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Full text of "Chr. D. Grabbe, sein Leben und seine Werke"

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CHR. D. GRABBE 




N 




NÜND 






VON 



OTTO NIETEN 



SCHRIFTEN DER LITERARHISTORISCHEN GESELLSCHAFT BONN 
HERAUSGEGEBEN VON BERTHOLD LITZMANN 

= IV = 



DORTMUND 
DRUCK UND VERLAG VON FR. WILH. RUHFUS 

1908 



836 
Nie 



Vorwort 



Die wissenschaftliche Literaturhistorie ist über den be- 
deutendsten Dramatiker des nordwestlichen Deutschlands, 
den Westfalen Christian Dietrich Grabbe, meist mit einem 
herben Verdammungsurteil hinweggegangen. Zwar hat der 
unselige Mann manchen Forscher zu einer flüchtigen Be- 
trachtung gereizt, aber man hat ihm nicht entfernt das Maß 
von Teilnahme zugewandt, das andre nachklassische Er- 
scheinungen wie Kleist und Hebbel mit Recht erheischten. 
Und doch ist wohl keine Frage, daß Orabbe nächst jenen 
beiden Größeren die stärkste, ursprünglichste und originellste 
dichterische Potenz unter den norddeutschen Dramatikern in 
der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts darstellt. 

Was die Entstehung dieses Buches angeht, so reichen die 
Vorarbeiten zurück bis in das Jahr 1901, in dem zahlreiche 
Stimmen in Jubiläumsaufsätzen zum 100. Geburtstage Grabbes 
die noch lebendige Wirkung des Dichters bezeugten. Es galt 
hier noch mancherlei Neuland zu bebauen, soviel auch For- 
schern wie Grisebach, Piper, Ploch, Behrens, Ebstein zu 
danken war. In einem Jahr wissenschaftlicher Maße, für 
deren Gewahrung seitens der vorgesetzten Behörden und des 
Ministeriums auch an dieser Stelle meinen Dank abzustatten 
mir Bedürfnis ist, gedieh der Plan zur Vollendung. Freilich 
war in diesen Jahren in mancher Hinsicht eine Wandlung für 
den Verfasser eingetreten, sowohl was sein persönliches ästhe- 
tisches Werturteil gegenüber den verschiedenen Schöpfungen 
des Dichters anlangt, als auch was die Anlage und Ten* 
denz des Buches angeht. Es lag im ursprünglichen Plan, zu- 
nächst in einer wissenschaftlichen Monographie die For- 



1 - 



— IV — 

schungsergebnisse über die Entstehung, über Motive und 
Technik der einzelnen Dramen darzubieten. Lag doch in 
dieser Beziehung nur erst K. A. Pipers Monographie über 
den Oothland vor. Danach schwebte mir eine Biographie vor, 
die, auf jenen Resultaten fußend, aber frei von solchem wis- 
senschaftlichen Ballast einem literarisch interessierten grö- 
ßeren Publikum ein Gesamtbild des eigenartigen Dichters 
und Menschen nahebrächte. Wenn ich nun zum Teil aus 
äußern Gründen mich zu einer Vereinigung dieser beiden 
Aufgaben entschloß, so ist es mir bewußt, daß der Schwer- 
punkt des vorliegenden Buches in der literarhistorischen Arbeit 
liegt, die neuforschend und zusammenfassend das Werden der 
dichterischen Persönlichkeit aus dem literarischen Milieu be- 
greiflich zu machen, sowie Reflex und Wirkung auf die Zeit- 
genossen und in die Zukunft hin zu zeigen sucht; aber 
die biographischen Kapitel bilden die notwendige Ergänzung 
und Erklärung für das Verständnis des Grabbeschen Kunst- 
werkes. Dessen Zusammenhang soll insbesondre aus dem 
Schlußkapitel hervorgehn, auf das ich den Leser nach der 
Lektüre der in die Einzelheiten führenden Analysen jedesmal 
verweisen möchte. Im ganzen war an eine mehr, essayistische 
Biographie also nicht gedacht. Denn der Literarhistoriker 
muß erst seine Arbeit getan haben, ehe eine Komposition 
nach rein künstlerischen Gesichtspunkten möglich ist, so un- 
dankbar sich der Essayist auch oft gegenüber dem Literatur- 
forscher erweist, auf dessen Schultern er steht und ohne den 
er doch auf unsicher romanhaftem Boden sich bewegte. Mit wie 
ungeheurem psychologischem Reiz müßte nicht die Nachfor- 
mung eines so einzig merkwürdigen Menschen wie Grabbe 
den kongenialen Künstler und Dichter locken, insbesondre einen, 
der den jungen Grabbe nachzuempfinden vermöchte!' 

Meine Aufgabe war also in erster Reihe darauf gerichtet, 
alles Wissen über Grabbe, die Ergebnisse eigenen Forschen* 
mit den Resultaten der gesamten früheren Untersuchungen zu* 
sammenzufassen, die historische Wahrheit über Grabbes Leben 



— V — 

zu ermitteln. Leben und Werk sollen sich gegenseitig ausein- 
ander erklären. Aber die Hauptsache, das Dauerade, ist 
natürlich das Werk. Wenn man aber dessen Wert anerkennt, 
so mag man über die Person des Schöpfers nach einem Wort 
aus Qothland denken: „Wir können ihn nicht lieben, also 
wollen wir ihn vergessen". Der Biograph freilich, sofern er 
nicht großen Aufwand an ein unnützes Werk vertut, 
wird natürlich das Positive und Dauernde möglichst scharf 
herausarbeiten, die großen Eigenschaften ins rechte Licht 
setzen. Als Alkoholiker ist Grabbe nicht zu retten, aber an- 
dererseits hat ihm das Schicksal eine so schwere Last auf- 
erlegt, daß der Anteil der eigenen Schuld dadurch weit über- 
wogen wird. Wer etwa mit Ebstein sich die Krankheits- 
geschichte des Dichters vergegenwärtigt, muß doch staunen, 
was dieser Mann bei dieser Oberfülle von Elend geleistet hat. 
Welch ein Wirrsal grundverschiedener, sich befehdender, 
verketzernder und enthusiastischer Auffassungen hat die Er- 
scheinung Orabbes ausgelöst! Das Werturteil schwebt auf des 
Messers Schneide. In jedem Betracht gilt Orabbe als ein 
Grenzphänomen. Soll man nicht Mitleid haben mit dem Kran- 
ken, den bis zum letzten Atemzug ein fieberhaftes Streben 
nach Größe beseelte? Wird nicht die Verachtung mit dem 
Charakterschwachen die Sympathieen für diesen zwiespältigen 
Mann zerstören? Und führt uns nicht auch der Dichter 
gerade in seinen originellsten Eingebungen oft an die Grenze, 
wo der subjektive Geschmack entscheidet, ob er noch tragisch 
zu genießen vermag oder ob er nur eine bizarre Kuriosität 
bestaunt? Ein gSnie mal log£, von allen Glückswerten des 
menschlichen Lebens ausgeschlossen gleich denen, „so nichts 
sind und nichts können". Ein Mensch von außergewöhn- 
lichem Talent, der es doch zu nichts bringt, ein zwiespäl- 
tiger großringender Mann, der verächtlich zugrunde geht. Die 
dunkeln Widersprüche des Daseins selbst tauchen in schmerz- 
hafter Furchtbarkeit vor uns auf. Die tragische Größe in 
Grabbes Werk spricht sich erhaben dahin aus, daß sich hier 



— VI — 

ein tiefster Schmerz enthüllt ohne bettelndes Mitleid, ohne 
Anklage, aber hoheitsvoll in seinem Stolz. Das ist die 
reinste Wirkung. Ecce homo — ecoe poeta. 

Nach Fertigstellung dieser Arbeit ist es mir Bedürfnis, 
für manche Förderung und Hülfe meinen Dank auszuspre- 
chen« Die Vorlesungen von Professor Franz Muncker 
in München, dem ich manche wertvolle Anregung danke, 
ließen die ersehnte Fühlung mit der Literaturforschung wie- 
der gewinnen. Die Berliner Bibliothek gestattete durch freund- 
liche Vermittlung des Bibliothekars Dr. Wolf in München 
eine Abschrift der ersten Fassung von „Marius und Sulla"» 
die nun inzwischen freilich auch von P. Friedrich in 
seiner Grabbeausgabe bereits gebracht wurde. Dankbar ge- 
denke ich ferner der Liberalitat des Herrn Dr. Robert 
Hallgarten in München, der durch den Einblick in seine 
Wertvollen Inedita, sehr ausführliche Fassungen des Hannibal 
und der Hermannsschlacht, die lebendigste Anschauung von 
der Arbeitsweise des Dichters ermöglichte. Die Münchener 
Staatsbibliothek besitzt noch einige Grabbereliquien, die mir 
Herr Dr. Petzet gütigst zur Kenntnisnahme überließ: 
wenige Blätter der Hermannsschlacht und sodann eine Locke 
von Grabbes Haupthaar, die Ignaz Hub pietätvoll aufbewahrte. 
Herr Professor Dr. Anemüller machte mit freundlicher 
Bereitwilligkeit die Schatze der Detmolder Landesbibliothek 
zugänglich. Die dort befindlichen wertvollen Dokumente sind 
allerdings in der leider vergriffenen Ausgabe von Oskar 
Blumenthal fast vollständig ausgenutzt, während sie in der 
Grisebachschen Ausgabe mit Recht vermißt werden. Ich 
habe daher in der von mir besorgten Grabbeausgabe mit bio- 
graphischer Einführung und Einleitungen zu den einzelnen 
Stücken, die ungefähr gleichzeitig mit diesem Buch in Max 
Hesses Leipziger Klassikerausgaben erscheinen wird, auch 
die Briefe an Grabbe gebracht, wie auch die Briefe von 
Grabbe um verschiedene Nummern vermehrt werden konnten. 
Im übrigen könnte der Detmolder Lokalforschung noch manche 



_ vn — 

Bereicherung der Grabbeforschung gelingen. Aber es scheint 
sich auch an Orabbe das Sprüchwort zu bewahrheiten: der 
Prophet gilt nichts in seinem Vaterland! 

Mit herzliohem Dank gedenke ich endlich noch des lie- 
benswürdigen Entgegenkommens des Herrn Professor 
Dr. Berthold Litzmann, des Vorsitzenden der Bonner 
Literarhistorischen Gesellschaft, in deren ordentlichen Mitglie- 
derkreis ich mich durch die vorliegende Arbeit einführt». Bei 
Lesung der Korrekturen wurde ich zunächst von Herrn D r. 
E n d e r s in Bonn, sodann von Herrn Dr. R i c k in Sieg- 
burg durch Rat undfTat auf das uneigennützigste unterstützt. 

Ostern 1 908 Der Verfasser 



Inhaltsverzeichnis 



Vorwort III 

1. Kapitel. Heimat, Eltern, Jugend 1 

2. Kapitel. Studentenzeit — Wanderjahre 17 

3. Kapitel. Die Dichtungen des jungen Qrabbe ... 45 

a) Einleitung. Das Schicksalsdrama 45 

b) Herzog Theodor von Gothland 54 

c) Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung . . 86 

d) Nannette und Marie 100 

e) Marius und Sulla 106 

4. Kapitel. Der Auditeur 134 

5. Kapitel. Don Juan und Faust 146 

6. Kapitel. Ober die Shakespearomanie — Die Hohen- 

staufen 203 

7. Kapitel. Orabbes politische Ansichten — Napoleon 

— Kosciuszko 240 

8. Kapitel. Liebesleben und Ehe — Flucht aus Detmold 265 

9. Kapitel. Die Frankfurter Episode 288 

10. Kapitel. Düsseldorf — Qrabbe und Immermann • . 296 

11. Kapitel. Hannibal — Aschenbrödel 314 

12. Kapitel. Die Hermannsschlacht 340 

13. Kapitel. Lebensausgang in Detmold . . . . 366 

14. Kapitel. Zusammenfassendes Schlußkapitel — einige 

Bemerkungen über Orabbes Technik, Stil, 

Sprache und Metrik 374 

Anhang (Literaturangaben und Nachlese) 419 

Register der wichtigsten Namen 449 



I. Kapitel 

Heimat — Eltern — Jugend 

Ich seh die Flur, wo ich als Knabe spielte, 
Wo ich mich kindlich glücklich fühlte, 
Ich seh das väterliche Haus. 

(Gothlind IV). 

^^ * 

Die rote Erde hat so manche rauhe trotzig düstre West- 
falengestalt genährt. Seit der großen Cheruskerschlacht ward 
insbesondre das Lippesche Ländchen ein ewig denkwürdiges 
Fleckchen Erde. Ursprüngliches wildurwüchsiges Germanen- 
tum hielt sich lange ungebrochen, Heidentum und Götter- 
glaube steckte zäh und tief in den Niedersachsen, bis Karl 
der Große sie mit Feuer und Schwert zum Christentum be- 
kehrte. Auch in Thietmelle — d* i. nach Grabbes Inter- 
pretation in der „Hermannsschlacht* 4 Volksgerichtsstätte — 
hat der gewaltige Kaiser geweilt. Seit dem 12. Jahrhundert 
treffen wir die Lippeschen Herrn, die meistens den Namen 
Bernhard oder Simon tragen, und die auch unter dem weifischen 
Heervolk des Hohenstaufendichters erscheinen. Bernhard IL, der 
Begründer von Lippstadt, war einer der tüchtigsten Feld- 
herrn Heinrichs des Löwen. Die Reformation brachte die 
heftigsten Erschütterungen über das altkatholische Land, das 
in Münster die tollste Ausgeburt des Wiedertäufertums als 
Extrem des neuen revolutionären Geistes ausbrütete. In Lippe 
aber ward durch Bernhard das lutherische Bekenntnis, durch 
Simon die reformierte Lehre siegreich. Aus der Grafschaft 

Nieten, Chr. D. Ortbbe. 1 



— 2 - 

• 

wurde 1720 ein Reichsfürstentum. Mit dem Anfang des 19. 
Jahrhunderts wird. Europa von Kriegsstürmen erschüttert. 
Die Kleinen haben es in solchen Stürmen besser als die 
Großen, aber auch der Lippesche Kleinstaat erlebte man- 
cherlei Umwälzung. 1802 starb Leopold und hinterließ einen 
unmündigen Sohn Paul Alexander. Für ihn regierte bis 1820 
die Fürstin Pauline, eine vortreffliche Herrscherin, die den 
durch die französische Revolution blutig inaugurierten Frei- 
heitsideen Eingang in ihrem Ländchen verschaffte, indem sie 
Leibeigenschaft und Frondienst möglichst beseitigte und die 
Unabsetzbarkeit der Staatsdiener verfügte. Unter Paul 
Alexander ward dann nach dem Vorgang der Fürstin 
Pauline eine landständische Verfassung eingeführt und am 
6. Juli 1836 ein Landgrundgesetz veröffentlicht. Diesen 
innern Fortschritten entsprachen Änderungen nach außen. 
Dreimal wandelte sich das große Ganze, davon das Ländchen 
ein Teil war; anfangs im alten Reich ein Stück des west- 
fälischen Kreises, gehört es vorübergehend dem Rheinbund 
an, um nach Napoleons Vertreibung ein Glied des deutschen 
Bundes zu werden. 

Die Residenz Detmold präsentierte sich am Anfang des 
19. Jahrhunderts als schmucke und freundliche Mittelstadt. 
Trottoirs und Laternen schienen dem biedern, vom Dorfe 
kommenden westfälischen Bauern schon eine Kulturerrungen- 
schaft. Ein altertümliches Schloß, ein schöner Paradeplatz 
waren die eigentümlichen Schmuckstücke, eine Garnison be- 
lebte das Straßenbild und das gesellschaftliche Leben. Theater- 
vorstellungen fanden im Orangeriegebäude statt, bis 1825 
ein neues Schauspielhaus eingeweiht wurde. Insbesondere 
aber ist das Land ein Kleinod durch seine geschichtlichen 
Erinnerungen und durch seine landschaftlichen Reize. In 
unmittelbarer Nähe mit Linden bepflanzte Promenaden, pappel- 
umsäumte Alleen führen hinaus zum Büchenberg. Und wäh- 
rend diesseits der Berlebecke der Blick hinüberschweift in 
die Gegend von Meinberg, wo Hörn liegt mit den Extern- 



— 3 - 

steinen, — über deren Natur man sich ebenso lebhaft stritt 
wie über den Schauplatz der Varusschlacht — bis zur 
höchsten Erhebung des Teutoburgerwaldes, dem die Gebirgs- 
kette an das Eggegebirge anreihenden Velmerstot, winkt über 
den Bach herüber der eigentliche Kamm des Teutoburger- 
waldes, durch die Dörenschlucht und das Winfeld gegen die 
Senne hin abgeschlossen. Den Kern des Gebirges bildet die 
Grotenburg, deren waldumrauschte Höhe heute das Werk 
eines einsamen eigenwilligen Bildnergenies krönt: Bandeis 
Hermannsstatue, die gewaltig aus den Wipfeln hervortritt. Ein 
mächtiges Rauschen wogt durch diese prachtvollen Bestände 
deutscher Eichen und Buchen. Und was der Dichter, der 
die Scholle, die ihn getragen, liebte, aus seiner heimischen 
Natur sah und aus ihr heraushörte, verrät uns manches 
Bild und Gleichnis seiner Dichtung. In wilder Laune ist 
er oft „über die schwärzlichen Berge" seiner Heimat ge- 
wandert. „Das ganze lippesche Land rauscht von Bäumen, 
Waldbächen und fallenden Blättern." Man kann den Rhytmus 
solcher Natur-Musik in der „Hermannsschlacht" vernehmen. 
In Hiddesen am Fuß der Grotenburg wurde am 
10. November 1765 Dorothea Friederike Grüt- 
t e m e i e r geboren, die sich 1792 mit dem Lemgoer 
Postboten Adolf Heinrich Grabbe,in Strüh bei 
Ahmsen am 6. März 1762 geboren, ehelich zusammen- 
tat Der Name Grabbe war nicht so selten, und es 
waren durchweg kleine Leute, die ihn trugen, so hat 
A. Ploch in den Lippeschen Intelligenzblättern einen Einlieger, 
einen Colon, einen Waldschützen Grabbe entdeckt. Adolf 
Heinrich Grabbe, der von Hause aus nichts besaß, hatte sich 
dank seiner sparsamen Ehefrau ein eigenes Haus in der Lem- 
goer Vorstadt, zwei kleine Gärten erworben und eine Geld« 
summe gespart. Das sprach für den Mann, als er sich um 
die Stelle eines Zuchthausverwalters in Detmold bewarb. Er 
erhielt den Posten — zunächst mit dem Titel Zuchthausver* 

walter, dann Zuchthausmeister — mit einem Gehalt von 400 

r 



— 4 — 

Talern, das sich aber dadurch vergrößerte, daß er zugleich 
Leihbankverwalter wurde und Auktionen und Steuereintrei- 
bungen übernahm. Durch diese Tätigkeit knüpfte sich eine 
wichtige Beziehung zwischen der Familie Orabbe und der 
Clostermeiers an, der die Aufsicht über diese Institute hatte. 
Die Dienstwohnung in der Bruchstraße, ein einstöckiger 
Steinbau mit altertümlich geschweiftem Dach, existiert noch 
heute, während das Zuchthaus inzwischen abgerissen ist 
Neben diesem Häuschen nannte Orabbe noch einen Garten 
vor dem Tore sein eigen. 

Der alte Orabbe war ein ziemlich großer Mann mit einem 
blassen, magern Oesicht. Er war ein stiller ordentlicher 
Mensch, ein schlichter Ehrenmann, der die Achtung seiner 
Vorgesetzten besaß. Von seinen Lebensgewohnheiten hören 
wir, daß er nachmittags regelmäßig sein Bier im Neuen Krug 
vor der Stadt trank; abends las er gern, behaglich im Sor- 
genstuhl sitzend, seine Zeitung oder ein gutes Buch, oder er 
diskurierte über die neuesten Stadtgeschichten mit der 
Philosophie eines gesunden Menschenverstandes. So äußerte 
sich, wenn auch auf wunderliche Art, ein gewisser BiU 
dungsdrang und ein allgemeineres Interesse. — Alles 
in allem sehn wir vor uns einen respektabeln Philister 
mit bürgerlichen Tugenden, der vorwärts strebte, aber mit 
seinem Los zufrieden war. Der Sohn erbte von ihm den 
nachdenklichen Zug, das bleiche Oesicht, Oang und Haltung, 
auch die klare deutliche Handschrift, die uns an den auf der 
Detmolder Bibliothek aufbewahrten Briefen des alten Orabbe 
auffällt. 

Stammt vom Vater der Charakter, so ist beim Dichter 
das Erbteil der Mutter wichtiger: kommt doch von ihr Na- 
turell, Temperament, Gefühls- und Empfindungsleben. Orabbes ' 
Mutter war eine starke hochgebaute Frau mit ausdrucks- 
vollen Zügen und hellen Augen: „in ihrer weißen Piquemütze 
und ihrem breitgestecktem Tuch stellte sie eine repräsen- 
table Bürgersfrau dar." Ihre Bildung war nicht weit her» 



_ 5 — 

Sie sprach Lippesches Platt, und wenn sie hochdeutsch 
schreiben mußte, so haßte sie doch die Orthographie, wie 
Don Juan und Leporello im Drama« Das Buch, das sie am 
gründlichsten kannte, war die Bibel. Sie hat ein sehr hohes 
Alter erreicht und Gatten und Sohn lange überlebt. Sie war an 
Energie ihrem Gemahl überlegen, der sich aber doch mit einem 
gewissen Gleichmut seiner temperamentvollen Ehehälfte an- 
paßte. An ihrem moralischen Charakter rühmt Ziegler ihre 
Hilfsbereitschaft, ihre solide Führung des Haushalts, ihre 
Rechtschaffenheit und Gradheit. Der Dichter erbte von ihr 
das lebhafte Temperament, die tiefblauen seelenvollen Augen; 
aber bereits hier ist die Verbiegung angedeutet: die Frau 
ist hastig und unruhig, ihr energischer Wille ist nicht genü« 
gend vom Intellekt beleuchtet und geleitet, er richtet sich auf 
Wunderliches. Mitursache von Grabbes Charakterverkehrt- 
heiten ist aber zweifellos auch Vererbung. 

Um das Familienbild zu vervollständigen, ist nicht zu 
vergessen Minchen Wallbaum, die Pflegetochter und die Magd 
des Hauses. Diese 4 Menschen haben treu zusammengehalten 
ihr Leben lang. 

Ziegler beschreibt uns das Interieur der bürgerlichen 
Familienstube, von deren Behagen leider die Poesie Grabbes 
so wenig ausströmt: ein altmodiger runder Tisch neben dem 
Ofen, der wie ein großes Vorgebirge in die weite gewölbe- 
artige Stube hineinragt, dahinter 2 große Gardinenbetten, 
deren weiße Kissen hoch aufgetürmt sind, zur Seite Koffer 
und Kasten. Auch fehlt die schnurrende Katze nicht, und die 
possierlich boshafte Kreatur spielt keine geringe Rolle in der 
Poesie des Dichters. 

8 Jahre vergingen, der Vater war schon fast 40, die 
Mutter 36 Jahre alt, als am 11. Dezember 1801 das einzige 
Kind der Ehe geboren wurde. Schon dieser Umstand war 
geeignet, allerhand mysteriöses Gerede heraufzubeschwören, 
an dem Grabbe selbst nicht unschuldig war. Am 26. Dezem- 
ber ward das Kind getauft, und zwar auf eine echt west- 



— 6 - 

fäüsche Namenverbindung: Dietrich Christian. Der Rufname 
war aber nur Christian, wie z. B. Orabbes Zeugnisse be- 
weisen. Heine spricht immer nur von Christian Orabbe und 
die Mutter nannte den Sohn ihren „leuwen, leuwen Christian**. 
Waren es Genien oder Dämonen, die um Orabbes Wiege 
standen? Die Verhältnisse scheinen nicht abnorm. Und doch: 
Qrabbe kam mit verletzter wunder Seele zur Welt. Die 
Eigenschaften der verschieden gearteten Eltern gaben keine 
einheitliche Mischung und keinen reinen Oleichklang. In dem 
Mangel an Proportion in der äußern Gestalt, wie es damals 
wenigstens schon angedeutet sein muß, mag sich eine gewisse 
seelische Disharmonie schon ausgeprägt haben. Aber bestimmter 
wie ist es mit der alkoholischen Belastung seitens der Eltern? 
Sollte der tägliche Abendschoppen des alten Orabbe so ver- 
hängnisvolle Wirkung gehabt haben? Zwar spielte die Rum- 
flasche im Hause eine gewisse Rolle und man darf wohl 
darauf hinweisen, daß der Alkohol damals wie heute im Volk 
keineswegs nur als verderbliches Oift, sondern auch als Nah- 
rungsmittel galt. Nun hat Duller der Frau Lucio geglaubt 
und in der Mutter die Quelle alles Unheils gefunden — sie, 
die »bösartige halbverrückte Kreatur, die jede geistige Re- 
gung unter der starren schmutzigen Kruste des Sinnenlebens 
erstickt habe. a „Sie säuft, sie stiehlt" keifte ihre Schwieger- 
tochter, die ihr an Zungenfertigkeit nicht nachstand. Dem gegen- 
über möchte man die historische Wahrheit lieber bei Freilig- 
rath suchen oder bei Heine, der die unglückliche Frau ver- 
teidigt hat, der es aus Orabbes eigenem Mund öfters gehört, 
daß die Mütter ihn nachdrücklichst gegen „dat Supen" ver- 
warnte. Und zu dem „boshaft dummen Aufschnitt 11 der Frau 
Lucie, daß Frau Qrabbe ihr Kind statt mit Milch öfters mit 
— Alkohol genährt habe, hat die graue, schuldlose Mutter 
selbst das Wort zur Verteidigung ergriffen: „Wie sollte eine 
Mutter solche Freveltat an ihrem einzigen Kinde, auf welches 
sie alle Hoffnung gestützt hat, ausüben und dem Kinde von 
4 Jahren das starke Getränk vor das Bett stellen?** In die- 



— 7 — 

scr Beziehung der Mutter bestimmte Vorwürfe zu machen, 
ist wohl nicht gerechtfertigt Daß eine Natur wie Orabbe 
den Lockungen des Alkohols erlag, wird anderswoher verständ- 
lich. — Daß eine „unheimliche Gewalt" zur Zeit der Ent- 
wicklungsjahre zerstörerisch eindrang, hat einen höhern Grad 
der Wahrscheinlichkeit für sich. 

Grabbe selbst hat, da ihm in einem entscheidenden Mo- 
Stent das Krankhafte seines Wesens zum Bewußtsein kam« 
über seine eigenen Anfänge nachgegrübelt — dem Mißge- 
borenen gleich, der sich über den Anfang seines Verwach- 
senseins Rechenschaft gibt. „Sohn ziemlich geringer Eltern, 
mitten in Gefängnisszenen als Kind erwachsen, sodann selb- 
ständig und ohne Kontrolle die Schule besuchend 44 . Hypochon- 
drische Selbstquälereien aber noch; mehr eine groteske Re- 
klamesucht sprechen aus der brieflichen Mitteilung an Ket- 
tembeil: „Ich leitete als Kind an einem wollenen Faden einen 
Mörder, der begnadigt, 70 Jahre alt und mein täglicher Ge- 
sellschafter war. 44 Immermann gegenüber entschuldigte Grabbe 
gleichsam seine Existenz: „Was soll aus einem Menschen 
werden, dessen erste Erinnerung war, einen alten Mörder 
an die frische Luft zu führen? 44 Und tatsächlich mochte die 
Abkunft von einem Zuchthausverwalter und Steuereintreiber 
etwas Odiöses haben und die Phantasie des Knaben wurde 
durch das Zuchthausmilieu gewiß verdüstert Manche Bilder 
im „Gothland", die Gestalt des Verbrechers Tocke, sind aus 
Jugenderlebnissen und nicht aus literarischen Reminiszenzen 
zu erklären. 

Grabbe hat seine Herkunft nie verleugnen können, die 
niedrige Geburt lastete wie ein Fluch auf ihm, und er hatte 
nicht die Kraft aus seiner Sphäre herauszukommen. An 
einem ähnlichen Zwiespalt ging ein verwandter, aber min- 
derer Zeitgenosse, Niebergall, der Dichter lokaler Dialekt- 
possen, zu Grunde. Andere große Männer haben die Schranke 
niedern Herkommens innerlich oder äußerlich überwunden und 
haben sich aus kleinen Anfängen aufsteigend, die Sitten 



— 8 — 

der großen Welt angeeignet, z. B. Schiller, Klinger, Wagner, 
Qrabbe hat sich nur darüber erhoben in dem Element der 
Ironie, in dem Schmerz und Freiheit sich vereinen. — Die 
redliche Beschränktheit des Vaters war in ihrer Sphäre zu- 
frieden. Die rauhe Qradheit behielt der Sohn aus dem Stamm- 
hause, die phantastische Willkür der Mutter war sein Erb- 
teil. Die Beengtheit des Gesichtskreises einer kleinbürger- 
lichen Familie in einer kleinen Stadt, mit der Neigung zum 
Klatsch, der Beurteilung aus der Froschperspektive heraus, 
der Mangel einer sichern Herzensbildung, aber auch die ele- 
mentare Gefühlswelt in Liebe und Haß sind Elemente, aus 
denen sich die geistige Mitgift solcher Kinder zusammensetzt 
Realistisch nüchterne Betrachtung väterlicherseits und die 
leidenschaftlich ungeklärte Subjektivität der wenig gebildeten 
Mutter erklären manches in Grabbes dichterischem Prozeß 
und in der Art seiner Charakteristik. 

War in dem Kinde schon eine psychopathische Minder- 
wertigkeit, so kam viel auf die Erziehung an, die die 
üble Disposition ausgleichen konnte. Viel Psychologie darf 
man von Grabbes Eltern nicht verlangen, Duller wirft der 
Mutter rohe verschüchternde Härte vor, Ziegler im Gegen- 
teil Verzärtelung — beides wäre ein Fehler. — Der Knabe war 
zart und schwächlich, ängstlich und unbeholfen, ja blöde und 
verschlossen — dabei andrerseits wieder von „riesenhafter 
Widerspenstigkeit", in der sich sein Ich aufbäumte. Jedenfalls 
aber war diese Scheu nicht Ausdruck innerer Bescheidenheit, 
sondern körperlichseelischer Gebundenheit. Ganz früh wächst 
aber schon Eigenes, Selbständiges. Bleibt Grabbe in einer 
Beziehung kümmerlich, so wächst er andererseits über die 
Genossen, deren Zuneigung er durch ätzenden Witz, wie er 
Mißwachsenen eigen, leicht verscherzt, hinaus. Ahmen die 
Jungen in ihren Balgereien die Napoleonischen Kriege nach, 
so steht er überlegen lächelnd und kritisierend abseits. Will 
er nicht oder kann er nicht? Es ist das Zwitterhafte seines 
Wesens, die Ironie seiner Natur, die sich schon so früh 'offen- 



_ 9 - 

hart. Für sich allein hat er dann die Napoleonischen Kriege 
durch das Spiel mit Vitsbohnen klar gemacht, wo er mit 
Feuer und Flamme dabei war — ein Analogem zu Wolfgang 
Goethes Puppentheater. — Unfroh und einsam, dabei ein ehr- 
geiziger Träumer — schon früh bildet sich diese Wesensart 
aus. Aber er konnte auch anders sein. Wehmütig denkt der 
Unselige an die Gartenscholle, wo sein Vater grub. An sie 
ist der Traum seiner Jugend gebunden. 

„Ich seh' die Flur, wo ich als Knabe spielte, 

Wo ich mich kindlich glücklich fühlte, 

Ich seh das väterliche Haus." 
Draußen im Garten unter blühenden Obstbäumen — ein 
Gartenhäuschen liegt an einem kleinen Wasser, — da hat er 
Sommerfreuden genossen, und auf dem Zuchthof hat er mit 
seinen Jugendkameraden gespielt und getollt. Die Mutter 
trat dann wohl aus der Stube heraus und drohte ihrem Jun- 
gen lächelnd mit dem Finger. „Mutter, gif mui 'n Mattiger.* 4 
— „Nare vunnen Jungen, meunst diu, die Mattigers können 
lütken? a 

Oberhaupt scheint das Familienleben ein recht harmo- 
nisches gewesen zu sein. Grabbe erinnert sich später noch 
dankbar, wie ihn die Mutter mit Kaffee, Butterbrot oder ar- 
men Rittern pflegte, wenn er nachmittags aus der Schule 
kam. Die Schule war dem Wissenshungrigen kein verhaßter 
Zwang. Ober den älteren Schüler fließen die Quellen 
reichlicher. Selbstverständlich heben wir zunächst das Posi- 
tive und Erfreuliche hervor — und das ist nicht wenig. 

Grabbe war ein intelligenter und fleißiger Schüler, und 
seine Eltern hatten es nicht zu bereuen, wenn sie sparten, bin 
ihrem Sohn den Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen. 
Als Archivrat Clostermeier sich für ein Stipendium bei der 
Fürstin Pauline verwandte, legte er 4 Zeugnisse bei (von 
Rektor Köler, Direktor Preuß, Rat Falkmann und Möbius), 
die für Charakter, Begabung, Arbeitsamkeit durchaus rühmlich 
aussagen: er zeigte wissenschaftlichen Eifer und stillen Fleiß 



— 10 — 

auch über die Schule hinaus. Fürstin Pauline entschied unterm 
7. Februar 1818: »Von Grabben senior und junior habe ich 
eine gute Idee, der Vater ist brav und pflichttreu, der Sohn 
fleißig und von ausgezeichneten Gaben, er wird zu seiner 
Zeit wohl Anspruch auf die Stipendien des hl. Kreutzes und 
der 1 1 000 Jungfrauen machen können." Vor den alten Spra- 
chen mit ihrer logischen Verstandesschulung bevorzugte der 
Schüler die ethischen die Phantasie weckenden Bildungsfächer: 
Geschichte, Geographie, Deutsch; leider wissen wir von seiner 
religiösen Unterweisung nur wenig. Seine Aufsätze waren 
originell in Ausdruck und Gedanken. Ein Märchen war so 
eigenartig erfunden, daß Falkmann ein gewiß seltenes Prä- 
dikat erteilte. „Grabbe, wo haben Sie das her? Es ist ja, 
als ob man etwas von Shakespeare oder Calderon läse." 

Wie überall und immer trat auch unter den Detmolder 
Primanern jener Zeit die Krankheit der Entwicklungsjahre 
unerbaulich auf. Es wurde geraucht, getrunken, gespielt, 
weil's eben verboten war — und Renommage galt als die 
wahre Kraftäußerung. Zu den rechten Bierburschen, denen 
die Literatur unlebendiges Papier war, gehörte Grabbe wohl 
nicht, das vertrug sich kaum mit seiner Vielleserei und mit 
seiner Armut, (auch soll er ein zu „schüchternes ideales 
Wesen" gezeigt haben) . Gelegentlich nach Spaziergängen war 
den Schülern wohl eine Einkehr erlaubt, und draußen in den 
malerisch im Waldesschatten gelegenen Krügen lernte der 
junge Grabbe einen seiner Totfeinde kennen: das süße Gift, 
das ihm eine Kraft antäuschte, nach der er lechzte, das ihn, 
der sich nach großen Aufregungen sehnte, mit einer Fata 
Morgana lockte. Und in der Skala der Spirituosen griff er 
gleich zu den schwersten, er faßte eine verhängnisvolle Vor- 
liebe für den Alkohol in der konzentriertesten Form, für den 
Rum und den Grog. Mit Inbrunst gab er sich den Stimmungen 
hin, die ihm die Geister des Feuertranks so bereitwilligst 
schenkten. Dann war die peinigende Hemmung seiner Schüch- 
ternheit gelöst und in wilden Tiraden richtete sich in seinem 



- 11 — 

Innern eine unterdrückte Kraft auf. Der Vulkan lüftet sich, 
die Gebilde seiner Fantasie werden lebendig und bedringen 
ihn. Dann spielte er Theater und markierte in grotesker 
Form den starken Mann, mochte er nun mit Shakespeares 
Narren seine Lehrer parodieren, die Torheiten der Detmolder 
verulken oder aber unter den Eichen des Teutoburger Wal- 
des Schillerisch schwärmen. Wie mochte er, der sonst miß* 
achtete Zuchtmeisterssohn, als berauschter Komödiant im* 
ponieren. Wie mochten gerade in diesem Zusammenhang 
böse Charakterschwachen sich einwurzeln: Eitelkeit, Renom- 
mage, die Phantasielüge. — Diesen schlimmen Hang hatte 
Clostermeier wohl im Auge, als er seinem Schutzbefohlenen 
ins Album schrieb: In litteris qui proficit, In moribus sed 
deficit plus deficit quam proficit et in fine nil fit". 

Dämon Alkohol erscheint von Anfang an merkwürdig ver- 
bunden mit einem an sich hoch anzuerkennenden Streben, das 
aber die zwiespältige Haltung dem Leben gegenüber bei dem 
von vorherein Abnormen verschärfen mußte. Ungeheuer war 
der Bildungsdrang des Knaben, seine Lektüre außerordentlich 
ausgebreitet. Er las bis tief in die Nacht hinein und der 
Kaffee mußte ihn wach erhalten — ihn den überreizten. 

Geschichtswerke, und zwar insbesondere Plutarchs Stan- 
dard Work antiker Biographie, und Dramen erschlossen eine 
neue Welt. Vor allem zündete das feurige Pathos Schillers, nicht 
nur in den revolutionären glühenden Räubern, vielmehr be- 
merkt Qrabbe später, daß ihn kein Kunstwerk so „durch- 
klang und durchleuchtete, da sich mit den Entwicklungs- 
jahren das poetische Talent regte 44 , als Schillers Wallenstein. 
Das sind Ereignisse von grundlegender Wichtigkeit, als Orabbe 
beginnt für Schiller zu schwärmen. Aber die Verehrimg für 
den nationalen Lieblingsdichter erlischt nicht, als er gleich- 
zeitig den Offenbarungen des großen Briten lauscht, der mit 
noch gewaltigerer Schöpferkraft das Wesen der Welt wieder- 
spiegelt ohne verschönernde Illusion und ohne subjektiv b-s- 
geisterte Reflexion. Sein erster Verleger, den der Unterpri- 



- 12 - 

tnaner für seine Theodora suchte, soll Göschen in Leipzig 
sein, der Verleger der Meisterwerke Deutschlands, der Unter- 
stützer Schillers. Wie bekämpfen sich in diesem Brief Stolz 
und Bescheidenheit des jungen Autors auf das sonderbarste 
in unsicherer Mischung, und wie reimt sich dieser verschämte 
Materialismus für einen Schüler des Idealisten Schiller: 
eigentlich will er kein Geld von dem Verleger, aber weil er 
zufällig nach Pyrmont reisen möchte, hätte er es doch ganz 
gern, und zwar am liebsten recht bald. — Höchst charakte- 
ristisch für das überwiegende Phantasieleben, aber auch für 
die Unfähigkeit, Abstände abzuschätzen und sich selbst richtig 
zu umgrenzen, ist es, festzustellen, wie Grabbe Schiller nach- 
ahmt, ja mit ihm sich identifiziert — bis auf den Wortlaut 
der Bekenntnisse. Wie Schiller schwankt Grabbe, ob er Me- 
dizin, Theologie oder Jura studieren soll. Schiller reiste, um 
Shakespeares Werke zu sehn, nach Stuttgart und schrieb von 
ihnen befeuert seine Räuber. So will Grabbe alles opfern: 
neue Schulbücher, Taschengeld — will auf den Ausflug ver- 
zichten, — wenn die Eltern ihm Shakespeares Werke schen- 
ken. In diesem Brief, geschrieben in der Geburtsstunde des 
Dichters Grabbe, heißt es: „Es ist in seiner Art das erste 
Buch der Welt und gilt bei vielen mehr als die Bibel, denn 
es ist das Buch der Könige und des Volks, es ist das Buch, 
wovon einige behaupten, daß es ein Gott geschrieben habe, es 
sind: die Tragödien Shakespeares, des Verfassers des Hamlet". 
Wir zweifeln nicht, daß dieser Enthusiasmus für Shake- 
speare ganz ungeheuchelt ist. Aber welch wunderliche For- 
men nimmt diese Schwärmerei an und wie deuten sich bei 
dieser Gelegenheit keineswegs anmutende Züge in des Dich- 
ters Physiognomie schon so früh an. Unnaiv ist der gekünstelte 
Ton, in dem Grabe seine Sehnsucht an den Tag legt, und 
welch pfiffig-verschmitzte Art, seine Wünsche in diesem Da- 
seinskampf durchzudrücken! Er geht nicht die Mutter an, 
sondern den Vater, und anstatt mündlich vorzusprechen, ver- 
traut er lieber auf die Wirkung seiner Schriftstellerei. Bitt- 



- 13 — 

gesucht in Aufsatzform sollen Gehör verschaffen, und der 
nach Aktualität haschende Journalist kündigt sich bereits in 
der Form einer „kritischen Betrachtung** frei nach Closter- 
meier an. Aber mit welchen Gründen soll man dem guten 
Alten solche Unbegreiflichkeiten plausibel machen? Es ist 
ein fataler Unterton in den Briefen an die Eltern — dieses 
scheinbar unterwürfige Sichakkommodieren an einen nieder» 
Standpunkt, über den er sich insgeheim doch lustig macht 
Man kann mit der Schriftstellerei viel Geld verdienen, Ruhm 
bei Kaisern und ein Honorar von Tausenden — mit solchen 
fast parodistisch übertreibenden Trümpfen wirkt er auf den 
ungebildeten Vater am kräftigsten ein. Auch die groteske 
Art des Humoristen bildet sich schon aus. Bezeichnend ist, 
wie er, der Lebensunreife, doch bald allerlei Schliche und 
Kniffe kennt, wie ein alter Praktiker seines Berufes. Er dringt 
mit seinen Wünschen bei dem wohlmeinenden alten Grabbe 
durch, aber wie soll er bei seiner Armut seine Theaterleiden* 
schaft befriedigen? Not macht erfinderisch, und auf eine kleine 
Spitzbüberei* kommt es auch nicht an. So wird denn eine 
Maskerade zu Täuschungszwecken erfolgreich ins Werk ge- 
setzt: der junge Theaterenthusiast erscheint mit der Flöte 
unterm Arm vor den Pforten des Kunsttempels und passiert 
so als Mitglied der Kapelle. 

Mit 17% Jahren absolvierte Grabbe die Prima, aber man 
ließ ihn noch nicht ziehn, weil man „jugendliche Ausbrüche* 
fürchtete. 5 Schnipse hintereinander austrinken — anstatt 
reumütig um Entschuldigung zu bitten, wenn man vom Lehrer 
in flagranti ertappt wird, das erkürt in der Tat solche Be- 
fürchtungen, wie das junge Genie denn bereits durch seine 
Exzentrizitäten in der kleinen Stadt auffiel und Anstoß er- 
regte. In exaltierter Laune schrieb der Berliner Student, sich 
arg überhebend, in einem autobiographischen Dokument: „ich 
überflügelte bald in den Wissenschaften nicht nur meine Mit» 
schüler, sondern auch manche meiner Lehrer — — — da 
aber mein Geist bei seinem innern Wachstum sich auch äußer» 



— 14 - 

lieh entfalten mußte und dies auch in jugendlichem Obermut 
auf eine vielleicht zu gewaltsame Weise geschah, so konnten 
meine ein wenig kleinstädtischen Landsleute das nicht fassen 
und ich merkte, daß es um meine Lippesche Laufbahn ge- 
schehn war. a — Man darf aber doch nicht annehmen, 
daß Orabbe ein Fährer der jungen Gesellschaft war, viel- 
mehr schloß er sich ab. Viele Freunde hat er wohl nicht 
gehabt, jedenfalls bewahrte ihm nur Petri die Treue. 
Die geselligen Künste, Malerei und Musik, ließ er un- 
gepflegt, die Tanzstunde scheint er nie besucht zu haben. 
Er brach die Brücken zum Leben ab und schuf sich eine 
eigene Phantasiewelt, in der er mit Schiller und Shakespeare, 
mit Lenz und Klinger, mit Werner und Müllner verkehrte. 
Diese verstiegene Oberbildung, während die angeborene Roheit 
seiner Natur durch keine gesellschaftliche Erziehung ge- 
mildert wird, ist schuld an der Zerrissenheit seines Lebens 
und Dichtens. So konnte er die richtigen Maßstäbe nicht ge- 
winnen. 

Grabbes Poesie hat ihre Grundzüge sehr früh empfan- 
gen. Sie erscheint nicht als Ereignis eines langsam reifen- 
den Werdeprozesses voll tastender Versuche und Zweifel. 
Nicht das Leben führte ihn zur Dichtkunst wie Goethe, 
weniger ein mehr äußerer Druck wie Schiller, als das Ge- 
fühl einer «ngebornen inoern Schwäche ,— kein überströmendes 
Glücksgefühl, sondern ein tiefes Leid, ein nagender Schmerz. 
Aber nicht Weichheit ist sein Element, sondern Trotz, —und Haß 
und Neid gedeihn unter diesen düstern Schatten, die auf dem 
Grund einer stiefmütterlich ausgestatteten Seele lagern. In 
seiner äußern Unbeholfenheit flüchtete sich der Dichter in 
eine Phantasiewelt, die er nach dem Gesetz der Kompensation 
mit leidenschaftlicher Energie ausbaute als das Einzige, was 
er hatte. Und dann — die Kunst vermittelte ihm ohne weite- 
res die letzten Erfahrungen, und was hat das kleine Leben, 
das sich dem unbemittelten Zuchtmeisterssohn bot, da noch 
weiter für Wert und Reiz? — Er vermochte nicht unbefangen 



- 15 — 

an das Leben heranzutreten — Literatur und Theater waren 
das Erste und wie ihn die Literatur verbildet hatte, suchte er 
das Leben zu meistern. Das Problem ist, wie Literatur ohne 
Lebenserfahrung das psychische Leben so beeinflussen kann, 
daß Innerlich-Erlebtes und Bloß-Nachempfundenes, Pose und 
ureigne Gebärde, Reminiszenz und origineller Ausdruck kaum 
noch zu sondern sind. 

Bei Qrabbe verbindet sich mit der notwendigen imma- 
nenten Tragik, die jedes Künstlertum vor dem Philisterda- 
sein auszeichnet, noch eine besondere pathologische Anlage — 
zu der genialen Empfänglichkeit gesellt sich noch, den Da- 
seinskampf besonders erschwerend, eine andersartig begrün- 
dete fehlerhafte physisch-psychische Organisation. Normwidrig 
erscheint der satten Genügsamkeit das Genie immer als eine 
Oberfülle, die nach irgendeiner Richtung ausschweift — sei 
es nun in Wertherscher Empfindsamkeit oder in prometheisch- 
rebellischem Trotz wider die Schranken des Lebens oder in 
sittlicher Entrüstung, wie etwa Schillers Räuber erklärt wor- 
den sind als Gegenstoß eines absolut reinfühlenden Gemüts 
gegen die Welt. Der Gothland, Grabbes erstes Werk, zeigt 
den Dichter von der ersten Ausdrucksweise frei und läßt 
die letzten beiden Formen in charakteristischer Färbung er- 
kennen: es naht ein Dichter voll großer und auch edler Ge- 
danken, und doch ist in ihm eine atavistische Roheit und 
Brutalität, die plötzlich wüst und erschreckend herausbricht. 

Grabbes verhängnisvolle — für das Glück von vorn- 
herein nicht geschaffene — Charakteranlage war besonders be- 
denklich in einer Zeit, die des positiven Gehaltes einer har- 
monischen Kunstanschauung überhaupt entbehrte. Die Epi- 
gonen der Romantik verfielen, nachdem ein fruchtbares neues 
Kunstprinzip sich ausgelebt hatte, in barocke Originali- 
tätssucht Die Vorliebe für den byronischen Weltschmerz 
wurzelte in einer schweren Enttäuschung, steht im Zusammen- 
hang mit dem Nachlassen einer Ungeheuern Spannung, nach- 
dem eine gewaltige Zeittragödie sich abgespielt hatte. Der 



— 16 — 

Zusammenbruch Preußens fiel in Orabbes früheste Kindheit» 
aber als Knabe erlebte er 1812 und 1813, und als Napoleons 
Stern erlosch, war er schon dichterisch tätig. Die Erinner- 
ungen der großen Taten waren wie Festtage in matter Zeit. 
Orabbe scheint sich einen Kalender angelegt zu haben, in 
dem statt der Heiligen große Schlachtenlenker aufgeführt 
waren, statt sanftmütiger Märtyrer mit himmlischem Glorien- 
schein wilde Helden der Tat und Kraftgenies. 



Von Orabbes Kämpfen und Ringen verraten uns die 
Daten des äußern Lebens nur wenig, aber seine Werke offen* 
baren es uns. 



II. Kapitel 



Studentenzeit — Wanderjahre 

Er strebt hinaus ins Blaue stets, 
Will an der dünnen Luft sich halten, 
Kennt keine Schranke, kein Gesetz, 
Kein Recht des Gült'gen und des Alten. 
Das Neue nur ergreift er keck, 
Und herrschen ist sein einz'ger Zweck, 
Das Oberste zu unterst kehren, 
Das lehrt er — — - - 

(Der Zeitgeist Gedicht von Castelli. 
Abendzeitung 1833.) 

Leipzig 

Ostern 1820 bezog Qrabbe die Universität. Viele Be- 
ratungen mag der alte Grabbe mit dem Archivrat gepflogen 
haben und es war ersichtlich dessen Einfluß maßgebend, 
wenn Leipzig mit der berühmten juristischen Fakultät ge- 
wählt wurde. Ohne rechten innern Drang zu dem Corpus 
Juris und den Pandekten ließ sich der Studiosus bestimmen. 
Lebhaftes Interesse für die theologisch-philosophischen Fra- 
gen, wie auch das deklamatorische Talent, hatten den General- 
superintendenten Werth veranlaßt, den Abiturienten für das 
Studium der Theologie zu interessieren. Aber Grabbe stand 
schon frühzeitig an dem Abgrund, in dem die Hydra des 
Zweifels sich wendet, und in innern Angelegenheiten ließ er sich 
eine autoritative Beeinflussung nicht gefallen. — So nahm er 
denn Abschied von Mutter und Vater, der ihm durch den 
Buchhändler Helwing ein Zimmer besorgen lassen wollte, und 
von seinem dönner Archivrat Clostermeier, der ihm ein Gold- 
stück für den Besuch des Theaters in die Hand drückte. Voll 

Nieten, Chr. D. Grabbe. 2 



- 18 — 

guter Vorsätze zog der Jüngling aus und er bekennt später, 
sich all seine juristischen Kenntnisse in jener Zeit erworben 
zu haben, als er zu Füßen der Leipziger Professoren saß 
— er hörte römisches Recht bei Haubold, Staatsrecht bei 
Müller, Naturrecht bei Krug, zum Oberfluß belegte er noch 
geschichtliche Vorlesungen. 

Mit seinen Eltern bleibt Orabbe in inniger Verbindung. 
Wie hat die Mutter sich um ihren Christian gesorgt! Sie 
spinnt, um das Portogeld herauszubekommen, ja sie scheint 
sogar am Kaffee sparen zu wollen, worauf der Sohn immer 
in komisch pathetischer Wendung mahnt: trinke Kaffee, Mut- 
ter! Die alte Frau freut sich, wenn der Sohn in die Kirche 
geht, 32 mal liest sie von dem Fackelzug und weint vor Freude, 
weil ihr Christian auch dabei war, sie schickt Kisten über 
Kisten. Der Sohn trug einen braunen Rock und einen weißen 
Flausch, der später als Schlafrock diente, abends setzte 
er eine Nachtmütze auf. Angeblich trinkt er ungeheuer viel 
Kaffee, später auch Tee, daß aber leider auch Rum dabei 
war, stellte sich heraus, als Althof, der ihn wie Petri ein- 
mal besuchte, aus Jena herüberkam. 

In den Episteln, in denen sich der Student Grabbe mit 
seinen Eltern unterhält, weht nichts von der Poesie, die uns 
in den Jugendbriefen anderer Dichter ergreift — aber an 
eine gewisse treuherzige Anhänglichkeit an die Eltern lassen 
sie uns doch glauben; er erkundigt sich wohl nach der 
Fürstin, dem Hofprediger, nach Detmolder Bekannten wie 
Werfel, Schmid, Kruel, Meier u. a. und läßt einen Lehrer 
grüßen. Im übrigen gibt er sich in diesen Schriftstücken 
sehr salopp, sein unruhig abspringender Geist versprüht 
ohne Ordnung in heterogener Mischung seine Einfälle. 
Da werden in kurz abgerissenem Notizenstil allerhand Skan- 
dalia wichtigtuerisch berichtet — etwa vom Bankerottem* Kopf, 
vom reichen Geizhals Kees, von der Hinrichtung eines Fri- 
seurs, von Feuersbrünsten oder einer Studentenleiche — und 
es ist nicht sicher zu entscheiden, ob sich hier der eigene 



- 19 — 

rohe Geschmack ungeschminkt enthüllt, ob er sich seinem 
Publikum akkomodierend auf das Niveau kleiner Leute, wie 
es seine Eltern sind, deren Gesichtskreis in Klatsch- und 
Skandalgeschichten erschöpft wird, herablassen will. Was 
ihn aber im Tiefsten bewegte, darüber läßt er selten etwas 
verlauten. Er führt ein Eigenleben, in das er niemand hin- 
einblicken läßt. 

Diese Abgesondertheit spricht sich auch deutlich aus, 
wenn wir uns den Studenten Orabbe vergegenwärtigen. Blühte 
er nach kümmerlichen Jahren nicht auf in der Luft akade- 
mischer Freiheit, fortstürmend zu harmlosem Lebensgenuß? 
Anfangs nun scheint Orabbe wirklich in das studentische 
Treiben hineingezogen zu sein. Er trug sich altdeutsch: 

Er trägt gar einen kurzen Rock, 
Zerzauste Haare rund geschnitten, 
Dann einen dicken Knotenstock, 
Hat ungeschlachte rohe Sitten, 
Ein Knebelbärtchen an dem Kinn, 
Da sitzt das Ungeheure drin. (Castelli.) 
Er scheint ein Duell ausgefochten zu haben, in dem er 
am Fuß verwundet wurde. Wir möchten diesen Tatbestand 
festhalten, wiewohl Ziegler solche Behauptungen Orabbesnur 
auf renommistische Einbildung zurückführen will. Aber der 
„schiefbeinige" Grabbe spukt in den Briefen an Kettembeil, 
erscheint am Schluß von „Scherz Satire", hinkt durch 
die Straßen von Düsseldorf. Auch scheint der akademische 
Ehrbegriff nachzuwirken, wenn er die Kneiferei Heines übel 
aufnimmt oder wenn er seine Gegner, den Sekretär Kestner, den 
Blaufärber, vor die Pistole fordert. Endlich spielt auch der 
Zweikampf eine besondre — allerdings meist satirische — 
Rolle in Grabbes Dramen, „Scherz Satire", „Don Juan und 
Faust", endlich auch in den Hohenstaufen. — Bald aber hat 
er alles Verbindungswesen mit satirischen Augen angesehn. 
Als die Leipziger Studenten das Caf6haus eines unbeliebten 

Gastwirtes stürmten, hat Grabbe nur die Rolle eines spotti- 

2* 



- 20 — 

sehen Zuschauers gespielt Wie ihn früher die gemeinsamen 
Spiele abstießen, erschien ihm das Couleurleben bald als 
lächerlicher Zwang. 

In allem Positiven sieht er vermöge seiner unglücklichen 
Anlage nur die Schranke und das Lächerliche. Gehörte aber 
nicht die Burschenschaft, der auch die Karlsbader Beschlüsse 
reaktionärsten Geistes nicht den Garaus hatten machen können, 
zu den erfreulichsten Tendenzen der Zeit? Und fanden nicht 
revolutionäre Feuerköpfe, wie sie die Höhen der Wartburg 
noch vor kurzem gesehen, hier am ersten ihr Genüge? Ganz 
unverständlich sagt der Nekrolog der literarischen Blätter: 
„es war für diesen hochbegabten Mann ein wahrhaftes Un- 
glück, daß seine Jünglingszeit mit jener unseligen Epoche 
deutsch-moderner Zeit zusammenfiel, wo man das Gemüt und 
die starke Unschuld des Herzens, die Reinheit und Sittlich- 
keit der Grundsätze zur faden Mystik burschenschaftlicher 
Grundsätze herabschraubte." Nur muß man unterscheiden 
zwischen den verschiedenen Strömungen der Burschenschaft. 
Allerdings, was war die zahme Romantik redseliger Jüng- 
linge gegenüber der Wildheit und dem rebellischen Trotz des 
Gothlandsdichters, der über solche Schwärmer ähnlich den- 
ken mochte, wie Kleist-Hermann über den Tugendbund. So 
entzieht er sich in eigensinniger Kritik dem Gesellschafts- 
kreis, in dem er sich trotz allem besser hätte entfalten können 
als in seiner trotzigen Isolierung. Wie leicht verliert schon 
der Jüngling seine Illusionsfähigkeit und verfällt bald einer 
kalten Blasiertheit! — Diese rasche Abkühlung zeigt sich 
auch in einem 2. Fall. In Detmold verbreitete sich das Ge- 
rücht, Grabbe wolle zu den Griechen gehn. Wurde doch der 
hellenische Freiheitskampf von den deutschen Idealisten wie 
eine nationale Angelegenheit behandelt: Wilhelm Müller sang 
seine Griechenlieder, Sondershausen schrieb seine Befreiung 
Griechenlands, und von Lord Byron, der in Missolonghi ein 
romantisch-heroisches Ende fand, brachte der „Freimütige" 
damals 4 Briefe über Griechenland. Auch Grabbe scheint 



— 21 — 

anfangs von dem Schwünge seiner Zeitgenossen mit fortge- 
rissen zu sein, dann aber schreibt er — ist es nur Ver- 
stellung? — höchst kühl über abflauende Griechenbegeisterung 
und verzeichnet das von eigenen Landsleuten ausgestreute 
Gerficht, Ypsilanti sei ein Abenteurer. — Grabbe hat immer die 
öffentlichen Angelegenheiten scharf und mit einer satirischen 
Tendenz verfolgt, aber er gesundete doch am nationalen 
Fühlen, und trotz seiner nihilistisch-satirischen Grundrichtung 
ist das Deutsch volkstümliche, das Germanische, wie er es 
verstand, der positive Kern seines Wesens. 

Jugendlich ideale Tendenzen, wie sie sonst das Leben 
eines Studenten ausfüllen, vermochten also damals den Eigen- 
brödler nicht zu erwarmen. Aber auch aufwärts in die ge- 
sellschaftlichen Kreise strebte Grabbe nicht — anders als 
Wolfgang Göthe, der sich geflissentlich die feine Bildung von 
Klein-Paris aneignete und der ein halbes Jahrhundert vorher 
seine Lebenserfahrungen in Schäferspielen und Liebhaber- 
theaterstücken verdichtete. Zwar versuchten Oberhofgerichts- 
rat Blümner, der Freund Müllners, Professor Politz und vor 
allem der liebenswürdige Schöngeist Professor Wendt, denen 
Grabbes künstlerisches Ringen nicht verborgen blieb, das un- 
geleckte Originalgenie in ästhetische Zirkel einzuführen. Wohl 
lauschte der Sohn der Kleinstadt darauf, was die chroni- 
que scandaleuse aus der großen Welt in die Öffentlichkeit 
trug. Aber der junge Grabbe erfaßte doch nur das Leben, 
in dem er nach seinem Herkommen wurzelte, und dann ver- 
stand er seine Freiheit dahin, in schrankenlosem Genuß Kunst 
auszukosten, aber auch mit zähester Kraftanstrengung in 
ihre Geheimnisse einzudringen. Beides anscheinend Diver- 
gierende läßt sich auch bei dem Leipziger Studenten aufzeigen. 

In der unmittelbaren Nähe von Grabbes Wohnung — viel- 
leicht war er mit dem benachbarten Deklamator Solbrig be- 
kannt geworden — wurden die Buden aufgeschlagen, wenn 
die berühmte Leipziger Messe abgehalten wurde. Das war 
ein hochwichtiges Ereignis, ein wahres Lebensfest für die 



— 22 — 

ganze Stadt. Buchhändler, Gelehrte, Schriftsteller strömten 
aus allen Teilen Europas zusammen, die zuletzt ein Pest- 
mahl vereinte. Eine damalige Korrespondenz aus dem Mor- 
genblatt möge ein solches Fest vergegenwärtigen. 

Bei schönem Wetter, während die Vegetation im Früh- 
lingsschmuck prangt, strömt eine unzählige Menge aus den 
Dörfern und Flecken in die Stadt. Von 4 Uhr ab stehen die 
Promenaden im höchsten Flor. Unter den schattigen Kasta- 
nien und Linden sieht man ein Meer von Köpfen oder von 
Hüten, aus welchem die grauen Hüte einiger anglisierender 
Chapeaux und die himmelstürmenden Strohdächer kleiner 
liebenswürdiger Frauen neben den geschleiften Mützen der 
Dorfbewohnerinnen gleich leuchtenden Segeln emporragen. Be- 
sonders ist der Spaziergang zwischen dem Grimmaischen Tor 
und dem Schlosse vollgestopft. — Bald beginnt das Volks- 
fest und auch der derbere Geschmack kommt auf seine 
Kosten. Der stämmige Landmann drängt sich mit den Sei- 
nigen voll Ungestüm nach den vor dem Bosenschen Garten 
aufgerichteten Schaubuden, aus welchen ein vielstimmiges 
Trompeten-Mißgetön und großes Trommelgetöse bis in die 
Alleen hinüberschallt. Der Sinn für das Wunderbare und 
Gräßliche siegt — Da sind zu sehn ein unsichtbares Mäd- 
chen, das aus einer Glaskugel spricht, oder die Ermordung 
der Fualdez, in Wachs dargestellt. Trompeten locken zu 
Springern und Seiltänzern oder ins Kasperletheater, wenn 
nicht ein mächtiger Instinkt, verstärkt durch den Anblick 
strotzender Branntweinflaschen und aufgeschichteter Kuchen- 
massen, ihn in die Bretterhütten der Schankwirte führt, aus 
denen eine verstimmte Harfe oder eine schwindsüchtige Dreh- 
orgel den Aufruf zur Fröhlichkeit erläßt. Drehbretter, von 
Knasterwolken umnebelt, Karussels, erfüllen weiter den Ort 
Eine ganz besondere Attraktion bilden die Menagerien, in denen 
es Löwen, Bären, Elefanten, Rhinozerosse, Affen, Papageien 
zu sehen gibt. Von den wilden Tieren kommt man zu den 
wilden Menschen, zu den Buschmännern, die zum Entsetzen 



— 23 - 

des christlichen Zuschauers Krokodile anbeten. Ein weiterer 
Teil des Meßbudenpublikums belustigt sich in der Kunst- 
reiterbude oder ergeht sich im Rosenthal, den Nachtigallen 
lauschend. „Die Liebhaber der höhern Kunst gehn ins Gewand- 
hauskonzert, einen andern Teil zieht Klingemanns Faust zu 
den Pforten der Hölle hinab, die man denn nicht ungern mit 
einem angenehmen Platz an der Tafel im Hotel de Saxe oder 
einem doch weniger furchtbaren unterirdischem Aufenthalt 
vertauscht." 

Das ist das Leben, das Grabbe miterlebte und nachschuf. 
Solche Szenen von handfester Derbheit hat er gut geschaut 
und kräftig nachgezeichnet (vgl. Napoleon u. a.). Da bewegt 
er sich beobachtend unter der Masse und schaut dem Volk 
aufs Maul, wie da die Leporellos herumlaufen, oder etwa 
ein bäuerliches Trinkgelage abgehalten wird. Es klingt nicht 
nach dem ästhetischen Regelbuch, aber es ist wohl kein Zwei- 
fel, daß der Gothlanddichter, dessen Eingebungen zuweilen 
abenteuerlichen Ursprungs sind, sich in Tierbuden durch die 
Bestien mit grimmig funkelnden Augen und grellschimmerndem 
Fell inspiriert fühlte und daß er den wilden Männern 
seinen Berdoa nachbildete. Oft wandert er hinaus auf die 
Dörfer zu Wurstschmäusen, er belauscht das stundenlange 
Geschimpf eines erzürnten Seifensieders; den Leipziger 
Stadtsoldaten hat er in „Scherz Satire" hereingebracht. 

Mit ungestüm leidenschaftlicher Begier hängt Grabbe an- 
dererseits an der Kunst und er verzehrt seine Kräfte in 
poetischen Plänen. Roh, aber treffend ist das Bild vom Raub- 
tier, das zerreißt und mehr verschlingt als es verdauen kann. 

Der Student und fleißige Kolleghörer ist bald überwun- 
den. Grabbe führt das Leben eines Bohemien, eines Caf6- 
hausliteraten, wie es auch manche jungen Genies von heute, 
Maler und Dichter, lieben. Er verschlang die Journale. Gelegent- 
lich verkehrte er wohl mit Rosen, dem Detmolder Schulkamera- 
den, und Kettembeil, seinem späteren Verleger, aber einen 
intimeren Umgang unterhielt er nur mit einem unbekannten Ge- 



— 24 - 

sinnungsgenossen, mit dem er im Caf6 literarische Gespräche 
führte. Man berauschte sich noch einmal an den Theater- 
eindrücken. Eine überwältigende Fülle für den Sohn der 
kleinen Residenz. Ob ihn Apel-Schneiders Oratorium „das 
Weltgericht" zu seiner Vision im „Gothland" begeisterte? Im 
Theater blühte das Trauerspiel und zu den wichtigsten Pre- 
mieren gehörte die Albaneserin von Müllner, dessen gruse- 
liges Schicksalsdrama „die Schuld" zu den zugkräftigsten Stücken 
gehörte. Daneben beherrschte der empfindsame Houwald 
das Repertoir mit seinen geheimnisreichen schaurigen dem 
Instinkt des Publikums begegnenden Theaterstücken „Fluch 
und Segen", „Leuchtturm", „das Bild". Von Kleist wurde 
der „Prinz von Homburg" aufgeführt, später ward auch 
ein Versuch mit der „Familie Schroffenstein" gemacht. 
Raupach begann seine erfolgreiche Theaterlaufbahn mit 
der „Erdennacht". Shakespeares „Hamlet" und Klinge- 
manns „Faust" befruchten den Schöpfer des „Don Juan 
und Faust", und die glänzend ausgestattete Oper „Aschen- 
brödel" brachte Qrabbe auf den Gedanken, das Märchen in 
Tieckscher Manier zu bearbeiten. Ende 1821 aber errang 
eine beispiellose Popularität das phantastische Volksstück von 
Kind-Weber „der Freischütz". Der „Freischütz" bildete das 
Losungswort und das Lied vom Jungfernkranz und die Chöre 
der Jäger hallten wieder auf den Gassen. Sie wurden auch 
die Lieblingsweisen des alten Grabbe. 

Ein moderner Roman des Schweizers Hesse „Peter Ca- 
menzind" schildert einen begabten aus den Bergen stammen- 
den Jüngling, den die Bildung der großen Stadt trunken macht 
und der eine Virtuosität darin entwickelt, die Geister der 
verschiedenen Weine und Spirituosen je nach der Laune, die 
er beliebt, zu zitieren, bis dann das Ich das Spiel der bacchi- 
schen Dämonen wird. — So hat Grabbe mit intensivem 
Lebensdurst die Wonnen des Rausches gekostet, aber auch 
die Hefe der Sinnlichkeit. Sein Leben war wild und regel- 
los, soweit es ihm seine Armut gestattete. 



— 25 - 

Bald sah er auf das spießbürgerliche Detmold herab und 
verachtete das Brotstudium. Wie ein moderner Naturalist 
stieg er hinab in die Abgründe des Lebens und drang ein 
in die Schlupfwinkel des Lasters. Keine edle Weiblichkeit hat 
ihn bewahrt und gehütet. Stellen in „Scherz Satire" zeigen, 
daß er gewisse Gassen in Leipzig kannte und zwar nicht 
nur von Hörensagen, wie die Bordellpoesie im „Gothland" be- 
weist. Wir wissen nicht, ob seine Phantasie die Ausschwei- 
fungen vergrößerte, ob der Alkohol oder-Venus Vulgivaga ihn 
mehr zerrüttete. Die Folgen des zügellosen Lebens, das den 
höchsten Grad der Intensität in der mitternächtlichen Stunde 
erreichen mochte, haben sich denn auch bald gezeigt. Den 
Eltern verrät er zwar nur von kleineren Übeln: von Zahn- 
weh, Schwindel und böser Laune, aber Duller erzählt, daß 
Grabbe den „Gothland" schrieb, „gepeinigt von den Schmer- 
zen einer fürchterlichen Krankheit". 

Mit solchen Lebenseindrücken, in solcher seelisch-körper- 
lichen Verfassung ist Grabbe sich seines Dichterberufes klar 
geworden. Man erkennt die naturalistischen und satirischen 
Elemente, aber auch übermächtige Sehnsucht und unbändigen 
Lebensdrang. 



Berlin 

Im Februar 1822 hatte Grabbe seinen Eltern die Er- 
laubnis abgedrungen, nach Berlin gehen zu dürfen — trotz 
des entschiedenen Einspruchs von Archivrat Clostermeier, den 
wohl die immer größere Ablösung vom juristischen Studium 
mit Bedenken erfüllte. 

Von den „hellen" Sachsen zieht es ihn in die preußische 
Landeshauptstadt — in die Hochburg der Intelligenz und der 
Aufklärung, in der jeder von der Mutter her mit besonderm 
Witz gesegnet ist, sich auserwählt fühlt vor dem Provinzler, 
während andererseits ganz Berlin eine große Familie bildet» 



- 26 — 

» 

Zunächst imponiert dem ungeschliffenen Westfalen die Höf- 
lichkeit der Berliner, dann findet er doch bald heraus, daß 
nicht alles so gemeint ist, und er hat dann die allzuklugen 
Leute wohl parodiert: mit Bosheit aber auch mit Anerkennung 
zeichnet er den schnoddrigen, aber gut brauchbaren gewandten 
Berliner Freiwilligen im „Napoleon", mit mehr Satire die 
Polizei in „Don Juan und Faust" oder in Negro und Rubio 
verkleidete Urberliner, die nur schön finden, was in Berlin 
gewachsen ist. — An patriotisch erregenden Ereignissen 
fehlte es nicht in diesem Jahr. Der Helden der Freiheitskriege 
waren schon viele dahin: der Sieger von Nollendorf, General 
Kleist, starb damals; die Gestalten von Bülow und Scham- 
hörst wurden im Juli in Standbildern verewigt, Festlichkeiten 
am Hofe haben einige Spuren in Grabbes Briden hinterlassen. 
Er wundert sich über das zwanglos-freie Auftreten der preu- 
ßischen Prinzen und Prinzessinnen. Als der schwergeprüfte 
und vielgeliebte König Friedrich Wilhelm III. sein 25jähriges 
Jubiläum feierte, hat auch Grabbe Lichter ans Fenster ge- 
stellt 

Am 27. April 1822 wurde Grabbe in Berlin immatriku- 
liert, schon im Juli wechselt er die Wohnung, angeblich weil 
sein Hauswirt besser vermieten konnte. Er verzieht nun in 
die Friedrichstrasse 83 unweit der Linden zum Riemermeister 
Gramer. Unter ihm in der 1. und 2. Etage wohnten viele 
Adelige. 

War Grabbe in den Hörsälen ein seltener Gast geworden, 
so war er mit wilder Energie in die damalige Literatur ein- 
gedrungen, die ihn aber mit verächtlichem Spott erfüllte, ähn- 
lich wie ihn ein kraftgeschwelltes Originalgenie 40 Jahre 
früher gehegt haben mochte. Und nicht ohne Grund. — In 
der Kritik schien noch der Geist Nicolais lebendig zu sein. 
Das tonangebendste, in Astheticis nüchtern aufgeklärt denkende 
Berliner Blatt war der „Gesellschafter", herausgegeben von 
Gubitz, der sich zwar bereit zeigte, Szenen aus Grabbes 
„Gothland" zu veröffentlichen, im allgemeinen sich aber dem 



— 27 — 

modernen Oeist gegenüber wenig aufgeschlossen zeigte. 
Weniger gut stand der Dichter von vornherein mit Kuhns 
„Freimütigem", der aber Orabbes Spott in „Scherz Satire" 
reichlich vergolten hat. Auch der Ästhetiker Franz Hörn, 
der im Winter Vorlesungen über Goethe und Schiller gehalten 
hatte und der sich auch an Shakespeare als wenig origineller 
Commentator ohne Glück heranwagte, konnte Grabbe nicht 
imponieren. Fremdherrschaft schien wieder eindringen zu 
wollen: sie kam diesmal aus England. Die gelesensten Autoren 
waren Scott, Irving, Byron, doch war „die Begeisterung für 
das schlechte Gewissen" schon im schwinden. Damit konku- 
rierten von einheimischen Erzählern der seicht-frivole Clauren, 
der sein erfolgreiches Thema der Ritterromantik immer wieder 
breit auspinnende Fouqu6 und endlich der koboldartige Theo- 
dor Amadeus Hoffmann, der im Juli an der Rückenmark- 
schwindsucht starb. Neu aufgehende Sterne brachen sich erst 
mühsam Bahn: nach dem Erfolg der Lieder sah man Heines 
„Ratcliff" erwartungsvoll entgegen. Immermanns Trauer« 
spiele (z. B. Edwin) wurden gelesen, auch war von Ochtritz 
Chrysostomus die Rede. Aber das Morgenblatt urteilt: „Der 
Anteil an der schönen Literatur ist ganz erloschen, wo sonst 
alles lichterloh brannte, wenn Goethe oder Jean Paul, Schiller 
oder Schlegel, Tieck oder Werner nur eine neue Zeile ge- 
schrieben hatten". Und was nun die Theaterpremieren an- 
geht, so faßt eine pessimistische Notiz den Gesamteindruck 
zusammen: „Keine Oper, kein Trauerspiel, wir haben Rosen 
auf beider Grab gestreut." In der Tat ist Stagnation die 
Signatur seit Müllers letztem großen Erfolg mit der „Alba- 
neserin", Houwalds „Fürst und Bürger" kamen heraus, sonst 
nur literarisch unbedeutende Stücke: der bethlehemitische 
Kindermord, die Pagen des Herzogs von Vendome, die Un- 
schuld muss viel leiden, Tromlitz Entführung, Claurens „Bräu- 
tigam von Mexico" u. a. König Johann von Shakespeare wurde 
1823 neu einstudiert. Erfreulicher sah es in der Oper aus, wo 
Mozart dominierte. Neben den volkstümlichen Weisen des 



— 28 — 

Neuromantikers Weber (Freischütz, Preziosa) behauptete Spon- 
tini mit großen Opern voll Aufwand und Spektakel das Feld. 
(Olympia, Nurmahal, Vestalin.) Ein junges Genie könnte sich 
wirklich über diese Dürre ärgern; man lechzte nach einem 
erfrischenden Wetter und der Parnass bedurfte eines neuen 
Messias. Riesenhaft gärte es in Grabbes Busen. Mit glü- 
hender Seele verspürte er im Theater — dessen Besuch ihm 
teilweise durch Freibillete ermöglicht wird — die berau- 
schende Lebensfülle, die ihm aus den Menschenschicksalen, 
wie sie der Dichter wie ein kleiner Gott schöpferisch ge- 
staltet, entgegenströmt. Welche Wonne muss es doch sein, wie 
der Schauspieler ein Leben in höheren Extasen zu leben, in 
begeisterndem Einklang mit einer empfänglichen Menget Ge- 
wiß blendet ihn der äussere Glanz und er kann augenrollende 
Koulissenreißer nicht von der einfacheren Echtheit tieferer 
Wahrheit unterscheiden. Ganz ersichtlich hat ihm beim 
„Gothland" vorgeschwebt: er selbst auf her Bühne in schau- 
spielerischen Effekten sich auslebend. Mangelte es an Novi- 
täten, so blieb doch noch immer für den Anfänger künstlerischer 
Genüsse die Fülle: außer Müllners Schuld Houwalds Bild, 
Grillparzers „Ahnfrau" und „Sappho", außer Kotzebue (Deut- 
sche Kleinstädter, Johanna von Montfancon), Klingemanns 
Faust und Ifflands Jäger — konnte er den großen Unsterblichen 
huldigen: Shakespeares Hamlet, Lear, Romeo und Julia, Hein- 
rich IV. — Calderons Arzt seiner Ehre, das Leben ein 
Traum; von Lessing Emilia und Nathan, von Goethe Stella, Laune 
der Verliebten, Geschwister, Iphigenie; von Schiller Kabale 
und Liebe, Don Carlos, Wallensteins Tod, Jungfrau von 
Orleans, Maria Stuart, die Braut von Messina. 

Die widerspruchsvollen Bestandteile, aus denen Grabbes 
Persönlichkeit zusammengewürfelt war, traten aber in immer 
stärkerer Spannung auseinander, anstatt sich in harmonischer 
Einheit auszusöhnen. 

Ein derbrealistisches Genrebild läßt sich nach den Fa- 
milienbriefen entwerfen. Der in ganz andersartige Verhält- 



— 29 — 

nisse hineinwachsende Grabbe vergegenwärtigt uns die eng- 
begrenzte Stätte seines Ursprungs und gewiß ist öfters ein 
parodistisches Moment nicht zu verkennen, wenn er sich über 
die guten Alten lustig macht, ohne daß diese es gleich zu 
merken brauchen. Er verrät nichts von seinen innern Leiden 
und Kämpfen, die man doch nicht begreifen würde. Wie 
er's darstellt, ist er frisch und munter und fühlt sich in 
Berlin viel glücklicher als in Leipzig. Der Sohn ist höchlichst 
besorgt, wenn die Mutter Kopfweh hat und er tut sehr er- 
freut, wenn er hört, daß sie Eier bekommt und an Schweine- 
braten sich gütlich tut, er animiert sie, sie soll sich einen 
guten Tag antun, viel Kaffee trinken — ja, die alte Frau soll 
tanzen. Der Vater studiert die Berliner Zeitungen und der 
Sohn befriedigt seine Wißbegierde, indem er nach Geschmack 
des Alten von Feuersbrünsten, Unglücksfällen, Selbstmorden, 
Verbrechen oder von der Eifersuchtsaffäre im Hause des 
Schauspielers Stich ergänzend berichtet. 

Er setzt eine gewichtige Miene auf und erzählt belehrend 
von seinen Erfolgen bei Dichtern und Philosophen, ja sogar — 
und das kitzelt den Zuchtmeisterssohn bei all seiner Frei- 
geisterei am meisten — bei Adligen. Der höchste Trumpf 
ist natürlich der Brief von Tieck, einem Adelsdiplom an Wert 
gleich, den ihm der damalige Rektor Raumer — dessen Vor- 
lesungen neben denen des Rechtslehrers Savigny noch am 
meisten Anziehungskraft auf ihn übten — übermittelte. Der 
gute alte Grabbe schreibt dazu nach seinem Verstand: „Was 
schreibt der Herr Tieck für Bücher und ist derselbe in Dres- 
den angestellt oder nicht?" — Allerlei Gerüchte dunkeln Ur- 
sprungs dringen nach Detmold und spiegeln sich in des 
leichtgläubigen Alten Briefen: „ein Seminarist hat erzählt, Du 
hättest eine Komödie gemacht, die erst nach Schillers Stil ent- 
worfen wäre; diese hättest Du etwas umändern müssen und 
es wäre dann so gut ausgefallen, daß Dir der russische Kaiser 
dafür 3000 Fl. zum Geschenk gemacht hätte — Du wärest 



— 30 — 

Theaterdichter in Berlin geworden — Um Dich kümmert sich 
hier alles". 

Der alte Grabbe, der solch wunderliche Phantastereien 
für wahr halten könnte, war sicherlich nicht geeignet, den 
Sohn richtig abzuschätzen und ihn aus Verworrenheit zur 
Klarheit zu führen. Wir aber sehen zu, wie sich die leiden- 
schaftliche Zerrissenheit seines Dichtens auch in seinem Leben 
kundgibt und finden in seinem Auftreten den Ausdruck der 
innern Persönlichkeit wieder. Ist es nicht schon eine Groteske, 
wenn wir den Dichter in seiner Unbeholfenheit und äußeren 
Nachlässigkeit unter Weltmännern und Adligen sehen, krampf- 
haft bemüht, sich oben zu halten durch alkoholische Reize 
und durch das unruhige Sprühen seines überlegenen Geistes, 
da ihm innerer Halt und stetige Kraft abgehen? Viel von 
seinen Absonderlichkeiten war nur maskierte Verlegenheit. 

Der Widerspruch wirkt aber nicht nur grotesk, sondern 
auch tragisch als Ausdruck leidvoll empfundener Zerrissen- 
heit, des ungeheuren Widerspruchs zwischen einem trotzig 
das Höchste forderndem Begehren und einem nicht nur unge- 

m 

klärten, sondern auch krankhaft gehemmten Willen. Wie in 
der Kunst, so auch im Leben überschlägt das Tragische ins 
Burleske und der Witzemacher bricht oft in die gellende Lache 
des Verzweifelten aus. 

Die tiefbegründete Ironie, sich selbst und anderen zur 
Qual, ist die Grundstimmung, die auch aus den ernsthaftesten 
Werken noch hindurchschimmert und die einheitliche Stim- 
mung zerreißt. Aus der innern Unruhe heraus mystifiziert 
Grabbe gern mit allerlei Teufeleien und Streichen. Denn man 
wappnet sich am besten bei eigenen Schwächen, indem man 
fremde angreift. Er sucht etwas zu verbergen, seine Armut, 
seine eingewurzelte Niedrigkeit — er sucht die bösen Dä- 
monen in seiner Brust niederzuhalten. Aber dann wirft er 
wieder die erzwungene Maske fort und läßt die eingeborene 
Wildheit ausschäumen und gibt sich trotzig so echt, wie ihn 



- 31 — 

die Natur gemacht hat — ihn, den Bauernsprossen „Krischan 
Grabbe«. 

In seiner schiefen Stellung entwickelt sich ein wunder- 
licher Eigensinn. Orabbe hat es bald herausgefühlt, daß er 
nicht geraden Wegs durchs feindliche Leben kommen werde; 
er nimmt gelegentlich Anläufe, durch besondere Kraftäußer- 
ungen zu imponieren, oder er versucht sich in der Rolle des 
Intriganten. 

Widerspruchsvoll ist weiter die kümmerliche Außenlage 
bei großen innern Emotionen. Staunenswert ist die krampf- 
hafte Energie, mit der er sich bei seinem krankhaften Zu* 
stand in seinem Beruf durchrang. Orabbe war in der Tat 
krank, arm und hungrig und war doch viel zu stolz es 
jemandem zu verraten. Seinen Schmerz konnte er in seiner 
Dichtung ausrasen, aber nach außen sollte ihn niemand einer 
jämmerlichen Haltung einer weichlichen Klage zeihen können« 
Lieber richtet er mit einem abgebrochenen Streichhölzchen 
einen Notschrei an den kunstsinnigen Kronprinzen — starker 
Toback gewiß für die kritische Nachprüfung und voll selbst- 
verräterischer Bloßstellung — aber auch nur richtig abzu- 
schätzen als Eingebung einer Kneiplaune, geboren aus Ironie 
und Verzweiflung — halb tiefernst gemeint und doch nur 
eine mit der Wirklichkeit spielende Mystifikation. 

Möglicherweise ist das Ganze nur das parodistische Muster 
eines Bittgesuchs, wie sie Grabbe schon als Jüngling schrieb» 
Die Pointe des übrigens niemals abgesandten Schreibens ist 
eins der schärfsten Epigramme, das über das Los des Genies 
geprägt ist: „Viele nennen mich genial, ich weiß indessen 
nur, daß ich wenigstens e i n Kennzeichen des Genies be- 
sitze, den Hunger." Die Schuld lag freilich weniger an den 
spärlichen Mitteln, als an der Art der Verwendung. Der 
Monatswechsel ging für Theater und Spirituosen, auch für 
das Abschreiben der Stücke drauf; im übrigen darbte und 
hungerte er. Laube erzählt eine bezeichnende Episode: 
„Grabbe sprach niemanden an, wenn auch der alte zer~ 



— 32 - 

drückte Hut das nötige verriet. Eines Abends verließ Orabbe 
und ein Bekannter die literarische Gesellschaft sehr spät; 
sie schlendern durch die stillen Berliner Straßen, Grabbe 
ist aufgeregt und dichtet und raisonniert auf das lebhafteste. 
Im Zuge der Rede tritt er mit ins Haus und Zimmer des 
Bekannten und schläft bei ihm. Am anderen Morgen läßt 
dieser Kaffee und Semmel bringen — Grabbe frühstückt mit 
bestem Appetit, aber schweigsam, dann steht er auf, reicht 
jenem die Hand und sagt mit tonloser Stimme: „ich danke 
Ihnen, es war seit drei Tagen das erste, was ich wieder zu 
essen und zu trinken hatte." Damit geht er und jener hat ihn 
nicht wiedergesehen — im „Herzoge von Gothland", in den 
Hohenstaufen, den 100 Tagen fand er später seinen Früh« 
stücksgast wieder. Alle die wilden grabenden Gedanken einer 
kümmerlichen Abgesondertheit sind dort leicht zu entdecken". 
Köchy, der Grabbe einst im Winter, der besonders in der 
zweiten Hälfte sehr streng war, im ungeheizten Zimmer 
angekleidet auf dem Bette liegen sah — eine für Grabbe 
typische Situation — brachte Grabbe auf den Gedanken, die 
silbernen Löffel, die er von Hause aus mitgebracht, ins Pfand- 
haus zu tragen. Und Heine erzählt, wie er dann mit dem 
Potagelöffel Goliath anfing, dem nach und nach die kleineren 
Kaffeelöffel folgten. Sie bildeten den Gradmesser seiner Ver- 
mögenslage und Grabbe pflegte wohl mit bewölkter Stirne 
anzugeben: ich bin an meinem dritten Löffel, oder ich bin 
an meinem vierten Löffel. 

Das war die Kehrseite der Medaille. Aber andererseits 
war es eine Zeit voll von Entwürfen und von sprühender Un- 
ruhe, es war — wenn auch nur in wenige Stunden gebannt — 
ein stürmisches tolles Leben, das Grabbe im Bunde mit Heine, 
Gustorf, von Borch, Robert, U echtritz, führte. Das war das 
Leben, zu dem sich Grabbe immer wieder hingezogen fühlte 
und das sich in seinen Grundzügen denn auch immer 
wiederholt hat. Ungebundene Schöngeister, fern von der 
feinen Sitte und der strengen Form der Gesellschaft, bilden 



- 33 - 

eine Gemeinde für sich. Das Leben in vollen Zügen zu 
schlürfen wie Don Juan, in die kurze Daseinsspanne alle 
Menschenwonne zu konzentrieren, alle Schranken zu sprengen, 
alle Formen und Gesetze, auch die der Gesundheit, als phi- 
listerhaft zu verhöhnen, sich in eine höhere geistige Sphäre 
zu verflüchtigen — das war das Evangelium, das im übrigen 
nach damaliger Empfindungsweise nicht nur aus einer ge- 
dankenlosen Sinneslust hervorging, sondern aus dem sehr 
ernsthaften philosophischen Hintergrunde der romantischen 
Doktrin, wie trunkene Dionysusöchwärmerei im Altertum 
aus religiösem Grunde erwuchs. Vorbild und Schutzpatron war 
gewissermaßen Theodor Amadeus Hoffmann, der mit 
dem genialen Schauspieler Devrient in der historischen Wein- 
stube bei Lutter & Wegener seine berühmten Zechgelage feierte 
und dem — anders wie bei der alkoholfeindlichen Dichter- 
generation von heute — der Rausch des Weines und die ani- 
mierte Stimmung, die tolle Ausgelassenheit durchschwärmter 
Nächte, den Drang zum Schaffen erst entzündete. Der glän- 
zende Erzähler unheimlicher und fantastischer Geschichten 
und Kaprizzios vertrat noch am lebendigsten den romantischen 
Geist auch in der Lebensführung und verstand es dabei, trotz- 
dem seine bürgerlichen Amtspflichten zu erfüllen. Sein Tod 
am 25. Juni infolge von Rückenmarkschwindsucht vermochte 
nicht abzuschrecken. Vielmehr drängten sich Nachfolger ge- 
nug um die frei gewordene Stelle. 

Es waren aber alles junge Leute, in deren Kreise 
sich Grabbe produzierte. Schon seit 1821 bestand der 
Zirkel. Es waren, wie U echtritz schreibt, „zum Teil 
unendlich leichtsinnige Menschen und um so verführer- 
ischer, weil sie dabei sehr liebenswürdig sind. Fast alle 
sind schon etwas tief ins Leben hineingeraten." Diesen 
wie v. U echtritz aus besseren Kreisen stammenden, zart- 
besaiteten Ästheten scheint — wenn man Grabbe selbst glauben 
will — das Originalgenie voll wilder Urwüchsigkeit mächtig 
imponiert zu haben — allerdings nur momentan, nicht dauernd. 

Nieten, Chr. D. Grabbe. 3 



_ 34 — 

Stammlokal war das von zwei schwarzen Riesen flankierte 
Kasino in der Behrenstraße, wo Köchy eine Art Puppen- 
theater aufgeschlagen hatte, auf dem Holbergs Dramen, Shake- 
speare-Parodien, vielleicht auch andere Volksstücke (Faust, 
Don Juan?) — aufgeführt wurden. Hier fanden die Orgien 
statt, von denen „Scherz Satire" uns eine erhalten hat. Da 
sprang Grabbe wohl auf den Tisch und hielt Reden — an 
Mamsell Franz Hörn, an seinen Freund, den Pfandjuden 
Hirsch in der Jägerstrasse, an Herklotz, Gubitz, und den 
blinden Weinhändler Sisum. Es gab tolle Szenen ä la Falstaff. 
„Grabbe schlenderte, die Hände in den Taschen seiner blauen 
Hose, die Straße herunter und ging dreimal wie ein alter 
Hexenmeister um einen Brunnen herum, oder er schnitt sich 
von seinen borstigen Haaren einige ab und schwur, er wolle 
mit diesen Spießen 99 Poeten und Literaten totstechen." Dann 
wurden einige Louis auf Kosten eines jüdischen eitlen Kom- 
ponisten verjubelt; Heinrich von Kleist, der bis zum Tot- 
schießen verkannte, wurde vergöttert; kam dann der Katzen- 
jammer, so wurde man fromm und meldete sich bei Adam 
Müller zum Katholizismus an. 

Für die meisten Jünglinge war diese Ungebundenheit nur 
eine Episode; für einen echten Zigeuner und Bohemien wie 
Grabbe war es sozusagen die einzig mögliche Lebensform. 
Der romantische Haß gegen ein philisterhaft geordnetes Da- 
sein war als eine gefährliche Mitgift tief in seiner Existenz 
eingewurzelt. Es war Grabbe tötlicher Ernst, während die 
anderen sich ohne viele Schmerzen anpaßten. Unter den Per- 
sönlichkeiten des Kreises sind manche gewesen, die im Leben 
leicht und schnell vorwärts kamen, manche, die Grabbe hätten 
nützen können. Aber es ist traurig zu sehen, wie wenig 
der Dichter von ihnen gehabt hat. Allerdings ist der Wag- 
schale, in der wir Grabbes Genie wägen, ein schwerwiegen- 
des Äquivalent geboten in den schlimmen Charakterfehlern 
Grabbes, die in 2 Fällen nachweislich ausschlaggebend ge- 
worden sind. Und man muß noch zweifeln, ob die wild revo- 



— 35 - 

luiionäre Poesie Grabbes wirklich tieferen Einklang weckte, 
so korrekt und besonnen scheinen die meisten. 

G u b i t z, der Kritiker, war ja bereit, einzelne Szenen des 
Gothland in den „Gesellschafter" aufzunehmen, aber er hat später 
Grabbes Dramen ungünstig rezensiert und das Barbarische und 
Leichtfertige wie andererseits die moderne Reflexion, die in den 
Stücken gemischt seien, getadelt. In seinen „Erlebnissen" 
charakterisiert er, der ein paarmal von dem Schreckens- 
anblick und den Folgen der an Manneswert selbstmörderisch 
entwürdigenden Trunksucht erschüttert ward, Grabbe überscharf 
und allzu einseitig als einen Menschen von Geist, Verschro- 
benheit und Selbstverwüstung, nie habe er das Rohe und Kin- 
dische seines Wesens überwunden. 

Den vollsten Lorbeer aber unter den Dichtergenossen 
pflückte Heinrich Heine. Heine wie Grabbe sind 
beides Sänger weltschmerzlicher Zerrissenheit. Der eine 
gebärdete sich als wildes Kraftgenie, der andere aber 
posierte den blassen Aristokratenjüngling mit der welt- 
männisch blasierten Miene. Heine lernte den Gothland 
durch den Dichter selbst (Memoiren) oder durch Gubitz 
(Köchy) kennen. Er erzählt eine bezeichnete Anekdote für 
den Eindruck, den die Lektüre von Grabbes Tragödie auf 
empfängliche Seelen ausübte. Er gab im Dezember der Frau 
von Varnhagen Grabbes Gothland. Diese aber ließ Heine 
noch um Mitternacht kommen und beschwor ihn, um Him- 
melswillen das entsetzliche Manuskript zurückzunehmen, das 
ihr den Schlaf raube. Leider führte ein übler Auftritt in 
Stehelys Konditorei einen Bruch zwischen dem aristokratisch- 
femininen Heine und dem demokratisch-groben Antisemiten 
Grabbe herbei; äußerlich wohl für immer — falls der von Stein- 
mann mitgeteilte auffallend nichtssagende Brief über Don Juan 
und Faust eine Fälschung ist. Es kam zu einem Streit, in dem die 
Verbalinjurien in tätliche Mißhandlungen übergingen. Heine hat 
trotz seiner verletzten Ehre das Talent Grabbes z. B. in de 

l'Allemagne und in den Memoiren hoch gerühmt, während 

3* 



— 36 - 

Grabbe — wie sich bei Heine und Tieck, nicht aber bei 
Immermann zeigte — seine persönlichen Gegner auch literarisch 
befehdete. Es ist bemerkenswert, wie beide das Verhältnis 
von Ehre und Talent abgewogen haben. Heine soll den Goth- 
land mit Nutzen gelesen haben, wie andererseits Heines 
Spuren in „Scherz Satire" aufzuzeigen sind. Heine hochgefeiert 
trotz seiner moralischen Mängel — Grabbe in den Hinter- 
grund gedrängt trotz des nationalen Gehalts seiner Poesie. 

Ward Gubitz durch Grabbes Trunkenheit, Heine durch 
die Roheit seiner Sitten abgestoßen, so führten bei v. U e c h t- 
r i t z, dem Dramatiker des Kreises, wohl die Rivalität und 
allerlei Malicen Grabbes zum Bruch. Beider Schaffen berührt 
sich in vielen Beziehungen: das realistische historische Drama 
war ihre Domäne. Beide wurden durch Tieck in die Litera- 
tur eingeführt: aber Grabbe verlor diese Gunst bald, in der 
sich U echtritz dauernd behauptete, obwohl Grabbe von „Alex- 
ander und Darius" urteilte: die Sonne müsse eine Brille auf- 
setzen, um die Vorzüge dieses Stückes zu entdecken. Grabbe 
will die Autorität des Poesie-Entblößten durch sein bloßes 
Erscheinen in den Berliner Zirkeln vernichtet haben, aber 
U echtritz ' Lobsprüche über sein Lustspiel ließ er sich doch 
gern gefallen. Daß Grabbe den trotz seiner Mittelmäßigkeit 
sein Genie an Erfolg übertreffenden Konkurrenten vol- 
lends als Prusias karrikierte, veranlaßte wohl den Abbruch der 
freundschaftlichen Beziehungen, wobei noch demokratische 
Mißgunst gegen ■ den Adligen in Anschlag gebracht wer- 
den mag. 

K ö c h y, der frühe nach mimischer Betätigung drängte, 
und der sich durch seine gediegene Schrift über das Theater 
schon hervortat, der ruhigste und besonnenste des Kreises, 
gab Grabbe einen Empfehlungsbrief an Regisseur Gaßmann 
in Kassel mit, in dem er die umfassende Bildung und die 
eminenten künstlerischen Kräfte lobt. Mühelos erreichte er 
eine einflußreiche Stelle beim Theater, während Grabbes be- 
scheidenste Wünsche unerfüllt blieben. Als Braunschweiger 



— 37 - 

Dramaturg hat Köchy Grabbe wohl animiert einen Heinrieb 
den Löwen zu dramatisieren, aber sonst konnte er nichts für 
ihn tun. 

Robert (den man fälschlich mit dem Dichter verwech- 
selte) und Gustorf haben sich literarisch nicht hervorgetan. 
Am wichtigsten wurde die Bekanntschaft mit Kettembeil, der 
damals die Buchhandlung erlernte und der später Grabbes 
Verleger wurde. Aber in Frankfurt, in der höchsten Not, 
trennten sich auch ihre Wege. Niemand hat Grabbe so recht 
die Treue gehalten oder die Bahn frei gemacht. Und doch: 
Grabbe war ein größerer Dichter als U echtritz, ein geist- 
reicherer Kritiker als Gubitz, er hätte als Dramaturg wohl 
auch einem Köchy das Wasser gereicht. 

Unterdessen sind die 6 Semester des Studiums herumge- 
gangen und der Vater, der nichts mehr übrig hat, drängte 
den Sohn, er solle sich examinieren lassen und nach Detmold 
zurückkehren. Zu ersterem ist der Sohn bereit, aber gegen 
die heimische Kleinstadt hegte er einen Widerwillen. Und 
er sieht sie in der Tat nicht schon Ostern, sondern erst im 
August wieder. Durch all seine Briefe ziehen sich seine 
Dichterhoffnungen; mit einem Schlage will er sich 
pekuniäre Unabhängigkeit erringen. Er will sein ganzes Ge- 
schick auf eine Karte setzen: alles oder nichts! ist sein 
Wahlspruch, der allen Kompromiß verachtet. „Wäre ich nicht 
so eigensinnig, könnte ich in allen Journalen stehen." Es ist in 
der Tat ganz unbegreiflich, warum Grabbe damals keinen 
Verleger fand. Seine Freunde verwenden sich für ihn, suchen 
einen Verleger. Ganz sicheres kann er ja nicht sagen, aber so 
schreibt er von Braunschweig her habe man ihm ein Anerbieten 
gemacht. Das Vertrauen der Eltern wird nun freilich auf eine 
harte Probe gestellt. Denn nichts erfüllt sich: kein Stück er- 
scheint, keine feste Anstellung bietet sich. Wir aber wissen 
es besser, daß Grabbe Grund genug hatte, zu hoffen. Er 
war kein bloßer Renommist; vielmehr hatte er literarische 
Taten getan und sich aus eigener Kraft emporgearbeitet. Und 



- 38 — 

wenn er jugendlich-sanguinisch viel von Tieck erhoffte, wer 
will ihn darum tadeln. Es war keineswegs „töricht", wenn 
Qrabbe einem bürgerlichen Beruf aus dem Wege gehen wollte 
und einer Anstellung als Theaterdichter oder Dramaturg oder 
Schauspieler erstrebte. Aber an seinen persönlichen Schrullen 
scheint immer wieder sein Lebensglück gescheitert zu sein. 

Dresden — Grabbe und Tieck 

Grabbe läßt Koffer und Kasten in Berlin bei seinem 
Freunde Kettembeil, und er, der zum Unglück Prädestinierte, 
wagt einmal auf seinen guten Stern zu trauen. Petri berichtet 
an Grabbes Eltern die Absicht des Sohnes, noch ehe dieser 
seine neue Adresse in Leipzig, Fleischergasse 241, nach 
Hause gemeldet. Die Eltern haben sich mit einem rührenden 
Vertrauen bald in die neue Sachlage gefunden, besonders da 
ihnen der alte Kanzleidirektor Rosen einen Brief seines Sohnes 
zeigte, in dem es hieß: Tieck hat väterlich für Grabbe ge- 
sorgt. Ja, der alte Grabbe verpfändet sein Gärtchen und schickt 
dem Sohne ungebeten auf Drängen der Mutter noch 6 Pistolen, 
die er verwenden soll, bis er eine Anstellung gefunden. Am 
18. März schreibt Grabbe an Tieck, der damals an der Gicht 
erkrankt war, ungern reiße er sich los von den Wissenschaften, 
aber er könne als Jurist keine Befriedigung erhoffen. Er 
mochte denken, daß sein gesellschaftlich unmögliches Auf- 
treten und seine Herkunft aus einem Zuchtmeisterhause ihm 
die Karriere verderben würden. Schauspieler wolle er wer- 
den. Er habe seine Aussprache mit Sorgfalt gepflegt: seine 
Stimme sei modulationsfähig und er sei imstande, die ver- 
schiedensten Rollen durchzuführen, z. B. Hamlet und Lear, 
Falstaff und Dupperich. Das klingt großmäulig, aber zum 
Schluß schrumpft er wieder in Bescheidenheit zusammen: 
er will klein anfangen und sich mit 300 Talern jährlich zu- 
frieden geben. Täuschte Grabbe sich, so war doch der Irr- 
tum erklärlich. Schon auf der Schule zeigte er ein über- 



— 39 — 

raschendes Feuer in seinen Deklamationen, man konnte sich 
ihn trotz seines lippeschen Platts als wirksamen Kanzel- 
redner wohl denken, und wie hatte er schon in Detmold in 
fieberischer Erregung den Schauspielern gelauscht, wie wer- 
den die Gebärden und mimischen Äußerungen des Gothland 
aus seiner Theaterleidenschaft begreiflich. War doch auch 
sein Abgott Shakespeare gleichzeitig Schauspieler gewesen 
und wie zu Shakespeares Zeiten der königliche Schau- 
spieler, so sollte jetzt der Hof Schauspieler das soziale 
Ansehen des Standes erhöhen. Möglicherweise ging Orabbe 
nach Leipzig, um gleichsam eine Generalprobe bei dem Schau- 
spieler Jerrmann zu bestehen. Jerrmann war von München 
gekommen und im September 1821 nach einem erfolgreichen 
Gastspiele z. B. in Körners Hedwig und Houwalds Heimkehr 
in Leipzig engagiert worden, wo er bald einer der belieb- 
testen Schauspieler wurde. Er gastierte später z. B. auch in 
Paris und hat sich dann auch ohne viel Glück als Schrift- 
steller versucht. Der Besuch Grabbes ist von Jerrmann 1852 
in Prutz' „Deutschem Museum" erzählt worden — also 30 
Jahre nach dem Erlebnis. Sowohl die Zuverlässigkeit des 
Berichtes — Jerrmann wird Grabbe, wie so viele andere, 
in retrospektiver Beleuchtung unter dem Eindruck der spä- 
teren Lebensschicksale gesehen haben — wie auch die rich- 
tige Datierung erscheint zweifelhaft. Jedenfalls aber müssen 
wir Jerrmann für dieses wichtige biographische Dokument 
dankbar sein, wenn er auch, wie wir mit Ziegler glauben, 
Grabbe karrikiert. Denn eine solche Äußerung wie diese: 
„in Immermann stecken fünf Schiller, drei Kleiste, ein paar 
Goethes und ein großes Stück Shakespeare," trauen wir selbst 
dem jungen Grabbe nicht zu. Der Besuch verlief folgender- 
maßen: 

Es tritt ein eine hagere Gestalt mit eingefallenen blassen 
Wangen, blitzende Augen unter der hohen Stirn, über die 
eine Fülle blonden Haares nachlässig herabfällt, angetan mit 
einem — übrigens noch unbezahlten — braunen Rock. Erst 



- 40 - 

so verlegen, daß er kaum einen Ton hervorbringen kann, 
wird der Besucher im Laufe des Gespräches so übermütig, 
daß er sich z. B. ohne weiteres auf den Tisch setzt. Er will 
Schauspieler werden und Jerrmann soll ihn zum Hofrat Küstner 
führen. Dann sprudelt der merkwürdige Gast seine Reform- 
Ideen hervor. Er will zunächst Schauspieler werden, dann 
Dramaturg und Reorganisator. Nach diesem keineswegs un- 
vernünftigen Gedanken greift er — wie in seinem Lustspiel 
— die Rezensentenweisheit der Abendzeitung, des Freimütigen, 
des Morgenblattes an. Nicht besser ist es mit dem Theater, 
das eine alberne Unterhaltungsstätte geworden, den echten 
Dichter abstoße und den Schauspieler zu einer Zierpuppe 
dressiere. Rückkehr zu Shakespeare, Goethe und Schiller, 
zu Wahrheit und Natur, die bei ihm nun wieder als persön- 
liche Rauhbeinigkeit erscheint, ist die einzige Rettung. Die 
Theorie ist nicht übel, wenngleich sie kaum das Glaubens- 
bekenntnis des Berliner Kreises wiedergibt. — Dann kommt 
die Probe. Grabbe deklamiert mit fliegenden Händen den 
Monolog aus Hamlet, wie Jerrmann urteilt, mit richtiger gei- 
stiger Auffassung, aber es fehlt die harmonische Obers chat- 
tung, die Inflexion ist unrein, die Obergänge sind schroff und 
gewaltsam, Schatten und Licht grell verteilt — also ganz 
dem Charakter seiner Dramen entsprechend. Immerhin er- 
schien also Grabbe als nicht hoffnungsloser Anfänger. Als 
er dann aber in kreischendem Diskant mit aufgestreiften 
Hemdsärmeln auch die Ophelia spielen will, verliert Jerr- 
mann den Geschmack an der absonderlichen Erscheinung. 
Eine Einladung zum Frühstück lehnt Grabbe, trotzdem man 
ihm den Hunger ansieht, zunächst stolz ab, dann aber be- 
dient er sich doch der Rotweinflasche gründlich, als er zu- 
letzt zwei Szenen aus seiner eigenen Dichtung „Don Juan 
und Faust" vorliest. »Der Mensch war wie verwandelt; 
mildes erwärmendes Feuer in den Augen, hohe Röte auf den 
Wangen, die Muskeln spannen sich — eine Fülle seltener eigen- 
tümlicher Gedanken, kühner Bilder jagen sich wie fanta- 
stische Gestalten." 



- 41 — 

Könneritz schickte Grabbe Reisegeld, so daß er Ende 
März nach Dresden abreisen konnte. Er wohnt Große Schieß- 
gasse 719 I und er hat in einer alten Frau eine Wirtin ge- 
funden, die die wichtige Eigenschaft erfüllt, guten Kaffee zu 
kochen. Der unmodisch ausstaffierte Grabbe sucht sich nun 
doch in einen feinen Herrn zu verwandeln. Er bekommt 
einen dunkelblauen Frack, schwarze lange Hosen und eine 
schwarze Weste. Er hält jetzt auf reine Wäsche, seinen Flausch 
benutzt er als Schlafrock. Diesem Kulturfortschritte ent- 
spricht es, wenn er nach dem Wunsche seiner Eltern nun 
auch mit älteren und besonnenen Leuten verkehrt. Tieck lud 
ihn ein und suchte ihn in gesellschaftliche Kreise zu bringen. 
In den Briefen an die Eltern spricht er sich sehr übermütig 
aus, sie sollen sich nichts abgehen lassen und er hoffe seiner- 
seits in dem schön gelegenen Dresden Jahre zu bleiben. Ein 
kleiner Zug ist für seine karrikierende Phantasie charak- 
teristisch. Er sieht zahlreiche buckelige Mißgeburten in den 
Straßen Dresdens und der ehrliche Alte muß ihn auf die 
Übertreibung aufmerksam machen, worauf Grabbe dann immer 
mehr zurücknehmen mußte. Auch mit den Berlinern steht 
Grabbe noch in regem Briefverkehr und Robert bleibt da- 
bei: „Es wäre schade, wenn Sie am Theater Ihre Krähe ver- 
schwenden würden." — Wie sich aber in Wirklichkeit die 
Dinge ausnahmen, können wir aus den Briefen nicht ersehen. 
Ist er zu stolz, seine Enttäuschungen zu zeigen, oder ist er 
wirklich so ahnungslos? Daß die erste Vorführung seines 
schauspielerischen Talents vor Tieck mißglückt sei, hatte 
Grabbe selbst im Gefühl und von Tiecks Standpunkt aus 
nimmt sich Grabbe in Dresden ganz anders aus. „Es war 
im Frühling 1823, als ein Fremder zu Tieck ins Zimmer trat, 
eine schwächliche Figur, ein bleiches Gesicht, von Sorge 
und Leidenschaft zerstört. Verlegen und unbehilflich, kün- 
digte er mit polternder Stimme an, er sei Grabbe. Kaum 
konnte es eine größere Selbsttäuschung auf der einen und 
Enttäuschung auf der anderen Seite geben." Von allen Ta- 



- 42 — 

lenten, die Grabbe von sich gerühmt hatte, besaß er keines, 
weder Stimme, noch Haltung, noch Wandlungsfähigkeit. — 
Ein zweites Moment kam hinzu. Es war schwer mit ihm zu 
verkehren. Die Gegenwart anderer war ihm lästig. Er war bald 
scheu, bald hochfahrend. An keinem Gespräche nahm er 
teil; oft stand er oder er saß stumm auf einer Stelle, oder 
er sah, unbekümmert um die Gegenwärtigen zum Fenster 
heraus. Aber wenn er unter ungebildeten Spießern in einer 
gewöhnlichen Schenkwirtschaft saß, dann taute er auf. So 
verscherzte sich der unglückliche Lenz durch seine Affen- 
streiche die Gunst der Weimarer Großen. Zum Schauspieler 
taugte Grabbe nicht. Seine Stücke waren angeblich nicht auf- 
führbar. Trotzdem soll die Intendanz versucht haben, ihn 
zu unterstützen. Also Köpke in der Biographie Ludwig Tiecks. 
Ein trostloses Ergebnis: Kein Talent für eine künstlerische 
Tätigkeit am Theater, keine Kinderstube — und das Dichten 
ist eine brotlose Kunst. Aber auch zum normalen Philister 
ist Grabbe verpfuscht. Da kann er wohl mit dem Varus 
seiner „Hermannsschlacht" fragen: „Zeus, wo soll man 
bleiben?« 

Aber man fragt sich doch, ob bei solcher Fülle von Mög- 
lichkeiten und Anlagen, die denn doch — wie sich später her- 
ausstellte, — in Grabbe verborgen lagen, nichts zu machen 
war durch ausdauernde Geduld, Schulung und Nach- 
sicht. Man darf Grabbes Illusionen nicht zu hart be- 
urteilen; erst nach schmerzvollen Kämpfen kann eine 
problematische Natur zur Resignation gelangen. Konnte Tieck 
Grabbe keine Anstellung verschaffen, weshalb hat er 
ihn auch literarisch dauernd ignoriert? Grabbes Detmol- 
der Notschreie verhallten ungehört. Auch literarische 
Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden „harten 
Esprits" mögen zum Bruch geführt haben, obwohl Grabbe 
doch mit seiner „Nannette und Marie" der Geschmacksrichtung 
Tiecks entgegenkam. In dieser Beziehung scheint mir eine 
Rezension Tiecks über Houwalds Leuchtturm in der Abend- 



- 43 — 

zeitung beachtenswert. Da wendet er sich sehr scharf gegen 
die neuen Shakespearomanen und Nordlandsdichter, die 
ohne nötiges Können sich auf die höchsten Probleme stürzen 
und statt echter Empfindung schwülstige Schilderungen geben. 
„Als ob Kinder über Schiller, Goethe, Shakespeare gekommen 
wären und nun auf ihre Weise mit Schicksal, Menschheit, 
Leidenschaft spielen wollten"; die die Form gleichsam neu 
erfinden wollten, als ob sie gar kein Schauspiel kennten. 
Und wenn Tieck dann die unendlichen Monologe, die 
sich immer wieder verwickelnde Exposition, die Unmög- 
lichkeit im Plan und anderes angreift — denkt man da nicht 
an den Oothland? Tieck wollte herrschen und Qrabbe pochte 
vergebens auf die ungeschriebenen .Vorrechte des Genies. 
Jedenfalls war das Mißlingen nach so stolzem Aufschwung 
sehr hart. Der Weltunkundige hat sich überall verrechnet 
Gewiß ist Grabbe nicht ohne Schuld, aber weniger durch das 
was er tut, als dadurch, wie er nun einmal ist. Das Genie 
kommt nicht zurecht und die Welt hat dabei noch nicht einmal 
Unrecht. 

Tieck wollte seinen Schützling offenbar los werden und 
während er ins Bad nach Teplitz reiste, schickte er Grabbe 
mit einigen Empfehlungsbriefen nach Braunschweig, wo er 
ein Geschäft mit dem Buchhändler Vieweg abmachen sollte. 
Im Juni meldet Grabbe seinen Eltern, es habe keinen Zweck 
sich malen zu lassen, da ihn eine Reise in Verlagsangelegen- 
heiten doch in die Nähe von Detmold führe. Mit 40 Talern 
ausgerüstet, reiste Grabbe zunächst nach Leipzig und er 
macht den dummen Streich, dort vier Wochen hängen zu 
bleiben. Angeblich haben ihn viele Freunde und der Buch- 
händler Hartmann dort aufgehalten. Er scheint sich also 
vergeblich nach einem Verleger umgeschaut zu haben. So- 
dann wollte er den „Sturz durch zwei Papierböden auf das 
harte Pflaster" verzögern. Es ist ihm arg, daß er die Eltern 
bitten muß, ihm insgeheim mit 5 Pistolen auszuhelfen. In 
Braunschweig muß ihm Vieweg sagen, daß die Bücher für 



— 44 - 

Tieck abgesandt, aber verloren gegangen sein müssen. Köchy 
vermochte nichts für ihn zu tun und Klingemann Raufte zwar 
für 30 Taler eines seiner Stücke an, aber eine Anstellung 
verschaffte er ihm nicht, denn er urteilt über Orabbes schau- 
spielerische Befähigung wie Tieck. Was sind Hoffnungen, 
was sind Entwürfe! Qrabbe klopfte in Hannover an — aber 
Freiherr von Orothe ist eben nach Süddeutschland abgereist. 
Vielleicht war er auch in Bremen — nach einem Brief an 
Tieck hatte er nur die Absicht, aber anders schreibt er an 
Kettembeil. Er muß also, ohne seinen Eltern irgendeinen 
sichtbaren Beweis seiner Erfolge zeigen zu können, zurück. 
So schleicht er sich denn in der letzten Augustwoche nachts 
in das „verwünschte" Detmold, wo die Eltern ihn mit Freuden- 
tränen empfangen, während er sich mit plumper Grobheit 
wappnen muß, um nicht in heftiges Weinen auszubrechen. 
Man hat keinen Grund, hier an die Krokodilstränen Berdoas 
zu denken, vielmehr besaß Grabbe doch noch ein normales 
Verantwortlichkeitsbewußtsein! Lange muß Grabbe die Wahr- 
heit hintanhalten, und er fühlt siph in Detmold unglücklich und 
unmöglich. Er hat die Enttäuschung nie verwunden. 



III. Kapitel 



Die Dichtungen des jungen Grabbe 



a) Einleitung — Das Schicksalsdrama 

Niemand entgeht dem verhängten Geschick, 
Denn wenn er glaubt es klügelnd zu wenden, 
Muß er es selber erbauend vollenden. 

(Schiller, Braut von Messina.y 

Grabbe hat bereits als Sekundaner und Primaner zwei 
Tragödien geschrieben: »Der Erbprinz" und „Theodora". Wir 
wissen nichts von dem Inhalt dieser Stücke, aus denen große 
Bruchteile in den Gothland übergegangen sein mögen. Der 
Erbprinz läßt einen ähnlichen Konflikt vermuten, wie er im 
Sturme und Drange beliebt war. An Theodora erinnert noch 
der Name Theodor von Gothland. 

»Von Shakespeare angefeuert, schrieb Schiller seine Räu- 
ber." Schiller war auch Grabbe in seiner drückenden Jugend 
nahe, und wie auch wohl Schiller einmal saher mit einem gewissen 
Neid auf Goethe, der »das Leben nicht kannte, weil es ihn immer 
auf den Händen trug". — Ein Bruderzwist, als äußerster Frevel 
wider die Natur, als das Widerspruchvollste in der Welt der 
Widersprüche, ein vom Schicksal betrogener Held, der sich . 
rebellisch wider die Weltordnung empört — das ist der erste 
Tragödienstoff, an den sich Schiller wie Grabbe heranwagte. 
Und da der Dichter in einer schicksalsgläubigen Zeit ein 
düsteres Verhängnis in seinem Dasein instinktiv ahnte, ver- 
tiefte er sich in die Nachtseiten des Lebens, da wo sich 
Wahnsinn, Laster, Verzweiflung grauenvoll verschwistern* 



- 46 - 

Hier verkettete sich wieder dämmernde Erkenntnis des eigen- 
sten Wesens, Jugenderinnerungen vom Zuchthaushof her, wo 
ihm so manche aus dem Gleise geworfene Persönlichkeit 
entgegengetreten, und der literarische Eindruck des die Lebens- 
tiefe offenbarenden dichterischen Kunstwerkes. Shakespeare 
ist sein Gott, aber erst in zweiter Linie der Dichter der 
Lustspiele und Historiendramen, der realistisch komischen 
Volksszenen (Arnim, Immermann). Vor allem packen ihn 
die großen Tragödien, in denen der Weltekel des gereiften 
Mannes die tragische Tiefe der Welt in ihrer Furchtbarkeit 
enthüllt hat: Auf Dummheit und Bosheit beruht die Haupt- 
masse von allem Erdenjammer. Die leidenden Helden Shake- 
speares fliehen vor Grabbes wilder Phantasie vorüber: Er 
schaut den wahnsinnigen Lear im Aufruhr der Natur über 
.die Heide irren; ein schuldbeladener Held tritt auf aus Trotz 
wider das Schicksal, wie Richard der Dritte, oder von einer 
stärkeren Persönlichkeit beherrscht, wie Macbeth; ein fleisch- 
gewordener Teufel erscheint wie Aaron, den die Rachebrunst 
treibt, oder wie Jago, der den Arglosen durch Bosheit ver- 
giftet und zum Mord vorwärts stachelt. Und dann Hamlet, 
der unter fremder Schuld erliegt, das berühmte Mysterium 
— heiliger und größer als Goethes Faust. Shakespeare und 
Schiller sind die Dioskuren, nach deren Glanz Grabbe sehn- 
süchtig aufschaut. Und er möchte mehr sein, als ein Nach- 
zügler der Stürmer und Dränger, oder als ein Spätroman- 
tiker, formlos und voll Ironie. Ein neuauftauchendes Gestirn, 
dessen Glanz dem jener Großen gleichkommt, zu werden — 
ist der vermessene Wunsch des doch nur erdgebornen Pro- 
methiden, der trotzig alles wagend gleich mit himmel- 
stürmerischem Flug beginnt. 



Als in der fridericianischen Zeit der deutsche National- 
geist nach langem Schlummer erwachte, erblühte auch eine 
jeigenwüchsige nationale Poesie. Bahnbrechende wetterleuch- 



- 47 — 

tende Geister schreiten voran; dann bricht das Gewitter der 
Stürmer und Dränger los, aber erst die Befruchtung durch 
die Antike führt das Zeitalter der klassischen Reife herauf. 
Die Romantik legt Protest ein und sucht aus nationalen Fer- 
menten schöpferische Kraft. Neue Stürmer erheben sich wider 
das Dogma vom alleinseligmachenden klassischen Altertum. 
Aber die Romantik gießt ihren Geist am liebsten in epische 
und lyrische Formen. Im Drama scheinen Schiller und 
Goethe nicht zu übertreffen. Heinrich von Kleist als eine 
auf sich beruhende Größe, wird erst nach seinem Tode be- 
kannt. Trotz vieler innerlich verwandter Züge sind die Be- 
ziehungen zwischen Grabbe und Kleist nicht sehr bemerkbar: 
die Mißverständnistragödie der Familie Schroffenstein, Pen- 
thesilea — halb Grazie, halb Furie, voll wilder Triebhaftigkeit 

— haben den Gothianddichter zu einigen Bildern inspiriert 

— Weit heller strahlten am Theaterhimmel Sterne wie Za- 
charias Werner, Müllner, Houwald. 

Der Dramatiker der Romantiker ist Zacharias Wer- 
ner, ein Mensch voll von unbegreiflichen Widersprüchen: 
„frivol und andächtig, bestialischer Heiliger und schuld- 
beladener Wüstenpilger". Seine weichliche Lüsternheit, seine 
mystische Gefühlszerflossenheit waren dem harten und männ- 
lichen Geist Grabbes gänzlich fremd, hinter dessen starrem 
Äußern sich dennoch die romantische Gemütstiefe nicht ver- 
loren hat. Aber doch hat Werner die Phantasie Grabbes viel- 
fach befruchtet. Ein paar verwandte Motive mögen anklingen: 
Jener Irnak im Attila, der sich über die brennende Stadt 
freut und von Mordgier zu Großmut überspringt, wird im 
Gothland zu einem finnischen Offizier; ein Gottesgericht voll- 
zieht sich unter Donner und Blitz; grauenvoll groteske Kerker- 
szenen, gräßlich unheimliche Zeremonien; die schimpfen- 
den Landsknechte aus der „Kunegunde" finden wir in den 
Hohenstaufen wieder, und der Kaiser springt hier mit den 
Bischöfen ähnlich ungnädig um, wie Grabbes Heinrich VI. 
Vor allem aber ist es der Obermensch, dessen Spuren 



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wir, seitdem Goethe das Wort bei Herder gelesen, durch 
die Literatur verfolgen. Nicht Attila ist es, aber der kalte 
Machtmensch Aerius; in den „Söhnen des Tales" der Erz- 
bischof: ohne Gefühl mit eisenharter Riesenseele, Gottmensch 
oder Teufel, fern von der Menschheit schöner Mitte, der den 
König charakterisiert als einen Mörder von Millionen. Wenn 
wir da hören von Menschen, die durch die bloße Allmacht 
ihres Willens die Geisterwelt zerstört und umgeschaffen haben, 
wenn wir sehen, wie naturphilosophische Spekulationen hinter 
der Dichtung einen metaphysischen Hintergrund aufrichten, 
so verspüren wir noch in „Don Juan und Faust" einen Nach* 
klang dieses romantischen Idealismus, der in Fichtes Lehre 
vom souveränen Ich wurzelt. Der Mensch kann alles, wenn 
er sich der Sinnenwelt entäußert — soweit denkt auch Grabbes 
Faust; aber die katholisch-mystische Wendung macht er nicht 
mit: „wenn er sich selbst vergißt". Heinrich von Kleist 
glaubte durch den bloßen Willens Vorsatz sein Leben aus- 
löschen zu können; auch diese verneinende Kraft des Willens 
beschwört Penthesilea. — Werner ist auch Schicksalsdramatiker. 
Das Schicksal waltet in jeder Tragödie: nicht nur in der 
antiken, auch da, wo die Leidensctfaft am freiesten zu stürmen 
scheint, bei Shakespeare, den Stürmern und Drängern und 
wieder bei den Modernen erhebt sich eine unerklärliche be- 
schränkende Macht in der Form von Naturanlage, Situation, 
Milieu, Folgen der Tat. Aber wie sich in dem Werk des 
schöpferischen Genies eine höhere Ordnung gleichsam un- 
gewollt von selbst ergibt, so wird das Geheimnisvolle bei 
den Epigonen, dem nur nachahmenden Talent in theatralisch 
effektvoller Weise aufgezeigt und veräußerlicht. Bei der 
Schicksalstragödie aber erscheint das Schicksal nicht als der 
innere Zusammenhang, den man nachträglich aus jedem 
Lebenslauf abstrahieren kann, nicht als dem menschlichen 
Wollen immanent, sondern als eine mechanische aktive per- 
sonifizierte in die Zukunft wirkende Gewalt, die tückisch und 
sinnlos Menschenleben vernichtet und an äußerlichen Dingen 



— 49 — 

haftet: am fatalen Requisit, am fatalen Ort, am fatalen Zeit- 
punkt. Der majestätische Weltenrichter, dessen Wege uner- 
forschlich sind, gewinnt die Züge eines grausam lüsternen 
Tyrannen und man fabriziert aus seinen unbegreiflichen Fü- 
gungen und der ewigen Vergeltung Kriminalromane. Man 
will die große Tragik, aber man macht es sich zu leicht 
und man kommt bald der äußerlichen Effekthascherei auf die 
Spur. Die Forderung des Morgenblattes: „der Mensch müsse 
frei erscheinen, gleichsam erglänzen im tausendfachen Strahl 
des Sittengesetzes", ist in Wirklichkeit nicht erfüllt. In Wahr- 
heit ist das Schicksal eine von dem menschlichen Wollen ge- 
trennte Macht und die Menschen erscheinen als Marionetten, 
mit denen eine vernunftlos grausame Gewalt spielt. Grill- 
parzers Ahnfrau ragt noch als einziger Oberrest auf aus 
jener Zeit, in der das Schicksalsdrama als der Gipfel der 
echten Tragik galt. Schon bei Zacharias Werner beginnt ein 
in sich berechtigter Gedanke sich in Übertreibungen und Karri- 
katur zuzuspitzen. Wenn unter Flöten und Hörnermusik 
Libussa erscheint und wenn Wanda Rüdiger tötet, so „ist 
erfüllet des Schicksals strenger Schluß." 

Im Prolog des 24. Februars fehlt auch hier nicht die 
christliche Tendenz: „wir andern, die wir uns noch wollen 
nicht Gott allein, sind leicht ins Herz verstrickt und leicht 
des wilden Jägers arme Beute". Da knüpft sich alles Un- 
heil durch Geschlechter hindurch an ein Messer, eine Hütte, 
ein bestimmtes Datum; und unwissend mordet der Vater den 
Sohn. Der grauenvolle Reiz dieser Schauerromantik soll auch 
in zwei Gothlandsszenen auf uns wirken. 

Auch M ü 1 1 n e r kam mit den Christen und Indeter- 
ministen ins Gedränge und suchte sich durch eine Theorie 
herauszuhelfen, die besser klingt als seine Praxis. Er war 
nicht der Mann: „die unsichtbaren Fäden, durch welche das 
Erdenleben mit einer höheren Weltordnung zusammenhängt, 
dem innern Sinn sichtbar werden zu lassen und das Ahnen 
dieser höheren Ordnung zur Empfindung zu steigern". Müllner 

.Nietes, Chr. D. Orabbe. 4 



— 50 — 

hat einen scharfen Verstand, er ist ein geschickter Theater- 
Routinier wie Kotzebue und versteht sich auf eine deut- 
liche Charakterzeichnung; «er macht Effekt und weiß zu 
spannen; nur darf man keine eigentümliche Tiefe hinter ihm 
suchen und doch wird dieser Schein geflissentlicht erzeugt. 
Von dem Gefühlsreichtum der Romantik sind nurmehr Äußer- 
lich Träume und Ahnungen geblieben, Harfenspiel und abge- 
griffene Sentimentalitäten. Müllners „Schuld" war das 
wirksamste Theaterstück, dessen Erfolg Grabbe als Jungling 
mit erlebte. Man parodierte das Stück, das Platen als eine 
„Mißgeburt der Zeit" erschien; Th. v. Artner dichtete 1819 
einen ersten Teil dazu, 1821 erschien im Morgenblatt eine 
eingehende kritische Analyse. Jakob Minor, der eine vor- 
treffliche Monographie über das Schicksalsdrama geschrieben 
hat, erkennt in Müllners kaltäugigem heimtückischem Schick- 
sal keineswegs das ewige Weltgericht, sondern den napoleo- 
nischen Polizeispitzel mit seinen kleinlich verlegenen Mitteln, 
er findet in der Schuld den kriminalistischen Beruf Müllners 
wieder und vergleicht die Exposition dieses Stückes, die 
Grabbe in den ersten Akten des Gothland teilweise nach- 
ahmte, wie sich da allmählich eins ans andere fügt, bis der 
Held selbst den Brudermord kombiniert, mit dem Plaidoyer 
eines Staatsanwaltes. Auch bei Grabbe haben wir oft den 
Eindruck, einen Kriminalroman zu lesen; getränkt von der 
,. Zuchthausatmosphäre, die bei ihm voll von persönlichen 
Erinnerungen, die erlebte Wirklichkeit ist. Bleibt aber Müll- 
ner der gebildete Mann und Landgerichtsrat, so zeigt sich 
Grabbe in seiner Ausdrucksweise eben als Zuchtmeisterssohn. 
Nicht bei der Sinnlosigkeit und Grausamkeit dieses Schick- 
salbegriffes setzt Grabbes Kritik ein, wohl aber da, wo der 
freie Wille ausgelöscht wird, sodass der Mensch als leblose 
Marionette erscheint. Als Apostel der Kraft geht Grabbe eine 
völlig andere Richtung wie Müllner: so stark er auch von 
der Schuld und von Yngurd beeinflußt ist, die Auffassung des 
Schuldproblems und des Heros, dessen Tragik und moralische 



— 51 - 

Gebrechlichkeit Müllner in einer napoleonischen Gestalt auf- 
zeigte, charakterisieren Grabbes Originalität vor seinem 
Vorbild. Freilich denkt man bei Gothland an Yngurd, "~7 
den Usurpator, der mit der Menschheit zerfallen, aber an ( 
sich edel, in einem kritischen Augenblick sich dem Satan er- / 
gibt; der auf dem Schlachtfeld Vergleiche anstellt zwischen 
Held und Henker; der sich unwillkürlich doch dem Guten 
beugt, damit „Nicht Menschengröße zu der Ohnmacht Spott, 
ein Greuel der Tugend werde". Im Yngurd erscheint die 
Schicksalsidee gemildert, weniger mechanisch : „Menschen wille 
ist doch wohl nur ein Müssen"; aber „es ist des Menschen 
höchste Kraft, das frei zu wollen, was er leiden muß". Sehr 
starke Einwirkungen hat dieses hervorragendste Drama Müll- 
ners im Gothland hinterlassen: in der Mischung von Sage 
und Geschichte, in der Exposition, im nordischen Lokalkolorit, 
in der aus Natur und seltsamen Himmelserscheinungen schöp- 
fenden Bildersprache, in der Art, wie die Nebenpersonen ver- 
wandt werden, in der äußeren metrischen Form lassen sich 
sehr viele Vergleichspunkte gewinnen. Und endlich ließ auch 
die „Albaneserin" aus Bruderliebe Brudermord erwachsen. 

Ganz anderer Art als der kräftige Müllner war der 
empfindsame Houwald. Tieck beurteilt in der Abendzeitung 
1823 Houwalds „Leuchtturm" ziemlich scharf, er selbst sei zu 
weich und zu befangen und zu gerührt, aber er erwirbt doch 
seine Sympathie wegen des freundlichen und kindlichen Sinnes. 
Grabbe aber hat Houwald in seiner Literaturkomödie unter 
den Damenschriftstellern weidlich verspottet, und er hat kein 
Stück so hergenommen, wie „das Bild". Trotzdem hat er 
gelegentlich eine Wendung, einen Vergleich von Houwald über- 
nommen, der bei seiner weichlichen Sentimentalität sich doch 
an Nordlandsrecken wagt und mit der modischen Vorliebe 
für versifizierten Wahnsinn einen Tollen im Aufruhr der 
Natur rasen läßt 

Romanische Maler wie Houwalds Spinarosa und im 
Gegensatz dazu Nordlandsrecken waren aber überhaupt 

4* 



— 52 - 

beliebte Bühnenfiguren. Dieser Kontrast reizte auch den 
Dichter des „Don Juan und Paust . Oehlenschläger 
hatte gleichen Erfolg. mit seinem „Correggio" wie mit seinen 
nordischen Tragödien. Es entbrennt z. B. in „Erich und 
Abel", dem Dänenfürsten und schleswigschen Herrscher, ein 
Zwist — die unruhige Färbung ihres Zwiegespräches er- 
innert an den Dialog zwischen Theodor und Manfred — ; 
Lauge Gudmanson, der ränkevolle Staatsmann, stürzt Erich 
von der Gallerie, aber Abel ist der eigentliche Brudermörder. 
Brudermord gibt es auch in „Palnatocke". Oehlenschläger fand 
manche Nachahmer. In Auffenbergs »König Erich" hat 
Erich auf der Jagd an seinem Bruder vermeintlichen Mord 
begangen; sein Sohn beschließt Rache und verzichtet deshalb 
auf seine Geliebte Sigried. Graf Swente Sture, der als Mit- 
wisser dieses Geheimnisses ermordet wird, kehrt wieder im 
„Gothland", wo ihn Arboga erschlagen hat. 

Grabbe las aber nicht nur die Dramen seiner Zeit. Aus 
der Heimat Shakespeares wirkten auch andere Geister: O s - 
s i a n, der Sänger der schottischen Heide, Walther 
!\ Scott, aus dessen gefeierten Romanen z. B. „Kenilworth", 
„das Kloster", „der Pirat", Farben in die Ritterszenen des Goth- 
land eingeflossen sein können. In Scotts „Pirat" sind Lieder 
eingestreut, z. B. von Harald Harfagar. Und hiermit stoßen 
wir endlich auf die geschichtliche Quelle, auf die Grabbe 
selbst hingewiesen hat: „Mr. Gothland ist in der Handlung 
eine Erfindung, obwohl ich, ehe ich ihn begann, aus ange- 
borener Liebe nordische Natur und Geschichte studiert hatte. 
Es gibt in der nordischen Historie einen Erik Blutaxt — 
der möchte in einigen Punkten an Gothland erinnern." Wie 
Shakespeare seinen Hamletstoff aus dem Saxo Gramma- 
ti cus schöpfte, so Grabbe aus der Heimskringla, die aller- 
dings nur erst im Bruchteil ins Deutsche übersetzt war, ehe 
Wächter eine vollständige Obersetzung herausgab. Zu diesen 
Stücken aber gehörte die Sage von Harald Harfagar. Harald 
besiegte den Schwedenkönig Erik, einen Mann von fürchter- 



» » 

7 



— 53 — 

licher Gewalttätigkeit — er erschlug z. B. Aki im Walde, 
weil er ihm altes Geschirr zum Mahle vorsetzte — in 
dem von ihm Gauthland genannten Gebiet. Auf Erik folgte 
Björn; in Gauthland ließ Harald Herzog Guthorm zurück. 
Harald hatte viele Wöiber und Kinder z. B. Olav, Björn, 
Gudrod, sein Lieblingssohn aber war Eirik Blodöx, der Sohn 
der Raghild. Der Sohn seines besten Freundes, Rolf, der so 
stark war, daß ihn kein Pferd tragen konnte, wurde land- 
flüchtig. Eirik fand im Finnenlande Gunhild, die um seinet- 
willen ihre Landsleute verriet. Eirik, der Oberkönig zu wer- 
den gedachte, war von den eifersüchtigen Brüdern wenig ge- 
liebt. Sein Bruder Björn fiel im Streit mit ihm, als Eirik 
den Zins für Harald bei ihm holen wollte; ein anderer Bruder 
ertrank. Als Harald, 80 jahrig, Eirik zu seinem Nachfolger 
bestimmen wollte, brach eine Empörung aus. Halfdan 
Schwarze wird von Gunhild vergiftet, Olaf und Sigrid 
werden niedergerungen. Nun herrschte Eirik, ein „großer 
starker, tapferer Mann, aber auch hitzig, unfreundlich, wenig 
äußernd" — neben ihm Gunhild, „schön, weise, verschmitzt, 
grimmig". Die Kinder z. B. Guthorm, Harald waren schön 
und hoffnungsvoll. Eirik herrschte, bis Hakon von England 
kam und ihn verdrängte. — Es ist eine Zeit berserkerhafter 
Wildheit, von brutaler Wickingerkraft; durch leidenschaft- 
liche Kämpfe mit den Brüdern kommt der Held obenauf. 
Den Kern des Gothland bildet die Episode, wie Eirik. den 
Bruder — nicht eigentlich ermordet, — sondern im Kampfe 
tötet 

Der damalige Theatergeschmack sei — um das litera- 
rische Milieu vollständig zu umgrenzen, — durch eine Be- 
trachtung des freilich einseitig nüchternen „Freimütigen" 
(September 1821) gekennzeichnet: „Überall sieht man über- 
ladene Effekte statt des Einfachen und Großen; die Reiz- 
mittel sind nicht mehr zu überbieten; man hat gleichsam alle 
Schrecken der Hölle erschöpft, man hat das Gefühl abge- 
müdet und gemartert, sich bis zum lächerlichsten zum Teil 



— 54 — 

sündhaftesten Unsinn verstiegen und an elende Teufelsbeschwör- 
ungen, abgeschmackte Flüche, ja alte Messer, Dolche und 
dergleichen, Menschenschicksale zum Hohn der ewigen Liebe 
und Gerechtigkeit geknüpft." Orabbe hat diese barbarische 
Mode mitgemacht und sich allmählich erst zu lichteren Höhen 
erhoben. Aber unter den Erzeugnissen seiner Zeit — gewiß 
nicht von absolutem Standpunkt aus — ist der Oothland eine 
der originellsten Erscheinungen, die Offenbarung einer wild- 
genialen Kraft und ein leidenschaftliches Bekenntnis; wie 
jedes Erstlingswerk vom bedeutendem psychologisch-biogra- 
phischem Interesse, wie schülerhaft sich auch Orabbe erweist 
in der Motivierung, von wie gährender Unreife seine sittliche 
Menschenbeurteilung ist und wie wenig er die erdrückende 
Fülle der Vorbilder zu meistern vermag; von schlimmeren 
Dingen abgesehen. Wenn wir Uns auch die dichterische 
Produktion im allgemeinen nicht als ein mechanisches Ar- 
beiten nach Vorbildern denken dürfen, so ist dennoch als 
literarhistorisches Ideal anzustreben, die Masse der An- 
regungen und Einflüsse, die gleichsam chaotisch ungeordnet 
in der Seele des Dichters sich häufen, bevor sie in der schöp- 
ferischen Tat gestaltet werden, möglichst vollständig uns 
zu vergegenwärtigen. 

b) Herzog Theodor von Oothland 

Der Mensch trägt Adler in dem Haupt 
Und steckt mit seinen Füssen in dem Kot. 

(Oothland 10.) 

„Herzog Theodor von Gothland" geht zurück bis in die 
Detmolder Prinumerzeit und nach etwa 5 Jahren wird der 
Schöpfungsprozeß am 11. Juni 1822 abgeschlossen. Trotzdem 
die Dichtung erst 5 Jahre später veröffentlicht wurde, hat 
Orabbe doch keine Umarbeitung mehr vorgenommen. Am 
20. Februar 1822 schreibt der Dichter: „mein Stück kommt fast 
täglich seiner Beendigung näher; ehe ich es aber verlege, 
werde ich es mehreren Theaterdirektionen anbieten; es wird 



— 55 ~ 

mich gewiß sehr berühmt machen". Am 6. Juli wird das 
Stück abgeschrieben; am 3. August beschreibt er die Wirkung: 
„Mein Werk fällt den Leuten, die es lesen, so recht auf, daß 
sie beinahe wirbelicht vor Überraschung werden"; am 2. 
September meldet er mit verblüffend naiver Renommage: „das 
Stück ist so ausgezeichnet und groß, daß mir alle raten, ich 
müßte es nur außerordentlich geistreichen Männern zeigen, 
weil das gewöhnliche Volk es nicht verstände". Der ganze 
Orabbe aber gibt sich ungeschminkt in der Nachschrift seines 
Briefes an Tieck vom 21. September: „Im Bewußtsein, daß 
ich etwas Ausgezeichnetes, wenn auch nichts Gutes geleistet 
habe, fordere ich Sie auf, mich öffentlich für einen frechen, 
erbärmlichen Dichterling zu erklären, wenn Sie mein Trauer- 
spiel den Produkten der gewöhnlichen heutigen Dichter ähn- 
lich finden." Es ist unglaublich, wie dieser himmelstürmende 
Obermensch hier die Blöße, die jeder andere Dichter seinen 
Kritikern sorglichst verbergen würde, mit einer prahlerischen 
Geste enthüllt: seine wilde Sensationsgier, seine skrupellose 
Originalitätssucht, seine herostratischen Gelüste. 

Die Namen der Personen hat Arthur Ploch*) für die Quellen- 
kenntnis zu verwerten gesucht; ich möchte zur Vervoll- 
ständigung noch einzelnes hinzufügen. Der alte Herzog ist 
wie der alte Moor ohne Vornamen. Erfunden oder zufällig 
sind die Namen Theodor Manfred Friedrich — Cäcilia, Ros- 
san; ein Gothland kommt auch in Schillers Warbeck vor. 
Aus der Heimskringla mögen stammen Olaf, Björn, Rolf. 
Arboga ist der Name einer Stadt und eines Flusses in Schwe- 
den, Berdoa eine afrikanische Oase. Gustav mag an Gut- 
horm erinnern oder an Gustav Adolf, den Helden eines Gehe- 
schen Dramas. Skiold mag von Oehlenschläger Torstens- 
skiold und Tocke von Palnatocke sich ableiten. Ein Holm 
findet sich in Müllners Schuld und Houwalds Leuchtturm; 
Irnak in Werners Attila; Usbek in Bertons „Aline Königin 

•) Grabbes Stellung in der deutschen Literatur. Leipzig 1905. S. 110. 
Ich fasse die Resultate zusammen. 



— 56 - 

von Golkonda". Selma stammt direkt von Ossian, oder in- 
direkt von Klopstock; schön Ella spielt möglicherweise auf 
das Stück des Freischütz-Librettisten Kind an. — Jeden- 
falls gibt schon die Buntscheckigkeit dieser Namenszusam- 
menstellung einen Begriff von der Absonderlichkeit dieser 
Dichtung. 
I ,. Der erste Akt führt uns die beiden Gegenspieler vor 

und läßt nicht zweifelhaft, wer des anderen Opfer wird. 
Sturm an der Ostseekäste: die Finnenflotte naht, die schwe- 
dischen Wachen fliehen, örtlichkeit und Exposition mit unterge- 
ordneten Personen erinnern an Yngurd. Berdoas Charakter wird 
entwickelt im Monolog und Dialog, in vorbereitendem und unter- 
brechendem Gespräch der Finnenführer, von denen Usbek 
und Irnak höher stehen als Rossan, die glatte Schlange, die 
neidgelbe Katze. Wie Bestien fallen sie sich einander an und 
der Urtrieb ihres Wesens enthüllt sich in einer einzigen wilden 
Gebärde. Der blutbefleckte Neger wird in einem möglichst 
krassen zugespitzten Moment vorgeführt, in Todesangst 
schreiend und dabei doch in den Instinkten Rachsucht und 
Haß entbrennend, ein sterbender Gotteslästerer. Daß ihn ge- 
rade jetzt der schwedische Gesandte Holm erreicht, war müh- 
sam genug zu motivieren, und der Kritiker stellt die Frage, 
die Grabbe höchst verschmitzt dem Mohren in den Mund legt: 
„Reiten des Königs Boten mit dem Winde?" Der Gesandte 
fragt: „W a s führte Euch her?" und der Mohr antwortet mit 
einer äußerlich wie innerlich unmöglichen Logik: „Gott — a 
also mit einer ausgesuchten Gotteslästerung. Auf dieser 
tollen Logik bauen sich die wildesten Kontraste auf. Mahnt 
Holm den Mohren, angesichts des Todes in sich zu gehen, 
oder erinnert er ihn an seine Schwachheit, so gibt dieser alsbald 
einen Kraftbeweis von besonderer Brutalität. Holm wird 
von Berdoa angesteckt und das diplomatische Gespräch wird 
zu einem wüsten Gezanke. An den Balken, den die feigen Pfaffen 
auf Berdoas Brust sandten, klammert sich Grabbe - Ber- 
doas merkwürdige Dialektik; er dient auch als Obergang 



■M^^V 



- 57 — 

zum Hauptthema: Holm beweist, daß die Schweden nicht 
feige sind und kommt so auf Oothland. Es ist ein technischer 
Kunstgriff, den Orabbe öfters anwendet, mag er ihn nun 
Shakespeare oder Kleist abgelauscht haben: Ein Hauptbe- 
griff wird aufgehalten durch allerlei Einwürfe und Zwischen- 
reden, bis dann das gefürchtete Wort um so nachdrücklicher 
emporschnellt. 

Holm: vergaßest Du den Herzog Gothland? Berdoa: schweig! — 
Holm: Erinnere Dich, wie Herzog Theodor von Gothland 
Dich in der Schlacht ergriff — Berdoa: hör auf! Holm: — er ließ 
Dich peitschen! — Berdoa: wen? Holm: Dich ließ er peitschen! — 
Berdoa: Rache! 

Wenn nun Berdoa wünscht: seine Arme sollen zu Schlangen 
werden, die den Tiger umfassen, so ist das Thema for- 
muliert. Der Keim des ganzen Dramas liegt in den ganz 
unvermittelten blitzartig aufzuckenden Worten des Mohren, 
der die stimmungsvoll geschilderte Gothlandsburg ins Auge 
faßt: „Hat Theodor von Gothland Brüder?" — „große Liebe, 
großer Haß!" Man entsinnt sich einer ähnlichen Szene in 
Shakespeares Macbeth, in der der rachesuchende Macduff 
fragt: Hat er Kinder? — In afrikanischer Farbenglut kreischt 
das Rachebrunstmotiv des Mohren auf. ~7 

Das ist nicht die Sprache eines Müllner, das erinnert eher 7 
an den „Löwenblutsäufer" Klinger, an den wildesten Shake- s 
speare, den Voltaire einen „trunkenen Wilden" nannte — aber 
man hat auch immer wieder auf eine verwilderte Schauer- 
romantik, auf Spieß, Kramer, Schlenkert u. a. hingewiesen, deren \ 
Lektüre aber nicht nachweisbar ist. Und die Mitgift der Mutter, 1 
der dunkle Ursprung, die Zuchthausreminiscenzen erfüllen die 
eine an niedern Trieben reiche Seele, die in Grabbes zwie- 
spältigem Doppel-Ich mit der andern nach einem großen Da- 
seinsinhalt ringenden in ewig unversöhnlichem Streite liegt. 
Der erworbene und der angeborne Charakter sind nie zu einem 
einheitlichen Organismus zusammengewachsen und dem ent- 
sprechend steht das verstiegenste Pathos neben den rohesten 



— 58 — 

Ausbrächen der Sinnlichkeit Man muß Außerungsweise und 
ursprüngliche Potenz unterscheiden. Wie widerlich auch einem 
gereiften Geschmack ein so unerhört roher Naturalismus er- 
scheinen muß, der uns in dem Mohren eine mit aulgerissenen 
Nüstern Dampf des Europäerbluts einschnaubende zähneflet- 
schende Bestie karrikiert und uns auch die Hunde nicht er- 
spart, die den Pfuhl vom Abschaum seines Blutes lecken, es 
offenbart sich trotzdem eine ungekünstelte brutale Kraft in der 
Darstellung der Urinstinkte einer verwilderten Mensch- 
heit. Neben dieser Ur kraft fällt auf eine sonderbar pro- 
portionierte Gedankeneotwicklung, eine verzerrte aber nicht 
sinnlose Dialektik: diese rapiden Entwicklungen, die sich in Eile 
überschlagenden, pfiffig klügelnden Argumentationen; blitzartig 
schießt ein unbeachtetes Moment hervor, woran sich 
je ein Glied nach dem anderen ankettet, bis dann die 
Grundidee sich urplötzlich enthüllt. Dabei werden im 
Fluge wichtige Probleme berührt. Was den Streit so unver- 
söhnlich macht und die Einführung eines Mohren anstatt des 
Finnen erklärt, das ist die Rassenfrage. Grabbe sagte in 
seiner brieflichen Selbstrezension (28. 12. 1827) : „die Tra- 
gödie eines Negers mit dem Herzoge Gothland, dem 
Repräsentanten der Europäer. Der Neger ist mit 
Farben gezeichnet schwarz wie er selbst, und Gothland, ein 
kühner aber schwacher Mensch erstarrt endlich zu einem 
Bösewicht, der den Neger noch überbietet. — Mit dem Neger 
weht ein wahrer Samum verheerend durch das Stück, der 
alles Gemütliche und Reinmenschliche darin zerstört." — 

Man hat auf die Vorbilder bei Schiller und Shakespeare 
hingewiesen. Piper will in Berdoa Franz Moor und Herr- 
mann wiedererkennen. Von Othello hat Berdoa nur die Tapfer- 
keit, viel mehr erinnert der ahnungslose Gothland an ihn. 
Analysiert man Berdoa, so findet man Bestandteile von Aaron 
und Jago, von Gloster, von Richard III. und von Franz Moor. 
Grabbe leugnet es zwar in seinem Originalitätsstolz ab, 
aber Titus Adronicus mit seinen Greueln, die allerdings 



— 59 — 

Shakespeare nicht erfunden hat, ist sehr ähnlichen Geistes: 
hier wie dort roh zugehauene Handlung, gehäufte Effekte; 
ein schauerlicher Triumphchor der Rache; derselbe Zeitgeist: 
wilde Handlungen werden plötzlich ausgeführt von furchtbaren 
Menschen, impulsiv und gefühllos. Aaron spottet über das 
Gewissen und es tut ihm zuletzt nur leid, nicht noch mehr 
Böses getan zu haben. Auch hier der Gegensatz? der Rasse 
(IV 2): „Ihr weiß getünchten Wände, ihr Bierhausschilder 
kohlschwarz besieget jede andere Farbe." Aber Berdoa über- 
trumpft ihn: 

»Und klaglich wie ihr Europaer so schnell denen 
Das dörre Fleisch auf dürren Knochen hängt, 
Als hinge es am Pranger! deren Haut 
Ein Sonnenstrahl zerschindet; die im Gesicht 
Die Blässe der Verwesung tragen — « 

Aaron ist eine Vorstudie zu Jago — Grabbes Gegner 
behaupten, er habe nur große Vorbilder studiert und dann 
zur Karrikatur verzerrt, er sei keine Leuchte, die aus eigener 
Inbrunst sich nähre, sondern er müsse Licht anderswoher 
borgen. Die Sache verhält sich aber doch anders. In Grab- 
bes Faust-Monolog heißt es: Raubtier wird man, blos um 
sich zu nähren! 

Empfindungen Gedanken — Herzen, Seelen — 

Den Menschen und das Leben — Welt und Götter — 

Ergreift es und erwürgt es sich zur Beute, 

Und schreit vor Zorn und Hunger, wenn esjcaura 

Zehn Tropfen Bluts in ihren Adern findet.« 

Grabbe ha&e das Raubtiertemperament, so ursprünglich und 
roh wie möglich; aber er berauscht sich gleichsam erst an 
fremdem Blut und in solcher Besessenheit gebiert er seine 
Geschöpfe, die sein eigen sind. Nachträglich kommt ihm 
die unglückliche Idee, alle möglichen Reminiszenzen aufzu- 
pfropfen; er verdirbt sich dann durch Häufung und Ober- 
fülle die Wirkung und gerät in falschen Verdacht. 

In der zweiten Szene kommen bereits die Gegner an- 1 2. 
einander. Die Technik, die zeigt, daß Grabbe an die Auf- 



7 



- fiO - 

führung dachte, ist sehr einfach: Oothland kommt und geht 
und während die Bühne leer ist, erscheint Berdoa. Der Dich- 
ter hat nicht Zeit den Charakter Oothlands durch Dialog und 
Handlung zu explizieren, und so muß er sich denn zweimal 
durch einen Monolog selbst charakterisieren, nachdem als 
kurzer Auftakt — wie oft bei Grabbe — ein Gespräch mit 
dem treuen Erich, der wohlbekannten Figur des Burgvogtes 
— man mag an Schillers Daniel denken — voraufgegangen. 
Das Mittel des Monologs hat ja allerdings auch Shakespeare 
z. B. im Eingang seines Richard III. und Schiller nicht ver- 
schmäht. Es erklingt denn auch zunächst wie eine Schiller- 
sche Hymne auf Freundschaft und Bruderliebe, wobei einige 
Reminiszenzen an die Albaneserin mitschwingen mögen. Zwei 
Ereignisse treffen zusammen und der Bote des Bruders ist 
da. Er darf aber — man sieht warum — erst nach dem 
Monolog vorgelassen werden und meldet den unerwarteten 
Tod des Bruders. Grabbe versucht in die Verwendung des 
Lokaloolorits eine tiefere Natursymbolik hereinzulegen. Die 
herbstliche Naturbetrachtung könnte versöhnlich wirken: Ster- 
ben ist natürlich und daher nur beklagenswert. Die Angst 
des Naturmenschen vor dem Tode ist ein 
Stimmungsmoment, das durch das ganze 
Stück hindurchgeht. Wehrte sich schon Ber- 
l doa wie ein Rasender gegen das Sterbenmüssen, so 
schlägt die Stimmung des edlen Oothlands ganz unmotiviert 
in Wut um. Wir haben hier die handgreiflichsten Beispiele 
von Antizipierungen, die der Technik des Anfängers eigen 
sind. „Das ist ein Banditenstreich des Todes!" „Manfred ist 
tot, Du lebst" — „entschuldige Dein Dasein ! Auch der Himmel 
mordet!" In so explosiver Verfassung verzieht sich in Anti- 
these und Klimax eine Entwicklung, die zuletzt den Stachel 
des Argwohns emportreibt. Gothland fragt Rolf aus und 
schon argwöhnisch, greift er einzelne Worte heraus und gibt 
ihnen einen eigentümlich pointierten Sinn. 



- 61 - 

Die Motivierung wird immer abenteuerlicher. Berdoa und 
Irnak treten auf, sie hoffen auf einen Konflikt der Bruder, und 
ein solcher Konflikt ist vorhanden. Sieht man von der Un- 
möglichkeit der Voraussetzungen ab, so frappiert die ver- 
wegene Konsequenz, mit der Berdoa Rolf ausholt und wie 
sein spitzbübisches Genie triumphiert, so daß der Bruderzwist 
ihm wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Man kann für 
den Augenblick vergessen, daß die Ausfragerei erst ihren Sinn 
durch die Schlußpointe erhält: durch das merkwürdige Ver- 
halten Theodors. Gothland ist schon argwohnisch, mehr ver- 
zweifelt und zornig als traurig, — so verlaufen ähnliche Ge- 
fühle beim Dichter selbst — wenn ihn Cäcilia auf die christ- 
lichen Trostgründe verweist und auf die Vorsehung, die nichts 
Böses zuläßt. Aber wenn sie, drohendes Unheil ahnungsvoll 
beschwörend, abgeht, hat sie gerade den Schicksalsglauben 
verhängnisvoll gestärkt. So ist es in Grabbes Welt: das 
Gute verkehrt sich in Unheil und die Schlechten haben das 
unverhoffteste Glück. Der Mohr wagt die unglaubliche Toll- 
heit, den in Ossianische Träumereien versunkenen, in seinem 
Glauben an das Gute erschütterten Gothland um Gastrecht 
zu bitten. Das gereizte unruhige Gerede gipfelt in Berdoas 
Trumpf: „Manfred ward erschlagen ! a und in den Lakonismen 
Gothland: „Manfred starb in Friedrichs Armen!" Berdoa: 
„in? durch!* 4 — Gothland: „Weltempörung! was sagst Du? — 
Berdoa: „durch!" Ein schwärmerischer Idealist und eine ge- 
walttätige Berserkernatur — dieses in tollen Extremen schwan- 
kende, wie Grabbe aus naturalistisch rohen und theoretisch- 
pathetisch-idealistischen Momenten zusammengewürfelte Dop- 
pel-Ich wird zusammengehalten durch den Vergeltungsge- 
danken. Der Idealist wird durch seinen feurigen Rechtsglauben 
aus dem Geleise geworfen, die Bestie aber kann mit zucken- 
dem Arm und mit rollender Faust rufen: „Seele, freu Dich! 
nun kann ich wenigstens ihn rächen, süß ist die Rache." Der 
Idealist wäre für Berdoa nicht zugänglich gewesen, sondern 
nur seine Karrikatur. GothLands Verblendung und Unüber- 



— 62 — 

legtheit soll aber noch einen tieferen Grund haben: der sünd- 
hafte Mensch glaubt lieber das Böse als das Oute; in dieser 
Unklarheit liegt .für .Berdoa die Möglichkeit des letzten 
Trumpfes. Bei ganz wahnwitziger Psychologie öffnen sich doch 
verborgene Tiefen der Motivierung. Gleich Karl Moor, da er 
Franzens Brief liest, ist Gothland in dem Glauben an die 
Menschen erschüttert; wie Yngurd läßt er den Satan in das 
gewölbte Haus seiner Brust einziehen. Die Flucht der Ge- 
danken, die durch sein inneres branden, spitzt sich zu in dem 
Stichwort: Brudermord will Brudermord I — Welches Motiv 
aber der Brudermord haben soll und welchen Erfolg die Be- 
schwörungen der Gattin und Eriks erreichen würden, ist nicht 
abzusehen. Möglicherweise liegt ein Gallimathias zugrunde, 
eine der aufgepfropften Reminiszenzen, die hier falsch ange- 
wendet ist, womit allerdings der denkbar schlimmste Vorwurf 
gegen den Dichter ausgesprochen würde. 

Im Dom zu Nortal gibt Berdoa für seinen Haß gegen die 
Weißen — er ist ein Teufel aus angeborener Lust am Bösen 
und die Peitschung würde schon Motiv genug sein — noch 
eine neue Begründung durch eine Erzählung, die an Lord 
Byron erinnert. Die scheußliche Leichenschändung erfolgt 
zwar hinter der Szene, aber wir müssen ihre Wirkung wieder- 
holt erleben. Eine szenische Bemerkung malt Gothland — 
Karl Moor an der Gruft des Alten, Fiesco an Leonorens 
Leiche — : ohne Fackel, sein bloßes Schwert in der Hand, das 
Gesicht von Schrecken und Zorn entstellt, die Augen rollend. 
Es ist wie das Titelbild eines Schauerromans. Der Dichter 
scheint nun das Schwarze in dunkeln Schatten abstufen und nuan- 
cieren zu wollen und gleichzeitig nach Kontrasten zu suchen, 
wie sie toller nicht gedacht werden können. Man fühlt sich bei 
dem grauenhaft grotesken Humor oft an die amerikanischen 
Exzentric-Komiker erinnert; eine Szene mit einem derart 
ungeheuerlichen Kontrast, wie diese, in der Gothland auf 
dem Gipfel der Verblendung seinen Todfeind umarmt, in dem 
er den infernalischen Kannibalen einen zwar rohen und wil- 



- 63 - 

den, aber doch milden Sohn der kräftigen Natur nennt, konnte 
nur Grabbe schreiben. Die psychologische Wahrheit, daß, 
wenn uns etwa ein guter Freund verrät, auch ein sonst wider« 
licher Mensch wertvoll wird, soll aus dieser verrückten Karri- 
katur, in der die Tragik ins Burleske überschlägt — erkannt 
werden. Schauderhafte Wirkungen erreicht Grabbe wieder 
durch den schon bekannten technischen Kunstgriff — 

Berdoa: seyn Haupt — 

Gothland: Sey still davon! — Berdoa: seyn Haupt! — Gothland: Bei 

deiner Zunge 
Sprich Eins nicht aus! — Berdoa: — an seynem nackten Haupte, 
Das seyne Locken schon verlor, die Spur von — 
Gothland: Hör' auf mir zu erzählen, was ich weiß! 
Ich sah ja selbst, wie ihm — Berdoa: das stolze Haupt 
Zerschmettert ist vom Mörderbeil! 

Noch gräßlicher wirkt die Folter, dieser seelische Sa- 
dismus, der einen grauenvollen Einblick in die pathologische 
Psyche gewährt — wenngleich es sich auch hier nur um ein ver- 
wildertes Extrem einer echt tragischen Grausamkeit handelt — 
in dem folgenden Dialogstück, in dem sich die rethorischen 
Figuren (Klimax, Paradoxon, Litotes) häufen — Gothland: 
„ward ermordet!" Rolf: „nein, er ward nicht ermordet — a Goth- 
land (froh) : „nicht? — a Rolf (mit Schadenfreude) : „er ward 
geschlachtet!" Man erwäge, welche Rolle bei Grabbe das 
Lachen (aus Hohn, aus Verzweiflung, aus Grausamkeits~ / 
wollust) spielt, und man stößt auf die Wurzel seiner Ver- ; 
kehrung. Rolfs effektvolle Erzählung klingt an Macbeth, mehr ' 
aber noch an den 24. Februar an. Berdoa stachelt ihn und ~ 
er geht mit höchster Kühnheit und Verwegenheit vor. Noch 
kann der Trug enthüllt werden und man sollte meinen, der 
Mohr würde schmeicheln und zittern. Aber Gothland ver- 
sperrt sich selbst den Weg. Es ist eine Häufung von tra- 
gischer Ironie. Noch einmal hängt alles in der Schwebe, als 
Gothland in unmotivierter Plötzlichkeit Rolf in die Gruft wirft, 
während Berdoa kein Fingerchen rührt, ihn zu retten. Das ' 
wilde Zickzack dieser tollen, auf die Spitze getriebenen Dia- 



s 



- 64 — 

lektik sollte doch nicht die intensive Steigerung und Kraft bei 
diesem Primaner verkennen lassen. Die Bosheit triumphiert 
auf der ganzen Linie und der Ehrliche steht verhöhnt und 
lächerlich da. 

Nachdem das Motiv der Verblendung aus- 
geschöpft und Gothland-Othello das Opfer Berdoa-Jagos 
geworden ist, wird ein anderer Zug der Hand- 
lung fortgesetzt. Der wilde triebhafte Oothland wird wieder 
vernünftig und korrekt: er, der sich eben an Rolf gerächt hat, 
will sich nicht rächen, er der bereits am Himmel verzweifelt, 
will das Gericht anrufen: Gerechtigkeit — und wenn derWelt- 
^ bau bricht! Er erscheint als westfälische Kohlhas-Natur. Aber 

Kohlhas ist in seiner persönlichen Ehre verletzt; Karl Moor 
wird von seinem Bruder verstoßen; hier aber ist doch nur 
ein Dritter das Opfer. — Wenn die Unmöglichkeit der Moti- 
vierung, die psychologischen Ungeheuerlichkeiten, die Häu- 
fungen in dieser immer wieder umgearbeiteten und erweiterten 
Tragödie, die Schiefheiten und Fehler der Entwickelungen den 
Anfänger deutlich verraten, so blitzen doch hinter der Karri- 
katur höchst originelle Züge in der Zeichnung des Mohren 
auf; wilde, rohe Kraft paart sich mit einem diabolischen 
Hyänen witz. 
II i. 2. Der zweite Akt enthält das Gericht. Ein Auftakt moti- 

viert, warum Arboga, das blutrünstige Scheusal, das grinsend 
seinen Mord an Sture zugibt, später zu Gothland abfällt. Wie- 
der ist bei der Zeichnung des Kanzlers das Schwanken zwi- 
schen übermäßigem Gefühl und unmäßiger Tierheit, zwischen 
Reflexion und Natur charakteristisch. Das doppelzüngige Hin- 
und Her mit dem hastig lauernden Kolorit in dem Gespräche, 
zwischen dem arglosen Kanzler und dem mit Argwohn ge- 
ladenen Theodor — man denkt an dieKleistsche Müßverst&ndnis- 
tragödie — ist noch nicht zu Ende, als der König naht. 
Auch hier täuscht uns Grabbe mit einer absichtlich unruhigen 
Dialektik über die Unnatürlichkeit der Fabel, in der gerade 
geschieht, was bei natürlicher Besonnenheit nicht geschehen 



— G5 — 

würde. Die Fäden verwirren sich vollständig, weil Orabbe 
wieder zuviel gewollt hat Der Kanzler und Holm könnten 
den ganzen Trug zerstören, wenn man sie zu Worte 
kommen ließe. Eine Kette von schweren Verdachtsgründen 
— aber nur ein schlechter Zeuge. Die Sache fällt Es ist ge- 
wissermaßen eine Korrektur zu Gothland: dieser läßt sich 
von Berdoa unglaublich täuschen, der Idealist aber durchschaut 
Berdoa ebenso grundlos; der Oute erkennt das Böse ohne Be- 
weise, der Sundige glaubt dem Bösen allzuleicht Ein anderes- 
Urteil des Königs paßt nicht in den Plan und doch darf er 
wieder nicht ganz ungerecht erscheinen; aber auch Gothland 
soll nicht nur Brudermörder werden, er muß sich auch mit 
der Staatsgewalt fiberwerfen. Denn Orabbe will außer 
einer Familientragödie — in maßloser Häufung, aber auch 
mit Erschleichung des Hohen, den Schein des Tiefsinns vor- 
täuschend — noch eine Haupt- und Staatsaktion weiterfuhren; 
deshalb wird für den Idealisten in Gothland in aller Eile 
noch ein Problem aufgeworfen: „Erdenkönige sind Menschen 
und wollen Götter spielen!" Um so mehr gerät Gothland ganz 
in den Bann seines Mephisto; an die Tränen Berdoas glaubte 
er, aber des Bruders Weichheit erscheint ihm als Heuchelei, 
und wie wilde Tiere fallen sich beide an. — Die Tra- 
gödie der Verkehrung: der rechtsuchende Ankläger 
wird der Verurteilte und Theodor steht als Brudermörder und 
Verräter da. Die naheliegendsten Aufklärungen unterbleiben 
in höchst verhängnisvoller Weise. Durch eine Kette unerhörter 
Mißverständnisse ist Gothland, der vergebens auf gesetzlichem 
Wege Recht suchte, außerhalb der natürlichen Ordnung ge- 
drängt. Das passiert dem Mann mit dem peinlichsten Recht- 
gefühl, der nun zur Blutrache sich entschließt — in einem 
Monolog, in dem die Gedanken Karl Moors wie die Bekennt- 
nisse der sich befreienden Schweizereidgenossen und das bib- 
lische »Auge um Auge" deutlich wiederzuerkennen sind. Nun 
ist die Auffassung der Blutrache widerspruchsvoll: für die 
Finnen ist sie ein Recht, aber die Schweden stehen auf einer 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 5 



- 66 — 

höheren Kulturstufe. Dennoch erkennt der alte Gothland, der 
sich Theodor versagte und sich um Friedrich nicht weiter ge- 
kümmert hat, die Pflicht der Blutrache an, als Theodor den 
Kanzler im Duell getötet hat. Die furchtbaren Fehler dieser 
gewaltsamen Motivierung sucht Orabbe durch ihm eigentum- 
liche Mittel abzuhelfen: durch Arbogas Einwände, durch des 
sterbenden Kanzlers Bekenntnis seiner Unschuld u. a. Goth- 
land wird nun gebannt — in einer Szene, in der mit den Stür- 
mern und Drängern in alttestamentlicher Sprache das Band 
zwischen Vater und Sohn zerrissen wird. Der alte Gothland 
hat eine lange Ahnenreihe, aus der als letzter Müllners Basil 
hervorgehoben sei. Die eigenen Töne werden fast ganz durch 
Reminiszenzen erdrückt. — Wie einfach nimmt sich die Expo- 
sition einer „Ahnfrau", einer „Familie Schroffenstein" gegen- 
über dem komplizierten Stufenbau dieses in Widersprüchen 
auseinanderklaffenden Fundamentes aus! 

III 1. Man sollte nun annehmen, daß der weitere Verlauf der 

Tragödie nach der allmählichen Enthüllung die Sühne Goth- 
lands brächte, — diese Enthüllung erfolgt ganz plötzlich und 
ohne Vorbereitung. Gothland ist, da er sich mit Berdoa ein- 
ließ, fast wider Willen — wie Wallenstein, oder auch wie 
Coriolan — zum Verräter geworden und zu den Finnen ge- 
gangen, ohne daß man sieht, was Berdoas Rachsucht davon 
hat. Rolf ist den Schlangen des Grabgewölbes und dem Hunger- 
tod entronnen und erzählt nun aus Gewissensbissen Gothland 
die Wahrheit, obwohl er dadurch seinen Tod — Gothland han- 
delt wie Othello — provoziert; im Grunde ist er ein Opfer 
Berdoas, dem gleich zu werden er nicht schurkisch genug ist; 
ein verhängnisvolles: Zu spät! Es tobt nun im Innern Goth- 
lands eine Schlacht, die eine Strecke von 350 Versen aus- 
füllt; er benutzt eine gefährliche Lage, um die Finnen zu 
verdrängen und sich selbst an die Heeresspitze zu bringen; 
zu seinen ersten Feinden gehört der greise Vater; während 
er aber noch nicht wagt, das Leben des greisen Er- 



- 67 — 

zeugers anzutasten, setzt Berdoa sein Rachewerk fort, indem 
er Qothlands Sohn Gustav verdirbt. 

Es ist ein monströses Unikum — diese Szene, die fast 
dem Umfang von zwei Akten in späteren Stücken gleichkommt. 
Man vergleiche die wortreichen Rasereien dieser ausschwei- 
fenden Phantastik mit den Lakonismen des späteren Orabbe. 
Suchen wir einen Pfad durch diesen Urwald mit seiner tro- 
pischen Bilderfülle. — Gothland steht an einer Sonnenwende, 
während ein Ozean von Schmerz in ihm brandet. „Höchst 
gerecht glaubt ich zu handeln und ermordete den frevelfreien 
Bruder!" Nun stoßen wir auf das Grundthema: Wie sühnt 
man Schuld? durch Beten und Büßen? Nimmermehr I darum 
kann er nicht bereuen: der Neger, der Zufall, das Geschick 
sind daran Schuld. Die Sophistik des Trugschlusses ist sehr 
durchsichtig; der Neger ist Schuld und niemand anders. — 
Auch der Protestant Oerindur, bei dem die Sache anders liegt, 
verschmäit den Trost der Kirche: ein Wort erlöst nicht 
Müllners Hugo denkt anfangs ans Schaff ot wie Karl Moor; 
weiter: sich durch Taten zu entladen, durch Hochverrat und 
Völkermord; zuletzt stirbt er durch Selbstmord. Aber auch 
er hat — mit etwas mehr Grund — die Entschuldigung: „ich 
bin bös nicht von Natur, wahrlich nicht, allein das Schicksal, 
führt auf böse Wege mich!" 

Gothland — Grabbe lehnt die Lösung Müllners und Schiller 
ab. Er will jetzt bleiben, was er ist, will sich wie Richard III. 
auswirken, wie ihn das Schicksal geschaffen hat Der Malstrom, 
den niemand überwindet, hat ihn an den Strand der Hölle se- 
tragen. Wenn aber das Geschick ihn so gemacht hat, m 
er in seinem Schicksal das Walten des Weltgesetzes erblicken; 
so betäubt er sein Gewissen, indem er die Sterne für seine 
Schuld verantwortlich macht. Nun hat Grabbe das Thema ge- 
funden, daran sich seine Verbitterung und Enttäuschung aus- 
rasen kann. Und nun folgt unter Donner, Meeresrauschen, 
Sturmgeheul und Kriegsmusik in wild leidenschaftlicher Dekla- 
mation die toll großartige Wel tv er wün s c h u n g, während der 





-. 68 — 

Mohr hohnlachender Zeuge ist und die Rachewollust Berdoas 
diesem „Konzert der Verzweiflung" noch eine besonders 
schauervolle Intensität leiht Der letztere Effekt ist Orabbe eigen. 
Der Mensch ist beschränkt an Qeist und Herz geschaffen 
oder — wie Oothland — mit Verblendung geschlagen, weil 
er des Bösen Beute werden soll. Es gibt keinen gütigen Gott, 
allmächtiger Wahnsinn regiert die Welt und allmächtige Bos- 
heit lenkt den Erdkreis; Verzweiflung ist der wahre Gottes- 
dienst In Wahnsinn und Dummheit verblendet, mit rag* 
messener Schmerzfähigkeit ausgestattet, irrt der Mensch durch 
das Leben und darnach erwartet ihn die Hölle mit ihren 
Martern. Alles Leben lebt vom Mord. Es ist, als ob man 
ein Kapitel aus Schopenhauer läse, und man hat darauf auf- 
merksam gemacht, daß die „Welt als Wille und Vorstellung" 
ungefähr gleichzeitig entstanden ist Die verstiegene Meta- 
physik des Renegaten der Theologie verschafft sich anders 
Ausdruck als die Wut des verzweifelten Gothlands, dem die 
Natur sich zu Fratzen und Grimassen verzerrt; der Himmels- 
bogen erscheint als riesiges Henkerrad, die Sonne als eiternde 
Pestbeule grinst höhnisch, wenn sie ihre Mordmilch vergibt 
/Das persönliche Pathos klingt hindurch, es ist die radikalste 
r*~ttonsequenz des grausamen Schicksalsbegriffs der damaligen 
Dramatik; der Gehalt aller pessimistischen Dichtungen der 
Weltliteratur soll hier konzentriert werden: der rasende Lear 
auf der Heide; Karl Moors wilde Verzweiflung über die 
elende Krokodilbrut; und auch Fausts Fluch: „Ausgelöscht 
die Leuchttürme des Lebens — Liebe, Hoffnung, Ruhm, Tu- 
gend — sie sind der Tränen nicht wert." Wie muß es in 
dieser Seele ausgesehen haben, aus deren nachtdüsteren Tiefen 
ein solches Pandämonium, eine solche Religion des Pansa- 
tanismus, eine - solche Götzendämmerungs - Phantasie ge- 
boren wurde! Wessen Gram so voll Emphase ertönt, wer so 
mit satanischer Logik alles Tröstende bis zum letzten Rest 
auflösen, wer mit so zynischer Erdgeistgesinnung sein reli- 
giöses Sehnen, sein metaphysisches Bedürfnis zu zerstören 



— 69 - 

vermag, dessen Inneres muß von grellen Dissonanzen zerrissen 
in einem Zerstörungsprozeß sich dahin verirren, wo kein 
Lichtstrahl mehr hindringt und wo die Nacht des Wahn- 
sinns dämmert. Diese wimmernden Naturlaute, dieses ver- 
zweifelte Aufschreien in höchster Angst, diese wilden Schmerz- 
akzente, sie offenbaren eine nach innen gerichtete Grausam- 
keit, eine raffinierte Wollust der Selbstzerfleischung, die in 
einer totkranken Seele zuckt. Man denkt an Tiecks Warnung: 
dem Zerstörungsprozeß des Lebens nachzugeben, der sich 
unter der Maske der geborenen Feindin, der Poesie, aufdringt. 
Dabei überschlägt sich der Schmerz in konvulsivischen Zuckun- 
gen, in epileptischen Krämpfen. Wir haben Vergleiche von 
einer kühnen Kraft und einer prachtvollen Plastik, wie sie 
Orabbe später nie mehr so gelungen sind, z. B«: 
Du Himmel darfst mich nicht verdammen, 
Du selber schmiedest aus des Sommers Flammen, 
Dicht unter Deinem blau gewölbten Sitz, 
Den schwefelsprühenden Blitzt 
Du tust ihn an mit rotem Prachtgefieder, 
Du lehrst ihn seine Donnerlieder, 
Du leihst ihm turmeinschmetternde Gewalt, 
Räumst ihm das Weltrund zum Versengen ein — 
Da flammt die Stadt, die Feuerglocke schallt, 
Und lachend jauchzt der Donner hinterdrein! 
Daneben die ungeheuerlichsten Verzerrungen, die verrück« 
testen Kombinationen, die an die Fieberphantasien eines Ver- 
gifteten erinnern: 

Ei! mordet jene schwörende, gift- 
geschwollene, aufgebrochene, eiternde 

Pestbeule, die Ihr Sonne nennt — nicht auch? 

und zärtlich wie 'ne Mutter, brütet sie 
die lieben Krokodile aus den Eiern. 
(Übrigens fällt Gothland dabei ganz aus der Rolle. Denn 
dieses Bild paßt auch nur wie das „Brandmal der Sahara a 
für Berdoa und gehört nach Afrika und nicht nach Norwegen.) 



— 70 - 

— Der ungeheure Flug erlahmt plötzlich und es folgt ein Nie- 
derstürzen in den tiefsten Kot; die gewaltigen in die Höhe 
strebenden Linien zerfließen und zerbrechen und ringeln sich 
in seltsam grotesken Gebilden; die Metaphysik der Sünde 
verbindet abstrakte Verstiegenheit mit Zuchthauserinnerungen; 
der Adler wühlt in Würmern; das Gleichnis vom kreisenden 
Berg und den winzigen Mäuschen wird ins Bizarre gewendet. 
Ganz unmöglich, absonderlich berührt dabei die literarische 
Anspielung, die den Gegensatz «des antiken und modernen 
Schicksals gegenüberstellt „Unnatürliche Laster, künstliche 
Reflexionen, schwächlich verzerrte Naturen a sind nach Wolf- 
gang Menzel (Morgenblatt 1826) die Signatur der neueren 
Tragödie, von der Grabbe in so weit keine Ausnahme bildet. 
Wenn aber Menzel weiter fordert: „am Schuldigen müssen wir 
die kühne Größe, bei dem Opfer den Wert bewundern" und 
das Große und Schöne bei dem Wirt in Werners 24. Februar oder 
bei dem Schwächling Oerindur vermißt, so ragt der Gothland- 
dichter über seine Konkurrenten hervor. Hier eröffnet sich Grabbe 
eine neue Welt, deren Obereinstimmung mit modernen Ten- 
denzen wir umsomehr hervorheben müssen, weil Grabbe nach 
Abbruch aller theologischen Beziehungen, nach Verleugnen des 
theologischen Vorsehungsglaubens eine neue Moral sucht, die 
den ethischen Kern aller seiner Helden bis zu einem gewissen 
Zeitpunkt umschließt. Resignation war keine Lösung für einen 
energisch wollenden revolutionären Charakter. Der große Ver- 
brecher fühlt die Kraft in sich, statt die Schuld durch den Tod 
reuig zu sühnen, sich trotzig auf sich selbst zu stellen. Schon 
Kliqger hatte das Entmannende des Schicksalsbegriffes schließ- 
lich abgewehrt, aber er hatte einen Weg ins Menschliche gefun- 
den. Bei Grabbe aber kommt der starre Trotz, die riesenhafte 
Widerspenstigkeit seines inneren Wesens zum Vorschein. Denn 
er ist einer, der in der Welt nicht zurecht kommt und der 
sich doch nicht unterkriegen lassen will. Der Zuchtmeisters- 
sohn hatte Einblicke in das Seelenleben manches Verbrechers, 
manches Geächteten der Gesellschaft getan und vermochte sich 



- 71 — 

darin einzufühlen. Auch ihm ward die Versöhnung mit dem 
Leben versagt und so sucht er in verwegener Konsequenz 
und fanatischer Einseitigkeit Befriedigung. Orabbe wagt sich, 
nachdem er in der Exposition Brudermord (Sturm und Drang) , 
Rechtsverletzung (Kohlhas), Verblendung (Othello), als tra- 
gische Motive berührt hat, an ein neues Problem, das tra- 
gische Problem an sich: mit der Ehrlichkeit kommt man in 
dieser Welt der Bösheit und Dummheit nicht aus; passiv 
leiden unter dem Geschick ist die religiöse Weisheit; Moral 
und Religion lehnt er ab, weil er über seinem Unglück den 
Glauben verlor. Die innere Größe will er durch die äußere 
ersetzen; das Rachemotiv tritt zurück« Grabbe hat scharfe 
Formulierungen und neue Gesichtspunkte, die aber aus einem 
verworrenen Wust von unglaublichen Motivierungen und 
Widersprüchen herausgelesen werden müssen. Der psy- 
chische Zerstorungsprozeß eines früher edlen, vom Schicksal 
betrogenen glaubenslosen Menschen, konnte die eigenen Lebens- 
erfahrungen und religiösen Kämpfe am besten veranschaulichen. 
Um diesen mehr gedanklich novellistischen Vorwurf drama- 
tisch auszugestalten, bedurfte es weiterhin Berdoas und einer 
Nebenhandlung, deren Held Gustav ist Der Portschritt des 
inneren Zerstörungsprozesses wird durch retardierende Momente 
aufgehalten; Gothland fühlt sein „zerrissenes Herz" im Auf- 
tauchen flüchtiger Rührung: „oh, hier sind traurige Ruinen." Er 
läßt den Vater leben in einer Szene, die an Hildebrand und Hadu- 
brand und wieder an Ossian erinnert; und dabei werden 
gleichzeitig Franz Moorsche Zynismen über Kinderzeugung 
eingeflochten. Er verdrängt Berdoa durch allerhand Verräte- 
reien und durch eine Rede, die Berdoa nach Art Richards III. 
durch Trommeln zu übertäuben sucht. Er gewinnt das Spiel, 
aber Berdoas Ohnmacht stimmt den Pöbel wieder mitleidig 
und Gothland läßt ihn nach einer drollig spitzbübigen Logik 
aus Großmut leben. Dieses Aufschieben auf geringfügige 
Gründe hin spielt eine große Rolle in Grabbes Technik z. B. 
auch in Don Juan und Faust. Das Doppel-Ich tritt wieder 



— 72 — 

in sonderbarstem Kontrast hervor: das eine Ich siegt durch 
List und Grausamkeit, Oothland zertritt den Ring seiner Ge- 
mahlin, um alles Menschliche abzutun — unangenehm deutlich 
wirkt diese Reminiszenz an Schillers Taucher und an den 
Branntwein Richards III. In dem andern Ich liegt die 
Idee des Stackes: Gothland will einer von den großen Ärzten 
der Menschheit werden, einer von den Attilas, Sullas, Cäsars. 
Wieder wird ein fremdes Reis aufgepfropft, wenn Gothland 
wie Napoleon und Yngurd den Völkermord als Königsrecht 
konstituiert. Gothland ist abstrakt verstiegen — sein Lebens- 
blut wird von anders woher zusammengepumpt — , in seiner 
bestialischen Grausamkeit wird er aber Berdoa so ähnlich, 
daß des Dichters Gehirn schon ausgesuchte Tollheiten für den 
Mohren ausbrüten muß. 

Berdoa, der ein Branntweinglas gefressen, „als wäre es 
Gothlands Herz", tummelt seinen afrikanisch exotischen Pegasus 
in einem dreistrophigen grell kolorierten Rachegebet, das mit 
Amen schließt. Sein frommer Wunsch geht in Erfüllung; kaum 
hat er gelobt, Gothlands Samen zu vergiften, so erscheint 
Gustav, der von seinem Vater bisher keinen guten Begriff be- 
kommen konnte. Nach dem Blutrausch befriedigt sich Geilheit in 
der Wollust einen unverdorbenen empfindsamen Jungen zu ver- 
derben, indem Berdoa ihn am Edelsten anknüpfend in den Pfuhl 
der Gemeinheit herabreißt. Auf der einen Seite Franz Moor, auf 
der anderen Klopstock, dessen 1824 bevorstehendes Jubiläum 
der literarischen Satire auf die Empfindsamkeit besondern 
Nachdruck verleiht. Die Auffassung der Erotik übertrumpft 
noch den Thersites in Troilus und Cressida. Und wieder möchte 
man glauben, daß niedrige Spelunken, erfüllt von rohem Volk, 
das — etwa noch besonders gereizt durch ein harmloses 
naives Gemüt in seiner Mitte — unter wieherndem Gelächter 
um die Wette Zoten reißt, die Brutstätte solcher Eingebungen 
geworden. Der ganze Bockgestank Berdoas wird ruchbar, 
diabolische Laune, Zote, Bordellpoesie. Durch den Pfuhl des 
Scheußlichen, Gemeinen, Perversen schleppt uns der Dichter, 



— 73 — 

so daß er selbst in Streichungen einwilligte. Trotzdem wollen 
wir den Dichter ganz kennen. 

In merkwürdiger Proportionierung werden in der folgen- III % 
den kurzen Szene die Fäden der drei Handlungen ohne innere 
Verwebung nebeneinander weiter gesponnen. Die Lichtseiten 
verkümmern gegen die Poesie der Hölle. Holm bringt das Motto 
des geschlagenen Idealisten: „wer Unrecht hat, hat Glück. u 
Holm will beim hochherzigen Volk der Deutschen, der alte 
Gothland in Norwegs Tälern, der König in Rußland Heere 
sammeln und am 1. Mai wollen sie sich wieder treffen. — 
Berdoa hat Erfolg mit Gustav. — Gothland ist König von 
Schweden. Aber er vernichtet das Glück des Landmannes, 
weil er friedlos ist Trotzdem fleht er die „göttlichen 
Mächte" um langes Leben an! Das hat doch nur Sinn, wenn 
er sich vor dem Gericht nach dem Tode fürchtet. Furcht ist 
der Kern dieser Religion, Angst vor der Hölle. Das gilt für 
die Stimmung, die das Schicksalsdrama verbreitet und die 
in Grabbe selbst nachzittert. Ohne Aberglaube darf Gothland 
nicht gedacht werden, dem Blitz und Donner auf die Nerven 
fallen. 

Das ist auch der Obergangsgedanke zum vierten Akt IV 1. 
Gewissenangst raubt Gothland, dem Brudermörder, den 
Schlummer wie Richard III. Der Traum Franz Moors 
wird ins Häßliche, Groteske verzerrt: die Sterne sind wie 
Fische in den Netzen, die Zunge gleicht einer Brillenschlange 
und eine ungeheure Spinne mit 100000 Füßen und einem Men- 
schenantlitz saugt ihm die Brust aus. Gothland läßt den Mohren 
rufen, der noch schuldiger ist und doch nichts bereut Er gleicht 
dem Kranken, der in unheilbarer Krankheit statt zum Arzt 
zu den spitzbübischen Kurpfuschern läuft, die ihn dann ganz 
vergiften und verderben. Eine Zeitlang tut Berdoa Gothland 
den Gefallen, um ihm dann um so sicherer den tätlichen Gift- 
stachel ins Fleisch zu bohren. Es beginnt ein Gespräch über 
die Unsterblichkeit in den barocken Sprüngen einer tollen, hart 
die Grenze des Normalen streifenden Dialektik, bei der die 



— 74 - 

Obergänge höchst aberteuerlich, die Einzelheiten aber oft sehr 
scharf und von logischer Schlagkraft sind. Kinderweisheit, 
Pöbelfurcht! ruft Franz Moor, der den Pastor Moser zu seiner 
Beruhigung bestellt Nur die Todesangst erfindet die Unsterb- 
lichkeit — sagt Gothland, dessen Materialismus aber durch 
Gespensterfurcht über den Haufen geworfen wird. Kriminal- 
roman, amerikanischer Zirkus — und Metaphysik, die auch 
Berdoa studiert hat Brunooischer Pantheismus gegen ato- 
mistischen Materialismus, wie im Hamlet. Wie aber Hamlets 
weither geholte Gleichnisse, fernliegende Einfälle, spöttisch 
rätselhafte Wendungen in Grabbe sich verzerren, beweise nur 
das eine Schlußwort: Ja wir sind Läuse ! a Die romantische 
Ironie wird zur Buffonerie. Eine hoch aufgeblasene Wahrheit 
schrumpft plötzlich zusammen zu einem quäckeoden runzeligen 
Etwas. So denkt Grabbe bei dem ewigen Gestirn, dem Symbol 
des Unvergänglichen, sofort an Zerfall und Verwesung. Goth- 
land, dessen Todesangst sich zum Materialismus flüchtete, oder 
zu dem Kismeth des Islams, der kein Jenseits kannte, schreit 
auf: „Ein Palast der Stürme ist mein Haupt**. 

Er hat es noch nicht so weit gebracht, wie Berdoa oder 
Arboga, der sich überhaupt nicht um die Unsterblichkeit küm- 
mert. Man möchte noch hoffen, daß das Spiel Cäcilias, die 
in einem Romanzenkranz zur Reue, zur Umkehr zum Hei- 
land mahnt: — wie David den Saul — Gothlands Ver- 
düsterung erhellen könne. Aber in grassen Dissonanzen 
schreit die romantische Ironie auf, wenn Gothland gegen den 
frechen Lügner der Erinnerung ausschlägt, die ihm Kindheit, 
Vaterhaus, Mutter in falscher Illusion zeigt. Alle Empfind- 
samkeit ist verlogen, die Wirklichkeit ist gemein. Diese un- 
menschliche Zerrissenheit ist ebenso Grabbisch, wie die Häu- 
fung der Reminiszenzen an Yngurd, Don Carlos, Romeo und 
Julia für die Gustav-Handlung. Grabbe fällt wieder zu viel 
ein. Während Gothland in den Eltern seine nahe Rettung fort- 
stößt, verliert er auch seinen Sohn. Es ist wieder eine Szene 
voll von diabolischer Laune und verwegenem Humor. Das 



r*Mi^ 



- 75 - 

Raubtier Berdoa kann auch humoristisch werden: „ein echter 
Mohr muß aussehen, wie ein blank gewichster Stiefer; leider 
kann er auch abstrakt werden in seiner Religion der Hölle: 
sie ist aus allerlei Lesefrüchten zusammengeborgt, aber Qrabbe 
hat eine besondere Witterung für alle möglichen verborgenen 
Gifte; die Quintessenz der Weisheit von Jago und Mephisto; 
die Obermenschenweisheit ins Satanische gewendet. Gustav 
wird nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verdorben; 
wie ein irre geleiteter verdorbener Knabe durch mißverstan- 
dene Nietzche-Lektüre. Der verblendete Gothland führt das 
verderbliche Werk zu Ende: bereue nicht — sei hart! Aber 
es ist die Nemesis, die tragische Ironie, daß ein schlechtes 
Mittel nicht, wie beabsichtigt, Gustav von einer unpolitischen 
Liebschaft abwendet, sondern die schlechte Wirkung hat, daß 
der Sjphn die Lehre des Vaters gegen diesen selbst kehrt. 
Gothland liefert selbst die totlichen Waffen und er schiebt die 
Schuld auf den Mohren, wiewohl er selbst schuldig ist. — 
Damit ist der Obergang zur folgenden Szene gefunden: Ein IV x 
wüstes Punschgelage mit Dirnen und Schlachtliedern in einer 
sehr bunten Metrik — ein Seitenstück zu Scherz-Satire III 1 

— bis Gothland in einen Mantel gehüllt eintritt; trotzige kurze 
Antworten, dann wild verzerrte Ironie: Der Mohr soll ge- 
fesselt, Gustav gepeitscht werden. Für den gefesselten Mohren 
wird eine neue Person eingeführt: der rothaarige Zuchthaus- 
bruder Tocke, der Vater und Schwester mordete. „Pah, mein 
Vater war ein Esel! a Gothland: „Dieser Schurke kommt mir 
vor wie eine Parodie auf mich." Solche Doppelgängerei ist 
auch in Shakespeares Technik beliebt; hier kommt hinzu die 
romantisch-halluzinatorische Ich- Verdoppelung, man denke ins- 
besondere an Hoffmannsr Pater Medardus. — Der Mohr und seine 
Gruppe treten zurück. In einer sehr gewagten Kombination 

— was Ort und Zeit betrifft — werden die übrigen drei Par- IV 3. 4. 
teien zusammengeführt. Die Stimmung der nordischen Land- 
schaft (Yngurd) wird ausgeschöpft, eine Szene aus Arnims 
Kronenwächtern benutzt, ein Lokal aus der Schicksalstragö- 



- 76 — 

die verwendet. Oedipus und Antigore vergleichbar, irren 
Cäcilia und Skiold durch den Schnee, in ihrem idealen Hoffen 
im Unglück ein Oegenbild zu Gothland. Sternennacht, Welt- 
untergangsvisionen — das ganze Arsenal, aus dem die Tra- 
giker das eine oder andere Mittel zur Verstärkung der Innern 
Wirkung geholt haben, muß ausgeplündert werden. Cäcilia 
erfriert in derselben Hütte, in der der alte Oothland sich ein- 
findet und in der Theodor Obdach sucht. Die Leiche einer 
edlen Frau, zwei Greise die sich in der Dämmerung zuerst 
nicht erkennen, Gothland, der vor Grauen wehrlos ist wie ein 
Huhn, das abgeschlachtet werden soll, der nicht weiß, ob er 
gräßlich träumt — der Dichter .sucht den Schein einer grauen- 
vollen Fantasmagorie in den im Dunkel verschwimmenden Ge- 
stalten festzuhalten — der sich in einem Klumpen zusammen- 
rollt, in eine Stubenecke verkriecht, dann, in wahnsinniger 
Angst von des Alten Fluch verfolgt, mit ungeheurer Schnellig- 
keit, wild von seinem Haar umflogen, im Mondeslicht über 
den Rücken der Berge dahineilt — es ist eine malierische, 
die romantische Stimmung der Situation ausschöpfenden Szenen. 
Der am stärksten an die Romantik erinnernde vierte Akt — 
wie gewöhnlich reich an retardierenden Momenten — läßt 
keine Katastrophe als notwendiges Ergebnis vermuten. Irgend 
ein Zufall kann die Schwarzwildbretjagd beenden oder ein 
Sieg des Königs, der zuletzt neu gerüstet erscheint. 
V i. % Gothland ist in ein paar Stunden vor Grauen schneeweiß 

und schwach geworden, er hat den Mohren leben lassen, da- 
mit er die Finnen gegen ihn hetzen kann; er läßt sie jetzt 
niedermetzeln. Arboga ist das, was Gothland noch werden 
kann, Tocke das, was er ist. Die Umstände verketten und 
kreuzen sich so, daß Gustav den Vater verrät und den Moh- 
ren gerade vor der Hinrichtung rettet, der außer sich vor 
Freude über sein Erziehungsresultat ist. Gothland handelt nicht 
nur so würdelos wie möglich, sondern auch die un- 
motivierten Scheußlichkeiten — er mordet den treuen Erik, 
den einzigen Menschen den er hat, mit den dem Bramarbas 



— 77 — 

eines Kasperletheaters würdigen Worten: das ist mir einer- 
lei! — beweisen den Marasmus des Helden, der auch den Ver- 
stand verloren zu haben scheint Er wird so verächtlich, daß 
er Arboga verrät, um sich zu retten — auch das schlägt zu 
seinem Verderben aus — und er liegt, gänzlich isoliert, wehr- 
los zu Berdoas Füßen. 

Noch einen letzten Trumpf kann Berdoa ausspielen: Va. 
er vergiftet Qothlands Gedanken ins Schlimme, verkehrt 
die Verkehrungen noch einmal. Der Wahn, dureh das 
Schicksal Verbrecher geworden zu sein, war Qothlands 
letztes Glück. Berdoa zeigt die Entstehung dieses Wahns: er 
glaubte das Böse lieber als das Oute und verzweifeln ist 
leichter als bereuen. Dann aber hat Oothland zu allen Un- 
taten die schwerste Sünde hinzugefügt: die Blasphemie mit 
Bewußtsein. Wenn Oothland betet, erkennt er das an, und 
die völlige Sinnlosigkeit seines Tuns muß der gräßlichste 
Schmerz sein, den er noch erleiden kann. Qrabbe hat wieder 
einen Doppelzweck: er will die Flammen dämpfen d. h. die 
furchtbaren Anklagen des Monologs sind nicht das Wesen der 
Welt, sie sind Gotteslästerungen eines sündhaften Menschen; 
Gothland war von Hause aus schwach; das Trachten des 
menschlichen Herzens ist böse und das sündhafte Handeln 
belastet nicht die Gottheit; wer gegen die eigenen bösen Triebe 
blind ist, ist immer und überall verblendet. So hat der Dichter 
es nachträglich in seiner Anmerkung darstellen wollen. So- 
dann aber erlebt die Bosheit Berdoas, die Schadenfreude des 
Satans den höchsten Triumph, wenn sein Werk so herr- 
lich gelungen ist, daß sein Opfer noch das Rechte zu tun 
glaubte. Neben dem Grauenhaften das Groteske. Es ist ein 
fürchterlicher Scherz Berdoas, Gothland, der öfters Könige Vi 
und Verbrecher verglich, neben Tocke zu ketten, unter ihm 
erniedrigt, gleichsam eine Folie für seine Schadenfreude. 
Fürchterlicheres, Quälenderes ist schlechterdings nicht aus« 
zugrübeln. Da zerbricht Qothlands Stolz — „heiß und 
unaufhaltsam wie geschmolzenes Blei rinnts über seine 



— 78 — 

Wange". So schildert Lear, der gefallene König, der mit 
Narren, Verunglückten, Zerbrochenen über die Heide rast, 
höchstes Elend, „gebunden auf ein Rad, ein Feuer, das 
meine Tränen erhitzt wie glühendes Blei!" — Wilde bestia- 
lische Rachebrunst, ein Obermaß von Erniedrigung beseelt Goth- 
land mit derselben Kraft, die die Jungfrau von Orleans ihre 
Ketten sprengen ließ und die Schwarzwildbretjagd — man 
kann das ganze Thema des Stückes so bezeichnen — prosti- 

V5. tuiert die Bretter; auch hier wird ein großes .Vorbild im 
Hohlspiegel einer ungeheuerlich verzerrenden Phantasie ab- 
gebildet: Homers Hektor und Achilles und Kleists Penthe- 
silea, das wildeste und gewagteste seiner Dramen. Die Kurio- 
sität verdient hervorgehoben zu werden, daß Berdoa noch im 
letzten Augenblick eine literarische Anspielung auf die eben 
erscheinenden Argonauten Grillparzers macht, die ihn ange- 
regt haben, Gustav zu morden. — Der Schwedensieg ist leicht, 
denn Gothland hat sich durch seine Verrätereien aller An- 

Ve. hänger beraubt. Der Degenstich Arbogas — man vergleiche 
Wallensteins Ermordung — trifft einen innerlich Verwesten. 
Das Leidenkönnen ist noch ein Symptom von Leben, das noch 
einmal in intensiver Rachewollust sich genug tut; dann folgt 
Stupor, Apathie. Die Kraft ist vertan, bäumt sich nur noch 
in Krämpfen auf und zuletzt bleibt nur eine schale Neige. 
Halb schlafend, gähnend, in einer Art gigantischer Blasiert- 
heit stirbt Gothland; „auch an die Hölle kann man sich ge- 
wöhnen, die ist zum wenigsten was Neues". Das klingt fast 
wie eine Travestie des Hamlet-Monologs, nachdem Gothland 
schon vorher in der Naturbetrachtung — zugleich eine Paro- 
die auf den Frühlingsgruß des Könige — den düsteren Dänen- 
prinzen in gleicher Weise karrikierte wie die Grimmasse des 
Wahnsinnigen die Miene des Neurasthenikers. Der Tod hat 
nichts Versöhnendes. Es fehlt der eigentliche Abschluß, die 
Katastrophe der Tragödie. Nur zuletzt nach gräuelvollem 
Chaos ein idealer Ausblick. Der König verkündet den Früh- 
ling und eine bessere Zeit und erschütternd ertönt die Toten- 



- 79 — 

klage des alten Gothland. Verklärendes Abendrot schimmert: 
je länger man dfe menschlichen Gefühle niederringt, um 
so gewaltiger richten sie sich wieder auf! 

Immermann hat dieses Jugendwerk ein „merkwürdiges 
Dokument" genannt; die „wenigen Töne der lugubren Region" 
habe Orabbe virtuos behandelt. Tieck erkennt wahre poetische 
Kraft und große Gedanken, die aber in Seltsamkeit, Härte 
und Bizarrerie ausarten, er fühlt mit Grausen und Mitleid 
die tiefe Verzweiflung, den inneren Zerstörungsprozeß, und 
er tadelt die Unwahrscheinlichkeit der Fabel, die Unmöglich- 
keit der Motive; ganz besonders den Cynismus. Gegen letz- 
teren Vorwurf hat Grabbe eingewandt, er habe nur auf die 
verlogene Empfindsamkeit der modischen Dichtung reagiert; 
das Cynische sei ihm nicht das letzte. Die Hallesche Literatur- 
zeitung leitet die „in blendende Dialektik und funkensprühende 
Poesie gehüllte furchtbare Tendenz: alles geht unter 1" aus 
einem hochgewaltigen zerrissenen Gemüt ab, während ein 
Berliner Rezensent nüchterner meint, das Stück müsse wohl 
von einem hungerigen, malkontenten armen Teufel geschrieben 
sein. Der Cynismus und die Verzweiflung sind allerdings 
die wichtigsten biographischen Merkmale bei diesem Höllen- 
breughel unter den deutschen Dichtern. Die Blasphemie 
und die Zote sind die Signale einer in fürchterlichen Extremen 
zerrissenen Seele. Gothland ist die Tragödie der Verkehrung; 
alle Stärke schlägt ins Grausame, alles Gutgemeinte ins Bös- 
getane aus, alles Schöne und Edle gibt sich mehr oder weniger 
bei Licht besehen als etwas Gemeines. Mit einer Empfindung 
von Schauder und Mitleid schauen wir in die Seele des Un- 
glücklichen, der in einem entscheidenden Augenblick seines 
Lebens sich seiner hoffnungslos krankhaften Natur gewiß wird 
und so früh sich bankerott erklären muß. Alle Menschenliebe 
wird zum Spott, das sympathische Gefühl wird ausgerottet 
und der Mensch verkümmert, — erstarrt in der Wüste seiner 
Isolierung. Da gibt es keinen Weg zu friedlicher Gelassen- 
heit, er sucht sich eine Region, da er sich ansiedeln kann, 



— 80 — 

die es doch nirgends gibt. Was er Tieck und dem Publikum 
in seinen Vorreden von einem höheren harmonischen Stand- 
punkt erzählt, das möchte er in einer sanften Regung vielleicht 
sein, aber meist fühlt er sich doch am wohlsten in der Rolle 
des zerschmetternden Geistes, der imponieren will durch alles 
übertreffende Frechheit und Verwegenheit, wobei sich die 
wahrste und tiefste Leidenschaft, die in dem jungen Revolu- 
tionär gährt, mit der rohesten Effekthascherei oft so wunder- 
lich mischt. Er strebt zum Obermenschentum in phantasti- 
schen Ikarusflügen, ohne langsam und allmählich von sicherem 
Fundament aus zu bauen. Orabbes Freiheitsdrang ist revo- 
lutionärster Zerstörungstrieb. Er zerschmettert das Erden- 
glück und zertrümmert die Ideale. Wie ein wilder Sansculotte 
verkündet er das Chaos. „Dem bösen Geist gehört die Erde." 
Nicht nur das Unglück Grabbes auch das Pathologische 
wird uns klar. In ihm ist ein verzehrendes Etwas, das wie ein 
Krebsgift ruinierend in die tiefsten Zellgewebe eindringt In 
Bestialität,* Blutrausch, Geilheit versinkt jede edle Regung. Er 
muß das Häßliche sehen, in glücklosem Neid die Harmonie 
hassen wie der Decadent, der in grauenhafter Lust sich selbst 
verstümmelt. In unaufhaltsamem Sturz flieht er von einem Ex- 
trem ins andere; die normalen Hemmungen verkümmern, die 
Mittelglieder fallen fort. Nicht nur als dichterische Schwäche, 
sondern pathologisch wirken die falschen Töne, dieses Sichver- 
irren von einer Tonart in die andere. Oft stehen wir gebannt 
unter dem starren Blicke des Medusenhauptes der tragischen 
Muse, plötzlich verzerren sich die Züge zu einer grinsenden 
Grimasse, dahinter der unheimliche Wahnsinn lauert — 
plötzlich tritt Grabbe hervor und zeigt uns wie ein Gassen- 
junge die Zunge, oder macht uns die unanständige Reverenz 
Mephistos. Neben Bildern von intensiver Farbenglut stehen 
leere Abstraktionen, neben uroriginellen Genieblitzen läp- 
pische Stellen — wie sich sein Körper aus Extremen zusammen- 
setzte. Urechte Besessenheit und wieder aufgepfropfte Weisheit; 
bestialische Sinnlichkeit und verstiegene Phantastik. Genie und 



— 81 — 

Wahnsinn sind bei ihm nahe verwandt. Manche Bilder sind wie 
in Gehirnkrämpfen und epileptischen Zuckungen* gezeugt: er 
schrieb Gothland gepeinigt von den Schmerzen einer furchtbaren 
Krankheit. Auch neurastfienische Depressionen können 
die herrlichste Landschaft in jähem Wechsel verblassen 
und verfratzen lassen. Alkoholische Intoxikation verrät sich 
in den verrückten Phantasmagorien, besonders in den schlei- 
chenden häßlichen tückischen Tiergestalten, von denen man 
eine groteske Menagerie zusammenstellen kann. Die Ge- 
sichte Gothlands, seine Würdelosigkeit zuletzt, die wilden 
Gedankensprünge — sind in ihrem Ursprünge verdächtige In- 
spirationen. 

Der Gothlanddichter war eine Natur ohne Glück, ohne 
Schönheit, ohne Harmonie — und dennoch ein Dichter von 
bedeutenden Qualitäten. Er weiß wirklich aus der Nacht 
Funken zu schlagen, die aus der Hölle zu kommen scheinen. 
Ein Primaner hat das Stück geschrieben und unter der üppigen 
Verwilderung zeigen sich starke Potenzen: eine furiose brutale 
Kraft, die vor nichts zurückscheut; origineller, grotesker Hu- 
mor; eine wildflackernde, gehetzte, gepeitschte, ungeordnete, 
maßlos-schweifende Phantasie. Was baut er für Steigerungen, 
welch riesige Massenszenen; welcher Reichtum an Bildern 
und Ideen strömen ihm zu! Ein ungeheurer malerischer Hinter- 
grund von wildem glühendem Colorit tut sich auf, und diese 
riesige Szenerie erfüllt ein einzelner Phantast mit leidenschaft- 
lichen Deklamationen. Wohl finden wir sorgfältig gearbeitete 
Einzelheiten, aber nichts weniger als ein einheitlich durch- 
komponiertes Gemälde. 

Ohne Verarbeitung und Ordnung, ist das Ganze da- 
rum doch nicht planlos: seine Leidenschaft ist wie eine 
umsichgreifende, alles verzehrende, zuletzt in sich zu- 
sammensinkende Feuersbrunst. Für diese ungeheuer ex- 
pansive Phantasie hat Levin Schücking eine Erklärung 
aus der westfälischen Stammesart gegeben, die eine ge- 
meinsame Wurzel in den das Düstre liebenden norddeutschen 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 6 



- 82 - 

Dichtern aufdeckt und Orabbe in ein Verwandtschaftsverhält- 
nis mit Frefligrath und der Droste-Hülshoff bringt: „Jedem 
kindlichen Volke ist der Drang in die Ferne eigen, den West- 
falen zu allen Zeiten die Wanderlust; was Wunder, daß auch 
ihre Poesie diesem Triebe folgt, und statt sich mit dem Nahe- 
liegenden und den schlichten Erscheinungen ihres Alltags- 
lebens zu beschäftigen, auszieht, um das Wunderbare, das 
Große, Gewaltige, Frappante zu suchen, daß sie über das 
stille und wenig belebte Leben daheim hinaus das höchst be- 
lebte, statt der eintönigen Erscheinungen daheim die Welt der 
Phantasmagorie suchen." 

Die Fehler des Jugendwerkes liegen auf der Hand. Häufun- 
gen sind ein verzeihlicherer Jugendmangel, als die Fehler der 
Motivierung, die Ungeheuerlichkeit der Fabel. 5—6 Jahre hat 
Grabbe daran gearbeitet, und verschiedene Schichten lagern 
übereinander, ohne daß es möglich wäre, sie reinlich zu son- 
dern. Man vergleiche die verhältnismäßig einfache Exposition, 
die Intriguen Franz Moors und den Brudermord bei den Stür- 
mern und Drängern — und man erkennt die schiefe Grund- 
lage, auf der das Gebäude ruht In den beiden ersten Akten 
Gothland der betrogene Idealist, der Rechtssucher, der nir- 
gends Recht findet (Kohlhas — Motiv) , Brudermord nicht aus 
Eifersucht, aus Verblendung. Im 3. Akt ein Schicksalsdrama; 
sodann ein selbständiger Versuch ein Seelendrama zu schaf- 
fen, die herkömmlichen Lösungen des Schuldproblems abzulehnen 
und eine eigene zu suchen, die seinem eigenen inneren Trotz- 
gefühle entspricht; und wir haben die Grundidee des ganzen 
Schaffens: das Obermenschenproblem. Als Nebenhandlung: 
die Verführung Gustavs, der Tod der Cäcilia. Äußerlich ge- 
schieht wenig: die Finnen fallen in Schweden ein, sie siegen 
als Gothland sich zu ihnen gesellt; doch die Schweden kommen 
wieder und siegen; Gothland aber ist inzwischen zugrunde 
gegangen. 

Ausgeführt sind nur die Gestalten Oothlands und Berdoas. 
Dieses Doppelheldentum ist überhaupt für Grabbe charak- 



— 83 - 

teristisch. Der Impuls aus Shakespeares Naturgeschichte der 
menschlichen Leidenschaften scheint kräftiger zu wirken als 
der wortreiche Idealismus Schillers; auch Shakespeare gibt 
sich oft in den ersten drei Akten soweit aus, daß ihm die 
fallende Handlung spater Mühe macht. Nach der Theorie der 
Stürmer und Dränger ist „ein Kerl" die Hauptsache, die Hand- 
lung dann willkürlich. Aber mit seinen 17 Verwandlungen 
hat Grabbe doch die Raritätenkastentheorie nicht nachgeahmt, 
weniger, weil ihm die Bulle von den 3 Einheiten, die aristo- 
telische Reitkunst autorativ erschienen, als weil er an die Auf* 
führbarkeit dachte. Ironie, Formlosigkeit, Weltschmerz — das 
„zerrissene Herz" — stammen aus der Romantik, — Bilder« 
spräche, Buntheit, komische Szenen, eingeschlossene Lieder 
erinnern z. T. an das Schicksals-Drama, z. T. an Shakespeare. 
Außer Shakespeare, Schiller, Sturm und Drang finden sich 
dreimal Anklänge an die Antike (12, IV 3, V 5), zweimal an 
die Bibel (I 1— 112), einmal an Ossian (12) — . Der Dialog 
ist vielfach nur ein verhüllter Monolog; der Partner gibt 
öfters nur das Stichwort zu einer neuen Wendung des Haupt- 
redners. Grabbe vermeidet den Monolog durchaus nicht, wie 
etwa Kleist; gern schließt er die Szene damit ab, während 
den Anfang oft ein dialogischer Auftakt bildet. Reflexionen 
und Affekte bilden den Inhalt der Monologe; charakteristisch 
ist der große Monolog Oothlands, der durch die Hetzreden 
Berdoas teilweise dialogisiert wird. In den Massenszenen 
reiht sich gewöhnlich ein Ereignis ans andere (III 2); eine 
kunstvolle Verflechtung verschiedener Partien kommt selten 
vor (Gerichtsszene — Gelage). 

Eine bunte abwechslungsreiche Metrik ist romantischer Art. 
Werner verteidigt in der Vorrede zu der „Mutter der Macca- 
bäer" seine Verskunst: er richtet sich bald nach der musi- 
kalischen, bald nach der deklamatorischen Betonung; die innere 
Wahrheit sei ihm wichtiger als die äußere. Er liebt Trochäen, 
daneben bedient er sich auch der Jamben — mit 5 oder 6 Füßen, 

gereimter oder ungereimter. Müllner verwendet in der ent- 

6* 



— 84 - 

wickelnden Handlung der „Schuld" Trochäen, im „Yngurd" 
5 füßige zum Teil gereimte Jamben. Houwald zieht Jamben 
den Trochäen vor. Metrisch hat der „Yngurd" wohl am stärk- 
sten auf Orabbe gewirkt 

Grabbe selbst sagt vomQothland: „die Verse passen wie das 
Fell einer Hyäne." Toll und formlos genug geht es her. Unter 
den ca. 5500 Versen sind wenig Trochäen, die hyperkatalek- 
tischen Verse fiberwiegen weitaus die katalektischen; Vier- 
füßler gibt es fast dreimal so viel, als Sechsfüßler. Reime 
finden sich fast 270; im 5. Akt dagegen fehlen sie völlig. 
Monologe sind bei Orabbe vielfach gereimt (z. B. IV 1 bis 

IV 4), und zwar in den verschiedensten Kreuzungen, zum Teil 
auch in Strophenform; in I 2 enthält Qothlands Monolog 2 Stro- 
phen. IV 4 ist ein vollständiges Gedicht, in dem die Strophen 
parallel sich entsprechen. Der Dialog ist selten stichomythisch; 
sehr oft wird Anaphora und Epiphora verwandt. Der Schluß 
der Szene ist gereimt in allen Szenen des 1. und 2. Aktes, in 
der ersten Szene des dritten Aktes, in der 4. Szene des 5. 
Aktes. Die Unterschiede der Metrik in den einzelnen Akten 
sind bezeichnend für die Entstehung des Stückes; in den letzten 
Szenen sind die Verse gleichmäßiger gebaut, z. B. in der 
1. Szene sind 14 Verse katalektisch, 92 hyperkatalektisch, in 

V 3: 26 katalektisch, 30 hyperkatalektisch, dagegen überwiegen 
zuletzt die Vierfüßler, während die Zahl der Sechsfüßler 
nicht steigt. Wir haben riesige Szenen: III 1 mit 1270, IV 2 
mit 824 Versen; und sehr kurze: III 2 mit 89, V 2 mit 83 
Versen; zuletzt werden die Szenen kürzer und ebenmäßiger. 
Synalophe, Apokope, Silbenverstümmelung ist häufig (dtüd 9 
ich's Möcht' eu'r Wahn — ) ; der Hiatus selten. Die vielen En- 
jambements wirken oft störend (Cäsur vor der letzten oder 
nach der ersten Silbe des Verses) . Charakteristisch sind die 
vielen Ausrufe und Interjektionen (oho, weh, hei ho ho hussa, 
hu hähä). Die Sprache ist überreich an Antithesen und Para- 
doxen. Sehr erfolgreich wird die Litotes angewendet. Die 
Bildersprache, mit Tropen und Metaphern überreich geschmückt, 



- 85 — 

hat wenig ausgeführte Vergleiche. Grabbisch ist oft tönender 
Anfang mit verzerrtem Schluß, im Sinne der romantischen 
Ironie. Als Gefahr erscheint die Neigung zur Karrikatur, 
aber auch Plattheiten und wieder Versandung in allzu abge- 
griffenen und abstrakten Bildern. 

Der widerspruchsvoll aus epigonenhaften und zukunft- 
heischenden Momenten zusammengewürfelte Gothlandsdichter 
ist schwer unterzubringen. Unter einer Fülle von Reminiszenzen 
regt sich eine originelle, aber auch pathologische Ur kraft. 
Menzel sagt im Morgenblatt 1829: „Nach einem goldenen Zeit« 
alter kommen Zeiten des Verfalls, die Extreme ausbrüten nach 
Form und Stoff u ; besser aber als eine formelle Geschicklichkeit 
mit schönen Gefühlen, die nirgend anstoßen, sei immer noch die 
darauffolgenden Opposition von einer wilden Formlosigkeit und 
Kraft. Und so wird auch Gothland eher verstandlich als Re- 
aktion gegen Oberempfindsamkeit. — Formlosigkeit, massen- 
hafte Stoffanhäufung, Ausplünderung charakterisieren das aus- 
gehende Mittelalter; Gothland erinnert an Fischarts Häufung 
von Stoffen und Stilmitteln, Naogeorgs Mischung von Grotes- 
kem und Furchtbarem, an die Düsterkeit eines Gryphius, an 
schlesischen Schwulst und an die Haupt- und Staatsaktionen. 

Ein geläuterter gereifter Kunstgeschmack wird selten ein 
Jugendwerk richtig beurteilen können. Und das Grabbesche 
Stück will und darf auch nicht vom Standpunkt der modernen 
Kunstanschauung gewürdigt werden, sondern als Produkt 
seiner Zeit. 

Die damalige Kritik aber hat wenige Werke Orabbes so 
einmütig als starke Talentprobe anerkannt, wie Gothland. Ein 
Beispiel mögen bieten die „literarischen Unterhaltungsblätter" 
(September 1828): „Ein Schauspiel wie Gothland ist in der 
literarischen Welt noch nicht erschienen; nackteste Wahrheit 
neben geflügelter Phantasie; das> ganze Schauspiel ist sehr 
konsequent angelegt; was vor sich geht, ist schon I 2 ange- 
deutet und verbreitert sich bis zum 5. Akt in einer immer 
weiter um sich greifenden Unermeßlichkeit — Mensch, Welt, 



— 86 - 

Gott, ja das Schauspiel selbst geht unter. Nach Art der Tiger- 
katzen führt der Dichter die herrlichsten poetischen Stellen 
vor, spielt mit ihnen und zerreißt sie hinterdrein auf einmal. 
Daß Gothland ebensoviel Tragkraft, wie Rezeptivität zeigt, ist 
mit Fleiß so angelegt; denn eben darin, daß Gothland vermöge 
dieser Charakterschwäche am Ende versteinert dasteht, liegt 
wohl die Grundtendenz der Dichtung." 

Man hat in der Dichtung mehr sehen wollen, als 
die letzte großartig - unsinnige Ausgeburt des Sturms und 
Drangs (v. d. Brück), man hat ihr eine besondere Stellung 
anweisen wollen: Sie bedeutet die Opposition des Genies im 
Sinne der unverjährbaren Legitimität der Natur (Duller) ; sie ist 
der Abfall von Weimar, ein Vorbote des modernen Naturalismus 
(J. Hart — Krack); sie ist die Tragödie des Pessimismus 
(Blumenthal). Pustkuchen sah in ihr gar eine christliche 
Theodlcee. 

Grabbe selbst hat gemeint, an die Matadore reiche er ja 
wohl nicht heran, aber er übertreffe seine Zeit. Die beiden 
ersten Akte seien weniger bedeutend, erst mit dem dritten 
Akte werde die Sache interessant: da stecke der Wolf am 
Spieße. Er spottet über den Geschmack, der Gustavs Liebes- 
floskeln am meisten lobt. Er verteidigt die Zoten und die 
Gotteslästerszene, in der manches groß, manches aber nur 
Wut sei. Einzelne Szenen sollen sich bei der verwickelten 
Handlung als Probe nicht eignen; dagegen empfiehlt er zur 
Veröffentlichung einzelne Stellen aus dem dritten und vierten 
Akt (Berdoa — Gothlands Traum — Gothland im Schneefeld) . 

c) Scherz — Satire — Ironie und tiefere Bedeutung. 

»Überhaupt ist der Deutsche viel zu gebildet und vernünftig, als 
daß er eine kecke starke Lustigkeit ertrüge." 

m. 1. (Rittengift». 

Im Gothland hat Grabbe sich als Dichter legitimiert; dann 
folgt nach dem schweren Zusammenraffen aller Kräfte In der 
Tragödie das Drama Satyrikon. Auch in der Komödie schied 



- 87 — 

sich das Bühnenwirksame und das Literarisch - Wertvolle. 
Die Götzen des Theaterpublikums waren Kotzebues Erben, 
der seicht lüsterne Clauren und die Weißenthurn, die gefällige 
Fabrikware massenweise produzierte; dagegen konnte ein echtes 
Genieprodukt, wie etwa Kleisfs zerbrochener Krug, nicht in 
die Höhe kommen. Brentano und Tieck schrieben mit feinem 
Witz Lustspiele, die aber der Bühne spotten; Platen kleidete 
Satiren und Märchen in dramatisches Gewand, Immermann 
ahmte den komischen Realismus Shakespeares nach. Weiter- 
hin wurde der Bedarf der Bühne versorgt durch ausländischen 
Import, durch den Franzosen Lebrun, durch die Italiener 
Goldoni und Gozzi, durch Holbein. — In eine untere Kategorie 
gehören kleinere Lustspiele und Possen, flüchtige Tages- 
produkte. Der Alexandriner wird übernommen aus Körners 
Liebhaberstücken z. B. von Thienemann, Dorsch, Adam. Ein 
Hauptwitz besteht etwa darin, daß eine taube Person auftritt; 
bestimmte Redensarten wiederholen sich; alte Liebhaber wer- 
den gefoppt; die Namen enthalten einen Teil der Charakte- 
ristik: Professor Licht ist der Schöngeist, der alles herum- 
trägt, der betrügerische Vormund heißt Fuchs, der Advokat 
Pech, der lustige Diener Kugel usw. 

„ Zahme Komik, Sentimentalität", — so kennzeichnet 
das Morgenblatt 1824 die Lage des Lustspiels. Grabbe 
scheint den Theatereindrücken wenig zu verdanken. Kotze- 
bue ist da, wo er als Spaßmacher etwa in ergötzlicher 
Situationskomik erscheint, keineswegs ohne Eindruck auf 
Grabbe geblieben. Ganz unerträglich wird er aber, wo 
er tiefere Bedeutung heucheln will. Daß philosophischer 
Tiefsinn sich im Narrengewand versteckt, ist urdeutsche Tra- 
dition. Grabbe suchte aus dem Volkstümlichen, aus schaurig- 
schnurrigen Mären, wie sie oft parodistisch auf Köchys Puppen- 
theater aufgeführt wurden, aus derber Kost, wie sie den Alt- 
vordern behagte, neue Kräfte zu ziehen. Reminiszenzen an 
Sturm und Drang (Lenz) beeinflussen ihn, und die Wir- 
kungen der ausgehenden Romantik zeigen sich in der Lite- 



— .> ■*■ 



— 88 — 

ratursatire und in der romantischen Ironie. Am 2. September 
1822 schreibt Grabbe an die Eltern: „in 14 Tagen bin ich mit 
einem Lustspiel fertig, von dem die meisten noch mehr er- 
warten, als von meinem Trauerspiel." Eine volkstumliche 
Komödie traute man Grabbe in der Tat schon damals von 
mancher Seite zu, und einen Eulenspiegel darf man wohl als 
das ungeschriebene Meisterwerk des niedersächsischen Dich- 
ters ansehen. 

Ein Unikum wie der Dichter selbst in der deutschen Lite- 
ratur, ist auch die chaotische Komödie „Scherz-Satire, Ironie 
und tiefere Bedeutung", ein wichtiges biographisches Dokument, 
das endlich auch den kritischen Standpunkt enthüllte, den der 
Dichter damals einnahm. • 

Auch hier ist Oberfälle: statt einer Handlung haben 
wir eigentlich vier und dazu noch allerlei Episoden. Das 
Personenverzeichnis steigt vom Adel über den bürgerlichen 
Mollfels in die niederen Schichten hinab und enthält als auf- 
fallendste Figuren den Teufel mit seiner Großmutter. 

Eine Liebesgeschichte bildet ganz nach Herkommen den 
nach Ausscheidung alles sprossenden Nebenwerks ziemlich 
bedeutungslosen Kern: Liddy hat drei Freier, den oberfläch- 
lichen geldgierigen Wernthal, den brutalen Mordax und den 
gebildeten aber haßlichen Mollfels, der Dank seiner Tüchtig- 
keit trotz dem Teufel zum Ziele kommt. Also das gute Herz, 
die Tugend siegt — auch das ist ganz traditionell; wobei man 
übrigens an Immermanns „Auge der Liebe" (1824) denken 
mag, wo auch die Häßlichkeit die wahre Liebe nicht unter- 
drücken kann. Möglicherweise sind die vornehmen Personen 
Porträts der Adeligen (Üchtritz?) , mit denen Grabbe in Berlin 
verkehrte. Grabbes Karrikaturen — denn als solche sieht er die 
Menschen, wenn er komisch wird, — passen aber wieder nicht 
mehr in die Posse, sondern sie gehören ins Kasperle-Theater: 
Mordax schlägt, die Serviette unter dem Arm, 13 Schneider- 
gesellen tot; Mollfels ist so häßlich, daß die alten Weiber in 
den Schloßgraben springen, wenn sie ihn sehen. Der Baron 



- 89 — 

und Liddy sind nur knapp skizziert, beide berühren sympa- 
thisch. Liddy ist wie manche Mädchenfigur der Sturmer und 
Dränger empfänglich für Literatur und Schöngeisterei; ihr Sinn 
steht auf das Neue und Ungewöhnliche. Sie ist etwas nachge- 
formt der Prinzessin im gestiefelten Kater mit ihren Nacht- 
gedanken; wie auch Mißgeburten, die sich bei Tieck finden, 
bei Orabbe noch gröber karrikiert sind. Man vergleiche etwa 
die Tieck'sche Charakteristik: „ein pockengrubiges, ver- 
zacktes und schief ausgeschnittenes Gesicht, wo die Garten- 
schere beim Silhouettieren ausgefahren ist" mit der Selbst- 
persiflage in Mollfels Liebeserklärung; oder man wird sich 
in Grabbes Komödie an Aussprüche Tiecks erinnern, wie 
diese: »die Natur hat ihn so aufs Konzept hingeworfen, er 
ist eins von den falschen Worten, die sie auszustreichen 
vergaß." 

Nur drei Gestalten sind ausgeführt: der Schulmeister, der 
Dichter Rattengift, der Teufel, von denen jeder eine Potenz 
in der Skala des Witzes und Humors am vernehmlichsten re- 
präsentieren mag. Keiner gehört der Haupt handlung an, 
jeder ist Held einer Neben handlung und jeder vertritt eine 
besondere literarische Meinung. Sie alle besitzen ein paar 
lebenswirkliche Züge, ragen mit einem Teil ihres Wesens in 
die barockfantastische Welt der Hoffmann'schen Capriccios und 
tragen ein Doppel-Ich in der Brust, von denen das eine sich 
über das andere lustig macht oder literarisch wird. Ein drei- 
köpfiges Monstrum aus einer abenteuerlichen Welt! Der 
Schulmeister kann mit seinen lateinischen Zitaten wohl 
an den Wenztslaus in Lenzens Hofmeister erinnern, aber 
Grabbes Witz ist viel beißender. Auch mag unter den Be- 
kannten des alten Grabbe wohl ein solcher Schultyrann aus 
einem lippischen Dorf gewesen sein, der alles weiß, überall 
seine Nase hineinsteckt und die Schinken seiner Schüler ohne 
Gewissensskrupei akzeptiert. Er wirkt wie eine Satire auf 
den Landprediger von Wakefield und versinkt in pädagogische 
Reverien, indem er mit dem ernsthaften Schelmengesicht 



- 90 — 

Grabbes erwägt, wie man die Schönheit der Natur in Nütz- 
lichkeit umwandelt. Denn was nicht nützt, oder gut schmeckt 
— das hat überhaupt keinen Sinn. Man trifft solche Leute 
auch in Heines Harzreise und entsinnt sich bei dem Schul- 
meister, der den Teufel einfängt, der raisonnierenden Auf- 
klärung in Tiecks Zerbino. Hierdurch und indem er Mollfels 
über Liddy Bericht erstattet, greift der Schulmeister in die 
Haupthandlung ein. Besser zu seiner ursprünglichen Anlage 
paßt die durchtriebene Bauernschlauheit und der gesunde 
Menschenverstand, mit dem er sich über das romantische 
Oenietum und über die Heringsliteratur ebenso moquiert, wie 
über die Dummheit seiner Bauern. „Er ist der lustigste Kauz, 
der bei aller Torheit recht gut weiß, was er tut", urteilt der 
Baron. Aber dem sonst so amüsanten Pfiffikus — hier wird 
allerdings die Einheit der realistischen Zeichnung am stärk- 
sten durchbrochen — verleiht Orabbe auch in bezeichnender 
Weise verächtlich gemeine Züge: er liebt über alles den Schnaps 
und erzählt dann schlüpfrige Anekdoten. (Körner im Ge- 
wand des jungen Schiller). 

Harmlos lustig kann Grabbe nicht werden, aber er for- 
ciert sich auch nicht, wenn er seine realistisch-komischen, 
naturalistisch-gemeinen Karrikaturzeichnungen hinwirft. Er 
ist so. — Auch Rattengift ist aus Komik und Erbärm- 
lichkeit zusammengeschweißt. In seinem Monolog erinnert 
er an den Wildberg in Tiecks „Gelehrte Gesellschaft": „Wild- 
berg saß angekleidet am Tisch, eifrig bemüht seine Feder 
zu zerkauen, suchend, ob er etwas neues finde, das er in 
seinen Gedichten unterbringen könnte." Grabbes Kritik ist 
äußerst bitter. Ein Dichter ist ungeheuer eitel und originali- 
tätssüchtig — die Gedanken gibt ihm keineswegs der Genius 
ein, sondern er sucht sie mühsam nach Vorbildern z. B. Cal- 
deron zusammen. (Man mag hier an ein ironisierendes Selbst- 
porträt des Dichters der Nanette und Maria denken) • Er hält 
jeden für vortrefflich, der seine Gedichte lobt, und ist da- 
bei in ästhetischen Dingen sehr beschränkt. Er berauscht 



— 91 - 

sich gern, fangt dann an zu zitieren und spukt zuletzt auf 
seine Gedichte — wie Orabbe in Berlin und später noch in 
Detmold. „Ein Dichter lügt" — heißt es in einer Posse von 
Dorsch. Aber er ist auch unsittlich, ehrlos und feige. Gegen 
die Vermutung Plochs, Heine sei hier gezeichnet, spricht 
der Umstand, daß der Bruch zwischen Heine und Grabbe erst 
erfolgte, als das Stück fertig war. Der Name Rattengift hängt 
kaum mit Ratcliff zusammen. Die Ratte gehört zu Grabbes 
Menagerie. Mit den Gedichten verderben sich die Ratten den 
Magen, wie andere erst durch die Heringe salzig werden. 
Lenz und Klinger haben die schönen Geister, die in ihren 
Stücken herumlaufen, bei weitem nicht so bitter charakterisiert. 
In dem Teufel steckt am meisten von Grabbes eigen- 
tümlicher Komik; wenn die Figur auch keineswegs so ur- 
originell aus dem Nichts heraus erfunden ist. Wenn der Dich- 
ter selbst seine Priorität vor Hauff gewahrt wissen will, so 
ist daran nicht zu zweifeln. Aber auf Th. Am. Hoffmann 
(z. B. Klein Zaches) und Tieck muß wiederum hingewiesen 
werden. Im Zerbino muß Hinze in der Gesellschaft spinnen, 
wie andere dichten müssen — so fällt auch Grabbes Teufel 
aus der Rolle. Der Satan tritt selbst als Dichter auf und 
zankt sich mit Jeremias, der religiöse Morgenandachten liest 
und Nachahmung mit Natur vergleicht. Diese Motive klingen 
an in dem Gespräch zwischen Teufel und Rattengift und in 
des Schulmeisters Reverien. Bei Tieck erkundigt man sich 
angelegentlich nach Aussehen, Religion und Geschmack des 
Satan, wie in der Schlußszene bei Grabbe. Der gestiefelte 
Kater wird für einen Freimaurer gehalten — der Teufel gibt 
sich als Kanonikus aus. Auch dieser Spott auf die Natur- 
wissenschaft — wie hat sich hier der Zeitgeschmack geändert 1 
— taucht freilich bei Tieck noch nicht in so grotesker 
Form wie bei Grabbe auf, wenn z. B. die Barthaare des 
gestiefelten Katers unterm Mikroskop untersucht werden, oder 
wenn der Pilze suchende Alfred mit seiner fixen Idee im 
Däumchen auftritt. In Th. Am. Hoffmann zürnte der roman- 



- 92 — 

tische Geist den Naturforschern, die das Heiligtum der Natur 
profanieren, die die dunkle Tiefe eines nur von dem Dichter 
als höherem Menschen geahnten phantastischen Mysteriums 
mit den kleinen Lichtern ihres ärmlich nüchternen Verstandes 
aufzuhellen glauben. Lange hat Orabbe überlegt, welche Maske 
für den Satan am meisten gegensätzliche Ironie enthalte: er 
hat an einen Eremiten gedacht: „die Katholiken anspuken, 
heißt manchen gewinnen"; dann an einen Bonzen, einen Der- 
wisch; der „Generalsuperintendent" konnte in Detmold miß- 
verständlich aufgefaßt werden; schließlich wurde also ein 
Kanonikus daraus. Der Witz besteht nun darin, daß der Teufel 
als Geistlicher respektiert wird, auch wenn er aus der Rolle 
fällt, in Verkehrung und Umdrehung. 

Dieses komische Motiv wird ausgemünzt in satirischen 
Betrachtungen und allerhand Situationskomik, die an das Volks- 
buch erinnert. Der Teufel ist der Intrigant, der die Hand* 
lung dadurch in Gang bringt, daß er aus Rache über den 
Edelmut des Barons die Heirat zwischen Liddy und Wern- 
thal hintertreiben will, indem er die Braut aus Ironie nach 
seiner Taxe von Wernthal erhandelt und an Mordax verkauft! 
Ein anderer Einfall besteht darin, den Teufel aus der Hölle 
auf die Erde zu versetzen, wo er mit 7 Pelzen in der August- 
hitze erfriert, um erst in der Glut des Ofens die ihm behag- 
liche Temperatur wiederzufinden. Denn der Teufel muß seinem 
Wesen nach kalt sein. Wie nun die verschiedensten Potenzen 
des Verstandes, des Witzes, der Phantasie, des Humors sich 
zu einem grotesken Gesamtbild vereinen, das bedingt die rätsel- 
volle, in der Verbindung des Widerspruchsvollsten fast un- 
möglich erscheinende Individualität des Dichters. Wenn der 
erfrorene Teufel von den Naturforschern wegen der enormen 
Häßlichkeit für eine deutsche Schriftstellerin gehalten wird, 
so fließt in einen Possenscherz von andersher eine satirische 
Auffassung ein, und ein Zug aus dem alten Märchen erhält 
eine ganz neue Pointe, wenn der Teufel, der sich das lose 
Hufeisen festheften lassen will, die Rolle eines Kanonikus spielt. 



- 93 — 

Zuletzt ist er aber doch der dumme Teufel, der sich durch 
Casanova (ursprünglich war an seiner Stelle erst der Codon, 
dann der wohlfeile Scott aufgeführt) in den Käfig des Schul- 
meisters locken läßt, bis er von seiner Großmutter erlöst wird, 
wobei sich abermals eine neue Gedankenverbindung einschleicht, 
insofern der Verstand das romantische Gebilde, das nur in der 
Einbildung gläubiger Gemüter lebt, aufhebt. Das paßt aller- 
dings schlecht zu dem tieferen Sinn, dem philosophischen 
Untergrund dieses Karnevalsulkes, der in der Szene mit 
Rattengift — in den Kritiken und von Grabbe selbst als Höhe- 
punkt des Stückes bezeichnet — zum Vorschein kommt; der 
Teufel tritt als Rezensent auf und erklärt die Welt für ein 
mittelmäßiges Lustspiel. Die pessimistische Tendenz von der 
Unzulänglichkeit des Höchsten, ist hier in Komik gehüllt; die 
Hölle, nach der alles nach wahrem Verdienst im Gegensatz zur 
irdischen Gerechtigkeit hergeht, erscheint als vernünftig, und 
die gewöhnliche Meinung als oberflächliche Täuschung: Der 
Satan erweist sich als gerechtfertigt, den Bonzen der le- 
gal» Moral ohne weiteres überlegen. „Der Teufel erfreut 
sich seines Daseins wie jedes andere Geschöpf; das Böse ist 
ein nicht zu überwältigender Instinkt. Der eigentliche Grabbe 
redet hier, dem die Poesie ein Spielzeug ist, in welchem er 
zu seinem Vergnügen die Welt als Närrin behandelt (Blätter 
für literarische Unterhaltung 1824)." 

Es kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß der Teufel 
noch umgeht auf Erden in der spielerischen überlegenen Macht 
des Witzes, in der alles auflösenden Ironie, in der zersetzen- 
den Kritik. Mit dieser Höllengabe ist der Dichter, der Höllen- 
breughel, ja reich gesegnet. Aber auch unheimlichen Schauer 
kann uns der Humor des Satans einflößen. Das verschmitzte 
Lächeln, das geschmeichelte Schmunzeln, wenn man ihm seine 
Laster vorwirft, ist ein ergötzlich origineller Zug des Satans 
und von ur echter Komik; es ist aber eine ganz echte spre- 
chende Gebärde des Dichters selbst, er wurzelt leider auch 
in dem Teufel Grabbe, in seiner Perversion, in seiner 



- 04 - 

Freude an der Verkehrung: Der Leipziger Student weidet sich 
in renommistisch-spitzbübischer Manier an dem Entsetzen der 
Philister, wenn er ihnen einen Einblick in verrufene Stätten 
verschafft. In Detmold macht es ihm Freude, naive Gemüter 
in Verlegenheit zu setzen, und Kobbe erzählt aus der Düssel- 
dorfer Zeit eine grauenhafte Episode: Er machte in Damen- 
gesellschaften unzüchtige Bemerkungen, so daß er von Immer- 
mann fast drohend zur Ruhe gewiesen wurde; »er lächelte 
still darüber wie ein Wahnsinniger, dem irgend ein Schelmen- 
streich gelungen ist" 

Das Stück ist kein Lustspiel, keine Posse — es ist, wie 
der Titel sagt, ein Gemisch von Scherz, Satire, Ironie, tieferer 
Bedeutung; aber ein Antiklimax von Fastnachtsulk, Eulen- 
spiegeleien, Qownspässen, dummen Augusteinfällen, lose auf- 
gereihten Kasperletheaterstreichen, ein Sammelbecken skurriler 
Einfälle, an denen Grabbe förmlich hypertrophierte; es ist 
eine reiche ungewöhnliche Talentprobe voll ätzender Schärfe, 
von grauenhaft grotesker Romantik, voll naturalistisch- 
genrehaften Details. Aber die Hemmungen durch die künst- 
lerische Zucht sind wieder zu schwach, um nicht zu viel Läp- 
pisches, Albernes, Unsinniges, Unflätiges durchzulassen. Des 
Stückes Wesen ist heterogene Oberfülle, Häufung — aber auch 
Reichtum der Verschwendung: Leuchtkugeln des Witzes, sprü- 
hende Laune, faunische Spässe, burleske Einfälle, grelle Far- 
benimprovisation, alkoholische Inspiration aus der Künstler- 
kneipe und dem Literaturkafg, Fastnachts- und Aschermitt- 
wochseinfälle. Der Witz ist Wortwitz, komisches Zitat, Per- 
siflage, Travestie, besteht in Übertreibung, unmöglichen Zu- 
sammenstellungen, Mißverständnissen, Zoten. Grabbe ist der 
geborene Karrikaturist: viele Personen sind körperliche Miß- 
geburten. Burleske Clownspasse und Kasperletheaterstreiche, 
wie sie den Rahmen der tollsten Posse durchbrechen 
und andererseits satirische Feuilletons über das Wesen 
des Komischen, die durch den Obergang irgend eines 
Zufallswortes mit der Haupthandlung in Zusammenhang 



— 95 — 

gesetzt werden — bilden die beiden Enden. Vorbildlich 
oder verwandt wirken in der literarischen Satire 
Tieck, für die Metamorphose Hoffmann, für die ak- 
tuellen Anspielungen Heine. Aber zartbesaiteter 
und seelischer erscheinen diese Geister vor dem groben unge- 
fügen ungebärdigen zerstörerischen Grabbe. 

Die technische Form sei in wenigen Sätzen be- 
rührt. Im ersten Akt führt nur eine Szene' einen Freier vor, im 
zweiten Akt treten Mordax und Mollfels hinzu, im dritten Akt 
erfolgt die Lösung. Die Technik ist sehr einfach: gewöhnlich 
folgt auf einen Monolog ein Dialog. Wir haben 14 Monologe, 
sonst Dialoge, nur 3 kompliziertere Szenen, von denen in 
zweien die Fäden sämtlicher Handlungen zusammenlaufen; 
aber das gewöhnliche Schema ist ein Nacheinander. In I 3 
spielt der Teufel die größte Rolle, Liddy und Wernthal haben 
wenig Berührung mit Rattengift, dieser wird durch den Schul- 
meister verdrängt. Nacheinander treten in den Vordergrund 
der Schulmeister, der Teufel, Liddy, der Schulmeister, 
dann wieder der Teufel. Die Haupthandlung wird eingeleitet, 
der Teufel treibt seine Scherze und literarische Satire wird 
eingeflochten, sei es, daß Gottliebchen an Hogarth erinnert, 
womit ein Obergang zu den Malerschauspielen gefunden ist, 
sei es, daß das Wort „gemütlich" zu der eleganten Zeitung 
überleitet. In III 1 eröffnet Gottliebchens Verkleidung einen 
Diskurs über das Komische. (Diese Obergänge klingen an 
Tieck an, z. B. Leander muß sich hüten, nicht vor Rührung 
in eine schwülstige Hyperbel auszubrechen; oder „warum 
wollen Sie einer armen Metapher nicht die Wahrheit gönnen?") 
In der Schlußszene treten nacheinander sämtliche Personen 
auf: zunächst der Baron, Liddy und Rattengift, dann Mollfels, 
darauf der Schulmeister und der Teufel; nach dem Erscheinen 
der Teufelsgroßmutter hat noch einmal jede Person das Wort. 
Wenn zum Schluß die Teufelsgroßmutter und Grabbe auftreten, 
so wird die Form ebenso aufgelöst, wie bei Tieck: im Zer- 
bino wird das Publikum apostrophiert, Zerbino will aus dem 



— 96 - 

Stück heraus, wird aber durch den Verfasser und seine Kri- 
tiker daran gehindert. Im Phantasus beruft sich Tieck für die 
sich selbst verspottende Bühne auf Aristophanes und Holberg. 
In der Qelagszene ist die Führung des Bachanals so verteilt, 
daß der Schulmeister 25 mal, Rattengift 12 mal spricht, Moll- 
fels, der länger nüchtern bleibt, 19 mal; eine bestimmte Reihen- 
folge ist mit Recht vermieden. 

Ein Narr, dessen Kleidung aus den buntesten Fetzen zu- 
sammengeflickt ist, schwingt die Pritsche. Was Orabbe als 
Ideal des Lustspiels andeutet, ist der Versuch, alle Nuancen 
des Komischen vom Clownspaß des Dummen August bis zum 
überlegenen Welthumor zu erschöpfen. Es ist gleichzeitig ein 
Gericht über die zeitgenössische Literatur, wie seinerzeit 
Lenz im Pandämonium Oermanicum will er lachend die Wahr- 
heit sagen. Schon Schiller hatte in seiner „Schaubühne als 
moralische Anstalt betrachtet , gesagt: Die Bühne soll der 
Zeit einen Spiegel vorhalten, nicht nur durch Rührung und 
Schrecken wirken, sondern durch heilsamen Spott, Scherz und 
Satire. 

Die Satire trifft das Duell, die griechischen Freiheitskriege 
und, wie gesagt, vor allem die Literatur. 

Rattengift ist Romantiker milder Observanz. Er 
liest viel in den Schriften der neuromantischen Schule und ist 
in die Waldhäuschen vernarrt. Er sucht nach originellen Bil- 
dern ä la Calderon, der z. B. Tieck im Oktavianus vornehm- 
lich begeistert hat. Zuletzt geht ihm die Idee zu einer naiv- 
verrückten Ballade auf: Nero putzt des Teufels Reitstiefel. 
Seine Heroen sind Schillers Posa und Wallenstein, Müllners 
Hugo, Houwalds Spinarosa. Er scheint übrigens nicht allzu 
revolutionär: er ist für Korrektheit, für Einheit in Ort und 
Zeit. Aber er fällt aus der Rolle und verspottet sich selbst. 
„Die Komik darf nicht zu kühn und laut sein, der Deutsche ist 
zu vernünftig dazu; die Komik muß so fein sein, daß man 
sie nicht sieht." Da wiederholt er nur Ansichten, die bereits im 

„gestiefelten Kater u niedergelegt sind: „Meine Landsleute sind 
so klug, daß man allen Spaß verbot als gemein, pöbelhaft nieder- 



- 97 - 

trächtig" — so daß Grabbe also als echter Revolutionär er- 
scheinen mußte — , oder im Phantasus: „die Deutschen ver- 
stehen wenig Spaß und wollen auch in der Poesie Politik." 
Noch weniger mochte Tieck davon erbaut sein, daß Rattengift 
mit dem Abendblatt und seinem Mitarbeiterkreis verbündet 
wird; schrieb er doch selbst dafür. Der Redakteur Winkler, 
der unter dem Pseudonym Hell — nach Orabbes Wortspiel 
ein Lucus a non lucendo — schrieb, vergalt übrigens Böses 
mit Gutem und beschämte Orabbe später, indem er dessen 
Werke lobte. Das Blatt war dem neuen Oeist nicht hold, wie 
das Gedicht von Castelli zeigt; Heines Lieder werden als un- 
poetische Auswüchse abgelehnt und dieser beschreibt in der 
Harzreise eine Szene, in der das Abendblatt als Orakel einiger 
aesthetisierender Damen auf dem Brocken angebetet wird. 
Methusalem Müller ahmte Scott nach, Döring beschrieb Schil- 
lers Leben; Gleich wird auch vom Morgenblatt als matt 
redselig und uninteressant charakterisiert. 

Der zweite Kritiker ist der Schulmeister, der Ge- 
lehrte, Pädagoge, Ethnologe, Vielwisser. Er liest die „elegante 
Zeitung." Zu der Häringsliteratur gehören die hochangesehe- 
nen Erzähler und Lyriker, denen der Misogyn den Namen 
Damenschriftsteller gibt: Th. Hell, Krug von Nidda, Kuhn, 
Houwald, Vandervelde, weiter L. Brachmann, die ertrunkene 
Sappho; Elise von Hohenhausen geb. Ochs; ja sogar Goethes 

Divan und Wanderjahre werden hier genannt; kein wei- 
terer Witz wird hier verwandt, als der, daß diesen 
Schriftstellern das Salz fehle, und das ist zu wenig für 
so viel Obermut. Wie überhaupt die literarische Satire 
entweder zu direkt oder durch eine heterogene Gegen- 
überstellung wirken soll. Kuhn gab den „Freimütigen" 
heraus und besang etwa seine schwermütigen Gefühle 
Herbst 1820: „man sieht mit rasendem Beginnen der 
Volksverführer kecke Schar, frech auf des Zephirs Führung 
sinnen, Gelähmt sind Sitte, Zucht, Altar!" Es ist ungemein be- 
zeichnend, daß der „Gesellschafter" allein ganz verschont 

Nieten, Chr. D. Qrabbe. 7 



— 98 - 

bleibt. Ziemlich albern sind die Wortwitze über die Maler- 
schauspiele (Oehlenschläger, Correggio) , ein Kind schrieb van 
Dycks Landleben und die Leute sind Pinsel. Witziger und 
sehr scharf ist seine Kritik der ledernen Kamilla. 

Das Schicksalsdrama, das in der Ideen- Assoziation des 
trunkenen Schulmeisters sich mit dem marmorharten Tisch 
verbindet, wurde 1821 im Morgenblatt gegen die Antifatalisten 
verteidigt. „Die Gottheit der Antifatalisten ist die Langeweile", 
sagt Mollfells, der auf dem Standpunkt des Morgenblattes 
steht. Seine Nase ist so platt, wie eine Erzählung von Karo- 
line Pichler, die auf so geschmackvolle Weise mit der Chezy 
und Fanny Tarnow eingeführt wird. Mollfells verteidigt Shake- 
speare und Orabbes Oothland: ersteren gegen die moderne 
Mittelmäßigkeit und Korrektheit, die mit der Aufklärung in 
Tiecks „Prinz Zerbino" Shakespeare als tollen, wilden Drauflos- 
gänger abtut; letzteren gegen den nassen Dreck der zwar 
regelrechten, aber mittelmäßigen flachen Trauerspiele. Übri- 
gens ist bei Mollfells' Metamorphosen wie vorher beim Teu- 
fel am meisten der Einfluß Hoffmanns zu verspüren. 

Scharf und schneidend — wie Orabbe bei Jerrmann — 
fast mit der Entrüstung Karl Moors über das tintenklexende 
Säkulum — bricht der Baron den Stab über Presse, Litera- 
turgezänk, Schauspieler, Dichter, wie man sich überhaupt zu- 
weilen an Schillers Räuberszenen erinnert fühlt Eine ent- 
schieden antisemitische germanische Tendenz kommt dabei 
zum Vorschein. Käuflichkeit, Lobhudelei, Klickenwesen in der 
damaligen Presse war evident. 1821 bot ein Beispiel die Auf- 
führung von Gerhards Sophronia in Leipzig, die zum Teil 
von Studenten' zu Fall gebracht wurde. Kalophilos in der 
Abendzeitung trat dafür ein; ganz anders der „Freimütige", 
der außerdem behauptete, nicht der gewöhnliche Rezensent 
Wendt, sondern der Autor Gerhard selber habe die Kritik 
für das Morgenblatt geschrieben. 

Der Teufel ist selber Autor: Seine Werke sind die 
französische Revolution, aber auch die griechischen Freiheit*- 



- 99 - 

kämpfe. Die Welt ist ein mittelmäßiges Lustspiel, das ein 
gelbschnäbeliger Engel auf Prima geschrieben hat Die deutsche 
Literatur ist das Jämmerlichste unter allem Jämmerlichen. 
Alles steht auf dem Kopf: Samiel ist im Himmel, MQUner's 
Hugo in der Hölle, Posa ist dort Kuppler, Wallenstein Rek- 
tor. Hier entfaltet Orabbe glänzende Einfälle und zeigt einen 
Rezensenten-Witz, der Heine und Börne so große Erfolge 
brachte. Aber er ist wieder zu freigebig und auch Albernes 
läuft wieder unter z. B. Horaz heiratet Maria Stuart u. a. 
— Das Morgenblatt lobt das feine Urteil neben plumpen Eulen- 
spiegeleien; die literarischen Unterhaltungsblätter bewundern 
den Witz, der bis zum Himmel hinaufzusprudeln und seine 
Umgebung mit Staubregen scheint einfüllen zu wollen. Aber 
die Halle'sche Literaturzeitung hört auch das Lachen der 
Verzweiflung heraus. Und in der Tat, auch hier im Lust- 
spiel enthüllt sich die nihilistische Weltansicht des Dichters. 
Zuletzt folgt eine Art Nemesis. Orabbe selbst erscheint 
als Mißgeburt: er schimpft auf alles und taugt selber nichts. 
Das Stück ist weiter als biographisches Dokument merk- 
würdig. Köchys Kasperletheater tritt vor unserem Geist in 
Tätigkeit. Die Berliner Genossen erhitzen sich und schimpfen 
über die kritischen Journale — - nicht nur beim ästhetischen 
Tee, viel mehr noch beim Punsch. Und das Bachanal ist nicht 
nur ein Seitenstück zu der Szene im Gothland, sondern leider 
auch zu vielen anderen Szenen in Grabbes Leben, z. B. den 
Detmolder Rum- und Gloria-Tees. Da verkleidete man sich 
mit Laken, soff unmäßig, erzählte sich zweifelhafte Anekdoten 
und kannte sich nachher vor Trunkenheit und Dunkelheit nicht 
mehr aus. Und so fällt Mollfels vom Tisch, der Schul- 
meister knirscht mit den Zähnen,. Rattengift kriegt dicke Augen 
und man findet sich am anderen Morgen in den unmöglichsten 
Stellungen. — Aber nicht nur die gierige Freude am Punsch- 
gelag wird unbarmherzig naturgetreu abconterfeit, die ganze 
Furchtbarkeit der niedern Triebe Grabbes wird offenbar. In 
ungeschminkter Wahrheit gibt er sich wie er ist mit seinem 



7* 

* 



— 100 — 

ehrlichen Bauernzorn seiner sich selbst ironisierenden Eitel- 
keit, seiner Mystifikationssucht 

Das Lustspiel, das in seiner Totalität so ganz bühnen- 
unmöglich erscheint und doch in vielen drastischen Einzel- 
heiten nach Verlebendigung auf den Brettern dringt, erlebte 
seine Uraufführung nach mehr als 80 Jahren im Münchener 
Schauspielhaus, wo am 27. Mai 1907 der Münchener drama- 
tischen Gesellschaft das köstliche Experiment mit überraschend 
glänzendem Erfolg gelang. Das formlose Durcheinander 
schien doch ein Geist sprühender Laune zu beseelen. Im 
Mittelpunkt des Interesses stand die Meisterleistung des ge- 
nialen Albert Heine in der Darstellung des „entzückend frechen, 
schlauen, dummen, sich selbst in allen Spiegelungen der 
Volksphantasie ironisierenden Teufels. u Friedrich Basil hatte 
das von Max Halbe bearbeitete Spiel inszeniert und er ver- 
körperte den Schulmeister mit prächtigstem Gelingen. Der 
tragische Humor aber lag darin, daß nach solchem Erfolg, 
den niemand für möglich gehalten hatte, Grabbe, der am 
Schluß des Stückes ja in persona erscheint, stürmisch vor den 
Vorhang gerufen, sich für den glorreichen Abend bedanken 
konnte — was ihm zu Zeiten seiner irdischen Laufbahn nie 
begegnet war. 

d) Nannette und Marie 

„Nannette und Marie sind nicht weicher 
als Gothland. Leben und Liebe sind darin 
wie eine Seifenblase behandelt« 

Orabbe an Ketteinbeil. 

Am 21. Mai 1823 schrieb Grabbe an seine Eltern: ich habe 
nun schon wieder ein drittes Stück fertig. Dieses Stück war 
„Nannette und Maria". Grabbe hoffte wohl, mit dieser Arbeit 
Tieck zu gefallen, der denn auch das Spiel „allerliebst* 4 fand. 
Mit den andern Dramen vereinigt, sollte es die Leser des 
„Gothland" versöhnen. In wenig anmutendem Jargon bezeich- 
net es der Verfasser gegenüber Kettembeil als Köder an der 



- 101 — 

Angel oder noch roher als die Hure, mit der er die Leute an- 
lockt. 

Spielende Mädchen im Arnotal eröffnen die Szene, in lusti- 
gem Obermut karikieren sie den alten Dortpfarrer, der es 
in Wahrheit nicht verdient — bloße Harmlosigkeit ohne etwas 
tragisch-satirisches Gift wäre nicht von Orabbe. Leonardo, der 
diese Szene unbeachtet beobachtet hat, ist urplötzlich in Nan- 
nette verliebt und nun folgt alsbald auch ein Liebesgespräch, 
das hier und da allzu bizarr und dann wieder abstrakt ver- 
stiegen, doch aparte und reizvolle Details enthält. In den 
schalkhaften Schelmereien steckt immer ein bischen Grausam- 
keit und aus den Neckereien lugt die Katzenpfote hervor. 
Schon Pichler, der Detmolder Theaterdirektor, dachte bei 
der Nannette an Shakespeares Julia, und wie Leonardo davon- 
stärzt, das erinnert stark an Goethes Werther, der denn auch 
damals neu aufgelegt wurde. Es geht .blitzartig, rapide zu. 
Leonardo gibt Maria, der konventionell Verlobten, den Trau- 
ring wieder und diese nimmt ihn zurück, zu stolz, ihre Liebe 
zu gestehn. — Der 2. Akt enthält 2 ländliche Genrebilder 
— eine gelegentliche Anleihe bei den vielgeschmähten Maler- 
schauspielen scheint doch erlaubt — : die Verlobung im Hause 
bei Pietro, dem Landmann, der alsbald die Trauung im Hause 
des Pfarrers folgt, welcher im Naturgenuß und biblischer Fröm- 
migkeit die Welt vergißt. Es ist eine Skizze, die an den Land- 
prediger von Wäkefield erinnern mag. Wunderlich ist der 
platonische Seelenwanderungsgedanke in den Empfindungen 
der Maria, und andererseits lugt der Pferdefuß hervor in dem 
Schäferidyll, das nicht ohne Pikanterie die ahnungsvollen Ge- 
fühle nach der Trauung vor der Brautnacht malt, in dem es 
roh und ungefüge z. B. heißt: „die Gipfel trinken wie dur- 
stige Zungen den Aether". Inzwischen hat die Spange, die 
Maria zur Erinnerung behielt, ihren Bruder Alfredi, den Wei- 
berhasser, über den Verrat Leonardos aufgeklärt Noch weiß 
Maria von der Vermählung nichts und der Dichter benötigt 
eine kurze Szene, in der Maria den Vorsatz faßt, auszugehn, 



— 102 — 

um Nannetten zu sehn und — sie, die Stolze — sich »wie ein 
Würmchen an des Geliebten Fersen zu hängen." Die Schluß- 
szene atmet anfangs eitel Glück, dann bricht das jähe Ver- 
derben herein — Zufall, Verwechslung, Mißverständnis spielt 
eine schlimme Rolle, und die doppelte Tragik besteht darin, 
daß Maria in dem Augenblick des schmcrElich-herrlichcn 
Triumphs der Selbstüberwindung stirbt und tötet. Etwas von 
der sozialen Tendenz seiner Komödie macht sich auch hier 
geltend: in die ländlichen friedlichen Kreise bricht das Un- 
glück herein, als ein Edelmann in Liebe zu einer Tochter des 
Volkes heruntersteigt. Alfredi ^mordet die Jungvermählte, 
Leonardo übt Rache an der schuldlosen Maria. Der Schwester- 
mörder und der Brautmörder schreiten zum Duell — .doch 
das wäre eine äußerlich-konventionelle Lösung — sie ver- 
söhnen sich, gleichsam geleitet von dem Geist der teuren Toten 
— „Unsre Tat ist sehr verschieden — unser Schmerz ist eins". 
Die Schlußszene ist so voll jäher Steigerung, daß das Tra- 
gische sich überschlägt, sodaß selbst ein so warmer Anwalt 
der Grabbeschen Muse wie Gottschall den Schluß zu burlesk 
findet. 

Alle Personen sind in das Tragische verflochten. Eine 
ziemlich komplizierte Handlung wird in einer kurzen Skizze 
erschöpft Eigentümlich ist die Kontrastwirkung: der Dich- 
ter findet Zeit zu lyrischen Ruhepunkten und Episoden und 
sucht dann die Handlung, den tragischen Gehalt in Epiram- 
men zu konzentrieren. Diese gesättigte Knappheit sollte man 
bei dem Gothlanddichter kaum vermuten, aber in der Pro- 
portion, in den Bizarrerien, in der grausamen Kälte erkennt 
man ihn wieder. Grabbe sagt mit Recht: „Nannette und Maria 
sind nicht weicher als „Gothland", Leben und Liebe sind darin 
wie eine Seifenblase behandelt." Auch in der „Verlieberei", 
worin das Talent des überwiegenden Teiles der Belletristen 
besteht, bleibt Grabbe eigenartig. Gerade als Skizzen in den 
von einem scharfen Verstand ergriffenen Formen — üben die 
Mädchengestalten ihren Reiz. Der Kritiker des Morgenblattes 



— 103 — 

denkt bei Maria an die Donna Urracca im Cid und er nennt 
sie die schönste Gestalt, die bisher aus des Dichters Schöp- 
ferkraft hervorging. Die literarischen Unterhaltungsblätter 
tadeln, daß die allerliebste Nannette stirbt — sie ist in der 
Tat das schuldlose Opfer einer fibergroßen tragischen Grau- 
samkeit. — 

Der Stoff hat etwas Novellistisches. Anlehnung an eine 
Tiecksche Novelle habe ich nicht gefunden, man könnte etwa 
denken an Sodens „Natalie und Desaide", wo zwei Töchter 
benachbarter Edelleute gezeichnet werden, die eine glänzend 
— die andere einfach. Sicher aber dürfte Qrabbe angeregt 
sein durch Julius Körners nach einem Roman von Lafontaine 
gearbeitetes Schauspiel „die beiden Bräute" (1823). Dieses 
Stück spielt in Rom und Florenz. Eduard schwankt zwischen 
der unschuldsvollen reinen Emma und der stolzen Adelma, 
die ihre Nebenbuhlerin schließlich vergiftet. Diesen Stoff hat 
Qrabbe umgewandelt. Maria ist eine viel eigenartigere Ge- 
stalt als Adelma, und indem Grabbe den Bruder einführt, hat 
er eine neue Spannung hereingebracht. 

Der wortreiche Goth landdichter wie der lakonische Dichter 
des „Nannette und Maria" tun in ihrer Art zuviel. Das ganze 
Stück mit seinen 533 Versen wird durch manche Gothland- 
szene an Länge übertroffen. Die Akte sind ziemlich propor- 
tioniert, ganz unvermittelt setzt nach dem Prosaeingang mit 
dem Liebesgespräch der Vers ein. Das erinnert an „Don 
Juan und Faust", wo sich Maria in Anna wiederholt. In der 
Jungfräulichkeit beider ist etwas von der romantischen Mystik, 
wie ihr stolzes Ehrgefühl aus Calderon stammt. 

Die Sprache ist pointiert und bilderreich. Schlichtes Ge- 
fühl kann Grabbe nicht darstellen. Er schildert, was Verstand 
oder malende und formende Phantasie von der Liebe wieder- 
geben kann. Betrachten wir uns die Sprache seiner bilder- 
reichen Phantasie etwas näher. Die Extreme sind abstrakte 
Verstiegenheiten und allzu gewagte Bizarrerien. Die Na- 
turvertiefung ist nicht bedeutend, gern nimmt Grabbe 



— 104 — 

die Vergleiche aus der Tierwelt. Er mischt wie Kleist das 
Schreckliche mit dem Lieblichen. Doch ist bei Kleist eine 
höhere Stileinheit und eine gesättigtere Plastik. Qrabbes An- 
schauung verflüchtigt sich zu oft und in seiner Regellosig- 
keit wird er leicht verstiegen oder absurd. 

Qrabbe bemäht Blättergesäusel, Blumenduft, Abend- und 
Morgenröten, die Requisiten der Neuromantiker — aber man 
wird hier den Verdacht der Parodie nie ganz los. Tausend 
sonn'ge Abendröten fliegen wie aufgeschwellte Friedenssegel 
(Synekdoche) durch die Welt. Als Katachrese muß man es 
wohl bezeichnen, wenn Brautrot wie eine neue Morgenröte durch 
den Abend von Pietros Leben fährt. Himmelserscheinungen, 
Tageszeiten werden gerne herangezogen: die Nacht ist gleich 
'nem düstern tränenumperlten Antlitz. Die Erde wird mit 
Byrons Manfred einem fremden Sterne verglichen, der ohne 
seinen Schmerz zu zeigen im Strahl der Sonne blinkt. Die 
Sterne brechen wie ein Blütenregen durch das Abenddunkel. 

Gewöhnlich dient das Bild dazu, das Unsichtbare sicht- 
bar zu machen, am wenigsten taugt es, abstrakte Dinge durch 
andre Abstraktionen Zu vergleichen z. B. Liebe und Früh- 
ling. Da Orabbe echte Gefühlslaute nicht finden kann, 
schmückt er die Geliebte mit allerlei Bildern, die teils ge- 
liehenes Gut sind, teils eigener Erfindung entstammen. Nan- 
nettes Mund ist ein purpurnes Siegel» das man mit einem 
Kusse aufbricht, die Zähne sind eine zweizeilige Perlenschrift, 
Romantisch-orientalische Bilder scheinen vorbildlich. Die ein- 
zelnen Teile des Gesichtes werden lebendig: die Augenbrauen 
sind zwei Raben im Schnee, die — nun wird Grabbe ganz 
ungefüge und bizarr — Leonardos Busen aufhacken wollen, ja 
mit Mäusefallen verglichen werden. Das Ohr blickt listig 
lauschend aus den Locken, wie auch der Mond voll Neugier 
durch den Riß des Apennins blickt. Die Wangen sind im 
Lichte der Augen gereifte Früchte, die Stirn gleicht einem Dia- 
manten, der Wein durchschimmert purpurn den Hals, ihre 
Worte sind Silbertropfen, die in die See fallen — An vielen 



— 105 - 

abenteuerlichen Einfällen erkennt man Grabbe, am unver- 
kennbarsten aber zeichnet ihn das Krokodil, das auch in 
„Aschenbrödel" an einer Stelle erscheint, an der gewiß nie- 
mand auf solche Begegnung gefaßt ist. Die Brautnachtstim- 
mung gleicht dem Haschen nach einem Schmetterling. 

In welch grausambizarren Hyperbeln entlädt sich Qrabbes 
Zärtlichkeit! — Dieses Verkleinern und Vergrößern im An- 
schmachten: Leonardo ist ein Feueranbeter, Nannette möchte 
ein Johanniswürmchen sein, das nach der Nacht in selge Asche 
zerfällt! Er saugt ihr die Seele aus dem Finger. — Der Ori- 
ginalitätssüchtige bringt überall seltsame Schnörkel und Ara- 
besken an und sucht ein Kolorit, in dem die verschiedenartig- 
sten Farben gemischt werden. Vieles wirkt gekünstelt, und 
fällt ihm nichts ein, so muß der Dichter so abgegriffene Wen- 
dungen mühsam verhüllt aufnehmen. Trotz mancher Natu- 
ralismen und Geschmacklosigkeiten, in denen sich in jeder 
Dichtung unerwartet und doch unvermeidlich das Proletarium 
des Dichters signalisiert, ist doch das Obscöne gemieden, 
die Kontraststimmung ist getroffen. Daneben charakterisiert 
den Dichter das Plötzliche — in der Handlung sowohl wie in 
dfer Sprache. Kein Wort malt diese hastige und doch starke 
Bewegung sp wie das Zeitwort: zucken. 

Maria möchte mit dem Zucken ihrer Wimper den Treu- 
losen niederblitzen. Die Wangen ihres Antlitzes sind weiße 
Rosen, dann flammen sie auf in Opferglut. Ihre Locken glei- 
chen dem dunkeln Feuer, das den Todesgöttern lodert, der 
Dolch sitzt wie ein Dorn in ihres Nackens Blume, der Nacken 
ist ein Fußschemel. Vergleiche werden auseinandergerissen 
oder ineinandergeschoben. Maria sagt: „Der Mädchenbusen 
ist ein Haus, daran von Anfang an ein Feuerfunke gelegt 
worden, die Olut muß wider Willen aufzischen, wennfrostge 
Zacken sie durchschneiden" — diese frostigen Zacken sind 
Leonardos Blicke! In der „Doppelsonne des Busens" sind 2 
Bilder zusammengeschoben. 



— 106 - 

Immerhin lohnt es, sich die Arbeit dieses Kabinettstück- 
chens näher anzusehen und die Verzierungen, die dem Rah- 
men dieses seltsam leuchtenden Juwels eingegraben sind, auf 
seine Eigenart zu studieren. Mit mannigfacher Art von Tro- 
pen und rhetorischen Figuren schmückt Orabbe die Sprache. 
Als Beispiele mögen dienen Antithesen: die Welt ist leer — die 
Brust ist schwellend voll, unsre Tat war sehr verschieden, unser 
Schmerz ist eins. Oder Epizeuxis und Anaphora: die Spange 
ist kalt, kalt wie seine Rede. Iteratio und Klimax: mein Blut, 
mein heißes Blut. — Auch der Satzbau ist beachtenswert. Ein 
Wort wird emphatisch vorangestellt. Inversion ist häufig, 
ebenso Ellipsen, Imperativformen, seltener Aposiopese. Neben- 
sätze finden sich kaum. Das unpersönliche Fürwort „es" 
wird vermieden. — Silbenverstümmelung ist häufig. 85 mal 
fällt das „e" aus, 17 mal das „i". Ebenso ist Synalöphe für 
Orabbe überhaupt charakteristisch, sie kommt sogar im Dativ 
vor (gleich 'nem düstern tränumperlten Angesicht). Von den 
533 Versen sind die meisten hyperkatalektisch. Doch finden 
sich 72 Vierfüßler gegenüber 21 Sechsfüßlern. 

e) Marius und Sulla. 

»Es galt, das trockene selbst im Kriege mit 
Carthago nach Pandekten riechende Römer- 
leben den modernen Spectators intressant zu 
machen. 

Orabbe an KettembeiL 

Das Lehrlingsprobestück künftiger Meistertaten lieferte 
Orabbe mit seiner ersten Bearbeitung der Historie in „Marius 
und Sulla". Am 11. Juli 1823 vollendete er 3 Akte, die er 
Tieck überreichte, der aber — ließ er doch auch Goethes 
Götz nicht gelten — keine Freude daran gehabt haben mag. 
Im Juli und August hat Grabbe das Stück in Hannover um- 
gearbeitet und im besondern die Umrisse des 4. und 5. Aktes 
hinzugefügt. Die erste Fassung ist eine Skizze in Jamben,' 
unmittelbar nach Plutarch gestaltet, sie weicht von der end- 
giltigen erheblich ab. Sie ist weniger durch künstlerischen 



— 107 — 

Wert bedeutend, denn vielmehr als Zeugnis für die Arbeits- 
weise des Dichters. Im ersten Entwurf — das Manuskript 
befindet sich auf der Berliner Bibliothek — steht Marius im 
Vordergrund, der später durch Sulla zerschmettert wird. 

Wie kam Qrabbe auf diesen Stoff? „Ein Charakter wie der 
Sullas war noch auf keiner Bühne — er hat etwas von mir." 
Auch Oothland möchte einer von den gepriesenen Attilas, 
Sullas und Cäsars werden. Bei Goethe sagt Sulla von Cäsar: 
„Es ist etwas Verfluchtes, wenn so'n Junge neben einem auf- 
wächst, von dem man in allen Gliedern spürt, daß er einem 
übern Kopf wachsen wird." In Klingers „neue Arria" wird 
Ludovico mit Sulla verglichen. 

Kurz vor Grabbe hatte Kestner, der hannoversche Ge- 
sandte und Kunstfreund in Rom, eine Tragödie „Sulla" er- 
scheinen lassen (Hannover 1822) vielleicht angeregt von Jouys 
Napoleon-Tragödie „Sylla" und die Lektüre von Vertots 
„histoire des revolutions Romaines". Dieses Drama hört genau 
da auf, wo Grabbe fortfährt: mit der Vertreibung durch Sulla 
(Plutarch, Sulla Kap. 10, Marius Kap. 35). Sulla ist der Ober- 
befehl im mithri datischen Krieg übertragen worden, aber die 
Menge schwankt und Marius gewinnt sie für sich, indem er 
sich auf seine früheren mit Undank belohnten Verdienste beruft 
und die gute alte Zeit mit ihrer Sitteneinfalt als bedroht durch den 
Luxus Sullas zeigt. Sulla, der erst im 2. Akt auftritt, verkehrt 
in solcher Zeit mit Schauspielern und Poeten, er bestellt ein 
Spottgedicht auf den alten Bauer Marius und scheinbar mit 
Tändeleien die Zeit hinbringend, überdenkt er alles in seinem 
Innern. Seltsam kontrastiert mit seinem Aberglauben seine 
Blasiertheit und verächtlich sieht er, der vornehme Mann, auf 
das Volk herab, das er wie Würmer zertreten möchte. Me- 
tellus als laudator temporum actorum sucht Sulla von einem 
Blutbad zurückzuhalten. Tollkühn begibt sich dieser in der 
furchtbarsten Gefahr in das Haus des Marius, der aus Furcht 
vor den Göttern das Oastrecht nicht zu verletzen wagt, wie 
er Tatkraft auch in den parlamentarischen Sitzungen ver* 



— 108 — 

missen ließ. Der Kampf in Rom dauert noch fort, als Sulla 
auszieht Sulla ist im Felde siegreich als Herold einer neuen 
Zeit und zwiefach bereit, Marius zu treffen. Kestner hat das 
Jahr 88 herausgegriffen, wo auf Messerschneide die Ent- 
scheidung stand, wo der Stern des Marius sank und der des 
Sulla aufging. Aber das Morgenblatt (Juli 1823) kritisiert: 
dieser Kampf zwischen Sulla und Marius, die man beide nicht 
groß nennen könne, errege keine Teilnahme. Und der Erfolg 
belehrte Kestner, daß Kunstverständnis und produktive Kraft 
zweierlei sei. Nun hat er zwar einen fruchtbaren Moment 
gefunden, aber seine volle Bedeutung doch nicht erschöpft. Er 
hat den historischen Hintergrund festzuhalten gesucht, indem 
er in jedem Akt seines Jambendramas das von dem enttäusch- 
ten Idealisten Sulpicius aufgewiegelte Volk in Prosaszenen in 
grotesk-satirischer Beleuchtung zeigt. Da aber das Historische 
allein nicht genügte, hat er das Ganze durch eine erfundene 
Familienflragödie zusammengehalten und eingerahmt, die sich 
im Hause des Pompejus, des Schwiegersohnes Sullas, abspielt. 
Pom pejus geht in dem Konflikt zwischen der Treue zu seinem 
Freunde Licinius und der Liebe zu Cornelia zugrunde. Aber 
Sulla opfert seinem Ehrgeiz nicht nur den Schwiegersohn, 
auch Cornelia, seine Schwiegertochter, irrt wahnsinnig gleich 
Ophelien daher und stürzt sich in Sullas Schwert. Erst über 
-die Leichen seiner Angehörigen erreicht Sulla sein Ziel. Aber 
wenn dies die Grundidee war, so geht sie weniger aus der 
Haupthandlung, als aus einer Episode hervor. 

Wir haben das Drama ausführlicher besprochen, weil 
Grabbe es gekannt und wohl auch benutzt hat, sodann weil 
wir hier ein Beispiel haben, wie damals ein antiker Stoff 
dramatisiert wurde in einer Behandlung, die in der Mitte steht 
zwischen der völligen Verflüchtigung des Historischen (Auf- 
fenberg Weichselbaumer) und der getreuen Vergegenwärti- 
gung und Ausschöpfung der historischen Zeitverhältnisse und 
des geschichtlichen Lokals (Grabbe) . — Collins „Regutus" hatte 
das antike Römerdrama wirkungsvoll erneuert. Zu Orabbes 



— 109 — 

Zeit dichtete Weichselbaumer Römertragödien bes. 
z. B. „Pyrrhus und Fabricius", wo zuletzt Pyrrhus von der 
Größe Roms überwältigt ausruft: „o Freiheit, Du nur schaffst 
die wahre Größe!" — oder „Cindnnutus", „Fabius' Urteil* 
„Hannibal und Scipio vor der Schlacht bei Zama". Seine 
Werke zeigen edle Römertugenden wie an einem Paradigma,, 
aber sie schmecken nicht nach der Quelle und schildern nicht 
das historische Milieu. Sonst werden wohl Germanicus, C&sar r 
Pompejus, Brutus, Sertorius, Horatius dramatisiert; Uechtritz 
dichtete ein Drama „Spartacus". Wir begegnen einem Cyrus v 
Mithridates wird von Weidmann und Stever dramatisiert. Von 
Griechenhelden erscheinen Aristodemus und Leonidas; Aufren- 
berg, der fruchtbare Poet und badische Gardeleutnant, schrieb 
sein »Opfer des Themistokles". Auch hier ist kein Lokalkolorit, 
nur edle Gesinnung in der Nachahmung Schillerscher Sprache: 
Artaxerxes und Themistokles überbieten einander an Edel- 
mut. In dem Konflikt, Hero treu zu sein und sein Vaterland 
zu verraten, sucht Themistokles seinen Tod: »schön ist das 
Leben in des Glückes Armen, Doch schöner ist der Tod des 
Vaterland". Iphigenie scheint das Vorbild der Hero zu sein, 
Themistokles hofft auf ein Jenseits. Von solchen Schön- 
färbereien wußte Grabbe nichts. Es sind nur die Namen^ 
welche die Antike zeigen; das Stück kann gerade so gut 
anderswo spielen. 

Immer muß eine Liebesgeschichte dabei sein. Daher war 
ein sehr beliebtes Thema „Dido", das z. B. von Gehe und 
Weichselbaumer behandelt wurde, und von dem wahren histo- 
rischem Geist ahnen wir nur wenig. Mehr Geschichte war 
in Kestners „Sulla" — in dem man eine Nachahmung von 
Shakespeares „Julius Cäsar" fand — , aber auch hier wird das. 
Stück nur durch die Familientragödie gehalten, die sehr frei 
poetisch ausgeschmückt wurde. Grabbes Charakteristik ist 
realistischer, scharfer, großartiger. Am meisten Grabbe ähn- 
lich in den satirisch-realistischen Szenen, in der philosophi- 
schen Grundierung sind U echtritz ens „Rom und Spartacus' 4 und 
etwa Immermanns Dramen. 



— 110 — 

Im ganzen also hat Grabbe nur der Historie und Shake- 
speare zu danken, wenn er vor allem auf historische Wahr- 
heit, Lokalkolorit und Erdgeruch ausgeht, auf die echt reali- 
stische scharf umrissen« Charakteristik der Helden, die wieder 
erst aus dem allgemeinen Milieu verständlich werden. Vor 
allem muß zunächst der. Held hingestellt werden, so wie 
er nach der Geschichte leibt und lebt. Historisch hat sich 
Kestner nach Plutarch (Marius 35) gerichtet. Auch hier ist 
das Zusammentreffen zwischen Marius und Sulla in 2 ver- 
schiedenen Versionen berichtet. Der wichtigste, ja der ein- 
zige Moment, von dem aus die Idee eines Dramas „Marius 
und Sulla" entstehen konnte, war also eigentlich vorweg- 
genommen. Pompejua Rufus, Sullas Schwiegersohn, wurde 
hingerichtet (Sulla 7. 9) . Cnejus Pompejus, der zwischen den 
Parteien schwankte, starb aber erst nach der Rückkehr des 
Marius. Daß Marius ein unfähiges Werkzeug des Sulpicius 
war, wird von Mommsen bestätigt. Geschichtlich folgt auf die 
Ereignisse des Kestnerschen Dramas die abenteuerliche Flucht 
des Marius, der zuletzt nach Afrika kommt Und so beginnt 
Grabbe unmittelbar da, wo Kestner aufhört 

Die ursprüngliche Fassung in 3 Akten enthielt durchweg 
5 füßige Jamben. Sulla begegnet nur im 1. Akt und in einer 
Szene des 3. Aktes, im übrigen gehört das Stück dem Marius. 
Wir haben ein untergehendes und ein aufgehendes Gestirn im 
Entscheidungskampf als Grundidee. Nach der Geschichte war 
allerdings Marius schon 86 gestorben. Cinna ward 84 er- 
schlagen. Sulla aber kam erst nachdem nach Italien. Die 
beiden Akte, die Grabbe später hinzufügt, sollten außer dem 
Tode des Marius enthalten, wie Sulla siegt und sich Rom zu 
Füßen legt. Die größten Abweichungen finden sich im 2. 
Akt. Wir werden jetzt das 1. Ms. (A) mit der gedruckten 
Fassung (B) vergleichen, und von den Quellen (besonders 
Plutarch und Appian) aufsteigend aus der ersten Gestalt das 
endgültige Fragment sich entwickeln sehn. Man erkennt, wie 
Grabbe entwirft und arbeitet. 



1 



— 111 — 

In 90 Versen zeigt A Marius auf den Trümmern Cartha- i 1. 
gos. Carthago kündet von befriedigter Rachsucht, aber es ist 
auch ein Zeuge des wechselnden Glückes. Bald schlummert 
Marius ein und im Traume erscheint ihm der Oenius-von Car- 
thago. Einen römischen Liktoren, der ihn des Landes ver- 
weisen will, blitzt Marius zurück, aber in dieser tiefsten Not 
verkündigt der freigelassene junge Marius, daß Cinna den 
Alten in sein Lager ruft. Bei Plutarch (Marius 40) heißt es: 
„in Afrika stand damals Sextilius als Pr&tor, ein Römer, dem 
Marius nie etwas zuleide getan hatte und von dem sich also 
vermuten ließ, daß er ihm wenigstens aus Mitleid einigen 
Beistand leihen werde." Fast wörtlich so drückt sich Marius 
bei Orabbe aus und von da an ist die Quelle in allen Einzel- 
heiten wiederzuerkennen (z. B. der junge Marius, von Gesicht 
schön und wohlgebildet, entkam durch des Königs Beischlä- 
ferin) . Einige Vorzeichen oder Bilder des Plutarch hat Grabbe 
nicht benutzt oder verwandelt: aus dem Adler wird eine 
Schlange. In B erscheinen die Jamben zum Teil wörtlich ge- 
nau als Prosa, der Gedankengang ist der gleiche bis auf 
einige Zusätze (z. B. die Betrachtung der Götter, das „wild- 
freundliche Zahnfleischen" des Genius fehlt zuerst) . Vor allem 
aber fällt A zuerst gleich mit der Türe ins Haus, B bringt 
als Vorbereitung die Fischerszene, in der einfache Leute ihre 
Gedanken über die Lage aussprechen. A verhält sich zu B 
wie eine Skizze zu einem ausgeführten Gemälde. 

Die 2. Szene ist in A und B ziemlich gleich: Mithridates I % 
und Archelaus bereiten den Kampf. Mommsen charakterisiert: 
„Mithridates war ungewöhnlich riesig an Kraft und hatte 
bei seinen Hoffesten neben Preisen für Esser und Trinker 
auch solche für die drolligsten Spaßmacher und die 
besten Sänger. — Das experimentelle Studium der Gifte be- 
trieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte 
und er versuchte seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöh- 
nen." Grabbe hat nicht verfehlt, den orientalischen Despoten 
durch einen Zug von Buffonerie zu charakterisieren. 



- 112 — 

I a * Die folgenden Szenen schildern Vorbereitung, Verlauf und 

Folgen der Schlacht von Chäronea (PK. Sulla 25— 31) • Hier 
wird man an die Schlachtszenen in Shakespeares „Coriolan" 
erinnert. Sullas Bemerkung über Kaphis entspricht dem, was 
Plt. 5 über das Zitherspiel gesagt wird. In der 2. Szene ent- 
sprechen A und B einander. Sulla ist in B etwas ausführlicher 
geworden, der Brief und das Schlußstück sind in Prosa um- 
gewandelt, wie in der 3. Szene das Gespräch zwischen Sulla 
und Hortensius, sonst sind die Verse von A übernommen» 
A schildert in 32 Versen den Verlauf der Schlacht: Sulla 
wird in seinen Siegeshoffnungen durch einen Hauptmann ge- 
weckt, Mithridates behauptet das Feld, bis Sulla endgiltig 
das Geschick wendet, indem er den römischen Adler in die 
Feinde wirft. In B wechselt der Schauplatz dreimal: die 
Römer zitternd vor dem Sichelwagen, bis Sullas Beispiel sie 
fortreißt; des Mithridates' Heer anfänglich erfolgreich, dann 
zurückgeworfen, die Römer wehren einen zweiten Angriff 
siegreich ab. Nach Plt. 16, 17 entschied eine Umgehungs- 
bewegung Sullas den Sieg. Der Glanz des mithridatischen 
Heeres erschreckte anfangs die Römer so sehr, daß selbst 
Sulla die Furcht nicht bannen konnte. Die Sichelwagen ver- 
sagten, weil sie zu geringe Laufbahn hatten und gleichsam 
Pfeile ohne Schnellkraft waren. Während sie in A dem Mith- 
ridates freie Bahn schaffen, feuert in B das Beispiel Sullas 
die Römer derart an, daß sie die Sicheln anpacken und die 
Wagen nehmen. Dann kam das Fußvolk an die Reihe, die 
Barbaren hielten ihre Lanzen vor sich und standen fest- 
geschlossen und geordnet, die Römer warfen ihre kurzen 
Speere fort; griffen zum Schwert und schlugen die Lanzen 
weg. Bei Grabbe entscheidet das persönliche Eingreifen des 
Feldherrn zweimal. Er hat hier einen historischen Zug aus 
der Schlacht von Orchomenos benutzt (Plt. 19) . Dort sprang 
Sulla vom Pferde, ergriff eine Fahne und drängte sich mitten 
durch die Fliehenden gegen den Feind, indem er schrie: „Für 
mich, ihr Römer, ist es rühmlich, hier zu sterben, aber ver- 



- 113 - 

geßt nicht, denen, die euch fragen, wo ihr euren Feldherrn 
verraten habt, zu antworten: bei Orchomenos." Mithridates 
war natürlich in Wahrheit nicht zugegen; berechtigt aber ist 
das Bemühen des Dichters, alle Personen zur Geltung 
zu bringen. 

A skizziert nur, wo B ausführlicher wird. Aber 2 kurze 
Monologe Sullas sind in B nicht übergegangen. So sagt er: 

„S' ist doch schön, ein Feldherr seyn! — Man fühlt 

Die Welt, die eigne Kraft, — ein jedes Plätzchen 

Ist wichtig, — jegliche Minute kostbar, — 

Und unsre Seele spiegelt sich im Tun 

Von Tausenden! — o unermeßne Sehnsucht, 

Als Herrscher Roms vom Kapitol herab 

Den Erdkreis zu regieren, wie ein Baum 

Erwächst du im Gemüt 

Oder an der Leiche des Quinctius: 

Haha, der Quintus! Ein großer Spieß 

In seinem Schidel, wie ein quälender 

Gedanke! — Holla, fast war* ich vom Pferd 

Gefallen! 

Geschichtlich erfolgte eine Unterredung Sullas nach der I s. 
Schlacht bei Orchomenos mit Archelaus bei Delium, dann mit 
Mithridates bei Dardanus in Troas. Bei Grabbe findet die 
Unterhandlung bei Qiäronea zwischen Sulla und Mithridates 
statt, aber auch Archelaus ist anwesend. Die Bedingungen 
entsprechen der ersten Zusammenkunft. Solche Zusammen- 
künfte liebt der Dramatiker, dem die Schlachtschilderung zu 
große Schwierigkeiten bereitet: 2 widerstreitende Ideen haben 
gleichsam Fleisch und Blut gewonnen in Personen, die nun 
höchst nachdrücklich hervortreten. Man vergleiche Hannibal 
und Scipio bei Zama: beide Feldherrn sehen sich lange stumm 
an, bis Hannibal als der ältere die Bedingungen angibt. Als 
Scipio nicht mehr erhält, wendet er sich unbehindert zum Ab- 
gehn. Bis auf den letzten Punkt spielt Sulla die Rolle Hanni- 
bals. Bei Plt. heißt es: „Mithridates ging auf Sulla zu und 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 6 



- 114 - 

reichte ihm die Hand, Sulla aber fragte, ob er auf die von 
Archelaus eingegangenen Bedingungen den Krieg endigen 
wollte. Als Mithridates darauf schwieg, sagte Sulla: dem 
Bittenden kommt es zu, zuerst zu reden, Sieger haben das 
Recht zu schweigen. Mithridates' Verteidigungsrede wehrte 
Sulla entschieden ab." Bei Qrabbe beginnt Sulla zu reden, 
nachdem Mithridates stolz geschwiegen hat Aus den 60 
Schiffen in A wurden in B richtiger 70. Den Pontus behält 
Mithridates, anfangs wollte er auch Paphlagonien und die 
Schiffe nicht herausgeben. Wenn bei Qrabbe Mithridates auf 
Marius hinweist, so ist das unhistorisch, aber durch den Zu- 
sammenhang berechtigt: Marius wirkt durch sein bloßes 
Dasein bestimmend. Tatsächlich fiel Sullas Friede so milde 
aus, weil er nach 2 Fronten kämpfen mußte. Die humori- 
stische Färbung ist Orabbes Eigentum. 

Der 1. Akt läßt deutlich die Abhängigkeit von Plt. er- 
kennen — am stärksten in der 1. Szene. Die Schlacht ist zum 
Teil aus Ereignissen der Kämpfe von Orchomenos und Ghä- 
ronea kombiniert, zum Teil freie Erfindung. A ist eine Skizze 
in Jamben, in B wechseln Prosa und Vers, oder richtiger: 
die Umwandlung vom Vers zur Prosa bleibt unvollständig. 
II i« Der 2. Akt versetzt uns unter die Marianer. In der 

ersten Szene sind die Plt-Kapitel Marius 36, 40, 41, 42, ver- 
arbeitet. Ein Cimber soll Marius töten, dem aber war es, 
als wenn die Augen des Marius eine helle Flamme aussprühten 
und aus dem dunkeln Winkel die donnernde Stimme hervor- 
käme: Kerl, du wagst es, den Marius umzubringen. — Als 
Marius sich in Telamon einschiffte, wandte er sich nicht an 
Oktavius, sondern an Cinna, der ihm dann gleich die Fasces 
und andere Ehrenzeichen des Prokonsuls schickte. Marius 
aber erklärte, dieser Schmuck passe nicht zu seiner gegen- 
wärtigen Lage und ging immer in schlechter Kleidung, mit 
langen Haaren und Bart, den er mit dem ersten Tage seiner 
Flucht hatte wachsen lassen, als ein mehr als 70 jähriger 
Oreis mit langsamen Schritte einher, um recht mitleidswürdig 



- 115 — 

zu erscheinen. Allein dieses klägliche Ansehn war mit der 
ihr eigenen Miene, worin das Furchtbare hervorstach, ge- 
mischt in eine Traurigkeit und verriet nicht sowohl ein nieder- 
geschlagenes als durch Unglück verwildertes Gemüt. Als 
er den Cinna begrüßt und an die Soldaten eine Rede gehalten 
hatte, schritt er gleich zu Werke und gab der Sache in kurzem 
eine ganz andre Vendung. Zuerst schnitt er mit seinen Schif- 
fen Rom die Zufuhr ab und endlich bekam er auch Ostia in 
seine Gewalt. Sertorius warnte ernstlich vor einer allzuengen 
Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an 
der Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch 
notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig 
war, wie von einem wahnsinnigen Rachedurst gepeinigt wurde. 
Soweit Plt — Mommsen nennt Cinna einen ganz gemeinen 
und auf niedrigstem Egoismus gestellten Gesellen ohne jeden 
politischen Blick, dagegen Sertorius einen der talentvollsten 
Offiziere und vorzüglichsten Männer, der durch persönliche 
Feindschaft ein Gegner Sullas wurde. 

Wie nun hat Grabbe die historischen Fakta verwandt? 
Cinna und Sertorius weilen in Etrurien, Marius ist zurück- 
gekehrt und erzählt seinen Getreuen seine Abenteuer. B hat 
einen Eingang und einen Schluß in Prosa hinzugefügt, das 
Auftreten des Marius stark vermindert. Wir erfahren, daß 
Sertorius dem Cinna abgeneigt ist und durch die Ausführung 
dieser Nebenhandlung werden wir von vornherein viel besser 
auf den Mißerfolg der Marianer vorbereitet. B ist hier viel 
ausführlicher und auch der Ausdruck wird realistischer ge- 
staltet (Heißt es in A: „stets bleibt solche Kriegsmacht ein ge- 
fährlich Ding", so in B: „dennoch dünkt's mir eklig, solche 
Kriegsmacht zu gebrauchen". Aus dem „wilden Roß" wird 
ein „störrischer Gaul".) Die grausame Dezimierungsszene 
ist beibehalten. Es folgt dann das durch die pannonischen 
Krieger vorbereitete Auftreten des Marius. Marius' Kleidung 
wird in B zum Nesselgewand, (die Vendung: „wenn die Des- 
poten ihrem Volk die Städte niederbrennen und die Nacken 

8* 



- 116 - 

brechen" wird zusammengezogen: „wenn sie ihrem Volk die 
Städte aut die krummen Nacken werfen*.) Aus dem 31 Verse 
umfassenden Monolog des Marius in A sind 64 Verse ge- 
worden. Die Rede des Marius wird mannigfach unterbrochen 
durch die Marianer, die zum Teil wie in Schillers Rütliszene 
im Chor den Refrain wiederholen, z. T. die Erzählung selbst 
übernehmen oder begründen. Auch der Ausklang ist bedeutend 
reicher gestaltet. Das Motiv, daß die Patricier neidisch auf 
Marius sind (vgl. auch Kestners Sulla), wird vertieft und zu 
einem allgemeineren Gegensatz gestaltet; worin übrigens auch 
der demokratische Trotz des Bauern Orabbe sich genugtut. 
Die Vertreibung, die Flucht, die Szene mit dem Sklaven und 
die Landung in Carthago wird in B dreimal ausführlicher ge- 
schildert, als in A. In A heißt es: 

Er trieb mich denn auch bald von Rom hinweg 
Und ließ als Feind des Vaterlands mich ächten; 
Ich mußte in den Sümpfen mich verkriechen, 
Den grauen Kopf mit Riedgrase bedecken, 
Und einem der von mir gefangnen Cimbern 
Gebot man, daß er mich enthaupte! 
Allein dem rohen Kerl entsank der Degen, 
Als er den Mann erblickte, welchen er 
Als den Vertilger seines Volkes kannte! — 
So floh ich übers Meer nach Afrika, 
Fand auf Carthagos Trümmern meinen Sohn 
Und steh' nun wieder auf dem Boden, 
Der mir so lieb ist und doch so verhaßt! 
(Aus „alte Käuze** wird „grimm'ge alte Käuze**, aus »von 
Mithridates befrein**: „erlösen"; aus dem „Lorbeer, den ich mit 
soviel Schweiß und Blute in Numidiens nacktem Sande mir 
erzogen** — den ich „mit dem mühesamsten Schweiße in 
Numidiens dürrem Sande mir erzogen** — aus „Kommando 
geben** „Kriegsbefehl erteilen** (mit Rücksicht auf das folgende 
„geben**) — aus „Sumpf** „Morast**. In der Rede des jungen 
Marius werden aus „Zornesfrüchten** „Früchte**.) Ein Hinweis 



- 117 — 

auf das mögliche Ende des alternden Marius beschließt A, 
wo die Stellung zwischen Cinna und Sertoriüs und beider 
gegenüber Marius unklar bleibt. Dteses Thema wird am 
Schluß von B ausführlicher behandelt. 

Orabbe schildert nun die Ereignisse vor der Einnahme II 2. 3. 
Roms durch Marius. Hier ist B weit ausführlicher als A, in 
den zwei Szenen stark abweichend von A II 2. Bei A ist 
der Hergang folgender: drei Bürger erzählen, der Senat sei 
in Begriff, einen Diktator zu wählen, da Marius nahe sei; ein 
Demagoge führt agitatorische Reden gegen dien reichen Scävola, 
den Redner Antonius; aber die Bürger sind selbst wieder un- 
eins und mit eigner Schuld belastet. Nach drei Seiten hin 
werden Schlaglichter auf das verwesende Rom geworfen« Ok- 
tavius naht, abergläubisch auf seine Chaldäer und Augurn 
bauend, während die Soldaten schon verräterisch tuscheln. 
Der Senat und die Vestalinnen erscheinen, und indem der 
sterbende Octavius auf die Bühne taumelt, wird der Wunsch 
laut, Frieden zu suchen. Charakteristisch ist, daß wir alles 
aus dem Munde des Volkes erfahren, und die wankelmütige, 
begehrliche, unselbständige Plebs wird kurz gezeichnet. 

Diese Skizze ist in B 3 noch zu erkennen, B 2 ist neu 
hinzugefügt: eine römische Senatsitzung im Tempel der Bel- 
lona — die Volkstribunen sprechen in Prosa, die Optimaten 
in Jamben. Octavius und Merula sind Consuln. Antonius, 
der in A erwähnte „süße Redner" trägt vor, die Volks- 
tribunen widersprechen. Die Optimaten zeigen sich zu- 
nächst in ihrer Torheit, erscheinen in satirischer Beleuch- 
tung als bigott und borniert: Octavius verläßt sich auf seine 
Augurn, nicht einmal die Kunde, daß Marius mit den Sam- 
niten gesiegt habe, läßt die Etikettestolzen die Formver- 
letzung des Metellus übersehn. Die Niederlage läßt die Volks- 
empörung aufflammen: die Masse strömt in den Saal, will 
nicht wegen der Aristokraten hungern, verlangt Obergabe 
an ihren Liebling Marius, während Flavius auch den Sulla 
in die Handlung hineinzieht, indem er ihn des Hochverrats be- 



- 118 — 

schuldigt. Da erheben sich die Herrscher Roms noch einmal 
in alter Größe, das veto wider die Dictatoren verhallt: die 
beiden Consuln sollen darauf achten, daß die Republik nicht 
irgend Nachteil erfahre. 

Und nun reißt das feige Volk aus, und wehe den Tribunen 1 
Orabbe läßt das Volk wie den Adel einmal in seiner Stärke, 
dann in satirischer Beleuchtung erscheinen. Lutatius Catulus 
erhebt sich in großartiger Weise aber den Parteien und brand- 
markt das kraftlose Volk ebenso gut, wie den geldgierigen 
Adel. Und während nun die Parteigenossen über den An- 
kläger herfallen, sucht Octavius zu vermitteln und zieht hin- 
aus in die Verteidigungsschlacht. Die Szene ist meisterhaft 
komponiert, an A erinnern nur der süße Redner Antonius, 
die Augurn und die Diktatur. Die 3. Szene zeichnet brillant 
die entfesselte Masse, die Tribunen verfolgend: Saturninus, der 
innerlich den Plebs anspeien möchte — er erinnert an Shake- 
speares Coriolan und an K estners Sulpicius — , entkommt und 
wird erst später ein Opfer Sullas, während der tief unter ihm 
stehende feige Flavius seinen Tod findet, als Crassus die 
prahlhansige Menge mit Leichtigkeit vertreibt Ancharius ver- 
kündet schreckensbleich die Niederlage des Octavius, während 
Antonius berichtet, daß die letzten Reste des Senats sich auf 
das Kapitol flüchten. Octavius naht sterbend und mit ihm 
geht der alte Crassus unter, eine echte Römergestalt in leuch- 
tendem Gegensatz zu dem feigen Ancharius und dem vor- 
sichtigen Antonius. Die Bestialität der Massen findet ein 
Opfer in Scävola, der seine Muränen mit Sklaven fütterte 
(ScäVola wird auch in A erwähnt). Hier ist die Reminiszenz 
an die Ermordung Cinnas in Shakespeares Julius Cäsar mit 
Händen zu greifen, wie außerdem Coriolan II 2, III 1 zu 
vergleichen sind. — Die 1. und 2. Szene empfahl Grabbe als 
Proben für die Journale. 

Hierzu berichtet Plt. (Mar. 47). „Als Octavius aufgefor- 
dert war, die Sklaven freizumachen, sagte er: ich mag nicht 
Sklaven die Rechte mitteilen, die ich, um die Gesetze aufrecht 



— 119 - 

zu erhalten, dem Marius versage", Worte, die etwa in der 
Rede des alten Crassus bei Grabbe wiederklingen. Die Sol- 
daten wollten den Octavius nicht, sondern den Metellus. Aber 
bei Grabbe ist Metellus besiegt. Octavius wurde noch vor 
dem Einzug des Marius von den vorangeschickten Soldaten 
von der Rednerbühne herabgerissen und ermordet. Das stimmt 
besser zu A als zu B. A betont den Aberglauben des Octa- 
vius — Mommsen nennt ihn ehrenwert, aber kurzsichtig «— dra- 
stischer und plumper als B, wo neben Plt. wohl noch andre 
Quellen in Betracht kommen. (Bei Octavius* Tod sagt in A ein 
Bürger: „Da sinkt sie unter, die letzte Hoffnung unsres 
Reichs, blutig Von Haupt zu Fuße, wie ein roter Stern", 
in B Antonius: „gehüllt in seines Blutes rotem Purpurglanz, 
der Abendstern der Republik".) Der Senator in A heißt in B 
Ancharius, wie überhaupt hier nur Namen angegeben sind, 
die aus Plt. oder aus Appian stammen. Übrigens scheint Grabbe 
die Ereignisse an dem blutigen Octaviustag, an dem Cinnas 
Forderungen erfüllt wurden, mit einem spätem Ereignis zu 
verbinden. 

B 4 entspricht A 3. Zugrunde liegt Plt. 43: „Cinna als IU. 
Konsul empfing die Abgesandten auf einem Stuhl sitzend, 
und erteilte ihnen eine freundliche Antwort. Marius, der neben 
dem Stuhl stand, sagte zwar nichts, aber seine finstern 
Mienen und hämischen Blicke verrieten deutlich genug, daß er 
die Stadt sogleich mit Blut überschwemmen werde." 

B folgt weniger getreu dem Plt, und die in A ganz kurz 
angedeutete Haltung vor der Gesandschaft wird weit ausführ- 
licher dargestellt, indem Marius mit dem bekannten „zer- 
rissenen Herzen" zurückblickt und überlegt, ob es nicht besser 
ist, friedlich seinen Kohl zu bauen, anstatt die Verfolgungen 
des Ruhmes auf sich zu nehmen, und indem Sertorius noch 
einmal scharf seine Stellung kennzeichnet. Es folgt die Ge- 
sandtschaft, die nach Cinnas Antwort abzieht. In B ist Cinna 
weniger lakonisch, und ein humoristischer Einfall ist einge- 
streut Die Situation ist ähnlich, wie im Coriolan. In A sagt 



— 120 — 

der Senator: „So erweiche dich denn auch, o Marius, starr 
nicht mit deinem Antlitze wie weißgeglühtes Eisen auf uns 
ein" (die Wendung wiederhalt sich im Hannibal) , worauf statt 
einer Antwort des Marius nur die Marianer in Aufregung ge- 
raten; auch in B führt nur der junge Marius das Wort und 
damit schließt die Ausführung in B, überhaupt der 2. Akt. 
Marius brach geschichtlich zuletzt in die Worte aus: er sei 
ein Verbannter und die Gesetze müßten erst geändert werden, 
ehe er in die Stadt einziehen könne. Diese Worte spricht er 
in A nach, in B vor dem Einzug Cinnas. Historisch ist es 
auch, daß Marius vor der Erfüllung seiner Bitte mit seiner 
II 5. Leibwache, den Bardiiern, einzog. — B 5 zeigt uns im Ent- 
wurf die Haltung des Ancharius, des Saturninus, des Sertorius 
vor dem Anrücken der Marianer. Diese Szene ist in A aus- 
geführt: Sertorius und Cinna ziehen siegreich ein, zur Ent- 
täuschung des Führers des Pöbels ohne Blutvergießen, in- 
dessen verkünden fliehende Bürger die Greueltaten der Ma- 
rianer. Marius gibt das Signal zum Morden, indem er mit 
den Worten: „Fliegt auseinander Krähen," seine Lanze 
unter die Senatoren wirft. Ober dieses Morden berichtet 
auch Plt.: Ancharius, ein gewesener Prätor, der dem Marius 
aufwartete, von ihm aber keines Grußes gewürdigt wurde, 
wurde niedergehauen. Man vergleiche die Szene bei Grabbe: 
Ancharius: „Sei gegrüßt, mein Marius" — die Soldaten: „der 
Feldherr würdigt ihn keiner Antwort. Haut ihn nieder." — Plt 
erzählt von der wunderbaren Rettung des Cornutus. Catulus 
erstickte sich in seinem Zimmer, Annius hieb mit eigner Hand 
dem Antonius den Kopf ab und Marius, der beim Abendessen 
saß, klatschte vor Freude in die Hände. Catulus wird in A 
erwähnt, ebenso Merula (vgl. Appian 74), dessen Tod in B 
eindrucksvoll ausgeführt werden sollte. Vor dem abgeschla- 
genen Kopfe des Antonius spricht Marius: 
Haha, nun ist die Natterzunge lahm, 
Die giftig zischend meinen Kopf 
Verschimmelt nannte! Pflanz den ihrigen 



- 121 - 

Jetzt hoch im Forum auf, und laßt ihn stumm 
Verkünden, wer ich bin? — Wenn mir 
Der Donner der einsinkenden Gebäude 
Nicht so gewaltig an die Ohren schlüge — 
Ich wüßte nicht, ob alles dies nicht bloß 
Ein wüster Traum sey, wie ich sie so häufig 
Auf meiner Flucht gehabt! (geht in eine Straße). 

Es heißt dann weiter. — Verschiedene Bürger treten auf. 
Erster: Mit Wölfen muß Man heulen. 
Zweiter: Laßt uns also auch totschlagen. 
Dritter: Man hat's ja frei! 
Zweiter: Seht meinen Oheim! 

Ein kurzer Stoß verschafft mir seine Güter. 
Der Oheim: Erretf mich, Neffe! Meine Sklaven folgen 

Befreit und rachedurstig meinen Fersen! 
Der Neffe: Du dummer, niederträchtiger Verräter (Er er- 
würgt ihn). 

Germanische Sklaven (kommen und schwingen statt der 
Waffen ihre zerrissenen Ketten): Ho Freiheit, Freiheit, Tod 
und Rache für Die Cimbern- und Teutonenschlacht. 

Sucht Römer! sucht bis in den Leib der Mutter! (Sie grei- 
fen die Bürger und strecken sie zu Boden) — Mehr Römer! 
mehr! 

(Ein Haufen Marianer überfällt sie) : Hier habt ihr weichet 
(Die Sklaven werden in die Flucht gejagt.) 

Solche Greuelszenen, die an den Gothland erinnern, hat 
der Dichter, vielleicht unter Tiecks Einfluß, bei der Umar- 
beitung unterdrückt. — Plt. berichtet, daß Marius die Angst be- 
kam, als er von dem Herannahen Sullas hörte. Dieser Ge- 
danke liegt A 5 zugrunde, wo Cinna und Marius wie Götter 
verehrt werden und wo Sertorius Einspruch gegen das Mor- 
den erhebt. Besonders effektvoll sollte der Moment ausge- 
staltet werden, in dem Marius den Namen Sulla ausspricht^ 
der wie ein Echo von der Menge wiederholt wird — eine 



- 122 - 

« 

Parallele zu dem Eindruck, den der Name Marius am Schluß 
des 1. Aktes auf Sulla macht. 

lU B 7 ist in A 6 ausgeführt. Daß Sullas Gattin Marius 

verachtet, ist in B hinzugefügt. Es ist eine erfundene Epi- 
sode, die an die Frauen Shakespeares erinnert und stark be- 
einflußt erscheint von der Szene zwischen Cornelia und ihrer 
Amme am Schluß des 1. Aktes des Kestnerschen Dramas. 
Unhistorisch ist es natürlich auch, wenn das Ende des Ma- 
rius und die Ankunft Sullas so eng aneinandergerückt wer- 
den. Aber wenn der Dichter hier nicht änderte, war doch 
das Drama unmöglich. 

Im allgemeinen folgt der 2. Akt Plt. A beschränkt sich 
auf die nackten Tatsachen, enthält aber doch auch einzelnes 
in B Unausgeführte. B steigert, motiviert sorgfältiger, schmückt 
aus. Den Höhepunkt des Stückes und «der Orabbeschen Kunst 
bildet die Schilderung einer kritischen Stunde in Rom. Welch 
ein Auf- und Abwogen in der Senatsszene, wie sich noch ein- 
mal an antiker Größe die Welle des Pöbels bricht, diese wan- 
kelmütige, feige und doch wieder nicht ungefährliche, bald 
mitleidige, bald brutal blutgierige in Extremen schwankende 
Menge. Die herrlichsten Römer gehen zugrunde, nur die Halben 
und Schlauen bleiben übrig. Diese grauenhafte Komik im 
Schrecken, diese humoristischen Schlaglichter 1 Die Kontraste 
sind scharf herausgearbeitet, es ist Kunst und Kraft in diesen 
Szenen mit dem kühnen Realismus, der grausamen Energie, 
dem satirischen Humor. Sulla war im 2. Akte nur ein Name, 
auch im 3. Akt gehört ihm nur eine Szene, die aber entspre- 
chend der Bedeutung, die er in der zweiten Fassung haben 
sollte, bedeutend vertieft ist. Auch hier hat B keine einzige 
Szene zu Ende geführt. Um so wertvoller wird A trotz des 
skizzenhaften Charakters. A 3 sollte in B geteilt werden, die 

III i. Unterstreichungen fehlen in A. Die 1. Szene zeigt uns Sulla 
bei Pidentia, B folgt A im Aufbau, doch wird eine Charak- 
teristik von Pompejus und Sulla (nach A erweitert) einge- 
fügt. A ist in der Form roher als B, wo zweimal ein un- 



— 123 — 



vollkommner Vers richtig gefüllt wird und wo der Blutbefehl 
{ an Catilina ausgefallen ist. In A sagt Sulla, während er die 

Augen rollt: 

Elende Ameisen, die ringsum wimmeln! 
Und auch nicht einmal, sondern Menschen! 
Kein Vieh treibt seine Schmach soweit, 
Daß es den Metzger, der es schlachtet, 
Wie seinen Gott anbetet, und ihm zu 
Gefallen, unter sich zu morden anfängt — 
Das kann nur einer, der Vernunft hat! 
Die Szene zwischen Sulla und dem Weibe — ein Einfall 
von echt Grabbeschem Grausamkeitsinstinkt — endet in A: 

Sulla: Hahaha (mehreren Soldaten fallen die Schwerter 
auf die Erde). Was Ergreift euch? Hauptleute: Wir sind's 

nicht gewohnt, Dich so zu sehn Sulla: Ich könnte Rom 

totlachen! 

Redende Personen sind in beiden Fassungen nur Sulla, 
Metella und das Weib. Die Quelle bildet hauptsächlich 
Plt. Sulla 6 22, 45 wird die Tötung Licins erwähnt. Sulla 
nannte sich schon im jugurthinischen Krieg felix. Man ver- 
gleiche Plutarchs Charakteristik: Sulla schwankte zwischen 
Härte und Mitleid, von Natur zornig und rachsüchtig, mäßigte 
er seine Hitze aus Überlegung und um seines Vorteils willen. 
Schuldige und Schuldlose ließ er untergehn (Plt. 9). Sullas 
Erhabenheit über die Leidenschaften — durch die romantische 
Ironie modernisiert — ist bei Grabbe überhaupt das Zeichen 
des Obermenschen (vgl. „Don Juan und Faust* II 1), sein 
Verhältnis zu Metella entspricht dem der Hohenstaufen zu 
ihren Gattinnen. M e t e 1 1 a, Sullas 5. Frau, deren moralischer 
Ruf kein guter war, hatte großen Einfluß auf ihren Mann,, 
der z. B. die Athener hart strafte, weil sie sie verspottet 
hatten. Sie kam bereits nach der Schlacht von Orchomenos 
flüchtig in Sullas Lager. — Die Szene mit dem Weibe ist viel- 
leicht einer andern Szene nachgebildet, in der Sulla auch 
seinen grausam lakonischen Witz zeigt. Er fragt: (Plt. 26) 



— 124 - 

„Lebt denn noch einer von den Achäern?" Die Fischer ver- 
stummten vor Schrecken, Sulla aber lächelte sie freundlich an." 
— Auch die „sonderbaren weißen Flecken" erwähnt Plt. 22, 
der sie allerdings nicht so auslegt, wie Orabbe. »Die Ge- 
sichtsfarbe gab ihm ein besonders furchtbares Aussehn, sein 
ganzes Gesicht war mit roten Pusteln wie besät und da- 
zwischen ein weißer Schorf eingestreut. Von dieser Farbe 
soll er den Zunamen bekommen haben, und ein Spötter spielt 
darauf in den Versen an: Sulla sieht der Maulbeer ähnlich, 
der mit Mehl bestreut ist. — Weshalb Grabbe Sulla von Tarent 
gleich nach Fidentia führt, ist nicht abzusehn, nach Plt. 27 
bis 30 siegte Sulla in Campanien, Lucullus bei Fidentia. 
III 2. Plt 45 erzählt von den schlaflosen Nächten, den furchtbaren 

Träumen, der Völlerei des Marius, der unter solchen Auf- 
regungen starb. Nach Posidonius ahmte Marius zuletzt wie 
ein Wahnsinniger unter lautem Geschrei und Juchzen 
allerlei Stellungen aus seinen Schlachten nach. (Die Sonnen- 
hitze als Verbündeter der Cimbernschlacht wird nach Plt. 26 
erwähnt.) A 2 charakterisiert sich Marius selbst nach einer 
Auseinandersetzung mit Cinna, B läßt — besser — Cinna und 
Sertorius auftreten in einem langen Monolog, der nach einem 
Zwiegespräch mit einem Sklaven fortgesetzt wird. B läßt 
nach diesem Dialog ein Gelage folgen, an dem auch Sahir- 
ninus und der junge Marius teilnahmen. — Die Schlacht bei 
Canusium, in welcher der junge Marius von Sulla besiegt wurde, 
(Appian 84) fand natürlich nach dem Tode des Marius und 
Cinnas statt. (Der Monolog zeigt die eigentümliche metrische 
Änderung, daß Grabbe den ersten Fuß eines Verses in den 
vorhergehenden übernimmt, obwohl dadurch einmal ein 6- 
Füßler entsteht. Aus „Himmel" wird „Äther", aus „hindern" 
„Stirn bieten".) Der Monolog hat übrigens Ähnlichkeit mit 
dem Solimans in Körners Zriny: beide wären glücklich, wenn 
sie nicht einen gewaltigen Nebenbuhler hätten (Körner wird 
im „Napoleon" gelobt). Diese halblaute zischende Tonart er- 
innert an Gothlands Selbstbekenntnisse, die „Läuse" sind hier 



■ — 125 — 

„Grillen". Der Sklave ruft in B: ich bin verloren, in A: „er 
ist toll" — woran sich folgender mit einem rohen Bild an- 
hebender und mit einer echt Orabbeschen Wendung ausklingen- 
der Monolog des Marius anschließt: 

Du lögst! das Römerreich ist toll! 

Es hat den Erdkreis angesteckt, 

Der hat die Menschheit inficiert, 

Die Menschheit mich, und ich den Sulla, 

Und Sulla — Was beginn ich? Geh 9 

Ich ihm entgegen, so werd' ich geschlagen, 

Und stürze ich mich in mein Schwert, so heißt's, 

Ich hätte es aus Furcht vor ihm getan! 

Ich wollt*, daß ich bald stürbe, daß 

Ein Blitzstrahl oder so etwas mich träfe! (ab). 

Diesem innern Erlahmen entspricht das äußere Ver- IH3.4, 
derben, das nicht nur von Sulla allein kommt. „Nichts konnte 
der Rachsucht und Mordgier der Bardiäer widerstehn, bis 
endlich Cinna und Sertorius zusammentraten, sie des Nachts 
in ihrem Lager überfielen und alle zusammen niederhauen 
ließen" (Plt. 44, Sertorius 51) . B wollte zunächst wieder eine 
Milieuszene geben: Lebensweise und Denkungsart der Mari- 
aner sollte rasch und scharf individualisiert werden, wobei aber 
eine allzugünstige Charakteristik den Entschluß des Sertorius 
nicht begreiflich machen würde. Diese Schlußszene von A 
sei ganz mitgeteilt, da B nur einen Prosaentwurf enthält. 

Bei dem Lager der Marianer. Später Abend. (Sertorius 
mit seinen Kriegern im Marsche). 

Sertorius: 

Hier vor Roms Thoren haltet, und bedenkt 

Noch einmal meine Rede! 

— Ich mag der Henkersknecht des Marius 

Nicht länger seyn, und wie ich hoffe, mögt 

Ihr's auch nicht bleiben. Drum 

Bin ich entschlossen, nach Hispanien 



- 126 - 

Zu zieh'n, es mit Gewalt zu unterjochen, 

'ne neue bessre Republik zu gründen» 

Und dort zu harren, bis es Zeit ist, nach 

Italien mächtig heimzukehren, und 

Den Sulla oder Marius aus Rom 

Zu jagen. Aemter, Ehren, reicher Lohn 

Und Siege winken euch — sprecht frei und dreist 

Ob ihr mir folgen wollt. 

Die Krieger: 
Auf, auf, und hin 
'ne bessre Republik I 

Sertorius : 

So kommt! — Und um 
Dem Marius die Trennung schmerzlicher 
Zu machen, laßt uns im Vorbeigehn die 
Achttausend Wütriche in ihren Zelten, 
Die Marianer niederhauen I 

Die Krieger: 
Brav, 
Sertorius, bravo. 

Sertorius: 

St, der Cinnal (China mit mehreren Liktoren). 

Cinn a : 

Was gibt es? — Wie? — Sertorius? — Was habt Ihr vor? 
Sertorius: 

Consul, du bist ja auch 

Des ewgen Mordens überdrüssig. 

C i n n a : 

Wenn ich nur 'nen Endzweck dabei sähe, 
Es nützt ja nichts. Wir stehen fest genug, 
Das Blut kann nur den Boden schlüpfrig machen, 
Der Marius ist blind. 

Sertorius : 

Er thut's aus Eitelkeit. 



- 127 — 

Ci n na : 

Aus Eitelkeit? — 
S ertori us : 

I freilieb, 

Er ahnt es, daß man ihn nieht mehr bewundert, 

So soll man ihn doch fürchten. 
Cinna : 

Halb und halb 

Ist etwas wahres dran. 
S er tor ius : 

Was meinst Du, war's 

Nicht klüglich, ihm die Fittiche zu pflücken? 
Cinna (auf das Lager der Marianer deutend) : Hm, hm. 

Die Federn werden schreien (Er zieht den Sertorius auf 

die Seite). Mach' 

Nur zu, 's ist mir so vorteilhaft wie Dir, 

Wenn Marius geschwächt wird, aber was 

Du vorhast, weiß ich nicht. — Nur zu! 
Sertorius (zu seinen Soldaten) : 

Nur zu! 
Alle: 

Nur zu! (Sie überfallen das Lager, furchtbares Geschrei 

und Gemetzel, kurze bald abgebrochene Hörnerklänge, 

tiefe Stille). 
Sertorius (mit seinen Leuten zurückkommend) : 

Jetzt nach Hispanien. Der Adler ist gerupft. (Indem 

Marius aus der Thore stürzt) : Dort flattert er schon her! 

(Mit seinen Truppen fort). 
Marius: 

Was ist geschehen? Wo sind meine Jungen? 
Mehrere Stimmen (matt) : 

Die Hand — die Hand — zum Abschied. 
Feldherr Marius (erblickt die Erschlagenen) : 

Jammer Und Greuel! meine Kinder! Die Genossen Von 

Aqua Sextiä. 



- 128 — 

Eine ersterbende Stimme : 

Feldherr, das Ist nun gewesen. 
(Cinna kommt.) 

Marius : 

Cinna, Cinna, wer Erschlug mir meine Treuen, 

Cinna : 

Sicher der Sertorius. 
Marius (wild) : 

Verfolgt, verfolgt, durchbohret ihn. 

Cinna : 
Zu spät 

Er ist schon auf dem Wege nach 
Hispanien, und Sulla's halber dürfen 
Wir unser Heer nicht mindern, 
's ist kläglich. 

Marius: 

Wie 'ne Eiche, die im Sturm, 

Der sie entlaubt hat, unmutvoll 

Zu rauschen sucht, und es nicht kann, weil rings 

Am Boden ihre Blätter liegen, sinke 

Ich unter meine Marianer t 

Charakteristisch ist wieder die Orausamkeit, maskiert 
durch den Witz, wie sie dem edlen Charakter des Sertorius 
kaum ansteht. Die Darstellung bleibt im ausgeführten Bilde 
des Adlerfittichs. Auch in B wird der wankende Cinna durch 
Sertorius beherrscht — die Niedermetzlungsszene, das Ster- 
ben, sollte noch ausführlicher geschildert werden — der Schluß 
ist in B ganz anders, insofern als Marius nicht niedergedrückt 
sein Verderben sieht, sondern in Rachezorn noch einmal auf- 
flammt zu letzter Siegeshoffnung. So kann Marius denn noch 
ein glänzendes Ende in pomphafter Theatralik finden, wenn 
er, im Begriff gegen Sulla zu ziehn, inmitten seiner Soldaten 
stirbt, während die Sonne wie ein Purpuradler die Welt mit 
glühendem Fittich umschimmert (B IV 1). — A 3 und B 3 



— 129 — 

entsprechen einander. B 3 erweitert in der 1. Szene, fügt 
der 2. Anfang und Ende hinzu, die 3. Szene ist eine Einlage, 
die 4. motiviert sorgfältiger. Hervorzuheben waren in A 1 
ein Monolog Sullas, in A 2 ein Monolog des Marius und die 
Schlußszene. 

B bringt nun noch 2 Akte, entsprechend Plt. Sulla 27ff.; es B. iv. 
sind nur Prosaskizzen, und nur gelegentlich sind einige Verse 
von prägnanter Eigentümlichkeit und Bildlichkeit eingestreut. 
Solche Einfälle bewahrte sich Orabbe liebevoll auf und brachte 
sie eventuell noch später z. B. im Hannibal unter. Hier wuch- 
sen die Schwierigkeiten, mit den historischen Tatsachen fertig 
zu werden:. Es ist also kein Zufall, wenn Grabbea 
erstes Fragment abbricht. — Die Schlacht bei Präneste kom- 
biniert bei Orabbe verschiedene Ereignisse: Sullas Sieg über 
den jungen Marius bei Sacriportus, seine Einschließung in 
Präneste und seinen — in Wirklichkeit bedeutend spätem — 
Selbstmord (Plt. 32) • Die Handlung war als hinter der Szene 
sich abspielend gedacht und sollte hauptsächlich in Gesprä- 
chen, in Dialogen, z. B. zwischen Pompejus und Catilina, in 
Monologen Sullas reflektieren. Die Äußerungen Sullas bc- 
ruhn zum Teil auf Plt 34, doch treten jetzt auch andre Quel- 
len mehr hervor z. B. Appian, Valerius Maximus, Vertot. 
Marius und Sulla wirken im ganzen Stück nur durch die 
Zauberkraft ihres Namens aufeinander ein, daher wird der 
Samnitenfürst Telesinus eingeführt, der als über halbwilde 
Bergbewohner herrschender Indianerhäuptling charakterisiert 
wird, scheinbar den Marianern treu, in Wahrheit aber hinter- 
hältig auf den Tod aller Römer bedacht (also als Nachfolger 
des Marius ungeeignet), gleichsam eine Vorstudie für Hanni- 
bal oder Hermann. Die 4. Szene sollte ihn in Verhandlung 
mit den Marianern, die 5. im Kampf gegen Sulla zeigen. 
Wieder ging eine Unterredung voraus — wohl aus bühnen- 
technischen Gründen — (vgl. Sulla und Mithridates-Scipio und 
Hannibal). Sulla bleibt Sieger, nachdem er Apoll angerufen 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 



— 130 — 

(Plt. 29), in der Geschichte ist es Crassus), Telesinus geht 
unter. 
B. v. Im 4. Akt hat Sulla nacheinander Mithridates und nach- 

dem in seiner Abwesenheit der in Erinnerungen lebende Marius 
durch innere Parteikämpfe und seine persönliche innerliche 
Wut, die ihm wieder die eigenen Anhänger abwendet, ver- 
zehrt ist, die Marianer und den Telesinus besiegt. Es bleibt für 
dben 5. Akt nur noch der Triumph Sullas übrig, der weit über 
seine Genossen aufragt. V 1 ist eine Parallele zu 114: Sulla 
vor Rom, wie Marius vor Rom. Wieder zittern Senat und 
Volk, es leitet ihn nicht die wilde Blutgier, der persönliche 
Rachedurst des Marius, er motiviert die Proskriptionen kalt- 
blütig schneidend mit einem Geschichtchen: vom Ackers mann 
und vom Ungeziefer (Appian 101 — Plt. 31) . Plt. nennt Sulla 1 
sich Diktator, bei Grabbe »Herr der Welt a . Nachdem er das 
Höchste in langsamem Aufstieg erreicht hat, legt er sofort die 
Herrschaft wieder nieder. Dieser verblüffende Abschluß hat 
Grabbe sehr angezogen: entsprach es doch seiner eigenen 
Wesenheit, blitzschnell alle Abgründe zu durchmessen und 1 
aus der Höhe unvermittelt in die Tiefe hinabzustürzen. Mit 
diesem Geniestreich, diesem Musterbeispiel von Ironie und 
Blasiertheit wollte Grabbe abschließen und das Ende: Sulla 
heiratete nach Metellas Tod die Vaieria und starb wahrschein- 
lich an einem gräßlichen Darmkrebs — lag außerhalb des 
Stückest. Der Humor der Sache ist, daß das ganze weltge- 
schichtliche Ringen mit einem echten Bluff endet, das Ergeb- 
nis ist ein Nichts. — Grabbes Sulla ist ein Vorläufer seines 
Don Juan. Er hat sich viel gründlicher mit den Quel- 
len befaßt und besaß auch einen schärfern historischen Blick 
als Kestner. Seine Charakteristik wird bestätigt durch die 
Mommsens: Sulla war eine einzige Erscheinung, ein Zug von 
Ironie ist ihm eigentümlich. Mommsen nennt ihn einen Don 
Juan der Politik ohne planmäßigen Ehrgeiz, keck und ver- 
schmitzt, einen verwegenen Spieler, ohne Illusion, mit einer 
halben Empfindung von der Nichtigkeit seiner Siege und seiner 



- 131 - 

Werke — rücksichtslos, cymsch, offen genußsüchtig, einei^ 
Ehebrecher und Verschwender. Oft straft er hart auch Un- 
schuldige und läßt dann wieder vieles durchgehen. In seinem 
.Verfassungswerk kann Sulla nicht mit Gracchus und Cäsar 
verglichen werden: es war ein in das brandende Meer ge- 
worfener Notbau. 

Grabbe sagt, es kommt nicht auf Treue in allen histo- 
rischen Einzelheiten an, sondern darauf, daß der Dichter 
den wahren Geist der Geschichte enträtselt Darin kann 
man ihm nur beistimmen. Aber man sieht aus dem 
ersten Entwurf doch, daß Grabbe kaum ein Glied in der Kette 
der geschichtlichen Ereignisse überschlagen, während er später 
viel freier wählt und ordnet Er bringt nicht nur zwei Charak- 
tere, sondern die ganze Zeit Zunächst muß man aus den 
Quellen schöpfen, um das urechte Leben zu finden. Es ist ein 
großer Fortschritt, wenn Grabbe uns das Milieu begreiflich 
inacht und dadurch den Helden erklärt, wenn er uns in den 
Volksszenen ein Zeitalter des Obergangs, der Verwesung 
abbildet. Die Szenen in Rom, die Fischerszene eröffnen eine 
fruchtbare Tendenz, die Grabbe dann konsequent ausgebaut 
hat Andererseits zeigt sich namentlich in den letzten Szenen, 
wie die Hinneigung zum Historisch-Epischen die dramatische 
Form auflöst, so daß sich eine dramatisch-epische Zwischenform 
voq selbst ergibt —Doch strebt Grabbe schon jetzt das „trockene, 
gelbst im Kriege mit Cartbago nach Pandekten riechende 
Römerleben, den modernen. Spectators interessant zu machen. 44 
In dieser Zeit ist das Volk der „elende kindische Pöbel", 
während der Aristokrat Shakespeare die Menge im Coriolan 
mit Unrecht so zeichnet, wie Grabbe in der Shakespearo- 
manie mit Berufung auf Niebuhr tadelt Wie Goethe mit dem 
Götz aus der strikten Shakespearenachahmung sich befreite, 
so Grabbe mit seinem „Marius und Sulla". — Aber weiter 
ist doch eine Einheit, eine Generalidee zu fordern: zwei große 
Gegenspieler in der Qeschichte reizen ja zu dramatischer 
Behandlung, aber bei Marius und Sulla lag es sehr ungünstig: 



- 132 - 

der einzige Moment, in dem sie sich begegnen — den Käst- 
ner vorweggenommen hatte — liegt weitab von dem Ende, 
in dem sich die geschichtliche Nem'esis enthüllt. Orabbe 
sucht das Ende des Marius hinauszuschieben und ihm in Tele- 
sinus einen Nachfolger zu geben, aber der Name allein genfigt 
nicht und tatsächlich wirkt er auch nicht allein bestimmend, 
ebensowenig der Grundgedanke, daß nur Despotie die kranke 
glaubenslose Menschheit heilen kann. Auch lassen sich Sulla 
und Marius nicht ohne weiteres mit den Parteien identifizieren 
(Optimalen und Volk) ; nur das Notwendige aber erklärt, nicht 
das Zufällige. Daher hat Grabbe mit Recht in B die Ser- 
toriushandlung vertieft, weil dadurch neben der immanenten 
Tragik mehr äußere Spannung in die Mariushandlung kommt, 
als durch Sulla aliein. — Das Schicksal des rauhen Bauern 
Marius, in dem Grabbes eigener Parvenustolz zum Vorschein 
kommt, der sich trotz dunklen Ursprungs heraufgearbeitet 
hat, und des blasierten Aristokraten Sulla erscheint entgegen- 
gesetzt und hat doch auch wieder Verwandtes. Marius be- 
ginnt im tiefstem Unglück auf den Trümmern Carthagos. 
Dann geht es aufwärts, weil Sulla fort ist. Wir finden ihn 
unter seinen alten Käuzen, dann vor dem winselnden Rom 
in Rachewollust schwelgend; der Name Sullas II 6, seine 
Wiederkehr bringt die Wendung. Marius erkennt seine Unter- 
legenheit — der Glanz des unrühmlich vergehenden Alten 
wird überstrahlt von dem jungen Rivalen, er berauscht 
sich in Erinnerungen, in Wein und Blut, doch läßt ihm der 
Dichter noch ein höchst glanzvolles Ende vor der Enttäu- 
schung. Marius lebt in der Erinnerung, in der Vergangenheit, 
Sulla in der Zukunft. Ihn begleitet der Gedanke an Marius 
ins Feld, und Cinnas Verrat und der Name des Marius, der 
ihm persönlich widerlich und dumm erscheint — wie Corio~ 
lan den „stinkenden Pöbel" verachtet — bestimmen ihn doch 
auch beim Frieden mit Mithridates. Im 2. Akt unterliegen 
die Sullaner und Sulla selbst wird des Hochverrats ange- 
klagt, aber Sullas Name erschreckt Marius, und sein Weib er- 



— 133 - 

zeigt sich seiner würdig. Der 3. Akt zeigt den vorrückenden 
Sulla und den weichenden Marius. Hier schließt die erste 
Fassung, weil Grabbe sich noch nicht schlüssig war, wie er 
das Ende des Marius gestalten sollte. Er entschied sich für 
einen echten Soldatentod des Marius und führte dann Sulla zum 
Triumph, um hinter die ganze Tragikomödie ein Fragezeichen 
zu setzen. Marius und Sulla gegenüberzustellen, konnte den 
Dramatiker locken. Wie man des Themas anders Herr wer- 
den wollte, als es Kestner tat, der Sulla als Haupthelden Ma- 
rius überordnete, oder wie Grabbe es versuchte, ist nicht ab- 
zusehn. Hat Grabbe den Stoff in vieler Hinsicht gemeistert, 
so sprechen doch außer Äußeren auch innere Gründe mit, 
wenn das Stück Fragment blieb. Dennoch dachte Grabbe 1828 
daran, das ganze Stück zu vollenden (12. 8. 27.). 

Die Jamben der ersten Fassung sind in B gemischt mit 
Prosa. Während das Verhältnis zwischen 5-Füßlern und 6- 
Füßiern, zwischen katalektischen und hyperkatalektischen 
Versen in A ziemlich gleich ist, überwiegen in B wie über- 
haupt in allen historischen Dramen Grabbes die hyperkata- 
lektischen Verse. Das Personenverzeichnis von B fügt dem 
von A 12 neue Namen hinzu. Von Anfang an war die Dich- 
tung als Tragödie in 5 Akten geplant. 



IV. Kapitel 



Der Auditeur 

„Mein Malheur besteht einzig darin, daß ich in 
keiner größeren Stadt, sondern in einer Gegend ge- 
boren bin, wo man einen gebildeten Menschen für 
einen verschlechterten Mastochsen hält." 

Orabbe an Tieck (29. Vffl. 1828). 

Also war Orabbe wieder in Detmold. Ausgeträumt war 
der kühne Traum einer poetischen Revolution, deren An- 
bruch er hatte verkündigen wollen in einer Tragödie voll wilden 
Schmerzes und in einer übermütigen Komödie. Und während 
sein Geh im erfüllt ist von ungeheuren Plänen — unvollendet 
waren noch „Don Juan und Faust" und „Marius und Sulla 41 

— soll er sich in einer westfälischen Kleinstadt begraben, 
um ein nützlicher Staatsbürger zu werden. Die Enttäuschung 
lastete um so schwerer auf ihm, als er fühlte, daß es nicht 
nur ein rein zufälliges Mißgeschick war, das ihn betroffen« So 
mußte es immer wiederkehren. Er fühlte sich tief unglück- 
lich: die damalige Literatur verlachte er, seinen Gottesglauben 
hatte er über Bord geworfen und seine moralischen Ansichten 
schwankten; in den eigenen Dichtungen waltet ein verneinender 
Geist der Verzweiflung, ein zynischer Obermut, seine Jugend- 
kraft war vergeudet und vertan. Die Partie schien verloren, noch 
ehe das Spiel begonnen. »War' ich tot, es war 9 mir lieb, 
lebt* ich nie, es wäre besser". Nach solchen Anstrengungen 

— nichts! Das Schicksal versagte ihm die kleinste Gunst und 
verschloß ihm den Weg, auf dem ihm allein das Glück hätte 



— 135 — 

winken können. Noch macht er einen krampfhaften Durch- 

« 

bruchsversuch. Tieck soll ihm die geringste Stelle am Theater 
verschaffen. Tieck antwortet gar nicht. 

Da übermannt Qrabbe die Verzweiflung. Er lebt wüst 
und sucht sich zu betäuben. Der Alkohol inspiriert nicht nur, 
er tröstet oder vielmehr er betäubt auch. Ein wüster Schlemmer 
öder ein einsamer Apathischer — so tritt er uns auch wohl in 
seinen Werken entgegen. So mochte Grabbe, innerlich zerrissen 
und äußerlich nachlässig, in der Tat den Eindruck eines ver- 
pfuschten, schiffbrüchigen Studenten machen. Einsam saß er 
zieren. Kaum las er die Briefe, die die Berliner Genossen 
im Krug, nur mit einigen Gymnasiasten ging er wohl spa- 
äh ihn richteten. Endlich nach 4 Monaten überwand er sich. 
Er schien Tiecks Warnung vor der Muse als seiner gebornen 
Feindin beherzigen zu wollen. Auch lag es in seiner inner- 
sten Wesensart, den Kompromiß zu fliehen und sich für ein 
„Alles oder nichts" zu entscheiden. Trotzig wollte er seinen 
Schmerz verbeißen und über einem arbeitsamen Amt ganz 
die Poesie vergessen. Die Freunde mußten Grabbe die 
Testimonia besorgen und er, der wohl nur im ersten Semester 
die juristischen Kollegs fleißiger besucht hatte, erledigte am 
2. Juni 1824 die Prüfung. Man darf aber einen jungen Mann, 
der mit 22V£ Jahren sein Examen besteht, nicht zu den ver- 
bummelten Existenzen rechnen. Er wurde zur Advokatur d. i. 
zur allgemeinen Staatskarriere zugelassen. Als Advokat be- 
kam er bald zu tun und er arbeitete seine juristischen Auf- 
gaben mit Fleiß und Sorgfalt aus. Meist lebte er für sich, in 
der Gesellschaft verhielt er sich stumm oder er benahm sich 
auffallend. Extravaganzen fielen natürlich in der kleinen 
Stadt ganz besonders auf, wo jeder gebildete Mensch ange- 
sehen wurde wie ein „verschlechterter Mastochse". Weder 
die Leute noch der Ort paßten für den Dichter. Die From- 
men waren schlecht auf ihn zu sprechen, der denn auch über 
den Pietisten Blomberg oder später über die Conventikel 
manch kräftig Wörtlein fand, wie insbesondere auch in »Dop 



— 136 — 

Juan und Faust" zu lesen. Wessenbergs moralische Aesthetik 
reizte seinen Widerspruch. Sein früherer Gönner, der General- 
superintendent, wollte nichts mehr von ihm hören, nachdem er 
ihn in einer Posse als den Gottseibeiuns konterfeit hatte. So 
erregte der Dichter manches sicher berechtigte Ärgernis, aber 
er fand andrerseits auch wenig Verständnis. Was bot denn 
auch Detmold und Westfalen in jener Zeit? Westfalen galt als 
etwas zurück in der Kultur. Voltaire vermeinte halbe Bar- 
baren zu treffen. Und noch zu Grabbes Zeit taucht diese Gegend 
fast wie ein noch unerforschtes Land auf. Gehören Namen 
wie „Huckebecke" oder „Holzapfel" noch derselben deutschen 
Sprache an, die man in Berlin und Leipzig spricht? fragt da- 
mals verwundert ein allzu gebildeter Korrespondent. Erst 
unter preußischem Regime, unter dem Oberpräsidenten Vincke, 
blühte die Provinz auf. „Gegenden, deren Nennung schon in 
früheren Zeiten den Reisenden Grauen erregten, erfreuen sich 
jetzt dauerhafter Chausseen, und unsre Schulen, ehemals dumpfe 
Hallen, sind jetzt geräumige Schulräume." Osnabrück, die 
Geburtsstadt Mosers, blühte langsam empor. Münster mit 
seinen 15 000 Einwohnern entwickelte einigen literarischen 
Verkehr. Raßmanns rheinisch - westfälischer Musenal- 
manach vereinigte einige literarische Namen: z. B. J.-B. 
Rousseau, Vogt, Braun, Lappe, Immermann u. a. Die größte 
literarische Kapazität, der Mäcen aller jungen Talente in Det- 
mold, war Archivrat Clostermeier, dessen lokalgeschichtliche 
Werke über den Schauplatz der Hermannsschlacht oder über 
die Externsteine von den Detmoldern ungeheuer geschätzt 
wurden. 

Ihn betrauert voll Gram Teutoburgs Waldgebirg, 

Dem er bleibenden Ruhm, ewige Kränze gab: 

Dem den Sieg des Cheruskers, 

Romas Fall er gerettet. 
Also besang ihn der 10 jährige Freiligrath bei seinem 
Tode. — Die nächsten großen Theater waren in Hannover und 
Braunschweig, wo Köchy und Klingemann mit Grabbe zwar 



- 137 - 

in Beziehung traten, ohne ihm aber viel nutzen zu können. 
Pichler gab Vorstellungen in Münster und Pyrmont und er 
zog endlich als Direktor ein in den neuen Kunsttempel zu 
Detmold, der 1825 am 8. November mit Mozarts „Titus" er- 
öffnet wurde. 

Grabbes Muse schweigt zunächst, und der Dichter scheint 
seinen Vorsätzen mit eigensinniger Hartnäckigkeit treu 
zu sein. Wir haben nur ein Gelegenheitsgedicht zu verzeich- 
nen zum 50. Jubiläum Petris — das einzige, das wir von ihm 
kennen. Da schien sich ein Mittelweg zu öffnen, den der 
Dichter gehen konnte, um wenigstens einigermaßen inneren 
und äußeren Beruf zu vereinen: eine Gehülfenstelle am Ar- 
chiv wurde frei und Clostermeier befürwortete Grabbes Ge- 
such vom 2. September 1826. Aber die Stelle erhielt ein junger 
Jurist, der einen höhern Protektor hatte. „Connexion ist viel, 
Verstand, Verbrechen, Recht sind gar nichts." „Lieber Verstand 
verlieren als die Connexion" sagt Leporello. Für Grabbe war 
es ungeheuer viel, was er mit dieser unbedeutenden Stelle ver- 
scherzte. Für ihn war es ein schlechter Trost, daß er ein 
Commissorium erhielt und Ostern 1826 den erkrankten Audi- 
teur Rotberg — übrigens einen Verwandten der Frau Closter- 
meier — vertrat, um ihn 1827 zu ersetzen. Merkwürdig ist, 
daß er aus persönlicher Schüchternheit sich lieber schriftlich 
als persönlich bei dem Regierungsrat v. Meien vorstellt. Äußer- 
lich scheint also alles gut: mit 25 Jahren ein Commissorium, 
mit 26 Jahren angestellt — was will man mehr, wenn man 
nicht Don Juan ist? Aber Grabbe liebte die Octavio nicht. 

1827 scheint eine Blütezeit möglich. Grabbe war in Amt 
und Würden. Er hatte eine nobel eingerichtete Wohnung und 
schien auch die Anerkennung der Vorgesetzten zu besitzen, 
die ihm 1829 eine Zulage zubilligten. Warum sollte er nicht 
glücklich sein? Er war es nicht; er war krank, und das tiefste 
Bedürfnis blieb ungesättigt, so lange er seine Beamtenpflicht 
tat. Und für eine doppelte Aufgabe reichte seine Kraft nicht 
aus. Grabbe als Beamter — das ist eine Tragikomödie für 



— 138 — 

sieb. Man denke sich einen preußischen Regierungsrat und 
den Berliner Bohemien, der die feierliche Handlung der Eides* 
leistung in — Unterhosen und in lippeschem Platt inszeniert 
und mit Rum begießt. Ziegler hat uns diese Szene berichtet: 
„Als das Lippesche Bataillon nach Luxemburg marschieren 
sollte, hatten sich zwei junge Juristen, seine Bekannten, zu Offi- 
zieren gemeldet und mußten beeidigt werden. Sie kamen des 
morgens gegen elf Uhr auf Grabbes Stube und trafen ihn am 
Arbeitstische in der Unterhose und einem kattunenen rotgestreif- 
ten Kamisol, ein Glas Rum, seiner Gewohnheit gemäß, neben 
sich. Sowie er sie eintreten sah, sprang er auf. „Sui, sui,* 
sagte er, verbeugte sich verlegen, und indem er R. die Hand 
auf die Schulter legte, fuhr er fort: „Wi jui schweren?" 
„Emil, trink' erst einmal, daß du Kourage kriegst," fügte er 
hinzu und wandte sich wieder zu seinem Tische. „Dui Dul- 
wel is lause, ek kann' er nich vor. Da, wollt ihr ein biß- 
chen, tut's mir, es bekommt gut." Dabei machte er ein fin- 
steres Gesicht, um zu imponieren und sie zum Trinken zu 
zwingen durch die Furcht, ihm zu mißfallen. „No, wenn ihr 
nicht wollt, da wollen wir's kurz machen. Ich muß mich aber 
erst wohl ein bischen anziehn. Wartet mal, nehmt's nicht 
übel," und damit begab er sich in seine Kammer, die neben 
seiner Stube gelegen war. Bald kam er wieder zurück, aber 
in einem sonderbaren Kostüm. Über seine weiße Unterhose 
hatte er nichts anderes angezogen, als ein Paar schwarz- 
seidene Strümpfe, die ihm über die Kniee reichten und über 
seine rotgestreifte Nachtjacke hatte er einen schwarzen Frack 
angetan. Dabei hatte er um den nackten Hals eine schwarze 
Krawatte nachlässig umgeschnallt und an den Füßen hatte 
er Pantoffeln. Die drei fingen an zu lachen, als Grabbe so 
hereintrat, die Kriegsartikel und die Landesverordnung auf- 
geschlagen in der Hand, nach denen jene beeidigt werden 
sollten. Grabbe schnitt ein ernsthaftes Gesicht: „Der Eid ist 
eine feierliche Handlung, denkt an Gott. Emil, denk' an Gott* 

m 

t>amit stellte er sich an den Tisch, ließ die beiden vortreten 



— 139 

und fing nun an, die Kriegsartikel vorzulesen mit einer hohen 
Imposanten Stimme, wie er alles las. Er blickte indessen 
immer über das Buch weg und bemerkte, daß R. noch eine 
lächerliche Miene zog. „Emil," unterbrach er sich da im 
Lesen, „was lachst du? Ihr müßt nach meinen Unterhosen 
nicht sehen oder ich will mich anders stellen." Dabei machte 
er sich so klein, daß jene nicht mehr zu sehen waren und 
fuhr wieder fort zu lesen und ernsthaft sein Haupt zu er- 
heben. Bald aber verlor er alle Geduld. „Ach," brach er 
plötzlich ab, „et eis olle dum Tuig! Ihr werdet ja wohl wis- 
sen, was darin steht oder ihr könnt's selber lesen. Was soll 
ich auch das alles vorpredigen. Nun, nur schnell die Hand 
auf, Emil, schwatz' nicht mehr. Ich gelobe und schwöre — 

sprecht mir nach. — So, nun seid ihr fertig. Nun müßt ihr 

■# 

aber erst trinken, eher kommt ihr nicht weg. Der K. ist so 
edel, der trinkt keinen Rum. K., nun thun Sie mir den Ge- 
fallen, das einzige Mal." 

Wie Grabbe sein Amt ausübte, kam es dem rea- 
listischen und satirischen Dichter in ihm zugute. Nach- 
dem er Bauern verteidigt und sich um Weggerechtig- 
keiten gekümmert hat, verfaßt er Suppliken für Wilddiebe und 
übt die Gerichtsbarkeit von 1200 Soldaten. Die Soldaten 
müssen vor ihm präsentieren, denn er bekleidet den Rang eines 
Leutnants. Von 7%— 11% Uhr sind gewiß 20 Soldaten und 
Bauern bei ihm, er sitzt unter Bergen von Akten und treibt 
nebenbei eine ausgebreitete Lektüre. Darum brauch* er sein 
Amt noch nicht vernachlässigt haben, wie sehr auch seine 
Führung allen Reglements spottet. Grabbe verhandelte mit 
seinen Bauern in lippeschem Platt und diese mögen mit dem 
originellen Kauz besser fertig geworden sein, als mit einem 
steifen Musterbeamten. Manche Komödie mag sich in seiner 
Stube abgespielt haben, und er hat sich dann in der Dichtung 
selbst darüber lustig gemacht z. B. in der Gerichtsszene der 
.Hermannsschlacht". Die Tonart seiner Umgangssprache mal 



••* u 



— 140 — 

ein Mahnbrief bezeichnen: „Ich bin so enorm grob und bitte 
um den verfluchten Gulden. a 

Trotzdem Orabbe eine angesehene bürgerliche Stelle inne 
hatte und trotzdem die Leute, denen die Augen wie die Pfor- 
ten des Himmels bei der Sündflut aufgingen, ihn nach Er- 
scheinen seiner Werke unendlich schätzten als großes Genie, 
machte er nicht den Eindruck eines glücklichen Menschen. Im 
Auftreten war er salopp und cynisch. Zu einem ruhigen Ge- 
spräch war er nicht zu haben: er überstürzte sich und zeigte 
seinen üppigen, aber ungeordneten Geist. Selbst von seinen 
Freunden war sein wunderliches und launenhaftes Wesen 
schwer zu ertragen, obwohl Grabbe der Treue und Auf* 
Opferung wohl fähig war. Eine krampfhafte Energie bezeich- 
net sein Wesen. Mit dem Wahlspruch „zäh und kühn" drängt 
er sich vorwärts, wie ein Fisch durch den Morast. Er ist 
eben in erster Linie Dichter wie die Romantiker und dann 
erst kommt das Leben mit seinen sittlichen Forderungen. Sein 
Lebenswandel war ungeregelt. 

Grabbes wildleidenschaftliches Naturell assimilierte sich den 
Dingen nicht. Das Bild des Lebens verzerrt sich von selbst 
vor seiner pathologischen Individualität wie in einem Hohl- 
spiegel und unwillkürlich verschieben sich die regelmäßigen 
Umrisse und Formen, wie sie der normale Mensch sieht, zu 
karikaturischen Gebilden. Ziegler schildert seine Persönlichkeit: 
„Er hatte von Natur einen feinen und schwächlichen Körper- 
bau oder es war vielmehr Kraft und Schwäche wunderbar 
darin gemischt, denn während er auf seinen Schultern einen 
Kopf trug, der eine hochgewölbte, an griechische Weltweisen 
erinnernde Stirn hatte, unter der ein paar rollende Augen 
blitzten, war doch sein' Mund nicht sehr fein geschnitten, in- 
dem die Oberlippe über die untere herabhing, wich auch Mund 
und Kinn zuviel zurück und fielen die Schultern ab, wie bei 
einem Mädchen. Es schien, als ob die untern Teile des Kör- 
pers zu den hochfliegenden Gedanken des Kopfes nicht passen 
wollten. Aber er hielt sich doch weit nachlässiger, als 



— 141 - 

dies durch seine natürliche Körperbeschaffenheit bedingt 
wurde. Wenn er dahinwanderte, den Rock zurückgeschlagen 
und den Daumen der einen Hand in der Tasche über die 
Hüfte, in der andern den Regenschirm, zog er seine Schritte 
sehr langsam nach, hatte gewöhnlich das Haupt gesenkt und 
in seinem Gesichte lag etwas sehr Verdrießliches, die Ober- 
lippe preßte die Unterlippe, teils ob er einen widerlichen Ge- 
schmack auf der Zunge hätte, teils als ob er einen Schmerz 
verbisse." 

Die angenehmste Form von Geselligkeit waren für Grabbe 
die sogenannten Rum- und Gloriatees, die allerdings mit den 
ästhetischen Tees in den Salons nur wenig Ähnlichkeit hatten. 
Sie begannen um 4 Uhr mit Kaffee und endigten mit Bacha- 
nalen, in denen der Alkohol in Strömen floß. 

Preiligrath schrieb beim Tode des Dichters: . „Ach, 
es ist was entsetzlich Prosaisches um das, was Kon- 
venienz, Etikette — oder mit einem Wort, was die 
Gesellschaft aus der schönen Welt und dem Leben darauf 
gemacht hat Das hat auch wohl der arme Grabbe gefühlt. 11 

Und in der Tat waren Grabbe alle gesellschaftlichen For- 
men unerfüllbar oder zuwider — seine Gefühle äußerten sich 
oft in so ungewöhnlicher naturalistischer Weise, daß mancher 
Besucher den sonderbarsten Eindruck mitnahm. Seine Er- 
kenntlichkeit äußerte sich etwa darin, daß er seinem Besucher 
in die Backe biß; einen unwillkommenen Besucher komplimen- 
tierte er durch maliziöse Reden zur Tür hinaus. 

Barocke Szenen gab es auch, als er vor einer geladenen 
Gesellschaft seinen „Barbarossa" vorlas. Ziegler erzählt: 
Schon nach Lesung einiger Zeilen goß er sich Rum in 
den Kaffee, und zwar in solcher Quantität, daß ein älterer 
Bekannter ihn warnte. Hierüber entspann sich der 
erste Zwischendialog. Dann las er wieder einige Verse und 
fand es so schrecklich heiß, daß er um die Erlaubnis bat, 
den Rock ausziehen zu dürfen und dann in Hemdärmeln 
weiter las. Nach einer Weile ging er fort und holte ein großes 



— 142 - 

corpus juris aus der Kammer. „Dem will ich den gehörigen 
Platz anweisen," sagte er, indem er sich darauf setzte. Mitten 

* • * • * 

in der Vorlesung fragte er zuweilen: „O, es ist wohl tolles 

Zeug! Nein, sagen Sie, langweilt" s Sie auch?" Dann setzte er 

• -j « 

seine Mütze auf. „Es ist nur des Lichtes wegen!" rief er den 

Gästen zu. Als er fertig war und alle ihm dankten und die 

«* . ' * 

einzelnen Schönheiten der Dichtung rühmten, versetzte er 
lachend: „Es ist mir lieb, wenn's Ihnen gefallen hat! Übrigens 
den maliziösen Zweck habe ich doch erreicht, ich habe beim 
Vorlesen die Fehler korrigiert, welche der Abschreiber ge» 
macht hatte." — Ein kindisches Vergnügen macht es ihm, 
die Katze mit Tinte befleckt über die weiße Wäsche 
seiner Mutter laufen zu lassen. Er kann einem gewis- 
sen Grausamkeitskitzel nicht widerstehn, andre zu mysti- 
fizieren und zu reizen. - Bei dieser Unruhe ist doch seine 
Seele tot. Der Neurastheniker sucht immer wieder das 
innere Leid durch verstandesmäßige Reflexion zu beruhigen; 
Orabbe gießt nicht nur das Scheidewasser des Verstandes 

auf sein Gefühl, auch Rheinwein soll ihm neues Lebensblut 

* 

schaffen. „Denn der Wein gibt uns alles, was uns fehlt . Er 
nennt sich die unruhigste, unseligste Natur und gibt gern zu, 
daß er ein armseliges Menschenkind sei. In einer geradezu 
fieberhaften Produktion scheint er etwas zu vergessen, sich 
selbst entfliehn zu wollen. Dabei ist er bereits in die ewige 
Scylla und Charybdis geraten, aus der er niemals heraus* 
kommen sollte: der Trunk ist ihm Balsam für der Seele 
Schmerz und zugleich das nötige Stimulans zur Arbeit. Er 
nimmt zu allen Tageszeiten Spirituosen zu sich, und selbst 

m * t 

während der Amtstätigkeit hat er ein Qlas Bier neben sich 
stehn. Der Rausch versetzt ihn in Fauststimmung und er fühlt 
in sich die Kraft zu jedem Talent, zu jedem Vermögen. Dann 
aber denkt er katzenjämmerlich-materialistisch: die Menschen 
sind Maschinen und Heirat ist ein Spekulationsobjekt — wte 
Don Juan. Immermann hat den Dichter 1831 besucht und 
seine Eindrücke im Reisejournal mitgeteilt. Er war erstaunt 




- 143 - 

ein schwächliches Männchen zu sehn, das erst einsilbig und 
blöd erschien, bis ihm der Alkohol die Zunge löste und 
seinen barocken ungeregelten Qeist frei machte. Dennoch 
fühlte Immermann sich angezogen durch eine Natur, die ganz 
anders war und ihr eigenes ungekünsteltes Leben fährte. 

Nicht nur die politischen Parteikämpfe, auch das lite- 
rarische Cliquenwesen verdirbt den Charakter. Orabbe nennt 
sich selbst ein „Tigerlein, das erst lauert, ehe es krallt". Er 
liebt die Kritik aus Freude am Zerreißen, aber es graut ihn 
doch vor den Folgen und er läßt sich belehren. — Er ging 
darauf aus, im literarischen Leben eine dominierende Rolle zu 
spielen. Seitdem Ende 1829 das neue Theater eröffnet war, 
suchte Orabbe Fühlung mit den Schauspielern, besonders be- 
freundete er sich mit Brunhofer und mit Albert Lortzing, der 
1826 nach Detmold kam. Durch Lortzing kam Orabbe wohl 
dazu, Musik zu lernen und er spielte zum Entsetzen seiner 
Umgebung stundenlang auf der Orgel. Mit dem, was er / 

in Berlin erlebt hat, sucht er renommistisch zu prunken. 
Jedenfalls ärgern sich die Schauspieler über seine beißen* 
den Kritiken und sie üben Nemesis, indem sie Orabbe in der 
Karikatur des Dichters Schulberg auf die Bühne bringen. Nach 
diesem Skandal scheint es zu einer gegenseitigen Aussöhnung 
gekommen zu sein, die bei Rheinwein und Burgunder gefeiert 
wurde. Hatte Orabbe sich in der Abendzeitung in der mali- 
ziosesten Weise ausgesprochen, so lautet die Kritik über eine 
„Don Juan und Faust"- Aufführung in der ? Iris a ganz anders. 
Er hatte Lortzing vorher tief empört, indem er sein Orgap 
schwach, seine Gebärden bedeutungslos genannt hatte, jetzt 
aber wird seine Gewandtheit und sein Oeist hoch gerühmt. 
Hier zeigt sich Qrabbes Obermenschentum von der bedenk- 
lichsten Seite. 

. Seit 1827 begann Orabbe seine eigenen Werk$ herauszu- 
geben. Kettembeil war mit ihm in Briefwechsel getreten — 
ein Briefwechsel, der für die Erkenntnis vpn Orabbes Wesen 
wichtiger ist, als die Erzählung der Biographen. Alles liegt 



- 144 - 

darin: die Gottverlassenheitstimmung des Gothland, die Ge- 
fühle des Desperados, der sich das Glück erzwingen will, sei 
es auch au! hochstaplerisch krummen Intrigantenwegen; so- 
dann entfaltet sich das fremdartige Schauspiel dieses barocken 
Geistes, der überaus reich und lebendig an Einfällen ist, aber 
auch mit den verrücktesten Kombinationen, den abenteuerlich- 
sten Ideenassoziationen das Absurdeste und Geschmackloseste 
ausspielt. Seine Verhandlungen mit seinem Verleger sind 
merkwürdig genug. Seinen Werken steht Grabbe ganz kalt 
gegenüber. Sie sind ihm fremd, ja widerlich: er nennt sie 
Pasteten oder Tiere; mag man daran streichen, was man will. 
Man darf daraus aber keinen Rückschluß auf die Zeit des 
Schaffens selbst tun. Hier zeugen die Werke wider den Dich- 
ter selbst. Dem Neurastheniker schwinden die Dinge und zwar 
gerade die erfreulichsten schnell aus dem Gedächtnis. Für 
das Unmoralische steht er ein. Er macht die marktschrei- 
erischste Reklame — mehr aus Verachtung und Hohn auf die, 
die nicht alle werden, als weil er selbst daran glaubt. Seine 
Vorreden sind für das Publikum berechnet und mit mephi- 
stophelischer Verschmitztheit legt er sich* die Berichte an die 
Redakteure zurecht. Das Mystifizieren und Versteckenspielen 
ist ihm Selbstzweck und er denkt dabei kaum an die mög- 
lichen Folgen. Aus reiner literarischer Rauflust möchte er 
mit Immermann, Uechtritz und Raupach anbinden. Sein Mangel 

an Erziehung und feinerem Gefühl zeigt sich in den prah- 
lerischen Selbstrezensionen, womit er allerdings nur der Mode 
der Zeit folgt. Denn es gilt damals wie heute — wer nicht 
schreit, wird nicht gehört. Dabei kann er sich starke Blößen 
geben. Die literarischen Blätter verweisen am Schluß einer 
ungünstigen Kritik des „Don Juan und Faust" auf eine frühere 
Besprechung, in der Grabbe als großer Dichter gepriesen 
wurde: „wie konnte der Dichter sich das gefallen lassen?* 
Diese Besprechung aber war von Grabbe selbst! Freilich 
hatte Grabbe keinen hohen Gönner, der ihn eingeführt hätte. 
Er versucht es mit Tieck, der Uechtritz so bereitwillig be- 



— 145 — 

vorwortete, indem er ihm meldet, daß er jetzt eine feste Stel- 
lung bekleide — aber ohne innere Zustimmung. Möglichst 
schnell und bald will er durchbrechen. Es mißt die Coterieen 
und Cliquen genau ab, ist äußerst betriebsam, fordert jede 
Rezension — auch unfrankiert, und lauscht auf die Lobsprüche, 
während er sich nach außen gleichgiltig stellt. — Grabbe im 
Glück zeigt sehr unangenehme, bedenkliche Charakterzüge. 
Er brüskiert durch verletzenden Hohn, bricht sich mit Bauern. 
Schlauheit und Jesuitentücke Bahn, gefällt sich in seiner Me- 
phistopose. Er will sich vorwärtsdrängen um jeden Preis in 
unruhigem Ehrgeiz — er, den soviel unheimliche Mächte her- 
unterziehn, will an die Oberfläche. Aber wir verstehn doch 
vieles aus seiner notgedrungenen Kampfstellung, aus seiner 
Krankheit und aus seiner fehlerhaften Organisation, und mit 
bloßer Originalitätssucht erschöpft man ihn, der seine Schwä- 
chen sogar nicht zu verhüllen verstand oder zu verhüllen für 
nötig hielt, ganz gewiß nicht, der an Gehalt, Tiefe, Fähigkeit 
doch so viele erfolgreiche Modeschriftsteller überragte. Alles 
liegt daran, ob man hinter diesem komödiantenhaften Ge- 
bahren — ihm war das ganze Leben nur eine große Komödie 
— ein großes echtes Ringen und eine wirkliche Kraft anerkennt. 
Obernahm Grabbe sich in übermenschlicher Vermessenheit, 
über seine Kraft hinaus, so hat eine wahrhaft furchtbare Ne- 
mesis sich in seinem Leben enthüllt, und er hatte den Stolz, 
nicht über Ungerechtigkeit in diesem Gericht zu murren. 
Der zuerst so Übermütige ist bald sehr kleinlaut geworden — 
sowie auf die bombastischen Rasereien Gothlands zuletzt die 
kargen lakonischen Schmerzakzente Hannibals folgen. Dieser 
gänzliche Mißerfolg, diese Oberfülle von Unglück fallen 
schwer ins Gewicht, wenn ein Urteil gefällt werden soll. 
„Alles Verstehen heißt alles verzeihen." Man hat diesen 
Grundsatz auf Charaktere angewandt, die moralisch viel 
tiefer stehen als Grabbe. 



Nieten. Chr. D. Ortbbe 10 



V. Kapitel 



Don Juan und Faust 

Don Juan: Wozu fibermenschlich, Wenn Du 
ein Mensch bleibst? 

Faust: Wozu Mensch, Wenn Du nach Über- 
menschlichem nicht strebst. 

ms. 

I. 

Grabbes Leipziger Unterredung mit Jerrmann endigte 
damit, daß der Schauspielaspirant sich als selbsttätigen Dichter 
produzierte, der nichts Geringeres plante, als Goethes Faust 
und Mozarts Don Juan zu überbieten, durch ein Kunstwerk, 
das Faust und Don Juan zusammenfahren sollte; er las dann 
u. a. eine Szene, in der der Teufel Ober das Straßenpflaster 
von Köln sprengt, wobei das Roß ein Hufeisen verliert 

Daß Grabbe auf einen „Faust* 4 verfiel, nimmt nicht wunder 
in einer Zeit, wo ungefähr jeder hervorragende Dichter seine 
Stellung zu Goethes Faust irgendwie dichterisch zum Ausdruck 
brachte. „Neben den Nachahmern Goethes, den Schink, Schöne, 
Voß, von Soden erwähnen wir W. Mfiller's Obersetzung des 
Marloweschen Faust von 1816, ferner Chamissos Fragment, 
Platens Gebet; Tieck schrieb einen Anti-Faust, Heine äußerte 
Goethe gegenüber den Plan und führte die Idee aus. War 
ja doch der Faust die modernste Prägung des uralten Titanen- 
problems I Für Grabbe dürfte am ersten eine Einwirkung 
des Klingerschen Romans und des patriotisch verbrämten von 
Soden'schen Theaterstücks nachzuweisen sein; auch klingt 



— 147 — 

die Tendenz der Szenen von Alois Schreiber stark wieder: 
„Veh, wer von dem sich loszureißen wagt, woran selbst die 
Natur sein Glück gebunden." „Der Mensch ist nicht gemacht 
für den Umgang mit höhern Wesen und darf nicht ungestraft 
wagen, aus dem Kreise der Menschheit herauszutreten." 

Genug: Grabbe beschloß, ebenfalls einen Faust zu schaffen. 
Und wenn auch Goethesche Motive verwandt werden und 
vielfach in anderer Gestalt auftauchen, so war ihm doch 
Goethes Faust viel zu lyrisch und menschlich, viel zu wenig 
Titane; vor allem erschien er ihm inkonsequent Vielleicht 
hegte Grabbe den vermessenen Wahn, dem 80 jährigen Alt* 
meister als Führer einer neuer Generation an die Seite zu 
treten. (Prometheischer Trotz sollte sich mit weltschmerz- 
licher Zerrissenheit vereinen; die Traditionen des Sturmes 
und Drangs sollten wieder aufleben, und gleichzeitig wollte 
er anknüpfen an die romantische IronieT? Nachdem er seinen 
früheren Götzen Shakespeare zertrümmert hatte, schuf er sich 
einen neuen in Lord Byron, dessen Zauber ja — zu Gervi- 
nus' (Bd. V. 718) Befremden — selbst ein Goethe verfiel. — 

Aber einen Don Juan gab es im deutschen Drama noch 
nicht Daher faßt Grabbe, Ungeheures ersinnend, den Plan, 
Faust einen Gegenspieler zu geben, der das andere 
Extrem der menschlichen Doppelnatur verkörpert, die beiden 
Seelen, die sich in Faust* s Brust bekämpfen, zu trennen und 
nach außen zu projizieren: Faust und Don Juan in einem 
dramatischen Gemälde zu vereinen. Allerdings hatte bereits } 
N. Vogt*) früher denselben Einfall gehabt, aber jedenfalls bleibt 
es fraglich, ob Grabbe von diesem spielerischen Versuch, der 
nur zum kleinen Teile ausgeführt wurde und größtenteils 
Skizze blieb, und in dem außerdem die beiden Figuren zu 



*) Der Flrberhof oder die Buchdruckerei von Mainz. Frankfurt 1809. 
Franz Hörn ist es übrigens, der sich den ersten Entdeckerruhm beimißt; 
•»daß Hamlet, Faust und Don Juan zusammengehören und sich gegenseitig 
erklären, habe ich bereits zuerst im 2. Jahrgang des Taschenbuchs Luna 1805 
angedeutet. Dieser Gedanke ist seitdem Gemeingut geworden." 



/ 



- 148 

einer verschmolzen sind, Kenntnis gehabt hat. Da im übrigen 
nicht die geringste Ähnlichkeit in den beiden Stücken vor- 
liegt, würde die Charakter-Eigentümlichkeit Orabbes Erklä- 
rung genug sein. (Vgl. 20. I. 28: er will etwas geben, da* 
alles überbietet) 

Auch waren sich Faust und Don Juan im Lauf der Jahr- 
hunderte näher gekommen: in Tiecks Abdallah haben wir 
Don Juan und Faust vereint im orientalischen Kostüm, Wil- 
liam Lovell wird verführt durch einen höllischen Geist; so- 
gar im Volksstück „Faust bei den Zigeunern" stoßen Ein- 
flüsse vom romanischen Süden mit solchen vom germanischen 
Norden zusammen. Und während Faust, der sich hier heiß- 
blütig in eine schöne Prinzessin verliebt, sich den südlichen 
Völkern verständlich macht, erringt sich Don Juan im Nor- 
den Heimatrecht in der unsterblichen Musik Mozarts und in 
den göttlichen Versen Byrons. 

Schon der Leipziger Student konnte sich an den Melodien 
Mozarts berauschen und die moderne Deutung Byrons, der 
freilich den Boden der Tradition ganz verließ, lesen. Der 
Faust war Grabbe aber nicht nur durch Goethe, sondern 
durch zwei geringere Schöpfungen erschlossen, aus denen 
eine unmittelbare Theaterwirkung zu ihm sprach. Der 
theatralische Effekt blendete ihn, Müllner schätzte er so hoch 
wie Shakespeare oder Schiller; Klingemann tat es ihm 
mehr an, als Goethe, und die Heftigkeit des Liebeswerbens 
— aus der dann Grabbe allerdings etwas ganz anderes ge- 
macht hat, die Gewalttätigkeit gegenüber dem Fremden, 
das Maskenfest finden wir denn auch schon in dem überaus 
effektvollen Theaterstück Klingemanns, dessen Poetik einge- 
standermaßen auf die Erregung großer Leidenschaften und 
nicht auf moralische Wirkung ausging; hierher kommt auch 
einer der tollsten Widersprüche bei Grabbe: Die Verheiratung 
Faustens. Der Riesenerfolg des „F r e i s c h ü t z a Ende 1821 
in Leipzig dürfte mit der virtuosen Theaterkunst Klingemanns 
in der Entstehungsgeschichte des „Don Juan und Faust a eine 



— 149 — 

weitere Rolle spielen, sofern der Sinn für theatralische Wir- 
kung, für das Volkstümliche geschärft ward« Von wesent- 
licher Bedeutung war es ferner, daß die Don Juansage mit 
der Faustischen Oberlieferung ineinander verwoben war in 
dem Operntext von Bernard, der der S p o h r sehen Faust- 
musik zugrunde lag, von der Qrabbe wenigstens Fragmente 
im Konzertsaal vernehmen konnte. 

Im August 1823 haben wir vorläufig die letzte Spur des 
Stückes; Orabbe las den Shakespeareschen Hamlet in der 
Absicht, die Tragödie mit Humor zu durchdringen. (Außer 
der Mischung von Tragik und Humor fühlt man sich erinnert 
an Hamlets Verhältnis zur Ophelia). Dann ruht die Pro- 
duktion längere Zeit, während Grabbes unruhiger Geist sich 
nach allen Seiten zu bereichern strebt und krankhafte Ge- 
mütstimmung und Blasiertheit ihm treu bleiben. 

Erst im Mai 1827 hören wir dann wieder von dem Stück. 
Grabbe fährt da fort, wo er aufgehört hat, bei der Liebes- 
szene des 2. Aktes, der bald darauf wohl der übrige Teil des 
2. Aktes gefolgt ist. Frische Arbeitslust wird über den Dich- 
ter gekommen sein, als das Hoftheater unter der Gunst des 
Fürsten aufblühte und in ihm den Wunsch weckte, ein thea- 
tralisch korrektes Stück zu schreiben. Denn Paul Alexander 
ließ ein neues Schauspielhaus erbauen, das am 8. November 
1825 mit Mozarts Titas unter der Direktion von August Pich- 
ler eröffnet wurde. Grabbe ließ sich Brönners Ausgabe der 
Werke Lord Byrons kommen. Die Don Juanszenen waren 
bereits Anfang 1828 vollendet. Danach würden die Szenen 
zwischen Faust und Donna Anna im Frühjahr 1828 gedichtet 
sein. Eine, entscheidende Anregung erhielt Grabbe aus 
Byrons Manfred: Die Tötung der Astarte und das Motiv 
der Reue. Die Motiven-Reihe abzuschließen, erwähnen wir 
noch Calderons wundertätigen Magus, der durch höllischen 
Zauber die Christin Justina gewinnen will, und Goethes 
Helena-Tragödie (1827), aus der die Anregung für die Burg 
auf dem Montblanc genommen sein kann. 



— 150 — 

Im August 1%28 war die Dichtung fertig und im Januar 
1829 erschienen die Ankündigungen. Die erste Auffüh- 
rung fand in Detmold am 29. März 1829 statt; Lortzing, 
der die Musik dazu geschrieben hatte, spielte selbst den Don 
Juan, Frau Lortzing die Donna Anna. Der Theaterzettel 
t lautet also: 

Don Juan und Faust. 

Dramatisches Gedicht in 5 (I) Akten von Qrabbe. Musik 

von Lortzing, Mitglied des hiesigen Hoftheaters. 

Personen : 

Der Gouverneur Don Gusman . . . Herr Greenberg. 

Donna Anna, seine Tochter .... Mad. Lortzing. 

Don Octavio . , Herr Ottinger. 

Don Juan, spanischer Grande .... Herr Lortzing. 

Doctor Faust Herr Schmidt. 

Ein Ritter Herr Fries. 

Signor Rubio, Polizeidirektor .... Herr Schellhorn. 

Signor Negro Herr Elzner. 

Leporello, Diener des Don Juan . . . Herr Pichler jun. 

Gasparo, Diener des Gouverneurs . . Herr Gladbach sen. 

Lisette, Magd der Donna Anna . . . Frl. Thorbeck. 

Das Stück ward dann trotz des starken Eindrucks vom 
Repertoir abgesetzt Die Aufführung fand bei aufgehobenem 
Abonnement statt und brachte 95 Taler, 12 Silbergroschen, 7 PL 
ein, dreimal soviel als irgend eine andere Aufführung in dem« 
selben Monat (Grisebach. Grabbes Selbstrezension der Auffüh- 
rung vgl. Grisebach IV 513 ff.) . In Lüneburg fand eine zweite 
Aufführung statt. Köln, Frankfurt zeigten Teilnahme, ließen es 
t aber nicht zur Tat kommen. Noch zu Lebzeiten Grabbe > s 
• kam es in Augsburg 1832 zur Aufführung; 1835 folgte Wien, 
1841 Graz. Nach langer Pause regte sich dann auch in Nord- 
deutschland das Interesse; 1877 bearbeitete Wolzogen das 
Stück für Schwerin, dann folgte Riga, 1896 ward es wie* 
der zum Leben erweckt in Nürnberg und Bamberg (mit der 



— 151 — 

Musik von Alfred Kaiser) , es folgte Meiningen (Moritz Mosz- 
kowski), 1894 Berlin, 1901 Karlsruhe. 

Ein vollständiges Manuskript ist nicht bekannt; Grise- 
bach besitzt ein Folioblatt aus dem IL Akt, I. Szene. Die 
erste Ausgabe erschien in Frankfurt a. Main, J. A. Christ. 
Hermansche Buchhandlung O. F. Kettembeil 1829, Tragödie 
in 4 Akten, in 8° 224 Seiten. Der Preis betrug nach dem 
Lippeschen Intelligenzblatt No. 15 vom 16. April 1829 1 
Reichstaler 8 ggr. Eine zweite Auflage in 16° erschien eben» 
falls in Frankfurt 1862; davon eine neue Titelauflage in Prag, 
Tempsky 1870. Die Partitur der Lortzingschen Musik, die 
nirgend gedruckt ist, die aber vor einiger Zeit in Berlin noch 
einmal zu Gehör gebracht wurde, befindet sich im Privat- 
besitz des Musikschriftstellers G. R. Kruse (vgl. dessen „Lort- 
zing" in der Sammlung berühmter Musiker, Berlin 1899). Sie 
enthält die Ouvertüre und 4 Nummern. 

Die Kritik schwankte schon damals zwischen Lob und 
Tadel. Menzel (Literaturblatt 73 1830) ist begeistert von 
dem „tollschönen Stück, in dem die Gedanken Blitze, die 
Worte Donner und die Empfindungen Schläge sind. a Und 
auch der Nachruf der „Allgemeinen Zeitung" nennt es das 
„gewaltige und in weitesten Kreisen gefeierte Trauerspiel." 
Ihm steht nahe Rudolf v. Gottschall, einer der wärmsten Be- 
wunderer Grabbes, der das Stück für „eines der großartig- 
sten Erzeugnisse der neueren National-Literatur a hält (Aus- 
gabe bei Reclam). Aber Grabbes Verleger Kettembeil 
— ähnlich wie Immermann — dachte weniger günstig 
(13. V. 29). Am schärfsten und boshaftesten kriti- 
sierte man in Berlin (Gubitz-Gesellschafter, 77 1829) Dr. 
Schiff im Freimütigen 1829 232 nannte die Dichtung ein nie- 
derschlagendes Pulver und fand die Fabel einfältig. Sehr 
scharf urteilte auch der Rezensent der Blätter für literarische 
Unterhaltung in einer übrigens sehr gehaltreichen Kritik (De- 
zember 1829). 



- 152 — 

Besser daohte man in Leipzig und Halle (Allgemeine 
Literaturzeitung), während in Jena (Jenaische Allgemeine 
Literaturzeitung, Juli 1829) Licht und Schatten verteilt ward. 
Erwähnt seien noch die äußerst ablehnende Haltung von Hebbel 
(Tagebücher 1846) und das übermäßige Lob von Scherr. 
Neuerdings hat sich R. Warkentin näher mit Grabbes Dich- 
tung befaßt, aber in ungünstigem Sinne darüber abgeurteilt. 
Er weist auf die Obereinstimmung mit Goethe, Klingemann 
und Mozart hin, spricht Grabbe die Fähigkeit des Charakteri- 
sierens ab, findet in den Faustszenen nur ein unerfreuliches 
Phrasengeplätscher und drückt das Stück herab auf die Stufe 
eines Ausstattungsstückes mit opernhaften Effekten, ohne für 
diese schroffen Behauptungen Beweise zu bringen und ohne 
sich um den Sinn des Stückes näher zu bemühen. 

Sicherlich ist Grabbes „Don Juan und Faust" kein ausge- 
reiftes Meisterwerk, kein stilreines, organisch aus der Wurzel 
eines großen Grundgedankens heraus sich gestaltendes, von 
einem sicher empfundenen Schönheitsgesetz einheitlich geleitetes 
und geregeltes Kunstgebilde. Die epigonenhafte Verwertung und 
Ausbildung angedeuteter Motive, die allerdings Gemeingut 
sind, erscheint uns noch nicht als schöpferische Tat. 

Aber andrerseits haben wir mit großer Verve hingewor- 
fene Impressionen, und eine verwegene Konsequenz leuchtet 
in der Grundidee der Fausthandlung auf. Hätte Grabbe sich 
nur beschränkt auf die ursprüngliche/Xntithese: ein tief und 
rein empfindendes Mädchen umworben von zwei bedeutenden 
j Menschen; der eine ein Geistesriese, auf Macht und Ruhm 
bedacht, aber rücksichtslos, unmoralisch, kalt ohne sinnliche 
Wärme, der andere ein echter Lebemann, glänzend, aber ein 
zynischer Egoist! Wenn dies der Kern des Don Juan- und 
Faustmotivs ist, hätte es dann des Teufelspuks, der Fahrt 
durchs Weltall u. a. bedurft? D abei findet der Dichter noch 
Zeit^a llerhand Zeitsati n» an7uhringfn und fin Ormfilde jener 
unseli gen Übergangsze it miührer Zerrissenheit zu entwerfen, 
atsachlich wird die ganze Don Juan und Faustsage ent- 



- 153 — 

wickelt, während doch ein mehrbändiger Roman das Riesen- 
thema kaum zwingen könnte. „Wie zwei nemäische Löwen", 
sagt Menzel, stehen sich beide gegenüber, und der eine steht 
dem andern im Licht. Man sieht, daß Orabbe die schillernde 
Fläche verlockte, daß er von außen kam. 

Jedenfalls liegt hier der Ausgangspunkt und wenn nun 
von innen her eine schöpferische Kraft auftaucht, so 
wachsen Kern und Schale doch nicht zu einem or- 
ganischen Ganzen zusammen. Aber das eigene Erleben ist doch 
nicht völlig entwichen, vielmehr ist auch das eigene Liebes- 
leben darin verdichtet Daher bewundern wir die Szenen 
zwischen Faust und Donna Anna als eine Inspiration von 
eigentümlicher Größe und hier wie auch an anderen Stellen 
der Dichtung üben die Spuren eines kühnen Dichtergeistes, 
die Äußerungen einer originellen Natur ihre Anziehungskraft. 

II. 

In das 16. Jahrhundert führt uns der Dichter, da sich 
Mittelalter und Neuzeit wie Licht und Dunkel scheiden. Ob 
sich Faust und Don Juan der Zeit nach begegnen können, 
darüber hat sich Grabbe keine Bedenken gemacht. Don Juan 
Tenorio lebte früher als Faust (um 1350), aber seine Ein- 
führung in die Literatur erfolgte später (1634) als die des nord- 
deutschen Zauberers. Und es ist wichtig und bezeichnend, daß 
diese Einführung hier durch einen protestantischen Theologen, 
dort durch einen katholischen Mönch erfolgte. — Die Szene kann 
nicht großartiger gedacht werden: Rom und Montblanc. „Don 
Juan und Faust! Die Szene des Stückes! Ich habe sie Dir 
schon bezeichnet — wo soll ich die beiden Personen anders 
vereinigen als im welthistorischen Rom?" So Grabbe an Ket- 
tembeil (16. März 1828). Dagegen ist nicht viel einzuwenden. 
Auch Molina und Moliere banden sich nicht an Sevilla, {[nach 
Deutschland kann er den tollen Romanen nicht gut versetzen. 
Er gehört in den sinnenfrohen glühenden Süden, und auch die 
Oberlieferung läßt Faust nach Rom kommen} Die Erinnerung 



— 154 — 

an die Weltstadt Rom soll wie ein Resonanzboden durch das 
ganze Stack klingen (16. 1. 1829). Und in der Tat — der 
zaubervolle Namen Rom umschließt eine wahre Schatzkammer 
von poetischen Motiven, die alle möglichen Stimmungen her* 
vorlocken können. Qrabbe sucht sie in seinem Sinne auszu- 
münzen. Rom die Herrscherin, der Mittelpunkt der Welt- 
Moderner Geist über antiken Trümmern: Papst auf dem Ka- 
pital, Efeu von gestern. Rom ein Spiegel — aber ein zer- 
brochener Spiegel! Diese Stimmung, die den Weltschmerz in 
die Natur hineinträgt, bildet den Grund ton; diese Stimmung, 
wie sie bei Byron erklungen war, dessen Manfred die er- 
habene Schwärmerei einer Nacht im Kolosseum auskostet, 
versunken in Betrachtung der toten Zepterträger, die aus Urnen 
noch unsere Geister lenken (Manfred III 4). Wie Childs 
Harold Geister selbst aus Trümmern steigen Ußt, so begrüßt 
Don Juan die Ruinen, die strahlen wie verklärte Geister. (Vgl. 
auch Scherz Satire III 4: Graue Ruinen blicken aus grünen 
Gebüschen, laute Tritte tönen durch einsame Straßen.) Trüm- 
mer und Ruinen Roms werden immer wieder als Symbole 
innerer Zerrissenheit gedeutet; aber den Stimmungszauber 
der römischen Landschaft, dem Byron so meisterhaft in Childe 
Harold nachempfand, weiß er wenig auszudeuten. Eben- 
so wenig ist der zeitliche Hintergrund einheitlich festgehalten: 
die Stimmung der Renaissance. Später verstand er es besser, 
Erdgeruch und Lokalkolorit wiederzuschaffen. Wir kennen 
die Grundstimmung, die das Stück beseelt, lassen die römische 
Luft um uns strömen und wenden uns dem Stück und den 
Gestalten des Dichters zu. 

Voran geht die Ouvertüre von Lortzing. „Sie ist nur zum 
kleineren Teil eigene Erfindung, zum größeren aber aus Mo- 
zartschen Don Juan- und Spohrschen Faustmotiven zusammen- 
gesetzt, eine künstliche Verschlingung, die zum Mindesten sehr 
geschickt genannt werden muß. Die Einleitung bringt ein 
mysteriös klingendes Largo. Ein allegro moderato führt uns 
ins Reich der Gnomen. Verwandt werden noch die Faust- 



- 155 - 

Arie und Mozarts Zerlincn-Arie (Kruse a. a. O. S. 27)." — 
Nicht mit Entführung und Mord wie in der Oper oder bei l^^ 
Molina beginnt das Grabbesche Stück, vielmehr die erste 
Szene erzählt, wie Don Juan durch einen improvisierten 
Streit mit Leporello den Vater und den Bräutigam Annas her- 
vorlockt. Während diese nun Faust, den Don Juan als Ur- 
heber des Streites hingestellt hat, nachspüren, sucht Don Juan 
Anna zu entführen. Er findet aber die Türen verschlossen 
und es bleibt ihm nur übrig, durch Leporello die Magd aus- 
tragen zu lassen, wo Anna morgen zu treffen sei. 

Nachdem in einer Antrittsarie (»Das schlafende Rom"), 
in der die Grabbesche Dichterklaue schon hervorlugt, Don 
Juan die mehr übermütige als stichhaltige Antithese: „Die 
arme Herrscherin der Welt — sie hat die Liebe nie gekannt 11 
— aufgeworfen hat, macht Leporello dieser mehr durch 
historische Reminiszenzen als durch tiefes Naturgefühl ausge- 
zeichneten Schwärmerei ein Ende. Man wundert sich einiger- 
maßen, daß Don Juan noch nicht weiter ist, trotzdem Lepo- 
rello seit 3 Tagen das Haus umschleicht. Viel Kunst — denn 
immer überwiegt der Verstand das ursprüngliche unbewußte 
Schaffen — ist auf den Dialog verwandt worden, der, nach 
4km Vorbild der spanischen Stücke und Shakespeareschen 
Lustspiele (vgl. wie in den Edelleuten von Verona der Diener 
Kr den Herrn auskundschaftet) voll von Anspielungen und 
Beziehungen steckt, und der sich nicht begnügt, der Faden 
zu sein, an dem sich die Handlung abspinnt, sondern der sich 
zuletzt in einem allgemeinen Gedanken zuspitzt, wie über- 
haupt das ganze Stück auf einigen großen Antithesen aufge- 
baut ist Unter dem Oberreichtum an philosophischen Poin 
ten leidet die Leichtigkeit und Natürlichkeit, ja die Verständ- 
lichkeit — wie soll Leporello diesen Don Juan verstehen! — 
des Dialogs. Man hat das Gefühl, daß die Antithese oft eher 
da ist, als die These. Jedes Dialogstück schließt gewöhnlich 
mit einer nicht immer einleuchtenden, dafür aber um so über- 
raschenderen Sentenz. Zwischen den einzelnen Teilen aber 



:i 



— 156 — 

ist kein rechter Zusammenhang. Oberhaupt ist die Einheit 
der ganzen Szene sehr notdürftig. Es scheint, als habe der 
Dichter, wenn ihm nachträglich ein guter Einfall kam, un- 
bekümmert Einschübe gemacht. Zu diesen Einschüben dürfte 
auch Don Juans glutvolle Hymne auf das Vaterland (o kein 
Donner an dem Himmel usw.) gehören, die mit ihrer inni- 
gen Gewalt, ihren kraftvollen Vergleichen, ihrem südlichen 
Kolorit, wobei die Harmonie der Form durch das Charakteri- 
stische nicht gestört wird, zu den glücklichen Inspirationen 
des Dichters gehört, der mit den Hohenstaufen, diesen wilden 
Kaiserstirnen", das Größte seines Lebens zu geben trachtete. 
Aber es ist eins von jenen Paradestücken, lyrischen Ergüssen, 
Effektstellen, die E. Devrient als Auswüchse eines falschen 
Idealismus, einer äußerlichen Nachahmung Schillers und Calde- 
rons tadelt. In der Tat zeigt die bunte Unruhe der nach 
vielerlei Stilen gebildeten Szene den „zwischen der Nach- 
ahmung des Schillerschen, Shakespeareschen und Calderonschen 
Stiles" (Hettner) schwankenden Dichter. {Neben dem spieler- 
ischen Witz des Shakespeareschen Lustspiels steht der derbe 
Humor des Volksstücks. Scherz, Satire, Ironie sprühen und 
leuchten; romantisch würzt der Dichter die Handlung mit 
doppelter Komik. Leporello betrügt Lisette, und Don Juan 
ironisiert als Echo den ganzen Vorgang. Wie Immermann in 
seinen Jugenddramen, ahmt Grabbe die Manier der roman- 
tischen Schule nach, ungebundene Rede mit Versen und vers- 
artiger Rede abwechseln zu lassenT^fteißt es in TiecKs »ver- 
kehrter Welt": Verse sind tollgewordene Prosa, so begründet 
Grabbe den Obergang von Versen zu Prosa bizarr genug: 
„brauch Vernunft! — Vernunft!; — so muß ich sprechen, 
denn Singsang bleibt doch ewig unvernünftig." Und der wun- 
derbare Gedanke, die Dienerin in der Nacht ausfragen zu 
lassen, wird noch wunderbarer begründet: „Das ist roman- 
tisch!" Gleich als ob Don Juan die Prinzipien der roman- 
tischen Schule kennte und sie persiflieren wollte. — So knüpft 
Grabbe in den ältesten Bestandteilen des Stückes noch an die 



— 157 

Romantik und an Shakespeare an. Sicher hat er sich 
weiter auch vom Melodrama und von der fantastischen Volks- 
komödie befruchten lassen; und aus genauerer Theaterpraxis 
fing ihm der Sinn für das Dekorative, für Ausstattungseffekte 
auf; im Bunde mit Lortzing mochte er an eine Umwandlung 
der Oper zu einem rezitierenden Schauspiel denken, wie denn 
z. B. die 2. Szene des 4. Aktes ganz melodramatisch gehalten 
war. 

Für die Inszenesetzung der Gesamthandlung sind am 
wichtigsten der Anfang des Dramas und die 2. Szene des 
2. Aktes. Als Urheber des Lärmes stellt Don Juan Faust 
hin, der Anna entführen wolle. Der Gouverneur geht leicht- 
gläubig darauf ein, trotzdem kommt Don Juan nicht dazu, 
Anna zu entführen. Die Ausrede nicht mitzukommen, weil seine 
Wohnung verschlossen ist, ist ebenso schwach wie der Grund, 
der die Entführung hindert Er, der nicht scheut, über Leichen 
zu gehn, weicht vor einer verschlossenen Türl Mit Recht hat 
man ferner hier Anstoß genommen und einen groben Wider- 
spruch aufgezeigt, insofern als Faust ja erst in selbiger Nacht 
sich der Magie ergibt und nicht im Traum an Liebeshändel 
denkt. Woher und warum dieser Widerspruch? Ich nehme 
an, daß Grabbe verschiedene Pläne durcheinander gewirrt 
hat, daß es ihm nicht gelang, sie zu einer Einheit zu 
verschmelzen und daß er dann die sich ergebenden Discre- 
panzen unbekümmert stehn ließ. Entweder ist Don Juan ein 
Verleumder oder — er spricht die Wahrheit. Nehmen wir 
den letzteren Fall an, so stoßen wir auf den ursprünglichen 
Plan, so finden wir uns in Übereinstimmung mit der 2. Szene 
des 2. Aktes. Dann würde der Monolog und die Weltallfahrt 
des Faust überflüssig sein; wir hätten es in der Exposition 
gleich mit dem verliebten Faust zu tun und die Einheit des 
Stückes wäre besser gewahrt. Dann stehen wir aber auf dem 
Boden von Bernards Operntext zu Spohrs 
Faust Hier rühren wir an die wichtigste Quelle für Grab- 
bes „Don j uan un d Faust". Die Faust- und Don Juan- 



— 158 - 

handlung ist der Spohr sehen Oper ein facti 
entlehnt. Bei Spohr hat Faust Röschen in der Tat durch 
„Zauberei und böses Wesen" entführt, und als die Verfolger 
kommen, entflieht er auf dem Zaubermantel. Man vergleiche den 
Schluß des 1. Aktes bei Orabbe und man sieht deutlich, wie 
unbekümmert und zusammenhanglos hier der Dichter zwei ganz 
verschiedene Pläne, zwei zeitlich unbedingt differierende Tat- 
sachen verbunden hat Bei Spohr erscheint Faust auf der 
Hochzeit; er nähert sich auf dem Ball Kunigunde, Hugos 
Braut, und weiß sie zu umstricken. Faust entfährt nun Kuni- 
gunde, nachdem er Hugo getötet hat. Mephistopheles aber 
spielt die Rolle des Verräters, genau wie auch bei Orabbe dar 
Ritter der diabolus ist, der Don Juan Fauats Aulenthalt ver- 
rät. Bei Orabbe entführt Faust — seine Verjüngung hat doch 
nur Sinn für den Verfolgten! — Anna auf dem Hochzeitsfest, 
da sie Octavio vermählt wird. Das Seltsame ist, wie Spohrs 
Faust bei Orabbe in zwei Gestalten zerlegt wird: Faust über* 
nimmt die Entführung der Braut, Don Juan die Tötung des 
Bräutigams. Mit dem Duell zwischen Don Juan und dem 
Gouverneur, auf dem ja das Ende der Don Juanhandlung 
entscheidend beruht, fügt sich Orabbe dann wieder der tradi- 
tionellen Don Juansage ein. 

Doch kehren wir zur ersten Szene zurück. Der Gou- 
verneur wird zu einer komischen Figur, zu einer Buffo- 
rolle. Octavio sagt ebenso nüchtern wie treffend: „Ein bloßer 
«^Lärm, Gott weiß, woher entstanden, beteiligt nicht die Ehre 
^meiner Braut" • Soll man sich mehr über diese Leichtgläubig- 
keit wundern, oder über diese Karrikatur von Ehrgefühl und 
Glaubensfanatismus, die ihn sofort den weiten Weg vom spa- 
nischen Platz zum Aventin zurücklegen lassen, um den Zau- 
berer dem Scheiterhaufen zu übergeben?! Dieser Alte recht* 
fertigt nur zu sehr die Kritik Negros: diese Spanier sind Nar- 
ren mit ihrer Ehre. Spaniens Kohlhaas Crespo zeigt uns im 
„Richter von Zalamea", was dem Spanier die Ehre bedeutet. 
»Der Ehrsucht tapfre Toren" hat Ritter Harold in Spanien 



— 159 — 

getroffen. Danach wollte sich Orabbe richten, und er wollte 
spanischen Stolz und spanisches Ehrgefühl — sein Gouver- 
neur ist aus diesen beiden, und nur ans diesen Eigenschalten 
zusammengesetzt — anschaulich machen, aber zugleich auch 
parodieren. 

Nach der eigenen Kritik des Dichters gehört der Gou- 
verneur zu den „Notnägeln" des Stückes, ebenso Donna Anna(!> 
mit ihrem Ernst und ihrer Tugend und Octavio. Octa- 
▼ i o s „Gewöhnlichkeit und Zierlichkeif 1 ist nach verschie- 
denen Mustern gebildet In der ursprünglichen Vorlage tritt 
das Schwächliche nicht so stark hervor, und es fragt sich, ob 
es gut für die Liebe Donna Annas ist, wenn Octavio allzu 
unbedeutend dargestellt wird. Octavio ist dcjimanierüche 
korrekte DynüiachnittsgesdJschaftsmenöch der Renaissance, 
der unter dem. Schliff der f einen Sitte se ine S eete-y erloren hat 
Er steht zu Don Juan wie konventionelle Unnatur zu ursprüng- 
licher Natur. Shakespeare hat wohl solchen Gestalten einen 
Zug ins Feinkomische gegeben. Mercutio spottet über die ge- 
zierten Eisenfresser, und auch Byrons Don Juan macht sich 
Aber die spanische Geziertheit lustig. Bei Grabbe schlägt 
dieser Spott in bitteren Hohn um. Er übernimmt nicht nur 
die Auffassung E. T. A. Hoffmanns von dem „kalten un- 
männlichen ordinären Octavio" — andeuten möchten wir we- 
nigstens das im Sturm und Drang beliebte Motiv (Zwillinge, 
Julius von Tarent) , wonach die Geliebte nicht dem Kraftvollen, 
sondern dem Sanftmütigen zunächst zufällt — , sondern hier 
läßt der Dichter persönlichen Groll vernehmen. Nicht nur der 
eifersüchtige Don Juan macht den Octavio zu einer so Jäm- 
merlichen Figur, Grabbe selbst hatte es genugsam erfahren, 
wie sich die feine Gesellschaft von dem Zigeunerhaften seines 
Wesens, vor seiner niedrigen Geburt, vor dem Zynismus seines 
Benehmens bekreuzigte, tfiit den Romantikern und den Stür- 
mern und Drängern protestiert er gegen die verlogene kon- 
ventionelle Gesellschaftsmoral, die den Sinn der Worte ins 
Gegenteil verkehrtj Er hat Jerrmann sein Herz kraftgenia- 



- 160 - 

lisch ausgeschüttet. „Da gilt ein graziöser Kratzfuß mehr als 
ein geistreicher Gedanke, eine elegante Haltung des Hutes 
mehr als eine originelle Idee. Das ist eure Welt, diese bla- 
sierte, diese verkümmerte, diese ausgetrocknete Welt, wo der 
Mensch schon vor der Geburt zum Affen verschnürt wird und 
zum Affen vertanzt." — Für die Ökonomie des ganzen Stückes 
stellt dieser verständige Alltagsmensch Octavio zuweilen das 
Gleichgewicht wieder her, gegenüber all den tollen Schwär- 
mern und seltsamen Phantasten. 

Das nächste Vorbild für Don Juan und L e p o r e 1 1 o 
fand Grabbe in Mozarts Oper bei Lorenzo da Ponte. Aber 
bis dahin hatte der dämonische Kavalier schon mancherlei 
Wandlung erfahren. Ursprünglich verkörpert er eine gesunde 
Art des Menschlichen; ein vollkommenes Gebilde der 
Natur, ungekünstelt, meisterlich geschaffen an überströmenden 
Gaben und berückend durch Schönheit und männliche Kraft, 
ein Nonplusultra an Lebenskraft* voll unbändiger Bejahung. 
Als der gesunde, natürliche Mensch wird er auch von Grabbe 
gegen den kranken, naturfernen Faust ausgespielt. Der glän- 
zende spanische Ritter, reich an Abenteuern und Liebes- 
erfolgen, lebt aber in einer Welt, wo neben sprühender Lebens- 
lust die finsterste Strenge mönchischer Religion wohnt. Und 
so siegte denn das priesterliche Urteil, als Molina das Leben, 
die Taten und das schreckliche Ende Don Juans zuerst auf 
die Bühne brachte. Unbekümmert wurde diese theologische 
Tendenz aufgenommen von den zahlreichen Nachahmern Mo- 
linas in Spanien, Frankreich, Italien, kurz in allen romani- 
schen Ländern, wo man in dieser Gestalt ein Symbol fand 
für die eigentümliche Lebensform dieser Völker, freilich ohne 
daß man eine besondere Vertiefung bemerken kann. Diese 
Tiefe und zugleich den bewußten Trotz wider Religion und 
Moral erhielt aber Don Juan erst, als germanische Dichter 
ihn für sich eroberten. 

Byrons „Don Juan" war verschrieen als die „Odyssee der 
Immoralitäf , nicht wegen einzelner lasziver Szenen — wie 



- 161 - 

Elze mit Recht bemerkt — sondern wegen seines weltschmerz- 
lichen Nihilismus, der alles in den Schmutz zieht außer dem 
Sinnengenuß. Gleichzeitig verkündete Shelley: Selbstliebe 
ist die einzige Triebfeder unserer Handlungen; Liebe bedarf ab- 
soluter Freiheit, sie verträgt sich nicht mit Gehorsam, Eifer- 
sucht und Furcht Die Leichtigkeit, die frivole Grazie, die 
skrupellose Sinnlichkeit Byrons konnte Grabbe nicht erreichen. 
Byrons Don Juan ist ein reines Sinnenwesen, das von Jeder 
Wallung seines unruhigen Geblüts vollauf beherrscht wird; 
ein schöner Sünder, den ein elementarer Naturtrieb ausfüllt. 
Byron hat sich ganz losgelöst von dem mythologischen Hin- 
tergrund — Don Juan ist von keiner Philosophie belastet, die 
materialistische Lebensweisheit gibt der Dichter selbst in 
seinen Versen. Grabbe aber geht als Schüler Schillers aus 
von der Philosophie. Wie Byron hat er die nordische Re- 
flexion auf Don Juan übertragen, der aber doch immer der 
Träger südlicher Sinnenlust bleiben muß. Das entspricht der 
Doppelnatur seines Wesens, seiner Oberbildung einerseits und 
seiner realistischen Ungelecktheit andrerseits, dem scharfen 
Witz und Verstand und seiner rohen Sinnlichkeit. So hat 
Grabbe den Don Juan nach den Merkmalen seiner eigenen 
Natur geschaffen. — Byrons Eindruck wird aber gleichzeitig 
vertieft durch einen andern. 

Um die ursprünglichen Don Juan-Dichtungen hat er sich 
kaum gekümmert, noch weniger nachweislich um die Puppen- 
komödie. Auch da Pontes Don Juan dürfte ihn nicht un- 
mittelbar beeinflußt haben, sondern erst durch das Medium 
E. T. A. H o f f m a n n s. Denn den Don Juan hat in Deutsch- 
land, inspiriert von der göttlichen Musik Mozarts, zuerst Hoff- 
mann in seiner ganzen dämonischen Tiefe verstanden. »Ein 
Bonvivant, der Wein und Mädchen über die Maßen liebt, hat 
nichts Poetisches." „Casanova ist dumm!* der und Don Juan* 1 
sagte Grabbe. Es galt dem Romantiker, die Mysterien dieser 
ungewöhnlichen Menschenseele zu ergründen; in ihm wie in 
Faust eine herrliche übermenschliche Kraft, beide verstrickt 

Nieten, Chr. D. Onbbe. H 



- 162 - 

in Sünde und Böses. Grabbe hat Don Juan zum bewußten 
Träger einer bestimmten Lebensauffassung, eines philosophi- 
schen Prinzips herausgebildet; doch ist Hoffmann dämonischer. 
Don Juan verkörpert die romantische Zwecklosigkeit, obgleich 
sich die Romantik wieder ironisiert, wie sich überhaupt Grab- 
bes Stellung zu den Zeitströmungen satirisch gibt. Er ist un- 
treu aus Prinzip. Wenn er bei Moliere die Abwechslung ver- 
teidigt, wenn sein granadischer Doppelgänger Qomez Arias 
bei Calderon neun Gründe zu lieben in einer sehr launigen 
Weise aufführt, so ist Gr abbe romantisch - philosophi sch. 
jjj»* 1 »* 7 fcl is* T g j" Er ist „kein alberner Pedant, einge- 
wurzelt in Systeme." 

Aber andrerseits ist mit solch deutsch - philosophischen 
Neigungen nicht immer die derbe blutvolle Sinnlichkeit zu 
einer Einheit zu verschmelzen. Don Juan ist der König der 
Boheme, aber der deutschen. Einmal erscheint er ganz Natur, 
roheste Urform; Lust und Selbsterhaltung bilden seine Maxi- 
men, wie beim Tier — als ein Stück Natur steht er dem kran- 
ken Faust gegenüber; dann ist er aber auch wieder ganz 
Reflexion und Oberkultur. Vorläufig ergibt sich folgen- 
des Bild: Don Juan ist der glühende Sinnenmensch, unver- 
wüstlicher Lebenskraft voll. Sein Freiheitsdrang schweift ins 
Unermeßliche. Treue gilt ihm als Sklaverei nicht nur, son- 
dern auch als Heuchelei. Nicht Macht ist das Idol, das ihn 
blendet, sondern Qenuß. „Gewaltiger Herz- als Welteroberer l" 
Wahr ist nur die Natur, die sich in ihm unmittelbar äußert. 
Daher ist auch der Preis der Erdscholle in seinem Munde 
glaubhaft. Alle Abirrung von der Natur, sei es nun in Form von 
schwächlicher Empfindung, Zauberei oder vom Menschen erson- 
nener Moral bekämpft er mit Ironie und Skepsis. Diese Ironie 
geht dann bei Qrabbe wieder bis zur Zerstörung der eigenen 
Wirkung, sodaß man nicht weiß, ob Don Juan nun in Wahr- 
heit liebt, ob er wirklich ein Patriot ist. Ohne ans Komische 
schweifende groteske Übertreibungen geht er auch hier nicht 
ab („o Worte, nur wo Küsse euch ersticken" usw.). 



— 163 — 

Von Alters her geht Don Juan ein Diener zur Seite. 
Bei Molina heißt er Catalinon; er vermittelt, wie Leporello 
bei Grabbe, die Bekanntschaft zwischen Don Juan und Tisbea; 
zuweilen macht er seinem Herrn — wie Molleres Sganarelle 
— Vorwürfe, bekommt aber dafür Ohrfeigen. Besonders in 
den italienischen Stücken vertritt der Arlecquino, der aller- 
dings bei Qoldoni ganz fehlt, die Moral. Dem widersprechend, 
was Jerrmann erzählt, beschreibt Negro Leporello und Don 
Juan ganz wie Hoffmann: 

Der ausgedörrte magere, der Knecht; 

Am wilden Blick und an der Nas' 

krumm wie ein Adlerschnabel 

spür ich den Don! 
Zum Schluß kommt der Dichter dem Publikum, das dem 
allzusehr ins Metaphysische gerichteten Don Juan nicht so 
leicht folgen konnte, mit einem Stück volkstümlicher Komik 
entgegen, und erreicht hier wohl eine unbestreitbare 
Wirkung. Leporello, der sonst, wie man auch in Halle an- 
merkte, vielfach zu hoch gehalten war, mutet uns da in seiner 
derben Komik natürlicher an, während auch Don Juan von 
der philosophischen Höhe heruntersteigt und manchmal mehr 
roh als witzig in den Jargon des schnodderigen Berliner Stu- 
denten verfällt- Der Dichter überschüttet uns mit einer 
aus langjähriger Theaterkenntnis gesammelten olla potrida 
von drolligen Einfällen und bissigen Ausfällen. Aber Lepo- 
rello ist ein Abbild seines Herrn. Er ist kein gutherziger 
Schalk, das Harmlose, Gutmütige, Treuherzige des deut- 
schen Rüpels ist weit schwächer ausgebildet. Er macht 
seinem Herrn keine Vorwürfe — wiewohl er auch zuweilen 
als kritischer Gegenspieler in Betracht kommt — wie Cata- 
linon oder Sganarelle; er würde es noch schlimmer treiben, 
wenn er der Herr wäre. Hoffmanns Charakteristik wird be- 
stätigt: „Leporellos Züge mischen sich seltsam zu dem Aus- 
druck von Gutherzigkeit, Schelmerei, Lüsternheit und ironi- 
sierender Frechheit." 

11* 



— 164 — 

Leporello ist der ungeschlachte Bauer aus dem Volk. 
Er berührt etwa wie ein Typus auf den niederländischen Genre- 
bildern eines Teniers oder Brouwers. Auch hier sind die 
Züge des Grotesken scharf herausgearbeitet: Roheit, Feigheit, 
abergläubische Angst, kindisches Wesen, bei Aufblitzen von 
Mutterwitz, komischen Einfällen, drolligen Affereien. Ein Zug 
von Bosheit und Härte eignet ihm mehr als dumpfes Behagen. 
Orabbes Witz behält fast immer etwas Auflösendes, Ne- 
gierendes, Umstürzendes. Im übrigen ist Leporello vielleicht 
die echteste Figur des Stückes. 

Bis dahin scheint uns Grabbe mehr eine phantastische 
Komödie geben zu wollen, als eine gewaltige Tragödie. Aber 
die Gefühllosigkeit und Grausa mkeit des Helden gibt doch 
einen tragische n Einschlag. Die Atmosphäre ist gesättigt von 
Zynismus. 

III. 

Der 1. Akt expliziert Juans Charakter im Dialog und 
Fausts im Monolog. Der Monolog ist ein bequemes Mittel der 
Selbstcharakterisierung. Er paßt nicht zu den Voraussetzungen, 
aber er war nun schon einmal da. 

Mit furioser Kraft setzt der Dichter ein. Es sind echt Grabbe- 
sche Urtypen: diese renommistische Pose des Sichindiebrust- 
werfens, dieser Hohn von oben herab. „Ein Löwe von Unersätt- 
lichkeit brüllt aus mir", ruft Maler Müllers Faust, 
„der sich in allen Ranken und Sprossen ausblühn will." „Der 
Mensch ist eine Bestie" („ein geschminkter Tiger" sagt Goth- 
land) schreibt Grabbe 23. IX. 1827, und sein Faust ist ein ge- 
reiztes, hungerndes und dürstendes Raubtier, kein sentimen- 
taler subtiler Gelehrter, der seine Willenskraft zergrübelt Un- 
willkürlich denkt man an Nietzsches blonde Bestie und ihre 
Sehnsucht nach der großen Wüste. Man fühlt sich versetzt in 
die Sphäre, in der Gothland und Berdoa lebte». Grabbe will 
denn auch „keinen Goetheschen in allen Farben der Lyrik 
glänzenden und deshalb ungeachtet seiner Charakterschwäche 



- 165 - 

höchst anziehenden Paust schildern, sondern einen Faust, 
welcher in der Tiefe der Gedanken und der Veit zu Hause 
ist" In seinem Faust soll schroffer und scharfer charakte- 
risiert werden: Wille zur Macht und philosophischer Drang; 
diese krankhafte Leidenschaftlichkeit wird dem Maß der Schön- 
heit übergeordnet und konsequent festgehalten. Die Sehnsucht 
bei Goethe wird hier zu wilder Verzweiflung, das Verlangen 
zur Gier; mit seinem tollen Machtdurst, seinem unbändigen 
unruhigen Villen trägt Faust das Erkennungsmerkmal 
der Grabbeschen Helden an der Stirn; wenn wir geistige 
Verwandtschaft suchen, dürften wir am ersten an Z. Wer- 
ners „schwärmerische Brutalität und zerreißungssüchtige 
Empfindsamkeit* denken« Die ursprüngliche Konzeption ist 
mit wilder Energie durchgeführt 

Nach dieser Eröffnung in leidenschaftlich überhitztem 
Gothlandstil wird eine gedämpftere Tonart angeschlagen. Zu- 
nächst bewegt sich der Dichter in gemütvolleren Variationen 
des von Goethe angedeuteten Gedankenganges, den wir auch 
noch da feststellen können, wo das Zeitgeschicht- 
liche und der Zusammenhang mit der Refor- 
mation strenger herausgearbeitet wird. Ein zweites Mo - 
ntffllJflt dag Pfuscht"™ ttnä H< * R^a h* m q h t n ach 
Krieg . Zwar heißt es auch bei Goethe: O selig der, 
dem er im Siegesglanz den blutigen Purpur um die Stirne win- 
det Daneben aber war vielleicht auch v. So d e n s Volksschau- 
spiel, das freilich weit (1787) zurücklag, Grabbe nicht unbe- 
kannt (vergl. auch die Erwähnung Tirols), wie nicht nur aus 
dieser Stelle erhellt Dort' heißt es z. B.: Doktor Faust 
(glühend): Vaterland! Vaterland! Hallunken, entweiht doch 
diesen Namen nicht O daß wir eins besäßen! (I 4). Und 
im letzten Akt erscheint Faust als Befreier Deutschlands: 
„Ihr wollt frei und edel sein. Das ist der unauslöschliche 
Charakter der Deutschen." 

Ganz unbekfimmer t_um die Einheit der .Stimmung, wirkt 
Grabbe nun wieder im-Stefr -der- l it e r a risch e n M od e h öch st per- 



i 



- 166 - 

tonlich, %finn — ^^J^h**-- **- - ^nn* ^ f frtrtvft l lff n F . io lag^ zu 

e inem J obpre3a?pden Hep^ fleiitaclien Wpqptiq und., deutschen 

Lande s jnacfat «Deutschland, Vaterland, die Trine hängt 
mir an der Wimper, wenn ich dein gedenket Reue 
und Sehnsucht, die in den Versen vibrieren, erhöhen noch 
die Innigkeit dieses Dithyrambus. Mehr Glanz haben Don 
Juans Bilder, mehr kraftvolle Schönheit die Faustens. 

Wichtiger aber ist die Art, wie die Qual des unzuläng- 
lichen menschlichen Erkennens modernisiert wird, nachdem 
wir vorher die Begierde sahen. „Deutschland ist Europas Herz» 
Ja, Ja zerrissen, wie nur ein Herz es sein 
kann l" Dieses Zentraldogma, darin sich der Weltschmerz 
für Grabbe wie in einem Symbol krystalüsiert, — dasselbe 
Schlagwort, das schon Heine in seinem Buch der Lieder ge- 
prägt hat, wiederholt sich im Gothland, Barbarossa kehrt in 
den Briefen immer wieder. 

Hier nun beschäftigt uns eine besondere Art der Zer- 
rissenheit: die Tragik des Erkenntnisdranges. 
Philosophischer Hochflug und ernsthafte religiöse Kämpfe kenn- 
zeichnen schon den Gothlanddichter. Die spekulativen Schulaus- 
drücke, mit denen Faust paradiert, weisen auf die philosophi- 
schen Einflüsse, die Grabbe erfahren. Ohne die wissenschaft- 
liche Luft, ohne das philosophische Milieu wird uns sein Faust 
nicht voll erklärlich. Persönlich kennen lernen konnte Grabbe 
nur Hegel, der seit 1818 in Berlin wirkte. Soviel wir aber aus 
den wenigen Briefstellen zusammenstellen können, war er 
gegen Hegel, „der Schelling, Fichte oder Kant nicht die Füße 
lecken kann." Er polemisiert gegen den vernunftgläubigen Ra- 
tionalismus eines Paulus, und nach gelegentlichen Äußerun- 
gen hält er es mit Schellingschem Pantheismus und Fichte- 
schem Autonomismus. ^Seuufgust ..sucht -*adt . einem .Ziel» 
einem Zwecke^ der Sicherheit und Ruhe bringt — im Gegen- 
« ft *» 7?il. Dem. Juan, der alle Blumen pflückt — , nuclLÄer einen 
unverwelklichen blauen Blume der Romantik. Wenn wir ihif 
als Philosophen ernst nehmen, ist er Monist, der die plfllo- 



— 167 — 

sophische Not der Zeit fühlt. Kant hatte die übersinnliche 
Welt wenigstens der Erkenntnis gegenüber zerstört. Die 
Gegensätze klafften auseinander. Der Dualismus tat sich auf 
zwischen Gott und Natur, zwischen Ding an sich und Er- 
scheinung, zwischen Gefühl und Verstand. So schwebt auch 
Faust zwischen Himmel und Erde, schwankt zwischen Wissen 
und Glauben. 

Kant aber hatte die der Erkenntnis verschlossene über- 
sinnliche Welt wieder gerettet als Postulat des Willens, der 
praktischen Vernunft, und diese schöpferische Kraft des Ich 
erreichte die höchste Intensität im Fi cht eschen Idealismus. Be- 
rauscht von diesen philosophischen Gedanken, aber das wissen- 
schaftlich strenge, ethisch reine Ideal des Willensphilosophen 
mißverstehend, tranken die Romantiker ein übermenschliches 
Selbstbewußtsein. Auch Grabbes Faust, der die philosophischen 
Strebungen seiner Zeit wiederzuspiegeln sucht, ist trunken 
von Fichteschem Idealismus und er bleibt mit halb verwun- 
derlicher, halb imposanter Konsequenz reinster Geistesmensch 
und Spiritualist. 

Wie Faust den Charakter der menschlichen Erkenntnis 
bestimmt, wie ganz negativ Fortschritt und Zerstörung gleich 
gesetzt werden, so fühlt es auch ByronsManfred: Wis- 
sen ist Schmerz; wer am meisten weiß, fühlt am tiefsten die un- 
selige Wahrheit. Das erste Schicksal spricht es aus: Erkennt- 
nis ist kein Glück und nichts als ein Austausch von Unwissen- 
heit für eine andere Art Unwissenheit Aber die höchste 
Friedlosigkdt zieht in Manfreds Brust durch Gewissenschuld. 
— Weiter wird der Komplex der Grabbeschen Fauststimmung 
charakterisiert durch romantische Anklänge an Hoffmann und 
Steffens, das auf Schiller, Byron, Heine zurück- 
gehende Trümmermotiv und Schellingsche Ge danke n. 

„Aus Nichts schafft Gott, wir schaffen aus Ruinen I" 

Hier liegt ein Bruch vor zwischen dem Geiste des Sturms N 
und Drangs Qeder Mensch hat gleiche Talente und ist zum 
Höchsten geboren) und der nihilistischen Tendenz der weit- 



- 168 — 

schmerzlichen Zerrissenheit Die Blasiertheit ist der Indiffe- 
renzpunkt zwischen Titanismus und Weltschmerz. 

Goethes Faust sehnt sich danach, „was der ganzen Mensch- 
heit zugeteilt ist, im eigenen Selbst zu genießen." Mit fast 
wörtlichem Anklang an Goethe läßt auch Grabbe Faust nach 
Rom kommen, „um in mir die ganze Menschheit aufzunehmen 
und mich in dem Genuß zu sättigen." Aber die Verschmel- 
zung eines universalen Motivs von genialer Tiefe mit der 
Äußerlichen Notwendigkeit, Fausts Aufenthalt In Rom zu be- 
gründen, führt hier zu einer bedenklich verflachenden Wir- 
kung. Hier redet wieder ganz deutlich der Historiker und 
Archivaspirant Grabbe, der über prächtige Bilder und klin- 
gende rhetorische Wendungen verfügt 

Also Theologie und Philosophie sind in ihrer Ohnmacht 
dargetan, Erkenntnistheorie und Historie versagen. Es ist 
schwer, Faust rein durch den Erkenntnistrieb der Hölle 
zuzuführen. Aber man muß doch etwas vom Teufel 
erwarten, wenn man sich ihm verschreibt, und vor allen 
Dingen: man muß an ihn glauben. Der Teufel ist ein u n- 
moralisches Wesen, und der mittelalterliche Faust 
durfte nicht mehr wissen als die Kirche gab. Er opferte 
seine Seele, weil, wie es bei Marlowe heißt, eine Welt 
der Wonne, des Genusses, der Macht, der Ehre und der All- 
gewalt hier verheißen ist: „ein guter Zauberer ist ein halber 
Gott". Im Puppenspiel (Ulm) glaubt Faust doch, er könne 
alles sehen und greifen. Aber glaubt dieser aufgeklärte Faust, 
der im 19. Jahrhundert Philosophie und Geschichte studiert 
hat, daran? Fühlt er, daß er seine Seele preisgeben muß? 
Preisgeben, um etwa die Lösung der Doktorfrage zu erfahren, 
wie Leib und Seele zusammenhängen? 

Faust gehört ins Mittelalter, wo sich das Gedachte an 
sinnlich konkrete Symbole anschließt, die allgemein geglaubt 
werden, wo man sich vor dem leibhaftigen Teufel fürchtet 
Schon bei Goethe macht das Schwierigkeiten; wollte aber 
Grabbe etwas Neues geben und die Faustsage auf einen mo- 



- 160 - 

(lernen, aufgeklärten Gelehrten übertragen, so kann die Hölle 
doch nur in seinem Innern wohnen, so kann der Teufel ihn 
doch nur in seinen Zweifeln heimsuchen. Wir müssen uns 
also damit abfinden, daß überall die traditionellen Motive, die 
alten Symbole wieder erscheinen und daß moderne Weisheit 
sie erfüllt, ohne daß die verschiedenen Kulturen organisch ver- 
bunden sind. Nach einem Monolog hochmoderner Philosophie 
gleiten wir gleich ins Zaubermärchen über. Die Beschwö- 
rung ist sehr ausführlich, ein Probestück Grabbescher Phan- 
tastik, behängt mit dem grellen Flitter des Zaubermärchens, 
des phantastischen Volksstücks (Freischütz). Im Volksbuch 
gehört zu den ergreifenden Momenten die Warnung des Engels; 
hier leuchtet der moralische Grundgedanke auf, wenn Faust 
den „Engeln, lieben Kindern** gute Nacht und Adieu (1 1) sagt. 
Bei Goethe wird Faust zunächst durch die Erscheinung 
des Erdgeistes erschreckt, dann tritt bei der zweiten Beschwö- 
rung aus dem nebelhaften Gebilde Mephistopheles mit den 
Worten: wozu der Lärm?! Die beiden Szenen sind bei Grabbe 
zusammengezogen. Faust sinkt in Ohnmacht, und mit den Wor- 
ten: also viel Geschrei und wenig Kühnheit — tritt ein — 
nicht Goethes fahrender Scholare, eher sein Junker in gold- 
verbrämtem Gewand — „ein Ritter mittleren Alters, bleichen 
Gesichts, nach Sitte des 16. Jahrhunderts, jedoch durchaus 
schwarz gekleidet." Näher als an K 1 i n g e r und Byron zu 
denken, liegt es Klingemanns Fremden, ganz in einen 
dunkeln Mantel gehüllt, als Vorbild anzunehmen. Doch schon bei 
C a 1 d e r o n erscheint der Geist als Kavalier und ebenso im 
Puppenspiel, seit man im katholischen Wien an der Mönchs- 
kapuze Anstoß genommen hatte. Jedenfalls ist die schwarze 
Tracht hier sehr sinnvoll. Mit Recht führt Goethe Faust 
nicht als den Wissenden, sondern als den Fragenden ein; er 
umkleidet den Erdgeist mit Majestät und überläßt Mephisto 
die Ironie. Bei Grabbe aber, der hier wieder Klingemann 
folgt (I 5 als Sklave sollst du zu meinen Füßen zittern. — 
II 1 Winde dich im Staub zu meinen Füßen, daß ich dich 



- 170 - 

trete, wenn mein Grimm entbrennt) herrscht ein gewaltsamer, 
feindselig gereizter Ton. Faust aber darf sich keinen Augen- 
blick etwas vergeben. Wie kann so ein Verhältnis 
zum Satan möglich sein? Es ist nun wieder eine 
großartige Verkehrung, wenn Satan Faust einzuraunen weiß, 
daß die ewige Nacht und der Haß der Hölle die zuletzt sie- 
genden Mächte, die stärksten Gewalten sind. Ein tiefsinniges 
Motiv, das bereits im Volksbuch erklingt, das großartig von 
Byron verarbeitet ist; Byron aber schwebte wieder Miltons 
Satan vor, der selbst einem Karl Moor in Schillers „Räubern" 
imponierte. Aber auch Goethes Mephisto hofft auf den Unter- 
gang des stolzen Lichtes, das nun der Mutter Nacht den alten 
Rang und Raum streitig macht, und er darf das mit vollstem 
Recht sagen, denn sein Name ist ja nur eine Umschreibung 
dieses Gedankens. 

Es folgt nun der Vertrag, bei dem der Ritter als 
Diabolus erscheint, dem nicht zu trauen ist — dem Colorit 
nach einer der bekannten Zweideutlermonologe. In sämtlichen 
Puppenspielen sagt erst Faust seine Wünsche, und dann stellt 
Mephisto seine Bedingungen. Er muß z. B. Gott absagen und 
allen Menschen feind sein, auch ehelos bleiben. Wiederholte 
Warnungen gehen voraus, und alles wird reiflich überlegt. Bei 
Grabbe vollzieht sich die Szene rasch und gewaltsam; Faust 
stellt die Bedingungen und die Forderungen. Bei Goethes 
Faust ist der Fall klar: da ihn der große Geist verschmäht 
hat, ekelt ihm vor allem Wissen; da Faust nicht Gott sein 
kann, will er ganz Mensch sein. Wie ist es aber bei Grabbe? 
Die psychologische Erklärung ist hier bedeutend schwieriger; 
denn Faust muß scharf und deutlich mit Don Juan kontra- 
stiert werden, J£augt darf, n icht Leben sgenuß- verlangen^ er 
fordert Macht und Wissen; er will den Sinn des Lebens zu 
erfassen suchen durch die bloße Aufklärung, wie er hätte glück- 
lich werden können. Denn das „glücklich werden " gehört z ur 
Praxis und die ist Don Juans Element. Dann aber fühlt Faust 
dooh noch soweit moralisch, daß er sieht, daß der nicht glück- 



- 171 — 

lieh werden kann, der sich dem Satan ergibt. Er soll das 
später noch tiefer einsehen. Insofern gibt er seine Seele hin. 
Aber darin liegt die Tragik des Gelehrtenlebens: in seiner 
Ohnmacht gegenüber der Fülle der Wirklichkeit; er hat seine 
Kräfte an die unsinnlichen abstrakten Michte hingegeben» und 
er Kennt nicht die Wonne starker Naturtriebe: die Liebe. Im 
Gegensatz zu Don Juan verachtet er die Sinnlich- 
keit. Wir sollen die Tragik des Geistes kennen lernen, der 
sich ausschließlich hingibt an die Macht und das Wissen — 
— tote, kalte Symbole beides, fern dem Menschlichen und fern 
der Natur! 

Denn das Menschliche und das Qlück liegt nicht in der 
Einseitigkeit und Maßlosigkeit — beide sind verschwistert. 
Das deutet der Ritter ganz richtig, der auch den Ton eines 
nüchternen Realisten anzuschlagen weiß und der hier die 
Weise des Mephistopheles singt; dieses Ganze ist nur für 
einen Gott gemacht — du bleibst am Ende was du bistl Aber 
die Goetbesche Ironie verzerrt «sich wieder zu Hohn und 
Spott. Und Faust, der nie seinen Stolz verliert, sieht hier nur 
den Neid und Haß der höllischen Ausgeburt. Das Geifern 
der Viper, die Krallen des Drachen sind die echt Grabbe- 
schen Stimmungselemente, sie geben das eigentümliche höl- 
lische Kolorit. Wieder häuft Grabbe die Motive, statt einen 
Grundton voll ausklingen zu lassen. Der Ritter — wie- 
wohl als Skizze entworfen — soll den Charakter der biblischen 
Schlange zeigen, er ist der blutdürstige Vampyr, er soll mit 
dem majestätischen Stolz des Höllensohnes die Ironie des 
Goetheschen Mephistopheles verbinden, er soll, wie wir 
noch sehen werden, der heulende Abbadonna Klopstocks 
sein und er soll die erhabene Schwermut des gefallenen Engels, 
die düstere Schönheit des byronischen Dämons atmen. Originell 
ist eigentlich wenig an ihm. Am echtesten wirkt er, wenn eine 
gewisse drollige Schelmerei, etwa in der Schilderung der 
„ersten Liebe", oder eine diabolische Lüsternheit zum Vor- 
schein kommt als den Urformen, darin sich Grabbes Psyche 



— 172 — 

wiederspiegelt. Es entspricht nun ganz dem Gedankengang 
der Qoetheschen Hexenküche, wenn die Frage 
nach dem Glück zuerst beantwortet wird mit der Mahnung, 
sich zu beschränken, sodann positiveren Inhalt gewinnt durch 
Donna Anna. Dasselbe Programm aber wiederholt sich 
später, Paust lehnt beide Punkte ab: er sieht nicht ein,, daß 
er auf die Erkenntnis verzichten muß und noch weniger ist 
sein Sinn auf Anna bedacht So muß ihn der Ritter erst durch 
die Tat überzeugen, daß er recht hat. 

Nach mancherlei Seltsamkeit und Dunkelheit, die nicht zu 
überzeugen vermögen, kommt dann erst Schwung in die Szene, 
als Faust die Auseinandersetzung abbricht: „Die Welt durch- 
gründet. Frei atm' ich in der Olut des Firmamentes !" Hier 
wird Goethe fallen gelassen; Orabbes Phantasie, die sich in 
fliegenden Kometen und lodernden Sonnen schon seit Qoth- 
land auskennt, greift begierig nach der schon im Volksbuch 
ausgeführten Fahrt von den Schlünden der Hölle bis zu den 
Scheiteln der Himmel, von Soden ebenfalls angenommen, 
mit wundervollem Tiefsinn, mit großartiger Pracht gestaltet 
in Byrons K a i n. So kontrastiert mit der durchsichtigem 
scharfen Luft der Verstandes - Aufklärung das Phantastische, 
Mysteriöse, Fabelhafte, Allegorische. Der Zaubermantel 
wird ausgebreitet und beide fahren davon. Octavio soll dem 
entscheidenden Eindruck wiedergeben: Beinah glaub ich selbst 
an Zauberei! 



IV. 

Der ersten Szene des 2. Aktes geht ein andantino amabile 
von Lortzing voraus. Und Liebe ist das Thema, das hier 
fünffach variiert wird: die grobe Fleischeslust Leporellos, die 
phantastische Schwärmerei Don Juans, die bürgerlich bäng- 
liche, sentimentalische Liebe, der konventionelle Herdentrieb 
Octavios, Fausts plötzliche Verliebung in einer kritischen 
Stunde unter Einwirkung höllischer Zauberkunst, und endlich 
die Enthüllung, daß früher der Satan auch geliebt hat. 



— 173 - 

Der psychologische Begriff Liebe wird in seine Elemente zer- 
legt Jeder erhält einen Teil zugemessen. Anna und Don 
Juan haben zunächst Gelegenheit, in einem Monologe, wie in 
Opernarien, ihre Gefühle sprechen zu lassen« Grabbes Tech- 
nik ist höchst primitiv, statt kunstvoller Verwebung eine lose 
Mosaik. 

Auch hier wirkt eine Reminiszenz an E. T. A. H of f mann. 
Zwar erreicht Grabbes Don Juan nicht ganz die extreme philo- 
sophische Höhe, zu der er im Capriccio in konsequenter Aus- 
deutung seiner dämonischen Eigenschaften in allmählicher 
Entwicklung hinaufgeführt wird, daß er „aus lauter sata- 
nischer Lust am zerstören, aus bloßer Verachtung und in 
frevelndem Hohn jgegen Natur und Schöpfer gerade in der Ver- 
führung einer geliebten Braut den höchsten Triumph" sieht. 

Seine unedle Verachtung des Weibes ist nicht so tief be- 
gründet — doch ist das natürliche Verlangen durch ein meta- 
physisches Motiv zersetzt Hier kommt es aufs Frommtun 
an und deshalb beginnt Juan mit dem seltsamen Bild, daß 
Annas Blick wie ein Todesengel ins Eden geleite. Es ent- 
stammt dem Zwiegespräch zwischen Anna und Don Juan, 
dem einzigen das beide führen, an dem man überhaupt 
studieren kann, wie Grabbes Phantasie Bilder schafft und wie 
er sie sucht (vgl. auch Rattengift in Scherz, Satire) . An selt- 
samen Einfällen, barocken Fragmenten, kühnen Gedanken- 
blitzen fehlt es nicht. Aber als ganzes vermag die gleich 
spanischen Koloraturen frostige Bilderjagd dieses Liebes- 
gespräches, das ein „Nieliebender, gänzlich Unsentimentaler", 
dem „Romeo und Julia" „zu sinnlich" war, verfaßt hat, nicht 
zu erwärmen, und doch hat Grabbe selbst es hochgepriesen. 
Phantastische Hyperbeln statt warmer Naturlaute. Es ist keine 
blutvolle Leidenschaft weder bei Don Juan, bei dem nicht etwa 
nur das tiefere Gefühl, sondern auch die Lust der Sinne durch 
die Reflexion zerstört wird, noch bei Donna Anna, bei der 
der Gegensatz dadurch unfruchtbar und abstrakt wird, daß 
sie für Octavio nur eine erzwungene Neigung hegt, so daß 



• — 174 — 

damit ihrem Ehrgefühl kein vollgiltiges Äquivalent geboten ist. 
Der Dichter überträgt hier auf Anna das katholische Keusch- 
heitsmotiv der Caldero'ni sehen Justina und er ver- 
leiht ihr die erlösende Gewalt reiner Jungfräulichkeit, wie er 
sie etwa in der Romantik z. B. bei Fouqu6 finden konnte. Don 
Juan schiebt zum zweiten Mal die günstigste Gelegenheit auf 
und begnügt sich statt der Taten wiederum mit Worten. Man 
fühlt das Konstruierte heraus. Er überironisiert noch die 
romantische Ironie, indem er wie Sulla und die übrigen Ober- 
menschen Grabbes suveträn mit seinen Empfindungen zu spielen 
trachtet, damit aber auch jedes Glücksgefühl mordet. In 
dieser Art von Geistigkeit wirkt der Schillersche Impuls für 
den Dichter nach. Wie Heine über die Graf in und Hofrätin 
spottet, die fein säuberlich von der Liebe reden, so gießt Don 
Juan seinen Spott über die Empfindsamkeit, den zahmen 
Herdentrieb, die dressierten Gefühle Octavios aus. Es ist zu- 
viel Hohn und Zynismus in ihm und das pfiffige Schelmen- 
gesicht des Dichters lugt überall hervor. Dazu verfolgt der 
Dichter die maliziöse Nebenabsicht, die stereotypen Wendungen 
schaler und flacher Operntexte zu parodieren. Dabei wirkt 
Octavio als schüchterner Liebhaber gar nicht so unsympa- 
thisch und nur zuletzt kommt der Philister zum Vorschein- 
Den Bühnenverhältnissen Rechnung tragend, hat Grabbe 
Faust und Don Juan wenigstens räumlich zusammengebracht. 
Faust hat seine Reise (also in etwa 18 Stunden) vollendet, 
jene Reise, die uns weitschweifige Kapitel des Volksbuches 
erzählen, die der stürmende Flug der die Größe der Welt 
ausmessenden Phantasie Schillers feierte. Unverkennbar wirkt 
das Vorbild des Byronschen Kain, bei dem der 
naive Realismus am besten zusammenwächst mit dem meta- 
physischen Problem, und abermals von Soden. Faust ist nicht 
zufrieden; nicht nach der Außenseite, sondern nach Kraft 
und Zweck forscht er, wie auch der Sodensche Faust fragt: 
warum rollen die Planeten? wozu die Harmonie des 
Ganzen? Aber wie Faust bei Chamisso einsehn muß, daß 



'r I 



— 175 — 

der Staubumhüllte nicht erkennen und daß dem Blindgeborenen 
kein Licht erscheinen kann, so sieht der Grabbesche Held, 
daß romantisches Gefühl und unendliche Sehnsucht, die ihn 
gleich Gewitterschauern durchbeben, ungestillt bleiben müssen, 
und daß die Sprache wie Marksteine die menschliche Er- 
kenntnis abgrenzt Diese Sprachphilosophie, die hier wieder 
einem echten Grabbeismus aus der Taufe hilft („so war* die 
ganze Menschheit nur Geschwätz") , ist Gemeingut bei Grabbe, 
Klinger und Byron, deren Gedankengänge sich überhaupt 
vielfach berühren. Grabbe macht F aust zum Romantiker! 
Don Juan wurzelt in der romantischen Iro-/ 
nie, in Faust lebt das romantische Gefühl 
und die unendliche romantische Sehnsucht«! 
Wunderlich genug wirkt die Verbrämung mit philosophischen 
Theorieen und wir hören wieder im Zaubertheater einen Ver- 
treter der neuesten Philosophie, der die Überlegenheit des 
Gedankens über Raum und Zeit wie ein moderner Jünger 
Kants verficht, ganz ähnlich, wie in den abenteuerlichen 
Spekulationen des Gofhland. Fausts Erkenntnisdrang kann 
der Ritter nicht zufriedenstellen. Faust ist dem Teufel über- 
legen; jener „Schatten" hat ihm die Schranken der Satans- 
gewalt gezeigt. Der Geistesmensch Faust denkt noch, wo 
der Satan schon zittert. Und der Ritter hatte doch gehofft, 
daß Faust sich auf dieser Reise fürchten werdet 

Wie dann bei Byron „der Erzpriester des Skeptizismus 44 
zuletzt dem Kain aufgibt, Adams Rasse zu vermehren, zu 

essen, ZU trinken, ZU schlafen, sn wirfl f a ust von dem Ri tter 
zur Beschränkung gewle sen; afihlaf, iß*- trink« Aber dieser 
Ratgeber hat ein doppeltes Gesicht: einmal scheint er Faust wie 
ein Pädagog von dem Künstlichen und Krankhaften seines 
Wesens reinigen zu wollen; aber andererseits würde damit 
alles höhere Leben sterben. Der Satan kann nichts Schöpfer- 
isches geben. Sein Ideal ist der Gigantengeist, der ewig 
kämpft und haßt in Siegeshoffnung, sein Ideal die Autonomie, 



\ 



— 176 - 

Hochmut und Stolz des Höllenfürsten, der Geist des Aufruhrs 
und der Empörung. 

Ein kritischer Augenblick ist gekommen. Es wäre 
nun möglich, daß Faust sich fügte und dem Ritter folgte, 
daß er in ein banausisches, materialistisches Leben verfiele. 
Die Wendung bei Orabbe gibt wohl Eigenes und Tiefes: Faust 
erkennt vermöge seiner göttlichen Natur den Betrug und die 
Einseitigkeit, die Ohnmacht der Hölle. Haß ist nur die 
Ohnmacht, das Rätsel der ewigen Liebe zu 
lösen. Ein tiefes Motiv — aber leider in recht trivialen 
Wendungen. 

Leicht hätte nun Orabbe einen Übergang finden können. 
Konnte dem Forscher auf seiner Himmelsreise nicht die 
Bedeutung des Gravitationsgesetzes aufgehn, konnte er nicht 
auf die Harmonie der Sphären lauschen als auf einen Lob» 
gesang der Liebe, die die Welt im Innersten zusammenhält? 
Aber hier verwirrt der Dichter absichtlich, damit der Satan 
nicht überflüssig wird, durch allerlei tolles Zauberwesen. Der 
Ritter übt seine Zauberkünste und hält Faust, dem in einem 
Zustand der Haltlosigkeit zwischen Hölle und Himmel Irren- 
den, den Zauberspiegel von Der erste Punkt des Programms 
ist erledigt. Der in seinem Erkenntnisdrang Getäuschte ist 
nun vielleicht bereit für die Lockungen der Liebe.*) 

Abermals sind die Gedankengänge aus Goethes 
Hexenküche wiederzuerkennen: nach dem vergeb- 
lichen Hinweis auf ein Leben in Beschränkung schreitet 
Mephisto zum Zaubertrank. Diese Entwicklung ist ganz 
natürlich, aber Grabbe muß sich höchst gewaltsam aus 
dem Gedränge herausarbeiten. Vor allem findet sich bei 
Grabbe der tolle Widerspruch, daß Faust wie bei Klinge- 
mann verheiratet ist. Ja er behauptet, der Weiber 
satt zu sein, (wie und weil Hamlet keine Lust am 
Weibe hat). Merkwürdig genug ist der Versuch, sich aus 



*j Aber die Doppelnatur der Liebe ist gleichzeitig sinnlich und geistig, 
teuflisch und himmlisch! 



— 177 — 

diesen Wirrnissen herauszuwinden. Faust hat noch nicht 
wirklich geliebt, weil die Erkenntnis der Gottheit ihm wich- 
tiger war und die Liebe Nebensache. Jetzt aber verzichtet er 
auf das Wissen, um sich ganz der Liebe zu ergeben. Es 
tritt also ein Austausch, eine Umkehrung ein. 

Orabbes Bizarrerie treibt die wunderlichsten Blüten. 
Faust bleibt auch als Verliebter Philosoph, und um die Laute 
echten Gefühls zu meiden, stellt er die kältesten Reflexionen 
über den Grund seiner Verliebtheit an. Charakteristisch für 
Grabbes seltsame Bildersprache sowie für die Paradoxie seines 
Denkens ist es, wie Faust von Farbe und Tiefe der Augen 
Annas ausgeht, um dann auf Dämmerung und Nacht zu kommen 
und mit der Hyperbel zu enden: „des Himmels Gründe — 
Sandbänke sind sie gegen dieser Augen Tiefen". Soviel wissen 
wir jetzt, daß Faust und Don Juan um dasselbe Ziel ringen; 
aber es wird auf eine äußere Machtprobe herauskommen, 
und der Teufel ist zu einem Knecht herabgesunken, der sich 
nur auf äußere Kunststücke versteht. Mit dieser Degradation 
ist aber die Rolle des Teufels eigentlich zu Ende. Andrerseits 
ist Faust verzaubert und ganz der Zauberer geworden. 

In der folgenden Szene voll grell-bunter glühender Farben 
soll die große Szene in der Oper (man vergl. sowohl Mozart 
als auch Spohr) und das Maskenfest bei Klingemann noch 
überboten werden. Oberall grelle schreiende Farben, tollkühne 
Hyperbeln, satirische Streiflichter, philosophische Perspektiven 
von zweifelhafter Tiefe. Aber lauter Momentbildchen ohne 
innere Verschmelzung. 

Die Szene beginnt mit einem komischen Auftakt; da sind der 
an den trunkenen Kapulet erinnernde bezechte Polizeidirektor 
Rubio (rot) mit seiner stereotypen Redensart: wie man zu 
sagen pflegt, und Negro (schwarz), der sich über die spa- 
nische Ehre erlustiert. (In der letzten Szene werden übrigens 
beide verwechselt.) Don Juan, der der Einladung gefolgt ist, 
stellt das Thema auf: erst Wein, dann Tanz, dann Mord. Faust 

muß — des Kontrastes wegen — immer wieder das Scheide- 
Nieten, Chr. D. Qratbe. 12 



178 - 

waftser des Verstandes auf sein Gefühl gießen. Jetzt erst 
läßt Faust, wie er bei Goethe im 2. Teile dem Lyn- 
keus für Helena anbefiehlt, die Burg auf dem Montblanc er- 
richten; aber die farbenprächtige Schilderung fällt zuletzt ins 
Burleske, wenn er dem Ritter befiehlt, Fixsterne vom Him- 
mel herunterzureißen, um das Gewand der Geliebten damit 
zu schmücken. Anna, finster, angstvoll, zittert unter Juans 
Anblick, der mit einem ganz unmöglichen Vergleich den 
Schönheitsblitz Annas mit dem Donner seines Herzschlags 
begleitet. Für Don Juan und Leporello richtet sich Grabbe 
nach E. T. A. Hoffmann, Faust wird mit der infernalischen 
Schwermut der byronischen Helden umkleidet, er wird 
wie der Kosar oder Lara mit schwarzen Locken und weißer 
Stirn ausgestattet. Von der Erscheinung des totenköpfigen 
Kavaliers mit dem funkensprühenden Genossen fällt ein läh- 
mender Schrecken auf die ganze Versammlung. Wie in der 
vorhergehenden Szene sucht Grabbe die Stimmung des Un- 
heimlichen, Grauenerregenden zu steigern; aber wieder fällt 
uns der Gespensterhoffmann ein, der virtuos Ent- 
setzen und Schauder in dem Leser erweckt, wenn etwa der 
unheimliche Gast plötzlich ins Zimmer tritt. 

Octavio fällt in dem improvisierten Streit, während gleich- 
zeitig ein Hoch auf das Brautpaar ausgebracht wird und der 
Polizeidirektor in einen Schlummer verfallen ist, aus dem er 
nicht wach zu rütteln ist.*) Der Ritter muß Faust zur Ent- 
führung Annas helfen, aber der Kontrakt ist so schlecht ab- 
gefaßt, daß er Faust hinterrücks verraten kann, wiewohl 
Don Juan späterhin ebensowenig Aussicht hat, wie augen- 
blicklich. Wie der Teufel in „Scherz, Satire" die Heirat zu 
hintertreiben sucht, so hat er es jetzt fertig gebracht, Don 
Juan und Faust aufeinander zu hetzen. — Die Lakonismen 



•) So wirkt Grabbe durch den gehäuften Effekt einer mehrfach 
parallelen Handlung, durch verdoppelte Kontraste: Die Haupthandlung wird 
begleitet durch ein Echo hinter der Bühne, durch ein satirisches Intermezzo 
im Vordergrund. 



— 179 - 

Don Juans haben etwas Monumentales und die Abbreviaturen 
atmen Stimmung; dieser Freskenstil liegt der Dichternatur, 
die hier die ihr eigentümliche Form gefunden hat. Don 
Juan spekuliert, ähnlich wie bei Molina, auf das Ehrgefühl 
des Gouverneurs, dessen höchster Schmerz sich grotesk darin 
kundgibt, daß sogar das Bild des Königs sich verdunkelt. 
Immer kommt der Witzbold zu Vorschein. Der Gouverneur 
ist wie ein preußischer Beamter, der nichts Höheres kennt, 
als die Meinung seines Vorgesetzten. Er übergibt also Don 
Juan nicht den Gerichten, sondern stellt sich zum Duell; mit 
Negro schütteln wir den Kopf über solche spanische Manieren, 
die aber wiederum recht modern sind. Don Juan, der bis- 
her nur ein verunglückter Verführer ist, bleibt unverzagt: 
„Denn wir' auch sein der Höllenthron, nicht hauset Faust 
in ihrem Busen"! In der Tat stehen die einzelnen Figuren 
ohne jeden Zusammenhang nebeneinander. Don Juan und 
Anna haben Berührungspunkte; beide empfinden wie Geschöpfe 
von Fleisch und Blut, beide haben gesunde natürliche Instinkte. 
So stehen sie im Gegensatz zu Faust, der ihnen krank ver- 
stiegen unnatürlich verzaubert erscheint. Aber andererseits 
ist Anna wieder von einer abstrakten Vorstellung beherrscht, 
von der Ehre, und ihr Reinheitsgefühl sträubt sich ebenso 
gegen Don Juan wie gegen Faust; denn beide sind moralin- 
freie Obermenschen jenseits von gut und böse. Der 1. Akt 
stellt Don Juan und Faust nebeneinander, der II. in der 
1. Szene ebenso, während die 2. die Fäden verschlingt. 

V. 

Dauernde ewige Gefühle hat Don Juan mit schärfster 
Skepsis zersetzt als Heuchelei oder Unnatur. Er soll seine 
eigene Gefühllosigkeit bewähren, und zu diesem Zweck wird 
das Duell zwischen Don Juan und dem Gouverneur aus- 
geführt, wobei wieder Grabbes satirische Neigung mitschwingt. 
In der ganzen Tradition bildet den Schluß der Juanhandlung 
die Tötung des Gouverneurs. Bei Molina stirbt der 

12» 



- 180 - 

Gouverneur nicht so fromm, und Don Juan erscheint als 
ein feiger Verräter. Die Lästerungen angesichts des Ster- 
benden sind ein traditionelles Motiv; bei M o 1 i n a spottet Don 
Juan, als der Sterbende ihm vorhält, Gott sei ein gerechter 
Richter: „Dann ist ja der liebe Gott ein sehr geduldiger Gläu- 
biger"; und auch in der Oper bemerkt Don Juan ziemlich 
roh: „der Dummkopf, der Äff ist tot!" Dieser zynische Grund- 
ton ist dann bei Grabbe in alle seine Schwingungen zerlegt 
und gibt Gelegenheit, den Charakter Don Juans zu entfalten. 

Glaube und Atheismus — ein Sterbender und ein Lebens- 
überströmender werden kontrastiert Die Materie verhöhnt 
den Geist. Der Lebensdrang wirkt zerstörerisch, aber der 
Zerstörer lächelt nur darüber — mitleidlos wie Faust Wie 
solcher Spott gleichsam überbereit von Juans Lippen springt, 
das weist auf die Lösung innerer Spannungen im Dichter selbst 

Der starke Lebensbejaher hat kein Mitgefühl, kein Ver- 
antwortungsbewußtsein; keine Gewissensstimme antwortet 
auf die Anklagen des sterbenden Frommen, der seine eigenen 
kleinen Fehler schmerzvoll bereut Und dabei umkleidet er 
seine Ansichten mit dem Scheine des Rechts, mit dem so- 
phistischen Blendwerk eines philosophischen Materialismus. 
Wieder berührt er sich mit der Weisheit des Ritters, sodaß 
also Faust ein doppeltes Gegenspiel hat. „Iß, trink und lieb, 
denk an anderes wenig, so sprach Sardanapal, der weise 
König", heißt es bei B y r o n, und die Botschaft Shelleys hörten 
wir schon. »Das Natürlichste ist das Rechte." „Jeder Mensch 
W will sich selbst erhalten und jeder will vergnügt sein." So 
# lautet die Weisheit der französischen Materialisten und der 
englischen Lustphilosophen. Es ist die Leichtigkeit und Selbst- 
verständlichkeit, die den Ton färbt. Das metaphysische Prob- 
lem schließt hier verhältnismäßig einfach die zufälligen Ver- 
teidigungsgründe ab. 

Don Juan, der so oft die günstige Gelegenheit verpaßt hat, 
bricht auf, um Anna zu suchen, aber nicht um den letzten 
Wunsch des sterbenden Gouverneurs zu erfüllen. Mit Lepo- 



/ 



- 181 - 

rello treffen wir ihn am Abhang des Montblanc. Welch un- 
geheurer Rahmen wieder für tiefe Naturpoesie, welch groß- 
artige Szenerie für gewaltigen Gedankenschwung! Aber zu 
nächst tritt Leporello in den Vordergrund, dem wir für seine 
originellen Bemerkungen mit seinem Herrn gern ein Gold- 
stück geben. An eigentümlich Orabbeschem Gehalt, an gro- 
tesker barocker Komik, die sich aus der Kontrastwirkung 
einer erhabenen Natur und eines ängstlichen Menschen er- 
gibt, fehlt es nicht Don Juan wird immer toller und lustiger 



Leporello im mer kleiner; ih m fallen seine Sünden ein, gpdaß 
er sogar L iaette zIT heir atenj ggrs pricht. Da wird Don Juan 
einen Augenblick ernsthaft, und nun folgt wieder ein lyrisches 
Glanz stück; anstatt Hohn und Spott — die Don Juanidee positiv 
gewendet, das hoheLied von der freienLiebe, wie 
es gesungen wurde, seitdem es Dichter gibt; mit wilder Natur- 
kraft im Sturm und Drang, mit mehr Ironie in der Romantik. Vor 
allem haben wir hier wieder den Ausdruck echten Byronis- 
mus'. In Byrons Don Juan heißt es: „die Ehe scheint von 
Liebe herzustammen, wie Essig von des edlen Weines Saft"; 
oder: »glaubt ihr, wenn Laura Petrarcas Frau gewesen, man 
würde heute Sonette von ihr lesen." Und ähnlich hatte sich 
noch unlängst Immermanns Celinde ausgesprochen. 
„Die Dichter fabeln viel von Dolch und Gift, als Feinden zarter 
Liebe, sie vergessen die schlimmste Feindin stets, die Heirat, 
drüber. Frei will ich sein, nur in der Freiheit fühl ich!" 
(Cardenio und Celinde IV 1 1826.) Dieses Lied auf die Frei- 
heit beginnt mit einer grotesken Antithese, dann verkündet 
Don Juan mit ungewohntem Schwung seine Religion der Liebe 
— um mit einer platten Sentenz auf der Erde bei Leporel- 
loscher Wirklichkeit zu enden. Echt Grabbel 

Gleich darauf kommt es zu der entscheidenden Ausein- 
andersetzung zwischen Don Juan und Faust,*) in der die 



*) In der Tat konnte Lortzing Ringelhardt in Köln den scherzhaften 
Rat geben : »Die Szenen, wo sie zusammenkommen, sind wegzustreichen; als- 
dann kann Kramer beide Rollen zusammenspielen. 11 ' (Kruse, Lortzing S. 28). 



- 182 - 

Grundtendenzen des Stückes, wie wir sie schon kennen, bloß- 
gelegt werden. Don Juan, der Vollmensch, trotzt dem Ober- 
menschen Faust, dem Schwächling, der zur Hölle floh, weil 
er das frische Leben nicht genießen konnte. Der höllische 
Zauber ist wie ein äußeres Gewand, d. h. Fausts Wesen bleibt 
davon unberührt und so bleibt er ohne Wirkung. 

Überraschend ist die Konsequenz, mit der die Souveränität 
des menschlichen Ich festgehalten wird. Bereits im Oothland 
verkörperte sich die philosophische Oberzeugung von dem 
geistigen Kern des menschlichen Wesens. Es gibt keine Macht 
in Himmel, Hölle und auf Erden, der sich Don Juan nicht 
gewachsen fühlt. So versagt der Zauber auch bei C a 1 d e r o n 
vor der Macht des freien Willens. „Nietzsche'sk Ordskifte 
i Montblancs Alpenatur" heißt es bei Behrens (S. 153). Auf 
Nietzsche führt der Ausdruck Obermensch, den Goethe zu- 
erst geprägt hat; auf die Verwandtschaft zwischen Grabbe 
und Nietzsche als Verkündiger der Herrenmoral haben wir 
anfangs hingewiesen, insbesondere werden wir noch in den 
Faustszenen Geistesblitze, Aphorismen, Orakelsprüche treffen, 
die wie hypermoderne Offenbarungen Zarathustras anmuten. 

Jedenfalls erweist sich Don Juan innerlich dem Über- 
menschen Faust überlegen, und dieser hat nur die Macht, 
ihn durch die Luft zurückzuschaudern. Von hier an folgt 
Grabbe wieder der Oberlieferung, die die Herausforderung 
durch den flüchtenden Don Juan in die Kirche verlegte. Ur- 
sprünglich reden die Tatsachen ihre eindrucksvolle Sprache. 
Der Epigone aber beutet die traditionellen Motive effektvoll 
aus. „Eine herrliche Szene, voll Phantasie und Humor; alle 
Grausen des Geisterreiches stürmen auf Don Juan ein" rühmt 
Grabbe selbst. 

Don Juan in der stolzen Höhe eines Ich schüttelt den 
Teufelszauber ab. Als geistiges Wesen versteht er die Geister, 
aber auch ihnen trotzt er. Der Geist des Lebens ist die ge- 
waltigste Macht. Vom imponierenden Obermut bis zum ver- 
nichtenden Spott — in allen Farben sprüht sein Hohn. 



— 183 — 

Die vom Geiste katholischen Priestertums beherrschten 
spanischen Zuhörer, in deren Phantasie die Schrecken der 
Hölle lebendig waren und die vor dem leibhaftigen Teufel 
bebten, überlief ein Grauen bei solchem Frevel. * Vor solchem 
frommen Schauder ist Leporello sicher, er hat nur die aber- 
gläubische Furcht des ungebildeten kleinen Mannes vor den 
Schauern des Friedhofs; sobald er aber aus dem spürbaren 
Machtbereich der Geister heraus ist, bekommt er — wie Shake- 
speares Falstaff — wieder prahlerischen Mut und verliert 
seine natürliche Feigheit. Da hat der Dichter mit ein paar 
aus dem Leben schöpfenden Zügen ein realistisches Kabi- 
nettsück geschaffen. Don Juan war in der Duellszene mehr 
in der Verteidigung, jetzt leuchtet sein Trotz auf; er wird an- 
griffslustig, obwohl ihn zunächst niemand herausfordert; auf dem 
Hintergrunde der Gräberstätte der Friedhofsruhe tobt tollster 
Lebensmut, übersprudelnde Kraft. In der Oper vernimmt man 
unerwartet die Stimme des Gouverneurs und hat damit gleich- 
sam einen sichern Beweis für die Existenz der Geister; dann 
erst muß Leporello wie bei Grabbe die Grabschrift lesen 
(vgl. auch die Puppenspiele über Faust, Creizenach 171 ff.) 
Diese selbst lautet bei Molina, bei Mozart und bei Grabbe 
ziemlich gleich; nur daß sie in unserm Stück unpersönlich 
gehalten ist, weil Don Juan den Gouverneur ja nicht eigent- 
lich ermordet hat. Bei M o 1 i n a zupft Don Juan die Statue an 
dem Bart und ladet sie in sein Gasthaus, um die Rache aus- 
zutragen, aber eine Antwort erfolgt nicht. Dort und im Puppen- 
spiel erhält Don Juan ein« Gegeneinladung. Aus der Oper 
nimmt Grabbe das „Ja" des Gouverneurs und das „seltsam" 
Don Juans; jenes ungewöhnliche Erstaunen, das den Moli Pre- 
schen Sganarelle kritisieren läßt: voila de mes esprits forts, 
qui ne veulent rien croire. Mit Absicht ist das geplante Mahl 
schon vorher erwähnt; wie sollte Don Juan sonst dazu kom- 
men, da ja der Geist erst nach der Einladung antwortet. Der 
große Gegensatz: Geist des Grabbes und Geist des Lebens, 
des Weines, Schatten und Fleisch und Blut ist glutvoll feurig 



— 184 — 

flammend gemalt Auch diese Antithese freilich begreift man 
erst in ihrer vollen Bedeutung, wenn man den Dualismus der 
katholischen Religion in ursprünglicher Tiefe faßt Verruch- 
terer Frevel war nicht denkbar; frecher kann Sinnenlust und 
Fleischessünde nicht das Ewige, Göttliche, Unsichtbare ver- 
höhnen. Allen Gegenmächten zum Trotz bleibt Don Juan 
der er ist, und wächst immer mehr in die Sünde hinein. Die 
Steigerung beruht darin: daß er, der vorher an Geister nicht 
glaubte, auch jetzt nicht zagt, da sie ihr Dasein bewiesen 
haben. 

Der Schluß ist eine geistreiche Vertiefung des Operntextes 
und man soll alles heraushören, was uns in Mozarts Tönen 
erschüttert. Die Satire überw uchert- das tragische Elemept 
Die Stimmung eines seltsamen Grauens packt uns an und ein 
sprühendes Leben leuchtet, das uns beim ersten Eindruck frap- 
piert Grabbe s Begabung *ür j* n » mmQwfiarh» MUrhntifl phan- 
tastischer Lau ne, grotesker Kom ik, to ller Kontrast e, l auernde n 
Verde rbens, dr ohenden Verhä ngnisses ist nicht abzuleugnen. 
In kühner Kombination erscheinen noch einmal alle Gegen- 
mächte. Fast könnte man fürchten, daß die Don Juan-Tragödie 
mit einer prosaischen Verhaftung abschlösse. Aber wir möchten 
die burleske Polizeiszene nicht missen. Auch dieser Einfall hat 
übrigens seine Geschichte; schon bei M o 1 i n a fragt Catalinon: 
wenn's die Polizei wäre!*; diese erscheint beiMalerMüller 
und auch bei Klingemann; Goethes Mephisto 
weiß sich trefflich mit der Polizei abzufinden; endlich erinnert 
die Art und Weise, wie Don Juan die Sätze Rubios abschneidet 
und in anderm Sinne ergänzt, anMoliferes Dimanche. Die 
Sache ist bei Grabbe aber nicht ohne tieferen Humor: es fällt 
e in satirisch es Streiflicht auf die, irdische Gerechtigkeit, auf 
4i(L^eseilsch^ftliche- Sitte; .sicher kommt Grabbe dieses Hohn* 
lacken auf die Allmacht der Konnexion von Herzen. Mit gro- 
teskem Humor wird das Thema behandelt: das Genie und die 
Polizei, Herrenmoral und feige Sklavenmoral, Man versteht 
jetzt, wie Don Juan zu seiner Verachtung von Sitte und 



- 185 - 

Heuchelei gekommen ist Wir haben wieder eine glän- 
zend durchgeführte Antithese; Don_J^nMch erlaube mir 
a lles, was ich kann , ich bin d er ich hin, ich tue, ws& 
mir gefäl lt So der Fr rg»l«t, A"* Rffir mer und Pranger, das. 
Genie. Und nun Hif> VprtrPtpr der-Qrdnung: sie sind ohne 
Mut und ohne Kraft. Negro kann nur nachsprechen und an- 
geben. Rubio unterscheidet zwischen großen und kleinen Ver- 
brechern „So 'n kleines Mördchen* (Klingemann: so ein AU- 
tagsmord IV 1; der ganze große Gegensatz auch im Gothland: 
aus Feigheit fromm I, der mitleidige Pöbel III, Held und 
Mörder IV, so auch Byron, z. B. im Corsar: du bist ein 
Heuchler, der geheim verspürt, was kühne Geister offen aus* 
geführt). Also die irdische Gerechtigkeit wird von Don 
Juan bloßgestellt, aber auch die ewige kann ihm nichts an- 
haben. Diese Gegenmacht wirkt komisch, aber auch die an- 
dern Gegenmächte machen keinen Eindruck. Sittliche Größe 
vermag der verneinende Geist nicht zu schildern. Aber die 
massive Gewalt aller Sinne wird heraufbeschworen: Geruch, 
Gehör, Geschmack, das unsichtbare Grauen vertreibt Don 
Juan — wieder ganz nach dem Rezept des byronschen Helden 

— mit grob materiellen Mitteln: Wein und Braten; vor ihrer 
Realität kommt die Geisterwelt nicht auf; es gilt der Augen- 
blick und nicht das was kommt; der Mensch ist, was er ißt 

— Don Juan wird ganz Fleisch, ganz Materie. — Das Er- 
scheinen Faustens löst nichts Tieferes aus, der ganze Gegen- 
satz fällt zur Erde. Don Juan berührt Annas Tod, aber 
nicht bis zum Grunde. Er will sich als Ritter rächen, aber 
da dieses Verlangen bald gegenstandslos ist, wird er sich 
nach einer anderen umsehen. — Weiter werden die Motive 
der Oper ausgedeutet und gesteigert, während gleichzeitig die 
Musik wieder einsetzt Leporello, dessen Angst mit köst- 
licher Realistik gezeichnet ist, wirft alles Eiserne weg, während 
Don Juan — immer wilder und toller — auf Donner und Blitz 
toastet Das Erscheinen des steinernen Gastes ist in der 
Oper viel wirksamer als bei Grabbe: die zurückgewiesene 



— 186 — 

Elvira taumelt zurück, entsetzt vor dem, der vor ihr steht. Die 
realistische Speisekarte Don Juans (20. I. 28) haben gleich- 
zeitige Kritiker (in Halle und Leipzig) allzu exzentrisch ge- 
funden. Die Furchtlosigkeit Juans bleibt in der Oper und bei 
Molina aber nur solange, bis das Gericht sich sichtbarlich 
zeigt. Molinas Held greift zum Dolch, als der steinerne Gast 
die Hand nicht losläßt wie bei Grabbe, der aber schon vor- 
her Don Juan den Stahl hat zücken lassen. Auch die 
augenscheinlichen Schrecken der Hölle — und da 
liegt doch für einen bloß materiellen Augenblicksmenschen 
ein Widerspruch — erwecken ihm kein Reugefühl und keine 
Angst, und es ist noch nicht zu spät, als er das höllische 
Feuer sieht. Aber statt des „Nein" der Oper: „alles was 
ich tat, gefällt mir, ich bleibe was ich bin." Satan im Fest- 
gewand breitet seinen Mantel zur Feuersbrunst, die Don Juan 
verschlingt. Und auch Leporello, der sonst gewöhnlich mit 
dem Schrecken davonkommt, läßt der grausame Dichter dran 
glauben. „Ein Allegro setzt triumphierend in D-dur ein, geht 
dann nach Moll über und schließt darin kräftig ab." 

Von keiner Gegenmacht gebrochen, kein Zeichen von 
Schwäche — trotzig fährt Don Juan dahin. Die poetische Ge- 
rechtigkeit, welche die Einheit der gestörten Weltharmonie 
wieder herstellen soll, mußte bei Molina notwendig wallen 
(„denn so verlangt es Gottes Strafgericht, wie eines Menschen 
Taten, so sein Lohn") , und dieser ursprüngliche Gedanke hat 
sich bis Mozart erhalten. Hier ist zum ersten Mal die Moral 
gründlich ausgetrieben. Aber damit steht Don Juan jenseits 
des Menschlichen. 

Don Juan hat Recht, während es sonst immer umgekehrt 
ist. In der Gluthitze des verneinenden Geistes werden die 
Potenzen, die die Realität der sittlichen Mächte ausmachen, zu 
verkümmerten Resten abgeschmolzen. Moral und Schuld sind 
Korrelatbegriffe. Die Hölle hat immer nur einen moralischen 
Sinn und sie ist hier eine Vorstellung ohne innere Wahrheit. 
Sie ist ein Spott, ein Schemen in der Vorstellung des durch- 



- 187 - 

aus subjektiven Satirikers. Es ist wohl zuviel, die Don Juan- 
handlung als reine Satire aufzufassen, aber streng genommen 
hat das Stück keinen Schluß. Der Teufel kann nicht einer- 
seits als Ausgeburt des Spottes und wieder als tragische 
Macht erscheinen. Aber damit mußte Qrabbe für seine Zeit 
als entschiedener Neuerer erscheinen, damit geht er über die 
moralisierenden Tendenzen des Sturmes und Dranges heraus; 
wieviel dort auch gestürmt wird, Karl Moor beugt sich unter 
die Weltordnung. Klingers Faustroman beweist, daß Tugend 
und echte Menschlichkeit unzertrennlich zusammengehören 
(die Theodicee des Satans S. 378). Orabbes Helden tun zu- 
erst bewußt den Flug über Gut und Böse hinaus. Solche 
Obermenschen und Herrennaturen begegnen uns durchweg 
bei Qrabbe.*) 

Wirkt Orabbes Don Juan als tragischer Charakter? Ge- 
wiß, imposant sind die Größe seines Geistes, die Stärke 
seines Wollens, die unerschütterliche Konsequenz; die furcht- 
lose Bejahung seiner Schuld löst starke Erregungen aus; auch 
der Verbrecher kann „durch die Konsequenz einer in kühnen 
Entwürfen schaffenden Natur" tragisches Interesse erwecken. 
Harte, Grausamkeit, Gefühllosigkeit sind Ingredienzien, die 
der Tragiker verwenden muß, und hier leistet Grabbe auch 
Großes. Aber das ist nur die eine Seite. Die Gegenmächte 
wirken nur komisch, aber auch Don Juan fühlt nichts, und 
der innere Zwiespalt zerreißt nicht sein Inneres. 

Der Kritiker der literarischen Blätter bemerkt: den kühnen 
Mann schmilzt ein Blitz nicht um — es bürgt niemand, daß 
seine scheinbaren Grundsätze und Oberzeugungen von dem 
ersten Strahle der Wahrheit, der anspruchslos in seine 
Seele fällt, in Flocken zerfahren, wie der Genius Tetel in 

•) Insofern ist das Urteil Gutzkows, der die radikale Herzlosigkeit der 
genialisierenden Grabbeschen Produkte verwarf, von Interesse: Grabbe sei 
ohne alles Bedürfnis nach anderen gewesen; es habe ihm der Sozietätstrieb 
gemangelt, und aus dem entspringe alles Oute und Rechte. 



— 188 — 

Meister Floh. Wenn er nicht von dieser Seite gewappnet und 
unverwundbar erscheint, ist er durchaus kein tragischer Held.* 

Man kann die Mitte halten — die Mittelmäßigkeit zu sehr 
verteidigen, aber auch wieder das Genie übermäßig erheben. 
Der Lebensbejaher wird Lebenszerstörer. Aber wie reimt 
sich das mit der Farce vom Satan, wie der Teufel mit der 
immanenten Tragik des Helden 1 

Leben und Philosophie sind nicht organisch zusammen- 
gewachsen. Von außen her hat der Dichter begonnen, von der 
Höhe der Gedanken ist er herabgestiegen (vgl. auch Hebbels 
Rezension in seinen Tagebüchern). Grabbe hat als Epigone 
Don Juan für seine Zeit zu modernisieren gesucht, die natür- 
liche Naivetät, die klassische Einfachheit und Klarheit hat er 
im Zeitgeschmack mit allerlei philosophischem Raffinement aus- 
geschmückt; sein Don Juan ist ein „Decadent neuester Sorte* 
und verhält sich zu dem Molinas ungefähr wie ein Don Juan 
von Richard Strauß zu Mozarts Musik. Als Versuch der 
Umwertung aller Dinge, des Tragischen ins Satirische, als 
Kulturdokument übt Grabbes Don Juan-Drama seine Wirkung. 

Kein großer Charakter ohne Einseitigkeit und damit ohne 
tragische Schuld. Glänzender Geist, feurige Sinnlichkeit, ritter- 
licher Mut lassen Don Juan zunächst als ein herrlich begabtes 
und darum auch wahrhaft glückliches Geschöpf erscheinen. 
Er scheint alles zu erfüllen, was die Natur im Menschen 
verheißen hat: er ist ein echter Vollmensch und unerschöpf- 
lich ist seine Lebensfreude. Bestechend wirkt sein unver- 
wüstlicher Optimismus, imponierend dieses männliche Selbst- 
bewußtsein. Aber durch das natürliche Ausleben seiner ge- 
nialen Art kommt Don Juan in Konflikt mit der weniger ge- 
nial gearteten Menschheit, in der er lebt. Diesen Kampf, diese 
Verwicklungen, dieses Wachsen in Schuld hinein wollen wir 
miterleben; aus solchen Widersprüchen fließt das Tragische. 
Durch den Gegensatz erwacht der Trotz; das Ich überspannt 
seine Ansprüche gegenüber der Gesamtheit. Und gleichzeitig 
tritt die Selbstentzweiung hervor, die allem Endlichen anhaftet; 



— 189 - 

die verborgenen Gegensätze, die bei der Doppelnatur des 
Menschen in jeder Einseitigkeit liegen, klaffen auf; ein 
Zwiespalt zerreißt das Innere des Helden, der sich ent- 
weder unter die Umwelt beugen muß oder sich in starrer 
Oberhebung verhärtet Der naive Egoismus wird zum 
bewußten Zynismus; der natürliche Realist wird zum 
Materialisten, der nur die Materie kennt und den Geist 
verachtet, der alles Dauernde, alles Ewige verspottet. — 
Grabbe, der sicher für die einzelnen psychologischen Mo- 
mente, aus denen Don Juans Charakter zusammengesetzt ist, 
geistreiche Züge findet, sucht seine Vorgänger durch schein- 
bare Konsequenz zu überbieten; aber die Wirklichkeit, das 
Leben steckt auch der größten Einseitigkeit eine Grenze. All- 
zuviel Reflexion löst die Gestalt auf. So wird aus einem 
Menschen, der mit beiden Füßen auf der Erde steht, ein da- 
rüber schwebender Phantast. Wenn Faust, der überspannte 
Denker, zuletzt doch sich zur echten Menschlichkeit und zu 
der Liebe als dem wahrhaft schöpferischen Prinzip, der voll- 
kommensten Entfaltung, der schönsten Blüte des Lebens be- 
kehrt, können wir bei Don Juan eher den umgekehrten Ent- 
wicklungsprozeß feststellen. Aber im Drama selbst ist er 
nicht durchgeführt. Er malt sich keineswegs im Selbst- 
bewußtsein Don Juans wie bei E. T. A. Hoffmann. Wohl aber 
wird dem Leser die Reflexion nahegelegt, die die literarischen 
Blätter fordern: der Teufel muß Don Juan in Spekulationen 
verstricken und ihm die Grenzen des Genusses zeigen, muß 
die Empfindung des Glücklichseins von der des Genießens 
trennen, jene nach und nach ganz tilgen und ihn, da immer 
wachsende Wünsche zuletzt nur durch Zerstörungen erfüllt 
werden können, endlich soweit bringen, daß er zerstört, um 
zu zerstören. Dann aber ist er für den Satan reif. 

In Jena fand man den Don Juan glänzend und Faust un- 
bedeutend; wir schließen uns mehr der Ansicht der Rezen- 
senten von Halle und Leipzig an, denen Faust bedeutender 
erschien als Don Juan. 



— 190 — 
VI. 

• 

Von dem Zyniker Don Juan kommen wir zu dem Ver- 
brecher Faust, von der Ichsucht in ihrer selbstgenügsamen 
Gleichgiltigkeit zu der Ichsucht in ihrer verletzenden 
Gewalttätigkeit. In Faust glüht die unendliche romantische 
Sehnsucht, die nichts, aber auch nichts Geschaffenes glücklich 
machen kann, während es doch nicht Teufelsweisheit, 
sondern Menschenlos ist, daß Kraft und Dauer nur in der 
Beschränkung wohnen können. Darüber hinauszukommen, 
hat Faust dem Satan seine Seele gegeben zur vollen Ent- 
faltung der Macht und des Wissens. Zu spät sieht er die 
Schranken der Macht, die Grenzen der menschlichen Erkennt- 
nis, den einseitigen Haß der Hölle, ohne sich darin finden 
können; zu spät kommt ihm die Erkenntnis, wo die Erlösung 
liegt: Liebe ist die einzige schöpferische 
Allmacht, Liebe zu der reinen, natürlich fühlenden Jung- 
frau Donna Anna. 

Diese Liebes Werbung Faustens nun (III 2, IV 3) gehört 
zu dem Tollsten und Bizarrsten, aber auch zu dem Elemen- 
tarsten, was Grabbe geschrieben hat. Roheit, ja bestialische 
Sinnlichkeit verquickte sich im Gothland mit metaphysischer 
Phantastik und Verstiegenheit. Wie auch hier ein philoso- 
phischer Drang sich mit der explosiven Kraft sinnlicher 
Leidenschaft entlädt, das erinnert an den jungen Schiller der 
Lauraoden. Ein seltsamerer Freier als Faust ward nie er- 
funden. „Ward je in solcher Latin' ein Weib gefreit? I" Faust 
ist schwach in seinen Sinnen; das Geführ ist latent und wird 
wieder durch die Verstandesmächte zersetzt. Wüste Herrsch- 
gier und grenzenloser geistiger Hochmut machen ihn wahn- 
betört. Die Voraussetzungen und die Grundelemente, der 
Machtdurst und insbesondere der die Geheimnisse des Him- 
mels und der Erde enträtselnde philosophische Drang, werden 
mit unerschütterlicher Konsequenz auch jetzt festgehalten. In 
dieses Chaos sonderbarster Gegensatze und Widersprüche 



— 191 - 

suchen wir nun einheitlichen Sinn zu bringen. Leuchten wir 
zunächst noch einmal in die wunderliche Psyche des Dichters 
selbst hinein. Und wir finden ein teilweise erklärendes Motiv 
in dem Liebesleben Grabbes, dessen Liebe „Raserei und 
kindliche Einfalt, Tyrannei und Hingebung" zugleich war, der 
mit der Pistole von Frau Lucie Liöbe heischte (Duller). 
Wir rühren nur eben an die Frage, wieweit sich eine patho- 
logische Erotik wiederspiegelt in der Vereinigung von Liebes- 
qual und Grausamkeit. Nach einem Wort von Jean Paul 
verrät sich das „krankhafte Innerste eines Dichters nirgends 
mehr als durch seine Helden, welche er immer mit den ge- 
heimen Verbrechen seiner Natur wider Willen befleckt." 
Trotz dieser eigentümlichen Prägung können wir doch wie- 
der ganz deutlich die Vorbilder feststellen. Grabbe überbietet 
noch Byron: er baut einen phantastischen Wunderpalast auf 
dem Montblanc, während Byron sich mit der Jungfrau begnügt; 
Childe Harold fühlt sich wenigstens innerhalb der gewaltigen 
Schöpfungswunder wohl, aber dem größenwahnsinnigen Faust 
genügt alles nicht. Klingemanns Faust dürstet nach einer 
Seele, die ihn versteht; er trachtet Helena, nachdem er sich 
zunächst in ihr Porträt verliebt hat, mit all seiner Macht zu 
gewinnen, „sie muß mein seint a (auch der gepeinigte Hund 
findet eine Parallele bei Grabbe). Aber in Helena ist ein 
böses Prinzip verborgnen; sie macht Faust zum Mörder an 
seinem Weibe Käte. Hier verläßt Grabbe Klingemanns Spur 
und knüpfte an die Beschwörung der edlen Christin Justina 
durch den heidnischen Zauberer Cyprian bei C a 1 d e r o n an. 
Aus allerlei Steinbrüchen wird das Material herbeigeholt, und 
nach Cyclopenart werden die Blöcke — ohne Fügung, die 
Risse unausgefüllt — zu einem seltsamen, grotesken Bauwerk 
aufgetürmt. 

Faust kann alles — nur nicht Anna zur Liebe zwingen. 
Er entfaltet seine ganze Macht und gleichzeitig reizt ihn 
der Widerstand zum Ausbruch seiner Raubtiernatur. Seine 
unerhörte Liebe äußert sich darin, daß er den Himmel stürmt 



- 192 - 

und den Diabolus, den Verräter, peinigt; darin tobt sich zu- 
gleich sein Schmerz aus, daß er, der Hölle verfallen, Heil und 
Glück verscherzt hat Wir hören das Geschrei des gemar- 
terten Teufels, während Faust wie ein drohender Gott der 
Tiefen Liebe heischt und Anna flehend aber standhaft ihn ab- 
weist. Die Liebe entzündet den vollen wahnsinnigen Rausch 
der Macht: die Liebe des Obermenschen, die in ungeheuren 
Bildern — wir kennen allerdings die aufkochenden Meere, 
die einstürzenden Welten schon aus dem Gothland III 1 (dort 
auch zu vergleichen Cäcilias Versuch, Go. zur Tugend zu 
führen; die Geliebte wird lieber getötet, als andern überlassen) , 
gemalt wird. Faust schnaubt nach Liebe wie der Tiger nach 
Blut. Dieser grellen, krassen, schreienden Zeichnung gegen- 
über erscheint Anna wieder allzu farblos und ohne Leben; 
nichts von der Naturfrische, der Naivetät, der lebenswarmen 
Sinnlichkeit des Goetheschen Gretchen. 

Das Schlicht-Menschliche imponiert dem Verstiegenen 
nicht, aber wenn Goethes Faust Gretchen liebt, so ist 
das eine Durchgangsepisode, bei Grabbe ist Anna das 
entscheidende Erlebnis. — Dem üppig überströmenden Colorit 
in Fausts Ausbrüchen stehen wieder die kargen Laconismen 
Annas gegenüber. 

Der Paroxysmus des Fiebers, philosophische Phan- 
tasien, hochfliegende Spekulationen und dann wieder die nüch- 
ternste Verstandeszergliederung der Liebe verhalten sich wie 
flammende Glut und eisige Wasserstrahlen. Der Schritt vom 
Erhabenen zum Lächerlichen oder vielmehr zum Absurden, 
Abgeschmackten ist kurz. Im Tollen und Wilden schwelgt die 
Laune des Dichters; paradoxe Einfälle häufen sich, dabei wer- 
den unerhörte Bühneneffekte entfaltet 

Der Geist Goethes hat den Dichter längst völlig verlassen. 
Wie der Satan dem Herrn die Herrlichkeit der Welt zeigt, 
um ihn zu verführen, so übt hier Faust dem Hoffmann- 
schen Magnetiseur ähnlich, seine Zauberkünste; aber 



- 193 — 

immer ist es ein einfaches, menschlich rührendes Motiv, das 
seine Zauberkraft lähmt Die südlichen Länder, Annas Hei- 
mat, tauchen auf im Farbenglanz byronischer Schilderung. Er 
schüttet sie Anna zu Füßen; ja selbst, und das scheint uns 
widerspruchsvoll, seine Tränen (die Tränen haben auch im 
Oothland ihre Bedeutung 13, III 2, V 3) ; aber Anna weist auf 
das Grab der Mutter — und der unheimliche Spuk ist 
vorbei. Vergeblich versucht er sie zu verzaubern, wie er ver- 
zaubert ist; so versagt in Fouquds Zauberring die Kraft vor 
dem Himmelsblick der reinen Jungfrau. Die Motive des Mo- 
nologs klingen, die Einheitlichkeit und Kraft der Grund-Kon- 
zeption beweisend, wieder an: der machtberauschte Geistes- 
mensch, der deutsche Philosoph und dann Faust, der Prote- 
stant, dessen Handeln als Konsequenz der neuen revolutio- 
nären Lehre erscheint, der als abtrünniger, ewig verlorener 
Ketzer der frommen Papistin besonders Grauen einflößt. 
Dieser Gegensatz — auch in Müllners Schuld und Werners 
Luther angedeutet — blitzt auf in einem originellen Vergleich, 
der Meisterhand verrät. Die graue Stadt des Nor- 
dens wird herangezaubert, wo der Zertrümmerer Luther 
wohnt, wo Faustens Heimat ist. Aber wie bei G. Hauptmann 
Rautendeleins Zauber zerfließt, als die Kinder mit den Tränen- 
krügen kommen, so fällt ihn hier das Wörtlein: denk an 
dein Weib! Man sieht nun, warum Grabbe auch hier 
Klingemann gefolgt ist. Bis jetzt ist Faust nur mehr Gedanken- 
sünder gewesen, jetzt sehen wir, wie der Wissenstrieb, sofern 
er Moral und Glauben tötet, auch Tatsünden zeugen kaifn. 
Bisher war Faust nur der Entführer, und Annas Abscheu er- 
schien weniger begreiflich. Ihre Vorwürfe trafen viel eher 
Don Juan, jetzt aber wird Faust zum Verbrecher und Mör- 
der und wächst sich zum Höllensohn aus. Er winkt und 
sein Weib stirbt. 

Und doch verbinden sich mit den verbrecherischen Taten 
die Wehen einer vita nuova. 

Nieten. Chr. D. Grabbe. 13 



— 194 — 

In Jena meinte man, Faust als überspannter Denker ver- 
lange nur aus Ekel an allem übrigen nach der Liebe und es 
reize ihm eigentlich nur der Widerstand. Aber es liegt doch 
auch tieferer Sinn in dieser Szene, die bei aller grellen Phan- 
tastik und bizarren Hyperromantik — trotzdem zwar die Motive 
formlos gehäuft werden, ohne daß sie zu einem wahrhaft ein- 
heitlichen großen Kunstwerk gestaltet wurden — doch ein 
kühner, origineller Geist geschaffen haben muß. Mit unleug- 
barer Genialität ist die wilde Stimmung festgehalten; es ist 
etwas Mächtiges darin, und tiefe Schwärmerei rauscht gleich 
einer Rhapsodie daher. Es sind tiefe Motive freilich nicht ge- 
staltet, sondern nur angedeutet. Faust unter dem Teufels- 
fluch des Machttriebes hat das Gefühl, daß die Erlösung vor 
ihm liegt, und daß doch der der Hölle Verfallene sie nie er- 
reichen kann; es ist die Stelle im Volksbuch, wo der Satan 
Faust von der Höhe des Ararat aus die Gefilde der Seligen 
zeigt Es klingt hindurch ein Sehnsuchtston, ein letztes Echo 
aus der Welt reiner Menschlichkeit; aber der Machtverhärtete 
will nicht einsehen, daß das Element der Liebe Hingabe ist. 
Faust will die ganze volle Befriedigung: Liebe und Macht, 
will die Seligkeit, das Glück, das nicht vom Teufel kommt 
(s. Monolog) , er will Anna erobern. Sie, die Reine, aber 
weicht zurück vor dem, der unter dem Fluch der Hölle steht 
und der doch wieder ihretwegen sich dem Teufel entziehen 
will. Und anderseits, was hat das lebendige Gefühl für Be- 
rührung mit dem toten Wissen und der Macht? Faust fühlt 
den Fluch der Hölle, den Wahn der Macht. Unfruchtbar und 
tot ist alles, was von der Hölle kommt — Liebe ist die ein- 
zige schöpferische Allmacht. Nach viel Theater und Kapell- 
meistermusik haben wir hier einen wahrhaft tragischen Ge- 
danken; JRousseausche S ehnsucht des Kultun "ft"M ?fr»" «•<*■ 
Natur; höchste Geisteskultur j«t #rfn ^nrniea F c rz, eioitfichis 
ohne Liebe. Die Spannung ist eine ungeheure, die Gegensätze 
werdenTus zum letzten Extrem erhitzt und auf die äußerste 
Spitze getrieben. 



— 195 — 

Der Fall ist durch das Doppelmotiv kompliziert. Faust 
handelt einerseits unter fremdem Zauberbann: was geschieht 
ist nur im Zauberland möglich. Andrerseits aber kommt ein 
allgemein menschlicher Gedanke zum Ausdruck. Faust ent- 
sagte dem Glück und wollte nur Wahrheit. Da er alles hatte, 
lernt er die Liebe kennen. 

Anna, die mit dem einen Teil ihres Wesens Don Juan 
liebt, dessen Herannahen sie gleichsam spurt, sinkt nieder: 
„Dein ist die Macht und unser ist der Schmerz." Faust aber 
bricht auf, um Don Juan mit Teufelsmacht zu überwältigen, 
die aber an dem freien Geist, dem freien Willen Juans wie 
Annas scheitert. Don Juan kann er nur durch äußerliche 
Gewalt werfen; die Macht der Geister soll er anders spüren. 
Er kann ihn nur vernichten, indem er Anna vernichtet, in 
deren Busen Juan wohnt 

Bevor er aber dazu kommt, hat der Dichter zum Teil 
mit Rücksicht auf die Bühnenwirkung ein melodramatisches 
Intermezzo eingeschoben, in dem Faust Zerstreuung in der 
Erde sucht und das „zerrissene Herz" durch Schmerztränke 
zu betäuben strebt, während die Gnomen mephistophelisch 
höhnen: „O selig, wer im engen Kreis zu leben, zu genießen 
weiß." Lortzing hat die Szene ganz durch komponiert. „Die 
ganze Komposition hat ein sehr charakteristisches Gepräge 
und interessiert außerdem als einer der ersten Schritte Lort- 
zings auf dem Boden der Romantik." Man denkt im übrigen 
zunächst an Goethes Hexenküche, worin außer dem Zauber- 
trank, der in der Form aber mehr an das phantastische Volks- 
stück (Freischütz, Spohrs Faust) anklingt, auch das Be- 
schränkungsmotiv zu finden ist, und an die Walpurgisnacht, 
die Faust zerstreuen soll, mit ihrem satirischen Spuk. Vor 
allen Dingen stellt sich Grabbe von nun an ganz in den Bann- 
kreis Byron s.*) Manfred zitiert im Eingangsmonolog die 



*) Das dürfte auch für die chronologische Festsetzung der einzelnen 
Szenen wichtig sein; der I. Akt entstand schon 1823. Der II. Akt wurde 
im Frühjahr 1827 in Angriff genommen; vermutlich wurden zunächst die 

13» 



— 196 — 

Geister und verlangt Vergessenheit; auch Trank und Schale 
haben dort ihre Stelle. 

Von nun an nimmt Anna, in der wir zunächst Klinge- 
manns Helena, dann Calderons Justina wiedererkennen, eine 
dritte Metamorphose an: Calderons Justina und Byrons 
Astarte werden zu einer Oestalt. Und der Einfluß von Byrons 
Manfred wird nun so stark, daß wir kaum zu viel sagen, 
wenn wir Grabbes Faustgedicht hier den ersten Teil von 
Byrons Manfred nennen. Was Manfred vergessen will, wird 
hier gegenwärtig. „Dieser seltsame, geistreiche Dichter hat 
meinen Paust in sich aufgenommen und hypochondrisch die 
seltsamste Nahrung daraus gesogen. Freilich leugne ich nicht, 
daß uns die düstre Glut einer grenzenlosen Verzweiflung am 
Ende lästig wird", sagt Goethe, der selbst den Monolog und 
Bannfluch übersetzte. Die Byron-Biographen deuten eine Schuld 
des Dichters, vielleicht sogar das Verbrechen des Incestes an. 
Jedenfalls ist hier die Achillesferse des Obermenschen: er 
kann nicht vergessen. (Anders freilich denkt Nietzsche.) Man- 
fred tötet Astarte — um ein Menschenopfer darzubringen? „Ich 
liebte die Geliebte und dafür warf ich alle Gaben der Er- 
kenntnis hin und sank zur Sterblichkeit hinab." Dieses Wort 
Manfreds wendet Grabbes Faust unbekümmert an, obwohl er 
doch Kunst und Wissenschaft verworfen hatte, ehe er Anna 
kennen lernte. „Ich liebte sie und habe sie zerstört" — und 
„hätte ich nie geliebt, das was ich liebte, lebte noch." Die in 
diesen Motiven umschriebene Astartetragödie finden wir nun 
bei Grabbe wieder. Haben wir ihn damit als Plagiator ent- 
larvt oder wie rettet er seine Selbständigkeit, wie vermag er 
so fremdes Gut dem eigenen Werk zu amalgamieren, wie ver- 
mag er eine solche Fülle schon anderswo vorgefundener Mo- 



Don Juanszenen ausgeführt; für die Fausttragödie kamen zunächst wohl 
Klingemann und Calderon in Betracht; der entscheidende Einfluß Byrons 
bestimmte die letzten Faustszenen, die im Sommer 1828 vollendet wurden. 
Vorher war die Schlußszene fertig (vgl. 20. I. 28, in den Briefen wird nur 
der Satan allgemein genannt). 



- 197 — 

tive widerspruchslos zu verwerten, daß die Einheit seiner 
eigentümlichen, so überaus komplizierten Faustschöpfung nicht 
auseinanderbricht? Daß Grabbe dieses Kunststück, wenn 
auch nicht der Form, so doch der Grundidee nach ge- 
meistert hat, ist allerdings unsere Ansicht, wie eine Betrach- 
tung der letzten Szene des Faustdramas ergibt 

Rache und Eifersucht erhöhen noch den stürmischen Tu- 
mult des Herzens. Ein 60 Verse umfassender, von dem 
Tempo seiner leidenschaftlichen Zerrissenheit beseelter, an ha- 
stigen Aposiopesen reicher Monolog entwickelt noch einmal 
das Faustproblem. Der irregeleitete schöpferische Drang 
wirkt nur Zerstörung. „Was ich wünsche, muß ich haben 
oder ich Schlags zu Trümmern I a .Dieselbe Gewalttätigkeit bei 
Gothland und Berdoa: gebt mir etwas zu vernichten I Das 
Unmögliche soll vereinigt werden: Liebe, Macht, Egoismus. 
Vermieden werden soll jeder Schein von Schwäche. Aber die 
Kraft ist wieder verzerrt zu einem bestialischen Gelüst, bis 
zu unpoetischem Materialismus entstellt ist der Gegensatz zu 
der bloßen blassen Sehnsucht. Und dabei kämpft heiße Ver- 
liebtheit mit dem beleidigten Stolz, und wieder liegen im Streit 
die plötzlich aufflackernde Glut des Gefühls mit der eisigen 
Luft verstandesmäßiger Reflexion, in der Faust, der Philo- 
soph, gewohnheitsmäßig atmet. Orabbes Bizarrerie, die Kälte 
des Geistesfürsten, dem sich mit der Tragik des Königs Mi- 
das alles in das Gold der Erkenntnis verwandelt, findet den 
schneidendsten Ausdruck, wenn sich Faust, der mit den 
Schrecknissen der Unterwelt umgebene Gigant, vergeblich den 
Gedanken klar zu machen sucht, warum ihn dunkle Sehnsucht 
hintreibt zu einem „Gewächs ohne viel Geist". 

Wir werden an die Grenze geführt, wo der subjektive 
Geschmack entscheidet, ob er noch tragisch zu genießen ver- 
mag oder ob er eine bizarre Kuriosität bewundert. Faust ist 
ein Wahnsinniger, dessen Selbstbewußtsein von den wildesten 
Widersprüchen zerrissen ist. Grabbe schildert einen Krank- 
heitsprozeß; ein gärendes Chaos ist diese Seele, in der die 



— 198 — 

Finsternis der Hölle ringt mit dem Lichtstrahl reiner Men- 
schenliebe. Paust kann nicht lieben; aber er beginnt sein Herz zu 
entdecken und das Gefühl fängt an zu erwachen. Die Glut 
des Herzens ist noch nicht völlig erloschen, die Hoheit der 
reinen Tugend läßt ihn nicht unberührt, er vermag sie aber 
nicht in ihrer ganzen Herrlichkeit zu begreifen d. i. mit 
seinem Denken zu erfassen. 

Der Machtwille und der Verstand sind stärker als das 
Gefühl. Zwar muß sich Faust noch mehr von der Nichtigkeit 
der höllischen Gewalt überzeugen, die nur die äußern Hem- 
mungen beseitigt, aber difc moralische Intoxikation, die er sich 
durch den Bund mit dem Satan zuzog, bleibt doch bestehen. 
Denn Faust ist einmal der verzauberte Unfreie und das ander- 
mal das freie Ich. Aufs höchste in seinem Stolz gereizt, sucht er 
durchzubrechen mit dem klaren Bewußtsein seines sündhaften 
Frevels: „und wärest du der Engel erster, ich verwerf dich." 
Damit ist er ganz schuldig und der Hölle verfallen. Faust 
will sich nicht das Geringste abdingen; das Seufzen, die 
bebende Lippe scheinen schon einen Abzug zu bedeuten. Donna 
Anna bleibt standhaft und stirbt. 

Der Opfertod Donna Annas wirft einen Lichtschein in 
die verdüsterte Titanenseele. Nun erfolgt eine Krisis, eine 
Läuterung in dem Krankheitsprozeß. Der höllische Bann ist 
gebrochen: Faust empfindet Reue. Widerstrebt das 
einerseits seiner Machtverhärtung, so ist doch schon Fausts Ver- 
liebung ohne Gemütsregung nicht zu begreifen. Wie sich im 
Gothland zuletzt ein Hauch von Menschlichkeit wie verklären- 
des Abendrot ausbreitet: „um so länger man die mensch- 
lichen Gefühle niederringt, um so gewaltiger richten sie sich 
wieder auf;" so sinkt eine Welt seltsamer Phantastik wie 
Gespensterspuk, wie ein wüster Traum zusammen, und wir 
sind wieder auf der Erde. „Was ist das Leben ohne Liebe? 
Viel war die Welt wert — man kann drin lieben." „Mit den 
letzten Worten", heißt es in Grabbes Selbstrezension, „löst 
Faust die Dissonanzen des Stückes und macht es aus einem 



- 199 - 

Fragmente, welches fast alle Tragödien sind, die bis zur 
Region dringen, wo Zweifel und Glauben sich bekämpfen, zu 
einem Ganzen." Nun ist aller Trotz dahin, und in schwer- 
mütiger, reuevoller Klage erklingt vielleicht das tiefste Wort 
der Tragödie: „armselig ist der Mensch! Nichts Großes, sey's 
Religion, sey's Liebe, kommt unmittelbar zu ihm, er 
muß 'ne Wetterleiter haben." Der Gedanke der Ver- 
mittlung erzwingt sich nun Anerkennung. Faust wollte alles 
zusammen und zugleich haben; er, der Bedingte, das Unbe- 
dingte; wie ein Neuplatoniker, der Gott schauen will. Und 
doch stand er unter unfreiem Bann, und er fühlt nun auch 
die Macht der Hölle: „Wie glücklich könnt ich seyn, wenn 
ich nicht Mich an die Hölle damals schon verkaufte, Als ich 
dies Weib zuerst erblickte." 

Faust genest zum wahren Leben durch die Liebe. Hier 
offenbart sich eine allgemeinmenschliche Wahrheit und eine 
persönliche Erfahrung. Das liebeheischende Herz, durch 
kalten Machtwahn verhärtet und verdunkelt, glüht nun 
auf, wie siegreicher Sonnenglanz durch Nebel leuchtet; 
die Hölle kann eben nicht lieben. Faust gleicht dem 
Ritter, der da suchte und nicht fand. Aber daß die 
Sehnsucht nach Liebe blieb, war der letzte Keim des 
Guten, des ursprunglich Menschlichen, und den erstickte 
er. Und doch — jetzt reut es ihn. Hätte es des ganzen un- 
förmlichen Apparates, des Teufelsspukes, der nebelhaften Spe- 
kulation, der hohlen Allegorie, der seltsamen Phantastik be- 
durft, um solch schlichte Wahrheit schöpferisch zu gestalten? 

Der Ritter kann Anna nicht auf erwecken: „Denn das Ge- 
storbene ist mein nur, wenn es fällt zur Hölle." Aber gleich- 
zeitig, indem in Faust das Gefühl des Menschlichen erwacht, 
fühlt er auch seine Göttlichkeit; er ahnt in den edleren Re- 
gungen das Dasein Gottes: „Es gab einst einen Gott — der 
ward Zerschlagen — wir sind seine Stücke — Sprache und 
Wehmut — Lieb und Religion und Schmerz sind Träume nur 
von ihm." Allzu genau mag man diese Worte nicht wägen. 



- 200 - 

Es ist der Geist des romantischen Pantheismus; außer an Schel- 
ling, Heine (das Leben, der Traum eines schlafenden Gottes) , 
Steffens, Novaiis weise ich aber wiederum auf den jungen 
Schiller, sein Geheimnis der Reminiszenz und seine Melan- 
cholie an Laura, von denen Heine sagt: „bei Schiller feiert 
der Gedanke seine Orgien, nüchterne Begriffe weinlaubum- 
kränzt schwingen den Tyrsus, tanzen wie Bacchanten." Jeden- 
falls klingt ein schöner tiefer Gedanke als Grundmotiv wieder 
an: die unerfüllte Sehnsucht nach dem Unbedingten, das er- 
wachende Gefühl der Göttlichkeit Es gelang dem Satan doch 
nicht, Paust vom Urquell abzuziehn. Also kein „Gerichtet", 
ein „Gerettet" müßte am Schluß ertönen — ersteres wäre bei 
äußerlicher Auffassung nach dem Wortlaut des Kontraktes an 
der Stelle, letzteres nach dem Innern Gehalt Denn eine 
Handlung von immanenter Tragik und von allgemeinmensch- 
lichem Gehalt will nicht recht in der abenteuerlichen Atmo- 
sphäre des Zaubermärchens gedeihn. Aber nur in letzterer ist 
der Satan möglioh. — War die Konzeption im Geiste des 
Sturms und Drangs, so ist die Lösung im romantischen Sinne. 
Zuletzt überwindet Faust sogar seinen Haß gegen Don 
Juan; er erscheint als Todverkündiger und zugleich als letzter 
Warner, wie wir sahen, umsonst Bis zuletzt bleibt Faust 
der Philosoph: das Besitzen im Gedanken, die Erinnerung 
an Anna wird die Qual der Hölle ertragen lassen. Aber im 
übrigen ist er ungebrochen; mit Resignation und Trotz ergibt 
er sich dem Ritter: „doch wisse, wenn ich ein ewiges Wesen 
bin, so ring' ich mit dir von Ewigkeit zu Ewigkeit." Nicht 
anders endet Paust bei Klinger und Klingemann, am meisten 
philosophische Tiefe aber enthält diese Abrechnung in Byrons 
Manfred, wobei der seltsame Widerspruch auftaucht, daß man 
die Hölle nicht entbehren will und doch den Satan verachtet.*) 

*) Byron: Du wirst mich nie in deine Macht bekommen — ich hab p 
mich selbst zerstört — und will mich selbst zerstören. 
Klinger: Erscheine mir unter welcher Gestalt du willst, ich ringe mit dir. 
Klingemann: Ich will's — der Faust! — und ewig dich verhöhnen. 



- 201 — 

Daher spottet ein Rezensent: Faust verfallt alsbald in 
Resignation und bietet sich dem Satan an, worüber sich die 
höllische Majestät freudig verwundert. Das Trauerspiel spielt 
also eigentlich noch infernalisch weiter und ist keineswegs 
zu Ende. 

Aber der Oeist Klingemanns gewinnt zuletzt doch wieder 
Gewalt aber Grabbe, der Geist greller, krasser, theatralischer 
Phantastik; wie im wilden Jäger starrt das Antlitz des Er- 
drosselten kohlschwarz im Rücken; in Rachewollust will der 
Ritter den ölberg (einen Berg aus Öl!) über Pausts Leich- 
nam türmen. Der gekrümmte Wurm erhebt sich zum Drachen 
voll unheimlicher Majestät. Triumph tönt sein Siegessang; 
nur durch List und scheinbare Unterwerfung kann Satan sich 
Seelen gewinnen, und nun die schwarze Hülle abstreifend steht 
er im roten Gewand mit zornflammendem Antlitz da und 
denkt an jene ferne Stunde, wo die Hölle endgültig siegt und 
der Teufel den Thron des Höchsten einnimmt. Mit einer 
schrillen Dissonanz, einem infernalischen Triumphchor bricht 
Grabbe ab. 

Hinter dieser Theatralik steht das Bekenntnis zum Pessi- 
mismus, daß die Bosheit siegt und daß die Herrlichsten des 
Satans Beute werden müssen. Um die poetische Gerechtigkeit 
ist es Grabbe nicht zu tun. Wohl aber ist uns Paust zu einem 
tragischen Helden geworden. Und daß seine Ausbrüche mit 
der Gewalt echten Schmerzes wirken, hat seinen Grund da- 
rin, daß sie emporquillen aus den geheimnisvollen Tiefen der 
Persönlichkeit des Dichters. 

Auch Grabbe hätte sein Obermenschentum gerne dahin- 
gegeben für ein schlichtes Menschenglück, und er schrieb aus 
seinen Liebes wirren heraus: Kraft ist nichts wert, wenn sie 
nicht Glück schafft. (29. 1. 32.) Auch Grabbe suchte in 



Spohr: Doch mein Wille ist mein Schutz 

Dir, der Hölle biet' ich Trutz. 
Prometheus: Sie werden mich doch nicht vernichten! 



- 202 — 

leidenschaftlicher innerer Zerrissenheit das Höchste zu er- 
reichen in fanatischer Einseitigkeit. Und so blieb ihm nur die 
Verzweiflung um das Unwiederbringliche und er erkannte in 
spater Reue, daß die Leidenschaften des unruhigen Menschen- 
herzen ihren harmonischen Ausklang nur finden in der ir- 
dischen Wonne der Liebe und in der himmlischen Sehnsucht 
der Religion. 



VI. Kapitel 



Ober die Shakespearomanie — Die Hohenstaufen 

Ein Nationalstück wie die Hohen- 
staufen sollen die Deutschen noch nicht 
gehabt haben. 

Am 25. Juni 1827 äußert Grabbe zum ersten Male die 
Absicht, über die zur Fashion gewordene Shakespearomanie 
zu schreiben, am 26. Juli schickt er Kettembeil den Aufsatz 
„heiß wie er aus der Pfanne kommt", d. h. er hat ihn, ohne 
ein Buch zu benutzen, gleich niedergeschrieben (2. VII. — 
3. VIII. — 12. VIII. - 1. IX. - 26. XII). Dieser merk- 
würdige Aufsatz, den Orabbe absichtlich bis 1822 zurück- 
datiert, in dem der Mann mit dem Balken auf die Splitter im 
Auge des andern weist, ist aus verschiedenen Gründen zu 
erklären. Mit der Vordatierung will Grabbe wohl den Glau- 
ben erwecken, als ob er seine Ansichten schon vor Tieck, 
zu dem er in einem merkwürdig unklaren Verhältnis steht 
(vgl. den Brief vom 8. I. 35), gewonnen habe; vielleicht 
möchte er auch seinen Kritikern den Wind aus den Segeln 
nehmen, indem er sich eine überlegene Miene seinem eigenen 
Werk gegenüber gibt. Er liebte Sensation und Widersprach 
und wollte sich kritischen Ruf verschaffen, ja am liebsten das 
Haupt einer eigenen Schule werden. Damit verbindet sich die 
praktische Oberlegimg: man werde zu seiner Schrift greifen, 
schon um von Shakespeare Neues zu hören. Doch das sind alles 



— 204 — 

mehr oder weniger äußere Gründe, die immerhin für Orabbes 
praktisch - pfiffige Handlungsweise von Interesse sind. Er 
verrät auch hier Großes und Kluges neben Allzumensch- 
lichem. Und die vermessensten Wünsche, die er sonst ver- 
steckte, lugen hervor. 

Shakespeare war der Gott der Stürmer und Dränger, 
der Gott des Gothlanddichters. „Don Juan und Faust" 
dagegen ist viel mehr beeinflußt von Byrons Manfred 
als von Hamlet. „Shakespeare hat euch verdorben" rief 
Herder Goethe, dem Dichter des Götz, während dessen 
Sturm- und Drangperiode zu; dieser hat sich immer 
mehr freigemacht und schrieb zuletzt auch einen Auf- 
satz „Goethe und kein Ende". Neuerdings hatte Franz Hörn 
Shakespeare kommentiert — wie Grabbe darüber dachte, 
wissen wir aus „Scherz, Satire, Ironie". Tieck hatte in „Shake- 
speares Vorschule" und in seinen dramaturgischen Blättern 
die neuesten Dramatiker Werner, Grillparzer, Müllner, Hou- 
wald, Raupach verworfen. »Von seinem Gotte Shakespeare 
hat Tieck die olympischen Blitze geborgt", so urteilt Rudolf 
von Gottschall, „um die literarischen Pygmäen seiner Zeit zu 
zerschmettern; in Wahrheit hatte der große britische Genius 
durchaus nicht die Verwandtschaft mit romantischen Bestre- 
bungen, wie Tieck will — vergebens suchte er die roman- 
tische Ironie bei Shakespeare nachzuweisen." Ganz ähnlich 
hat Grabbe geurteilt, der, anfangs ein getreuer Adept Tiecks 
als des Führers der romantischen Schule, sich nun von diesem 
entfernt und in seiner Absage an die Romantik gleichzeitig 
den übermächtigen Eindruck Shakespeares abschütteln will. 
Auch vernünftige Männer wie Tieck schützen ihn vor d. i. sie 
entschuldigen mit ihm ihre Schwächen, weil sie selbst nicht 
so hoch kommen können und in einer von ihm erregten Be- 
wunderung sich selbst geschmeichelt fühlen. Indem Grabbe 
Tieck durchschaut, will er doch dessen Empfehlung des „Goth- 
land" benutzen und hat wohl daher den Aufsatz vordatiert. 
Er greift Tieck nicht selbst an, sondern seinen Götzen, zu 



- 205 — 

dessen Priester er sich aus Mangel aus eigener Kraft mactat. 
Es war Mode, ein assekuriertes Geschäft, Shakespeare zu 
loben. Übrigens war der Aufsatz zeitgemäß und Orabbe 
deutet selbst an, daß ihm einer zuvor kommen könne. In 
der Tat spottet in Raupachs Lustspiel „Kritik und Antikritik", 
das 1826 in Detmold gespielt wurde, der Shakespeare-Narr 
über die Shakespearomanen. Und nicht minder berührt er 
sich mit den Angriffen, die Klingemann in seinen drama- 
turgischen Blättern „Kunst und Natur" gegen Tieck gerichtet 
hatte. 

Endlich aber enthält der Aufsatz als positiven Kern zwei 
vortreffliche Gedanken: wie ein Originalgenie des Sturmsund 
Drangs erhebt Grabbe sich wider Epigonentum und Aus- 
länderei. Die Romantik ist unproduktiv und sucht sich daher 
ein produktives Genie aus, dem sie fälschlich ihre Tendenzen 
unterschiebt. Vor allem aber ist Grabbe aufgebracht über die 
verächtliche Art, mit der Schiller von Tieck behandelt wird. 
Derselbe Mann, der Ochtritz, Grabbes Nebenbuhler, pries, 
richtete sozusagen in Shakespeares Namen den deutschen 
Nationaldichter Schiller. Darum hebt Grabbe statt Shakespeare 
Schiller auf den Schild: denn nur Schiller lieben die Deutschen 
wegen seiner Begeisterung und wegen seines tiefen Gehalts. 
Sehr wohltuend berührt die nationale Tendenz und das trotzige 
Abwerfen ausländischer Fesseln. Ich bin auch Einer, ein 
Originalgenie. Damit hat* Grabbe durchaus recht, aber die 
weitere Kritik, die natürlich nicht den Standpunkt des Goth- 
landdichters, sondern des Autors der Hohenstaufen wieder- 
gibt, ist doch höchst befremdlich. 

Ist er lüstern nach den Lorbeeren Lessings, will er etwas 
für sich? Shakespeares Form soll nicht originell, seine Kom- 
position nicht unübertrefflich sein. Nun soll Moliftres Komödie 
höher stehn als Shakespeares Lustspiele, nun soll das Fried- 
lich-Versöhnende der Antike nachahmenswerter sein, als die 
Tragödie Shakespeares 1 Man steht vor einem psychologischen 
Rätsel. Wie kann der Verfasser des „Marius und Sulla" Shake- 



— 206 - 

speares Cäsar als Renommisten charakterisieren und die 
Doppelhandlung tadeln, da Marius bei ihm doch schon in der 
Mitte des Stückes ausgespielt hat; wie den aristokratischen 
Sinn Shakespeares tadeln, da er doch selbst den Pöbel be- 
schimpft als eine Bestie, die um so folgsamer wird, je mehr 
man sie prügelt Shakespeare schafft wirkliche Menschen — 
aber er, der große Leidenschaftsdichter, soll von berechnen- 
dem Verstand sein, kein Gefühl gehabt haben. Einen 
größeren Gegensatz zu O. Ludwig kann man sich nicht 
denken. Die Kritik der einzelnen Stücke gibt anregende Be- 
merkungen, ohne sonderlich in die Tiefe zu gehn. 

Der ganze Grabbe steckt in dieser merkwürdigen Abhand- 
lung mit seinen Widersprüchen, die sich nicht klären wollen, 
seiner alles auf den Kopf stellenden Ironie, mit allen Unter- und 
Oberströmungen seiner komplizierten Persönlichkeit. Das 
wichtigste Problem ist ja, wie sich Schiller und Shakespeare 
bei ihm verbinden, und die Düsseldorfer Kritiken bestätigen 
es, daß das nationale Gefühl als positiver Kern seines Wesens 
nach jugendlicher Verstiegenheit Grabbes Stellungnahme zu 
diesen beiden dichterischen Heroen aufs nachhaltigste be- 
stimmt hat Für seine künftigen Schöpfungen will er 
nicht als Nachahmer Shakespeares angesehn werden. Zu- 
letzt läutert sich wieder ein guter Gedanke heraus: gesunde 
Volkstümlichkeit sei das Ziel der neuen Tragödie. 

In „Scherz, Satire" ist die Sehnsucht nach einem neuen 
Messias ausgesprochen. Was er bringen soll, steht ge- 
schrieben am Schluß der Shakespearomanie: „das deutsche 
Volk will möglichste Einfachheit und Klarheit in Form und 
Handlung, es will ungestörte Begeisterung,- treue und tiefe 
Empfindung, ein nationales historisches Schauspiel — es will 
eine kräftige Sprache und guten Versbau". Damit kündigt 
Grabbe das Nationaldrama an, das er den Deutschen geben 
will: seine „Hohenstaufen". „Diese wilden Kaiserstirnen* 
sollen das Größte seines Lebens werden. 



— 207 - 

Die Hohenstaufen 

Nachfolger Schillers im geschichtlichen Drama zu werden 
in einer Form, die an Shakespeare zwar erinnert, aber nicht 
Shakespeares Eigentum ist, eine Kombination von Schillers 
nationaler gefühlsbetonter Rhetorik und Shakespeareschem 
Realismus zu schaffen, dieses Programm zu verwirklichen be- 
ginnt Orabbe in den „Hohenstaufen". Seit dem Tegernseer ludus 
haben die Hohenstaufen die dichterische Phantasie gereizt. 
Schiller erschien der Konflikt zwischen Heinrich dem Löwen 
und Barbarossa voll dramatischer Spannung und die er- 
ergreifende Tragik des Knaben Konradin rührte seinen Dichter- 
genius wie viele andere nach ihm. 

Es liegt ein tieferer Zusammenhang zugrunde und ver- 
schiedene Einflüsse strömen zusammen, wenn die Geschichte 
in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mehr wurde 
als ein Magazin für dramatische Motive. Schiller schreitet, 
die Flamme deutschen Nationalgefühls entfachend, voran. 
Die Romantik weckte frische Empfänglichkeit für deutsche Art 
und deutsches Wesen und ließ den Quellborn der Volks- 
lieder wiederaufsprudeln. Von märchenhaftem Glanz um- 
woben, halb sagenhafte Gebilde, wandeln die Gestalten der 
Vorzeit dahin — so berührt uns der große Schatten der 
Hohenstaufen in Arnims Kronenwächtern. Traum und Sehn- 
sucht schien Erfüllung und Wirklichkeit zu werden in dem 
Völkerfrühling von 1813. Die auf das Wirkliche gerichtete 
historische Forschung, wie auch die Freude an den Gestalten 
und Ereignissen der Geschichte gab der dichterischen Tätig- 
keit eine neue Richtung von dem Poetisch-Gedachten auf das 
Wirklich-Geschehene. „Man war der Geister und der Ahnun- 
gen müde und suchte den Idealismus in den großen Zusammen- 
hängen der Geschichte." 

Eine wichtige Wirkung auch auf die Geschichte des 
Dramas übte Fr. v. Raumers Geschichte der Hohen- 
staufen 1824. Auf seiner Bahn schritten Fouqut, Immer- 
mann, Uechtritz, Eichendorf, Platen, Raupach, Heyden, Nien- 



- 208 — 

stedt u. a. Goethe war allerdings ganz anderer Ansicht als 
L. Tieck, den nächst der alten Geschichte keine so tief durch- 
drang und erschüttert als die der Hohenstaufen. Immer- 
mann deutet die Schwierigkeiten, die sich dem Hohenstaufen- 
dichter, wenn nicht dem Historiendramatiker überhaupt 
bieten, richtig an: die Hohenstaufen schweben in einer un- 
glücklichen Mitte zwischen Sage und Geschichte, die Motive 
seien nicht allgemeinverständlich und ewig haltbar. Man muß 
aber sagen, daß gerade deshalb der Stoff die Romantiker, die 
sich so schnell doch nicht von den alten Voraussetzungen 
lösen konnten, reizte. Hinzu kommt dann noch das nationale 
Pathos. Denn war Barbarossa nicht immer populär — er, 
von dem die lieblichen Märchen auf dem Kyffhäuser raunen, 
schlugen nicht aller Herzen auch damals der Wiederkehr 
Barbarossas entgegen, und war der Gedanke an Deutschlands 
Macht und Einigkeit nicht ein Vermächtnis jener Hohenstaufen- 
zeit? Es handelt sich aber darum, wieweit der Stoff der Dra- 
matisierung entgegenkommt, inwiefern zusammenfassende 
dramatische Konflikte oder eine konzentrische Idee darin 
aufzufinden ist. Auf zwei großen politischen Ideen beruhn 
Staat und Kirche der Germanen: der Idee des Kaisertums 
und der Idee des Papsttums. Als Nachkommen der alten 
Cäsaren herrscht der Kaiser; andrerseits bindet ihn die Treu- 
pflicht gegenüber dem himmlischen Herrn an den Papst. 
Diese beiden Grundideen begegnen sich in gewaltigem Kon- 
flikt. Daß die Hohenstaufen noch einmal allen Glanz des 
deutschen Kaisertums prunkvoll und machtgebietend entfalten, 
das umgibt sie mit der romantischen Glorie, die sie umstrahlt. 
Daß aber auch der stärkste Wille das vom Papsttum drohende 
Verhängnis nicht abwehren konnte, darin liegt die Tragik des 
Hohenstaufengeschlechts. Aber es kommt darauf an, ob sich 
diese Ereignisse in den regelrechten Bau eines einzigen 
Dramas einfügen lassen, sofern das historische Drama etwas 
anderes sein will als eine poetisch verzierte Chronik, sodann 
auch darauf, ob der Vorwurf, sofern er nicht nur in einzelnen 



— 209 - 

Personen, sondern in ganzen Strömungen und Bevölkerungs- 
schichten zur Erscheinung kommt, nicht mehr episch als dra- 
matisch wirkt. 

Ist die Gestalt Barbarossas geeignet zum Mittel- 
punkt eines tragischen Spiels? Wohl kaum. Den beiden 
Gegenmächten — dem Weifen und dem Papst — zeigt er sich 
gewachsen, jedenfalls zerbrechen sie ihn nicht im Innersten 
und die Substanz seines Wesens bleibt unberührt. Zum Schluß 
bleibt ihm nur der Wunsch nach einem schöneren Tod. Tra- 
gisch berührt Barbarossa nur als Olied des ganzen Herr- 
scherhauses, das eine Reihe ganz ungewöhnlich herrlicher 
Menschen hervorbrachte und dessen letzter Sproß den schimpf- 
lichsten und durch den unerhörten Kontrast doppelt grau- 
samen Tod fand. Nur in der gesammten Generation tritt 
eine Generalidee hervor, etwa wie in Zolas Zyklus von den 
Rougeon-Macquart. Oder aber man muß wie Raupach das Leben 
jedes einzelnen Hohenstaufenkaisers in einzelne Episoden ein- 
teilen. Aber auch Raupach hat die Stoffe der Wirklichkeit 
nicht restlos verbrauchen können, Raupach, von Friedrich 
Wilhelm IV. unterstützt, beherrschte mit seinen nicht talent- 
losen, aber ganz ungenialen Stücken die deutsche Bühne. 18 
Hohenstaufendramen nehmen sich noch bescheiden aus gegen 
die ursprüngliche Absicht, dem deutschen Volke in 70—80 
Dramen Geschichtsunterricht zu erteilen. 

1824 erschien Raumers Werk über die Hohenstaufen* Aber 
schon vorher waren einzelne Poeten an den Stoff herange- 
treten z. B. Kruse mit seinem Ezelino oder Wilhelm! mit 
seinem letzten Hohenstaufen. Buchner will 1826 mit seinem 
Heinrich VI. — dessen Tancredszenen einige Verwandt- 
schaft mit Grabbes Drama aufweisen mögen, — der „Asthenie 
des Zeitalters mit Ingredienzien aus Ritterroman und Sturm 
und Drang zu Hülfe kommen". 40 Jahre früher hatte 
Schlenkert, ein Gesinnungsgenosse der Gramer und Vulpius, 
roh und formlos buntabenteuerliche Stoffe aus der deutschen 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 14 



— 210 — 

Geschichte in dramatische Gestalt eingekleidet: so behandelte 
er Heinrich IV. in 4 dicken Bänden voll unzähliger Szenen, 
mit „groben Redensarten im Ton des Faustrechts bis zum 
Ekel gefüllt". Auch Grabbe hat es an ungeschminktem Rea- 
lismus nicht fehlen lassen; er wollte eine Zeit der Schwäche 
durch das Bild einer kraftvollen Heldenzeit beleben. 

Der Kritiker des Morgenblattes hat gerade mit einem ge- 
wissen Schrecken von dem gigantischen Plan eines Jünglings ge- 
hört, der die Hohenstaufen in 14 Tragödien behandeln wollte, als 
Nienstädt hervortrat, der in einem Zyklus von 7 Dramen die 
Schicksale der Hohenstaufen vergleicht mit der Laufbahn der 
Sonne, die aufgeht, leuchtet, sich verfinstert und zuletzt im 
Abendrot erlischt. Aber viel mehr als eine geschickte Mache 
war nicht nachzurühmen, eine ursprüngliche Dichterkraft ward 
nicht offenbar: Der kühle Verstand, die Reflexion haben dieses 
Gebilde geschaffen und man merkt, daß es ein Protestant ge- 
schrieben hat. Eine besondere Schwierigkeit lag aber eben 
darin, die vergangene Zeit dem modernen Interesse näher zu 
bringen. Und andrerseits wieder vermissen die Kritiker über- 
all das tiefere Sichversenken in die Geschichte, Zeit- und 
Lokalkolorit, jenen gewissen katholischen, religiösen, mittel- 
alterlichen Duft. Bei Grabbe aber war zweifellos mehr 
historisches Verständnis und urwüchsige Kraft als bei den 
meisten andern Hohenstaufendichtern. — Eine romantische 
Liebesepisode enthält die Hohenstauf engeschichte, den Bund 
zwischen Agnes und Heinrich. Was Grabbe in satirisch- 
pikanter Skizze festhält, das wird von Raupach in breitester 
Ausmalung gestaltet und Spontini schreibt eine glänzend instru- 
mentierte Musik dazu. — Friedrich II. ward von Immer- 
mann gewählt: er war dem Freimütigen zu redselig und das 
Morgenblatt fand die historische Bedeutung des Kaisers nicht 
erschöpft. Wie Immermann hatte auch v. Heyden, wie 
schon früher Caroline Pichler den Konflikt zwischen Fried- 
rich und Heinrich behandelnd, das historische Interesse einem 
Familienkonflikt nachgestellt in einem Drama, das voll 



— 211 — 

leidenschaftlichen Lebens immer noch eine packende Lektüre 
bildet. 

Das eigentümliche Verhältnis einer Dichtung zu einem 
festen gegebenen Stoff bedingt eine besondere Art. Schon 
Herder unterschied zwischen dem zeitlos antiken und dem 
historischen Drama Shakespeares, in dem Ulrici die end- 
gültigen Gesetze für das historische Drama wiedererkennen 
will. Die Form der Shakespeareschen Historie ist nicht nur 
aus bühnentechnischen Gründen allein zu erklären, sofern 
sie sich von dessen übrigen Dramen doch wieder unter- 
scheidet; es ergibt sich vielmehr ein besonderer Maßstab für 
das historische Drama, das dem Epos und seinen Gesetzen 
angenähert werden muß. Schiller hat freilich in Maria Stuart 
und der Jungfrau von Orleans nach französischem Muster 
einheitliche geschichtliche Dramen gebaut, wo er jedoch 
mehr Wert auf das Zuständliche legt, im Wallenstein und in 
den drei Handlungen des Teil zeigt sich schon eine Durch- 
brechung der Form im Sinne des epischen Gesetzes. Grabbe 
hatte, wie wir schon im „Marius und Sulla u zeigten, wesent- 
lich nur Shakespeare zu danken und seinem eigenen histo- 
rischen Gefühl. Er ergänzt die historische Tragödie Schillers 
durch lebensvolle historische Details. Was anfangs mehr neben- 
sächlich wirkt, wird später mehr und mehr zur Hauptsache. 
Es schwebt Ihm, den man selbst des Chaos wunderlichen Sohn 
nennen kann, Ahnliches vor, wie Hebbel in der kosmischen 
Idee, wenn er eine Zeit der Krisis und des Obergangs sucht, 
in der das Individuum seinen Untergang findet durch starres 
Festhalten der alten Tradition oder durch kühne Revolution, 
in der also der Konflikt zustandekommt durch den Zusammen- 
prall großer historischer Mächte, die sich nicht nur in Per- 
sonen verkörpern. Grabbe bildet eine heilsame Korrektur 
zu der zeitlosen, gef ü hl s zerflossenen Jambenrhetorik der Nach- 
ahmer Schillers. Er setzt die Linie von Shakespeares Historien 
zu Götz fort und bildet eine wichtige Etappe in der Entwicklung, 
die sich für das historische Drama am fruchtbarsten erweist. 

14* 



- 212 - 

Hebbel knüpft an ihn an und dann wieder die Modernen z. B. 
Hauptmann. Es ist interessant, bei einem modernen Kritiker 
und Dichter festzustellen, wie weit der von Orabbe gepflegte 
historische Realismus und Naturalismus siegreich ist vor der 
mehr ideellen Auffassung, als deren wichtigste Repräsentanten 
man Lessing und Schiller aussprechen mag. v. d. Pfordten 
knüpft in seinem Buch »Das historische Drama" zwar 
insofern an das zeitlose Drama an, als er zuerst einen 
Konflikt oder eine Stimmung sucht, zu der er erst nach- 
träglich den geschichtlichen Stoff findet. Weiter aber stellt 
er es entschieden als das in Zukunft erstrebenswerte Ideal 
hin, statt großer Worte und theatralischer Effekte immer 
strengere Natürlichkeit, größere historische Wahrheit und 
zeitliches Kolorit anzustreben. Nicht jeder Stoff ist brauch- 
bar, die Charaktere müssen interessant und nicht unbedeutend 
sein, aber die Wahrheitsforderung erheischt es, daß der Held 
nicht übermäßig erhoben wird. Das Charakteristische ist dem- 
nach wichtiger als die Idealisierung, und Laster und Felder 
dürfen nicht bloß aus Schönfärberei oder anderen unkünst- 
lerischen Tendenzen in der Darstellung vermieden werden. 
Solchen Kritikern, die etwa Orabbe vorhalten, er habe eine 
Form, die durch die Bühnenverhältnisse zur Zeit Shakespeares 
geboten war, unberechtigt weitergebraucht, anstatt sich den 
szenischen Verhältnissen der modernen Opernbühne anzu- 
passen, ist mit v. d. Pfordten entgegenzuhalten, daß die Freude 
am historischen Drama immer auf der altgermanischen Schau- 
lust an allerlei Gepränge, an Haupt- und Staatsaktionen beruht, 
und daß das historische Drama durch freiere Technik und 
Unabhängigkeit von tragischen Wirkungen sich von dem 
eigentlichen zeitlosen Drama entfernt und einer Mischform 
angehört, die man als Zwischengattung von Drama und Epos 
bezeichnen kann. 

Diese eigentümlich schwierige Stellung des historischen 
Dramas muß man sich vergegenwärtigen, um die ver- 
schiedenen kritischen Forderungen gerecht abzuwägen. 



— 213 — 

Man verlangt ein treues Bild der alten Zeit und wünscht doch 
wieder Annäherung an modernes Verständnis; dialogisierte 
Geschichte gilt für undramatisch, aber die planvoll einheitlich 
schaffende künstlerische Phantasie ist doch wieder gebunden an 

einen bereits gruppierten Stoff. So wie allgemeinmenschlicher 
Oehalt und zeitlich bedingte Form sich nie ganz decken, 

werden sich beim historischen Dramas — fast eine contradictio 
in adiecto; — die gegensätzlichen Ansichten nie in einer Ein- 
heit auflösen lassen. Der Historiker, der Epiker und der 
Dramatiker werden sich immer streitend gegenüberstehen!- 

Vom November 1827 bis November 1830 verfolgt man in 
den Briefen Orabbes die Spuren der allmählichen Entstehung 
der ursprunglich auf acht Dramen angelegten Hohenstaufen- 
dichtung. Maßlos schweift Orabbe wieder in seinen Vor- 
sätzen und in seinem Wollen. Er will ein Nationalstück geben, 
wie die Deutschen noch keins gehabt haben. Nicht nur, daß 
er Raupachs Dramen als „Gepiepe" abtut, diesen selbst einen 
Fabrikarbeiter nennt, neid er glaubt auch Göthes Götz und 
seinen großen Lehrmeister Shakespeare hinter sich zu lassen. 
Grabbe im Glück hätte es an neidischer Verfolgung seiner 
Rivalen ebensowenig fehlen lassen, wie an übermäßiger Un- 
dankbarkeit gegenüber großen Vorbildern. »Gegen Shake- 
speares bestes historisches Stück gebe ich meinen Barbarossa 
nicht her. a Das hätte der Dichter selbst nicht sagen sollen! 
1829 wurde Barbarossa fertig, 1830 Heinrich VI., von dem 
er schreibt: „sehr gut — äußerst pompös — künstlerisch kühl 
— alle andern Gestalten zugleich umfassend." Kettembeil und 
Immermann hatten eine weniger günstige Meinung. Fried- 
rich II., Philipp von Schwaben und Konradin sollten dem- 
nächst ebenfalls für die Bühne erobert werden. 

Grabbe freute sich mit den Stürmern und Drängern an 
den großen Kerlen, gleichzeitig aber sucht er mit der Liebe 
dea geborenen Historikers die versunkene Umwelt wieder her- 
aufzubeschwören. Wie diese beiden Grundtendenzen neben- 
einanderlaufen, sich vereinen und gegenseitig beeinflussen, ist 



— 214 - 

ein wichtiges Problem für den Betrachter der Grabbeschen 
Dramatik. Das heroische Drama ist zu unterscheiden von 
dem historischen. Wie der Dichter beides vereint, sahen wir 
in „Marius und Sulla". Den Dichter des Gothland und von 
„Don Juan und Faust" wird der große Mann, der Heros 
der Geschichte vor allem fesseln. 

Raupach zerlegte seine Barbarossadichtung als 
eine Trilogie nach den drei Gegenmächten der Lombarden, 
des Papstes und der Weifen. Grabbes Drama setzt da ein, 
wo Barbarossa im Glück ist — aber der Umschwung 
steht dicht vor der Tür. Schwierig und gewaltsam genug 
ging es her, den Knoten in den einleitenden Szenen zu schür- 
zen. Von drei Seiten her ziehn drohende Wolken heran, 
währenddem die Sonne noch am Himmel strahlt. Ein schimmern- 
des Bild deutsoher Kaiserherrlichkeit entrollt uns der Dichter: 
in pomphaftem Aufzug erscheint Barbarossa auf den ronca- 
lischen Feldern inmitten einer glänzenden Schar. Mit einer 
gewissen derben Kraft und Gestaltungsfreude sind Fürsten 
und Würdenträger umrissen und bald scheidet sich aus dem 
Kreise als schärfer individualisiert der Bischof von Mainz mit 
urwüchsigem Mutterwitz. Diese Szene scheint uns wohl ge- 
lungen, sie enthält den Keim des ganzen Dramas und zeigt 
größere Sorgfalt im Aufbau und Verdichten, als sie Grabbe 
sonst eigen ist. Der Knoten ist geschürzt, aber freilich haftet 
unser Interesse doch hauptsächlich nur auf dem sich an- 
bahnenden Konflikt mit dem Löwen, während die Lombarden 
weniger unsere Teilnahme fesseln und auch der wichtigste 
Gegenspieler, der Vertreter des Papsttums, nur kümmerlich 
bedacht ist. Die großzügige Charakteristik des Kaisers beweist 
Grabbes starkes Können, sie ist kraftvoll durchgeführt und 
das war nötig. Denn in ganzen Strecken des Dramas be- 
streitet diese Gestalt allein die Kosten des Interesses. Sicht- 
lich hat sich Grabbe bemüht, nicht nur aus histori- 
schen Zufälligkeiten, sondern aus Barbarossas innerem 
Charakter sein Schicksal zu erklären. Grabbes große Männer 



— 215 — 

sind prachtvolle Bestien mit wilden Gebärden und elemen- 
taren Leidenschaften; andererseits pflegen sie zu philo- 
sophieren in überkühnen, metaphysischen Gedankenflügen 
oder mit einem gewissen rabulistisch klügelnden Witz. 
In Barbarossas ehrgeizigen Augen schimmert's grundlos in 
romantischer unendlicher Sehnsucht, zugleich ist Leben 
ihm Wille zur Macht. Das Machtsymbol der Krone, die ihm 
durch freie Wahl angetragen ist, soll nicht leerer Zierrat und 
Schmuck seines Hauptes sein. Aber diesen Machtdurst erfüllt 
als positiver Inhalt der Glaube an eine welthistorische Mis- 
sion: Italien will er der zukunftsvollen germanischen Rasse 
erobern und die entarteten Söhne des Landes verdrängen. Er 
rüttelt an dem Bollwerk des Vatikanistnus, der Lombardei, 

denn er ist der berufene Schirmherr der geistigen Freiheit in 
der Welt Doch auch Raumer hebt die alten Erinnerungen 
und den großartigen Ehrgeiz des Kaisers als beseelende Mo- 
tive nachdrücklich hervor. Aber Barbarossas Stolz wird bei 
Grabbe zu — gelegentlich prahlerischem — Obermut, zur Wild- 
heit und barbarisch berührt es, wenn er die lombardischen Ge- 
sandten hinschlachten läßt, eine den Charakter des Kaisers 
befleckende Gewaltsamkeit, die aber nötig ipt, um den fol- 
genden Zusammenhang zu motivieren. Denn der Abfall des 
Löwen wie die Schlacht von Legnano müssen in den Zu- 
sammenhang verkettet werden. Urwüchsige Leidenschaft und 
doch die Fähigkeit „indignationem mentis risu colorare" 
rühmt eine alte Oberlieferung von Barbarossa; es ist ein 
echter Grabbeismus, wenn er den wortreichen Bannspruch 
des Kardinals beantwortet mit einem einzigen kargen Wört- 
ehen: „So". — Nun aber keimt aus des Kaisers Schuld das 
Unglück: zunächst erfolgt der Abfall des Löwen und dann 
der Tag von Legnano. Raupach läßt den Kaiser in sentimen- 
taler Betrachtung über das Schlachtfeld irren, Grabbe zeigt 
den Kaiser in persönlicher Aktion auf dem Schlachtfeld und 
hat die Kühnheit, die Schlacht darstellerisch zu vergegen- 
wärtigen. Es gehört zu den Charaktermerkmalen der 



- 216 - 

Grabbeschen Helden, daß sie im Unglück nicht weich und 
demütig werden dürfen, sondern ihre stolze Einheit aufrecht 
erhalten, durch eine Gebärde des Trotzes, wiewohl es 
zweifellos dramatischer ist, die Gegensätze nicht so ver- 
kümmern zu lassen. Es ist merkwürdig, wie Grabbe hier 
gleichzeitig einen Obergang gewinnt aus den rasehen, gewalt- 
samen Äußerungen des innern Lebens seines planvollen und 
doch impulsiven Helden. Gelingt es Barbarossa nicht, »Mai- 
lands Pöbel durch einen Zornhauch hinwegzuhauchen", so 
versteht er es doch, sich die üble Lage so umzuwerten, daß 
er sich nicht dem verachteten Haufen, sondern allein einer 
großen Persönlichkeit zu beugen braucht, dem Papst 
Alexander. Man kann von einer Art Läuterung sprechen* 
die der allzu übermütige Kaiser durch das Leid erfährt Aber 
der dramatische Konflikt ist bereits im 3. Akt aufgelöst Im- 
merhin ist hier mehr als eine poetisch verzierte Chronik und 
mehr Plan, als sich oft in Shakespeares Historiendramen findet. 
Der frühere Herr der Welt modifiziert seine Ansprüche und 
würde froh sein, die Rolle des Schiedsrichters der Weltge- ' 
schichte zu übernehmen. 

Die gehässige Tendenz gegen das Papsttum haftete fast 
allen Hohenstaufendramen an. Das vermeidet Grabbe, wenn 
er Kaiser und Papst in einer Unterredung zu Venedig zu- 
sammenführt, aber wieder bringt ihn historische Objektivität 
um eine dramatische Wirkung. Beide machen Weltgeschichte 
und beide dürfen daher sich wohl überindividuell über die 
letzten Ziele klar und ohne Heuchelei aussprechen. Der Papste 
der allerdings nur in flüchtigem Umriß gestaltet ist, sieht die 
Dinge in unerbittlicher Schärfe, der Kaiser mit seinem Idealis- 
mus erscheint wahnbetört, und darin liegt die Tragik des 
Hohenstaufen geschlossen angedeutet In dieser Romantik, die- 
sem aus dunkeln Gemütstiefen auf steigenden edlen Wollen, unter- 
scheidet sich Barbarossa am wesentlichsten von Heinrich VI. 

Wie Grabbe versucht, ein instinktives Fühlen organisch 
zusammenwachsen zu lassen mit einer Reflexion, wie sie 



— 217 - 

nachtraglich als Extrakt aus jener Zeit gewonnen werden 
kann, zeigt sich nicht minder, da Friedrich vor der stär- 
keren päpstlichen Macht weicht, als auch bei der 
Oberwindung des Löwen, dem zweiten 
Thema, das die andere Hälfte des Dramas ausfüllt. 
Wenn Nietzsche sagt, daß Obermenschen unter einander 
„erfinderisch sind in Zartsinn, Rücksicht, Treue, Selbst- 
verleugnung" — so ist die Szene, in der Barbarossa den 
Löwen zwingt, ein Exempel auf diese Wahrheit. Das 
heroische Pathos des monumentalen historischen Begeb- 
nisses wird zugleich erfällt von gewaltiger Gefühls- 
erregung groß menschlichen Gehalts. Vernichten, zerstören, 
wie Faust zerschmettert, was er in Liebe besitzen möchte, weil 
es sich ihm versagt, kann Barbarossa seinen Feind, aber nicht 
eigentlich hassen oder verachten, wie gewöhnliche Menschen- 
weise ist, die dem Dichter des Qothland oder Don Juan und 
Faust für die Zeichnung seiner Helden oder als Äuße- 
rung seiner leidenschaftlich schroffen, von keinem mil- 
dernden Gefühl überströmten Einseitigkeit nicht genügt. Im 
Zweikampf streiten die beiden Gegner — bei jeder Wunde 
fragt Barbarossa: schmerzt sie? Und da er den Löwen über- 
wunden hat, umarmt er ihn in wilder, hingebender Zärtlich- 
keit Großmütig läßt er den Gegner ziehn: „meine Gedanken, 
meine Wehmut begleiten dich". Die in den ersten Szenen an- 
gegebene Charakterveredlung wirkt hier günstig für den 
Löwen, und so war es auch in Wirklichkeit Raumer sagt: 
Heinrichs Demut und Friedrichs Wehmut waren durchaus 
echt. Die hohe Politik aber wird bei diesen Gefühlsaus- 
brüchen nicht vergessen. „Ich bin Herr der Welt" jubelt der 
siegreiche Kaiser. — 

Barbarossa ist der Sprosse einer wilden Zeit; aber auch 
mit edlen menschlichen Zügen schmückt ihn der Dichter. 
Hier beseelen ihn wohl Schillersehe Impulse; aber diese 
scharfen, feinen Sentenzen sind nicht immer Blüten, die aus 
dem Grunde einheitlicher Stimmung, wie sie etwa des 



- 218 — 

Persönlichkeit erzeugt, aufsprießen; sie sind oft nur lose aufge- 
heftet. „Der Mensch ist einsam ohne Freundschaft und Liebe." 
Und er, vor dem der Erdkreis bangt, beugt sich vor 
der Anmut des Weibes: „wo hohe Zartheit ist, da ist auch 
tiefer Geist." Wie aber Beatrice mit scheuer Bewunderung zu 
Barbarossas wilder Kraft aufblickt, das ist wieder zu bizarr 
dargestellt. Doch findet sie eine schöne Sentenz, die 
sich einprägt. „Heldenliebe ist die Bifite des sturmbe- 
wegten Baumes, weh die ihr Helden liebt, wir zittern ewig 

und sie stürmen immer." Auf dem Mainzer Reichsfest, bei dem 
die mosaikartige Fülle der Einzelzüge weniger zu einer 

Einheit verschmilzt als bei dem Gegenstück im Welfenlager, 
bricht Barbarossa die erste Lanze mit dem Nibelungensinger 
Ofterdingen, dem sinnvoll ahnungstief en Seher, der nach Weise 
des antiken Chors den Lauf der Ereignisse mit allgemeinen 
Betrachtungen verfolgt. Der Kaiser dichtet selbst, wie denn 
Grabbe in der Mainzer Reichsfestszene außer mancherlei 
germanistischer Weisheit ein Provenzale von ihm anbringt. 
Auch wahrhaft fromm wird der Kaiser geschildert, wie sehr 
er, der tiefer sieht als seine Zeit und dessen Inneres von dem 
Lärm äußerer Politik noch nicht ausgefüllt wird, auch die 
Herrschsucht der Kirche bekämpft 

Die beiden Gegenmächte haben Barbarossa nicht; ge- 
brochen, vielmehr erscheint sein Leben reich und glücklich 
und auch das Ende erstrahlt in dieser optimistisch-verklären- 
den Beleuchtung. Die Schlußszene ist der Gipfel des Stückes: 
der Kaiser blickt zurück auf sein tatenreiches Leben und 
fühlt sich am Ziel. Deutschland geeint — der Vasall ge- 
brochen — der Flecken Legnano abgewaschen — der Bund 
zwischen Heinrich und Constanze eröffnet eine neue ver- 
lockende Perspektive: „eng atmest du jetzt, Alexander, zwischen 
Neapel und mir." So zieht er aus, den schönsten Tod zu fin- 
den, ritterlich, romantisch: als Held auf dem Kreuzzug zu 
sterben, das Schwert in der Hand, den Lorbeerkranz in 
den Locken. — Der Fortschritt ist hervorzuheben, daß der 



— 219 — 

Formlose planvoller vorgeht, daß der wilde Stürmer erfolg- 
reich nach Mäßigung in harmonischer .Veredelung strebt. 
Kolossaler wirkt Heinrich VI., dem die Oberliefe- 
rung nachrühmt, daß er Deutschland herrlich machte vor 
allen Völkern. Barbarossa ist besser gebaut und in den Er- 
eignissen liegt noch Spannung. Bei Heinrich VI. wirken die 
historischen Tatsachen viel episodenhafter, aber in der Zeich- 
nung dieses Lebens begegnen wir der typischen Tragik des 
Obermenschen. „Aller Dinge Furchtbarstes ist der Mensch" 
dürfte unsre Empfindung sein gegenüber diesem Kaiser, der 
Sulla, Gothland, Faust übertrumpfen soll. Von ihm gilt das 
Urteil Hohcnzollerns: 

„Er ist vielleicht der Hohenstaufen Größter, 
Er hat den Geist, den Stolz, des Strebens Lust 
Doch ach, ihm fehlt des Vaters mildere Brust." 
Sein Vater hat eine Sehnsucht zum Großen und Ungeheu- 
ren in seiner Brust geschürt und Hohenstaufenerziehung liegt 
in den Worten beschlossen: 

„Sohn, sei du stolz, wie nur ein Gott es sein kann, 
Allein dann streb auch unverdrossen, daß 
Dein Wort dem Stolze gleich sei, und du wirst 
Titanengroß.* 

Diese moralische Einschränkung, die mit Schillers Max 
Piccolomini an das Edle in der Freiheit glaubt, hat Heinrich 
gering geachtet und er ist nur dem Gebot der Größe unbe- 
dingt gefolgt Er hat seine Geliebte aufgegeben: „dem großen 
Zwecke muß das Herzchen weichen". Schon im ersten Stücke 
fiel er uns auf: wie er dem Löwen aufreizt durch seinen 
Spott, wie er das Erbleichen Montferrats jämmerlich findet, 
wie er den Pöbel verachtet und den Papst höhnt, der für ihn 
nur ein herrschsüchtiger Priester ist Der grollende Zu- 
schauer hat sein Herz bereits innerlich verhärtet, ehe er zum 
Selbsthandeln berufen ist Wieder häuft sich herbeste pessi- 
mistische Weisheit bei einem frühreifen Jüngling. Wir hören 
wieder Lehren, die aus Berdoas Religion der Hölle zu kommen 



f 



— 220 — 

scheinen und deren philosophische Grundlagen wir in Don 
Juan und Faust fanden. Falsch ist der Hochsiim, alle Mittel 
sind erlaubt, Gewissen ist Feigheit, Schonung und Rücksicht 
ist Torheit und Schwäche. 

Gar bald soll dieser Mann, der von solchen Herrscher- 
grundsätzen erfüllt ist, seinen ehernen, fast unmenschlichen 
Charakter beweisen. Langsam, in düstres Schwarz gehüllt, 
naht sich die Barke, die die Leiche Barbarossas birgt, der 
Küste Italiens. Da überwältigt ihn der Schmerz nur einen 
Moment und gibt sich kund in einem Händezucken und 
Niederstürzen gleich dem Blitz. Das Leben ist dem eiskalten 
Machtmensohen wie dem Gothland keine Träne wert. 

Shakespeareschen Geist atmet die große Reichstagsszene 
zu Hagenau, in der die Launen des Kaisers alle technischen 
Mittel überflüssig machen und die Hebel und Sprungfedern 
der Handlung in der innerlichen Entwicklung dieses unbe- 
rechenbaren Charakters, dem gegenüber die äußern Gescheh- 
nisse nicht viel zu bedeuten haben, zu suchen sind. Der 
Kaiser lernt, beobachtet; er herrscht mit Kraft und berech- 
nender Schlauheit nach dem Grundsatz: divide et impera* Er 
hört zu und entscheidet kurz und unwiderruflich, er spielt 
mit den Parteien und erreicht schließlich was er will. Immer 
lugt es wie Raubtierkrallen hervor. Zuweilen kommt noch 
ein Anflug von Bonhommie und Schelmerei zum Ausdrucke. 
Prophezeiungen sind ein billiges Mittel, aber wenn zuletzt 
Heinrich in glänzender Rhetorik die Kaiserwürde um Deutsch* 
lands Macht und Ehre willen erblich machen will, so glauben 
wir die Sehnsucht eines preußischen Patrioten jener Tage 
nach der Einheit in mächtiger Schillerscher Beredsamkeit zu 
vernehmen. Übrigens ist alles Politik, Politik auch die 
Aussöhnung mit dem Löwen — viel mehr noch wie bei Bar- 
barossa. Mitleidig belächelt er den Kinderglauben, der aus 
den verwirrten Sinnen des fiebernden Recken zu ihm spricht, 
und die maßgebende Empfindung ist diese: der Löwe tot — 
frei kann ich nach Neapel. 



— 221 — 

Gewaltig hält Heinrich die Herrschaft in Händen und da 
der Erdkreis zu seinen Füßen liegt, will er den Himmel 
stürmen. Er ist so recht ein Beweis für die Wahrheit des 
Schlosserschen Wortes: „Größe des Geistes und der Taten 
und moralische Verdorbenheit sind bei Menschen leider stets 
unzertrennlich". Ein gigantisches Wollen — ungeheure Laster. 
Grausam und rücksichtslos, um den Papst zu gewinnen, opfert 
er die stets kaisertreue Stadt Tusculum. Er glaubt an keine 
Ideale, er kennt die Welt, scharf und schonungslos sind seine 
Urteile. Gelehrte und Priester sind arme Leute, die vielerlei 
sprechen und nur wenig tun. Der Papst ist nur groß, weil 
man ihn zu oft einer Antwort gewürdigt hat Die Mönche 
und Juden haben den Wert, daß man im Notfall Geld bei 
ihnen holen kann. Religion und Sittlichkeit, heilige Binder 
kennt er nicht Sparsam und karg ist er mit menschlichen 
Zügen ausgestattet. Im Lager zu Rocca d'Arce fühlt er sich 
wohl im Kreise seiner treuen Helden: »die ganze Welt ist 
mir soviel nicht wert, als der Freunde Treue zu belohnen." Und 
sein ganzes Herz hat er dem Sohne geschenkt: „mehr wert 
ist's mir, als wäre ich ein Gott." Wie sein Imperium auf 
vier Augen gestellt ist und wie er aus höchster Höhe den jähen 
Fall tut, worauf die ganze Größe in Nichts zerrinnt, das 
ist mit bewußter Absichtlichkeit stark herausgearbeitet, — 
weil es nichts ist als ein Pendant zu der Napoleon-Tragödie. 

Freilich wohnt Heinrich im Lande des Verrates, über 
Blut und Leichen führt der Weg zur Macht Und so ist er 
geworden, wie ihn der Dichter im letzten Akt schildert: eine 
echte Tyrannenseele, die in grellen gemeinen Zügen ge- 
zeichnet wird. Aber die historische Wahrheit, wie sie allzu 
patriotische Kritiker gern verwischen möchten, wird keines- 
wegs überboten. Wilde Rachsucht triumphiert wieder in aus- 
gesuchten Zynismen über die Feinde. Mit den Äußern 
Gegenmächten wird der Kaiser bald, nur zu bald fertig. 
Aber gibt es für ihn gar keine innere? Die edle Gemah- 
lin weist ihn auf den himmlischen Frieden zur Weihnachts- 



- 222 - 

zeit, auf den Heiland. Aber Heinrich findet sich aus dem 
Wirrsal des Daseinejammers nicht zu einem versöhnlichen 
Ausblick. „Gott kann verzeihn, wir bedürfen der Spione, der 
Henker, um uns zu schützen." Das Christentum ist nichts für 
ihn. Der Obermensch kämpft den harten Kampf ums Dasein, 
wo Macht vor Recht gilt. 

Grabbe schildert die Tragödie des rastlosen 
Ehrgeizes. Heinrich ist innerlich erstarrt, er hat der 
Größe das Glück geopfert. Er steht fast außerhalb des 
menschlichen Gefüges. Der Kaiser fühlt etwas von der inne- 
ren Tragik seiner Seele: nur in den Tälern wohnt das Glück, 
aber ihn ruft das Schicksal empor zu den Gipfeln — in die 
Vereisung. Das Glück erlosch in ihm, weil nur ungeheure 
Dinge sein gigantisches Wollen sättigen können. Die Uner- 
sättlichkeit seiner Herrschgier peinigt ihn wie mit körper- 
lichem Schmerz. Hoch auf den Aetna stellt ihn der Dichter. 
Es ist ein großer, fortreißender Schwung trotz aller Bizar- 
rerien und Wunderlichkeiten darin, die man allzu kleinlich auf- 
gemutzt hat, die Phantasie schweift in wahnsinnigem Rausch, 
die Szenerie wirkt hochsymbolisch. Der Orient öffnet seine 
Pforten und was da schimmert in der Ferne, das sind die 
bläulichen Küsten von Afrika — ein neuer Erdteil. Alles 
muß sein werden — da trifft ihn der Schlag. Wir haben eine 
starke Empfindung davon: Heinrich ist an dem Punkt, wo 
die Erde den Menschen entläßt und er den Sternen verfällt. 
Ober die Häupter der Kühnsten schreitet das Schicksal mit 
ehernem mächtigem Gang. Den himmelstürmettden Prame- 
thiden fällt der rächende Blitz aus zürnenden Wolken. Auf 
dunklem Hintergrund leuchten Schlaglichter nach drei Gegen- 
den: christliches Ideal — antikes Schicksal — Promethidenlos. 

Neben diesen beiden Gestalten steht das glänzende, schöne, 
aus der Fülle dichterischer Kraft gewachsene Charakterbild 
Heinrichs des Löwen, des gewaltigen Antipoden der 
Hohenstaufen. Er mußte dem Niedersachsen Grabbe beson- 
ders teuer sein, und ist er uns nicht auch eigentlich verstand- 



— 223 - 

lieber: er, der Urgermane, der echte Deutsche, der Erreich- 
bares wollte und Dauerndes schuf, während doch die Hohen- 
staufen sich einem romantischen Wahne geopfert haben? 

Heinrichs Persönlichkeit ist getragen von einem starken 
Realismus, den aber ein ideales, gemütvolles Element erwärmt, 
während in Barbarossa dem Romantiker zuviel Reflexion sich 
weniger gut dem kräftigen Grundtypus assimiliert. Wie sich 
Romantik und Wirklichkeit begegnen, ist ja das Problem. 
Und wie die verstiegene Problematik der Jugenddramen noch 
in den Kaisergestalten nachwirkt, so kündigt sich in dem 
Löwen der Anfang einer neuen Darstellungsart an, wie sie 
am Schluß des Shakespearomanie präzisiert war. Wie wur- 
zelt Heinrich der Löwe in den Herzen seiner Landeskinder, 
der riesenhaften Sachsensöhne! Wie ist Orabbe hier die 
innige Verbindung von Volk und Fürst gelungen! Heinrichs 
Miene kann ein Volk entzücken und entsetzen. „Wenn er 
lächelt, ist's als bräche die Sonne aus den Wolken, warm 
wird es jedem ums Herz und in der Brust quellen Lust und 
Freude auf. Aber wenn er zürnt, ist das Gesicht schwarz, 
durchwölkt von geschwollenen Adern — die Augen funkelnd 
und lechzend wie der isländische Hekla — das Schwert wild 
in der Luft, daß sie erklang- a Orabbe kann hier, wo sein 
Herz beteiligt ist, wo Schillers feuriger Idealismus und sein 
berauschendes Pathos ihren Zauber nicht verloren haben, noch 
nicht wie im Hannibal zu einer rein realistischen Charakter- 
zeichnung sich entschließen, wie denn etwa Raupach uns nur 
einen eigensinnigen, herrschsüchtigen westfälischen Bauern 
hinstellt. 

Orabbe hat sich große Mühe gegeben den Verrat 
des Löwen zu begründen und zu erklären. Er geht hierin 
sehr weit Warum fiel der Löwe ab? Er war beleidigt, er 
hatte selbstsüchtige Pläne — aber mit voller Entschiedenheit 
ist auch das Historisch-Notwendige hervorzuheben: „so hoch 
standen die Weifen, daß sie den Hohenstauf en fast das Oleich- 
gewicht hielten, aus der Gleichheit der Kräfte entspringt der 



— 224 - 

Wunsch der Herrschaft, er wollte im Gefühle großer Macht 
ein eigentümliches unabhängiges Leben führen und seine 
Bahnen sich selbst vorzeichnen." So Raumer. Aber auch 
bei der Orabbeschen Charakteristik des Löwen erscheinen die 
idealistischen Schillerschen und die realistischen Shakespeare- 
schen Impulse nicht ausgeglichen. „Leu und Kaiser sind zu 
stark, als daß sie ewig sich vertrügen". Sodann aber hat Bar- 
barossa durch unüberlegte Gewalttat den Löwen gereizt und 
der Prinz hat ihn beschimpft. So wird der Kaiser schuldig 
gemacht und der Löwe entlastet. Aber weiterhin hat denn 
doch wieder das objektiv ausgleichende Interesse des Histori- 
kers die dramatische Zuspitzung verhindert. Orabbe schildert 
— historisch unmöglich — , wie der Löwe mit seinem ganzen 
Heer südlich der Alpen steht; in Wahrheit suchte der Kaiser 
den Löwen allein in Chiavenna oder Partenkirchen auf. 
Das hat seinen Zweck: so wird der ganze Konflikt zwischen 
Freundschaft und Herrschsucht wenigstens einigermaßen in 
seiner Entwicklung gezeigt. Gerade jetzt, wo die Mög- 
lichkeit so nahe gerückt ist, daß wieder deutsches Blut Meßt, 
gerade jetzt erfolgt der Bruch. Denn in Deutschland liegt 
Deutschlands Kraft. Und was Heinrich weiter dazu getrieben* 
das ist das instinktive Fühlen der Völker, das natürliche 
Empfinden der Sachsenfürsten, die lieber um ihr eigenes Land 
kämpfen wollen, anstatt ihre Völker auf die italienische 
Schlachtbank zu führen. Wir folgen dem Sachsenherzog in 
sein Land. Voller Heimatspoesie, voll von dem kraftvollen 
Duft der Erdscholle ist die Schilderung der Weserschlacht. 
Der Harz wird lebendig mit seinen Geiern und Felsen, rot 
liegt er im Licht der Fichten, über deren Scheitel Gewitter 
dräun. Der an dem Kaiser geübte Verrat rächt sich an ihm: 
es herbstet, aber er steht unverwüstlich wie der Harz und 
seine Leute glauben an ihn. Nach dem lebensvollen figuren- 
reichen Schlachtgemälde schildert der Dichter den verlassenen 
Helden im Unglück. Hier offenbart sich neben der rauhen 
Stärke das deutsche Gemüt in seiner unbegrenzten Fülle und 



— 225 - 

unerschöpflichen Tiefe. Der Landesflüchtige steht einsam 
am Meer, aber er hat einen Trost: ich ward doch sehr ge- 
liebt; der treue Landolf liegt tot zu seinen Füßen: Herzogs- 
arme mein Grab. Mathilde besänftigt ihn, der schon wieder 
in Phantasien künftiger Größe schwelgt; das Auge voll von 
machtigen Flotten und weißen Segeln. Auch der Löwe wird 
nun immer mehr ein fiebernder Phantast. Eine schöne und 
ergreifende Episode ist es, wie sich Volk und Fürst 
wieder finden. Sehnsüchtig erwartet ihn das Volk, wie den 
von Elba wiederkehrenden Napoleon: der Herzog fehlt I Der 
alte weißhaarige Löwe gleicht dem Rächer Marius und an* 
dererseits wird er wieder zum Philosophen, der Sentenzen 
prägt, die Grabbe wieder über den Lebensrätseln brütend 
zeigen. Noch einmal bricht die Wildheit des Löwen heraus, 
als er sich an den Krämern von Bardewiek rächt. Jahrmarkt 
ist's und der Löwe will als der billigste Verkäufer erschei- 
nen. Sie sollen sie fühlen — vestigia leonis, sein regendurch- 
näßtes Volk soll sich wärmen an dem Feuer von Bardewiek, 
und ihm selbst bekommt der Rausch seines Zornes wohl, die 
Flammen wärmen sein altes Blut. Ganz Marius. Aber der 
Dichter strebt danach, des Löwen Laufbahn würdig abzu- 
schließen. Friedvoll klingt der alte Zwist zwischen Weif und 
Waibling aus. Die letzte Weisheit des sterbenden Löwen ist 
ein resignierter Pessimismus. Der wilde Zynismus klingt 
diesmal in gedämpfteren Akkorden aas. Während das große 
Leben versiecht, entwirren sich ganz anders wie bei dem kal- 
ten Machtmenschen Heinrich die letzten Rätsel in religiöse 
Wahrheiten: wie auch der Mensch drauflos stürmt, nie er- 
reicht er sein Ziel, führt Gott es ihm nicht zu. „Auf Erden 
ist Streit und Weh selbst unter Freunden — Ruhe ist nur im 
Grabe — Wie hold ist doch das Grab!" 

Man hat Grabbes Weitschweifigkeit und undramatische 
Formlosigkeit auch hier noch, wo er sich entschieden 
mäßigt, getadelt. Andererseits wieder erkennt das Morgen- 
blatt an, daß er mit kraftvoller Hand den historischen Wald 

Nieten» Chr. D. Grabbe. 15 



— 226 — 

gelichtet und die Fülle der Gestalten und Begebenheiten be- 
wältigt, alle historischen Lichtpunkte auf einen Focus gebracht 
habe. Einen rechten Begriff davon, wie Orabbe den Stoff 
zusammendrängt, erhält man, wenn man etwa Raupachs 
Stücke mit den Dramen Orabbes zusammenstellt Die Kriege 
mit Mailand sind das Thema des ersten Raupachschen Dra- 
mas — Orabbe verwendet darauf eine Szene. Raupachs zwei- 
tes Stück führt uns über Legnano nach Venedig, es enthält 
die Verhandlungen mit dem Papst — wir erleben dasselbe bei 
Qrabbe in zwei Szenen. Hier wird zweifellos das Interesse 
zusehr zersplittert; wir werden beunruhigt und vermögen 
nicht mit nötiger Sammlung zu folgen. Andererseits aber 
schildert Orabbe die Abrechnung mit den Weifen, für die Rau- 
pach ein fünfaktiges Stück benötigt, in drei ungleich gewalti- 
geren eindrucksvollen Auftritten. Die Schlußszene des Bar- 
barossa drängt zusammen, was Raupach in 4 Akten erzählt. 
— Noch mehr treten bei Heinrich VI. auseinander Geschichte 
Raupach und Orabbe. Der 2., 3. und 5. Akt entsprechen je 
einem ganzen Raupachschen Trauerspiel. Trotzdem sind bei 
Qrabbe breit ausgesponnene Episoden: Richard Löwenherz, 
die Landung des Löwen und die Zerstörung von Bardewiek t 
endlich die Kämpfe um Rocca d'Arce. Raupach hält sich 
auf das engste an die Geschichte, es läßt sich seitenweise ver- 
folgen, wie Raumer von dem erfolgreichsten Hohenstaufen- 
dramatiker geradezu ausgeschrieben ist — man vergleiche den 
1. Akt des zweiten Teiles mit Raumer 210—216 oder den 2. 
Akt mit Raumer 214 f., und man sieht Orabbes Überlegenheit. 
Er hatte es damals noch nicht nötig, wie später an dem 
Gängelband Clostermeiers seine Hermannsschlacht aufzubauen. 



Wie weit hat sich das Drama der Geschichte an- 
zuschließen, sich ihr zu unterwerfen? Es hat Kritiker gegeben, 
die aus Shakespeares historischen Dramen mehr Geschichte 
haben lernen wollen, als aus den Werken der Wissenschaft. 
Lessing fand in der Poetik des Aristoteles für diese Frage 



— 227 - 

keine Richtlinien — denn Aristoteles kannte die historische 
Tragödie nicht. In der Hamburgischen Dramaturgie herrscht 
der Geist der Aufklärung: die Historie ist nur ein Repertoir 
von Namen, die Fakta sind zufällig, der geschichtliche Hinter- 
grund ist nichts, aber die Charaktere sind notwendig. In der 
Hauptsache aber läuft es darauf heraus, den Vernunftkern zur 
Darstellung zu bringen. Theoretisch haben sich Schiller und 
Goethe aber ihre Abhängigkeit von der Geschichte freier aus- 
gesprochen als man nach ihren Dramen annehmen sollte. 
Schiller erwies sich als der Idealist, Goethe mehr als der 
Realist Unbedingten Respekt vor der Geschichte dagegen for- 
derten Tieck und Raumer, anfangs auch Immermann, bis bei 
Ausübung der dichterischen Tätigkeit die Phantasie ihre Rechte 
geltend machte. Die damaligen Kritiker vermissen gerade bei 
den Hohenstaufendramen das Eingehn in den mittelalterlichen 
Geist und sie tadeln das Vorherrschen modern-protestantischer 
Tendenzen. Grabbe hat auch an eine einfache Wiederholung der 
Geschichte nicht gedacht: „Der Dichter ist kein Historiker. 
Die Weltgeschichte liefert nur das Material seiner Produktion 
und sein Geist setzt hinzu, was ihm zur Vollendung seines 
Werkes notwendig dünkt. Ein nach fremden Maßstäben rich- 
tender Kunstrichter ist ein verdorbener Tischlergesell." Aber 
Grabbes Größe beruht doch auf dem angebornen historischen 
Sinn. Marius und Sulla war ganz aus den Quellen getränkt 
Grabbe springt zwar auch mit den historischen Daten immer 
freier um — man vergleiche die Hohenstaufen und Hannibal 
— aber sie besitzen bei ihm doch eine ganz andere Bedeutung 
als in Leasings Theorie! 

Raumer ist auch für Grabbe die Hauptquelle. Sehr frei 
aber hat er die geschichtlichen Umstände verwandt Er hat 
nicht nur verschiedene Ereignisse zusammengezogen, sondern 
auch Jahre umgestellt — Im 1. Akt haben wir den Reichstag 
zu Besan9on und den auf den roncalischen Feldern in freier 
Kombination; dazu kommt allerlei Beiwerk, das auch wieder 
aus verschiedenen historischen Details zusammengestellt ist. 

15* 



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»j 



— 228 — 

Das Auftreten des Kardinals, der Fehdehandschuh des Kaisers 
gehören nach Besauen, das Lokal sowie Christians Stellung 
vor Ancona erinnert an den Reichstag zu Pavia (1174). An 
Raumer schließt sich Grabbe an, wo der Papst als erster 
Bischof, die freie Kaiserwahl (R. 80—113), die entarteten 
Römer (44) in Rede stehn. Hadrian und Alezander werden 
vertauscht. Frei erfundene Einzelheiten sind etwa das Fehlen 
Zähringens und die Hinrichtung der Gesandten, wie die Für- 
bitte des Löwen zur Motivierung des Abfalls. Das wird er- 
möglicht durch die lose Technik, die nacheinander die einzel- 
nen Geschehnisse zu einem bunten Mosaik zusammenfügt, 
dadurch daß ähnliche Ereignisse sich wiederholen und 
durch die sprunghafte Charakteristik der Helden, deren 
despotisches Wesen immer voll Willkür ist. — Die Aussprache 
zwischen dem Kaiser und dem Löwen findet bei Grabbe auf 
einem selbstgewählten Ort statt, dagegen sind die Raumer 
250 fiberlieferten historischen Worte fast genau benutzt wie 
[ auch die Charakteristik von Mainz fibereinstimmt. Die Schlacht 
1 bei Legnano war für Grabbe nicht so leicht unterzubringen. 
Dennoch ist auch hier für Eingang und Schluß das Vorbild 
Raumers 254 ff.) wiederzuerkennen. Die Zusammenkunft 
zu Venedig fand 1177 statt (Raumer 255 ff.). Wie hier Kreuz- 
zugsidee und Heiratsplan Heinrichs hinzugefügt werden, ohne 
daß grobe Widersprüche auffallen, beweist wieder Grabbes 
findige Kombinationstechnik und seine originelle Mischungs- 
kunst Das Wiedersehn zwischen Beatrice und Barbarossa 
verlegt Raupach ganz wie Raumer nach Pavia, Grabbe läßt 
den Totgeglaubten auf Schwabens Auen wieder erscheinen, 
weil der Sohauplatz jetzt Oberhaupt wechselt und weil die 
Ökonomie des Dramas sowohl einen lyrischen Ruhepunkt wie 
Obergang zu den deutschen Ereignissen fordert. Unhistorisch 
ist weiter, daß die Achtung und Unterwerfung des Löwen, die 
schon vorher in Gelnhausen erfolgte, auf das Mainzer Reichs- 
fest verlegt wird. Raumer (292 f.) sagt: Leicht konnte der 
Dichter der Nibelungen und Wolfram von Eschenbach zugegen 



— 229 — 

sein. Viel lyrischer ist die Szene bei Raupach, der Heinrich 
als Sänger auftreten läßt, als die lebhaft bewegte Schilderung 
bei Orabbe. Die folgenden Ereignisse fallen in Wahrheit frü- 
her: die Weserschlacht (181 : 42) 1180. Die Schlußszene dringt 
Ereignisse der Jahre 1185—89 zusammen. 

Orabbe findet die Zeitpunkte heraus, wo die Geschichte 
selbst theatralisch wird. Er bringt höchst prunkvolle Bühnen- 
bilder: Umzüge, einen Reichstag, das Reichsfest, zwei große 
Schlachten. Diese Tableaux, die besonders in der zweiten 
Hälfte bei nachlassender dramatischer Spannung sich mehren, 
erscheinen im ganzen als Selbstzweck, obwohl Orabbe nie 
vergißt, die Fäden der Handlung fortzufuhren und immer 
noch Raum findet, seine hauptsächlichsten Intentionen her- 
vorzuheben und die Einheit eben festzuhalten. Er sucht 
gerade, was sonst vom Dichter gemieden wird, weil das 
historische Interesse an der Umwelt die Intentionen des Dra- 
matikers in den Hintergrund drängt. Die dramatische Ent- 
wicklung macht er allzu rapide, fast mit ein paar lakonischen 
Schlagworten epigrammatisch ab; die historische Umwelt 
nachzuschaffen, erscheint immer mehr als das Zukunftsvolle. 
Aber er gibt doch mehr als bloß lebende Bilder epische Schil- 
derungen, voll von glühendem Kolorit, mit breitem Pinsel- 
strich hingeworfen, er geht auch auf psychologische Ver- 
tiefung bei den Helden aus. Die Abbreviatur dieser Charakte- 
ristik liegt in Sentenzen, die den Geist des Dramas aus- 
sprechen. 

Der Aufbau des Dramas ist folgender: im 1. Akt erscheinen 
Barbarossas Gegenmächte, der Löwe und die Lombarden; der 
2. Akt bringt den Abfall des Löwen und die Niederlage bei Lcg- 
nano. Dann geht es wieder langsam aufwärts : Friedrich ver- 
söhnt sich mit dem Papst (3. Akt) , feiert das Reichsfest <4. Akt) 
und zwingt den Löwen (5. Akt) . Im 3. Akt wechselt nach einem 
lyrischen Ruhepunkt der Schauplatz und wir können vier Haupt- 
träger unterscheiden: den Kaiser — die Lombarden — den 
Papst — den Löwen. Dazu kommen noch als Träger einer 



- 230 - 

Nebenhandlung der junge Heinrich und Montferrat. Eine Ein- 
heit wird in das Ganze gebracht durch den Löwen, nur durch 
ihn wird ein stärkeres Interesse erregt. Orabbe hat das selbst 
also ausgedrückt: „der Zorn des Kaisers, der auf Roncaglias 
Gefilden entsprungen, endet an der Nordmeerküste Deutsch- 
lands." 

Raupach teilt die siebenjährige Regierungszeit Hein- 
richs VI. wieder ganz am Gärfgelband Raumers in zwei 
Teile: der erste behandelt die Aussöhnung zwischen Stauten und 
Weif, der zweite die Ereignisse in Sizilien. Grabbe gibt in einem 
Drama mehr als Raupach und hat dabei Zeit zu Episoden, 
die allerdings die Form noch mehr auseinanderreißen als im 
Barbarossa. Bei Grabbe spielen der 2. und 3. Akt in Deutsch- 
land, die übrigen in Italien. — Der 1. Akt exponiert ähnlich 
wie im Barbarossa, wo auch die Gegenmächte klagend auttreten 
und gleichzeitig eine Schilderung der italienischen Landschah 
gegeben wird. Grabbe schaltet frei mit den historischen Um- 
ständen. Heinrich konnte während der Abwesenheit seines 
Vaters Deutschland nicht verlassen, und er empfing die Kunde 
vom Tode seines Vaters 1190 in Thüringen; Tancred ward 
1100 zu Palermo gekrönt. Ebenso wird in der 2. Szene, die 
am Eingang eine effektvolle Erfindung enthält, die Geschichte 
insofern korrigiert als Ereignisse, die allerdings nur um ein 
Jahr differieren, zusammengedrängt werden: die Opferung 
Tuskulums, die Treue Salernos, die Ankunft des Löwenherz 
und die Landung des Löwen, die schon zu Lebzeiten Barba- 
rossas erfolgte; der Sohn, den der Kaiser auf die Arme nimmt 
— am versiegenden Strom die Quelle eines neuen Lebens — 
wurde erst 1194 geboren. Wieder ist der Knoten sehr bald 
geschürzt, aber die einzelnen Fäden des Gespinstes werden 
nicht mit ruhiger Sorgfalt fortgewoben, brechen gewaltsam ab 
oder es geht sprunghaft ruckweise vorwärts. Wie in Rau- 
pachs Vorspiel wirkt historisch richtig der Aufstand der Wei- 
fen entscheidend, diese Berührung mit Raupach erstreckt sich 
auch auf II. 1. Die Szenen, die nun ganz vom Thema 



- 231 — 

abfahren, deren Held Löwenherz ist, folgen sehr genau dem 
Bericht Raumer» (509 f): die Gefangennahme fiel 1192, die 
Blondetezene, die Raumer gegen Funk festhielt — hier Ist 
auch der Oretrysche Operntext zu vergleichen — 1193. 
Ein Muster für Orabbes höchst gewagte, aber auch kraftvolle 
Konzentration ist die Reichstagsszene von Hagenau (1193), 
in der frühere und spätere Ereignisse aufs kühnste kombiniert 
werden. Das historische Ereignis bildet die echt königlich 
minnliche Verteidigung von Richard Löwenherz, die bei 
Orabbe ebenso wie bei Raupach mit Recht aus der Quelle 
schöpft (Raumer 562 — man vergleiche für die oft fast wört- 
liche Herübernahme etwa die Weisung an Blondel). Die 
erschreckende Habgier Heinrichs zu beleuchten, enthalt uns 
Raupach auch den historischen Kronenraub in der Gruft zu 
Palermo nicht vor. Von früheren Ereignissen werden 
hereingezogen die Lütticher Bischofswahl, die 1192 zu 
Worms erfolgte (Raumer 548 f. — Raupach), und die Ge- 
fangennahme der Konstanze. Von spateren Ereignissen wer- 
den zurückdatiert die Kreuzzugsidee und die Verhandlungen 
über die Erblichkeit der Kaiserwürde (Raumer 582 ff. — Rau- 
pach 44), die erst nach den italienischen Siegen 1135 
fielen. Ereignisse, die im Verhältnis von Grund und Folge 
stehn, die Raupach mit pedantischer Nachschreiberei in vier 
Akten entwickelt, sind hier in eine Szene gebannt. Manche 
Geschehnisse sind nur schwach betont und sie sind nur dazu 
da, um eine Charaktereigentümlichkeit Heinrichs hervorzu- 
locken, andre sind gewaltsam zusammengeschoben und ver- 
bunden; das Grundprinzip, darauf alles bezogen ist, bildet 
der Gegensatz zu den Weifen. Der Weife hat eben Heinrich 
aufs schwerste gereizt durch die Zerstörung Bardewieks und 
doch muß noch am Schluß der Szene eine Aussöhnung er- 
folgen. Aber Tyrannen haben ihre Launen, und in tollkühnster 
Bizarrerie verwendet Grabbe hier das Kapulet-Montecchi- 
motiv von der Liebe der Staufin Agnes und des Weifen 
Heinrich, die er sich mit dem Ruf begegnen läßt: hie Weif — 



- 232 — 

hie Waiblingen. Es ist ein echt Orabbescher pittoresker Ein- 
fall, wenn er den Humor der Weltgeschichte darin sucht, daß 
das Schicksal von Weif und Waiblingen, des ganzen Weltfrie- 
dens durch eine pikante Situation, durch ein geflüstertes Wört- 
chen gewendet wird. Immer wieder wird Orabbe des trocke- 
nen Chronikenstils satt und läßt seinem tollsten Obermut die 
Zügel schießen. Der 4. Akt, der in Neapel und Rocca d'Arce 
spielt, bringt Ereignisse aus den Jahren 1191—1194 zusammen 
(Raumer 546—566 ff.) . Der 5. Akt behandelt den Inhalt eines 
ganzen Raupachs chen Stückes: die sicilianische Verschwörung; 
Heinrichs Grausamkeit überbietet hier keineswegs die ge- 
schichtliche Wahrheit, der Streit der Flotten vor Pisa und 
Genua ist historisch (Raumer 571). Grabbe laßt die 
letzte Szene Weihnachten spielen, wobei der historische Um- 
stand nachwirkt, daß Friedrich Weihnachten 1194 geboren 
wurde (Raumert 574 L). Bei Raupach entwickelt sich der 
Konflikt zwischen Heinrich und Konstanze, wie in Buchners 
Drama stirbt er im Augenblick der Ausfahrt an Gift In 
Wahrheit starb Heinrich VI. durch einen Trunk Wassers auf 
der Jagd (Raumer 592, 595). 

Die Idee des Dramas liegt in den Szenen, wo sich der 
Kaiser mit dem Papst oder dem Leuen begegnet. Der Papst 
ist der große Staatsmann, der Kardinal der intrigante Pfaffe. 
Dem Verhältnis zum Papst sucht Grabbe dadurch allgemeine- 
ren Inhalt zu geben, daß er den Kaiser modernisierend 
zum weltbeglückenden Träger der Gedankenfreiheit macht. 
Aber das Thema ist zu flüchtig behandelt. Die zufällige 
historische Situation erhält einen wärmeren Unterton durch 
die allgemein menschlichen Freundschaftsgefühle zwischen Leu 
und Kaiser. Das geschichtliche Fatum wartet unbarmherzig, 
es wirkt sich aus in dem mächtigen Einzelwillen und über- 
windet ihn doch wieder nach einem verborgenen Plan. Hein- 
rich bildet am vollkommensten die isolierte starke Persönlich- 
keit wieder. Hier geht die Verbindungslinie von Gothiand über 
Sulla und Don Juan und Faust. Hier erreicht eine Grund- 



- 233 - 

teodenz ihren Kulminationspunkt. Für Grabbes dramatische 
Kunst lag hier ein Thema probandum Kax' Igoztfv, während 
die andern Dichter mehr gelegentlich und durch den 
Stoff entzündet wurden. Wer am sinnfälligsten wiederzu- 
geben, am plastischsten zu gestalten verstand, der mußte 
den Preis greifen. Wir erlebten den Machtmenschen bei 
Z. Werner; Immermanns Kaiser Friedrich bekennt 
von sich: „ich bin den Wolken nahe gezeugt", oder: „der wahre 
Kaiser stirbt nicht." Und welche Sprache führt Heinrich bei 
H e y d e n : „nur einmal sich berauschen, würde man auch 
drob zu Flammen". Hermann von Salza sagt von ihm 
„die gütige Natur gewann nicht Zeit, des Herzens weichere 
Seiten auszubilden" — und zum Schluß: »Niemand auf Erden 
darf ein Gott sein — Weih' der Menschheit menschliches 
Gefühl" — darauf Friedrich: „ich will". So wird auch für 
Grabbe zu einer entscheidenden Wendung, die Einsicht, 
daß Eigennutz und Größe nicht identisch sind, daß Kraft 
nichts ist, wo sie nicht Glück schafft, daß Napoleon nicht 
eigentlich groß war, sondern es erst wurde durch seine Zeit 
als Vollstrecker der Revolution. 



Es ist Kraft, Reichtum, und endlich Schönheit in 
diesen Dramen. Sie tragen das Gepräge einer unruhigen Ener- 
gie, einer wilden Großheit. Reichtum, Leichtigkeit der Produk- 
tion, Keckheit der Erfindung zeigen den Dichter auf der Höhe. 
Aber darum sind die Hohenstaufen doch noch nicht das eigen- 
tümlichste von Grabbes dichterischen Erzeugnissen. Man wird 
sie am besten als dramatische Biographien ansehen, deren 
Form in der Mitte stecken geblieben ist auf dem Weg zu 
etwas Neuem, Originellem, das ihm noch nicht klar genug vor 
der Seele steht Das Werk ist nicht aus einem Guß, kein aus- 
gesprochenes, selbständiges Milieudrama. Der Dichter schildert 
die Umgebung, läßt die verschiedenen Strömungen hervor- 
treten, aber sie erklären den Helden nicht gleichsam wie eine 
Atmosphäre, die ihn umgibt. Eine organische Einheit zwischen 



- 234 — 

den Taten der Helden und dem Treiben der Massen ist nur bei 
den Szenen des Löwen erreicht. — Neben prachtvoll geprägten 
Bildern von zündender Schlagkraft, neben den funkelnden Ru- 
binen und Feuerblumen einer prunkenden Rhetorik stoßen wir 
auf leere Stellen, die deutlich Vorbilder kopieren, auf ver- 
nachlässigte Satzbildung oder dunkle vage Bilder. Aber wenn 
man mit Neumann, der die Fehler des Grabbeschen Werkes 
sehr scharfsinnig aufgedeckt hat, tadelt, „es sei wie nach einer 
Nacht voll wirrer Träume, das Ganze sei ohne Maß und 
Harmonie, wild überspannt nachlässig", so läßt man doch 
alles Positive aus und zeigt wenig Verständnis für die Natur- 
kraft, die hier schöpferisch tätig ist, für die in kecken Im- 
provisationen sich äußernde, übermütige künstlerische Laune. 

Das Besondere, Eigenartige, Wunderliche suchen wir in 
einzelnen Zügen festzuhalten. Bestimmte Urtypen sind immer 
zu erkennen, die teilweise zur Mitgift des tragischen Dichters 
gehören, die aber in ihrer Übertreibung sich psychologisch 
aus der Natur eines Dekadenten erklären lassen, der sich 
an dem Schicksal rächen will: die Grausamkeitswollust, 
die Schadenfreude. Wieder treffen wir die Kanaille, die grin- 
send das winselnde Opfer kitzelt, ehe sie mordet, — sei es 
nun daß Landolf, bei dem wir übrigens dergleichen nicht 
erwarten, den roten Doktor mit Mixturen nach Art der 
bestialischen Streiche der Schillerschen Räuber kuriert, sei es 
daß Ophamilla wimmert. Der Löwe will sich wärmen am 
Feuer von Bardewiek, der Bischof zerschmettert dem jungen 
Lombarden den Kopf mit den Worten: wie wird dein Bräut- 
chen greinen. Dabei kommt wohl in den Opfern noch eine 
bestialische Wildheit zum Vorschein und der Richter begleitet 
die Handlung mit einem grausamen Scherz. 

Die Bildersprache stellt das Ungeheure neben das Win- 
zige, macht aus dem Elefanten eine Mücke. Ungeheure Um- 
risse schrumpfen plötzlich zusammen, wie ein Epileptiker 
nach seinen Rasereien zusammenbricht. Nach hyperbolischen 
Flügen gelangt die Phantasie zu kleinen Gestalten nach Art 



- 235 — 

von grotesk geformten Tiergestalten — Beatrice vergleicht 
sich mit einer Mücke. Bizarre Züge und Realismen erinnern 
an Shakespeare und wieder an die Neuromantiker etwa der 
Franzosen. So eigenartig die Sprache vielfach modelliert ist, 
und wieviel individuelle Züge sie im einzelnen auch aufweist, 
ein sprachschöpferisches Talent von durchgehend selbst- 
sicherem persönlichen Rhythmus ist Orabbe nicht Charakte- 
ristisch ist, wie er plötzlich den Ton wechseln kann. Schreitet 
die Sprache in dem geregelten Gang eines kräftigen Chro- 
nikenstils, so werden urplötzlich sonderbare Formen, moder- 
ner Aufputz angebracht. Barbarisch rohe Auswüchse muten 
an wie atavistische Rückfälle in die Oothlandsperiode. 
Heinrich VI. kann sich vernehmen lassen: „Neapel lechzend 
wie eine Zunge — Dummheit schleckt es nicht den Trank 
und Fraß." Andre Stellen wirken ganz konventionell oder ent- 
halten unverarbeitete Reflexion. Frau Beatricens Liebesklage 
hebt sich zunächst wenig von einem Opernlibretto ab, daran 
Orabbe ja auch bei den Blondelszenen sich anlehnt, — ein Bild 
verrät dann aber wieder Grabbes Urheberschaft, „das nimmer- 
satte Grab treibt hohnlachend auf geweinte Tränen die Blumen 
hervor." Oft aber zuckt und schmettert es in der Sprache. 
Die Wetterwolke, der blitzende Adler sind die Symbole. Die 
Veit der Gestirne und Meteore sucht die bilderformende Phan- 
tasie immer wieder auf. Gewisse Wendungen kehren wieder, 
man denkt z. B. an Gothland und Marius, wenn die Milch- 
straße mit einer grauen Locke verglichen wird, oder wenn 
es heißt: du lebst, entschuldige dein Dasein. — Heinrich kühlt 
seinen Fieberdurst mit Eis vom Aetna. Er vergleicht die Berge 
mit kahlen Glatzen oder mit schwarzumblätterten Negerhäup- 
tern. Man fühlt sich an den Gothlanddichter erinnert, be- 
sonders auch da, wo ein absichtlicher Abfall aus dem Hohen 
ins Niedrige stattfindet, wo er ein großes Bild mit einer Platt- 
heit zusammenbringt: die Sonne wärmt die Füße, die Kaiser- 
krone wird mit einer Sternschnuppe verglichen. Epigram- 
matische Worte fallen auf, Lakonismen: etwa das „so" als 







- 236 — 

Antwort auf den Bannspruch. Es fehlt nicht an Anachro- 
nismen: die Sachsen sprechen von Walhalla. Heinrich bringt 
gar einen Trinkspruch auf Homer aus, dessen Verse über 
Sicilien Orabbe in seiner Manier zugrunde gelegt hat Mo- 
derne Vorbilder klingen an und allerlei Satire, z. B. auf 
deutsche Kleinstaaterei wird hereingebracht. 

Die realistischen Volksszenen bei Shakespeare und im 
Götz waren vielfach nachgeahmt worden. Mehr Ooethisch 
mutet der Humor in Eichendorfs Enzio an, mehr 
Wirkung Shakespeares ist bei I m m e r m a n n u. a. zu ver- 
spüren. Die Volksszenen gehören mit ihrem kecken Realismus, 
ihrer derben Fälle und erquickenden Frische zu den erfreu- 
lichsten und gesundesten Partien in Orabbes Dramen. Meyen 
hält hier Raupach und Orabbe nebeneinander in folgendem 
Urteil: „Nichts ist lächerlicher als Raupachs Volksszenen, 
hier herrscht durchweg die ganz abstrakte Manier, daß das 
Volk zu gleicher Zeit das ganz Entgegengesetzte will 
und dadurch in seiner ganzen Nichtigkeit erscheine und 
nebenbei komisch wirken soll. Wie anders hat Orabbe 
die sich gegenüberstehenden Massen der Italiener und 
Deutschen zu charakterisieren gewußt! Eine solche Individu- 
alisierung ist oft mehr wert, als eine ganze Raupachsche Tra- 
gödie." Das Grob- Animalische drängt sich vor: Schweine- 
braten und Bier werden nach heimischer Beobachtung heran- 
gezogen, um Charaktereigenschaften zu erklären. Der Schöpfer 
der Leporellofigur hat hier manchen originellen Vergleich ge- 
funden: die Italiener stehen in Parallele mit den Juden, der 
Vesuv mit einem Topf voll heißen Wassers, der Kaiser mit 
dem gestrengen Bärgermeister und sein Lächeln mit den Fun- 
ken, die in einen Topf voll heißen Wassers fallen — skurrile 
Einfälle, wie sie in der Kneiplaune kommen mochten. 

Der Romantiker zeigt seine Vorliebe für das Pittoreske, 
Grauenhaft-Groteske. Die Charakteristik neigt zur Karrika- 
tur. Er sieht unter den Individuen mit Vorliebe Mißgeburten 
und Krüppel. Andrerseits aber haben wir auch als den Gegen- 



- 237 — 

satz dazu durchaus edle Charaktere wie Tancred. Die An- 
lehnung an die Romantik erscheint auch in den Requisiten, 
die zur Schilderung des Volkstümlichen verwandt werden, 
z. B. in dem schreienden Käuzlein, der wilden Jagd. Die 
übernatürliche Welt dringt ins wirkliche Leben, der Schleier 
der Zukunft lüftet sich. Aber viel Glück hat Orabbe nicht, 
wenn er dämmernde Gefühlswelten heben will. Dazu ist 
er zu klar und zu schroff. Das Erscheinen der weißen Dame 
— Boieldieus Oper ging gerade mit großer Wirkung über die 
Bretter — ist ziemlich sinnlos: über das Jenseits weiß sie 
nichts Rechtes zu sagen und ihre Prophezeiung ist teils be- 
kannt, teils verdirbt sie die Wirkung. Prophezeiungen post 
eventum sind ein minderwertiges Mittel, aber Orabbe hat es 
keineswegs verschmäht. Wie bei Caroline Pichler der 
Kaiser von der Zukunft Habsburgs träumt, wenn Hohen- 
staufen zerfällt, so erhofft Orabbe eine aktuelle Wirkung, 
wenn er den Aufgang des Hohenzollernhauses vorhersagen 
läßt. 

Das Milieu reizte den Historiker, der in epischer Schil- 
derung ein Zeitbild entwirft. Gerade diese Vermischung der 
verschiedensten Kulturen, dieses Auftauchen neuer Welten und 
das Absterben alternder Völker war für den Dichter schon 
im Marius und Sulla verlockend, der von jeglicher Literatur- 
gattang in seiner reichen Belesenheit Früchte abborgt Er 
sucht den Reiz eines ebenso schönen wie verräterischen Landes, 
wo die Schlangen hinter den Blumen lauern, zu versinnbild- 
lichen, er kennt die neuaufblühende orientalische Poesie und 
weckt sie mit ihrem fremdartigen Duft, ihren exotischen 
Weisen. Am meisten Eigenes aber gibt er, wenn uns wieder 
die Poesie der Sachsenerde und der heimatlichen Scholle wür- 
zige Kraft umhaucht. Es ist eine von den großen Antithesen, 
die an die in „Don Juan und Faust* 4 anklingt. Malerische 
Wirkungen und Impressionen fließen Grabbe zu und aus ihnen 
keimt oft eine ganze Szene. 



— 238 - 

Selten kommen mehr als zwei Parteien zu Wort. Am 
meisten Monologe, die übrigens poetisch und formell mit die 
am besten gearbeiteten Stücke sind, werden dem Löwen zu- 
geteilt, der dreimal seinen Verrat rechtfertigt. Aber auch die 
Kaiser lassen sich oft in ihren Gedankengängen durch keine 
Einwürfe stören. Lieder sind eingestreut. Merkwürdig ist, 
wie die verschiedenen kontrastierenden Gruppen zusammen- 
geschoben und verbunden werden. Zweimal hat Grabbe die 
S c h 1 a c h t für die Bühne zu gewinnen gesucht. Einmal die 
Schlacht von Legnano: der Schauplatz wechselt und wir sind 
einmal im Lager der Kaiserlichen, sodann bei den Lombarden 
— die eigentliche Schlacht wickelt sich hinter der Szene ab; 
wir sehn nacheinander verschiedene Truppen anrücken. 
In der Weserschlacht haben wir zuerst das kaiserliche Heer 
vor uns: ein kurzer Dialog — Kämpfe hinter der Szene — ein 
Einzelkampf als Beispiel — verschiedene Truppenteile rücken 
vor, wie in der ersten Schlachtschilderung. Wieder werden 
wir dann in ein andres Lager versetzt: als beliebte Eröffnung 
dient ein Dialog zwischen Landolf und dem Löwen. Während 
nun das Heer hinter der Szene kämpft, haben wir nicht nur 
persönliches Eingreifen der Führer wie in Marius und Sulla, 
sondern als ein neues Kunstmittel und zwar mehrfach den 
Zweikampf verwandt. Heinrich fällt nacheinander Österreich, 
Polen und Böhmen, bis er in Barbarossa seinen Meister findet. 
Diese Zweikämpfe erinnern mehr an Homer, als daß sie der 
mittelalterlichen Historie entsprächen. Sie sind für den Drama- 
tiker ein beliebtes und willkommenes Mittel als sichtbarster und 
sinnfälligster Ausdruck der sich messenden feindlichen Kräfte, 
und offenbar spielt die Rücksicht auf die Bühne hier eine 
Rolle. — Merkwürdig ist der Wechsel von Poesie und Prosa. 
Mehr System als in Barbarossa ist in Heinrich, aber die Konse- 
quenz grenzt hier doch zuweilen ans Wunderliche. Die höhe- 
ren Personen reden in Jamben, die niedern in Prosa — Löwen- 
herz redet allein Verse, während alle übrigen Personen in 
derselben Szene sich in Prosa ausdrücken. — Der deutsche 



5 









Hauptmann flacht Prosa, wahrend der Saracaie in Reimen 
sich ergießt. 

Die Szenen entwickeln sich gewöhnlich so, daß zu- 
siehst zwei Personen sich unterhalten. Es tritt eine neue 
hinzu und dann noch eine, das anfängliche Thema wird 
in ein neues übergeführt und versiegt Gern wendet 
der Dichter vorbereitende Charakteristik an. Ehe der 
Kaiser auf dem Hagenauer Reichstag erscheint, wird er von 
Thüringen und Mainz geschildert Vor der Ankunft des 
Löwen reden zunächst Männer aus dem Volk von ihm, wo- 
bei Christoph die Oberstimme hat, dann erscheinen die Her- 
zoge Borgholt und Borvin, der Löwe tritt im Gespräch mit 
seinem Sohn auf, Volk und Herzog kommen in Kontakt und die 
Menge drückt ihre Empfindungen im Chor aus, der überhaupt 
gern in Volksszenen angewendet wird. 

Die Schwierigkeiten, die einer Aufführung der Hohen- 
staufen entgegenstehen, haben sich keineswegs als unüberwind- 
lich gezeigt Schwerin hat sich um die Aufführung beider 
Dramen verdient gemacht Barbarossa, der auch ins Schwedische 
übertragen worden ist, erlebte zu Stuttgart und nament- 
lich auch in Berlin erfolgreiche Aufführungen. Heinrich VI. 
ward in Mannheim und neuerdings auch in Leipzig 
zur Darstellung gebracht Gadebusch schrieb damals 
(August 1904) in den Leipziger Neuesten Nachrichten: „Allent- 
halben empfindet man, daß Grabbe, und zwar ganz besonders 
in der Charakterzeichnung, nach Wahrheit sucht und dieses 
Streben ist es wohl vor allem gewesen, das ihn die Geschlossen- 
heit der dramatischen Handlung vernachlässigen ließ. . . . Hat 
sich der Vorhang gesenkt, so fühlt man sich eingelebt in Kaiser 
Heinrichs Zeit und man hat den seltsamen Mann verstehen 
gelernt . . . Der große Erfolg der Aufführung und der ein- 
hellige Beifall zeigten am besten, daß die Bearbeitung (von 
Karl Siegen) in den besten Händen gewesen war." 



VII. Kapitel 



Orabbes politische Ansichten — Napoleon — 

Kosciuszko 

„Außer eigennützigen Zwecken hat Napoleon schon als 
Korse, ab Halbfranzose nie geahnt, wohin er eigentlich strebte. 
— Er ist kleiner als die Revolution, und im Gründe ist er nur 
das Fähnlein an deren Mäste — , nicht Er, die Revolution lebt 
noch in Europa." 

Orabbe an KettembeÜ. 14. VH. 1830. 

„Übrigens ist auch das Drama nicht an die Bretter ge- 
bunden, — der geniale Schauspieler wirkt durch etwas ganz 
Anderes als der Dichter, und das rechte Theater des Dichters ist 
doch — die Phantasie des Lesen." 

Orabbe an Wolfgang Menzel. 15. L 1836. 

Man hat Grabbes Hohenstaufen einen reckenhaften Protest 
wider das faule Stilleben der Restauration genannt. Das Zeit- 
alter der Restauration beginnt 1814 und schließt 1830. Mit 
Wolf gang Menzel charakterisieren wir noch einmal kurz: Der 
Friede belebte die Kunst nicht zu neuer Blüte, vielmehr er- 
kennt man aus Roheit und Unselbständigkeit die Symptome 
der Decadence, die urdeutsche Stimmung wird fiberschattet 
von englischen und französischen Einflüssen, aber als wich- 
tigste Errungenschaft darf doch gelten, daß ein höherer Ge- 
meinsinn die Schranken eines engherzigen Spießbürgertums 
durchbrach, und ein großer Stoff ward zugeführt durch die 
Historie. Die Wirkung war eine doppelte: der Menschheit 
hohe Gegenstände lösten den Sinn aus seiner Befangenheit in 
Familieninteressen, und andererseits verflüchtigte sich schön- 



— 241 — 

geistige Phantasterei mit dem Gefühl für Erfahrung und Wirk- 
lichkeit. 

Orabbe hat die Zeichen seiner Zeit sicher richtig gedeutet. 
Er hat die Hohenstaufen aufgegeben, als die Wirklichkeit wie- 
der dramatisch wurde und damals die Romantik erst völlig 
fiberwunden. Freilich fand er die Zeit mehr toll als groß, 
die konstitutionellen Schranken imponieren ihm auch nicht, 
er sehnte sich nach Krieg und nach Kraft. Heine schaute zu 
Napoleon auf: jeder Zoll ein Gott Er sang anfangs 1830: 
„O laßt mich nicht ersticken hier, in dieser engen Krämerwelt 
— o daß ich große Laster sah', Verbrechen blutig kolossal, 
nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral." 

Von neuem wandte sich der Blick auf Frankreich, den 
Herd der Freiheit: die Kapuzen verschwanden, der hoch- 
fahrende Adel zog sich zurück, das Bürgertum bemächtigte 
sich des Staates*. Seit 1824 regierte der frömmelnde Karl X. 
in Frankreich, 1829 trat Fürst Polignac an die Spitze eines 
gegen die Revolution gerichteten Ministeriums, im Mai wurde 
die Kammer aufgelöst, aber auch die Neuwahlen brachten der 
Regierung keine Mehrheit. Karl X. gab seine Ordonnanzen. 
Sie übten eine merkwürdige Wirkung auf Orabbe aus: 
selbigen Tages fuhr ihm die Oicht aus dem Gebein. 
Dann kamen die Weltereignisse gleich „geschmolzenen 
Oletschern". Karl X. ward gestürzt, und als ob sich 
Orabbes Prophezeiung im Napoleon erfüllen sollte, Or- 
leans ward König. Die Wellen der Revolution wirkten nach 
außen. Belgien wurde frei. In den deutschen Kleinstaaten 
regte sich der revolutionäre Oeist in Verfassungskämpfen; so 
brach in Braunschweig eine Revolution aus. Der Auditeur 
hatte alle Hände voll zu tun, als das Lippesche Bataillon mobil 
gemacht wurde, um nach Luxemburg zu marschieren. War 
nun das ersehnte große Ereignis für Orabbe eingetreten? Er 
sucht sich einen eigenartigen objektiven und individualistischen 
Standpunkt zu wahren, ohne aber über zwei in seiner Brust 
sich bekämpfende Prinzipien zu einer dauernden Synthese zu 

Nieten. Chr. D. Orabbe. 16 



I - 242 — 

( gelangen. „Freiheit, gut — Verlockend schön — Die Völker 
erheben sich — Doch nie sind Gott und Mensch und Welt des 
Glückes wert, — Solange keiner sich selbst bekehrt" — „besser 
tot als erwachen, Solang ich selbst nicht besser bin Als Bar- 
barossa." So Barbarossa im Kyffhäuser und so 
Grabbe in seinen Briefen. „Ich liebe Despotie eines einzelnen, 
nicht vieler." Soviel behält er also von seinem übermenschlichen 
Individualismus, daß er Freiheit nur dem Einzelnen zugestehen 
will. Er spottet über die Revolutionsraserei, die Heine und 
Börne billige publizistische Erfolge einbringen. Das Harn- 
bacher Fest findet er albern und Rotteck jammervoll. Die 
großen Staatsrevolutionen helfen nichts — jeder soll sich selbst 
reformieren — das ist Tugend und Genie. Also spricht Grabbe* 
der Eigenmensch und Historiograph der Revolutionen. Das 
klingt merkwürdig abgeklärt, als ob er die Tollheiten der 
Jugend überwunden hätte. So dachte in der Wendezeit seines 
Lebens der Dichter des „Napoleon". 

Man kann Napoleon vielleicht als einen Mitschöpfer der 
Schicksalstragödie bezeichnen. Werners Attila, Müllners Yn- 
gurd, Kestners Sulla wären ohne ihn wohl nicht vorhanden. 
Lieder von Heine, Qaudy, Zedlitz tönten seine Größe. Im 
deutschen Drama großen Stils war Grabbe der erste; die 
wenigen Vorläufer beeinträchtigen seine Selbständigkeit nicht. 
Gäthgens zu Ysentorff zählt 45 Dramen über Napo- 
leon auf und zwar nach 5 Abteilungen: Spott- und Tendenz- 
dramen, — Liebesdramen, r— St. Helenadramen — dramatisierte 
Geschichte (der größte Wurf ist Grabbes Drama) — Episoden- 
dramen. Zwar fand Grabbe schon eine riesenhafte Litteratur 
über Napoleon vor. Kotzebues Satiren haben ihn nicht weiter 
beeinflußt, ebensowenig Rückerts Allegorien (Napoleon und 
der Drache — Napoleon und Fortuna). Chamisso dichtete 
nach Manzoni eine Szene „Napoleons Tod". . „Der schöne 
Bund" ist der Titel eines Dramas von Coßmann; eine Episode 
„der kleine Korporal" erzählt: Napoleon besucht Brienne, wo 
er einer guten Pächtersfrau ein Paar Sous schuldig blieb, be- 



- 243 - 

glückt eine liebende Braut und einen alten ägyptischen Inva- 
liden. — 1830 beherrschte Napoleon alle Theater von Paris. 
Jeden Abend konnte man im cirque olympique oder im Vaude- 
ville Napoleon auf der Bühne sehn: „der graue Überrock", 
„der Artillerieunterleutnant", „der kleine Korporal", „Schön- 
brunn", „St. Helena" — in solchen Dramen erschien Napo- 
leon in sentimentaler Beleuchtung als Verratener. Auch in 
London wurden 1830 fünf Napoleondramen aufgeführt. 

Am wichtigsten ist ein Vergleich mit dem Napoleon- 
drama von Dumas, das 1831 auch durch eine deutsche Ober- 
setzung von Haupt bekannt wurde. Dumas baute sein Drama 
in 6 Abteilungen und in 19 losen künstlich dialogisierten Bildern 
auf: Napoleon in Toulon — Napoleon als Kaiser — Sieges- 
zug von Dresden nach Moskau und bis zur Beresina — 
Kämpfe in Frankreich bis zur Abdankung in Fontainebleau 
— die Ereignisse des Jahres 1815, die damit schließen, daß 
Napoleon in den Tuileriecn eintritt: die 5 Szenen spielen im 
Kriegsministerium, auf Elba, im Salon des Faubourg St. Ger- 
main, auf dem Schiffsverdeck (Napoleon im Gespräch mit 
Bertrand und dem Lothringer) , endlich in den Tuilerieen. Der 
sechste und letzte Teil zeigt Napoleon auf St Helena und sein 
Ende in 2 Bildern. Einige von diesen Szenen finden wir im 
Guckkasten am Anfang des Napoleon wieder, der an Figuren- 
reichtum den Jahrmarkt von St Cloud übertrifft. Ober 130 
Personen hat Grabbe, hier Dumas nachahmend, auf die Bühne 
gestellt. Grabbe dringt in die Tiefe zu den treibenden Kräften, 
aber Dumas gibt nur malerische Augenweide. — Ungeheuer 
ausgebreitet war auch die Prosaliteratur über Napoleon, die 
literarischen Blätter bringen Hinweise und Auszüge: wir 
nennen nur Lascasa, Autommarchi; sogar das Leibroß 
Vezir erzählt seine Erinnerungen, Segur beschrieb das Jahr 
1813. Besonders der 3. Akt und die Schlachtenschilderungen 
zeigen Spuren der Lektüre der Erinnerungen des Sekretärs 
Chaboulon und von Venturinis Chronik. Lux hatte die Me- 
moiren Robespierres herausgegeben und seinen Helden in 

16* 



— 244 - 

einem milderen Lichte gezeigt, das bei Grabbe nachstrahlt. 
Ober 130 Personen hat Grabbe, hier Dumas nachahmend, 
auf die Bühne gestellt 

In den Jahren 1827—1830 ist Grabbe in fieberhafter Tätig- 
keit August 1828 ist „Don Juaq und Faust fertig. Von den 
Hohenstaufen, November 1827 begonnen, wird Barbarossa im 
April, Heinrich VI. im Dezember 1829 vollendet Unterdessen 
arbeitet er bereits an Napoleon, der „mitten unter Alimentations- 
klagen, Schusterforderungen an Soldaten, Beerdigungen, Unter- 
suchungen, Wein und Tee mit Rum, und zwar teilweise 
auf in Eile von Aktenstücken abgerissenen unbeschrie- 
benen Fetzen niedergeschrieben wird". (11. II. 1835.) Es ist 
besonders beim Napoleon zu bedauern, daß wir nicht näher 
über die allmähliche Entfaltung des Planes, über die ursprüng- 
liche Anlage, aber die verschiedenen Umarbeitungen und Um- 
wälzungen in des Dichters Oeist unterrichtet sind. Von An- 
fang an waren die 100 Tage und Schlachtszenen vorgenommen, 
seine Schätzung Napoleons schwankt. Die Ideen über die 

Revolution kamen ihm später und besonders noch nach der 
Julirevolution, und so tritt eine derartige Umwandlung auf, daß 

Grabbe zuletzt schreibt: Napoleon bindet sich als Drama an 
nichts. Wir bringen die wichtigsten Daten nach den Briefen. 
Dezember 1829 leiht er sich Fleury de Chaboulon und Ven- 
turinis Chronik, dann bringt der Armbruch im Januar eine 
Unterbrechung, Februar ist er bei den Schlachtszenen, alle 
seine Ideen über die Revolution will er hineinbringen — und bis 
Juli gedenkt er fertig zu sein. Wie Schiller im „Wallenstein" 
will er Prosa und zwar eine lutherische, kräftig bib- 
lische. Denn der Jambus paßt nicht für die Artillerietrains, 
die kongrevischen Raketen u. a. Dann bricht die Revolution aus. 
Im Abschreiben schwillt der Stoff auf, das Stück wird er- 
weitert z. B. durch die Szene der freiwilligen Jäger und die 
Schlacht bei Ligny. Dabei taucht schon der Plan eines Robes- 
pierre auf. Merkwürdige Schwierigkeiten lagen darin, daß 
Rücksichten auf Österreich genommen werden mußten (österrei- 



- 245 - 

chische Mätresse) , und daß Preußen die Inserierung verbot. Am 
29. Januar betont Orabbe in seiner Vorrede, daß er bereits 
vor der Julirevolution fertig geworden sei und März 1831 er- 
scheint die Ankündigung des Verlegers. 

Daß Orabbe gerade das Abenteuer der 100 Tage wählte, 
ist unbedingt bedeutungsvoll. In jener Episode erlosch der 
Stern des sinkenden Imperators, es ist also der tragischste Mo- 
ment, und sodann erscheint die Zeit fast wie eine von der 
Wirklichkeit losgelöste Phantasmagorie, die durch einen echt 
romantischen Gegensatz wirkt: wie „ein Oespensterzug am 
hellen Mittag" zieht die große Armee vorüber. 

Das Drama zerbricht in zwei Teile. Das Volk ist mit 
sieben Szenen der Held der ersten drei Akte, in denen dem 
königlichen Hof nur drei und Napoleon nur zwei Szenen 
zufallen. Es folgen zwei retardierende Szenen und sodann 
das Schlachtendrama von Ligny und Waterloo. 

Daß der 1. Teil mannigfacher Umarbeitung erlag, können 
wir mit Gewißheit vermuten. Auf breite Unterlage stellt 
Grabbe die beiden Gegenspieler: den König und den ent- 
thronten Kaiser. Er hält sich keineswegs an die Episode der 
100 Tage, sondern er setzt sich mit phantastischen Sprüngen 
über die Wirklichkeit, deren Sinn er doch ausdeutet, hinweg. 
In kühner Konzeption macht Grabbe von der poetischen Lizenz 
so weitgehenden Gebrauch, daß er Reflexe der ganzen großen 
Zeit, der großen Revolution und der Juliereignisse hereinbringt. 
Raum und Zeit setzen keine Grenzen, und so komponiert er 
eine welthistorische Symphonie, in der, was sich nie und nir- 
gends begeben, verschmolzen wird mit wirklichen Gescheh- 
nissen, die zeitlich ganz auseinanderliegen. Die Revolution ist 
Mutterschoß und Urgrund — das ist das Leitmotiv. 

Grabbe greift keck hinein ins volle Menschenleben; er 
führt uns unter die Arkaden des Palais Royal, vor die Tuile- 
rieen, auf den Grfcveplatz, auf das Marsfeld, in den Jardin 
des plantes. Mit derben realistischen Zügen erscheinen die 
beiden Grenadiere aus Heines Ballade wieder, V i t r y und 



— 246 - 

Chassecaur, und als ihr Gegenbild zwei alte Emigranten 
und Royalisten. Am Anfang des Stückes baut sich die Schil- 
derung auf Antithesen und Parallelen auf. Im Palais wird 
gespielt — damit ist die Anknüpfung an den großen Spieler 
Napoleon gegeben. Wenn der Menageriebesitzer den Ausrufer 
des Wachsfigurenkabinetts satirisch ergänzt, so ist uns dieses 
Kontrastmittel bekannt aus den Unterredungen Don Juans mit 
Leporello oder mit der Polizei. Ein äußeres Requisit, ein 
Tisch, bildet einen guten Behelf, die äußere Handlung in Ab- 
lauf zu bringen: hier stand Camille Desmoulins in der Geburts- 
stunde der Revolution und hier wird die neueste reaktionäre 
Maßregel verkündet. Bei schärferer Prüfung macht man die 
Entdeckung, daß hier eine Szene aus dem geplanten Revolu- 
tionsdrama zugrunde liegt, und unter der Übermalung erkennt 
man die Darstellung des Baatillesturmes, wobei verwunderlich 
wirkt, wie der Dichter parallele Züge zu verwenden weiß. Diese 
Zusammenschiebung ist eins der charakteristischsten Merkmale 
in Grabbes Technik. Grabbe verlegt aber nicht nur in diesen 
Moment Ereignisse kurz vor der Julirevolution, er sieht sogar 
voraus, was noch nicht eingetreten war: er führt den Sohn Phi- 
lippe E g a 1 i 1 6 s als Friedensstifter ein und läßt ihn als 
künftigen König von Frankreich begrüßen. Allerdings trug der 
spätere König Louis Philippe immer den Titel Königliche 
Hoheit, und wieder muß man die Ereignisse beim Bastille- 
sturm zum Vergleich heranziehen, um Grabbes Propheten- 
gabe zu würdigen. — Ein beißendes Pasquill zeigt in der fol- 
genden Szene das Bild des Königs im Spiegel byzantinisch 
verzückter Royalisten und gesund abwägender Bourgeois. Üb- 
rigens trifft diese Momentaufnahme richtiger Karl X. als Lud- 
wig XVIII. Derartige Skizzen begegnen jetzt häufiger in 
der Technik des Dichters, meist auf Kontrastwirkung be- 
ruhend. So durchblitzt er ein Genrebild mit welthistorischen 
Reflexen in der Liebesszene zwischen dem bonapartistischem 
Geliebten und der royalistischen Gärtnersnichte. Ein Geist 
der Unruhe herrscht, der Angst vor dem Ausbruch eines Vul- 



— 247 — 

kans vergleichbar — gerade dann aber wird der Franzose 
erat recht leichtsinnig und frivol. 

Höchst eigenmächtig springt Orabbe mit den historischen 
Tataachen um, außerordentlich kühn ist seine Kombination: 
die keimende Sehnsucht nach Napoleon und die schwule Stim- 
mung vor dem ausbrechenden Revolutionsgewitter fließen in 
einander über. Napoleon gebändigt durch die Konstitution, 
den Volkswillen, also die gemäßigte Revolution — das ist das 
Programm Carnots und Fouch6s; darin birgt sich nicht 
nur eine historische Einsicht des Dichters, sondern eine noch 
viel eingreifendere Änderung in seinen Lebensanschauungen. 
Dieser Konflikt umschließt als der umfas- 
sendere den untergeordneten, den zwischen 
dem Korsen und dem schwachen Bourbonen. 
Nur so ist das Auftreten des echten, brutalen Revo- 
lutionsmannes Jouve motiviert, der sonst wie die ganze 
Revolutionsszene in das geplante Drama „Robespierre" hinein- 
gehört. Zwei brillante Figuren sind hier Orabbe gelungen. Da 
i$t die pittoreske Figur des Schneiders, bei der man an V. Hugo 
denken möchte, der listig-kurzsichtig die Welt nach den Schnei- 
dermoden beurteilt Zuletzt winselt der konvulsivische Wurm 
um sein Leben. Die nie fehlende teuflische Grausamkeit als 
Urinstinkt der Menschheit im Naturzustand erfüllt diesmal 
die Revolutionsszene. Jouve, der furchtbare Tribun der 
Gassen (man denkt an Büchners Danton) , beherrscht mit seiner 
Bestie von Pöbel die Situation, bis Napoleon kommt Aber ihm 
imponiert auch der gewaltige Korse nicht: dauernd ist nur die 
Masse, Napoleon ist ein Komödiant, der ein Weilchen unter- 
hält und dann verschwindet Wenn wir Jouves Wort: „was 
sollte ein elendes, der Verwesung entgegentaumelndes Ge- 
wimmel wie dieser Haufen Erdentiefen oder Sternenhöhen cm* 
pören" neben die letzten Worte Napoleons stellen, dann hat 
man Grabbes letzte nihilistische Weisheit und man vernimmt 
den verneinenden Geist aus der Tiefe. Es klingt wie eine 
Prophezeiung auf die Anarchisten, die stärker sind als die 



— 248 — • 

Despoten, wie die zerstörenden Mächte über die aufbauenden 
triumphieren. Einen .Vertreter derartiger chaotischer An- 
sichten vermag Orabbe in einer Art Kongenialität nachzu- 
schauen. Der Kritiker der literarischen Blätter, der Orabbes 
Heinrich VI. mit seinen Tintenstichen tötete, sagt von Jouve: 
wir kennen seit Mephistopheles humoristischen Angedenkens 
nichts Ahnliches von objektivem Humor. Diese Revolutions- 
szene, die übrigens ein Gegenstück in Marius und Sulla findet, 
soll durch den allgemeinen Gedanken der Zeitstimmung an- 
nehmbar gemacht werden. Pöbel — Konstitution — oder Despot 
sind die drei Tendenzen. Die wirkenden und treibenden histori- 
schen Kräfte ringen widereinander. Die Revolution als chao- 
tische Anarchie und als in der Vernunft der Verfassung ge- 
bändigte Freiheit treten in Erscheinung, und man fragt sich, 
wie ein starker Einzelmensoh wie Napoleon hier eingeordnet 
werden kann. — Es fehlt nicht an Anachronismen, über die 
der unmittelbare Eindruck indeß häufig hinwegtäuscht Die 
konstitutionelle Verfassung erinnert mehr an die Charte Lud- 
wigs XVIII. als an Napoleon, die Jesuitenherrschaft wird in 
der 3. Szene verlangt und ist in der vorhergehenden doch 
schon vorhanden. 

Die geschichtliche Quelle ist öfters nicht zu verkennen. 
Venturini sagt: mit der neuen Ordnung der Dinge waren höch- 
stens einige Tausend alte Adlige, Mönche und Pfaffen zufrie- 
den. — Der König floh in der Nacht 19.— 20. März, weil er 
wußte, daß nicht ein einziges Regiment für ihn fechten würde. 
„Die Schneiderfinger als Zigarren der Nation" sollen historisch 
sein, mit einer Äußerung Vitrys vergleiche man die Worte 
bei Venturini: „das ist also das Veilchen, das endlich gekommen 
ist" — In dem König fließen historische Züge aus Lud- 
wig XVIII. und Karl X. zusammen. Karl X. war bigott und 
alt, als er auf den Thron kam, Ludwig war freigeistig ge- 
mäßigt. Er ist bei Grabbe persönlich wohlmeinend, aber 
ganz in der Gewalt seiner Hofschranzen, denen nur die Eti- 
kette heilig ist. Monsieur ist in der entscheidenden Stunde 



— 249 - 

auf der Jagd. Das Verlangen nach Jesuiten kommt von der 
aus geschichtlichen Memoiren heraus urbildlich gestalteten 
Angouleme, der einzigen starken Seele dieses Kreises; „sie 
ist die einzige Bourbonin, die verdiente Hosen anzuhaben," 
sagt Orabbe von ihr. Mächtig hallen die Erinnerungen der 
Revolution in ihr nach, in der sie ihre Zuflucht in der Frömmig- 
keit fand; sie findet hier einen feinen und tiefen Ausdruck 
für das schlechtsinnige Abhängigkeitgefühl; da sie gelernt 
hat, „auf Gott zu vertrauen, als die letzten Sterne sanken, 
als im unermeßlichen Dunkel nichts mehr zu fahlen war, als 
das Zittern des eignen kleinen Herzens". Sie haßt sogar 
die neue Zeit in der Poesie. Sie durchschaut den Korsen in 
seiner Gemeinheit, aber auch in seiner Furchtbarkeit In ihr 
ist etwas von dem Geist einer Lady Macbeth und einer 
Gräfin Terzky. Und einer Kassandra gleich ertönt ihre Stimme 
gewaltig: Waffen — Waffen I — So ist die Stimmung: der 
König übersetzt den Horaz, Monsieur geht auf die Jagd, die 
Angouleme betet, Berry liebt die Damen und das Volk ärgert 
sieh, daß Pfaffen, Betschwestern und emigrierte Edelleute es 
beherrschen sollen — und denkt an Napoleon. 

Napoleon auf Elba — Napoleon in den Tuilerieen — Na- 
poleon in Wahrheit überall: in der glühenden Liebe Vitrys 
und Chassecoeurs — sein Riesenschatten die Folie, auf der 
Ludwig mit seinem Podagra so lächerlich erscheint, Napoleon 
im Gesicht der Frommen, als Ehestifter, förmlich durch die 
Kraft der Sehnsucht herbeigezaubert. Wahre Ebenbürtigkeit 
bietet sich nur in der Idee der Freiheit, der Revolution, wie sie 
verkörpert ist in der Angouleme, in Jouve, in Fouche und Car- 
not Diese Vorbereitung ist vortrefflich, aber der erste Teil ist 
doppeldeutig. Angeblich wird ein Querschnitt gemacht durch 
die Zeitströmungen während der Verbannung Napoleons, in 
Wahrheit aber wird viel eher die Stimmung getroffen, die in 
Frankreich herrschte, als Napoleon in Ägypten seine Unent- 
behrlichkdt bewies, als er nach seiner Rückkehr die unfähigen 
Direktoren beiseite drängte und das Chaos der Revolution zu 



— 250 - 

einem Organismus gestaltete, und diese Entwicklung der Re- 
volution ist von dem Bastillesturm über die Rasereien des 
souveränen Volkes fast stufenweise geschildert 

Die dichterische Darstellung ist nun, da Napoleon selbst 
auftritt, weniger glücklich. Es wird vornehmlich das Mittel 
des selbstcharakterisierenden Monologes angewandt Wider- 
sprüche treten auf. Aber doch läßt uns der Dichter Tief- 
blicke tun in die Tragik der Seele Napoleons. 

Napoleon erscheint auf Elba wie bei Dumas: der Loth- 
ringer ist der Zeltsympathie entsprechend ein Pole gewor- 
den. Ein stimmungsvoller malerischer Moment und eine gute 
Anknüpfung werden als Ausgang benutzt: das Meer brandet 
zu seinen Füßen und mit dem Polen schweifen seine Gedanken 
zur Heimat Die ganze Situation und Ideenwelt paßt besser 
zu St Helena und man glaubt ein Kapitel aus Lascasa zu 
lesen, wenn Napoleon sich rechtfertigt, aber andrerseits paßt 
es wieder nur auf eine frühere Zeit, wenn Napoleon Europa, den 
kindischgewordenen Greis, züchtigen will. In übermenschlichem 
Selbstbewußtsein fühlt er sich als Boten der Vorsehung. Aber 
größenwahnsinnige Ideen verwirren sich mit der klaren Ver- 
nunft Wie der Obermensch im „Sklavenaufstand in der Moral", 
so schiebt er seinen Sturz auf die Gewalt der Elenden und Seihwa- 
chen. Dann aber soll ihn wieder nur das Schicksal gefällt haben. 
Das große allgemeine Schicksal und Napoleons persönliches 
Schicksal wollen sich doch nicht ganz decken. Der Wider- 
spruch beruht auf der veränderten Auffassung des Dichters. Auf 
Messersschneide schwankt die Entscheidung zwischen Freiheit 
und Notwendigkeit, Heroenkultus und Revolutionsgeist, Natio- 
nalgefühl und Napoleon-Verehrung. Napoleon hat die Revo- 
lution gebändigt, aber die Welt, das elende und schlechte Scheu- 
sal, will das nicht anerkennen. Er klagt über die Undank- 
barkeit nicht etwa nur Augereaus und Marmonts — son- 
dern Preußens und Österreichs. Einige Stilproben seiner an 
Zynismen und Hyperbeln reichen Rede mögen Grabbes Dar- 
stellungsweise charakterisieren: Elba ist ein bischen Dreck 



— 25! - 

(eine für das ganze Drama charakteristische Wendung). — 
Österreich zuckte wie ein Wurm in seiner Hand — die Fürsten 
sind Amphibien — Murat und Bernadotte sind unadlige, von 
seiner Größe ausgebrütete Fliegen — aber er, er ist die 
Geißel des Schicksals — Prometheus auf dem Felsen — ja 
er ist Christus am Kreuz, dessen Mantel verlost wird (auf 
dem Wiener Kongreß). Hier ist die Vergötterung fanatisch- 
ster Apostel in eigenen Cäsarenwahnsinn umgesetzt. Napo- 
leon erinnert an Heinrich .VI., zumal wenn er Amphitrite 
seine Geliebte nennt Napoleons Charakteristik wird eigent- 
lich erschöpft in Monologen und der Spion, der freilich kaum 
motivieren kann, daß der bereite Napoleon gerade jetzt auf- 
bricht, hat in erster Reihe die Bedeutung, Napoleon zum Reden 
zu bringen. — Auch in den Tuilerien kann die kurze Frage 
nach Bertrands Frau uns keinen Dialog vortäuschen. Vorher 
war ein Tisch das historische Requisit, jetzt bieten Bücher 
und Rollstuhl Anknüpfungspunkte; Telegramme, in denen die 
Ereignisse ungeheuer zusammengedrängt werden, sollen seine 
rasche Energie und seinen Scharfblick beweisen. Die legitimen 
Mächte hat er vorher des Undanks geziehn. Jetzt, da sie ihn 
ächten, beschuldigt er sie, die Teiler Polens, der Heuchelei, 
die dem Starken schlimmer däucht als Gewalttat. Bisher hat 
er sich als Bändiger und Sohn der Revolution gefühlt — das 
war die schicksalsmäßige Idee und Aufgabe. Aber was hat 
sein erneutes Auftauchen für einen Zweck? Welche Rolle hat 
ihm das Schicksal nun noch zugewiesen? Hier ist der Bruch: 
steht er wirklich im Dienste des Fortschrittes der Zivilisation 
oder ist die Despotie das Höchste? Ist es Wahn oder Inkon- 
sequenz? Er behauptet zwar, sein Stern solle jetzt freundlicher 
leuchten als der Komet des Erderoberers, aber er kommt 
nur ungern Foucht und Carnot, den Repräsentanten der über 
Napoleon hinwegschreitenden Zeitidee, entgegen durch eine 
liberale Verfassung mit Beseitigung von Feudalismus und 
Pfaffentum, und er hat keine Lust, das „Fiasko des wohlmeinen- 
den Advokaten von Arras" zu erleben. Andererseits durch- 



— 252 — 

schaut Hortense ihn und seine persönliche Eitelkeit, wie sich 
Selbstbetrug und böser Wille verketten, besser. Übrigens hat 
Grabbe den Gedanken, Napoleon der liberalen Idee unter- 
zuordnen, nicht weiter ausgeführt und Foucht und Carnot 
verschwinden spurlos. Die Frage bleibt in der Schwebe, ob Na- 
poleon darin gehindert wird, der Menscheit das Heil zu brin- 
gen, ob er das tragische Schicksal erlebt, gerade jetzt gefällt 
zu werden, da er nach dem negativen Teil seiner Aufgabe zum 
positiven Aufbau schreiten will. Es ist ein gewaltiger Konflikt 
von tiefster tragischer Wirkung, der aber doch über dem. 
innern Selbstbewußtsein des Korsen nicht zur äußern Er- 
scheinung und damit zu dramatischer Gestaltung gelangt Da- 
für setzt eine neue Gedankenverbindung ein: Napoleon muß wie 
Wallenstein handeln und wirken, er kann sich nicht ver- 
bergen, Europa muß ihm liebend oder zürnend nachstürzen. 
Er oder die Welt! Aber er hat seine Rolle erfüllt, — keine 
positive Idee kommt mehr in ihm zur Erscheinung. Dßß 
Schicksal schreitet auch über ihn hinweg; aber man weiß 
nicht, ob die Worte, mit denen Napoleon von der Bühne ab- 
tritt, Grabbes Grundansicht darstellen, oder nur Napoleons 
Enttäuschung ausdrücken. Dummheit und Verräterei haben 
ihn besiegt und doch: er wird wiederkehren. Dieser Pessi- 
mismus ist die Nacht, in der die Sterne des Liberalismus 
untergehn. 

Dem 1. Teil schien zugrunde zu liegen, daß Napoleon, 
auch nur ein zeitweilig notwendiges Phänomen sei, daß sich 
entweder im Dienste der liberalen Idee läutern müsse oder 
untergehn. Oder es sollte gezeigt werden, dass nur der Des- 
pot regieren kann; denn sonst herrscht die Masse, ein erbärm- 
liches Scheinkönigtum oder ein schwacher Liberalismus. Wir 
hatten bisher ein äußerst lebensvolles Milieudrama — aber 
die Grundidee schwindet in dem zweiten Teile, des» 
Schlachtendrama. Dazwischen liegen einzelne retardierende 
Episoden, die den Kaiser von einer menschlicheren Seite 
zeigen. Kein großer Mann vor seinem Kammerdiener: von 



I 

I 



— 253 — 

Napoleons Piqueuren erfahren wir, daß der Kaiser zwar 
schnell aber schlecht reitet. In der Szene mit Hortense zeigt 
sich, welche Macht die feinfühlende Frauenseele, die die durch- 
dringendsten Tiefblicke tut, auf den Imperator ausübt. Etwas ge- 
waltsam wird hierbei Josefinens Erwähnung getan und zwar 
mit Worten, die deutlich anklingen an Oaudys Kaiserballade: 
gewichen ist mit ihr des Glückes Stern. 

Und nun erhebt sich Qrabbes Nationalgefühl im Kampf 
gegen seine Obermenschenbewunderung. Dazu gehörte ein 
großes Können, hier ein objektives Oleichgewicht herzustellen, 
ohne in Widersprüche zu verfallen, eine Objektivität freilich, 
die dem Historiker besser ansteht als dem Dramatiker. Das 
ist dem Dichter u. E. in höherer Stileinheit gelungen in dem 
Realismus der Hermannsschlacht. In Vitry und Chassecoeur 
pulsiert ein stärkeres Leben als in den namenlosen preußi- 
schen Soldatentypen; fehlt das Salz der Satire, so ist die Nei- 
gung zum Gemachten und Trivialen nicht zu verkennen. Da 
Ist der kurzangebundene Feldwebel, der gutmütig beschränkte, 
aber entschlossene Schlesier. Dann hat der Dichter sich den 
Berliner Einjährigen vorgenommen: er verwechselt 
zwar mir und mich, ist aber höchst gebildet und aufgeklärt; er 
kennt allerdings nur Berlin und seine Dichter, wie Schlegel, 
Ilfland, die jedoch zweifellos alle Konkurrenz hinter sich lassen, 
Wie das Wisotzkysche Weißbier. Die guten Seiten seiner In- 
telligenz muß Blücher anerkennen, aber unbarmherzig wird 
sein Witz, wo Ephraim, der Jude, herhalten muß; der Jude 
mit seinem Gebärdenspiel, seit Lenz eine stehende Figur, hat 
die Satire des Charakteristikers immer herausgefordert (vgl. 
Kosciuszko-Aschenbrödel) . Ephraim muß viel aushalten, end- 
lieh holt er zu einer Ohrfeige aus — da reißt ihm eine Kanonen- 
kugel den Kopf ab. — „W allensteins Lager" des herr- 
lichen wetterleuchtenden Schiller hat den Dichter zu einer 
seiner frischesten Szenen begeistert, in der Lützows Jäger 
der Schlacht entgegenjauchzen. „Wir müssen die Kühnheit 
ehren", sagen die literarischen Blätter, „womit der Dichter 



- 254 — 

in diesem großen Augenblick, eben da, wo von allen Seiten 
wieder das Vaterlandsgefühl zu Worte kommt, aber nichts- 
destoweniger seine Prediger gefährdet, jene ehrenwerte Er- 
innerung des Volkes wiederzuerwecken wußte." Einige sati- 
rische Eigenheiten und moderne Tendenzen hingen freilich 
auch dieser Szene an. Die Zeichnung Blüchers — wohl nach 
einer biographischen Schilderung entworfen — ist von gesun- 
der Derbheit und hält sich frei von martialischer Karri- 
kierung; seine Tabakspfeife spielt eine große Rolle; einer 
Episode aus den fridricianischen Kriegen ist es wohl nach- 
gebildet, wenn er den französischen Spion ablaufen läßt mit 
den Worten: „Französische Entdeckungen mag ich nicht. 
Kennen Sie Deutschland?" — 

Dem draufgängerischen Feuerkopf Blücher steht der kühl 
überlegene Gentleman Wellington gegenüber, den preußischen 
Soldatentypen etwa der Scharfschütze, und die Schotten haben 
ihr Clan-Douglaslied wie die Lützowschen Jäger ihfe »wilde 
Jagd". Venturini erzählt: Der Herzog von Braunschweig 
wollte eben auf einen Ball fahren zu dem Herzog von Rich- 
mond, wo auch Wellington war — als die Ankunft Napo- 
leons verkündet ward. Das hat Grabbe für die Zwecke seines 
Dramas umgemodelt Man entsinnt sich der Ballszene in »Don 
Juan und Faust", wo auch die Stimmung ein Tanzen auf 
einem Vulkan ist. Auch jetzt haben wir zunächst einen Auf- 
takt: der den Tod ahnende Herzog von Braunschweig gibt 
dem schwarzen Becker seinen letzten Willen kund. Übrigens 
erregte diese Stelle des Dramas in Braunschweig, wo damals 
die Revolution ausbrach, allgemeines Aufsehn. Der drama- 
tischen Steigerung in der Don Juan- und Faustszene ent- 
spricht der weitere Verlauf auf diesem Ballfest Es ist sehr 
wirkungsvoll, wie die Donner der Geschütze in die Ballmusik 
tönen, Tod den Lebensfrohen kündend, wie pulvergeschwärzte 
Adjutanten den Satanas melden, wie der Riesenschatten Napo- 
leons plötzlich aufragt: er ist wie ein neuer, unerforschter, ur- 
plötzlich aufgetauchter Erdteil 1 Dazwischen spielen die Kon- 



- 255 — 

traste: auf diesem Vulkan blüht die Blume der Liebe, die 
aus eigener Herzensnot sich nährt. Sie durchbebt den 
Busen der Gärtnersnichte, gibt dem Lied von der Sultanin 
eine persönliche Note, denn hier wie in Adeline ist nach 
Orabbes eigenen Worten die erste Geliebte porträtiert. Der 
englische Artillerieoberst zittert um einen unsichern Besitz 
wie Orabbe, der auch ins Feld zu ziehn gedachte. Das 
Liebesgetändel erinnert an die Bizarrerien in „Nanette und 
Marius". „An keine Dame Europas hab' ich gedacht im Ge- 
tümmel, aber an dein Auge gewiß, an die Spitze deines kleinen 
Fingers." 

Zu den kühnsten, meist umstrittenen Neuerungen Orabbes ge- 
hören die Schlachtenschilderungen. Sie sind mehr 
als eine Marotte. Napoleon kann nicht anders charakterisiert 
werden, als durch ein „Gewitter von Taten" (Hebbel) . L i g n y 
soll in einer Szene auf der Bühne dargestellt werden. Der Dich- 
ter richtet sich in einigen Zügen nach Fleury de Chaboulon 

(S. 160 ff.), der aber mehr für die persönliche Charak- 
ristik Napoleons inbetracht kommt, und nach Venturini 389ff , 
aus dem z. B. die Proklamation, die der Kaisergardist liest, 
fast wörtlich entnommen ist. Die Schlacht bei Ligny dauerte 
von 12 Uhr mittags bis 7 Uhr abends. Napoleon richtete alle 
Kraft darauf, das Zentrum in Ligny zu durchstoßen, während 
Blücher den linken französischen Flügel angriff. — Grabbes 
Napoleon schläft vor der Schlacht auf der Lafette einer Ka- 
none (wie bei Wagram) ; der Dichter erreicht dadurch, Napo- 
leon zu charakterisieren und gleichzeitig seine Umgebung 
redend die anfänglichen Tendenzen fortführen zu lassen. Sobald 
Napoleon aufwacht, hat er den Kern erfaßt, obwohl der Feind 
ihn täuscht. Ein großer Gedanke unverrückbar festgehalten, 
auf einen Punkt alle Kräfte konzentriert, das ist ja das Ge- 
heimnis der Napoleonschen Strategie. Das will Grabbe recht 
markant herausarbeiten. Ligny ist alles. Daran hält Napoleon 
fest, trotzdem Vandamme bei St. Amand zurückweicht und die 
Engländer bei Quatrebas angreifen. Vor der Kraft Blüchers 



- 256 — 

versagt zunächst Drouots Artillerie und Milhauds Cavallerie 
und erst Oirards westlicher Angriff auf Ligny wirkt ent- 
scheidend. Als Schlußeffekt fahrt Cambronne die Garde 
heran und der Imperator, der unerschütterlich geblieben 
ist, verlangt sein Pferd und setzt sieh an die Spitze. So 
ist der historische Verlauf der dramatischen Steigerung an- 
gepaßt. Was nun geht auf der Bühne vor? Adjutanten fliegen 
hin und her und in Napoleons Kommandos, gleichsam 
schöpferischen Gedanken, wird die Schlacht lebendig. Sie be- 
zeugen die gestaltende Phantasie des Verfassers Grabbe- 
Napoleon; aber, wo diese fehlt, was hat der Zuschauer von 
diesen kurzen Befehlen? Wir hören Musik, Kugeln schlagen 
ein, ein Fußgardist wird getötet, Heeresteile rücken vor und 
kommen zurück, im Prospekt brennen Dörfer. An die 
Bühnenmöglichkeit hat der Dichter wohl gedacht, aber 
unmöglich ist es, auf diese Weise Illusion zu zeugen. Man 
möge nur an die Zeit denken! Der Dichter überschätzt die 
suggestive Kraft deiner allzukargen Andeutungen und dem 
szenischen Bild, der selbsttätigen Phantasie wird zuviel über- 
lassen. 

Grabbe hat verschiedene Mittel angewandt, um die Schlacht 
für die Bühne oder das Drama zu erobern. Als Vorbild 
kommt nur Shakespeare in Betracht, andere Dichter suchen 
die Schlachtendarstellung zu umgehen. Bei Schiller wird höch- 
stens eine mit der Haupthandlung in Verbindung stehende Epi- 
sode dargestellt. Der „Götz" ahmt Shakespeare nach; d. h. aus 
mehreren einzelnen Momentbildern wird ein Schlachtgemalde zu- 
sammengesetzt. In „Marius und Sulla" werden uns in einer 
Szene die beiden verschiedenen Parteien vorgeführt — nach 
dem Vorbild von Shakespeares „Coriolan". In den „Hohen- 
staufen" spielt sich die Schlacht ebenfalls innerhalb einer 
Szene ab: die eine Partei dringt vor, flieht vor der andern, 
bis endlich die siegreiche Partei den Platz behauptet; durch 
Rufe wird das Schlachtgetümmel hinter der Bühne markiert, 
die Entscheidung konzentriert sich auf der Bühne in höchst 



— 257 — 

gewagter Weise in Zweikämpfen. Dafür lassen sich aller- 
dings Analogien z. B. auch bei Schiller finden. Jetzt soll sich 
der ganze Verlauf einer mehrstündigen Schlacht in einer 
S2ene abspielen, sie verläuft in den Befehlen Napoleons des 
eigentlichen Schöpfers der Schlacht. Das würde natürlich, 
wenn hier die Bühnentechnik folgen könnte, einen Fortschritt 
gegenüber der Zerspaltung in einzelnen Szenen bedeuten. Es 
ist schwer, diese Form richtig zu bezeichnen. Es ist Epik 
mit dramatischer Konzentrierung und Epigrammatik. 

Waterloo wird in fünf szenische Tableaux zerlegt — ein 
Drama für sich« Die Exposition wird gebildet durch den Vor- 
marsch des englischen Heeres im Hohlweg zu Soigneux. Der 
Angriff des französischen Heeres ist szenisch noch zu den* 
ken, schwieriger als im „Hannibal" läßt sich hier das Mittel 
der Teichoskopie als möglich vorstellen: der Oberst beschreibt 
die wogende Schlacht, Hougomont und la Haye sainte stehn 
in Flammen. (Venturini 405 f.) Dann macht Orabbe den Ver- 
such, in zwei Szenen ungefähr dieselben Schlachtereignisse dar- 
zustellen. Dialoge leiten die Szene ein und schließen sie. 
Wellington auf der Höhe von St. Jean, Milhaud macht seine 
Reiterangriffe, ein Kürassier erobert die Fahne, einem zwei- 
ten wird der Fuß abgeschossen, um %4 Uhr ist Belle- Alliance 
von den Franzosen genommen, ebenso Hougomont — was aller- 
dings chronologisch schwer mit der vorhergehenden und folgen- 
den Szene zu vereinen ist. Jedenfalls ist der kritische Augen- 
blick für Alt-England gekommen. Die folgende Szene — man 
darf auch hier nicht zu genau prüfen — fährt fort mit dem 
dritten Reiterangriff Milhauds, der Napoleon, der nicht in Belle- 
Alliance, sondern in Caillou steht, den Sieg bringen soll. Die 
Garde ist zum letzten Vorstoß bereit. Da erfolgt die große 
Wendung durch die Preußen. Lobau und Erlon geraten durch 
Orouchys Schuld ins Feuer der Preußen. Die Engländer be- 
drängen Milhaud und Ney. Napoleon stellt sich an die Spitze 
der Oranitkolonne von Marengo. Nun fällt die Handlung: die 
folgende Szene zeigt die unter Ziethen und Bülow vorrücken- 

Nieten. Chr. D. Onbbe. *7 



— 258 — 

den Preußen und die fliehenden Franzosen. Das Schlußbild 
zeigt den besiegten Napoleon und den untergehenden Cam- 
bronne, der dem Imperator das prachtvolle Wort widmet: „Er 
ist fort —Was will der andere Dreck, den man Erde, Stern 
oder Sonne nennt, noch bedeuten?" Blücher und Wellington ver- 
eint bei Belle-Allianze, bildet die Schlußapotheose. 

Es liegt ein welthistorisches Trauerspiel in diesen 
fünf Szenen; die Tatsachen an und für sich wirken er- 
schütternd. Es kam darauf an, sie zu ordnen und in 
Hauptzügen herauszuarbeiten: eine einleitende Szene — 
dann die kritische Stunde der Engländer — Napoleon 
ganz nahe am Ziel — und nun die Peripetie durch die 
Preußen. Qrabbe scheint sich nicht ganz von der Bühne 
emanzipiert zu haben und viele Schwierigkeiten ließen 
sich wohl beheben. Aber in Einzelheiten vergißt er doch völlig 
die realen Maße. Somerset ist nach fünf Zeilen von seiner 
Verfolgung zurück. Lobau gibt den Befehl: Feuer, und Bülow 
sagt: gleichfalls. In der Hermannsschlacht erst hat der Dich- 
ter alle möglichen Formen gesprengt Für eine Inszenierung 
ließe sich wohl mit Hallgarten von einer Verwandlung 
des Prospekts mancherlei erwarten. Denken wir uns die 
Bühne in unserer Phantasie, oder lesen wir Orabbes 
Szenen etwa in einem Panorama von Waterloo, so ist es 
unmöglich, dieses monumentale Ereignis intensiver nachzuer- 
leben. Immermann nennt Qrabbe einen Blücher der Poesie. 
Hebbel — dieses Mißverstehn bei geistig verwandten Män- 
nern ist psychologisch merkwürdig, findet sich aber häufiger — 
vergleicht Orabbes Napoleon mit einem Unteroffizier. Im Gründe 
haben wir nur Dialoge und Monologe der Hauptpersonen, unter- 
brochen von einigen Episoden, das Heer ist nicht der Träger. 
Aber es zeigt sich doch gestaltende Kraft in der Gruppierung 
riesiger Massen, und in den kurzen, schlagenden, schmettern- 
den Epigrammen erscheinen gleichsam die Tatgedanken schöp- 
ferischer Schlachtendenkergehirne in plastischer Realität Da- 
gegen hat er nicht etwa die Greuel naturalistisch ausgebeutet. 



- 250 - 

Die Einheit des Dramas ist von den literarischen Blättern 
gut bezeichnet worden: ein dramatisches Epos, in welchem 
man den französischen Liberalismus (Foucht, Carnot, Labe- 
doyere), den englischen Nationalhaß und das junge deutsche 
Volksgefühl die drei Gottheiten nennen könnte, welche zu Napo- 
leons Individualität in Beziehung tretend den Knoten schärzen 
und lösen. — In den ersten Akten haben wir ein vorzüglich 
gelungenes Milieudrama; aber die Absicht ist eine doppelte: 
Napoleon wird gegen Ludwig ausgespielt, und wieder könnte 
man fast glauben, es würde Qrabbe gelingen, Napoleon als 
Getragenen und Geschobenen zu zeigen, als Fähnlein am 
Mäste der Revolution, während er wahnbelangen sich als ab- 
soluten Gipfel fühlt. Aber obwohl die Idee des Liberalismus 
noch in den letzten Akten auftaucht, so fällt Napoleon doch 
nur durch eine verlorene Schlacht, nicht aus Zeitnotwendigkeit. 
Vortrefflich gelungen ist es Grabbe, den Schatten Napoleons zu 
zeigen, wie er alle Verhältnisse durchdringt und beherrscht. 
Sodann charakterisiert sich Napoleon selbst in Monologen, 
die die Tragik seines Schicksals enthüllen, und zuletzt er- 
scheint er als Gott der Sohlachten; aber gerade wo er das 
schimmernde Gebäude seines Ruhmes errichtet, auf der Wahl- 
statt, tut er den jähesten Fall. Aber die eigentliche Aufgabe 
im Zusammenhang des Ganzen, das Schicksalsnotwendige des 
Helden nacherleben zu lassen, ist nicht in voller Klarheit ge- 
stattet Wozu aber hätte er sonst gerade die 100 Tage gewählt? 
Sie sind doch sonst nur ein Abenteuer, dessen Ausgang nicht 
ungewiß ist« So verpufft wieder eine fruchtbare Idee und wir 
haben dafür einen Knalleffekt, wie in Heinrich VI. Schon 
Faust kam zu einem negativen Resultat, als er nach dem Sinn 
der Geschichte suchte. Hier aber hilft sich Grabbe, dessen 
Sympathie geteilt ist zwischen dem früher vergötterten Kor- 
sen und der nationalen Freiheitsliebe, dadurch, daß er den 
Weltlauf als von zweideutigem Wert hinstellt Stellt der 
hämische Weltgeist Napoleon ein Bein in dem Augenblick, 
wo er sich zu Ende ausleben könnte? Soll die Julirevolution 

17* 



- 260 — 

nur durch Waterloo herausgeschoben erscheinen? So bleiben 
die letzten Absichten in einer nicht unbeabsichtigten Un- 
gewißheit Qrabbe hat wieder außerordentlich viel gewollt und 
tolle Kombinationen gewagt In die kurze Spanne der 100 
Tage werden hineingedrängt Ereignisse von 1789— 1831. Die 
Journalisten spielten z. B. zur Zeit Napoleons bei weitem 
nicht die Rolle, wie es Foucht glauben machen will, und die 
letzten Worte Napoleons deuten zurück auf den doch bereits 
tagenden Wiener Kongreß und wieder prophetisch auf die 
Julirevolution. 

Qrabbes Napoleon ist reich an großartigen Zügen und 
glänzenden Charakteristiken. Der Gestaltungskraft und dem 
historischen Tiefblick zollen wir hohe Bewunderung. Momente 
von gewaltiger Tragik klingen an. Ist Qrabbe auch hier zu 
einer endgiltigen Klarheit und Harmonie nicht gelangt, so ist 
das Schauspiel einer riesenhaft gärenden Seele doch immer 
imposant Qroß ist der Plan, nach dem Qrabbe geschaffen 
hat, aber die einzelnen Teile zeigen eine zu große Selbständig- 
keit und man kann sie nur gewaltsam verbinden. Ansätze 
bleiben unausgebildet, Ideen, die groß und wichtig schienen, 
schwinden wieder oder lassen sich mit neuen Intentionen 
schlecht verschmelzen. Von der Bewertung dieser Schwächen 
wird das Urteil über die Dichtung wesentlich abhängen. Zu- 
nächst zeigt er ein schwaches Königtum, einen wohlmeinen- 
den Liberalismus und die entfesselte Revolution des souveränen 
Pöbels. Die Zeit kamt mir gerettet werden durch die Despotie 
des einzelnen Starken. Was Qrabbe hier schildert, paßt nur 
auf den Napoleon der ägyptischen Expedi- 
tion, der seine Unentbehrlichkeit für Prankreich bewiesen 
hat. Der zweite Teil zeigt Napoleon den Gebannten mit den 
Gedanken, die er auf St Helena ausgesprochen hat, der 
der Menschheit das Heil gebracht hätte, wenn die Welt nicht 
zu klein gedacht hätte. Die gewaltige Seele des großen Korsen 
enthüllte sich in ihrer großartigen Tragik. Aber der Zweifel 
schleicht sich in das übermenschliche Selbstgefühl, ob die 



— 261 — 

Rolle, die ihm das Schicksal angewiesen, nicht doch erfüllt 
ad. Und auch der Dichter kann sich nicht für eine bestimmte 
Ansicht entscheiden. Er hat Napoleon kleiner genannt als die 
Revolution und er hat einen völkerbeglückenden Liberalismus 
ausgespielt gegen die Despotie. Er will Napoleons Unter- 
gang als scbicksalsnotwendig hinstellen, aber er entschließt 
sich doch nicht, den Lauf des Schicksals als vernünftig zu be- 
zeichnen. Sein starkes nationales Empfinden aber hindert ihn 
auch wiedtr, sich in farblosem Kosmopolitismus rückhaltlos 
zu Napoleon zu bekennen. Ob nicht der Historiker dem Dich- 
ter das Konzept etwas verdorben hat? Der Historiker strebt 
nach Objektivität, die für die verzehrende Leidenschaftlichkeit 
Orabbes so sänftfgend wirken konnte, und sucht allen Parteien 
gerecht zu werden, der Dramatiker aber bedarf des Kon- 
fliktes, er wird der Gegenmacht nicht gleiches Recht zu- 
gestehn. Andrerseits brauchte Qrabbe zur Erfüllung der Tra- 
gödie den Untergang Napoleons. Darum wählte er die 
100 Tage. So hatte er die Kühnheit, den ganzen Napo- 
leon, in dem ein ewiges historisches Gesetz Fleisch geworden, 
im Rahmen einer ganzen weltgeschichtlichen Epoche vor uns 
dramatische Gestalt gewinnen zu lassen. Und damit nicht 
genug: Sein Geist, seine eignen Ansichten müssen soviel wie 
möglich hinein. — Übrigens» symbolisiert sich im Napoleon etwas 
von Orabbes eigener Dichtertragik: er schildert das Chaos 
und die bändigende Kraft, die aber scheitert ehe sie sich ent- 
falten kann an einer immanenten Tragik, durch Tücke des 
Schicksals, oder infolge der Kleinlichkeit der Menschen. 

Wie wir zeigten, hat die Rücksicht auf die Bühne Einzel- 
heiten in Orabbes Drama beeinflußt. Des Dichters über- 
wiegende Ansicht aber kommt in einer Äußerung wie dieser 
zum Vorschein: „AU Drama der Form nach, habe ich mich 
nach nichts geniert. Die jetzige Bühne verdienf s nicht. 
Lumpenhunde sind ihr willkommen, dafür soll sie aber zu 
den Dichtern kommen, so gewiß ich wieder gesund bin." Das 
Stück ist denn auch zu Grabbes Lebzeiten nicht über 



— 262 — 

die Bühne gegangen; obwohl Immermann die Absicht 
hegte, den Napoleon in Düsseldorf in Form von leben- 
den Bildern oder Phantasmagorieen über die Bretter ziehen 
zu lassen. Erst 1895 erlebte das Stück seine Wiederauferstehung 
auf den Brettern. Adolf Stoltze bearbeitete in diesem 
Jahre das Drama für Prankfurt a. M. Die einzige im 
Druck erschienene Einrichtung ist die von E. O. Flüggen, 
die in Wien (1900) und Berlin (1898), wo im Belle-alliance- 
theater 70 Aufführungen stattfanden, zur Darstellung gelangten. 
Zu erwähnen sind noch die Versuche von Ackermann (Straß- 
burg 1898) und von Hagemann (Essen 1900) Qrabbes Napo- 
leondrama für die Bühne zu retten. 



Mit „Napoleon 4 * war Qrabbes Gestaltungskraft noch keines- 
wegs erschöpft. Er suchte nach einem Sammelbassin für alle 
möglichen Ideen, die ihm zuströmten. Wieder sollte es ein 
aktuelles politisches Thema sein. Kettembeil brachte ihn auf 
einen „Kosciuszko". Erhalten sind von diesem nie ganzvollen- 
deten Werk nur 2 Szenen, die D r. H a 1 1 g a r t e n neuerdings 
im Nachlaß des Schriftstellers Hartenfels entdeckt hat. Ober die 
wunderliche Art des Schaffens und über Qrabbes Absichten, 
die teils innerlich in seinen politischen Ansichten und Lebens- 
anschauungen wurzeln, teils äußerlich aus Sensationslust her- 
vorgehen, können wir uns aber nach den Briefen ein Bild 
machen. 

Orabbe ergreift ein Thema, nicht weil er dafür begeistert 
ist, sondern mit kritischer Tendenz, weil es aktuell ist. So 
hat Qrabbe die herrschende Polenbegeisterung, die eine reiche 
Literatur auslöste, nicht mitgemacht. Man schwärmte in Lied 
und Prosa für sie, wie ehemals für die Hellenen. Herloßsohn 
sang: „Wirst du jetzt nicht, wirst du niemals frei. In der 
Weltgeschichte steht die Präge: Ob ein Polen sei, ob keines 
sei". Qrabbe ist wieder ernüchtert, blasiert, satirisch, ohne 
Glauben an Größe, Kosciuszko nennt er einen bornierten 
Kopf und die Polen, diese Juden Europas, eine verrottete 



— 263 — 

Gesellschaft. Sodann will er den Plan seines Revolutions- 
dramas damit verbinden: auch Robespierre und Danton will er 
hineinbringen, persönliche und literarische Satire und was nicht 
alles sonst. Er selbst will als Dichter in brillanten Prologen 
auftreten. Er überschlägt sich vor Obermut und seine Rc- 
nommage wird immer üppiger. Seine Schöpferkraft sei im 
Wachsen begriffen und er müsse sich von einer Innern Überfülle 
entladen und befreien. Ein bestimmter Konflikt, ein begrenztes 
Thema ist also gar nicht Qrabbes Sache. Es kommt darauf 
an, möglichst viel unterzubringen, und immer wieder ver- 
schiebt sich Plan und Umriß. Er hat das fast vollendete Werk 
dann liegen lassen. Er gibt Immermann die Oründe dafür 
an (13. 35.) und zwar behauptet er, daß seine monarchische 
Gesinnung zu wenig zu dem herrschenden Liberalismus 
stimme. Dies ist für den Dichter des Napoleon recht Charakte- 
ristisch. Aber wir sahen auch, wie ein solcher innerlicher 
Grund Grabbe von der Portsetzung der Hohenstaufen absehn 
ließ. Doch kommt auch hinzu,, daß ihm die Form zu eng 
wurde und daß er kein Maß und Ziel kannte. „Es soll alles 
darin seyn, was in Wissenschaft, Kunst und Leben bis dato 
passiert ist — essoll besserwerden als Goethes 
Faust." Weich unermeßlicher Abstand zwischen dem in hei- 
liger Schöpferstimmung schaffenden, zur Harmonie gelangten 
Weimarer Olympier und dem wilden Ehrgeiz des vielbegabten, 
aber auch von so niedrig-irdischen Trieben beherrschten Prome- 
thiden! In . solchen Äußerungen verrät sich die Schranke des 
Menschen und Dichters Grabbe auf das Empfindlichste. Das ist 
eines der kuriosesten Zeugnisse von Grabbes vermessenem 
Wahn, etwas schon äußerlich Monumentales, Riesiges, Alles- 
überbietendes zu leisten. Dennoch läßt der Dichter es bei 
dem Schaffen selbst an künstlerischer Gewissenhaftigkeit nicht 
fehlen. 

Die beiden erhaltenen Szenen lassen bedauern, daß nicht 
das Ganze erhalten ist, von dem auch das Szenarium, das 
von Hartenfels niedergeschrieben wurde, nur so viel verrät, 



— 264 — 

daß Schlachten, das Leben der Straße und das Treiben am 
Hof den Charakter des Stackes bestimmen sollten. Wir 
können den Kontrast an zwei Szenen ermessen,, von denen die 
eine das Interieur des Hofes schildert, während die andere 
eine Probe der realistischen Massenszenen bietet — Ance- 
lots Katharina II. dürfte dem Dichter in der 1. Szene vor- 
geschwebt haben, in der die Dolgoruki die um den Garde 
leutnant Lanskoi trauernde Herrscherin tröstet* Sie lenkt ihre 
Gedanken auf den Taurier, dessen Charakter durch ein ge- 
schicktes technisches Mittel expliziert wird, indem jedesmal 
auf ein tadelndes Wort der Kaiserin die Fürstin mit einem 
Lob reagiert. Der Taurier erscheint und zeigt im ersten 
Moment die Gewalt seiner Persönlichkeit, Die Lage wird er- 
örtert, die französische Revolution erwähnt, in einem an 
Gothland anklingenden Schlachtbericht die Erstürmung Ocza- 
kows geschildert. Die ungefüge dick aufgetragene Satire, die 
Buffonerie, die absichtlich robe barbarische Gewaltsprache, die 
trotzdem mit allerlei Pikanterien angefüllt ist, zeigt die Ent- 
wicklung des Grabbeschen Stils sich allmählich der Eigenart 
des Hannibal nähernd. Es ist Grabbes Freskoschrift, wenn 
Österreich und Preußen russische Schilderhäuschen werden 
sollen, seine individuelle Prägung,, wie Katharina sich in 
Positur stellt, wie Potemkin die in Rücksicht auf die Öffent- 
lichkeit geübte Herabsetzung Katharinas abwehrt, wie die 
Kaiserin Cercle hält; teils übersehend, teils herablassend,, teils 
drohend. Katharina ist die Kaiserin, aber Potemkin ist mäch- 
tiger. Das Bruchstück liest sich wie ausgegrabene Fragmente 
eines seltsamen Barbarenvolkes, das bei aller Roheit und Grau- 
samkeit einen Zug von sardonischem Witz und von parodistisch- 
groteskem Humor zeigt. Die 2. Szene zeigt eine polnische 
Judenschenke: Bauern, die nicht bezahlen, zerlumpte aber 
stolze Edelleute, die sich gegenseitig mit Gläsern bewerfen, 
im Feld aber sich ganz anders zeigen, ein russischer Soldat, 
der sich durch eine Ohrfeige imponieren läßt; die Juden 
denken an ihre verlassenen Himmel, wie die Polen die Heimat 
lassen müssen. 



VIII. Kapitel 



Liebesleben und Ehe — Flucht aus Detmold 

Was ist die Welt? — Viel ist — viel war Sie wert — man 
kann d'rin lieben! 

Don Juan und Faust IV. 3. 

»Wie kann ich existieren, wenn das, was mir über alles lieb 
war, schofel ist? 

Oribot an Petri 201 Novbr. 1881. 

Kraft ist nichts, wenn sie nicht Qlück schafft Ich kämpfe 
um inneres Qlück mit aller Kraft. 

Orabbe an Kettombell 29. L 1882. 

Nie ist Orabbe glücklich gewesen. In ihm wohnte der 
Dämon. Die äußeren Verhältnisse lassen sich gar nicht so 
ungünstig an: er macht rasche Karriere, die Eltern stehen 
ihm in teilnahmvoller Treue zur Seite, der Erfolg der ersten 
Dramen scheint wenigstens eine verheißungsvolle Perspektive 
zu eröffnen. Der unbändig unruhige Geist fand in alledem 
nicht Frieden und Lebenserhöhung. Fünf Jahre lang brannte 
es wie ein Feuer in seiner Seele, in der, seufzend nach Er- 
lösung, die Zweifel rangen um die Lösung eines wichtigsten 
Lebensproblems. Würde die Liebe ihn freimachen aus innerer 
Zerrissenheit oder gehörte er zu den Verfluchten und Ver- 
dorrten, die abseits vom Lebensquell dahin siechen. In „Don 
Juan und Faust" hatte er das Mysterium der Liebe zu ent- 
rätseln gesucht und elementare Olut erwärmte selbst die kalt 
bizarren pardoxen Schlußszenen. Aber wo war da die wahr- 
haft beglückende Liebe enthüllt? Für Don Juan war das Weib 



— 266 — 

nur das Gefäß der Sinnenlust, Paust vermochte es nicht vor 
seinem Verstand zu rechtfertigen, warum ihn dunkler Drang 
und namenlose Sehnsucht hintrieb zu einem „hübschen Ge- 
wächs ohne viel Geist**. Was sich in dieser Dichtung ab- 
spielt, ist ein Wiederschein von jener ersten Verliebung» 
welche die Jahre 1828-27 erfüllte. Der Gegenstand dieser 
Neigung war Lucie, die Tochter seines Gönners, des Archiv- 
rats Clostermeier, der 1829 starb. Vielfach betrauert, 
wie es in einer Ode Freiligraths zum Ausdruck kommt: 
Ihn betrauert das Land, dem er die Manneskraft, 
Treu des Herrschers Geschlecht, bieder und gut geweiht. 
Ach, wie Lippias Rose 
Ernst den Purpur der Blätter senkt 1 
Ihn betrauert, beweint würdiger Männer Schar, 
Deutschland trauert um ihn; weinend des Ruhmes Kranz, 
Für die Schläfe des Greises 
Flicht die trauernde Wissenschaft* 
Mit dessen Nachlaß beschäftigt, drang Grabbe in Lucie und eine 
gewisse freundschaftliche Achtung und geistige Gemeinschaft 
war ja auch vorhanden. Auch auf schriftlichem Wege tausch- 
ten beide ihre Gedanken aus, z. B. schenkt Grabbe ihr seinen 
Barbarossa, worauf Lucie sich im Juli in einem affektierten 
Billet bedankt. Als er aber im September anfragte, lehnte die 
Archivrätin für ihre Tochter ab — war es nun einfältiger 
Stolz, der die Verbindung mit der Familie des Zuchthaus- 
verwalters als unfein ablehnte, oder war es die tiefste Ein- 
sicht? War die Exzentrizität Grabbes daran schuld, dessen 
fürchterliche Aufgeregtheit dreimal in gewaltsamer Drohung 
explodierte, der mit der geladenen Pistole Liebe heischte, der 
sich von heimlichen Feinden verleumdet und verfolgt sah? 
Nach solcher Exaltation folgt der jähe Absturz in ein 
abgründiges Gefühl von Armseligkeit und mitleidswürdigem 
Elend, worauf der Dichter dann wieder in einem tollen Leben 
Zerstreuung sucht oder dem Roß die Sporen gibt, um ins Weite 
zu fliehn. 



— 267 — 

Kaum hat Grabbe diese Enttäuschung überwunden, so 
kämpft er mit schweren körperlichen Leiden, die ihn an eine 
Kur in Wiesbaden denken ließen. Ende 1829 brach er beim 
Schlittenfahren den Arm und mußte bis Ende Januar 1830 
liegen; zu diesem Ungemach kam noch der Biß eines tollen 
Hundes, dessen giftige Wirkung aber Grabbe durch seine 
eigene innere Giftigkeit und Tollheit zu paralysieren glaubt. 
Sein Magen ist krank, er leidet an Gicht und Podagra; dazu 
treffen ihn alle vier Wochen Nervenschläge mit schauderhafter 
Kraft. Er bringt Wochen im Bett zu und erledigt seine Korre- 
spondenz durch Diktat Der Kranke macht eine Erholungsreise 
an den Rhein, nach Mainz, Straßburg, vielleicht bis Paris. Ein- 
mal hängt sein Leben nur an einer Viertelstunde Apotheker- 
geschwindigkeit. Sein Arzt, der Hofrat Piderit sucht ihn vor 
allem von seiner Trunkfälligkeit zu heilen; er verordnet 
Diät und Grabbe begnügt sich denn auch morgens mit einem 
Glase Wasser. Sehr wohl aber sah auch der Arzt ein, daß 
Grabbe keineswegs nur mit Medikamenten zu heilen sei, son- 
dern wie all dieses Kranksein des Dichters zusammenhing 
mit dessen unruhvoller innerer Natur, also auf psychisch-ner- 
vöser Grundlage beruhte. Der originelle Patient erfordert 
eine originelle Heilmethode. Er muß Entladung und Ab- 
lenkung haben durch eine kriegerische Campagne oder — er 
soll heiraten! Daß Grabbes Kräfte so durch Siechtum 
unterwühlt wurden, darf man aber nicht allein durch Un- 
regelmäßigkeiten und Ausschweifungen begründen, vielmehr 
wirkt auch eine fieberhafte Produktivität dabei mit. 
Das »ewige Sitzen und Arbeiten an dem Ungetüm Napoleon" 
hat ihm Blutbrechen zugezogen. Im Frühjahr 1830 gibt Grabbe 
zwar der Literatur wegen seine Advokatur dran; er arran- 
giert deshalb sein ganzes Vermögen, sodaß er gelegentlich 
in Geldnot kommt, zum Teil weil er allzu bereitwillig borgt. 
Aber auch die Beschränkung auf rein militärische Angelegen- 
heiten scheint noch viel Zeit und Anstrengung gefordert zu 
haben. Besonders häuft sich die Arbeitslast Anfang 1831, als 



— 268 — 

das Lippesche Bataillon ausrückt; da muß er von morgens 
7 Uhr bis abends 6 Uhr mit einer viertelstundigen Mittagspause 
arbeiten. Die Art dieser Tätigkeit war sicherlich wenig ge- 
eignet, den Geist der Poesie zu entzünden und aufs Erhabene 
zu richten, sie befruchtete aber das komisch-realistische Ele- 
ment in seinem poetischen Werk. Da handelt es sich „um 
Soldateneinro liieren, um Bräche, Ausfall von Mastdarm und 
daraus resultierender Dienstuntauglichkeit, um Stellvertretung 
und Versierung der Pässe". 

Dazwischen ringt des Dichters Phantasie nach plastischer 
Gestaltung. Immer wieder rafft er sich auf mit krampfhafter 
Entschlossenheit, allen Gewalten Trotz bietend, und man ver- 
steht das Gepräge dieses lapidaren aphoristisch-epigramma- 
tischen Stils, in dem dieser gehetzte explosive Geist sich ent- 
lädt. Dabei reflektieren alle geschichtlichen und literarischen 
Ereignisse. Und auch hier bekämpfen sich die verschiedenen 
Seelen seines krankhaft-überreizten Innern in tollem Wider- 
spruch. Der Enttäuschte schiebt die Schuld seiner Mißerfolge 
auf Verleumder und Neider oder auch auf die herrschende 
Uterarische Übersättigung. Er selbst hat es an Ausposaunen 
und marktschreierischer Reklame nicht fehlen lassen. Aber 
unverholen spricht sich sein Neid aus über Börne und Heine, 
die durch geniale Flugblätter sich eine rasche und leichte 
Popularität erringen; er überhäuft mit Schmähungen seinen 
erfolgreichen Nebenbuhler Raupach. Seine Sympathie für 
Schiller nährt sich z. T. auch aus den trüben Lebensschick- 
salen dieses Dichters, um so heftiger aber greift er den Olym- 
pier Goethe an, für den er einst „unbegrenzte Verehrung* ge- 
heuchelt hatte, und nirgend enthüllt sich schroffer die 
Schranke seines Geistes, der nur die dramatische Exal- 
tation als Gipfel der Kunst erkennt und dem trotz der 
realistischen Neigungen die schlichte Naivität einer edlen 
Lyrik ein verschlossenes Geheimnis blieb. Jetzt aber 
nennt er den Weimarer Altmeister einen „eitlen alten Narren" 
und bei der Veröffentlichung des Briefwechsels mit Schiller 



— 269 — 

verspottet er diese „Hemdausziehereien". Er selbst fühlt seine 
Isolierung und sucht, doch vergebens, Anschluß: bei Herloß- 
sohn, dem Herausgeber des „Cometen", oder bei Wolfgang 
Menzel, mit dessen Ansichten er aber keineswegs völlig fiber- 
einstimmt Er sucht aktuelle zeitgemäße Stoffe und ist doch 
der Oberzeugung, daß die wahre Bühne nur in der Phan- 
tasie existiert Er verschärft die Spannung mit dem feind- 
lichen Leben in einem kapriziösen Eigensinn, einer bizarren 
Originalitätssucht. Es ist wie ein wilder, toller Wirbelwind 
in all seinen Ansichten, in seinen brieflichen Äußerungen be- 
kunden sich ätzender, schneidender Hohn und sonderbare 
Eingebungen: wenn er z. B. über die Beseeltheit der Erde 
phantasiert, Tiefsinn in das Gewand roh naiver Verrücktheit 
hüllend. Was ihn aber verzehrt und innerlich verbittert, dann 
aber wieder in Gleichgültigkeit und Apathie hinabstürzt, das 
ist einerseits eine furchtbare Enttäuschung, da sich seine ver- 
messenen Wünsche so gar nicht erfüllen, andererseits aber 
auch eine unglückliche Liebe. 

Im Frühjahr 1830 hatte Grabbe im Hause des Kaufmanns 
Husemann Henriette Meyer kennen gelernt Henriette 
war wenig gebildet, aber schön, jung, sittsam. Im April schreibt 
Grabbe: „Ich bin kräftig, tätig, sogar etwas verliebt**. Ein 
einfaches Mädchen aus dem Volk, ein schlichtes Glück, daran 
der Dichter gesunden wollte. Ein ganz gewöhnliches Men- 
schenglück wollte er und konnte es doch nicht festhalten und 
konnte doch wieder auch nicht sagen, daß es ohne seine 
Schuld so kommen mußte. Zwischen unglaublicher Zaghaftig- 
keit und übertriebener Leidenschaftlichkeit schwankte seine 
Werbung, die einen Widerhall im Napoleon gefunden hat. Der 
Mantel, den Henriette getragen, um als Marketenderin mit 
ihm zu ziehn, bildet ein Reliquie in seinen Liebeserinnerungen. 
Frühling 1831 kam es zur öffentlichen Verlobung. Nur zögernd 
hatte sich Henriette dazu verstanden. Sie erschrak vor den 
Exzentrizitäten und seltsamen Launen ihres Bräutigams. Der 
bestand auf der Erfüllung irgend einer eigensinnigen Grille: 



— 270 — 

so mußte sie zu bestimmten Zeiten ein bestimmtes Tuch von 
ihm tragen. Oder er quälte sie auf einen Spaziergang mit 
der Vorstellung, er werde gleich in den Graben springen. 
Auch in seinen Aufmerksamkeiten war er keineswegs gleich- 
mäßig, er vernachlässigte die Braut gröblich und bat dann 
leidenschaftlich um Verzeihung. Aber Grabbes Briefe lassen 
die Tiefe seines Gefühls ermessen. Henriette hob endlich das 
Verlöbnis auf und zog einen Blaufärber vor, einen Philister, 
den sie besser verstand. Grabbe aber forderte den glück- 
licheren Rivalen vor die Pistole. Daß sich ihm dieses ein- 
fache Mädchen versagte, bedeutete viel für Grabbe. Er verlor 
die Möglichkeit, sich anzupassen und einzufügen, sich aufzu- 
raffen aus dem Tumult niedrigen Kneipenlebens und von dem 
Fieberrausch verstiegener Phantastik zu großem und echtem 
Leben, ein schlichter, glücklicher Mensch zu werden. Einige 
Äußerungen mögen zeigen, wie tief doch Grabbes Schmerz 
ging. „Vor V/ 2 Jahren war es, daß ich um meine Einkünfte 
jeder Art, um meine Geisteskräfte, um alles gekommen und 
ein Baum geworden bin, von dem ein Blatt nach dem andern 
fällt" (14. 1. 32) . „Ach die Jette laß ich nie, Sie alle scheinen 
hart und kalt wie ich, sonderbar und schroff. Es bricht doch 
einmal im Herzen los." — „Es ist dumm und schlecht, auf 
so elende Manier treubrüchig und flüchtig zu werden. Was 
Erhabenes vermutete ich in der Henriet nicht, aber ehrlich 
und sicher wie Gold hielt ich sie." (8. 11. 31.) - „Wie kann 
ich existieren, wenn das, was mir über alles lieb war, schofel 
ist?" Ein Memoire schildert den Seelenzustand : es ist das 
merkwürdige Dokument einer an sich innegewordenen Men- 
schenseele, das halb Mitleid, halb Grauen erweckt. 

Petri suchte noch einmal durch Husemann zu vermitteln. 
Grabbe scheint sich noch einmal der Geliebten genähert zu haben. 
Das Faustmotiv klingt an: „Sie flieht vor meiner Geistesgröße 
und ich bin doch wie ein Kind." Wenige Jahre später starb 
die Jugendgeliebte. Grabbe schrieb: ich bin ganz ruhig — 
ein Stern über ihrem Grabe. 



— 271 — 

Tief zerrüttete Orabbe diese unglückliche Liebesepisode. 
Er hat das Glück gesehn, aber es nicht erreicht. Aber nun 
suchte Lucie ihn und die Umstände machten Orabbe geneigter. 
Luise Christiane Clostermeier (geb. 15. Aug. 
1791, gest. 17. Okt. 1848) war jedenfalls als einziges Kind gut 
situierter Eltern sorgfältig erzogen. Sie war ein altes Mädchen 
geworden und füllte ihre Mußestunden mit eifrigem Lesen 
aus. Er scheint aber nicht, daß ihre Interessen im übrigen 
weiter gingen, als die anderer alteingesessener Detmolder alter 
Jungfern» die in alle Familiengeschichten eingeweiht, doch selten 
über die Mauern ihres Städtchens hinausgekommen sind. 
Duller, der in ihrem Sinne bestellte Arbeit lieferte, rühmt 
ihre ebenmäßige Ruhe. Zum Ausreifen hatte sie ja allerdings 
Zeit gehabt und das Jugendfeuer war sicherlich längst ver- 
flogen. Ziegler beschreibt sie als ein Mannweib, die etwas 
Hartes, Hastiges in ihrem Wesen hatte. Während Ziegler aber 
ihre blendenden körperlichen Vorzüge, schöne Augen und 
üppigen Wuchs, hervorhebt, erscheint sie Freiligrath, der mit 
zärtlicher Dankbarkeit an seiner „lieben Mamsell Closter- 
meier" hing, und Levin Schücking, die sie 1839 besuchten, als 
eine kleine wohlgenährte überaus lebhafte Frau mit klein- 
städtischen Manieren ohne besonder« großen Horizont So- 
lange die Briefe, die sie an Freiligrath, der in dieser Ver- 
bindung als wichtiger Zeuge erscheint, schrieb, nicht ver- 
öffentlicht sind, bleibt noch ein letztes Wort der Verteidigung 
für Frau Lucie möglich. Nach dem Vorliegenden kann sie 
auf Sympathien nicht rechnen. Die Beziehungen, die Orabbe 
und Lucie zusammenbrachten, sind verschiedener Art: dienst- 
liche, literarische, von altersher freundschaftliche. Einige Billete 
bezeugen den literarischen Meinungsaustausch. Sie protegiert 
den jungen Freiligrath, Orabbe soll dessen Gedichte für das 
Morgenblatt anempfehlen. Dieser korrigiert darauf etwa dessen 
jugendlich idealisierende Auffassung von Barbarossa. Sie 
schickt Grabbe das Werk eines Dichters aus der Nachbar- 
schaft, Klemms Herfest, oder sie fordert ein Urteil über des 



— 272 - 

Vaters archivalische Lokalforschungen. Der Audlteur ver- 
galt die Wohltaten und Anregungen, die ihm aus dem Closter- 
meierschen Hause zukamen, indem er sich z. B. bei der Ein- 
quartierung gefällig erwies. Von den Aufforderungen zu per- 
sönlichen Besuchen scheint Orabbe weniger Oebrauch ge- 
macht zu haben. Er litt unter der Empfindung, mit seinem 
Auftreten wenig Eindruck zu machen, die Rolle des deutschen 
Michel zu spielen. Er drückt sich gern, entschuldigt sich mit 
seiner Vielbeschäftigtheit oder seiner üblen Laune. Auch das 
Verhältnis zu Henriette hielt ihn zurück. Bis zur Entlobung 
sind 7 Briefe an Lude erhalten. Der „dumpfe Gast", der 
„zerrüttete Teufel* hat sich meist entschuldigt, endlich kommt 
er am Tage des BastUlensturmes. Sein Ton wird wärmer: 
„Sie herrlichen, obgleich oft eigenwilligen, aber so guten zu 
bewundernden Menschen." Am 28. Juli 1831 starb die Archiv- 
rätin Clostermeier, am 15. Dezember schied der alte Orabbe 
aus dem Leben. Er starb zu rechter Zeit, da die Freude über 
die Berühmtheit des Sohnes noch nicht zerstört wurde durch 
den Schmerz über das tragische Ende. Orabbe dachte des 
schlichten Mannes in wehmütiger Erinnerung und der Geist 
des guten Alten erschien ihm in irgend einer sprechenden 
Situation und Gebärde noch öfters. Schon vorher aber führte 
das Unglück die beiden zusammen: die Verwaiste und den in 
seiner ersten Liebe Betrogenen. „Das einzige Glück, welches 
ich auf Erden habe, ist die Erlaubnis, Sie besuchen zu dürfen. 
Aber ich bin für das Glück eigentlich zu verdorben." Grabbe 
läßt sich einen netten Ring besorgen und berichtet an Kettem- 
beil: „ich habe eine neue Braut, eine gute, gesetzte Person". 
Am 4. Februar schreibt er: „Sollte man glauben, daß mich, 
der ich mich und die Menschen verachte, noch Leute lieb 
haben?" 

Am 6. März 1833 wurde Grabbe und Lucie Clostermeier 
getraut. Grabbe scheint nichts gegen das kirchliche Amt ge- 
habt zu haben. „So, da haben wir nun das Unglück", rief der 
glückliche Bräutigam ahnungsvoll auf der Schwelle der Vita 



— 273 — 

nuova in seinem verzweifelten Humor. Und ein Kundiger, 
wie Freiligrath, schüttelte ernstlich den Kopf, als er von der 
Verbindung dieser beiden, schon durch ihr Lebensalter so 
verschiedenen Menschen hörte. Man versteht allerdings kaum, 
warum diese ganz unglückliche unsinnige Ehe nicht unter- 
blieben ist. Lucie kannte Grabbes Charakter sehr genau 
schon vor der Ehe, aber sie lockte der literarische Ruhm des 
Mannes, ohne daß sie aber eine Spur von Kongenialität be- 
saß, und Orabbe hoffte wohl sicher auf ein tieferes Verständ- 
nis für sein Streben. Keine leidenschaftliche Liebe, kein sinn- 
liches Entbrennen führte die beiden zusammen. Man sehnte 
sich beiderseits nach einem Heim, nach einem häuslichen 
Herd. Eine sogenannte Vernunftehe! Immer ist die Ehe ein 
Experiment und eine völlig glückliche ein Wunder. Ein Zauber- 
kraft muß wirksam sein, damit sich zwei Menschen trotz 
aller Gegensätze in einander verlieren. Hier fehlt die alles 
überwindende Liebe und doch müssen diese verschiedenen 
Menschen, der reizbare Mann und dieses im äußern Schein 
befangene Weib, aneinandergekettet denselben Weg ziehn. 
Was bei der Leidensgeschichte dieser Ehe auffällt, ist der gänz- 
liche Mangel an Liebe und feinerem Taktgefühl. Immer spricht 
nur die Vernunft und der Geschäftsstandpunkt kommt zur 

Geltung. 

Es liegt eine besondere Tragik darin, daß diese Ehe zwei 
1>is dahin ehrenwerte Namen für alle Zeiten in eine lächer- 
lich verunstaltende Beleuchtung gerückt hat. Wie anders 
stünde Lucie Clostermeier da, wenn sie nicht Grabbes Frau 
geworden wäre. Nun lebt sie fort als Xanthippe. Was sonst 
als freier Bund der Herzen andern Menschen wie höchstes 
Glück erscheint, was alle Wirren in schönste Harmonie aufzu- 
lösen, zwei langbefreundete Familien zu ewiger Verbindung 
aneinander zu schließen, ja die soziale Erhebung Grabbes in 
gelungenster Weise zu symbolisieren scheint, gerade das läßt 
die Geschichte zweier Geschlechter in schriller Dissonanz 

Nieten, Chr. D. Qrabbe. 18 



— 274 - 

aufklingen, Fluch verfolgt nicht nur den unseligen Grabbe, son- 
dern auch die mit ihm in Verbindung Tretenden. Man soll das 
nicht rein äußerlich auffassen, vielmehr wird man wohl sagen 
können: an dieser innerlichen Erfahrung ist Grabbe zu- 
grunde gegangen. Dieser letzte schneidendsteBeweis eines feind- 
lichen Geschicks, wie schwer auch der Anteil seiner eigenen 
Charakterschwäche wiegen mag, hat ihn ganz zerbrochen. Nahe 
winkte dem Ringenden der Oipfel der Vollendung, die Har- 
monie, das Glück — da lassen ihn tückische Geister der 
Finsternis straucheln und nun folgt bald der Absturz in die 
jähe Tiefe. 

Anfänglich scheint die Ehe einen günstigen Eiüfluß zu 
üben. Grabbe benimmt sich mehr wie die andern Menschen, 
er wird häuslich und vernachlässigt sich weniger. Das hält 
aber nicht lange an, die Natur kehrt zurück. Die Gründe 
für diese Rückfälle mögen in die Interiora der eheliehen Kam- 
mer führen. Lucie als herrschsüchtiges Mannweib war ent- 
täuscht von der Manneskraft ihres Gatten. Die Genialität des 
Mannes hätte eine Aequivalent sein sollen für das Vermögen 
der Frau. Grabbe hoffte, Lude würde mit ihm wegziehn in 
eine größere Stadt mit reicherer Kunstanregung. „Sey gut, 
sey edel, zieh mit mir weg nach Frankfurt." Sie kam aber 
nicht entfernt auf diesen Gedanken. Ein andres kam hinzu. 
Grabbe hatte eine reiche Frau und eine arme Mutter. Das 
hat er zu fühlen bekommen. — Nun war auch Grabbe in 
seinen Eigentümlichkeiten und Unarten so festgefahren, daß 
er die Fähigkeit der Anpassung verloren hatte. Und es läßt 
sich nicht leugnen, daß die alkoholische Betäubung sein, des 
Selbstherrlichen, immer schwach entwickeltes Gefühl für mora- 
lische Pflichten, für die ethischen Werte der Ehe immer mehr 
erschütterte. Ein solcher Mensch sollte nicht heiraten. Er ließ 
es an Diskretion und Takt nach außen ganz fehlen und er 
ließ sich die empörendste Selbstpersiflage und die zynischste 
Bloßstellung der internsten Dinge zu Schulden kommen. Wie 
die beiden sich zanken, das hat etwas Kindisches 1 . Grabbe 



- 275 — 

vergaß sogar den Geburtstag seiner Frau und diese ließ ihn 
nachts vor der Türe warten. 

Die gegenseitige Enttäuschung und Verstimmung macht 
sich in einigen Billeten Luft. Orabbe reimte: 
Ach Lucie 
Vor der Eh* 

Da waren schöne Träume. 
Nun blühn die Bäume, 
Denkst Geld, 
Mein Herz ist eine Welt, 
Woraus es ist zu pressen — 
Durch dich verdirbt das Essen. 
Sieh die Natur, 
Sieh Menschenseelen, 

Und nimmer, nimmer sollst du dich verfehlen. 
Oder: 
O Lucie 

Es war eine bessere Zeit, 
Als du dich freutest, mich zu erfreuen, 
Ich wegwarf das Gesicht des Leuen, 
Jetzt Habsucht, kein Hoffen, 
Das Grab allein, das steht mir ollen. 
Lucie replizierte in „goldenen Regeln für Männer und 
Weiber — insbesondre aber für meinen gestrengen Herrn Ge- 
mahl von seiner demütigen Lucie". 

Jetzt lieber Mann, jetzt spricht ade, 

Dir die getreutf Lucie. 

Christian! 

Lieber Mann, 

Brumme Bär, 

Komm zu mir her, 

Christian, 

Denke dran, 

Wie ich schmollte, 

Die nicht wollte, 

18« 



— 276 - 

Jetzt ach Christian, 

Bist du doch mein Mann. 

Und ach, ach Herr Christian 

Nur zu oft ein Wehemann. 

Christian! 

Bist ein Mann, 

Von zwei Naturen. 

Siehe die Fluren, 

Jetzt grün geschmückt. 

Wie war' ich beglückt, 

Wärst stets du der eine. 

Der welchen ich meine, 

Du, den ich allein kannte, 

Als er sprach Amen, 

In Gottes Namen. 
Leider kräuseln sich hier nicht nur flüchtige Launen auf 
der Oberfläche, sondern solche Äußerungen brechen hervor 
aus sehr ernsthaftem Untergrund. 

Den Angelpunkt aller Streitigkeiten aber bildete das Oeld. 
Als die Ehe eingegangen wurde, wurde die Gütergemein- 
schaft nicht ausgeschlossen. Hatte Lucie aber hierin gewilligt, 
so konnte sie nur mit Orabbes Zustimmung anders be- 
schließen. Das ließ sich Grabbe aber nicht abtrotzen, dem 
man den Vorwurf üppiger Verschwendung wahrlich nicht 
machen kann und der weit entfernt war, das Vermögen seiher 
Frau zu vergeuden. Lucie brachte u. a. außer dem elter- 
lichen Vermögen das Clostermeiersche Wohnhaus mit, das sie 
dann später dem sterbenden Gatten bis in die letzten Tage 
verwehrte. Grabbe besaß außer dem Gehalt 863 Taler 
Ersparnisse und seinen Anteil aus dem ihm und seiner Mutter 
gemeinsam gehörigen O arten; er suchte der alten Mutter noch 
manche Zuwendung zu machen. Betrachtet man die Ehe nur als 
Geschäft, so war Lucie die Benachteiligte. Um den Geldpunkt 
drehn sich die vielfach kleinlichen, oft kindischen Streitigkeiten 
und zwar schon vor dem Bruch. „Meine Frau ist von 



— 277 - 

Herzen gut, aber sehr eigen und nimmt alles in übertriebenem 
Maßstab; sie glaubt, was sie denkt und versteht wie ein kleiner 
Napoleon alles eroberte Terrain zu benutzen." Um einen kleinen 
Siegelring konnte sie lange Schimpfkonzerte aufführen. Ja als der 
Dichter fieberkrank in einer schwülen Gewitternacht im Bett lag, 
hat sie ihn heimlich abgezogen und dann hohnlachend trium- 
phiert. Diese Katzbalgereien, dieses gegenseitige Komödien«» 
spiel — es sind lächerlich beschämende Szenen. Zwei größere 
Dinge haben dann diese Ehe vollständig vernichtet: Lucie 
konnte wegen der zerrütteten Gesundheit ihres Gatten sich 
nicht in die Gothaer Witwenkasse einkaufen, das andre war 
Orabbes Pensionierung. Diese zwei schwerwiegenden Kala- 
mitäten griffen an die Wurzel von Luciens Existenz. Aber 
sie hat den Kampf geführt ohne Gefühl für die höhere Natur 
ihres Mannes mit steigender Härte, die zartere Regungen bald 
erstickt; wie besonders in der gehässigen Behandlung der alten 
Mutter Orabbes und in der untilgbaren Schmach der letzten 
Szenen vor Orabbes Tod unzweideutig hervortritt. Hätte Grabbe 
dieses Gefühl nicht gehabt, so würde er wohl in die Aus- 
schließung der Gütergemeinschaft eingewilligt haben. Lucie 
deponierte die 300 Taler, mit denen sie sich in die Gothaer 
Witwenkasse einkaufen wollte, bei dem Mann ihrer Freundin, 
dem Forstsekretär Kestner. Grabbe war hierüber ganz mit 
Grund aufgebracht. Dem Regierungsrat von Meien hat er 
schriftlich seinen Standpunkt vernünftig motiviert. Aber wie 
er nun den Postsekretär fordert und wie Hamlet nach Polo- 
nius nach dem vermeintlichen Gegner herumsticht und das 
Haus durchstöbert, das hat etwas Komödienhaftes, Krampf- 
haftes, Groteskes. Der Eifersuchtswahn der Säufer, wie wir 
mit Piper glauben müssen, vergrößert noch die an und für sich 
schon hinreichend unerquickliche Romantik der Wirklichkeit. 
Mit dieser Ehe, die niemals hätte geschlossen werden 
sollen, kam ein neuer zersetzender Einfluß zu den übrigen 
hinzu. Der Krankheitsprozeß mit den fast noch schreck- 
licheren Folgeerscheinungen schreitet vorwärts. Das Amt 



- 278 - 

wuchs Orabbe nun über den Kopf: er ließ die Papiere frei 
herumliegen, gebrauchte Aktenfetzen als Fidibus und mischte 
private Gelder mit den öffentlichen, sodaß ihn die vor- 
gesetzte Behörde vermahnen mußte. Selten erwies ein Dichter 
sich als guten Beamten. Man darf aber bei Orabbe ebenso- 
wenig wie bei dem Amtmann Bürger vergessen, daß der künst- 
lerische Drang immer einen großen Teil der Lebenskraft ver- 
zehrt und daß gesetzmäßig den Forderungen des Lebens nicht 
vollkommen gewachsen zu sein pflegt, wer im Dienste der 
Kunst in eine andere Richtung fortgerissen wird. Bei Orabbe 
ist freilich der Fall besonders kompliziert. Er besaß so 
wenig inneres Verhältnis zu der Würde seines Berufes, daß 
ihm auch sein Richteramt zum Komödienspiel wurde, indem 
er bald als Tyrann auftrat, bald zu nachsichtig zeigte. Aber 
er litt doch sehr unter den Ungereimtheiten dieses widerspruchs- 
vollen Daseins. Er schrieb an Meien: er wolle den ver- 
wickelten Posten eines Auditeurs makellos abliefern, „aber 
meine Geisteskraft wird ruiniert, laß ich jeden Tag SO Bauern 
und andern Arger hineinlaufen." Krank, in seinem Stolz ver- 
letzt, in einer Fülle von Widerwärtigkeiten und Schwierig- 
keiten suchte er nach einem Ausweg. Von seiner Frau war 
nichts zu erwarten. Er hatte einmal bei Schiller gelesen: 
Es soll der Sänger mit dem König gehn, 
Denn beide wohnen auf der Menschheit Höh'n. 
Es klingt fast wie eine — diesmal grausam unbewußte — Pa- 
rodie auf dieses Dichterswort, wenn er seine Stimme zum 
zweiten Male zu dem Fürsten erhebt: die Dichter seien die 
sichersten Stützen des Thrones, sie müßten aber verkümmern, 
wenn nicht ein freundlicher Blick von oben auf sie herabfalle. 
Mit solchen Worten begründet Orabbe sein Oesuch, ihn der 
Auditeurstelle zu entheben und ihm eine Offizierstelle zu über- 
tragen. Das muß dem nüchternen Betrachter allerdings als 
baare Unmöglichkeit erscheinen. Es ist ein höchst charakte- 
ristisches Quidproquo, eine Vermischung von Phantasie und 



- 279 - 

Wirklichkeit. In seiner Phantasie ist Orabbe der Dichter der 
Schlachtgemälde in Marius und Sulla, den Hohenstaufen, Napo- 
leon, in Wirklichkeit ein total zerrütteter Mensch, dessen Seele 
das Leid verwüstet, dessen Körper von Gicht, Blutbrechen, Ner- 
venschlägen, Alkohol zerstört ist. Aber trotz allem hatte der 
Dichter eine große Kraft einzusetzen und er hat sich nicht 
so leicht unterkriegen lassen. Er zieht die Bilanz in folgen- 
den Worten: „Noch bin ich frisch, noch lebenskräftig, noch 
voll Poesie und Wissenschaft Soll ich dabei untergehn in 
Sorgen und Beschwernissen? Nein, weg damit. In mir würde 
viel gerettet: Glanz, Liebe, Ehre und Ruhm, leider aber nur 
durch Poesie, die wir alle haben, aber auch alle bedürfen." 
Das moralische Recht, mit dem der Dichter nach einer ihm 
passenden Stelle strebte, ist klar und wird auch nicht ver- 
schüttet, wenn die» Verlangen sich mit der eigenen Schuld des 
Dichters verkettet. Dieses Gesuch um eine Anstellung als 
Offizier ist nur das letzte verzweifelte Mittel, nachdem die 
übrigen fehlgeschlagen: nachdem Grabbe eine Stellung am 
Theater ebensowenig erlangt hatte, wie einen beherrschenden 
Einfluß auf das literarische Leben seiner Vaterstadt, nach- 
dem sich die Archivkarriere ihm verschlossen hatte. War 
ihm eine seinen Talenten angemessene sichere Stellung ver- 
sagt, so war der Sprung ins Dunkle vielleicht noch zu hin- 
dern oder zu mildern durch seine Pensionierung. Am 21. 
Februar 1834 erhielt Grabbe auf sein Gesuch eine abschlä- 
gige Antwort; außerdem aber auch noch einen Verweis 
wegen seiner nachlässigen Dienstführung. Nun war Grabbe 
fest entschlossen, abzubrechen und zu gehn. Aber Petri sprang 
rettend ein und veranlaßte den Dichter auf Grund seiner er- 
schütterten Gesundheit einen Urlaub von sechs Monaten nachzu- 
suchen, der denn auch bewilligt wurde. Die Amtsgeschäfte 
waren derart in Verworrenheit geraten, daß ein junger An- 
fänger nicht fertig wurde und ein älterer Beamter, ein Neffe 
des Regierungsrates v. Meien, nur durch öffentliche Aufrufe 
Ordnung schaffen konnte. 



— 280 — 

1 Die sechs Urlaubsmonate brachte Orabbe in Detmold zu und 
die Perspektive ward verdüstert nicht nur durch die Hoff- 
nungslosigkeit seines Lebens, sondern auch durch die häus- 
lichen Verhältnisse. Die Poesie war sein einziger Trost. Die 
Oberfülle von Ungemach hat Qrabbe mit stummem, stolzem 
Schmerze getragen. Mit einem invaliden Hauptmann däm- 
mert er schweigend in der Ressource, wie später in Düssel- 
dorf mit Burgmüller — schweigend, denn die Rede der Menschen 
ist doch meist Lästerung und Verleumdung. An den lustigen 
Ausflügen der lebensfrohen jungen Welt konnte Qrabbe nicht 
teilnehmen, seine Beine trugen ihn nicht und so war auch die 
Flucht an den Busen der Natur erschwert. Die Kleingeister 
spotteten über ihn, da sein literarischer Ruhm sich nicht als 
treu erwies. Dabei ist er mit seiner Hast und Unruhe, seiner 
Verstellung und Spottsucht auch für seine Freunde ungenieß- 
bar. Weiche Stimmungen kommen über ihn und dawider 
panzert sich sein Stolz mit zynischem Hohn. Der Anblick 
dieser zerstörten Menschengestalt flößt Mitleid, aber da wo 
sich mit der Verzweiflung auch der Wahnsinn verschwistert, 
auch ein tiefes Grauen ein. Eine schauerliche Anekdote er- 
zählt von seiner Perversion. Er sieht auf einem Spaziergang 
in der Dämmerung Ratten über den Boden schleichen, infolge 
einer Wette stellt er sich selbst auf alle Viere und in seiner 
Einbildung als Kater geht er derartig in seiner Rolle auf, 
das er die Ratten in den Mund nimmt und anfrißt. Was alles 
sonst der Klatsch über ihn und sein eheliches Leben zu be- 
richten wußte, »die Details bleiben in der Feder stecken* 4 . 

Irgend ein spottsüehtiger skurriler Zufall, irgend eine 
Schicksalstücke treibt ihn tiefer und tiefer in das Elend, zu 
dem er prädestiniert ist. Dornen und Nesseln stechen über- 
all. Das Leben wird zur Hölle. Orabbe nennt sich gern 
einen Teufel oder er stellt Personen dar, die in höllisch-teuf- 
lischem Bann befangen sind. Er selbst ist ein zerrütteter 
Teufel, der im Aschpfuhl des Elends sitzt, der aber auch 
nach Pech und Schwefel stinkt Man kann sagen, daß Qrabbe 



- 281 - 

die Beute verschiedener Teufel war: der Armut, des Alkohols, 
des Siechtums. Aber alle Schauder der Hölle verblassen vor 
dem Oefühl des Glucklosen, Gottverlassenen, der in dieser 
liebelosen Ehe da Steine findet, wo er Brot des Lebens be- 
gehrt, der nun endgilrig überzeugt wird, daß was noch heilig, 
schön und edel gilt in der Meinung der Menschen, in Wahr- 
heit für ihn eitel, schofel, Dreck ist. Krankheit nagte an ihm, 
Enttäuschung und Neid zerfraß den Kern seines Wesens. Ein 
Mann von ungewöhnlichem Talent, ohne eigentlich schlechte 
Eigenschaften, und doch das unseligste Dasein, während doch 
so mancher Unwürdige im Leben obenaufkommt Grabbe schuf, 
krank und von Arbeiten überhäuft, seine Hohenstaufen und 
seinen Napoleon in einer Zeit, in der doch nichts Dauerndes aus 
der Massenproduktion aufragte, in der man in Dresden klagte: 
man sieht nur abgestandene Stücke, am besten könnte dem 
Mangel der wahrhaft geniale Grabbe abhelfen. Aus Berlin 
weiß eine Theaterkorrespondenz nur von Raupach oder von 
Armseligkeiten der Weißenthurn, von Töpfer, Holbein u. a. 
zu berichten. Als Michael Beer starb, schrieb ein Literat: 
die Bühne kümmert sich um die Dichter erst, wenn sie tot 
sind. Grabbe stand ganz isoliert und unbeachtet da oder die 
Kritik verwarf ihn wegen seiner Sonderbarkeiten. Zwar wird 
er in Immermanns Reisejournal oder in Steinmanns Taschen- 
buch der deutschen Literatur erwähnt, aber in Detmold spielte 
er keine führende Rolle und mit seinen Gönnern verlor er die 
Fühlung. Wir hören z. B. nichts davon, daß Grabbe sich 
an dem 60. Geburtstag von Tieck, der 1833 in Berlin mit 
Glanz gefeiert wurde, irgendwie beteiligte. Dabei stand 
er keineswegs außerhalb, wenn es auch sonderbar ist, daß 
Grabbe zuerst nach vorhandenen Vorbildern schafft, sich dann 
aber, wenn diese von ihm eingeschlagene Richtung Mode 
wird, abwendet und etwas Neues sucht. So blühte die Neu- 
romantik durch V. Hugo in Frankreich und der Byronismus 
erlebte dort seine Wiederauferstehung. Don Juan wird in 
einer dramatischen Phantasie bearbeitet. Fausts zweiter Teil 



— 282 - 

erschien, Bechstein und Hoffmann traten in Goethes Fuß- 
stapfen. Die Hohenstaufen Raupachs — sie wurden in fest- 
licher Vorstellung bei Besuch des rassischen Kaisers Niko- 
laus aufgeführt — klangen 1834 mit dem Konradin aus. 

Niemand glaubte an eine Morgenröte nach Goethes Tod, 
Grabbe sank dem Grabe entgegen. Man bricht über Grabbes 
Liederlichkeit, seine vernachlässigte Amtsführung, seinen 
Alkoholismus den Stab — aber zwei Jahre später ist er tot. 

Die sechs Monate Urlaub gingen herum und eine Ver- 
längerung wurde abgeschlagen. Die Loslösung erfolgt unter 
ganz eigenartigen Umständen. Ein Bluff, ein Witzwort, eine 
Verstellung. Der Regierungsrat sagt ihm: so ein Mann wie 
Sie könnte doch von seinen schriftstellerischen Arbeiten leben. 
Ein solches Wort Hei wie Zunder ins Pulverfaß, es weckte 
die schlummernden Wünsche. Grabbe ging darauf ein und 
ward entlassen. Die nüchterne Vernunft urteilt wie Frau 
Lucie: Eitelkeit und Berufsüberdruß übertöne die Stimme der 
Pflicht. Aber warum konnte man nicht einmal bei Grabbe 
einen großherzigen Standpunkt einnehmen. Grabbe flüchtete 
wie ein gehetztes Wild, von Innern und äußern Qualen ge- 
peinigt, aus seines Daseins Hölle und vielleicht (sicher glaubte 
er wohl selbst nicht daran), warum sollte er in einer großen 
Stadt mit seinem Genie nicht aufkommen? Ein andrer gewiß 
— aber Grabbe? Er hatte noch einen Sparpfennig, außerdem 
erhielt er sein Gehalt bis zum Ende des Jahres. Die kaum 
noch latente Krisis kam nun zum offenen Ausbruch. Frau 
Lucie verharrte auf ihrem engen Rechtsstandpunkt. Die ganze 
Kleinlichkeit ihres Charakters wird offenkundig, aber auch 
Grabbe selbst war ohne Kraft und Vertrauen. Grabbe floh 
das „Genie, dessen Glorie er am besten aus der Ferne be- 
obachten konnte". Nur brieflich hat er noch mit Lucie ver- 
kehrt. Aber die hier gewählte Tonart ist keineswegs so herb 
und scharf und zynisch, wie man nach Grabbes mündlichen 
Äußerungen erwarten sollte. Vielmehr bricht ein Verlangen 
nach Ruhe und Versöhnung öfters hervor. 



- 283 - 

Wir besitzen noch «cht Briefe, die Orabbe an seine Frau 
schrieb; zwei aus Frankfurt, vier aus Düsseldorf und zwei aus 
den letzten Detmolder Tagen. Die verschiedene Schattierung ist 
in der Anrede leicht angedeutet: Liebe — Frau — Liebe — 
Lucie — Liebe Lucie — Liebe Frau — Frau — Frau. Der 
erste Brief nach der Trennung klingt versöhnlich. Vielleicht 
hofft er doch noch, daß Lude ihm folgen werde. Sie dagegen 
bietet alle Mittel der Beredsamkeit auf, die Aufhebung der 
Gütergemeinschaft zu erreichen. Es ist merkwürdig, wie sie 
bei dieser einzigen Sorge doch noch ein Interesse für Literatur 
heuchelt; so schickt sie ein Gedicht auf den Tod des 
guten Blume. Dann aber fordert sie, »die alle Sachen hat, 
kleine Obligationen, sogar eine elende Uhr und will Arrest 
darauf legen". Besonders aufgebracht ist Frau Lucie, daß 
Grabbe noch seiner Mutter Zuwendungen macht, der ver- 
haßten Frau, von ihrem Gelde mitgibt! Aus Düsseldorf schreibt 
Gnabbe: „Laß meine Mutter, die soviel für mich getan hat, in 
Ehren; zeig ein gutes Herz, indem du den Prozeß mit der 
armen Wallbaum, die so oft für dich lief, edel beschließest, 
mach mir keine Speranzien mit Quittungen und Obligationen, 
denke, daß ich dir doch alle Sachen, die ich bedurfte, ins Haus 
gebracht, und nur kümmerliche sechs Hemden pp., eine tom- 
backene Uhr zum Staat, eine übersilberte für die Post zur 
Reise erwählt und alles liegen und stehen gelassen habe, wie 
ich's fand oder gebracht. Wärst du gut, wie vor der Ehe, 
könnte manches anders sein. Du hast nie eingesehn, daß ich 
nur aus Furcht vor mir, nicht vor Dir und Deinem aufreizen- 
den pp. (sey's gut) etwas Ruhe suchte." Er will die Hälfte 
des Honorars der Hermannsschlacht mit ihr teilen. „Sey gut. 
Lies die Bücher. Du wirst sehn, .wir könnten glücklich seyn."*) 

•) Duller sagt (S. 56) : immerwährend krank, durch jenen Schlag des 
Schicksals gebeugt und gegen jedermann mißtrauisch gemacht, hing er starr 
an dem Wahne, seine Gattin habe kein Vertrauen mehr zu ihm und gebe 
ihn auf, und so sah er in jenem Vorschlag (der Gütertrennung) eine Be- 
leidigung, eine Verfolgung. Und weiter: Grabbes Leben, von seinem Auf ent- 



- 284 — 

Lude aber beharrt auf ihren Bedingungen, wendet sich 
an Immermann, der aber Orabbe bereits aufgegeben hat und 
stellt ein Ultimatum in einem Brief vom Februar 1836. 

Es ist der letzte der erhaltenen Briefe (einer ist verloren) . 
Zuerst schlägt sie sehr starke Gefühlstöne an, die aber nur 
zu sonderbar contrastieren mit der Aufforderung, eines der 
gesandten Dokumente zu unterschreiben. Da heißt es in dem 
Schreiben 4. März 1835: „Mit der Erinnerung an die Ver- 
gangenheit, wie Du lieber Orabbe einst nach dem Hinschei- 
den meiner englischen Mutter, mit der ich das letzte Erden- 
glück verloren, in tiefster Bewegung oft wiederholt vor mir 
standest und sprachst: „Ach, Sie reines Oold seyn Sie gut, 
seyn Sie edel, machen Sie aus einem Unglücklichen einen 
Glücklichen. — Ach du Oute, Liebe. Die Ehe ist das ein- 
zige Olück, die einzige Wonne des Lebens. Wir sind beide 
unglücklich, lassen wir uns, uns Unglückliche vereinigen, 
seyn Sie Oute eins und fest mit mir verbunden für das Erden* 
leben" pp. pp. Bitte ich dich mit heißen Trinen, die wie 
Blutstropfen mir vom Herzen durch die Augen dringen, laß 
doch ein besseres Verhältnis zwischen uns eintreten, unter- 
zeichne eine von den beiden Einlagen hier, welche du willst 
und sende mir dieselbe unterschrieben zurück." Der Anfang 
klingt lustig aber zuletzt schaut doch der Pferdefuß hervor. 
Immer härter und starrer ist Lude dann geworden gegen 
Orabbe, dem sie vorwirft, daß er gegen seine Mutter schwach, 
gegen seine Frau grausam bis zu unversöhnlichem Haß sich 
erweise. 

Der Brief vom 24. Februar 1836 sei hier erstmalig 
publiziert. Lüde möge damit das Wort zu ihrer Verteidigung 



halt in Frankfurt an, war eine Maske, um sein Unglück zu verbergen. — 
kann Lude da von gewissenloser Verschwendung reden, wo im schlimmsten 
Fall ein Mißverständnis Grabbes vorlag. 

Wird sich das Urteil immer nach den Persönlichkeiten richten, so wird 
man für Grabbes subjektive Oberzeugung das künstlerische Temperament, 
freilich auch seine krankhafte Reizbarkeit anführen müssen. 



— 285 - 

und zugleich sehn wir, wie sich niedrige Neugier und 
Skandalsucht, kleinstadtischer Philisterseelen in diese Ehe- 
affäre eindrängte. 

Lieber Orabbei 
Du wirst nach Deinem Schreiben vom 8. April auf das 
-meinige vom 28. März d. J. keine fernere Zuschrift mehr von 
mir erwartet haben. 

Aber ich erhebe mich über den Schmerz Deiner Grau- 
samkeit und bevor ich jetzt meine gerechten Beschwerden 
gegen Dich der Obrigkeit überreiche, biete ich Dir noch ein- 
mal aber zum letztenmal die Hand zur Versöhnung. 

Erhalte ich von Dir nach Ablauf von zwei Wochen, be- 
gleitet von einem freundlichen Schreiben eins von den beiden 
verlangten Dokumenten, so sehe ich alle dem verzweifelten 
Herzeleid nach und bleibe die deine. 

Willst Du Dich aber in der Oüte auch jetzt noch nicht 
dazu verstehn, so schreibe ich nunmehr sofort zur Obrigkeit 
und so magst Du denn in Gottes Namen mit Deiner Weige- 
rung das Eheband zerreißen, von dem ich einst wähnte der 
Himmel habe es um uns geschlungen. 

Ich wiederhole, daß wenn Du die Gütergemeinschaft 
durch wechselseitige Zurücknahme des Einzelrechtes durch- 
aus nicht ausschließen willst, so mußt Du mir die Dis- 
position über mein Vermögen gerichtlich festsetzen lassen und 
zwar durch Verzichtleistung auf das Vorrecht der Admini- 
stration des Gemeinguts. Und die von Dir hierüber aus- 
zustellende Urkunde muß so lauten: 

„Ich übertrage meiner Ehefrau die Disposition über das 
gemeinsame Vermögen und leiste auf das mir nach dem §9 
der Verordnung wegen der Gütergemeinschaft unter Ehe- 
leuten zustehende Vorrecht der Administration des Gemein- 
guts hierauf? Verzicht." 

Besitze ich am 6. März, unserm einstigen Hochzeitstag, 
oder in den nächsten Tagen darauf das Dokument, so bin ich 



- 286 - 

mit Dir ausgesöhnt, ist mir aber bis dahin dasselbe nicht ge- 
worden, so sage ich Dir mit diesen Zeilen zum letzenmal auf 

ewig Lebewohl. 

L. Orabbe. 

Wenn Du mir das Dokument sendest, so bitte ich Dich 
dringend, Dein Schreiben mit Oblate auf das sorgfältigste an 
den Seiten zu verkleben. Denn jedes Schreiben, was ich bis- 
her von der Post erhalten, trägt entweder die Spuren der ge- 
glückten Eröffnung, oder doch wenigstens die Spuren zu dem 
gemachten Versuch einer solchen. Ich habe Dir schon davon 
geschrieben. 

Denke Du einmal. Ein Bekannter von Dir, der kürzlich 
irrtümlich gemeint, ich habe einen Brief von Dir bekommen, 
hat meinem Mädchen zugemutet, sie möchte diesen heimlich 
in meinen Sachen aufsuchen und ihn dann damit bekannt 
machen. 

Dieser Herr weiß selbst um das Eröffnen meines Briefes 
auf der Post, ebenso wie mein Briefträger, Bescheid. 

Willst Du mir das Dokument nicht schicken, so bitte ich 
•Dich, mir gar nicht zu schreiben. Inständigst aber ersuche 
ich Dich um baldige Rücksendung der drei geliehenen Bücher, 
die ich nicht entbehren kann und welche Du mir längst schon 
wiederschicken wolltest Endet unsre Sache in der Güte, so 
sende denn diese Bücher mit den Dokumenten, aber ja etbt 
versiegelt (mit Oblaten). 

Bedenke Orabbe, Du hast außer mir nichts mehr zu ver- 
lieren. Oberwinde Dein hartes Herz, sei endlich einmal trie 
andere Leute. 

Bedenke Orabbe, es bittet Dich zum letztenmal 

die schutzlose Frau 
Adieu 

L. Orabbe. 

Kühle Besonnenheit mag dem Oatten gleiche Schuld bei- 
messen, wie Frau Luden, aber wer kann die Schmach der 
letzten Auftritte von ihr nehmen? 



- 2S7 - 

Lucic hat ja Recht, wenn- sie schreibt: „durch Deine 
Schritte: Dienstniederlegung, Entfernung von hier, vorent- 
haltene Auskunft aber in Gemeinschaft gebrachten 163 Taler, 
die Forderung des Militärgerichts von 130 Talern gibst du 
die größte Veranlassung zu Besorgnissen." Aber daß dies 
von Anfang an die einzige Bedingung der Versöhnung war, 
mußte Orabbe gegen die tieferen Gefühle seiner Frau miß- 
trauisch machen. Er mußte eine Empfindung dafür haben, 
daß seine ganze Selbständigkeit auf dem Spiel stand, wenn 
er seine letzten Rechte fahren ließ. Und erscheinen derartige 
Zweifel unbegründet, wenn man Luciens Haltung in der Ehe 
vor Grabbes Flucht und in den späteren Detmolder Tagen 
ansieht?! (vgl. Grabbe an Immermann 14. XII. 1834). Da 
er Lucien den Gebieter nicht hatte zeigen können, vertrotzte 
er sich in starrsinnigem Eigensinn. Allerlei phantastische 
Einbildungen ließen ihn die Sachlage wohl überhaupt nicht in 
nüchterner Klarheit übersehn. Sodann aber trüben uns» die 
zu Verläumdungen verführenden Antipathien Frau Luciens 
den objektiven Blick dafür, ob Grabbe sich in seinen Zu- 
wendungen an die Mutter allzusehr durch ihre Betteleien hat 
drängen lassen (2. XI. 1834), oder ob er der Oberzeugung 
war, die alte Frau vor Not schützen zu müssen. Jedenfalls 
hing Grabbe an seiner Art, indem er seine Mutter über seine 
Frau stellte, während es zu den sympathischen Zügen der 
Frau Lucie gehört, wie sie das Andenken ihrer „englischen" 
Mutter hochhielt und das Erbe ihres Vaters auch in litera- 
rischer Hinsicht sorglichst hütete. Fast scheint es, daß Lucie 
und Frau Grabbe die eigentlichen Gegner waren and Grabbe 
das Opfer eines unlösbaren Konflikt». 



IX. Kapitel 



Die Frankfurter Episode 

•Ich glaube nämlich, ich und eine 
alte Mutter sind verloren, wenn Sie mir 
nicht zu helfen suchen.« 

Qrabbe an Immennann. 18. XL MM. 

Am 10. September verabschiedete sich Grabbe brieflich 
von dem Reglerungsrat v. Meien. Er bedankt sich für das 
ihm noch zugebilligte Qehalt Zuletzt heißt es: „ich werde 
meine Frau ehren und geehrt wissen, doch das Hierbleiben 
geht dermalen nicht." Ganz anders hatte sich Grabbe freilich 
gegenüber Ziegler ausgesprochen, dem er am 3. Oktober 
seinen Roman Ranuder vorlas, darin er sich gemäß seinem 
unselig bedenklichen Schaffensprinzip über alles auslassen 
will, was er fühlt und denkt, was pikant und zeitgemäß ist. 
Am 4. Oktober reiste Grabbe ab, ohne von seiner Frau Abschied 
zu nehmen: „Was — von dem Weibe! Der wollt 9 ich lieber! 
Dagegen schied er wehmütig von seiner Mutter, die er bald 
nachzuholen gedachte. So ergreift Grabbe, ohne ein klares 
Motiv zu haben, im eigentlichsten Sinne die Flucht. 

Den Hannibal im Koffer, reiste Grabbe nach Frankfurt, 
wo sein Freund und Verleger Kettembeil wohnte. Baute er 
auf dieses Freundschaftsverhältnis, so erwies sich diese Hoff- 
nung wieder als trügerisch. Für die Frankfurter Wochen 
fließt die beste Quelle in Dullers Buch. Außerdem hat uns 
Graf Schack erzählt, wie er Grabbe an Dullers Seite in der 



— 280 — 

Mainlust traf und aus seinem Mund ein hohes Lob auf Müll- 
ners „Schuld", dagegen bittere, ja zynische Bemerkungen über 
Heine und Platen vernahm. In den Frankfurter Briefen 
reflektiert sich ein typisches Gesetz: erst ist Orabbe immer 
voll von Hoffnungen, dann folgen allerlei Reibungen, und der 
Schluß ist Bruch und Niedergeschlagenheit. Anfangs schwillt 
er in Obermut empor, dann aber heißt es: soll ich jedem die 
Pfote drücken, der mich begrüßt? Und zuletzt wendet er sich 
demutsvoll und flehend an Menzel und Immermann. Ausschlag- 
gebend aber war, daß die Verbindung mit Kettembeil 
sich grade jetzt zerschlug. „Ich sollte sein Hund werden, 
bald hier, bald da, nach seinem Willen korrigieren, damit das 
Zeugs dem oder jenem Blatt anpaßte, und er begriff nicht, 
daß fremde Korrekturen schlimmer sind als Originalfehler." 
Zuletzt folgt ein echt Grabbescher, aus persönlichen Erfahrungen 
entsprungener Sarkasmus: „Ich verzeih's ihm, er will heiraten." 
Bisher hatte sich Grabbe eine ziemliche Diktatur seitens seines 
Verlegers gefallen lassen. Kettembeil machte vielfach Ein- 
wendungen und äußerte Wünsche bei der Stoffwahl. „Don Juan 
und Faust" und „Heinrich VI." hat Kettembeil nur ungern und 
nach langem Zögern verlegt. Am 15. August 1822 war der 
keineswegs günstige Kontrakt abgeschlossen worden. Kettem- 
beil hielt sich darin das Recht vor, zu refüsieren. Grabbe 
verpflichtete sich, jedes Jahr 3 Stücke im Umfang von »Don 
Juan und Faust" zu liefern. Nur unter dieser Bedingung er- 
hielt Grabbe monatlich 24 Taler. Grabbe aber erhielt diesen 
Kontrakt nicht ein. Schon im April 1839 wurden Grabbes 
Verpflichtungen, aber auch sein Salär gemindert. „Früher 
mahntest du zur Ruhe, jetzt zur Eile" (2. 10. 30.) . Kettembeil 
muß ihm Bücher besorgen, für ihn nachschlagen. Später 
treten kleine Differenzen hervor. Die Vorrede zu Napoleon 
ließ Kettembeil nicht drucken, auch kam er nicht nach Det- 
mold, worum Grabbe bat. Er drängt den Dichter dann wieder 
beim Kosziuszko, für den er monatlich 15 Taler bietet (20. 
2. 32), und ist unzufrieden, daß Grabbe nicht bühnengerecht 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 19 



- 290 — 

schreibt wie Raupach, den er doch „nicht so übel" findet. Er 
gibt seinem Unmut Ausdruck, weil Grabbe nach dem ersten 
Hervortreten allzusehr nachlasse und er hat ja nicht Unrecht. 
Als Grabbes Werke nicht den erhofften Erfolg haben, tritt 
Kettembeil umsomehr mit seinen Wünschen hervor, während 
Grabbe alle möglichen Gründe für den Mißerfolg anführt. 
Der letzte Brief datiert vom 9. Juli 1832. 

Eine gewisse Spannung zwischen Autor und Verleger 
scheint schon vor Frankfurt bestanden zu haben. Der per- 
sönliche Verkehr mit dem krankhaft reizbaren Grabbe scheint 
dann noch ungünstiger gewirkt zu haben als der schriftliche. 
Man stritt sich über einzelne Szenen des Hannibal: Grabbe 
wollte z. B. durch eine nicht wiederzugebende Pantomime Han- 
nibals Empfindungen bei seinem Abschied aus Italien charak- 
terisieren. Durch Kettembeil wollte er sich nicht beeinflussen 
lassen, aber gegen Immermann hat er sich doch sehr gefügig 
gezeigt. Es ist offenbar, daß Kettembeil größere Buchhändler- 
erfolge erhofft hatte und daß er Grabbe zur Anpassung 
zwingen wollte. Der aber wehrte sich und dieser Widerstand 
wurzelt ebenso in einer gewissen Unfähigkeit oder Einseitig- 
keit, wie in seiner ausgeprägten Originalität, die er 
nicht preisgeben durfte. So ist Schuld und Recht wieder merk- 
würdig gemischt. Kettembeil hatte vielleicht nach seinem Ver- 
stände nicht so unrecht. Aber wieder bedauern wir, daß 
Grabbe auch diesmal nur auf kleinherzige Gesinnung stieß, 
daß diesem Mann in seinem ganzen Leben niemals mehr zu- 
teil wurde, als ihm nach dürftigstem Rechtsstandpunkt zu- 
gemessen werden mußte. 

Was aber sollte aus Grabbe werden, wenn er nicht einmal 
für den Hannibal einen Verleger fand? Außer Kettembeil 
hatte er doch vorläufig niemanden, wie er denn natürlich un- 
fähig war, in dem gesellschaftlichen Leben der reichen Kauf- 
mannsstadt irgendwie festen Fuß zu fassen. Er begann wieder 
mit einem rechten Affenstreich, einem rechten gesellschaftlichen 
faux-pas, indem er in eine Gesellschaft des Professors Hert- 



— 291 — 

ling unangemeldet hineinschneite und sogleich die ganze 
Trödelbude seines häuslichen Elends vor den verblüfften An- 
wesenden auspackte. 

Unter den Frankfurter Schriftstellern scheint so recht kein 
Zusammenhang bestanden zu haben. Außer den merkantilen 
überwogen die naturwissenschaftlichen Interessen die ästhe- 
tischen. Qrabbe ging wohl ins Theater und sah sich eine Vor- 
stellung von Goethes Götz und Shakespeares 
Julius Cäsar an. Er fand den Götz ganz verhunzt: 
in Goethes Vaterstadt schuf Becker aus der Eisenfaust 
eine „feuchtsentimentalgrobe Bierbrau er patsche", nur die 
Lindner errang seine bewundernde Anerkennung. Grabbes 
Urteil findet Bestätigung durch die Korrespondenzen des 
Morgenblattes (August 1835, Mai 1836), in denen es 
etwa heißt: das Theater unter Greiners Intendantur liegt 
im Argen, außer Weidner, Merk und der Lindner sind 
nur Mittelmäßige und Invaliden tätig, die neuere drama- 
tische Literatur existiert nur als Tradition. Auch im Morgen- 
blatt steht zu lesen, daß die Schriftsteller in Frankfurt sich 
wenig umeinander kümmerten. (Cretzschmar, Friedrichs, Hönig- 
hausen, Berberich.) Mit Hofrat Rousseau scheint Grabbe keine 
Beziehungen angeknüpft zu haben. Naturgemäß aber mußte 
er mit den literarischen Revuen Fühlung suchen. Da er- 
schien die D i d a s c a 1 i a, für die Führer der Jungdeutschen, 
wie Gutzkow, Wienbarg korrespondierten. Sodann der „P h ö- 
n i x", den der Schriftsteller Eduard Duller herausgab. 
Duller, der Novellen und Romane (Loyola) in einer dunkeln, my- 
stisch überspannten Schreibweise verfaßte, oder seine ästhe- 
tischen Ansichten in Theaterarabesken niederlegte, wurde der 
einzige treue und aufrichtige Gefährte des untergehenden 
Mannes. Einen hat das Schicksal ihm wenigstens noch immer 
gesandt, der in überwiegender Teilnahme und Liebe die bessern 
und edleren Kegungen in ihm hervorlockte. 

Grabbe aber führte nun ganz das Leben eines verkomme- 
nen Genies. Er bewohnte ein einfaches, fast dürftig möbliertes 

19* 



} 



— 292 - 

Zimmer in der Bockenheimer Oasse 108"*. Die Dürftigkeit 
ging bis zur Unsauberkeit: der sich vor den Wanzen in den 
Schrank flüchtende Qrabbe gehört zu den Erinnerungen, die 
unter den Frankfurtern fortleben. Den Gedanken der Ver- 
antwortung konnte er kaum noch tragen» Leben und Phantasie 
rannen völlig untrennbar ineinander. Es sind urorigiaelle 
Züge, die diese tragikomische Figur noch einmal scharf her- 
vortreten lassen, an denen die Frankfurter Wochen reich sind. 
Mit seinen Hospitas hat Qrabbe gern seinen Spott getrieben : die 
Berliner Witwe Putschet, die Kaffee kochende Dresdener 
Bürgersfrau mit der „grünen Perücke" erscheinen in den 
an Komödienmotiven reichen Briefen Orabbes in höchst 
drolliger Aufmachung. Er ist der Schrecken seiner Frank- 
furter Wirtin, wenn er hinter ihr abschließt und sie dann mit 
der Pistole zwingt, ihr aus Bibel und Gesangbuch vorzulesen, 
wobei er mit ernsthaftem Schelmengesicht die gottlosesten 
Fragen an die zum Tode erschrockene richtet Auch in 
dieser Groteske steckt ein tieftragisches Element. Er, der die 
Frage nach dem Leid in der Welt seit dem Erwachen des 
dichterischen Triebes leidenschaftlich diskutierte» flüchtet sich 
immer wieder zu dem Trostbuch seiner alten Mutter! — Auf 
der Straße erregt er Aufsehn durch seine grüne Auditeurs- 
uniform, durch die er, der Komödiant des Lebens, sich Re- 
spekt verschaffen will. Typische Situationen wiederholen sich: 
er schüft bis in den Mittag oder er sitzt schon morgens um 
10 Uhr einsam hinterm Glas Wein im Schwan. Abends hat 
er wohl Genossen, die er mystifiziert, durch tolle Behaup- 
tungen frappiert, und denen er zynisch gemein, dann wieder 
welch gerührt von der Komödie seiner Ehe erzählt. Widerlich 
genug berührt die Posse, die er mit seinem Ehering vor- 
spielte. Alles wird Spiel seiner von Bitternissen erfüllten zer- 
störerischen Phantasie, ein schlechter Witz, Hohn und Selbst- 
persiflage. Grabbe mochte denken wie Claus der Narr in 
Tiecks Ritter Blaubart: „Bin ich nicht so gezeichnet, daß 
jeder Mensch von mir sagen wird: wenn der Kerl nicht zum 



- 2*3 — 

Narren oder zum Taugenichts zu gebrauchen ist, so ist er 
völlig in der Welt überflüssig, kein Mädchen wird so wahn- 
sinnig sein, sich in mich zu verlieben. — Wohlwollen, Freund- 
schaft, Ehre, Ruhm, alles ist für diese arme verkrüppelte Ge- 
stalt gar nicht in der Welt, ich bin nicht fröhlicher, als wenn 
ich vergesse, wer ich bin, ich diene dazu, andre zum Lachen 
zu bringen und zwinge mich selbst zum Lachen; aus welcher 
Ursache sollte ich wohl das Leben lieben? was ist das Leben? 
Eine bestandige Furcht vor dem Tode, wenn man an ihn denkt, 
ein leerer nüchterner genußloser Rausch, wenn man ihn 
vergißt." 

Die Frankfurter Wochen sind ganz wie ein Rück- 
fall in die Studentenjahre, eine Wiederholung der Ber- 
liner Bohimezeitl Die dazwischen liegenden Jahre sind 
wie ohne Spur ausgelöscht und versunken. Oft ver- 
brachte Qrabbe auch den Morgen im Bette. Nachmittags zwi- 
schen 2 und 3 Uhr kam dann wohl Eduard Duller. Dann 
mußten vor allem die nötigen Requisiten besorgt werden: 
Kaffe oder Rüdesheimer, Zigarren, Licht, Manuskripte. Abends 
ging Orabbe öfters mit Duller durch die mit Walzer- 
klängen und fröhlichen Menschen erfüllten Alleen. Da 
mochte er sich wohl recht deplaziert vorkommen und ihm die 
„Mainlust" wie eine „Maintrauer" erscheinen. In jenen 
Nachmittagsstunden konzentrierte sich noch einmal das ganze 
Streben des Dichters, der wertvollste Inhalt seines Lebens. 
In solchen Stunden denkt — Ironie des Schicksals! — der 
totsieche Mann an eine Regeneration der Bühne durch das 
Lustspiel und wieder steht die Figur des Erzschalks Eulen- 
Spiegel vor ihm. Hilflos wie ein Kind, ein vollendeter Zyni- 
ker, hat ihm doch immer noch das Licht der Poesie geleuchtet, 
als das Letzte und Größte, das man ihm erst mit dem Leben 
entreißen sollte. In die Poesie konnte er all sein Weh bannen, 
und der adäquate Ausdruck für die innere Seelenverfassung 
prägte sich in seinen eigentümlichen Lakonismen aus. Er 
sucht sich in krampfhaftem Stolz aufrechtzuerhalten, wäh- 



— 294 — 

rend doch seine sinkende Kraft das Bedürfnis sich an- 
zuschmiegen in Wahrheit mehrt und vergrößert. Er findet 
eine ureigene Form, gerade jetzt zuletzt einen konse- 
quenten, unerbittlichen Naturalismus, aber getränkt von einer 
bittern, zugleich wortkargen Schmerzensstimmung, darin sich 
aber noch die letzten Reste einer romantischen Stimmung ver- 
flüchtigen. Gerade als Verfallender in einer Zeit des Nieder- 
gangs, in konsequenter Entwicklung früherer Tendenzen und 
doch wieder durch persönliche leidvolle Erfahrungen in die 
Tiefe getrieben, wird er der Prophet einer neuen Zeit. Die 
Eigenart der Behandlung war möglich, obwohl Grabbe in der 
Auffindung seiner Stoffe eigentlich selten sich als sonderlich 
originell erwies. Napoleon und die Hohenstaufen waren aktuelle 
Stoffe, Kettembeii brachte ihn auf den Kosziuszko. Jetzt kommt 
er durch die eigene Not, durch innere Einsicht, vielleicht aber 
auch unter der Anregung Kettembeiis, zu dem Plan, sich durch 
einen Genossen zu ergänzen. Er will die Ideen geben 
und Duller soll sie leicht und gefällig einkleiden. An Ein- 
fällen, Witzen, großen Konzeptionen fehlte es Grabbe ja nicht 
Aber es ist doch ein merkwürdiger Kompromiß für den auf 
seine Originalität Stolzen! In diesem Stolze hätte er sich auch 
nicht an Immermann gewandt. Denn Immermann hatte ihn 
im Reisejournal etwas von oben herab behandelt, und Grabbe 
hegte in glücklicheren Tagen den hoffärtigen Plan, mit Immer- 
mann in bissiger Kritik anzubinden. Aber nun klammert er 
sich an alle und jede Beziehung, die er nur je geknüpft hat. 
Er sucht nach einem starken Führer, denn er fühlt sein Elend, 
seine Hilflosigkeit, seine qualvolle Besessenheit. Und nun zer- 
fließt der Obermut des krampfhaften Stürmers und Drängers 
und ein armseliger Mensch, ein hilfloses Kind fleht: „ich glaube 
nämlich, ich und eine alte Mutter sind verloren, wenn Sie 
mir nicht zu helfen suchen." Selbstbewußter schreibt Grabbe an 
Menzel, demütiger und eindringlicher an Immermann. 
Der Gedankengang ist bei beiden Briefen ziemlich derselbe: zu- 
nächst erscheint Frau Lucie in schonungslos satirischer Be- 



— 295 — 

leuchtung am Pranger, und andre Gründe werden mit einer ge- 
wissen Verschmitztheit unterdrückt Dann heißt es, er suche 
einen Verleger, da der jetzige sparsam sei und Änderungen 
verlange. Er will Cotta für 18 Ngr. des Tags und freie 
Miete alle 6 Monate 2 Stück liefern. Und dann wieder höchst 
demütiglich: im äußersten Falle ist er auch mit einer Ab- 
schreiberolle und einem Stäbchen zufrieden. Er steht wieder 
da, wo er vor 10 Jahren stand. Doch das sinkende Schiff 
fand noch einmal einen schirmenden Hafen. Orabbe konnte 
Duller melden, daß Immermann ihm seine rettende Hand 
entgegenstrecke, und im Rüdesheimer einen Abschiedstrunk 
tun mit dem treuesten Genossen dieser trüben Wochen. 



X. Kapitel 



Düsseldorf — Grabbe und Immer mann 

Grabbe gehört zu den Verschrieenen, und Männlein 
und Weiblein meinen, wenn er nur gewollt hätte, er 
hätte schon anders sein können. Ich aber sage: er 
konnte gar nicht anders sein, als er war, und dafür, 
daß er so war, hat er genug gelitten. Die Pflicht 
der Lebenden aber ist es, die Toten über der alles 
nivellierenden Flut des mittelmäßigen Redens und 
Meinens empor zu halten. 

Immermann In den Memorabilien. 

Am 28. November 1834 schrieb Grabbe an Immermann: 
„Meine Menschenkenntnis betrog mich nicht. Ich hielt Sie für 
ernst, fest und treu. Mit dem Stäbchen und 6—7 Thalem 
monatlich bin ich einverstanden, der Buchhändler Schreiner 
wird wohl mit meinem „Hannibal" zufrieden sein". Von hei- 
term Wetter begünstigt trat er die Reise an. Der Rhein ging 
ihm mit seinen Sagen und Geschichte wie ein alter Bekannter 
zur Seite. So kam er nach Düsseldorf, wo er von dem hier 
breiten, noch unzerteilten, kräftigen deutschen Strom mit seiner 
frischen Luft neuen Lebensodem zu empfangen hoffte. Am 
5. Dezember meldete er Immermann sein Absteigequartier im 
„Römischen Kaiser" in Düsseldorf. „Achten Sie mich." Dieses 
erste Zusammentreffen, mit dem die Düsseldorfer Episode be- 
ginnt, muß man bei Immermann nachlesen. Ober diesen Zeit- 
raum mit seinen groteskkomischen, aber auch tieftragischen 
Szenen sind wir sehr genau unterrichtet. Außer Immermann 



— 297 - 

hat eine Reihe von Zeitgenossen darüber berichtet, und vor 
allem fließt eine wichtige Quelle in den etwa 130 Briefen 
Grabbes, die vom 5. Dezember 1834 bis 29. April 1836 reichen. 
Qrabbe wohnte zuerst in der Ritterstraße bei der Witwe An- 
dries, dann Neubrückstraße 171 bei einem Ehepaar Bauer. 

Das Düsseldorfer Drama hat den typischen Verlauf, der 
sich aus den einzelnen Lebensabschnitten immer wieder von 
selbst ergibt. Zuerst ein Anlauf emporzukommen: fast in- 
brünstig klammert sich der Sinkende an Immermanns starke 
Persönlichkeit an; dann folgt der Abfall: es zieht ihn zurück 
in das Milieu der Kneipe, in die kleinbürgerlich realistische 
Sphäre, aus der er hervorgegangen; endlich der Bruch: das 
Element stößt ihn von sich und die Welle wirft ihn an den 
Strand des Todes. 

Rührend und ergreifend ist es zunächst, wie Orabbe an. 
Immermanns starker Hand sich aufrichten will, um einem 
neuen Leben entgegenzugehn. Immermann nimmt er zunächst 
willig als seinen Vormund an. Auf seinen Wunsch speist 
Orabbe mit seiner Wirtin. „Immermann behandelt mich ehren- 
voll und sorgsam." Seine Dankbarkeit kennt keine Grenzen. 
Daß Immermann bei ihm ist, ist sein schönstes Geburtstags- 
geschenk. Immermann und Petri sind ja seine „einzigen 
Freunde auf der weiten, kalten Erde". Immermann schüttet 
er sein ganzes Herz aus und weiht ihn in seinem ganzen 
Ehejammer ein. Zunächst übt das Gefühl der Dankbarkeit 
die wohltätigste Wirkung. Grabbe gibt sogar den Morgen- 
rum auf und beschränkt seine Trinkbedürfnisse überhaupt auf 
den leichteren Bierstoff oder auf ein mäßiges Glas Punsch 
beim Lesen der Journale. „Ich werde von den vornehmsten 
Ständen geschätzt und wegen meiner albernen Launen, die aus 
meiner früheren Erziehung und Stellung entspringen, mit Nach- 
sicht behandelt, sodaß ich mich schäme und bessere." Die 
weichen edleren Regungen seiner Seele treten noch einmal 
hervor. Die Achtung, die ihm Immermann schenkt, der 
Strahl einer echten Freundschaft mit Burgmüller, der für 



- 298 - 

ihn in den Tod ging, erhellt noch einmal diese ver- 
düsterte Seele, so daß sie wieder glauben kann. Immermanns 
Verstimmungen betrüben ihn, ja er will die Menschenverach- 
tung aus Immermanns Herzen reißen; „bei dem Göttlichen, 
das fiberall waltet, das Gute überwiegt, und das Schlechte er- 
klärt sich aus Not und Eigennutz. u Als allerhand Klatschereien 
das Verhältnis trübten, schreibt Grabbe an Immermann: „Wie 
hoch ich Sie achte, wissen Sie; mit meinem Lebensblut kann 
ich besiegeln, wie gut ich Ihnen bin. Ein Mann wie Sie kann 
sich ärgern, ist aber gewiß edel, gut und stolz." Es ist be- 
merkenswert, wie gleichzeitig noch allerlei menschliche Sehn- 
suchten in ihm wach werden: nach der Scholle, wo sein 
Vater grub, nach der Mutter mit ihrem einfältigen Gemüt, 
religiöse Stimmungen von mystisch-pantheistischer Färbung tau- 
chen empor. Man darf das nicht nur physiologisch als die flüch- 
tige Rührung des Alkoholikers deuten. Freilich, die Schwäche 
übermannt ihn oft: der Schlaf stürzt über den Ermatteten „wie 
ein Mondschein". Er kann nur unter ungeheuren Anstren- 
gungen schaffen, aber er gibt die letzte Lebenskraft dafür hin; 
insofern war er ein echter Dichter. Seine innern Empfindungen 
malen noch andere Brief stellen : »nach dem harten Leben 
ist er heiter," ein „Strom in ihm läßt ihn nicht zur Ruhe 
kommen", das „Tüchtige ist der Fels, der sich selbst macht 
und dem die Esel ausweichen". Beim Tode seiner frühern 
Braut: „ich bin ganz heiter, sie ist mein, makellos, ein Stern 
über ihrem Grab." 

In groteskem Gegensatz zu den weichen Regungen eines 
Sterbenden stehn nun wieder die äußern Lebensverhältnisse. 
Er ist ganz baufällig geworden. Sein Hauswirt zeichnet 
Grabbe seinen Plan auf, nach dem er sich orientieren sollte, 
aber er bedarf doch der führenden Magd, die ob dieser 
Dienste schamhaft ihr Gesicht verhüllt, während Grabbe mit 
ernsthaftem Gesicht ihr folgt. Das war nicht nur die Folge 
der Krankheit, gegen die er sich selbst kuriert mit einem oft 
erprobten Hausmittel, einem niederschlagenden Pulver, be- 



i 
J 



- 299 — 

stehend in einem Hering mit Essig. Auch ziehen die andern 
Arzneien nicht mehr: schreiben, lesen, etwas Grünes vor sich 
haben, die Füße warm halten. Sein Körper ist ihm gleich- 
gültig und an die Arzte glaubt er nicht. Er hält einen feurigen 
Trank immer für ein treffliches Mittel und mögen ihn die 
Arzte tausendmal verbieten. Dabei breitet sich die Rücken- 
markschwindsucht immer weiter aus; Schwächeanfalle, Fieber- 
schauer, Augenentzündungen bringen ihn immer mehr zu- 
rück und führen ihn der Auflösung entgegen. Nun ist der tot- 
sieche Mann auch noch von den größten Widerwärtigkeiten 
bedrängt. Hinterträgereien erschüttern sein Verhältnis zu 
Immermann, und als dieser im Juli auf längere Zeit verreist, 
ward ihm der wichtigste innere Halt entrissen. Er hatte 
Ärgerlichkeiten mit der Magd, seinem „Columbus" . Seine wirt- 
schaftliche Existenz ist unsicher und damit die seiner alten 
Mutter. Frau Lüde verlangt andauernd Orabbes Verzicht 
auf die Gütergemeinschaft. Man kann wohl sagen, das Leben 
kann so entsetzlich werden, daß man es wegwerfen muß, oder 
es allein durch Anwendung von Palliativmitteln, die das Ge- 
dächtnis lähmen, ertragen kann. Wie der Arzt die höchsten 
Schmerzen durch Morphium mildert, so hat Grabbe aus 
lauter Verzweiflung sich mit Alkohol betäubt, um die ent- 
setzliche Wirklichkeit nicht mehr zu sehn und den eigenen 
Geist, „das böse Spirituosum", zu beruhigen, den hungrigen 
Wolf seines Grames zum Schweigen zu bringen. 

Jedenfalls geht die letzte glückliche Periode seines Lebens 
mit dem Sommer 1835 zu Ende. Immermann zog ihn noch in 
die bessern Kreise und er erzählt, daß der Eindruck von 
Grabbes merkwürdiger Persönlichkeit überall ein bedeuten- 
der war, man hörte ihm interessiert zu, wenn man auch 
ein leises Grauen empfand und sich wieder abgestoßen 
fühlte. Besonders die Gräfin Ahlefeldt, die „wilde Jagd tf , 
die Freundin Immermanns lud ihn oft zum Austausch der 
Gedanken zu sich. Er begleitete sie auf Ausflügen. Dann 
improvisierte Grabbe herrliche Verse, bis der Teufel 



- 300 — 

ihn ritt und der zynische Geist wieder über ihn kam. Er 
machte der Gräfin eine Liebeserklärung und biß ihr als Aus- 
druck seiner Zärtlichkeit in die Hand. Die Gräfin urteilt Ober 
ihn: „er war wie ein Kind, so gut, so unartig, so lenk- 
sam, aber auch so schmutzig." Als Immermann im Herbst 
zurückkehrte, lockerte sich das Verhältnis bedeutend, wie aus 
Grabbes Brief an Menzel hervorgeht: „bald Spannung, bald 
Friede" (22. November) . Immermann fand Grabbe sehr ver- 
ändert. Der tägliche Meinungsaustausch, in dem Grabbe 
sicherlich mindestens so viel gab wie Immermann, wurde 
seltener. Die Scheu, das Oberempfindliche, das Diversive 
dieses Geistes hatte noch zugenommen. Der Kreis seiner 
Interessen war immer mehr zusammengeschmolzen. Er konzen- 
trierte seine Gedanken auf die Kunst, für alles andre schien er 
albgestorben. Immermann hat später ein feines Verständnis für 
die Eigenart Grabbes gezeigt, und seine Urteile gehören zu 
den schönsten und maßvollsten, die über Grabbe gefällt sind. 
Er hat Grabbe eine ernste, tiefe Natur, eine Natur in Trüm- 
mern genannt. „Er war der westfälische Bauer par ezcellence, 
scharfsinnig, einfach, urgermanisch, geradezu auf das Rechte 
losgehend, aber auch sehr roh, vielleicht sogar undankbar." 
Er hat später mit Bezug auf das traurige Düsseldorfer Leben 
gesagt: „das alles wird durchaus entschuldigt durch seine 
Krankheit und seinen frühen Tod." „Grabbe gehört zu den 
Verschrieenen, und Männlein und Weiblein meinen, er hätte 
auch anders sein können, wenn er nur gewollt hätte. Ich 
aber sage euch, Grabbe konnte gar nicht anders sein und da- 
für, daß er so war, hat er genug gelitten". Leider aber hat 
er nicht nach diesen Worten gehandelt. Grabbes Frau ging 
ihn um seine Vermittlung an, aber er mußte es ablehnen, in 
ihrem Sinne auf Grabbe einzuwirken und bald darauf im 
Februar 1836 hat er auch an Grabbe den Abschiedsbrief ge- 
richtet. 

Mit zwei Gründen hat Immermann den Bruch begründet: 
einmal mit dem Benehmen und Auftreten Grabbes, — dieser 



- 301 - 

Vorwurf war sicher berechtigt — , sodann mit der Behauptung, 
Orabbe schädige sein Unternehmen durch gehässige Kritiken. 
Wie wir noch sehn werden, war nach den vorliegenden Re- 
zensionen letztere Behauptung ungerecht. Immermann scheint 
allzu überempfindlich auf Klatsch und Hinterträgereien rea- 
giert zu haben. 

Jedenfalls taumelte Orabbe, des starken Führers beraubt, 
wie ein hilfloses Kind unsicher in den Sumpf. Er verliert 
jede Fühlung mit der großen Welt und verkehrt nur noch in 
Kreisen, in denen auch der Boh6mien respektiert wird. Er 
schloß sich an Dr. Runkel an, für dessen „Hermann" er März 
bis Mai und dann wieder vom Dezember ab Rezensionen schrieb, 
seit Juni gewann auch das Verhältnis zu seinem Verleger Schrei- 
ner an Intimitat. Die Reserven, die Orabbe sich in seinen Brie- 
fen an Immermann immer noch auferlegte, fallen ganz fort im 
schriftlichen Verkehr mit Schreiner. Da haben wir den ganzen 
Orabbe mit seinem agilen Qeist: ein Feuerrad sprühender 
Einfälle, die seltsamen Träume des in Selbstverbrennung 
sich Auflösenden, sehr zarte Gefühlsäußerungen eines zum 
Tode Resignierten, dann aber wieder eine Orauen und 
Abscheu erregende Verfallerscheinung: ein Teufel mit un- 
flätigem, boshaften Witz, der mit mephistophelischem Grinsen 
mit seinen Klauen zerreißt, was außer ihm geistig vorwärts 
strebt und dem Kult des Schönen huldigt. Gerade das Bild 
des untergehenden Grabbe ist mit mancher phantastischer 
Zutat oft ausgemalt worden. Man mag die einzelnen Berichte 
von Ziegler, Kühne, Kobbe u. a. (z. T. ausführlich bei A. 
P 1 o c h) nachlesen. Am wichtigsten sind uns natürlich die Be- 
richte von Augenzeugen. Sie berichten von dem letzten un- 
ruhigem Aufflackern dieses ausgebrannten Kraters, wie aus 
dem Aschpfuhl nur selten noch ein leuchtender Funke zum 
Himmel aufblitzt. Drei Bilder stammen aus jener Zeit: von 
Hildebrandt, Pero und L. Heine. Der Zynismus lauert um 
die Mundwinkel, und man liest in den zerstörten Zügen eines 
Besessenen. Tagsüber lag er meist auf dem Bett, abends saß 



— 302 - 

er im Wirtshaus hinterm Wein — dabei waren seine wachen 
Gedanken immer bei seiner Kunst Leutnant Neumann be- 
suchte ihn: er fand einen Trottel, der sich dennoch erhob zu 
schönheitsvollen Gedanken über „Alexander" und „Christus". 
Sein Leben war der Abdruck einer seiner verzerrten Gro- 
tesken geworden. Er sank mit seinen Füßen immer tiefer in 
den Kot» wahrend man von dem Flügelrauschen des Aars 
in seinem Haupt nur selten vernahm. 

Es scheint, daß Grabbe sich das „mihi est propositum in 
taberna mori" zum Leitmotiv setzte. In Stanges Wirtshaus 
„zum Drachenfels" war er allabendlich zu treffen. Da saß 
er allein mit seinem „Ganymed" oder er war umringt von 
Spießern, Malern und Schauspielern, die sich für ein ver- 
kommenes Genie interessierten und die barocken Einfälle dieses 
abenteuerlichen Geistes miterleben wollten. Einer dieser Schau- 
spieler, Karl Ellmenreich, hat in seinen Erinnerungen 
davon erzählt. Da saß Grabbe gespenstisch hohl und ausge- 
mergelt, in altmodischem braunen Frack mit schwarzer Roß- 
haarkravatte, ohne Wäsche. Vor ihm stand ein Glas Wein oder 
ein Glas Grog. Seine Unterhaltung war voll von rohen Scher- 
zen und Zoten, zynisch, trocken, exzentrisch. Es wirkt wie 
ein Satirdrama auf die Orgien, die E. T. A. Hoff mann in tollem 
Oberschwang mit Devrient gefeiert. Eine verzerrte Kam' 
katur neben einem Gemälde von berauschender Farbenglut. 
Auf der Höhe stehende Menschen in dionysischem Rausch, zu 
intensivstem künstlerischen Genießen beschwingt und in einer 
Winkelkneipe produziert sich Grabbe einer unedlen Neugier. 
Er tötet sich ab und vergütet sich geflissentlich, um nicht 
aus dumpfer Betäubung zu erwachen. „Aus dem Feuerquell 
des Weines sprudelt Schönes und Gemeines." — Zuweilen 
sang man seine Lieblingslieder, „Prinz Eugen" oder Arien 
aus „Don Juan**. Spielte einer eine Weise von Burgmüller, so 
weinte er. Diese Tränen galten seinem besten frühverstorbenen 
Freunde. Norbert Burgmüller war ein Schüler Spohrs, 
ein langschmächtiger stiller Mensch mit vielem Talent, dessen 



— 303 - 

Charaktereigenschaften allgemein geachtet wurden. Ein instink- 
tives Gefühl für die Zusammenhänge, die aus einem von 
Hause aus nicht unedlen Menschen ein trauriges Mißgebilde 
geschaffen hatten, hatten ihn in merkwürdiger Intimität, die 
keiner wortreichen Erklärungen bedurfte, mit Qrabbe ver- 
bunden. Für ihn schrieb Grabbe einen karriki er enden Opern- 
text „C i d", den wir wenig goutieren können, auch wenn wir 
ihn nur als einen Bierzeitungsulk ansehn. Es ist ein tolles 
Gemisch: in der Form wie eine Tiecksche Literaturkomödie; 
außer den Akteurs spielen Publikum und Rezensenten mit. 
Die Elemente der Komik sind uns aus „Scherz Satire" be- 
kannt: ein Hauptwitz ist das Ausderrollefallen; es tritt auf 
ein Maikäfer, der die dramatische Poesie verachtet, ein 
Schaf frißt die neueren Dichter, nachdem ein Chor dieser 
Tiere die Musik durch Bähgeblök naturalisiert hat — die 
literarische Satire bezieht sich auf den Rellstab-Spontinischen 
Konflikt; auch Grabbes Gegner, z. B. Dr. Schiff, bekommen ihr 
Teil; Dezenz ist Nebensache. Manchmal aber trifft er den 
Nagel auf den Kopf wie im Fall Stieglitz : „Hättst du 
der Frau ein Kind gemacht, sie hätte sich nicht umgebracht." 
Burgmüller starb anfangs Mai* auf einer Badereise in 
Aachen. Grabbe widmete ihm in der Düsseldorfer Zeitung 
einen wehmütigen Nachruf, in den subjektive Stimmungen 
hineinfließen, die Schwermut des verkannten Genies: „Von 
.manchem im Pöbel wardst du verkannt, nur — weil du zu be- 
scheiden wardst. — Hätten die Tadler (seiner Faulheit) einen 
reizbaren, leicht durch Alltäglichkeiten gestörten, behinderten 
Genius zu schätzen gewußt, epileptische Anfälle und drückende 
Verhältnisse erwogen, so würden sie gestehen müssen: Nor- 
bert tat, was er unter den Umständen könnte." Das ist ganz 
po domo gesagt. Und Grabbe schließt mit dem schmerzlichen 
Stoßseufzer: „Es vergeht, es stirbt so manches Treffliche, 
man könnte bisweilen wünschen, auch in der Gesellschaft zu 
seyn, beizu auch deshalb, weil die Toten stumm sind und 
nicht klatschen und verleumden." 



- 304 - 

Der zerbrochene, dem Tode geweihte Mann, hatte immer 
noch eine Domäne, dahin sein besseres Ich sich flüchten 
und daraus er Trost schöpfen konnte. Das war ihm 
Kunst, Poesie, Theater. Dort fühlte er sich auf einer Insel, 
die aber von andrängender Flut immer mehr zerbrochen und 
zerstückelt wurde. Keineswegs nur aus bloßem Mitleid hatte 
Immermann Orabbe nach Düsseldorf gerufen, er verlangte 
einen Gegendienst und willig hat ihn Orabbe geleistet Eig- 
nete Orabbe sich nicht zum Schauspieler oder zum Drama- 
turgen, so befähigte ein scharfer Kunstverstand ihn doch 
sicherlich zum Kritiker. Von Zeit zu Zeit steht ein starker 
Helfer auf, der dem Verfall der gewohnheitsmäßigen Theater- 
betriebs wehren will. Was Lessing in Hamburg, Goethe und 
Schiller in Weimar erstrebten, nur dem Bayreuther Meister 
scheint es dauernd gelungen zu sein. Seit Oktober 1834 suchte 
Immermann in Düsseldorf eine Musterbühne zu errichten. Er 
flößte den Schauspielern, denen er als imponierender Tyrann 
erschien, gewaltigen Respekt ein. Die meisten Bühnen sind 
und waren Geschäftsunternehmen, hier sollte die Kunst zu 
Ehren kommen. An der Spitze stand ein Verwaltungsrat, 
bestehend aus Bürgermeister, vier Aktionären, zwei Stadt- 
räten, dem Intendanten und dem Musikdirektor. Musik- 
direktor war Mendelssohn-Bartholdy, Inten- 
dant Immermann. Immermann behielt die guten Schau- 
spieler und ersetzte die schlechten durch eine sorgfältige 
Auswahl von andern, die er auf seinen Reisen in Deutsch- 
land getroffen. Mit Ernst und Wohlwollen, durch un- 
verdrossene Mühe, durch Leseproben und sorgfältiges Ein- 
studieren, indem er die Seele für die Poesie empfänglich 
stimmte, erreichte Immermann seinen Zweck: das Kunstwerk 
so dargestellt zu sehn, wie es gedichtet ist. Orabbe bewun- 
dert den Oeist und die Kraft, die das schwierige Werk ver- 
wirklicht haben. Die Schauspieler, denen kein Souffleur hilf- 
reich zur Seite steht, müssen sich dem einheitlichen Zweck 
des . Kunstwerks unterordnen, niemand darf sich vordräng«, 



- 305 — 

und aus minderwertigen Rollen schafft der Schauspieler echte 
Menschen. Um alles einseitige Virtuosentum zu meiden, soll 
der Schauspieler sich in den verschiedensten Rollen betätigen. 
Orabbe bewundert die Fülle und Großartigkeit des Reper- 
toires, das etwa noch durch die Dramen der Antike oder Sa- 
kuntala vermehrt werden könnte, während andre über Mangel 
an Abwechslung klagen. Er lobt die Künste der Inszenie- 
rung wie den astrologischen Turm in „Wallenstein", oder 
feine Einzelheiten: Macbeth spielt im milden Sommer Schott- 
lands, das Theater im Hamlet findet sich nicht im Hintergrund, 
sondern an der Seite; die Inszenierung der Wolfsschlucht hat 
er noch nicht einfacher und wirkungsvoller gesehn. Er kriti- 
siert die Sprechweise der Schauspieler und verlangt, daß beim 
Vers jede Silbe beachtet und durch eigene Modulation, statt 
durch eintöniges Geschrei, charakterisiert werde. Man sieht, 
Grabbes Theorien waren ganz vernünftig, sein scharfer Kunst- 
verstand trifft mit sicherem Instinkt das Echte und Richtige, 
wo die meisten irrten, aber man darf dabei nur nicht an seine 
eigene frühere Praxis denken. — Die Schauspieler werden 
meistens günstig charakterisiert: die Gediegenheit Schenks 
als Sigismund oder Hamlet, der charakteristische Macbeth 
Reußlers, Seligers Max werden durchaus nach ihrem Wert 
.gewürdigt Daß er zu den Fetisch anbetenden Kritikern 
gehört, wenn er die Leistungen der Damen zu bespre- 
chen hat, das braucht man bei dem Misogyn nicht zu 
fürchten. Man darf es ihm glauben, daß Mme. Lim- 
bach wirklich eine ebenso graziöse, als wahre Lady Macbeth 
gewesen ist. Sein ganzes Entzücken ist die Lauber-Versing als 
Rosaura, Thekla, Ophelia, Agnes. Auch das gehört zu den 
merkwürdigen Kontrasten, an denen Grabbes Leben so 
reich ist, daß die höchste Forderung des Hinsiechenden 
auf Natürlichkeit und Lebensfrische geht, und daß er nichts 
so sehr haßt als das Gekünstelte und Gemachte. 

Das „Theater in Düsseldorf" ist ein hohes Lied 
auf Immermann, dem zu Liebe er viel geändert und gemildert 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 20 



- 306 — 

hat (3. IV. 1835), und es ist auch aus den 35 Rezensionen des 
„Düsseldorfer Tageblattes", die nach Elmenreichs Urteil auf die 
Schauspieler einen weit bedeutenderen Eindruck machten, als 
die Kritiken Schleiermachers in der „Düsseldorfer Zeitung 4 *, 
schwer einzusehn, wodurch Immermann so gereizt wurde. 
Ebenso wenig aus den Briefen. Allerdings wird in den De- 
zemberkritiken der Ton zuweilen bissiger und moquanter, 
die Ausdrucksweise salopper und zynischer. Schenk und Henkel 
kommen schlechter davon als Stein. Schenks Belisar wurde 
einmal mit einer halbstündigen Verspätung aufgeführt. Aber 
sonst trifft sein Tadel doch mehr die Stücke, Raupacbs 
Enzio zerreißt er förmlich in einer neidischen Regung und 
ganz merkwürdig offenbart sich wieder der Gegensatz des 
kritisierenden und schaffenden Dichters in der schroffen Ab- 
lehnung der französischen Neuromantik mit der er doch wenig- 
atens in seinen früheren Schöpfungen so viel Ähnlichkeit hatte. 
Aber mit Achtung ist es festzustellen: sein zusammenhängen- 
des Schlußurteil bei Gelegenheit der Aufführung des Tieck- 
schen Blaubarts ist von hoher Anerkennung getragen. 

Daß Grabbe, der das Heiligste nicht verschonte und am 
wenigsten sich selbst, in seiner Kneipe oder im privaten Ge- 
spräch über Immermanns Schwächen maliziöse Bemerkungen 
machte, ist durchaus wahrscheinlich. Aber Immermann hätte 
bei Grabbes krankhaftem Zustand wohl darüber hinwegsehn 
können. Das war der Fehler Immermanns wie vorher Tiecks> 
daß sie für ihre Wohltaten allzuviel Erkenntlichkeit erwarteten, 
und daß ihr gesellschaftliches Obergewicht sie die eigentüm- 
liche Persönlichkeit Grabbes zu wenig respektieren ließen. 
Hieronymus Lorm sagt, Immermann und Grabbe hätten ebenso 
wenig gleichen Schritt halten können, wie Genie und Taleat. 
Sicher zeigte sich hier Immermann in verhängnisvoller Weise 
befangen. Grabbe hat dem Unternehmen Immermanns mit 
redlicher Kraft gedient und dieser Dienst war groß. 

Wie bescheiden ist Grabbe doch geworden! Anfangs will 
er, der geborne Revolutionär, die Rolle des Reformators spie- 



- 307 — 

lern, er sehnt sich nach dem massiven Genuß des Ruhmes als 
Darsteller eigener Rollen. Er will auf die Bühne, man weist 
ihn zurück. Nie sah er auf dem Theater die eigenen Träume 
zu heißem, packendem Leben gerinnen. Aber fremden Ruhm 
verkündigt er willig, bis man ihm zuviel zumutet und er zum 
Stolz erwacht. Seine Existenz fristen als Reklamemacher oder 
untergehn. Grabbe wählte das letztere. Und das ehrt ihn. 

Daß Immermann Grabbe Rollen aus Töpfers Lustspiel ab- 
schreiben ließ, ist ihm nicht zu verargen. Grabbes Geist, 
der sich in eigenen Gluten verzehrte, verlangte ein harmloses 
Ablenkungsmittel sozusagen zu seiner Diätetik. Aber Immer- 
mann hätte den Versuch machen sollen, Grabbes Werke für 
die Bühne zu gewinnen. Auf diese Weise hätte er Grabbe 
auch finanziell helfen können. Freilich schätzte er gerade die 
am ehesten aufführbaren Stücke, in merkwürdiger Überein- 
stimmung mit Kettembeil, am wenigsten: Don Juan und Paust 
oder Heinrich VI. 

Es wäre in jedem Betracht weit wünscheswerter gewesen, 
Immermann hätte Grabbes Barbarossa zur Darstellung gebracht 
als den Tieckschen Blaubart Tieck war freilich ein hochmögen- 
der Mann und Grabbe ? Ja, wer war denn in Wahrheit 

der größere Dramatiker: Immermann oder Tieck oder Grabbe? 
Grabbe war zu stolz zu bitten. Ohne merkbare Bitterkeit be- 
merkt er zu der Aufführung des Blaubart: „Es hat mich über- 
zeugt, daß man alles vollenden kann, ist man nur so kühn, 
sich die Ausführung möglich zu denken, und so fleißig, alle 
Kräfte daran zu setzen." Grabbe hat Immermann dankbare 
Treue bewahrt. Diesem aber mußte es wie ein Stachel durch 
die Seele gehn, daß er den Dichter wenige Monate vor dem 
Tode abwies. Er hat es gut zu machen gesucht, indem er 
dem Toten ein würdiges Monument gesetzt hat. 

Lassen sich feste Kunstprinzipien in Grabbes Rezensio- 
nen erkennen? Für seine eigentümliche Kunst hat er keine 
neue Aesthetik geschrieben. Wir finden unter Auslassungen, 
die vielfach nur pathologisch zu erklären sind, noch manches 

20* 



— 308 — 

gute und tiefere Wort. „Die Aufgabe der Dichtung ist, den 
Geist rein zu machen, Himmel, Erde und Unendlichkeit an- 
zudeuten und fest in sich zu bleiben." Das wichtigste Problem 
bleibt aber noch immer, wie er seine Stellung zu Shakespeare 
oder zu Schiller präzisiert hat. Alle andern Dichter ver- 
schwinden gegenüber diesen beiden Heroen. Die ästhetischen 
Urteile, die sich in Rezensionen und Briefen oft im Wortlaut be- 
rühren, erhalten ihre beste Illustration durch den Hinblick auf 
das eigentümliche dramatische Schaffen Orabbes. Mit einer Ober- 
setzung des Hamlet hat er jedenfalls begonnen. Der Dichter 
des Hannibal, des Hermann legt vor allem Wert auf die Verstel- 
lungskünste Hamlets: er muß sein Gefühl nicht offen zeigen, 
sondern hinter einer leichten Konversation verbergen; wie er 
mit Ironie, Witz, Bitterkeit Ophelia zernichtet, das erinnert an 
das Verhältnis des Grabbeschen Faust zu Anna. Ophelia 
darf ihr Haar nicht zerraufen, sie muß es im Wahnsinn viel- 
mehr künstlich schmücken. Bei dem Urteil über König 
Johann, den „etwas lauttönenden aber wohlberechneten 
Prolog" zu seinem Dramenzyklus, wird man immer wieder 
an Grabbe selbst denken. Shakespeare gibt fast immer die 
reine Natur, ihr Großes, ihr Kleines, ja selbst ihr Kleinstes 
nicht ausgenommen, und fügt oft Dornen und seine besondern 
Grillen und Eigentümlichkeiten hinzu. Johann ist kurz, der 
Bastard wortreich, in dem Bastard macht Shakespeare sich 
Luft, indem er durch ihn die übrigen Personen ironisiert und 
kritisiert. Mit alldem könnte man Grabbe selbst charakteri- 
sieren, der hier einen bessern Ausgleich gefunden hat als in 
der „Shakespearomanie". Die Sterbeszene, in der der ver- 
giftete, innen versengte Mann sich nach Eis sehne, scheine zu 
beweisen, daß Shakespeare den Durst und die Einbildung des 
Cholerakranken gekannt habe. Sollte hier ein Vorbild für 
Heinrich zu finden sein? Die Exposition des Lear tadelte schon 
Goethe und auch Grabbe findet es marionettenhaft, wie der König 
unter hohlen Worten an seine Kinder seine Krone vergibt, als 
wäre sie ein zerbrochener Zuckerkuchen. Macbeth nennt er 



— 309 - 

eine zitternde Eisenwand. Lady Macbeth darf nicht als bösartige 
Person, als alte tränierende Wetterhexe erscheinen, sie will 
vor allem ihren geliebten Gemahl glücklich machen. Auch die 
Schiilersche Gräfin Terzky darf nicht ohne Anmut geschildert 
werden. Das sind persönliche Urteile, die ucfe bei dem Mi- 
sogyn besonders auffallen müssen. Sehr merkwürdig und sehr 
bezeichnend aber ist es, daß er im Gegensatz zu Tieck 
„Romeo und Julia" tadelt als eine Jugendarbeit voll 
von Witzeleien und Phrasen, statt voll von echtem Gefühl. 
Otto Ludwig hat gerade die Julia hoch über Schillers Thekla 
gestellt, aber Grabbe der Zyniker sucht in der echten Liebe 
mehr als Sinnlichkeit; hier hat er sich etwas Mystisches, eine 
Spur romantischen Idealismus bewahrt. Shakespeare ist nur 
sinnlich ohne Gefühl. Julia ist ein Straßenmädchen,. Romeo 
ein Narr. Er wagt Shakespeare zu belehren, wie der Pro- 
zeß der Liebe verläuft: sie ist ein stilles schleichendes Gift, 
Blicke, heimliches Einverständnis, Händedrucke sind ihre 
Äußerungen. Kleists Käthchen zeigt, wie Liebe entsteht: 
ohne äußere Motive, wie ein Naturereignis. Ist das nur 
bizarre Originalitätssucht oder stoßen wir hier auf eine ver- 
borgene Gefühlstiefe? Es ist die alte Liebe zu Schiller, 
die uns viel erklärt Indem er von Shakespeare den Realis- 
mus und mannigfache Bizarrerien übernimmt, vermißt er 
doch einen nationalen Wert bei ihm und das ist das 
deutsche Gemüt, das in wunderlicher Form aus 
seinen letzten Dramen herausschaut, und die deutsche 
Begeisterung. „Sollen wir Deutsche aber Shake- 
speares oft fehlgeschlagene Berechnerei immer über Schil- 
lers flammende Begeisterung stellen?" In Schillers Album 
schrieb er: „Was du gedichtet im Herzen, es geschah, 
Und du bist ewig deutschen Seelen nah." „Nicht Shake- 
speare, nicht Goethe — Schillers Feuer machte mich zum 
Dichter." Was ihm vorschwebt, ist statt der Ludwigschen 
Antithese eine Synthese zwischen Shakespeare und Schiller, 
wobei des letzteren Einfluß prävalieren soll. Realistischer als 



'— 310 — 

Schiller, aber auch so begeistert und begeisternd, mehr an die 
Bruststimme der Oallerie appellierend, als an die Kopfstimme 
des Parterre: ein volkstümlicher Schiller, das ist etwa das 
Zukunftsprogramm Qrabbes. Er würde z. B. Maria Stuart 
auf Grund der Geschichte noch realistischer darstellen. Mit Recht 
hat Schiller in der Eifersuchtsszene der Königinnen seine oft 
allzu begeisterte Auffassung von Menschen und Verhältnissen 
mit Wahrheit und Natur versetzt und in einen engen Kreis 
kleinlicher Intriguen gebannt Welch ein Sarkasmus steckt 
wieder in Grabbes Anmerkung, daß Schiller die weibliche 
Natur nie besser erkannt haben soll als in dem Zank- 
dialog der beiden Königinnen! Dieses Beispiel ist sehr in- 
struktiv: Schiller wird von Sentimentalität und Rhetorik befreit, 
seine allzu idealistische Geschichtsauffassung der realistischen 
Wirklichkeit mehr angenähert. Aber fehlen darf auch nicht 
die hinreißende Begeisterung des Lieblingsdichters der Na- 
tion: „kein Dichter hat so wie Schiller im Wallenstein die 
fernsten Sterne zur Erde gezogen, so die Sehnsucht nach dem 
Unerfaßbaren verherrlichet — Wallenstein blickt noch einmal 
zu seinem Stern, dem Jupiter und verwechselt ihn plötzlich, 
unwillkürlich, mit seinem dahingesunkenen Max. Andere Dich- 
ter haben in Sachen anderer Art Größeres geleistet, aber 
solch einen Blitz zwischen Himmel und Erde schuf nur 
Schiller. Der Pöbel merkt's freilich nicht, das Erhabene heißt: 
ihm die Hand vor die Augen zu halten." Es ist ein großer 
positiver Gedanke: der deutsche Idealismus, die romantische 
Sehnsucht, herübergerettet in die anbrechende Zeit einer 
materialistisch-naturalistischen Lebensauffassung. Jene Hyper- 
romantik, jene barocken Schnörkel und bizarren Effekte sind 
nicht das Letzte, und wir erkennen hier zugleich Grabbes 
Tragik wie seine Tiefen. Von hier aus wird man auch Grab- 
bes letzte Versuche mit besserem Verständnis bewerten müssen. 
Nach diesem Dioskurenpaar schaut Grabbe sehnsüchtig 
aus, keine andere poetische Erscheinung kann ihm imponieren. 
Zynisch u&d prahlerisch hat er über alles andere 



— 311 — 

verächtlich abgeurteilt Goethes Paust ist nur eine Bagatelle, 
aber auch der eigene »Don Juan und Faust" eine lumpige 
Vorarbeit Erst die beiden Urteile nebeneinander charakte- 
risieren den wieder aus Rand und Band geratenen Grabbe. 
Übrigens durfte Grabbe wohl auch eine Wirkung seiner Dich- 
tung darin sehn, wenn gerade damals Lenau seinen Faust und 
Dumas, seinen Don Juan schrieb. „Faust und kein Ende" 
ruft ein Rezensent aus im Hinblick auf die sich immer noch 
mehrende Menge der Faustdichtungen und Kommentare, die 
das Vermächtnis des Altmeisters begleiteten. — Ein Besucher 
schildert Grabbe als Rezensenten: er liegt auf dem Sofa, auf 
einem Tisch neben ihm ein Haufen Bücher, er blättert sie 
durch, spukt darauf und schleudert sie dann von sich. So 
hat er die damalige Literatur in verächtlichster Weise her- 
untergerissen. In saloppstem Neglig6 erscheint er in den 
Briefen an Schreiner, in denen er Revue über die Journale 
abnimmt Kleist scheint er von neuem gelesen zu haben, er 
nennt ihn keck, kühn, wahr und lebensfrisch. Die kleine No- 
velle „Konrad", in der der Sohn einer armen Witwe den be- 
trügerischen Banquier totschlägt, um dann in die Fremde zu 
gehn, erinnert etwas an die knappen Erzählungen von Kleist. 
Lassen wir noch einige seiner absprechenden Urteile Revue 
passieren: 

Freiligraths Poesie ist Farbenmalerei. Heine versteht 
nichts von Poesie, Rückert ist ein Versehengst, Gutz- 
kows Wally und das junge Deutschland nennt er talent- 
los. Dagegen werden Brentano und Arnim hochgepriesen. 
Hinter der Mode, Briefwechsel izu veröffentlichen, sieht 
er gewöhnlich Eitelkeitsmotive. Im April 1836 bot er 
eine von ihm und Hartenfels gemeinsam geschriebene kri- 
tische Abhandlung Duller an, der sie aber aus Schicklich- 
keitsgründen ablehnte. Sie bezog sich auf Bettinas Veröffent- 
lichung: „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde", und ist voll 
beißenden Spottes, den ihm vielleicht seine schroffe Ehrlichkeit 
eingegeben hat, aber auch teilweise Haß und Neid, mit denen 



» ». 



— 312 — 

er zeitlebens den auf der Sonnenhöhe des Glückes wandeln- 
den Goethe verfolgt hat, der sich im Umschmeicheltwerden 
gefalle und der sich gern die Hände lecken lasse von eitlen 
verliebten Weibern, wie der Misogyn Bettina benamset. — 

Nach Vollendung des „Hannibal" haben den Dichter noch 
die verschiedensten Pläne beschäftigt. Viele seiner Gedanken- 
späne sind als Fidibus in Rauch und Feuer aufgegangen. Einige 
solcher Fidibusse sind erhalten: da ist der Eingang einer Skizze 
„der Student tritt ins Philistertum", außerdem kurze Szenen aus 
„Alexander" und „Christus". Friedrich der Große und der 
Malier Arnold war ein anderer Plan. Und voll großer An- 
schauung ist eine der Impressionen, aus denen das Drama 
aufkeimte: Abend ziemlich im Dunkel, nur ein Licht und seine 
zornfunkelnden Augen. Im Vorzimmer die räudige Herde von 
Räten, welche in Arnolds Sache entscheiden, wartend und 
zitternd vor der berühmten Krücke. 

In der letzten Düsseldorfer Zeit lebte Grabbe eigentlich 
nur von einem Vorschuß, den ihm der Verleger für seine 
„Hermannsschlacht" gegeben; die Hypothekenobligationen waren 
aufgezehrt. Seit dem Bruch mit Immermann war sein Aufent- 
halt in Düsseldorf zwecklos geworden. So beschloß der tot- 
sieche Mann, nach seiner zwecklosen Irrfahrt, zu der ihn 
der krankhafte Impuls seiner Ruhelosigkeit genötigt, über 
Frankfurt und Düsseldorf wieder nach der Heimat zurückzu- 
kehren. Petri muß ihm die Mittel zu seiner Heimreise 
schicken, die früheren Kollegen sollen ihm soviel zum Ab- 
schreiben und Ausarbeiten geben, das er täglich etwa fünf- 
zehn Silbergroschen verdient. „Demnach kann ich nicht an- 
ders als das Urteil über mein hartes Los, in welchem ich 
denn doch immer noch meine Mutter unterstützte, Dir und 
der Welt zu überlassen und es darauf wagen, nach Detmold 
zurückzukehren, was immer besser ist, als ein wohlfeiler 
Sturz in den Rhein, wofür ich mich noch zu teuer halte." 
(29. April 1836). Er instruiert Schreiner, seine Briefe an- 
zunehmen, unter denen auch ein Antwortschreiben betr. die 



— 313 — 

Novelle Grupello sein kann, die er mit Hartenfels abfaßte 
und an Brockhaus absandte. Dann gibt er noch einige An- 
weisungen für Lisette und verläßt Düsseldorf mit einer Schul- 
denlast von 6 Talern für Essen und für den Barbier. Er kam 
nicht gleich bis Detmold, 2 Tage mußte er in Hagen liegen 
bleiben. 



XL Kapitel 




Hannibal — Aschenbrödel 

Hole der Oder die Schlegel und nicht auch dichtenden 
Kritiker mit ihrer Meinung «der Poet schreibe alles so kalt hin." 
Grade das, was am objektivsten scheint, ist oft das Subjektivste." 

16. L 1835. 

Käme die Grazie und küßte diese hohe gefurchte Stirn, so 
blickte uns ein wahrhafter Dichter tief bedeutsam aus diesen Mienen 
entgegen. Kühne. 

Grabbes Muse hat ein unsterbliches Recht zu zürnen, wenn 
sich nicht das öffentliche Interesse ihr mit aller Teilnahme hingibt. 

Outxkow. 

Nach dem Aufschwung der Kraft im Napoleon folgt ein ge- 
wisses Nachlassen und eine unfruchtbare Zeit. Kosciuszko, 
der „allen Feuerglanz des Nordlichts bekommen hätte, wenn 
seine I u n o ihm nicht fortgelaufen" wäre, wurde nicht fertig. In 
den Anfängen stecken blieb ein Roman Ranuder — nach 
Plochs Vermutung ist der Name ein Anagramm (O du Narr) , 
zusammenhängend mit der Holbeinschen Komödie Don Ra- 
nudo di Colibrados, in der der Hochmut des mittellosen Adels ge- 
geißelt wird. Das Eheleben bedrückte Grabbes Psyche, an- 
statt sie mit neuer Lebensglut zu füllen. Bisher ließ sich die 
Wahl des Themas leicht erklären. Qrabbe überbietet die herr- 
schende Mode, der Stoff reizt schon durch seine Ungeheuer- 
lichkeit, er muß aktuell sein, und unter mannigfachen Neben- 
buhlern gilt es nach dem Preis zu greifen. Bei Hannibal ist 
das anders. Hier ist keine dramatische Konkurrenz anzuführen, 



— 315 — 

es wäre denn etwa Uechtritz oder Schenks Belisar oder die 
Vorliebe für die karthagische Dido. Bezeichnend ist, daß der 
Dichter übermenschlicher hochstrebender Kraftgestalten nun 
eine Vorliebe für sinkende Helden faßt. Ein eoht tragisches 
Element des Schmerzes dringt ein und ein von allen weichlich 
rührenden Bestandteilen freies Mitleid packt uns an. Nach 
Napoleon, dem hochmodernen Stoff, kommt er wieder auf das 
Altertum; aber er will nach den Römertypen der weltbeherr- 
schenden Urbs, nach Marina und Sulla, dien machtigen, aber 
unglücklichen Gegner des allzuglücklichen Römervolks zeich- 
nen. Durch Verrat fällt Napoleon; Hannibal ist der höchst- 
verdiente Mann, der von seinen eigenen Landsleuten im Stich 
gelassen wird. Den ganzen Schmerz seiner Seele konnte 
Orabbe darein gießen. 

Hat Orabbe früher sehr schnell geschaffen, so ist er unter 
der Einwirkung der Kritik, aber auch der sinkenden physi- 
schen Kraft dreimal und noch öfter an der Hannibal heran- 
getreten. Die erste Erwähnung tut der Brief vom 12. IV. 
1834: „Ich hoffe, es sind Nebensteige darin, die nicht an Napo- 
leon erinnern. Nichts schändlicher als Manier." „Vieles, vieles 
habe ich dabei vom Wesen der dramatischen Kunst gelernt" 
11. XII. 34. Während der sechs Urlaubsmonate hat Orabbe 
daran gearbeitet und seine ganze Zukunft beruhte ja darauf, 
daß er Hannibal bei einem Verleger unterbrachte. In Frank- 
furt wurden ihm zwei Szenen daraus gestohlen; als er 
nach Düsseldorf kommt, ist er fast fertig. Von dieser ersten 
Bearbeitung ist nur noch vorhanden eine im Frankfurter 
Phönix No. 3 erschienene Szene: Vor Rom, deren Jamben 
aber denen der späteren Fassung nicht völlig gleich sind. — 
Immermann bewog Orabbe zu einer neuen Formung, in der 
die Prosa die Jamben noch mehr zurückdrängt, die aber auch 
jetzt noch nicht völlig verschwunden sind. Besonders inter- 
essante Aufschlüsse über den Obergang zur Prosa bieten die 
Briefe vom 17. und 18. Dezember 1834. Schon in Heinrich VI. 
wechselt Vers und Prosa wie Hochdeutsch und Plattdeutsch; 



- 316 - 

im Napoleon ging dem Dichter an dem Realismus der 
Schlachtszenen, an der Unmöglichkeit Artillerie, Trains, Kon- 
greven etc. in Verse zu bannen, die Unmöglichkeit der Veri- 
fizierung auf. Er, der Neuerungssüchtige, hält in merkwür- 
dig verspäteter Erkenntnis den Vers für etwas Veraltetes, 
mit Unrecht dem Altertum Zugeschriebenes. „Soll man ewig 
die alten Hosen tragen?" Es kommt vielmehr auf den inneren 
Rythmus an, wie denn z. B. die Bibel nur einen Parallelis 
mus der Olieder kenne. Er sagt wie Zacharias Werner: der 
Gedanke macht den Vers und nicht der Vers den Gedanken, 
und er macht die richtige metrische Beobachtung, daß Schillers 
Jamben im Teil anders gebaut sind, wie in den früheren 
Stücken, wie er auch den Unterschied der Quantitierung der 
deutschen Metrik im Vergleich zu den romanischen Versen 
sehr wohl kannte. „Der Franzose braucht ja nur zu akzen- 
tuieren, der Engländer nur zu verschlucken." Doch hat er 
in seiner Hamletübersetzung die Verse auch da zu behalten 
gesucht, wo andere sich der Prosa bedienten (1. I. 1835). — 
Orabbe empfindet den Vers für seine Dichtungen als Zwang, 
aber auch als Unnatur. Zögernd gibt er, den in seiner Jugend 
das glänzend schimmernde Prachtgewand Schillerscher Pa» 
thetik berauscht hat, das Pompöse des Verses auf, aber er 
glaubt, durch die Prosa Hannibal, der doch in der Geschichte 
nur wie eine kalte Mythe erscheine, den Herzen näher zu 
bringen. Der Vers entfernt also von der gemütvolleren Wirk- 
lichkeit. Es ist bemerkenswert, daß die Gefühlswirkung nicht 
vom Realismus entfernt, sondern im Gegenteil dazu hintreibt. 
Je schlichter man etwas sagt, um so echter wirkt's. Immer- 
manns äußerer Anstoß beschleunigt den inneren Prozeß. In- 
dem Grabbe sich zum konsequenten Realismus bekehrt, gibt 
er den Vers als äußeres Effektmittel auf. „Der Vers ist ein 
Zwitter, ich zerschlage ihn wie neue rauhe Chausseestehle 
und verwandle ihn in Prosa". „Mein Hannibal fluthet präch- 
tig; sie zerrissen warnend die verselnden Ketten." 



— 317 — 

Indem aber Orabbe den Vers aufgibt, hat er gleichzeitig 
alles Theatralische, künstlich Gemachte von sich zu schütteln 
gesucht. Aber andrerseits ist mit dem letzten Zwang des 
Verses auch der romantischen Anarchie der Formlosigkeit 
eine zusammenhaltende Tendenz genommen. 

Die Arbeit, die in den ersten Düsseldorfer Wochen von 
neuem anhebt, ist Orabbe peinvolle Lust. Er muß „Hannibal 
in Ordnung halten, damit er nicht bei mir einhaut"; er frißt 
„wie ein Wurm an seinem Herzen", die letzten Szenen greifen 
ihn an und reißen an ihm: „Ich muß mich flüchten — wie 
ein Kind", aber er ist »ein Trost im Unglück", Wir können 
die allmählichen Fortschritte verfolgen: Am 16. I. ist er bei 
den kampanischen Ruhebanken; am 27. I. liegt Zama hinter 
ihm; er kommt in Uechtritz'sche Gegend nach Bithynien, wo 
Hannibal „das kleine Ende im unermeßlichen Chaos des Ge- 
meinen" findet Am 4. Februar nachmittags zwischen 4 und 
5 Uhr ist er fertig; am 10. Februar abends 11% Uhr hat er 
das Stück abgeschrieben und am 12. Februar kann er Immer- 
mann „das Genie" präsentieren. 

Diese Fassung ist nun zum großen Teil erhalten und bildet 
ein kostbares Besitzstück des Herrn Dr. Hallgarten in 
München. Die Abweichungen von der gedruckten Form sind 
beträchtlich; auch hier gibt es noch im ersten und zweiten 
Teil Jamben, die dann öfters unverändert in die Prosa über- 
nommen worden sind. Das Manuskript auf großen losen in 
der Mitte gebrochenen Quartbogen, ist in deutscher Schrift, 
wie Grabbe überhaupt die gothischen Schriftzüge für dem 
Auge vorteilhafter hielt und fast niemals lateinisch schrieb; 
am Rand finden sich Verbesserungen, außerdem Bleistift- 
bemerkungen, selten lateinische Anmerkungen. Gelegentlich 
eine Glosse: de mortuis nil nisi gebene; das ist besonders be- 
achtenswert bei den Prusiasszenen: Ob er's bemerkt? u. a. — 
Die Seiten mit den Anfängen und Abschlüssen der einzelnen 
Teile, die ja erst auf Immermanns Rat beigefügt wurden, 
fehlen. Einleitung und Plan scheint von vornherein festge- 



- 318 - 

standen zu haben, aber geändert und durchgefeilt hat Grabbe 
noch überall. Maßgebend war der Brief Immermanns vom 
20. Februar. Dieser Brief, der zeigt, wie Orabbe sich von 
einem als Dramatiker sicher nicht überlegenen Qeist behandeln 
ließ, nach dem ferner das Verdienst Immermanns für tit 
Formierung des Hannibal abzugrenzen ist, lautet: „Hiebet 
Hannibal zurück. Meine Korrekturen beziehen sich, wie Sie 
sehen werden, nur auf die größten Kleinigkeiten — Weg- 
streichen der modernen Fremdwörter, wo es ging, der nach- 
lässigen Apostrophierungen, Elisionen, Tilgen der überflüssigen 
Gedankenstriche (es braucht deren nicht, da Gedanken genug 
darin sind)". 

Was die modernen Fremdwörter angeht, so stand z. B 
instruiert statt eingelernt (II 2), Repräsentant statt V er treter 
(II 3), Reverenz statt Bückling, Kourage statt Mut (III 6), 
Intriguen statt Listen (IV 5), Rudel statt Rasse (IV 6) Spek- 
takel statt Höllenlärm. 

„Sie haben die Sitte, in parenthesi die Stimmung oder den 
Ausdruck häufig anzugeben. Das gefällt mir nicht, da alles 
im Wort liegen muß; erinnert an Kramer und Spieß und ist 
altfränkisch. Ebenso taugt das Unterstreichen nichts; der 
Leser mag sich selbst das Bedeutende aussuchen. In beider 
Hinsicht habe ich Bleistift und Feder walten lassen." 

Ganz sind diese szenischen Bemerkungen doch nicht ge- 
strichen, aber doch öfters z. B. III 1 Hannibal setzt sich auf 
einen Steinblock — stampft auf die Erde — steht nachdenkend 
da — will auffahren. Als Turnu in der letzten Szene er- 
scheint, hieß es: Glanz durch die Stube. — Das Unterstreichen 
besonders effektvoller Wendungen wurde besonders in den 
Jugenddramen oft geübt; es war übrigens auch eine Gepflogen- 
heit Müllners. „Einmal bei Hasdrubals Kopf habe ich ge- 
strichen. Wer mir das Haupt des Bruders vor die Füße 
wirft, den töte ich nicht; dies ist für Geringeres." Hier hieß 
es ursprünglich (III 2), nachdem der Römer gesagt hat: „ich 
sah den Totfeind weinen" und wo jetzt die Worte folgen: „Du 



— 319 - 

sahst es", — also: Hannibal (wirft ihm den Dolch tief in die 
Brust) : Verblute! (der Römer sinkt hin) — o ich hätt' ihn erst 
martern sollen! der Römer: Du kommst zu spät (er stirbt). 
Grabbe bekennt demütig (20. II): »Ich wollte, ich hätte so 
gut geschrieben, wie Sie da gestrichen haben." Auffallend ist, 
daß Immermann sich gar keine Mühe gibt, Grabbe zu einer 
Bühneneinrichtung zu bewegen. 

Das Hallgarten'sche Fragment ist im ersten Teil sehr 
lückenhaft, von den übrigen Teilen fehlen fast nur die Ein- 
gänge und die Abschlüsse. Bis II 1 herrschen Jamben vor, 
allerdings ist ihre Zahl und Anwendimg verschieden wie im 
Hamlet. Von den übrigen Änderungen seien die wichtigsten 
hervorgehoben. In II 1 ist der Befehl zum Aufhängen viel 
ausführlicher. — Die Sklavenszene im 3. Teil lautet ursprüng- 
lich, nachdem der Despot in die Kiste geworfen ist, also: 

Erster Sklave: „Winsele nur, Freund'chen — liegst bald 
lebendig in der Gruft und quälst Dich einige Tage ab mit 
Deinem Leben tiefgebettet, daß man Dich nicht hört und 
schreist Dich matt zum zerbersten, verstehst (o) Du Motte 
im Kasten? (singend) „der Sklave liebt den Herrn gar sehr. 
Wenn er ihn nicht kann prügeln mehr" — Chorus der Sklaven 
wiederholte — . »Werft nun den Mann in die Grube am Salz- 
teiche, und möge er darin noch manchen Tag an seinem Leben 
sich abquälen (daran verzappeln). — Er selbst lockt durch 
seine Falschheit und Bosheit". Die Szene ist gemildert und 
beweist, wie Grabbe kritische Selbstzucht übte. 

In der fünften Abteilung trat in der ersten Szene ein 
Diener auf, der die Briefe Hannibals holen mußte. Das ist in 
der jetzigen Fassung überflüssig gemacht. — Die Unterredung 
vor Zama war ursprünglich ausführlicher. In der Beschrei- 
bung der Schlacht ist dagegen die Schilderung nach dem Aus- 
ruf des Knaben »die Römer brachen durch" bis zur Schil- 
derung der Unsterblichen erst später hinzugefügt; am Schlüsse 
ist der Ausdruck mehr konzentriert. — 



- 320 — 

In der Molochszene stand vor dem Erscheinen der drei 
Männer noch ein kurzes Gespräch. Einer aus dem Volke: 
„Moloch hat selten so viel Kindesopfer erhalten, als heute." 
Zweiter: „daß keine Musikanten dabei sind, wie sonst". — 
Erster: „die fielen bei Zama" — - Dritter: „daß sie so wenig 
Holz unterlegen, — die Kinder werden abscheulich langsam 
hingemartert." Erster: „das Holz ist kostbar in einer be- 
lagerten Stadt, und jemehr die Opfer gequält werden, je eher 
wird Moloch gerührt." — Auch in der Unterhaltung der drei 
Männer und in der Unterhaltung mit dem Gesandten finden 
sich Änderungen. 

Die Rolle des Prusias war ausführlicher. Prusias sagt 
z. B. zuletzt: „Dank den Göttern (der Diana zu Ephesus), 
so werd' ich zweier Lasten quitt, des Hannibals und der 
Römer." Und Hannibal äußert etwa in der folgenden Szene, 
in der wohl etwas satirische Betrachtung der Malerstadt 
Düsseldorf nachklingt: „Doch ich muß erst Byzanthinischer 
Maler werden; vielleicht bringe ich ihm dann bare Wahrheit 
allegorisch bei! — Ach in seinem kleinen Bithynien steckt 
ebensoviel Dummheit als im großen Karthago." Da steht jetzt 
eine Apostrophe an Karthago. — Die beiden letzten Szenen 
waren ursprünglich zu einer zusammengezogen; nach dem 
Tadel des Flamininus endigt das Stück mit der Verblüffung 
des Prusias: „was —?" — Daß der philosophische Seelen- 
wanderungsgedanke dem Hannibal in den Mund gelegt wird, 
während ursprünglich es der Fetisch dem Turnu sagte, darf 
man wohl als Verbesserung bezeichnen. Die Sterbenden 
schildern die Wirkung des Giftes ausführlicher. Hannibal 
fährt z. B. fort: „Ich muß mit dem Schwert nachschüren — 
ah, da brennts Feuer schon von selbst. Turnu hatte Recht, es tut 
weh, (er sinkt nieder) die Fledermäuse, die Welten — dort 
— dort prangen ja Karthago, die Atlantis, in Farben und 
Tönen, himmlisch wie ich sie nie gekannt (sich noch einmal 
aufrichtend) doch daß ichs nicht vergesse, Fluch Dir Rom 
(er stirbt)." Charakteristisch ist das Streben nach möglichst 



- 321 - 

originellen, vielsagenden Wendungen; Übertreibungen werden 
gemildert z. B. in den Zahlenangaben. Der Dichter strebt 
nach immer lakonischerer Kürze und Konzentrierung. 

Die Quellen bilden die Geschichtswerke von Rollin, 
Schlosser, Guthrie und Gray. Besonders aber .hat Grabbe ge- 
schöpft aus Livius, Polybius und Plutarch (Flaminimis — 
Scipionen; merkwürdigerweise war er der Ansicht, daß 
Plutarch das Leben Hannibals beschrieben habe) . Auch Dö- 
rings Anleitung zum lateinischen Stil ließ er sich kommen; 
wohl weil er die Reden Catos und Scipios lateinisch stilisieren 
wollte. Aber hinter der Patina der Romerszenen verbirgt sich 
der moderne Barockstil romantischer Art. 

Wie verhält sich die Dichtung zu den Quellen und "zur 
Geschichte? Was stellt das Stück äußerlich dar? 

Hannibals Abstieg von der Höhe und Scipios Aufstieg — 
wie in Marius und Sulla. Unmittelbar nach Cannä setzt die 
Handlung ein; Gasilinum, Capua und Zama werden heraus- 
gegriffen; das Ende Hannibals und der Untergang Karthagos 
werden gegen alle geschichtliche Möglichkeit damit verbunden. 
Ungeheuer wird der Stoff zusammengedrängt Im Fluge 
werden wir über -einen Zeitraum von über 80 Jahren geführt; 
Cannä war 216, Hannibal starb 188, Carthago wurde 146 und 
gar Numantia erst 133 zerstört. Im einzelnen führen wir 
noch folgendes an: Grabbe übertreibt das gänzliche Versagen 
der Karthager aus dem Grundmotiv der ganzen Dichtung her- 
aus; denn es wurden doch .trotz der Rede Hannos 24 000. Fuß- 
soldaten und 4000 Numidier zur Hülfe geschickt (Livius XXIII 11 
bis 13) . Die römische Senatsszene lehnt sich wenig an Livius 
XXII 53ff. an; das Ceterum censeo Catos wurde natürlich in viel 
späterer Zeit ausgesprochen; Grabbe aber, ließ nach der nun 
genugsam bekannten Technik des Zusammenlegens weit aus- 
einander gesprengter Dinge und Ereignisse, 4er gewaltsamen 
Aneinanderkoppelung des Widerspruchsvollen und Widerstre- 
benden sich den ungeheuren Kontrast .nicht entgehen, das 
katonische Wort in die Zeit des tiefsten Falles zu legen. 

Nieten, Chr. D. Grabbe. 21 



~~l 



J 



- 322 — 

Scipi feuerte nach der Cannensischen Niederlage zu mutiger 
Abwehr auf; 211 fielen die beiden Scipionen in Spanien, ihnen 
folgte der junge Scipio, der 209 Neu - Karthago eroberte* 
Daraus hat Orabbe mit einer Reminiszenz an Cervantes Nu- 
mantia gemacht. Spielmann, der Orabbes Stück für die Buhne 
bearbeitete, hat mit Recht Neu-Karthago wieder hergestellt — 
Die Episode mit Allochin oder Allucius findet man Li- 
vius XXVI, aber was ursprünglich wie Edelmut wirkt, wird 
unter der Auffassimg des Realisten zu schlauer Berechnung, 
worüber sich der Rezensent des Morgenblatts schon geärgert 
hat. — Hier kommt wieder wie fast bei allen Helden Orabbes 
der tückische Grundzug zum Vorschein. Bezeichnend in ähn- 
licher Hinsicht ist auch die folgende Änderung: Casilinum 
wird umgestellt (XXII 16-17): Hannibal floh in Wirklichkeit 
nicht hinter den Ochsen her; auch bedurfte es der Schwämme, 
in den Hintern der Tiere gesteckt, nicht; das ist natu- 
ralistisch derbe Zutat. — Die Verhältnisse in Capua 
sind bei Livius XXIII, XXVI 6 geschildert; hierher kommt auch 
der Tyrann Sappius Lesius, aus niederer Sippe stammend, der in 
Orabbes Despoten abkonterfeit sein mag. — Frei im Anschluß 
an Livius umgestaltet sind die Szenen, in denen Hannibal den 
Kopf Hasdrubals empfängt (XXVII 51) und in der er Ab- 
schied von Italien nimmt (XXX 9, 20) . Auch hier hat Orabbe 
für neue Kontrastwirkung gesorgt, die ihm die Quellen nicht 
geliefert haben. — Die Schlacht bei Zama erleben wir in den 
Eindrücken eines Knaben, des Pförtnersohnes; das ist ganz 
im Sinn unserer Naturalisten, wenn z. B. die Lanzen mit 
den sich sträubenden Haaren der Großmutter verglichen 
werden. Orabbe bedient sich des Mittels der Teichokopsie, was 
er selbst so rechtfertigt: „Ich habe jetzt aus den Schlachtszenen 
von Zama gemacht, was da ging. Freilich wird sie nur beschrie- 
ben, das tun die Alten aber auch. Ich habe schon manche 
Schlachtszenen beschrieben und fürchtete Einton, wenn ich wie- 
der die Bataille unmittelbar vorrückte". Der Unterredung vor 
Zama liegt Livius XXX 30-31 zu Grunde. Orabbe hat nur die 



- 323 — 

Hauptsätze der historischen Reden — und diese zum Teil 
wörtlich — im Drama wiederholt. Die Färbung der Unter- 
redung wird natürlich dadurch intensiver, daß es sich um 
Sein oder Nichtsein von Karthago handelt: Scipio verlangt 
Unterwerfung auf Onade oder Ungnade. Orabbe hat sich diese 
Szene noch einmal daraufhin angesehn, ob noch etwas zu 
streichen wäre (16. III. 35). Nun hat Reichl Grabbe auf Kosten 
Orillparzers herabgesetzt; nach seinem magern Beweisgrund — 
Grillparzer nimmt Anstoß, daß Brasidas Alitta auf den Busen 
küßt — soll Grillparzer seine Szene geschrieben haben, 
um Grabbe zu korrigieren; Scipio erscheint auch bei Grill- 
parzer stolz, aber nicht so stolz wie bei Grabbe; er läßt 
Hannibal auch warten, aber er würde persönlich Hannibal 
folgen; die Pointe liegt darin: „wenn Hannibal erliegt, erliegt 
Karthago — wenn Scipio fällt, doch triumphieret Rom!" Auch 
in der Weichselbaumer sehen Szene scheiden beide als 
Freunde; Karthago und Rom können zusammen nicht bestehen, 
das sieht Scipio noch klarer als Hannibal. Reichl findet bei Grill- 
parzer blühendes Leben und bei Grabbe bettelhafte Armut 
Aber einerseits war die Szene ursprünglich ausführlicher, 
andererseits ist Art und Absicht Grabbes grundverschieden: 
Grabbes Grundprinzip sind zwei gleichmächtige Gegenspieler, 
wie er sich in dem überhaupt sehr wichtigen Brief vom 17. XII. 
1834 geäußert hat: „nichts mir fataler als Schauspiele, wo 
„alles sich um Einen Götzen dreht". Hannibal tritt als Bitt- 
flehender vor Scipio; dieser bewahrt selbst einem solchen 
Helden gegenüber seinen kalten Stolz! Die anderen machen 
ein Symbol aus der Unterredung, Grabbe aber will nichts 
in den geschichtlichen Sachverhalt hineinlegen, die nackten 
Tatsachen reden für sich ihre eindrucksvolle Sprache; 
er geht von Plutarch aus und nicht von der Gegenwart und 
tut hier wenigstens alle moderne Reflexion ab. — Schwierig 
war es, die freiwillige Verbannung Hannibals zu ver- 
binden mit der edlen patriotischen Haltung Gisgons; in der 

Geschichte holte Hannibal den Gisgon von der Rednerbühne 

21* 






- 324 - 

herunter, als er gegen den Frieden redete. Hannibals Ab- 
schied wirkt höchst malerisch: Als er die drei Männer auf 
der Mauerzinne erblickt, reckt er die Hand aus und jagt dann 
abwärts pfeilschnell zur Küste. 

Das Ende Hannibals hatte Huschberg 1820 In fünffüßigen 
gereimten Jamben dramatisiert. Hannibal ist zu Antiochos 
geflüchtet. Der Großmutskonflikt beider Männer erinnert an 
Auffenbergs »Opfer des Themistoki es 4 *. Ist Antiochus zu 
edel, Hannibal auszuliefern, so verschmäht dieser die Rettung 
durch Scipio. Nach der Niederlage des Antiochus fühlt Hanni- 
bal sich gedrückt und enteilt zu Prusias. Da dieser ihn preis- 
gibt, spricht der Greis mit den weißen Locken, der mit Vor- 
liebe lange Monologe hält, die folgenden /herrlichen Verse, die 
die Höhe dieser Poesie drastisch illustrieren: 

„Oh geh und brüste Dich mit Menschenliebe, 
Du König kennest sie ja dennoch nicht, 
Denn alles was Dein Mund nur immer spricht, 
Das scheint mir Hohn auf alle edlen Triebe." 
Während er sich vergiftet, erscheint Hasdrubals Oeist und 
er stirbt unter dem Rollen des Donners. 

Turmhoch über dieser sentimentalen Theatralik erhebt 
sich Grabbes eigenwüchsige Kunst. Bei seinem Prusias hat 
er nicht an die Geschichte gedacht, sondern er hat ihn ge- 
bildet nach einem Individuum aus dem Leben mit seinem Geist 
und seiner Abnormität. Das Modell zum Prusias ist Uech- 
t r i t z „tnit den ausgetrockneten Haaren" (4. 5. 27) . Die'Pfelle 
seiner Satire treffen mittelbar auch Tieck, der U echtritz' 
„Alexander und Darius" ein warmes Geleitwort auf den Weg 
gegeben hat. An dieses Stück erinnert aber sowohl der Schluß 
von Grabbes Hannibal, wie auch ein Alexander-Fragment: 
Alexander und Thais. Weitere Obereinstimmungen lassen sich 
aufdecken zwischen Hannibal und Uechtritz' „Spartacus", über 
dessen Herkunft Grabbe sich brieflich (14. 1. 35) äußert. Die 
Grabbe'schen Sklavenszenen berühren steh sehr stark mit den 
humoristisch-realistisch gezeichneten Sklaven im Spartacus, 



— 325 - 

die sich auch zuletzt an dem betrunkenen Sklavenhändler Batia- 
tus in Capua rächen wollen. Ohne dieses Vorbild wäre 
Orabbe wohl gar nicht auf diese Szene verfallen, die im Zu- 
sammenhang leicht entbehrt werden konnte. Aber man weiß 
ja, was den Dichter leider reizte. Weitere Parallelen für die 
gegenseitige Anlehnung bieten eine Vergleichung von Uech- 
tritz' „Spartacus" und den Grabbeschen Dramen Marius und 
Sulla und Hannibal. Die Dezimierung, der ausgeführte Vergleich 
der Adler mit Raubvögeln, Spartacus, der lieber wieder Bauer 
am Hämus wäre, — ähnliche Gedanken finden wir in „Marius 
und Sulla*. Scipio in Numantia findet sich in gleicher Situation 
wie Marius auf den Trümmern Karthagos; der Vergleich „Rom 
als Geschwür" ist aus der ersten Fassung des Marius und Sulla 
in den Hannibal übernommen. Literarische Satire ist auch in 
den Hannibal übergegangen. Hannibal-Grabbe ist das Genie, 
das sich beugen muß vor dem erfolgreichen Talent Uechtritz- 
Prusias, der sich an die größten Gestalten des Altertums her- 
anwagte. Gleichzeitig während Grabbe von dem salbadernden 
Rationalisten Paulus spricht (16. 1. 35), erfindet er den Namen 
Pantisalbaderthilphichides (ursprünglich Pantibalhilanthilphi- 
ehides). Viel Persönliches ist in Hannibal verborgen, ja 
die Geschichte ist hier nach einem starken Temperament ge- 
färbt, auch in der A 1 i 1 1 a sind Züge aus dem Leben. „Kar- 
thagos Mädchen waren berüchtigt wegen ihrer Schönheit, sie 
waren die ersten, welche die ungeheure Stadt anzündeten; 
deshalb durfte ich mit Alitta anfangen." Offenbar schließt sich 
der folgende Satz an frühere den Mangel an Entwicklung 
bemängelnde Kritiken an: „Sie wird, wie fast alle Charaktere, 
im Verlaufe des Stückes wachsen." (07. 12. 34.) Alitta ist eine 
Waise wie Lucie Clostermeier und desselben männlichen 
Geistes; der ausziehende Krieger ruft uns den englischen 
Offizier im Napoleon wieder in die Erinnerung. Die gleichen 
Situationen kehren wieder. 

Durch Alitta's Bräutigam B r a s i d a s wird eine Verbin- 
dung hergestellt zwischen Hannibal und den edlen Kar- 




/ 



- 326 — 

thagern, den Bareiden, in denen sich die Hannibal-Handlung 
im vierten Teil weiter entwickelt. Sonst sind außer den 
Hauptrollen: Hannibal, die Scipionen, die Dreimänner, Türmt, 
Prusias höchstens noch Cato, Terenz, Allochin, Plaminius zu 
nennen, und doch werden im ganzen an 60 Personen aufge- 
bracht. Allen scharfe Züge zu geben, hält Orabbe für 
unkünstlerisch. Es müssen auch Unterlagen da sein, worauf 
die Hauptpersonen stehen. 

Wir haben eigentlich nur den zweiten Teil der Tragödie, 
die fallende Handlung: Hannibal auf dem Höhepunkt — das 
ist der Anfang, dann sinkt er seinem Untergang entgegen. 
Dann noch ein zweites Thema: Der Untergang Karthagos; 
der aber erweckt doch nur unsere Teilnahme, soweit Kar- 
thago hannibalisch denkt. Monumentale historische Momente 
glühend koloriert, malerische Effekte, große Impressionen 
bilden die Permente. 

Die Einheit des Stückes bildet Hannibal, seine Gegen- 
mächte sind Rom und Karthago. Ein hochverdienter betroge- 
ner Mann, dessen Inneres von Qram zerfressen ist, der 
j \ charaktervoll, würdig und hoheitsvoll bleibt, — aber jedes 
MI J Pathos hat der Nat uralis t verbannt. Hannibal zeigt es höchstens 
* da, wo er, wie*Napoleon, Italia apostrophiert: „Firmament Du 
geschmückt mit Helden" u. s. w. Das ist der tragischste Zug, 
daß er, der Feind Roms, der große Patriot, Karthago ver- 
/ achten und Rom verehren muß. Hannibal ist die ergreifendste 
7 Gestalt des Dichters, voll persönlichen Schmerzes, voll Selbst- 
I ironie; dabei sind doch die ingentia vitia keineswegs über- 
sehn. Er rührt uns wirklich, weil er auch unschuldig leidet 
Und Alitta hat Recht: Große Gedanken wurzeln tiefer als hinter 
der Stirn — in dem rauhen Westfalengemüt, das unverwüst- 
lich und unerschöpflich sich hinter eisigen Sarkasmen als der 
fürchterlichsten Schmerzgebärde verbirgt. Verachtung trieft 
von Hannibals Lippen, dessen stahlscharfer Verstand die Dinge 
in unbarmherzig nackter Tatsächlichkeit ohne Illusion und 
Sentimentalität vor sich hinstellt. Dieser im Daseinskampf 



— 327 — 

notwendig erzeugte Realismus erklärt seine fühllose Grau- 
samkeit Schneidender Hohn und ätzender Witz liegt in seinen 
Worten. Die Grabbesche Buffonnerie gibt ihm allerhand mar- 
tialische Lüge; er hat Freude an kuriosen Streichen und wilden 
Soldatenspässen. Aus wunderlichster Laune herausgeboren 
sind manche der Einfälle des Dichters. Hannibal herrscht 
den Boten an: „Du bist ein doppelter Kerl!" Bei Zama muß er 
vor dem Stahlschild des Römers „gar etwas blinzeln" (17. XII. 
34) • Er ist ein unheimlicher Kerl, dieser Hannibal mit seinem 
einen Auge, dem durchgrämten wütenden Gesicht, der sturm- 
erstarrten Stirn, dem weißgeglühten Haar. So hat ihn Grabbe 
sich vorgestellt in seiner hocherregten Phantasie, wie er leibt 
und lebt — mit einem wilden Naturalismus, der auch vor dem 
Schmutz nicht Halt macht. In Hannibal ist westfälische Eigen- 
art mit historisch überlieferten Zügen zu einer glaubhaften 
Einheit verschmolzen: Die punische Silbenstecher ei; vor allem 
die lakonische Grausamkeit: bei dem zu spät gekommenen 
Admiral, den irrenden Wegweisern, den Gesandten, die ihn 
nach Karthago abberufen. Die Leute zittern vor ihm, aber 
sie hängen andererseits wieder mit hündischer Zärtlichkeit 
an ihm, wie Grabbe an Immermann. Hannibals Rauheit liebt 
eine derbknochige Diktion und steingrob ist das harte Korn 
seiner Rede. Wieder nähert sich das Extrem dem Burlesken. 
Wieder erreicht Grabbe durch Dissonanz und Antithese die 
stärksten Wirkungen. Wie in Nannette und Marie das Ver- 
derben in den Frieden einfacher Leute einbricht, so stürzt 
sich das geahnte Verhängnis in ein ländliches Idyll. Ironie 
und Kontrastwirkung ist in den Szenen auf dem Schiffsverdeck: 
Rausch und Katzenjammer, wie bei Don Juan und Leporello. 
Verhaltener, verbissener Schmerz, der sich hinter Hohn und 
Zynismus verschanzt — das kommt aus Grabbes Innersten: 
starres Leid, stummer Gram. Nur selten löst sich die bis 
zor unerträglichen Spannung getriebene innere Überhitztheit 
bei äußerer Kälte in einem freieren Ausströmen, nur selten 
durchbrechen die Flammen das Eis, glühend aufzischend. Zu- 



s 



— 328 - 

weilen ergreift und eine besondere Art verhaltener Lyrik. So 
haben wir in der ergreifenden Tragik der Abschiedszenen — 
die Orabbe beziehungsvoll im Lippeschen Magazin erscheine» 
lassen wollte (10. 3. 35) — ein volleres Ergießen. Leicht aber 
kann es, gerade wo eine mächtige Gefühlserregtmg anzu- 
schwellen scheint, nach einem schonen Ausspruch von Lee 
Berg, geschehen, daß der Dichter das passende Wort vergißt 
und stumm von dannen zieht 

Man sieht Hannibal in kurzem ehrfurchtsvollem Besuch 
bei seinem Vater. Dann muß er sich beugen zu einer Unter- 
redung: Er muß bitten und darf sich doch nichts vergeben; 
ja er hört schweigend die Schulmeisteren des Prusias, dieses 
impotenten Affen großer Männer, an. Es ist Mark durch- 
schneidendes Weh in den wenigen Sätzen und den historisch 
anklingenden Worten in der Todesszene. Aber statt des er- 
greifenden Ausklangs erstarrender Nihilismus und darnach 
noch zum Schluß literarische Satire. Die Paradoade des Dich- 
ters verwebt erschütternde Tragik in ein parodistisches Possen- 
spiel. Das Schicksal Hannibala ist typisch: So verfährt die 
Welt mit dem Genie, wie Prusias mit Hannibal. Prusias 
schwört auf das „System", das schon ein Don Juan mit dem 
Stürmern und Drängern verhöhnte. Der Schluß ist schnei- 
dende Ironie. 

Dennoch fehlt es nicht an echt menschlichen Zügen. 
Hannibal erstarrt wie Oothland vor Schmerz; aber der Held 
der Jugendtragödie wirft den anhänglichen Diener Erik in die 
Flut, in sinnlosem Wahnsinn erfrierend, hier dagegen strömt 
erwärmende Glut aus von schlicht treuen, wenn auch nied- 
rigen Menschen, wie sie auch den sinkenden Dichter als letzte 
Gabe erquickte. 

„Herr laß mich abtrocknen — Ihr bekommt da ein Tierchen." 
Dieser T u r n u ist eine Art Just; aber seine afrikanische Her- 
kunft und seine Verwandschaft mit Berdoa gibt sich kund in 
dem grotesk exzentrischen Humor und in der abenteuerlichen 
Fantasie. Die Schilderung vom Untergang Karthagos ist praefct- 



- 329 - 

voll in der Steigerung, die die Pointe bis zuletzt verhüllt; mit wil- 
dem oft unzuchtigem Witz, mit glühenden Bildern, kühnem exo- 
tischem Kolorit, orientalisch und der Sprache der Bibel abge- 
lauscht. Der Tod löst den philosophischen Gedanken der Seelen- 
Wanderung aus, den wir schon in Nanette und Marie trafen. 

Das Saitenspiel dieser leidzerwühlten Dichterseele verfügt, 
schon zerrissen, noch über einige Töne von tiefeindrin- 
gender, herzerschütternder Gewalt Schneidend und un- 
barmherzig liegt das Leid der Welt vor uns gebreitet Schlag- 
lichter eines grandiosen Humors beleuchten grell das Possen* 
spiel des Lebens, ein aus Verzweiflung geborener Hohn 
wetterleuchtet! 

Aus dem Chaos leuchtet hohe vornehme Gesinnung, innerer 
Adel, aber auch ungebindigte Wildheit tritt erschreckend her- 
vor und fürchterlich ungeschminkt gibt sich die innere Zer- 
störtheit und Wüstheit kund. 

Der italische Boden wird mit ähnlichen Reizen geschmückt, 
wie in Don Juan und Paust. Das Fremdartige, Barbarische 
Karthagos wird gemalt in dem unheimlichen, aus dem Ur- 
instinkt der Grausamkeit hervorgehenden Molochdienst, in den 
^schauerlichen Geheimnissen der Wüste und dem so locken- 
den wie abstoßenden Meereselement — Gift und Geifer kocht 
in dem dreiköpfigen Ungeheuer, diesen Krämerseelen, die den 
Staat leiten sollen und die sich voll inneren Mißtrauens und 
gegenseitigen Argwohns belauern— wie drei Kreuzspinnen. Züge 
voll tückischer Grausamkeit prägen diese echten Gauner-Physio- 
gnomien. Die heimlichen Sprungfedern und verborgenen Türen 
stammen aus dem Kriminalroman oder aus der französischen 
Romantik. Gisgon wächst und ein Schauer liegt über den 
Untergangsvisionen des Todgeweihten. — Nur in Hannibal 
ist ein tiefmenschlicher Gehalt; sonst überwuchert das paro- 
distische Element Unvermutet wandeln sich die Menschen unter 
des Dichters Händen in Narren, in Karrikaturtfb mit unheim- 
lich verzerrten Zügen. Vielleicht ist das ein Grund mehr 
dafür, daß Grabbe die dramatische Entwicklung mehr in die 



— 330 — 

Verhältnisse als in die Charaktere hineingelegt, was Mundt als 
Fehler rügt. Neben dem Schmerzgefühl bricht überall der 
fressende Spott aus, das tötliche Gift, das des kranken Dich- 
ters Seele verzehrt; einer verhöhnt den andern voll ver- 
borgener Tücke — z. B. im römischen Senat, der Abbre- 
viatur der Szene aus Marius und Sulla, gilt Cato als bornierter 
Kopf. Scipio wiederholt Sulla und ein geheimer Witz des 
Dichter liegt wieder darin, daß er ihn öfters reden läßt wie 
einen preußischen Gardeleutnant, überhaupt darin, in archa- 
istischen Gefäßen die Einfälle der neuesten Mode zu konser- 
vieren. — Besonders läßt sich das zeigen in den Szenen mit 
Terenz, die des Dichters Loos wehmütig und satirisch paro- 
dieren. 

Die zerbröckelnde Form ist doch nur zum geringsten Teil 
als Ruine eines zerfallenden Geistes zu deuten; im Grunde ist 
Grabbe eher stehen geblieben und hat sich vereinfacht, ver- 
innerlicht Die ungeheure Subjektivität erfüllt das Ganze mit 
einer verborgenen geheimen Einheitlichkeit. Der Dichter, der 
nach einem Abdruck der Wirklichkeit ringt, sucht das höhere 
Gesetz des Lebens zu erfüllen, statt einer ästhetischen Theorie 
zu genügen. Die Muse Grabbes sucht sich die ihr gemäße 
Form und das ist die naturalistisch - impressionistische 
Skizze. Szenisch zerflattert das Ganze in 29 Skizzen; Hanni- 
bals Abschied allein bedarf dreier Verwandlungen. Hier hat 
Grabbe, der in früheren Tagen an den Pforten des Tempels 
der Thalia angeklopft hatte, aber immer wieder ausgewiesen 
ward, vielleicht auch mit eigensinniger Laune und in einem 
gewissen Trotzgefühl die Möglichkeitsbedingungen der Auf- 
führung noch mehr als früher außer Acht gelassen, und doch 
war eine Bearbeitung für die Bühne keineswegs ganz unmög- 
lich. Spielmann hat die Verwandlungen auf 14 beschränkt, 
indem er im ersten Akt 1—3, im zweiten die beiden Szenen 
in Capua zusammenzog, Casilinum noch dem zweiten Akt hin- 
zufügte. Im dritten gibt es zwei Verwandlungen: .Cajeta, 
dann die Szenenreihe bis zu Hannibals Abschied, sehr kühn zu- 



— 331 — 

sammengezogen; die drei ersten Szenen des vierten Aktes ent- 
sprechen bei Spielmann der dritten Szene des dritten Aktes. 
Diese Zerreißung ist weniger zu billigen. Der vierte und 
fünfte Akt bei Spielmann haben drei Szenen. V 2 ist um- 
gestellt 

Jeder einzelne Auftritt ist wieder ein Mosaik von kleinen 
Einzelszenen, während sonst intensiv eine Handlung von einem 
Mittelpunkt aus in einer Szene erschöpft wird. Was hat der 
Dichter nicht in eine solche Szene nacheinander zusammen- 
gepreßt? Z. B. in IV 2 Hannibals Enthaltsamkeit, Karthagos 
Haltung, Alpen üb er gang, Charakteristik des Maximas. Ein 
Grundmangel wird damit berührt, daß die Dialoge oft nur 
scheinbare sind. Hannibal wird durch einen Boten, einen Brief 
zur Äußerung veranlaßt, nicht anders wie Napoleon. Drei- 
mal haben wir unzweifelhaft Monologe (Barkas, Terenz, Hanni- 
bal). Am meisten Schwierigkeit machten die scharf beobach- 
teten Oespriche der Dreimänner, wo mit viel Kunst die drei 
Parteien in Worten voll verborgenen Sinnes sich begegnen. 
Oft ist wieder das Volk Träger der Handlung; es wird ein- 
geführt wie eine Chorstimme, oder verschiedene Gruppen lösen 
sich ab, aber einen zusammenhaltenden Gedanken vom An- 
fang bis zum Schluß finden wir nicht. Der Auditeur kennt 
seine Leute. Neben erschütternden Naturlauten voll echten 
Schmerzes haben wir Realismen von wilder Kühnheit, aber 
auch eine Fülle von zynischer Gemeinheit, ausartend ins 
Schmutzige. Durch den Kot der Gasse schleppt uns der 
Dichter fort, die Dünste des Rinnsteins läßt er uns atmen, mit 
wollüstigem Behagen wühlt er im Grausamen. Scipio läßt 
geißeln und vergleicht die bundesgenössischen Truppen 
mit schnatternden Enten; Sklaven sind wie entfesselte Bestien, 
die sich in Rachebrunst berauschen. Den Unflat des kartha- 
gischen Hökermarktes schildern Milieuszenen. Karthago, ' 
Capua, Bithynien in lapidaren Skizzen. Lakonismen, die man 
nicht vergißt: das „nur" der römischen Gesandten 1 Schnei- 
dende Gegensätze: In die Senatssitzung dringt das Gequieke 



1 



r. 



- 332 - 

der Weiber u. a. Ein Charakterbild, malerische Effekte. Als 
Einheit: Hannibal und die Welt — es ist so und muß so sein. 
Die Sprache ist ein non plus ultra von Konzentriertbeit. 
Man will in der Kargheit das vertrocknende Hirn erkennen» 
das nur die alten Gedanken in sonderbar dürftiger Gestalt 
aus seinen Falten preßt; statt natürlichen Ausdrucks eines 
Gesunden erscheine die Grimmasse eines Pathologischen. Aber 
richtig ist nur, daß Grabbe, wenn auch mit unsäglicher Mühe, 
doch etwas ganz Eigentümliches hervorgebracht hat, und daß 
sich die vergehende Kraft gelegentlich in Auslassungen oder 
im Ausfall zeigen läßt. Man hat gesagt, die Diktion 
besteht nur aus Knochen, ohne Bänder und Gelenke. Man 
hat freilich nur das Gerippe der Skizze, die aber bei 
näherer Ausführung ihre eigentümliche Schönheit einbüßen 
würde und die nach eigenem Gesetz bewertet sein will. Es 
fehlt alle Grazie, aller Schmuck. Grabbe gibt, was er 
hat, und in trotziger Resignation will er niemand etwas 
vortäuschen, noch von anderen etwas annehmen. Man findet 
die alten Regungen wieder, aber doch nicht so herausge- 
schrieen, in absichtlich grelle Beleuchtung gerückt, vielmehr ver- 
tieft eingegraben in granitne Runen die Urinstinkte: den Grau- 
samkeitskitzel, den fressenden Gram, die Zote, den Hohn auf 
alles Menschliche. Aber das Stück ist durch und durch eigen- 
tümlich; alle die Krankheitsstoffe freilich, die nicht ausge- 
schieden werden konnten, haben das poetische Gebilde in* 
taxiert. Doch ist alles Fremde ganz abgestoßen. Grabbe hat 
immer mehr zusammengestrichen; alles Oberschwängliche hat 
er gemieden, indem er auf den Schmuck des Verses ver- 
zichtete und das Gemüt durch die Prosa des Lebens zu rühren 
suchte. Und doch tragen die rohen unbehauenen Blöcke seiner 
Sprache ein eigentümliches individualistisches Gepräge unfl 
'allerhand seltsame Zeichen, schwer zu deuten und nachzu- 
ahmen. Die Konsequenz dieser Wortkargheit, die oft nur 
einige andeutende Noten der Charakteristik gibt, würde eine 
Wiedergabe der Empfindungen in bloßen Naturlauten, Intcr- 



- 333 — 

jefktionen, einem unartikulierten Stammeln sein. In den Ab- 
breviaturen, Lakonismen, Epigrammen erkennt man trotzdem 
den früheren Orabbe wieder. Darin zeigt sich weniger ein 
Abnehmen der Kraft als die Absicht, nach einem künstlerischen 
Gesetz die üppig verschwenderische Farbenpracht zu kon- 
densieren und zu konzentrieren. III 3 heißt es: „und der Schurke 
liebelt?« — „mein Wunsch ist erfüllt, ich sah den Todfeind 
weinen. 44 Wer denkt da nicht an Berdoa, dessen Schurken- 
Physiognomie uns überhaupt oft entgegenbleckt, dessen Geil- 
heit und Blutdurst in den Sklaven spukt, dessen wilde, afrische 
Phantasie die Bildersprache Turnus und des Celtiberiers 
färbt, der Karthago mit einer gefleckten Kröte vergleicht. 

Berühmt sind die kurzen Milieuszenen, in denen sich ein 
furchtbares neues, schöpferisches Kunstprinzip ausspricht. Wie 
verschmilzt hier Held und Umgebung zu einer Einheit, wie 
fügt sich die ganze Handlung in den Rahmen der Zeitver- 
hältnisse und des Bodens! Sphäre und Zeitpunkt weiß Grabbe 
zu schildern, das Rassenproblem wird im Gothland ange- 
rührt, aber die Frage der Vererbung hat ihm nicht nahe ge- 
legen. Die Atmosphäre der karthagischen Niedertracht lastet 
erdrückend — sie ist der Partner, die Gegenmacht; das Milieu 
zeigt, warum Hannibal leidet, aber nicht warum er so ist, es 
ist nicht der Mütterschoß seiner Taten. Wir haben wieder 
den ungeschltchteten Streit zwischen dem Wahrheitsmteresse 
des Historikers und dem Gesetz des dramatischen Kunst- 
werks, aber auch den untergeordneteren Konflikt zwischen 
dem, was dramatisch und dem, was bühnenrecht ist. Volk und 
Stadt pflegen Träger des Epos zu sein, dramatisch wirken 
Personen im Kampf und der innerliche Seelenprozeß. Das 
ist die gewöhnliche Regel. Aber Grabbes Originalität besteht 
eben darin, daß er das Volk in eine dramatisch bewegte Masse 
verwandelt und dadurch eine vergangene Zeit mit höchster 
Lebendigkeit wie eine gegenwärtige vor uns hinstellt. „Wenn 
Shakespeare Pöbel zeichnet, nimmt er noch immer einzelne 
Vertreter. Grabbe will mehr tun: Er will den Pöbel als 



— 334 — 

Masse geben, nimmt 10—15 Figuren hintereinander aus dem 
Volke heraus und schildert besser das Zuständliche, Typische 
als das Individuelle." (Kühne.) Die Volkstypen werden nicht 
als Episodenfiguren für die Haupthandlung verwandt, sie 
stehen für sich als Selbstzweck, bringen die Grundtendenz 
zum Ausdruck. 

Vermißt man die Idee und die Einheit in den historischen 
Dramen, so dürfte hier eine und zwar dazu noch eine ganz 
neue zu finden sein. Was in den Hohenstaufen noch als zu- 
fälliges Nebenwerk gelten kann, das tritt in seiner prinzipiellen 
Bedeutung seit Napoleon immer stärker hervor. 

Zu dieser Anerkennung des Volkes, des Zuständlichen vor 
dem willkürlichen Handeln einzelner, ist Orabbe wohl weniger 
durch den Einblick in die sozialen Mächte seiner Zeit als 
durch historischen Tiefblick gekommen. 

Hannibal war das Entzücken der jungdeutschen Schule, 
Gutzkow und T h. Mundt waren begeistert Im- 
mermann spürte . den hinreißenden Atem echter Größe. 
Margraff nannte Grabbe wegen der kühnen großen 
Plastik seiner Gestalten den Buonarotti der Tragödie 
und Kühne sprach in der „eleganten Zeitung" das 
schöne Wort: „Käme die Grazie und küßte diese, hohe 
gefurchte Stirn, so blickte uns ein wahrhafter Dichter 
tief bedeutsam aus diesen Mienen entgegen. Wehe der deut- 
schen Bühne, die ein solches Talent sich nicht gewann und 
nicht erzog." — Das Morgenblatt kritisiert hauptsächlich den 
wunderbaren antikisierenden und doch wieder hoch modernen 
doppelgründigen Stil, in dem die alten Römer die Gefäße für 
alle brillanten Einfälle bilden: „die Römer sitzen 2000 Jahre 
später an Grabbe's Tisch und machen ihre Witze über die 
Bagatelle." Die alte romantische Form — denn zugrunde liegt 
immer noch die technische Form der Rahmenerzählung — 
ist noch nicht gefallen, während ein neuer Geist sich zukunfts- 
voll ankündigt 



— 335 — 

Die Blätter für literarische Unterhaltung leiten ihre 
von hoher Achtung durchdrungene Kritik mit folgender Be- 
trachtung ein (Mai 1836) . Nachdem sie den Verfall der Bühne 
beklagt haben, heißt es: „was Schillers Nachfolger, die ihn 
bis zur gedankenleersten Form verdünnten und breitschlugen,, 
gesündigt, was Grillparzer, Müllner, Houwald und das reiche, 
sich zerblätternde und zerfasernde Talent Raupachs, der es 
auf den Brettern sich häuslich bequem gemacht und im Schlaf- 
rock zwischen den Kulissen sich sorglos niedergelassen hat» 
verfehlt haben, das möge ihnen der Himmel verzeihen. Der 
Verfall beginnt seit Müllner und Grillparzer und schreitet in 
Raupach unaufhaltsam vor. Die echte Tragödie lebt nur im 
Buchhandel, nicht auf der Bühne. — Diese Urtat, diese Ur kraft 
der dramatischen Poesie ist sieghaft in Grabbes Hannibal.* 

Das ist ein Wort, da% man denen, die sich namentlich von 
dem späteren verkommenen Grabbe mit Abscheu und Wider* 
willen abwenden, ins Stammbuch schreiben sollte. 

Aschenbrödel 

Zu den schönsten Verdiensten der Romantiker gehört es, 
das deutsche Märchen wiederbelebt zu haben. Man erzählte 
sie in ihrer taufrischen Schlichtheit wieder, oder es reizte ge- 
rade der Kontrast, den Alltag und die Gegenwart wie ein 
grelles Licht in die wunderbare mondbeglänzte Zaubernacht 
eindringen zu lassen. Nach verschiedenen Nuanzen bleibt der 
poetische Kern unberührt oder wird mehr oder weniger von 
satirischem Hauche verzehrt. E. T. A. H o f f m a n n führte den 
Berliner Philister unvermittelt ins Reich des Wunderbaren 
und Unheimlichen, T i e c k war es mehr um allerlei literarische 
Satire zu tun. Er hatte „Däumchen", „Blaubart", den „ge- 
stiefelten Kater" dramatisiert. Menzel suchte für sich den 
schlesischen Berggeist „Rübezahl" aus. Grabbe war wie präde- 
stiniert für den niedersächsischen Philisterspott Eulenspiegel. 
Wohl schon in der Leipziger Zeit tauchte bei Grabbe die Idee • 
auf, das Märchen von Aschenbrödel in Tiecks Manier zu 
dramatisieren. Die glanzvoll ausgestattete Oper gehörte in 



— 336 - 

Leipzig zu den zugkräftigsten Repertoirstücken. Sodann muß 
der Stoff einen eigenen Reiz auf Orabbe ausgeübt haben. -Er 
sagt im „Theater zu Düsseldorf" : „Napoleon soll die Hebliche 
Oper „Aschenbrödel" von Nicolo 90 Abende hintereinander 
geaehn haben." Von Frühjahr bis Sommer 1829 während der 
Arbeit an den Hohenstaufen ist das Stück abgefaßt und auch 
abgeschickt worden. „Mein Aschenbrödel wird tollkomisch". 
Als Kettembeil ablehnte (April 1830), hat Grabbe die Fem- 
szenen im 2. Akt in Steinmanns Unterhattungsblättern und 
im Morgenblatt untergebracht. Einige kleine Änderungen fin- 
den sich, z. B.: „Ich Böse, Ich denke immer an das Fest und 
sollte Doch immer des Unheils denken, welches uns Bedräut** 
statt „Ich denk an Spiel und Tanz und es steht doch So 
schlecht mit meines Vaters Grabgut"; hinter „Den Bächen 
gebiet ich Um Kiesel zu tönen" * ist jetzt mit Unrecht 
ausgelassen: den Blättern befehl ich u. s. w." — Im April 
1834 hat Grabbe die „Aschenbrödel" beim Umräumen ver- 
loren, in Düsseldorf aber scheint er sie wieder gefunden zu 
haben. Im Januar trat „Hannibal" in den Vordergrund, dann 
aber geht er wieder an das Lustspiel heran, das er in der Um- 
arbeitung im Juni an Wtri und Menzel schickt. Er hat stark 
gekürzt, aber auch einiges hinzugefügt, wie die Anspielungen 
auf Rotteck, die Juliwoche oder die St. Simonisten. Aus Alastor 
— der von Shelley herrührt — ist Mahan geworden, die eine 
Tochter ist nicht mehr nach Shakespeare Thisbe getauft, son- 
dern heißt jetzt Louison, der Name Olympia stammt aus 
Spontinis Oper. Im Operntext sind die Namen andere, natür- 
lich aber tauscht auch dort dem Sinn des Stückes entsprechend 
der Prinz die Rolle. Außer Tieck muß für die Feenszenen 
Ca Ideron als Vorbild beansprucht werden. 

Die erste Szene führt uns in die Familie des Barons 
in realistisch-satirischer Zeichnung. Manche Gedanken sind für 
den auf Freierfüßen wandelnden Dichter charakteristisch. 
Der Baron, ein Hamlet an Taten, aber ein verschuldeter Pan- 
toffelheld, sitzt bis über die Ohren in Schulden. Dieses Motiv 



- 337 — 

benutzte Grabbe, eine sehr wirksame Episodenfigur einzuführen, 
den Juden I s a a k. Er hatte die Manichäer in Berlin kennen 
gelernt, die Juden sind dem Satiriker die verächtliche, ge- 
tretene, mit einer bestimmten Art Schelmerei ausgestatteten 
Menschenrasse; er denkt an den schmierigen polnischen Juden 
oder an den Typus des commis voyageur, der kriechend 
unterwürfig überall anklopft, überall herausgeworfen wird und 
doch immer wiederkommt. Die Miene und Gebärde hat den 
Charakteristiker immer gereizt. Isaak wird zum Fenster 
herausgeworfen, das schadet an und für sich nichts, wohl aber 
daß er zu wenig verletzt ist, um den Baron zu verklagen 
und seine Wunden in Geld umwandeln zu können. Er kommt 
durch die Esse zurück und maust, was er findet, indem er 
einzelnes in Haar und Mund verbirgt. Die Baronin hat unter- 
dessen ihre Töchter in einer Weise auf die Finessen des 
Männerfangs dressiert, die zu einem interessanten Vergleich 
mit Sudermanns Schmetterlingsschlacht herausfordert. Die 
Töchter dürfen keinen Bürgerlichen heiraten — trotz der Juli- 
revolution, die dem Dichter nachträglich dazwischen kam. — 
Die zweite Szene führt in phantastischer Satire in das Hof- 
lager. Der König sehnt sich siegreich heimkehrend nach echter 
Liebe und tauscht auf Mahans Rat nicht nur etwa mit dem 
Schloßvogt, sondern — man sieht wieder die Zuspitzung zur 
Karrikatur — mit dem Narren Rüpel. Durch diese Änderung 
wird aber erst die groteske Ankleideszene möglich, in der 
der Poet sein Teil bekommt, der lieber schlecht als albern 
(Max. Harden hat einmal gesagt: Schweinehund, meinetwegen; 
aber Dummkopf . .?!) genannt sein will, in der der Schneider 
Bock - Meck aus dem „Napoleon" noch einmal wieder- 
kehrt. Weil er Geld braucht, wird der Jude zitiert und in- 

4 

dem dieser Olympias Namen nennt, hat er die Bedeutung, die 
Handlung ins Rollen zu bringen. — Der zweite Akt ent- 
faltet nach dem Aufbruch der Schwestern mit dem eigentlichen 
Aschenbrödelmotiv das poetische Element. Diese lyrische 
Feenpoesie ist eine Seltenheit bei Grabbe und sie charakteri- 

Nieten, Chr. D. Grabbe. 22 



- 338 - 

siert sich als geschickt nachempfundene Imitation von Cal- 
deron und Shakespeares Sommernachtstraum, wie wir sie 
schon in Immermanns „Augen der Liebe", wo übfigens auch 
das Aschenbrödelmotiv auftaucht, antreffen. Glücklicher ist 
Qrabbe aber in Kalibangestalten aus der Erdentiefe, als in 
den luftigen Geschöpfen des Himmels. Ober E. T. A. Hoff- 
mann und Scherz-Satire kommen wir zu dem Einfall, der 
zwei feindliche Tiere wie Ratte und Katze in Zofe und Kut- 
scher verwandelt. Die Grabbesche Originalkomik beruht auf 
diesen Umkehrungen und Verwechslungen, allerhand Blas- 
phemien und Teufeleien klingen an „Scherz Satire" an, der 
sich in „eine Parabase von Platen" verwandelnde Kutscher 
verschmilzt ffoffmannsche Metamorphose mit Tieckscher 
Satire. — Der 3. A k t fährt die beiden Parteien zusammen. 
Mit der Herausarbeitung der Talismanidee ist übrigens das 
Schuhmotiv in der ursprünglichen Pointe vernichtet und Grabbe 
hat dem abzuhelfen gesucht. Der verkleidete König wird 
übersehn und der Rüpel genießt alle Ehren. Vor dem Zu- 
sammentreffen mit Olympia steht ein längeres satirisches Ge- 
spräch, das die Literatur unter die Lupe nimmt. Hier finden 
sich gegenüber der ersten Passung Anspielungen auf Orabbes 
eigene Dramen: (Gothland ist ein idealisiertes Vieh und Don 
Juan und Faust und Barbarossa werden nicht viel schmeichel- 
hafter beurteilt. Die Ausländerei konnte erst in der späteren 
Fassung kritisiert werden. Immermann durfte zuletzt nicht in 
satirischer Beleuchtung erscheinen.) Das „Tollkomische" beruht 
auf der Mischung: die Menschen reden satirisch über die Lite- 
ratur, die Ratte erzählt von ihrer ersten Liebe, der Gnom treibt 
allerlei Unfug, indem er Gläser austrinkt, Zigarren wegnimmt, 
Ohrfeigen austeilt. Manche Erinnerung an „Scherz Satire** 
weckt die Ratte. Der Dichter will uns vor lauter Überraschun- 
gen nicht zu Atem kommen lassen, er versucht die ver- 
schiedenen Arten des Komischen zu kombinieren, z. B. wenn 
die Tiere literarisch werden, oder die Ratte den Engländern 



— 339 — 

vergleichbar erscheint. Bei diesem phantastischen Chaos mag 
freilich manchem mit dem Atem auch der Genuß entweichen. 

Isaak hat unterdessen einen großen Plan, „zu machen 
nach alttestamentlichem Vorbild einen Staatsbankrott und zu er- 
richten ein Monopol." Als er den Schuldschein ausstellt, frißt ihn 
die Ratte auf. Hier haben wir ein hübsches Beispiel für die Wan- 
derung eines Motivs durch die Literaturen und Zeitalter, 
und zugleich in Kürze den Ausdruck dafür, wie Grabbe Re- 
miniszenzen aufnimmt und zugleich Anregungen ausgibt 
Solcher Einfall weist zurück auf Shylock und andrerseits in 
die Zukunft auf Hebbels Diamant — Das Liebesgespräch zwi- 
schen Olympia, deren plötzlich auftretende Leidenschaftlichkeit 
Grabbe ausführlicher begründet hat (26. VIII. 35.), und dem 
verkappten König ist insofern eigenartig, als die Interjek- 
tionen der Liebenden gleichsam auf dem Untergrund von 
Feenmusik, die sie magisch beeinflußt, gemalt sind. In 
Olympia zitterndes Grauen, in dem König Tatendrang und 
Weltvergessen. — Der Schuhrat geht um und nach realistisch- 
komischen, literarisch-satirischen Szenen führt uns der Dichter 
zum Schluß, der in dem gereimten Segen der Fee und einem 
kurzen Liebesduett gipfelt. 

Während die „literarischen Blätter" das Lustspiel, das nun 
einmal der Grazie nicht entbehren könne, tief unter den Hanni- 
bal stellen, meint das Morgenblatt: Grabbe könne der erste 
Lustspieldichter sein, wenn er bühnenmäßiger wäre. Aller- 
dings fällt der Zwischenvorhang nur dreimal, aber nur wenige 
Rollen sind über das Skizzenhafte ausgeführt; der Feenzauber 
würde ebensolche Schwierigkeiten machen, wie die bunt- 
scheckige Komik der Ballszene; endlich wirkt die satirische 
Tendenz nur für die Zeit, in der sie aktuell ist. Zusammen- 
hang und Bau ist sonst regulärer, als anderswo bei Grabbe 
Wie in dem gleichzeitigen „Heinrich VI." reden die Lieben- 
den in Versen, während sonst durchgängig Prosa gesprochen 
wird. 

22* 



XII. Kapitel 



r 



Die Hermannsschlacht 

»Die Studien zu diesem Nationaldrama haben midi tief 
erschüttert. Ihretwegen war ich so krank, mocht's aber nicht 
sagen.« 

»Indeß, sei es wie es sei, ein Koloß auf neuen Wegen 
vorschreitend ist das Stück.« 

Die letzte Kraft zog Orabbe aus der Muttererde, aus der 
heimatlichen Erdscholle. Hier war für Qrabbes Kunst noch 
Neuland, hier schlummerte noch unverbrauchte Kraft. Heim- 
weh beschleicht ihn und das Gefühl, daß die nationale Kraft 
auch in ihm noch mächtig ist, stärkt ihn. Gleich nach Vollen- 
dung des Hannibal geht er an die Hermannsschlacht, den lang- 
gehegten Plan des Eulenspiegel zurückdrängend. Er über- 
windet sich sogar, seine Frau zu bitten, ihm Clostermeiers 
Buch, „wo Hermann den Varus schlug", und zugleich Ludens 
deutsche Geschichte, sowie Donops Beschreibung des lippe- 
schen Landes zuzuschicken (8. I. 35), und an Petri schreibt 
er 12. 1. 35: „die Hermannsschlacht soll frisch sein wie Lippe's 
Wald. Unser Querweg von Hartröhren zum Kreuzkrug keimt 
U auch darin." Heimatliche Beziehungen knüpft er an. Dann regt 
sich gleich der Schalk in dem Brief an Immermann, 18. 2. 35: 
„auch Runkel soll hinein, und ein Chor altdeutscher Burschen 
soll als närrische Folie auf der Gothenburg erscheinen." War 
es ihm doch in den Sinn gekommen, gleich nach der Hannibal- 
tragödie etwas Lustiges zu schreiben und zwar war es der 
Plan, den Obergang seiner Studienzeit zum praktischen Leben 
zu schildern, angeregt durch Immermann, der einen der „mir 



— 341 — 

wohlbekannten Jünglinge aus dem Mittelalter mit Sporen zu 
Fuß, schwarz-rot-gold um die Brust, einen schwarzen un- 
gesäuerten Pfannkuchen auf dem Kopf, Liebe und Vaterland im 
Maul", darstellen ließ. Vir können die Entstehung genauer 
verfolgen. Am 10. März schreibt er an Petri, binnen einiger 
Wochen denke er fertig zu werden, am Ende des Monats hat 
er alle Vorstudien beendigt und am Anfang April sind 
die ersten Szenen niedergeschrieben. Er liest ungeheuer 
viel. Im Juni scheint er nach einem Brief an Schreiner wie- 
der ungefähr fertig zu sein, er beschreibt Immermann den 
Schluß des Stückes; aber mit Ablauf des Monats hat er doch 
seine Vorsätze nicht vollhalten können. Am 26. August meldet 
er Petri: „Hermann ist vollendet und wird für den Druck 
kopiert." Dann tritt eine unvermutete Pause ein, zum Teil 
durch Krankheit herbeigeführt. Im April 1836 heißt es in 
einem Brief an Duller: „Hermann ist fertig", während er sich 
Petri gegenüber vorsichtiger ausdruckt: „Hermann ist im ganzen 
vollendet — bis auf den letzten Umguß." Im Juli schreibt er 
an seinen Verleger, 350 Seiten seien ins Reine gebracht; seit 
15 Monaten sei das Stück fünfmal umgearbeitet worden. Er 
schickt das Manuskript immer noch mit Vorbehalt an Petri 
zurück. Aber ehe es zu einer Abschrift kam, ist der Dichter 
gestorben. Orabbes Witwe hat dann das Manuskript zum 
Druck befördert mit allerlei eigenen Verbesserungen. Eine 
kleine Bosheit hat Grisebach aufgedeckt: der Name von 
Orabbes verhaßter Mutter Qrüttemeier war von Frau Lucie 
in Rosenmeier umgewandelt. 

Grabbe will das Stück fünf- bis sechsmal umgearbeitet 
haben. Genauer festzustellen ist eine dreifache Änderung: 
zunächst bis Juli 1835, zweitens bis April 1836, endlich bis Juli 
1836. Von diesen verschiedenen Passungen besitzen wir gedruckt 
im Phönix 1835, 1836 (294), 1837 (1) : 1. Eßszene, Lager des Va- 
rus. 2. erster. Tag, Varus' Tod. 3. das Ende des Augustus. 
Bemerkenswert ist die Nennung Armins, die Grabbe zuerst an- 
wandte. „Armin ist der ehrliche echte Name". Tatsächlich 



— 342 - 

würde Hermann einem Chariamannus entsprechen; auch 
Kleist zieht den Namen Armin vor. — Im „Rheinischen Odeon* 
1838 ist gedruckt: erste Schlacht (Dörenschlucht) . Die Ber- 
liner Nationalzeitung (IL 12. 1901) enthält: erster Tag (aus 
dem Besitz des Dr. Weißstein). 

Fragmente befinden sich in Detmold und Berlin und 
drei Blätter in München: Eingang (Hermann), erste Nacht 
(Armin). (Dort befindet sich auch eine Locke von Orabbes 
Haupthaar, die Ignatz Hub pietätvoll aufbewahrt hat) Außer- 
dem besitzt Dr. Hallgarten in München sieben Fragmente, 
von denen das erste den Eingang fast vollständig enthält, aber 
auch alle übrigen bringen Bruchteile des Eingangs, während 
die Fragmente des eigentlichen Stückes spärlicher sind. Für 
das Alter dieser wichtigen Bruchteile kann man drei Stufen 
unterscheiden. Armin steht in den ältesten Fassungen; so- 
dann folgt eine Schicht, in der Armin durchstrichen und Her- 
mann dafür eingesetzt ist; endgültig ist der Name Hermann. 
Aus der ältesten Fassung stammen z. B. Teile aus der 
zweiten und fünften Szene des Eingangs. Welches Interesse 
Orabbe der Gerichtsszene zuwandte, beweist, daß sie in fünf 
Fassungen vorhanden ist Einige kleine Stücke mögen dienen als 
Beispiel der Änderungen. Aus der ersten Szene Fragment 
VII: der Cherusker: Der Fahraus t der wohnt hoch am Teut 
in dem mit Wimpern von Buchen und Eichen ins Land schau- 
enden Hünenringen, er ist wohl bei Euch. — 

Drucke: Fragmente: 

So 'viel ich weiß, a) Nein, der Lan- b) Er ist noch ab- 
ist er noch abwe- desherr ist abwe- wesend als Legat 
send, als unser send in Geschäften, so viel ich weiß. 
Agent im Norden, als Legat des Ca- c) Er wird noch 

sar Augustus. abwesend sein» als 

unser Agent im 
Norden. 

In VII beginnt die Visitation des Varus: 



- 343 — 



Druck: 
Varus: Dein Schwert! 
Legionär: hierl 
Varus: die Klinge hat Rost! 
Legionär: eingefressenes Blut 



Druck: 
Varus: Du zögertest lange, — 
Hermann: ich grüßte erst mit 
ein paar Worten zu Hause. 
Dann machte ich noch diese 
Wegekarte nach dem Harz, 
schickte weitumher nach Hülle, 
selbst bis zu den auf ihren im 
Meer lebenden Lindern woh- 
nenden Chauken. Meine Nach- 
barn: die Marser und Brückte- 
rer sind natürlich nicht die 
letzten, die ich einlud. Varus: 
Dein Eifer für die gute Sache 
verdient alles Lob. 



Fragment: 

Die (Röcke) Panzer gut ge- 
putzt — Dein Schwert — nicht 
geputzt? gegen Germanen — 
die Un vorsieht — Soldat: 
Herr -? 

Meine 18te! Ha! (die 18te 
Legion von der Sonne beschie- 
nen im Waffenglanz). Du 
Schönste, die der Kaiser hat. 
In aller Welt, in Asien, Af- 
rika, Europa — keine gleiche! 
Die 19te! 

Fragmente: 
Varus: Fürst? — Armin: ich 
bin ganz Dein. — Hier die 
Pläne, die Charten —ich führe 
Dich und wir besiegen die auf- 
rührerischen Harzer. — Va- 
rus: Augustus Ruhm und 
Qnade und ewiger Ruhm loh- 
nen Deine Treue! — Die sechs 
gestern angekommenen Co- 
horten und 3 Geschwader 
bleiben hier und halten den 
Hünenring besetzt — Armin 
für sich: mir nicht lieb. — 
Thusnelda muß sorgen, daß 
sie vernichtet werden — (er 
blickt um sich) kein Bote da- 
hin. 

Ein Cherusker hält sechs 
Finger in die Höhe, dann drei, 
ballt die Hand, erhebt sie wie- 
der und blickt Armin fragend 



— 344 - 



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/ 



an — flüstert (hinter den 
Ohren) : Fürst? — Armin (als 
hätte er das alles nicht ge- 
sehen, läßt beiseite die Worte 
fallen) besorgs — (Tod dem 
fremden Volk) — Gruß der 
Thusnelda. 

Varus: was ist? Hermann: 
nichts. Mein Bursch brummte, 
weil mein Handpferd hinten 
ausschlug und ihn traf. Varus:, 
schone er künftig seine unge- 
heuere Lunge mehr, in Erwä- 
gung daß man störendes Un- 
geziefer, Brummfliegen einge- 
rechnet, leicht zerdrückt — 
Auf und vorl Hermann: diese 
blitzenden Goldkäfer! (Er stürzt 
zu Boden) : Meine Erde, meine 
große Mutter . Cherusker : 
Herr, wirst Du krank? 
Die Buffonnerie fällt also hier von Varus auf die Ger- 
manen. 

Die ganze Liebe zur Heimat wollte Grabbe wie ein Plui- 
dum durch sein Stück strömen lassen. Er hat als Lippescher 
Lokalpatriot für die Verschönerung der Stadt journalistisch 
einzutreten für der Mühe wert gehalten und sich bei dem 
Streit mit Bückeburg um Schieder — in heutigen Tagen 
wieder erneut — als echter Detmolder gefühlt Früher war 
ihm der Rahmen gleichgültig, jetzt drängt ihn die Tendenz 
nach Einheit nach einer urmächtigen, wurzelechten Grund- 
lage. Ausgangspunkt ist der Heimatboden, darauf als das 
eigentlich dramatische Ereignis eine Bataille, eine Waldschlacht; 
Milieu und malerische Impression; dann aber als Würze alier- 



Oder: 
Römische Soldaten: Don- 
nerts? Hermann: Nein. Mein 
Stallknecht brummt, weil er 
einen Verweis bekommen hatte, 
daß er den Sattelriemen nach- 
lässig zuknöpfte. Varus: scho- 
ne er künftig seine ungeheure 
Lunge. Brummfliegen tötet 
man leicht unversehens. Vor- 
wärts marsch. Hermann: Die 
gleißenden Schurken!* 



— 345 — 



hand Pikanterien und moderne Einfälle. „Hermann soll frisch 
sein, wie Lippe's Wald. Mein Herz ist grün vor Wald. Ich 
kenne aus meiner Kindheit ja jeden Baum, jeden Steg dazu.* 
Er hat das Stuck vollendet unter den Bergen und Wäldern 
seines Vaterlandes. Damit hat er sich in Düsseldorf ge- 
tröstet Aber es hat ihm ungeheure Mühe gemacht, Abwechs- 
lungen und allgemeines Interesse hereinzubringen in Verfol- 
gung romantischer Tradition. „Nie schmiere ich wieder ein 
Genre- und Bataillestück. Was habe ich nicht an Witzen, 
Naturschilderungen, Sentimentalitäten pp. einflicken müssen, 
um das Stück möglichst lesbar zu machen. — Indeß, sei es 
wie es sei, ein Koloß auf neuen Wegen vorschreitend ist das 
Stück." 



Hermann war frühe von patriotischen Dichtern auf den 
Schild erhoben worden und die Germania des Tacitus war 
nationalfühlenden Männern immer ein Quell der Erquickung. 
Hütten dichtete einen Arminius, Lohenstein einen „Hermann 
und Thusnelda 44 . Arminius und Heinrich der Vogler ge- 
hörten zu den populären Gestalten aus der Vergangenheit im 
Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Schönaich und Wie- 
land dichteten ihre Epen, Schlegel sein Drama, Klopstock 
seine Bardite. Und mit seiner Ode „Hermann und Thusnelda** 
„leitete Klopstock eine ältere Strömung von den Leipziger Stu- 
diengenossen auf die Poeten der Freiheitskriege". Dann kam 
Kleist mit seinem großdeutschen Tendenzstück. Grabbe 
schreibt 30. 3. 35 an Immermann: „Kleists Hermann schicke 
ich anbei mit Dank zurück. Was ich daraus benutzen konnte, 
habe ich mir gemerkt. Mein Armin wird aber ganz anders. 
Ob besser, weiß ich nicht urtheln. Hoffs aber ziemlich stolz, 
verzeih mirs Gott." Man wird in der Tat nur selten — etwa 
in der Eingangsszene — an Kleist erinnert 

Römer und Germanen schritten nicht selten über die« Bühne. 
Aus verwandtem Stoffkreis heben wir heraus etwa den Germa- 
nicus von Riesch 1818 (nach Arnault) oder von Wustenberger 



— 346 — 

1822; Wetzet dramatisierte 1818 den Thüringer Hermannfried» 
den Brudermörder, der Qodwig zur Hülfe ruft, dann aber durch 
seinen Verrat zu Grunde geht. Lucie Qostermeier hatte 
Grabbe Klemm's Heerfest (d. i. Ariovistus) zugeschickt, 
(Zerbst 1829): eine epische Dichtung in sechs Gesängen 
(Fahrt — Gastmahl — Nacht — Zusammenkunft — Schlacht 
— Flucht) und in Hexametern. Juni 1833 wird in den „lite- 
rarischen Blättern" ein Arnim gen. Hermann der Cherusker 
von dem Mecklenburger Schütz angezeigt (Hamburg 1833). 
Der Kritiker macht die beachtenswerte Bemerkung: „Von 
mindestens 20 Tragödien dieses Namens hat keine nachhaltig 
gewirkt. Der Stoff ist zu mager. Hermann ist ein Name, 
weiter nichts, nicht einmal das Feld seiner Taten wissen wir 
genau zu bestimmen; er ist ein deutscher Römer oder ein 
römischer Deutscher. Er siegte durch List und Verrat und 
nach „zehn Jahren herrschten auf seinem nur wenig nachhaltigen 
Siegesschauplatz die Römer." Aber ein patriotischer Gedanke 
und ein poetisches Gefühlselement hat die Dichter doch ge- 
lockt. — Das Verhältnis zwischen Hermann und Thusnelda 
und andererseits die Beziehungen zu den Freiheitskriegen 
ließen den Stoff immer dankbar erscheinen. 

Grabbe aber lockte nach einem endlich gefundenen eigenes 
Kunstprinzip der heimatliche Boden, die Schlacht. In dem 
rethorischen modernisierenden Stück von Schütz stirbt 
Hermann durch Gift, nachdem Thusnelda und Siegmund ge- 
fallen sind. Als ein zweites Beispiel des variabeln Stoffes diene 
Mätzners Hermann und Thusnelda (Greifswald 1822), in dem 
Wahrheit und Dichtung bunt gemischt sind. Der durch Sogest 
verratene Hermann läßt sich gefangen nehmen, nachdem er 
die Fürsten zur Zerstörung Alisos entflammt hat. Als aber 
ein Eggius — er wiederholt Kleists Ventidius und erscheint 
bei Grabbe als Feldherr des Varus — um Thusnelda wirbt, 
läßt das Mißverständnis, daß Thusnelda von Eggius ermordet 
sei, Hermann von neuem aufflammen und so soll die wahre 
Veranlassung zur Befreiungsschlacht gegeben sein. Segest 



- 347 - 

bekehrt sich von dem geplanten Meuchelmord. Außer dem 
Namen Eggius läßt die Gegenüberstellung des schicksalsgläu- 
bigen Hermann und des nur dem eigenen Gott im Busen trau- 
enden Varus vielleicht eine leichte Spur bei Grabbe erkennen. 
— Zwei Westfalen seien noch als Grabbes Vorläufer genannt, 
die aber seine Originalität sicher nicht im mindesten beein- 
trächtigen. Wahl er t ließ 1816 bei Mallinckrodt in Dort- 
mund ein Schauspiel in fünffüßigen Jamben »Hermann oder 
die Befreiung Deutschlands" erscheinen, das wie Kleists 
Drama ein Tendenzstück und unter dem Eindruck der Frei- 
heitskriege geschrieben war; wie es denn Blücher gewidmet 
ist Dagobert, der Bardenchor, Gelperts Weib erinnern an 
Kleist, obwohl doch eine Abhängigkeit undenkbar ist. Die 
Vorgänge bis zur Schlacht werden geschildert: Varus läßt 
sich auch durch Flavius und Segest, die er für eifersüchtig 
hält, nicht warnen. Hermann eröffnet das Stück mit einer 
langen Rede zur Befreiung Deutschlands, die ganz auf Napo- 
leon paßt. Zuletzt prophezeit die Sängerin Aurinia alle Er- 
eignisse bis 1815. „Ein Eiland fern im Mittelmeer Wirft schlau 
ein Glückskind an den Gallischen Strand. Der Brenne — 
Blücher aber siegt." Wie anders wirkt da doch Grabbes 
Schluß Perspektive auf uns ein! — Den Gegensatz zwischen 
Römern und Germanen arbeitet Wahlert mit einem Realismus 
heraus, der oft unfreiwillig komisch wirkt. 

„Ihr wollt es leiden, daß der Räuberschwarm 
Ein fettes Fleisch in Euren Töpfen kocht \ 
Und nichts Euch als die Knochen läßt." 
Es gilt sich zu befreien „von diesen Igeln, die sich an 
unserem Herzblut vollgesogen." Varus nennt die Deutschen 
plumpe Tiere: 

„So wie der Elefant vom Kinde, 
Regiert wird blos durch einen dünnen Stock." 
Varus ist ein Trunkenbold. Am wichtigsten für die Ver- 
gleiche mit Grabbe aber ist außer dem mißglückten Realis- 
mus die Szene, in der Varus über die dummen und gedul- 



— 348 — 

digen Deutschen Recht spricht und in der Zank, 
Unkeuschheit, Beleidigung durch Gewalttat und Grausamkeit 
gesühnt werden. — - Garnichts mit Grabbe gemein hat die 
romantische Geschichte, die die Jamben des Trauerspiels 
„Hermanns Tod" (Hamm 1824) von Wilhelm Freiherr von 
B 1 o m b e r g erzählen. Hermann will nach der Varusschlacht 
Alruna verschmähend Thusnelda aus der Gefangenschaft der 
Römer befreien; er wird in Ingomars Burg gelockt und fällt 
im Kampf. 

Einen ganz selbständigen Weg ist Grabbe in seiner Dich- 
tung gegangen. Kleist und Wahlert können einzelne An- 
regungen gegeben haben; Tacitus hat er nach eigener An- 
schauung verbessert; dagegen hat er Diocassius LVI 18—24, 
Vellejus Paterculus II 117 Florus IV 12 kaum benutzt. Er schil- 
dert den Boden, die Waldschlacht — hier liegt der Ausgangs- 
punkt. So selbständig gegenüber seinen dichterischen Vor- 
gängern, hat Grabbe doch sich einer andersartigen Führung 
anheimgegeben. In der letzten Dichtung ist der Geist des 
seligen Clostermeier umgegangen. Der Archivrat glaubt in 
seiner Schrift „Wo Hermann den Varus schlug" (Lemgo 1822) 
ein entscheidendes Wort in einer Frage zu sprechen, die auch 
heute noch nicht sicher gelöst ist. In drei Aufsätzen wendet 
er sich gegen Tappe, Freiherrn v. Hammerstein und Geheim- 
rat von Hohenhausen. Sein Buch hat eine entschieden lokal- 
patriotische Tendenz: er will das Fürstentum Lippe in den 
ausschließlichen Besitz des Teutoburger Waldes und somit auch 
des klassischen Bodens der Hermannschlacht setzen. „Dro- 
hend erhoben sich Teutoburgs Steinwälle gegen die Römer- 
feste Aliso und sie ist vertilgt von der Erde bis auf die letzte 
erkennbare Spur; aber jene stehen noch fest als unvergäng- 
liche Zeugen des alten deutschen Heldentums und selbst der 
nagende Zahn der Zeit schadet ihnen nichts". „Ich flehe den 
Genius des deutschen Altertums an, daß er seine Flügel aus- 
breite über Hermanns wahrer Burg und jede Entweihung von 
ihren kostbaren Trümmern schützend abwende". — Also 



— 349 - 

schwungvoll beschließt Grabbes Schwiegervater seine Unter- 
suchung. Und man kommt auf den Gedanken, ob nicht Grabbe 
bei seiner Dichtung ein wenig spekulierte auf das Wohlwollen 
der Lipper, die er nötig hatte, und ob nicht eine Nebenabsicht 
auf eine Versöhnung mit der Frau Lucie hinausging. Sind 
doeh die Motive seines Dichtens oft heterogen und paradox 
genug aus allzu Menschlichem und Obermenschlichem abzu- 
leiten. 

Wichtiger als Geschichte und Zeit ist für Grabbe der Ort. 
Man schlage nur Clostermeiers Buch auf und man findet es 
bei Grabbe dramatisiert, dessen Stück parallell mit diesen 
Schilderungen fortschreitet. Clostermeier berichtet (20 ff.): 
Drusus legte Aliso an, wo die Alme in die Lippe fließt, in 
der Senne. Die Straße ging von Aliso durch die Lipper Berge 
über Herford nach der Weser. „Varus weilte in den Sommer- 
tagen zu Minden an der Weser; die Chatten fielen ab und 
Varus wollte nach Aliso, um von dort den Peldzug gegen sie 
vorzubereiten". I 1 führt Grabbe die Römer im Zickzack über 
die Berlebecke zur Grotenburg. Die Grotenburg — die große 
im Vergleich zur kleinen Spreckenburg — hieß noch im 16. 
Jahrhundert Teut. Bei Kleist geht der Zug gegen dieSueven, 
bei Grabbe zum Harz hin, den Hermann ausspart. — Closter- 
meier fährt fort (Seite 34): „die Verbündeten gegen Varus 
waren Cherusker, Marsen, Brukterer und Chatten; letztere 
das entfernteste Volk, das gegen die Römer aufstand." — Wegen 
des Tauwetters will Varus bei Grabbe nach Cheruska zurück 
und den Angriff auf den Sommer verschieben. Inzwischen 
verkündet der Chatte dem Hermann, daß alles bereit ist. Der 
Eingang endigt also da, wo Varus den Rückmarsch antritt. 
Bei Kleist verhält es sich umgekehrt: Varus soll im Teuto- 
burger Wald von den Sueven und von hinten her von Her- 
mann angegriffen werden, ehe er noch die Weser erreicht. 
Außer Genrebildern und kulturhistorischen Skizzen gibt uns 
die Einleitung nicht nur die Vorbereitung der Schlacht, son- 
dern auch in kurzen markanten Zügen das Drama der Fa- 



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— 350 — 

milie Hermanns, das bisher fast ausschließlich den Inhalt 
der früheren Dramen ausmachte. 

Nun kommt die dreitägige Schlacht. Varus gelangt mit 
seinen Legionen über die Weser. Clostermeier verlegt den 
Zusammenprall zwischen Weser und Herford nach . Salzuflen. 
Varus zog durch unwegsame Wälder über rauhe, von vielen 
Talgründen durchschnittene Berge (Dio — Tacitus). Bei 
Orabbe erfolgt der Abfall Hermanns in der Dörenschlucht — 
übrigens entsinnt man sich hier unwillkürlich der Szene, in 
der Teil aus Qeßlers Boot springt und die Befreiung der 
Schweizer verkündet — Marsen, Cherusker, Tenkterer sind 
da, nur Marbod fehlt. Hier hält Orabbe sich strenger an die 
Geschichte als Kleist, aber Marbod spielt bei ihm überhaupt 
keine Rolle. Es heißt, die Römer abzuwehren von der sieben- 
türmigen Veste Aliso. Die Marsen hindern die 19. Legion 
am Obergang über die Werra; dieser römische Angriff bildet 
den Höhepunkt der Szene; dann folgt fallende Handlung: die 
18. Legion deckt den Rückzug und die 19. und 20. werden 
gegen die Harzer geschickt Man hat sich eine riesige Bühne 
zu denken: Oben die Höhe, unten das Tal; Schlachtreden 
werden geführt auf beiden Seiten; Schlagwörter sind: Deutsch* 
land — Rom — der Kaiser 1 Die Germanen treten stärker 
hervor als die Römer: einige Schlaglichter fallen auf die ver- 
schiedenen Völkerstämme, Thusnelda erscheint als Walküre, 
nachts raubt Hermann einen römischen Adler — eine Episode 
die sich bei Orabbe wiederholt — und die deutsche Spielwut 
wird exemplifiziert. „Die Höhe bei der Dörenschlucht" ist 
bei Clostermeier ein Berg bei Salzuflen. 

Der eigentliche Angriff der Germanen erfolgte nach 
Clostermeier erst am zweiten Tag und für die dramatische 
Ökonomie wäre es vielleicht wirksamer gewesen, wenn 
Orabbe dies strenger beachtet hätte. Varus zog nicht durch 
die von Germanen besetzte Dörenschlucht, sondern über die 
Werra in das Tal der Berlebecke unterhalb der Teutoburg; 
dort bei der Retlager Mühle stürzten die Germanen über die 



- 351 — 

Römer her. Die Nacht verbrachten sie unter Sturm und Regen 
auf dem Winfeld. — - In Grabbe's Dichtung beginnt die 18. 
Legion den Rückmarsch nach Süden, Varus erzwingt den 
Obergang über die Retlage; Eggius fällt, man gelangt im 
Handgemenge bis zum Detmolder Bruch, der abgebrannt wird, 
und man lagert endlich bei einem Flußchen. — War das Lokal 
vorher Tal und Höhe, so findet der Kampf jetzt statt bei 
Quellen und Bächen. Die Römer treten mehr in den Vorder- 
grund; eine satirische Episode liegt dazwischen: ein Schreiber 
verfolgt Varus, selbst noch in der furchtbaren Nacht bettelt 
er um die Unterschrift, während Orabbe gleichzeitig ein 
Momentbild von der deutschen Uneinigkeit bringt, das an den 
Eingang des Kleist'schen Dramas erinnert. — Nach der Nacht 
zieht Varus südwestlich durch eine Bergschlucht an die Berle- 
becke. Der Weg wird steil, die Chatten erscheinen (wie bei 
Clostermeier) ; im Westen durch Hermann, im Osten durch 
die Bundesgenossen von Weser und Elbe bedrängt, will Varus 
auf die breite Kuppel des Winfelds; aber er kommt nicht hin- 
auf; die Umgehungsbewegung der 20. Legion wird durch 
Ingomar vereitelt. Varus fällt. Hermann ladet die Ger- 
manen, die für einen Vernichtungskrieg doch nicht zu haben 
sind, zu einem Schmause auf das Winfeld. Winfeld leitet 
Hermann (Orabbe) von gewinnen, Clostermeier dagegen von 
Wind ab; Orabbe tauft die Berlebecke, Clostermeier den Rother- 
bach Knochenbach. Die Vernichtung erfolgt nach Clostermeier 
beim Ausgang des Gebirges in die Senne zwischen österholz 
und Schlangen — Hastenbeck. Es ist ein Auf- und Abwogen 
bis in die Nacht hinein; einige lichtere Momente für die Römer 
bringen die nötige Abwechslung: Hermann wird verwundet. 
Segest fällt; auch hier sind noch Episoden eingeschoben. 

Bisher hat Orabbe verschiedene technische Kunstgriffe an- 
gewendet, um die Schlacht zu schildern. Anfangs dachte er 
an die Bühne: Die Schlacht tobt hinter den Kulissen, auf der 
Szene finden Zweikämpfe statt. Bei Napoleon flieget die Ad- 
jutanten gleichsam als beflügelte Gedanken des Schlachten- 



- 352 — 

schöpfers hin und her. Die Szene wechselt mit den Parteien, 
oder beide stehen sich in einer Szene gegenüber. Jetzt sind 
wir in einem Wandelpanorama: der Schauplatz wechselt wieder- 
holt, aber in kontinuierlichem Zusammenhang, innerhalb einer 
Szene; dazwischen sind die mannigfachsten Episoden einge- 
streut: Fürsten, Soldaten, Hermann und seine Verwandten 
— lauter kleine, in sich abgeschlossene oder sich fortsetzende 
Dramenfragmente. 

Das Gefüge der Schlacht in einem kühnen Freskogemälde 
festzuhalten, ist des Dichters Ehrgeiz, der an die szenische 
Darstellung nicht entfernt mehr denkt und den man nun auch 
nicht mehr mit dem Maß, mit dem man das Bühnen-Drama 
mißt, bewerten soll. Aber ist es in Wirklichkeit so gewesen, 
wie Orabbe schildert, ist die Schlacht ein dramatischer 
Vorwurf? Sicherlich gibt es nichts, in dem mehr dramatisches 
Leben steckte; aber andererseits sind die Darstellungsmittel 
des Dramatikers — auch wenn er sich von der Bühne eman- 
zipiert — zu beschränkt. Darin liegt Grabbes Eigenart und 
zugleich vielleicht sein ganzer Irrtum. Die einzig mögliche 
Darstellung hat etwa Bleibtreu in seinen Schlachtenbildern ge- 
funden, in denen der dramatische Dialog durch epische Schil- 
derungen ergänzt wird. 

Hauptpersonen sind eigentlich nur Hermann, Thusnelda, 
Segest — Varus; etwa noch Ingomar und Eggius, der ur- 
sprünglich Cäcina hieß. Das Schlußdrama steht für sich. 

Menschen, die anders scheinen als sie sind, die ihr Inneres 
nur in Andeutungen verraten, die den köstlichen Kern ihres 
Wesens unter rauher Schale und barocker Form verschließen, 
solche Familienähnlichkeit haben namentlich die letzten Gestalten 
des hier nach seinem Ebenbild formenden Dichters: So einer 
ist auch der Cheruskerheld. Hermann muß anfangs mehr 
noch als bei Kleist Verstellung in den schwierigsten Lagen 
üben — sogar Thusnelda verkennt ihn zunächst. Er besitzt 
nicht die List des glatten Höflings, der keine große Sache 
kennt. Sein versteckter Groll verhüllt sich hinter gleichgül- 



- 353 - 

tigen Redensarten, die aus seiner rauhen Westfalenbrust her- 
vorgrollen. „Das Wetter ist launisch hier zu Lande" — „bin ich 
Charon?" Wenn Varus ihm dann noch z. B. für den Ver- 
gleich mit dem Hühnerhund die Lektion erteilt, er habe den 
Horaz nicht genügend studiert, so ist das ein Meisterzug von 
Ironie. In Wahrheit kennt der verschmitzte Westfale Varus' 
Schwächen so gut, daß er ihn eigentlich lenkt. Auf jeden 
Stich antwortet er mit einem doppelsinnigen Wort, das Varus 
unbedenklich, dem Hörer aber furchtbar klingt. Er ist so 
lakonisch und doppelgründig wie Hannibal. Es hat etwas 
Unheimliches, Beklemmendes, aus seinen Worten gleichsam 
das Grollen eines verborgenen Gewitters herauszuhören. Herr- 
lich ist es dann, wie sein wildes Freiheitsgefühl aufflammt; 
er wirft die Waffen fort, das Tyranneneis, den Skorpionsstachel 
und steht neu gegürtet da, Thusnelda und Ingomar an seiner 
Seite. Kein Joch außer dem Himmelsbogen soll auf den freien 
Germanen lasten — die deutschen Ströme werden zu blitzenden 
Schwertern. In Hermanns Freiheitspoesie sind Momente von 
wilder eigentümlicher Schönheit, aber seine längere Rede mit 
ihren historischen Erinnerungen und dem modern wirkenden 
Appell an die Einheit wirkt weit weniger eigenartig. Wo 
Grabbe schlicht natürlich werden soll, wird er leicht trivial. 
Sein Gesicht ist auf eine bestimmte Miene eingestellt, und wie 
krankhafte und alkoholische Einflüsse sein Selbst zersetzt 
hatten, so- ist der unter ewigem Bann und Druck Stehende 
unfähig, normale Empfindungen nachzuspüren und nachzu- 
bilden. Origineller gestaltet er die Wunderlichkeiten, die Kan- 
ten und Knubben. Hermann behält kaltes Blut in der Schlacht 
und verweist seinem Oheim die Tollheit, obwohl er dadurch 
Streit mitten in der Schlacht erregt — der bekannte Zank- 
dialog mitten im Kampfgewühl. In der Schlacht scherzt er die 
Gefahr mit Lakonismen hinweg: „man wird ganz naß" — „Wun- 
den gehören zur Schlacht". Hier steht die kleine Szene al fresco: 
„da fiel was großes, was ists?" — „Segest, Dein Schwiegervater 
— schweig davon." Hermann weiß, wie er seine Deutschen, be- 

Nietei, Chr. D. Qrabbe. 23 



— 354 — 

sonders seine Westfalen anpacken muß: Nicht mit hohen Ideen» 
Wo liegt, was ist Deutschland? (Man erinnert sich an Kleistens 
Definition bei dieser Frage: „Ob in dem Mond, ob zu der 
Riesen Zeiten?") Nein, von Linsen und Kohl redet Hermann oder 
von der schwarzen Kuh. Manch einem verdirbt dieser natu- 
ralistische Appell an die niedersten animalischen Leidenschaften 
den Geschmack. Wo bleibt da die Poesie? Aber Orabbe hat 
nicht wie Tacitus seinen verdorbenen Römern ein Ideal zu 
malen und derartige Folgerungen ergeben sich aus seinem 
neuartigen Kunstprinzip. Eigensinnige streitsüchtige Westfalen- 
bauern waren ihm als Auditeur sattsam in die Stube gelaufen. 
Wem Hermann oft allzu roh und grob erscheint, den sollte seine 
rauhe Freiheitskraft versöhnen oder jene Mitternacht, in der 
Hermann in der methberauschten Menge seine Verantwortung 
fühlt, oder jener Morgen, da er unter deutscher Eiche träumend 
erwacht. Aber nach dem Erfolg haben wir wieder den nihi- 
listischen bitter resignierten Zug, den wir bei Orabbe» Helden 
kennen; was kommt heraus? Ein Gelage. 

Schon Kleist hatte der Idealfigur Thusneldens realistische 
Züge geliehen. Orabbe, der Thusnelda wesentlich im 
Eingang auftreten läßt, hat sie nach einem Vorbild aus dem 
Leben geschaffen: nach der Meierfrau von Sültehofe. Sie tot 
karg und mild — das eine durch die karge Natur, das andere 
durch ihr Herz. Ganz urwüchsig und selbstverständlich ist 
ihre Freiheitsliebe. Vor allem aber hat Orabbe ihre Charak- 
teristik herausgearbeitet auf die deutsche Hausfrau, 
die auf Sitte und Zucht hält und die ihrem Qesinde imponiert. 
Daß sie vor ihrem Vater heucheln muß, raubt ihr für einen 
Augenblick die Fassung derart, daß sie ihre hausfraulichen 
Pflichten vergißt und diese sind ihr doch so in Fleisch und 
Blut übergegangen, daß sie am Schlüsse der Hermannsschlacht 
sich um nichts kümmert, als um die Bewirtung der Helden. 
Sie ist nicht züchtig sittsam, sondern herb und stolz. Sie er- 
liegt nicht den Schmeicheleien des Varus, wie das Kleistsche 
Weibchen den Künsten des römischen Galans Ventidius. Sie 



- 355 — 

würde in der Niederlage die Haltung der Pilotyschen Thus- 
nelda bewahren, wie wenig sie sonst ihr ähnelt. Fast scheint 
sie Hermann an männlicher Energie überlegen — und ihr 
Liebesgespräch erinnert wieder an Alitta und Brasidas. Man 
kann sich eines Lächelns nicht erwehren bei dieser fossilen 
Lyrik und den bizarren Zügen, die Qrabbe vielleicht in seiner 
Lucie angelegt sah. Man ermesse die Grabbesche Eigenart, 
wenn man Werthers Lotte vergleicht mit Thusnelda, wie sie 
ihrem Sohn das Butterbrot schneidet; oder man stelle gegen- 
über Klopstock9 Wald- und Mondscheinpoesie, die offenbar 
von den Barditen her nachwirkt, mit Thusneldas Erinnerungen 
an die erste Liebe im deutschen Eichenwalde. Welche Wand- 
lung dieses Gefühls vom ersten Erwachen in einem primitiven 
Naturmenschen bis zu dieser Verkörperung bei Grabbe, der 
sich vor der beizenden Lauge seiner sarkastischen Grund- 
stimmung noch einen Rest schlichter Empfindsamkeit be- 
wahrt, wie ein Baum, in dem im blätterraubenden Herbst es 
noch aufquillt wie eine Regung frühlingsvoller Triebet Der 
Zartsinn will sich ins Ungeschlachte verirren. In der 
Schlacht erscheint Thusnelda als Walküre oder — als 
Marketenderin. Es ist wieder ein Einfall, wie ihn nur Grabbe 
haben kann, wunderlich und doch sinnvoll, burlesk und doch 
eigentümlich naturwahr: In der Schlacht schließt sie die 
Augen, um Mut zu zeigen und zu zeugen. Nach der Schlacht 
aber hat sie kein lobendes Wort; denn Männermut ist etwas 
Selbstverständliches. Sie ist von einem wunderlichen, oft un- 
angenehmen Eigensinn, dem sich auch der Sieger in der 
Varusschlacht fügen muß. Es ist ein Holzschnitt mit aller- 
hand bizarren Zügen und kuriosen Pikanterien, der eine haus- 
backene ja rohe, aber auch kraftvolle Frauengestalt wieder- 
geben soll, die jedenfalls origineller und interessanter ist, als 
ihre zahlreichen dramatischen Nebenbuhlerinnen. 

Segest, der eifersüchtig und römerfreundlich in Her- 
mann nur den Räuber seiner Tochter sieht, hat nur zwei 
Szenen. Er will einmal Thusnelda ausholen und warnt sie 

23» 



— 356 — 

wie ein ängstlicher Alter vor Zug. Ihm versagt sich das 
Gesinde, das einem Wink Thusneldens folgt. Auch sein Ende 
ist voll Ironie: Varus schlägt den kraftlosen Greis,, den 
Schwächling und Heuchler als Verräter nieder. In grollen- 
dem deutschen Männerzorn tut Grabbe Segest ab, dessen 
Charakter sonst weitläufig entwickelt wird. Auch Ingo- 
m a r tut seine Pflicht im Kampf; er ist ein Draufgänger, aber 
Beleidigungen vergißt er nicht. Die Fürsten sind selbst wäh- 
rend des Schlachtens und Siegens zwieträchtig, eifersüchtig, 
kurzsichtig — das tragische Element der Hermannsschlacht. 
Die eigentümlichsten Wirkungen der Grabbeschen Drama- 
tik beruhen auf dem Verblendungsmotiv. Varus ist von 
raffinierter Oberkultur. Den Kaiser kann er überlisten und 
sich heimlich bereichern. Aber trotz aller abgefeimter Ränke 
wird er von den deutschen Tölpeln bis zum letzten Augen- 
blick zum Narren gehalten. Das ist die Ironie. Machen seine 
römischen Galanterien auch unerwartet geringen Eindruck, so 
glaubt er sich doch ihres Blondkopfes sicher — ebenso Her- 
manns. Bei Kleist heißt es: „in einem Hämling ist, der in der 
Tiber graset, mehr Lug und Trug als in der Deutschen 
Munde." Der Prätor bei Grabbe behauptet: „der Germane hat 
noch nicht so viel Vorsicht und Erfahrung, als das Wildpret 
in seinen Wäldern." Diese Verblendung dauert bis zum aller- 
letzten Moment, so daß der Wechsel von starker dramatischer 
Wirkung ist. Vorher hat Varus den fiebernden Hermann noch 
durch einen Arzt kurieren lassen wollen. Diese vibrierende Auf- 
regung bei den rauhen Menschen im Einklang mit wilder Natur 
und schlimmem Wetter ist eines der mächtigsten Stimmungsmo- 
mente der Dichtung. Varus schätzt einen römischen Schreiber 
höher als den urwüchsigen Sohn der germanischen Wälder, 
vergleicht die Weser mit der Tiber, denkt bei Hermanns an- 
spielungsreichen Scherzen an Theokrit und Vergil — und 
sieht den Abgrund nicht. Aber der geckenhaft Oberbildete 
zeigt sich auch als Weltgewandter und bewährt sich nicht ohne 
Größe in der Not. Dann aber wird er Stoiker und zeigt die 



— 357 — 

philosophische Fassung des Gebildeten, der an nichts mehr 
glaubt „Syrien ist doch ein schönes Land" — „Zeus, wo 
soll man bleiben?" — „Leben und Tod sind Firlefanz, die Oötter 
Fabelwesen". Er läßt lustige Musik spielen und stürzt sich 
in sein Schwert und doch erlebt er ein Schicksal, das für ihn 
das tragischste ist: in der Meinung der Menschen verunehrt 
zu sein für alle Zeiten. Die tollen Anachronismen, die sich 
Orabbe bei dieser Zeichnung erlaubt, erscheinen auch beson- 
ders bei seiner Strategie. Varus? weiß die Schlacht zu leiten. 
Aber altrömische Züge werden wieder modern umgeprägt, 
etwa in der Musterungsszene, in der Reminiszenzen des 
Auditeurs mit Erinnerungen an Napoleon zusammenfließen. 

Als possenhafter Schlagschatten fällt in die Tragödie der 
Schreiber, dem die Unterschrift mehr wert ist, als die Ehre 
und der Untergang Roms. — E g g i u s ist alt und verbittert, 
seine Philosophie Resignation. 

Es gehört eine ungeheure Kraft dazu, die ganze Handlung 
auf einen Grundton zu stimmen. Indem Orabbe sein schöpfe- 
risches Vermögen bis auf die letzten Reserven verzehrt, ist 
ihm das eine Große gelungen: in einer genialen Skizze kon- 
zentrierte Einheit. In jeder Wendung der Sprache sollte sich 
der ganze Orabbe mit allen eigentümlichen Gebärden enthüllen. 

Die eigentumlich karge und doch reizvoll modellierte 
Sprache charakterisieren das Stück, wie auch die Technik, 
in der Grabbe alle Formen und Gesetze sprengend in einer 
Szene einen ganzen Marsch mit verändertem Lokal schildert. 
Jede Szene ist ein Drama für sich, jedes Epigramm eine Szene. 
Freilich sind auch die Verfallssymptome nicht zu leugnen. Sie 
verraten sich in der doch auch pathologisch übertriebenen 
Kargheit der Sprache, in dem Oberwuchern des satirischen 
Elements, das den eigentlichen reellen Kern immer mehr zer- 
frißt, in der Umrankung durch immer mehr sich ausbreitende 
parodistisch burleske Zutaten. In dem Gewirr epigramma- 
tischer Improvisationen zeigt wohl auch die Impressionsfähig- 
keit, Grabbes höchstes Glück und höchste Gabe, ein Nachlassen 



— 358 - 

weniger in der Stärke und Tiefe als in der Dauer, und wir 
haben oft <fen Eindruck plötzlich aufleuchtender, jählings 
verlöschender Flammen von kurzer Hackender Leucht- und 
Wärmekraft Und dieser, eiskalte Nihilismus 1 

Aber doch hat Orabbe an Dichterkraft nur den einen Kon- 
kurrenten: Heinrich von Kleist. An Kleist erinnert 
der Eingang: die erste Szene mit der Alraune, die Schändung 
der Hally und die Gerichtsszene, die Gespräche mit Thusnelda, 
die Kleist Thuschen, Grabbe Neidchen nennt Die Schlacht 
interessierte Kleist nicht weiter. Am interessantesten ist die 
Beobachtung der Tendenz; bei Kleist die dämonische Poesie 
des Nationalhasses, die bewußte Einseitigkeit der Leidenschaft 
Durch das Mittel der hier fruchtbar positiven Ironie gelingt 
es Grabbe, zwischen den Parteien abzuwägen und die 
Objektivität herzustellen. Kleist ist Realist, Grabbe Natura- 
list bis in äußerste Konsequenzen. Man entsinnt sich der 
wunderbaren Stelle bei Kleist, in der Hermann entzückt der 
„süßen alten Barden herzerhebendem Gesang" lauscht Was 
macht Grabbe daraus? Varus sagt in der zweiten Nacht: „wie 
sie auf den Bergen brüllen!" Eggius: unsere Geschichtsschreiber 
und Dichter nennen dasBardite!" Das hätte Kleist nicht übers 
Herz gebracht. — Grabbe schildert realistisch mit satirischen 
Zügen und er verbirgt überall Pointen und Anspielungen. 
Er versenkt sich in die Dinge, aber er durchtränkt sie mit 
seiner satirisch caustischen Subjektivität Grabbe's Muse hatte 
hohen Flug versucht; aber er sank zurück in die niedere 
Sphäre, aus der er hervorgegangen. Aber aus dieser Tiefe 
erwuchs ihm eigentümliche schöpferische Kraft in einer Zeit, 
als es schon zu spät für ihn wurde. Grabbe fand sich selbst 
erst, als die innere Zerstörung auch die letzte geistige Kraft 
angriff und der Auflösungsprozeß nicht mehr aufzuhalten war. 

Der Dichter strebt gleichzeitig eine doppelte Aufgabe zu 
erfüllen: das Gewoge der Waldschlacht und zugleich zwei 
Völker in typischer Gegensätzlichkeit zu verkörpern. Reicher 
als die Römer, denen der unwegsame dichte Germanenwald 



— 359 — 

Schauder einflößt, und bei denen die straffe Manneszucht durch 
verschiedene Beispiele illustriert wird, sind naturgemäß die 
Germanen ausgestaltet. Es sind rauhe westfälische Bauern; 
mit modernisierenden Zügen, realistischen Details, weniger 
mit taciteischen Erinnerungen. Im allgemeinen strebt Orabbe 
nach einer herben unerbittlichen Wahrhaftigkeit, die ihm so 
bittre Sarkasmen eingibt, so heißt es einmal: „Was ist das 
Edle? — Es besteht meistens doch nur aus allerlei Kniffen.* 4 
Aber die Schilderung der Germanen ist ihm doch viel- 
fach zu einem hohen Lied auf deutsche Ehr- 
lichkeit, Wahrheit und Freiheitslieb« 
geworden. Mit Tacitus' aristokratischer Gesinnung sym- 
pathisiert Grabbe nicht, aber er schätzt ihn als hohen 
Geist voll Schärfe und Konsequenz. Immer verbergen 
sich hinter einer rauhen äußern Hülle versteckte Fuß- 
angeln. Wir haben scharf gezeichnete Typen: der Alte 
sieht mit echt deutscher Bedenklichkeit, wie Hermann den 
Römern untreu werden will. Auch die beiden Cherusker — 
geheimnisvoll, verschlagen, abergläubisch — nehmen es genau 
mit ihrer Ehrlichkeit: sie haben für das Geld die Pflicht der 
Führung, aber beim schwierigsten Teil versagt der Kontrakt; 
man vergleiche hierzu die Kleist'sche Motivierung. Der Chatte, 
dessen sicherster Kerbstock das ehrliche Gesicht ist, gehorcht, 
bis ihn Ehrsucht und Eifersucht aus der Bahn werfen. Ein paro- 
distisches Element freilich scheint in all diesen Übertreibungen 
zu stecken. Ein leiser Tadel treibt den Maserhäuptling in den 
Tod; die Tenkterer begeistert der Rhein. Kennen sie auch 
kein Deutschland, so hängen sie doch an ihrer engeren Hei- 
mat. Wir haben hier ein schönes Wort. Hermann: „Meine 
Kerls haben Heimweh I" Varus: „An der Schwäche leidet ihr 
noch?" — Hermann: „Wir haben noch nicht die Welt erobert, 
um überall heimisch zu sein, wie ihr." — Die Wurzel ihrer 
Freiheitsliebe, ein Gefühl eng umgrenzt und doch stark und 
intensiv, wird uns denn auch ganz deutlich als Liebe zur heimat- 
lichen Scholle. Grabbe zeigt uns — das ist wieder als 



- 360 - 

Folgerung des naturalistischen Kunstprinzips interessant 
— alle Knorren und Knubben. Und mit diesem Naturallsmus 
verschmilzt die satirische Karikatur. Die Brukterer sind ab- 
gefeimte Wilddiebe. Ein Oermane glaubt sich im Traum an 
der Seite seiner alten Vettel. Nach der Schlacht wird gesoffen 
und Leib und Leben verspielt. Für einen Schweineschinken 
verkauft der vierschrötige Bartold seinen Vorderplatz an den 
Leinenweber Fritze, wobei man sich übrigens einer parallelen 
Szene im Napoleon erinnern mag. 

Unter allerlei kleinen Genrebildchen und Idyllen seien 
noch zwei Kulturbilder in der rauhen spröden Zeichnung 
Orabbes hervorgehoben. 

Da ist einmal die grobumrissene Mahlzeit. Die anima- 
lische Begierde differenziert — das ist echt naturalistisch ge- 
dacht. Der Mensch ist, was er ißt. Eggius hält eine vegetarisch- 
karnivorische Rede, Varus verwöhntem Gaumen behagen die 
westfälisch derben Gerichte nicht. Daß der Schweinejunge 
betet, ist ebenso befremdlich wie die Begründung. Der wenig 
appetitliche Realismus ging ursprünglich noch weiter. Haus- 
hofmeister: „Herrin, der Pförtner harrt**. — Thusnelda: (Fas- 
sung gewinnend) „Halte Du künftig besser auf Ordnung, da- 
mit ich nicht abermals zu zürnen habe. Da neben Dir befleckt 
man Tisch und Tischzeug, als regnete es Fett." — Haushof- 
meister: „Schurken, schadet euch selbst nicht, schluckt die 
Gottesgabe hinunter, und laßt sie nicht beim Maul vorbei- 
fallen. " Thusnelda (für sich): „Varus hat warten müssen. 
Tut nichts. Eine kleine Unannehmlichkeit lasse er sich ge- 
fallen für das namenlose Weh, welches er über uns brachte." 

Ganz besonders aber hat sich Grabbe bemüht um die G e- 
richtsszene im Bruch bei Detmold (d. i. einer Volks- 
gerichtsstätte) . Hier stößt germanisches und romanisches 
Empfinden am stärksten zusammen. Denn der Westfale hat 
ein starkes, wenn auch eigensinniges Rechtsgefühl. Nebenbei 
konnte Grabbe auch noch allerlei persönliche Malicen an- 
bringen. 



— 361 — 

Schon das Wahlert sehe Drama enthielt im zweiten Akt 
eine Gerichtsszene. Varus selbst spricht Recht und behandelt 
die dummen und geduldigen Deutschen wie Tiere. Es ist viel 
Sinnloses in dieser Szene. Die Deutschen haben keinen Namen 
wie bei Orabbe. Einer hat den anderen in der Trunkenheit 
einen Hasen genannt — er muß das zurücknehmen. Zwei 
zanken sich, wer ein Reh zuerst getroffen hat — Varus läßt 
das Tier in seine Küche tragen. Einer hat der Frau eines 
anderen in die roten Backen gekniffen; — aber für Verführung 
zur Unkeuschheit gibt's kein Gesetz: dulden's doch auch die 
römischen Senatoren. Das derlei Bagatellsachen rechthaberi- 
schen Bauern gegenüber der Grundsatz angewendet wird: 
Minima prätor non curat, versteht sich von selbst. Die Pointe 
liegt darin, daß (Ter Römer als höheres Wesen gewertet wird. 
Beklagt sich einer über einen römischen Soldaten, so bekommt 
er Rutenstreiche; schlug er nach dem Römer, der sein Weib 
verführen wollte, so wird ihm der Finger abgehauen; ver- 
weigert er den Tribut und schimpft auf den Kaiser, so wird 
ihm die Zunge herausgerissen und der Kopf abgeschlagen. 
Das ist alles grasse oft sinnlose Willkür. Bei Grabbe liegt 
gerade die Satire darin, daß jedes Urteil durch den Buch- 
staben des Gesetzes gedeckt wird. Der Prätor richtet über 
das germanische Vieh. Drei Termine finden statt. Erstens 
Ernestine Klopp c. Katermeier (Catomajor) — Alimente. 
Zweitens Dietrich c. Ramshagel — Spielschulden. Drittens 
Amelungen c. seine Frau — Ehebruch. Handelt es sich um 
eine Charakteristik der damaligen Germanen, so stört der 
Gegensatz zwischen dem ersten und dritten Fall; dagegen 
ist der Anachronismus doch nicht so arg. Grabbe verfolgt 
einen Doppelzweck. Er will in der Alimentenklage das 
römische Recht verspotten. Er benutzt einen Fall aus seiner 
Auditeurpraxis (auch das Verhältnis zwischen Leporello und 
Lisette gab ihm eine Alimentenklage ein) zu einem echt 
modernen Ausfall. Andererseits aber gab es auch bei den 
keuschen Germanen käufliche Weiber und intimer Verkehr 



- 362 — 

ging der ehelichen Gemeinschaft voraus, wie das noch heute 
als bäuerliche Gepflogenheit hie und da gefunden werden mag. 
Die Klopp klagt: Katermeier machte mir vier Kinder und 
gab mir keinen Heller. Urteil nach dem Jus quafuor liberorum: 
Katermeier bekommt 5000 Sestertien, die Kinder bekommt 
der Staat. Recht wird Unsinn ! — Auch Katermeier verachtet 
die Richter und verzichtet auf seine Sestertien, weil ihm wahr- 
scheinlich doch mehr an Gebühren spezifikatzt wird. 
Die Klopp hat ihr Maul am rechten Fleck: Ihr Spitzbuben, 
Landesverläufer, Katzenverkäufer, Links- und Rechtsver- 
dreher, wer bezahlt meine Unschuld? Sie wird dafür ge- 
peitscht, aber nach dem Sieg kann sie megärenhafte Ver- 
geltung üben. Ohne befriedigte Rachebrunst gibt es kein 
Grabbesches Drama. Man vergleiche hier wieder den Realis- 
mus der Kleistscben Hallyszene mit dem rohen Naturalismus 
der wilden Satire Grabbes, der die Wirklichkeit mit 
erschreckend unbarmherziger Konsequenz abkonterfeit. — Auch 
Ramshagel und Dietrich versöhnen sich lieber, als daß sie ihr 
Recht sich vom Gericht bestimmen lassen. Spielschulden sind 
keine Ehrenschulden. Und Ehebruch verjährt. Damit stehen 
wir in dem Taciteischen Germanien. Das Rechtsgefühl und 
die Keuschheit der Germanen wird verhöhnt und gerade die 
Schuldigen bekommen Recht — wie im Gothland. An- 
dererseits spottet der Auditeur seiner selbst und verhöhnt den 
Mißklang zwischen seiner Advokatenpraxis und dem naiven 
Volksempfinden. Die echt westfälischen Namen sind wohl aus 
seiner Praxis hergeholt. — Man darf nicht glauben, daß Grabbe 
in Eile eine solche Satirszene improvisierte, vielmehr hat er 
sie mit unendlicher Mühe immer wieder umgearbeitet, ein 
Beweis, daß er auch künstlerische Intentionen eines neu natu- 
ralistischen Stiles verwirklichen wollte. Als Probe sei die- 
selbe Stelle nach drei verschiedenen Fassungen angeführt: 

a) Schreiber: der b) Schreiber: die c) Schreiber: Si- 
Ehebruch. Volk: Ehebruchsache. lentium. Amelung: 

Schrecken, wo die Volk: schrecklich! Jenes Weib ist seit 



— 633 - 



Geschworenen? 
Schreiber : Eorum 
haud necessitas. 
Einer: was schreit 
der Dohlenschna- 
bel. — Zweiter : 
wir verständen es, 
war es gutes. — 
Tongeroll durch die 
Menge: Fürst : 
Hermann! oh hätt' 
es einen lenkenden 
Hauch, dieses Saat- 
feld mit Körnern 
erbitterter Herzen 
bestellt! 



wo die Geschwore- 
nen? Schreiber: Eo- 
rum haud necessi- 
tas. Volk: was 
krächzt die Spitz- 
nase, war's gutes 
— wir verständen 
es. Tongeroll: Fürst 
Hermann, warum 
fern! komm —lenk 
unsere Waffen , 
Äxte, Sensen, Spee- 
re, Schwerter, Pfei- 
le 



10 bis 11 Jahren 
meine Frau. Heute 
erfahr ich und kann 
leider beweisen, sie 
brach im ersten 
Monat unserer Hei- 
rat die Ehe. Prä- 
tor: Alberne Klage. 
Ehebruch verjährt 
nach 5 Jahren, rech- 
ne dem Kläger die 
Kosten an, Scriba. 
Volk : Ehebruch 
verjährt?, was wird 
alt? 



Nun hat Orabbe einen vortrefflichen Kontrast gefunden. 
Gerade jetzt wie ein ersehnter Messias erscheint Hermann. 
Es ist für ihn wohl die schwierigste Lage. Denn auch jetzt 
muß er sich noch verstellen. Auch hier vergleiche man An- 
fang, Mitte und Ende der Arbeit Grabbes. 



a) Schreiber: Prä- 
tor, fürchte dich 
nicht, dort hinten 
stehen genug Lic- 
toren. Armin 
(kommt) . Volk: 
er, der alles könn- 
te, wenn er wollte! 
(es beugt die Knie 
vor ihm). Armin: 
Hübsch.Statt uralten 
Handschlags schon 



b) Volk: „Her- 
mann Er! unser 
alles, unser Retter, 
wollt er! (es beugt 
vor ihm die Knie). 
(Armin)H ermann: 

Hübsch. Statt Hand- 
schläge schon Knie- 
beugung. Ich sagte 
stets, der Deutsche 
ist gelehrig, Wetter 
und Hölle, steht 



c) Hermann 
( kommt ) . Volk 
(stürzt ihm zu 
Füßen) : Herrscher! 
Dich wieder! — 
Hermann: der 
Deutsche ist geleh- 
rig. Schon Knie- 
beugen ? Wetter , 
steht auf, oder ich 
geb euch Fußtritte. 
Ein Häuptling krie- 



— 364 — 

Kniebeugung. Ich auf! Mein Volk chender Sklaven 

sagte immer, der kriechendes Gesin- mag ich nicht sein. 

Deutsche ist geleh- de! Man wird fast 

rig. Alle Hölle, versucht, darauf zu 

steht auf! treten! 

Die Ironie liegt wieder darin, daß der Prätor sich von 
Hermann überlisten läßt, während er die dummen Tiere ver- 
spottet. Die wilden Greuel der Hallyszenen bei. Kleist wie- 
derholen sich in dem verunzierendem Schluß der Hermanns- 
schlacht. Bei Orabbe ist selten heißes Aufflammen, vielmehr 
kalte Leidenschaft, verhaltener Groll, ungefüger, an Rabelais 
erinnernder Humor. In diesem Spiel der Kontraste, dieser 
doppelgründigen Rede hat Orabbe eine Meisterschaft erreicht, 
in der er ganz eigentümlich dasteht. — Soll das Stück auch 
wieder in ein nihilistisches Ergebnis auslaufen, oder welches ist 
der welthistorische Sinn der Hermannsschlacht? Die Schluß- 
szene bildet die Spitze der Pyramide — die Windfahne, 
den Haarbeutel (an Petri, Juli 1836). Augustus starb fünf 
Jahre nach der Hermannsschlacht und Christus war damals 
noch nicht bekannt. Merkwürdiger ist, daß Augustus, der 
sterbend seinen Nachfolgern ein Paktieren mit dem Pöbel 
empfiehlt, während diese bereits sein Erbe verteilt haben, zwei 
historische Worte aussprechen muß: das „applaudite" steht 
an erster Stelle, denn es paßt nicht zu dem folgenden „Varus, 
gib mir meine Legionen wieder". Ein letztes Aufblitzen eines 
ahnungstiefen Geistes — allerdings im Widerspruch zu der 
Historie und dem Naturalismus der übrigen Dichtung: An 
zwei Dingen nur kann die alternde Welt genesen: das ist ein- 
mal die gesunde Kraft der gleich Eichen im Boden wurzeln- 
den freien Germanen und sodann der Glaube Jesu Christi 
(vgl. den Schluß von Hebbels „Herodes und Martamne"). 
Zwei malerische Szenen aus dem „Christus" sind erhalten: 
„unterm Kreuz", Gethsemane und Golgatha tauchen schon im 
Faustmonolog auf. 



- 365 - 

In zwei Völkern ringen zwei verschiedene Weltanschau- 
ungen: römische Verlogenheit und germanische Ehrlichkeit. 
Aber vor allem will Orabbe ein Westfalenstück schreiben — 
eine Waldschlacht. Er rühmt in Tiecks Blaubart die Ver- 
menschlichung der Baumstümpfe. Der Teutoburger Wald wird 
lebendig und die Germanen werden als Gewächse des Bodens 
begreiflich. Ein düstrer Stimmungszauber liegt in der Natur. Im 
Gesträuch Wölfe, Dohlen, gespensterhafte Erscheinungen, alte 
Hexen, fallholzsuchende Germanen, Wilddiebe. Wetter und 
Klima erhöhen die Schauer des Waldes: Baumgeschling und 
Windbrüche, Nebelstreif und Frost, schwellende Bäche, klebriger 
Sand, regentriefende Wälder, morastige Wiesen, Hohlwege, 
heulender Sturm, jagende Wolken. 

Die knappe grollende Sprache kommt aus rauher, ver- 
schlossener Westfalenbrust Grabbe hat sich ganz in sich zu- 
rückgezogen; der frühere Obermut ist in den Hintergrund 
verzogen oind gibt die kaustisch-sarkastische Färbung. Vieles 
mutet burlesk, einiges auch geschmacklos an, z. B. wenn 
Hermann, der allerdings heucheln muß, zu seinen Germanen 
sagt: „Steht auf: oder es setzt Fußtritte!" Den Einfall, daß 
Hermann in der Szene mit Thusnelda nach einem Zahnstocher 
verlangt, hat Grabbe glücklicherweise unter den Tisch fallen 
lassen. Wie mühsam auch die Gedanken aus ermattendem 
Gehirn herausgepreßt sein mögen, wie sehr man alle Grazie 
vermissen mag, wir sehn vor uns Blöcke von eigener Model- 
lierung, als Ausdruck einer gewaltigen Kraft. Man hat markige, 
ungeschwächte Urkraft in dem Stück gefunden, Urgestein. — Die 
Satzbildung Zeigt merkwürdige Inversionen, äußerst viel Ellip- 
sen und Imperative, sehr wenig Nebensätze; häufig besteht 
die Rede aus einem einzigen Wort. (Unter den 109 
Sätzen, die Hermann in der Einleitung spricht, sind nur 17 
Nebensätze, 21 Imperativsätze, 14 Fragen!) 

Mit der letzten Kraft hat sich Grabbe aufgerafft. Wir 
haben ergreifende Bekenntnisse, Aussprüche, die etwas Weihe- 
volles, Extatisches haben, wie sie den letzten Träumen vor 



— 366 — 

der Auflösung eigen sind. Seine Kunst blieb dem Dichter 
etwas Heiliges. „Gegen die Hermannsschlacht ist Hannibal 
nur ein Kind". Aber immer hielt Orabbe sein letztes Stück 
für sein bestes. — „Die Studien zu diesem Nationaldrama 
haben mich tief erschüttert. Ihretwegen ward ich so krank, 
mocht's aber nicht sagen" (3. 35). — „Der Hermannsschlacht 
unterlieg ich fast. Wer kann das Ungeheure, jeden Nerv Auf- 
regende vollenden, ohne zu sterben? — Wir 9 ich tot — Im Leben 
ahnt man das Große und hat's nicht. Mich trösten die Sterne. 
Man hat sie auch nicht, so arg sie glänzen" (6. 35) •" — „Die Her- 
mannsschlacht ist gegen Hannibal ein Koloß. Sie ist fertig. 
Ich feile nur noch, sinke auch wohl an ihr nieder, wenn sie 
vollendet ist, auf ewig" (25. 9. 35. an die Gräfin Ahlefeldt). 
„Die Hermannsschlacht ist in und über mir, wie ein Sternen- 
meer, wohl mein letzter Trost" (10. 35. — an Schreiner.) 
Es war sein letzter! — 



XIII. Kapitel 



Lebensausgang in Detmold 

Du loderndes Oehirn — so sind nun Asche deine Brande 

Ferdinand FreiUgnth. 

Am 26. Mai 1836 beginnt der Schlußakt der Tragödie. 
Orabbe geht nicht zu seiner Frau, sondern in den Gasthof zur 
Stadt Prankfurt. „Gleich im Anfang mag ich mich in meinem 
Hause nicht totärgern." Am 29. Mai erbittet er von seiner Frau: 
zwei Hemden, zwei Schnupftücher, zwei Paar Strümpfe. Das 
Billet ist unterzeichnet: „Sonst Dein Grabbe — wegen Krank- 
heit auf einige Tage bei Herrn Gastwirt Meier vorläufig ab- 
gestiegen." Sein erster Ausgang galt der Mutter und sicher- 
lich gestaltete sich dieses Wiedersehn zu einer ergreifenden 
Szene. 

Traurig rinnt Grabbes kummervolles Leben weiter. Oft 
liegt er im Bett so krank, daß er nicht einmal schreiben kann. 
Oder er verdämmert die Zeit einsam im Wirtshaus. Er 
konnte kaum noch feste Nahrung zu sich nehmen, aber er 
trank auch nur wenig. Dingelstedt sah in der Passagierstube 
des Posthofs den Lehnstuhl in der dunkeln Ecke am Ofen, 
in den der Dichter in trübem Sinnen sich zurückzog. Gesell- 
schaft war ihm meist lästig. In dem Hauptmann Runenberg 
fand er noch einen teilnehmenden Genossen, der mit dem fast 
ganz schweigsamen Dichter die seltsamen Collegia mitmachte, 
die eigentlich nur durch die Erinnerung noch einigen Reiz 
ausübten. Petri machte wohl Ausfahrten mit ihm. Grabbe war 
eine Ruine, sein Haupt kahl, seine Gestalt verfallen. Alle Ge- 



— 368 — 

danken seines todmüden Gehirns gelten seiner „Hermanns- 
schlacht" und die Philosophie des sterbenden Augustus und 
Varus wird die seine, das versiegende Mark in den Her- 
mannshelden und die Verzweiflung in den untergehenden 
Römern. Er erlebte die letzte große Enttäuschung mit dieser 
Dichtung, die den Fürsten bewegen sollte, den größten Dichter 
seines Ländchens nicht dem Hungertode preiszugeben. Und 
die er damit rühren, deren Achtung er sich erkaufen wollte, 
die Detmolder Notabein, die lachten ihn aus, als er freilich 
zur unzeitigen Stunde sich Gehör verschaffen wollte. Ziegler 
hat uns diesen Auftritt in der Detmolder Ressource erzählt. 
Eine heitre lebensfrohe Gesellschaft kehrt von einem Ausflug 
zurück, einer kommt auf die unglückliche Idee den verdüster- 
ten Grabbe aufzufordern, sein letztes Drama vorzulesen. End- 
lich ist Grabbe bereit, aber bald ist den trinkenden und spie- 
lenden- Zuhörern diese Unterbrechung lästig und niemand 
hört mehr auf das „dumme Zeug". In herzzerschneidendem 
Jammer flüchtet sich der Dichter auf sein Zimmer, der Schmerz 
seines ganzen verlorenen Lebens bricht in wilden Rasereien 
hervor, endlich wirft er die Pistole fort — fehlt ihm der Mut 
oder denkt er an sein unvollendetes Werk? — und er bricht mit 
hellem Weinen auf seinem Bett zusammen. Sonst war aber 
Grabbes Stimmung, wie Ziegler berichtet, mehr eine weiche, 
versöhnliche. „Es war immer in ihm ein schöner und edler 
Sinn, der nach freundlichen edlen Lebensverhältnissen das 
heißeste Verlangen trug." 

Es wurde Mitte Juli und Grabbe hatte immer noch das 
Hotel nicht verlassen, er war dabei ganz mittellos und wurde 
immer schwächer, so daß er schon nachmittags vor Er- 
müdung einschlief. Ein Schlossergeselle sollte ihm gewaltsam 
das nötige Geld aus seiner Wohnung holen. Frau Lucie reizte 
das natürlich noch mehr, obwohl sie sich hätte sagen können, 
daß Grabbe ein Sterbender war und daß er ohne Geld auch 
die kürzeste Lebensspanne nicht mehr dauern werde. Es 
gab die ärgerlichsten Skandalauftritte und es bedurfte polizei- 



— 369 - 

lieber Vermittlung, ehe Grabbe unter sein Dach kam. Man 
kann über die Rechtsfrage verschieden denken. Ist es aber 
menschlich, sich jedes Leidenden und Sterbenden anzunehmen, 
so hat Frau Lucie unmenschlicher gehandelt, als jene Fremd- 
linge aus dem Samaritergleichnis, die den unter die Räuber 
Gefallenen achtlos liegen ließen. — Am 24. Juli schrieb Qrabbe: 
„Frau! Obermorgen früh, Schlag 9 Uhr zieh' ich in mein 
Haus. Vorerst denk 9 ich mein altes Zimmer nebst Schlaf- 
kammer, beide parterre zu wählen»" Um 3 Uhr nachmittags 
kam Qrabbe in sein Haus, nur eine Magd empfing ihn. Als 
er hinaufging, ließ die Frau lange auf sich warten. Dann 
folgte eine peinliche Wiedersebnsszene. — Da lag der Dichter 
nun in seiner Matratzengruft: ein einsamer Kranker, ein 
Klfimpchen Elend in die Kassen gedrückt. Er bleibt das eigen- 
tümliche Individuum, das er immer war, bis zum letzten Augen- 
blick. Auch jetzt kann er die Alkoholika nicht entbehren, 
obwohl er sie nicht mehr bei sich behalten kann. Was noch 
an Lebenskraft und Hoffnung in ihm war, das konzentrierte 
sich in seinen dichterischen Plänen. Und es ist sonderbar 
genug, daß sein letztes Gedenken einem „Eulenspiegel" galt — 
als komisches Nachspiel zu dem letzten großen Drama. Schon 
früh war dieser Plan aufgetaucht. Schon 1831 schreibt der 
Unordentliche an Kettembeil, er könne die Szenen nicht mehr 
finden — eine Szene schildert Eulenspiegel vor den Bildern — 
Juni 1835 wird das „tollkomische Tier" wieder erwähnt. Qrabbe 
dachte sich Eulenspiegel nicht als Mephistopheles, sondern 
als losen niederdeutschen Bauernschalk und er urteilt über 
das Rambachsche Buch: „Die Nebenpersonen sind oft sehr 
gut gezeichnet, Eulenspiegel hat überall etwas zu viel 
vom Harlequin. Das soll nicht sein, denn er ist kein 
bloßer Spaßmacher, sondern repräsentiert die aus dem 
tiefsten Ernst entstandene deutsche Weltironie." — Fast meint 
man, das tolle Gaukelspiel der eigenen Poesie schwebte 
wie Vision um Orabbes Sterbelager. Da ist der närrische 
Schneider aus Paris, der jeden Satz mit einem „parole d'hon- 

Nleten, Chr. D. Qrabbe. 24 



— 370 - 

neur" beendigt und der ihm den „Prinz Eugen" vorsingen 
muß. 

In „Don Juan und Faust" hieß es: „Wo nichts mehr 
helfen kann, ruft man den Pfaffen, denn niemand hilft 
so wenig als ein Pfaffe." So erwies sich denn auch der 
Sterbende keineswegs als ein reuiger, weicher Sander, 
sondern sprach von den sonderbarsten Dingen, wie es 
ihm wohl teilweise seine fieberische Phantasie eingab. 
„Ob wohl die Ochsen, Esel und Kamele auch in den 
Himmel kommen? — Ich glaube wohl, sie haben ja auch 
Seelen. Das wird einmal ein Leben im Himmel sein, welch 
ein Qekrauch und Oekrabbel, wenn sich das alles durchein- 
ander kratzt und beißt und stößt und schlägt." Wie Orabbe übri- 
gens ernsthaft zu dem religiösen Fragen stand, das hat er in 
dem Artikel über „Konventikel" im Juni im „Lippeschen Ma- 
gazin" ausgesprochen: „Christus predigte nicht in heimlichen 
Zusammenkünften, einmal war ja ein Berg die Kanzel des 
Gottessohnes und die herrlichsten wahrsten Worte tönten von 
ihm wieder durch die Welt . . . Hoch und frei wölbt sich der 
Himmel, offen liegt die Bibel vor uns, seitdem Luther sie 
aufgeschlagen". Konvikte fuhren zu Abwegen, zu Liederlichkeit 
undVöllerei. Die Form und die belehrende Pose ist für den 
damaligen Qrabbe wunderlich, aber Sehnsucht und ehrlicher 
Haß gegen jede Form von Heuchelei war immer in dem 
Dichter des „Don Juan und Faust". 

Im September erfolgte die Auflösung, ein Leben voller 
Leiden ging zu Ende. Krank war Orabbe eigentlich immer: 
als Student klagt Orabbe über böse Laune; — Gothland wird 
unter Schmerzen geschrieben; — der Alkohol wird seit 
der Studentenzeit eine zerstörende Macht und damit greift 
eine sich immer tiefer einwurzelnde Neurasthenie um sich, 
über deren Gefahr ihn kein Arzt aufgeklärt zu haben scheint. 
Der Auditeur bricht den Arm, wird von einem tollen Hund 
gebissen, muß die Heilkraft der Wiesbadener Bäder anwenden 
gegen Blutbrechen und Podagra. — 1834 wird ein sechs- 



- 371 - 

monatlicher Urlaub nötig; Kobbe erzählt von einem Typhus- 
anfall in Düsseldorf. Es war nicht die Säuferkrankheit, Magen- 
schwindsucht, die seine letzten Kräfte verzehrte, sondern, wie 
es nach Duller und Ziegler Grisebach und neuerdings Ebstein 
festgestellt haben, die Rückenmarkschwindsucht, bei der die 
letzten geistigen Kräfte erst ganz zuletzt erlöschen. — Bis zum 
bittern Ende noch mußte Orabbe seinen Frieden schwer er- 
kaufen. Die unsägliche Häßlichkeit in Orabbes Leben trium- 
phierte bis zuletzt. Daß die elegante Zeitung gehässig über 
die Düsseldorfer Zeit des Dichters berichtete, war angesichts 
des nahen Todes eine unbegreifliche Taktlosigkeit. Doch was 
ging den Sterbenden noch die Öffentlichkeit an? Aber in sein 
Sterbezimmer hinein schallte das Keifkonzert zweier Weiber, 
stimmen. Seine Frau und seine Mutter standen wie Katz und 
Hund. Die alte Frau war Lucie zu gewöhnlich, auch lebte sie 
nach ihrer Ansicht auf ihre Kosten. Die Mutter schleuderte 
der Schwiegertochter darauf die Behauptung entgegen, sie 
habe ihren Sohn nur geheiratet, um nicht alte Jungfer zu 
bleiben. Allerdings hatte diese Ehe nicht die entfernteste Ähn- 
lichkeit mit einem Bund der Liebe. Duller hat sich zwar von 
Frau Lucie suggerieren lassen, sie habe ihren Gatten mit Hin- 
gebung gepflegt, aber Ziegler, der später die Pflegerin Orabbes 
geheiratet hat, widerspricht dem in entschiedenster Form. — 
Am 7. September war Orabbe vorübergehend geistesabwesend, 
am 9. sang er noch eine Arie aus „Don Juan" und die Mar- 
seillaise. Von den widerwärtigen Auftritten der letzten Tage 
haben Wir genauen authentischen Bericht. Am 10. September 
suchte die Mutter sich mit Hofrat Piderit Zugang zu dem 
Lager ihres Sohnes zu erzwingen. Frau Lucie aber als 
keifende Furie überschüttete die Mutter mit einer solchen Flut 
von Schmähworten, daß Piderit es vorzog; sich mit der alten 
Frau zu entfernen. Am folgenden Tag wurde der Versuch 
wiederholt und dieselbe Szene erneute sich, während Orabbe 
sich in seinem Bett erhob und ängstlich mit den Händen von 
sich abwehrte. Ziegler traf Petri nachts in der Ressource, 

24* 



— 372 - 

der tief erregt in die Worte ausbrach: „o, es ist fürchterlich, 
das Weib ist eine Furie und Orabbe liegt im Sterben." Am 
12. September starb Orabbe. Um 9 Uhr nahm er Abschied 
von seiner Gattin, um 10 Uhr kam die Mutter und wenigstens 
in ihren Armen durfte der Dichter seine schmerzensreiche 
Seele aushauchen. „Sui Christian, Dui bist ja muin leuve leuve 
Christian, si man getraust, Diu krigst et ja niu baule wuit 
bedder, sui, Diu kämmst ja niu tom Vaddern, muin leuve, 
leuve Christian." Um 3 Uhr nachmittags trat der Tod ein. 
Frau Lucie soll (es ist ja nicht auszumachen, wieweit auch 
Ziegler allzusehr auf Klatsch gehört hat) in die Worte aus- 
gebrochen sein: „Topp, das ist gut, daß der Unhold tot ist" 
Damit würde denn in schneidender Ironie auch die Lebens- 
tragödie des Dichters ausklingen. Da Luciens Vermögen nun ge- 
rettet war, war es billig, sich den Schein einer trauern- 
den Verehrerin der dichterischen Muse zu geben. Sie legte 
dem Verschiedenen, dessen Züge der Tod zu denen eines 
friedlich Schlummernden verklärt hatte, einen Lorbeerkranz 
aufs Haupt und in die Hände drei Zentifolien, umwunden mit 
einer Flechte von ihren Haaren. Orabbe hatte den Wunsch 

geäußert, sein Herz solle in einer Kapsel aufbewahrt werden. 

« 

Wir wollen Frau Lucie nicht zürnen, daß sie es der Ruhe 
übergab: Orabbes unruhvolles, zerrissenes Herz! 

Nur 15—20 Männer unter Vorantritt des lutherischen 
Pastors geleiteten am Freitag, den 16. September 1836 nach 8 
Uhr Orabbe zur letzten Ruhe. Keiner von den Notabein folgte 
dem Sarg. Nicht einmal der Tod ließ vergessen, daß hier nicht 
nur ein formloser, absonderlicher Mensch bestattet wurde, 
sondern auch ein Oenie, ein deutscher Dichter. 

Ferdinand Freiligrath sang, als ihm im Feldlager ein Det- 
molder den Tod des „unnützen Phantasten" Orabbe mitteilte, 
bei Orabbes Tod (Oktober im Morgenblatt): 
Du loderndes Gehirn, so sind nun Asche deine Brände, 
Wachtfeuer du, an deren sprühnder Qlut 
Der Hohenstaufen Heeresvolk geruht, 



— 373 — 

Des Corsen Volk und der Carthager. 

Der Dichtung Flamm' ist allezeit ein Fluch! 

Wer als ein Leuchter, durch die Welt sie trug, 

Wohl läßt sie hehr den durch die Zeiten brennen; 

Die Tausende, die unterm Leinen hier 

In Waffen ruhn — was sind sie neben dir? 

Wird ihrer einen, so wie dich, man nennen? 

Doch sie verzehrt; — ich Sprech 9 es aus mit Graun! 

Ich habe dich gekannt als Jüngling; braun 

Und kräftig gingst dem Knaben du vorüber. 

Nach Jahren drauf erschaut' ich dich als Mann; 

Da warst du bleich, die hohe Stirne sann, 

Und deine Schläfen pochten, wie im Fieber. 

Und Male brennt sie; — durch die Mitwelt 

geht, 
Einsam mit flammender Stirne der Poet; 
Das Mal der Dichtung ist ein Kain s Stempel 
Es flieht und richtet nüchtern Ihn die Welt!" — 
Und ich entschlief zuletzt; in einem Zelt, 
Träumf ich von einem eingestürzten Tempel. 



XIV. Kapitel 



Zusammenfassender Rückblick — 
Einige Bemerkungen Ober Grabbes Sprache, 

Technik und Metrik. 

In Orabbe lebt, wenn auch in unausgegorener Gestalt, ein 
echter dichterischer Genius, und fast alle seine Werke, so künst- 
lerisch unfertig sie im ganzen auch sein mögen, enthalten im Ein- 
zelnen unvergängliche Schönheiten ersten Ranges und zwar Schön- 
heiten im Stil der echten großen Dichtung, welche in einem zum 
Genrehaften sich neigenden Zeitalter den Sinn für den erhabenen 
Schwung, den großen Wurf der Dichtwerke nicht minder zu 
wecken zu vermögen, als die Werke unserer Klassiker. 

Rudolf von GottschtlL 
I. 

Der Eindruck, den Grabbes Leben erregt, ist je nachdem 
Schauder, Entrüstung, Mitleid. Mit wehevoller Erschütterung 
stehen wir vor solch dunklen, rätselvollen Zusammenhängen, 
die wir Schicksal nennen. Viele haben Grabbe überhaupt 
verworfen und zureichende Gründe dafür gefunden. Aber ein- 
mal sollte man bei dem Dichter zunächst nach den ästhetischen 
Werten in seinem Schaffen, anstatt nach der Moral in seinem 



Lebenswandel fragen, sodann sollte man tiefer erforschen, 
wieweit sich Grabbes Charakterbild aus dem furchtbar harten 
Daseinskampf erklärt. Anstatt sich von dem moralischen Wert- 
urteil allzu durchschlagend bestimmen zu lassen, sollen solche 
Kritiker den Nachruf im Gothland beherzigen: „wir 
können ihn nicht lieben, also wollen wir ihn vergessen * — 
und sich an seine Werke halten. 

Wir wissen, daß Schiller aus Burgers Gedichten die Un- 
reife des Menschen ablas, aber diese Kritik ist einseitig und 



i 



- 375 - 

ungerecht und der Lyriker steht anders da, als der Drama- 
tiker. V i s c h e r nannte den Dichter schlechtweg einen „Schnaps* 
lumpen" und neuerdings hat P i p e r auf psychiatrischer 
Grundlage ein ärgerliches Zerrbild des Unglücklichen ent- 
worfen. Den Wert von Orabbes Dramatik hat O e r v i n u s 
sehr gering angeschlagen und das Urteil seines Schülers 
Scherer in dessen Literaturgeschichte ist das härteste, das 
sich in dem Meisterbuch des freilich bei aller Größe einsei- 
tigen Goetheforschers findet. 

Aber schon damals war der Name Grabbes ein Zeichen 
des Widerspruchs, der die Kritiker in zwei Lager trennte. 
Wir führen dafür zwei Beispiele an. 

Einerseits protestiert ein Nachruf im Namen Apollos da- 
gegen, solche in selbst geschaffenem Elend mehr verächtlich 
als bedauernswert zu gründe Gegangenen mit dem Ehrennamen 
Dichter zu benennen. Aber andrerseits hat ein vornehmer 
Mann wie Immermann die maßvollste und edelste Wür- 
digung dieser merkwürdigen Erscheinung geschrieben und 
damit einen Teil seines Unrechts zugedeckt. 

Man muß verschiedene Momente zusammenhalten. Die 
Arzte nennen Grabbes physisch-psychische Organisation von 
vorneherein fehlerhaft, eine Unausgeglichenheit in den seeli- 
schen Kräften war angeboren. Was Grabbe belastete, war 
nicht frühzeitige Gewöhnung an Alkohol, das war das Erbe 
der leidenschaftlichen starrsinnigen Mutter, der die schwäch- 
liche Charakteranlage väterlicherseits nicht gewachsen war. 
Was in Grabbe rumorte, war das wilde Blut seiner Vorfahren; 
ein unbändiger Drang scheint seit Generationen die Grabbes 
in die freie Natur hinausgetrieben zu haben. Die Sehnsucht 
des Proletariers nach der Landstraße sucht bei dem 
körperlich schwächlichen, kränkelnden Dichter einen Ausweg 
in der schrankenlos schweifenden Phantasie. Ihm war das 
Leben von vornherein nichts wert ohne den* Inhalt der Poesie. 
In ihr suchte er dem Druck des Daseins zu entrinnen 



- 376 — 

und sein Ringen nach einem großen Lebensinhalt barg er 
darin. 

Sodann vereinigt sich eine seltene Fülle von Unglück. 
Von allem, was das Leben birgt an innerlichen oder äußer- 
lichen Lebenswerten, ist ihm fast nichts zuteil geworden. 
Nicht nur daß ihm der Ruhmeskelch, nach dem er gierte, zu 
karg gemessen war, geringere Talente wandelten im Licht 

Um Orabbe richtig zu beurteilen, muß man unterscheiden 
zwischen Schicksal und Anteil, zwischen äußerer Moral und 
innerlichem Charakter, zwischen der Maske, die er im Ver- 
kehr vornimmt, und seinem persönlichsten Wollen. Denn 
unter dem bunt bewegten Spiel der Oberfläche, die in 
allen Farben schillert, vernimmt der zum Grunde Dringende 
eine tiefe und starke Unterströmung. 

Voll von feindlichen Spannungen ist das Leben dieses 
Unerlösten! Das Titanische von Orabbes Dichtung war toller 
Kontrast zu dem wirklichen Leben. In Wahrheit war Orabbe 
bedürfnislos, lebte immer in einfachen kleinbürgerlichen Ver- 
hältnissen, fühlte sich dem Leben gegenüber armselig und 
hilflos wie ein Kind, und schilderte Helden, die alle Abgründe 
der Schuld ausmessen, die in alle Tiefen des Wissens ein- 
tauchen, die alle Genüsse des Lebens gekostet, die die Welt 
sich zu Füßen legen, die aber doch ohne festen Grund dahin- 
getrieben, blasiert und von Ekel erfüllt werden ob der Eitel- 
keit aller Dinge. Dann sah er wieder ernüchtert, daß solche 
Gestalten nur Gebilde seiner Einbildungskraft waren, denen 
in der Wirklichkeit nichts entsprach, und er empfand diesen 
Widerspruch mit schneidendster Schärfe. Und am eigenen 
Leibe mußte er immer wieder spüren, wie unnütz der Phan- 
tast in der Welt sei und wie überflüssig, ja gefährlich all 
seine Gaben. 

Orabbe hat das Schicksal des Dichters getragen: intensiv 
kostet er große Gefühle aus, höchster Lebenszustand ist der 
Rausch. Die Kluft zwischen Lebenswirklichkeit und Phan- 
tasiewelt hat er zuerst absichtlich erweitert, dann vergeblich 



- 377 — 

zu überbrücken gesucht Er hat sich zerrieben in dem Zwie- 
spalt zwischen Können und Wollen, dem grundlosen Wollen, 
das aus den Augen seiner Helden leuchtet Seine Lebenskraft 
verzehrte er in seinen dichterischen Schöpfungen und jede 
Rucksicht auf sein körperliches Wohl setzte der ewig Lei- 
dende daran, wenn es die Hingabe an seinen innern Beruf 
erheischte. Den äußern Lebensanforderungen wurde er bei 
allem Talent nicht gerecht und die göttliche Kraft in ihm er- 
fällte ihn mit verzehrender Unrast, anstatt seine Seele mit 
köstlichem Balsam des Friedens zu sättigen und zu erquicken. 
Qrabbe war eine problematische Natur, ein genie mal logt. 
Orabbes innere Position gründet sich darin, teils mit eiskalter 
Ironie, teils mit einer an Verzweiflung grenzenden Resignation 
der „Tücke des Objekts" zu begegnen. Er hat selbst mit unbarm- 
herziger Dialektik, mit grausam zersetzender Psychologie die 
Wurzel seines Wesens bloßgelegt. Nichts läßt so in die inner- 
sten Tiefen von Orabbes Seele blicken wie jenes Selbst- 
bekenntnis an Kettembeil (4. Mai 1827) : „Ich stehe erträglich 
und verdiene auch erträglich, aber ich bin nicht glücklich, 
werde es auch wohl nie wieder. Ich glaube, hoffe, wünsche, 
liebe, achte, hasse nichts, sondern verachte nur noch immer 
das Gemeine, ich bin mir selbst so gleichgültig, wie es mir 
ein Dritter ist, ich lese tausend Bücher, aber keines zieht 

mich an. Ruhm und Ehre sind Sterne, derenthalben ich nicht 
einmal aufblicke, ich bin überzeugt, alles zu können, was 
ich will, aber auch der Wille erscheint mir so erbärmlich, 
daß ich ihn nicht bemühe — ich glaube, ich habe so ziemlich 
die Tiefen des Lebens, der Wissenschaft und der Kunst ge- 
nossen, ich bin satt von dem Hefen, nur Musik wirkt noch 
magisch auf mich, weil — ich sie nicht genug verstehe. Meine 
jahrelange Operation, den Verstand als Scheidewasser auf 
mein Gefühl zu gießen, scheint ihrem Ende zu nahen: der 
Verstand ist ausgegossen und das Gefühl zertrümmert. Dies 
dir mitzuteilen, Freund, ist mir eine Art Erleichterung, Du 
siehst, daß Du noch immer meinen Gedanken nahestehst, ein 



- 378 - 

Detmolder würde mich Geschäftsmann und mich Witzbold nun 
und nie für das halten, was ich infolge des Dir Gesagten 
bin. Der Mensch ist in facto nichts, er ist nur Erinnerung 
oder Hoffnung, was man Gegenwart nennt, ist ein häßliches 
Ding und kaum kann man es bemerken. Meine Seele ist todt, 
was jetzt noch unter meinem Namen auf der Erde sich hin- 
schleift, ist ein Grabstein, an welchem Tag für Tag weiter 
an der Grabschrift gehauen wird, Dein Brief kommt auch da- 
rauf. Und bei all dem, Kettembeil, sind Wir im Benehmen 
noch immer ganz der Alte, ja Wir hoffen zwar nicht, aber 
erwarten doch ruhig, ob nicht die geistige Harmonie einmal 
bei Uns möglich werden könne. Wir ertragen gnädigst Uns 
(den Mr. Christian) selbst." 

Die typische Tragik des Genies oder doch des Phantasten, 
die sich in Grabbes Schicksal kundgibt, seine psychopathische 
Anlage lassen vermuten, daß der Dichter zu jeder Zeit einem 
gleichen Geschick anheimgefallen wäre. Aber man hat doch 
schon bald d i e Z e i t verantwortlich gemacht In den Blättern 
für literarische Unterhaltung heißt es: „In Grabbe war viel 
Talent, aber er wußte die Masse, den rohen Stoff nicht zu 
formen und zu begrenzen. — Dieses Leben ward weniger 
durch niedrige Ausschweifung, durch soziale Vergehungen, 
Hohnsprechen der Sitte, Zucht und Ordnung, als vielmehr 
durch ein gänzliches Nichtwissen von allem was Form, ruhiger 
Fortgang und besonnene Bewegung ist, bezeichnet. Grabbe 
war ein tiefer Mensch, auch ein unschuldiger Mensch, wenig- 
stens von Hause aus, aber in seiner Tiefe war es dunkel. 
Es wird dann weiter die Ansicht ausgesprochen, Grabbe wäre 
nicht untergegangen, wenn gütig prädestinierende Götter die 
Stunde seiner Geburt um 20 Jahre verlegt hätten. Es ist die 
Zeit, in der K 1 e i s t und P 1 a t e n unglücklich wurden, in der 
Hölderlin in Einsamkeit und Wahnsinn ein vielen Begabten 
eigentümliches Los wie ein finsteres Symbol repräsentierte. 
Auch Marggraf behauptete damals: „In einer gesunden Zeit 
wäre Grabbe ein gesunder Heros von Bedeutung geworden, 



— 379 — 

seine kolossale Natur zerrieb sich in den kleinlichen Verhält- 
nissen der Jetztzeit. Als dramatischer Einsiedler in einer 
unkräftigen Zeit mußte das Gesunde und Kernhafte zu Knoten 
und Knorren verwachsen." Der Mangel an Ablenkung trug 
zweifellos bei zu dem fortschreitendem Leiden eines so un- 
ruhigen Geistes. Nicht Grabbe allein, eine große Zahl von 
Leidensgenossen erklären das Preiligrathsche Verdikt, in 
einer Zeit der problematischen Naturen, wie sie Möller v. 
d. Brück im Gegensatz zu den energetischen nennt. Ein merk- 
würdiger Philosoph namens Pitschaft, der sokratische 
Lebensweisheit verkündigte und der die Lebensweise der zyni- 
schen Philosophen Griechenlands soweit nachahmte, daß er in 
Ställen schlief, tauchte in Leipzig zu Grabbes Studentenzeit 
auf. 1819 starb zu Sondershausen einsam und verlassen der 
Dichter K. W e t z e 1, ein bizarrer Kauz, voll ungemessenen 
Selbstbewußtseins, der sich vorwiegend von Branntwein nährte. 
In Berlin gingen in selben Zeitläuften zwei Originale zu- 
grunde: in der Charit^ starb Orion, der Aufsehen erregte, 
als er pomphaft seine Abreise zu den Griechen verkündete 
und in Leichenwagen übernachtete. 1836 verschied dort im 
Spital, vielleicht durch Selbsttäuschung gebrochen, Arendt, 
da er trotz mittelmäßigen Talents sich zum großen Lustspiel- 
dichter forcieren wollte. L e ß m a n n endigte durch Selbst- 
mord und Charlotte Stieglitz stieß sich den Dolch 
ins Herz, um ihren Gatten aufzustacheln. Elias Niber- 
g a 1 1 starb im jungen Alter und man fand im Stroh seines 
Bettes versteckt die unvermeidlichen Spirituosen. H o 1 1 e i 
stellte 1833 in „Lorbeerbaum und Bettelstab" Dichterloos dar. 
Byronische Zerrissenheit lebte wieder auf in der neufranzö- 
sischen Romantik. , 

Ja, die ZeitI Es ist das Unglück der Obergangsmenschen, 
der Epigonen, in der vergangenen Epoche zu wurzeln und 
mit ihrer Sehnsucht die Zukunft zu suchen. Grabbe gehörte 
in die Sturm- und Drangperiode, in die Zeit Schillers, in die 
Periode eines aufblühenden Naturalismus, nur nicht in das 



— 380 — 

öde dritte Jahrzehnt der Restauration. Die Romantik war ver- 
blüht, beschenkte ihn nur mit der unseligsten Gabe, der Ironie, 
der widerspruchsvollen Zerrissenheit, dem Spiel der Kon- 
traste. 

Von den Romantikern hat Grabbe Arnim und Bren- 
tano von ferne verehrt, T i e c k schied sich äußerlich und 
innerlich von ihm, leider auch Immermann. Das junge 
Deutschland hat er von sich gewiesen. So stand er ganz 
isoliert. Oberall, wo er Anschluß suchte, als freundschata- 
und liebesuchender Mensch, oder in den Gemeinschaftskreisea 
der Literatur, war er schwer zu ertragen. Es war Schuld 
und Fluch zugleich. Ein Freund fürs ganze Leben war ihm 
nur P e t r i, von den Kritikern hat Menzel das meiste für 
ihn getan. Er selbst versuchte, in der Shakespearomanie das 
Haupt einer neuen Schule zu werden. An wen sollte er sich 
auch anschließen? Der letzte große Dramatiker war ihm 
Schiller, in ziemlichem Abstand davon folgten Kleist 
und Werner. Müllner schätzte er hoch, demnächst 
auch Immermann. Platen verehrte er nicht. R a u • 
p a c h verfolgte er mit Neid und Verachtung. Schillers 
heroisches Pathos, der berauschende Schwung seiner hohen 
Gedanken und wiederum die wie ein unheimliches Naturereig- 
nis hervorbrechende dämonische Leidenschaftlichkeit Shake- 
speares blieben die höchsten Muster. Wie Grabbe aber 
Tierisches und Göttliches in unheimlichen Kontrasten mischt, 
wie er neben dem Himmel die Pfütze malt, so ergibt sich aus 
dem Zusammenprall zweier in sich vollendeter Genien ein 
Geist des Widerspruchs, der das Zeichen der Romantik ist. 
Aber er hat das zwitterhafte Kunstideal der Spätromantik 
nicht als ein endgültiges angesehn. Auch die französische 
Neuromantik liebte er nicht, weil Victor Hugo auf un- 
wirkliche Theatereffekte ausgehe. 

Und Grabbe empfand es mit schmerzlicher Klarheit, daß 
all dieses Neue in seiner Üppigkeit nicht heranreiche an die 
Größe der Natur, für deren Wesen und Wirksamkeit er te 



- 381 — 

starker Unterströmung das tiefste Gefühl, den sichersten In- 
stinkt besaß. 

Aber überall ist diese lähmende Zwiespältigkeit aufzu- 
zeigen, die Orabbe nicht emporkommen ließ, die sein fast 
einzigartiges Mißgeschick begründet hat. Dieselben Kri- 
tiker, die Orabbes Dramen rein nach ihrer Theatermäßigkeit 
bemessen, fanden es töricht, wenn Grabbe sich einen Platz 
im Bühnen wesen erringen wollte. Die Theater aber, ver- 
schlossen sich ihm, obgleich sich ^Don Juan und Faust 44 
bühnenrecht erwies und wiewohl er sich in den Hohens taufen 
entgegenkommend zeigte. Und richtig ist doch, daß diese 
abweisende Haltung der damaligen Bühnenleiter nun erst den 
Dichter veranlaßten, sich ausschließlich an die Phantasie der 
Leser zu wenden. Und doch ist wohl kein Zweifel, daß Grabbe 
in der Zeit zwischen Kleist und Hebbel das stärkste dra- 
matische Talent war. Aber auch hier regt sich wieder ein 
Widerspruch, der die Lösung des Problems Grabbe so schwie- 
rig macht: sein Stil ist dramatisch und lebendig, voll Be- 
wegung und energischer Schlagkraft, sich in witziger Pointe 
zuspitzend. Aber das eigentliche Dramatische, die Charakter- 
entwicklung, wird sehr schnell, nicht oberflächlich, aber kon- 
zentriert epigrammatisch erledigt. Indem Grabbe eine Situation 
voll ausschöpft, denkt er nicht an die Vermittlung mit den andern 
und an den Zusammenhang des Ganzen. Der Generalbegriff 
ist zu umfassend, die Phantasie zu expansiv. Zwar läßt sich 
mit einiger Mühe wohl ein zusammenhaltendes Band für die 
verschiedenen Tableaux finden, aber das geschlossene Drama 
geht aus von einem bestimmten Konflikt, erwächst aus einem 
Keim, der die ganze Handlung in sich schließt und aus dem 
das Ganze sich organisch entwickelt. Warum wurde Grabbe 
denn nicht Epiker? Hätte er Epen geschrieben, würde man 
Ihn auf das Drama verweisen. Ruhe und Sachlichkeit sind 
Eigenschaften des Epikers, aber es sind Grabbes letzte Tugen- 
den, er durchtränkt alle seine Gestalten mit seiner subjektiven 
Ironie. 



- 382 — 

Er sucht mit Vorliebe die Schlacht, das große drama 
tische Erlebnis seiner Jugend, das einzige, wahrhaft groß- 
artige politische Ereignis seiner Zeit. Nichts ist für den 
Dichter charakteristischer, als wie ihn dieses äußerlich monu- 
mentale Naturereignis voll malerischer Stimmungen, voll un- 
geheurer Spannungen und wilden dramatischem Leben immer 
gelockt hat. Und doch ist die Schlacht für den Künstler eine 
Sphinx, deren Rätsel weder der Epiker noch der Drama- 
tiker bezwungen hat. Der Dichter selbst mag Feste der Ein- 
bildungskraft genießen, aber der Zuschauer solcher Phan- 
tasieorgieen geht doch oft mehr stark angeregt als gesattigt 
davon. Das denkbar glänzendste Bühnenschaustück vermag 
sich in die äußeren Bedingungen des Theaters nicht einzu- 
fügen. 

Drei schöne Dinge nur gibf s: Frühling, erste Liebe, Krieg, 
(der Ausspruch klingt übrigens ganz Kleistisch). Krieg um 
sich auszutoben oder aus Todessehnsucht. „Gäb's doch Krieg". 
Was konnte Orabbe, der literarisch ohne festgefügte Gemein- 
schaft isoliert dastand, der, nachdem ihn sein Jugenddrang 
nach Leipzig, der Völkerschlachtstätte, und in die preußische 
Hauptstadt geführt hatte, in kleinstaatliche Verhältnisse, in 
die Misere einer „kleinen Garnison" gebannt blieb, in den 
Zeitverhältnissen befriedigen? Seine Jugend war erfüllt von 
dem gewaltigen Drama Napoleon und nun kam wie vor dem 
Anbruch der 100 Tage eine matte Zeit der Enttäuschung, die 
Restaurationszeit: ein Herumflicken und Herumstumpern 
statt großzügiger Reformationstätigkeit. So mußte selbst das 
Chaos der Revolution kühne und wilde Naturen wie ein gran- 
dioses Schauspiel voll dämonisch faszinierender Wirkung be- 
rücken. Fast im Stil von Grabbes Napoleontragödie sagt 
Heinrich von Treitschke vom Wiener Kongreß: 
„Der große Plebejer war gefallen, der einmal doch den Hochge- 
bornen bewiesen hatte, was eines Mannes ungezähmte Kraft 
selbst in einer alten Welt vermag, die Helden des Schwertes 
verschwanden vom Schauplatz, mit ihnen die große Leidenschaft 



— 383 — 

die unerbittliche Wahrhaftigkeit des Krieges. Wie Wurmer nach 
dem Regen krochen die kleinen Talente des Boudoirs und der 
Antichambre aus ihrem Versteck hervor und reckten sich be- 
haglich aus." Was sollte ein so rücksichtslos gerader 
Charakter halten von der mit christlichem öl gesalbten hei- 
ligen Allianz, von dem Oottesgnadentum dieser Monarchen, 
deren Kleinheit so grell im Licht des Tages gelegen hatte, 
wie sollte ein von der Scholle kommender Demokrat glauben 
an diese Volksbeglücker, denen der Schrecken der Revolution 
derartig in den Gliedern lag, daß sie alle freiheitlichen 
Bestrebungen alsbald verketzerten und verfolgten? Freilich 
regte sich alsbald der Widerstand. Aber Orabbe erschien 
das als Possenspiel, der große Gedanke der Revolution 
schien sich in komödienhafte Draperien verhüllen zu wollen. 

Die Demagogenriecherei widerte ihn ebenso an, wie die 
burschenschaftlichen Ideale ihm lächerlich erschienen; dann 
kam die Julirevolution. Wie hätte er aufgeatmet bei groß- 
zügigen Ereignissen, bei einem die Luft reinigenden Kriegs- 
donnerwetter, in einer bismarckisch gesinnten Zeit. So wäre 
am ersten der gesunde Kern seines Wesens in national-volks- 
tümlichen Werken offenbar geworden. Das Nationale ! 
Grabbe hing an seiner Erdscholle, an dem Mutterboden seiner 
niedersächsischen Heimat, wie denn die einfachen natürlichen 
Gefühle nie erstickt wurden, nicht durch Unglück oder Aus- 
schweifungen. Die Phantastik seiner Dichtung und der Rea- 
lismus seines Lebens hätten zu einer harmonischen Einheit 
verschmelzen können, wenn er Kontakt mit seiner Nation ge- 
habt hätte. Er hätte die Historie beseelt, neben den Kaiser- 
dramen hätte er nicht nur die deutschen Märchen, sondern 
auch die deutschen Volksbücher (Faust), besonders auch den 
Ausbund niedersächsischer Schelmerei im Eulenspiegel leben- 
dig gemacht. 

„Wo gibt es noch Lebensfrische — Geldjuden überall" wie 
echt ist dieser Stoßseufzer aus der Not der Zeit heraus 
empfunden. 



— — OQrf — 

IL 

Eine Pilgerfahrt ist Grabbes künstlerisches Erdenwallen, 
ein ewiges Dürsten nach Größe, ein dämonisches Umherge- 
triebensein, ein Seufzen nach Erlösung aus der Zuchthaus- 
arbeit des Wollens. 

Qrabbe hat zuerst das Lebensproblem, das wie ein dunk- 
les, drückendes Rätsel vor ihm stand, zu lösen versucht 
Aber es ist, als ob zwei Feinde sich zu gegenseitiger Selbst- 
zerfleischung übereinander herwerfen. Schillers ideale Be- 
geisterung für die Freiheit, sein Menschheitsglaube wird 
durch die Schopenhauerisch - pessimistische Ansicht von der 
Sinnlosigkeit des Lebens erstickt Schicksalsmäßig gesandtes 
Unglück, das einen schwachen, innerlich guten Menschen heim- 
sucht, der aber leicht den Lockungen des Bösen unterliegt, 
die Verkehrung eines in allen Fugen erschütterten Rechtsgefühls 
— das hat er im „G o t h 1 a n d" zeigen wollen. Die Qual seiner 
Seele flutet dahiq, aber auch zugleich die trotzige Energie, 
die sich schmerzgestachelt im Zerstörungsdrang entladet Er 
pocht trotzig an den Festen des Himmels, hinter denen die 
göttlichen Geheimnisse verborgen liegen, und wühlt mit un- 
heimlicher Neugier in den Geheimnissen der Zeugung und der 
Fortpflanzung. Er grübelt über die Wollust und über den 
Tod. Das Evangelium der Liebe ist wie die Religion nichts 
ohne die Kraft des Glaubens. Grabbe aber sah sich in seinem 
Glauben bald erschüttert, er durchlebte die fürchterlichsten 
Gewissensqualen und eine wahre Todesangst durchschauerte 
den in enger naiver Frömmigkeit von Hause aus Wurzelnden. 

Seine Seele schwebt im Kampf der finstern und lichten 
Mächte. Aber er hat seine Inspirationen mehr aus der Hölle 
als aus dem Himmel, er ist der Dichter des gefallenen Engels. 
Die Bosheit triumphiert hohnlachend, Wahnsinn und Ver- 
zweiflung verzerren das Weltbild. Grabbe versenkt sich in 
das Leiden der Welt, und wer diese Abgründe ausmißt oder 
mit seinem Verstände zu erschöpfen versucht hat, der wird 
wahnsinnig oder er kommt dazu, Geist und Herz zu be- 



- 385 - 

tiuben und sich dem höllischen Qeist der Lüge zu verschrei- 
ben, oder in starrem Trotz zu versteinern. Aus Shakespeare 
und Schiller sind die wichtigsten Bestandteile, die sich aus 
einer Analyse des „Gothland" ergeben. Doppelheldentum liebt 
auch Schiller, aber die Art, wie hier zwei Todfeinde anein- 
ander gebunden werden, sodaß der eine gar den andern für 
seinen Freund halten kann, ist das Grundmotiv des „Othello". 
Die Monologe Oothlands, das in edlen Gefühlen schwelgende 
lyrische Pathos erinnern an Schiller, der leidenschaftliche 
Naturalismus, die Charakterentwicklung vor einer geordneten 
Intrigue an Shakespeare. Piper tadelt die unorganische Ver- 
bindung zwischen primitiver Natur und hoher Kultur im 
„Gothland". Das ist das wichtigste Problem: Shakespeare 
und Schiller sind nicht einheitlich verbunden. Es ist der 
Gegensatz von naiv und sentimental. Bei Schiller herrscht 
Gedanke, Reflexion, er geht von einer bestimmten moralischen 
Ansicht aus, verkörpert oft Standpunkte. Shakespeare schreibt 
die Naturgeschichte des Menschen; die Leidenschaft, die dunkle 
Tiefe des Charakters ist das Prinzip der Handlung. 

Im allgemeinen gilt: Glühendes, farbenprächtiges Pathos 
lockte bei Schiller, scharfe Charakterzeichnung bei Shake- 
speare. Zuerst herrscht Shakespeare vor (Gothland), dann 
Schiller (Hohenstaufen) , bis Grabbe seinen eigenen Stil findet, 
in dem die Form noch an den Briten, die Gesinnung aber 
stärker an den deutschen Dichter erinnern mag. — 

Gleichzeitig mit dem Gothland schrieb Grabbe seine Lite- 
raturkomödie, ein Autodafe. Er ergötzte die an fade senti- 
mentale Kost gewöhnten Zeitgenossen mit einer kecken starken 
Lustigkeit als ein derber Pritschenmeister, dessen übermütige 
Laune unerschöpflich zu sein scheint. Alle öffentlichen 
und literarischen Zustände seiner Zeit bekämpft er mit den 
Pfeilen seiner Satire, und das muß der echte Lustspieldichter. 
Und die Schwächen, die dem Dichterberuf typisch sind und 
die sich immer wieder mit jedem literarischem Verkehr ver- 
knüpfen, hat er schonungslos und auch mit sittlicher Ent- 

Nieten, Chr. D. Grabbe. 25 



— 386 - 

rüstung aufgedeckt in immer gültigen Aussprüchen, die noch 
heute angewandt werden, weil sie nicht unübertrefflicher und 
witziger gesagt werden können. Der Zeitgeist spiegelte sich 
in der Formlosigkeit wieder, in der spielerischen, in den ex- 
tremsten Kombinationen sich gefallenden Ironie. 

Die Personen vermummen sich, nehmen Masken an, be- 
ständig verändern sich die Züge ihres Gesichts, kaleidosko- 
pisch, zerfließend. Der Satan erscheint als Heiratsvermittler, 
in allerlei Gaunerstreichen beweist er noch sein Dasein, in 
einer aufgeklärten Welt ist er eine naturwissenschaftliche Ab- 
normität 

Hinter dem tollen Possenspiel barg sich doch auch tie- 
fere Bedeutung: die ist z. B. zu erkennen, wenn der 
Satan, davon sich Grabbe selbst ein Teil fühlte, im Feuer des 
Ofens sich gemütlich -zu fühlen anfängt; denn hier ist, in einen 
Possenscherz drapiert, die an sich furchtbare und grauenvolle 
Wahrheit zu erkennen, daß des Teufels Wesen eisige Kälte 
ist. Oft scheint das scharfe Schwert des Witzes nichts übrig 
zu lassen. Auch die Schwächen des großen Schiller bleiben 
nicht verborgen. Aber stellt einerseits der Teufel alles auf 
den Kopf, sodaß auch das Vortrefflichste nichts wert ist, so 
schwebt doch aus dem Chaos ein schöpferischer Geist in der 
Sehnsucht nach einem Messias. 

Schon im Gothland schlug das Tragische in seiner Karri- 
katur oft ins Burleske über und das Grauenhafte ins Gro- 
teske und andrerseits suchte der in konvulsivischen Zuckungen 
der Verzweiflung gemarterte Geist gleichsam Erholung in 
einer ausschweifenden Lustigkeit. Der als Tragiker immer 
wieder Kraft, Vermessenheit, Oberhebung als die Gipfel 
menschlichen Strebens verherrlicht hat, bewährt seine eigen- 
tümliche komische Kraft in der Darstellung schimpflicher 
Feigheit, lächerlicher Ohnmacht. Rattengift der Dichter ist in 
Wirklichkeit eine zitternde und bebende Memme. Oder Grabbe 
spottet seiner selbst, wenn er wie im Kindermärchen den bru- 
talen Mordäx grausige Mordtat begehn läßt an 



— 387 — 

gesellen, die der Wind einer Serviette umwirft Mit schärfster 
Selbstpersiflage hat er da den innerlich weichen, stark tuen- 
den Renommisten gebrandmarkt. Auf die literarische Ver- 
wandtschaft des Grabbeschen Witzes haben wir hingewiesen, 
doch das an Rabelais erinnernde Grobe, Ungefüge charakte- 
risiert sein Eigentümliches. Er begnügt sich nicht mit einem 
Witz, sondern er will zugleich zart und derb, geschmackvoll 
und roh sein. Oft leuchtet es wie ein Sprühregen des Geistes, 
oft aber fühlen wir uns auch von einem disproportionierten 
Gebilde abgestoßen. — Dieser ironisierende Witz ist aber 
überall lebendig. Bei einer überlieferten Gestalt wird das 
sonst angemessene Gewand zu einer Maskerade und eine 
besondere Wirkung ergibt sich daraus, daß eine würdevolle 
Physiognomie sich in eine Karrikatur verwandelt, daß aus 
dem Mienenspiel etwa einer antiken Gestalt ein höchst moder- 
ner Bekannter Grabbes von recht zweifelhaftem Wert heraus- 
schaut. 

Mit einer wilden Tragödie größten Stils und einer Komö- 
die voll der allerkühnsten Intentionen mochte der Vermessene 
den ungeheuren Plan einer literarischen Reformation zur Aus- 
führung bringen wollen. Aber reichte es nicht zum großen 
Reformator, so hatte er doch das Zeug zum kühnsten Revo- 
lutionär. Und deshalb verstand er es zwar nicht, den Gipfel 
der Vollendung zu erklimmen, wohl aber das ungeheure Wol- 
len, riesenhafte Gärung, Ringen und Sehnsucht zu zeigen. So 
bannte er den Gehalt jener unruhvoll zerrissenen Obergangs- 
zeit in die zweite seiner Tragödien, den „Schlußstein seines 
Ideenkreises." Die unruhigen Grübeleien, die innern Nöte des 
Gothlanddichters sind auch der Mutterschoß dieser Tragödie; 
und auch der närrische Tiefsinn der Berliner Komödie hat 
die Form bestimmt, die mehr noch als beim Gothland die 
Einwirkungen der Romantik verrät. Da hat Grabbe in einer 
paradoxen Mischung von Altüberliefertem und moderner Spe- 
kulation, in einer unter der blendenden Hülle gehäufter äuße- 
rer Effekte gebildeten Vereinigung von Puppenkomödienmotiven 

26* 



- 388 - 

und ewig menschlichen Werten einen Barockbau getürmt, der 
sicherlich interessant und merkwürdig, aber nicht eigentlich 
groß genannt werden kann, hat er eine Bastardbildung ge- 
zeugt, die aus der Vermählung zwischen der tragischen Muse 
und dem satirischen Erdgeist entsproß. Am meisten unter 
diesem Zwitterwesen hatte der Teufel zu leiden, der aus 
blutroter greller Lohe mit Klauen und Hörnern wie der Spring- 
teufel auf dem Jahrmarkt, oder wie er im naivsten 
Volksaberglauben lebt, überraschend auftaucht, der als Ver- 
körperung ohnmächtigen Neides so tiefe Wurzeln in des Dich- 
ters Seele findet und der endlich ein Inventar alles düster- 
dämonischen Tiefsinns sein soll, den nur Goethe oder Byron 
ausgesprochen haben. Die größte Schwierigkeit aber lag 
darin, daß ein übergeordnetes oder auch nur beigeordnetes 
Verhältnis zwischen dem Satan und seinem Opfer nicht ge- 
plant und auch nicht möglich war. Das widersprach dem 
Darsteller übermenschlichen Herrentums durchaus, seinen 
Heroen in den Vertretern der Geisterwelt eine gleichwertige 
Gegenmacht an die Seite zu stellen.*) Damit aber büßte das 
Stück die Glaubwürdigkeit ein; eine immanente Tragödie 



*) Man vergleiche hierzu die Vortragsszene! Dieser Kontrakt ist von 
ausgeklügelter Spitzfindigkeit Daß Grabbes Faust ganz anders wie in der 
Puppenkomödie oder in andern Stücken rasch und unverzüglich sowohl die 
Bedingungen wie die Forderungen angibt, zeigt die Selbständigkeit an, die 
er dem Satan gegenüber bis ans Ende behält. Sodann ist es in der Tat das 
äußerste Extrem des reinen eiskalten Wissenstriebes, wenn Faust statt »glück- 
lich werden zu wollen« schon mit der bloßen Erkenntnis, wie er hätte glück- 
lich werden können, zufrieden sein will, womit nun wieder der tragische 
Konflikt angedeutet wird, der in den letzten Szenen Fausts Brust zerreißt, 
der nun doch gern glücklich werden möchte. Diese Selbsttäuschung wird 
erklärt durch die Natur dieses Erkenntnisdrangs als unendlicher roman- 
tischer Sehnsucht, in der eben in unbewußter Tiefe ein Dürsten nach Er- 
lösung durch die Liebe schlummert. Faust ist wie ein Forscher, der, von 
der Aufklärungsphilosophie angeekelt, erst in der romantischen Gefühlsreligion 
tiefste ungeahnte Sättigung entdeckt. 

Sonderbar und widerspruchsvoll ist es auch, wie der Ritter, indem er 
den Kontrakt formell zu erfüllen strebt, auch materiell „die Geschäfte der 



- 389 — 

vermochte Orabbe auch nicht zu geben. Diese Halbheit, dieses 
Schwanken, der widerspruchsvollen Natur des Dichters ent- 
sprechend, ist der Grundmangel. Diese Mischung von Ro- 
mantik und Naturalismus blieb unklar. Irgend ein Glaube 
muß da sein, der reine Skeptizismus ist nicht das Fundament 
für eine Weltanschauungstragödie. 

Es war ein ungeheurer Plan: die graue Schatten- 
gestalt des geistigen Titanen und den blutvollen skrupel- 
losen Lebensgenießer zu kontrastieren in Bildern von 
intensiver Farbenpracht. Aber es ist eine Phantasmagorie 
geworden, ein Streit zwischen Geist und Materie, keine dra- 
matische Entfaltung zweier Charaktere, die in gegenseitiger 
Reibung sich umbilden, läutern oder zerschmettern. Statt 
dessen muß die Selbstcharakteristik herhalten und da der Dich- 
ter Faust und Don Juan nicht außerhalb ihrer histo- 
rischen Umgebung als solche zeichnen konnte, hat er in zwei 
parallelen Handlungen die Vorlage nur ausgeschmückt. Einen 
gemeinsamen Boden für beide Sagen finden wir da, wo Faust 
und Don Juan sich in der Liebe nähern. 

Dieser Don Juan nun ist keineswegs der leichtblütige 
Kavalier, der im Zaubergarten der Wollust lustwandelt, er 
soll vielmehr nach romantischer Art in unheimlich dämo- 
nischer Beleuchtung erscheinen. Alle Genüsse sind er- 
schöpft; er ist blasiert und das Zerstörerische steht im Vor- 
dergrund. Er hat sein historisches Menschentum abgestreift 
und ist dafür Dämon oder Philosoph geworden. 

Hölle besorgt. Denn Faust muß doch Höllenwürdiges begehn und außer 
der ergebnislosen Weltallsfahrt, die für Faust doch nur die schon vorher 
feststehende Schranke des menschlichen Erkenntnisvermögens bestätigt, steht 
der Ritter doch nur im Verhältnis eines bloßen Werkzeugs und äußern 
Machtmittels, während von einer innern Beeinflussung doch nur wenig und 
mit Mühe etwas zu bemerken ist. Überraschend und paradox ist endlich 
auch die Lösung, die dem Wortlaut des Kontraktes entspricht und die das 
Unmögliche fertig bringt, zugleich Faust und den Ritter zu ihrem Rechte zu 
verhelfen. — Vgl. übrigens den oben angeführten Brief an Kettembeil: 
Grabbes vergebliches Bemühn »das Scheidewasser des Verstandes auf sein 
Oefühl zu gießen M macht auch die ganze Tragik seines Faust aus! 



- 390 — 

Paust l&ßt alle Organe verkümmern, um reiner eis- 
kalter Wissenstrieb zu sein. Die ganze Welt wird sein 
Machtbereich bis auf Annas Herz, das „Fleckchen*. 

Faust sieht, daß rein menschliches Glück mehr ist als 
Wissen und Macht, er genest zur Liebe. Wir haben also drei 
Lösungen der letzten Rätsel: der Obermensch, wider das 
Schicksal angehend, zwar nicht gebeugt und zerbrochen, aber 
in sich verwesend, in dialektischer Selbstzersetzung zer- 
bröckelnd und sich auflösend, in Schuld erstarrt, oder in zyni- 
schem Obermut, endlich zu Liebe und Menschlichkeit genesend. 
Der Obermenschengedanke bildet eine zentrale Stellung in 
Orabbes Ideenkreis und bildet eines der in die Zukunft weisen- 
den Momente. Die Wurzeln liegen in der „riesenhaften Wider- 
spenstigkeit" seines Ich, weiter in dem romantisch verstan- 
denen suverinen Pichtianismus. Aber auch Schiller hat die 
Kraft verherrlicht, schon als Kantianer. Im „Wallenstein 44 
hat er sich das Problem klarzumachen gesucht: der Gräfin 
Terzky ist Wallenstein der Riesengeist, der nur sich zu ge- 
horchen hat. Auch Max verteidigt das Genie, das man falsch 
beurteilt, . weil man es nicht versteht, aber er glaubt an das 
Edle in der Freiheit Das ist der wahre Schiller. Grabbe geht 
darüber hinaus und die Berührungen mit Nietzsche sind 
auffallend und groß. Wille zur Macht, Preis des Heroischen 
und Starken in den Hohenstaufen, die Macht der Instinkte in 
Don Juan, wie Nietzsches trunkenes Lied den Triumph des 
Lebens trotz allen Wehs singt. In Nietzsche feierte ein Kran- 
ker dionysisches Leben. Grabbes Wahlspruch war „zäh und 
kühn", und ein Lieblingswort des Totkranken war „Lebens- 
frische". Nietzsche sieht in dem schlechten Gewissen eine 
schwere Erkrankung, Berdoa findet das Wort „aus Feigheit 
fromm". Für Heinrich VI. ist das Gewissen höchstens eine 
Zier für den Nürnberger Spießbürger. Nietzsche hat die as- 
ketischen Ideale der Priester „aus dem Schutz- und Heil- 
instinkt eines degenerierenden Lebens" erklärt, man vergleiche 
dazu die Antithesen in Don Juan: der Priester, der Gelehrte 



— 391 — 

und das Leben. Nietzsche haßt die Schopenhauersche Mit- 
leidsmoral als sklavisch. Orabbes Held ist gefühllos und kalt, 
menschlichem Empfinden so fern, daß keine Träne die Starr- 
heit lindern darf. Orabbes Faust sagt: „Dein Mitleid spar' — 
ich mag's nicht, hab ich Leid, so soll's mein eignes sein — 
ein fremdes würd es nur verdoppeln I" Und Sulla fragt das um 
Mitleid flehende Weib: „Warum?* Das fahrt zu Grausamkeit, 
aber auch zu heroischer Glückverachtung; beides eminent tra- 
gisch. „Der freie Krieger tritt auf sein Glück", sagt Nietzsche, 
der auch den Krieg für kulturfördernd hielt, und Grabbes 
Heinrich weiß, daß Menschengröße auf der eisigen Höhe, das 
Glück hingegen im Tale wohnt Der Starke bindet das Schick- 
sal an seinen Willen, wie das Eisen den Blitz anzieht. „Wer- 
det hart* ist ein Imperativ Grabbes wie Nietzsches. Zara- 
thustras des Gottlosen. Das vergöttlichte Tier in der Renais- 
sance ist das Ideal und Napoleon der wahre Glücksfall. An 
Nietzsches Assassinenspruch „Nichts ist wahr, alles ist er- 
laubt" klingt an das Wort des Ritters: „Nichts ist das Recht, 
wer da siegt, hat Recht* 4 . — 

Die Größe, die Grabbe im privaten und öffentlichen Leben 
nicht fand und die ihm auch als philosophisches Problem nicht 
genügte, suchte er zu finden in der Geschichte, wie sie sich 
in den Heroen konzentriert 

Auch hier liegt die Sehnsucht nach Lebenserhöhung zu- 
grunde: Grabbe suchte sie zunächst in reinem Phantasie- 
gebilden und Träumen und darauf in einer Welt, die nur zur 
Hälfte Schein und doch wieder Wirklichkeit, gewesene Wirk- 
lichkeit ist, in der Historie, im Nationalen, nachdem ihm Seelen- 
frieden und religiöse Erhebung ebenso in Scherben lag, wie 
das Sinnenglück und die höchste Erdenwonne der Liebe. 

Die zeitlose Tragödie ist zu unterscheiden von der histo- 
rischen und hier ist wieder zu unterscheiden, ob der Träger 
der Handlung der Heros ist oder das Volk, oder ob ein 
Familienidyll als Paradigma eine Zwischenform bildet. Grabbe 
schreibt dramatische Biographieen oder Epen, verbindet Zeit- 



- 392 - 

räume von Jahren, ja von Dezennien, in der Form an Shake- 
speare erinnernd, im Gehalt deutsch, national, westfälisch. Er 
glaubt seinem Volk etwas sein zu können und der Erfolg 
würde das Gesunde und Kräftige in ihm zur Blüte gebracht 
haben. 

Zunächst wird die Zeit so geschildert wie sie ist Dann 
sucht er moderne Tendenzen hereinzubringen bis zu jenen 
pikanten Wirkungen der letzten Skizzen. Kräftig aber 
schlägt überall hindurch das nationale Pathos und mit Be- 
wußtsein erwägt er das Problem, wie sich Ich und Umwelt, 
Freiheit und Notwendigkeit beeinflussen. Den Sinn der Ge- 
schichte sucht er" zu deuten durch Versenkung in das innere 
Leben ihrer aufragendsten Gestalten. 

Barbarossa .erschien noch veredelt und gemildert» Aber 
Heinrich VI. ist von unbarmherziger Großheit, ein Kolos- 
salbild — aller Dinge furchtbarstes ist der Mensch. Aber was ist 
die Macht, die grenzenlose? — Ein Schlaganfall stürzt ihn hin. 
Sulla, der blasierte Intellektualist, ist dem rauhen schwer- 
fälligem M a r i u s, verwandt dem Löwen und Hanni- 
b a 1, überlegen, aber da er alles hat, endigt er sein Laufbahn mit 
einem Bluff. Auch hier ist kein sicheres Ausruhn. Und es 
scheint eine Wendung einzutreten. Zweierlei bringt Grabbe von 
seinem Heroenkultus ab. „Kraft ist nichts, wenn sie nicht 
Glück schafft", sagt Faust und der liebende Dichter. Sodann: 
das Heroentum sieht bei schärferer Kritik anders aus. Napo- 
leon war in Wahrheit gar nicht so groß, er entsproß dem 
Schoß der Revolution. Milieu, Volk, Zeitumstände sind die 
Hauptsache. Statt Freiheit Notwendigkeit. Die Großen sind 
nicht groß oder sie finden Undank, sie scheitern an der 
schlechtem Welt. In „N a p o 1 e o n" ist die pessimistische Ten- 
denz nicht so stark wie im „H a n n i b a 1". Der Schicksalsge- 
danke wird umgebildet. Worin äußert sich das Schicksal? In dem 
Widerstand der Masse und den undankbaren Gegenmächten. 
Grabbe erreicht nun eine besondre Größe in der realistischen 
Darstellung des Volkes. Er schildert die Masse nach seinem 



— 393 - 

eigenen Stil, indem er sie immer mehr als das ausschlag- 
gebende Moment der Geschichte betrachtet, anders als Shake- 
speare, der die Masse nicht so in ihrem Wert schätzt und 
individualisiert, anders als der pathetische Schiller etwa in 
„Wallensteins Lager". Der gesunde kräftige Realismus, der aber 
nie etwas von Goethes „gutmütiger, ins Reale verliebter Be- 
schränkung" hat, wird leider zersetzt durch ein auflösendes Ele- 
ment: Zynismus und Verzweiflung. Grabbe selbst hatte nichts 
erreicht bei guten und großen Bestrebungen, gewiß nicht ohne 
eigene Schuld, aber er war doch ein Mensch, an dem man 
mehr gesündigt, als er sündigte. So ist H a n n i b a 1 mit Bitter- 
keit getränkt, trotz großer Verdienste verlassen, nicht über- 
wunden in der Schlacht, wie Grabbe nicht in der Dichtkunst, 
sondern durch häßliche Tücken, Neid, Kleinlichkeit, Haß, 
wo er doch Liebe hätte finden sollen, wie es Grabbe in der 
Ehe und bei den Detmoldern zu finden hoffte. Wie zuletzt 
Hannibal — Grabbe seinen lang verhaltenen Schmerz lüftet, 
indem er sich auf die Erde stürzt und sie mit beiden Händen 
faßt, — (diese Szene sollte ins Lippesche Journal) , — so hat 
er aus der Heimaterde noch einmal letzte Kraft gesogen und 
mit unendlicher Mühe noch ein ganz Eigentümliches und 
darum nur denen, die den Dichter lieben, Verständliches, 
andern aber Fremdes geschaffen: die Hermanns- 
schlacht. 

Das hat der Dichter gewollt, wenn wir Torso und Frag- 
ment zu einem Ganzen ausgestalten. Das war seine Lebens- 
aufgabe. Aber die reine Wirkung hat er sich selbst verdor- 
ben durch allerlei Anspielungen, durch Mystifikationen, indem 
er sich selbst auf den Kopf stellt und ironisiert, der sich nicht 
vergessen kann und doch so glücklich wäre, wenn er es 
könnte. Hemmende Gewalten lassen es zur stillen Konzen- 
tration und damit zu gesegnetem Schaffen nicht kommen: 
Schwäche, Zerrissenheit, atavistische Roheit beherrschen ihn, 
die Zügel entfallen ihm und er wird von einer Art Besessen- 
heit und trunkener Willenlosigkeit dahingerissen. 



— 394 - 

Zuerst ist Orabbe ganz auf Vorbilder angewiesen: in 
Gothland sind wiederzuerkennen Kohlhaas, Karl Moor, Othello, 
Richard III. u. a. Allmählich aber gewinnt er größere 
Selbständigkeit. Das fundamentale Verhältnis sind zwei Gegen- 
spieler: Gothland und Berdoa, Don Juan und Paust, Marius 
und Sulla, die Hohenstaufen und der Löwe, Napoleon gegen 
Blücher und Wellington, sodann tritt das Milieu an die Stelle 
des einen Gegners. Jede Hauptperson hat ein größeres Ge- 
folge von mehr oder weniger skizzierten Nebenpersonen, ver- 
räterische Mittelpersonen stellen die Verbindung zwischen den 
beiden Parteien her: z. B. Rolf, der Ritter. Gothland wie- 
derholt sich etwas in Paust, Berdoas Teufeleien im Ritter, 
sein Realismus in der Lebensfreude Don Juans. Eine Ge- 
stalt soll immer die andre übertreffen z. B. Sulla soll wieder- 
kehren in Heinrich VI. In allen Figuren aber ist Grabbe 
selbst potenziert. Er versucht die gewöhnlichen Lösungen zu 
umgehn. Die poetische Gerechtigkeit wird nicht wiederher- 
gestellt, der Held erstarrt oder er fühlt nichts, der Endeffekt 
ist ein Bluff, ein zynischer Witz, eine pessimistische Weis- 
heit: nihil est, alles ist eitel. In Heinrich VI. ist die Tragik 
eine rein immanente, er leidet nicht und fühlt objektiv nichts. 
Nicht daß ein Böser mit dem Guten kämpfte und mit Recht 
unterliegt, sondern der höhere Mensch geht unter durch Nieder- 
tracht und Verrat. Grabbes Thema ist hauptsächlich die Tragik 
der Herrschsucht, der Verblendung. Bei solchen Helden 
ist unsere Furcht größer als das Mitleid, das wir fast nur 
Hannibal entgegenbringen. Fehlt die eigentlich moralische Be- 
friedigung, die stets ein harmonischer Ausklang ist, so haben 
wir doch die Empfindung des erbarmungslosen Schicksals: so 
ist die Welt' Eine Stufenfolge ist zu erkennen: der tragische 
Schmerz rast in der „bacchantischen Redseligkeit" des „Goth- 
land", erstarrt in der tränenlosen Herzenshärte Heinrichs VI. 
und resigniert zu stummem Gram in Hannibal. Hannibal und 
die Hermannsschlacht stehn als Epen für sich. Tragödien von 
dieser Art haben ihre besondere Wirkung und ihren besondern 



— 395 — 

Aufbau. Starke Erregungen .werden ausgelöst und erhöhen 
das Lebensgefühl, aber die Dissonanzen klingen nicht aus, 
sondern brechen schrill ab. 

Abnorm ist die Proportion: ein Gebilde mit kolossalen Glied- 
maßen erweist sich in einzelnen Teilen wieder ganz verkümmert. 
Ein Held von riesenhafter Einseitigkeit kämpft gegen gering- 
lügige Gegenmächte, eine ungeheure Steigerung bricht jäh ab. 
Was für Resultate ergibt nun eine kritische Stellungnahme zu 
solchen Grundsätzen? Das Leben des Dramas ist Kampf und 
Konflikt, dreht sich um Werden und Entwicklung. Es zeigt 
sich aber, daß der Obermensch, der bereits in sich starr und 
unerschütterlich jenseits von gut und böse angelangt ist, zur 
Erregung dramatischer Wirkungen eigentlich ungeeignet ist. Es 
widerstreitet aber auch der dramatischen Wirkung, wenn das 
Verhältnis zwischen Spieler und Gegenspieler ein rein beigeord- 
netes bleibt, oder wenn die Unterordnung zu groß ist. Diese 
Helden, die sich gegenseitig selbst zerfleischen oder sich nur 
äußerlich berühren ohne innere Veränderung und Beeinflus- 
sung, entsprechen der Doppelseele in Grabbes zwiespältigem 
Ich, in dem über ewigem inneren Hader es nie zu einer har- 
monischen Einheit kommt, in der wir ein Schwanken beobach- 
ten zwischen einer ruhelosen leidenschaftlichen Exaltation, die 
selbst für den Dramatiker zuviel Explosivstoffe häuft, und 
zwischen einer undramatischen Objektivität, wie sie wiederum 
nur dem Historiker zur Zierde gereicht. — Die Fragen, die 
durch Grabbe neu aufgeworfen sind, lassen sich etwa dahin 
formulieren: welche Probleme bieten der Ober- 
mensch und die Geschichte dem dramati- 
schen Genie? Wir werden an die Grenzen der drama- 
tischen Schaffensmöglichkeit geführt, aber auch neue Perspek- 
tiven tun sich auf. 

Aus seinen Gestalten ist Grabbe selbst wiederzuerkennen, 
wie er leibt und lebt In Wirklichkeit der Sproß eines klein- 
bürgerlichen Milieus, aber in seiner trunkenen Phantasie sich 
an Einbildungen der Größe berauschend. Eine ungebundene 



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Natur, hochfahrend stürmend, zynisch verachtend, eine pos- 
sierlich-boshafte Kreatur mit Krallen und Hyänenwitz, aber 
im Gründe der Seele auch Regungen der Sehnsucht. Sie ver- 
klären den Schluß des Oothland, läutern die Starrheit Fau- 
stens, schmücken den Heldengeist Barbarossas, erklingen in 
den Weihnachtsgedanken in Heinrich VI., erfüllen manche seiner 
Frauengestalten mit zartem Leben und derbe Männer mit treu- 
herziger Wärme, flammen empor in dem nationalen Pathos 
Fauste, in Napoleon oder der Hermannsschlacht. Ein hin- 
reißender Odenschwung herrscht noch im Oothland, eine an 
Gedanken der Größe sich berauschende und entzündende Phan- 
tasie und ein lyrischer Schmelz von meist elegischer Fär- 
bung. — Was Grabbe besonders in seinen Gestalten nach dem 
Leben nachgebildet hat, ist der Typus des pfiffig-verschmitzten 
Westfalenbauern, des verschlossenen düstertrotzigen 
Sachsen. Schon in der Berdoabestie ist Schelmerei und 
keit, aus dem Leben gegriffen sind Leporello, der Schulmeister 
in „Scherz, Satire, Ironie", Landolf und Wilhelm, Turnu, 
die Westfalen der „Hermannsschlacht". 

Den Charakteristiker reizen in der Menschendarstellung 
besonders die auffallenden, von der Norm abweichenden Ge- 
stalten, die Krüppel, Mißgebornen, Sonderlinge, insbesondere 
der Jude mit seinem Gebärdenspiel; sodann sei noch 
hervorgehoben, welchen bedeutenden Raum die Psycho- 
logie des Greises spielt: diese verhutzelten gefalteten Antlitze, 
das degenerierende Triebleben, das unheimlich abnorme For- 
men annimmt (hier liegt ein grauenvoller Reiz), dieses letzte 
Aufflackern einer absterbenden Wildheit, dieses Haßgefühl, 
das als letzter Bodensatz bleibt in der Ruine ihrer Seele. 

Der Realismus zeigt sich geneigt zu satirischer Betrach- 
tung, der Naturalismus geht noch weiter, er sieht den Schmutz 
auf den Dingen. So wird Grabbes Witz fast immer feindlich- 
zynisch. Echte Galgenphysiognomien tauchen immer wieder 
auf,, Schurken aus Zuchthaus und Galeere wie Berdoa und Tocke; 
Spitzbübisches in Leporello, der auch verächtlich und feige 



— 397 — 

ist, und in dem Ritter. Kriminalistisches etwa in den 
Italienern, den Bischöfen der Hohenstaufen oder in dem drei- 
köpfigen Ungeheuer des Hannibal. Kräftige und zornige Sa- 
tire wider Heuchelei und Unnatur in Don Juan, humorvolles 
Behagen im Bischof von Mainz, in Blücher u. a.; die Ber- 
liner Ironie in dem Freiwilligen, Karrikatur, Übertreibung, 
Verwandlung, Metamorphose in den Lustspielen. Zynisch 
wird er gern, wenn er Juden zu charakterisieren hat (Napo- 
leon, Aschenbrödel). 

Das Zynische nimmt aber keineswegs in seinen Darstel- 
lungen der Liebe einen zu breiten Raum ein. Berdoas 
Bockgestank ist zwar überall zu wittern, wo Pöbel geschildert 
wird. Aber Grabbe hat mit Recht behaupten können: Meine Wei- 
ber enden bis jetzt immer edel, unbefleckt, kleinere Rollen 
ausgenommen (26. VIII. 35 an Petri). 

In Oothland erscheint die Liebe als tierisch-bestialischer 
Trieb und andrerseits als phantastische Verstiegenheit Shake- 
speares Julia ist Orabbe zu einfach und sinnlich und Goethes 
Gretchen versteht er nicht. Da erinnert er an den Schiller der 
Lauraoden. Merkwürdig verschieden wertet Grabbe das 
Verhältnis zwischen Mann und Weib. Die Hohenstaufen- 
kaiserinnen schwinden dahin vor ihren übermenschlichen 
Gatten; das mag ein Shakespearescher Zug sein. Grabbe 
läßt sie in zarten Epigrammen reden oder er findet 
einen Ausweg in der Bildersprache, in der sich Ver- 
stand und Phantasie vermählen. Sinnlich aufloderndes Ge- 
fühl schildert er nicht, aber es reizt ihn Liebesspiel und Ge- 
tändel, und das ist ganz eigentümlich, wie auch hier der Ur- 
instinkt der Grausamkeit zum Vorschein kommt und wie in 
der Zärtlichkeit ein bischen Beißen urid Kratzen ist gleich 
einem Katz- und Mausspiel. Erscheinen Grabbes Frauen zu- 
erst den Männern untergeordnet, so haben wir doch auch 
Liebhaber, die um die Gunst der Geliebten flehn (Nannette 
und Marie, Aschenbrödel). Die letzten Frauengestalten 
haben dagegen etwas Herbes, Energisches, gleich Frau Luden, 



— 396 — 

sfe sind voll ernsten patriotischen Sinnes und treiben die Män- 
ner vorwärts (Agnes, Adeline, Alitta, Thusnelda). Keines- 
wegs sind die Frauen nur Nebenfiguren in konventionellen 
Liebesepisoden. Das Wesen des Weibes als das Thema der 
eigentlichen Frauentragödie (Hebbel) versucht der Dichter in 
„Don Juan und Faust" zu erschließen oder es soll sich offen* 
baren in Sprüchen wie diesen: „Das Weib sieht tief, der Mann 
sieht weit, Euch ist die Welt das Herz, Uns ist das Herz die 
Welt" (Agnes). Verstand, Geist, Hingebung, Herzenstakt hat 
Orabbe am Weibe höher geschätzt, als Schönheit und Sinn- 
lichkeit. Sie haben den Frieden. 

Freundschaft und Liebe haben dem Dichter manch zartes 
und inniges Wort entlockt und sein scharfer Verstand hat 
manche feine Wendung geprägt, in der der metaphysische 
Hintergrund seines Dichtens erscheint. Seit Oothland macht 
er sich Gedanken über den Tod (Heinrich, Hannibal, Varus) 
und der Seelenwanderungsgedanke taucht nicht nur in „Na- 
nette und Marie" sondern auch in „Hannibal" auf. Man sollte 
den Dichter nicht nur in seiner bestialischen Wildheit und in 
seinen wüsten Roheiten völlig charakterisiert glauben. Freilich 
ein rücksichtsloser Wahrheitssinn stachelt ihn wider Schein und 
Heuchelei, er selbst gibt sich auch ganz ungeschminkt mit 
allen seinen Unarten, ja er zeigt geflissentlich seine ordinären 
Manieren, weil er selbst die Verstellungskünste, die jeder aus 
Klugheit oder aus gesellschaftlichem Taktgefühl übt, absicht- 
lich verschmäht. Für seine Zeit ging er im rücksichtslosen 
Naturalismus wohl am weitesten, besonders in den Volkstypen, 
die er nach ihren animalischen Trieben (Ernährungs- und 
Fortpflanzungstrieb) differenziert, aber ein konsequenter Na- 
turalist war er nicht, dazu war sein Temperament zu stark. 
Er macht sich über seine eigenen Figuren lustig, um den Kri- 
tikern zuvorzukommen, kann Anspielungen und Einfälle nicht 
unterdrücken, gießt moderne Schlaglichter aus. Häufung viel 
unverarbeiteten Stoffes, Kapriciöses sind die Angriffspunkte 
seiner Kritiker. 



"■ TTM » 



- 399 - 

HL 

Betrachtet man den Bau eines Grabbeschen Dramas, so 
wird man finden, daß er kurz abtut, wobei sonst der Dramatiker 
am längsten verweilt und daß er eingehend behandelt, was 
sonst als Nebensache gilt Das einheitliche Interesse wird 
zersplittert. Was ist ihm die Handlung, was eine geordnete 
Intrigue? Das äußere Gerüst baut er eilfertig aus von fiber- 
all hergetragenem Material. Da ist nichts Eigenes, nichts 
Selbständiges, nichts das auch nur interessierte. 

Es ist eben die Technik des romantischen Dramas, die 
Rahmenerzählung, die der Dichter nicht zu seinem Heile vor- 
fand und die ihn in seiner Neigung noch bestärkte, die Per- 
sonen seiner Dramen zu Organen seiner persönlichen Stim- 
mungen, zu Gefäßen seiner Einfälle zu machen. So ist z. B. 
der Dialog zwischen Don Juan und Leporello angefüllt mit 
Reminiszenzen an Shelley oder Byron und auch Faust fällt 
öfters aus der Rolle, wenn er zu philosophieren beginnt. 
Anfangs sind diese Anspielungen im Geiste der Romantik lite- 
rarischer Art, dann spielen im Sinne der jungdeutschen Schule 
politische Tendenzen hinein. Der Aufbau der Szenen erweist 
sich z. T. als äußerst einfach und primitiv, ein bloßes An- 
einanderreihn einzelner Tatsachen, andrerseits aber kommt es 
wieder zu außerordentlichen Häufungen: Grabbe wiederholt die 
Haupthandlung durch ein Schattenspiel im Hintergrund, hält 
hinter die tragischen Figuren den Hohlspiegel der Satire oder 
legt vornehm ein komisches Intermezzo (vgl. Don Juan und 
Faust) . 

Grabbe schiebt die entlegensten Dinge zusammen und kom- 
biniert die wildesten Gegensätze. Böse Kritiker sprechen hier 
wohl von Grabbes Taschenspielerkünsten. Neben einfacher 
thematischer Verwebung kombiniert Grabbe auch riesige kom- 
plizierte kontrapunktische Gebilde. Ober einer mächtigen Do- 
minante schwebt ein Reigen von Melodien voll greller Ober- 
gänge und mit schrillen Dissonanzen. 



— 400 — 

Im einzelnen seien folgende Beobachtungen vermerkt« Eine 
große Rolle spielt der Monolog und zwar als direkte Cha- 
rakteristik. Technisch kann die Schwäche der dramatischen 
Entwicklung nicht schlagender gekennzeichnet werden. Den 
Idealisten in Gothland kann Orabbe nur durch dieses Mittel 
zeichnen, in den Hohenstaufen war für Heinrich den Löwen nur 
durch Monologe Raum zu schaffen. Don Juan und Paust treffen 
kaum zusammen, jeder erhält drei Monologe zugewiesen: der 
große Faustmonolog ist ein Auf- und Niederwogen von Gründen; 
bestimmter ist der letzte Faustmonolog in These, Gegen- 
gründe und Entschluß zu gliedern. In den letzten Dramen wiegen 
die kurzen Apostrophen vor. Das Beiseitesprechen ist ein 
bequemer Notbehelf, den Grabbe aber gerade in den letzten 
Dramen durchaus nicht verschmäht. Die Szene beginnt mit 
dem Monolog oder dem Dialog häufig als Auftakt oder sie 
schließt auch wohl so ab. 

Nur maskierte Monologe sind aber auch eine Reihe von 
Dialogen, in der subordinierte nebensächliche Personen der 
Hauptfigur den Anstoß geben sich zu äußern: hierhin etwa 
gehören die Depeschen und Adjutanten im Napoleon, die Boten- 
szenen in „Marius und Sulla" und namentlich in „Hannibal" . 
Selten ist eine ruhige Entwicklung, eine organische Kontinui- 
tät. Es ist ein Nacheinander von verschiedenen Momenten mit 
oft merkwürdigen Obergängen. Oft zerreißt ein Gefühlserguß 
Zusammenhang und objektive Form, eine Zwischenfrage gibt 
ein neues Moment, der Fragende sieht etwas und an diesen 
Gegenstand knüpft sich eine neue Wendung (Napoleon-Hanni- 
bal). Worte werden aufgegriffen und schärfer pointiert, einer 
fängt die Worte des andern auf und ergänzt sie in seinem 
Sinne. Kontrast, Antithese, Doppelsinn in verdoppelter und 
verdreifachter Form ist überhaupt ein Charakteristikum Grab- 
bes, besonders häufig ist dementsprechend der Zankdia- 
1 o g, doch beachte man, wie sich auch hier das Tempo lin- 
dert: Berdoa und Holm, Don Juan und Faust, Hannibal und 
Scipio. Selten ist der modifizierende Dialog, z. B. Constanze 



- 401 — 

sucht vergeblich den starren Sinn Heinrichs zu lindern. Duelle 
und Zweikämpfe bedingen eine besondere Figur des Dialogs. 
Die nicht sehr häufigen Ensembleszenen (in Oothland vier, in 
Don Juan und Paust drei) enthalten häufig Aneinanderreihun- 
gen, doch hat Orabbe auch eine Reihe von Szenen gebaut, in 
denen die Parteien kunstvoll gegenübergestellt werden, in 
denen eine mächtige Steigerung zu erkennen und eine wenn 
auch nicht äußerliche Einheit zu bewundern.*) (Reichstags- 
szenen — Senatsszenen) . Wir haben Gerichtsszenen (Oothland — 
Hermann), Gastmähler, Gelage (Don Juan und Faust, Scherz, 
Satire) , (das Saufen spielt in allen Dramen seine Rolle) , Ball- 
feste (Don Juan und Faust — Napoleon), Umzüge, Reichs- 
tage, Volksszenen, Schlachten. 

Manche technische Besonderheiten sind die äußere Aus- 
prägung, innerer Eigentümlichkeiten des Dichters. So gibt sich 
die tief im Charakter des Dichters wurzelnde Tücke kund in 
heimlichem Beiseitesprechen (Hermannsschlacht), in den den 
Sinn der Worte verändernden Echos (Don Juan) , in den Hetz- 
reden Berdoas. Wie ein Meuchelmörder mit Triumphgeheul 
über den Ahnungslosen aus dem Versteck heraus herstürzt, 
so wiegt der Mohr mit einem beruhigenden: er ward nicht ge- 
tutet, Oothland ein, um sodann schadenfroh zu frohlocken: er 
ward geschlachtet. 



*) Vortrefflich gebaut ist z. B. in den Hohenstaufen diejenige Szene, 
die den Abfall des Löwen schildert: in mächtiger Sehnsucht erwartet der 
Kaiser seinen Freund; da trifft den ganz Unvorbereiteten die mit schroffer 
Ehrlichkeit vorgebrachte Absage des Löwen. Der Kaiser muß zunächst das 
Ungeheure zu fassen suchen« Dann aber flammt es aus innerstem Grunde 
auf wie urgeborne Glut der Entrüstung und der nach starken äußeren Aus- 
druck ringende Dichter läßt die leidenschaftliche Erregung hinübergreifen 
auf des Kaisers Umgebung wie eine riesenhaft umsichgreifende alles ver- 
zehrende Feuersbrunst Nach diesem ebenso jähen wie ungeheuren An- 
schwellen, das so überaus charakteristisch für die Grabbesche Kunst ist, nach 
diesem entfesselten Orkan und Tumult der Leidenschaften ertönt nun be- 
sänftigend und lösend eine Stimme des Himmels, senkt sich wie eine Frie- 
denstaube das versöhnende Wort der Beatrice. Die rauhen Helden beschwich- 
tigt ein zartes Weib. 

Nieten, Chr. D. Onbbe. 26 



— 402 - 

Eigentümlich für die Form sind noch eingestreute Lieder,. 
Parallelszenen, schroffe Obergange, Kontraste, wenn z. B. nach, 
dem Bannspruch Beatrice erscheint, wenn Hannibal auf einem, 
ländlichen Fest den Tod des Bruders erfährt, (vgl. die 
Senatsszenen und Reichstage). — Immer sind natürlich nur 
einzelne Figuren ausgeführt: zuweilen besteht eine Rolle nur 
aus ganz wenig Worten oder sie fällt ganz unter den Tisch, 
(Beatrice in Heinrich VI). In den ersten Stücken ist der 
Bau regulärer als in den späteren. Charakteristisch ist, daß. 
der Dichter überall die Zahl der Handlungen möglichst zu 
vermehren sucht, unter drei, vier Handlungen tut er's nicht. 

Die Exposition und die verschiedenen Schichten im Goth- 
land betrachteten wir früher. Der vierte Akt retardiert, in 
„Don Juan und Faust" liegt der Höhepunkt im dritten Akt. 
Eigentümlicher dem epischen Charakter entsprechend ist der 
Bau der historischen Dramen. Die Gegenmacht beginnt ge- 
wöhnlich das Spiel. Barbarossa wird in den beiden ersten 
Dramen im Unglück geschildert, im dritten kommt es zur 
Versöhnung, der vierte Akt retardiert und im fünften steht 
der Kaiser nach Niederwerfung des Löwen auf der Höhe. 
Heinrich VI. exponiert ähnlich wie Barbarossa, der Kaiser ist 
von Schwierigkeiten umringt, der zweite und dritte Akt sind 
ganz episodenhaft, der Höhepunkt fällt dicht vor den Schluß 
des Stückes. Hannibal beginnt mit der Spitze und fällt von 
da an, dabei verschlingen sich verschiedene Handlungen. Was 
gewöhnlich in den Hermannsdramen den Hauptinhalt aus- 
macht, verlegt Qrabbe in die Einleitung, in den einzelnen Tagen 
lassen sich aus dem Hin und Her einige Steigerungen wohl 
herauserkennen. Das historische Drama als Atmosphäre des 
Heros und rein zufälliges Tatsachenmaterial sind sich zu- 
nächst gegenübergestellt, aus der Verschmelzung von Cha- 
rakterentwicklung und scheinbar zufälligen äußern Bedin- 
gungen aber ergibt sich ein Orabbe eigentümliches Prinzip 
für das historische Drama. 



— 403 - 

Hat der historische Wirkllchkeits- und Wahrheitsshm 
Grabbe die beschränkte Form des an die Bühne gebundenen 
Dramas durchbrechen lassen, so bildet sich doch gegenüber 
der früheren Formlosigkeit ein neues Prinzip der Einheit 
immer mehr aus, sofern der Held in das Milieu eingeordnet 
wird, das erst mehr als nebensächliche Staffage, nach und 
nach immer mehr als beherrschender Untergrund, als geisti- 
ges Klima hervortritt. Zugleich hat Orabbe in der konzen- 
trierten Skizze eine ihm gemäße Stilform gefunden (ungefähr 
gleichzeitig mit ihrer Einführung im Russischen durch Gogol 
und Turgeniew). 

Wie Grabbe dazu kam, lehrt die Betrachtung, daß male- 
rische Impressionen vielfach die Ausgangspunkte sind. Er 
sieht seine Gestalten in einer sprechenden Gebärde von einem 
stimmungsvollen Hintergrund sich abhebend: man vergleiche 
Gothland in der Gruft, Napoleon am Gestade von Elba, Hanni- 
bal auf der Flucht und Abschied nehmend, Hermanns Traum 
im Teutoburger Walde. Oder man beachte die brieflichen 
Bekenntnisse: ich schwebe wie ein Geier über der Peters- 
kuppe, die See braust wie eines Löwen Mähne, mein Herz 
ist grün vor Wald, das brennende Carthago spiegelt sich in 
Scipios Brustharnisch u. a. Ein solches höchst malerisches 
Motiv enthält oft den Keim zu einem ganzen Drama. 

Diese genialen Tiefblicke gehören zweifellos zu den größten 
Momenten der Kunst Grabbes. In den Augen seiner Helden 
leuchtet's grundlos wie von wundervollen Visionen. Man ver- 
gleiche die plötzlich aufzuckenden Inspirationen bei den Hohen- 
staufenkaisern: ganz impulsiv taucht aus der Tiefe der Ge- 
danke an die Heirat mit der Constanze (in Wahrheit ein Ge- 
danke so betrügerisch wie auch in seinen Konsequenzen ein 
tragisches Trugbild). Ein mächtig geschauter Tyrannentypus 
liegt der Hagenauer Reichstagsszene zugrunde, in den Augen 
des besiegten Löwen spiegelt sich ein großartiges Zukunfts- 
bild von siegreich das Meer erfüllenden Flotten. Alle diese 

Helden haben das Glück der Phantasten, in großen vorahnen- 

26* 



— 404 — 

den Momenten ihre Seele erglühen zu fühlen von einem trun- 
kenen Rausch, einer heiligen Begeisterung. Freilich verführt 
diese Kraft genialer durchdringender Intuition, wie sie dem 
Dichter in begnadeten Augenblicken aufleuchtete, auch wieder 
zu unstatthaften Anteoipierungen wie wir dies beim Goth- 
land und in „Don Juan und Faust" aufzeigten. 

Diese große Anschauung, diese Impressionsfähigkeit ist 
vielleicht Orabbes höchstes Glück, die Gabe, die des Dichters 
Genialität am unverkennbarsten zeichnet. Aber freilich nicht 
immer löst es sich aus stärkster und mächtigster Spannung 
mit höchster Notwendigkeit, wie der Blitz aus Gewitterwolken 
(Heine schien Grabbe wegen dieser Plötzlichkeiten, dieser 
Naturlaute nur mit Shakespeare zu vergleichen). Zuweilen ist 
es auch nur wie ein Wetterleuchten: „ein Blitzen ferner großer 
Vorstellung, aber die zitternden Hände greifen vergebens da- 
nach."*) Und dann kommt es auch wohl vor, daß dem 
wilden Wunsch keine Wirklichkeit mehr entspricht, dann wird 
die äußere Begleitform dennoch nachgeahmt: die großspurige 
Gebärde, die renommistische Pose der Kraft, die Grimasse. 
Oder bis zum formenden Wort geht zuviel von dem Ursprung- 
liehen Eindruck verloren. Und dann fehlt die Lust, nach so 
festtäglichen Erlebnissen die Arbeit des Alltags zu verrichten, 
nach kurzem dionysischen Rausch an die nüchtern stäüge 
Tätigkeit planvollen Au9gestaltens heranzutreten. So findet man 
massenhaft unverarbeiteten Stoff und so haben wir unmittel- 
bar nach einer übermächtigen genialen Offenbarung den Ein- 
druck von Ohnmacht und Schwäche. Diese Grenze ist an- 
gedeutet in den Worten Gutzkows: „das sind die alten groß- 
artigen Bilder, von denen zwei Drittel immer so originell 
sind, und das letzte Drittel immer so steif irdisch und un- 
gelenk." 



*) Von hier aus erklärt sich Orabbes Alkoholismus am eisten. 



— 405 — 
IV. 

Der „Wildgeruch", eine wahnwitzig ausschweifende Ein- 
bildungskraft und als disharmonischer Ausklang eines unge- 
lösten Konfliktes das Bizarre, Burleske, Groteske bezeichnen 
nach dreifacher Hinsicht die Eigenart der Bildersprache schon 
des Oothlanddichters. 

Grabbes aufgeregte Phantasie wird bedringt von Bestien 
und Menschenfratzen. Die Wildheit Grabbes charakterisiert sich 
am besten durch die Menagerie grotesker Tiergestalten, 
aus der seine Bildersprache hervorgegangen.*) Der Mensch 
ist eine Bestie. In Gothlands Brust sind Tiger eingebettet, 
Berdoa ist ein Hyäne, Faust ist ein Raubtier, er schnaubt 
nach Liebe wie ein Tiger nach Blut. In dem Monolog des 
vierten Aktes heißt es in bekanntem Umschlag der Stimmung 
abscheulich und geschmacklos: „Muß man denn zerreißen, Um 
zu genießen? Glaub's fast, wegen der Verdauung. Ganze 
Stücke schmecken schlecht, Mir sagen's Seer und Magen. 44 

Wenn Grabbe Heinrich den Löwen schildert: die Augen 
funkelnd und lechzend, die Adern geschwollen, so sieht er einen 
wirklichen Löwen in natura vor sich. Die geschwollenen Adern 
und Stirnfalten schildert Grabbe überhaupt öfters (Gothland, 
Hannibal). Die Hyäne erscheint in Gothland und Hannibal; 
der Teutoburgerwald gleicht dem Au erstier; Rom ist eine 
Wölfin; Bär und Dachs gehören der Bildniswelt Leporellos 
an. Von weiteren Tierbildern sind vorherrschend: die Katze 
(Don Juan und Faust, Gothland) ; Hund (Briefe — Don Juan 
und Faust — Heinrich, Hannibal, Thusnelda: Nachkläffer im 
Busen) — die Ratte (fehlt kaum in irgend einem Drama) — 
weiter Pavian, Frosch, Stacheligel — sehr bezeichnend das 

*) Ich möchte zu diesen Tierbildern zwei Analogien anführen: einmal 
verweise ich auf die ungefügen riesenhaften Bestien der germanischen My- 
thologie oder auf die grotesken Tiergebilde, etwa den Frosch oder die Kröte, 
im deutschen Märchen. — Sodann ist es von Henrik Ibsen bekannt, daß er 
sich durch eigentümlich verschnörkelte Tiergestalten auf seinem Schreibtisch 
inspiriert fühlte. Sein Bildhauer Rubek wittert überall hinter den Menschen- 
gestalten] unheimliche Tierfratzen. 



- 406 - 

Krokodil in „Nannette und Marie" und „Aschenbrödel". Goth- 
Iand und Berdoa kämpfen wie Tiger und Schlange. Und jenem 
Bereich a giftgesch wollenen schleichenden Gewänne gehören fer- 
ner an Viper, Natter, Hydra, Drache (Anna als Abgottschlange, 
die Hydra des Zweifels, im Hannibal die afrikanische Natter 
mit tausend Schweifen, das Gift ein wimmelndes Schlangen- 
nest). Neben der Gestaltung riesiger Raubtierbestien gefällt 
sich Grabbes seltsame, pathologisch wirkende Phantasie in der 
Darstellung winziger grotesker Tierfiguren: Wurm, Würm- 
chen, Milbe, Cicade, Mücke (Beatrice), Fliege (Leporello im 
Gletscher; im Hannibal beschmutzten die Stutzer die Gassen 
wie die Fliegen die Teller und der Despot wird mit einer 
Schnecke verglichen, einer der Dreimänner mit einer meckern- 
den Ziege) , Schmetterlinge — Walfische« — Aus der geflügelten 
Welt ist allbeherrschend der Aar, der Adler, der sich maje- 
stätisch im Äther wiegt, dem Adlerfittich gleicht die schim- 
mernde Abendröte; drei Riesenadlern gleich durchzucken die 
Empfindungen die Menge der Lombarden, es wiederholt sich das 
Wortspiel von dem gerupften Gefieder bei den Römerdramen. Wir 
treffen noch Sperber, Habicht, wilde Hühner. — »Der Mensch 
trägt Adler in dem Haupt und steckt mit seinen Füßen in dem 
Kote." Der Mensch ist eine Bestie, ein Klumpen Dreck, 
ein Gebild aus Materie, und andrerseits ist er Geist mit einer 
Seele aus der Sternenwelt. Der Naturalist hat den Roman- 
tiker nicht ertöten können; in diesem persönlichen und histo- 
rischem Zwiespalt liegt Grabbes Tragik. So schaut er sehn- 
süchtig nach den Sternen; das Firmament mit seinem 
leuchtenden Schmuck prunkt in seiner Bildersprache, insbeson- 
dere aber reizen ihn in bizarrer Mystik die wunderlichen For- 
men, die grellfarbigen Bilder jener Region, die er wie ein Natur- 
mensch mit abergläubischem Schauer atavistisch betrachtet. 
Die Dioskuren als Freundschaftssymbol erscheinen in Goth- 
land, Hohenstaufen, Hannibal, die Geliebte ist ein Stern, der 
Himmel ist ein umgestürzter Becher, ein dunkles Auge, der 
Aether eine Kuppe. Neben Regen- und Himmelsbogen er- 



— 407 — 

scheinen mit Vorliebe Kometen und Meteore (Anna, Hohen- 
stauten). Ins unendliche All einzutauchen ist berauschende Lust! 

Hier haben wir Kardinalfälle für die Orabbesche Bizar- 
rerie, die in einer Art geistiger Herrschgier die fernsten Ex- 
treme, das Erhabene und Gemeine, in einer Wendung zu be- 
wältigen trachtet. Die Sphärenkreise werden zu ringelnden 
Würmern; des Zertrümmerers Luther Feder wird mit einem 
Kometenschweif verglichen, bei der Milchstraße denken Marius 
und Tancred an eine graue Locke, der Ritter weiß noch einen 
realistischeren Vergleich. Das Himmelsgewölbe ist eine rie- 
sige Schädelhöhle: die Menschen wie zirpende Grillen darin; 
wie Läuse darauf. Hannibal sagt: sie schneidern den Himmel 
zu einem Kleid, daß die Sterne darin ersticken und die Don- 
ner engbrüstig werden; er zaust die Alpen an dem Schnee- 
haar, daß die Flocken stieben. — Ebenso charakteristisch sind 
die Wetterbilder: wie oft läßt der Schmetterer es gewittern 
in Blitzen und Donnern, wie oft sendet er den Wetterstrahl 
aus der Wetterwolke. 

Dreierlei soll damit gleichzeitig charakterisiert werden: 
das einer Naturgewalt gleich Großartige, der schneidendste 
Kontrast, sowie auch das* Unerhört-Plötzliche, das Verblüffend- 
Unvermutete. 

Mit lyrischer Gefühlsinbrunst sich in die N a t u r zu ver- 
senken, war dem Dichter besonders in den ersten Dramen nicht 
gegeben. Wir finden die Berge seiner Heimat wieder; dann 
sucht er das Kolossale auf: die Erdtitanen der Alpen, einstür- 
zende Welten, aufkochende Meere. In „Don Juan und Faust" 
flammt der Eichwald, Faust gleicht der innerlich glühenden 
Tanne; der aufrauschende Baum im Frühling ist Sinnbild der 
erwachenden Liebe. Der Teutoburger Wald rauscht in dem 
letzten Drama mit knorrig eigentümlichen Bildern, die Römer 
fassen die Berge an den Schöpfen, wie die Bewohner an 
den Haarbüschen. Wie denn in den letzten Dramen öfters an 
die Umgebung angeknüpft wird: Napoleon auf Elba vergleicht 
die Muscheln mit den Thronen. 



— 408 — 

• 

Die Größe und Wildheit der Phantasie Grabbes zeichnet 
sich in seinen Bildern ab. Die Kühnheit seiner Einfälle, die 
Originalität seiner Ideenassociationen erhebt ihn zu einem 
einzigartigen Phänomen der deutschen Literatur. Aber gar 
zu leicht entartet diese ausschweifende Einbildungskraft in das 
Seltsame, Bizarre, Barocke, zu Gebilden, in denen eine dem 
Zügel der Urteilskraft entflohene Willkür ihr launenhaftes 
Spiel treibt. Diese Vermischung heterogenster Dinge, dieses 
Beieinander des Auseinanderliegenden erinnert an Traum- 
erlebnisse, aber hier sind es noch die Träume im Fieberrausch 
bis zu alkoholischen Delirien. Auch die grandioseste Phan- 
tasie muß durch ein inneres Gesetz, durch Formen, die wir 
noch so frei auffassen mögen, gebändigt werden. Bei Grabbe 
aber ist das Gefühl nicht ruhig genug, die Anschauung nicht 
immer gesättigt, um Bilder von sinnlicher Leuchtkraft und 
von plastischer Fülle zeugen zu können. Der schöpferische 
Prozeß in seiner Originalität, aber auch in seinen Mängeln, 
wird uns offenbar: die fieberhafte Unruhe im Tempo, das 
Unregelmäßige in der Färbung, das Paradoxe. Man hat auf 
die innere Kälte bei allem Feuer der Einbildungskraft auf- 
merksam gemacht, man vermißt das Naive und fühlt selbst 
in der Extase das Bewußte heraus. So findet man bei einer 
Analyse der Bildersprache viel Ergrübeltes, das von der glühen- 
den Phantasie nicht restlos verzehrt wird, Reflektiertes, das 
die Anschauung tötet oder lähmt, Neigung zu verstandes- 
mäßiger Allegorie. Hier liegt ein Fehler in der geistigen 
Organisation. 

Der Vergleich findet das Gemeinsame, der Witz sucht das 
Verschiedene. Letztere psychische Kraft überwiegt bei weitem. 
Im Gothland mit seiner tropischen Bilderfülle haben wir noch 
ausgeführte Vergleiche. In „Don Juan und Faust" ist es 
mehr wie ein blitzartiges Aufleuchten, ein elektrisches Auf- 
glühn. Wenn anfangs die Vergleiche weit hergeholt werden, 
wenn Fremdartiges, Fernabliegendes bevorzugt wird, so ist 
später mehr das Bemühn erkennbar, aus der Umgebung und 



— 409 — 

der persönlichen Sphäre Bilder zu schöpfen. Im Hannibal 
werden die Bilder konziser und diese Kondensierung, sofern 
sich Mäßigung und Kraft hier paaren, darf sicher als Vorzug 
oder Fortschritt gelten, dagegen ist die Hermannsschlacht noch 
karger. Kontrast und Paradoxie ist Grundtypus auch in der 
Bildersprache. Man findet die unmöglichsten Zusammenstel- 
lungen: Milchstraße und Katze im Regenwetter, Stecknadel 
und Riegel des Alls, Sandbänke und der Augen Tiefen, star- 
rende Lanzen und sich sträubende Haare der Großmutter. 
Die Bildersprache strotzt von Hyperbeln (tausend Sonnen, 
tausend Abendröten, zehntausend Tiger) , Lakonismen und 
Zynismen: Halsweh, Kinderlehre (Berdoa) — Andenken 
(im Sinne von kleinen Punier); Sulla und Hannibal verstehn 
sich darauf vor allem. Sehr originelle Vergleiche finden die 
Landsknechte: der Vesuv ist ein Topf voll heißen Wassers; 
des Kaisers Lächeln ist wie ein Funke, der ins Wasser fällt. 
— Streben nach Originalität verrät sich auch in der Art, die 
Vergleiche auszugestalten, indem Grabbe ein Motiv in einer 
Reihe von Bildern entfaltet und fortsetzt oder mehrere Bilder 
zusammenschiebt oder eine Kette von Mittelgliedern ausläßt. 
(Alitta stickt mit ihren Tränen.) Ein andres Charakteristikum 
ist die weitgehende Beseelung, sozusagen die Anthro- 
pomorphisierung der Dinge. Unheimliche 
Physiognomien, Fratzen, Grimassen bedrängen Grabbes 
von Grauen und Entsetzen erfülltes Gemüt: im Gothland ist 
der Himmel ein zähnefletschendes Tier, der Satan bäumt sich 
auf und wirft seinen Schatten durch die Nacht und heult im 
Sturm; die Jahreszeiten sind wie ein Fratzenschneiden. Europa 
ist ein kindisch gewordener Greis; das Schwert schämt sich 
der Nacktheit. Wälder sind Wimpern eines Gottes. Eine 
Schlucht ist wie ein steingrobes Leichenhemd. Hannibals Ant- 
litz ist eine arbeitende Waffenschmiede; auch Fausts Herz ist 
eine Schmiede; und andrerseits wird in einem großartigen 
Bild die sturmzerfetzte Flotte verglichen mit einem durch- 
grämten wütenden Gesicht. — Grabbes Menschen schreien 



- 410 — 

oder sie flüstern mit heiserer Stimme, sie grinsen, winseln. 
Unter den mimischen Gebärden haben wir rasche, 
plötzliche Bewegungen: ein Sichzusammenrollen, -krümmen, 
-ringeln. Kein Tätigkeitsausdrnck ist hier so bezeichnend als: 
zucken.*) 

Von den rhetorischen Figuren werden am 
wirksamsten Ironie und Kontrast entsprechend verwendet: 
Litotes (nicht getötet, geschlachtet) und Paradoxen mit Kli- 
max (Todschlag und freie Liebe) Antithese, Interrogatio, Ite- 
ratio. Weiter Anaphora (vorlaßt die Schiffe, wie sie euch 
verlassen) öfters Parallelismus, seltener Stichomythie. 

V. 

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten und Widersprüchen 
in Grabbes Schicksal, daß er erst in der letzten Zeit der 
Dicadence seinen eigenen Stil fand. Reminiszenzen und ab- 
strakt abgegriffene Wendungen überwuchern zunächst das Eigene 
in sprachlicher Hinsicht, neben aparten Wendungen 
papierne Phrasen. „Wie dort am Strande die Muscheln wären 
all die morschen Throne, samt den Amphibien, die darin vege- 
tieren, hinweggeschwemmf — so beginnt Napoleon auf Elba, 
dann aber fährt er fort „und schöner als jenes Abendrot be- 
grüßten wir vielleicht die Aurora einer jungen Zeit" A n - 
t i k e s Vorbild ist teilweise im Gothland zu erkennen, <z. B. im 
Eingang in den zusammengesetzten Adjektiven wie sturmge- 
schlagen, sturmzerfetzt, knochenbrechend ; lateinischen Stil 
sucht er in den Rö mertragödien zu treffen. Die biblische 
Sprache regt ihn an in ihrer Kraft, aber auch in Symmetrie 



*) Diese mimischen Äußerungen scheinen mir besonders wichtig für 
die Beurteilung von Grabbes Schauspielerplänen. Erklärt sich z. B. jenes 
Zurücksinken in Apathie und Oleichgiltigkeit nach der Raserei leidenschaft- 
licher Ausbrüche nur aus Grabbes nervösem Temperament oder nicht aus 
dem Eindruck, den große Schauspieler in Berlin oder Leipzig auf den jungen 
Schauspieleraspiranten machten? Ist z. B. für den Gothland eine bestimmte 
Richtung der damaligen Schauspielkunst maßgebend? Hier liegt ein Problem, 
dem noch nachzugehen wäre. 



- 411 — 

und Parallelismus des Satzbaus. Grundform ist Nebeneinander- 
stellung von Hauptsätzen ohne Verbindungsworte. Indem 
auch eine äußerlich erscheinende Statistik ein inneres Sprach- 
gesetz wiederspiegelt, suchen wir in einigen Einzelheiten Cha- 
rakteristisches zu treffen. Ein umfangreiches Satzgefüge mit 
vielen Nebensätzen ist selten: in der 1. Szene des Gothland 
finden wir z. B. drei Relativsätze, abhängig von einem Neben- 
satz, wovon wieder andre abhängig sind. Sonst werden 
Nebensätze schon in Don Juan und Faust und Hohenstaufen 
selten — es findet sich kaum ein Bedingungssatz mit „wenn". 
Eine gewisse Gliederung, eine Art Parallelismus der Form 
ist angedeutet durch Wiederholung derselben Wendungen. In« 
Version ist häufig. Das Tempo wird charakterisiert durch 
häufige Interjektionen, am Anfang der Rede; massenhaft sind 
die Ausrufimgszeichen und auch die Fragezeichen z. B. in 
Don Juan und Faust in der 1. Szene über 150 ! und etwa 
40 ? und erst in „Napoleon" und „Hannibal" und „Hermann"! 
Laconismen und Abbreviaturen finden sich schon in den ersten 
Dramen verstreut, seit Napoleon werden sie herrschend. Schon 
die Faustmonologe sind voll von Aposiopesen, in Napoleon 
(z. B. in den Schlachtenszenen) fällt öfters nicht nur das Ver- 
bum, sondern auch das Fragewort aus. Nicht nur die Neben- 
sätze werden in den spätem Dramen möglichst verdrängt, 
sondern auch in den Hauptsätzen wird gespart, z. B. an 
Partikeln, ja an Adjektiven. Dagegen hegt Grabbe besonders 
später eine Vorliebe für mehrfach aneinandergereihte ParÜ- 
zipialformen. Massenhafte Ellipsen finden sich seit Hannibal, 
Imperativformen treten stark hervor. Das pronominale Sub- 
jekt fehlt häufig (vgl. Alitta und Brasidas). Manchmal steht 
an Stelle eines ganzen Satzes nur ein Substantivum, das über- 
haupt auch in der Bildersprache den Vorrang vor dem Ver- 
bum hat. — Was den Wortschatz angeht, so liefern die spätem 
Dramen mehr Eigentümliches als die erstem. Es sind meist 
naturalistische Ausdrücke aus einer niedern Schicht, Realis- 
men aus der Umgangssprache, Provinzialismen, die uns hier 



- 412 — 

angehn, auch einige Fremdworte z. B. caressieren, Renommist; 
solche finden sich massenhaft z. T. wenigstens mit Ab* 
sieht verwandt in Napoleon. Am französischen Hof ist das 
apropos so geläufig, wie das „halter" in der östreichischea 
Schenkszene. Aus einer Reihe von Anreden oder Personen- 
bezeichnungen, die oft einem Schimpfwörterkatalog entnommen 
zu sein scheinen, möge zunächst der derbe Realismus Grabbes 
hervorleuchten: Schurke, Maulheld, Patron, Knirps, Schnauz- 
bart, Kerl, Geschmeiß, Gelbschnabel, Bockgesicht, Kröte, 
Suppenschluckervolk, Maulaffe, Blasebalg, Fettwanst, Bär- 
gersubjekt (anachronistisch im Hannibal), Speichellecker, 
Landesvertftufer, Katzdnverttufer, Rechtsverdreher, Federfuch- 
ser, Pfuscher, Leutebetrüger, Fasler, Phrasenmacher, Calum- 
niatoren, Schmachtlappen, Hemdsfad eh, Harzkerle. Die letzten 
Ausdrücke stammen aus der Hermannsschlacht, in welcher 
der Dichter längst auf Ästhetische Schönheit der Diktion ver- 
zichtet hat und nur die westfälische Natur reden lassen will; 
dergestalt sind auch die Wendungen: Kotten, Blink, Fallholz, 
Grütze, Wehrmann, Werwolf, Gerichtsmark, Stapelage, Ver- 
backe, Kerbstock, Krippenreiter, Schnappsack, Blachfeld, fuß- 
lange Zasern, Verba wie schnuppen, spetzifikatzen, ver- 
quackeln; dazwischen lateinische Ausdrücke; bemerkenswert 
sind die Wortzusammensetzungen (zur Ersparung von Ad- 
jektiven), z. B. Essenszeit, Schlüsselgeklirr, Laubgegitter. Zeit- 
weilige Lieblingsausdrücke kehren gleichzeitig in Briefen und 
Stücken wieder: z. B. Dreck, toll im Napoleon. Noch einige 
auffallendere Wendungen: kalmüsern, knuspern, schnattern, 
krepieren, scharmutzieren, verzappeln, nachplappern, kalfatern, 
Gose, Kelleresel, Spektakel, Irrwisch, Geschmeiß, Buckel, 
Hemdschlapp. — Wir haben schon früher hingewiesen auf die 
Anachronismen namentlich in den späteren Stücken. Am bun- 
testen ist wohl die Sprache in Napoleon: französische Wen* 
düngen, militärische Phrasen, jüdischer und Berliner Dialekt. 
Die Neigung zu Fremdwörtern und die Manier, zu unter- 
streichen (wie es übrigens auch Müllner liebte) hat ihm Im- 
mermann abgewöhnt. 



— 413 — 



VI. 



Von den elf großen Stücken Orabbes sind vier ganz in 
Prosa geschrieben, von den sieben übrigen Stücken ist außer 
der ersten Fassung des „Marius und Sulla" nur der Ootbland 
frei von Prosa. Don Juan und Faust, Barbarossa, Nannette 
und Marie enthalten nur ein- oder zweimal Prosa, die aber 
größeren Um/ang einnimmt in „Marius und Sulla", in Hein- 
rich VI., wo unter 15 Szenen 9 ungebundene Rede enthalten; 
endlich ist in „Aschenbrödel" die Mischung derartig, daß 
die Prosa nur da von der Poesie abgelöst wird, wo der Dich- 
ter uns ins Feenland der Liebe führt Die ursprünglichen 
Jamben des Hannibal verschwanden zuletzt ganz, teils auf den 
äußern Anstoß Immermanns hin, teils weil die Fortbildung 
des eigenen Stils innerlich dazu nötigte. — Merkwürdig ist 
es, wie sich der hyperkatalektische Vers immer mehr durch- 
setzt: man vergleiche „Gothland" und „Hohenstaufen" oder 
die erste und die zweite Fassung von „Marius und Sulla". 
Reime finden sich zahlreich, besonders? in den vier ersten 
Akten des „Gothland", auch in „Heinrich VI.", weniger in „Bar- 
barossa"; in „Don Juan und Faust" nur in den Gnomenszenen, 
Ähnlich wie in den Feenszenen des „Aschenbrödel", in denen 
Jamben und Trochäen mit Daktylen wechseln. Trochäen sind 
sehr selten. Anapäste finden sich mit Vorliebe in den letzten 
Füßen. — Daß die dejtsche Sprache sozusagen von selbst 
jambt, dafür bieten die verschiedenen Fassungen charakte- 
ristische Belege. Einige Beispiele: 

Granius sagt in der ersten Fassung von Marius und Sulla 

und in der zweiten: 

Ach, auch ich genösse gern Ach, wie gerne genösse auch 

ich 
Der süßen Wohltat, aber der süßen Wohlthat, aber 

Mein junges Haupt ist viel zu mein junges, der Gefahren un- 
ängstlich, gewohntes Haupt ist viel zu 

ängstlich. 



— 414 - 



Oder aus Hannibal: 

Bote: Feldherr, küssen will 

ich sie. 

Hannibal: Nein, 

Sie werden leicht schmutzig. 



Oder: Phönix: 
Wahr, Turnu, wahr 
Gift ist ein letzter 
Trost, 

Ich will ihn dir und 
mir verwahren 
Negerhäuptling: 
Dann 

O dann ist es in 
guten Händen. 



Manuskript: 
Wahr, Mohr, 
Gift ist ein letzter 
Trost, 
Und darum will ich 
sicherer als du 
Vermagst, es Dir 
und mir verwahren. 
Und - 

Turnu: Du? O, da 
isfs in den besten 
Händen. 



Und wie, 

Herr, ich küsse die Füße, 

Nein, sie werden leicht 

schmutzig. 

Druck: 
Wahr, Mohr, 
Gift ist ein letzter 
Trost 



Merkwürdig ist, daß Grabbe, gerade am Anfang der Mode 
folgend, weil Shakespeare und Schiller, danach Müllner ihn 
bestimmte, Gesetz und Form der gebundenen Rede anerkannte, 
während eine wilderregte fessellose Prosa viel eher der adä- 
quate Ausdruck für den Sturm und Drang seiner Seele ge- 
wesen wäre. Vielfach gibt der Dichter nur abgehackte Prosa, 
und das Streben nach charakteristischer Ausdrucksform über- 
wiegt den Sinn für Melos und Musik, für Harmonie und 
Symmetrie. Wo er schwungvoller wird, bei gereimten Stellen, 
wird auch der Bau sorgfältiger. Hiatus ist selten. Versetzte 
Betonung ist bei ihm wie bei andern Jambendichtern nament- 
lich anfangs des Verses häufig. Unbetontes e steht in der He- 
bung, z. B. Gothland III 1 unter 1200 Versen etwa 20 mal 
(lebendiges Bltndwerkfe, Oder). In Waiblingen ist die zweite 
Silbe betont und unbetont. Apokopen, Synkopen, Syna- 
löphe verunzierten die Sprache oft. Grabbe skandiert Bestie und 



— 415 - 

Bestie, Italien und Italien. Gewöhnlich behält das i in Octa- 
vio seine Selbständigkeit wie auch bei Marius, doch kommt 
auch vor „Octävlö irrt sich 44 . Stärker fallen Unregelmäßig- 
keiten bei den Enjambements und Verseinschnitten auf. Nir- 
gends ist die Form so zerrissen, wie im Gothland, wo den 
abgeschlossenen Versen zahlreiche derartige gegenüberstehn, 
in denen mit Durchbrechung des Taktteiles vor der letzten 
oder nach der ersten Silbe sich Verseinschnitt befindet. Man 
darf Grabbes Verse mit denen Lessings vergleichen, nicht 
mit denen Schillers oder Goethes. Die Schicksalsdramatiker 
hatten eine Vorliebe für den Trochäus, ihre Metrik war weit 
bunter und mannigfaltiger als die Grabbes. Gerade im Goth- 
land hat er ihre Künste noch am meisten nachgeahmt, z. B. 
in den gereimten Parallelstrophen. Stichomythien nach antikem 
Muster sind selten. Schon der auseinandergerissene Dialog 
trieb zur Prosa hin. Bemerkenswert ist, daß Grabbe in den 
Hamletszenen den Vers auch da beibehielt, wo andre Ober- 
setzer Prosa anwandten. Aber mit der Prosa sprengte der 
unruhige Geist die letzten Banden, wiewohl auch in der un- 
gebundenen Rede der letzten Dramen ein eigener Rhythmus 
vernommen werden mag. 



Anhang 



(Literaturnachweise und Nachlese) 



L Kapitel 

Aus J. H. Schickedanz: das Fürstentum 
Lippe-Detmold 1830. Detmold hatte 15 470 Seelen. 
„Der Bauer ist arbeitsam, bieder und treu, sehr mildtätig, 
etwas verschlossen, heftig im Zorn, ehrbegierig, freiheit- 
liebend, ziemlich abergläubig und vergnügungssüchtig. Bier und 
Branntewein dürfen ihm nicht fehlen, besonders bei den so- 
genannten Döhnten d. i. Gastereien, bei welcher jeder Gast 
dem Gastgeber ein Geschenk machen muß." — 

Die geistreiche, ungemein tätige Fürstin Pauline muß 
nach Schickedanz in der Tat eine vortreffliche Herrscherin 
gewesen sein. Ihre Gesinnung erhellt aus der Rede, mit 
der sie am 3. Juli 1820 die Regierung in die Hände ihres 
Sohnes niederlegte. 1807 reiste sie zum Heile ihres Landes 
nach Paris, wo sie durch ihre Einsicht und Geistesgegen- 
wart dem Kaiser Achtung einflößte und die Freundschaft 
Josefinens gewann. 

1808 nahm Lippe teil an dem Kriege, den Bonaparte mit 
Österreich führte, auch mußte es 1812 Kontingente stellen zu 
dem Zug nach Rußland; nach der Leipziger Schlacht halfen 
auch die Lipper den Usurpator in Frankreich niederwerfen, 
doch waren sie bei Leipzig und Waterloo nicht dabei. So 
mag Grabbe von seinen Klienten manche Kriegserinnerungen 
erfahren haben. 

Die Biographie von Ziegler (Hamburg 1855) 
ist zwar später abgefaßt als die D u 1 1 e r s (1838) , aber sie ist 
letzterer doch unbedingt vorzuziehn, weil Ziegler die Detmolder 
Verhältnisse und Grabbe persönlich kannte. Ziegler vermittelt 

. 27* 



- 420 - 

die lebendigste Anschauung: man erkennt gerade aus den 
Anekdaten Grabbe, wie er leibt und lebt, den Tonfall seiner 
Stimme, Bewegung und Gebärde. Ohne Kritik ist aber auch 
diese Quelle nicht zu verwenden: Ziegler ist der Advokat der 
Familie Grabbe, doch nicht mit so aufdringlicher Tendenz 
wie Duller als Anwalt die Sache der Frau Lucie Grabbe 
führt. Doch hat Duller in dem Jugendkapitel sehr gut den 
Eigensinn Grabbes charakterisiert. Darin liegt in der 
Tat der ganze Grabbe: seine innere Selbständigkeit, die tiefe 
Unterströmung, wie auch die Eigenbrödeld und eiskalte Bi- 
zarrerie, die abnorme Verkehrung und Perversion. 

Ober dieFamilieOrabbe hatGrisebach nach Detmol- 
der Nachrichten Ziegler ergänzt und Artur Ploch hat aus den 
Lippeschen Intelligenzblättern und nach dem historisch-geo- 
graphischen Handbuch des Fürstentums Lippe von v. Coelln 
(1829) noch einige Feststellungen hinzugefügt. 

Geschmack und Lebensrichtung des altenOrabbe läßt 
sich nach einigen Briefen (s. Detmolder Landesbibliothek), die 
zum Teil hier erstmalig benutzt werden, mehr aber noch aus 
dem brieflichen Verkehr des Sohnes feststellen: er wird den 
empfänglichen Sohn eingeführt haben in die oft merkwürdigen 
Schicksale der Zuchthausinsassen und in die politischen Zeit- 
läufe. Das Empire umfaßte die ganze Nordküste Deutsch- 
lands, um die Kontinentalsperre durchzuführen. Doch war 
das Napoleonische Drama schon ausgespielt, ehe Grabbe zu 
bewußterem Leben reifte. 

Zu dem zeitgeschichtlichen Hintergrund 
vgl. auch Treitschkes Deutsche Geschichte. Zu dem „myste- 
riösen Gerede" von Grabbes unehelicher Geburt 
zitiere ich Treitschke S. 155, 195: Prinz Louis Ferdinand 
vergeudete in wildem Genuß und in tollen Abenteuern seine 
Kraft — wie oft ist Prinz Louis Ferdinand früh morgens 
nach durchschwärmter Nacht aus seiner westfälischen Gar- 
nison nach Detmold herübergeritten, um mit seinem alten 
Lehrer den Sophokles zu lesen. 



— 421 - 

Grabbevon Geburt aus pathologisch: vgl. 
die Studie von Carl Anton Piper (München 1898. Munckers 
Forschungen Bd. VIII), wo aber das positive Moment ganz 
ausgelassen wird, sodaß ein ärgerliches Zerrbild herauskommt. 
Und doch sollte gerade der Arzt viel eher entschuldigen, denn 
als Moralist verurteilen. — Viel mehr Achtung vor Grabbes 
Persönlichkeit beweist Ebstein, der Grabbes Krankheits- 
geschichte beschrieb (1906) : Grabbe war ein Psychopath d. h. 
er gehört zu denjenigen, deren Erkrankung eine endogene ist, 
die von Geburt eine fehlerhafte Anlage des Nervensystems 
aufweisen. Was ihm als moralischer Defekt, als Charakter- 
schwäche, als romantische Grille usw. ausgelegt wird, ist in 
Wirklichkeit zurückzuführen auf die hereditäre Belastung seines 
Nerven- und Seelenlebens. Auf dieser psychologischen Basis 
entwickelte sich bei Grabbe ein chronischer Alkoholismus; 
es ist in der Folge oft schwer, die krankhaften Züge des 
Hereditariers und des Alkoholikers auseinanderzuhalten. 

Eine „unheimliohe Gewalt" drang in den Ent- 
wicklungsjahren zerstörend ein. Diese Selbstzerstörung raubte 
Grabbe nicht nur die Möglichkeit, ein glücklicher Mensch zu 
werden, worüber er später die bitterste Reue um das Un- 
wiederbringliche empfand (vgl. Don Juan und Faust) ; sie be- 
deutet auch viel für die äußere Art und Erscheinung seiner 
Poesie, in der sich das Unfruchtbare einer zerstörten Natur, 
die einsame Abgeschlossenheit, die bizarre Kälte, das ge- 
ringe Erleben abdrückt. Zu früh dringt in die dämmernden 
Tiefen des Unterbewußtseins das grelle Licht der Aufklärung, 
ein scharfer Verstand tötet das instinktive Gefühlsleben. Da- 
her sieht Grabbe in der Liebe nur das Gemeine, oder er ver- 
steigt sich in phantastischen Ausschweifungen (Gothland); 
daher der greisenhafte Zug, das Apathische, das schon Gott- 
schall feststellte und das neuerdings von P. Friedrich wieder 
so stark betont ist. — 

Die Briefe des jungen Grabbe zeigen, wie 
wucherndes Rankenwerk den echten Kern einer unge- 



— 422 — 

heitren Sehnsucht umschlingt oder sich von ihm nährt Was 
die innera Stürme der Entwicklungsjahre angeht, so ist es 
zu bedauern, daß die Biographen wohl von den hierher sich 
erklärenden Abnormitäten (Vorliebe für unreifes Obst u. a.) 
viel zu reden wissen, aber nicht von den heftigen religiösen 
Kämpfen und Erschütterunigen. Und doch gehört es zu den 
Merkmalen der Pubertätsperiode, daß mit der Pein des er- 
wachenden Sinnesdranges Gewissensnot und tiefbohrende 
Grübeleien sich regen. Die religiösen Ängste des Sohnes 
einer streng und engbtbelgläubigen Mutter, wie der Zynismus 
Berdoas erfüllen den Gothland als Ausdruck von Grabbes 
Entwicklungsjahren. 

Grabbes Konfirmationsspruch (26. Mai 1816) 
lautet (vgl. E. Ebstein): 

Erfülle mich mit wahrer Reu 

Wenn ich dich Gott betrübe. 

Gib, daß ich alles Böse scheu, 

Und stets das Gute liebe. 

Laß mich doch nicht, Herr, meine Pflicht 

Mit Vorschrift je verletzen. 

Der Seele Heil, mein bestes Teil, 

Laß mich mit Würden schätzen. 

Ober Grabbes Lehrer, insbesondere Falkmann 
vgl. Ludwig Merckel in seinen Memorabilien aus Freiiigraths 
Jugendzeit: „Aus der Küsterschule des lieben Herrn Bege- 
mann traten wir beide in das Gymnasium, welches sich in 
dem ehemaligen, nun längst abgebrochenen Kloster der grauen 
Schwestern auf der Schülerstraße befand. Falkmann war ein 
ausgezeichneter Lehrer. Mit den Aufsätzen nahm er es in 
jeder Hinsicht äußerst genau, suchte uns zugleich durch ge- 
naue Anweisungen und strenge Anforderungen an die größte 
Ordnung und Sauberkeit zu gewöhnen. Ein „gut", „fleißig", 
„löblich" galt als eine hohe Ehre." — Zeugnisse Grabbes 
teilt Grisebach mit. Falkmann war auch der Erzieher der 



— 423 — 

Fürstensöhne, die die Göttinger Universität besuchten (Schicke- 
danz) . 

S. 11: Diese physischen Berauschungen wachsen her- 
aus, sind nur eine Steigerung eines übermächtigen Dranges 
nach einer mehr seelischen oder geistigen Trunkenheit 

Worin wird die Privatlektüre des jungen 
G r a b b e bestanden haben? (vgl. auch seine Briefe) Er las 
geschichtliche Werke: Sueton und namentlich Plutarch als 
Quelle für Marius und Sulla, wohl auch altnordische Ge- 
schichte (die „Heimskringla" regte den Gothland an), Nie- 
buhrs römische Geschichte erschien damals und das große 
Werk Johannes v. Müllers. Tasso las er in der Ursprache, 
auch geographische Schilderungen (Blumenthal, Beiträge zur 
Kenntnis Grabbes 1875 S. 17) • Zeitschriften, Romane, Dramen, 
alles zog er ohne Auswahl in den Kreis seines Interesses. 
Also etwa: Tiecks Phantasus, Grimms Märchen, E. T. A. Hoff- 
manns Spukgeschichten, Lieder von Arndt, Körner, Rückert, 
von dramatischen Werken die Stürmer und Dränger, Kleist, 
den Faust von Goethe (1809), Klingemann (1815), Marlowe 
(1818), Z. Werners 24. Februar, Müllners Schuld, Oehlen- 
schlägers Correggio, Grillparzers Ahnfrau u. a. 



IL Kapitel 

Ostern 1820 bezog Grabbe die Universität Leipzig. Ein 
Nekrolog läßt ihn zwar schon vorher als braunlockigen kräf- 
tigen Jüngling („Ich habe dich gekannt als Jüngling, braun 
und kräftig gingst dem Knaben du vorüber" sang Freilig- 
rath) die Universität Göttingen besuchen. Aber diese Be- 
hauptung wird widerlegt durch die Briefe des alten Grabbe 
betr. Timon und Perikles von Shakespeare, datiert vom 7. Mai 
1819. Auch Duller und Ziegler wissen nichts von Göttingen, 
und Grabbe schreibt einmal: in Leipzig soll es wohlfeiler 
sein als in Göttingen. 



— 424 - 

Leipzig, Oktober 1820 wurde der Sieger der Leip- 
ziger Schlacht, Fürst Schwarzenberg beerdigt (Morgenblatt, 
November) . 

Grabbes Briefe wimmeln von Komödienmotiven 
und parodistischen Elementen, die Briefe an die Eltern sind 
von Piper, P. Friedrich überscharf kritisiert, obwohl Orabbe 
auch an seine Freunde in derselben Art schreibt (vgl. die neu 
aufgefundenen Briefe an Oustorff oder Orabbes Bemerkungen 
in seinen Briefen an Kettembeil, an Immermann 10. XII. 
1834.) 

„Trinke Kaffee Mutter", das scheint eine Erin- 
nerung an die Kontinentalsperre zu sein, die die armen Leute 
um die einfachsten Gemißmittel brachte. Ob dafür die Rumflasche 
nicht öfters Ersatz bringen mußte? — doch verweise ich auch 
auf Schickedanz S. 139, wo es von den vielfach lächerlichen 
Reglementierungen der vormundschaftlichen Regierung während 
der Jugend Friedrich Wilhelm Leopolds heißt: Sie untersagte 
den Unterthanen auf dem Lande das Kaffeetrinken 

Grabbe und die Burschenschaft: Es zeigt 
sich hier freilich neben dem Eigensinn auch der eigene Sinn, 
der nach den echten Realitäten sucht. Übrigens mag ihn auch 
nicht zum wenigsten die Keuschheitsverpflichtung von der 
burschenschäftlichen Bewegung fortgeführt haben, vgl. auch die 
parodistischen Bemerkungen in der Entstehungsgeschichte der 
Hermannsschlacht: ein paar altdeutsche Jünglinge als Folie 
mit der Grotenburg im Hintergrund, einen ungesäuerten Pfann- 
küchen auf dem Kopf, oder der Entwurf „ein „Jüngling tritt 
ins Leben" (Grisebach IV, XLVIII: ein Jüngling, schwarz 
rot gold um die Brust, einen schwarzen ungesäuerten Pfann- 
kuchen auf dem Kopf, Liebe und Vaterland im Maul), ein 
ganz ähnliches Thema wurde von Nibergall aufgenommen. — 
Grabbes Erleben ist ziemlich gering und beschränkt sich auf 
Kneipe und Volksfest und andrerseits auf die Theatereindrücke 
massiver Art, in denen seine innern Träume zu heißem far- 
bigen Leben gerinnen, (vgl. Morgenblatt Oktober 1826, Jerr- 



- 425 - 

manns Engagement, Gerhards Olynth und Sophronia, vgL 
auch Scherz, Satire, Ironie). 

Vielleicht war die Einsamkeit gewählt als Inkubations- 
zeit des Genies, denn wer etwas leisten will, muß sich iso- 
lieren. War der Genosse der Leipziger Zeit Kettemi) eil? 

Philosoph Pittschaft der „Unaufhaltsame", Morgenblatt 
Mai 1823. 

Berlin : Das literarische Milieu: Morgenblatt (z. B. 
Juni 1823), Freimütiger, Gesellschafter, Abendzeitung, — der 
Freimütige bekämpfte die Höllenbreughelei im Drama, vgl. 
1823, Juni (über Heines Almansor). 

Grabbes Leben: vgl. besonders die Briefe an Kettembeil. 

Laubes Charakteristiken 1835 — das Schreiben an den 
Kronprinzen abgedruckt bei Grisebach, der auch über Grab- 
bes Genossen, die Stätte ihres Verkehrs manches berichtigt 
und ergänzt hat; von KOchy hat es Grisebach, der es dann 
Ebstein erzählt hat, daß Grabbe sich damals eine geschlecht- 
liche Infektion holte, die dten Keim zu dauerndem Siechtum 
legte; in dieser Beziehung ist ein Brief Roberts bemerkens- 
wert, aus dem auch hervorgeht, daß Grabbe damals schon 
als Nihilist galt: „Vielleicht haben Sie die Ansicht der Nihi- 
lität jeder Anstrengung, die ich in abstracto für die einzig 
richtige halte, aufgegeben. Leider zeigt uns aber die tägliche 
Erfahrung, wie wir hier weder in noch von abstractis leben 
und wie selbst das V — bei der Müller notwendig zur Exi- 
stenz gehört." 

Die Berliner Genossen; vgl. auch A. Ploch 
21 ff.; auch seinen Aufsatz in der Nationalzeitung, 1. Novbr. 
1903, insbesondere Grabbe und sein Verhältnis zu Gubitz be- 
treffend. Gubitz Erinnerungen 2. Bd. 253 ff. — Heine: de 
l'AUemagne Memoiren. U echtritz: Briefe. Köchy: Briefe 
auf der Detmolder Landesbibliothek. Sehr interessante Briefe 
zwischen Grabbe und dem witzig burschikosen Gustorff hat 
Dr. Perger in der Zeitschrift für Bücherfreunde 1907 ver- 
öffentlicht. — Gustorff warnt den Dichter, sich seinem „mise- 



- 426 - 

rabeln Argwohn" hinzugeben. Auch hat Perger eine Zeich- 
nung des Dachkammer poeten von Herbert Konig (auf Grund 
von Erzählungen Köchys später entworfen) veröffentlicht: das 
ist das Milieu, das uns Qrabbes Bittschrift an den Kronprin- 
zen erklärt. — Der Volkswitz läßt das sittliche Leben der 
Sohauspieler in bedenklichem Lichte erscheinen (Morgenblatt 
März 1823). 

Besuch bei Jerrmann : Prutz' deutsches Museum 
1852 S. 188 f. Jerrmanns Gastspiel in Leipzig, vgl. Morgen- 
blatt Oktober 1821. 

Meine Datierung folgt Orisebach. Den braunen Rock trug 
Orabbe allerdings schon als Leipziger Student und auch die 
Einführung in die ästhetischen Zirkel würde dazu passen. 
Aber dagegen spricht der Tiecksohe Empfehlungsbrief und 
vor Beendigung des Oothland hat Orabbe wohl kaum an »Don 
Juan und Faust" gedacht. Auch hier drängt Orabbe zu den 
Realitäten und die tiefe Unterströmung, das echte Suchen, 
wird offenbar. 

Charakteristisch ist der Brief an Tieck: was Orabbe nach- 
zuerleben und nachzudichten vermag, das glaubt er auch dar- 
stellen zu können. Für Tieck vgl. Köpke: L. Tieck, Er- 
innerungen aus dem Leben des Dichters 1855, II, 4, 22 f. 
Über Tieck urteilt E. Devrient in der Geschichte der 
Schauspielkunst: Tieok war berühmt als dramatischer Vor- 
leser durch seinen charakteristischen Ausdruck, aber nicht ge- 
macht, in die Bühnenpraxis selber einzugreifen — übrigens 
klafft bei Tieck die Praxis seiner Dramen und die Theorie 
auseinander und in der Form hat er Orabbe nicht zu dessen 
Heil bestimmt. 



III. Kapitel 

Ober das Schicksalsdrama vgl. Jakob Minor (Wer- 
ner, Müllner, Houwald), besonders auch die Ergänzung im 
Grillparzer Jahrbuch. Zur Entstehung ist noch zu bemerken: nach 



— 427 - 

dem Rationalismus erwachte in der Romantik die tiefe dunkle 
geheimnisvolle Macht des Gefühls, dessen Korrelat nicht etwas 
Verstandesmäßig-abgeschlossenes, Begrenztes ist, sondern das 
grenzenlose AU und Universum. Religion ist das Gefühl un- 
bedingter Abhängigkeit. Daraus kann erwachsen mystische 
Versenkung, aber auch ein fatalistischer Schicksalsglaube. 
Dieses Schicksal gewinnt drückende Gestalt in der Erschei- 
nung Napoleons. Als die Kraft ursprünglichen Erlebens wich, 
flüchtete man sich in den Katholizismus. Furcht und Angst 
spielten sicher in der Frömmigkeit der Mutter Qrabbes ihre 
Rolle. 

Tiecks Abneigung gegen das Schicksalsdrama erhellte aus 
dessen „dramaturgischen Blättern". Im Morgenblatt heißt es 
(Februar 1825) von Tiecks Stellung: auch mit Schiller wird 
es Not haben. 

Vgl. Briefe: Herzog Theodor von Oothland: 
4. V. 1827. - 1. VI. 1827. - 25. VI. 1827. - 12. VII. 1827. - 
3. VIII. 1827. - 12. VIII. 1827. - 1. IX. 1827. - 23. IX. 
1827. - 28. XII. 1827. — 5. I. 1828. 

Karl Anton Piper, Grabbes Theodor 
von Oothland (Munckers Forschungen Bd. VIII. Mün- 
chen 1888) deckt zahlreiche Reminiszenzen auf, den Kern 
trifft der Ausspruch: „die starke Persönlichkeit kann keine noch 
so große Schuld untergraben, sie hat die Berechtigung zu exi- 
stieren, solange sie Raum hat sich zu betätigen" (rec. von Köthe 
in der dtsch. Literaturztg. 1901 No. 4) . Hier möchte ich zum 
Vergleich den Ausspruch von Nietzsche heranziehn: ein Ver- 
brecher, der mit einem gewissen düstern Ernst sein Schick- 
sal festhält und nicht seine Tat hinterdrein verleumdet, hat 
mehr Gesundheit der Seele. A. Ploch S. 108—122 fugt viele 
Parallelen hinzu besonders aus der Sturm- und Drangperiode. 

In der Anzeige im Gesellschafter, Dezem- 
ber 1827, wird die Phantastik in Grabbes Gothland verglichen 
mit der tropischen Üppigkeit in den Urwäldern Südamerikas. In 
der Tat sind nicht nur die Tragödien Schillers und Shakespeares 



— 428 — 

oder das Schicksalsdrama heranzuziehn, sondern sicher ist Grab- 
bes Einbildungskraft entzündet durch Indianergeschichten und 
Reisebeschreibungen; in dem Proletarierkind ist selbst etwas 
von dem Naturmenschen mit seinen wilden Instinkten und 
seinen abergläubischen Ängsten. Der Gothland würde 
wahrscheinlich Analogien finden in der Literatur halbroher 
Völker eines fremden Erdteils. 

Warmherzige ästhetische Würdigungen bringt Blumenthal 
in seiner Ausgabe. 

Scherz, Satire, Ironie, tiefere Bedeutung 

Briefe: 16. XII. 1822. - 18. III. 1822. - 4. V. 1827. — 
1. VI. 1827. - 25. VI. 1827. - 12. VII. 1827. - 3. VIII. 
1827. - 12. VIII. 1827. - 2. XII. 1827. 

P 1 o c h S. 150—163 (hebt besonders die Anklänge 
an Heine hervor) , vgl. Heines Elementargeister, Shake- 
speares Mädchen und Frauen, und vornehmlich Atta Troll. 

Kritiken: Blätter für literarische Unterhaltung 1828— 
Morgenblatt 1829 — Hallesche Literaturzeitung 1828. 

Morgenblatt Novbr. 1823 charakterisiert: augenblickliche 
Unterhaltung, oft nur leerer Zeitvertreib, Überraschung durch 
gehäufte Mannigfaltigkeit sind die Götzen, denen das Tiefe 
und Erhabene weichen muß. 

Einzelnes: Luise Brachmann: Morgenblatt Okto- 
ber, Freimütiger. Nigels Schicksale von Scott, Morgenblatt 
1822. Döring, Morgenblatt 1820 (humoristische Gedichte), 
Methusalem Müller (Freimütiger, Februar 1821) — 
Gleich (Morgenblatt, Januar 1821) . Gehe (Gustav Adolf 
Morgenblatt Novbr. 1820 — Dido Septbr. 1820) . Krug; 
von Nid da: Morgenbl. Mai 1821. — Kuhns Gedicht 
(Freimütiger Oktbr. 1820) . Franz Hörn: vgl. Mai Mor- 
genbl. 1823, wo Shakespeares nicht einmal Voltaires Tadel, 
sondern auch Franz Horns Lobpreis überlebt hat — ähnlich 
urteilte auch Heine. Schicksalstragödie Morgenbl. 
März 1821 — Klopstocks Messias ist eine Reminiszenz 



— 429 — 

an Professor Herling. Gerhards Sophronia vgl. Freimü- 
tiger Mai und Juni 1821 — Morgenblatt März 1821. E. De- 
vrient: dfes Charakterlustspiel war zurückgedrängt — statt 
dessen findet sich überraschende Verknüpfung, der Reiz der 
Situation, witzige Konversation, kein Leben. — Und Leben 
will Orabbe bringen statt papierener Literatur. 

Nannette und Marie 

Briefe: 4. V. 1827. — 1. VI. 1827. — 26. VI. 1827. 
23. IX. 1827. - 28. XII. 1827. - 

Tieck fand das Stück „allerliebst", vg. den Brief an Gu- 
storff (J. Perger in der Zeitschrift für Bücherfreunde 1907. 
Juli) . 

Marlus und Sulla 

Briefe: 29. VIII. 1823. - 1. VI. 1827. — 25. VI. 1827. 
— 12. VII. 1827. — 3. VIII. 1827. - 12. VIII. 1827. — 
1. IX. 1827. — 31. IX. 1827. 

Die erste Fassung befindet sich auf der Berliner 
Bibliothek; sie war während der Abfassung des Kapitels noch 
nirgends gedruckt, sodaß ich also aus dem Manuskript schöpfte; 
inzwischen ist das Fragment nicht nur von P. Friedrich her- 
ausgegeben, sondern im Sinne von Orabbes großer Anschauung 
vervollständigt worden. 



IV. Kapitel 

In Detmold — Der Audlteur 

Briefe (der Orisebachschen Ausgabe sind noch hinzuzu- 
fügen ein Brief an Goethe 26. 19. 27, zwei an Gubitz, einer 
an Kobbe) (in meiner Ausgabe bei Hesse abgedruckt). 

Grisebach teilt die Testimonia mit, aus Grabbes 
Amtstätigkeit teilt Ploch S. 193, 194 einige Notizen mit. 

Ober Westfalen findet sich gelegentlich eine Korrespon- 
denz in den Blättern z. B. Morgenblatt Juli 1829, August 
1830, November 1832, Abendzeitung Juni 1832. 



— 430 — 

Freiligrath widmete den Mtinen Christian Qottlieb 
Ciostermeiers 1829 eine Ode (vgl. die nette Freiligrafhaus- 
gabe von Schröder bei Hesse). 

Grabbes Kritiken: Abendzeitung 1828» 99*- 102, 
24—28. April (abgedruckt bei Ploeh), Frankfurter Iris 10. 
Mai 1829 (abgedruckt bei Grisebach) (beide in meiner Aus- 
gabe bei Hesse). 

Grabbe und Immermann: Reisejournal S. 33» 

Ober das Militär sagt Schickedanz: Es besteht aus 
einem Bataillon von 300 Mann, mit einem Oberstlieutenant, vier 
Hauptmännern, vier Premierlieutenants und fünf Sekonde- 
lieutenants. Auch sind dabei angestellt ein Auditeur, ein 
Kriegszahlmeister und ein Chirurg, doch werden davon nur 
150 Mann im Dienst behalten; der Landsturm, welcher jetzt 
aufgehört hat, bestand 1814 aus 11 677 Mann zu Fuß, von 
denen der zehnte Mann ein Feuergewfehr haffte. — Lippe» 
Detmold stellte als Bundeskontingent 691 Mann zum zehnten- 
Heerhaufen. 



V. Kapitel 

Don Juan und Faust 

Mein Programm Ostern 1906 habe ich gekürzt und auch 
umgearbeitet. 

Briefe: 29. VIII. 1823. — 4. V. 1827. — 16. V. 1827. — 
1. VI. 1827. - 28. VI. 1827. — 12; VII. 1827. — 3. VIII. 
1827. — 1. IX. 1827. — 23. IX. 1827. - 28. XI. 1827. — 
20. I. 1828. — 16. III. 1828. Ploch teilt noch einen Brief 
vom 7. III. 28 an Grabitz mit: Auf Mittensommer hoffe ich 
die Tragödie Don Juan und Faust in 5 Akten zu vollenden; 
sie ist der Schlußstein unseres Ideenkreises und wird bühnen- 
recht. 

Detaillierteres über die Entstehung noch in meiner Grabbe- 
Studie „Don Juan und Faust und Gothland", die für Max Kochs 



— 431 — 

Vierteljahrszeitschrift angenommen, aber noch nicht ge- 
druckt ist 

Die Selbstrezension Grabbes wird mitgeteilt bei 
Grisebach, vgl. noch A. Ploch a. a. O. S. 125 ff. verweist 
namentlich auf Maler Müllers Faust, von dem der Spohr - 
Bernardsche Operntext möglicherweise abhängig ist, ferner 
Roderich Warkenthin in Munckers Forschungen 
Bd. VIII. München 1898. Höher steht der feinsinnige Auf- 
satz von Ferdinand Josef Schneider in der Vos- 
sischen Zeitung 1006, Beilage 26 ff. (die Don Juansatire steht / 
neben der Fausthandlung voll immanenter Tragik, die Szenen, 
in denen Faust um Annas Liebe fleht, gehören zu den ele- 
mentarsten, die Grabbe geschrieben hat). 

Hier möchte ich ein besonders krasses Beispiel anführen 
über die verschiedene Wertung, die Grabbe an derselben Stelle 
erfährt. F. J. Schneider und P. Friedrich sind beides Be- 
urteiler, die Grabbe nicht ohne Kritik, aber mit hohem Inte- 
resse betrachten. Aber F. J. Schneider nennt denselben Faust- 
monolog ein prahlerisches Marktgeschrei, von dem P. Fried- 
rich in „Bühne und Welt" sagt: der Monolog auf dem Aven- 
tin ist eine so ungeheure Leistung, daß durch sie allein Grabbe 
für alle Zeit fortzuleben verdiente. 

A. Ploch vergleicht den Ritter mit dem schwarzen Ritter 
in Schillers „Jungfrau von Orleans". Dieser Reminis- 
zenz nachgehend möchte ich eine Einwirkung dieses Dramas, die 
ja für die gleichzeitig entstehenden H oh ens taufen ganz zweifel- 
los ist, auch für „Don Juan und Faust" für sehr möglich 
halten: ich verweise auf die Warnungen des schwarzen Rit- 
ters, auf das Opernhafte beider Stücke, ganz besonders aber 
auch auf die Verquickung phantastischer Motive mit echt 
menschlichen Werten: man vergleiche z. B. Johannas Gelübde- 
bruch inbezug auf den Wortlaut des Vertrages und hinsicht- 
lich seines allgemeinmenschlichen Gehalts, und man wird ähn- 
liche Unstimmigkeiten finden, wenn man die Lösung der 
Grabbeschen Fausttragödie betrachtet. 



— 432 — 

Die Puppenkomödien sind von mir durchforscht 

worden, doch war die Ausbeute, was direkte Abhängigkeit in 

Einzelheiten angeht, verhältnismäßig gering. Etwas anderes 

ist es jedoch mit dem innerlichen Abhängigkeitsverhältnis. 

(Scheibles Kloster.) 

Ober Orabbes philosophische Ansichten sind 
folgende Briefe zu vergleichen: 6. V. 29. — 3. VIII. 1830. 
- 16. I. 1835. - 3. V. 1835. - X. 35. - 2. VI. 1836. 

Das musikalische Pendant zur Fausttragödie kann man 
etwa in der Symphonie fantastique von B e r 1 i o z (1830) 
finden, in der der Opiumrausch eines liebestollen Musikers 
geschildert wird. 



VI. Kapitel 

Shakespearotnanie 

Briefe: s. Text. 

Noch mache, ich darauf aufmerksam, daß bei der Zu- 
rückdatierung der Schein einer Gegnerschaft gegen Tieck ver- 
hallt sein kann. Denn Tieck urteilt 1823 über Schiller weit 
günstiger, vgl. Abendzeitung. Dort heißt es von Wallen- 
stein: Seitdem ist Schiller immer mehr der Dichter der Nation 
geworden, unser Volk verlangt in der Poesie einen gewissen 
Ernst, Erhebung und Belehrung, Wiederkehr großer Gedanken 
und feierliche Situationen; die jungen Dichter ahmen Schiller 
nach, aber ohne seinen tiefen ernsten Geist; ihre Nachahmung 
besteht darin, links und rechts wie der Sämann mit vollen 
Händen Reflexionen und Sentenzen auszustreuen, späterhin 
haben sie diese kalte Redseligkeit mit dem Allegorienspiel des 
Calderon verbinden können, ohne dessen Begeisterung zu 
fühlen (hier kann man wohl „Don Juan und Faust" heran- 
ziehn) — seitdem haben Spuk, Laster und Bosheit verklärte 
Gespenster und Blutschuld und Schande in allen möglichen 
und unmöglichen Versarten dithyrambisch ihr wildes Wesen 
getrieben und das Haupt des edlen Volkssängers auf eine 



- 433 — 

Zeitlang mit dicken Nebeln und Irateentaiten WolXenbildem 
dicht verhüllt.* — Vgl. Brackmann, Grahbes Verhältnis zu 
Shakespeare. 

Die Hohenstairfen 

Briefe: 28. XI. 1827. - 20. I. 1828. - 31. VI«. 1828. 

— 16. I. 1829. - 18. IV. 1829. - 26. IV. 1829. - 13. V. 

1829. - 20. VIII. 1829. - 28. XL 1829. - 6. XII. 1829. — 
1. Tl. 1830. - 8. IV. 1830. — 5. V. 1830. - 14. VII. 1830. 

— 14. VIII. 1830. - 12. IX. 1830. - 2. X. 1830. - 8. XI. 

1830. — 24. III. 1831. — Barbarossas Erwacten. 
17. VII. 1831. 

Anzeige in den Lippeschen Intelligenzblättern Nr. 32 vom 
8. August 1829 (Barbarossa) — Literaturblatt zum Morgen- 
hlatt 1830 No. 74 — 1832 No. 47 (eine Welt zusammenge- 
drängt — in dem kleinen Bilde erkennen wir alle großen 
Zage der Geschichte wieder, unverstellt, voll Mark und Leben, 
aber der Stoff zu groß und unförmlich, das Interesse zu sehr ver- 
teilt, Heinrich der Löwe ist zu günstig dargestellt, sein Ver- 
rat ist ein schlechter Streich). 

Abendzeitung Nr. 79. 3. Oktober 1829 vgl. auch Grise- 
bach. Blätter für literarische Unterhaltung. 

Die Kritik über Barbarossa Mai 1831 ist von ,N cu* 
mann, in dessen Schriften (1835) diese Rezension wiederum ttf>- 
gedruckt wurde. Sie enthält sehr scharfe Bemerkungen: <Ue 
Phantasie treibe ihr einseitiges Spiel, während Vernunft und 
WiUeqskraft in Fesseln liegen, — der Löwe und der Kaiser sind 
£um Verwechseln ähnlich, — das Äußerliche muß zurücktreten 
yor dem Innern geistigen Kern). 

Ober Kaiser Heinrich VI. lautet die Kritik noch 
schärfer, mit Vorliebe das Wunderliche hervorhebend: das 
Gänse mehr eine humoristische Don-Quixoterie. >H einriebt VI. 
wird sogar «ine ekelhafte .Mißgeburt genannt. 

Ganz anders R. v. Gottschall: „hier pulsiert das echt 
deutsche Gemüt mit seinen oft unerklärlichen Rätseln und 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 28 



— 434 - 

Widersprüchen, mit seiner durch alle Gewalttätigkeit und 
Wildheit hindurchbrechenden Liebe und Zartheit" 

Dr. Meyen kommt in der literarischen Zeitung 1837 Nr. 11 
bei Gelegenheit von Raupachs Hohenstaufen au! Orabbe zu- 
rück, dessen Volksszenen z. B. beweisen, wie hoch Grabbe 
über Raupach zu stellen ist: „Grabbe ist überhaupt das Ta- 
lent, das am bedeutendsten für die neueste Fortbildung des 
deutschen Dramas dasteht, er trug alle Anlagen zu einem 
deutschen Shakespeare in sich, aus seiner Naturkraft hätte uns 
ein echt nationales Drama erwachsen können, aber man hat 
ihm keine Pflege angedeihen lassen, man hat ihn von sich 
gestoßen, hat ihn ins Grab sinken lassen, während Raupach 
sich Güter erschrieben hat. Das ist deutsche Anerkennung", 
vgl. auch Morgenblatt 1830 Dezember (Correspondenz aus Dres- 
den) . „Unter zehn aspirierenden Dichtern dramatisierten wenig- 
stens sieben den Untergang der letzten Hohenstaufen" — über 
Nienstedt, vgl. Morgenblatt 1827 No. 19, „ohne Wärme". 
„Barbarossa redet wie ein verliebter Schneider". — Blätter für 
literarische Unterhaltung Mai 1828, vgl. Gabriel, wo die 
Literatur der Hohenstaufendramen angeführt ist, ebenso bei 
W. Deetjen, Immermanns Friedrich IL 

Ober Raupach z. B. Morgenblatt 1830 März-Mai mit 
näherer Ausführung über die historische Tragödie — beach- 
tenswert auch Morgenblatt Mai 1832. Blumenthal in seiner 
Ausgabe hebt die Schönheiten sehr beredt hervor. 

Ober die historische Tragödie sagte T i e c k 
in der Abendzeitung 1823: die historische Tragödie kann keinen 
edleren und poetischeren Anhalt finden als das eigene Vater- 
land der große Moment in der Geschichte ist eine Er- 
scheinung, die sich nur dem Seherblick erschließt; geht in 
einem Dichter die Gesamtheit einer großen Geschichtsbegeben- 
heit auf, so wird er um so poetischer und um so größer 
sein, je näher er sich der Wahrheit hält. Schiller hätte den 
ganzen 30 jährigen Krieg bearbeiten sollen, wie Shakespeare. 

Ploch S. 148 bringt einige Anklänge an Schiller. 



— 435 — 

VII. Kapitel 
Napoleon 

Zu Grabbes politischen und ethischen Ansichten möchte ich 
zum Vergleich hinweisen auf Schiller, der in seinen 
„Briefen über die ästhetische Erziehung" an den Herzog Fried- 
rich Christian im Anschluß an die französische Revolution 
schreibt: „Politische und bürgerliche Freiheit bleibt immer und 
ewig das heiligste aller Güter, das würdigste Ziel aller Anstren- 
gungen und das große Zentrum aller Kultur, aber man wird 
diesen herrlichen Bau nur auf dem festen Grunde eines ver- 
edelten Charakters aufführen und man wird damit anfangen 
müssen, für die Verfassung Bürger zu erschaffen, ehe man 
den Bürgern eine Verfassung geben kann — ". 

Ober die Restaurationsliteratur, vgl. Literaturblatt zum 
Morgenblatt 1831. — 6. XII. 1829. — 31. 1. 1830. -8. IV. 1830. 
— 5. V. 1830. — 14. VII. 1830. - 4. VIII. 1830. — 12. IX. 
1830. — 2. X. 1830. — 10. XL 1830. — 12. I. 1831. — 15. 
I. 1831. — 26. L 1831. — 4. IL 1831. — 25. IL 1831. — 
24. III. 1831. — 11. IV. 1831. - 8. V. 1831. - 20. VII. 
1831. 

Kritik: 

Vg. auch Ploch a. a. O. 167 f. (vergleicht das Stück mit 
Dantons Tod). S. 210 Ankündigung. 

Ober die ungeheuer ausgedehnte Napoleonlitera- 
tur geben alle Jahrgänge der Blätter Auskunft (z. B. Leben 
Napoleons von Scott; zu moralisierend — Aufführungen in 
Paris und London, Morgenblatt 1830, Januar, April, Juni 
1831). 

Lux Robespierre Morgenblatt Juli 1830. Robe- 
spierre von Anicet lit. Bl. Juni 1833. 

Treitschke über Napoleons Charakter, der in der dich- 
terischen Phantasie Grabbes Analogien aufweist. „Sein Geist 
gemahnt an die tropische Natur. Wie diese mit unendlicher 

28* 



- 436 — 

Schöpferkraft alltäglich andere riesenhafte Wunderbildungen 
hervortreibt, um sie plötzlich in ungeheuren Orkanen und 
Erdbeben zu vernichten, so er, gewaltig im Schaffen, schreck- 
licher im Zerstören des kaum Begründeten." 

Treitschke sagt über das letzte krie- 
gerische Ringen: die kurzen sechs Tage des bel- 
gischen Peldzugs erwecken nicht nur die höchste • poli- 
tische und menschliche Teilnahm« durch den rastlosen 
mächtig aufsteigenden dramatischen Gang der Ereignisse, 
durch die Oberfälle grandioser Kämpfe, Leidenschalten 
und Schicksalswechsel, die sich in wenigen Stunden zu- 
sammendrängte, sie gewähren auch einen tiefen Einblick in 
die wunderbar vielgestaltige und ungleichmäßige Entwicklung 
der abendländischen Völker, denn drei grundverschiedene 
Epochen der europäischen Kriegsgeschichte traten in den 
Ebenen von Brabant gleichzeitig auf den Kampfplatz. Hier 
das 18. Jahrhundert, das Söldnerheer Altengtends, tlort 
das Zeitalter der Revolution, das Berufssoldatentum der -de- 
mokratischen Tyrannis, da endlich die neueste Zeit, das 
preußische Volk in Waffen 

S. 748: Der Kampf verlief wie eine planvoll gebaute Tra- 
gödie: zu Anfang eine einfache Verwicklung, dann gewaltige 
Spannung und Steigerung, zuletzt das Hereinbrechen des alles 
zermalmenden Schicksals; unter allen Schlachten der moder- 
nen Geschichte zeigt wohl nur die von Königgrätz in glei- 
chem Maße den Charakter eines vollendeten Kunstwerkes. 
Der letzte Ausgang hinterließ in der Welt darum den Bin- 
druck eines überzeugenden unabwendbaren Notwendigkeit 

Nie war Qrabbe der Vollendung näher (bei aller Tollheit 
ein gereifter Mann), da zerbrach ihn die Krankheit und die 
Ehe. 

Kosciuszko 

Briefe: 20. VII 1831. - 14. VIII. 1831. — 28. XII. 1831. 
- 20. II. 1832. - 9. VII. 1832. - 13. I. 1835. — 



- 437 — 

Ober die zahlreiche Polen- und Kosciuszko- 
literatur, vgl. die Blätter in diesen Jahren, Ut* Bl. Mai, 
Juni 1831. 

Ober Katharina IL vgl. Ancefait, Morgenbl. Novbr. 
1831. 



VIIL Kapitel 

Detmolder Aufenthalt 

( Tod Clostermeiers, vgl. die Ode von Freilig- 
rath. 

Zeitschrift für die elegante Veit 1830: Daa vorige Jahr 
starb zu Detmold der lippesche Archivrat Qostermeier (geb. 
zu Regensburg 17. Juni 1752), der sich um die ältere Ge- 
schichte und Geographie unsterbliche Verdienste erworben 
hat und u. a. viel zur Aufklärung des schwieriges Punktes, 
wo Hermann den Varus geschlagen, beigetragen hat 

Die Todesanzeige der Frau lautet: Am 28. 
Julius vollendete meine Mutter, die Archivrätin Qostermeier, 
ihr irdisches Daseyn. Gönnern und Freunden ist diese An- 
zeige gewidmet. 

Detmold, den 3ten August 1831. 

Louise Qostermeier. 

Grisebach bringt eine Reihe von Glossen, wie sie 
Grabbe gelegentlich hinwarf, einige dieser Reimereien 
hat er nicht gebracht. 

Um meine Schläfen schließt ein Kriegshut, 
Sich mit wunderbarem Heldenmut, 
Groß sind die Türken in der Schlacht, 
Was aber gegen Qrabb' in seiner Pracht. 
Hoch schwillt mein Herz voll Ehrbegier, 
Schon weiß ich zwei mal zwei ist vier, 
Und Theure ich versichre Dir 
Schon unterscheid ich mich und mir. 



- 433 - 

Hühneraugen, 

Wenig taugen, 

Doch Herr Blum spricht, 

Ei genieren Sie sich nicht. 

Wer nicht Zoten reißen kann 
Ist fürwahr kein Ehrenmann. 

Für'n Heller spielt die Heller gut, 

Fürn Qroßohm sie sich nicht ausgeben tu. 

War' ich nur ein Bolze, 
O ich wollt 9 se. 

Dem Kaiser wird das Geld geschickt, 
Der Mensch wird mehr und mehr verrückt 

Mein Magen kann keinen Käs vertragen 

Drum ist es in propont So ungesond (nicht entzifferbar!) 

Wenn die Vögel heiraten wollen 
So sollen sie Consense holen. 

Ein Nennwort ist ein Adjektiv, 
Das sage ich als Subjektiv. 

Mein Spukkasten ist zerbrochen, 
So wird Freveltat gerochen. 

Lag ich doch in Erdenkühle, 
Fühlt ich nicht des Lebens Schwüle. 

Gott ist groß, 

Aber der Teufel ist los. 

Uns verzehrt Krankheit und Vieh und Tod, 
Wir aber gehen auf im Morgenrot. 

Ne Ente ist ein glücklich Tier, 

Sie schnattert sehr und zählt nicht vier. 

Prächtig der große Turm, 
Unten kriecht der kleine Wurm. 

Absalom, Absalom, was tust du mir weh, 
Da ich dich ohne die Haarbeutel seh'. 



- 439 — 

Zahnweh ist gut, 
Noch besser der Mut 
Mit dem man's bekämpft, 
Und die Schmerzen dämpft 

O war' ich ein Hund, 
Was hätt' ich für*n Schlund. 

Nur tüchtig Bauch reißen, 
So kann ich stark scheißen. 

Simon und Judas sie gingen spazieren, 
Zwei haben so lange an einem geschwappt 
Bis voll war der Beutel, 
Und das Herze sehr eitel. 

Gratuliere, gratuliere, 
Wie die wilden Tiere. 
Und hast du viel Tücher, 

Hab ich viel Flüche. 

Brasilien, Brasilien, 
O Israel, Israelien. 

Willo ging Mit ihm Alwine Um sie blühte Strauch und 
Baum, Schmetterlinge flogen kosend, Um die zarten Schlüssel- 
blumen, Bienen sammelten sehr emsig Auf Maiglöckchen 
Honig ein Und die Sonnenstrahlen schlugen weiß und heiß 
wie Liebesarme Sich um dieses schöne Paar. 

Ober die Theaternot klagen die Blätter allgemein, 
vgl. Morgenblatt 1830 ff. 

Tieckjubiläum, Morgenblatt Juli 1833. 

Dezember wird von der Reise des Kronprinzen 
durch Rheinland und Westfalen berichtet. 

Faustianu und Don Juan* Literaturblatt zum 
Morgenblatt 1833 Nr. 47 f., 123 f. 



— 440 — 

IX. Kapitel 

Die Frankfurter £pisftdcf 

Briefe: vgl. Grisebach 122^-129. 

Der Besuch des Oralen Sehack! ein halbes 
Jahrhundert, Frankfurt 1889. Ober die literarischen 
Verhaltnisse vgl. MorganMatt z. B. 1829. Februar, 
Oktober, 1835 August, 1836 Mai. 



X. Kapitel 

Dflsseidorf 

Briefe: 130-257. 

Morgenblatt 1835 April. Zeitschrift für die elegante Welt 
1835. 

Literarische Zeitung 1839 49. 

Uechtritz „Blicke in das Kunst* und Künstlerleben". AI. 
Jung „Vorlesungen" 1842. Kühne, Porträts und Silhouetten 
II. 1843, Gutzkow, Beiträge. 

F. v. Koppen aus Neumanns Tagebuch. Ludm. Assing 
„Elise v. Ahlefeldt". Putlitz: Immermanfibuch. 

Burgmüller: neue Zeitschrift für Musik 1840- 

A. P 1 o e h hat das gesamte Material für die Beurteilung 
des Verhältnisses zwischen Orabbe uiid Immermann zusan»* 
mengestellt; wenn leb zu anderem Resultat komme, so liegt 
das daran, daß ich Orabbes Persönlichkeit höher einschätze. 

Auf der Detmolder Bibliothek finden sich drei 
Briefe von Lucie Orabbe an ihren Mann, sowie eine 
Neujahrskarte 1832, auch Briefe an den Kanzleirat Petri, die 
sich z. T. auf den Nachlaß ihres Vaters, z. T. aber auch 
auf den Ehestreit und die Frage der Ausschließung der Güter- 
gemeinschaft beziehn. 

Die drei Briefe der Frau Lucie an Grabbe sind von fol- 
gender Bemerkung begleitet: Correspondenz mit meinem 
Mann nach Düsseldorf. NB. Nach dem Ableben meines Man- 



- 441 - 

nes sind mir meine an Hui geschriebenen Briefe wieder zur 
gekommen bis auf den ersten Tom 23. November 1834, wel- 
chen ich nach Frankfurt gesandt hatte« Und da* war gerade 
der beste v*n allen. — Zu Luciens Beschwerde Ober Grab- 
bes Mutter vgl. Grabbös Brief 2. XL 1834. 



XL Kapitel 

Hannlbal 

Briete: 1834: 12. IV. - 2. XL — 15. XL - 18. XI. — 
28. XL - 10. XIL - 11. XII. — 14. XII. - 17. XII. — 
18. XIL - 22. XII. 

1835: 4. I. — 8. I. - 12. I - 14. I. — 16. I. — 22. I. 
27. I. — 31. 1. — 3. IL — 5. IL — 10. IL - 11. IL — 
17. II. - 20. IL - 20. IL — 0. 10. III. - 16. III. - 18. 
III. - 15. IV. - 3. V. - 8. V. - 13. V. - 13. VI. 

Kritiken: Kühne in der Zeitung für die elegante 
Welt 1836 Nr. 08, 00: Orabbes Hannibal ist ein großartiges 
Werk, es fehlt nicht viel, daß es ein ebenso schönes wie 
großartiges geworden war jetzt da sich mit den Hanni- 
bal seine Geburten einfacher und ruhiger zu gliedern be- 
ginnen, drängt sich uns sein großes Talent mit seinen Fort- 
schritten von neuem als eine seltene Erscheinung auf die 

ganze Tragödie fährt uns wie ein zuckender Schmerz durch 
die Seele." Was die Schilderung der Volksszenen angeht, so 
bemerkt Kühne: »geht das Individuelle verloren, so hebt sich das 
Zuständliche umsomehr im Volksgewirr heraus diese Hin- 
blicke auf die drei Welten, Afrika, Italien und Asien, sind 
in ihren Reflexen trefflich gehalten, nur glaub ich wiederstrebt 
diese Schilderung des Zuständlichen der Bühnendarstellung". 

Einen ähnlichen Einwandt erhebt Theodor Mundt in 
der Geschichte der alten und neuen Litaratur: »die dramatische 
Entwicklung leidet an dem Fehler, daß sie nur in die Ver- 



— 442 — 

hältnisse und nicht in die Charaktere hinein verlegt ist; u — aber 
hierzu machen wir die Einwendung, daß das Milieu dem hi- 
storischen Drama gerade die einzig mögliche Einheit verleiht, 
die durch zerstreute .Kulturschilderungen gerade zerstört 

wurde . „Die Zeichnung Hannibals bietet nur geniale Noten 

für den Schauspieler dar", ganz im Sinne moderner naturalistisch- 
impressionistischer Technik. Marggraff nennt Grabbe 
in der literarischen Zeitung 1835 Nr. 37 den Buonarotti der 
Tragödie; in der lakonischen Kürze, in den abgesonderten 

Tableaux liege etwas ungemein Großes , neuerdings hat 

P. Friedrich dieses Urteil korrigieren wollen, indem er 
Grabbe statt mit Michelangelo mit dem größenwahnsinnigen 
Belgier Wiertz, oder in seinen großen Momenten mit dem 
Historienmaler Rethel verglich. 

Die Kritik im Morgenblatt 1836 Nr. 51—52 
zitierten wir schon: das Undramatische wird hervorgehoben, 
das darin besteht, daß die Form immer epischer wird; in 
der Ironie, endlich darin daß die Personen wie Gefäße von 
Grabbes Einfällen sind. 

Blätter für literarische Unterhaltung 
1836 Mai 146—148: Hannibal ist ein erhabener Mensch vom 
reinstem Seelenadel, — die Figuren haben Glieder, die ko- 
lossal sind, aber oft der Bänder und Gelenke entbehren 
— — . Auch hier wird betont, daß Grabbe zu sehr die 
bloße Tatsache gibt, anstatt Gesinnung und Raisonnement 
, fast könnte man den Verfasser erkennen in Gutz- 
kow, der ähnlich in seinen Beiträgen kritisiert: auch 
hier wird vermißt das Steigen und Anschwellen des Stoffes, 
das blähende Fleisch, die Malerei der Motive, dann heißt es: 
„die Menschen sind nicht so, wie Grabbe sie schildert, selbst 
in den verzweifeltsten äußersten Lagen sind sie anders, sie 
sind immer noch etwas neben und außer der Tat." Daraus 
nun macht Artur Ploch in einer wahren Manie alle möglichen 
ungunstigen Äußerungen über Grabbe zusammenzutragen, 
etwas was Gutzkow sicher nicht gemeint hat, wenn er hinter 



- 443 — 

den Satz: die Menschen sind nicht so wie Orabbe sie schil- 
dert, einen abschließenden Punkt setzt Bei dieser Gelegen- 
heit sei auch der hauptsächlichste Vorwurf beleuchtet, den 
Ploch immerfort gegen Grabbe richtet: der Unwert der 
Grabbeschen Dramatik zeige sich schon darin, daß keines 
seiner Stücke sich den Bühnenverhältnissen anpasse. Dieser 
Maßstab ist aber nicht nur damals, sondern überhaupt für alle 

Zeiten ganz unzureichend , das Morgenblatt bemerkt 1830 

Januar: unter 20 dramatischen Werken in Deutschland ist nur 
eines darstellbar. Aber von Grabbes persönlichem Dichter- 
schicksal abgesehn, — wie haben andre Dichter und Kritiker 
damals über das Theater geurteilt? Die Klage über den 
Verfall des Theaters ist ganz allgemein, fragen wir nunTieck 
oder Köohy, oder die Blätter (z. B. Freimütiger 1827 Sep- 
tember) . 

Immermann läßt sich in einem Brief, (14. 6. 28) ver- 
nehmen: „Wie ist es möglich, daß uns eine nach dem Urteil 
aller Stimmfähigen ganz depravierte Anstalt über das Wesent- 
liche in der Kunst aufklären möchte? Nein, es ist wahrhaftig 
nicht die Zeit, daß die Dichter von der Bühne lernen, son- 
dern die Bühne soll wieder vom Dichter lernen." Immer- 
mann tröstet sich zuletzt mit dem Trost des Aristoteles, daß 
die Kraft der Tragödie bestehn bleibe auch ohne die Mittel 
der äußern Darstellung. Natürlich erhellt daraus nicht die 
durchgängige Richtigkeit von Grabbes Verhalten, in dem wie- 
der ein gutes Teil „barocker Starrsinn" ist. 

Immermanns Brief mitgeteilt von W. D e e t j e n in der 
Vossischen Zeitung. (Juni 1902.) 

Schierenberg im lippeschen Magazin 1835 hat die 
Anachronismen zusammengestellt, er sagt bez. Hannibals Tod: 
nach der Zerstörung Carthagos war Hannibal kein gefähr- 
licher Gegner mehr. 

Neuerdings ist besonders von R. M. Meyer der Wert der 
letzten Skizzen betont (Literaturgeschichte — Nation). 



— 444 — 

Aschenbrödel 

Briefe: 18. IV. 1829. - 20. IV. 1829. - 13. V. 1829. — 
1830. - 8. X. 1830. - 5. V. 1830. — 14. VII. 1830. 12. 
IX. 1830. - 2. X. 1830. - 15. I. 1831. - 30. IV. 1831. — 
12. IV. 1834. - 10. XII. 1834. - 22. XII. 1834. — 1& XII. 

1834. - 1. I. 1835. - 8. I. 1835. - 12. I. 1835. - 14. I. 

1835. - 31. I. 1835. - 5. II. 1835. - 20. II. 1835. — 23. IL 
1835. - 10. III. 1835. - 18. III. 1835. - 21. IV. 1835. — 
3. V. 1835. - 7. V. 1835. - 13. VI. 1835. - 19. VI. 1835. 

- 22. VI. 1835. - 26. VIII. 1835. 

Kritiken: Butter für literarische Unterhaltung 1836 
Mai 146—148 (es fefal't das lyrische Element, eine phantastische 
Welt, die Orabbe nicht lebendig machen konnte, und nackte 
Wirklichkeit heben sich in liebend gehässiger Umarmung auf 

— Isaak vortrefflich — tolle übermütige Spässe z. T. auch 
kompakt und unzart). 

Morgenblatt 1826 51, 52: Orabbe könnte unser erster 
Lustspieldichter sein, wenn er bühnenrecht wäre, wenn er 
seine phantastischen Ausschweifungen mit theatralischem Hu- 
mor vertauschte. 

Neuerdings hat Dr. Perger in der Zeitschrift für Bucher* 
freunde Juli 1907 eine genaue Vergleichung mit dem Opern- 
text durchgeführt. Die Handlung, insbesondere das Motiv des 
falschen Königs gehe auf Isouards Cendrillon (Paris 
1810), die eigentlichen Aschenbrödelszenen auf Perraulst zu- 
rück. Die ursprüngliche Fassung hat Orisebach z. T. mit- 
geteilt. Dr. Perger gibt a. a. O. eine ausführliche und sorg- 
same Zusammentellung der Unterschiede beider Fassungen. 



XII. Kapitel 
Hermannsschlacht 

Briefe 1835: 8. I. — 18. II. - 9. 10. III. - 30. III. — 
3. IV — 2 mal — 3. IV. — 5. I.V. — 3. V. — 14. ,V. - 
3. V. (IV.) - 6. VI. - 10. VI. - 13. VI. VI. - 



— 445 — 

26. VIII. - 25. IX. - X. — 22. XI. - 27. XI. 1836: 2. I. 

— 11. V. - 28. IL - 21. IV. — 24. IV. _ V. — 1. VII. 

— 3 mal - 20. VII. - 21. VII. 

L. Clostermeier schrieb am 28. III. 1835: Varus war ein 
edler unglücklicher Mann. — Hermann hingegen schlau, listig, 
verschlagen, kühn und unedel . . . 

Vg. auch literarische Blätter 1831 Januar (Herfest v. 
Klemm), Juni 1833 (Armin v. Schütz), B. Auerbach in Le- 
waids Europa 1838. — Kleist ist unübertrefflich in der ge- 
nialen Charakteristik Hermanns und seine dämonische Poesie 
entzündete sich unmittelbar an einem wirklichen Haß. Da 
kann Orabbe nicht konkurrieren, aber sein Stück hat dafür 
andre Vorzüge. — Ist in den 100 Tagen Napoleon der Schöpfer 
der Schlacht, so in der Hermannsschlacht die Völker der 
Römer und Germanen. 



XIII. Kapitel 

Detmold — Lebensattsgang 

Briefe: Orisebach 258—270. 

Dingdstedts Besuch „eine Mitternacht in Detmold" in 
LewÄlds „Europa" 1838 — worauf L. Merkel im April 1838 
in Nr. 3 und 4 des Lippischen Magazins eine Beleuchtung 
der Dingelstedtschen Mitternacht als Antwort erscheinen ließ. 
Im Detmolder Archiv befinden sich noch Akten eines 
Beleidigungsprozesses, den Lucie Orabbe wegen der letzten 
Vorgänge zu führen hatte. 

Albert Moser glorifizierte Grabbe in folgendem Gedicht 
„Orabbe": 

Ein Riesenspätling vom Titanenstamme, 
Entstürzt des Aethers Höhn im Fall, im jähen, 
Ein Urweltsmensch, aufragend aus Pygmäen, 
Ein Halbgott, strauchelnd in des Erdballs Schlamme. 
Umzäumt von schaalen Weltgewimmels Damme, 
Wo Stumpfsinn stets und Unverstand sich blähen, 



- 446 - 

Zu groß den Vielen, die als Irrlicht schmähen, 
Die in dir glomm, die heil'ge Gottesflamme. 
Vom Weib um Liebe grenzenlos betrogen, 
Mit Inbrunst werbend um der Dichtung Krone — 
So zogst du hin, fremd, siech, mit dfistern Sinnen. 
Ein Stern nur blieb, des Glanz dich nicht belogen: 
Der Mutter Herz schlug treugeneigt dem Sohne, 
Bis dich der Tod erlösend rief von hinnen. 



XIV. Kapitel 

Ober einige sonderbare Genies und Originale vgl. Mor- 
genblatt 1835 August und 1836 Juli. Orion: „mit finsterem 
Mulattengesicht, als Original verhätschelt, impertinent im 
Pumpen" (der Bettler der wahre König) — Arendt (selten 
sind so viele Talente untergegangen, wie jetzt — abgesehn 
von Kleist und Hölderlin sind es nur halbe Talente). 

„Eine Unausgeglichenheit in den psychischen Kräften": 
das sei zum Schluß noch etwas bestimmter präzisiert. Das 
psychologische Drama voll von ungelösten Konflikten,, das 
sich in Grabbes Innerem abgespielt hat (das besonders in 
des Dichters Briden und in dessen Drama Don Juan und 
Faust reflektiert), läßt sich etwa so formulieren: ein stahl- 
scharfer Verstand, eine bis zur Verwilderung üppige Ein- 
bildungskraft und eine verborgene, keusch verschlossene Ge- 
mütstiefe bilden scheinbar jedes für sich eine hohe Gabe, die 
aber wieder nur als harmonischer Dreiklang beglücken. Aber 
bei Grabbe stoßen sich diese seelischen Grundkräfte ab und 
fliehen centrifugal auseinander. Vor einem grausam zer- 
setzenden schonungslos auflösendem Verstand sinken alle 
Ideale dahin, zerfließt der holde Schein, der die Wirklichkeit 
illusionistisch umschwebt. Aber niemals das Leben, nur das 
Bild des Lebens ist schön — hat Schopenhauer einmal gesagt. 
Und andrerseits nun flüchtet sich Grabbes hungernde geäng- 
stigte Seele in eine Phantasiewelt ohne Grund, ohne Grenzen 



— 447 — 

und ohne Ende. Diese Phantasie stellt teils die Dinge in 
unheimlicher Nähe vergrößernd und verzerrend, mit packender 
Gegenständlichkeit vor sich hin, teils verflüchtigt sie sich, das 
ganze All ausmessend (oder gierig ausschlürfend), sich an 
der unendlichen Größe des Universums berauschend, ins 
Grenzenlose und Wesenlose. Weder die nackte Wirklichkeit 
des Verstandes beglückt, noch dieses Extrem des Phantasie- 
rausches,*) dem nun der Dichter angstvoll vor dem 
ernüchternden Erwachen bangend, durch Feuerwasser 
und Spirituosen Dauer zu leihen sucht. Daher Grabbes 
Alkoholismus 1 Nur selten schenkten ihm die Götter eine 
ganz reine Wirkung. Das geschieht dann, wenn eine 
verborgene Gefühlstiefe sich öffnet und das deutsche Ge- 
müt sich regt in wenigen gedrängten Klingen voll wunder- 
voller Sehnsuchtsstimmung. Und aus dieser Sehnsucht heraus,, 
aus diesem Instinkt des Kranken für das Gesunde erklärt 
sich auch schließlich Grabbes Stellung zu Shakespeare und 
zu Schiller. Auch Grabbe schöpfte aus jener Fülle von Kräften 
eines scharten Verstandes und eines geistreichen Witzes, in 
denen sich insbesondre für die Romantik die Größe 
Shakespeares offenbarte (vgl. die Shakespearomanie) , auch 
Grabbe besaß wie der große Brite, eine glühende Phantasie, 
die aber mehr leuchtet als erwärmt; aber während Shake- 
speare suverän mit seinem Reichtum schaltet, gleicht der tolle 
Fieberphantast Grabbe einem Besessenen, der in einem phy- 
sisch-psyischem Rauschzustand, einer seelischen Trunkenheit 
willenlos befangen bleibt. Glücklos fühlte sich Grabbe bei 
allen seinen Gaben. Wie hat er anfangs sein Herz zu ver- 
härten gesucht, um sich im Kampf des Lebens aufrecht zu 
halten, wie hat er tötlichen Spott an den Empfindsamen ge- 
übt. Und doch schien ihm zuletzt nur die Rettung zu winken 
in dem deutschen Gemüt. Hier erschien ihm, indem sich 



•) In diesem Zusammenhang ist auch eine Antithese bemerkenswert, 
die fast allen Dramen Grabbes zugrundeliegt: die zwischen dem kühlen 
verstandesklaren Norden und dem sinnenfrohen phantastisch bunten Süden ! 



— 448 — 

Kraft mit Sehnsucht vermählte, ein harmonischer Aüsklaag 
4er inneren Fehde möglich. Und dieses höchste Gut schien 
Grabbe erfüllt und gestaltet in dem hochfliegenden und doch 
kraftvoll gesunden Idealismus Schillers, des tieWingsdichters 
der Nation, der aus den Tiefen des Volkes aufsteigend sich 
aus Roheit, Armut und Sieohtum emporgerungen hatte zur 
Vollendung! (Man vergleiche übrigens die sehr ähnliche, auch 
durch das Spiel psychischer Kontraste so reizvolle geistige 
Eigenart eines Heinrich v. Kleist, der Grabbe so verwandt 
ist, bei dem aber doch der Eindruck der Kraft und Harmonie 
«das Zerrissene weh mehr überwiegt) 



Register der wichtigsten Namen 

(Moderne Autoren sind mit einem * bezeichnet) 



Ackermann 262 

Adam 87 

Ahlefeldt (Gräfin) 299, 366, 440 

Ancelot 423 

Anicet 435 

Appian 129 

Arendt 379, 446 

Aristoteles 227 

Arnim 207, 311, 380 

Arndt 423 

Assing (L) 440 

Auerbach 445 

Auffenberg 52, 108, 109 

Autommarchi 243 

Beer 281 

Berberich 291 

Bernard 149 

Bettina von Arnim 311 

Blomberg 135 

•Bleibtreu 352 

•Blumenthal 423 

Blümner 121 

Borch 32 

Boieldieu 237 

Börne 99, 242, 268 

Brachmann (Luise) 97, 428 

•Brackmann 433 

Braun 136 

Brentano 87, 311, 380 

*v. d. Brück 86, 379 

Brunnhofer 143 

Nieten, Chr. D. Orabbe. 



Buchner 209 

Burgmüller 297, 302, 303, 440 

Bürger 374 

Byron 27, 147, 148, 149, 153, 158, 
160, 167, 169, 170, 171, 174, 
175, 178, 180, 181, 185, 190, 
195, 200, 204, 388, 399 

Calderon 90, 96, 149, 158, 162, 169, 

174, 182, 190, 336 
Dio Cassius 348 
Castelli 97 
Cäsar 130 

Chaboulon 243, 244, 255 
Chamisso 146, 242 
Clauren 27, 87 
Chezy 98 
Clostermeier 4, 11, 17, 136, 226, 266, 

271, 272, 340, 345, 348, 349, 

350, 430, 437 
v. Colin 420 
Collin 108 
Coßmann 242 
Cramer 209 
Cretzschmar 294 

•Deetjen 434, 443 

E. Devrient 156, 426, 429 

L. Devrient 33 

Dingclstedt 367, 445 

Donop 340 

Döring 97, 321, 428 

29 



— 450 — 



Dorsch 87 

Duller 86, 271, 283, 288, 293, 295, 

296, 311, 371, 419, 423 
Dumas 243 
v. Dyck 98 

•Ebstein 371, 421 
Eichendorf 207, 236 
Ellmenreich 302, 306 

Falkmann 10, 422 

Fischart 85 

Fichte 166, 167 

Florus 348 

•Flüggen 262 

Fouquet 27, 174, 193, 207 

Freiligrath 136, 141, 271, 273, 311, 

372, 423, 430 
•P. Friedrich 291, 421, 424, 429, 431, 

442 
Funk 231 

Gaudy 242, 253 

Gehe 428 

Gerhard 98, 425, 429 

Gervinus 375 

Gleich 97, 428 

Gogol 403 

Goldoni 37, 163 

Goldsmith 89 

Goethe 97, 107, 149, 164, 165, 169, 
170, 176, 195, 204, 208, 211, 
212, 227, 236, 263, 268, 291, 
304, 311, 355, 388, 415, 423 

•Gottschall 102, 151, 204, 421, 433 

Gozzi 87 

Gray 321 

Greiner 291 

Gretry 231, 235 

Grillparzer 204, 323, 423 

•Grisebach 342, 371, 420, 422, 425, 
429, 437 

Gubitz 26, 27, 35, 425, 430 

Gustorff 32, 37, 424, 425, 429 

Guthrie 321 



Gutzkow 291, 311, 334, 404, 440, 442 
•Hagemann 262 
•Hallgarten 262, 317, 342 

Hammerstein 348 

•Hart 86 

Hartenfels 262, 311, 313 

Hauff 91 

Haupt 243 

•Hauptmann 193, 212 

Hebbel 152, 211, 339, 381 

Heimskringla 52, 423 

Heine 32, 33, 90,^95, 97,~99, 146, 
167, 174, 200, 241, 242, 245, 
268, 289, 301 , 31 1 , 404, 425, 428 

Hell 97 

Herder 204 

Herling 290, 428 

Heyden 207, 210, 233 

Herloßsohn 262, 269 

Hildebrandt 301 

E. T. A. Hoffmann 27, 33, 91, r 95 f 
98, 159, 161, 163, 167, 173, 
178, 189, 192, 282, 302, 335, 
338, 423 

Hohenhausen 97, 348 

Holbein 87, 280 

Hölderlin 378, 446 

Holtei 379 

Homer 236, 238 

Hönighausen 291 

Hörn (Frz.) 27, 147, 204, 428 

Houwald 24, 51, 84, 96, 97, 204, 
335, 426 

Hub 342 

V. Hugo 380, 381 

Huschberg 324 

Hütten 345 

•Ibsen 405 

Immermann 27, 79, 87, 88, 109, 136, 
144, 151, 181, 206, 207, 210, 
227, 233, 236, 262, 263, 281, 
287, 289, 290, 294; 295,« 296, 
304, 306, 318, 338, 340, [341, 
345, 375, 380, 430, 440, 443 



— 451 — 



Jerrmann 39, 146, 159, 163, 425, 426 
Jung 440 

Kant 166, 167 

Kestner 107, 242, 277 

Kettembeil 37, 100, 151, 203, 240, 

272, 288, 289, 294, 307, 336, 

368, 377, 424, 425 
Kleist 47, 309, 311, 341, 345, 349, 

354, 356, 378, 380, 381, 423, 447 
Klemm 271, 346, 445 
Klingemann 23, 148, 169, 175, 177, 

184, 185, 190, 200, 201, 205, 423 
Klinger 107, 146, 169, 187, 200, 242 
Klopstock 171, 345, 355, 428 
Kobbe 94, 301, 371 
Köchy 32, 36, 425, 443 
Koppen 440 
J. Körner 103 
•Krack 86 
Kramer 57, 318 
Krug v. Nidda 97, 428 
Kruse 209 

Kuhn 26, 97, 301, 334, 428 
Kühne 440, 441 

Lappe 136 

Lascasa 243, 250 

Laube 32, 425 

Lauber-Versing 305 

Lebrun 87 

Lenau 311 

Lenz 87, 89, 96, 253 

Lessing 227, 304, 415 

Leßmann 379 

Lewald 445 

Lindner 291 

Livius 321 f. 

Lohenstein 345 

Lorm (Hier.) 306 

Lortzing 143, 150, 153, 181, 195 

Luden 340 

Otto Ludwig 206, 309 

Luther 244 

Lux 243, 435 



Marggraff 334, 378, 442 

Mario we 168, 423 

Meien 137, 277, 278, 279, 288, 366 

Mendelssohn-Bartholdy 304 

Menzel 85, 151, 240, 269, 289, 294, 

300, 335, 336, 380 
Meyen 236, 434 
Henriette Meyer 269 
•R. M. Meyer 443 
Merk 291 
Merkel 445 
•Minor 50, 416 
Moser 136, 445 
Molina 180, 183, 184 
Moliere 162, 163, 183, 184, 205 
•Mommsen 111, 115, 130 
Mozart 148, 188 
Methusalem Müller 97, 428 
W. Müller 20, 146 
Maler Müller 164, 184, 431 
Müllner 24, 49, 50, 51, 57, 67, 96, 

148, 204, 242, 289, 318, 335, 

380, 414, 423, 426 
Mundt 330, 334, 441 

Naogeorg 85 
Neumann 309, 433, 440 
Niebergall 7, 379, 424 
Nicolo 336 
Krug v. Nidda 97 
Nienstedt 207, 210, 434 
•Nietzsche 164, 182, 217, 390, 427 
Novalis 200 

Oehlenschläger 52, 423 
Orion 379, 446 
Ossian 52 

Jean Paul 190 

Fürstin Paulin« 2, 419 

Paulus 166, 325 

Vcllejus Paterculus 348 

Petri 137, 270, 279, 297, 312, 336, 

340,341, 364,366, 371, 380, 397, 

440 

29* 



- 452 - 



•Perger 429, 444 

V d. Pfordten 212 

C Pichler 210, 237 

Pichler 101 

Piderit 267, 371 

•K. A. Piper 421, 424, 427 

Pittschaft 379, 425 

Platen 146, 207, 289, 338, 378, 380 

•Ploch 55, 91, 301, 420, 427, 431, 

434, 435, 442 
Plutarch 11, 110 ff, 321, 423 
da Ponte 160 
Putlitz 440 

Rabelais 387 

Rambach 369 

Raßmann 136 

Raumer 29, 207, 209, 215, 217, 223, 

226, 227, 228, 231 f. 
Raupach 144, 204, 205, 207, 209, 

210, 213, 226, 229ff, 236, 268, 

281, 282, 290, 306, 335, 367, 

380, 434 
•Reichl 323 
Rellstab 303 
Reußler 305 
Riesch 345 
Robert 32, 37, 425 
Rollin 321 
Rousseau 136, 291 
Runenberg 367 
Runkel 301 
Rückert 242, 311, 423 

Savigny 29 

Scott 27, 52, 93, 428, 435 
Graf Schack 288, 440 
Schelling 167, 180 
Schenk 305, 306, 314 
Scherer 375 

Schickedanz 419, 424, 430 
Schierenberg 443 
Schiff 151, 303 

Schiller 12, 45, 67, 96, 111, 167, 187, 
200, 205 ff, 211,217, 219, 227, 



244, 253, 308, 309, 316, 349, 
374, 380, 385, 390, 414, 415, 
427, 432, 434, 435 

Schink 146 

Schleiermacher 306 

Schlenkert 129, 209 

Schlosser 220, 321 

•F. J. Schneider 431 

Schreiber 147 

Schreiner 301, 312, 366 

L Schücking 87, 271 

Schütz 346, 445 

Segur 243 

Seliger 305 

Shakespeare 11, 98, 130, 156, 175, 203, 

204, 206, 211, 212, 216, 219, 
220, 236, 256, 291, 305, 308, 
339, 380, 385, 414, 434 

Shelley 161, 166, 399 
Soden 146, 165, 174 
Sueton 423 
•Spielmann 322, 330 
Spieß 57, 318 
Spontini 210, 303, 336 
Spohr 149, 157, 195, 200, 431 
Stange 302 
Steffens 167, 200 
Stein 306 
Steinmann 281, 336 
Ch. Stieglitz 303, 379 
Stoltze 262 

Tappe 348 

Tacitus 345, 348, 349, 359 
F. Tarnow 94 
Tasso 423 
Thienemann 87 

Tieck 41 ff, 79, 87, 89, 90, 91, 95, 98, 
106, 146, 148, 156, 203, 204, 

205, 208, 227, 281, 292, 303, 
307, 324, 333, 338, 365, 380, 
423, 426, 427, 429, 432, 434, 443 

Töpfer 281, 307 
•Treitschke 382, 420, 435 
Turgenjew 403 



- 453 — 



Ucchtritz 27, 32, 33, 36, 88, 109, 
144, 205, 207,315, 324, 325,425, 
440 

Valerius Maximus 129 

v. d Velde 97 

Venturini 243, 244, 248, 254, 255, 257 

Vertot 107, 129 

N. Vogt 147 

Voß 146 

Vulpius 209 

Wagner 304 

Wahlcrt 347 

♦Warkenthin 152, 431 

IC AI Weber (Freischütz) 24, 148, 195 

Weichsclbaumer 108, 323 

Weidner 291 



•Weißstein 342 

Weißenthurn 87, 281 

Z Werner 47, 84, 204, 233, 242, 316, 

380, 423, 425 
Wessenberg 136 
Wetzel 379 
Wieland 345 
Wienbarg 291 
Winkler 97 
•Wolzogen 151 
Wustenberger 345 

•Gäthgens zu Ysentorff 242 



Zedlitz 242 

Ziegler 271, 301, 367, 

419, 423 
•Zola 209 



371, 372, 



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Druckfehlerverzeichnis 



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99 

99 



99 



Seite 17, Zeile 6 von unten, lies: windet statt wendet. 
18, „ 13 von oben, lies: 4—6- statt 32-mal. 

27, „ 8 von unten, lies: Müllner statt Müller. 

28, „ 3 von oben, lies: konnte statt könnte. 
35, „ 9 von oben, lies: den Manneswert statt an 

Manneswert. 
38, „ 4 von oben, lies: eine Anstellung statt einer 

Anstellung. 
49, „ 13 von unten, lies: ins Netz statt ins Herz. 

58, „ 1 von unten, lies: Andronicus statt Adronicus. 

59, „ 10 von oben, lies: so schnell gehört auf diese 

Zeile: „So schnell und 
kläglich u. s. w. 

65, „ 7 von unten, lies: Rechtsgefühl statt Recht- 
gefühl. 

76, „ 19 von oben, lies: ausschöpfende Szene. 

83, „ 9 von unten, lies: Parteien statt Partien. 

93, „ 15 von oben, lies: in der statt nach der. 
„ 109, „ 4 von oben, lies: Cincinnatus. 
„ 115, „ 2 von unten», lies: Nessusgewand statt Nessel- 
gewand. 
„ 124, „ 10 von oben, lies: die statt der. 
„ 130, „ 14 von oben, lies: Bei Plt. statt Plt. 
„ 135, „ 11 und 12 von oben sind umzustellen. 
„ 138, „ 17 von oben, lies: tut's mir zu lieb. 
„ 143, „ 12 von oben, lies: 1826 statt 1829. 
„ 154, „ 14 von unten, lies: weniger statt wenig. 
„ 191, „ 12 von oben, lies: Gebrechen statt Verbrechen. 
„ 208, „ 13 von unten ist ihn zu streichen. 



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99 



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99 

99 



— 455 — 

Seite 211, Zeile 5 von unten, lies: bildet ferner statt bildet. 

„ 212, „ 6 von oben, lies: ansprechen st. aussprechen. 

„ 219, „ 15 von unten, lies: Wert statt Wort. 

„ 228, „ 4 von unten, lies: Ächtung statt Achtung. 

„ 232, „ 6 von unten, lies: waltet statt wartet. 

„ 244, „ 2 und 3 von oben sind zu streichen. 

„ 249, „ 8 von oben, lies: sohlechthinnige statt 

schlechtsinnige. 

„ 256, „ 18 von unten, lies: seiner statt deiner. 

273, „ 14 von oben, lies: Eine statt Ein. 

277, „ 6 von oben, lies: den Ring statt ihn. 

278, „ 14 von oben, lies: bald sich statt bald. 
287, „ 3 von oben, lies: 863 statt 163. 

289, „ 9 von unten, lies: 1829 statt 1839. 

290, „ 1 von unten, lies: Herling statt Hertling. 
298, „ 18 von oben, lies: Mondstein st. Mondschein. 

327, „ 4 von oben, lies: Züge statt Lüge. 

328, „ 5 von unten, lies: füge hinzu: ein Tierchen 

ins Auge. 

333, „ 8 von unten, lies: Staat statt Stadt. 

346, „ der erste Satz des zweiten Absatzes ist noch 
zu dem ersten Abschnitt hinzuzuziehen. 

353, „ 1 von unten, lies: „schweig statt schweig. 

356, „ 17 von oben, lies: hinter Galanterien auch — 

auf Thusnelda. 

376, „ 5 von oben, lies : Glückswerten statt Lebens- 
werten. 

378, „ 1 von unten, lies: Marggraff statt Marggraf. 

379, „ 10 von oben, ltes: Pittschaft st. Pitschaft. 
379, „ 11 von untem, lies: Nieb ergall statt Nibergall 

(s. auch 424). 
388, Anm. Zeile 1, lies: Vertragsszene statt Vortrags- 
szene. 
400, „ 18 von oben, lies: in denen statt in der. 



— 456 - 

(Nach erneuter nachträglicher Vergleichung meiner Ex- 
cerpte mit den Briefen an Orabbe stelle ich noch zwei Ver- 
sehen richtig: S. 17: Der alte Grabbe schickte dem Sohne die 
Pistole» die ihm von Clostermeier übergeben wurde. — S. 37: 
Köchy hatte selbst den Plan Heinrich den Löwen zu drama- 
tisieren; aus dem Briefe wird klar, wie hoch Köchy Grabbe 
geschätzt hat.) 



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CHR. D. GRABBE 









VON 



OTTO NIETEN 



SCHRIFTEN DER LITERARHISTORISCHEN GESELLSCHAFT BONN 
HERAUSOEQEBEN VON BERTHOLD LITZMANN 



IV 



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DORTMUND 
DRUCK UND VERLAG VON FR WILH. RUHFUS 

1908