF  WEISSMANN.     4.  Auflage.     Geheftet 
V^iivJrllN  5  Mark,  gebunden  7  Mark. 

»Ein  unnachahmlich  zart  schwingendes  Poem.     Dies  Buch  zu  lesen  ist  ein  Genuss.* 

Nord  und  Süd. 

T    T07T  von  JULIUS  KAPP.     7.  Auflage.     Geheftet  8  Mark,  gebunden 

»Nicht  eine,  sondern  die  Liszt- Biographie,  auf  die  wir  alle  längst  warteten.* 

Breslauer  Zeitung. 

\Ä  A  T-TT  "DD    von  RICHARD  SPECHT.    8.  Auflage.     Geheftet 
M/\ilLdJ/K  8  Mark,  gebunden  10  Mark. 

»Dieses  Buch  ist  etwas  Besseres  als  eine  Lebens geschickte :  ein  Porträt,  unentbehr- 
lich für  alle,  die  Gustav  Mahler  lieben.*  Dresdner  Neueste  Nachrichten. 

MENDELSSOHN  "°°  WALTER  DÄ«uÄ 

Die  Trias    der    lyrischen  Romantiker    ist   mit    diesem    Buch  geschlossen   aus   der 
Feder  dessen,  der  Schubert  und  Schumann  mustergiltig  darstellte. 


Schuster   &   Loeffler,   Verlag,    Berlin 


Geheftet 
Mark. 


MUSIKER- BIOGRAPHIEN 

\IH7ADT  AUF  DEM  THEATER.  Von  ERNST  LERT. 
lVI  W  Z^-VIV  1      Mit  39  Bildern.   2.  Aufl.   Geh.  12  Mark,  geb.  15  Mark. 

»Ein  ausser  gewöhnlich  kluges  und  starkes  Buch.  Es  gibt  eine  umfassende  Ana- 
lyse der  Persönlichkeit  Mozarts  und  entwickelt  ein  Bild  des  gesamten  inneren 
Lebens  dieses  überwältigenden  Genies.*  Münchener  Allgemeine  Zeitung. 

D  A  C^  AXTTXTT  von  JULIUS  KAPP.  Mit  60  Bildern.  4.  Auflage. 
i  /AW/AINIINI  Geheftet  6  Mark,  gebunden  7.50  Mark. 

»Das  erste  vollständige,  das  klassische  Paganini-Werk !  Kein  Musikfreund  wird 
an  dieser  Biographie  vorübergehen  können,  die  wirklich  eine  geschichtliche  Lücke 
schliesst.a  Grazer  Tagespost. 

QPUT  TPHT  DT  von  WALTER  DAHMS.    5.Auflage.     C 
O^riLlDC/IVl  12  Mark,  gebunden  14 

•»Ein  mit  Herz  und  Verstand  entzückend  geschriebenes  Buch,  jedenfalls  das  beste 
über  Schubert.«.  .  Pester  Lloyd. 

CpUT  T\J  A  XTlSj  von  WALTER  DAHMS.  Mit  158  Bildern. 
O^/UU.  lVl/AlN  IN  3.  Auflage.    Geheftet  12  Mk.,  gebunden  14  Mk. 

Das  beste  Werk,  das  bis  jetzt  über  Schumann  erschienen  ist.«.    Kölnische  Zeitung. 

CTD  ATTCC  vonMAXSTEINITZER.    Mit  einem  Porträt. 

v3  1  IVi'-VLJ.OO  8  Auflage.    Geheftet  4  Mark,  gebunden  6  Mark. 

»  Wer  sich  mit  moderner  Musik  beschäftigt,  wer  ein  geklärtes  Verhältnis  zu  Strauss 
gewinnen  will,  tnuss  dieses  Buch  lesen.  Die  Darstellung  ist  lebendig  bewegt, 
leicht  verständlich  und  genussreich.«.  Niederrheinische  Nachrichten. 

VY/Ar}l\TpD   von  JULIUS  KAPP.  12.  Auflage.  Geheftet  6  Mark, 

»Ein  Buch,  das  an  Wohlfeilkeit  und  Vollständigkeit  alle  bisherigen  Biographien 
Übertrift.     Ein  Meisterwerke  Berliner  Tageblatt. 

WEBER  von  ERNST  LERT.     <In  Vorbereitung.) 

Der  Dramatiker,  Regisseur,  Kapellmeister  —  diese  drei  Grundzüge  sind  die 
Stufen,  auf  denen  Lcrt  sein    Weber-Buch  aufbauen  wird. 

W/OT  Rvon  ERNST  DE CSEy.  6.  Auflage.  Geheftet  6  Mark, 
W  V^  i^i1  gebunden  8  Mark. 

»Schlechthin  die  klassische  Biographie  Hugo  Wolfs. «  Münchner  Post. 


Schuster   &   Loeffler,   Verlag,    Berlin 

1776.   Druck  der  Berliner  Buch-  und  Kunstdruckerei,  G.m.b.H.,  Berlin  W  35  —  Zossen. 


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77/ 


ML 

C54W3 
1912 


Weissraann,  Adolf 

Chopin     3.  und  4.  Aufl. 


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6Jb 

■'•eissmann,   Adolf 

Chopir  3.64.    Aufl. 

191? 

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